Das Ungeborene im Widerspruch: Der symbolische Schutz des menschlichen Lebens in vivo und sein Fortwirken in einer allopoietischen Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft [1 ed.] 9783428545155, 9783428145157

In den 1970er und 1990er Jahren fand die Debatte um die Abtreibung ihren Weg vor das Bundesverfassungsgericht und ein ve

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Das Ungeborene im Widerspruch: Der symbolische Schutz des menschlichen Lebens in vivo und sein Fortwirken in einer allopoietischen Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft [1 ed.]
 9783428545155, 9783428145157

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Schriften zum Strafrecht Band 276

Das Ungeborene im Widerspruch Der symbolische Schutz des menschlichen Lebens in vivo und sein Fortwirken in einer allopoietischen Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft

Von

Gloria Berghäuser

Duncker & Humblot · Berlin

GLORIA BERGHÄUSER

Das Ungeborene im Widerspruch

Schriften zum Strafrecht Band 276

Das Ungeborene im Widerspruch Der symbolische Schutz des menschlichen Lebens in vivo und sein Fortwirken in einer allopoietischen Strafgesetzgebung und Strafrechtswissenschaft

Von

Gloria Berghäuser

Duncker & Humblot · Berlin

Veröffentlicht mit finanzieller Unterstützung der Universität Passau Gefördert durch die Studienstiftung des deutschen Volkes

Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-14515-7 (Print) ISBN 978-3-428-54515-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84515-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern gewidmet, gefolgt von dem Fels und einem Drachen.

Vorwort „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“. (Albert Camus1)

Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2013 / 14 (Dezember 2013) von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Als ich mich dann im Sommer  2014 daran machte, dieses Vorwort zu schreiben, da stolperte ich über den letzten Satz eines Interviews. Kurt Beck, ehemaliger Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, verwendete den Begriff von einer „Freude am Steinerollen“2, als man ihn nach seinen verlorenen Hoffnungen befragte. Ich musste unwillkürlich lächeln und wusste, welches Bild ich dieser Arbeit vorangestellt wissen will, um diejenigen Menschen zu würdigen, die mich in den vergangenen Jahren begleitet haben, derweil ich wiederholt denselben Stein denselben Berg hinaufrollte. Danken möchte ich zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Werner Beulke, der nicht nur diese Arbeit betreut hat, sondern mir auch die Gelegenheit zur Mitarbeit an seinem Lehrstuhl wie auch später zur Mitarbeit in seiner Kanzlei für Strafverteidigung gegeben hat. Wie so vielen anderen Doktoranden und Studenten zuvor, ist er auch mir im Gespräch stets mit einem offenen Geist begegnet und hat es dabei vermocht, der vordergründig trocken anmutenden Juristerei ein Herz zu geben. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens gebührt mein Dank Herrn Prof.  Dr.  Bernhard Haffke, der mir viele wertvolle Impulse und Gedanken mit auf meinen weiteren Weg gegeben hat. Dank schulde ich ferner meinen Eltern Monica und Hans‑Bernd Berghäuser, ohne deren Rückhalt diese Dissertation ihr Ende nicht gefunden hätte: Meinen Weg habt Ihr mir geebnet, wo es Euch nur möglich war, dies auch dann noch, als eine schwierige private Lebenssituation mein Fortkommen gefährdete und Euch das Bild einer jahrelang Steine rollenden Tochter zu schmerzen begann. Meine Gedanken sind auch bei meiner zwischenzeitlich verstorbenen Großmutter Käthe Jochim, der ich nur sagen möchte: „Oma, 1  Camus, Albert, Der Mythos des Sisyphos: Ein Versuch über das Absurde, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1959, Seite  101. 2  Beck, Kurt, im Interview v. Herlinde Koelbl, Das war meine Rettung: „Der Mangel an Loyalität in der Partei hat mich überrascht“, ZEIT Magazin Nr. 28 / 2014 – 3.  Juli 2014, nachzulesen unter http: /  / www.zeit.de / zeit-magazin / 2014 / 28 / kurtbeck-rettung (Stand: 24.07.2014).

8

Vorwort

ich hab mich dran gehalten“ – sie weiß dann schon Bescheid, wenn sie mich noch spüren kann. Danken möchte ich außerdem meinem Freund Daniel Schulze, der vielfach hat zurückstecken müssen in den vergangenen Jahren und doch nie seine Entschlossenheit eingebüßt hat, mich zu unterstützen – wer auch immer einen Stein zu rollen hat in seinem Leben, er kann sich glücklich schätzen, findet er einen Menschen wie dich, der ihn begleitet. Dein Respekt hat mich stark gemacht, deine Diskussionsfreude hat mich weiterdenken lassen und dein Lachen ist tief in meinem Herzen. Meine Liebe gehört ferner meiner besten Freundin Claudia Gerauer dafür, dass sie mich sogar dann versteht, wenn ich mich selbst noch nicht verstanden habe: In ihr hab ich meine verwandte Seele gefunden, die vom selben Rhythmus wie ich durch dieses Leben getrieben wird. Unvergessen ist mir auch die Begegnung mit Hannes Niedermeier geblieben, der seinerzeit nicht müde wurde, mir den Schirm zu reichen, derweil der Regen sein Ende nicht finden wollte. Fünf lieben Korrekturlesern mag ich weiter meinen Dank aussprechen, die mir in der Endphase der Dissertation zur Seite gesprungen sind, um dem Fehlerteufel den Garaus zu machen: Neben Daniel Schulze und Claudia Gerauer sind dies Korbinian Erdmann, Sarah König und mein Bruder Marcus Berghäuser gewesen. Nur eine Juristin ist unter Euch und doch habt Ihr Euch alle mit rührendem Engagement durch die verschiedenen Kapitel dieser für Euch so fremden Lektüre bewegt. Mein Dank geht schließlich auch an Konrad Gerhartinger‑Kayko, den vielfach verlorenen Freund, der sich, kaum hatten sich unsere Wege ein weiteres Mal gekreuzt, bereitwillig in mehrere Nachtschichten der Formatierung begeben hat, ebenso an Beate Gerhartinger und Dr.  Christian Kalin, die so lieb waren, mir anlässlich der letzten Formatierungsschrecknisse kurzfristig Hilfe zu leisten. Schließlich und letztendlich wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen ohne die finanzielle wie ideelle Unterstützung, die mir die Studienstiftung des deutschen Volkes durch ein großzügiges Promotionsstipendium gewährt hat. Ich danke der Studienstiftung für das in mich gesetzte Vertrauen und all den wunderbaren Referenten, Doktoranden und Studenten, die mich auf den Veranstaltungen der Stiftung inspiriert und motiviert haben. Getragen von der Hoffnung, diese Arbeit möge folgenden Autoren als Anknüpfungspunkt dienen (und nicht der von Camus beschworenen Sinnlosigkeit überantwortet sein), überlasse ich den von mir bewegten Stein nun den Lesern dieses Buches: Möge ein jeder hierin seinen individuellen Anhalt finden, um ins Nachdenken, Diskutieren und gerne auch ins Kritisieren zu geraten – und um im Anschluss vielleicht freudvoll einen Stein seines Weges zu rollen. Passau, im September 2014 

Gloria Berghäuser

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

Einleitende Bemerkungen – Zweierlei Untersuchungsinteressen – 

43

Abschnitt 1 

Das Interesse der Verfasserin an einer neuerlichen Analyse der §§ 218 ff. StGB – Unverständnis und seine Überwindung –



Das (vernünftige) Interesse der Rechtsordnung an einer neuerlichen Analyse der §§ 218 ff. StGB – Zugleich ein Ausblick auf den Untersuchungsgang –

44

Abschnitt 2 

47

Kapitel 2 

Die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG – Verfassungsrechtlicher und strafzwecktheoretischer Diskurs – 

55

Abschnitt 1 

Der verfassungsrechtliche Diskurs – WER ist WIE zu schützen –

56

A. Das Schutzpflichtkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Seine Subsidiarität gegenüber der Abwehrfunktion der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Seine Begründung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG . 1. Keine unmittelbare Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . 2. Der Auslegungsmaßstab des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . 3. Die mittelbare Drittwirkung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . .

59 61 61 63 64

B. WER ist zu schützen: Der Beginn des grundrechtlichen Lebens- und Würdeschutzes . . . . . . . I. Der Schutz des ungeborenen Lebens nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . 1. Der Schutz potenzieller bis aktualisierter Lebensinteressen . . . . . . . a) Der Schutz aktualisierter Lebensinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 66 68 68

58

10

Inhaltsverzeichnis aa) Eine interessenorientierte Zuschreibung von Rechten . . . . . . 68 bb) Die Ursprünge in der Philosophie Lockes . . . . . . . . . . . . . . . 70 cc) Der Schutz „bewusster Wesen“ in ihrer Empfindungsfähigkeit  71 dd) Der Schutz „selbstbewusster Wesen“ in ihrem Lebenswunsch  73 b) Der Schutz potenzieller Lebensinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Das Potenzialitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (1) Das Potenzialitätsargument in BVerfGE 39, 1 . . . . . 78 (2) Die allgemeine Potenzialität des menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (3) Die Analogie zum Anwartschaftsrecht . . . . . . . . . . . 80 bb) Das Identitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (1) Eine Identität aus den Anlagen von Ich- und Zeit­ bewusstsein  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (2) Eine Identität aus dem Genom . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (3) Eine Identität aus der Differenzierung von Embryoblast und Trophoblast  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (4) Eine Identität aus der Unteilbarkeit . . . . . . . . . . . . . 93 c) Kritik und die Abkehr vom Potenzialitätsargument in BVerfGE 88, 203 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Der Schutz gattungsspezifischer Lebensinteressen (Speziesismus) . . 99 3. Der Schutz einer kontinuierlichen Entwicklung (Kontinuitätsargument) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Die unentschiedene pränidative Entwicklungsphase . . . . . . . . . . . . . 105 a) Das unentschiedene empirische Sachurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Das unentschiedene normative Werturteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Gegen einen Schutz „in dubio pro vita“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Der Schutz des ungeborenen Lebens nach Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . 111 1. Die Ablehnung von Interessenschutz und Leistungskonzeptionen . . 112 2. Der Schutz eines Eigenwerts auch nach den Wertkonzeptionen . . . . 113 3. Parallele Unentschiedenheit der pränidativen Entwicklungsphase . . . 116 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

C. WIE ist zu schützen: Die Art des grundrechtlichen Lebens- und ­Würdeschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Der eigenständige Schutz des ungeborenen Lebens  . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Der individuelle Schutz des ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. Der gleichwertige Schutz des ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. „One Size“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Gleichwertigkeit statt Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 D. Conclusio und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122



Inhaltsverzeichnis11 Abschnitt 2 



Der strafzwecktheoretische Diskurs – WARUM geschützt wird –

124

A. Die positiv-generalpräventive Zielsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 I. Die Wirkweise strafgesetzlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Das Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Bewusstseinsbildung und / oder -abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. In der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 127 II. In der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung . . . . . . . . . . . . . 128 C. Conclusio und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Kapitel 3

Die Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit – Aus verfassungsrechtlicher und strafzwecktheoretischer Sicht –  132 Abschnitt 1



Eine Klassifikation von Widersprüchen – Das Untersuchungsinteresse am Wertungswiderspruch – 133

A. Der „echte“ und der nur „scheinbare“ Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Die formale Identität der rechtsetzenden Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Keine Auflösung unter Anwendung allgemeiner Kollisionsregeln . . . . . 137 B. Die I. II. III. IV.

verschiedenen Arten des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Die technischen „Widersprüche“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Die Normwidersprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Die Wertungswidersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Die teleologischen Widersprüche und Prinzipienwidersprüche . . . . . . . 142

C. Das Untersuchungsinteresse am Wertungswiderspruch . . . . . . . . . . . . . . 143 Abschnitt 2 

Eine verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit – Die „Einheit der Rechtsordnung“ – 144

A. Der Ursprung im materiellen Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 B. Der Grundsatz der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Die Normenklarheit i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Die Normenklarheit i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Die Klarheit über den jeweiligen Normbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Die Wertungsklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

12

Inhaltsverzeichnis

C. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 D. Die I. II. III. IV.

Vereinbarkeit mit den Grundrechten, Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG . 154 Die Normenpyramide nach der Stufentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Die Freiheit von vertikalen Wertungswidersprüchen . . . . . . . . . . . . . . . 156 Die mittelbare Freiheit von horizontalen Wertungswidersprüchen  . . . . 156 Die Untersuchungsrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Für den postnidativen Ungeborenenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Für den pränidativen Ungeborenenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

E. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1, 1 Abs. 3 GG: Das Gebot der Rechtsetzungsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Die Feststellung einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem  . 164 1. Für den postnidativen Ungeborenenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Die Wahl eines grundrechtlich definierten tertium comparationis: Die wesentliche Gleichheit zum geborenen Menschen nach den Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Die Freiheit von horizontalen Wertungswidersprüchen . . . . . . . . 166 c) Die subsidiäre Wahl eines naturwissenschaftlichen tertium ­comparationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Für den pränidativen Ungeborenenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Die Selbstbindung statt hierarchische Bindung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Die Wahl eines grundrechtlichen tertium comparationis . . . . . . . 170 c) Die alternative Wahl eines naturwissenschaftlichen tertium comparationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Eine Freiheit von Willkür oder gewichtige sachliche Begründung . . 173 2. Die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen des postnidativen ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen des pränidativen ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Conclusio: Der allgemeine Gleichheitssatz als Dreh- und Angelpunkt einer verfassungsrechtlich konkretisierten Freiheit von Wertungswidersprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 F. Die Relevanz für die einfachgesetzliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Abschnitt 3

Eine strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit – Die positive Generalprävention – 180

A. Die Grundlagen der positiven Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Ihre herkömmliche Abgrenzung zu den absoluten Straftheorien . . . . . . 181



Inhaltsverzeichnis13 II. Ihre Definition und Platzierung innerhalb der relativen Straftheorien . 183 III. Ihre Einbettung in die Strafzwecke des Strafgesetzbuchs . . . . . . . . . . . 185 IV. Plausibilität statt Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

B. Die Erscheinungsformen positiv-generalpräventiver Theorien . . . . . . . . 191 I. Die positive Generalprävention nach Durkheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 II. Die positive Generalprävention im Gewand der Vergeltungstheorie . . . 195 1. Ein Unrechtsausgleich zur Herstellung von Gerechtigkeit und Autorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Hegel: Eine Normstabilisierung durch die Antwort auf einen ­abweichenden Weltentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Die funktionale Vergeltungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Das Zusammenspiel von positiver und negativer Generalprävention . . 202 1. Das v.  Feuerbach’sche Grundkonzept negativer Generalprävention: Rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation vs. psychologischer Zwang . . 202 2. „Positiv-generalpräventive“ Modifikationen des Grundkonzepts: Eine Sittenbildung durch Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Haffke: Die Übertragung des Freud’schen Persönlichkeitsmodells auf die Ebene der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Weitere Modifikationen der Grundthese negativer Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 C. Eine vergleichende Betrachtung der Mechanismen unterstellter ­generalpräventiver Wirkweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Positiv-generalpräventive Wirkweise: Die Mechanismen eines ­kommunikativen Lernprozesses mit dem intendierten Lernerfolg der „Einsicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Die direkte Kommunikation zwischen Recht und Allgemeinheit . . . 212 a) Die Antwort auf das Täterverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Die Veröffentlichung der Antwort auf das Täterverhalten . . . . . . 213 c) Das primäre Kommunikationsziel der „Verständigung“ und der übergeordnete Kommunikationszweck der „Einsicht“ . . . . . . 214 2. Die „weitergeleitete“ Kommunikation zwischen Recht und ­Allgemeinheit: Vom Recht zum Bürger zum nächsten Bürger . . . . . 216 a) Die Weiterleitung durch informelle Sozialisationsinstanzen  . . . . 217 b) Lernmechanismen innerhalb der „weitergeleiteten“ Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Negativ-generalpräventive Wirkweise: Die Mechanismen verschiedenartiger Lernprozesse mit dem intendierten Lernerfolg (einer Sittenbildung durch) „Furcht“ . . . . . . . . 223 1. Das Konzept der rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation: Die ­Mechanismen eines kommunikativen Lernprozesses mit dem ­intendierten Lernerfolg rational nachvollzogener „Furcht“ . . . . . . . . 224 2. Das Konzept des „psychologischen Zwangs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Vorbemerkungen zu einer Gegenüberstellung von klassischer und operanter Konditionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

14

Inhaltsverzeichnis b) Die Mechanismen eines Lernprozesses der klassischen ­Konditionierung mit dem intendierten Lernerfolg automatisierter Vermeidungsreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 c) Die Mechanismen eines Lernprozesses der Beobachtung mit dem intendierten Lernerfolg der Nachahmung . . . . . . . . . . . . . . . 231 III. Eine Abgrenzung der Mechanismen generalpräventiver Wirkweisen . . 234

D. Die Freiheit von Wertungswidersprüchen als generalpräventive ­Wirksamkeitsvoraussetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Die verfassungsrechtlichen Grenzen eines generalpräventiven Strafens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Von den Mechanismen zu den Voraussetzungen generalpräventiver Wirkweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Positiv-generalpräventive Lernprozesse: „Verständnisvolle Einsicht“ in Wert- und Unrechtsvorstellungen . . . 237 a) Die nicht erkennbare sachliche Begründung einer Ungleich­ behandlung: Eine Kommunikationsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Die fehlende sachliche Begründung einer Ungleichbehandlung: Eine „positiv-generalpräventive Paradoxie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Lernprozesse negativ-generalpräventiver Zielsetzung: „Verständnislose Furcht“ vor oder Imitation von Strafe . . . . . . . . . . 243 III. Die „Einsicht“ in und die „Furcht“ vor der Abtreibungsgesetzgebung  . 245 Kapitel 4

Die Analyse ausgewählter Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch auf Wertungswidersprüche – Einleitende Bemerkungen – 

249

Abschnitt 1 

Gang und Gegenstand der einfachgesetzlichen Analyse – Ungleichbehandlungen trotz Gleichwertigkeit –

250

A. Der Vergleich des postnidativen Ungeborenenschutzes mit den Vorschriften zum Schutz des „Menschen“ i. S. d. Strafrechts  . . . . . . . . 252 B. Der Vergleich des pränidativen Ungeborenenschutzes mit den Vorschriften zum Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens . . . . . 253 C. Der Vergleich des pränidativen Ungeborenenschutzes mit anderen ­Vorschriften zum Schutz des pränidativen ungeborenen Lebens . . . . . . 255



Inhaltsverzeichnis

15

Abschnitt 2 

Geschützte Rechtsgüter und „Schutzreflexe“ – Der „Januskopf“ des Schwangerschaftsabbruchs –

256

A. Der primäre Schutz des ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Die Benennung des primären Schutzguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Die Spezifizierung des primären Schutzguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Die Bezeichnung als „Leibesfrucht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 B. Der (Mit‑)Schutz von Gesundheit und Leben der Schwangeren . . . . . . 262 I. Die Entfaltung eines „Schutzreflexes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Der Arztvorbehalt in den §§ 218 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Das Regelbeispiel des § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . 264 3. Die Konkurrenz zu den Körperverletzungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Kein Schutz als selbstständiges Rechtsgut  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 C. Der (Mit‑)Schutz der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren . . . . . . . . 268 D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Abschnitt 3 

Die Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“ – Die strafgesetzliche „Menschwerdung“ mit der Geburt –

271

A. Ungleichbehandlung: Der reduzierte strafgesetzliche Schutz der „Leibesfrucht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I. Ein „Gefälle“ im strafgesetzlichen Lebensschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 II. Der Ursprung des „Gefälles“ im strafgesetzlichen Lebensschutz . . . . . 274 1. Der Streit um die Datierung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Die Zäsur des Geburtsbeginns (h. M.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Die alternative Zäsur der Geburtsvollendung . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Die alternative Zäsur abstrakter extrakorporaler Lebensfähigkeit . 280 d) Die Entscheidung des Streits  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Der Streit um die Definition des Geburtsbeginns . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Das Einsetzen der Eröffnungswehen (h. M.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Der Beginn der Öffnung des Uterus (h. M.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Conclusio und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 B. Sachliche Begründung des reduzierten strafgesetzlichen Schutzes der „Leibesfrucht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 I. Legitimer Zweck: Eine Rücksichtnahme auf die symbiotische Verbindung mit dem Ungeborenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 1. Die Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen in seiner symbiotischen Verbindung mit der Schwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

16

Inhaltsverzeichnis 2. Die Schutzfähigkeit des Gesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 a) Gegenüber der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren  . . 294 b) Gegenüber absichtlichen Abbruchshandlungen der Schwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3. Das Verhaltensunrecht des Täters  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 4. Keine Rücksichtnahme auf eine verminderte Tötungshemmung . . . . 298 5. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Ein „Scheinzweck“: Die Einbeziehung des „sonstigen Dritten“ in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Die Schutzfähigkeit gegenüber Dritteinwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Das Verhaltensunrecht des „sonstigen Dritten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Das Regelbeispiel des § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . 303 4. Conclusio: Der Ausdruck eines reduzierten Erfolgs- statt Verhaltens­ unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 III. Unangemessenheit: Die positiv-generalpräventive Botschaft einer schematisierenden Zäsur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

C. Conclusio: Eine „Menschwerdung wie von Zauberhand“ . . . . . . . . . . . . 308 Kapitel 5

Die medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB – Verallgemeinerte Umkehrung von Werten – 

310

Abschnitt 1 

Der Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis – Die willensgemäße Befreiung aus einem notstandsähnlichen Konflikt – 312

A. Die zwei Typen einer medizinisch-sozialen Indikation: Genuin medizinisch oder eher sozial  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 B. Ein „nothilfefeindliches“ Einwilligungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I. Mögliche und unmögliche Dispositionen der Schwangeren  . . . . . . . . . 317 II. Eine Anwendung der Grundsätze der „aufgedrängten Nothilfe“ . . . . . . 320 1. Zum Verbot aufgedrängter Gefahrenabwehr nach den §§ 32, 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 2. Zum Verbot des aufgedrängten Abbruchs nach § 218a Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 a) Die grundsätzliche Nothilfefeindlichkeit der Indikationen . . . . . . 324 b) Die nothilfefeindliche Behandlung einer mutmaßlichen Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328



Inhaltsverzeichnis

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Abschnitt 2

Von fehlender Abwägungsrelevanz – Nur das Für oder auch das Wider –

329

A. Die Ungleichbehandlung: Vorweggenommen statt offen . . . . . . . . . . . . . 329 I. Ein abstrakt-generell vorweggenommenes Abwägungsergebnis . . . . . . . 330 II. Der verbleibende Spielraum für eine Entscheidung im Einzelfall . . . . . 332 1. Die Schwere der drohenden Gesundheitsbeeinträchtigung . . . . . . . . 333 2. Jenseits der Gefahrenprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Die (auch grundrechtlich garantierte) Unerheblichkeit „fetusgebundener Umstände“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 b) Die (einfachgesetzlich garantierte) Unerheblichkeit sonstiger ­Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 III. Der Verzicht auf eine Angemessenheitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 IV. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 B. Die sachliche Begründung: Eine vermeintlich nur antizipierte ­Entscheidung über Umstände des Einzel- oder auch Regelfalls . . . . . . . 341 I. Zu einer erhöhten Gefahrtragungspflicht der Schwangeren im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Die Rechtsgedanken der §§ 13 und 35 Abs. 1 S. 2 StGB . . . . . . . . . 343 2. Die erhöhte Gefahrtragungspflicht in einem „persönlichen ­Näheverhältnis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 3. Die erhöhte Gefahrtragungspflicht eines Gefahrenverursachers . . . . 348 a) Die actio praecedens: Willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 b) Die Verletzung einer Obliegenheit durch den Geschlechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 c) Der objektive Zurechnungszusammenhang zwischen actio praecedens und Gefahreneintritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 aa) Das allgemeine Lebensrisiko eines unvorhersehbar lebens- oder gesundheitsgefährdenden Schwangerschaftsverlaufs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 bb) Die Risiken sexueller Aktivität im Wissen um eine „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“  . . . . . . . . . . . . . . 362 (1) In dubio ein allgemeines Lebensrisiko  . . . . . . . . . . . . . 363 (2) Wenigstens aber ein erlaubtes Risiko . . . . . . . . . . . . . . . 366 4. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 II. Zu einer Erhöhung der Gefahrtragungspflicht durch die Suiziddrohung der Schwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 1. Kein erzwungener Schwangerschaftsabbruch, aber eine herbeigeführte Indikationenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 a) Die Empfindlichkeit einer Suiziddrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 aa) Das Inaussichtstellen eines autoaggressiven Verhaltens . . . . . 370

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Inhaltsverzeichnis bb) Das empfindliche Übel für den behandelnden Arzt eines potenziellen Suizidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (1) Das Anhalten zu einer Abwägung von Leben gegen Leben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 (2) Die Rechtfertigung des Arztes nach § 218a Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (3) Die ärztlichen Pflichten nach §§ 12 Abs. 2 SchKG, 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 b) Die Kausalität des Gesetzes statt der Suiziddrohung . . . . . . . . . . 376 c) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 2. Die absichtlich herbeigeführte Indikationenlage („Indikationen­ provokation“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 a) Die offenen Einbruchsstellen zur Berücksichtigung eines Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 b) Die „strategische“ Suiziddrohung: Das Gefahrenmerkmal als versteckte Einbruchsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 3. Die sonst vorwerfbar herbeigeführte Indikationenlage . . . . . . . . . . . 383 a) Eine ernsthafte Suiziddrohung und Lebensgefahr  . . . . . . . . . . . . 383 b) Die fehlende Abwägungsrelevanz einer ernsthaften Suiziddrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 c) Die Unangemessenheit nur des mangelnden Nötigungsdrucks . . 390 4. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 III. Zu einer Erhöhung der Gefahrtragungspflicht durch ein das Ungeborene schädigendes Vorverhalten der Schwangeren . . . . . . . 394 1. Die sonst vorwerfbar herbeigeführte Indikationenlage . . . . . . . . . . . 395 a) Keine Pflichtwidrigkeit des schädigenden Vorverhaltens . . . . . . . 396 b) Keine Obliegenheitsverletzung durch das schädigende Vorverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 c) Schwierigkeiten des Kausalitätsnachweises  . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 d) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 2. Die absichtlich herbeigeführte Indikationenlage („Indikationen­ provokation“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 a) Eine unzumutbare Gesundheitsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 b) Schwierigkeiten des Kausalitätsnachweises  . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 3. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 IV. Eine „Nötigungsindikation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 1. Die Definition einer „Nötigungsindikation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 a) Die tatbestandsmäßige Nötigung des Täters zur Tatbegehung . . . 411 b) Die rechtswidrige Nötigung des Täters zur Tatbegehung . . . . . . 412 c) Die Herbeiführung einer Indikationenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 2. Die Subsumtion unter die Definition der „Nötigungsindikation“ . . . 414 a) Die Herbeiführung einer Indikationenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 b) Die tatbestandsmäßige Nötigung der Schwangeren zum Abbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415



Inhaltsverzeichnis

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aa) Die Drohung (auch mit einem Unterlassen) . . . . . . . . . . . . . . 415 bb) Das empfindliche Übel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 cc) Kausalität, objektive Zurechnung und Nötigungsvorsatz . . . . 418 c) Die rechtswidrige Nötigung der Schwangeren zum Abbruch . . . 419 aa) Rechtswidrige Gewaltanwendung oder -drohung . . . . . . . . . . 420 bb) Rechtswidrige und rechtmäßige Verlassensdrohungen . . . . . . 420 (1) Die rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Indikationenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 (2) Die sonst vorwerfbare Herbeiführung der Indikationenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 (a) Missbilligung wegen Verstoßes gegen § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (b) Missbilligung wegen Verletzung einer Obhutsgarantenpflicht gegenüber dem Ungeborenen? . . . . . 424 cc) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 3. Die rechtliche Behandlung der „Nötigungsindikation“ . . . . . . . . . . . 425 a) Die Rechtsfolgen des Nötigungsnotstandes nach den §§ 34, 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 b) Die (fehlenden) Rechtsfolgen der „Nötigungsindikation“ nach § 218a Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 aa) Die abstrakt-generelle Vorwegnahme von Interessenabwägung und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 bb) Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch . . . . . . . 433 4. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 C. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 I. Das tatsächliche Fehlen einer Abwägungsrelevanz: Die Garantenstellung und (vermeintlichen) Gefahrverursachungsbeiträge der Schwangeren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 II. Das nur verlautbarte Fehlen einer Abwägungsrelevanz in Sachverhalten der „Nötigungsindikation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 III. Der Transport von Wert- und Geringschätzung durch das Mittel der Abwägungsrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Abschnitt 3 

Vorverlegung und Umkehrung – Ein Zweiklang in der Defensive oder Unterlassensnähe –

443

A. Ungleichbehandlungen: Vorverlegung des Gefahreneintritts und ­Umkehrung des Proportionalitätsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 I. Vorverlegung: Eine künftige statt gegenwärtige Gefahr . . . . . . . . . . . . . 445 1. Die unterschiedlichen Gefahrenbegriffe der §§ 34 S. 1 und 218a Abs. 2 StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 2. Die „konkrete Gefahr“ i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . 447

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Inhaltsverzeichnis a) Eine Auslegung in Anlehnung an die konkreten Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 b) Die weite Auslegung eines Rechtfertigungsmerkmals . . . . . . . . . 448 c) Die grammatikalische und systematische Auslegung . . . . . . . . . . 451 d) Die teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 aa) Die Anerkennung des prospektiven Schwangerschaftskonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 bb) Die Vorsorge gegenüber Spätabbrüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 (1) Gegenüber Spätabbrüchen in „embryopathischen“ ­Konfliktlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 (a) Methoden der Pränataldiagnostik   . . . . . . . . . . . . . . 455 (b) Künftige Gefahr als Ergebnis pränataldiagnostischer Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 (2) Gegenüber Spätabbrüchen in genuin medizinischen ­Konfliktlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 e) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 II. Umkehrung: Eine Abwägung von Leben gegen Leben . . . . . . . . . . . . . 461

B. Sachliche Begründung: Von einer erhöhten Duldungspflicht in der Defensive und einer reduzierten Gefahrtragungspflicht in Unterlassensnähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 I. Eine erhöhte Duldungspflicht in Sachverhalten eines Defensivnotstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 1. Der Anwendungsbereich des Defensivnotstandes . . . . . . . . . . . . . . . . 468 2. Die Rechtsfolgen des Defensivnotstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 a) Die Überwindung des in § 34 S. 1 StGB normierten Proportio­nalitätsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 aa) Die Überhöhung des Gefahrenursprungs innerhalb des § 34 S. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 bb) Die analoge Anwendung des § 228 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . 477 cc) Die differenzierte Bestimmung der Rechtsfolgen eines Defensivnotstandes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 b) Die Überwindung der in § 34 StGB normierten absoluten Grenze: Rechtfertigungsfähigkeit der Tötung  . . . . . . . . . . . . . . . 480 c) Der Verzicht auf einen gegenwärtigen Gefahrengrad . . . . . . . . . . 482 3. Der indizierte Schwangerschaftsabbruch im Anwendungsbereich des Defensivnotstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 a) Eine Haftung für das „schicksalhafte So-Sein“ . . . . . . . . . . . . . . 485 b) Eine einseitige Verpflichtung des postnidativen ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 aa) In Sachverhalten der medizinisch-sozialen Indikation (§ 218a Abs. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 bb) In Sachverhalten der Perforation (§ 34 StGB) . . . . . . . . . . . . 491 cc) In Sachverhalten der kriminologischen Indikation (§ 218a Abs. 3 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 dd) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494



Inhaltsverzeichnis21 c) Der überschießende Zuständigkeitsanteil der Schwangeren . . . . . 494 aa) Auch eine qualitative Asymmetrie in den Sachverhalten der medizinisch-sozialen Indikation (§ 218a Abs. 2 StGB) und der Perforation (§ 34 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 bb) Eine zeitliche Asymmetrie in den Sachverhalten der kriminologischen Indikation (§ 218a Abs. 3 StGB). . . . .   496 cc) Die Rechtsfolgen einer asymmetrischen, beidseitigen ­Existenzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 d) Eine institutionelle Rücksichtnahmepflicht aus „Lebensdank“ . . 498 aa) Eine vorrangige Verpflichtung aus „Lebensspende“ statt „Lebensdank“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 bb) Verpflichtungen aus „natürlicher Verbundenheit“ . . . . . . . . . 500 4. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 II. Eine reduzierte Gefahrtragungspflicht in Sachverhalten des Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 1. Der Anwendungsbereich einer rechtfertigenden Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 a) Das tatbestandsmäßige unechte Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 b) Die Rücksichtnahme auf einen verringerten Unrechtsgehalt durch die Anerkennung besonderer Zumutbarkeitserwägungen . . 509 c) Mögliche unterlassungsspezifische Abweichungen von § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 2. Die rechtfertigenden Merkmale einer Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 a) Unterlassungsspezifische Abweichungen vom Proportionalitäts­ maßstab des § 34 StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 b) Unterlassungsspezifischer Verzicht auf eine gegenwärtige Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 3. Der Schwangerschaftsabbruch im Anwendungsbereich einer ­rechtfertigenden Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 a) Die Austragungspflicht der Schwangeren als (vermeintliche) . . . ­Handlungspflicht im Bereich des unechten Unterlassens . . . . . . . 520 b) Die Austragungspflicht der Schwangeren als allgemeine ­Gefahrtragungspflicht in Konfliktlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 4. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528

C. Conclusio: Ein Zweiklang in der Offensive und fern des Unterlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

22

Inhaltsverzeichnis Abschnitt 4 



Abschließende Stellungnahme: Eine erste Rechtsgüterumkehrung – Die vertatbestandlichte Garantie der weiblichen Rechtsgüter –

531

A. Das verlautbarte und tatsächliche Rechtsgüterverhältnis . . . . . . . . . . . . 531 B. Ein vertatbestandlichtes Recht auf Abtreibung und seine Erscheinungs­ formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 C. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 Kapitel 6

Die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB – Das Etikett der Rechtswidrigkeit – 

541

Abschnitt 1 

Ungleichbehandlung: Das tatbestandsausschließende Abbruchsverlangen – Eine Unerheblichkeitserklärung der Schwangeren – 544

A. Das zentrale Moment des § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 I. Die Disposition der Schwangeren über ihre eigene körperliche Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 II. Keine wirksame Disposition der Schwangeren über das ungeborene Leben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 III. Die missglückte Überwindung eines Mangels an Dispositionsbefugnis . 547 IV. Conclusio und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 B. Die verlautbarte Platzierung des Abbruchsverlangens jenseits der ­(allgemeinen) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 I. Sein Ursprung in der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens . . . . . 549 II. Das Verbot seiner rechtfertigenden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 1. Die Formulierung einer „Selbstindikation“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 2. Keine Begründung nach den Grundsätzen zur aufgedrängten Nothilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 III. Der verlautbarte Ausschluss von der Strafandrohung . . . . . . . . . . . . . . . 553 C. Die tatsächlich wirksame Platzierung des Abbruchsverlangens diesseits der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 I. Die Formulierung negativer Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 II. Die Tatbestandsmäßigkeit als notwendige Bedingung der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 1. Nach dem zweistufigen Deliktsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 2. Nach dem dreistufigen Deliktsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 III. Die Garantie einer „Unerheblichkeitserklärung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 D. Conclusio und Ausblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562



Inhaltsverzeichnis23 Abschnitt 2 



Sachliche Begründung: Die Ratio eines Beratungsmodells – Ein „Diener zweier Herren“ –

563

A. Legitimer Zweck: Steigerung der Effektivität des Ungeborenenschutzes in der Frühphase der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 I. „Hilfe statt Strafe“: Präventiver Schutz durch beratende Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 1. Die Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen in der frühen ­Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 2. Die Schutzfähigkeit des Gesetzes in der frühen Schwangerschaft . . 567 II. Rechtswidrigkeitsverdikt: Präventiver Schutz durch Bewusstseinsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 III. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 B. Die (Un‑)Geeignetheit der Tatbestandslösung zum Schutz des ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 I. Die Kennzeichnung des nicht indizierten Abbruchs als rechtswidrig . . 574 1. Im Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 2. In der Gesamtrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 a) Der Ausschluss von Nothilferechten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 b) Die von den §§ 134, 138 Abs. 1 BGB unangetastete Wirksamkeit des ärztlichen Behandlungsvertrags . . . . . . . . . . . . . 578 c) Die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EfzG . . . . . . . . . . . . . . . 579 d) Das Verbot von Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen . . . 581 aa) Die gesetzliche Regelung des § 24b SGB V  . . . . . . . . . . . . . 581 bb) Die Zuordnung zum Kompetenzbereich der Gesundheits­vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 cc) Jenseits der Grenze zur staatlichen Unrechtsteilnahme . . . . . 582 dd) Die Prägung eines gegenläufigen Rechtsbewusstseins . . . . . . 583 ee) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 e) Die Gewährung von Sozialhilfe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 f) Die staatliche Einrichtungsgarantie gemäß § 13 Abs. 2 SchKG  . 586 aa) Eine Pflicht zur staatlichen Unrechtsteilnahme oder -täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 bb) Assoziationen von „Holocaust“ und „Babycaust“   . . . . . . . . 588 g) Der umfassende Schutz von ärztlicher Person und Tätigkeit . . . 595 aa) Der Schutz der ärztlichen Tätigkeit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 bb) Das Verbot, den Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 1 StGB unter namentlicher Nennung des Arztes als rechtswidrig zu bezeichnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 (1) Die verbotene Prangerwirkung einer unwahren ­Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598

24

Inhaltsverzeichnis (2) Die umgangssprachliche Identifizierung von Rechts­ widrigkeit und Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 (3) Die Formulierung einer Klarstellungsobliegenheit . . . . . 602 cc) Das Verbot, auf die Abtreibungstätigkeit eines namentlich benannten Arztes hinzuweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 (1) Die verbotene Prangerwirkung einer wahren Tatsachen­ behauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 (2) Die allgemeine negative Bewertung ärztlicher ­Abtreibungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 (3) Die Formulierung eines Tabus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 dd) Die Abgrenzung zur sog. „Gehsteigberatung“ . . . . . . . . . . . . 607 (1) Kein Bruch eines Tabus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 (2) Rat und Hilfe statt Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 ee) Conclusio zum umfassenden Schutz von ärztlicher Person und Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 h) Conclusio zum Rechtswidrigkeitsurteil der Gesamtrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 3. In der Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 4. Nach Einschätzung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 5. Conclusio zur Kennzeichnung des nicht indizierten Abbruchs als rechtswidrig  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 II. Die Pflichtberatung mit Ausrichtung am Schutz des ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 1. Die gesetzlichen Vorgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 a) Die Zielorientierung nach § 219 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 624 b) Die Ergebnisoffenheit nach § 5 SchKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 c) Erwartete, aber nicht zu erzwingende Offenbarung in der Konfliktberatung nach den §§ 5 Abs. 2 Nr. 1, 7 SchKG  . 629 d) Gelegenheit statt Pflicht zur Offenbarung gegenüber dem Arzt, § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 e) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 2. Die Beratungsverständnisse der gesetzlich anerkannten Beratungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 a) Die Beratungsstellen des Deutschen Caritasverbandes  . . . . . . . . 636 aa) Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636 (1) Zur Eigenart katholischer Beratungsstellen . . . . . . . . . . . 636 (2) Zum Deutschen Caritasverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 bb) Beratungsverständnis 1: „Zielorientierung“ – Die Konzentration auf den Schutz des ungeborenen Lebens  . 639 b) Die Beratungsstellen von pro familia und der Arbeiterwohlfahrt . 641 aa) Einleitende Bemerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 (1) Zu pro familia. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 (2) Zur Arbeiterwohlfahrt (AWO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642



Inhaltsverzeichnis

25

bb) Beratungsverständnis 2: „Ergebnisoffenheit“ – Die Konzentration auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau . . . 643 c) Die Beratungsstellen von Diakonie Deutschland und donum vitae  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 aa) Einleitende Bemerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 (1) Zu Diakonie Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 (2) Zu donum vitae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 bb) Beratungsverständnis 3: „Ergebnisoffene Zielorientierung“ – Ein vermittelnder Weg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 3. Conclusio: Selbst- statt Beratungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 III. Conclusio zur (Un‑)Geeignetheit der Tatbestandslösung zum Schutz des ungeborenen Lebens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 C. Die (Un‑)Angemessenheit der Tatbestandslösung: Die Relation zwischen individuellem und generellem U ­ ngeborenenschutz . . . . . . . . . . 658 I. Ein genereller statt individueller Ungeborenenschutz  . . . . . . . . . . . . . . 659 II. Das unangemessene Mittel einer „Wollensbedingung“ für den individuellen Ungeborenenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 III. Die unangemessene Relation in einem quantitativen Lebensschutz . . . 661 D. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 Abschnitt 3 

Abschließende Stellungnahme: Eine zweite Rechtsgüterumkehrung – Die Überwindung von Grenzen der Selbstbestimmung –

667

Kapitel 7

Die strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung – „Verhütung ist Frauensache“ – 

670

Abschnitt 1

Ungleichbehandlung: Die Tatbestandslosigkeit nach § 218 Abs. 1 S. 2 StGB und darüber hinaus – Eine Unerheblichkeitserklärung des Gesetzes –

673

A. Der Anwendungsbereich des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 673 I. Begrifflichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 II. Die Wirkungsweisen unterschiedlicher Verhütungsmethoden und -mittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 1. Die Wirkungsweisen der unterschiedlichen Arten regulärer Verhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 a) Die hormonellen Verhütungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 b) Die Spirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677

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Inhaltsverzeichnis c) Die Mittel reiner Empfängnisverhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 d) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 2. Die Wirkungsweisen der unterschiedlichen Arten der Notfallverhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 III. Die Subsumtion der Wirkungsweisen unter § 218 Abs. 1 S. 1 und S. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 1. Reine Empfängnisverhütung: Tatbestandslos per se . . . . . . . . . . . . . . 683 2. Auch nidationsverhütende Mittel: Tatbestandslos gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684

B. Der begleitende Verzicht auf abstraktes Gefährdungsdelikt, Produktund Vertriebsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 C. Die Ungleichbehandlung gegenüber dem postnidativen ungeborenen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 Abschnitt 2 

Sachliche Begründung: Die Spezifika der pränidativen symbiotischen Beziehung – Diesseits und jenseits des Erfolgsdelikts –

688

A. Die pränidative Schutzbedürftigkeit des Embryos in vivo . . . . . . . . . . . 688 B. Die gesetzliche Schutzfähigkeit: Verhinderte Beweisführung über Erfolgs- und Gefahreneintritt . . . . . . 689 I. Kein vollendeter Schwangerschaftsabbruch durch Nidationsverhütung  . 691 II. Kein versuchter Schwangerschaftsabbruch durch Nidationsverhütung   . 695 1. Die Einzelfallabhängigkeit des Tatentschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 a) Vom Tatbestandsirrtum und Fehlen jeglicher Vorstellung über die Wirkungsweise der Verhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 b) Von alternativen „Absichten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 c) Von der „Unerwünschtheit“ einer nidationsverhindernden Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700 d) Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 2. Kein unmittelbares Ansetzen zur Nidationsverhütung . . . . . . . . . . . . 706 a) Das unmittelbare Ansetzen eines mittelbaren Täters . . . . . . . . . . 708 b) Der pränidative Embryo in der „Passauer Giftfalle“ . . . . . . . . . . 710 c) Die Manifestation einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung im subjektiven Tatplan oder in einer objektiven Gefahrverdichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 d) Das Entlassen des Geschehensablaufs aus dem Herrschaftsbereich des Täters in Ergänzung um eine objektive Gefahr­ verdichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 717 e) Die Beweisführung über die objektive Gefahrverdichtung . . . . . 721 III. Conclusio und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722



Inhaltsverzeichnis

27

C. Die gesetzliche Schutzfähigkeit jenseits des Erfolgsdelikts . . . . . . . . . . . 724 D. Das Verhaltensunrecht der verhütenden Frau oder die pränidative Schutzwürdigkeit des Embryos in vivo: Im Konflikt mit der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 I. Die Antizipation eines Konflikts und seine präventive bis antizipierte Abwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 1. Die Antizipation von Konfliktgrundlagen und Konfliktentstehung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 2. Doppelte Antizipation in Sachverhalten der Notfallverhütung und regulären Verhütung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 3. Eine präventive und antizipierte Nidationsabwehr . . . . . . . . . . . . . . . 733 a) Das präventive Wirkelement der Nidationsverhütung . . . . . . . . . 734 b) Das antizipierte Wirkelement der Nidationsverhütung . . . . . . . . . 735 4. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 II. Selbstbestimmung durch Nidationsverhütung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 737 1. Das Verhältnis zur Selbstbestimmung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . 738 2. Das Verhältnis zu § 218a Abs. 1 StGB im Besonderen . . . . . . . . . . . 740 3. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 III. Eine Differenzierung nach Erfolgsunrecht am Beginn der pränatalen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 1. Die Einbeziehung des „sonstigen Dritten“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 2. Die positiv-generalpräventive Botschaft einer schematisierenden Zäsur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745 3. Das Wort vom „kleineren Übel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 E. Conclusio: Der verneinte Wert des pränidativen ungeborenen Lebens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748 Abschnitt 3 

Abschließende Stellungnahme: Eine Rechtsgüterreduzierung statt -umkehrung – Exklusivität statt nur Vorrang der Selbstbestimmung –

750

A. Postnidative Rechtsgüterumkehrung: Der kaschierte Vorrang der weiblichen Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 B. Pränidative Rechtsgüterreduzierung: Die unmaskierte Exklusivität der weiblichen Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752

28

Inhaltsverzeichnis Kapitel 8



Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung – In den Fesseln des Wertungswiderspruchs und Status quo – 

755

Abschnitt 1 

Das grundsätzliche Gebot einer Aufhebung des Wertungswiderspruchs – Die vorläufige Identifizierung eines gesetzlichen Missstandes –

757

A. Eine verfassungsrechtlich begründete ­Wertungswiderspruchsfreiheit . . 757 I. Die Wertungswidersprüche im postnidativen Lebensschutz . . . . . . . . . . 758 1. Ein gemeinsamer Ursprung in der Zäsur strafgesetzlicher „Mensch­ werdung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759 2. Der medizinisch-soziale Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759 3. Der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . 763 II. Ein potenzieller Wertungswiderspruch im pränidativen Lebensschutz  . 764 III. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 B. Eine strafzwecktheoretisch begründete ­Wertungswiderspruchsfreiheit  . 767 I. Das Unterlaufen der positiv-generalpräventiven Wirkung durch den Wertungswiderspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 II. Das Unterlaufen der positiv-generalpräventiven Wirkung durch eine neutralisierende Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 1. Der Verzicht auf die Bezeichnung des Tatobjekts und auf die Qualifizierung von Tathandlung und -erfolg als Tötung  . . . . . . . . . 771 2. Von den täterlichen zu den gesetzlichen Neutralisierungstechniken  . 775 a) Täterliche Neutralisierungstechniken nach Sykes und Matza . . . 775 b) Eine gesetzliche Neutralisierung zugunsten der Normadressaten . 779 3. Die potenzierte Beeinträchtigung des positiv-generalpräventiven Wirkmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 III. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 C. Conclusio und Ausblick: Die vorläufige Identifizierung eines gesetzlichen Missstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 Abschnitt 2

Die Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs in einer symbolischen Abtreibungsgesetzgebung – Seine augenblickliche Nützlichkeit –

785

A. Das Konzept einer symbolischen Strafgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 I. Kommunikative Strafgesetze im Dienste des Rechtsgüterschutzes . . . . 788 II. Symbolische Strafgesetze in anderen Diensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789



Inhaltsverzeichnis

29

1. Womöglich normativ unwirksam, jedenfalls aber ineffektiv . . . . . . . 789 2. Die Divergenz manifester und latenter Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 792 a) Die latente Funktion einer Bekräftigung sozialer Werte . . . . . . . 792 b) Die latente Funktion einer sog. Alibigesetzgebung . . . . . . . . . . . 794 c) Die latente Funktion eines sog. dilatorischen Formelkompromisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798 III. Ein unmittelbarer Nutzen statt Schaden des Wertungswiderspruchs  . . 800 1. Funktionalisierung zur Vereinigung divergenter Positionen  . . . . . . . 801 2. Funktionalisierung zur Kaschierung eines Mangels an realen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803 B. Die Symbolik der §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 1 und Abs. 2 StGB . . . . . . . 805 I. Der manifeste Zweck des Rechtsgüterschutzes oder: Das systematische Verhältnis von § 218 Abs. 1 StGB und seinen ­Ausnahmetatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 II. Latente Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 806 1. Die symbolische Bekräftigung der Wertigkeit des menschlichen Individuums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 a) Pränatale Entwicklungsstadien und die mangelnde Eignung zur erzieherischen Bewusstseinsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 b) Postnatale Entwicklungsstadien und die Eignung zur bestätigenden Bewusstseinsabbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812 2. Das Alibi von der „Ausnahme“ in den Absätzen 1 und 2 des § 218a StGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814 3. Dilatorische Formelkompromisse jenseits der genuin medizinischen Indikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 a) In der Tatbestandslösung nach § 218a Abs. 1 StGB und den §§ 219 StGB, 5 SchKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 b) In der eher sozialen („embryopathischen“) Indikation nach den §§ 218a Abs. 2 StGB, 2a SchKG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821 III. Ein Seitenblick auf das Embryonenschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 825 C. Conclusio: Die Funktionalisierung eines gesetzlichen Missstandes . . . . . 828 Abschnitt 3 

Die Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs – Seine überdauernde Schädlichkeit –

830

A. Der Verlust der Autopoiesis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831 I. Äquidistanz und Autopoiesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831 II. Kaschierte Allopoiesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 836 III. „Weiterfresser“ Wertungswiderspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838 B. Beschwichtigung, Beruhigung, Blockierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 I. Blockierung statt Beschwichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844 II. Blockierung durch Beruhigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 846

30

Inhaltsverzeichnis

C. Eine Schlussbemerkung: Die überfällige Wiederherstellung der Autopoiesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 I. Identitätsbestimmung: Die Neudefinition systeminterner Kriterien . . . . 848 II. Identitätsentwicklung: Die Umstrukturierung einfacher Gesetze und verfassungsgerichtlicher Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854 III. Der neuen Identität erwachsende Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 861 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 867 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 942

Abkürzungsverzeichnis aA andere Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort Abb. Abbildung abgedr. abgedruckt Abgr. Abgrenzung abl. ablehnend Abs. Absatz abschl. abschließend Abschn. Abschnitt Abt.-Str. Abteilung-Strafrecht abw. abweichend acatech Deutsche Akademie der Technikwissenschaften AcP Archiv für die civilistische Praxis a. E. am Ende AE Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches a. F. alte Fassung AFP Alpha-Fetoprotein AGMedR Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht ähnl. ähnlich a. i. i. c. actio illicita in causa AJS American Journal of Sociology AK-StGB Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch aktual. aktualisiert ALfA Aktion Lebensrecht für Alle a. l. i. c. actio libera in causa allg. allgemein Alt. Alternative a. M. am Main Anm. Anmerkung Anw. Anwendung AöR Archiv des öffentlichen Rechts App. Appendix Arg. Argument

32 ARSP

Abkürzungsverzeichnis Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art. Artikel artversch. artverschieden ÄrzteBl.

Ärzteblatt

ASR

American Sociological Review

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

ausdrückl. ausdrücklich ausführl.

ausführlich

Ausg. Ausgabe AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

AWO

Arbeiterwohlfahrt

BÄK

Bundesärztekammer

BamS

Bild am Sonntag

bay.

bayerisch

BayGVBl.

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt

BayLT

Bayerischer Landtag

BayLT-Drs.

Drucksache des Bayerischen Landtages

BayLT-PlenProt

Plenarprotokoll des Bayerischen Landtages

BaySchwBerG

Bayerisches Schwangerenberatungsgesetz

BaySchwHEG

Bayerisches Schwangerenhilfeergänzungsgesetz

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

BBAW

Berlin-Brandenburgerische Akademie der Wissenschaften

BBC

British Broadcasting Corporation

Bd. Band BdiP

Blätter für deutsche und internationale Politik

Bearb. Bearbeiter(in) bearb. bearbeitet Begr.

Begründer(in) / Begründung

begr. begründet ber. berichtigt Bespr.

Besprechung

Bes. SchuldR

Besonderes Schuldrecht

best. bestätigt BesT

Besonderer Teil

BfArM

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte



Abkürzungsverzeichnis33

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BiB

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

bibliograph.

bibliographisch

BJC

British Journal of Criminology

BKiSchG

Bundeskinderschutzgesetz

BMI

Bundesministerium des Inneren

BR

Bundesrat

BR-Drs.

Bundesratsdrucksache

Bsp.

Beispiel

BT

Bundestag

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

BtM-Gesetze

Betäubungsmittelgesetze

BT-PlenProt

Bundestagsplenarprotokoll

BuReg

Bundesregierung

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BVF

Bundesverband der Frauenärzte

BZgA

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

bzw.

beziehungsweise

ca. circa CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

CSU

Christlich-Soziale Union in Bayern

d.

der / die / das

DAKJEF

Deutscher Arbeitskreis für Jugend-, Ehe- und Familienberatung

dass. dasselbe DDR

Deutsche Demokratische Republik

DDR-StGB

Strafgesetzbuch der DDR

DE

Diskussionsentwurf

DE ESchG

Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen

Def.

Definition

34 DEGUM

Abkürzungsverzeichnis Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin

dergl. dergleichen ders. derselbe dess. desselben DGGG

Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe

DGKJ

Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin

DGPM

Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin

d. h.

das heißt

dh

das heißt

dies.

dieselbe / dieselben

diesbzgl.

diesbezüglich

Diff.

Differenzierung

diff.

differenzierend

DJI

Deutsches Jugendinstitut

DJT

Deutscher Juristentag

DNA

Deoxyribonucleic acid (engl.)

dpa

Deutsche Presse-Agentur

Dr. Doktor(in) DrA-S.

Druckansicht-Seite

dt. deutsch Dt. ÄrzteBl.

Deutsches Ärzteblatt

dtv

Deutscher Taschenbuchverlag

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebda. ebenda Ed.

Edition

EEG

Elektroenzephalogramm

EfzG

Entgeltfortzahlungsgesetz

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

ehem. ehemalig Einf.

Einführung

Einl.

Einleitung

einschl.

einschließlich

EKD

Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland

EMA

Europäische Arzneimittel-Agentur

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten)

engl. englisch



Abkürzungsverzeichnis

35

entspr. entsprechend EP Europäisches Parlament EPF Early Pregnancy Factor (engl.) Erg. Ergebnis erg. ergänzt erh. erhöht Erstausg. Erstausgabe erw. erweitert ESchG Embryonenschutzgesetz et  al. et alii / et aliae / et alia (lat.) Ethik Med Ethik in der Medizin EU Europäische Union / European Union (engl.) e. V. eingetragener Verein EWDE Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung f. folgend FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamR Familienrecht FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung fem. femininum (lat.) ff. fortfolgend FFS Fertility and Family Surveys (engl.) Fig. Figur FISH Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung Fn. Fußnote FPZ Familienplanungszentrum Frhr. Freiherr frz. französisch FS Festschrift GA Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesamthrsg. Gesamtherausgeber(in) GfH Deutsche Gesellschaft für Humangenetik GG Grundgesetz GG-K Grundgesetz-Kommentar GK Grundkurs Gliederungspkt. Gliederungspunkt GNPI Deutsche Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin

36

Abkürzungsverzeichnis

GoA

Geschäftsführung ohne Auftrag

Grdl.

Grundlagen

grds.

grundsätzlich

griech. griechisch GrS

Großer Senat

GS

Gedächtnisschrift

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

Halbbd. Halbband hCG

humanes Choriongonadotropin

Hdb. Handbuch HKaG

Heilberufe-Kammergesetz

h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

HRRS

Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht

Hrsg. Herausgeber(in) hrsg. herausgegeben Hs.

Halbsatz

i. Br.

im Breisgau

i. d.

in der

i. d. F.

in der Fassung

i. d. R.

in der Regel

i. Erg.

im Ergebnis

i. e. S.

im engeren Sinne

insb. insbesondere internat. international IPPF

International Planned Parenthood Federation

i. S.

im Sinne

i. S. d.

im Sinne des / der

i. S. e.

im Sinne eines / einer

i. S. v.

im Sinne von

iSv

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

i. w. S.

im weiteren Sinne

IZM

Innere Zellmasse

JA

Juristische Arbeitsblätter

JASP

Journal of Abnormal and Social Psychology



Abkürzungsverzeichnis

37

Jg. Jahrgang JGG Jugendgerichtsgesetz JPSP Journal of Personality and Social Psychology JR Juristische Rundschau Jr. Junior (engl.) JRE Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie jun. junior Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JUU Journal für Urologie und Urogynäkologie in Klinik und Praxis JVL Juristen-Vereinigung Lebensrecht JZ JuristenZeitung Kap.  Kapitel KFN Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen KG Kammergericht Kindler-Hdb. Kindlers Handbuch kirchl. kirchlich KOLOSS Kommunikationswissenschaftliches Lern-Online-Software-System Komm. Kommentar korr. korrigiert krit. kritisch KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft lat. lateinisch Lev Levitikus (Das 3. Buch Mose) LFZG Lohnfortzahlungsgesetz LG Landgericht lit. littera (lat.) LK-StGB Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch LL-Reg. Leitlinien-Register LPK-StGB Lehr- und Praxiskommentar zum Strafgesetzbuch LS Leitsatz LuftSiG Luftsicherheitsgesetz m. mit MDR Monatsschrift für Deutsches Recht med. medizinisch MedR Medizinrecht

38

Abkürzungsverzeichnis

Mitw.

Mitwirkung

MK-BGB

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

MK-StGB

Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch

ml

Milliliter

MschrKrim

Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

MUVS

Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

n.

neutrum (lat.)

Nachdr.

Nachdruck

neubearb. neubearbeitet Neudr.

Neudruck

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungs-Report

NK-StGB

Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch

NLpB

Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung

norweg. norwegisch Nr.

Nummer

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

NStZ-Rechtsprechungs-Report

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

Nw.

Nachweis

OLG

Oberlandesgericht

Orig.

Original

ÖStZ

Österreichische Zeitschrift für Strafrecht

p. c.

post conceptionem (lat.)

pdf-S.

pdf-Seite

PID

Präimplantationsdiagnostik

PKS

Polizeiliche Kriminalstatistik

Pkt. Punkt PlenProt

Plenarprotokoll

p. m.

post menstruationem (lat.)

PND

Pränataldiagnostik

Pr. Problem PräimpG

Präimplantationsdiagnostikgesetz

Prof.

Professor(in)

PV

Parlamentarische Versammlung

PZ

Pharmazeutische Zeitung



Abkürzungsverzeichnis

RA

Rechtsanwalt / -anwältin

Red.

Redaktion

red.

reduziert

reprograf.

reprografisch

39

rev. revidiert RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RJZ

Recht – Justiz – Zeitgeschehen

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer

Rspr

Rechtsprechung

RStGB

Reichsstrafgesetzbuch

Rz.

Randziffer

S.

Satz

s. siehe SBZ

Solms-Braunfelser Zeitung

SchKG

Schwangerschaftskonfliktgesetz

SchKGÄndG

Gesetz zur Änderung des SchKG

Sch / Sch

Schönke / Schröder

SchuldR

Schuldrecht

SchwHG

Gesetz zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabrüchen in besonderen Fällen

SFHÄndG

Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz

SFHG

Schwangeren- und Familienhilfegesetz

SGB

Sozialgesetzbuch

SkF

Sozialdienst katholischer Frauen

SK-StGB

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch

sog.

so genannt

Sonderausg. Sonderausgabe Sp.

Spalte

SSW

Schwangerschaftswoche

staatl. staatlich StÄG

Strafrechtsänderungsgesetz

stat. statistisch stellv. stellvertretend StGB

Strafgesetzbuch

Stichw. Stichwort St-K

Studienkommentar

40

Abkürzungsverzeichnis

str. strittig StrRG

Gesetz zur Reform des Strafrechts

stRspr

stetige Rechtsprechung

Studienausg. Studienausgabe StV

Strafverteidiger

StZG

Stammzellgesetz

SVR

Sammlung von Verordnungen und Richtlinien

symb.

symbolisch

SZ

Süddeutsche Zeitung

Tab.

Tabelle

Teilbd.

Teilband

Tsd.

Tausend

u. und u. a.

unter anderem

u. ä. m.

und ähnliches mehr

überarb. überarbeitet Übers.

Übersetzung

übers.

übersetzt

unveränd. unverändert UTB

Uni-Taschenbücher

v.

von / vom

v. a.

vor allem

verbess. verbessert Verf.

Verfasser(in)

verschied. verschieden VersR

Versicherungsrecht-Rechtsprechung

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl. vergleiche vollst. vollständig Vor.

Voraussetzung

Vorbem.

Vorbemerkung

Vors.

Vorsitzende(r)

vs. versus VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WHO

World Health Organization

wissenschaftl.

wissenschaftlich

wistra WJA / NF z. B. zB ZBevW ZfL Ziff. ZIS Zit. zit. ZmE ZPO ZRP Zsf. zsfd. ZSR ZStW z. T. zust. zz.

Abkürzungsverzeichnis

41

Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft / Neue Folge zum Beispiel zum Beispiel Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft Zeitschrift für Lebensrecht Ziffer Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zitierung zitiert Zeitschrift für medizinische Ethik Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zusammenfassung zusammenfassend Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil zustimmend zurzeit

Kapitel 1

Einleitende Bemerkungen – Zweierlei Untersuchungsinteressen – Jede Arbeit, die sich in diesen Tagen entscheidet, ihr Augenmerk neuerlich auf die in den §§ 218 ff. StGB normierte Abtreibungsgesetzgebung und die sie flankierenden Vorschriften des Schwangerschaftskonfliktgesetzes zu richten, wird sich unweigerlich rechtfertigen müssen. Der Schwangerschaftsabbruch präsentiert sich zwar als unausgetragener Konflikt; es bedürfte schon eng angelegter Scheuklappen, wollte man die geltende Rechtslage zur Tötung des ungeborenen Lebens in vivo als ein Schutzkonzept begreifen, das in Einklang mit der aktuellen Verfassungskonkretisierung und den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts formuliert wäre und seine eigene positiv-generalpräventive Wirksamkeit beförderte. Aber auch ein unausgetragener Konflikt kommt eben zuweilen, fast schon einvernehmlich, zur Ruhe: Bemerkungen der Art, dass „niemand […] den erreichten Kompromiss zum § 218 StGB in irgendeiner Form infrage stellen“ wolle, verdeutlichen anschaulich, wie die ehemaligen Streitparteien müde geworden sind und sich neuerlichen Grundsatzdebatten um die Abtreibungsgesetzgebung zu entziehen suchen. Das erleichterte Bekunden, dass die „Schlachten der 80er- und 90er-Jahre […] Gott sei Dank nicht erneut geführt werden“ müssen1, verdrängt das vielleicht noch merkliche Unbehagen, mit den §§ 218 ff. StGB eine allenfalls unvollkommene gesetzliche Regelung geschaffen zu haben. Der zeitweilige Frieden, den die provisorische Regelung schafft, versöhnt mit ihren Wertungswidersprüchen und vielleicht sogar mit der Vorbildwirkung, die jenes Provisorium anlässlich der Regulierung anderer Gefährdungstatbestände – wie aktuell der Präimplantationsdiagnostik – entfaltet. Die Verhältnisse sind damit auf den Kopf gestellt: Nicht derjenige, der Unstimmigkeiten in der Abtreibungsgesetzgebung ignoriert, muss sein diesbezügliches Schweigen erklären, sondern derjenige, der sie neuerlich thematisieren will, sieht sich fortlaufend angehalten, sein diesbezügliches 1  Vorstehende Zitate entnommen aus dem Redebeitrag von Renate Schmidt (SPD) anlässlich der Diskussion um die Einführung des § 2a SchKG; BT-PlenProt 16 / 221, 24208. Dabei ist die Auswahl des Zitats der pointierten Formulierung, nicht der Parteizugehörigkeit der Rednerin geschuldet; vergleichbare Bemerkungen finden sich unabhängig von parteipolitischer Couleur in Politik und Rechtswissenschaft.

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Kap. 1: Einleitende Bemerkungen

Drängen auf eine Antwort zu begründen. Für wen ist es also von Gewinn, wenn der Wiedereinstieg in eine Diskussion um die Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs gesucht wird, die sich nicht nur Einzelfragen kosmetisch zuwendet2, sondern „das Ganze“ – die verfassungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG ebenso wie den Wortlaut, die Systematik und inhaltliche Ausgestaltung der §§ 218 ff. StGB  – kritisch aufrührt? Aus zwei Perspektiven wollen die vorliegenden einleitenden Bemerkungen diese Frage beleuchten: Es ist dies zum einen die Perspektive einer auf ihre selbstbestimmte Identität bedachten Rechtsordnung, zum anderen die ganz persönliche Perspektive einer Verfasserin, die sich von ihrem Unverständnis zur Formulierung des nunmehr abgeschlossenen Dissertationsprojekts hat motivieren lassen. Und so wie die Verfasserin Unverständnis seither als etwas schätzt, das produktiv wirken kann, sucht man es nur zu überwinden statt hartnäckig zu ignorieren und zu kaschieren, wird der nachfolgende Untersuchungsgang der Kapitel 2 bis 8 darzulegen suchen, wie sich auch Rechtsordnung und Rechtswissenschaft nur dann selbstbestimmt werden weiterentwickeln können, wenn sie sich den ungelösten Fragen um die Abtreibungsgesetzgebung, dem Stiefkind ihrer Identität, neuerlich stellen. Abschnitt 1

Das Interesse der Verfasserin an einer neuerlichen Analyse der §§ 218 ff. StGB – Unverständnis und seine Überwindung – „Ich sehe etwas, das ich nicht verstehe, und mache einen Film [eine Dissertation] darüber, um es zu begreifen“. (Kim Ki-duk3)

Das ganz persönliche Interesse an dieser vornehmlich in den 1970er bis 1990er Jahren geführten Debatte, die in neuerer Zeit durch die Diskussion 2  Mit der lediglich kosmetischen Korrektur eines Teilausschnitts medizinisch-sozial indizierter Schwangerschaftsabbrüche konfrontiert etwa die jüngere Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik, die zwischenzeitlich in die Normierung des § 2a SchKG gemündet ist; dazu eingehend im abschließenden achten Kapitel der vorliegenden Untersuchung; ebda., Seite  821–825 [Abschn.  2, B. II. 3. b)]; abweichende Einschätzung aber bei Hillenkamp, in: Müller et  al., FSEisenberg, 301 (318 f.); Rohrer, Menschenwürde, 292. 3  Kim Ki-duk, zit. v. Arthaus Collection, Booklet-Nr. 27, 1; [Klammerzusatz] von der Verfasserin eingefügt.



Abschn. 1: Interesse der Verfasserin an Analyse der §§ 218 ff. StGB

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um den in vitro zu leistenden Ungeborenenschutz abgelöst worden ist, nahm seine Anfänge wohl bereits während der Studien der Verfasserin. Dem Strafrecht seither zugetan, irritierte sie die recht beiläufige Behandlung, die der Schwangerschaftsabbruch in den von ihr besuchten Vorlesungen wie auch in den von ihr zu Rate gezogenen Lehrbüchern erfuhr. Auf diese Beiläufigkeit angesprochen, gab ihr ein mit ihren Studien befasster Universitätsprofessor seinerzeit erstmals folgende (Neugierde erweckende) Antwort: Mit der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs befasse man sich während des Studiums lieber nicht zu eingehend und jedenfalls nicht zu früh, laufe man doch Gefahr, den Erfolg der Studien zu beeinträchtigen. Das Verständnis der allgemeinen Grundsätze des Strafrechts, angefangen mit der herrschenden dreistufigen Strafbarkeitsprüfung bis hin zu den Grenzen der Rechtfertigung, werde unterlaufen, müsse man eine dogmatisch bis heute nicht überzeugend in den Deliktsaufbau eingebettete Rechtsfigur lehren, wie sie der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB bilde, und müsse man die in § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB formulierte Rechtfertigung einer Tötungshandlung vermitteln, gleichwohl der Student doch soeben erst verinnerlicht habe, wie jedenfalls das Leben eines Unbeteiligten nicht gegen anderes Leben abgewogen werden darf, sodass ein einschlägiger Täter allenfalls die Entschuldigung, nicht aber die Rechtfertigung seines Tuns erwarten darf. Die §§ 218 ff. StGB präsentierten sich jedenfalls an dieser Stelle also als ein gesetzliches Konstrukt, das nach eigenem Bekunden ungern gelehrt wurde, weil es sich schwerlich mit demjenigen System vereinbaren ließe, das man den Studenten zu vermitteln habe. Soweit, so gut – dass es Lehrinhalte gibt, die zu komplex sind, als dass man sie bereits Studenten der ersten Semester präsentierten könnte, ohne Verwirrung zu stiften, muss zunächst kein Unbehagen verursachen, sondern lässt allenfalls Raum für Fragen, die mit Fortgang, jedenfalls aber mit Beendigung der Studien die ihnen zugehörigen Antworten erwarten können. Tatsächlich aber schienen Frage und Antwort in dieser Sache nie zueinanderzufinden. Stattdessen begegnete der Verfasserin auf ihrer Suche nach dem geeigneten Gegenstand für ihre Promotion nur neuerlich ein Hinweis, der an das seinerzeit bereits in der Vorlesung erlebte Zögern erinnerte: Ob es denn ratsam sei, sich gerade die Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung auf dem Gebiet des Schwangerschaftsabbruchs zum Untersuchungsgegenstand zu erwählen, wurde sie gefragt. Schließlich begebe man sich damit nicht nur in einen für unauflösbar befundenen Streit, der in der Vergangenheit bereits weite Kreise gezogen habe, sondern rühre vor allem an einen Streit, den man vielleicht gar nicht mehr verbalisiert sehen möchte. Nun war es also nicht länger nur das vermutete Unvermögen eines Studenten in den Anfangssemestern, das von der Thematisierung einer nur schwer eingängigen Abtreibungsgesetzgebung abschreckte. Es zeigte sich überdies ein

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Kap. 1: Einleitende Bemerkungen

unverkennbarer Unwillen, in einen quasi beiseite gelegten Konflikt neuerlich einzutreten. Unverständnis, Unvermögen und Unwillen – vielleicht war es letztlich gar diese Silbe „un“, die den Anreiz bildete, das nunmehr vorliegende Dissertationsprojekt der Abtreibungsgesetzgebung zu widmen. Jene Kombination positiv besetzter Begriffe, die durch eine kleine Silbe in ihr Gegenteil verkehrt werden, schuf die Vorstellung von einer erstrebenswerten Alternative, bescheidener noch zumindest von dem Wert ihr vorangestellter Fragen, ob es denn eine Alternative geben könnte und welchen Weg Verfassungsrechtsprechung wie Strafgesetzgebung zu beschreiten hätten, wollte man Unverständnis (nicht nur des juristischen Laien) in ein Vermögen zu verstehen verwandeln und an die Stelle gegenwärtigen Unwillens in Politik wie Strafrechtswissenschaft ungebremste Handlungsbereitschaft setzen. An dieser Stelle gebührt der besondere Respekt der Verfasserin ihrem Doktorvater, dass er sich ungeachtet der vorgestellten Bedenken auf das nunmehr zum Abschluss gekommene Projekt hat einlassen können. Denn gleichwohl er es war, der seinen Studenten wenigstens in den ersten Semestern die Verwirrung um den Schwangerschaftsabbruch ersparen wollte und der einer um die Betreuung ihrer Promotion vorstellig werdenden Juristin Jahre später seine Bedenken mitteilte, als sie sich eben jene Verwirrung zum bevorzugten Thema ihrer Dissertation erwählte, war es doch auch er, der ihre Wahl respektierte. Denn erforscht wolle das werden, das die ganz persönliche Neugierde geweckt hat, und Neugierde – man könnte auch von der Lust, das bisher Unverstandene endlich zu verstehen, sprechen – biete die beste Gewähr dafür, dass man sich einer Thematik nachhaltig zu verschreiben bereit sei. „Ich sehe etwas, das ich nicht verstehe, und mache einen Film darüber, um es zu begreifen“ – mit diesen Worten hat der südkoreanische Drehbuchautor, Filmregisseur und -produzent Kim Ki‑duk einmal seine Motivation in Worte gefasst. Ganz ähnlich verhielt es sich auch mit der Verfasserin und ihrer Wahrnehmung von der geltenden Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch: Ihr diesbezügliches Unverständnis war es, das ihr Anlass zu den nachfolgenden Betrachtungen gab. Nach deren Abschluss hofft sie nunmehr, die kleine unbequeme Silbe „un“ in einigen Zusammenhängen getilgt zu haben, wenigstens aber dass man sich ihrer wieder erinnere: Die Grundsatzdebatte über die §§ 218 ff. StGB ist nicht etwa zu Ende geführt, sie ist über ihre Anfänge niemals hinausgelangt.



Abschn. 2: Interesse der Rechtsordnung an Analyse der §§ 218 ff. StGB

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Abschnitt 2

Das (vernünftige) Interesse der Rechtsordnung an einer neuerlichen Analyse der §§ 218 ff. StGB – Zugleich ein Ausblick auf den Untersuchungsgang – „Konflikte lassen sich […] ohnehin nur dann produktiv bewältigen, wenn die Gegensätze voll ausgetragen und nicht schon vorzeitig im Interesse eines dann doch faden Kompromisses abgeschwächt werden“. (Bernhard Haffke4)

Es ist eben jene Überzeugung, dass die über die §§ 218 ff. StGB geführte Debatte in ihren Anfängen verharrt, die die vorliegende Untersuchung dazu angeleitet hat, zu eben jenen Anfängen zurückzukehren, um sich der vielfach als unbefriedigend wahrgenommenen Abtreibungsgesetzgebung schrittweise nähern zu können. Diese Anfänge identifiziert sie in ihrem zweiten Kapitel (Seite  55–131) mit den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG aus den Jahren 1975 und 1992, innerhalb derer sich das Gericht einerseits (in Anknüpfung an den philosophischen Streit um den Personenstatus) zur Teilhabe jedenfalls des postnidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG geäußert hat, andererseits seine Erwartungshaltung an eine positiv-generalpräventive Wirkung der Abtreibungsgesetzgebung in Worte gefasst hat. Dergestalt aufgeteilt in einen verfassungsrechtlichen und strafzwecktheoretischen Diskurs, sind es diese Entscheidungen, die bis heute die Erwartung an eine gleichermaßen durch die Grundrechte vermittelte wie auch strafzwecktheoretisch motivierte Werteeinheit nähren. Eine Untersuchung, die sich den (mehr oder weniger verborgenen) Wertungswidersprüchen der geltenden Abtreibungsgesetzgebung widmet, wird mithin nicht umhin kommen, sich diese verfassungsgerichtliche Postulatio zu den durch ein Verbot der Ungeborenentötung verwirklichten Werten neuerlich zu vergegenwärtigen, und muss der Versuchung standhalten, eine unstatthafte Abkürzung zu nehmen, indem sie die einfachen Gesetze voreilig aus sich selbst heraus beurteilte statt sie – der Normenpyramide „von oben nach unten“ folgend – zuvorderst an der Verfassung zu messen. Dabei beanspruchen diese verfassungsrechtlichen Vorgaben auch in einer Untersuchung wie der vorliegenden Geltung, die ihren Blick vornehmlich auf sog. horizontale einfachgesetzliche Wertungswidersprüche richtet, sich 4  Zitat entnommen aus Haffke, Tiefenpsychologie, 8 f.; ähnl. ders., a. a. O., 21 f. (zur Gegenüberstellung von Generalprävention und Tiefenpsychologie).

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Kap. 1: Einleitende Bemerkungen

nämlich denjenigen Ungleichbehandlungen zuwendet, die der eingenistete Embryo bzw. Fetus auf einfachgesetzlicher Ebene erfährt, wenn ihm die §§ 218 ff. StGB einen Lebensschutz gewähren, der gegenüber dem in den §§ 211 ff., 222 und 223 ff. StGB normierten Schutz von Leben und körperlicher Integrität des geborenen Menschen verschiedentlich reduziert ist. Ausgehend von der Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ wird das dritte Kapitel (Seite  132–248) diesbezüglich nämlich zusammenfassen, wie jene Form des (horizontalen einfachgesetzlichen) Wertungswiderspruchs – in Abgrenzung zu anderen Widerspruchsarten – mit einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz identifiziert werden kann und wie sich dessen tertium comparationis in Achtung vor der Verfassung wiederum aus den grundrechtlichen Garantien und derer verfassungsgerichtlicher Konkretisierung speisen muss. Auch eine vergleichende Analyse einfachgesetzlicher Vorschriften darf ihren Blick mithin nicht voreilig auf das Verhältnis der interessierenden Normen lenken, sondern muss in Rechnung stellen, dass das für ihren Vergleich maßgebliche Normenverhältnis zuvorderst durch die verfassungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG mediatisiert wird: Nur soweit die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese das ungeborene Leben für wesentlich gleich zum menschlichen Leben in seinen postnatalen Entwicklungsstadien befindet, muss sich dessen Ungleichbehandlung gegenüber dem geborenen Menschen auf einen sachlichen gewichtigen Grund berufen können. Andere, durch naturwissenschaftliche Tatbestände und / oder die einfachen Gesetze geformte Bezugsgruppen, vermögen hingegen erst dann ihre nur subsidiäre Geltung zu beanspruchen, wenn es – wie auf dem Gebiet des pränidativen Ungeborenenschutzes – an verbindlichen grundrechtlichen Determinanten mangelt und der Gesetzgeber sich diesbezüglich auch keine Selbstbindung auferlegt hat. So wählt sich eine Rechtsordnung in der Verfassung ihre Identität und verbürgt das vorrangig grundrechtlich definierte tertium comparationis innerhalb des allgemeinen Gleichheitssatzes, dass diese selbstbestimmte Identität auch horizontal auf einfachgesetzlicher Ebene fortwirkt: Keine einfachgesetzliche, sondern eine durch die Grundrechte vermittelte Werteeinheit hat der Gesetzgeber so vorrangig zu gewährleisten. Aber nicht nur auf ein verfassungsrechtliches Gebot (der Gleichbehandlung des grundrechtlich – oder subsidiär einfachgesetzlich bzw. naturwissenschaftlich – Gleichen) lässt sich die Erwartung an einen wertungswiderspruchsfreien strafgesetzlichen Lebensschutz so in Anknüpfung an die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen zurückführen. Weitergehend wird sich das dritte Kapitel noch der durch das BVerfG bemühten positiv-generalpräventiven Wirkung der Abtreibungsgesetzgebung zuwenden und einer Zusammenschau verschiedener Erscheinungsformen der positiv-generalpräventiven Strafzwecktheorie kommunikative Wirkmechanismen entnehmen,



Abschn. 2: Interesse der Rechtsordnung an Analyse der §§ 218 ff. StGB

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denen die Wertungswiderspruchsfreiheit der zu transportierenden Wert- und Unrechtsurteile als Wirksamkeitsvoraussetzung vorangestellt ist. Soll die Abtreibungsgesetzgebung nach verfassungsgerichtlichem Bekunden mithin die Gleichwertigkeitsthese positiv-generalpräventiv wirksam vermitteln, ist eine entsprechende Wertungswiderspruchsfreiheit dem Gesetzgeber auch aus strafzwecktheoretischer Sicht aufgegeben. Damit werden die einführenden Kapitel 2 und 3 also darlegen, wie das Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit, das vorliegende Untersuchung an die Rechtsordnung richtet, gleichermaßen strafzwecktheoretisch wie verfassungsrechtlich begründet ist. Mit dem um die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese angereicherten allgemeinen Gleichheitssatz werden sie außerdem den Prüfungsmaßstab benennen, den vorliegende Untersuchung in den nachfolgenden Kapiteln 4 bis 7 ihrer vergleichenden Analyse ausgewählter Vorschriften des einfachgesetzlichen Lebensschutzes zugrunde legen wird: In einem jeweils ersten Schritt werden Ungleichbehandlungen des wesentlich Gleichen benannt, die die ausgewählten Vorschriften unter Zugrundlegung der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese offenbaren. In einem jeweils zweiten Schritt gilt es sodann, nach gewichtigen sachlichen Gründen zu fragen, die die so bestimmten Ungleichbehandlungen vorgeblich rechtfertigen sollen; nur wenn jene Gründe zu überzeugen wissen, bleibt die Identität, die sich die Rechtsordnung selbst in der Verfassung gegeben hat, durch die Unterschiede im strafgesetzlichen Lebensschutz unangetastet und können jene Inhalte, die die Identität der Rechtsordnung prägen, auch in einen positiv-generalpräventiven Wirkmechanismus eingebettet werden. Dabei wird die Untersuchung in ihrer Auswahl zu thematisierender Ungleichbehandlungen darauf achten, jedes Entwicklungsstadium des ungeborenen Lebens zu erörtern, das im Strafgesetzbuch einer besonderen Regelung unterworfen wird. Von diesem Bestreben geleitet, wird das vierte Kapitel (Seite  249–309) – nach einigen grundlegenden Bemerkungen zum durch die Systematik und die Ratio der §§ 218 ff. StGB vorgezeichneten Rechtsgüterverhältnis – zunächst die sog. Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ thematisieren, die den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB von dem der §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB scheidet. Diesbezüglich wird die Untersuchung der Frage nachgehen, ob jene Zäsur tatsächlich nur eine sachlich begründete Reaktion des Gesetzgebers auf die symbiotische Verbindung zwischen dem ungeborenen Tatobjekt und der schwangeren Täterin wiedergibt, deren Eigenarten sich in der Trias von Schutzbedürftigkeit des Tatobjekts, Schutzfähigkeit des Gesetzes und Verhaltensunrecht des Täters niedergeschlagen haben könnten. Insoweit noch dem gemeinsamen Ursprung aller Ungleichbehandlungen von „Leibesfrucht“ einerseits, geborenem Menschen andererseits zugewandt,

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Kap. 1: Einleitende Bemerkungen

wird die Untersuchung in ihrem nachfolgenden fünften Kapitel (Seite  310–540) vom Allgemeinen zum Besonderen schreiten und ihren Blick erstmals auf eine derjenigen Ungleichbehandlungen richten, die durch die den Lebensschutz unterteilende Zäsur vorbestimmt sind. Im Zuge dessen wird Kapitel 5 die sachliche Begründung jener Merkmale hinterfragen, die in Abweichung vom allgemeinen rechtfertigenden Notstand Eingang in den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand gefunden haben und den notstandsähnlichen Schwangerschaftskonflikt einer erleichterten Rechtfertigung zuführen: Mit dem ausdrücklichen Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB, das § 34 StGB in dieser Form nicht kennt, wird das Kapitel beginnen und sich im Anschluss einer Abwägungsrelevanz verschiedener Umstände des Regel- oder Einzelfalls widmen, denen eine konkret-individuell offen gehaltene Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel innerhalb des § 34 StGB Raum zur potenziellen Entfaltung gibt, die der Gesetzgeber von der Berücksichtigung im medizinisch-sozialen Indikationentatbestand aber abstrakt-generell ausgeschlossen hat. Während sich für ersteres eine nothilfefeindliche Normierung der Grundsätze zur aufgedrängten Nothilfe (bzw. Notstandshilfe) als sachlicher Grund offeriert, wird für letzteres in Frage stehen, inwiefern die von der Berücksichtigung in § 218a Abs. 2 StGB ausgeschlossenen Umstände gegebenenfalls bereits nach allgemeinen Grundsätzen ihre Abwägungsrelevanz einbüßen, sodass der Gesetzgeber mit seiner engen Formulierung des medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes nur dasjenige Ergebnis abstrakt-generell vorweggenommen hätte, das auch eine vergleichbare Anwendung des § 34 StGB auf den geborenen Menschen erwarten ließe. Soweit die Untersuchung in § 218a Abs. 2 StGB darüber hinaus noch einen Zweiklang von Vorverlegung und Umkehrung verwirklicht sieht, nämlich konstatiert, wie der medizinischsoziale Indikationentatbestand auf den Eintritt einer gegenwärtigen Gefahr verzichtet und den Proportionalitätsmaßstab des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes umkehrt, wird sie in Erfragung eines sachlichen Grundes schließlich sowohl einen beachtenswerten Gefahrverursachungsbeitrag des ungeborenen Eingriffsadressaten als auch eine etwaige Unterlassensnähe des Schwangerschaftsabbruchs in Betracht ziehen: Denn tötete die von einem medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt betroffene Frau in einer dem Defensivnotstand ähnlichen Lage oder suchte sich durch den Abbruch vornehmlich ihrer positiven Austragungspflicht (statt ihrer Pflicht des „neminem laedere“) zu entziehen, ließen sich Abweichungen vom Gefahrengrad und Proportionalitätsmaßstab des – auf ein Begehungsdelikt im Aggressivnotstand zugeschnittenen – § 34 StGB womöglich auch ohne persönliche Geringschätzung des ungeborenen Lebens nachvollziehen. An die Besprechung solcher Unterschiede, die sich zwischen dem allgemeinen rechtfertigenden Notstand und dem in § 218a Abs. 2 StGB normier-



Abschn. 2: Interesse der Rechtsordnung an Analyse der §§ 218 ff. StGB

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ten medizinisch-sozialen Indikationentatbestand auftun, schließt sich im nachfolgenden sechsten Kapitel (Seite  541–669) sodann die Analyse einer Ungleichbehandlung an, die nicht nur das Verhältnis des geborenen Menschen zum postnidativen ungeborenen Leben, sondern auch die verschiedenen Entwicklungsstadien des in der Gebärmutterschleimhaut eingenisteten ungeborenen Lebens betrifft. Indem der Gesetzgeber den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten zwölf Wochen seit Empfängnis dann für „nicht verwirklicht“ befindet, wenn die in § 218a Abs. 1 StGB enumerativ angeführten (Verfahrens‑)Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, formuliert er einen eigens für den nicht indizierten Abbruch entworfenen Ausnahmetatbestand, der die Schwangere von der nach § 218a Abs. 2 StGB noch notwendigen Darlegung einer „notstandsähnlichen“ Konfliktlage entbindet, mehr noch, die Ungeborenentötung quasi einer Potestativbedingung unterwirft. Ihre sachliche Begründung soll jene Neuschöpfung nach der Verlautbarung des Gesetzgebers wie auch des BVerfG in einem sog. Beratungsmodell finden, das einen alternativen Lebensschutz durch „Hilfe statt Strafe“ verwirklichen soll. Ob dieser Einschätzung gefolgt werden kann, die Gesamtrechtsordnung mithin auch unter Verzicht auf eine Strafandrohung ein Bewusstsein von der Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs zu vermitteln vermag und die in den §§ 219 StGB und 5 SchKG geregelte Konfliktberatung überhaupt – wie postuliert – am Schutz des Ungeborenen ausgerichtet ist, wird das sechste Kapitel anhand einschlägiger gesetzlicher Inhalte und Rechtsprechung ebenso wie anhand statistischer Zahlen und von den anerkannten Beratungsstellen publizierter Materialien nachvollziehen; ebenfalls wird es mit seiner Kritik an einer quantitativen Lebensabwägung die postulierte Angemessenheit des alternativen Schutzkonzeptes zu hinterfragen haben. Mit dem siebten Kapitel (Seite  670–754) schließlich wird die einfachgesetzliche Analyse in einer Erörterung des pränidativen Ungeborenenschutzes in vivo ihr Ende finden. Indem die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen über die Geltung jener These für den pränidativen Ungeborenenschutz „jedenfalls“ nicht abschließend entschieden haben, hat das BVerfG dem einfachen Gesetzgeber vorerst eine noch zu schließende Lücke in der Identitätsbildung der Rechtsordnung belassen, ihm nämlich das Werturteil über das Leben des pränidativen Embryos ebenso wie das Unrechtsurteil über dessen (potenzielle) Tötung anheim gestellt. Anders als in den vorangegangenen Kapiteln kann die Untersuchung an dieser Stelle mithin nicht darauf abzielen, einen – mit einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG identifizierten – Wertungswiderspruch herauszukehren, sondern will nur Aufschluss darüber geben, wie der Gesetzgeber des Strafgesetzbuches5 über die 5  Die Anschlussfrage, wie diese durch das Strafgesetzbuch negierte Schutzwürdigkeit pränidativer Embryonen mit den verschiedenen abweichenden Schutzniveaus

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Kap. 1: Einleitende Bemerkungen

(vorläufig noch) ihm überantwortete Frage nach der Schutzwürdigkeit des pränidativen Embryos entschieden hat: Sprechen die einfachen Gesetze dem pränidativen Embryo in vivo seine Schutzwürdigkeit ab, wenn sie die vollendete oder versuchte Nidationsverhinderung in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB für tatbestandslos befinden und auch jenseits des Erfolgsdeliktes darauf verzichten, die Anwendung, Produktion und den Vertrieb nidationsverhindernder Mittel zu untersagen? Oder aber lässt sich auch solch eine Lesart des Gesetzes nachvollziehen, nach der der Gesetzgeber die pränidative Ungeborenentötung in vivo nur aus sachlichen gewichtigen Gründen zur Disposition der betroffenen Frau stellt? In Annäherung an eine Antwort wird sich das damit befasste siebte Kapitel wiederum mit der Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens – nunmehr in seinen pränidativen Entwicklungsstadien in vivo – befassen ebenso wie es einer möglicherweise eingeschränkten Schutzfähigkeit des Gesetzes und einem gegebenenfalls reduzierten Verhaltensunrecht der die Nidation verhütenden Frau nachgehen wird. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem eventuell erschwerten Nachweis über eine vollendete oder auch nur versuchte Tötung pränidativen menschlichen Lebens, die sich – dem Blick der Strafverfolgungsorgane entzogen – in vivo und ebenda in einer der mittelbaren Täterschaft verwandten Struktur vollzieht. Jenseits des Erfolgsdeliktes wiederum wird zu erörtern sein, wie einer potenziellen Tötungshandlung durch den gesetzlichen Regelungsverzicht die Anerkennung als präventive oder antizipierte Konfliktvorsorge zuteil wird, dies in einer nach der Gleichwertigkeitsthese gestalteten Rechtsordnung aber nicht nur das Rangverhältnis einschlägiger Grundrechtsgarantien umkehrte, sondern auch die Zielsetzungen des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Beratungskonzepts unterliefe. Während die Untersuchung insoweit also quasi ihren Beitrag zur „Identitätsfindung“ der Rechtsordnung auf dem Gebiet des pränidativen Ungeborenenschutzes leistet, geht es ihr auf den – in den Kapiteln 4 bis 6 behandelten – Gebieten des postnidativen Ungeborenenschutzes darum, die Gefahren aufzuzeigen, die eine bereits abschließend definierte Identität der Rechtsordnung durch den Wertungswiderspruch nimmt. Eben jene Gesetzeskritik wird das abschließende achte Kapitel (Seite  755–866) formulieren, wenn es für diejenigen Ungleichbehandlungen, die das postnidative ungeborene Leben durch die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ sowie – dem nachgeordnet – durch die Absätze 1 und 2 des § 218a StGB erfährt, einen gesetzlichen Missstand konstatiert: Denn soweit jene Ungleichbehandlungen eines sachlichen Grundes entbehren, manifestiert sich, wie die Abtreibungsgesetzgebung weder den um die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese angereicherten allgemeinen Gleichheitssatz achtet noch die des Embryonenschutzgesetz vereinbart werden kann, muss anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben.



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Wirksamkeitsbedingungen einer positiv-generalpräventiven Bewusstseinsabbildung erfüllt, dies umso weniger, als sie ihre eigenen Wertungswidersprüche durch eine neutralisierende Gesetzessprache zu verdecken sucht. Dass eine Abhilfe jenes Missstandes gleichwohl bis heute unterblieben und auch ein diesbezügliches Bemühen bis dato allenfalls kosmetisch zutage getreten ist, bedarf vor diesem Hintergrund der Erklärung: Warum hält eine Rechtsordnung einerseits daran fest, dass das postnidative ungeborene Leben gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhaben soll, lässt andererseits aber dessen strafgesetzliche Ungleichbehandlung auch dann zu, wenn ein gewichtiger sachlicher Grund nicht ermittelt werden kann? Die Antwort auf diese Frage wird das achte Kapitel dem Konzept einer symbolischen Strafgesetzgebung zu entnehmen suchen, die auf dem Gebiet des postnidativen Ungeborenenschutzes an die Seite einer symbolischen Verfassungskonkretisierung tritt. Demnach funk­ tionalisierten Verfassungsrechtsprechung und Strafgesetzgebung die in den Kapiteln 4 bis 6 ermittelten Wertungswidersprüche, d. h. machten sich jene zunutze, um zwar nicht den manifesten Zweck des Ungeborenenschutzes, wohl aber abweichende latente Funktionen des Strafgesetzes zu befördern: Insofern wird die Untersuchung darlegen, wie eine Rechtsordnung im Wege des Widerspruchs das (historisch begründete) Ideal eines umfassenden Lebensschutzes auch diesseits der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ zu bekräftigen vermag, wie sie unversöhnliche Streitparteien durch die Formulierung eines sog. dilatorischen Formelkompromisses beschwichtigt und die eigene Bewirkungspotenz vorgibt – all dies auch dann, wenn die Rechtswirklichkeit dem hartnäckig zuwiderläuft. Sie wird zugleich aber auch darlegen, welch weitreichenden Schaden eine Rechtsordnung – nicht nur auf dem Gebiet der Abtreibungsgesetzgebung – an ihren eigenen Wertungswidersprüchen nehmen muss, wenn sie diesen Weg einer nur symbolischen Strafgesetzgebung und Verfassungskonkretisierung forthin beschreitet: Denn lässt sie es nicht nur zu, dass sich die einfachen Gesetze von den verfassungsrechtlichen Vorgaben opportunistisch abwenden, sondern gewährt ihnen in ihrer Abkehr überdies die Unterstützung der von Verfassungsrechtsprechung wie Strafrechtswissenschaft formulierten Scheinrechtfertigungen, gibt sie ihre eigene Identität zur Erzielung eines nur vordergründigen und kurzfristigen Nutzens preis. Ihre Eigenart und ihr Selbstverständnis, als ein autopoietisches System zu wirken, böte sie eben jenen politischen und gesellschaftlichen Drittinteressen feil, die sie vorgeblich nach systeminternen Kriterien zu filtern beansprucht. Wie dem aber Einhalt gebieten, wie zur eigenen Identität zurückfinden, wenn die Rechtswirklichkeit der zur Identität erhobenen, verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese so empfindlich widerstreitet, dass jene nur noch symbolisch, relativiert durch den Wertungswiderspruch, Eingang

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Kap. 1: Einleitende Bemerkungen

in die einfachen Gesetze gefunden hat? An ihrem Ende angekommen, wird es die Untersuchung wagen und der Rechtswirklichkeit eine dynamische Auslegung der grundrechtlichen Garantien überantworten: Erst wenn sich die Rechtsordnung von dem Anspruch befreit, einer seit jeher nur postulierten Gleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens gerecht zu werden, wird sich der verfassungsrechtliche Raum und die längst überfällige Gelegenheit für eine grundlegende (durch vorliegende Untersuchung skizzierte) Reform des strafgesetzlichen Lebensschutzes bieten, der des Widerspruchs nicht länger bedarf, um seine unterschiedliche Wertschätzung der verschiedenen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens zu kaschieren, und der – gestaltet nach systeminternen Kriterien – auch seine fortlaufende Nachahmung auf anderen Rechtsgebieten nicht länger wird fürchten müssen. Zugleich dürften die vorliegenden einleitenden Bemerkungen damit das „vernünftige“ Interesse der Rechtsordnung an einer neuerlichen, umfassenden Analyse der §§ 218 ff. StGB erkennbar herausgearbeitet haben: Jene kommt nicht umhin, sich in einem ersten Schritt ihre verfassungsrechtlichen Bindungen und positiv-generalpräventiven Bemühungen zu vergegenwärtigen, will sie die eigenen Wertungswidersprüche überhaupt als solche erkennen können. Sie muss sodann derer Funktionalisierung in einer nur symbolischen Verfassungskonkretisierung und Strafgesetzgebung gewahr werden, um überhaupt Anlass zu haben, deren Gefahren gegen einen kurzzeitig erzielten Nutzen abzuwägen. Und schließlich muss sie ihre systeminternen Kriterien in Übereinstimmung mit der Rechtswirklichkeit neu definieren, um überhaupt eine Chance zu haben, dem ob ihrer Wertungswidersprüchlichkeit beständig fortschreitenden Identitätsverlust noch Einhalt zu gebieten. Auf eben jenen langwierigen Weg sucht vorliegende Untersuchung sie einzustimmen und beginnt im nachfolgenden zweiten Kapitel ganz am Anfang: mit den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG aus den Jahren 1975 und 1992 und deren Ausführungen zu verfassungsrecht­ lichen Bindungen wie positiv-generalpräventiven Bemühungen.

Kapitel 2

Die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG

– Verfassungsrechtlicher und strafzwecktheoretischer Diskurs – Mit einer Darstellung ausgewählter Inhalte der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG sucht vorliegende Untersuchung also den Einstieg in eine neuerliche Analyse der §§ 218 ff. StGB. Diese Entscheidungen aus den Jahren 1975 und 1992 bilden den – in einen verfassungsrechtlichen und strafzwecktheoretischen Diskurs zweigeteilten – Ausgangs- und Bezugspunkt des weiteren Untersuchungsgangs, der einschlägige strafgesetzliche Vorschriften daraufhin untersuchen wird, inwiefern sie den ebenda entwickelten Vorgaben zu genügen wissen oder aber sich diesbezügliche Wertungswidersprüche auftun. Zwar hat sich das BVerfG in diesen Entscheidungen allenfalls beiläufig zu einer (strafzwecktheoretisch gebotenen) Widerspruchsfreiheit geäußert, wenn es formuliert: „Das Rechtsbewußtsein wird durch widersprüchliche rechtliche Bewertungen verunsichert“1. Jedoch hat es in einem verfassungsrechtlichen Diskurs die grundrechtlichen Garantien des menschlichen Lebens (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und der menschlichen Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) konkretisiert. Insofern hat es definiert, von welchem Entwicklungsstadium an das menschliche Leben jedenfalls an deren objektiven Schutzgehalt teilhat und wie der ihm zu gewährende Schutz unter Wahrung des Untermaßverbotes gestaltet sein muss. Dem einfachen Gesetzgeber hat es damit an die Hand gegeben, welchen Wert die Verfassung dem durch die §§ 218 ff. StGB geschützten ungeborenen Leben beimisst, das Ausgangspunkt wie Leitmotiv seiner strafgesetzlichen Tatbestandsbildung ist. In der Folge wäre zu erwarten, dass diese verfassungsgerichtlichen Wertungen in den einschlägigen Normen des Strafgesetzes ihre Umsetzung finden, mithin die Entscheidungen des BVerfG den Grund für eine durch die Grundrechte vermittelte Werteeinheit geschaffen haben2. 1  BVerfGE

88, 203 (278). wird das nachfolgende dritte Kapitel noch bemüht sein darzulegen, weshalb eine in diesem Sinne durch die Grundrechte vermittelte Wertungswiderspruchsfreiheit nicht nur erwartet werden kann, sondern gar geboten ist. An dieser Stelle der Untersuchung soll es zunächst jedoch genügen, dass die verfassungsrecht2  Insofern

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Indem das Gericht den einschlägigen Normen außerdem abverlangt hat, ein Bewusstsein vom Wert des ungeborenen Lebens und Unrecht seiner Tötung zu stärken oder gar noch weitergehend herauszubilden, hat es der Abtreibungsgesetzgebung in einem strafzwecktheoretischen Diskurs eine positiv-generalpräventive Wirkweise unterstellt. Damit ist der Anspruch an die Rechtsordnung formuliert, die Bedingungen für eine solche positivgeneralpräventive Wirksamkeit zu erfüllen, zu denen – wie noch seine Erörterung finden wird – die Wertungswiderspruchsfreiheit ihres Normgefüges zählt. Abschnitt 1

Der verfassungsrechtliche Diskurs – WER ist WIE zu schützen – „Jedes menschliche Leben – auch das erst sich entwickelnde Leben – ist als solches gleich wertvoll […]“. (BVerfG3)

Wenn die vorliegende Untersuchung an ihren Beginn mithin den verfassungsrechtlichen Status des pränatalen menschlichen Lebens stellt, wie ihn das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen verlautbart hat, wendet sie sich gegen die in der Rechtsdiskussion zunehmenden Stimmen, die jene Frage nach dem verfassungsrechtlichen Status des pränatalen Lebens unter Hinweis darauf auszuklammern versuchen, dass alle Argumente ausgetauscht worden seien4, der Streit „endgültig wohl nie zu klären“ sei und man einen „dann eben angemessenen Umgang mit dem Dissens“ zu finden habe5. Es ist die Überzeugung der vorliegenden Untersuchung, dass eine solche Resignation jeder Bewertung des strafgesetzlichen Ungeborenenschutzes die Grundlage entzöge. Denn der Entscheidung, ob und wie mit dem Mittel des Strafrechts zu schützen ist, muss stets eine weitere Entscheidung vorangestellt sein: die Entscheidung darüber, welches Rechtsgut das Schutzobjekt der strafgesetzlichen Vorschriften bildet und welche verfassungsrechtliche Stellung dieses einnimmt. Erst in einem zweiten Schritt lichen Wertungen benannt werden, die eine diesbzgl. widerspruchsfreie Rechtsordnung zu achten hätte. 3  BVerfGE 39, 1 (59). 4  Ebenfalls gegen einen Stillstand in der Diskussion: Müller-Terpitz, ZfL 2006, 34. 5  So der evangelische Theologe Klaus Tanner in der Debatte um das Stammzellgesetz (StZG); Zitate entnommen aus Müller-Jung in FAZ v. 11.05.2007, 38, Sp.  4, u. in Faz.net v. 10.05.2007.



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können innerhalb der dadurch gezogenen Grenzen auch gesellschaftspolitische Erwägungen zum Tragen kommen. Jedes gegenteilige Bemühen, diese Reihenfolge umzukehren und gesellschaftspolitische Erwägungen den (unentschiedenen) verfassungsrechtlichen Vorgaben voranzustellen, müsste in ein Gesetz münden, das mit dem „Makel der Ergebnisorientiertheit“6 behaftet wäre statt eine durch die Grundrechte vermittelte und diesbezüglich positiv-generalpräventiv wirksame Werteeinheit zu transportieren. Es entspringt jener Überzeugung, dass das vorliegende Kapitel das BVerfG im Folgenden „beim Wort nehmen“ wird, nämlich zu seinem verfassungsrechtlichen Diskurs nur diejenigen Passagen der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen zählt, in denen sich das Gericht ausdrücklich und unmittelbar mit der Frage nach einer Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz des ungeborenen Lebens befasst: Welches menschliche Leben nimmt am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teil und wie ist dessen grundrechtlicher Schutz zu gestalten? Die Untersuchung fokussiert sich an dieser Stelle also auf die „protestatio“ des BVerfG vom Wert des Ungeborenen und vom Unrecht der Tötung dessen. Soweit sein in denselben Entscheidungen skizzierter Entwurf einer Abtreibungsgesetzgebung – gemäß einer häufig geäußerten Kritik – dem widerstreiten sollte7, lässt die Untersuchung dies an dieser Stelle noch außen vor. Insofern hat sich das Gericht nämlich dazu bekannt, dass sein Entwurf einer Abtreibungsgesetzgebung seine „protestatio“ nicht relativieren, sondern konkretisieren soll: In einem ersten Schritt will es die maßgeblichen Wertungen identifiziert und erst in einem zweiten Schritt auf eine mit jenen Wertungen vereinbare Abtreibungsgesetzgebung geschlussfolgert haben. Sollten sich entgegen diesem Bekenntnis nun Widersprüche zwischen der verfassungsgerichtlichen „protestatio“ und ihrer Umsetzung auftun, darf dies nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung die im ersten Schritt für maßgeblich erkannten Wertungen nicht tangieren. Stattdessen sähe man sich mit einem Gesetzesentwurf konfrontiert, der den (angeblich) für maßgeblich befundenen verfassungsrechtlichen Vorgaben nur nicht zu genügen vermag und mithin den Verdacht provoziert, einem ergebnisorientierten Judiz statt einer dogmatisch sauberen Anwendung verfassungsrechtlicher Vorgaben entsprungen zu sein8. nach May, Fortpflanzungsmedizin, 210. ausdrücklich etwa Hilgendorf, NJW 1996, 758 (761); ders., in: Gethmann / Huster, PID, 175 (183 m. Fn. 27 a. E. u. 185 f.); Tröndle, NJW 1995, 3009 (3010); Zimmermann, Rettungstötungen, 446 f. 8  Vgl. die Def. des Verhältnisses von verfassungsgerichtlichen Postulaten und Rechtswirklichkeit durch Faßbender, NJW 2001, 2745 (2750). Gegenteilig verfahren diejenigen Teile der Literatur, die die „protestatio“ des BVerfG durch dessen Gesetzesskizze derogiert sehen wollen; vgl. Dreier, ZRP 2002, 377 (378 u. 382), u. Hil6  Begriff 7  So

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A. Das Schutzpflichtkonzept Den Gegenstand jener verfassungsgerichtlichen „protestatio“, die es nach dem Vorstehenden darzulegen gilt, bilden nun die grundrechtlichen Garantien von Leben und Menschenwürde, die in den Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 des GG verbürgt sind: „Jeder hat das Recht auf Leben“ (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und „die Menschenwürde ist unantastbar“ (Art. 1 Abs. 1 GG). Für diese Garantien haben die Entscheidungen eine Schutzpflicht des Gesetzgebers formuliert, der die Dreiecksbeziehung zwischen dem Schutzsuchenden, dem Staat und dem störenden Dritten zu regulieren hat9. Demnach untersagt die Verfassung nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das menschliche Leben, sondern formuliert auch ein an den Staat gerichtetes Gebot, „sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen“10. Der staatlichen Verantwortung soll es somit auch obliegen, das menschliche Leben „vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren“11. Für den Gegenstand der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen gesprochen, sollte also der Gesetzgeber dafür verantwortlich gezeichnet werden, Embryonen und Feten vor einer rechtswidrigen Tötung durch seine Mutter gendorf, NJW 1996, 758 (761), die die Gleichwertigkeitsthese in Ermangelung ihrer Konsequenzen weder im einfachen Gesetz noch in den Urteilen des BVerfG selbst abgebildet sehen; ferner Zimmermann, Rettungstötungen, 446–448, nach dem der verfassungsgerichtliche „Selbstwiderspruch in der Rechtswirklichkeit“ zu einer „protestatio facto contraria“ zusammenschrumpft (ders., a. a. O., 447) und die verlautbarte embryonale Grundrechtssubjektivität zu einer „falsa demonstratio“ degradiert wird (ders., a. a. O., 448); schließlich Ipsen, JZ 2001, 989 (992 u. 994), der ob dessen die Widersprüchlichkeit der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen von vornherein negiert. 9  Vgl. BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 1 u. 41 f.). Zur Weiterentwicklung des Schutzpflichtkonzepts in fünf weiteren Leitentscheidungen s. BVerfGE 46, 160 (164) [Urteil zum Fall Schleyer]; BVerfGE 49, 24 (53) [Beschluss zum Kontaktsperregesetz v. 01.08.1978]; BVerfGE 49, 89 (142) [Kalkar-Beschluss v. 08.08.1978]; BVerfGE 53, 30 (57) [Mülheim-Kärlich-Beschluss v. 20.12.1979]; BVerfGE 56, 54 (73) [Beschluss zum Fluglärm v. 14.01.1981]. Zsfd. etwa Brüning, JuS 2000, 955 (956); Calliess / Kallmayer, JuS 1999, 785 (789); Hermes, Leben und Gesundheit, 43 ff.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 84 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 110 f. u. 198; Schmalz, Grundrechte4, Rn. 295 f.; Wahl / Masing, JZ 1990, 553– 604; für die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen auch Zschiegner, Fristenlösung, 57–62. Aus der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG siehe u. a. BVerfGE 115, 118 (152) [Urteil zum Luftsicherheitsgesetz v. 15.02.2006]; weitere Nw. bei Pieroth / Schlink, a. a. O., Rn. 111. 10  BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 1 u. 42); ebenso BVerfGE 88, 203 (251). Siehe dazu auch Merkel, Forschungsobjekt, 37–39; ebda., 39 f., auch die weiterführende Diff. einer abwehrrechtlichen und schutzrechtlichen (sowie einer dritten, objektiv- statt subjektivrechtlichen) Dimension der Grundrechte. 11  BVerfGE 39, 1 (42); ebenso BVerfGE 88, 203 (251).



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oder einen Dritten zu schützen, die in jedem Fall ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit – garantiert in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – tangiert und wenigstens in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch ihre in Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Menschenwürde antasten könnte: Zunächst nur für die „embryopathisch“ begründeten Schwangerschaftsabbrüche in Erwägung gezogen, findet sich in der einschlägigen Literatur diesbezüglich der Hinweis darauf, dass eine „systematische Geringschätzung“ die Tötung als Würdeverletzung charakterisierte12. Inwieweit eine solche Geringschätzung geltendes Recht ist, wird nun erst der weitere Gang der Untersuchung erweisen: Eine Würdeverletzung wäre dann auch für die übrigen Indikationen in Erwägung zu ziehen, wenn die Rechtsordnung das ungeborene Leben entgegen allgemeinen Rechtsprinzipien den Belangen der Schwangeren unterordnete. Wenn im Folgenden also den gesetzgeberischen Gründen nachgegangen wird, die Ungeborenentötung in vivo in weitem Umfang zuzulassen, wird neben der Ausgestaltung des einfachgesetzlichen Lebensschutzes stets auch die einfachgesetzliche Reichweite der Würdegarantie in den pränatalen Entwicklungsstadien angesprochen sein. I. Seine Subsidiarität gegenüber der Abwehrfunktion der Grundrechte Bevor der Gesetzgeber aber in diesem Sinne verpflichtet werden kann, ein Rechtsgut vor nicht-staatlichem Verhalten zu schützen, gilt es zunächst zu hinterfragen, ob das fragliche Verhalten – hier der Abbruch einer Schwangerschaft – dem Staat nicht etwa als eigener Eingriff zugerechnet werden kann. Denn anders als das Schutzpflichtkonzept vermag es die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorrangige Abwehrfunktion der Grundrechte13, dem Staat konkrete Verpflichtungen aufzuerlegen: Soweit ein verfassungswidriger hoheitlicher Eingriff ermittelt werden kann, kann der Staat verpflichtet werden, diesen konkreten Eingriff zu unterlassen. Wird hingegen (nur) ein verfassungswidriges Unterlassen des Staates festgestellt, bleibt ihm ein weiter, gerichtlich nur beschränkt nachprüfbarer Spielraum vorbehalten, welche Schutzmaßnahmen er im Einzelnen zu ergreifen gedenkt14. Weilert, in: ders., Spätabbruch, 285 (289). Leben und Gesundheit, 179; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 82; zur Abwehrfunktion im Allgemeinen s. Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 76. 14  BVerfGE 46, 160 (164); 77, 170 (214); 79, 174 (202); 92, 26 (46); 96, 56 (64); Brüning, JuS 2000, 955 (957); Faßbender, NJW 2001, 2745 (2750); Hermes, Leben und Gesundheit, 79; Merkel, Forschungsobjekt, 42–44; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 117 f.; Rohrer, Menschenwürde, 99; Schmalz, Grundrechte4, 12  Vgl.

13  Hermes,

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Wenn die Abwehrfunktion der Grundrechte mithin auch den Vorrang genießt, so scheidet es, was die gesellschaftliche Erscheinung des Schwangerschaftsabbruchs betrifft, doch aus, den Staat wegen einer solchen Abwehr eines hoheitlichen Eingriffs in die Pflicht zu nehmen. Diesbezüglich verlangt zunächst der klassische Eingriffsbegriff einen Rechtsakt mit rechtlicher und nicht bloß tatsächlicher Wirkung sowie eine finale und unmittelbare Folge des Staatshandelns, die mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchgesetzt werden kann15. Staatliche Instrumente der Hilfe oder gar nur Duldung, wie sie anlässlich des Schwangerschaftsabbruchs in Frage stehen, werden jenen Anforderungen an einen Grundrechtseingriff unmöglich zu genügen wissen. Demgegenüber lässt der moderne Eingriffsbegriff zwar bereits jedes staat­ liche Handeln genügen, das dem einzelnen die Wahrnehmung eines in den Schutzbereich eines Grundrechts fallenden Rechts ganz oder teilweise unmöglich macht16. Im Falle solcher Beeinträchtigungen, die unmittelbar von einem Dritten statt dem Staat ausgehen, muss dafür aber eine Konstitutivwirkung des staatlichen Mitwirkungsakts gewahrt sein, die sich dadurch auszeichnet, dass allein der Verzicht auf die staatliche Mitwirkung die Beeinträchtigung durch den Dritten unmöglich machte17. Wenn für den Gegenstand der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen nun auch konstatiert werden kann, dass der Staat an der Tötung Ungeborener im Mutterleib verschiedentlich beteiligt ist, indem er deren gesetzliche Rahmenbedingungen schafft und die Bedingungen für ihre Durchführung garantiert, bliebe das gefährliche Tun des Dritten – die Abtreibung – aber auch ohne die Unterstützung des Staates möglich18. Im Ergebnis vermag der diesbezüg­ liche staatliche Einfluss mithin den Anforderungen an einen hoheitlichen Grundrechtseingriff nicht zu genügen, ob er nun klassisch oder modern definiert wird. Was den Gegenstand der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen betrifft, galt es nicht, zum Schutze des ungeborenen Lebens ein bereits entfaltetes staatliches Tun abzuwehren, sondern im Gegenteil den Gesetzgeber dazu anzuhalten, zugunsten des ungeborenen Lebens schützend tätig zu werden.

Rn. 297–299; Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (558); vgl. schließlich auch die abw. Meinung der Richterin Rupp-v. Brüneck und des Richters Simon in BVerfGE 39, 1 (71–73). 15  Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 251; Rohrer, Menschenwürde, 143. 16  Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 82; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 253; dazu auch Rohrer, Menschenwürde, 143 f. 17  Hermes, Leben und Gesundheit, 82. 18  Allgemeine Ansicht; vgl. Rohrer, Menschenwürde, 155 m. w. N.



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II. Seine Begründung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG Diese Verpflichtung des Gesetzgebers, sich schützend vor menschliches Leben zu stellen, ist für die Würde des Menschen ausdrücklich in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG normiert. Anders für das Leben – die physische Existenz  – des Menschen, zu dessen Schutz das Grundgesetz wenigstens nicht ausdrücklich verpflichtet. Gleichwohl es hier an einer den Gesetzgeber verpflichtenden Norm mangelt, kann eine solche Schutzpflicht aber einer mittelbaren Drittwirkung des in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG garantierten Lebensrechts wie auch einer entsprechenden – nicht jedoch unmittelbaren – Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG entnommen werden. 1. Keine unmittelbare Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG

„Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet“19: Wenn das BVerfG in seiner ersten wie zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung neben Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stets auch auf Art. 1 Abs. 1 GG abstellt, um eine Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz des ungeborenen Lebens zu begründen, und das Leben überdies als „die vitale Basis der Menschenwürde“20 bezeichnet, könnte zunächst erwogen werden, dass das Gericht diese Schutzpflicht einer unmittelbaren Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG hat entnehmen wollen. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet den Staat ausdrücklich, abwehrend tätig zu werden, wenn die Würde des Menschen von nicht-staatlicher Seite angegriffen wird21. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG nicht nur auf den Schutz der menschlichen Würde, sondern auch auf den Schutz des menschlichen Lebens würde jedoch voraussetzen, dass das Rechtsgut Leben vom Schutzbereich der Menschenwürde erfasst, also mit der Würde wenigstens untrennbar verbunden wäre, sodass die Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 S. 1 GG diesbezüglich quasi „als Tandem wechselseitig sich ergänzender und verstärkender Grundrechtspositionen konzipiert“22 wären. Bejahte man eine solche untrennbare Verbindung von Lebensrecht und Menschenwürdegarantie, hätte dies zur Folge, dass jeder Eingriff in menschliches Leben zugleich auch eine Menschenwürdeverletzung darstellte, die einer Abwägung mit 19  BVerfGE 88, 203 (251, ähnl. 203 m. LS 1); in diesem Sinne auch BVerfGE 39, 1 (41); 46, 160 (164); 49, 89 (142); 115, 118 (152). 20  BVerfGE 39, 1 (42). 21  Zur Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG s. Hermes, Leben und Gesundheit, 138; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 366. 22  Zitat aus Höfling, FAZ v. 10.07.2001, 8, Sp.  5 a. E.

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anderen Grundrechten nicht zugänglich wäre23. Während sich das BVerfG in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung dem grammatikalisch auch noch anzunähern scheint, indem es auf „die in Art. 2 Abs. 2 Satz  1 GG verbürgte grundsätzliche Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens“24 hinweist, ist eine solche Koppelung von Lebensrecht und Menschenwürdegarantie doch unmöglich mit dem Grundgesetz vereinbar. Jenes normiert in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG einen einfachen Gesetzesvorbehalt, demzufolge auf Grund eines Gesetzes „in diese“25 (vorstehend genannten) Rechte eingegriffen werden kann. Weil Art. 2 Abs. 2 GG den Gesetzesvorbehalt seines Satzes  3 nicht auf die in seinen Sätzen 1 und 2 verbürgten Garantien körperlicher Unversehrtheit (Satz 1) und körperlicher Bewegungsfreiheit (Satz 2) beschränkt, muss sich von ihm grammatikalisch wie systematisch auch das in seinem Satz  1 garantierte Lebensrecht erfasst sehen. Damit aber hat der Verfassungsgeber unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass das Lebensrecht entgegen der etwas unglücklichen Formulierung des BVerfG eben nicht – wie die Menschenwürde – „unantastbar“ und „unverfügbar“26 ist27. Dass das BVerfG selbst Lebensrecht und Menschenwürdegarantie auf keine untrennbare Art und Weise hatte verbinden wollen, tritt erkennbar hervor, wenn es die Möglichkeit rechtmäßiger Eingriffe in das für „grundsätzlich unantastbar“ befundene Lebensrecht des Ungeborenen verschiedentlich bejaht28. Die Annahme eines absoluten Le23  Darauf hinweisend Heun, JZ 2002, 517 (518). Zur Verfassungswidrigkeit eines jeden Eingriffs in die Menschenwürde vgl. außerdem BVerfGE 75, 369 (380), u. BVerfGE 93, 266 (293) (zum durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern mensch­ licher Ehre); Kunig, in: v.  Münch / Kunig, GG-K / 16, Art. 1 Rn. 4; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 381 f.; Starck, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG-K / 16, Art. 1 Abs. 1 Rn. 34; krit. etwa Kloepfer, JZ 2002, 417 (422 f.). 24  BVerfGE 39, 1 (46); darauf hinweisend Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 55; zu weiteren (nicht nur grammatikalischen) Annäherungen des BVerfG an das Verständnis von einer untrennbaren Verbindung der Menschenwürdegarantie und des Lebensrechts s. Heun, JZ 2002, 517 (518). 25  Art. 2 Abs. 2 GG: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden“; Hervorhebung nicht im Original. 26  In Anführungszeichen gesetzte Begriffe angelehnt an das soeben referierte Zitat aus BVerfGE 39, 1 (46); s.  dazu oben Fn. 24. 27  Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 86; Hermes, Leben und Gesundheit, 141; Heun, JZ 2002, 517 (518); Höfling, FAZ v. 10.07.2001, 8, Sp.  5 / 6; Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin, 111 (119); May, Fortpflanzungsmedizin, 204; Mildenberger, MedR 2002, 293 (294); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 276 u. 360; Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 55; vgl. dazu auch Diedrich et al., Reproduktionsmedizin, 78 f. 28  Vgl. nur die Ausführungen zu den verschiedenen, eine „Unzumutbarkeit“ konkretisierenden Indikationentypen in BVerfGE 39, 1 (48–51); dazu auch Heun, JZ 2002, 517 (518); Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 55.



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bensschutzes vermag somit nicht zu überzeugen und mit ihr scheidet es auch aus, der unmittelbaren Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG eine staatliche Pflicht zum Lebensschutz zu entnehmen29. 2. Der Auslegungsmaßstab des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG

In seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung weist das BVerfG aber auch darauf hin, dass die Menschenwürdegarantie nach Art. 1 Abs. 2 GG als oberstes Konstitutionsprinzip der Verfassung fungiert: Die Erfüllung einer Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist demnach „eine Grundbedingung geordneten Zusammenlebens im Staat. Sie obliegt aller staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), d. h. dem Staat in allen seinen Funktionen, auch und gerade der gesetzgebenden Gewalt“30. Dient die Menschenwürdegarantie anderen Normen des Grundgesetzes mithin als Auslegungsmaßstab, kann aus der ausdrücklichen Normierung einer Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG geschlussfolgert werden, dass auch anderen Grundrechten nicht nur eine negatorische Funktion zukommen soll, sondern dass sie überdies eine Pflicht des Staates begründen, aktive Schutzmaßnahmen zu ergreifen31. Dies muss jedenfalls für solche Grundrechte wie das in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG garantierte Lebensrecht gelten, das „von der Würde des Menschen ausgeht“32 und mithin „eine besondere Nähe“33 zu Art. 1 Abs. 1 GG aufweist34. In diesem Sinne sind also die Ausführungen des BVerfG in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung zu verstehen, wenn es das Leben als „die vitale Basis der Menschenwürde“35 bezeichnet und – entsprechend der menschlichen Würde – auf eine „grundsätzliche Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens“36 hinweist. Es hat keine untrennbare Verbindung von Lebensrecht und Menschenwürdegarantie befürworten, sondern lediglich auf die besondere Nähe jener grundrechtlichen Garantien hinweisen wollen, die keine unmittelbare 29  Hermes, Leben und Gesundheit, 144 u. 195; Heun, JZ 2002, 517 (518); Schulz, MedR 2002, 404 (405); anders Zschiegner, Fristenlösung, 31. 30  BVerfGE 88, 203 (252). 31  Siehe dazu auch Belling, Rechtfertigungsthese, 55; Hermes, Leben und Gesundheit, 59 u. 195; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 104. 32  BVerfGE 88, 203 (252). 33  Hermes, Leben und Gesundheit, 196. 34  Belling, Rechtfertigungsthese, 55 f.; Calliess / Kallmeyer, JuS 1999, 785 (789); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 104; vgl. auch Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 (2339). 35  BVerfGE 39, 1 (42); so auch BVerfGE 72, 105 (115); 109, 279 (311); 115, 118 (152). 36  BVerfGE 39, 1 (46).

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Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG gebietet, aber dazu anhält, die Funktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in Anlehnung an die Menschenwürdegarantie auszulegen37. 3. Die mittelbare Drittwirkung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

Die Pflicht des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen, soll nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen aber nicht nur einer entsprechenden Anwendung des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG auf den Lebensschutz des Ungeborenen entnommen werden, sondern soll bereits anderweitig „unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG“ abgeleitet werden können38. Wenigstens aber soll „ihr Gegenstand – und von ihm her – ihr Maß […] durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt“39 werden. Eine solche Herleitung der staatlichen Pflicht zum Schutz des Lebens aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG findet seine Erklärung nämlich bereits in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte: Nach einer ständigen Rechtsprechung des BVerfG, die ihren Anfang im bekannten Lüth-Urteil genommen hat, enthalten die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörpern zugleich eine „objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt“40 und „Richtlinien und Impulse“ für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt41. Demnach ist den Grundrechten also nicht nur das Verbot verfassungswidriger Eingriffe eigen, sondern formulieren sie überdies eine objektive Pflicht aller staatlichen Organe (Art. 1 Abs. 3 GG), „das grundrechtlich geschützte Rechtsgut bzw. den Freiheitsbereich bei Erlaß, Auslegung und Anwendung von Normen sowie sonstigen Handlungen möglichst zur Geltung zu bringen“42. Hierzu bietet zunächst die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wie Generalklauseln Gelegenheit (sog. „Ausstrahlungswirkung“)43. Soweit solche „Einbruchsstellen“ der Grundrechte in das einfache Recht fehlen, besteht ein allgemeiner Auftrag an den Staat, „materielle, verfahrensrechtliche oder organisatorische Regelungen zu treffen, die leistend, schützend und fördernd Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 361. 39, 1 (41). 39  BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 1 u. 251). 40  BVerfGE 7, 198 (198 m. LS 1) [Lüth-Urteil]. 41  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 7, 198 (205); ähnl. BVerfGE 35, 79 (114) [Hochschulurteil]. Siehe dazu auch Hermes, Leben und Gesundheit, 106; Wahl / Masing, JZ 1990, 553 (556). 42  Hermes, Leben und Gesundheit, 107. 43  Hermes, Leben und Gesundheit, 107; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 196 u. 200. 37  Ähnl.

38  BVerfGE



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die Verwirklichung der Grundrechte ermöglichen und sichern“44. An dieser Stelle treten nun die Verbindungen des Schutzpflichtkonzeptes zur mittelbaren Drittwirkung augenscheinlich hervor: Beide wollen vor nicht-staatlichen Beeinträchtigungen schützen, d. h. vor solchen Gefahren für die Interessen und Rechtsgüter der Bürger, die ihnen nicht durch die Macht des Staates, sondern durch die Ausübung privater Macht drohen. Es ist jene Verwandtschaft der Konzepte von mittelbarer Drittwirkung und Schutzpflicht, die eine verfassungsgerichtliche Überzeugung folgenden Inhalts zu erklären weiß: „Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Staat zu rechtlichem Schutz des werdenden Lebens von Verfassungs wegen verpflichtet ist, kann deshalb schon aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der grundrechtlichen Normen erschlossen werden“45. Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben wird so als Ausfluss einer mittelbaren Drittwirkung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verstanden.

B. WER ist zu schützen: Der Beginn des grundrechtlichen Lebens- und Würdeschutzes Wenn mithin eine staatliche Pflicht zum Schutz des menschlichen Lebens nach den Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG anerkannt ist, stellt sich weiter die Frage, wer an diesem Schutz teilhat und nach welchen grundlegenden Kriterien dieser Schutz ausgestaltet sein muss. Zunächst also: Wer ist zu schützen? Anders ausgedrückt: Wer ist „jeder“ i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, wer ist „Mensch“ i. S. d. Art. 1 Abs. 1 GG? Weil eine grundrechtliche Schutzpflicht des Staates nach dem Vorstehenden bereits aus den objektiven Normen der Verfassung gefolgert wird46, kann dabei die Frage nach einer subjektiven Grundrechtsträgerschaft des ungeborenen Lebens mit der Folge eines einklagbaren Anspruchs auf die Gewährung von Schutz dahinstehen. Entsprechend hat auch das BVerfG in seinen beiden Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen offen gelassen, „ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist oder aber wegen mangelnder Rechts- und Grundrechtsfähigkeit ‚nur‘ von den objektiven Normen der Verfassung in seinem Recht auf Leben geschützt wird“47. 44  Hermes,

Leben und Gesundheit, 108. 39, 1 (41 f.). Vgl. auch die Ausführungen von Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, zu einer „staatsfundierenden Bedeutung“ (a. a. O., 101) der Grundrechte, ob derer die Schutzpflicht „in den Grundrechten selbst“ (a. a. O., 103) verortet sein soll. Anders als das BVerfG will Müller-Terpitz die Schutzpflicht aber nicht nur aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechts herleiten; ders., a. a. O., 105. 46  Siehe  oben Seite  64 f. [A. II. 3.]. 47  So ausdrücklich BVerfGE 39, 1 (41); s. dazu auch Faßbender, NJW 2001, 2745 (2749 u. 2750); Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 136; Schirmer, „In-vitro“45  BVerfGE

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

In Frage steht also, ob und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt ungeborenes Leben am objektiven Schutzgehalt des Lebensrechts nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und der ihm verwandten Menschenwürdegarantie nach Art. 1 Abs. 1 GG teilhat. Welche Antwort das BVerfG hierauf in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen formuliert hat und wie diese Antwort in den philosophischen Streit um eine Unterscheidung von „Mensch“ und „Person“ wie auch in die humanembryologische Beschreibung der Entwicklung menschlichen Lebens48 eingebettet werden kann, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. I. Der Schutz des ungeborenen Lebens nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Diesbezüglich gibt zunächst weder der Wortlaut noch die systematische Stellung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu erkennen, inwiefern ungeborenes Leben am grundrechtlich garantierten Lebensschutz teilhat. „Jeder hat das Recht auf Leben“ – weder der Begriff „jeder“ noch der Begriff „Leben“ kennzeichnet das Schutzobjekt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG näher49. Nach der systematischen Stellung im Grundgesetz wird zwar das Recht auf Leben in Fertilisation, 102 f.; Wirth, Spätabtreibung, 13; diesbzgl. die erste Schwangerschaftsabbruchsentscheidung kritisierend: Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 271; Rohrer, Menschenwürde, 119; Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 63. Demgegenüber will Giwer, PID, 80, der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung wenigstens die verfassungsgerichtliche Neigung entnehmen, die „Grundrechtsträgerschaft des nasciturus“ zu bejahen; weitergehend gar für eine verfassungsgerichtlich anerkannte Grundrechtsträgerschaft: Berkemann, JR 1993, 441 (442 f.); Dolderer, Spätabbruch, 61; Hillgruber / Goos, ZfL 2008, 43 (45); Limbeck, Embryonenschutzgesetz, 181; Müller-Terpitz, a. a. O., 272; Zschiegner, Fristenlösung, 26 f.; schließlich auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (305), der die von ihm identifizierte gerichtliche Haltung aber für „höchst zweifelhaft“ befindet (a. a. O., 295 [359] m. Fn. 143); ausführl. dazu auch ders., Forschungsobjekt, 45–55, m. Kritik a. a. O., 267 f. 48  Soweit im Folgenden die Entwicklungsstadien pränatalen Lebens beschrieben werden, legt die Untersuchung dem das Befruchtungsalter (auch Ovulationsalter) zugrunde. Bezug genommen wird so auf das tatsächliche, von der Befruchtung an gerechnete Alter des Ungeborenen, während Beschreibungen, denen das Menstrua­ tionsalter zugrunde liegt, sich auf die Zeitspanne seit dem ersten Tag der letzten Menstruation beziehen; zur Bestimmung des Fetalalters s. auch Moore / Persaud, Embryologie5, 114 u. 116 m. Tab. 6.2; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 96. 49  Dreier, ZRP 2002, 377 (382); Dolderer, Spätabbruch, 104; Hillgruber / Goos, ZfL 2008, 43 (43); Hoerster, JuS 2003, 529 (529); Merkel, Forschungsobjekt, 26 f.; ders., ZfL 2008, 38 (39); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 228; Paul, Möglichkeiten, 58; Rohrer, Menschenwürde, 109; Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 47 f.; Weilert, in: ders., Spätabbruch, 285 (286); Zschiegner, Fristenlösung, 42 f. m. Fn. 152.



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Art. 2 Abs. 2 GG neben dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (S. 1) und auf Freiheit der Person (S. 2) gewährleistet und kommt das Recht auf Freiheit – i. S. einer körperlicher Bewegungsfreiheit – als grundrechtliche Verbürgung ungeborenen Lebens wohl kaum in Betracht. Daraus einen Schluss auf den persönlichen Schutzbereich des Lebens zu ziehen, wäre jedoch verfehlt: Die Systematik der ersten Artikel des Grundgesetzes wird nicht von der Eigenart des Grundrechtsträgers bestimmt, sondern vom Rang der aufgeführten Grundrechte. So werden nach Aufzählung des obersten Verfassungswerts der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG und der allgemeinen Handlungsfreiheit mit Auffangfunktion in Art. 2 Abs. 1 GG die wichtigsten Grundrechte in Art. 2 Abs. 2 GG zusammengefasst50. Über die Reichweite des grundrechtlichen Lebensschutzes, die weder Wortlaut noch Systematik des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG näher kennzeichnen51, wird deshalb dessen Ratio entscheiden müssen52: Warum wird menschliches Leben für schutzwürdig erachtet? Unter Formulierung jener Fragestellung begibt man sich zugleich in einen philosophischen Streit, der um das Verhältnis von „Mensch“ und „Person“ geführt wird und der in den Diskus­ sionen um die ethischen Fragen an den Grenzen des menschlichen Lebens, zu denen auch die Abtreibung zählt, eine „Schlüsselfunktion“ einnimmt53. Gleichwohl weder Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG noch Art. 1 Abs. 1 GG ausdrücklich auf einen notwendigen Personenstatus verweisen, kehren in der Diskussion um den Beginn schutzwürdigen menschlichen Lebens doch wenigstens dieselben Argumente wieder, die den Unterschied oder aber auch die Kon50  Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 48; im Erg. entsprechend Dolderer, Spätabbruch, 106; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 229. 51  Zu einer historischen Auslegung, die aber gleich den Ergebnissen einer grammatikalischen und systematischen Auslegung zu einem „non liquet“ führt, s. ergänzend Merkel, Forschungsobjekt, 28–31; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 236–238; zust. Hillgruber / Goos, ZfL 2008, 43 (43); Klopfer, Forschung, 61 f.; Paul, Möglichkeiten, 59; Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 52 f.; Weilert, in: ders., Spätabbruch, 285 (287); Wendtland, Forschung, 136. Schärfer noch formuliert Merkel an anderer Stelle, dass die einschlägigen Protokolle des Parlamentarischen Rats eher auf einen Ausschluss des Embryos von den grundrechtlichen Garantien „deuten“; Merkel, ZfL 2008, 38 (39). Damit tritt er ausdrücklich in Opposition zum BVerfG, das in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch die Ansicht vertreten hatte, die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG lege es „nahe“, dass auch das „keimende Leben“ erfasst sein solle; BVerfGE 39, 1 (40); zust. Dolderer, Spätabbruch, 106. 52  Anders Merkel, Forschungsobjekt, 28, der diesbzgl. im Wege teleologischer Auslegung eine petitio principii formuliert sieht. 53  Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53. Zum Personenbegriff in der Verfassungsinterpretation s. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 42 f.; zur Sachverständigenfunktion „anderer Disziplinen“ – einschließlich ethischer Diskurse – für die Auslegung des Grundgesetzes s. auch Weilert, in: ders., Spätabbruch, 285 (286).

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

gruenz zwischen „Mensch“ und „Person“ begründen sollen. Insofern können – in einer groben Skizze – Ansätze verfolgt werden, die entweder auf die Schutzwürdigkeit aktualisierter oder auch nur potenzieller Lebensinteressen abstellen oder aber das einzelne menschliche Leben, ungeachtet seiner individuellen Interessensfähigkeit, bereits aufgrund seines „Menschseins“ – d. h. seiner Zugehörigkeit zu einer durch Lebensinteressen gekennzeichneten Gattung – für schutzwürdig befinden. 1. Der Schutz potenzieller bis aktualisierter Lebensinteressen

a) Der Schutz aktualisierter Lebensinteressen Soweit auf die Schutzwürdigkeit aktualisierter Lebensinteressen abgestellt wird, nimmt der Streit um den normativen Lebensbeginn auf eine interessenorientierte Zuschreibung von Rechten Bezug. Ansätze für diese These finden sich bereits in den strafrechtlichen Diskussionen um den Begriff des Rechtsguts gegen Ende des 19. Jahrhunderts: So hat bereits Franz v.  Liszt im Anschluss an Jhering die „vorrechtlichen schutzbedürftigen und schützenswerten Interessen der im Staat lebenden Menschen“ als „normative Grundlage […] strafrechtlicher Rechtsgüter“ bezeichnet54. aa) Eine interessenorientierte Zuschreibung von Rechten In diesem Sinne lehnen es unter dem Begriff der „Nicht-ÄquivalenzDoktrin“55 geführte Ansichten ab, im „Menschsein“ an sich eine hinreichende oder auch nur notwendige Bedingung des „Personenstatus“ zu sehen. Menschlichem Leben würden demnach nur dann Rechte zuerkannt, wenn es über bestimmte Interessen oder Bedürfnisse verfügte. In diesem Sinne hätte etwa nur dasjenige Subjekt „Freiheitsrechte (Rechte, nicht daran gehindert zu werden, etwas zu tun oder nicht zu tun)“ inne, das überhaupt ein entsprechendes „Interesse an Selbstbestimmung und Freiheit von äußerem Zwang“ hat. Ebenso hätte nur dasjenige Subjekt „Anspruchsrechte (Rechte, etwas Positives zu bekommen bzw. von etwas Negativem verschont zu bleiben)“ inne, das überhaupt ein entsprechendes „Interesse an Leben, Leidensfreiheit, Wohlbefinden und sinnvoller Tätigkeit“ hat56. Ein Wesen, das 54  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Merkel, Früheuthanasie, 441; ausführl. v. Liszt, ZStW 1888, 133–156. 55  Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (54); zur alternativen Bezeichnung als Exklusionstheorie s. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 49 u. 58; als antipersonale Option: Knoepffler, Forschung, 128. 56  Siehe dazu Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (54 f.); vorstehende Zitate aus ders., a. a. O., 53 (54). Zum Interesse als notwendige Voraussetzung der Anerken-



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bestimmte Interessen dagegen nicht haben kann, soll mangels Interessensfähigkeit in dieser Hinsicht auch nicht verletzungsfähig sein57. Schutzwürdige Inhaber eines Lebensinteresses wären damit alle – aber auch nur diejenigen  – „Lebewesen, die bestimmter mentaler Zustände fähig sind“, sodass das Weiter- oder Nichtweiterleben „einen subjektiv erfahrbaren ‚Unterschied‘ “ für ihr eigenes Wohl ausmachte (sog. „Erfahrbarkeitsbedingung“)58. In der Folge wären nicht alle Menschen notwendigerweise Personen, wie auch nicht alle Personen notwendigerweise Menschen sein müssten: Während Menschen, die über unterschiedlich definierte Interessen und Fähigkeiten59 nicht (noch nicht, nicht mehr oder zu keiner Zeit) verfügen, demnach die Achtung als Person versagt wird, soll sie Angehörigen einer anderen biologischen Spezies (wie Menschenaffen) oder gar – einem hypothetischen Gedankenspiel folgend – hoch entwickelten Computern zuerkannt werden können60. Prominenter Vertreter der „Nicht-Äquivalenz-Doktrin“ ist der australische Philosoph und Tierethiker Peter Singer, der in seinem Denken an die Philosophie John Lockes anschließt61.

nung eines Rechts s. grundlegend Nelson, Gesammelte Schriften / 42, 144–146 m. § 93. 57  Vgl. ferner Feinberg, in: Birnbacher, Ökologie und Ethik, 140 (148 u. 151), der jedoch unter Einschränkungen – nämlich unter der Bedingung tatsächlicher Geburt – auch einen Schutz potenzieller statt nur aktualisierter Interessen des Fetus bejaht (a. a. O., 168–170); Tooley, in: Leist, Um Leben und Tod3, 157 (160 u. 185 f.); s. dazu schließlich auch Merkel, Früheuthanasie, 440. Aus der dt. Diskussion Hoerster, Abtreibung2, 70; ders., NJW 1991, 2540 (2541 f.); ders., JuS 1989, 172 (175 f.); s. dazu auch Joerden, Menschenleben, 43; May, Fortpflanzungsmedizin, 126; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 157 f. 58  Siehe dazu Merkel, Früheuthanasie, 447; ders., Forschungsobjekt, 136, sowie – mit einem Seitenblick auf die moralische Legitimation der Organentnahme – a. a. O., 137. 59  Vgl. Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (58 f.), mit einer enumerativen Aufzählung kognitiver und moralischer Fähigkeiten, die (innerhalb der „Äquivalenz-Doktrin“ wie auch der „Nicht-Äquivalenz-Doktrin“) in unterschiedlicher Kombination herangezogen werden, um einen Personenstatus zu begründen. 60  Siehe dazu Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (54 u. 70); Hoerster, NJW 1991, 2540 (2541); Höfling, FAZ v. 10.07.2001, 8, Sp.  1 / 2; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 58. 61  Siehe etwa dessen Hauptwerk: Singer, Praktische Ethik2; aus der dt. Diskussion auch Hoerster, Abtreibung2, 69 ff. Erläuternd hierzu Gounalakis, Embryonenforschung, 25 ff.; Kather, Person, 50 ff. (zu Locke) u. 95 ff. (zu Singer); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 59 f.; Rhonfeld, Marburger Forum 9 (2008), Heft 3, pdf-S. 1; Seelmann, in: Kettner, Biomedizin, 63 (69); zur Anknüpfung exklusionistisch orientierter Theoretiker an Locke s. auch Müller-Terpitz, a. a. O., 58.

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

bb) Die Ursprünge in der Philosophie Lockes Personale Identität begründet sich nach Locke durch das Erinnerungsvermögen einer Person. So erkennt Locke demjenigen Menschen persönliche Identität zu, der sich selbst in der Zeit denken kann, also über ein IchBewusstsein wie über ein – in die Vergangenheit gerichtetes – Zeitbewusstsein verfügt: „[…] we must consider what Person stands for; which, I think, is a thinking intelligent Being, that has reason and reflection, and can consider it self as it self, the same thinking thing, in different times and places; which it does only by that consciousness, which is insepara­ ble  from thinking, and as it seems to me essential to it“62. Die ihm in diesem Sinne zuerkannte Identität soll auf all diejenigen Phasen seines Lebens erstreckt werden, an die sich der jeweilige Mensch – wenigstens vermittelt über eine „zeitlich rückwärts knüpfbare Kette von Erinnerungszuständen“63 – erinnern kann, in denen er sich selbst also als identisch bleibendes und die Zeit überdauerndes Wesen erkennt: „And as far as this consciousness can be extended backwards to any past Action or Thought, so far reaches the Identity of that Person; it is the same self now it was then; and ’tis by the same self with this present one that now reflects on it, that that Action was done“64. Weil aber keine Kette von Er62  Locke, Human Understanding, Buch II, Kap. XXVII, § 9, Zeile 10–14; Hervorhebungen und Schreibweisen unverändert dem Orig. entnommen. Frei ins Deutsche übertragen: „[…] wir müssen vergegenwärtigen, wofür der Begriff der Person steht: nach meiner Ansicht setzt er ein denkendes intelligentes Wesen voraus, das über Vernunft und Reflektionsvermögen verfügt und das sich selbst als sich selbst begreifen kann, dasselbe denkende Wesen, zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, was ihm nur durch dasjenige Bewusstsein möglich ist, das von seinem Denken nicht getrennt werden kann und diesem als notwendige Bedingung vorausgesetzt ist“. 63  Merkel, Früheuthanasie, 500, der Locke a. a. O, 499 ff., jedoch innerhalb des – hier ab Seite  82 [b) bb)] in Ergänzung zum Potenzialitätsargument tretenden – Identitätsarguments zitiert, um eine über die Erinnerung vermittelte Identitätsbeziehung zwischen verschiedenen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens zu zeichnen. Weil Locke eine empiristische Position vertritt, d. h. einzig von außen beobachtbare Dinge als relevant für die Erkenntnis anerkennt, ist ihm ein nur potenzielles statt aktualisiertes Bewusstsein aber fremd, weswegen ihn vorliegende Untersuchung im Zusammenhang mit den aktualisierten Lebensinteressen zitiert; s. dazu Kather, Person, 52. 64  Locke, Human Understanding, Buch II, Kap. XXVII, § 9, Zeile 24–28; Hervorhebungen und Schreibweisen unverändert dem Orig. entnommen. Frei ins Deutsche übertragen: „Und so weit, wie dieses Bewusstsein reicht und auf irgendein vergangenes Tun oder Denken ausgedehnt werden kann, so weit reicht die Identität dieser Person; sie ist jetzt dasselbe Selbst das sie auch in der Vergangenheit war; und es ist dasselbe Selbst in dieser Gegenwart, das jetzt reflektiert, dass diese Handlung getan worden ist“.



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innerungszuständen bis in die Zeit kurz nach oder gar noch vor der Geburt zurückreicht, erführe das menschliche Leben demnach selbst mit der Geburt noch keinen Schutz65. Im Anschluss hieran sieht auch Singer den Personenstatus durch ein die Zeit überdauerndes Identitätsbewusstsein (eine „distinkte Entität in der Zeit“) begründet66. Er formuliert drei Kategorien von Wesen, in die sich dieser Personenstatus einbetten soll: zunächst die Kategorie „nicht bewusster Wesen“, die keinen Schmerz empfinden sollen und insofern keine eigenen schutzwürdigen Interessen ausbilden, sondern allenfalls zum Gegenstand fremder Interessen gemacht werden können67. Auf diese Kategorie folgt die Gruppe der „bewussten Wesen“, die empfindungsfähig sind und deren Interessen am Fortdauern des Empfindungsstroms wie auch an der Vermeidung von Leid in eine Abwägung einzufließen haben68. Nur „selbstbewusste Wesen“ – d. h. Wesen, die nicht nur empfindungsfähig, sondern sich überdies ihrer selbst in Vergangenheit und Gegenwart bewusst sind und Wünsche für die Zukunft formulieren können – sollen Personen sein, deren Tötung schwerer als die Tötung eines nur „bewussten Wesens“ wiege69. cc) Der Schutz „bewusster Wesen“ in ihrer Empfindungsfähigkeit Soweit demnach bereits die Empfindungsfähigkeit zwar noch keinen Personenstatus, aber ein (abgestuftes) schutzwürdiges Lebensinteresse begründen können soll, wird darauf abgestellt, dass der Tod den „Empfindungsstrom“ beende und das empfindende Wesen damit in seinem Interesse am Andauern dieser Empfindungen bzw. an seiner Weiterexistenz verletze70. Für empfindungsfähig in diesem Sinne sind Feten ab ungefähr der 20.  Schwangerschaftswoche erklärt worden, in welcher sie über ein inte­ 65  Kather, Person, 53; Merkel, Früheuthanasie, 501. Jedoch soll spätestens von der 28. Woche an die Annahme „einer noch einfachen ‚vorbewussten‘ Art des Bewusstseins und der Erinnerung“ gerechtfertigt sein. Hierauf sollen erfolgreiche postnatale Konditionierungsversuche, wie das Unterscheiden der mütterlichen von einer fremden Stimme, hinweisen; BÄK v. 21.11.1991, 11 f. (7.4). 66  Zu dessen Personenbegriff s. Singer, Praktische Ethik2, 120. 67  Siehe dazu Singer, Praktische Ethik2, 347 ff. m. 360. 68  Siehe dazu Singer, Praktische Ethik2, 136 ff. m. 137.; zum Kriterium der Empfindungsfähigkeit s. auch Kather, Person, 105; Merkel, Früheuthanasie, 460 ff. 69  Siehe dazu Singer, Praktische Ethik2, 120 ff. m. 123 u. 129; zum Kriterium des Lebenswunsches s. auch Merkel, Früheuthanasie, 454 ff. 70  Singer, Praktische Ethik2, 137; s. dazu und vorstehendes Zitat aus Merkel, Früheuthanasie, 460; zsfd. zu Letzterem auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 169. Vgl. ferner auch die Diskussion sog. „punktueller Überlebensinteressen“ durch Hoerster, Abtreibung2, 91–93; ders., Ethik, 76; dazu auch Joerden, Menschenleben, 53 u. krit. 57 f.; Zimmermann, Rettungstötungen, 434.

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

griertes, funktionsfähiges Neuralsystem verfügen, das subjektive Wahrnehmungen ermöglichen soll71. Insofern wird augenscheinlich eine Art des Schmerzes referiert, der auch als „Schmerz bei vollem Bewusstsein“ bezeichnet wird und als solcher „zu einem komplexen psychologisch manifest werdenden Schmerzerlebnis“ führt72. So soll die örtliche Aufnahme der Schmerzreize (die sog. Nozizeption) nämlich erst von der 22.  Woche an neurophysiologisch und neurochemisch bis zur Großhirnrinde durchdringen können, sodass von diesem Zeitpunkt an ein (wie auch immer gestaltetes) Schmerzerlebnis des Fetus zunehmend wahrscheinlich ist73. Das Ergebnis dieser Transformation des Schmerzreizes im Zentralnervensystem können verschiedenartige Reaktionsmuster sein: „reflektorisch-motorische, vegetative, neurophysiologische, neurochemische und affektive Reaktionen, aber möglicherweise auch unbewusste und / oder bewusste Erinnerungen sowie daraus resultierende Verhaltensänderungen“, wie etwa die Einübung eines „Vermeidungs-Verhaltens“74. Demgegenüber wird ab der achten Woche nach der Empfängnis nur ein sog. „Schmerz ohne Bewusstsein“ – noch ohne Großhirn-Funktion – für sehr wahrscheinlich erachtet, der „zu keinem Schmerzerlebnis, wohl aber zu verschiedenartigen (unbewusst bleibenden) Äquivalenten der Schmerzempfindung“ führt75. Während vor der achten Woche die morphologischen Voraussetzungen für eine Schmerzleitung noch gänzlich fehlen, sodass jede Schmerzempfindung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wird76, soll ab der achten Woche von einer zunehmenden Nozizeption ausgegangen werden können, weil von der Peripherie zum Zen­ tralnervensystem laufende (afferente) Nervenfasern – durch Synapsen und Neurotransmitter – funktionell wirksam mit dem Hirnstamm vernetzt werden77. Insofern ließen Beobachtungen, die verschiedentlich von motorischen Reaktionen des Embryos auf Hautberührungen bereits zwischen der 71  So Dolderer, Spätabbruch, 13; Merkel, Früheuthanasie, 461 m. w. N.; darauf hinweisend auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 169. 72  Vorstehende Zitate aus BÄK v. 21.11.1991, 4 (3.2.1). 73  Vorstehende Zitate aus BÄK v. 21.11.1991, 11 (7.3). Demgegenüber formulierte Bachmann – ehem. Vors. des Wissenschaftl. Beirats der BÄK – an anderer Stelle erst jenseits der 24. Woche ein „(wie auch immer geartete[s]) Schmerzerlebnis des Fetus“; Bachmann, in: Berg et  al., Anspruch des Ungeborenen, 138 (146); so auch Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (107 m. w. N.). 74  BÄK v. 21.11.1991, 4 (3.1). 75  Vorstehende Zitate aus BÄK v. 21.11.1991, 4 (3.2.2); s. dazu auch Bachmann, in: Berg et  al., Anspruch des Ungeborenen, 138 (145 f.). 76  BÄK v. 21.11.1991, 11 (7.1). 77  BÄK v. 21.11.1991, 11 (7.2); s. dazu auch Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (106 f.).



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sechsten und achten Woche berichten78, neben weiteren Befunden79 die Schlussfolgerung zu, dass Berührungsreize möglicherweise auf spinaler Ebene durch einen „Fluchtreflex“ beantwortet werden80. Hieran schließt sich der Zeitraum von der neunten bis zur zwölften Woche an, der angesichts verschiedener fetaler Reaktionen auf Reize auch seine Bezeichnung als „Stadium der ersten Körperbewegungen“ erfahren hat. So beobachtete man an am Ende der zwölften Woche abortierten Feten einen Saugreflex in Reaktion auf eine Berührung der Lippen ebenso wie einen Lidschlussreflex in Reaktion auf eine Berührung der Augenlider81 – zwei Reaktionen, die gleichermaßen zwar nicht auf ein bewusstes Schmerzerlebnis, aber auf ein Minus des Empfindens der jeweiligen Berührung hinweisen. In Anerkennung dieser Ergebnisse hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer für den Schwangerschaftsabbruch nach der achten Woche die Gabe von geeigneten Hypnotika oder Sedativa empfohlen, um eine pränatale Schmerzempfindung auszuschließen82. Im Einklang hiermit wäre es unter Anwendung eines Kriteriums der Empfindungsfähigkeit jedenfalls zu erwägen, menschlichem Leben bereits ab der sechsten bis achten Woche ein (freilich nur vorbewusstes) Interesse am Fortdauern seines Empfindungsstroms und Lebens zuzuerkennen, wenn es einen „Schmerz ohne Bewusstsein“ zu empfinden vermag83. dd) Der Schutz „selbstbewusster Wesen“ in ihrem Lebenswunsch Wesentlich später wird dem Individuum der Personenstatus bzw. eine nicht nur abgestuft schutzwürdige Aktualisierung von Lebensinteressen zu78  Zu Reflexreaktionen auf Berührungsreize ab der sechsten Entwicklungswoche s. Moore / Persaud, Embryologie5, 98 u. 100, u. Wirth, Spätabtreibung, 57; zu Reaktionen im Alter von 50 bis 51 Tagen s. BÄK v. 21.11.1991, 9 f. (7.); zur Innervation von Fußplatte, Finger- und Zehenspitzen s. Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (112). 79  Zu jenen Befunden, die kein Schmerzerlebnis des Fetus, aber eine „werdende Funktion“ der Nozizeption erkennen lassen; s. BÄK v. 21.11.1991, 10 (7.). 80  BÄK v. 21.11.1991, 9 f. (7.). 81  Moore, Embryologie-Atlas3, 106. 82  BÄK v. 21.11.1991, 13 (8.3); für eine Betäubungspflicht ab der 20. Woche p. c., vor diesem Zeitpunkt zumindest für eine Sedierung: Wirth, Spätabtreibung, 58. 83  Der Vollständigkeit halber sei auf darüber hinaus gehende Stimmen hingewiesen, die dem Embryo unter Berufung auf Thesen der Pränatalpsychologie in noch früheren Entwicklungsstadien „eine wenigstens rudimentäre gegenwärtige Erlebnisfähigkeit“ zugestehen; s. dazu Hillgruber / Goos, ZfL 2008, 43 (48 m. w. N.). Solche Stimmen müssten ein embryonales Interesse am Fortdauern dieses Erlebens folgerichtig noch vor dem benannten Zeitpunkt eines beginnenden „Schmerzes ohne Bewusstsein“ bejahen.

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

geschrieben, soweit hierfür seine Fähigkeit vorausgesetzt wird, einen eigenen Lebenswunsch herauszubilden. Dabei soll ein Lebenswunsch nicht voraussetzen, dass explizit der Wunsch nach dem Weiterleben formuliert wird. Weil jeder Wunsch nach einem beliebigen künftigen Erlebnis den Wunsch nach dem eigenen Weiterleben notwendigerweise beinhaltet, soll stattdessen bereits die Fähigkeit genügen, nur „irgendetwas als künftiges Ereignis zu wünschen“84. Ein Inhaber aktualisierter Lebensinteressen müsste demnach also eine Vorstellung sowohl von der Zeit als auch davon haben, dass er selbst im Laufe der Zeit immer ein identisch bleibendes Individuum ist85. Lockes Position erfährt hier insofern eine Modifizierung, als die Person nicht nur durch ihre Erinnerung, sondern vor allem auch durch ihr Bewusstsein von der eigenen Zukunft bestimmt wird86. Die dergestalt benannten Voraussetzungen schutzwürdiger aktualisierter Lebensinteressen – Zukunfts- und Ich-Bewusstsein – werden nun weder von Feten noch (nach verschiedentlich geäußerter Ansicht) von Neugeborenen erfüllt: „die für die menschliche Persönlichkeit spezifischen Bewußtseins­ phänomene […] treten erst längere Zeit nach der Geburt auf“87. In diesem Zusammenhang gewinnt an Relevanz, dass der Mensch – wie Portmann so treffend zum Ausdruck gebracht hat – im Grunde eine „physiologische Frühgeburt“ ist88. Denn gleichwohl das menschliche Neugeborene biologisch der Gruppe der „Nestflüchter“ zugehörig ist, steht es einem sog. „Nesthocker“ in seiner Hilfsbedürftigkeit in nichts nach: So wie jener noch über kein voll funktionsfähiges Bewegungs- und Nervensystem verfügt, vermag auch der neugeborene Mensch zunächst weder selbstständig zu leben noch sich selbstständig fortzubewegen89. Neben weiteren, erst postnatal 84  Siehe dazu zsfd. Joerden, Menschenleben, 43; Hoerster, Ethik, 73; Merkel, Früh­ euthanasie, 455; Wirth, Spätabtreibung, 77 f.; Zimmermann, Rettungstötungen, 434. 85  Hoerster, Abtreibung2, 75 f.; ders., FAZ v. 24.02.2001, 46; Singer, Praktische Ethik2, 123 u. 129; Tooley, in: Leist, Um Leben und Tod3, 157 (164, 167 u. 169); s. dazu auch Gounalakis, Embryonenforschung, 26; Joerden, Menschenleben, 43 u. 52; May, Fortpflanzungsmedizin, 126; Merkel, Früheuthanasie, 455; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 58 f. u. 158; Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 145; Seelmann, in: Kettner, Biomedizin, 63 (69); Zimmermann, Rettungstötungen, 434. 86  Kather, Person, 96. 87  BVerfGE 39, 1 (37). 88  Portmann, Fragmente3, 57; ders., a. a. O., 58: „eine Art ‚physiologischer‘, d. h. normalisierter Frühgeburt“; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (110). 89  Anders als das menschliche Neugeborene, dessen Sinnesorgane bei der Geburt schon geöffnet sind, kommen die eigentlichen „Nesthocker“ im Tierreich jedoch überdies „mit geschlossenen Sinnesorganen“ zur Welt; s. dazu u. vorstehende Zitate aus Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 1. Vgl. auch Portmann, Fragmente3, 57, der nicht den Vergleich mit einem „Nesthocker“ bemüht, sondern von einem „hilflose[n] Nestflüchter“ spricht.



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zu erwartenden körperlichen Veränderungen90 muss sich darüber hinaus insbesondere noch das Wachstum seines Gehirns bis zum Ende des ersten Lebensjahres fortsetzen91 und muss sich das Nervensystem in hohem Maße an die Anforderungen und Reize der Umwelt anpassen. Entsprechend können erste Synapsen in der sog. kortikalen Platte (einer Vorstufe der Großhirnrinde) zwar bereits zwischen der 19. und 23. Entwicklungswoche beobachtet werden; ihre Anzahl jedoch nimmt nicht nur erst in den nachfolgenden Entwicklungswochen, sondern gar erst nach der Geburt bis zu einem Alter von sieben Jahren zu92. Der Mensch durchläuft nach der Geburt also quasi ein „sekundäres Nesthockerstadium“, in der sich „die zweite Hälfte der notwendigen zerebralen Wachstums- und Reifungsprozesse“ vollzieht93; in diesem Sinne sprach Portmann davon, dass die menschliche Schwangerschaft eigentlich „etwa 21 Monate betragen“ müsste, um „den Ausbildungsgrad, den ein seiner Art entsprechendes echtes Säugetier zur Zeit der Geburt verwirklichen müßte“, zu erlangen94. Mit Blick darauf erstaunen solche Ergebnisse nicht, nach denen Neugeborenen die neurophysiologischen und kognitiven Voraussetzungen für ein Ich- und Zeitbewusstsein noch fehlen sollen. So wird verschiedentlich angenommen, dass sich die für den Lebenswunsch konstitutive Bewusstseinsbildung erst im Laufe des zweiten menschlichen Lebensjahres vollzieht95; demgegenüber sollen die entsprechenden Voraussetzungen nach anderer Ansicht frühestens mit Ablauf des dritten nachgeburtlichen Lebensmonates96 oder auch bereits nach 24 bis 90  So nimmt die Gesamtlänge während des Säuglingsalters etwa um die Hälfte zu und verdreifacht sich das Gewicht, am Ende des Säuglingsalters sind meist schon sechs bis acht (Milch-)Zähne durchgebrochen; Moore / Persaud, Embryologie5, 10. Weiterhin hat ein normal entwickeltes Neugeborenes nur 50 Millionen Alveolen (Lungenbläschen), gerade einmal ein Sechstel der Zahl des Erwachsenen. Etwa 85 % der Alveolen entstehen erst postnatal, erst um das achte Lebensjahr herum wird die endgültige ­Alveolenzahl (300 Millionen) ausgebildet sein; Moore / Persaud, Embryologie5, 275. 91  Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 1. 92  Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (107). 93  Vorstehende Zitate aus Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie, 1. 94  Portmann, Fragmente3, 58. 95  So noch Hoerster, JuS 1989, 172 (178); in jüngerer Zeit für die Anfänge eines Überlebensinteresses „irgendwann im ersten Lebensjahr“: ders., Ethik, 92–94; dazu auch Zimmermann, Rettungstötungen, 466. Ungeachtet dessen will Hoerster den Lebensschutz bereits mit der Geburt beginnen lassen, um dessen Effektivität zu gewährleisten; Hoerster, JuS 1989, 172 (178); ders., Ethik, 92–94; ders., Abtreibung2, 132 f.; ders. in FAZ v. 24.02.01, 46; zust. Zimmermann, a. a. O., 467–471. Krit. zum Ganzen Giwer, PID, 76; Joerden, Menschenleben, 44; May, Fortpflanzungsmedizin, 126; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 166. 96  Tooley, Abortion, 405–407 u. 411 f.; ähnl. ders., in: Leist, Um Leben und Tod3, 188 (190 f.): „zehn bis zwölf Wochen nach der Geburt“; darauf hinweisend auch ­Hoerster, Abtreibung2, 133 m. Fn. 77; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens,

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48  Stunden Lebenszeit vorliegen, jedenfalls aber beschränkt auf die nachgeburtlichen Entwicklungsstadien sein97. Demzufolge aktualisierte das ungeborene Leben keine eigenen Lebensinteressen, in denen es durch seine Tötung verletzt würde. Schutzwürdig könnten allenfalls die Interessen anderer – Dritter oder der Allgemeinheit – sein, denen an einer Sicherung der physischen Existenz Ungeborener gelegen ist98. Mithin stellt das Kriterium vom Lebenswunsch dasjenige Kriterium dar, das den strittigen Beginn normativen Lebensschutzes am weitesten nach hinten verlegt. Erfüllt ein Individuum die Anforderungen dieses Kriteriums an eine Aktualisierung von Lebensinteressen, ist es in jedem Falle als normativ schutzwürdiges menschliches Leben zu qualifizieren. b) Der Schutz potenzieller Lebensinteressen Jener auf die nachgeburtliche Entwicklung des menschlichen Lebens beschränkte Interessenschutz lässt sich nun erweitern, indem man ihn mit einer Kombination aus Potenzialitäts- und Identitätsargument verbindet und so nicht erst die aktualisierte Interessensfähigkeit, sondern bereits ein entsprechendes Potenzial, zu einem späteren Zeitpunkt Lebensinteressen zu aktualisieren, für schutzwürdig erklärt. Dabei begibt man sich innerhalb des philosophischen Streits um den Personenstatus mit dem Potenzialitätsargument erstmals auf die Seite derjenigen Ansichten, die unter dem zusammenfassenden Begriff der „ÄquivalenzDoktrin“99 geführt werden und das individuelle „Menschsein“ – entgegengesetzt zur bereits erwähnten „Nicht-Äquivalenz-Doktrin“ – als notwendige wie auch als hinreichende Bedingung für den Personenstatus begreifen. So sollen nicht nur alle Personen der biologischen Spezies „Mensch“ entstammen müssen, sondern sollen auch und vor allem alle menschlichen Individuen Personen sein und als solche über die sich aus dem Personenstatus ergebenden Ansprüche und Rechte verfügen100. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, 59; Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 145 f.; Zimmermann, Rettungstötungen, 466 m. Fn. 1929; krit. Joerden, Menschenleben, 43; Merkel, Früheuthanasie, 457 ff. 97  So Merkel, Früheuthanasie, 459, m. w. N. a. a. O., 457 ff. 98  Siehe dazu Merkel, Früheuthanasie, 457 m. Fn. 142; vgl. ders., a. a. O., 444 m. Fn. 111; s. außerdem Zimmermann, Rettungstötungen, 440; für einen Überblick über mögliche Drittinteressen am Schutz des Ungeborenen s. weiterführend ders., a. a. O., 440–443. 99  Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (54); zur alternativen Bezeichnung als Inklusionstheorie s. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 49; als „personale Option“: Knoepffler, Forschung, 117. 100  Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (54); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 49.



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dass auch die „Äquivalenz-Doktrin“ den Personenstatus – unter Berufung auf das „von Kant herausgestellte Wesen des Menschen, auf Vernunft und Sittlichkeit hin angelegt zu sein“101 – grundsätzlich an die Schutzwürdigkeit bestimmter Interessen und die jenen Interessen vorausgesetzten Fähigkeiten knüpft. Anders als die „Nicht-Äquivalenz-Doktrin“ wollen die ihr zugerechneten Ansichten in unterschiedlicher Ausprägung aber auch solche Individuen vom Personenbegriff bzw. normativen Lebensschutz erfasst sehen, welche die für relevant erkannten Fähigkeiten noch nicht besitzen (wie das ungeborene Leben), nicht mehr besitzen (wie irreversibel Demente oder Bewusstlose) oder gar noch nie besessen haben und auch nicht werden (wie anenzephale Neugeborene102). Dieser Zielsetzung kommen sie nach, indem sie Rechte in unterschiedlicher Ausprägung – aber stets losgelöst von einer für den Einzelfall aktualisierten Interessensfähigkeit – statusorientiert zuschreiben103. aa) Das Potenzialitätsargument So setzt das Potenzialitätsargument, das auch als „individuelles Potenzialitätsargument“ bezeichnet wird104, das bereits angeführte Kriterium der Inhaberschaft von Lebensinteressen zwar voraus, will aber nicht erst die aktualisierte Interessensfähigkeit, sondern bereits ein entsprechendes aktives105 Potenzial des menschlichen Lebens geschützt wissen. Eine Schutzwürdigkeit soll bereits daraus folgen, dass im jeweiligen Einzelfall nur die Anlage zur Ausbildung der für relevant befundenen Fähigkeiten vorhanden ist106. Obwohl frühe Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens in ihrem jeweiligen Status quo noch keine (aktualisierten) Lebensinteressen inneha101  Gounalakis,

Embryonenforschung, 29. (auch: Anencephalie) ist eine Fehlbildung des Zentralen Nervensystems, infolge derer die Großhirnhemisphären, die Neurohypophyse, das Zwischenhirn sowie das Schädeldach vollständig oder weitgehend fehlen; Roche Lexikon Medizin5, 78. Ausführl. dazu etwa O’Rahilly / Müller, Embryologie, 424–426. 103  Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 49 f.; vgl. auch Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (61 f.); Gounalakis, Embryonenforschung, 24. 104  In Abgrenzung zum „generischen Potenzialitätsargument“, dessen sich der sog. Speziesismus bedient; s. dazu sogleich Seite  100 f. [2.]. Zu den Begriffen vom „individuellen“ und „generischen Potenzialitätsargument“ s. Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (62); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 50 u. 54. 105  Zur Diff. von aktiver und passiver Potenzialität s. etwa Maio, Mittelpunkt Mensch, 206. 106  Maio, Mittelpunkt Mensch, 206 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 54; vgl. Gounalakis, Embryonenforschung, 29, nach dem sich der äquivalenztheoretische Ansatz und insbesondere das Potenzialitätsargument auf das „von Kant herausgestellte Wesen des Menschen, auf Vernunft und Sittlichkeit hin angelegt zu sein“, beruft (Unterstreichung nicht im Orig.). 102  Anenzephalie

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ben, erwiesen sie sich demnach regelmäßig bereits ob ihres Status ad quem für schutzwürdig: schutzwürdig, weil sie sich in der Entwicklung zu einer Person mit unzweifelhaft vollem Lebensinteresse befinden und damit potenzielle Interessensträger seien107. (1) Das Potenzialitätsargument in BVerfGE 39, 1 Anklänge hierfür finden sich auch in der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung, soweit sich das BVerfG ebenda auf eine schutzwürdige Potenzialität der menschlichen Entwicklung im Mutterleib beruft: „Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen“108. Ebenfalls in enger Verbindung mit dem Potenzialitätsargument steht weiter die dort geäußerte Überzeugung des BVerfG, dass es „jedenfalls Sinn und Zweck dieser Grundgesetzbestimmung […] erfordern, den Lebensschutz auch auf das sich entwickelnde Leben auszudehnen“109. Sinn und Zweck des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergeben sich maßgeblich aus der geschichtlichen Erfahrung Deutschlands und „seiner geistig-sittlichen Auseinandersetzung mit dem vorangegangenen System des Nationalsozialismus“110: In „Reak­ tion auf die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘, auf ‚Endlösung‘ und ‚Liquidierung‘, die vom nationalsozialistischen Regime als staatliche Maßnahmen durchgeführt wurden“111, wählte das deutsche Grundgesetz eine Werteordnung, „die den einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt aller seiner Regelungen stellt“112. Sie sollte sich evident abgrenzen von „den Anschauungen eines politischen Regimes […], dem das einzelne Leben wenig bedeutete und das deshalb mit dem angemaßten Recht über Leben und Tod des Bürgers schrankenlosen Mißbrauch trieb“113. Weil eine 107  Siehe dazu Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 1 (5 f.) u. 187 (222); Merkel, Früheuthanasie, 476. Vgl. außerdem Damschen / Schönecker, a. a. O., 187 (226 f.), u. im Anschluss hieran Beckmann, in: ders. / Löhr, Status, 170 (193 f.) zu einer Def. der Potenzialität als „dispositionelle Möglichkeit“. 108  BVerfGE 39, 1 (41); Hervorhebung nicht im Original. 109  BVerfGE 39, 1 (37). 110  BVerfGE 39, 1 (67); näher zur Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG: a. a. O., 38–41. Zur dt. nationalsozialistischen Vergangenheit als kultureller Hintergrund des Schutzkonzeptes nach dem GG s. außerdem Böckenförde-Wunderlich, PID, 156; Giwer, PID, 75; Leisner in NLpB, Recht auf Leben, 9 (14–17); May, Fortpflanzungsmedizin, 135 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 232– 235 u. 242; Rohrer, Menschenwürde, 27, 28 f. u. 89. 111  BVerfGE 39, 1 (36). 112  BVerfGE 39, 1 (67). 113  BVerfGE 39, 1 (36 f.); in diesem Sinne auch a. a. O., 67; s. dazu auch Leisner in NLpB, Recht auf Leben, 9 (14); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 235.



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Vernichtung physischer Existenzen, wie sie sich unter dem nationalsozialistischen Regime vollzogen hatte, aber nicht nur durch die Tötung bereits geborener Menschen, sondern auch durch die Tötung ungeborenen Lebens verwirklicht werden kann, wird das Grundgesetz den angestrebten umfassenden Lebensschutz nur dann garantieren können, wenn es auch das ungeborene Leben in den Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einbezieht: „Die Sicherung der menschlichen Existenz gegenüber staatlichen Übergriffen wäre unvollständig, wenn sie nicht auch die Vorstufe des ‚fertigen‘ Lebens, das ungeborene Leben, umfaßte“114. Anderenfalls wäre einer vorverlagerten „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Mutterleib der Weg geebnet: Der Schutz des menschlichen Lebens könnte dadurch unterlaufen werden, dass schädigende Handlungen gezielt in denjenigen Entwicklungsphasen vorgenommen würden, in denen kein oder auch nur ein abgestuftes Lebensrecht gewährt würde115. Auch hier spiegelt sich also – wenn auch auf der Makroebene einer Gesellschaft statt auf der Mikroebene des Individuums – der Grundgedanke des Potenzialitätsarguments wider, dem ein Schutz des Status quo als Mittel zum Schutze des späteren Status ad quem bzw. als dessen notwendiges Durchgangsstadium eigen ist: Der grundrechtlichen Garantie des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entnimmt das BVerfG einen Schutz bereits des ungeborenen Lebens, der wenigstens als Mittel zum Zweck des Schutzes geborener Menschen – die „ ‚fertige‘ menschliche Person[en]“116 sind – verwirklicht werden müsse. (2) Die allgemeine Potenzialität des menschlichen Lebens Wer sich an einer solchen Schutzwürdigkeit des bloßen Potenzials stößt, sei darauf hingewiesen, dass Phasen der Potenzialität, im Zuge derer Anlagen in aktuelle Fähigkeiten übergehen, nicht etwa auf die embryonale Entwicklung beschränkt sind, sondern ebenso dem Neugeborenen wie dem Erwachsenen eigen und mithin für den Menschen wesenstypisch sind: „Die Entwicklungsbiologie legt nahe, das menschliche Leben als einen Übergang von der Potenz in den Akt zu begreifen, wobei die Aktuierung kaum je vollständig gelingt und sich auch nicht für eine längere Dauer aufrechterhalten läßt“117. So sind die ersten beiden Lebensjahre für die menschliche Entwicklung insofern von maßgeblicher Bedeutung, als sich erst in diesem Zeitraum der Körper aufrichtet und die Sprachfähigkeit 114  BVerfGE 39, 1 (37); krit. (zu einer von ihm unterstellten „Zirkularität dieser Begründung) Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 241. 115  Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 66; Zschiegner, Fristenlösung, 46 f. 116  BVerfGE 39, 1 (37). 117  So Bodden-Heidrich et al., in: Rager, Würde des Menschen1, 15 (104 f.); ähnl. Rager, ebda., 67 (117).

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ausbildet118, bis ein Kind mit etwa zwölf Monaten Wörter zu verstehen sowie einzelne Worte zu wiederholen vermag und mit etwa 18 Monaten ein Vokabular von maximal 50 Wörtern erreicht. Bis ein Kind über eine gut entwickelte Sprache verfügt, ist gar ein Alter von vier Jahren zu erwarten119. Ebenso ist in der Kindheit die Ossifikation (Knochenbildung) besonders ausgeprägt und brechen zu dieser Zeit die Milchzähne durch, die erst ab dem sechsten Lebensjahr durch die bleibenden Zähne ersetzt werden120. Auf die Kindheit folgt die Pubertät und mit ihr ein beträcht­ licher Wachstums- und Reifungsschub, insbesondere aber eine Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale und Fortpflanzungsfähigkeit121. In seiner kognitiven Entwicklung erreicht der Mensch erst mit elf bis 14 Jahren die Stufe des formal-operationalen Denkens und zeigt ein Elektroenzephalogramm (EEG) in der Form des Erwachsenen. Die einzelnen Entwicklungsschritte gehen dabei kontinuierlich ineinander über und dauern gar bis ins hohe Alter fort122. Zum Ende der Adoleszenz (bis zum zwanzigsten Lebensjahr) verlangsamt sich zwar die allgemeine Wachstumsgeschwindigkeit, dafür beschleunigt sich jedoch die Entwicklung spezifischer Strukturen wie der weiblichen Brust oder der männlichen Genitalien. Erst mit 21 bis 25 Jahren sind Ossifikation wie Körperwachstum nahezu abgeschlossen123. Weil mithin „[u]nerfüllte Potenzialität […] dem Dasein immer zu bleiben“ scheint, ist der Schutz menschlichen Lebens immer auch ein Schutz von menschlichem Leben in seiner Potenzialität. Damit aber verliert die dem Potenzialitätsargument folgende Identifizierung von Mensch und Embryo „das Ärgerliche einer Zumutung“124. (3) Die Analogie zum Anwartschaftsrecht Darüber hinaus kann sich eine Schutzwürdigkeit des Potenzials auf denjenigen Gerechtigkeitsgedanken berufen, der im Zivilrecht im Schutz sog. Anwartschaftsrechte seinen Ausdruck gefunden hat: Verdichtet sich demnach die rein tatsächliche Aussicht auf einen künftigen Rechtserwerb (Anwartschaft) in dem Maße, dass das Erstarken der Anwartschaft zum Vollrecht nur noch vom Eintritt einer äußeren Bedingung abhängt, befindet die Rechtsordnung die dergestalt verdichtete Aussicht auf den Erwerb des VollEmbryologie4, 1. in: ders., Würde des Menschen3, 67 (114). 120  Moore / Persaud, Embryologie5, 10 f. 121  Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 2; Moore / Persaud, Embryologie5, 11. 122  Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (111). 123  Moore / Persaud, Embryologie5, 11. 124  Vorangehende Zitate aus Göbel, in: Oduncu / Platzer / Henn, Zugriff, 94 (99). 118  Rohen / Lütjen-Drecoll, 119  Rager,



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rechts für ein schutzwürdiges Anwartschaftsrecht, dem es verschiedentlich ihren Schutz gewährt125. Innerhalb der Diskussion um den Beginn schutzwürdigen menschlichen Lebens berufen sich Vertreter des Potenzialitätsarguments nun darauf, dass auch das Ungeborene die tatsächliche Aussicht innehat, sich zu einem Wesen mit aktualisierten Lebensinteressen zu entwickeln, aufgrund derer ihm zweifelsohne ein Lebensrecht zukommen würde, und dass die Realisierung dieser Aussicht nur noch von seiner ungestörten Entwicklung im Mutterleib abhängt126. Bereits in dieser Aussicht sei es zu schützen, sei ihm also bereits in seinem Status quo die Teilhabe am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zuzugestehen127. Nur so garantierte ihm die Rechtsordnung – vorbehaltlich seiner ungestörten vorgeburtlichen Entwicklung – einen Status ad quem, der sich durch die Ausbildung aktualisierter Lebensinteressen auszeichnet, die einhellig für schutzwürdig befunden werden. Bedürften Eingriffe in sein ungeborenes Leben hingegen keiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, so könnte ihm jener Status ad quem ohne Weiteres unwiderruflich entzogen werden (so wie auch dem Inhaber eines Anwartschaftsrechts der Erwerb des Vollrechts versagt werden könnte, gewährte man nicht bereits dem Anwartschaftsrecht Schutz). Dies unterscheidet das Lebensrecht auch von anderen Rechten, für die in verschiedenen Kontexten des sozialen Lebens keine solche normative Gleichbehandlung von Status quo und Status ad quem vorgesehen ist: Werden etwa dem Thronfolger bis zur Krönung die Rechte des Königs oder wird dem minderjährigen Bürger bis zur Erlangung der Volljährigkeit das Recht auf Wahl versagt, so erkennt man ihnen damit nicht ihr Potenzial zur Erlangung des Status ad quem ab. Der Thronfolger kann immer noch König, der Minderjährige immer noch wahlberechtigt werden – im Gegensatz dazu kann ein getötetes Ungeborenes aber unmöglich mehr Lebensinteres125  So bereits v. d. Pfordten, ARSP 1990, 69 (81 f.); s. dazu Kloepfer, JZ 2002, 417 (420); Merkel, Früheuthanasie, 489 f.; Paul, Möglichkeiten, 64; Wendtland, Forschung, 122 u. 140; krit. Seelmann, in: Kettner, Biomedizin, 63 (74 f.). Zum Anwartschaftsrecht vgl. §§ 161, 162 BGB. 126  Siehe dazu Merkel, Früheuthanasie, 490. Einer weitergehenden Begründung der Schutzwürdigkeit bereits des Potenzials bedürfte es freilich in denjenigen Fällen, in denen die Realisierung dieser Aussicht nicht allein von einer fortdauernden ungestörten Entwicklung im Mutterleib abhängt, sondern eines aktiven Eingriffs durch Dritte bedarf: so in denjenigen Fällen, in denen ungeborenes Leben extrakorporal erzeugt und in den ersten Entwicklungsstadien entwickelt worden ist. Dies trifft etwa auf die Erzeugung und Entwicklung von Embryonen im Rahmen assistierter Reproduktionsmedizin oder zum Zwecke der Stammzellgewinnung zu. 127  Vgl. die ausdrückliche Referenz von Kloepfer, JZ 2002, 417 (420), auf den „Schutz von Quasi-‚Grundrechtsanwartschaften‘ “, der mit jenen allerdings keinen gleichwertigen, sondern einen abgestuften Schutz verbinden will; in diesem Sinne auch Paul, Möglichkeiten, 64 f.

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sen herausbilden, deren Entstehung seine Tötung im Status quo bereits unwiderruflich verhindert hat128. bb) Das Identitätsargument Das Potenzialitätsargument allein vermag in dieser Ausformung aber noch nicht zu tauglichen Ergebnissen zu führen. Gerade die Analogie zum Anwartschaftsrecht verdeutlicht, dass die Anwendung des Potenzialitätsarguments eine Identität zwischen dem Inhaber des Status quo – „des Anwartschaftsrechts“ – und dem Inhaber des späteren Status ad quem – „des Vollrechts“ – voraussetzt: Denn Inhaber eines Anwartschaftsrechts kann nur derjenige sein, dem nach Bedingungseintritt auch das Vollrecht zustehen wird129. Entsprechend ist frühes menschliches Leben nach dem Potenzialitätsargument nur dann in einem Recht auf Leben zu schützen, wenn es mit der erwachsenen Person, der zweifelsfrei ein umfassendes Lebensrecht („Vollrecht“) zugestanden wird, identisch ist. Wie weit eine solche Übertragung des Lebensrechts auf frühere Entwicklungsstadien zurückreicht, bestimmt sich nach der Wahl der maßgeblichen Identitätsbeziehung130. Insofern bieten sich an: die Ausbildung der ein Ich- und Zeitbewusstsein konstituierenden Merkmale, die Festlegung des menschlichen Genoms oder schließlich der Ausschluss der Mehrlingsbildung. Erst in Verbindung mit dem Identitätsargument ergibt sich mithin eine Antwort auf die Frage danach, ab welchem Zeitpunkt ungeborenes menschliches Leben i. S. d. Potenzialitätsarguments das schutzwürdige Potenzial aufweist, sich zu einem Menschen mit Lebensinteressen zu entwickeln. (1) Eine Identität aus den Anlagen von Ich- und Zeitbewusstsein Zum Ausgangspunkt einer solchen Identitätsbestimmung – und damit des Lebensschutzes – könnte zunächst also die Ausbildung derjenigen Merkmale erkoren werden, die für eine Inhaberschaft von Lebensinteressen konsti128  Siehe zu diesem Einwand Hoerster, Ethik, 102 f.; Merkel, Früheuthanasie, 482 f.; Seelmann, in: Kettner, Biomedizin, 63 (72). 129  Siehe dazu Merkel, Früheuthanasie, 479 u. 491; zum Zusammenhang von Potenzialitäts- und Identitätsargument s. auch Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 1 (6). 130  Siehe dazu Merkel, Früheuthanasie, 492 ff. u. 505; ders., Forschungsobjekt, 178 f.; vgl. Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 1 (5). Die Identitätsbeziehung als „ ‚Brücke‘ der ‚Entwicklung als Mensch‘ “ hebt auch jenseits des Potenzialitätsarguments hervor: Dederer, AöR 2002, 1 (9).



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tutiv sind, indem sie erst das menschliche Leben befähigen, einen Lebenswunsch herauszubilden. Das Lebensrecht des Menschen würde für diesen Fall nur auf diejenigen Stadien übertragen, denen eine anwartschaftsanaloge Garantie der Weiterentwicklung eines Ich- und Zeitbewusstseins eigen ist, d. h., in denen sich eine während des späteren Lebens gleich bleibende Basis herausgebildet hat, die verbürgt, dass sich der Mensch durch verschiedene Zeiten hinweg seiner Identität bewusst ist131. In diesem Sinne hat vor allem Lockwood die „strukturelle Kontinuität innerhalb bestimmter Teile des Gehirns“ für identitätsbegründend befunden, weil jene die Kontinuität aller Wahrnehmungen als derjenigen einund desselben Subjekts während seiner gesamten Lebenszeit garantiere132. Dabei muss die Theorie Lockwoods von denjenigen Theorien abgegrenzt werden, die in der bioethischen Diskussion – teils auch unter Bezugnahme auf Lockwood selbst – unter dem Begriff der „brain-birth- oder HirnlebenTheorie“ geführt werden und eine Parallele zwischen Beginn und Ende des menschlichen Lebens ziehen133: Weil nach herrschender Meinung unter dem Eintritt des Todes das endgültige Erlöschen aller Gehirnfunktionen verstanden wird, müsse als entsprechendes Kriterium für den Beginn des Lebens der Beginn des Hirnlebens herangezogen werden. So wie der Hirntod durch das Erlöschen der Hirnströme – graphisch dargestellt durch ein Ausbleiben von Spannungsschwankungen im Elektroenzephalogramm (EEG) – angezeigt wird134, soll der (in dubio frühzeitig datierte) Beginn des Hirnlebens zum Anlass genommen werden, auch „dem werdenden menschlichen Lebenden den vollen rechtlichen Schutz und die volle ethische Solidarität und Achtung zuzusprechen“135. Während beim Hirntod jedoch das Leben zum Tod übergeht, gleicht die Phase vor dem Hirnleben nicht dem Tod, da in ihr bereits alle Möglichkeiten des Lebens enthalten sind, die sich in den folgenden Phasen bei ungestörter Entwicklung auch realisieren werden. Die von der „brain-birth-Theorie“ gezogene Parallele u. vorstehendes Zitat aus Merkel, Früheuthanasie, 498 f. dazu u. vorstehendes Zitat aus Lockwood, in: Leist, Um Leben und Tod3, 235 (246); im Anschluss Merkel, Früheuthanasie, 503 f., u. abl. Schirmer, „Invitro“-Fertilisation, 191–193; Starck, JZ 2002, 1065 (1069). 133  Merkel, Früheuthanasie, 509 u. 510 m. Fn. 239. Demgegenüber identifiziert Rager einen solchen „brain-birth-Ansatz“ augenscheinlich mit Lockwood; s. Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (108). 134  Zur herrschenden Def. des Todeszeitpunktes s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 21; zu hiergegen gerichteten Bedenken s. zsfd. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 184 m. w. N. 135  So etwa Sass, in: ders., Medizin und Ethik, 160 (173); ähnl. auch Joerden, Menschenleben, 45 u. 62 f.; Wendtland, Forschung, 139–141. Abl. Giwer, PID, 69; Merkel, Früheuthanasie, 509 u. 510 m. Fn. 239; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 184–186; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (108). 131  So

132  Siehe

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zwischen Hirntod und Hirnleben überzeugt damit nicht136. Eine solche Parallele wird von Lockwoods These, die für den Beginn des Lebens die Ausbildung entscheidender Strukturen des Gehirns und des Nervensystems für maßgeblich erklärt, aber auch nicht gezogen. Entscheidend ist für sie nicht eine vermeintliche Symmetrie von Lebensbeginn und -ende, sondern das Entstehen einer strukturellen Basis, die den Bestand von Ich- und Zukunftsbewusstsein garantiert137. Jedenfalls eine präzise Bestimmung des Beginns menschlichen Lebens wüsste eine so bestimmte Identitätsbeziehung aber freilich nicht zu ermöglichen, vollzieht sich die Reifung des Gehirns und Nervensystems doch über einen langen kontinuierlichen Prozess138, der noch nicht einmal mit der Geburt beendet ist: So nimmt die Bildung des Nervensystems noch vor dem Ende der dritten Woche p. c. mit der sog. Neurulation ihren Anfang139. Im Rahmen einer primären Neuralisation wandelt sich ein Bereich des sog. Ektoderms – der Zellen des äußeren Keimblatts, aus dem sich bestimmte adulte Gewebe und Organe entwickeln140 – zum Neuralepithel der Neuralplatte, dem sog. Neuroektoderm, um. Die Ränder der Neuralplatte wölben sich als Neuralfalten nach oben vor, nähern sich Ende der dritten Woche einander an und schließen sich zum Neuralrohr zusammen. Das so entstandene Neuralrohr verlängert sich nun in beide Richtungen. Aus ihm wird sich das Zentrale Nervensystem differenzieren: aus dem vorderen Abschnitt des Neuralrohrs das Gehirn, aus dem hinteren das Rückenmark141. Die ersten körperlichen Anlagen für ein späteres Ich- und Zukunftsbewusstsein gelan136  Beckmann, Abtreibung3, 25 f.; Böckenförde-Wunderlich, PID, 175; Dolderer, Spätabbruch, 103; Limbeck, Embryonenschutzgesetz, 185; May, Fortpflanzungsmedizin, 127 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 186; Paul, Möglichkeiten, 56; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (110); Silva Sánchez, ZStW 2008, 22 (23); darauf gleichsam hinweisend Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 104 f. u. 187; s. aber auch die Replik von Joerden, Menschenleben, 47. Vgl. schließlich auch die Argumentation Dederers gegen einen spiegelbildlich zum Lebensende bestimmten Menschenwürdeschutz in den pränatalen Entwicklungsstadien; Dederer, AöR 2002, 1 (13). 137  Merkel, Früheuthanasie, 509. In diesem Sinne tritt auch Joerden, ZStW 2008, 11 (17), zwar ausdrücklich für eine Synchronisierung von Beginn und Ende des Lebensrechtsschutzes ein, begründet dies aber mit einer Parallele in der Entstehung und dem Erlöschen desjenigen physischen Substrats, das menschliche „Freiheit“ erst ermöglicht; ebenso ders., Menschenleben, 46, 57 u. 62 f.; krit. Silva Sánchez, ZStW 2008, 22 (23); Zschiegner, Fristenlösung, 37 f. 138  Darauf ebenfalls hinweisend: Dolderer, Spätabbruch, 103. 139  Moore / Persaud, Embryologie5, 78 f.; zur Neurulation s. auch Christ / Wachtler, Embryologie, 47–50. 140  Zu den sich aus dem Ektoderm entwickelnden Hauptderivaten s. Christ / Wachtler, Embryologie, 43 m. Tab.  1; Moore / Persaud, Embryologie5, 85. 141  Christ / Wachtler, Embryologie, 47 f.; Moore / Persaud, Embryologie5, 79.



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gen damit zu einem noch sehr frühen Zeitpunkt der pränatalen Entwicklung zur Entstehung. Sie werden sich fortan jedoch kontinuierlich weiterentwickeln: Noch zu Beginn der vierten Woche werden sich am kranialen (oberen) Ende des embryonalen Körpers die Neuralfalten zu einer sog. Kopffalte verdicken und so die Hirnanlage bilden142, die Anzahl der Synapsen in der Großhirnrinde wird erst jenseits der 19. und 23. Entwicklungswoche „kräftig“ zunehmen143, das Wachstum des Gehirns wird sich postnatal noch bis zum Ende des ersten Lebensjahres fortsetzen144 und das Nervensystem sich darüber hinaus noch in hohem Maße an die Anforderungen und Reize der Umwelt anpassen145. Unter Hinweis auf eben eine solche Kontinuität der menschlichen Entwicklung – die sich auch nicht auf die Entwicklung von Gehirn und Nervensystem beschränken soll146 – hat es das BVerfG in der Folge auch ausdrücklich abgelehnt, eine Ausbildung der Anlagen für ein Ich- und Zukunftsbewusstsein als qualitative Zäsur zu identifizieren: Diesbezüglich beansprucht seine Aussage Geltung, dass jedenfalls ab dem 14. Tag nach der Empfängnis „zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben […] kein Unterschied gemacht werden“ kann147. (2) Eine Identität aus dem Genom Demgegenüber vollzieht sich die Prägung des Genoms nicht kontinuierlich, sondern punktuell, wenn das Genom bereits im ersten Entwicklungsstadium des Embryos, nämlich durch die Befruchtung der Eizelle (Fertilisation), unveränderlich festgelegt wird. Aber nicht nur ob seiner punktuellen Datierung, auch ob seiner qualitativen Bedeutung könnte das Genom zum Ausgangspunkt einer Identitätsbestimmung bestimmt werden: Es ist seine Entstehung, die einzigartiges, neues Leben prägt und seine fortdauernde Wirkung, die jenes Leben in all seinen nachfolgenden Entwicklungsstadien begleitet148. Embryologie5, 91 u. 93. in: ders., Würde des Menschen3, 67 (107). 144  Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 1. 145  Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (107). Siehe dazu auch bereits oben Seite  75 f. [a) dd)]. 146  Ausführl. zum Kontinuitätsargument sogleich Seite  102–105 [3.]. 147  BVerfGE 39, 1 (37); s. ebda. auch zur „Jedenfalls“-Datierung des biologischen Beginns eines individuellen Menschenlebens. 148  In diesem Sinne etwa Gounalakis, Embryonenforschung, 55; Schirmer, „Invitro“-Fertilisation, 148 f., 224 u. 228; abl. Merkel, Früheuthanasie, 493; ders., Forschungsobjekt, 179; krit. auch Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, 175 (176), nach 142  Moore / Persaud, 143  Rager,

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Gespeichert ist diese individuelle genetische Information eines jeden Menschen in den Chromosomen seiner Zellen149. Seine Körperzellen sowie die Vorstufen seiner Keimzellen enthalten einen diploiden Chromosomensatz (2n), also insgesamt 46 Chromosomen, von denen 44 sog. Autosomen sind, während die zwei verbleibenden die Geschlechtschromosomen (sog. Gonosomen) bilden. Jedes Autosom kann einem „Partnerautosom“ zugeordnet werden, das die gleichen morphologischen Merkmale und die entsprechende genetische Information aufweist und so mit dem Autosom ein Paar von Homologen bildet. Die Gonosomen hingegen können Übereinstimmungen wie Unterschiede aufweisen: Während weibliche Köperzellen über zwei X-Geschlechtschromosomen verfügen, findet man in männlichen Körperzellen ein Paar aus einem X- und einem sehr viel kürzeren Y-Chromosom. Ein Chromosom von jedem Chromosomenpaar stammt aus dem mütterlichen Erbgut, das andere aus dem väterlichen Erbgut150. In Vorbereitung auf die Fertilisation wird dieser diploide Chromosomensatz von 46 (2n) in den Vorstufen der Keimzellen nun auf einen haploiden Chromosomensatz von 23 (1n) reduziert. Anderenfalls würde bei der Fusion von männlicher und weiblicher Keimzelle ein Individuum entstehen, das in seinen Zellen doppelt so viele Chromosomen trüge wie die Zellen seiner Eltern und die des Menschen an sich151. Diesem Zweck dienen die – Meiose I und Meiose II genannten – Reifeteilungen, aus denen im Gegensatz zur mitotischen Zellteilung keine zur Parentalzelle genetisch identischen Tochterzellen hervorgehen, sondern solche Zellen, deren Chromosomenzahl im Vergleich zur Parentalzelle von 46 auf den haploiden Satz  von 23 reduziert ist. Nach vorhergehender DNS-Replikation entstehen hier in zwei aufeinanderfolgenden Zellteilungen vier haploide Zellen, in der sog. Spermatogenese also vier Spermien, in der sog. Oogenese eine Eizelle (Oozyte) und bis zu drei sog. Polkörperchen. Weil die Teilungen des Kernmaterials um eine Paarung homologer Chromosomen mit Austausch von Chromatidabschnitten („Crossing over“) ergänzt werden, weist dabei jedes gereifte Spermium wie auch jede gereifte Eizelle eine einzigartige Chromosomenkombination auf152. Vereinidem sich ein „bioethische[r] Biologismus“ hinter dem mit einer genetischen Identitätsbeziehung kombinierten Potenzialitätsargument verbirgt. 149  Zu den Chromosomen-Genen treten die mitochondrialen Gene hinzu, welche ausschließlich maternal über das Zytoplasma der Eizelle vererbt werden; Christ / Wachtler, Embryologie, 20; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 31. 150  Sadler, Embryologie11, 2. 151  Sadler, Embryologie11, 2; Moore / Persaud, Embryologie5, 21; Sinowatz, in: ders. et  al., Embryologie, 31 (32). 152  O’Rahilly / Müller, Embryologie, 32. Zum „Crossing over“ oder „Crossover“ s. auch Moore / Persaud, Embryologie5, 21 u. 41 f.; Sadler, Embryologie11, 22. Die mitochondriale DNA hingegen unterliegt nicht der genetischen Rekombination und wird ausschließlich maternal vererbt; Christ / Wachtler, Embryologie, 20.



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gen sich schließlich ein Spermium und eine Eizelle, können sich die haploiden mütterlichen und väterlichen Chromosomensätze so zu einem diploiden, seinerseits einzigartigen Chromosomensatz des neu entstehenden Menschen zusammenfügen. In Anknüpfung an die humanembryologischen Erkenntnisse zu diesem Ereignis, das die genetische Identität und Individualität eines Menschen unwiderruflich prägt, finden sich auch in beiden Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen – mittelbar wie ausdrücklich – Bekenntnisse dafür, dass bereits das Entwicklungsstadium der Fertilisation über den Beginn des grundrechtlichen Lebensschutzes entscheiden könnte. Mittelbar kommt dies in der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung zum Ausdruck, wenn nach der verfassungsgerichtlichen Auslegung „ ‚jeder Lebende‘, anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum“153 am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG teilhaben soll. Soweit das Gericht zunächst „jeden Lebenden“ von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfasst sehen will, scheint der Teilhabe am grundrechtlichen Lebensschutz bereits der biologische Beginn des Lebens zu genügen, der nach heutigem Erkenntnisstand der Embryologie mit dem Entwicklungsstadium der Fertilisation gleichgesetzt wird154. Soweit das BVerfG darüber hinaus Individualität voraussetzt, damit menschliches Leben durch das Grundgesetz Schutz erfährt, präzisiert es jenes Erfordernis in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung ausdrücklich – nicht nur, aber auch – mit der Festlegung einer genetischen Identität: bei dem Ungeborenen müsse es sich um „individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben“ handeln155. Soweit in Anlehnung hieran das die genetische Identität prägende Entwicklungsstadium der Fertilisation herangezogen wird, um den Beginn schutzwürdigen Lebens zu kennzeichnen, wird man jedoch zu beachten haben, dass die Fertilisation ein Prozess von etwa 24 Stunden ist, der sich in verschiedene Stadien aufteilt und das Genom erst sukzessiv – von der Zusammensetzung der Geschlechtschromosomen über die Bildung des maternalen und paternalen genetischen Materials in den beiden Vorkernen bis 153  BVerfGE

39, 1 (37). etwa Zschiegner, Fristenlösung, 36; zur Datierung des biologischen Lebensbeginns s. exemplarisch O’Rahilly / Müller, Embryology3, 8. 155  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (251 f.); Hervorhebungen nicht im Orig.; zust. Zschiegner, Fristenlösung, 39. Dass sich das Gericht auf diese genetische Identität – wie noch zu zeigen sein wird – nicht zur Stützung eines Potenzialitätsarguments beruft, sondern sie im Zusammenhang mit einer dem Spe­ ziesismus entlehnten Argumentation wie auch seines Kontinuitätsarguments nennt, wird nachfolgend noch Erwähnung finden. 154  Zust.

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hin zur Fusion jener Kerne – herausbildet. An erster Stelle steht dabei die sog. Imprägnation, das Eindringen des Spermiums in das Zytoplasma der Eizelle. Bevor das Spermium aber die Eizellmembran selbst penetrieren kann156, muss das Spermium mit der Corona radiata157 und Zona pellucida158 zunächst verschiedene schützende Hüllen der Eizelle durchdringen. Dabei wird in Reaktion auf die Aktivierung zytoplasmatischer Vorgänge ein sog. Polyspermieblock ausgebildet, der verhindert, dass weitere Spermien in die Eizelle eindringen können159. Angesichts dessen, dass der Kopf des so selektierten Spermiums einen haploiden Chromosomensatz enthält, entscheidet sich innerhalb des dreiaktigen Prozesses der Fertilisation bereits jetzt das embryonale Geschlecht: Enthält das die Eizelle penetrierende Spermium ein X-Geschlechtschromosom, entsteht eine XX-Zygote, aus der sich ein weiblicher Embryo entwickelt; enthält es hingegen ein Y-Geschlechtschromosom, entsteht eine XY-Zygote, aus der ein männlicher Embryo hervorgeht160. Über die Zusammensetzung der übrigen Chromosomen ist zu diesem Zeitpunkt der Befruchtung jedoch noch nicht entschieden. Denn insofern aktiviert erst das Eindringen des Spermiums die Eizelle, die während des Eisprungs begonnene, bis zur Befruchtung aber angehaltene zweite Reifeteilung (Meiose II) zu vollenden, infolge welcher einer ihrer beiden einfachen Chromosomensätze mit dem zweiten Polkörperchen ausgestoßen wird. So teilt sich die Eizelle in eine Tochterzelle, die den Großteil des Zytoplasmas erhält, und eine weitere (das sog. zweite Polkörperchen), die Penetration der Eizellmembran s. Moore / Persaud, Embryologie5, 39; Sadler, Embryologie11, 53. 157  Zur unterschiedlich erklärten Durchquerung der Corona radiata s. Christ / Wachtler, Embryologie, 20; Michelmann et al., JRE 2006, 39 (40) m. w. N.; Moore / Persaud, Embryologie5, 39. 158  Zur unterschiedlich erklärten Durchquerung der Zona pellucida durch die „Enzymtheorie“ s. Christ / Wachtler, Embryologie, 20; Moore / Persaud, Embryologie5, 39; Sadler, Embryologie11, 50 u. 52; durch das „mechanische Modell“ s. Michelmann et al., JRE 2006, 39 (42); für eine Beteiligung der Zona pellucida selbst s. dies, a. a. O., 39 (42 f.). 159  Nur bei einem abnormen Befruchtungsvorgang, der sog. Dispermie, kommt es vor, dass zwei Spermien in die Eizelle eindringen. Daraus entstehende triploide (69 Chromosomen) Embryonen sterben jedoch fast immer ab und machen etwa 20 % der durch Chromosomenanomalien hervorgerufenen Spontanaborte aus. In den seltenen Fällen, in denen triploide Feten ausgetragen werden, versterben diese meist kurz nach der Geburt; Moore / Persaud, Embryologie5, 41. Näher zur Ausbildung des Polyspermieblocks s. Christ / Wachtler, Embryologie, 21; Moore / Persaud, Embryologie5, 39 u. 41; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (71 f.); Rohen / LütjenDrecoll, Embryologie4, 26; Sadler, Embryologie11, 53; krit. Michelmann et al., JRE 2006, 39 (41) m. w. N. 160  Moore / Persaud, Embryologie5, 41; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (71); Sadler, Embryologie11, 54. 156  Zur



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in der Regel zur Degeneration bestimmt ist161. Erst mit der Abstoßung des zweiten Polkörperchens und der Ausbildung einer Kernmembran um den verbliebenen haploiden Chromosomensatz (Bildung des weiblichen Vorkerns) ist die Ausreifung der zu befruchtenden Eizelle abgeschlossen und mithin das maternale genetische Material festgelegt162. Auch das Spermium verändert im Pronukleusstadium seine Gestalt: Sein Schwanzfaden und sein Halsabschnitt lösen sich im Zytoplasma der Eizelle auf, während der den Zellkern enthaltende Kopf zum männlichen Vorkern anschwillt163. Damit befindet sich die befruchtete, fortan auch Ootide genannte Eizelle endlich im Pronukleus- oder Vorkernstadium, in welchem sie zwei haploide Chromosomensätze enthält, die sich im männlichen und weiblichen Vorkern befinden164. Zu diesem Zeitpunkt ist nun die Zusammensetzung der Chromosomen, die das Genom des neu entstehenden Menschen bilden, unabänderlich festgelegt165. Dass trotz dieser genetischen Festlegung gemeinhin keine schutzwürdige Identitätsbeziehung bereits zwischen der Ootide und dem späteren Interessensinhaber behauptetet wird166, liegt darin begründet, dass das genetische Material noch auf den männlichen und weiblichen Vorkern verteilt ist, nicht aber durch Kernfusion zum Genom des neu entstehenden Menschen kombiniert ist. Hierzu müssen die Vorkerne erst getrennt voneinander ihre DNA verdoppeln, wodurch ihr jeweiliger haploider Chromosomensatz ein zweites Chromatid erhält. Sodann kann es zur Fusion der Vorkerne – der sog. Syngamie – kommen, mit deren Abschluss die Ootide zur sog. Zygote wird: Die Vorkerne nähern sich einander an und lösen ihre Vorkernmembranen auf. Durch die Kombination der beiden haploiden Chromosomensätze in den Vorkernen wird in der Zygote der diploide Chromosomensatz wiederhergestellt167. Erst mit diesem letzten Teilakt der dreiaktigen Fertilisation 161  Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (72). In Ausnahmefällen kann das zweite Polkörperchen auch selbst von einem weiteren Spermium befruchtet werden, degeneriert also nicht in der Oogenese. In diesem Fall entstehen dizygote Zwillinge; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 62. 162  Moore / Persaud, Embryologie5, 26; Sadler, Embryologie11, 22 u. 53. 163  Moore / Persaud, Embryologie5, 41; Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 26; Sadler, Embryologie11, 53. 164  Moore / Persaud, Embryologie5, 41; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (72). 165  Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (72). 166  Anders aber beispielsweise Hillgruber / Goos, ZfL 2008, 43 (45). 167  Christ / Wachtler, Embryologie, 22; Moore / Persaud, Embryologie5, 41 f.; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 43. Dabei ordnen sich die Chromosomen in Vorbereitung auf die erste Furchungsteilung sogleich in einer Teilungsspindel an. Aufgrund dieses nahtlosen Übergangs zur ersten Furchungsteilung bildet sich trotz Kernfusion keine gemeinsame Kernmembran heraus; Moore / Persaud, Embryologie5,

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vereinigen sich die dem mütterlichen und väterlichen Genom entstammenden Chromosomen mithin zu demjenigen Chromosomensatz, der die weitere Entwicklung seines Trägers bestimmen und fortwährend begleiten wird; dass zu diesem Zeitpunkt noch epigenetische Reprogrammierungsprozesse ausstehen, die über die Aktivierung der einzelnen Gene entscheiden, bildet bereits nur einen Bestandteil jener mit der Fertilisation definierten Entwicklungsmöglichkeiten der Zygote168. Wenn mithin erst der Abschluss der Befruchtung und nicht bereits das Vorkernstadium herangezogen wird, um den (genetischen) Lebensbeginn zu bestimmen, liegt dies in jener Vereinigung begründet: Erst mit der „Verschmelzung“ der Vorkerne entsteht einzigartiges, neues Leben, das in seiner genetischen Identität bereits geprägt ist und dessen Genom ob seiner fortdauernden bestimmenden Wirkung taugliches Kriterium einer Identitätsbeziehung sein kann169. (3) E  ine Identität aus der Differenzierung von Embryoblast und Trophoblast Gegen eine solche Identitätsbeziehung, die bereits mit dem Abschluss der Fertilisation einsetzt und von da an einen Schutz potenzieller Lebensinteressen begründet, wird nun aber mitunter die zu jenem Zeitpunkt noch ausstehende Differenzierung der embryonalen Zellen in solche des Embryoblasten und Trophoblasten ins Feld geführt. Mit dieser Differenzierung sollen solche Zellen, die den Embryonalkörper ausbilden, von anderen Zellen, aus denen nur ernährende und schützende Hüllen des Embryos hervorgehen, geschieden werden170. 41; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (72); Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 26; Sadler, Embryologie11, 53 f. Ein Ein-Zellen-Stadium wird streng genommen nicht durchlaufen (Rohen / Lütjen-Drecoll, a. a. O., 26), wenn auch missverständlich zuweilen von einem einzelligen Embryo geschrieben wird, so etwa in O’Rahilly / Müller, a. a. O., 43. 168  Anders Diedrich et al., Reproduktionsmedizin, 76 f., die eine zum Zeitpunkt der Fertilisation geprägte genetische Identität ob dieser epigenetischen Reprogrammierungsprozesse in Frage stellen. Zum Verständnis epigenetischer Reprogrammierungsprozesse s. weiterführend Wossidlo et al., Nature Communications 2 / 241; zusammengefasst v. Spork, Epigenetik 2 / 2011, 4. 169  Siehe dazu Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 73; Merkel, Forschungsobjekt, 174; Müller-Terpitz, ZfL 2006, 34 (41 f.); Seelmann, in: Kettner, Biomedizin, 63 (73); Starck, JZ 2002, 1065 (1069); vgl. auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 253–255, zur Vorkernverschmelzung als der konstituierenden Voraussetzung eines „aktive[n] Potenzial[s], sich autopoietisch zu immer differenzierterem Leben weiterzuentwickeln“ (Zitat entnommen a. a. O., 253). 170  Siehe dazu Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 1 (5); Heun, JZ 2002, 517 (522); May, Fortpflanzungsmedizin, 128.



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So durchläuft die Zygote im Anschluss an die Befruchtung mehrere als Furchungsteilungen bezeichnete mitotische Zellteilungen, im Zuge derer sich schließlich eine innere Zelllage von einer äußeren Zelllage scheiden wird. Da die Zygote während der Furchung von der dicken und stabilen Zona pellucida umhüllt wird, die den Gesamtumfang des Embryos bis zur abgeschlossenen Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut etwa gleich groß hält, werden die entstehenden embryonalen Zellen mit jeder Teilung kleiner171. Ausgelöst durch Adhäsionsglykoproteine auf der Zelloberfläche, kommt es mit Ausbildung von acht bis sechzehn Zellen überdies zur sog. Konsolidierung: Die Zellen ändern ihre Form (sie „flachen ab“) und lagern sich eng aneinander, sodass sie eine kompakte Zellkugel bilden können172. Infolge dieser Konsolidierung sowie radiärer (senkrecht zur gemeinsamen Oberfläche der Blastomeren) und tangentialer (parallel zur Oberfläche) Zellteilungen differenzieren sich äußere und innere Zellen, von denen die äußere Zelllage den sog. Trophoblasten, die innere Zelllage den sog. Embryoblasten bildet. Während aus dem Trophoblasten ausschließlich ernährende und schützende Hüllen des Embryos, nämlich die kindlichen Anteile der Plazenta und Teile der Eihäute, hervorgehen werden, werden sich aus dem Embryoblasten der Embryonalkörper und die Nabelschnur entwickeln173. In jener morphologischen Trennung von Embryoblast und Trophoblast manifestiert sich zugleich eine Veränderung in der Differenzierungspotenz der Zellen: Während man embryonale Zellen, die sich noch sowohl zu Embryoblast- als auch Trophoblastzellen – und damit zu einem vollständigen Individuum – entwickeln können, als totipotent bezeichnet, ist das Differenzierungspotenzial der Embryoblast- und Trophoblastzellen bereits eingeschränkt, sodass sie eine Bezeichnung nicht mehr als totipotent, sondern als pluri­ potent erfahren174. Diese Differenzierung von Zellen, die den eigentlichen Embryonalkörper bilden, und anderen Zellen, die nur seinem Schutz und seiner Ernährung dienen, setzt sich etwa am siebten Tage fort, wenn sich im Embryoblasten zwei weitere Schichten differenzieren: Hierbei kommt es zunächst zur Abspaltung einer dünneren Zellschicht vom Embryoblasten, womit der Hypoblast entsteht. Daraufhin ordnen sich die verbleibenden Zellen des Embryoblasten auf der dem Trophoblasten zugewandten Seite zu einem mehrreihiEmbryologie5, 44. Embryologie5, 44; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 47. 173  Christ / Wachtler, Embryologie, 28; Moore / Persaud, Embryologie5, 44 f. u. 46; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 47; Sadler, Embryologie11, 56. 174  Vgl. § 8 Abs. 1 ESchG und Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 37; ferner Ad­ vena-Regnery et al., ZmE 2012, 217 (219); Herdegen, JZ 2001, 773 (775); Kloepfer, JZ 2002, 417 (423); Moore / Persaud, Embryologie5, 47; ebenso das Glossar in Rager, Würde des Menschen3, 569 (598 f. u. 609). 171  Moore / Persaud, 172  Moore / Persaud,

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gen Epithel an und bilden auf diesem Wege den sog. Epiblasten, eine dickere Zellschicht175. Während aus dem Epiblasten ausschließlich Zellen des Embryonalkörpers hervorgehen, wird eine frühere Vorstellung des Inhalts, dass auch die Hypoblastzellen an der Ausbildung des Embryonalkörpers beteiligt seien176, zwischenzeitlich als überholt zurückgewiesen. Alle drei Keimblätter des embryonalen Körpers sollen sich stattdessen aus der inneren Zellmasse – dem Epiblasten – entwickeln, während der Hypoblast ausschließlich extraembryonale Strukturen liefere und sich später vollständig zurückbilde177. Zugleich ist damit klargestellt, dass mit der zeitlich vorangehenden Differenzierung von Embryoblast und Trophoblast die Zellen des Embryonalkörpers noch nicht abschließend von denjenigen der extraembryonalen Strukturen geschieden sind, gleichwohl diese Differenzierung gerne in jenem Zusammenhang zitiert wird. Es ist erst die nachfolgende Differenzierung von Epiblast und Hypoblast, die es ermöglicht, jene Unterscheidung zu treffen. Diesem Entwicklungsschritt, durch den sich die den späteren Embryonalkörper bildenden Zellen von solchen separieren, die nur ernährende und schützende Hüllen bilden, wird nun mitunter die Bedeutung einer wesent­ lichen Zäsur in der frühen menschlichen Entwicklung zugeschrieben. Erst von diesem Zeitpunkt an könne schutzwürdiges menschliches Leben identifiziert werden: „Die Tragfähigkeit des Potenzialitätsarguments für das Stadium vor der Ausbildung des Embryos im engeren Sinne ist also davon abhängig, ob man eine Identität zwischen dem geborenem Menschen und der gesamten Blastozyste, bestehend aus Embryoblast und Trophoblast, annehmen kann. Dazu müsste man das aus dem Trophoblast hervorgehende Versorgungsgewebe als vorübergehenden Bestandteil des sich entwickelnden Menschen ansehen können“178, gleichwohl es sich außerhalb des Embryos befindet und nach der Geburt abgestoßen wird179. Weil diese Differen175  Christ / Wachtler, Embryologie, 33 f.; Moore / Persaud, Embryologie5, 48; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (92); Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 30. Demgegenüber bildet sich nach der Stadieneinteilung von O’Rahilly und Müller die zweiblättrige Keimscheibe bereits im Blastozystenstadium am ungefähr vierten bis fünften Tag aus; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 49. 176  So noch O’Rahilly / Müller, Embryologie, 49 f., die jedoch bereits einschränkend auf gegenteilige Erkenntnisse über die embryonale Entwicklung von Mäusen hinweisen. 177  Moore / Persaud, Embryologie5, 60 u. 69. 178  Gounalakis, Embryonenforschung, 38 f.; für eine Integration jener Versorgungsgewebe in den Embryo- und Fetusbegriff s. etwa Beckmann, in: ders. / Löhr, Status, 170 (191); Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (249 f.); MüllerTerpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 197 f. 179  Siehe dazu auch Heun, JZ 2002, 517 (522); Rhonfeld, Marburger Forum 9 (2008), Heft 3, pdf-S. 2.



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zierung – wie dargestellt – noch weiter fortschreitet, sodass aus dem Embryoblasten weitere Zellen ausgegliedert werden, die nur extraembryonale Strukturen bilden (der Hypoblast), wird i. d. R. auf die abgeschlossene Implantation als entsprechende qualitative Zäsur in der menschlichen Entwicklung und Beginn einer Identitätsbeziehung geschlossen. Diese Zäsur kehrt auch in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen wieder, wenn das Gericht auf den „14. Tage nach der Empfängnis (Nidation, Individuation)“ Bezug nimmt und mit diesem Datum – wie im Klammerzusatz des Zitats ausdrücklich zutage tritt – auch das Ereignis der Implantation bzw. Nidation verbindet180. Ohne dass das BVerG ausdrücklich auf die dargestellte Differenzierung von Epiblast- und Hypoblastzellen eingeht, nimmt es das fragliche Ereignis in der embryonalen Entwicklung doch wenigstens über die Datierung in seine Entscheidung mit auf. (4) Eine Identität aus der Unteilbarkeit Aber nicht nur die Differenzierung von Embryoblast und Trophoblast – zutreffender diejenige von Epiblast und Hypoblast – wird ins Feld geführt, um die Wahl einer genetischen Identitätsbeziehung in Frage zu stellen. Was der Wahl einer genetischen Identitätsbeziehung außerdem zuwiderlaufen soll, ist eine den Abschluss der Befruchtung überdauernde Möglichkeit der Mehrlingsbildung. So besteht noch jenseits der abgeschlossenen Befruchtung die Möglichkeit, dass aus der Zygote mehrere Embryonen hervorgehen, die jeweils eigene extraembryonale Strukturen ausbilden oder sich solche teilen. Erst mit dem Abschluss der Implantation – der Einnistung der Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut – soll nach in der Rechtsliteratur verschiedentlich verlautbarter Ansicht eine Mehrlingsbildung ausgeschlossen sein und sich mithin eine sog. Individuation vollziehen181. Unter Gleichsetzung mit dem Abschluss der Implantation wäre die Individuation demnach rund um den 13. Tag der embryonalen Entwicklung zu datieren: Bereits am zehnten Tag ist die Eizelle – die zu diesem Zeitpunkt Blastozyste genannt wird  – vollständig implantiert; jedoch bleibt an der Implantationsstelle für zwei Tage mikroskopisch noch ein oberflächlicher Defekt der Uterusschleimhaut zu erkennen, der erst etwa am zwölften bis 13. Tag von neuem Epithel vollständig bedeckt ist182. Demgegenüber datiert die Humanembryo180  Siehe

dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (37). dazu Merkel, Früheuthanasie, 496; Schulz, MedR 2002, 404 (404); Starck, JZ 2002, 1065 (1069); Taupitz, ZRP 2002, 111 (114). Zur Bezeichnung als „Individuation“ s. Heun, JZ 2002, 517 (520); Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 196. 182  Moore / Persaud, Embryologie5, 54. O’Rahilly und Müller hingegen datieren den Zeitpunkt vollständiger Implantation wesentlich später, nämlich erst im 8. Carnegie-Stadium, d. h. etwa ab dem 23. Tage; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 54. 181  Siehe

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

logie den Zeitpunkt der regulären Individuation (wenn auch nur wenig) später, nämlich auf den Anfang der dritten Woche, wenn sie hierfür voraussetzt, dass sich im Rahmen der sog. Gastrulation – der Ausbildung der drei Keimblätter183 – im Wege der lokalen Zellvermehrung und -wanderung der sog. Primitivstreifen herausgebildet hat184. Wie bereits erwähnt wurde, bilden sich etwa am siebten Tage im Embryoblasten zwei Schichten heraus: die dünnere Zellschicht des Hypoblasten und die dickere Zellschicht des sog. Epiblasten, aus dem die Zellen des Embryonalkörpers hervorgehen werden. Die Zellen von Hypoblast und Epiblast vermehren sich im Anschluss nun flächenhaft, sodass sie eine runde flache Scheibe – die zweiblättrige Keimscheibe – ausbilden185. An deren hinterem Rand bildet sich eine Verdickung des Epiblasten und breitet sich zum Zentrum der Keimscheibe hin als schmaler Streifen aus: der Primitivstreifen tritt erkennbar hervor186. Nach seiner Manifestation können sich Embryonen zwar noch teilen, weisen dann jedoch sog. Doppelbildungen auf, bei denen einzelne Strukturelemente mehrerer Embryonen oder Feten vereinigt sind („siamesische Zwillinge“)187. „It is not birth, marriage, or death, but gastrulation which is truly the important event in your life“, hat der englische Entwicklungsbiologe Lewis Wolpert im Jahre 1962 verlauten lassen188. Nicht nur in der medizinischen Literatur, sondern auch in der vorliegend interessierenden Frage nach dem Beginn schutzwürdigen Lebens wird der Gastrulation damit erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Auch das BVerfG hat den Ausschluss der Mehrlingsbildung in beiden Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen nun ausdrücklich als mögliche qualitative Zäsur anerkannt. Anders als die Differenzierung von Epiblastund Hypoblastzellen, die unter das Ereignis der „Nidation“ subsumiert werden muss, um sie seiner ersten Entscheidung als mögliche qualitative Zäsur zu entnehmen189, findet die Individuation – der Ausschluss der Mehrlingsbildung – sogar ausdrücklich Erwähnung, wenn das Gericht auf den Embryologie5, 7. in: ders., Würde des Menschen3, 67 (92); zur Bildung des Primitivstreifens s. ferner Christ / Wachtler, Embryologie, 38; Moore / Persaud, Embryologie5, 70; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 58. 185  Siehe bereits oben Seite  91 f. [(3)] u. Christ / Wachtler, Embryologie, 33 f.; Moore / Persaud, Embryologie5, 48. 186  Moore / Persaud, Embryologie5, 70; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 58. 187  O’Rahilly / Müller, Embryologie, 64. 188  Zum Verständnis dieses Ausspruchs bedarf es der Erklärung, dass in der Zeit seiner Entstehung die linke obere Ecke der Titelseite der „Times“ mit eben diesen gesellschaftlichen Ereignissen Geburt, Tod und Hochzeit versehen wurde; Christ / Wachtler, Embryologie, 37; Moore / Persaud, Embryologie5, 70. 189  Siehe oben Seite  91 f. [(3)]. 183  Moore / Persaud, 184  Rager,



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„14. Tage nach der Empfängnis (Nidation, Individuation)“ Bezug nimmt190. Dies führt es in seiner zweiten Entscheidung noch weiter aus: „Jedenfalls in der so bestimmten Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt“191. Zwar setzt auch das Gericht den Zeitpunkt der Individuation hier fälschlicherweise mit dem 14. Tag nach der Empfängnis und – auf der Ereignisebene – mit der „Nidation“ bzw. Implantation des Embryos gleich. Gerade in den frühen Embryonalphasen unterliegen Wachstum und Entwicklung aber großen Schwankungen, weshalb die Zeitangaben in den verschiedenen Lehrbüchern zur Humanembryologie zum Teil auch erheblich voneinander abweichen und damit nur der groben Orientierung, nicht aber der präzisen Terminierung eines Entwicklungsschritts dienen können192. Angesichts der zeitlichen Unterschiede, die sich so zwischen verschiedenen, stets individuellen embryonalen Entwicklungen manifestieren können, kann zugunsten des Gerichts angenommen werden, dass es durch seine frühere Datierung quasi „in dubio pro embryone“193 auch solche Embryonen in den grundrechtlich garantierten Lebensschutz einbezieht, die zum benannten Zeitpunkt des 14. Tages nach der Empfängnis womöglich noch teilbar sind, im Zweifel aber bereits wie ein unteilbares Individuum geschützt werden sollen. Gleiches wird für den Vorbehalt einer irregulären Bildung von Mehrlingen nach der Entstehung des Primitivstreifens („siamesische Zwillinge“) gelten müssen. Warum aber sollte es überhaupt der Individuation bedürfen, um eine Identitätsbeziehung zum späteren Interessensinhaber nachvollziehen zu können? Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass individuelle Identität mit numerischer Unteilbarkeit gleich gesetzt werden muss194. Eine schutzwürdige Identität zwischen dem potenziellen Interessensträger und späteren Inhaber aktualisierter Interessen bestehe nur zwischen denjenigen Entwicklungs190  Siehe

dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 39, 1 (37). 88, 203 (251 f.); Hervorhebungen nicht im Original. 192  Die größten Unterschiede zeigen sich im Zeitraum vor Ende der vierten Woche, während sie zum Abschluss der Embryonalperiode hin kleiner werden; ­Moore / Persaud, Embryologie5, 108–110. Zu einer alternativen Unterteilung der ersten acht Wochen der embryonalen Entwicklung in 23 Carnegie-Stadien, die nicht durch das Alter, sondern durch bestimmte Merkmale charakterisiert sind, s. etwa Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (93 m. Fn. 22); O’Rahilly / Müller, Embryologie, 11. 193  Begriff entnommen aus Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (250); Pap, Extrakorporale Befruchtung, 241 f. 194  Diesbzgl. krit. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 192 f. 191  BVerfGE

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stadien menschlichen Lebens, die unteilbar seien. Bejahte man demgegenüber eine genetische Identitätsbeziehung und mit ihr eine Identität der Mehrlinge bereits mit der befruchteten Eizelle (Zygote), müsste man in der Folge auch eine Identität der Mehrlinge selbst bejahen. In eine mathematische Formel gefasst: Wenn der Mehrling M1 = Zygote Z und ebenso der Mehrling M2 = Z sein sollte, müsste auch M1 = M2 sein. Dagegen wird aber eingewandt, dass diese Mehrlinge eigenständige Individuen sind und einander unmöglich in diesem Sinne gleichgesetzt werden könnten195. Nun ist es zweifelsohne zutreffend, dass die aus einer Eizelle hervorgegangenen Mehrlinge nach allgemeinem Empfinden und Sprachgebrauch einzigartige, voneinander zu unterscheidende Individuen darstellen. Diese Einmaligkeit des Einzelnen erwächst nun aber nicht aus einer bestimmten einzigartigen genetischen Struktur, sondern aus seiner „Raum-Zeit-Position in Kombination mit seinen Eigenschaften“, oder anders ausgedrückt: Der Einzelne wird in seiner Einmaligkeit erst geprägt durch die Lebensumstände und Erfahrungen, denen er im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist und auf welche er in einer bestimmten Art und Weise reagiert196. Hinsichtlich ihres genetischen Programms hingegen sind die Mehrlinge zweifelsfrei identisch (M1 = M2), sodass ungeachtet der geäußerten Bedenken auch ihre genetische Identität mit der Zygote (M1 = Z, M2 = Z) bejaht werden kann. Ein Bruch mit den Gesetzen der Logik wäre damit jedenfalls nicht verbunden: „Dass sich die Embryonalplatte nach der Verschmelzung noch für einen kurzen Zeitraum mit der Folge teilen kann, dass eineiige Zwillinge entstehen, widerspricht der Annahme der Identität nicht. Denn dieser Vorgang bewirkt nur, dass sich zwei Individuen mit übereinstimmender Identität entwickeln und auf diese Weise das hier in Rede stehende Kriterium nicht verfehlt, sondern doppelt erfüllt wird“197. Ob und welche Bedeutung dem Ausschluss der Mehrlingsbildung jenseits der deskriptiven Humanembryologie zugemessen wird, wird mithin allein einem normativen, nicht aber einem logischen Urteil überantwortet bleiben. c) Kritik und die Abkehr vom Potenzialitätsargument in BVerfGE 88, 203 Soweit also können den beiden Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen mit Implantation, Individuation und Fertilisation verschiedene mögliche Merkel, Früheuthanasie, 496. dazu u. vorstehendes Zitat aus Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (116). 197  Nat. Ethikrat, Genetische Diagnostik, 81; vgl. auch Maio, Mittelpunkt Mensch, 209; Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 104 u. 200. 195  So

196  Siehe



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qualitative Zäsuren in der menschlichen Entwicklung entnommen werden, die in Verbindung mit dem Potenzialitätsargument auch als Anknüpfungspunkt für eine schutzwürdige Identitätsbeziehung mit dem späteren Inhaber aktualisierter Lebensinteressen dienen könnten. Jedoch ließe sich in die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG eine wenigstens grammatikalische Abkehr vom Potenzialitätsargument hineinlesen, an dessen Stelle sich das Gericht auf das vorliegend noch darzustellende Argument von der Spezieszugehörigkeit (Speziesismus)198 und Kontinuität der pränatalen Entwicklung (Kontinuitätsargument)199 fokussiert. Nicht eine Entwicklung erst zum Menschen i. S. d. Potenzialitätsarguments bejaht das Gericht für die pränatale Entwicklungsphase, sondern bereits eine Entwicklung als Mensch i. S. von Speziesismus und Kontinuitätsargument: „Jedenfalls in der so bestimmten Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt“200. Wenn dem auch nur mit aller Vorsicht eine Ablehnung des Potenzialitätsargumentes entnommen werden sollte, so kann sich ein aufmerksamer Leser der Entscheidung doch schwerlich eines entsprechenden Eindrucks verwehren. Gestützt wird dies durch den Verzicht auf den Terminus des „werdenden Lebens“, den das BVerfG in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch durchgehend verwendet hatte, der in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung nunmehr aber eher zurückhaltend Verwendung findet, wenn das Gericht fremde Stellungnahmen zusammenfasst, oder aber nur mittelbar zum Ausdruck gelangt, wenn das Gericht von „werdenden Müttern“201 spricht. Eine verfassungsgerichtliche Ablehnung des Potenzialitätsarguments korrespondierte mit einem gern zitierten Grundgedanken der Menschenrechte, nach dem die Schutzwürdigkeit des Menschen einzig und allein aus seiner Eigenschaft, Mensch zu sein, resultiert, sodass von einer „fundamentalen Gleichheit aller Menschen in ethischer und rechtlicher Hinsicht auszugehen“ ist202. Dieser dem Naturrecht – also den „Rechtsgrundsätze[n], die stärker sind als jede rechtliche Satzung“203 – entnommene Gedanke ist mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, welches nach Art. 1 Abs. 2 198  Eingehend

dazu sogleich auf den Seiten 99 f. [2.]. dazu sogleich auf den Seiten 102–105 [3.]. 200  BVerfGE 88, 203 (251 f.); Hervorhebungen nicht im Original. 201  Zur Verwendung dieser Begrifflichkeit vgl. etwa BVerfGE 88, 203 (256). 202  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 76. 203  Radbruch, in: ders., Rechtsphilosophie4, 335 (336). 199  Eingehend

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das Bekenntnis des deutschen Volkes zu „unverletzlichen und unveräußer­ lichen Menschenrechten“ enthält, in das positive Recht eingeflossen. So soll die grundrechtliche Garantie eines umfassenden Lebensschutzes gerade verhindern, dass menschlichem Leben – unter Bezugnahme auf bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten – eine unterschiedliche Wertigkeit zugesprochen wird: Jegliche Differenzierung zwischen „lebenswertem“ und „lebensunwertem“ Leben soll nach den Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Regime, das Maßnahmen wie die Massenvernichtung auf der Grundlage eben einer solchen Unterscheidung vornahm, von vornherein unterbunden werden204. Demgegenüber knüpfte ein Versuch, den Lebensschutz von einer Inhaberschaft aktualisierter oder auch nur potenzieller Lebensinteressen abhängig zu machen, gerade an die Fähigkeit des einzelnen menschlichen Lebens an, Lebensinteressen im Status quo oder wenigstens in einem Status ad quem seiner Entwicklung herauszubilden. Entwickelte man diesen Gedanken fort, sodass er auch für die postnatale Phase des menschlichen Lebens zur Anwendung käme, würden folgerichtig auch solchen Menschen keine eigenen Lebensinteressen zugestanden, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung in ihrem Ich- oder Zukunftsbewusstsein eingeschränkt sind oder es gänzlich verloren haben (Verlust aktualisierter Lebensinteressen) und die auch keine Aussicht haben, diese Fähigkeiten wiederzuerlangen (Verlust potenzieller Lebensinteressen)205. Ihr Leben erführe allenfalls einen mittelbaren, abgestuften Schutz, soweit man sie in ihrer Empfindungsfähigkeit oder aufgrund von Drittinteressen achtete206. Jedenfalls der „Nicht-Äquivalenz-Doktrin“, die aktualisierte Lebensinteressen über den Personenstatus und in der Folge die Reichweite des Lebensschutzes entscheiden lässt, wird in der Folge auch der Vorwurf gemacht, eine „fundamentale Attacke“ auf die Maßstabsfunktion des Verfassungs204  Zu jener Ratio des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG s. BVerfGE 39, 1 (36 f. u. 59); s.  ferner etwa Dolderer, Spätabbruch, 112; Giwer, PID, 75 f.; May, Fortpflanzungsmedizin, 121 u. 135 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 242 („streng formales Differenzierungsverbot“); ders., ZfL 2006, 34 (37). Vgl. auch die Ablehnung eines abgestuften Lebensrechts des Menschen durch Merkel, Früheuthanasie, 462 f. m. Fn. 156; der Embryonen in vitro durch Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 66. 205  Siehe dazu Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (68 f.); Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 76 f.; Giwer, PID, 75 (zum Schutz aktualisierter Lebensinteressen); Gounalakis, Embryonenforschung, 26 f.; Kather, Person, 52 f. (zu Locke), 103 f. (zu Singer); Zschiegner, Fristenlösung, 35; vgl. Müller-Terpitz, ZfL 2006, 34 (35). 206  Siehe dazu oben Seite  71–73 [a) cc)] u. vgl. Singer, Praktische Ethik2, 137 (zum schutzwürdigen Interesse am Fortdauern von Empfindungen) u. 360 (zu schutzwürdigen Drittinteressen an der Natur); vgl. außerdem Zimmermann, Rettungstötungen, 436–438, zu einer diesbzgl. Identifikationsmöglichkeit der Interesseninhaber (sog. Rollentauschprobe).



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rechts zu bilden, indem sie diese leugne207. Weil aber auch das Potenzia­ litätsargument an eine – wenn auch nur potenzielle – Interessensfähigkeit anknüpft, verwundert es vor dem kulturellen Hintergrund des grundgesetzlichen Schutzkonzeptes nicht, dass sich das BVerfG auch von ihm wenigstens grammatikalisch distanziert hat. Stattdessen hat es sich einer Argumentation zugewandt, die menschliches Leben losgelöst von individuellen Interessensfähigkeiten für schutzwürdig befinden will. 2. Der Schutz gattungsspezifischer Lebensinteressen (Speziesismus)

In diesem Sinne können diejenigen Ausführungen des BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen gelesen werden, in denen es der objektiven Teilhabe am Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG allein die biologische Tatsache des Lebens vorauszusetzen scheint: „Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der ‚lebt‘; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden. ‚Jeder‘ im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz  1 ist ‚jeder Lebende‘, anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum; ‚jeder‘ ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen“208. Hier greift das Gericht eine Argumentation auf, die losgelöst von Interessensfähigkeiten bereits das „Menschsein“ an sich – die biologische Zugehörigkeit des Einzelnen zur Spezies Mensch – geschützt sehen will und in dieser Eigenart von Singer auch die (kritisch verwendete) Bezeichnung als Speziesismus erfahren hat209. Weil sie in dieser ursprünglichen Form allerdings Gefahr liefe, als diskriminierend qualifiziert zu werden – weil sie, vergleichbar den Diskriminierungen in rassistischen oder sexistischen Behauptungen, allein aus der biologischen Tatsache einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit Privilegien bzw. Benachteiligungen ableitet210 –, wird an ihre Stelle ein mo207  So Höfling, FAZ v. 10.07.2001, 8, Sp.  1 (vorstehendes Zitat a. a. O. entnommen); vgl. auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 246. 208  BVerfGE 39, 1 (37); für einen grundrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens bereits ob seiner Art- bzw. Gattungszugehörigkeit s. auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 242 u. 247; Zschiegner, Fristenlösung, 35. 209  Zum Speziesismus s. Singer, Praktische Ethik2, 82 ff.; in Anw. auf die „Spezies Homo sapiens“ ders., a. a. O., 121 ff.; im Anschluss hieran Merkel, Früheuthanasie, 468 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 50 f. Eine schlagwortartige Einführung in das sog. Speziesargument findet sich bei Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 1 (2 f.); ausführl. und diff. sodann dies., a. a. O., 187 (199–209). 210  Hoerster, Abtreibung2, 59–62; ders., NJW 1991, 2540 (2541); Singer, Praktische Ethik2, 121; im Anschluss hieran Merkel, Früheuthanasie, 468 f.; ebenso ders., in: Damschen / Schönecker, Status, 35 (39); ders., Forschungsobjekt, 132 f.; Müller-

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

difizierter Speziesismus gesetzt werden müssen, nach dem nicht die Biologie, sondern typische Eigenschaften der Gattung über die Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens entscheiden: Angesprochen sind wiederum die bereits angeführten Fähigkeiten des Ich- und Zukunftsbewusstseins. Im Gegensatz zum Potenzialitätsargument und den dargelegten Interessenstheorien müssen jene Fähigkeiten im konkreten Einzelfall jedoch weder aktualisiert vorliegen noch müssen biologische Anlagen auch nur ein entsprechendes Potenzial begründen, damit der Speziesismus das jeweilige menschliche Leben als schutzwürdig anerkennt. Unter Berufung auf eine Gattungssolidarität oder auch auf die christliche Schöpfungslehre, nach welcher der Mensch das Ebenbild Gottes ist, erstreckt ein dergestalt modifizierter Speziesismus die speziestypischen Eigenschaften stattdessen auf alle Angehörigen der Gattung Mensch, unabhängig davon, ob sie im konkreten Einzelfall tatsächlich interessensfähig sind oder auch nur über ein entsprechendes Potenzial verfügen („generisches“ statt „individuelles Potenzialitätsargument“)211. In Abgrenzung zum individuellen Potenzialitäts- und Identitätsargument ließe er damit auch dasjenige menschliche Leben am normativen Lebensschutz bzw. Personenstatus teilhaben, das im konkreten Einzelfall nicht über das Potenzial verfügt, Lebensinteressen herauszubilden, und gegebenenfalls auch zu keinem früheren Zeitpunkt solche innegehabt hat. Nicht erst die Entwicklung zum Menschen, die der Verwirklichung eines Potenzials den Weg ebnet, soll Schutz erfahren, sondern bereits die Entwicklung als Mensch, ungeachtet eines gegebenenfalls zu befördernden Potenzials212. Anteil am normativen Lebensschutz wie Personenstatus hätten damit auch diejenigen menschlichen Lebewesen, die –  wie anenzephale Neugeborene – niemals entsprechende Interessen und ­Fähigkeiten werden entwickeln können213. In diesem Sinne muss also das BVerfG verstanden werden, wenn es in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung ausführt, dass das Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 51; abl. Beckmann, in: ders. / Löhr, Status, 170 (185); Schockenhoff, in: Damschen / Schönecker, Status, 11 (17). 211  Siehe dazu Maio, Mittelpunkt Mensch, 207; Merkel, Früheuthanasie, 470; ders., in: Damschen / Schönecker, Status, 35 (44 f.); ders., Forschungsobjekt, 140 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 50; zsfd. Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 1 (3), u. krit. dies., a. a. O., 187 (209). Zur Abgr. von „individuellem“ und „generischem“ Potenzialitätsargument s. Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (62); zu christlichen Grundsätzen als Auslegungsmaßstab auch in einer säkularisierten Rechtsordnung s. Starck, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG-K / 16, Art. 1 Abs. 1 Rn. 5–7; krit. Merkel, Früheuthanasie, 465 u. 468. 212  So ausdrücklich Silva Sánchez, ZStW 2008, 22 (22). 213  Zum Mensch- und Personsein des Anenzephalen s. etwa Rosado, in: Schwarz / Bonelli, Status des Hirntoten, 221 (230); krit. Birnbacher, in: ders., Bioethik, 53 (65). Zur Def. der Anenzephalie s. oben Seite  77 [1. b) vor aa)] m. Fn. 102 und O’Rahilly / Müller, Embryologie, 424; Roche Lexikon Medizin5, 78.



Abschn. 1: Verfassungsrechtlicher Diskurs101

Ungeborene – jedenfalls vom 14. Tag nach der Empfängnis an – „sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt“214. Nahezu dieselbe Formulierung findet sich in den Schriften des Humanembryologen Blechschmidt, wenn er schreibt: „Der Mensch entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch, er wird nicht Mensch, sondern ist Mensch von Anfang an“215. Seiner lebenslangen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Humanembryologie hat Blechschmidt in biologisch-deskriptiver Hinsicht so eine kontinuierliche Entwicklung des menschlichen Lebens entnommen, das vom Beginn seiner Entwicklung an menschlich ist, und hat aus jener Kontinuität in normativer Hinsicht die Schlussfolgerung gezogen, dass menschliches Leben ab der Befruchtung schutzwürdig ist. Vor allem wandte er sich gegen die von Haeckel formulierte „biogenetische Grundregel“, nach der die Entwicklung des menschlichen Embryos in ihrer Frühphase die stammesgeschichtliche Entwicklung nachvollziehen soll216. Blechschmidt ging es mithin um die Klarstellung, dass der menschliche Embryo von der Befruchtung an charakteristisch menschlich sei217, gleichwohl er zum Beispiel vier Wochen nach der Befruchtung in der Halsregion sog. Pharyngealbögen ausbildet, die eine auffällige Ähnlichkeit mit der entsprechenden Region eines Fischembryos im vergleichbaren Entwicklungsstadium haben (daher auch die Bezeichnung als Kiemenbögen)218, ebenso auch eine Endknospe von vorübergehend schwanzähnlicher Form219. Die Spezieszugehörigkeit zur Gattung Mensch und des Menschen kontinuierliche Entwicklung genügten Blechschmidt, um auf dessen Schutzwürdigkeit zu folgern. Dieser Überzeugung scheint nun auch das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung – jedenfalls seiner Verlautbarung („protestatio“) nach – Ausdruck verliehen zu haben.

214  BVerfGE 88, 203 (252); Hervorhebungen nicht im Original. Zur anschließenden Fortführung dieser speziesistischen Argumentation vgl. etwa BVerfGE 87, 209 (228); 109, 133, (150). 215  Blechschmidt, Individualität2, 93. 216  Siehe dazu Blechschmidt, Individualität2, 17–26; Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 176; zur „biogenetischen Grundregel“ von Haeckel s. auch Beckmann, Abtreibung3, 11; Sinowatz, in: ders. et  al., Embryologie, 11 (12). 217  Blechschmidt, Individualität2, 25; dazu auch Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 176. 218  Moore / Persaud, Embryologie5, 223 f.; Sinowatz, in: ders. et al., Embryologie, 11 (14). 219  Moore / Persaud, Embryologie5, 93; Sinowatz, in: ders. et al., Embryologie, 11 (14).

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG 3. Der Schutz einer kontinuierlichen Entwicklung (Kontinuitätsargument)

Gleichwohl der Speziesismus bereits aus der biologischen Zugehörigkeit des Einzelnen zur Spezies Mensch auf Personenstatus und objektive Teilhabe am Lebensschutz schlussfolgern will, muss jedoch auch er sich der Frage stellen, ab welchem Zeitpunkt in der pränatalen Entwicklung das menschliche Leben einen „Einzelnen“ formt bzw. vom nur artspezifischen menschlichen Leben zum individuellen menschlichen Leben wird. Denn insofern erkennt auch der Speziesismus als Teilausschnitt einer „ÄquivalenzDoktrin“ nur dem einzelnen Menschen kraft seines individuellen Menschseins den Personenstatus zu, was auch in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG wiederkehrt, wenn es zwar schreibt, dass „jeder“ im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 „jeder Lebende“ sei, dies jedoch sogleich dergestalt konkretisiert, dass damit „jedes Leben besitzende menschliche Individuum“ gemeint sei220. An dieser Stelle tritt nun das Kontinuitätsargument221 auf den Plan. Seine Prämisse ist es, dass die menschliche Entwicklung ab einem bestimmten Datum keine qualitativen Zäsuren mehr aufweise – qualitativ in dem Sinne, dass sie den Übergang zu einem nach allgemeiner Ansicht schutzwürdigen Menschen kennzeichnen könnte –, sondern als ein biologisches Kontinuum verlaufe. Seine Schlussfolgerung ist, dass der Grundrechtsschutz auf alle Stadien dieser kontinuierlichen Entwicklung erstreckt werden müsse222. Mit dem Anfangspunkt für ein biologisches Kontinuum lässt das Kontinuitätsargument – gleichwohl ihn dessen Anhänger gemeinhin auf den Abschluss der Fertilisation datieren – mithin Raum, innerhalb der menschlichen Entwicklung auf ein Ereignis bzw. damit verbundenes Datum zu erkennen, das den Beginn individuellen statt nur artspezifischen menschlichen Lebens und 220  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (37); krit. zu dieser Diff. zwischen dem artspezifischen und individuellen menschlichen Leben Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (114 f.). 221  Auch: Kontinuumsargument; Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (210); Merkel, Forschungsobjekt, 157; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 52. 222  Vertreten wird das Kontinuitätsargument beispielsweise von Beckmann, Abtreibung3, 8; Belling, Rechtfertigungsthese, 66; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 216; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (115 ff.); unter ausdrück­ licher Gleichsetzung mit dem Identitätsargument nebst Ergänzung durch das Potenzialitätsargument Honnefelder, in: Damschen / Schönecker, Status, 61 (62). Abl. Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (212–215); Merkel, Früheuthanasie, 473 ff.; ders., Forschungsobjekt, 157–160. Zsfd. Damschen / Schönecker, a. a. O., 1 (3 f.); Heun, JZ 2002, 517 (520); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 52; Starck, JZ 2002, 1065 (1068).



Abschn. 1: Verfassungsrechtlicher Diskurs103

mithin den Beginn eines individuellen Lebensschutzes markieren soll. So hat auch das BVerfG in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung nur festgestellt, dass „jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis (Nidation, Individuation) an“ eine kontinuierliche Entwicklung gegeben sei. Nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung vollzieht sich jedenfalls von diesem Zeitpunkt an „ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zuläßt. Er ist auch nicht mit der Geburt beendet; die für die menschliche Persönlichkeit spezifischen Bewußtseinsphänomene z. B. treten erst längere Zeit nach der Geburt auf“. Aus jener biologischen Kontinuität folgert das Gericht auf ein Gebot der normativen Gleichbehandlung: „Deshalb kann der Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz  1 GG weder auf den ‚fertigen‘ Menschen nach der Geburt noch auf den selbständig lebensfähigen nasciturus beschränkt werden“. Ebenso könne jedenfalls von dem besagten Zeitpunkt an „zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben […] kein Unterschied gemacht werden“223. Dabei unterliegt das Kontinuitätsargument und in seinem Anschluss das BVerfG nicht etwa einem naturalistischen Fehlschluss, wenn es „von der Prämisse ausgeht, daß sich aus biologischer Kontinuität normative Regeln ableiten lassen“224. Stattdessen konnte es seiner Argumentation einerseits zugrunde legen, dass eine normative Entscheidung über den Grundrechtsschutz des geborenen Menschen zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits gefällt worden war, und musste nunmehr nur Gründe darlegen, die eine entsprechende Wertung auch für das ungeborene Leben plausibel erscheinen lassen. Jene Gründe bot ihm die Spezieszugehörigkeit des ungeborenen Lebens, ebenso wie dessen Verbindung mit dem geborenen Menschen durch eine kontinuierliche Entwicklung: „Die Überzeugungskraft des Kontinuitätsarguments liegt damit im Grunde nicht in der kontinuierlichen Entwicklung eines Lebewesens, sondern im Charakter dieses Lebewesens selbst in Verbindung mit dem Kontinuum seiner Entwicklung“225. Die möglichen Zäsuren, auf die das BVerfG mit dem „14. Tage nach der Empfängnis“ Bezug nimmt, stimmen nun weitgehend mit denjenigen Zäsu223  Siehe

dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (37). aber u. vorstehendes Zitat aus Schroth, JZ 2001, 170 (176); krit. auch Hilgendorf, NJW 1996, 758 (761); Merkel, Forschungsobjekt, 160 m. Fn. 209; zum naturalistischen Fehlschluss (im Zusammenhang mit dem Speziesargument) vgl. auch Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (205–208); Merkel, ebda., 34 (37). 225  Beckmann, in: ders. / Löhr, Status, 170 (187 f.); vgl. dazu Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (214); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 52 u. 245. 224  So

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

ren überein, die in Verbindung mit dem Potenzialitätsargument eine Identitätsbeziehung zwischen dem ungeborenen Leben in seinem Status quo und dem späteren Inhaber aktualisierter Lebensinteressen formen sollen. Die Prägung einer Identität – die unterschiedlich mit genetischer Einzigartigkeit, körperlicher Identität (der Differenzierung von Epiblast und Hypoblast) oder aber der Unteilbarkeit (dem Ausschluss der Mehrlingsbildung) gleich gesetzt wird – ist es augenscheinlich auch nach dem verfassungsgerichtlichen Verständnis des Kontinuitätsarguments, die über den Beginn nicht nur menschlichen, sondern individuellen menschlichen Lebens entscheiden soll226. Wenn das BVerfG festhält, dass „jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis“ an eine kontinuierliche Entwicklung in Gang gesetzt ist und mit diesem Datum die pränatalen Ereignisse der „Nidation“ (Implantation) wie der „Individuation“ verbindet, gibt es mit seiner Datierung zu erkennen, dass es den Abschluss jener Entwicklungsschritte als die letzte mögliche qualitative Zäsur in der menschlichen Entwicklung anerkennt. Demgegenüber hat es das Gericht ausgeschlossen, dass nachfolgende Entwicklungsschritte wie etwa die Reifung des Nervensystems eine qualitative Zäsur bilden, und sieht sich hierin durch die Beratungen des Fünften Strafrechtsreformgesetzes bestätigt, aus denen es zitiert: „Daß in der gesamten späteren Entwicklung keine diesem Vorgang entsprechende Zäsur mehr festzustellen sei, ist die ganz überwiegende Auffassung in der medizinischen, anthro­ pologischen und theologischen Wissenschaft […]“227. Ausdrücklich dahinstehen lässt es das BVerfG, ob bereits ein früherer Zeitpunkt, wie der Abschluss der Fertilisation (der Befruchtung der Eizelle), den Beginn einer kontinuierlichen Entwicklung markiert. Insofern stellte es eine nachvollziehbare Behauptung dar, dass auch die im Zusammenhang mit der Implantation und Individuation erfolgenden Zelldifferenzierungen die Kontinuität der Entwicklung nicht in Frage stellen, sondern vielmehr Bestandteil dieser kontinuierlichen Entwicklung sind228: Denn mit der Fertilisation229 ist der Embryo eine „funktionelle, sich selbst organisierende und differenzierende Einheit“230, die über einen eigenen Stoffwechsel verfügt 226  Zu den verschiedenen möglichen Identitätsbeziehungen s. oben Seite 82–96 [1. b) bb)]. Zu einer Aufzählung möglicher qualitativer Zäsuren s. auch Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 1 (4); Starck, JZ 2002, 1065 (1068 f.). 227  So der Bericht des Sonderausschusses für die fünfte Strafrechtsreform; BTDrs. 7 / 1981 neu, 5; zit. v. BVerfGE 39, 1 (40). 228  So auch Heuermann / Kröger, MedR 1989, 168 (173); Starck, JZ 2002, 1065 (1067). 229  Die Besonderheiten extrakorporaler Befruchtung und Entwicklung im Rahmen von Reproduktionsmedizin oder zum Zwecke der Stammzellgewinnung müssen hier außen vor bleiben. 230  Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (83).



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und deren weitere Entwicklung unaufhaltsam fortschreitet, sofern ihr nicht die geeigneten Umgebungsbedingungen entzogen werden231. Die Möglichkeit zu Zelldifferenzierungen ist damit bereits in der befruchteten Eizelle angelegt und wird in den folgenden Entwicklungsstufen von dieser nur noch verwirklicht. Zwischen der Fertilisation und den nachfolgenden Entwicklungsstufen könnte damit nachvollziehbar ein qualitativer Unterschied behauptet werden, der auf die Fertilisation als maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn individuellen menschlichen Lebens hinwiese und die folgenden Entwicklungsstufen nur als Vollzug der mit der Fertilisation entstandenen Möglichkeiten zur weiteren Entwicklung charakterisierte232. Auf der Suche nach dem Beginn individuellen menschlichen Lebens würde so die Einheit eines sich selbst organisierenden Systems zur Individualitätsvoraussetzung erhoben. 4. Die unentschiedene pränidative Entwicklungsphase

Das BVerfG hat sich mithin auf unterschiedliche Argumente berufen, um eine Teilhabe bereits des ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu begründen. Nachdem sich in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch Anklänge für eine Schutzwürdigkeit fanden, die durch das Potenzial des Ungeborenen zur Ausbildung von Lebensinteressen vermittelt werden soll, haben sich seine Ausführungen in der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung auf eine Argumentation mit der biologischen Zugehörigkeit des Ungeborenen zur menschlichen Gattung (Speziesismus) wie auch der Kontinuität der menschlichen Entwicklung fokussiert. Wie die Aufzählung verschiedener qualitativer Zäsuren, die den Beginn eines schutzwürdigen Kontinuums kennzeichnen könnten, gezeigt hat, hat es das „Ob“ des grundrechtlichen Ungeborenenschutzes damit fraglos entschieden, den Beginn jenes Grundrechtsschutzes aber nicht abschließend definieren wollen. 231  Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (83); so auch Limbeck, Embryonenschutzgesetz, 175 u. 186 f. Christ und Wachtler weisen allerdings daraufhin, dass der Zellkern der Zygote und damit das embryonale Genom noch genetisch inaktiv ist, sodass die ersten Phasen der Embryonalentwicklung vom mütterlichen Genom gesteuert werden. Diese Phase der genetischen Inaktivität des embryonalen Genoms ist allerdings schon im Zwei- bis Vierzellstadium beendet; Christ / Wachtler, Embryologie, 23. 232  Baumgartner / Rager, in: Rager, Würde des Menschen3, 11 (14); Höfling, FAZ v. 10.07.2001, 8, Sp.  5; Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (117); May, Fortpflanzungsmedizin, 129; Müller-Terpitz, ZfL 2006, 34 (36); Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (82 u. 104). Vgl. auch oben Seite  85–90 [1. b) bb) (2)] zu einer genetischen Identitätsbeziehung (Potenzialitäts- und Identitätsargument).

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

Den Spielraum, durch den sich das BVerfG in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen einer Stellungnahme zur grundrechtlichen Schutzwürdigkeit pränidativen ungeborenen Lebens enthalten konnte, bot ihm die mangelnde Entscheidungserheblichkeit jener Lebensphase, wie das Gericht in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung ausdrücklich verlauten ließ: „Gegenstand der angegriffenen Vorschriften ist der Schwangerschaftsabbruch, vor allem die strafrechtliche Regelung; entscheidungserheblich ist daher nur der Zeitraum der Schwangerschaft. Dieser reicht nach den – von den Antragstellern unbeanstandeten und verfassungsrechtlich unbedenklichen – Bestimmungen des Strafgesetzbuches vom Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter (Nidation; vgl. § 218 Abs. 1 Satz  2 StGB […]) bis zum Beginn der Geburt (vgl. § 217 StGB […])“233. Die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens war durch das BVerfG mithin nur für denjenigen Zeitraum einer Klarstellung zuzuführen, in der ein Schwangerschaftsabbruch zur Disposition steht. Nach dem Strafgesetzbuch handelt es sich dabei um die postnidative Phase des mensch­ lichen Lebens, d. h. um diejenige Phase der vorgeburtlichen Entwicklung, die erst mit der Einnistung des Embryos in der Gebärmutterschleimhaut der Schwangeren beginnt. Für die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens vor diesem Zeitpunkt hat das Gericht zweifelsohne Hinweise gegeben, musste jedoch keine bindenden Aussagen treffen234. Gelegen kam dem BVerfG dieser Mangel an Entscheidungserheblichkeit insofern, als es sich eines abschließenden empirischen Sachurteils über den biologischen Lebensbeginn, vor allem aber eines abschließenden normativen Werturteils über den grundrechtlichen Lebensbeginn enthalten konnte und diesbezügliche Unsicherheiten nicht zu beseitigen hatte. a) Das unentschiedene empirische Sachurteil So hatten sich mit den Fortschritten der Reproduktionsmedizin zwar bereits zum Zeitpunkt der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung die Kenntnisse über das Potenzial des menschlichen Lebens vor seiner Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut erweitert. Insofern überrascht es nicht, wenn sich das BVerfG ebenda zum Beginn menschlichen Lebens nicht nur aus normativer, sondern auch aus biologisch-deskriptiver Sicht äußert: „Es bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob, wie es Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie nahelegen, menschliches Leben be233  BVerfGE

88, 203 (251). auch May, Fortpflanzungsmedizin, 124 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 142 u. 144. 234  So



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reits mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht“235. Einer solchen Einschätzung hatte sich das Gericht in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch enthalten. Nunmehr also zeigt das Gericht seine Bereitschaft, jedenfalls aus biologisch-deskriptiver Sicht einen menschlichen Lebensbeginn mit Abschluss der Fertilisation für „nahe liegend“236 zu befinden. Diese Einschätzung korrespondiert mit dem am 01.01.1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz, dessen Schutzobjekt gemäß § 8 Abs. 1 der Embryo in vitro – ungeborenes Leben noch vor seiner Einnistung im Mutterleib – ist237. Sie findet auch seitens der Human­ embryologie Zustimmung, wenn etwa Ronan O’Rahilly, Begründer der zur Einteilung der Embryonalperiode verwendeten Carnegie-Stadien, in seinem Referenzwerk „Human Embryology and Teratology“ schreibt: „Although life is a continuous process, fertilization […] is a critical landmark because, under ordinary circumstances, a new, generally distinct human organism is formed when the chromosomes of the male and female pronuclei blend in the oocyte. […] Despite the various embryological milestones, however, development is a continuous rather than a saltatory process, and hence the selection of prenatal events would seem to be largely arbitrary“238. Damit hat O’Rahilly aus seinen jahrzehntelangen Studien der Entwicklung des menschlichen Embryos ein Fazit gezogen und Stellung bezogen zu der Frage, wann menschliches Leben – aus embryologischer Sicht – beginnt. Den entscheidenden qualitativen Sprung sieht er in der Fertilisation, mit welcher ein neues, humanspezifisches und zugleich individuelles Genom entsteht. Auf die Fertilisation folge eine kontinuierliche pränatale Entwicklung, in der alle Ereignisse gleichwertig sind: Ein jedes ist notwendige Voraussetzung des folgenden, ein jedes die zwingende Folge der vorangehenden. Bildete allein der biologische Lebensbeginn die Voraussetzung, damit der Grundrechtsschutz nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG greift, hätte das Gericht im Anschluss an jene Einschätzung einen menschlichen Lebensbeginn mit Ab88, 203 (251); Hervorhebung nicht im Original. in Anlehnung an das vorangegangene Zitat des BVerfG (E 88, 203 [251]) gewählt. 237  Gesetz zum Schutz von Embryonen v. 13.12.1990, BGBl. I, Nr. 69 v. 19.12.1990, 2746. Zum Inkrafttreten s. § 13 ESchG. 238  O’Rahilly / Müller, Embryology3, 8. In dt. Übersetzung: „Obwohl das Leben ein kontinuierlicher Prozess ist, stellt die Fertilisation einen entscheidenden Meilenstein dar, weil unter normalen Umständen ein neuer, genetisch distinkter mensch­ licher Organismus gebildet wird, wenn die Chromosomen des männlichen und des weiblichen Vorkerns in der Oozyte verschmelzen. […] Ungeachtet der verschiedenen embryologischen Meilensteine folgt die Entwicklung einem eher kontinuierlichen denn saltatorischen Verlauf, und infolgedessen würde das Herausgreifen bestimmter pränataler Ereignisse weitgehend als willkürlich erscheinen“. 235  BVerfGE 236  Begriff

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

schluss der Fertilisation auch aus grundrechtlicher Sicht für „nahe liegend“239 befinden müssen. b) Das unentschiedene normative Werturteil Jedoch: Das Gericht hat nicht bereits dem menschlichen Leben die Teilhabe am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zugesprochen. Das empirische Sachurteil über die Existenz menschlichen Lebens erfuhr stattdessen seine Ergänzung durch ein normatives Werturteil des Inhalts, dass schutzwürdig nur ein menschliches „Individuum“ sein solle: Diesbezüglich spricht das BVerfG vom „Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums“240 und stellt klar, dass „jedes Leben besitzende menschliche Individuum“241 vom objektiven Schutzgehalt grundrechtlicher Garantien erfasst sein soll. Der Teilhabe am grundrechtlichen Lebensschutz genügt demnach nicht bereits der biologische Lebensbeginn, der nach heutigem Erkenntnisstand der Humanembryologie mit dem Entwicklungsstadium der Fertilisation gleichgesetzt wird242. Darüber hinaus setzt das BVerfG stattdessen Individualität voraus, damit menschliches Leben durch das Grundgesetz Schutz erfährt. Das empirische Sachurteil über den biologischen Lebensbeginn erfährt seine Ergänzung durch ein normatives Werturteil über die Individualität als Voraussetzung des Lebensschutzes243. Jene Individualität hat es in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung dergestalt definiert, dass sie ein „in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben“244 voraussetze. Eine als schutzwürdig erkannte Individualität menschlichen Lebens konstituierte sich demnach aus der Festlegung des Genoms wie aus dem Ausschluss der Mehrlingsbildung. Indem das BVerfG überdies den Beginn individuellen Lebens jedenfalls mit dem 14. Tag nach der Empfängnis datiert hat, ist eine dritte mögliche Individualitätsvoraussetzung in Erscheinung getreten: die Differenzierung der Zellen des Embryonalkörpers von denjenigen der ernährenden und schüt239  Begriff in Anlehnung an das vorangegangene Zitat des BVerfG (E 88, 203 [251]) gewählt. 240  BVerfGE 39, 1 (37); Hervorhebung nicht im Original. 241  BVerfGE 39, 1 (37); Hervorhebung nicht im Original. 242  Siehe oben Seite  107 [a)] u. ebenso bereits auf Seite  87 [1. b) bb) (2)]. 243  Dies verkennt Hoerster, Abtreibung2, 165, wenn er der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung meint entnehmen zu können, wie der grundrechtlichen Schutzwürdigkeit des Lebens gemäß der Postulatio des BVerfG allein der biologische Existenzbeginn vorausgesetzt ist. 244  BVerfGE 88, 203 (251 f.).



Abschn. 1: Verfassungsrechtlicher Diskurs

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zenden Hüllen, die sich mit Abschluss der Nidation vollzogen hat245. Weil Fertilisation, Nidation und Individuation, die das BVerfG als mögliche Individualitätsvoraussetzungen vorstellt, mithin zeitlich auseinander- statt zusammenfallen, hätte es einer normativen Entscheidung darüber bedurft, welche dieser Voraussetzungen schutzwürdige Individualität begründen soll oder ob sie gar kumulativ erfüllt sein müssen, um den Beginn grundrechtlichen Lebensschutzes zu markieren. Dieser normativen Entscheidung hat sich das BVerfG jedoch entzogen, indem es sich einer „Jedenfalls-Formel“ bedient hat, die unterstellt, dass jedenfalls am 14. Tag nach der Empfängnis die Individualitätsvoraussetzungen genetischer Identität und embryonaler Unteilbarkeit gleichermaßen erfüllt seien. c) Gegen einen Schutz „in dubio pro vita“ Angesichts jenes normativen Werturteils, das für die pränidative Lebensphase unentschieden geblieben ist, könnte man nun in Erwägung ziehen, über den Beginn des grundrechtlichen Lebensschutzes tutioristisch zu entscheiden, nämlich dem „benefit of the doubt argument“ zu folgen246: Demnach ist bei nicht behebbaren Zweifeln an der Gefährlichkeit einer Handlung dem Prinzip zu folgen, dass man sich so verhalten müsse, als läge die Gefahr vor247. Hieraus könnte man folgern, dass Zweifel über den Beginn schutzwürdigen individuellen Lebens quasi „in dubio ‚pro vita‘ “248 entschieden werden müssten, so dass es vom frühestmöglichen Zeitpunkt an unter die grundrechtlichen Garantien zu subsumieren und vor potenziell gefährlichen Handlungen zu schützen sei249. Entsprechend wird es auch als vorherrschende Ansicht bezeichnet, dass schutzwürdiges Menschsein entsprechend seiner kontinuierlichen Entwicklung, jedenfalls aber aus einem tutioristischen Blickwinkel heraus, bereits mit der Zeugung beginne. In diese Richtung scheint zunächst auch der verfassungsgerichtliche Hinweis zu deuten, dass eine „extensive Auslegung […] dem in der Rechtspre245  Vgl.

oben Seite  104 [3.]. den unterschiedlichen Begrifflichkeiten u. unter Formulierung eines alternativen Begriffs vom „Vorsichtsargument“ s. Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (250). 247  Baumgartner et al., in: Rager, Würde des Menschen3, 333 (428); Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (253); Knoepffler, Forschung, 119. 248  Lehmann in Die Zeit v. 17.01.2008, 10, u. in Zeit-Online v. 01.10.2009. 249  Siehe dazu Baumgartner et al., in: Rager, Würde des Menschen3, 333 (428); Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 84; Leisner in NLpB, Recht auf Leben, 9 (22); May, Fortpflanzungsmedizin, 122 f.; Pap, Extrakorporale Befruchtung, 241 f.; krit. Knoepffler, Forschung, 121 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 220 f.; Schroth, JZ 2002, 170 (176). 246  Zu

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

chung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Grundsatz [entspricht], ‚wonach in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet‘ “250. Nicht außer Acht gelassen werden darf jedoch, dass sich das Gericht in diesem Zusammenhang auf solche Entscheidungen seiner früheren Rechtsprechung beruft, die besagten Grundsatz nur zur Bestätigung eines bereits anderweitig erlangten Auslegungsergebnisses verwendet haben. So hat die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in BVerfGE 32, 54 etwa bereits dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und der geschichtlichen Ratio des Art. 13 GG entnommen, dass von seinem Schutzbereich nicht nur Wohnräume, sondern auch Betriebs- und Geschäftsräume erfasst sein sollen251. Lediglich bestätigend ergänzt das BVerfG: „Nur die weite Auslegung wird auch dem Grundsatz gerecht, wonach in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet […]“252. Ebenso hat die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in BVerfGE 6, 55 bereits dem Wortlaut, der Systematik und vor allem der Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 1 GG entnommen, dass der Wirkungsbereich jener Schutzvorschrift für Ehe und Familie nicht nur eine Einrichtungsund Institutsgarantie beinhalte, sondern auch eine wertentscheidende Grundsatznorm treffe253. Der Grundsatz, dass „derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben [ist], ‚die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet‘ “254, vermag hier wiederum nur ein bereits anderweitig erzieltes Auslegungsergebnis zu unterstützen, nicht aber einen noch gar nicht unternommenen Auslegungsversuch zu ersetzen. Insofern unterscheiden sich die angeführten Beispiele aus der Rechtsprechung des BVerfG von der verfassungsgerichtlich nicht entschiedenen Schutzwürdigkeit der pränidativen Lebensphase. Bezüglich dieses frühen Lebensschutzes hat das BVerfG nur verschiedene Hinweise gegeben, die für oder auch gegen einen Schutz sprechen, der noch vor Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut einsetzt. Einer Entscheidung zwischen diesen verschiedenen – noch dazu widerstreitenden – Hinweisen hat es sich jedoch mit Blick auf die mangelnde Erheblichkeit für seine Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen enthalten können. Brächte man an dieser Stelle eine Argumentation zur Verwendung, die „im Zweifel zugunsten des pränidativen Lebens“ bzw. „im Zweifel zugunsten eines Lebensschutzes vom frühest250  BVerfGE 39, 1 (38); s. dazu auch BVerfGE 32, 54 (71), u. BVerfGE 6, 55 (72). Eine weite Auslegung des Schutzgegenstands entnehmen dem z. B. Giwer, PID, 78 f.; Höfling, FAZ v. 10.07.2001, 8, Sp.  2 a. E. 251  Siehe dazu BVerfGE 32, 54 (69–71). 252  BVerfGE 32, 54 (71). 253  Siehe dazu BVerfGE 6, 55 (72–76). 254  BVerfGE 6, 55 (72).



Abschn. 1: Verfassungsrechtlicher Diskurs111

möglichen Zeitpunkt“ an streitet, unterstützte man nicht nur eine bereits anderweitig erlangte weite Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sondern ersetzte eine noch gar nicht unternommene Auslegung. Dass dies nicht Sinn und Zweck der Anwendung eines Zweifelssatzes ist, zeigt auch ein Vergleich mit der Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ im Strafrecht, der nur über Zweifel bezüglich des tatsächlichen Sachverhalts, nicht aber über Zweifel bezüglich der rechtlichen Würdigung eines eindeutig festgestellten Sachverhaltes hinwegzuhelfen vermag: Verbleibende Zweifel in Rechtsfragen können nicht nur, sondern müssen gar durch das Gericht ausgeräumt werden („iura novit curia“)255. So mag das Gericht zwar Zweifel über das tatsächliche Datum der Individuation – des Ausschlusses der Mehrlingsbildung – „in dubio pro embryone“ auflösen, weil jenes Datum eine Sachverhaltsfrage darstellt256. Die rechtliche Würdigung der verschiedenen pränatalen Entwicklungsschritte kann ihm jedoch nicht unter Anwendung eines Zweifelsatzes abgenommen werden, sondern bleibt unweigerlich seiner normativen Entscheidung vorbehalten257. Festzuhalten bleibt mithin, dass die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen für die pränidative Phase darauf verzichtet haben, den Wert des ungeborenen Lebens nach dem Grundgesetz zu bestimmen. Diesbezüglich hat das BVerfG dem einfachen Gesetzgeber – anders als für die postnidative Phase des ungeborenen Lebens – keine Bindungen an eine grundrecht­ liche Wertung auferlegt, sondern hat ihm die Konkretisierung des Werts des ungeborenen Lebens in seinen pränidativen Entwicklungsstadien überantwortet. II. Der Schutz des ungeborenen Lebens nach Art. 1 Abs. 1 GG Gleiches – in Argumentation wie Ergebnis – wird nun für den grundrechtlichen Schutz der Würde gelten müssen. Ähnlich der Diskussion um den grundrechtlichen Lebensschutz, innerhalb derer unterschiedlich eine „Leistung“ (aktualisierte oder potenzielle Interessenfähigkeit) oder bereits der Reichweite des In-dubio-Grundsatzes s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 804. diesbzgl. Datierung „in dubio pro embryone“ s. oben Seite  95 [1. b) bb) (4)]; krit. zu einer Anwendung der tutioristischen Argumentation auf empirische Zweifelsfragen aber Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 250. 257  In diesem Sinne auch Hilgendorf, MedR 1994, 429 (432): „Ab welchem Zeitpunkt und in welchem Maße der Fötus schutzwürdig ist, ist […] kein Problem der Erkenntnis, sondern allein von menschlichen Entscheidungen abhängig“; Hervorhebungen aus dem Orig. übernommen. Zu einem Vorrang der „herkömmlichen Interpretationselemente“ vgl. auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 221: Weil eine extensive Schutzbereichsbestimmung geeignet ist, auch die grundrecht­ lichen Positionen anderer (im Kollisionsfall) einzuschränken, dürfe die Entscheidung darüber keiner pauschalen Auslegungsregel überantwortet werden. 255  Zur 256  Zur

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

„Eigenwert“ des menschlichen Lebens (biologische Zugehörigkeit zu einer Gattung, für die eine Interessensfähigkeit wesenstypisch ist) herangezogen wird, um die Schutzwürdigkeit der physischen Existenz menschlichen Lebens zu begründen, werden auch bei der Auslegung des Menschenwürdebegriffs von jeher Leistungs- und Wertkonzeptionen unterschieden, die verschiedentlich eine „Leistung“ oder einen „Eigenwert“ des menschlichen Lebens bemühen, um einen Würdeschutz zu formulieren. 1. Die Ablehnung von Interessenschutz und Leistungskonzeptionen

Hierzu finden sich in der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung – wie bereits erwähnt – zunächst noch Anklänge dafür, dass das Gericht das ungeborene Leben in seiner Potenzialität hat schützen wollen: „Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen“258. Zu Zeitpunkten, zu denen noch keine Lebens- bzw. Würdeinteressen aktualisiert sind, in denen das Ungeborene verletzt werden könnte, soll es bereits in seinem Potenzial, in seiner weiteren Entwicklung solche Interessen herauszubilden, Schutz erfahren. Dass hierauf jedoch jedenfalls grammatikalisch in der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung eine Abkehr vom Potenzialitätsargument erfolgt ist, haben die vorangegangenen Ausführungen zur objektiven Teilhabe am Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ebenfalls bereits dargelegt: nicht erst zum Menschen i. S. d. Potenzialitätsarguments, sondern als Mensch i. S. d. Kontinuitätsarguments entwickle sich das Ungeborene259. Diese Abkehr wahrt den kulturellen Hintergrund des Grundgesetzes, der in Reaktion auf die deutsche nationalsozialistische Vergangenheit verbietet, dass menschlichem Leben – unter Bezugnahme auf bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten – eine unterschiedliche Wertigkeit zugesprochen wird. Weil vor diesem Hintergrund eine Differenzierung zwischen menschenwürdigem und menschenunwürdigem Leben – ebenso wie die zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben – unhaltbar wäre, muss die Menschenwürde – ebenso wie der Lebensschutz – unabhängig vom Vorliegen bestimmter Fähigkeiten jedermann zukommen260. Mit Blick darauf verbietet sich auch eine Auslegung des Menschenwürdebegriffs i. S. d. sog. Leistungskonzeptionen, nach denen Menschenwürde etwas zu Erlangendes statt dem Menschen immer schon Gegebenes ist. Wenn die Leistungskonzeptionen Menschenwürde als etwas verstehen, das in einem gelingenden Prozess der Identitätsbildung und Selbstdarstellung 39, 1 (41); Hervorhebung nicht im Original. BVerfGE 88, 203 (252). Siehe dazu auch bereits oben Seite 97 f. [I. 1. c)]. 260  Vgl. dazu oben Seite  98 [I. 1. c)]. 258  BVerfGE 259  Vgl.



Abschn. 1: Verfassungsrechtlicher Diskurs113

erst gewonnen werden müsste, machen sie den Würdeschutz gar nicht nur von einer potenziellen, sondern gar von einer aktualisierten Fähigkeit abhängig261. Dies aber lässt sich mit der grundrechtlichen Garantie der Menschenwürde nicht vereinbaren, denn: „Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status“262. 2. Der Schutz eines Eigenwerts auch nach den Wertkonzeptionen

Alternativ hat sich das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen einer Argumentation zugewendet, die menschliches Leben losgelöst von seinen individuellen Fähigkeiten für schutzwürdig befinden will. Grundrechtlichen Schutz soll das einzelne ungeborene Leben bereits in seinem „Menschsein“ erfahren, allein weil es einer Spezies biologisch zugehörig ist, die sich durch Fähigkeiten des Ich- und Zukunftsbewusstseins auszeichnet (modifizierter Speziesismus)263. Ebenso wird allein das menschliche Leben des Einzelnen – mit prinzipieller (nicht aktueller) Fähigkeit zur vernünftigen Selbstbestimmung – zur Voraussetzung einer objektiven Teilhabe an der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG erhoben: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu“264. Weil zum menschlichen Leben auch das ungeborene gehört265, nimmt mithin auch das ungeborene menschliche Leben am objektiven Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG 261  Für eine leistungsorientierte Def. der Menschenwürde s. Luhmann, Grundrechte5, 68 f.; erläuternd zu den sog. Leistungskonzeptionen: Dederer, in: Beck / Thies, Moral und Recht, 125 (137); Dolderer, Spätabbruch, 48 f.; Heuermann / Kröger, MedR 1989, 168 (172); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 310 f.; Rohrer, Menschenwürde, 40 f.; Tornow, Art. 1 Abs. 1 GG, 85. 262  BVerfGE 115, 118 (152); vgl. BVerfGE 87, 209 (228); 96, 375 (399); ein leistungsorientiertes Würdekonzept ebenfalls abl.: Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 311 m. w. N. u. 341. Vergleichbarer Kritik setzte sich die zur Auslegung des Schutzbereichs des Art. 1 Abs. 1 GG vertretene Kommunikationstheorie aus, die die Würde des einzelnen Menschen zwar nicht nach seiner Leistung, aber in Abhängigkeit von einem Akt der Anerkennung bestimmen will (Hofmann, AöR 1993, 353 [369 u. 374–377]; zsfd. Dolderer, Spätabbruch, 49–52; Müller-Terpitz, a. a. O., 314 f.; Rohrer, Menschenwürde, 41); krit. Müller-Terpitz, a. a. O., 317; Paul, Möglichkeiten, 48; schließlich Rohrer, a. a. O., 64, der jene „Nähe“ zu den Leistungstheorien durch die Formulierung einer wert- statt leistungsorientierten Ausprägung der Kommunikationstheorie zu überwinden sucht (a. a. O., 78 f.). 263  Siehe oben Seite  99 [I. 2.] u. s. ferner dazu Merkel, Früheuthanasie, 470. 264  BVerfGE 88, 203 (252); ebenso BVerfGE 39, 1 (41); in diesem Sinne auch Graf Vitzthum, MedR 1985, 249 (252). 265  In Anlehnung an BVerfGE 88, 203 (251): „Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene“.

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

teil266. Den Grund für die Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens entnimmt der Speziesismus mithin weder aktualisierten Interessen noch auch nur einem entsprechenden Potenzial. Stattdessen erstreckt er die speziestypischen Eigenschaften auf alle Angehörigen der Gattung Mensch und sieht dies in einer Gattungssolidarität oder auch in der christlichen Schöpfungslehre, nach welcher der Mensch das Ebenbild Gottes ist, begründet267. Diesem Schutzgrund begegnet man auch in den Wertkonzeptionen268 zum Menschenwürdebegriff, nach denen der besondere Wert des Menschseins auf dessen Vernunft, Geistigkeit und Fähigkeit zu sittlicher Autonomie zurückgeht, die ihn von einem ausschließlich kausal determinierten Natur- und Triebwesen abgrenze. Auch diese Wertkonzeptionen berufen sich mitunter auf die der christlichen Schöpfungslehre entnommene Imago-dei-Vorstellung. Geschaffen als Ebenbild Gottes269, sollen allein die Angehörigen der menschlichen Gattung über Geist, Verstand und freien Willen verfügen und ob jener Sonderstellung einen unverfügbaren Eigenwert innehaben. Ähnlich argumentieren nicht christlich, sondern humanistisch-aufklärerisch begründete Wertkonzeptionen, die sich vornehmlich auf die Rechtsphilosophie Kants berufen, um die Würde des Menschen aus dessen Vernunft, Freiheit und Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung kraft seines autonomen Willens abzuleiten. Nicht der bloße Instinkt, sondern soziale Orientierungen und mit ihnen ein Wille zur Verantwortung bestimmten das Tun des Menschen: Der Mensch habe kraft der ihm zukommenden Autonomie und Vernunftbestimmtheit die Möglichkeit, sich in Freiheit einem Gesetz zu unterwerfen. Causa der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG sei eben diese sittliche Autonomie270. Dass die mangelnde Aktualisierung jener Voraussetzungen 266  „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu“; BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 1). 267  Siehe oben Seite  99 [I. 2.]. 268  Auch Mitgifttheorien genannt; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 309; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 369; Zaar, Menschenwürde, 41. 269  Die Bibel, Genesis 1, 27: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn […]; ähnl. bereits Vers 26. 270  Erläuternd zu christlich oder humanistisch-aufklärerisch begründeten Wertkonzeptionen u. a.: Böckenförde-Wunderlich, PID, 148 f.; Dederer, in: Beck / Thies, Moral und Recht, 125 (136 f.); Dolderer, Spätabbruch, 47 f.; Dreier, in: ders., GG-K / I2, Art.  1 Abs. 1 Rn. 55 m. Rn. 5 f. u. Rn. 11 f.; Heuermann / Kröger, MedR 1989, 168 (171); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 295 (zur christlichen Begr.), 298–302 (zur humanistisch-aufklärerischen Begr.) u. 309 (zu deren Niederschlag in den Werttheorien); Rohrer, Menschenwürde, 39 i. V. m. 32 f. u. 35 f.; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-K / 16, Art. 1 Abs. 1 Rn. 5 f.; Graf Vitzthum, MedR 1985, 249 (251); Wetz, in: Kettner, Biomedizin, 221 (228). Zu deren (ggf. eingeschränkter) Geltungskraft in einem säkularisierten Staat s. Dederer, a. a. O., 125 (132–134); Heuermann / Kröger, a. a. O., 168 (170 f. u. 172); Starck, a. a. O., Art. 1 Abs. 1 Rn. 7; krit. Dolderer, a. a. O., 48; Dreier, a. a. O., Art. 1 Abs. 1 Rn. 7 f. u. 13;



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schließlich auch nach den Wertkonzeptionen einer Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Menschenwürdegarantie nicht abträglich sein kann271, zeigt sich – wie auch schon zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – in der geschicht­ lichen Ratio des Art. 1 Abs. 1 GG: Denn würde an eine solche fehlende Aktualisierung die Versagung der Menschenwürdegarantie angeknüpft, würde dem Staat zuerkannt, per definitionem Würde zu versagen272. Nach den Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Regime soll die Menschenwürde aber gerade gegenüber einer solchen Allmacht des Staates gesichert werden273. Zu jenem Schutz eines Eigenwerts jedes Angehörigen der menschlichen Gattung tritt nicht nur für den grundrechtlichen Lebensschutz, sondern auch für die Würdegarantie eine Argumentation mit der Kontinuität der menschlichen Entwicklung274: Weil und soweit die menschliche Entwicklung keine qualitativen Zäsuren aufweise – qualitativ in dem Sinne, dass sie den Übergang zu einem nach allgemeiner Ansicht schutzwürdigen Menschen kennzeichnen könnte –, müsse der Grundrechtsschutz auf alle Stadien dieser kontinuierlichen Entwicklung erstreckt werden (Kontinuitätsargument)275. Nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung vollzieht sich jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis an – bzw. auf der Ereignisebene vom Abschluss der Nidation und Individuation an – ein solcher „kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zuläßt“276. Aus jener biologischen Kontinuität folgert das Gericht auf ein Gebot der normativen Gleichbehandlung, wenn es ausführt, dass jedenfalls von dem besagten Zeitpunkt an „zwischen einzelnen Abschnitten des sich Müller-Terpitz, a. a. O., 305 f.; Rohrer, Menschenwürde, 63; Wetz, in: Kettner, Biomedizin, 221 (230 f.); Zaar, Menschenwürde, 45 f. 271  So ausdrückl. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 309. 272  Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG-K / 16, Art. 1 Abs. 1 Rn. 18; so auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 344: „streng formales Differenzierungsverbot“. 273  Vgl. dazu Böckenförde-Wunderlich, PID, 162 u. 165; Dreier, in: ders., GG-K / I2, Art.  1 Abs. 1 Rn. 16 u. 22; Heuermann / Kröger, MedR 1989, 168 (173); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 304 u. 340; Starck, in: v.  Mangoldt / Klein / Starck, GG-K / 16, Art. 1 Abs. 1 Rn. 1 u. 10; Graf Vizthum, MedR 1985, 249 (252). Zur dt. nationalsozialistischen Vergangenheit als kultureller Hintergrund des grundrechtlichen Schutzkonzepts s. auch bereits oben Seite 78 [I. 1. b) aa) (1)] m. Fn. 110 m. w. N. 274  Zum Niederschlag von Spezies- und Kontinuitätsargument in einer teleologischen, an den Werttheorien orientierten Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG vgl. auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 341–345. 275  Siehe oben Seite  102 f. [I. 3.]; dort jedoch auch zu möglichen qualitativen Zäsuren, die den Beginn jener schutzwürdigen Kontinuität kennzeichnen könnten. 276  BVerfGE 39, 1 (37).

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben […] kein Unterschied gemacht werden“ könne277. Nicht nur für den grundrechtlichen Lebensschutz, auch für die Würdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG soll diese Schlussfolgerung Geltung beanspruchen: „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Persönlichkeit“278. 3. Parallele Unentschiedenheit der pränidativen Entwicklungsphase

Jedenfalls ab dem 14. Tage nach der Empfängnis sichert das Grundgesetz also nicht nur die physische Existenz des ungeborenen Lebens, sondern schützt es folgerichtig auch in seiner Würde. Über die pränidative Lebensphase ist demgegenüber sowohl für den Lebens- als auch für den Würdeschutz nicht entschieden worden. Unter Hinweis auf die mangelnde Entscheidungserheblichkeit der pränidativen Phase279 hat sich das BVerfG stattdessen mögliche qualitative Zäsuren vorbehalten, die den Beginn nicht nur menschlichen, sondern individuellen Lebens markieren könnten und insofern bestimmend für den Beginn einer Teilhabe am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wie des Art. 1 Abs. 1 GG wären280. Insofern harrt die pränidative Lebensphase noch einer verbindlichen verfassungsgerichtlichen Stellungnahme, wenn auch etwa Ernst Benda, ehemaliger Präsident des BVerfG, befunden hat, dass es „jedenfalls in der Logik der Rechtsprechung des BVerfG“ liege, den Achtungsanspruch der Menschenwürde auch auf die Entwicklungsstadien vor der Nidation zu übertragen281. Physische Existenz wie Würde des frühen menschlichen Lebens bleiben in ihrer Schutzwürdigkeit noch einer Entscheidung des einfachen Gesetzgebers überantwortet, der diesbezüglich an keine grundrechtlichen Wertungen gebunden ist. 277  BVerfGE

39, 1 (37). 88, 203 (251). 279  Krit. dazu Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 55 f. 280  Siehe dazu bereits oben Seite  105–109 [I. 4.] und BVerfGE 88, 203 (251 f.). 281  Siehe dazu und vorstehendes Zitat aus Benda, NJW 2001, 2147 (2148); ferner Beckmann, in: ders. / Löhr, Status, 170 (173 m. Fn. 16); Dederer, AöR 2002, 1 (7); Schulz, MedR 2002, 404 (405); Sendler, NJW 2001, 2148 (2148); insofern zust. auch Merkel, Forschungsobjekt, 56 f. In diesem Sinne hat auch der ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde, SZ v. 16.05.2001, 11, Sp. 2, die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung so gedeutet, als habe sie „vom Argument […] her“ bereits die Befruchtung mit dem Beginn des grundrechtlichen Lebensschutzes identifiziert; so auch Faßbender, NJW 2001, 2745 (2748); dazu May, Fortpflanzungsmedizin, 125 m. Fn. 472; krit. aber (mit Blick auf BVerfGE 88, 203) Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 143 f. 278  BVerfGE



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III. Ausblick Für den Lebens- wie auch für den Würdeschutz haben die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen damit herausgekehrt, dass sie jenseits von aktualisierten oder potenziellen Lebensinteressen das individuelle „Menschsein“ und dessen kontinuierliche Entwicklung geschützt sehen wollen. Entsprechend dem kulturellen Hintergrund des Grundgesetzes, nach dem jegliche Differenzierungen zwischen lebenswertem und lebensunwertem, menschenwürdigem und menschenunwürdigem Leben ausgeschlossen werden müssen, hat es menschliches Leben so losgelöst von seinen (Interessens‑) Fähigkeiten für schutzwürdig anerkennen können. Dies gilt jedenfalls für ungeborenes Leben in seinen postnidativen Entwicklungsstadien ab dem 14. Tage nach der Empfängnis; für die pränidative Lebensphase hat sich das Gericht einer entsprechenden Stellungnahme noch enthalten.

C. WIE ist zu schützen: Die Art des grundrechtlichen Lebens- und Würdeschutzes Wenn also über einen Lebens- und Würdeschutz des ungeborenen Lebens jedenfalls ab dem 14. Tag nach der Empfängnis Einigkeit herrscht, stellt sich in einem zweiten Schritt die anschließende Frage, nach welchen grundlegenden Kriterien es an diesem Schutz Anteil hat. Insofern hat das BVerfG die Einzelheiten des normativen Lebensschutzes unter Formulierung eines Untermaßverbotes zwar dem Gesetzgeber belassen. Dem Schutzpflichtkonzept ist es gerade nicht eigen, bestimmte Regelungen zum Schutz des ungeborenen Lebens für verpflichtend zu erklären. Jedoch muss „ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener Schutz“ verwirklicht werden, der „als solcher wirksam ist“: „Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen […]“282. Wie ein Schutz ausgestaltet sein muss, damit er – wie verlangt – „wirksam“ ist, ist nun eine Sache des positiv-generalpräventiven Diskurses. Wie er ausgestaltet sein muss, damit er auch „angemessen“ ist, das soll im Folgenden noch als Teil des verfassungsrechtlichen Diskurses skizziert werden. Drei grundlegende Kriterien gilt es in diesem Zusammenhang hervorzuheben: Ungeborenes Leben muss in seiner physischen Existenz wie in seiner Würde eigenständig, individuell und gleichwertig geschützt werden. 282  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (254), in diesem Sinne auch a. a. O., 262 f. Zum Untermaßverbot s. auch May, Fortpflanzungsmedizin, 203; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 119–122.

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

I. Der eigenständige Schutz des ungeborenen Lebens Bereits in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung hat das BVerfG einen eigenständigen Schutz des ungeborenen Lebens in seinem Lebensrecht und seiner Menschenwürdegarantie festgestellt: „Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG)“283. Eine eigenständige Einbeziehung des ungeborenen Lebens in deren Schutzgehalt erübrigte sich insbesondere auch nicht aus dem Grunde, dass das ungeborene Leben aufgrund seiner symbiotischen Verbindung mit der Mutter bereits an deren grundrechtlichem Schutz teilnehme284. Denn unabhängig davon, dass das ungeborene Leben und die Mutter trotz ihrer symbiotischen Verbindung zwei eigenständige biologische Organismen darstellen285, könnte eine Partizipation am grundrechtlichen Schutz der Mutter auch keinen Schutz in solchen Fällen gewährleisten, in denen die Schwangere selbst mit Schädigungs- oder Tötungsabsicht auf das symbiotisch mit ihr verbundene Ungeborene einwirkt oder in denen sich auch nur entsprechende Dritteinwirkungen mit ihrem Willen vollziehen und sie auf den Schutz ihrer hierdurch beeinträchtigten Rechte verzichtet286. In den Regelfällen des Schwangerschaftsabbruchs wäre ungeborenes Leben so schutzlos gestellt. Mithin bedarf es eines Schutzes „auch gegenüber der Mutter“287, der aber nur dann verwirklicht werden kann, wenn das Ungeborene als eigenständiges Rechtsgut anerkannt wird. Ebenso muss es ausscheiden, seine Teilhabe am Lebens- und Würdeschutz in dem Sinne von einer „Annahme seitens der Mutter“288 abhängig zu machen, dass das Ungeborene nur dann geschützt würde, „wenn die Mutter sich nicht in der ersten Phase der Schwangerschaft zu seiner Tötung entschlossen hat“289. 283  BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 1 u. ähnl. 36); in diesem Sinne auch BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 1 u. 252). 284  Vgl. BVerfGE 88, 203 (252 f.). Für solche Sachverhalte, in denen der Embryo außerhalb des Mutterleibes erzeugt wird – wie in Sachverhalten der In-vitro-Fertilisation oder des Zellkerntransfers – und es ihm in seinen pränidativen Entwicklungsstadien mithin an einer Verbindung mit dem Mutterleib mangelt, versteht sich dies von selbst: Eine Partizipation an den mütterlichen Grundrechten wüsste das nicht in den mütterlichen Körper eingegliederte Ungeborene bereits aus tatsächlichen Gründen nicht zu schützen; Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 50. 285  Siehe dazu Bodden-Heidrich / Wickler, in: Rager, Würde des Menschen3, 123 (124 ff.); Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 156–158. 286  Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 232; Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 50; Zschiegner, Fristenlösung, 47. 287  BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 2 u. 42); ähnl. BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 3). 288  BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 1 u. 252). 289  BVerfGE 88, 203 (256); vgl. auch a. a. O., 203 (267): „so verbieten sich jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtung mit Blick auf […] die Bereitschaft



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II. Der individuelle Schutz des ungeborenen Lebens Weiter charakterisiert das BVerfG den Ungeborenenschutz als Schutz individuellen menschlichen Lebens, nicht etwa als Schutz des menschlichen Lebens im Allgemeinen, der bloße rechtspolitische Zielsetzung wäre und zu dessen Verwirklichung auch eine quantitative Abwägung von Leben gegen Leben vorgenommen werden könnte: „Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist bezogen auf das einzelne Leben, nicht nur auf menschliches Leben allgemein“290. Ein solcher Schutz, der auf jedes einzelne Leben bezogen ist, schließt es auch aus, dass das ungeborene Leben einer „zahlenmäßigen Abwägung“291 unterworfen würde. Die Tötung einzelner ungeborener Leben dürfte auch dann nicht in Kauf genommen werden, wenn hierdurch eine Mehrzahl unbestimmter ungeborener Leben geschützt werden könnte: „Die pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der Erhaltung der angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens“292. Hierauf wird die Untersuchung maßgeblich anlässlich der Besprechung der einfachgesetzlichen Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB zurückzukommen haben293. III. Der gleichwertige Schutz des ungeborenen Lebens 1. „One Size“

Schließlich führt das Gericht zum Gebot eines gleichwertigen Lebensschutzes näher aus: „Jedes menschliche Leben – auch das erst sich entwickelnde Leben – ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung […] unterworfen werden“294. der Frau, es weiter in sich leben zu lassen“; in diesem Sinne auch Müller-Terpitz, ZfL 2006, 34 (35); ders., Schutz des pränatalen Lebens, 149. Die Gegenansicht vertreten Ursula Nelles in Dt. Bundestag, Zur Sache 92 / 1, 250; Rüpke, Schwangerschaftsabbruch, 139–141; weitere Nw. bei Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 146 f. m. Fn. 66 u. 67; Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 141. 290  BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 2 u. 252); vgl. a. a. O, 257: „die Schutzpflicht des Staates, die gegenüber jedem ungeborenen menschlichen Leben besteht“. 291  BVerfGE 39, 1 (59). 292  BVerfGE 39, 1 (58). 293  So in Kap. 6, Seite  661–664 [Abschn.  2, C. III.]. 294  BVerfGE 39, 1 (59). Vgl. die Beratungen des 5. StrRG (BT-Drs. 7 / 1981 neu, 5), ebenso zitiert von BVerfGE 39, 1 (40): „Das ungeborene Leben ist ein Rechtsgut, das geborenem grundsätzlich gleich zu achten ist“.

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

Diese Gleichwertigkeit präzisiert es – jedenfalls für die postnidative Phase ungeborenen Lebens – weiter: Es „verbieten sich jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtung mit Blick auf Alter und Entwicklungsstand dieses Lebens“295. Das heißt: Das ungeborene menschliche Leben genießt den gleichen Wert wie das geborene Leben. Desgleichen: Das ungeborene mensch­ liche Leben ist in seinen früheren Entwicklungsphasen ebensoviel wert wie in seinen späteren Entwicklungsphasen. Anders ausgedrückt, hat der Mantel des Lebensschutzes, den die Rechtsordnung über menschliches individuelles Leben ausbreitet, quasi die Größe „One Size“: Gleich ob er sich über geborenes oder ungeborenes Leben in seinen früheren und späteren Entwicklungsstufen deckt, hat er stets die gleiche Größe. Derartige Ausführungen müssen nun als deklaratorisch begriffen werden: Nach einheitlicher Auslegung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG sind solche Abstufungen nämlich bereits mit Blick auf den Wortlaut, der keine Anhaltspunkte für die Möglichkeit der Gewährung eines unterschiedlich intensiven Schutzniveaus enthält, ausgeschlossen. Vor allem aber lassen Gesetzesgeschichte und Ratio der Grundrechtsgarantien hierfür keinen Raum: In Reaktion auf die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ durch das nationalsozialistische Regime sollte mit dem Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung errichtet werden, „die den einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt“296 all ihrer Regelungen stellt und „die sich in betonten Gegensatz zu den Anschauungen eines politischen Regimes stellt, dem das einzelne Leben wenig bedeutete und das deshalb mit dem angemaßten Recht über Leben und Tod des Bürgers schrankenlosen Mißbrauch trieb“297. Mit der ausdrücklichen Normierung von Lebensrecht und Menschenwürdegarantie sollte gerade die Möglichkeit gebannt werden, menschliches Leben als mehr oder weniger „lebens- wie würdewert“ zu differenzieren. Soweit vereinzelt eine abweichende Einschätzung getroffen wird und die Lehre dem ungeborenen Leben (im Einklang mit der geltenden Strafgesetzgebung) eben solch einen differenzierten, d. h. nur abgestuften Schutz zubilligen will298, treten entsprechende Autoren in offenen Gegensatz zu eben jener Ratio und zu deren Kon295  BVerfGE 88, 203 (267); zum Verbot einer qualitativen Abwägung des „Fremdwerts“ verschiedener Leben vgl. auch Zimmermann, Fremdtötungen, 34 f. 296  BVerfGE 39, 1 (67). 297  BVerfGE 18, 112 (117); zit. auch v. BVerfGE 39, 1 (36 f.). 298  Vgl. etwa Birnbacher, in: Kettner, Biomedizin, 249 (253 f. u. 259); Dederer, AöR 2002, 1 (17–20); Dreier, ZRP 2002, 377 (378 u. 382): ders., JZ 2007, 261 (267 f. u. 270) m. krit. Erwiderung von Hoerster, JZ 2008, 295 (296); Faßbender, NJW 2001, 2745 (2749); Hilgendorf, MedR 1994, 429 (432); ders., NJW 1996, 758 (761); ders., in: Gethmann / Huster, PID, 175 (177–179, 181 f., 187); Kloepfer, JZ 2002, 417 (420); Paul, Möglichkeiten, 65; entgegen ihrem eigenen Bekunden auch Wirth, Spätabtreibung, 83–87.



Abschn. 1: Verfassungsrechtlicher Diskurs121

kretisierung in der durch das BVerfG verlautbarten Gleichwertigkeitsthese299. Dem vermag man auch keine Abhilfe zu leisten, indem man verschiedentlich zwischen subjektivrechtlich verbürgter Grundrechtsgarantie und objektivrechtlich vermittelter Schutzpflicht differenziert, den präferierten abgestuften Ungeborenenschutz aber nur in der objektiven Verpflichtung des Gesetzgebers statt subjektiven Berechtigung des Embryos bzw. Fetus begründet sehen will300. Insoweit nämlich bildet die (subjektivrechtlich verbürgte) Grundrechtsgarantie den Gegenstand der (objektivrechtlich vermittelten) Schutzpflicht und müssen die Pflicht und ihr Gegenstand stets kongruent definiert werden, will man den Inhalt der grundrechtlichen Garantien nicht über den Umweg der Pflicht unterlaufen. Gehört es also zu den Essentialia des deutschen Grundgesetzes, einen gleichwertigen Lebensschutz zu garantieren, so muss diese Gleichwertigkeit nicht nur subjektiv eingefordert werden können, sondern den Staat auch als objektive Verpflichtung binden301. 2. Gleichwertigkeit statt Gleichartigkeit

Was ist nun die Rechtsfolge einer solchen grundsätzlichen Gleichwertigkeit des ungeborenen Lebens zum geborenen Leben, wie sie hier unter Zugrundelegung der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen skizziert worden ist? Es ist – wie das BVerfG zutreffend feststellt – nicht die Pflicht des Gesetzgebers, „die gleichen Maßnahmen strafrechtlicher Art zum Schutze des ungeborenen Lebens zu ergreifen, wie er sie zur Sicherung des geborenen Lebens für zweckdienlich und geboten hält“302. Eine solche Gleich299  Vgl. zum hier gewählten Begriff der Gleichwertigkeitsthese Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (178), der von einer „Gleichsetzungsthese“ spricht, die er allerdings weniger dem BVerfG denn einer konservativen Auslegung seiner Urteilsinhalte und des geltenden Rechts zuschreibt. 300  So aber Faßbender, NJW 2001, 2745 (2749 f.); Frommel, ZRP 1990, 351 (352); Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (183 m. Fn. 27); Ipsen, JZ 2001, 989 (992 u. 994); diff. Dederer, soweit er Abstufungen mit einer ab dem Zeitpunkt der Nidation pränatal nur „vorwirkenden“ Menschenwürdegarantie (s. dazu ders., AöR 2002, 1 [14]) sowie einem pränidativ nur objektiv gewährleisteten Lebensschutz zu erklären sucht (a. a. O., 1 [17 u. 9 m. Fn. 65]). 301  Darauf zutreffend hinweisend: Dolderer, Spätabbruch, 102; Heun, JZ 2002, 517 (519); Hoerster, JuS 2003, 529 (530); Limbeck, Embryonenschutzgesetz, 181 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 153 f. u. 338; Merkel, Forschungsobjekt, 48; Rohrer, Menschenwürde, 47 u. 121 f. Aus eben jenem Grunde müsste es auch ausscheiden, dem pränidativen ungeborenen Leben zwar die Teilhabe am durch die Grundrechte gewährten Schutz zuzusprechen, die Intensität dieses Schutzes sodann aber gegenüber nachfolgenden Entwicklungsstadien „entwicklungsabhängig“ abzustufen, wie Herdegen, JZ 2001, 773 (774 f.), dies vertritt. 302  BVerfGE 39, 1 (45). In diesem Sinne auch die der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung vorausgegangene Stellungnahme (§ 77 BVerfGG) der BuReg;

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

artigkeit des Schutzes ungeborenen und geborenen Lebens ist in der Rechtsgeschichte des Strafgesetzbuches auch nie verwirklicht gewesen303. Stattdessen folgt aus der grundsätzlichen Gleichwertigkeit des ungeborenen Lebens zum geborenen Leben, dass Unterschiede in deren Lebensschutz nur aus sachlichen (nicht persönlichen) Gründen erfolgen dürfen; die Menschenwürde gar ist „unantastbar“, ein jeder Eingriff eine Würdeverletzung, wie Art. 1 Abs. 1 GG ausdrücklich normiert. So wird die Rechtmäßigkeit von Eingriffen in das ungeborene Leben auch einem anderen Grunde als dem der Verhältnismäßigkeit folgen müssen. Ein anderes Rechtsgut – und sei es selbst das mütterliche Leben – kann das Lebensinteresse des Ungeborenen nicht überwiegen; die sichere Vernichtung der physischen Existenz des Ungeborenen kann durch den Schutz eines anderen Rechtsguts – und sei es durch die Abwehr einer Gefahr für das mütterliche Leben – nicht verhältnismäßig ausgeglichen werden. Dass das Strafgesetzbuch gleichwohl die Tötung des Ungeborenen zulässt und insofern durch das BVerfG auch für verfassungsgemäß befunden worden ist, soll nicht aus einem in irgendeiner Form geminderten Lebensrecht des Ungeborenen folgen; denn Abstufungen im Lebensrecht sind, wie angeführt, ausgeschlossen. Die Abtreibungsgesetzgebung soll vielmehr auf sachliche statt persönliche Gründe reagieren, die in Konkretisierung der von Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG vorausgesetzten Möglichkeit rechtmäßiger Eingriffe in das Lebensrecht ausnahmsweise eine Tötung zu rechtfertigen wissen. Eine im weiteren Untersuchungsgang noch näher zu definierende „Unzumutbarkeit“ soll als ein Kriterium wirken, das die eingangs vorgestellte Unmöglichkeit des verhältnismäßigen Ausgleichs gegen die sichere Vernichtung der physischen Existenz zu überwinden weiß. Ob selbiges Kriterium tatsächlich sachlich begründet diese Wirkung entfalten kann oder ggf. nicht doch persönlichen Gründen (einer unterschiedlichen Wertschätzung des ungeborenen Lebens gegenüber dem geborenen Leben) entspringt, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung noch einer näheren Betrachtung zu unterziehen sein.

D. Conclusio und Ausblick Der Lebens- und Würdeschutz, zu dem die Verfassung den Gesetzgeber verpflichtet, ist mithin ein solcher, der jedenfalls mit dem 14. Tage nach der Empfängnis seinen Anfang nimmt und dessen früherer Beginn nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen wenigstens nicht ausgeschlossen ist. Losgelöst von der BVerfGE 39, 1 (24): „verlange Art. 2 Abs. 2 Satz  1 GG jedoch keinen Schutz des werdenden Lebens, der dem des geborenen gleichartig sei“. 303  BVerfGE 39, 1 (45 f.).



Abschn. 1: Verfassungsrechtlicher Diskurs123

symbiotisch mit ihm verbundenen Mutter, soll das Ungeborene einen eigenständigen Schutz erfahren, der seine individuelle physische Existenz und Würde – ungeachtet des jeweiligen Entwicklungsstadiums, in dem es sich befindet – gleichwertig zum Leben und zur Würde eines geborenen Menschen garantiert. Eigenständig, individuell und gleichwertig in jedem Entwicklungsstadium ist also der Schutz des menschlichen Lebens, den der einfache Gesetzgeber zu normieren hat, will er den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen. Wenn das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen damit auch keine direkten Feststellungen zu einer verfassungsrechtlich gebotenen Wertungswiderspruchsfreiheit des strafgesetzlichen Schutzes ungeborenen Lebens getroffen hat, so formen seine Ausführungen zu einer gleichwertigen Teilhabe jedenfalls des postnidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG doch die Erwartung, dass diese verfassungsgerichtliche Wertung in den einschlägigen Normen der Rechtsordnung so auch ihre Umsetzung findet. „Jedes menschliche Leben – auch das erst sich entwickelnde Leben – ist als solches gleich wertvoll […]“304 – jede einschlägige Rechtsnorm, so die Erwartung, müsste diese verfassungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG widerspiegeln und sich an einem verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich orientieren, sofern diese grundrechtliche Wertung mit anderen grundrechtlich garantierten Positionen in Konflikt geriete – wie etwa (in den von den §§ 218 ff. StGB erfassten Sachverhalten) mit dem Leben, der körper­ lichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Schwangeren. Dies gilt jedenfalls für den postnidativen Ungeborenenschutz. Für den pränidativen Ungeborenenschutz mangelt es in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen an einer verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG, sodass die Erwartung einer Wertungswiderspruchsfreiheit diesbezüglich nur in entsprechender Anwendung der Schlussfolgerungen aus BVerfGE 39, 1 und E 88, 203 wird entwickelt werden können305. Der verfassungsrechtliche Diskurs des nachfolgenden dritten Kapitels wird diese Erwartung an eine grundrechtlich vermittelte Werteeinheit aufnehmen und unter Bezugnahme auf allgemeine Verfassungsgrundsätze zu bestätigen versuchen. Zunächst aber soll der zweite Abschnitt des vorliegenden Kapitels darlegen, dass diese Werteeinheit nicht allein der Wahrung von 304  BVerfGE

39, 1 (59). dazu das nachfolgende Kap. 3: zum postnidativen Ungeborenenschutz ebda., Seite  159 f. [Abschn.  2, D. IV. 1.] u. 165–169 [E. I. 1.]; zum pränidativen Ungeborenenschutz ebda., Seite  161 [Abschn.  2, D. IV. 2.] u. 170–173 [E. I. 2.]. 305  Ausführl.

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

Verfassungsgrundsätzen folgt. Nach der Verlautbarung des BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen kommt den einschlägigen Normen der Rechtsordnung, insbesondere des Strafrechts, stattdessen überdies ein „Bildungsauftrag“ – oder vielmehr ein „Abbildungsauftrag“306 – zu: Indem sie die im verfassungsrechtlichen Diskurs entwickelten grundrecht­ lichen Wertungen transportieren, sollen sie ein Bewusstsein vom Wert des ungeborenen Lebens und grundsätzlichen Unrecht seiner Tötung wenigstens stärken und womöglich sogar prägen. Abschnitt 2

Der strafzwecktheoretische Diskurs – WARUM geschützt wird – „Rechtliche Verhaltensgebote sollen […] im Volke lebendige Wertvorstellungen und Anschauungen über Recht und Unrecht stärken und unterstützen und ihrerseits Rechtsbewußtsein bilden […]“. (BVerfG307)

In diesem Zusammenhang äußert sich das Gericht in beiden Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen zum Strafzweck der Abtreibungsgesetzgebung, der mit einer intendierten wie unterstellten positiv-generalpräventiven Wirkweise der Strafvorschriften identifiziert wird. Es sind aber nicht nur die Strafvorschriften, die ein Bewusstsein vom Wert des ungeborenen Lebens wie auch vom Unrecht seiner Tötung transportieren wollen. Zur Verwirk­ lichung des der Abtreibungsgesetzgebung zugeschriebenen positiv-generalpräventiven Auftrags verpflichtet das BVerfG stattdessen die gesamte Rechtsordnung, deren Normen in einer Gesamtschau auf das Bewusstsein der Bevölkerung einwirken sollen. Was das Gericht im Einzelnen zu diesem positiv-generalpräventiven Auftrag hat verlauten lassen, soll nun zum Gegenstand der folgenden Ausführungen gemacht werden.

A. Die positiv-generalpräventive Zielsetzung Zunächst erhebt es das Gericht zum Teil der an den Gesetzgeber ge­ richteten Schutzpflicht, dass er „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben“ 306  Zur Frage der bewusstseinsbildenden oder nur -abbildenden Wirkung positivgeneralpräventiv ausgerichteter Strafgesetze s. auch sogleich Seite  127–130 [Abschn.  2, B.] u. an späterer Stelle in Kap. 8, Seite  807–814 [Abschn.  2, B. II. 1.]. 307  BVerfGE 88, 203 (253).



Abschn. 2: Strafzwecktheoretischer Diskurs

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habe308. Nachdem das Gericht in seinem verfassungsrechtlichen Diskurs dargelegt hat, dass das ungeborene Leben jedenfalls in seinen postnidativen Entwicklungsstadien gleichwertig am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG teilhat, sodass die Verfassung seine Tötung grundsätzlich missbilligt, fordert es nun, dass diese Missbilligung „auch in der Rechtsordnung unterhalb der Verfassung deutlich in Erscheinung treten“ muss309. Insofern misst es der Rechtsordnung die (positivgeneralpräventive) Aufgabe zu, den Wert des ungeborenen Lebens zu vermitteln als ein Rechtsgut, das gleichwertig zum geborenen Leben ist. Sie soll den Unrechtsgehalt seiner Tötung vermitteln als eine Handlung, die menschliches individuelles Leben vernichtet. Und schließlich: Sie soll dies so vermitteln, dass der Adressat des Gesetzes dies zur Grundlage seines eigenen Werte- und Unrechtsbewusstseins machen kann310. I. Die Wirkweise strafgesetzlicher Vorschriften „Dazu dient insbesondere das Strafrecht, das Rechtsgüter von besonderem Rang und in einer besonderen Gefährdungslage schützt und das allgemeine Bewußtsein von Recht und Unrecht am deutlichsten prägt“311. Nach der Verlautbarung des Gerichts hat sich die Verfassung hierzu insbesondere des Strafrechts zu bedienen, um die ihr zu entnehmenden Ge- und Verbote auf der Ebene des einfachen Gesetzes zum Ausdruck zu bringen. Dies sieht es auch nicht etwa dadurch in Frage gestellt, dass das Strafrecht erst als „ultima ratio“ zur Anwendung kommt, „wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“312. Insofern gehört es zum originären Aufgabenbereich der Strafgesetzgebung, die „Achtung und grundsätzliche Unverletzlichkeit menschlichen Lebens“ zu transportieren und im Zuge dessen „die Tötung anderer umfassend mit Strafe“ zu bedrohen313. Die Tötung des mensch308  BVerfGE

88, 203 (204 m. LS 10 u. 261); in diesem Sinne auch a. a. O., 272. dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 39, 1 (53); ähnl. a. a. O., 44: „Der Staat muß grundsätzlich von einer Pflicht zur Austragung der Schwangerschaft ausgehen, ihren Abbruch also grundsätzlich als Unrecht ansehen. In der Rechtsordnung muß die Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs klar zum Ausdruck kommen“; vgl. auch BVerfGE 88, 203 (272–274). 310  Zu dieser „erzieherischen“ Funktion der Strafe vgl. auch Dölling, ZStW 1990, 1 (16). 311  BVerfGE 88, 203 (273). 312  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (258); vgl. BVerfGE 39, 1 (47). Zum Strafrecht als „ultima ratio staatlichen Handelns“ vgl. auch Felix, Einheit, 298 f. 313  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (257). 309  Siehe

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

lichen Lebens wird für so sozialschädlich und unerträglich bewertet, dass sie einer strafgesetzlichen Regelung zugeführt werden muss. Weil das ungeborene Leben jedenfalls ab dem 14.  Tag nach der Empfängnis für gleichwertig zum geborenen Leben befunden worden ist, erweist sich das Strafrecht regelmäßig auch als „der Ort, das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die darin enthaltene grundsätzliche Rechtspflicht der Frau zum Austragen des Kindes gesetzlich zu verankern“314. Allein das Strafgesetz ermöglicht es, im konkreten Einzelfall repressiv tätig zu werden, aber über den konkreten Einzelfall hinaus auch auf die Allgemeinheit einzuwirken, sodass künftig zu besorgenden Rechtsverletzungen vorgebeugt werden kann. Repressive und präventive Schutzrichtung des Strafgesetzes vereinigen sich hier und können gemeinschaftlich „in besonders nachhaltiger Weise zur Achtung und Befolgung der rechtlichen Gebote veranlassen“ und so auf den Schutz des ungeborenen Lebens hinwirken315. Das Gericht misst den strafgesetz­ lichen Inhalten gar eine so weitgehende bewusstseinsbildende Wirkung zu, dass der Verzicht auf ein strafgesetzliches Verbot die fragliche Bewusstseinsbildung in ihr Gegenteil zu verkehren drohte, mithin auch strafgesetzliche „Nicht-Inhalte“ auf das Rechtsbewusstsein einzuwirken vermögen: „Der ‚gefährliche Schluß von der rechtlichen Sanktionslosigkeit auf das moralische Erlaubtsein‘ […] liegt zu nahe, als daß er nicht von einer großen Anzahl Rechtsunterworfener gezogen würde“316. II. Das Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung Auf das Strafrecht soll nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung mithin nicht verzichtet werden können, will die Verfassung die ihr zu entnehmenden Wertungen zum verfassungsrechtlichen Status des Ungeborenen und des daraus entspringenden grundsätzlichen Verbots des Schwangerschaftsabbruchs transportiert wissen. Wohl aber soll es – wie das Gericht für die Regelung des nicht indizierten Abbruchs in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis verlauten lässt und was an späterer Stelle im Kapitel 6 der vorliegenden Untersuchung noch eingehend besprochen werden wird317 – möglich sein, das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs im Wege des Tatbestandsausschlusses von der Strafandrohung auszunehmen. Soweit das Verbot in diesem Umfang nicht mehr im Strafgesetz enthalten ist, soll die notwendige 314  BVerfGE

88, 203 (258). dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (253). 316  BVerfGE 39, 1 (58) unter Zit. v. Engisch, Gerechtigkeit, 104. 317  Siehe etwa Kap. 6, Seite  553–556 [Abschn.  1, B. III.], 570 f. [Abschn.  2, A. II.] u. ausführl. 574 ff. [Abschn.  2, B. I.]. 315  Siehe



Abschn. 2: Strafzwecktheoretischer Diskurs

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Einwirkung auf das Wert- und Unrechtsbewusstsein der Allgemeinheit „auch auf andere Weise“, nämlich durch die Gesamtrechtsordnung, besorgt werden können318. Insofern habe nicht das Strafgesetz allein, sondern eine „Gesamtheit der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen, seien sie bürgerlich-rechtlicher, öffentlich-rechtlicher, insbesondere sozialrecht­ licher oder strafrechtlicher Natur, einen der Bedeutung des zu sichernden Rechtsgutes entsprechenden tatsächlichen Schutz“ zu gewährleisten319.

B. Bewusstseinsbildung und / oder -abbildung Das BVerfG schreibt dem Recht mithin die Funktion zu, auf Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung einzuwirken. Wie nun aber soll diese Einwirkung nach der Vorstellung des BVerfG gestaltet sein? Soll Recht sich darauf beschränken, ein bereits vorhandenes gesellschaftliches Bewusstsein abzubilden und selbiges durch diese bestätigende Abbildung „als Recht“ zu unterstützen und zu stärken? Oder soll Recht darüber hinaus wirken, in dem es ein nicht oder nicht mehr vorhandenes gesellschaftliches Bewusstsein gar erst herausbildet i. S. v. (wieder‑)herstellt? I. In der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung Letztere, umfassendere Funktion scheint zunächst die erste Schwangerschaftsabbruchsentscheidung nahe zu legen, wenn das BVerfG ebenda die Diskussion der Abtreibungsproblematik als mögliches Indiz für ein bereits geschwundenes Wertebewusstsein versteht, dem der Gesetzgeber entgegenzuwirken habe: „Die leidenschaftliche Diskussion der Abtreibungsproblematik mag Anlass zu der Befürchtung geben, daß in einem Teil der Bevölkerung der Wert des ungeborenen Lebens nicht mehr voll erkannt wird. Das gibt jedoch dem Gesetzgeber nicht das Recht zur Resignation“320. Kein Recht zur Resignation, auch wenn ein gesellschaftliches Bewusstsein geschwunden ist – hier scheint zunächst der Anspruch formuliert zu sein, dass es ein solches Bewusstsein durch die Rechtsordnung wiederherzustellen gilt, sie also eine nicht nur abbildende, sondern bildende Funktion zu erfüllen hat. Jedenfalls in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung tritt das BVerfG jenem Eindruck jedoch sogleich wieder entgegen, wenn es ergänzt, dass der Gesetzgeber – anstatt zu resignieren – nur „den ernsthaften 318  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 4 u. 46); ebenso a. a. O., 24, die der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung vorausgegangene Stellungnahme (§ 77 BVerfGG) der BuReg. 319  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 39, 1 (46). 320  BVerfGE 39, 1 (66).

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

Versuch unternehmen [muss], durch eine Differenzierung der Strafandrohung einen wirksameren Lebensschutz und eine Regelung zu erreichen, die auch vom allgemeinen Rechtsbewußtsein getragen wird“321. Die vermeint­ liche Bewusstseinsbildung soll somit höchst zurückgenommen versucht werden, indem eine Regelung normiert wird, die Rückhalt im allgemeinen Rechtsbewusstsein findet statt ein solches erst prägt und somit von vornherein „im Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit weder als ungerecht noch als unsozial empfunden“322 wird. Zu einer weitergehenden Bewusstseinsbildung merkt das BVerfG – das an dieser Stelle selbst zu resignieren scheint – an, dass sich die soziale Wirklichkeit von einer strengeren Abtreibungsgesetzgebung so weit entfernt habe, dass diese kaum noch eine Wirkung entfalten könnte. Nur diejenige Regelung, die im zitierten Sinne von der Allgemeinheit „weder als ungerecht noch als unsozial empfunden“ wird, soll auf deren Werte- und Unrechtsbewusstsein einwirken können, präzise ein bereits vorhandenes Bewusstsein durch Abbildung bestätigen, stärken und unterstützen. Man beachte also: Kein gänzlich geschwundenes Rechtsbewusstsein soll hier neu geprägt, sondern allenfalls ein im Schwinden begriffenes Bewusstsein in seiner reduzierten Form bestätigt und ob dieser Bestätigung auf eben diesem Niveau erhalten werden. II. In der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung Ähnlich meint man auch der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung zunächst zu entnehmen, dass die Abtreibungsgesetzgebung nicht nur eine bewusstseinsabbildende, sondern auch eine bewusstseinsbildende Funktion zu erfüllen habe: So soll sie „im Volke lebendige Wertvorstellungen und Anschauungen über Recht und Unrecht stärken und unterstützen und ihrerseits Rechtsbewußtsein bilden (vgl. BVerfGE 45, 187 [254, 256]), damit auf der Grundlage einer solchen normativen Orientierung des Verhaltens eine Rechtsgutsverletzung schon von vornherein nicht in Betracht gezogen wird“323. In Gegenüberstellung mit dem Begriffspaar der „Stärkung und Unterstützung“ meint man dieser Formulierung zunächst die verfassungsgerichtliche Verlautbarung einer positiv-generalpräventiven Wirkweise zu entnehmen, die nicht nur ein bereits vorhandenes Bewusstsein konservieren („stärken und unterstützen“), sondern auch noch nicht vorhandenes Bewusstsein „bilden“, nämlich herausbilden soll. Dieser Eindruck vermag jedoch den ersten Moment nicht zu überdauern. Nimmt man nämlich den Klammerzusatz hinzu, der die Formulierung von der „Bildung“ eines Be321  BVerfGE

39, 1 (66). 39, 1 (66). 323  BVerfGE 88, 203 (253); Hervorhebungen nicht im Original. 322  BVerfGE



Abschn. 2: Strafzwecktheoretischer Diskurs

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wusstseins konkretisieren soll, so wird man zu Passagen einer früheren Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe geleitet, die den Begriff der „Bewusstseinsbildung“ gegenteilig verwenden. Demnach soll nicht etwa ein noch nicht vorhandenes Bewusstsein erst hervorgerufen, sondern im Gegenteil ein bereits vorhandenes Bewusstsein nur „gefestigt“ werden: „In der Höhe der angedrohten Strafe bringt der Gesetzgeber sein Unwerturteil über die mit Strafe bedrohte Tat zum Ausdruck. Durch dieses Unwerturteil trägt er wesentlich zur Bewußtseinsbildung in der Bevölkerung bei. Gerade eine so schwerwiegende Strafe wie die lebenslange Freiheitsstrafe ist besonders geeignet, im Bewußtsein der Bevölkerung die Erkenntnis zu festigen, daß das menschliche Leben ein besonders wertvolles und unersetzliches Rechtsgut ist, das besonderen Schutz und allgemeine Achtung und Anerkennung verdient. Durch die Bildung dieses Bewußtseins wird in der Bevölkerung ganz allgemein die Hemmung erhöht, menschliches Leben zu gefährden, insbesondere aber vorsätzlich zu vernichten“324. Entgegen einer ersten – unbefangenen – grammatikalischen Auslegung soll die verfassungsgerichtliche Referenz auf eine „Bewusstseinsbildung“ im eingangs angeführten Zitat also gerade nicht in Gegensatz zum Begriffspaar der „Stärkung und Unterstützung“ treten, sondern ist nicht mehr als ein Synonym für diese – eine bloß abbildende Funktion der Abtreibungsgesetzgebung umschreibenden – Begriffe. Ebenso kann man auch dem zehnten Leitsatz der Entscheidung – der eine staatliche Pflicht formuliert, „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben“325 – entgegen einem womöglich ersten gegenteiligen Eindruck keine Zweiteilung der positiv-generalpräventiven Wirkweise entnehmen. Denn insofern geht ein „Beleben“ zwar zweifelsohne über die rein konservierende Wirkung eines „Erhaltens“ hinaus: Man denke an andere Zusammenhänge, in denen dieses Verb zur Anwendung kommt, so etwa, wenn man davon spricht, dass Kaffee den Kreislauf und Konkurrenz das Geschäft belebt. Stets ist eine Wirkung angesprochen, die nicht nur den Status quo erhalten soll. Jedoch knüpft diese Wirkung an eine bereits vorhandene Erscheinung – in den angeführten Beispielen an Kreislauf wie Konkurrenz – an und soll diese nur fördern und verstärken, nicht etwa erst erschaffen. Dies wird auch durch die Verwendung des medizinischen Begriffs der „Wiederbelebung“ nicht in Frage gestellt. Denn zwar umschreibt er Maßnahmen, durch die ein Atemund Kreislaufstillstand beendet, mithin etwas nicht mehr Vorhandenes neu aktiviert werden soll326. Gleichwohl bleibt auch der Erfolg dieser Maßnah45, 187 (256 f.); Hervorhebungen nicht im Original. 88, 203 (204 m. LS 10 u. 261); Hervorhebung nicht im Original. 326  Vgl. Der Brockhaus Gesundheit6, 1295 m. Stichw. „Wiederbelebung“. 324  BVerfGE 325  BVerfGE

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Kap. 2: Schwangerschaftsabbruchentscheidungen des BVerfG

men auf eine äußerst enge Zeitspanne nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand beschränkt, in der ein Organismus wiederbelebt werden kann, ohne dass infolge des Sauerstoffmangels irreversible Schäden auftreten327. Wenn das BVerfG also davon spricht, dass der Staat ein Bewusstsein vom Schutzanspruch des ungeborenen Lebens „zu beleben“ habe, so nimmt es auch hier wieder auf eine Wirkung einschlägiger Vorschriften der Rechtsordnung Bezug, durch die wenigstens kein gänzlich entschwundenes Bewusstsein neu geprägt, sondern allenfalls ein im Schwinden begriffenes Bewusstsein gefördert werden soll.

C. Conclusio und Ausblick Es ist mithin Teil der an den Gesetzgeber gerichteten Schutzpflicht, dass er in diesem Sinne „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu erhalten und zu beleben“ hat328. Seine Gesetzgebung – wozu nicht nur Strafvorschriften, sondern die Gesamtrechtsordnung gezählt wird – soll die im verfassungsrechtlichen Diskurs entwickelten grundrechtlichen Wertungen transportieren und so ein Bewusstsein vom Wert des ungeborenen Lebens und grundsätzlichen Unrecht seiner Tötung zwar nicht erst prägen, aber wenigstens stärken. So soll die unbedingte Achtung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen, die das dem Grundgesetz vorangegangene System des Nationalsozia­ lismus hatte vermissen lassen, erhalten und gestärkt werden, sodass eine rechtswidrige Vernichtung menschlichen Lebens – in welcher Gestalt sie sich auch immer manifestieren mag – nicht mehr vom gesellschaftlichen Bewusstsein getragen würde und ihr für alle Zeit die Grundlage entzogen bleibt. Selbst „gesellschaftspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen, ja staatspolitische Notwendigkeiten können diese verfassungsrechtlichen Schranke nicht überwinden […]. Auch ein allgemeiner Wandel der hierüber in der Bevölkerung herrschenden Anschauungen – falls er überhaupt festzustellen wäre – würde daran nichts ändern können“329. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu jener Überzeugung, die vorliegende Untersuchung eingangs des ersten Abschnitts dieses zweiten Kapitels kundgegeben hat: Bevor eine Abtreibungsgesetzgebung gesellschaftspolitischen Erwägungen 327  Die Wiederbelebungszeit beträgt – vorbehaltlich dessen, dass keine die Wiederbelebungszeit verlängernden Faktoren (wie Unterkühlung oder auch Betroffenheit eines kindlichen Organismus) vorliegen – für das Gehirn ca. drei bis fünf Minuten, für das Herz ca. 15 bis 30 Minuten; Der Brockhaus Gesundheit6, 1297 m. Stichw. „Wiederbelebungszeit“. 328  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 10 u. 261). 329  BVerfGE 39, 1 (67).



Abschn. 2: Strafzwecktheoretischer Diskurs131

folgen kann, müssen in einem ersten Schritt die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Wertungen festgestellt worden sein. Eine Rechtsordnung, die jene Vorgehensweise umkehrte, d. h. angesichts des Dissenses über den verfassungsrechtlichen Status des Ungeborenen resignieren und gesellschaftspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen den Vortritt lassen wollte, liefe nicht nur Gefahr, ein ergebnisorientiertes statt dogmatisch sauberes Judiz zu formulieren. Schlimmer noch drohte sie entgegen ihrer geschichtlichen Erfahrung die Grundwerte der Verfassung zu unterlaufen und über die der Abtreibungsgesetzgebung zugeschriebene positiv-generalpräventive Wirkweise ein ihren Grundwerten widerstreitendes Bewusstsein zu fördern.

Kapitel 3

Die Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit – Aus verfassungsrechtlicher und strafzwecktheoretischer Sicht –

Verfassungsrechtliche wie strafzwecktheoretische Diskurse der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen haben mithin die Erwartung an eine durch die Grundrechte vermittelte Werteeinheit des strafgesetzlichen Lebensschutzes geformt. Weil geborenes und ungeborenes menschliches Leben jedenfalls vom 14. Tag nach der Empfängnis an gleichermaßen am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhaben sollen, erwartete man sich, dass sich diese verfassungsgerichtliche Konkretisierung des Lebensrechts wie der Würdegarantie in den einschlägigen Normen der Rechtsordnung widerspiegelte, das Strafgesetzbuch etwa das geborene und ungeborene menschliche Leben zwar nicht gleichartig, aber gleichwertig schützte. Bestärkt wird diese Erwartungshaltung durch die positiv-generalpräventive Zielrichtung, die das BVerfG der Strafgesetzgebung im Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung zuschreibt, wenn es diese verfassungsrechtlichen Wertungen durch sie im Wert- und Unrechtsbewusstsein der Gesetzesadressaten verankert sehen will. Insofern ist bis dato nur eine allgemein gehaltene Erwartung an die Rechtsordnung formuliert, deren verschiedene Vorschriften dieselben grundrechtlichen Wertungen zu transportieren suchen. Dass den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen aber mehr als eine bloße Erwartung entnommen werden kann, wird das dritte Kapitel nun darzulegen versuchen, wenn es sich in Anlehnung an die zweigeteilte Darstellung in Kapitel 2 der verfassungsrechtlichen wie strafzwecktheoretischen Begründung eines sog. Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit widmet: Während allgemeine Verfassungsgrundsätze das einfache Gesetz unmittelbar1 oder mittelbar2 verpflichten, die ihm in der Normenpyramide übergeordneten grundrecht­ 1  So v. a. die Bindung der gesetzgebenden Gewalt an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG; s. dazu eingehend unten Seite  154 ff. [Abschn.  2, D.]. 2  So maßgeblich der sich eines grundrechtlichen tertium comparationis bedienende allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG; s. dazu eingehend unten Seite  162 ff. [Abschn.  2, E.].



Abschn. 1: Klassifikation von Widersprüchen133

lichen Wertungen widerspruchsfrei umzusetzen, kann ein Gesetz den ihm unterstellten positiv-generalpräventiven Wirkmechanismus nur dann entfalten, wenn es die zu transportierenden Wertungen widerspruchsfrei nach außen trägt3. Ein Gesetz, dass die grundrechtlichen Wertungen auch nur in Teilen nicht umsetzte und diesbezüglich einen (vertikalen wie horizontalen4) Widerspruch produzierte, enttäuschte damit nicht nur eine Erwartung, es verletzte eine ihm durch die Verfassung aufgegebene Pflicht und verfehlte seinen Zweck. Widerspruchsfrei soll eine Rechtsordnung mithin nicht nur sein, sie ist verschiedentlich gar verpflichtet, ihre Normen frei von Widersprüchen zu halten. Unter Verwendung des Begriffs der Wertungswiderspruchsfreiheit gibt man dabei bereits zu erkennen, dass sich in einer Rechtsordnung verschiedene Arten der Widersprüche auftun können, die es unterschiedlich zu vermeiden gilt oder die aber unschädlich sind. Bevor also ein Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit formuliert werden kann, soll der Begriff des (rechtlichen) Widerspruchs in einem ersten Abschnitt des vorliegenden Kapitels zunächst einer Definition zugeführt werden und sollen insbesondere die unterschiedlichen Arten rechtlicher Widersprüche voneinander abgegrenzt werden. Abschnitt 1

Eine Klassifikation von Widersprüchen – Das Untersuchungsinteresse am Wertungswiderspruch – „Zwei Wahrheiten können einander niemals widersprechen“. (Nach Galileo Galilei5)

„Zwei einander widersprechende Urteile können nicht zugleich wahr sein“ – in diesem Sinne wird der Satz  vom Widerspruch in der traditionellen Logik auf ein Urteil und dessen Verneinung bezogen: ein Urteil kann nicht gleichzeitig mit seinem Gegenteil (seiner Verneinung) zutreffen. Es ist also nicht möglich, dass das Urteil A zutrifft und gleichzeitig das Urteil A 3  Zur strafzwecktheoretischen Begründung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit s. unten Seite  180 ff. [Abschn.  3]. 4  Zur Unterscheidung vertikaler und horizontaler Wertungswidersprüche s. erstmals unten Seite  156 f. [Abschn.  2, D. II. (vertikal) u. III. (horizontal)]. 5  Galilei v. 21.12.1613, in: Mudry, Schriften, 168 (170): „Angesichts dessen, und da es zudem offenbar ist, daß zwei Wahrheiten einander niemals widersprechen können, ist es das Amt der weisen Ausleger, sich darum zu bemühen, die wahren Sinngebungen der Stellen aus der Heiligen Schrift zu finden […]“.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

nicht zutrifft6. Jene Definition des Widerspruchs findet sich bereits bei Aristoteles, wenn dieser äußert, „daß nämlich dasselbe demselben und in derselben Beziehung (und dazu mögen noch die anderen näheren Bestimmungen hinzugefügt sein, mit denen wir logischen Einwürfen ausweichen) unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann. […] Wenn es nun aber nicht möglich ist, daß demselben das Entgegengesetzte zugleich zukomme […], beim Widerspruche aber eine Meinung der anderen Meinung entgegengesetzt ist, so ist es offenbar unmöglich, daß derselbe zugleich annehme, daß dasselbe sei und nicht sei; denn wer sich hierüber täuschte, der hätte ja die entgegengesetzten Ansichten zugleich“7. Diese Definition muss für den Bereich der Rechtswissenschaften modifiziert werden, will man „Widersprüche“ zwischen Sollenssätzen diskutieren. Denn Sollenssätze treffen keine deskriptiven Aussagen über das „Sein“, denen ein Wahrheitsgehalt zugemessen werden kann und die diesbezüglich in einen Widerspruch treten könnten; sie formulieren ein „Sollen“, das eine normative Wertung transportiert8. Wenn die vorliegende Untersuchung gleichwohl auf den Begriff des Widerspruchs zurückgreift, so reagiert sie damit auf die übliche Verwendung dieses Begriffs in einschlägi­ gen – eine „Widersprüchlichkeit“ oder „Widerspruchslosigkeit“ der Rechtsordnung thematisierenden – rechtswissenschaftlichen Abhandlungen9. Im Bewusstsein dessen, dass die von ihr gewählte Begrifflichkeit in den Rechtswissenschaften eine von obigem Satz  vom Widerspruch abweichende Bedeutung annimmt, trifft die Untersuchung einleitend jedoch eine modifizierte Definition: Demnach treten zwei Sollenssätze dann in einen Widerspruch zueinander, wenn sie unvereinbare Handlungsanforderungen, -begrenzungen, -einschränkungen oder Wertungen formulieren, die ob ihrer Unvereinbarkeit nicht gleichermaßen vom Willen derselben Rechtsordnung erfasst sein können10. 6  Der Brockhaus / 15, 230 m. Stichw. „Widerspruch“; vgl. Kelsen, Normen, 166; ders., in: Klecatsky et  al., Wiener Rechtstheoretische Schule / 2, 1469 (1476 f.). 7  Aristoteles, Metaphysik / 13, 137. 8  Felix, Einheit, 245; s. auch Kelsen, Normen, 100 f. u. 166; ders., in: Klecatsky et  al., Wiener Rechtstheoretische Schule / 2, 1469 (1470 f.); vgl. ferner Canaris, Systemdenken2, 22 f., sofern er Wertungen „außerhalb des Bereichs der formalen Logik“ verortet und die Wahrung formal-logischer Kriterien in der Folge als „nur notwendige, nicht hinreichende Bedingung korrekten juristischen Denkens“ bezeichnet (vorstehende Zitate a. a. O., 22, entnommen). 9  Anders etwa Felix, Einheit, 245, welche es aufgrund des mangelnden Wahrheitsgehalts der Sollenssätze bevorzugt, von „Konflikten“ statt „Widersprüchen“ zwischen Normen zu sprechen; so bereits Kelsen, in: Klecatsky et  al., Wiener Rechtstheoretische Schule / 2, 1469 (1469–1471). 10  Vgl. Engisch, Einheit, 46 u. 62 ff.; zu den einzelnen Merkmalen dieser einleitenden Def. s. im Folgenden.



Abschn. 1: Klassifikation von Widersprüchen

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A. Der „echte“ und der nur „scheinbare“ Widerspruch Wenn die obige Definition mithin vom „Willen derselben Rechtsordnung“ spricht, so antizipiert sie für die Widerspruchsfähigkeit zweier Sollenssätze zunächst, dass die fraglichen Rechtsnormen wenigstens formal auf ein und dieselbe Autorität zurückgeführt werden können. Damit ein „echter“ statt nur „scheinbarer“ Widerspruch identifiziert werden kann, darf sich die Unvereinbarkeit ihrer Inhalte außerdem nicht unter Anwendung der allgemeinen Kollisionsregeln auflösen lassen. I. Die formale Identität der rechtsetzenden Autorität Eine nur formale statt tatsächliche Identität der rechtsetzenden Autorität wird insofern vorausgesetzt, als die Rechtsordnung aus älteren und neueren Normen der Rechtsetzungsinstanzen verschiedener Legislaturperioden besteht11. Jener formalen Identität ist bereits dann Genüge getan, wenn sich die fraglichen Normen auf einen gemeinsamen, in einer Verfassung mündenden gedanklichen Ursprung zurückführen lassen12 oder der „Einheit eines wertenden souveränen Willens“ unterliegen13. In diesem Sinne gehören die abstrakten Normen des Strafgesetzbuches, die den hiesigen Untersuchungsgegenstand bilden und für die der Bundesgesetzgeber seine ihm für das Gebiet des Strafrechts gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 72 Abs. 1 GG zustehende, konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis in Anspruch genommen hat, fraglos einem Normkomplex an, der formal ein und derselben Rechtsetzungsinstanz zugeordnet werden kann. Dasselbe wird auch für ihr Verhältnis zu den abstrakten Sollenssätzen des – im abschließenden Kapitel der vorliegenden Untersuchung vergleichend thematisierten – Embryonenschutzgesetzes (ESchG) gelten müssen: Weil die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Zeitpunkt des Erlasses des ESchG – und mithin vor Einfügung der Nr. 26 in den Art. 74 Abs. 1 GG – nur bestimmte Bereiche des Gesundheitswesens erfasste (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und Nr. 19a GG), beschränkte sich der Bundesgesetzgeber auch im ESchG auf die – von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erfasste – Pönalisierung bestimmter Handlungen14. Auch sofern die Untersuchung begleitend auf Landesrecht eingehen wird, kann für das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht schließlich eine sol11  Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, 113 (114); s. dazu auch Felix, Einheit, 147 m. Fn. 33. 12  Felix, Einheit, 149; vgl. Merkl, in: ders., Gesammelte Schriften I / 1, 169 (177). 13  Vorstehendes Zitat aus Heller, in: ders., Gesammelte Schriften / II, 31 (111); s. dazu Felix, Einheit, 149 m. Fn. 51. 14  Brewe, Embryonenschutz, 13 f. m. Fn. 16.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

che Identität der rechtsetzenden Autorität bejaht werden: So verfügen die Länder der Bundesrepublik Deutschland ob der zwischen Bund und Länder geteilten staatlichen Kompetenzen zwar fraglos über eigene, vom Bund verschiedene Rechtsordnungen15. Trotz dieser Eigenständigkeit der Gliedstaaten lassen sich Bundesrecht wie Landesrecht jedoch einem gemeinsamen gedanklichen Ursprung bzw. einem einheitlichen souveränen Willen zuordnen, ist dem Bund und den Ländern doch die „gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates“ zugewiesen16. Die Gesamtheit der bundesund landesrechtlichen Normen bildet mithin eine einheitliche Rechtsordnung, deren Normen sich auch für das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht als widerspruchsfähig erweisen17. Begleitend werden in der vorliegenden Untersuchung unter Referenz auf gerichtliche Entscheidungsinhalte konkret-individuelle Sollenssätze angesprochen werden, die ob ihrer Subordination unter die abstrakt-generellen Sollenssätze ebenfalls an den (einheitlichen) Willen dieses Bundesgesetzgebers gebunden sind. Dabei folgt die Untersuchung der üblichen Fokussierung der (im nächsten Abschnitt thematisierten) Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ auf die abstrakt-generellen (kurz: abstrakten) Sollenssätze, deren Widerspruchslosigkeit in Anlehnung an die sog. Stufentheorie des Rechts auch eine Widerspruchslosigkeit der konkret-individuellen (kurz: konkreten) Sollenssätze erwarten ließe. Gemäß dieser Stufentheorie nämlich können die verschiedenen Rechtsordnungsebenen als „Stockwerke in einem festgefügten, in sich geschlossenen Rechtsgebäude“ betrachtet werden18. Innerhalb dieses Rechtsgebäudes ergibt sich aus der Subordination der konkreten Sollenssätze zum einen ein rechtslogischer „(Geltungsgrund‑)Zusammenhang“, in dem sie, um Geltungskraft zu erlangen, die Voraussetzungen der ihnen übergeordneten abstrakten Sollenssätze zu erfüllen haben. Zum anderen manifestiert sich ein „Rechtserzeugungszusammenhang“, innerhalb dessen die Normen höherer Stufe als „Motivationsgrund, Bestimmungsgrund“ der Normen niederer Stufe wirken19. Ob dieses Geltungsgrund- wie Rechtserzeugungszusammenhangs wäre mithin zu erwarten, dass eine Widerspruchslosigkeit abstrakter Sollenssätze – einförmige Auslegung vorausgesetzt – eine eben solche konkreter Sollenssätze bedingt und mithin die 15  Felix,

Einheit, 148 m. w. N. zur Eigenstaatlichkeit der Länder in Fn. 36 bis 39. dazu u. vorstehendes Zitat aus Felix, Einheit, 149; s. ferner BVerfGE 8, 122 (138). 17  Vgl. hierzu auch die Regelungen der Art. 31 GG und Art. 28 Abs. 1 GG; ­Felix, Einheit, 149 f. u. 176 f. m. w. N. 18  Engisch, Einheit, 9 f. 19  Engisch, Einheit, 10 f., m. vorstehenden Zitaten a. a. O., 11. 16  Siehe



Abschn. 1: Klassifikation von Widersprüchen

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maßgebliche (zu thematisierende) Grundlage für eine Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung bildet20. II. Keine Auflösung unter Anwendung allgemeiner Kollisionsregeln Neben dieser formalen Identität der rechtsetzenden Autorität setzt die Annahme eines „echten“ statt nur „scheinbaren“ Widerspruchs zwischen zwei Sollenssätzen außerdem voraus, dass sich die Unvereinbarkeit ihrer Inhalte nicht unter Anwendung der allgemeinen Kollisionsregeln auflösen lässt, die auf Mechanismen der Hierarchisierung („lex superior derogat legi inferiori“), Temporalisierung („lex posterior derogat legi priori“) und Spe­ zia­lisierung („lex specialis derogat legi generali“) basieren21. Für potenzielle Widersprüche zwischen den Vorschriften des Strafgesetzbuches, wie sie vorliegend diskutiert werden sollen, ist dies zweifelsohne zu bejahen: Als formelle Gesetze des Bundesrechts sind sie gleichrangig und stehen nicht etwa in einem hierarchischen Verhältnis, innerhalb dessen ein Vorrang der übergeordneten Regelung begründet werden könnte. Auch besteht ob ihrer unterschiedlichen Regelungsgebiete (indizierter und nicht indizierter Schwangerschaftsabbruch, Nidationsverhütung) kein Verhältnis der Spezialität zwischen den einzelnen Vorschriften, innerhalb dessen eine spezielle Regelung eine allgemeine Regelung zu derselben Materie verdrängen könnte, und schließen es diese unterschiedlichen Regelungsgebiete ebenfalls aus, zeitlich jüngere Regelungen als Manifestation des Willens zur Änderung der früher ergangenen Vorschriften zu verstehen22; dasselbe wird man wiederum für diejenigen Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes zu konstatieren haben, auf die die vorliegende Untersuchung am Ende ihrer Erörterungen noch einen vergleichenden Blick werfen wird.

B. Die verschiedenen Arten des Widerspruchs Hat man nun die „Echtheit“ potenzieller Widersprüche identifiziert, gilt es in einem nachfolgenden Schritt, ihre Art zu bestimmen. In Anlehnung an 20  Vgl. Engisch, Einheit, 8: „Die Identität der abstrakten rechtlichen Gesichtspunkte bewirkt Gleichförmigkeit der Entscheidungen“; in diesem Sinne auch Felix, Einheit, 144 f. 21  Engisch, Einführung8, 162 f.; Felix, Einheit, 153 f. Zu den angeführten allg. Kollisionsregeln s. auch Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, 113 (115–117): zur Hierarchisierung ebda., 113 (115), zur Temporalisierung ebda., 113 (115 f.), zur Spezialisierung ebda., 113 (116 f.). 22  Vgl. Engisch, Einheit, 48, der für die Anwendung der allgemeinen Kollisionsregel der Temporalität voraussetzt, dass sich die zeitlich jüngere Vorschrift als „Äußerung eines auf Änderung des früheren Entschlusses gerichteten Willens“ darstellt.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

Engisch kann man hierbei zwischen technischen „Widersprüchen“, Normwidersprüchen und Wertungswidersprüchen unterscheiden23. I. Die technischen „Widersprüche“ Von technischen „Widersprüchen“ spricht man, wenn innerhalb der Rechtsordnung die begriffliche Kontinuität nicht gewahrt wird, wenn also die Terminologie des Gesetzgebers uneinheitlich zur Anwendung gelangt, indem etwa ein Terminus an verschiedenen Stellen der Rechtsordnung unterschiedlich definiert wird oder aber zwar dieselbe Definition erfährt, dieser Definition jedoch eine andere Bedeutung zugemessen wird24. Derartige „Widersprüche“ werden von der herrschenden Meinung mit Blick auf eine „Relativität der Rechtsbegriffe“ für unerheblich befunden25. Mehr aber noch: Mit Blick auf eine teleologische Auslegung muss die Widerspruchsqualität abweichender Definitionen oder abweichender Bedeutungen desselben, aber in verschiedenen Rechtsnormen verwendeten Begriffes nach zutreffender Ansicht gar gänzlich verneint werden (weshalb der technische „Widerspruch“ aus eben diesem Grunde vorliegend auch in Anführungszeichen gesetzt und von der diesen Abschnitt einleitenden Widerspruchsdefinition ausgenommen worden ist). Denn nach den Prinzipien einer teleologischen Auslegung ist es nicht nur unschädlich, sondern sogar geboten, die in einer Norm verwendeten Begrifflichkeiten in Abhängigkeit vom jeweiligen Normzweck zu definieren. Übereinstimmende, aber in verschiedenen Rechtsnormen verwendete Begrifflichkeiten können demnach nicht nur, sondern sollen sogar unterschiedliche – sich nach der Ratio der jeweiligen Rechtsnorm richtende – Definitionen oder Bedeutungen zugewiesen bekommen26. In einem solchen Fall aber von einem Widerspruch zu sprechen, würde dessen Eigenart verkennen, die in den Rechtswissenschaften durch die Unvereinbarkeit der Norminhalte gekennzeichnet ist. 23  Engisch, Einheit, 43; dazu auch Felix, Einheit, 243. Dabei ordnet die vorliegende Untersuchung die von Engisch gleichfalls benannten Konkurrenzwidersprüche den Normwidersprüchen, die teleologischen Widersprüche und Prinzipienwidersprüche den Wertungswidersprüchen zu. Zu einer weitergehenden Abgrenzung der Konkurrenzwidersprüche von den Normwidersprüchen s. Engisch, Einheit, 46 u. 51; zum Verständnis der teleologischen Widersprüche und Prinzipienwidersprüche als Wertungswidersprüche s. sogleich Seite  142 [IV.]. 24  Engisch, Einheit, 43; Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (12 f.). 25  Engisch, Einheit, 45 f.; ebenso Felix, Einheit, 189 f., 210 f. u. 226; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 94. 26  Engisch, Einheit, 45 f.; Felix, Einheit, 190 u. 226 f.; Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (13). Zu gegenteiligen Einschätzungen s. die Nachweise bei Felix, a. a. O., 157–159.



Abschn. 1: Klassifikation von Widersprüchen

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II. Die Normwidersprüche Demgegenüber spricht man zutreffend von Normwidersprüchen oder Normkonflikten27, wenn die Rechtsordnung an gleiche Tatbestände einander ausschließende Rechtsfolgen knüpft, sodass für alle unter diese Normen zu fassenden Fälle ein Widerspruch auftritt28. In Abhängigkeit davon, ob der Adressat den Normen noch Folge leisten kann, gleichwohl sie einander ausschließende Rechtsfolgen anordnen, kann man dabei zwischen unvermeidbaren und vermeidbaren Normwidersprüchen differenzieren29: Im Falle eines unvermeidbaren Normwiderspruchs formulieren abstrakte Normen unvereinbare Handlungsanforderungen bzw. Normbefehle des Inhalts, dass ein Verhalten X gleichzeitig als verboten und geboten ausgewiesen wird. Bestimmt der Rechtssatz A also, dass das Verhalten X verboten ist, während der Rechtssatz B formuliert, dass dasselbe Verhalten X geboten ist, gerät der Gesetzesadressat diesbezüglich unvermeidlich in einen Konflikt, wenn er sein Verhalten einerseits an den Rechtssätzen ausrichten will, andererseits aber zwingend gegen eine der gesetzlichen Anordnungen verstoßen muss30. Etwas schwächer nun stellt sich der Konflikt in den Fällen des vermeidbaren Normwiderspruchs dar, wenn abstrakte Normen nur unvereinbare Handlungsbegrenzungen (verboten – erlaubt) oder -gebote (geboten – nicht geboten) formulieren, mithin ein Normbefehl nicht mit einem anderen Normbefehl, sondern mit einer Befreiung von seinen Anforderungen kollidiert. Zur Veranschaulichung stelle man dem Rechtssatz A, der das Verhalten X verbietet, einen Rechtssatz C gegenüber, der das Verhalten X nicht gebietet, sondern nur erlaubt. Durch Selektion der Botschaft des Rechts auf den Inhalt des Rechtssatzes A, der das Verhalten X verbietet, kann der Gesetzesadressat diesen beachten, ohne unvermeidlich gegen den Rechtssatz C zu verstoßen, der ihm das Verhalten X nur erlaubt, jedoch kein Handlungsgebot formuliert. Entsprechend ist es ihm auch möglich, einen ein Gebot 27  Zur in den Rechtswissenschaften problematischen Verwendung des Widerspruchsbegriffs und der alternativen Begrifflichkeit des Konflikts s. bereits oben Seite  134 [vor A.] m. Fn. 9 u. Felix, Einheit, 245. 28  Canaris, Systemdenken2, 117 u. 122; Engisch, Einführung8, 162; ders., Einheit, 46; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 96 f. u. 99; Kelsen, Normen, 99; ders., in: Wiener Rechtstheoretische Schule / 2, 1469 (1469 u. 1475 f.); Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 155. Zur Begründung des Grundsatzes, dass eine Handlung derselben Art (bzw. dieselbe Handlung) nicht zugleich verboten und geboten bzw. erlaubt sein kann, s. Engisch, Einheit, 54. 29  Zu dieser Diff. s. Felix, Einheit, 246–250 (zu unvermeidbaren Normkonflikten) u. 250 f. (zu vermeidbaren Konflikten). 30  Vgl. Felix, Einheit, 246 f., 248 u. 252. Verwirklicht sähe sich so die Def. eines zweiseitigen, „totalen“ Normenkonflikts nach Kelsen, Normen, 99, die Felix, Einheit, 245, mit dem Begriff des „Verletzungstests“ umschreibt.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

aussprechenden Rechtssatz zu befolgen, wenn ihm ein anderer Rechtssatz das fragliche Verhalten lediglich nicht gebietet31. Diese Differenzierung kann an Bedeutung gewinnen, wenn man die Notwendigkeit einer Auflösung des Normwiderspruchs diskutiert. Während Engisch es für die Annahme eines (verfassungsrechtlich bedenklichen) Normwiderspruchs als unerheblich erachtet, ob das fragliche Verhalten zugleich verboten und geboten (unvermeidbarer Normwiderspruch) oder verboten und erlaubt bzw. geboten und nicht geboten (vermeidbarer Normwiderspruch) ist32, nimmt Felix eine entsprechende Differenzierung vor und erkennt zwar die Auflösung des unvermeidbaren, nicht aber die des vermeidbaren Normkonflikts als verfassungsrechtlich geboten33. III. Die Wertungswidersprüche Die Verbote, Gebote und Erlaubnisse der so umschriebenen Normwidersprüche wirken nun aber nicht nur als Bestimmungsnormen, indem sie den Adressaten des Gesetzes verschiedene Handlungsanforderungen und -begrenzungen auferlegen. Stattdessen ist von jeder Bestimmungsnorm auch eine Bewertungsnorm erfasst, die durch ihren Normbefehl oder ihre Erlaubnis Wertmaßstäbe setzt: Wer etwa unvereinbare Handlungsanforderungen aufstellt, ein Verhalten derselben Art also sowohl für verboten als auch geboten erklärt, befindet das Verhalten gleichermaßen für „schlecht“ (verboten) wie „gut“ (geboten). Dies trifft ebenso auf denjenigen zu, der unvereinbare Handlungsbegrenzungen (verboten: „schlecht“; erlaubt: wenigstens „neutral“) oder unvereinbare Handlungsgebote (geboten: „gut“; nicht geboten: „neutral“) aufstellt34. Jeder Normwiderspruch beinhaltet also auch einen Wertungswiderspruch, der sich in einem weiteren Sinne dadurch auszeichnet, dass das Gesetz unvereinbare Wertungen manifestiert. Demgegenüber muss ein Wertungswiderspruch aber nicht zwingend zu einem Normwiderspruch spezifiziert werden können: Unvereinbare gesetzliche Wertungen können sich zwar auch, aber nicht nur in unvereinbaren Handlungsanforderungen, -begrenzungen oder -geboten niederschlagen, so nämlich dann, wenn zwei Rechtssätze zwar nicht identische, aber wertungsmäßig gleiche 31  So etwa in Sachverhalten einer in verschiedenen Teilrechtsordnungen gespaltenen Rechtmäßigkeitsbeurteilung; s. dazu Felix, Einheit, 250 f. u. 252. 32  Engisch, Einheit, 46 ff. u. 63. 33  Zsfd. Felix, Einheit, 252, mit eingehenden Erläuterungen a. a. O., 244–251; anders für die „allgemeine“ – von der Strafrechtswidrigkeit zu unterscheidende – Rechtswidrigkeit: Günther, Strafrechtswidrigkeit, 100. Vgl. dazu auch die nachfolgenden Ausführungen zur Normenklarheit i. w. S. auf den Seiten 149 f. [Abschnitt 2, B. II.]. 34  Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit, 99 f.



Abschn. 1: Klassifikation von Widersprüchen

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Sachverhalte grundlos unterschiedlich behandeln. Dem Rechtssatz A, der das Verhalten X verbietet, sei in diesem Sinne ein Rechtssatz D gegenübergestellt, der nicht das Verhalten X, aber das mit dem Verhalten X vergleichbare Verhalten Y gebietet oder erlaubt, ohne für diese abweichende Regelung einen sachlichen Grund erkennen zu lassen. Während es sich für den Adressaten ob der Vergleichbarkeit der Verhaltensweisen X und Y als problematisch erweist, eine den Rechtssätzen A und D gemeinsame gesetzliche Wertung nachzuvollziehen und zu verinnerlichen, ist es ihm ob der fehlenden Identität der einerseits verbotenen, andererseits gebotenen bzw. erlaubten Verhaltensweisen aber ohne Weiteres möglich, den gesetzlichen Anordnungen Folge zu leisten (und wird er mithin weder mit einem unvermeidbaren noch mit einem vermeidbaren Normwiderspruch konfrontiert). Entsprechendes gilt für das Zusammentreffen eines Rechtssatzes, der das Verhalten X gebietet, mit einem solchen, der nur das vergleichbare Verhalten Y nicht gebietet. Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand, manifestierte sich eine solche Wertungswidersprüchlichkeit beispielsweise da, wo der Gesetzgeber in Gefolgschaft der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG eine Gleichwertigkeit des (jedenfalls postnidativen) ungeborenen Lebens zum geborenen Leben verlautbarte, zugleich aber eine „ungleichwertige“ Abtreibungsgesetzgebung schüfe. Nicht mit unvereinbaren Handlungsanforderungen, -begrenzungen oder -geboten (ergo mit einem Normwiderspruch), aber mit einem unterschiedlich ausgeprägten Schutz des Rechtsguts des ungeborenen Lebens vor seiner Tötung würde der Gesetzesadressat hier konfrontiert: Während die einen gesetzlichen Normen der Tötung des ungeborenen Lebens einen bestimmten Unrechtsgehalt und mithin dem Rechtsgut des ungeborenen Lebens einen bestimmten Wert zuwiesen, erweckten andere gesetzliche Normen – für einen abgewandelten Kontext – den Eindruck, eine hiervon abweichende Bewertung zu treffen, wobei fraglich bliebe, ob der abgewandelte Kontext diese unterschiedliche Bewertung sachlich zu rechtfertigen weiß35. In diesem engeren Sinne kann ein Wertungswiderspruch – wie im folgenden Abschnitt über die verfassungsrechtliche Begründung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit noch näher ausgeführt werden wird – dergestalt definiert werden, dass das vom Gesetzgeber für gleich (schutzwürdig) Erachtete grundlos verschieden oder das von ihm selbst für verschieden Erachtete grundlos gleich behandelt wird36. 35  Ob die fraglichen Ungleichbehandlungen sachlich nicht gerechtfertigt werden können und mithin einen Wertungswiderspruch begründen, hat sich diese Untersuchung zu ergründen zum Ziel gesetzt. 36  Engisch, Einheit, 62 f.; Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 155; Renzikowski, GA 1992, 159 (170). Bereits hier zeichnet sich die Bedeutung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG) für die im folgenden Ab-

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

IV. Die teleologischen Widersprüche und Prinzipienwidersprüche Von den so umschriebenen Wertungswidersprüchen unterscheidet Engisch teleologische Widersprüche, die er als „Verletzungen der finalen Gesetzlichkeit“ dergestalt charakterisiert, dass der Gesetzgeber bestimmte Zwecke anstrebt, ohne die hierfür erforderlichen Mittel zu wollen – so etwa, wenn das Gesetz bestimmte Staatsfunktionen vorsieht, ohne die zur Wahrnehmung dieser Funktionen erforderlichen Behörden einzusetzen37. Präzise erfasst Engischs Definition des teleologischen Widerspruchs auch den Fall, dass der Gesetzgeber ein Verhalten als Mittel anordnet, ohne den allein in Frage kommenden Zweck zu wollen, und wird veranschaulicht durch den Fall, dass zwar Behörden eingesetzt werden, denen aber keine Funktion übertragen oder nicht die zur Ausübung der Funktion erforderlichen Zwangsbefugnisse überantwortet werden. Bei näherer Betrachtung dürfte dies jedoch bereits von derjenigen Definition des teleologischen Widerspruchs erfasst sein, nach welcher der Gesetzgeber einen bestimmten Zweck anstrebt, ohne die dafür erforderlichen Mittel zu wollen. Denn werden zwar Behörden (die vermeintlichen Mittel) eingesetzt, ohne dass ihnen jedoch eine Funktion oder erforderliche Zwangsbefugnisse überantwortet werden, so bleibt das Mittel unvollständig, anders ausgedrückt: ein bloßes „Schein-Mittel“ zur Verwirklichung eines seinerseits nur verlautbarten Zwecks. Nach hier vertretener Ansicht können solche teleologischen Widersprüche den Wertungswidersprüchen (in einem weiteren Sinne) zugeordnet werden: Indem der Gesetzgeber einen bestimmten Zweck anstrebt, offenbart er eine bestimmte Wertung, etwa diejenige, dass er ein bestimmtes Rechtsgut für schutzwürdig erachtet. Verzichtet er nun aber entgegen dieser Verlautbarung darauf, die für den Schutz des fraglichen Rechtsguts erforderlichen Mittel einzusetzen, so manifestiert sich in seinem Verzicht eine divergierende Wertung des Inhalts, dass er das fragliche Rechtsgut de facto für nicht schutzwürdig – weil eines Einsatzes der erforderlichen Mittel nicht würdig – erachtet. Neben den teleologischen Widersprüchen klassifiziert Engisch weiter auch sog. Prinzipienwidersprüche als eigene Widerspruchsart: Prinzipien­ widersprüche zeichneten sich dadurch aus, dass „ein Rechtsteil oder das Rechtsganze nach gegensätzlichen Grundgedanken gesetzgeberisch gestaltet ist, ohne dass die Verschiedenheit der Prinzipien in der Verschiedenheit der zu regelnden Lebensgebiete begründet ist“38. Die Abgrenzung zum Wertungswiderspruch – von Engisch selbst als „bloßer Gradunterschied“ beschnitt verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit ab; s. dazu eingehend Seite  162 ff. [Abschn.  2, E.]. 37  Engisch, Einheit, 63. 38  Engisch, Einheit, 64.



Abschn. 1: Klassifikation von Widersprüchen

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zeichnet – vollzieht er dergestalt, dass im Fall des Wertungswiderspruchs an einem Prinzip der Regelung versehentlich nicht konsequent festgehalten werde, während im Falle des Prinzipienwiderspruchs einander widersprechende Prinzipien gegenübergestellt würden39. Vorliegende Untersuchung folgt dieser – ihres Erachtens nicht weiterführenden – Differenzierung nicht, sondern subsumiert die Prinzipienwidersprüche unter obige Definition eines Wertungswiderspruchs: Infolge gegensätzlicher Prinzipien manifestieren sich im Gesetz gegensätzliche Wertungen bzw. wird wesentlich Gleiches ungleich behandelt.

C. Das Untersuchungsinteresse am Wertungswiderspruch Für die vorliegende Untersuchung sind es nun die potenziellen Wertungswidersprüche im strafgesetzlichen Schutz des ungeborenen Lebens, die einer näheren und kritischen Betrachtung unterzogen werden sollen. Es sind mithin nicht diejenigen Widersprüche, auf die das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen Bezug nimmt, wenn es ausführt, dass das „Rechtsbewusstsein […] durch widersprüchliche rechtliche Bewertungen verunsichert“ wird, und jene These an der rechtlichen Bewertung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs konkretisiert: „Ein solcher Widerspruch läge vor, wenn der schwangeren Frau in der Beratung eine rechtliche Orientierung gegeben würde, ihr Schwangerschaftsabbruch sei nur erlaubt, wenn Indikationen vorliegen, andererseits aber ihre Entscheidung für den Abbruch nach Beratung als gerechtfertigt, mithin als erlaubt angesehen würde, obwohl eine Indikation nicht festgestellt wird“40. Als einen (positiv-generalpräventiv abträglichen) Widerspruch bezeichnet das BVerfG hier eine rechtliche Aufklärung, nach der dieselbe Handlung (der nicht indizierte Schwangerschaftsabbruch) einerseits für rechtswidrig / nicht erlaubt (mangels Vorliegens einer Indikation), andererseits für rechtmäßig / erlaubt befunden würde. Kurz: Handlungsverbot und Handlungserlaubnis träfen aufeinander und bildeten einen vermeidbaren Normkonflikt, wie ihn der vorliegende Abschnitt beschrieben hat. Angesichts dieser verfassungsgerichtlichen Bezugnahme auf den vermeidbaren Normkonflikt statt Wertungswiderspruch reicht der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung über das in der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung zutage tretende Problembewusstsein des BVerfG mithin hinaus, indem sie sich der Freiheit von Wertungswidersprüchen statt Normkonflikten widmet und diese überdies nicht nur aus strafzwecktheoretischer, sondern auch aus verfassungsrechtlicher Sicht betrachtet. dazu u. vorstehendes Zitat aus Engisch, Einheit, 64 m. Fn. 2. Zitate aus BVerfGE 88, 203 (278); Hervorhebungen im Orig. nicht enthalten. 39  Siehe

40  Vorstehende

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

Bevor sich die Untersuchung aber einer entsprechenden Analyse einschlägiger Vorschriften des Strafgesetzbuches zuwendet, wird sie in den nachfolgenden beiden Abschnitten – und in Anknüpfung an den verfassungsrechtlichen wie strafzwecktheoretischen Diskurs der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG – bemüht sein, das Gebot einer Wertungswiderspruchsfreiheit des strafgesetzlichen Konzeptes zum Schutz des ungeborenen Lebens zunächst aus verfassungsrechtlicher, sodann aus strafzwecktheoretischer Sicht zu begründen. Abschnitt 2

Eine verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit – Die „Einheit der Rechtsordnung“ – „[W]enn irgend etwas der Rechtsdogmatik den von ihr begehrten Rang einer echten Wissenschaft – wir dürfen sogar noch anspruchsvoller sagen: den Rang der Wertungswissenschaft par excellence – zu sichern geeignet ist, so ist es die beherrschende Bedeutung des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung“. (Karl Engisch41)

Zum Ausgangspunkt seiner Suche nach einer verfassungsrechtlichen Begründung des Gebots der (Wertungs‑)Widerspruchsfreiheit benennt der vorliegende Abschnitt die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“42, der neben dem Gebot einer Lückenlosigkeit43 auch das Gebot einer Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung44 entnommen wird und deren zentrales Anliegen die Harmonisierung der verschiedenen Teilrechtsordnungen bildet, um auf diesem Wege eine widerspruchsfreie Gesamtrechtsordnung herzu41  Engisch,

Einheit, 1. beschränkt sich die Untersuchung im Anschluss an Felix, Einheit, 14, darauf, denjenigen Bedeutungsgehalt der Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ darzulegen, an welchem sich die gegenwärtige Rechtswissenschaft seit der gleichnamigen Schrift Engischs aus dem Jahre 1935 (hier verkürzt mit „Einheit“ zitiert) orientiert. Zu früheren Bedeutungsgehalten im 19. und 20. Jh. s. die Untersuchung von Baldus, Einheit. 43  Vgl. Böckel, Einpassung, 100. Dem Gebot einer Lückenlosigkeit kommt faktisch jedoch keine Bedeutung zu; Felix, Einheit, 143 m. weiterführenden Nw. in den Fn. 6–9. 44  Zur Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als Ausfluss der „Einheit der Rechtsordnung“ s. Canaris, Systemdenken2, 16 f.; Engisch, Einführung8, 160; ders., Einheit, 41 ff.; Felix, Einheit, 143. 42  Dabei



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stellen45. Von diesem zentralen Anliegen weicht die vorliegende Untersuchung ab, wenn sie ein durch die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ begründetes Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit auf Unterschiede erstreckt, die sich innerhalb derselben Teilrechtsordnung – der Strafrechtsordnung – auftun. Ein Erst-recht-Schluss rechtfertigt es allerdings, die Formel von der „Einheit“ auch hier für relevant anzuerkennen: Wenn sie bereits die Widerspruchslosigkeit der Gesamtrechtsordnung unter Harmonisierung ihrer verschiedenen Teilrechtsordnungen fordert, müsste sich diese Forderung erst recht auf eine Harmonisierung der verschiedenen Inhalte innerhalb dieser Teilrechtsordnungen erstrecken. Wenn die Untersuchung mithin die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ bemüht, um die Notwendigkeit einer inhaltlichen Harmonisierung innerhalb der Strafrechtsordnung verfassungsrechtlich zu begründen, so muss und will sie es dabei tunlichst vermeiden, die „Einheit“ als bloßes – begründungsloses und inhaltlich unbestimmtes – „Schlagwort“46 zur Anwendung zu bringen. Eben eine solche begründungslose und inhaltlich unbestimmte Anwendung der Formel ist es nämlich, aufgrund derer Kritik an ihr geübt wird47: So bemängelt Engisch bereits im Jahre 1935 deren inhaltliche Unbestimmtheit unter Hinweis darauf, dass jeder Schriftsteller selbiger einen anderen Inhalt zumesse48, und wird sie auch später noch als „hand­ liche ‚Allzweckwaffe‘ in juristischer Begründungsnot“49 definiert, die „zur feierlichen Verzierung dienend, geflissentlich eingestreut [wird], um eine stimmungshebende und allem Zweifel enthobene Aussage über das Gesamt der Rechtsordnung zu treffen“50. Nicht diese „Allzweckwaffe“, sondern eine im Folgenden durch geschriebene wie ungeschriebene Verfassungsgrundsätze konkretisierte „Einheit“ soll der vorliegenden Untersuchung zur verfassungsrechtlichen Begründung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit dienen. Zugleich wird aus einer dergestalt konkretisierten „Einheit“ auf 45  Siehe dazu Felix, Einheit, 12 u. 142 f., unter Nennung der klassischen Anwendungsgebiete der Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“: für das Verhältnis der Teilrechtsordnungen Verwaltungsrecht und Strafrecht im Bereich des Umweltstrafrechts a. a. O., 16, ebenso wie in der Diskussion um die Bedeutung strafrecht­ licher Rechtfertigungsgründe für die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns a. a. O., 57, für das Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Recht im Bereich des Nachbarrechts a. a. O., 83–85, zwischen dem Steuerrecht und anderen Teilrechtsordnungen a. a. O., 110–112. 46  Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (10). 47  Zsfd. zur Kritik an einer fehlenden Begründung und inhaltlichen Ausfüllung der Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ Felix, Einheit, 5–9. 48  Engisch, Einheit, 1; dazu auch Felix, Einheit, 13; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 89. 49  So Günther, Strafrechtswidrigkeit, 89; s. dazu auch Felix, Einheit, 8. 50  So Baldus, Einheit, 13; s. dazu auch Felix, Einheit, 8.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

die Voraussetzungen eines Wertungswiderspruchs geschlossen werden können, deren Verwirklichung die im Untersuchungsverlauf nachfolgende Analyse der einfachgesetzlichen Vorschriften zum Schutz des ungeborenen Lebens nachgehen wird.

A. Der Ursprung im materiellen Rechtsstaatsprinzip Im Bestreben nach einer verfassungsrechtlichen Begründung und Konkretisierung der „Einheit der Rechtsordnung“ werden verschiedene geschriebene und ungeschriebene Verfassungsgrundsätze angeführt, die gleichermaßen Teil des materiellen Rechtsstaatsprinzips sind. Als grundlegendes Ordnungsprinzip des Grundgesetzes anerkannt, ausdrücklich erwähnt jedoch nur in Art. 23 Abs. 1 GG und der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, wird das Rechtsstaatsprinzip vorrangig aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitet, der Bindung von Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht sowie der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung51. Gleichfalls als Sitz des Rechtsstaatsprinzips werden (neben Art. 20 Abs. 3 GG) unter anderem angesehen: Art. 1 Abs. 3 GG, die unmittelbare Bindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte, sowie Art. 20 Abs. 2 GG, der Grundsatz der Gewaltenteilung52. Welche dieser Bestimmungen des Grundgesetzes in welcher Kombination nun im Einzelnen das Rechtsstaatsprinzip garantiert, kann an dieser Stelle dahinstehen. Maßgeblich bleibt, dass das Grundgesetz das Rechtsstaatsprinzip garantiert, jedenfalls in einem Zusammenwirken der genannten Bestimmungen und nach der „Gesamtkonzeption des Grundgeset­zes“53. In Gegenüberstellung mit dem bürgerlich-liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts, der maßgeblich mit den Garantien von Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte sowie Gewaltenteilung und Gesetzesvorbehalt den „nur formellen“ Rechtsstaatsbegriff erfüllte, hat sich das deutsche Grundgesetz – u. a. in Reaktion auf den Missbrauch des „nur formellen“ Rechtsstaats durch das totalitäre, nationalsozialistische Regime – einem „auch materiellen“ Rechtsstaatsprinzip zugewandt und formuliert mithin bestimmte materielle Anforderungen an die Rechtsordnung selbst, durch die die staatliche Gewalt begrenzt sowie der sachliche Gehalt und die 51  Siehe etwa BVerfGE 35, 41 (47); 39, 128 (143); dazu Felix, Einheit, 236 m. Fn. 299 m. w. N. in Fn. 100. 52  Zu diesen und weiteren das Rechtsstaatsprinzip konkretisierenden Grundgesetzbestimmungen s. Felix, Einheit, 236 Fn. 299; Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG-K / III67, Art. 20 Rn. 22–30; Stern, Staatsrecht / I2, § 20, II 3. 53  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 2, 380 (403); s. ferner Stern, Staatsrecht / I2, § 20, II 3.



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Art und Weise staatlicher Maßnahmen bestimmt werden sollen54. Hierzu zählen auch diejenigen Verfassungsgrundsätze, die im Folgenden zitiert werden, um die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ zu begründen und zu konkretisieren. Es handelt sich hierbei um: das dem Verfassungsgrundsatz der Rechtssicherheit, präzise der Rechtsklarheit, zu entnehmende Gebot der Normenklarheit i. w. S.; den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem ein Verbot der Beeinträchtigung der Zielsetzungen anderer Teilrechtsordnungen bzw. Rechtsnormen entlehnt wird; die durch Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG garantierte Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte, die anschaulich auch als Ausfluss eines Prinzips der Normenhierarchie bzw. Normenpyramide umschrieben wird; schließlich die Bindung des Gesetzgebers an den in Art. 3 Abs. 1 GG garantierten allgemeinen Gleichheitssatz, die ob des grundrechtsgleichen Charakters des Art. 3 Abs. 1 GG einer entsprechenden Anwendung des Art. 1 Abs. 3 GG entnommen wird oder aber in Abhängigkeit davon bejaht wird, dass die Gesetzgebung konkrete Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Einzelnen zu zeigen vermag.

B. Der Grundsatz der Rechtssicherheit Insofern wird die Untersuchung also zunächst der Grundsatz der Rechtssicherheit, präzise das ihm entlehnte Gebot der Normenklarheit i. w. S., näher beschäftigen. Mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit55 verbürgt das Grundgesetz die Bestimmtheit (Rechtsklarheit) und Verlässlichkeit (den Vertrauensschutz) der Rechtsordnung. Während der Grundsatz des Vertrauensschutzes eine Beständigkeit der Rechtsordnung in zeitlicher Hinsicht gewährleisten will, garantiert der Grundsatz der Rechtsklarheit die Bestimmtheit und Klarheit der einzelnen Norm (Normenklarheit i. e. S.) einerseits, der gesamten Rechtsordnung (Normenklarheit i. w. S.) andererseits56. Gemeinsame Ratio der Garantien von Rechtsklarheit und Vertrauensschutz ist der Normadressatenschutz bzw. die Wahrung der Bewertungsund Bestimmungsfunktion des Rechts: Demnach sollen rechtliche Normen dem einzelnen Bürger als Maßstab seines Handelns dienen (BewertungsStaatsrecht / I28, Rn. 132 f.; Stern, Staatsrecht / I2, § 20, I 2 u. 3. Rechtssicherheit als „Essentiale des Rechtsstaatsprinzips“ s. Günther, Strafrechtswidrigkeit, 94; s. ferner BVerfGE 2, 380 (403); 7, 194 (196); 45, 187 (246); 48, 1 (20); 49, 148 (164); Felix, Einheit, 254. Zur Begründung eines Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Rechtssicherheit, Bestimmtheitsgebot) s. Henkel, Rechtsphilosophie, 335 f. („Orientierungssicherheit“). Zur „Herstellung von Rechtseinheit […] unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit“ s. außerdem BVerfGE 31, 275 (290); Canaris, Systemdenken2, 17 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 94. 56  Felix, Einheit, 192 m. Fn. 26 u. 255 f. 54  Degenhart, 55  Zur

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

funktion) und ihn zu einem bestimmten Handeln motivieren (Bestimmungsfunktion), um so eine Ordnung des Gemeinschaftslebens herzustellen. Dieser Aufgabe können Rechtsnormen jedoch nur dann nachkommen, wenn sie dem Adressaten ermöglichen, ihren rechtlichen Maßstab zu erkennen und sein Verhalten entsprechend dieser Einsicht zu steuern57. Vorliegende Untersuchung stellt mit der Problematisierung einer etwaigen Wertungswidersprüchlichkeit in der gegenwärtigen Rechtslage deren zeit­ liche Verlässlichkeit nicht in Frage; von Untersuchungsrelevanz ist mithin nicht der Grundsatz des Vertrauensschutzes, sondern allenfalls derjenige der Rechts- bzw. Normenklarheit. I. Die Normenklarheit i. e. S. Dem Grundsatz der Rechts- bzw. Normenklarheit wird in einem engeren Sinne zunächst der allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz entnommen, nach welchem dem Wortlaut einer Norm deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen hinreichend klar zu entnehmen sein müssen, sodass die von der Norm Betroffenen „die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können“58. Für den Gegenstand vorliegender Untersuchung ist eine solche Normenklarheit i. e. S. nun weniger von Belang, bezieht sich eine solche doch nicht auf Widersprüchlichkeiten zwischen verschiedenen Normen, sondern ausschließlich auf die Bestimmtheit der einzelnen Norm59. 57  Günther, Strafrechtswidrigkeit, 95 u. 99 f.; Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (146); vgl. auch Felix, Einheit, 163 u. 192 f.; ferner Henkel, Rechtsphilosophie, 334, der eine „Gewißheit des Rechts“ jedoch nicht nur für die „Rechtsunterworfenen“, sondern auch für den Rechtsanwender garantiert wissen will; zur Bewertungs- und Bestimmungsfunktion der Strafrechtsordnung s. außerdem Jescheck / Weigend, AT5, 236–238. Auf dem Rechtsgebiet des Strafrechts, dem sich diese Untersuchung widmet, kehrt dieser Gedanke einer Bewertungs- und Bestimmungsfunktion von Rechtsnormen im Strafzweck der positiven Generalprävention wieder; s. dazu auf den Seiten 180 ff. [Abschn.  3] zur strafzwecktheoretischen Begründung einer Freiheit von Wertungswidersprüchen. 58  Vorstehendes Zitat aus BVerfGE 21, 73 (79); in diesem Sinne auch BVerfGE 52, 1 (41); 87, 234 (263); s. dazu ferner Degenhart, Staatsrecht / I28, Rn. 355; Felix, Einheit, 192 f. u. 237; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 95; Henkel, Rechtsphilosophie, 336. Zur Ableitung des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes aus dem Rechts­ sicherheitsgedanken s. BVerfGE 14, 13 (16); 47, 239 (247); 47, 327 (385); 49, 89 (137). Weiter werden zur Begründung des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes die formell-rechtsstaatlichen Prinzipien der Gewaltenteilung, des Gesetzesvorrangs sowie Gesetzesvorbehalts herangezogen; Degenhart, a. a. O., Rn. 355. Zu Art. 103 Abs. 2 GG als lex specialis für das Strafrecht s. ders., a. a. O., Rn. 358, u. Felix, a. a. O., 193–196; zu Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG als lex specialis für den Erlass von Verordnungen s. Degenhart, a. a. O., Rn. 330. 59  Vgl. Felix, Einheit, 238.



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II. Die Normenklarheit i. w. S. Demgegenüber erfasst das Gebot der Normenklarheit in einem weiteren Sinne60 auch Widersprüche, die sich zwischen verschiedenen Normen ergeben: Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung wird insofern als ein durch das Gebot der Rechtsklarheit näher definierter Ausfluss der „Einheit der Rechtsordnung“ anerkannt61. In seiner Reichweite erfährt dieses Gebot jedoch unterschiedliche Einschränkungen: Ob man nämlich auch in vermeidbaren Normwidersprüchen und den vorliegend interessierenden Wertungswidersprüchen – die nicht die Klarheit über den Normbefehl, aber die Klarheit über die dem Befehl zugrunde liegenden Wertungen tangieren – einen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit i. w. S. verwirklicht sieht, beurteilt sich in Abhängigkeit davon, wie weit man dessen Ratio fasst, eine Bewertungs- und Bestimmungsfunktion des Rechts zu wahren. 1. Die Klarheit über den jeweiligen Normbefehl

Nach einer restriktiven Definition seines Inhaltes verlangt Normenklarheit i. w. S. (nur) die Eignung der gesetzlichen Vorschriften, ihren jeweiligen Normbefehl für den Adressaten verständlich zu transportieren (Bewertungsfunktion) und ihm so eine Orientierung seines Verhaltens an dem verstandenen Befehl konfliktfrei zu ermöglichen (Bestimmungsfunktion)62. Nicht erfüllt wären die Anforderungen eines dergestalt restriktiv gefassten Gebots der Normenklarheit i. w. S. zunächst zweifellos in denjenigen Fällen, in denen die Inhalte der gesetzlichen Anordnung infolge der Widersprüchlichkeit überhaupt nicht zu verstehen sind. Verletzt wäre die Normenklarheit i. w. S. ebenfalls, wenn ein unvermeidbarer Normwiderspruch auftritt, wenn also zwei Handlungsanforderungen und mithin Normbefehle kollidieren, so etwa wenn das Gesetz das Verhalten X gleichzeitig als verboten und geboten ausweist63. Bestimmt der Rechtssatz A, dass das Verhalten X verboten ist, während der Rechtssatz B formuliert, dass dasselbe Verhalten X geboten ist, kann der Adressat weder rational nachvollziehen, welches Verhalten von ihm erwartet wird (Vornahme des Verhaltens X oder Verzicht auf selbiges?), noch kann er sein Verhalten daran ausrichten. Denn beachtet er den Rechtssatz A und unterlässt das Verhalten X, so verstößt er unvermeidlich gegen den Rechtssatz B, der von ihm ja gerade die Vornahme dieses Verhaltens diesem Begriff s. Felix, Einheit, 241 m. Fn. 343. dazu Felix, Einheit, 240 f. 62  Felix, Einheit, 236; vgl. auch Günther, Strafrechtswidrigkeit, 95; Henkel, Rechtsphilosophie, 335. 63  Siehe dazu Felix, Einheit, 246 f. u. 248; zum unvermeidbaren Normwiderspruch auch bereits oben Seite  139 [Abschn.  1, B. II.]. 60  Zu

61  Siehe

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

verlangt. Beachtet er demgegenüber den Rechtssatz B und nimmt das Verhalten X vor, verstößt er unweigerlich gegen den Rechtssatz A, der ihm selbiges verbietet. Selbst die restriktiv definierte Zielsetzung eines am Gebot der Normenklarheit i. w. S. ausgerichteten Gesetzes, nur seinen jeweiligen Normbefehl für das Verhalten X verständlich zu vermitteln und über jenes Verständnis das Verhalten seines Adressaten zu steuern, wäre gänzlich verfehlt, selbst der rechtstreueste Adressat vielmehr zur Normverletzung verdammt, kann er den einander ausschließenden Normbefehlen doch unmöglich genügen64. Etwas schwächer nun stellt sich der Konflikt bereits in den Fällen eines vermeidbaren Normwiderspruchs dar, wenn die gesetzlichen Vorschriften nur unvereinbare Handlungsbegrenzungen (verboten – erlaubt) oder -gebote (geboten – nicht geboten) formulieren, wenn also mithin ein Normbefehl nicht mit einem anderen Normbefehl, sondern nur mit einem seine Handlungsanforderungen verneinenden Tatbestand kollidiert65. Man nehme erneut den Rechtssatz A, nach dem das Verhalten X verboten ist, stelle ihm nunmehr jedoch den Rechtssatz C gegenüber, der das Verhalten X nicht gebietet, sondern nur erlaubt. Auch hier wird der Adressat zunächst vor Schwierigkeiten gestellt, will er erfassen, welches Verhalten von ihm erwartet wird. Im Zweifel aber wird er diejenige gesetzliche Regelung als maßgeblich für seine Verhaltensorientierung anerkennen, welcher er Folge leisten kann, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten: Selektiert er in diesem Sinne die Botschaft des Gesetzes auf den Normbefehl A, der das Verhalten X verbietet, kann er diesen beachten, ohne unvermeidlich gegen den Rechtssatz C zu verstoßen, der ihm das Verhalten X nur erlaubt, jedoch kein Handlungsgebot formuliert66. Ob der Vermeidbarkeit einer Normverletzung und vorbehaltlich einer Eigenleistung des Adressaten – nämlich einer auf die Vermeidung einer potenziellen Normverletzung gerichteten Lesart des Gesetzes –, vermag das Gesetz hier seiner Bewertungs- und Bestimmungsfunktion bezüglich des Normbefehls A noch zu genügen. Indem es dem Normbefehl einen Tatbestand gegenüberstellt, der dessen Handlungsanforderungen verneint, produziert es jedoch einen (Wertungs‑)Widerspruch, für den es eine Antwort auch weiterhin schuldig bleibt. Eine weitergehende Abschwächung des Konflikts tritt im Falle des vorliegend interessierenden Wertungswiderspruchs auf, wenn zwei Rechtssätze nicht unvereinbare Handlungsanforderungen (wie im Falle des unvermeid64  Vgl. die Def. eines zweiseitigen, „totalen“ Normenkonflikts nach Kelsen, Normen, 99; dazu auch Felix, Einheit, 245 m. Fn. 367 („Verletzungstest“). 65  Zum vermeidbaren Normwiderspruch s. bereits oben Seite  139 [Abschn.  1, B. II.] u. Felix, Einheit, 250 f. 66  Vgl. Felix, Einheit, 250 f.



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baren Normwiderspruchs), Handlungsbegrenzungen oder -gebote (wie im Falle des vermeidbaren Normwiderspruchs) formulieren, sondern nur unvereinbare Wertungen transportieren bzw. zwar nicht identische, aber wertungsmäßig gleiche Sachverhalte grundlos unterschiedlich behandeln67. Dem Rechtssatz A, der das Verhalten X verbietet, werde also z. B. ein Rechtssatz D gegenübergestellt, der nicht das Verhalten X, aber das mit dem Verhalten X vergleichbare Verhalten Y gebietet oder erlaubt, ohne für diese abweichende Regelung einen sachlichen Grund erkennen zu lassen. In dieser Konstellation nun wäre es dem Adressaten ohne Weiteres – auch ohne eingeschränkte Lesart des Gesetzes – möglich, rational nachzuvollziehen, welches Verhalten das Gesetz von ihm in welchem (jeweils abgewandelten) Kontext erwartet, und an jenem Verständnis sein Verhalten auszurichten: Das Verhalten X ist verboten und mithin von ihm zu unterlassen, während das davon zu unterscheidende Verhalten Y geboten bzw. erlaubt und mithin von ihm vorzunehmen bzw. seiner Entscheidung überlassen ist. Ob der Vergleichbarkeit der Verhaltensweisen X und Y dürfte es sich für den Adressaten jedoch als problematisch erweisen, die grundlegende Ratio des sich ihm präsentierenden Gesetzes nachzuvollziehen und zu verinnerlichen, weist es auf der einen Seite – im Rechtssatz A durch das Verbot des Verhaltens X – einem geschützten Rechtsgut einen bestimmten Wert zu und dessen Verletzung als ein bestimmtes Unrecht aus, während es auf der anderen Seite – im Rechtssatz D durch das Gebot bzw. die Erlaubnis des vergleichbaren Verhaltens Y – grundlos einen davon abweichenden Wert- und Unrechtsgehalt zu statuieren scheint. So klar das Gesetz hier seine Normbefehle zu formulieren gewusst hat – seine Wertungen, die jenen Befehlen zugrunde liegen, bleiben ob der grundlos unterschiedlichen Regelung vergleichbarer Sachverhalte wiederum im Unklaren. Entsprechendes gilt für das Zusammentreffen eines Rechtssatzes, der das Verhalten X gebietet, mit einem solchen, der das vergleichbare Verhalten Y nicht gebietet. Folgte man nun der einleitend angeführten restriktiven Definition des Gebots der Normenklarheit i. w. S. und schränkte die angestrebte Bewertungs- und Bestimmungsfunktion des Gesetzes dergestalt auf eine Klarheit des Normbefehls ein, dass der Adressat nur den an ihn gerichteten Befehl äußerlich bzw. rational soll nachvollziehen und befolgen können, so tangierten weder vermeidbare Normwidersprüche noch Wertungswidersprüche die angestrebte Klarheit über den Normbefehl: Während der Gesetzesadressat im Falle eines vermeidbaren Normwiderspruchs den an ihn gerichteten Normbefehl durch eine potenzielle Normverletzungen vermeidende Lesart des Gesetzes zu erfassen und konfliktfrei zu befolgen vermag, ließen blo67  Zum

Wertungswiderspruch s. bereits oben Seite  140 f. [Abschn.  1, B. III.].

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

ße Wertungswidersprüche die Klarheit der Normbefehle von vornherein unberührt68. 2. Die Wertungsklarheit

Anders nun, erstreckte man die Ratio des Gebots der Normenklarheit i. w. S. über die Klarheit des Normbefehls hinaus auch auf die Verwirklichung von Wertungsklarheit: In einer weiter gefassten Definition des Gebots der Normenklarheit i. w. S. verlangte es den gesetzlichen Vorschriften mithin die Eignung ab, nicht nur ihren Normbefehl, sondern auch die dem Befehl zugrunde liegenden Wertungen für den Adressaten verständlich zu transportieren und jenem ob dieses Verständnisses eine Orientierung nicht nur an dem Befehl, sondern auch an den zugrunde liegenden Wertungen zu ermöglichen. Normenklarheit i. w. S. hieße, dass der Adressat die gesetzliche Anordnung nicht nur äußerlich bzw. rational soll nachvollziehen und befolgen können, sondern dass er auch deren zugrunde liegende Wertungen soll verinnerlichen können69. Rechtliche Gebote und Verbote müssten im Kontext der übrigen Regelungen des jeweiligen Gesetzes, Rechtsgebietes und der gesamten Rechtsordnung nicht nur zu klaren, eindeutigen und verständlichen Verhaltensregeln, sondern auch zu einer entsprechenden Klarheit in den Wertmaßstäben führen – dergestalt, dass sie wertungsgemäß gleiche Sachverhalte ohne sachlichen Grund nicht unterschiedlich regelten70. In einer dergestalt weit gefassten Definition formulierte das Gebot der Normenklarheit i. w. S. mithin nicht nur ein Verbot unvermeidbarer Normwidersprüche, sondern auch ein solches vermeidbarer Normwidersprüche und Wertungswidersprüche. Für die vorliegende Untersuchung bleibt festzuhalten, dass der ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Rechtsklarheit und mit ihm das Gebot der Normenklarheit i. w. S. zwar der verfassungsrechtlichen Begründung einer „Einheit der Rechtsordnung“ dient, aber nur umstritten – nämlich in Abhängigkeit von der Auslegung seiner Ratio des Normadressatenschutzes  – auch auf Wertungswidersprüche zur Anwendung kommt.

68  Zur Unbedenklichkeit der Wertungswidersprüche vgl. auch Engisch, Einheit, 63. Jedoch muss der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG die „Grenze für ihre Tolerierung“ bilden; Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 155 m. Fn. 46. 69  Vgl. die positiv-generalpräventive Begründung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit auf den Seiten 180 ff. [Abschn.  3]. 70  Zu den diesbzgl. Überschneidungen eines Gebots der Normenklarheit i. w. S. mit dem Gleichbehandlungspostulat vgl. Canaris, Systemdenken2, 17 f.; Engisch, Einheit, 62 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 96.



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C. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Neben diesem Gebot der Normenklarheit i. w. S. erlangt auch der – dem materiellen Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten entnommene71 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seine Bedeutung in der verfassungsrecht­lichen Begründung und Konkretisierung einer „Einheit der Rechtsordnung“. Allgemein werden seine inhaltlichen Anforderungen dahingehend formuliert, dass ein Eingriff in Grundrechte oder eine Ungleichbehandlung nur dann gerechtfertigt sind, wenn Eingriff bzw. Ungleichbehandlung einen legitimen Zweck verfolgen, zur Zweckerfüllung geeignet und erforderlich sind sowie in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen72. In der Zielsetzung, eine „Einheit der Rechtsordnung“ verfassungsrechtlich zu begründen und zu konkretisieren, wird unter diese Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nun das Verbot einer Beeinträchtigung der Zielsetzungen anderer Teilrechtsordnungen subsumiert: Angemessen bzw. verhältnismäßig i. e. S. nämlich könne eine gesetzliche Regelung nur dann sein, wenn sie die Zielsetzungen anderer Teilrechtsordnungen nicht offenkundig beeinträchtige, nämlich wenn die durch sie bedingte Störung anderer Zielsetzungen durch ihre Vorteile aufgewogen werde73. Übertragen auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand wäre das so formulierte Verbot der Beeinträchtigung der Zielsetzung anderer Teilrechtsordnungen zunächst neuerlich entsprechend auf Beeinträchtigungen verschiedener Zielsetzungen innerhalb derselben Teilrechtsordnung anzuwenden74: Den unterschiedlichen Ausprägungen des Schutzes ungeborenen Lebens, die sich innerhalb der Strafrechtsordnung offenbaren, könnten entsprechend unterschiedliche Zielsetzungen des Gesetzgebers zugrunde liegen. Prüfte man also die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen bzw. Ungleichbehandlungen durch das Strafgesetz, wären etwaige Beeinträchtigungen strafgesetzlicher Zielsetzungen als Nachteile gegen die Vorteile einer so getroffenen 71  BVerfGE 19, 342 (348 f.); für eine Ableitung aus den Grundrechten s. Kunig, Rechtsstaatsprinzip, 350; zsfd. Felix, Einheit, 300 m. Fn. 671; Martini, Rechtsgleichheit, 151 f. 72  Kunig, Rechtsstaatsprinzip, 195; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 289, 299 u. (für Ungleichbehandlungen gemäß Art. 3 Abs. 1 GG) Rn. 472. 73  Felix, Einheit, 382. 74  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Martini, Rechtsgleichheit, 294 f., zur sog. Systemgerechtigkeit in der verfassungsgerichtlichen Rspr: Vereinbarkeit einer Einzelbestimmung mit denjenigen „Grundgedanken oder -prinzipien“, die „der Gesetzgeber der Ausgestaltung der jeweiligen Rechtsmaterie zugrunde gelegt hat“; Hervorhebungen nicht im Original. Angesprochen sind demnach „wichtige Ziele […], die der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung des jeweiligen Sachbereichs zugrunde liegen, dem die zu überprüfende Bestimmung angehört“; Hervorhebungen nicht im Original.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

Regelung abzuwägen. Angemessen bzw. verhältnismäßig i. e. S. wäre eine strafgesetzliche Regelung im Ungeborenenschutzsystem nur dann, wenn sie nicht die Zielsetzungen anderer strafgesetzlicher Regelungen zum Ungeborenenschutz beeinträchtigte75. V. a. aber gilt es an dieser Stelle auch die positiv-generalpräventive Funktion zu bedenken, die das BVerfG dem Ungeborenenschutz im Allgemeinen und der Abtreibungsgesetzgebung im Besonderen zugeschrieben hat: Im Gefolge der Gleichwertigkeitsthese stehen die einschlägigen Vorschriften demnach in der gemeinsamen, positiv-generalpräventiv begründeten Pflicht, ein solches Wertbewusstsein zu vermitteln, nach dem menschliches Leben in all seinen (jedenfalls postnidativen) Entwicklungsstadien, den pränatalen wie postnatalen, gleichwertig wäre. Ebenso stehen sie in der Pflicht, ein Unrechtsbewusstsein zu transportieren, nach dem jedenfalls die postnidative Tötung ungeachtet des betroffenen Entwicklungsstadiums Missbilligung erfährt und sich Unterschiede im diesbezüg­ lichen Schutzniveau des Gesetzes auf sachliche Gründe zurückführen lassen76. Kommt eine der angesprochenen Vorschriften im strafgesetzlichen Lebensschutz dieser Verpflichtung nun nicht nach, indem sie kein Bewusstsein von der Gleichwertigkeit, sondern Ungleichwertigkeit des menschlichen Lebens in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien vermittelt, könnte sie auch aus diesem Grunde für unangemessen befunden werden: unangemessen, weil sie die übergeordnete Ratio eines der Gleichwertigkeitsthese verpflichteten Ungeborenenschutzes verletzte.

D. Die Vereinbarkeit mit den Grundrechten, Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG Dem materiellen Rechtsstaatsprinzip entstammt ebenfalls die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte, ein in den Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG niedergeschriebener Verfassungsgrundsatz, dessen (Wertungs‑)Einheit stiftende Wirkung in Anlehnung an die sog. Stufentheorie des Rechts durch die Vorstellung eines mehrstöckigen Rechtsgebäudes oder einer Normen­ hierarchie bzw. Normenpyramide veranschaulicht werden kann77.

75  Dazu, dass die „Einheit“ nicht nur im Verhältnis verschiedener Teilrechtsordnungen, sondern auch innerhalb ein- und derselben Teilrechtsordnung beansprucht werden kann, s. oben Seite  144 [vor A.] m. Fn. 45. 76  Siehe oben zum strafzwecktheoretischen Diskurs der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen in Kap. 2, Seite  124 ff. [Abschn.  2, A.]. 77  Belling, Rechtfertigungsthese, 48; Felix, Einheit, 177 f. Diesem Verfassungsgrundsatz werden auch die Grundsätze einer (mittelbaren) Drittwirkung der Grundrechte (Felix, a. a. O., 178) sowie einer verfassungskonformen Auslegung entnommen (dies., a. a. O., 180 f.).



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 155

I. Die Normenpyramide nach der Stufentheorie In einer Normenpyramide treten die verschiedenen Ebenen einer Rechtsordnung dergestalt in ein Verhältnis der Subordination zueinander, dass die einfachen Gesetze der verfassungsmäßigen Ordnung unterstellt sind und Akte der vollziehenden Gewalt sowie der Rechtsprechung wiederum den einfachen Gesetzen nachfolgen. Dem zugrunde liegt eine wenigstens bis in das 18. Jahrhundert zurückreichende Vorstellung, wie Recht konstruiert sei: Die Rechtssätze könnten auf einige wenige Grundsätze oder gar auf nur eine einzige Grundnorm zurückgeführt werden, deren Wertungsgehalt in den niederen Rechtsnormen lediglich weiter konkretisiert, aber stetig beibehalten werde78. Auf das Verhältnis zwischen Grundgesetz und einfachen Gesetzen bezogen, kann man sich mithin – bildlich gesprochen – das Grundgesetz und seine grundrechtlichen Gewährleistungen an der Spitze der Pyramide vorstellen, während die einfachen Gesetze ihnen „zu Füßen liegen“. Der Vollständigkeit halber muss Erwähnung finden, dass die Stufentheorie jedenfalls in ihren Ursprüngen nicht die Verfassung an die abschließende Spitze der Pyramide setzt, sondern selbige ihrerseits einer davon zu unterscheidenden „Grundnorm“ unterstellt. Auch Engisch unterscheidet jene „Grund- und Ursprungsnorm“ von der Verfassung, indem er sie „im Sinne einer die höchsten zur Rechtschöpfung berufenen Instanzen legitimierenden Regel“ und mithin als „Regel, die z. B. in parlamentarischen Staaten einer Volksvertretung […] die oberste, jede andere delegierende Rechtssetzungsbefugnis zuspricht“, definiert79. Von der Verfassung unterscheidet er sie einerseits, weil eine konkrete Verfassung mehr beinhalten kann als die Regeln über die Rechtschöpfung, andererseits, weil die Verfassung nur eine Präzisierung einer bereits vorhandenen Grundnorm bedeute, und schließlich, weil Änderungen der Verfassung den Bestand der Grundnorm unberührt ließen80. Auch Kelsen versteht die „Grundnorm“ als eine der Verfassung vorgelagerte, gedachte, rechtslogische Norm81. Wenn die vorliegende Untersuchung – prima facie davon abweichend – das Grundgesetz mit seinen grundrecht­ lichen Gewährleistungen an die Spitze der Normenpyramide setzt, geschieht dies mit Blick darauf, dass sie ein Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit verfassungsrechtlich zu begründen versucht und mithin ausschließlich interessiert ist, das Verhältnis von Verfassung und einfachem Recht (als Ausschnitt der Normenpyramide) zu beleuchten. 78  Vgl. dazu Baldus, Einheit, 33; ausführl. zur Diskussion einer so begründeten systematischen Einheit des positiven Rechts a. a. O., 24–49 m. w. N. 79  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Engisch, Einheit, 11 f. 80  Engisch, Einheit, 12 m. Fn. 1. 81  Siehe dazu Baldus, Einheit, 138 f. m. w. N.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

II. Die Freiheit von vertikalen Wertungswidersprüchen Entsprechend dieser hierarchischen Anordnung müssen Rechtsnormen stets mit den Grundrechten (einschließlich den durch sie transportierten Wertungen) vereinbar sein und wäre ob dieser Grundrechtsbindung des Gesetzgebers eine Freiheit von solchen Wertungswidersprüchen zu erwarten, die sich zwischen der Ebene der Verfassung bzw. Verfassungskonkretisierung und derjenigen des einfachen Rechts bilden können. Derartige Wertungswidersprüche werden von der vorliegenden Untersuchung – ob der Subordination der einfachen Gesetze unter die Verfassung – als vertikale Wertungswidersprüche bezeichnet82. Sofern einer solchen „Wertungswiderspruchsfreiheit qua Verfassung“ entgegengesetzt wird, dass die Verfassung selbst nicht i. S. e. „Einheit“ gestaltet sei, d. h. mit den Garantien kollidierender Grundrechte widersprüchliche Gewährleistungen ausspreche, und insofern einer „Gesetzeseinheit“ nicht zur Orientierung dienen könne83, kann dem erwidert werden, dass solche „Widersprüche“ über einen verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich, namentlich über eine Abwägung kollidierender Rechtsgüter, aufzulösen sind84. Wenn das Grundgesetz also einerseits den Wert X, andererseits den hierzu in Konkurrenz tretenden Wert Y verbürgt, so ist jene Kollision von Grundrechtsgewährleistungen bzw. von den in ihnen enthaltenen Wertungen im Wege einer kontextualen Abwägung aufzulösen. Nicht an X oder Y und damit an widersprüchlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben haben sich die einfachen Gesetze mithin zu orientieren, sondern an dem Ergebnis einer verfassungsmäßigen Abwägung von X und Y, welches sie in ihre eigene Konzeption zu übernehmen haben. III. Die mittelbare Freiheit von horizontalen Wertungswidersprüchen Ob dieser (vertikalen) Bindung aller Rechtsnormen an die grundrecht­ lichen Gewährleistungen bzw. an die in ihnen enthaltenen Wertungen wäre mittelbar auch eine horizontale Wertungseinheit innerhalb des einfachen Rechts zu erwarten. Als horizontal werden vorliegend Wertungswidersprüche bezeichnet, die sich auf derselben Ebene der Normenpyramide bilden können – in Abgrenzung zu vertikalen Wertungswidersprüchen, die sich 82  In Abgrenzung zu horizontalen Wertungswidersprüchen, die sich auf derselben Ebene der Normenpyramide bilden können und auf die nachfolgend noch eingegangen werden wird; s. dazu Seite  156 [III.]. Vgl. auch Rohrer, Menschenwürde, 207, sofern er von einer Wirkrichtung des Grundgesetzes schreibt, die „vertikal von oben nach unten“ verläuft. 83  Vgl. etwa Müller, Einheit2, 106; zsfd. u. m. w. N. dazu: Felix, Einheit, 182. 84  Felix, Einheit, 182.



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 157

zwischen verschiedenen, in einem Verhältnis der Subordination stehenden Ebenen der Normenpyramide bilden. Wenn das Grundgesetz nun den Wert X verbürgt und jede einzelne Rechtsnorm hieran gebunden ist, müsste sich selbige Wertung in jeder einzelnen Rechtsnorm widerspiegeln und ein diesbezüglicher horizontaler Wertungswiderspruch zwischen den einfachgesetzlichen Vorschriften ausgeschlossen sein. Die vertikale Wertungswiderspruchsfreiheit jeder einzelnen Rechtsnorm, die ob ihrer Bindung an die Verfassung den grundrechtlichen Wert X umsetzt, garantierte eine entsprechende horizontale Wertungswiderspruchsfreiheit der einfachgesetzlichen Vorschriften, die denselben Wert X zum Ausgangspunkt und Leitmotiv ihrer Tatbestandsbildung machen. Im umgekehrten Fall bedingte die vertikale Wertungswidersprüchlichkeit einer einzelnen Rechtsnorm, die entgegen ihrer Bindung an die Verfassung den grundrechtlichen Wert X nicht beachtet, ihre horizontale Wertungswidersprüchlichkeit zu anderen einfachgesetz­ lichen Vorschriften, die den Wert X als maßgeblich anerkannt haben. Indem die Normenpyramide vertikalen Wertungswidersprüchen zwischen Verfassungskonkretisierung und einfachem Recht begegnet, beugt sie mithin gleichzeitig horizontalen einfachgesetzlichen Wertungswidersprüchen vor, deren Entstehung in der vertikalen Wertungswidersprüchlichkeit vereinzelter strafgesetzlicher Regelungen bedingt wäre. Demgegenüber begründet der Grundsatz der Normenpyramide keine Bindung an anderes einfaches Recht und die durch es transportierten Wertungen, ob derer eine unmittelbare (nicht durch eine grundrechtliche Wertung vermittelte) einfachgesetzliche Wertungseinheit zu erwarten wäre: Nur die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind den einfachen Gesetzen innerhalb der Pyramide übergeordnet, während anderes einfaches Recht ihnen in einer Koordinations- statt Subordinationsbeziehung gleichrangig beigeordnet ist. Das Prinzip der Normenpyramide aber vermag Wertungseinheit nur durch die Anerkennung einer übergeordneten Wertung als für alle Rechtsnormen verbindlich zu garantieren, während einfachgesetzliche Wertungen gegenüber dem Gesetzgeber ob ihrer Bei- statt Unterordnung keine Verbindlichkeit beanspruchen können85. IV. Die Untersuchungsrelevanz Aus dem Grundsatz der Normenpyramide bzw. aus dieser Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte, nicht an das einfache Gesetz, kann für die 85  Insoweit krit. zu einem Gebot der Systemgerechtigkeit: Martini, Rechtsgleichheit, 292 f. Dies schließt jedoch nicht jegliche gesetzgeberische Orientierung an einfachem Recht aus. Siehe nachfolgend Seite 167 f. [E. I. 1. c)] u. 171 f. [E. I. 2. c)] zur einheitsstiftenden Wirkung des in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Gleichheitssatzes unter Wahl eines naturwissenschaftlichen tertium comparationis.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

vorliegende Untersuchung, die potenzielle Wertungswidersprüche im strafgesetzlichen Ungeborenenschutz thematisiert, mittelbar auf eine (durch die Grundrechte vermittelte) Wertungseinheit jedenfalls der Regelungen zum Schutz der postnidativen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens geschlussfolgert werden. Demnach nämlich müssten alle strafgesetzlichen Normen zum Schutze des postnidativen ungeborenen Lebens mit den grundrechtlichen Garantien von Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) und Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie mit deren Konkretisierung durch das BVerfG vereinbar sein. Wert und Inhalt des zu schützenden Rechtsguts – das „Ausgangspunkt und Leitgedanke“ der strafgesetzlichen Tatbestandsbildung ist86 – wären dem Gesetzgeber durch die grundrechtliche Gewährleistung und ihre Konkretisierung durch die Verfassungsrechtsprechung vorgezeichnet. In diesem Sinne spricht auch Engisch – wenngleich ohne Bezugnahme auf die Verbindlichkeit grundrechtlicher Gewährleistungen – von einer Beziehung „normativer Art“ zwischen den Rechtsnormen, wenn eine „Rangordnung der Wertungen und Rechtsgüter“ bestimmend ist, und konkretisiert jene nicht nur, aber beispielsweise in der – diese Rangachtung wahrenden – „unterschiedlichen Schwere der Strafdrohungen im Strafrecht sowie in der Zulassung besonderer Rechtfertigungsgründe“87. Eine verbindliche Vorgabe für die strafgesetzliche Tatbestandsbildung begründet dabei nur die verfassungsgerichtliche, nicht etwa eine – verlautbarte und ob ihrer Beiordnung innerhalb der Normenpyramide jedenfalls unverbindliche – einfachgesetzliche Konkretisierung der grundrechtlichen Gewährleistung: Zwar ist es zweifellos zutreffend, dass höherrangiges Recht verschiedentlich auch durch niederrangiges Recht konkretisiert wird. Art. 33 Abs. 5 GG etwa nimmt die einfachen Gesetze als Vorbehalt und Verweisung in sich auf, Art. 2 Abs. 1 GG schreibt durch den Verweis auf die „verfassungsmäßige Ordnung“ ein wechselseitiges Bedingen von höherrangigem und niederrangigem Recht fest, und auch über diese ausdrücklichen Verweise hinaus dienen untergeordnete Normen dem abstrakten und ausfüllungsbedürftigen höherrangigen Recht als Grundlage seiner Auslegung88. Eine solche Bezugnahme auf einfaches Recht darf aber niemals den „Selbststand“89 der Verfassung bedrohen. Unter Einhaltung der Normenpyramide und in 86  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Jescheck, AT4, 231; ebenso Tröndle, Jura 1987, 66 (69); s. ferner ders., in: Dreher / Tröndle, StGB45, Vor § 218 Rn. 5. 87  Engisch, Einheit, 33, u. ebenso 30. 88  Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (20); vgl. auch Rohrer, Menschenwürde, 207, der im Anschluss an eine vertikale Wirkrichtung des Grundgesetzes „von oben nach unten“ von einer Rückwirkung der einfachen Gesetze auf die höherrangigen Gesetze schreibt, die vertikal „von unten nach oben“ verläuft. 89  Leisner, Verfassungsmäßigkeit, 8; im Anschluss hieran Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (20).



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 159

Wahrung des jener zu entnehmenden Rangverhältnisses von Verfassung und einfachem Recht gilt es primär, die Verfassung aus sich selbst heraus auszulegen, will man nicht deren übergeordnete Eigenständigkeit, deren „Selbststand“, unterlaufen90. Wenn etwa Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unter Verweis auf die Abtreibungsgesetzgebung dergestalt ausgelegt wird, dass jene Grundrechtsnorm einen nur abgestuften oder, weiter noch, gar keinen Schutz für das ungeborene Leben verbürge91, läuft man Gefahr, Gesetzesgeschichte und Ratio dieser grundrechtlichen Gewährleistung zu missachten, die in Reaktion auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus aufgenommen worden ist und jede Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben und mithin einen differenzierenden Lebensschutz ausschließen will92. In eben diesem Falle liefe man nicht nur Gefahr, einen „Selbststand“ der Verfassung zu unterlaufen, sondern drohte deren Prinzipien – ob des Rückgriffs auf eine in ihrer Achtung der Grundrechte selbst angreifbare gesetzliche Regelung – gar in ihr Gegenteil zu verkehren. 1. Für den postnidativen Ungeborenenschutz

Wenn das BVerfG also in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen ausdrücklich befunden hat, dass das Rechtsgut des postnidativen ungeborenen Lebens gleichwertig zum geborenen Leben und gleichwertig in jeder einzelnen Entwicklungsphase am Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 Leisner, Verfassungsmäßigkeit, 32; Rohrer, Menschenwürde, 312. die unterschiedlichen Formulierungen Hilgendorfs von einem „verringerten Lebensrecht“ (MedR 1994, 429 [432]), einer „gegenüber dem erwachsenen Menschen verminderten Schutzwürdigkeit“ (NJW 1996, 758 [761]) oder einem abgestuften strafgesetzlichen Lebensschutz in Kombination mit einem negierten grundrechtlichen Lebensrecht (ders., in: Gethmann / Huster, PID, 175 [183 u. 187]). In Orientierung an der geltenden Abtreibungsgesetzgebung auch: Dreier, JZ 2007, 261 (267 f. u. 270); ders., ZRP 2002, 377 (378 u. 382): „Konzept eines gestuften oder gradualisierten vorgeburtlichen Lebensschutzes“; Ipsen, JZ 2001, 989 (994): keine „Rechtssubjektivität“, sondern nur Gegenstand einer objektiv-rechtlich abgeleiteten Schutzpflicht; Kloepfer, JZ 2002, 417 (420): „gewissermaßen vorwirkend“ ein „Schutz von Quasi-‚Grundrechtsanwartschaften‘ “; Merkel, ZfL 2008, 38 (41 u. 42); ders., Forschungsobjekt, 41 u. 141–146: keine Teilhabe des Embryos am grundrechtlichen Schutzgehalt, sondern an einer um das Prinzip des Normenschutzes ergänzten „Solidarität“ schwächerer Ausprägung. Zu derjenigen Argumentation, welche aus der durch das BVerfG selbst in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen skizzierten Abtreibungsgesetzgebung auf eine entsprechende verfassungsgerichtliche (nicht nur einfachgesetzliche) Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schlussfolgert, s. sogleich die ablehnende Stellungnahme vorliegender Untersuchung auf den Seiten 160 f. [1.]. 92  Siehe dazu oben Kap. 2, Seite  120 [Abschn.  1, C. III. 1.] u. vgl. BVerfGE 39, 1 (36 u. 67). 90  Vgl. 91  Vgl.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

und 1 Abs. 1 GG teilhat93, so wäre zu erwarten, dass diese verfassungsgerichtliche – und nicht etwa eine gegebenenfalls widerstreitende einfachgesetzliche – Wertung in den einschlägigen Normen der Strafrechtsordnung so auch umgesetzt worden ist. Jede dieser Normen, so die Erwartung, müsste diese verfassungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG widerspiegeln und sich an einem verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich orientieren, sofern diese grundrechtliche Wertung mit anderen grundrechtlich garantierten Positionen – wie dem Leben, der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) der Schwangeren – in Konflikt geriete. Wenn eingangs innerhalb des zweiten Kapitels angemerkt worden ist, dass die Ausführungen des BVerfG zu einer im Verhältnis zum geborenen Menschen gleichwertigen Teilhabe des postnidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zwar nicht direkt, aber mittelbar auf eine verfassungsrechtlich gebotene Wertungswiderspruchsfreiheit im strafgesetzlichen Lebensschutz schließen lassen94, so hat dies in besagter Normenpyramide damit seine erste Bestätigung gefunden: Für jede einzelne Rechtsnorm müsste ein vertikaler Widerspruch zu dieser Wertung des Verfassungsgerichts ausgeschlossen sein; daraus folgte gleichermaßen eine zu erwartende horizontale Wertungswiderspruchsfreiheit im Verhältnis der einzelnen Rechtsnormen zueinander. Nun könnte argumentiert werden, dass sich der Betrachter nicht auf die „protestatio“ des BVerfG von der Gleichwertigkeit jedenfalls des postnidativen ungeborenen Lebens zu fokussieren habe, sondern dass er in einer Gesamtschau der Entscheidungen auch die durch das BVerfG ebenda skizzierte Abtreibungsgesetzgebung in seine Betrachtung einbeziehen müsste, die der postulierten Gleichwertigkeit – so die häufige Kritik – jedenfalls prima facie zu widerstreiten scheint und mithin auf eine von der postulierten Gleichwertigkeitsthese abweichende Wertung schließen lasse95. Gemäß dieser veränderten Perspektive könnte ein einfachgesetzlicher horizontaler 93  Siehe dazu eingehend die diesbzgl. Ausführungen des Kap. 2, Seite  56 ff. [Abschn.  1]. 94  Siehe oben Kap. 2, Seite  123 f. [Abschn.  1, D.]. 95  Vgl. etwa Faßbender, der wenigstens eine „subjektiv-rechtliche Verbürgung der Grundrechte des Embryos“ mit Blick auf die „vorgenommenen Differenzierungen“ und „übrigen Aussagen des Gerichts“ ablehnt (ders., NJW 2001, 2745 [2749]), um die fraglichen Differenzierungen sodann (auch insoweit unzutreffend) mit der verbleibenden objektiven Schutzpflicht des Gesetzgebers für vereinbar zu erklären (ders., a. a. O., 2745 [2749–2751]); in diesem Sinne auch Ipsen, JZ 2001, 989 (992 u. 994); vgl. ferner Hilgendorf, NJW 1996, 758 (761), der die Gleichwertigkeits­ these in Ermangelung ihrer Konsequenzen weder im einfachen Gesetz noch in den Urteilen des BVerfG selbst abgebildet sieht; schließlich Zimmermann, Rettungs­ tötungen, 446–448.



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 161

Wertungswiderspruch auch die Fortsetzung eines bereits auf der Ebene der Verfassungskonkretisierung angesiedelten horizontalen Wertungswiderspruchs bilden und nicht etwa – wie vorliegend vertreten – einem vertikalen Wertungswiderspruch entspringen. Eine solche Argumentation trennte jedoch nicht hinlänglich zwischen der Wertung, die das BVerfG für maßgeblich befunden hat, einerseits und der Schlussfolgerung, die es hieraus gezogen hat, andererseits. Im vorangehenden Kapitel ist diesbezüglich bereits festgehalten worden, dass das BVerfG seine Gleichwertigkeitsthese in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen als maßgeblichen Wert vorgestellt hat und hieraus auf eine Abtreibungsgesetzgebung geschlussfolgert hat, die es als mit selbiger für vereinbar erachtet. Der Entwurf einer Abtreibungsgesetzgebung durch das BVerfG sollte dessen Gleichwertigkeitsthese mithin nicht relativieren, sondern konkretisieren96. Die Zielsetzung einer an der Normenpyramide orientierten Widerspruchsanalyse bliebe mithin darauf gerichtet, die vertikale Wertungswiderspruchsfreiheit der einfachgesetzlichen Umsetzung der verlautbarten Gleichwertigkeitsthese zu überprüfen. Erst die Ergebnisse jener Prüfung könnten darauf schließen lassen, dass die §§ 218 ff. StGB in vertikalen Widerspruch zu dieser Wertung treten und ihre vertikale Wertungswidersprüchlichkeit insofern bereits horizontal auf der Ebene der Verfassungskonkretisierung ihren Anfang genommen hat, als das BVerfG ebenda fälschlicherweise diese Abtreibungsgesetzgebung als vereinbar mit seiner Gleichwertigkeitsthese bezeichnet hat. 2. Für den pränidativen Ungeborenenschutz

Während die Normenpyramide – bzw. die verfassungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG – für den postnidativen Ungeborenenschutz mithin eine (vertikal wie horizontal) einheitsstiftende Wirkung entfaltet, ist der Gesetzgeber für den pränidativen Ungeborenenschutz zunächst an keine grundrechtliche Wertung gebunden: Anders als für die postnidative Phase ungeborenen Lebens hat das BVerfG für die pränidative Phase nämlich darauf verzichtet, den Wert des ungeborenen Lebens nach dem Grundgesetz zu bestimmen. Dass bereits das pränidative ungeborene Leben gleichwertig an den grundrechtlichen Garantien von Leben und Würde teilhabe, hat das BVerfG wenn auch nicht verneint, so doch auch nicht abschließend bejaht97. Mangels übergeordneter grundrechtlicher Wertung vermag die Normenpyramide für den pränidativen Ungeborenenschutz mithin weder unmittelbar eine vertikale Wertungseinheit noch mittelbar eine 96  Siehe

oben Kap. 2, Seite  56 f. [Abschn.  1, vor A.]. dazu eingehend die diesbzgl. Ausführungen des Kap. 2, Seite  105 ff. u. 116 [Abschn.  1., B. I. 4. u. ebda., II. 3.]. 97  Siehe

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

horizontale Wertungseinheit zu bedingen. Insbesondere kann jedenfalls Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG keine unmittelbare Bindung des Gesetzgebers an anderes einfaches – denselben ontologischen Tatbestand der pränidativen Lebensphase reglementierendes – Recht entnommen werden, das ob seiner Bei- statt Überordnung in einer sog. Koordinations- statt Subordinationsbeziehung eine nur unverbindliche einfachgesetzliche Wertung manifestiert98. V. Zusammenfassung Für die in Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG niedergeschriebene Normenpyramide bleibt mithin festzuhalten, dass sie ihre einheitsstiftende Wirkung nur über die grundrechtlichen, nicht über die einfachgesetzlichen Wertungen entfaltet. Ob der gesetzgeberischen Bindung an diese grundrechtlichen Wertungen wirkt sie im vertikalen Verhältnis zwischen Verfassung und einfachen Gesetzen unmittelbar einheitsstiftend, während sie eine (horizontale) Wertungseinheit der einfachgesetzlichen Vorschriften – durch die Bindung jeder einzelnen Rechtsnorm an dieselben grundrechtlichen Wertungen – nur mittelbar bedingt. Übertragen auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand wäre auf dem Gebiet des strafgesetzlichen postnidativen Ungeborenenschutzes ob dieser Normenpyramide eine durch die verfassungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG vermittelte horizontale Wertungseinheit zu erwarten; für den pränidativen Ungeborenenschutz könnte eine entsprechende Erwartung mangels verbindlicher grundrechtlicher Wertung nicht formuliert werden.

E. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1, 1 Abs. 3 GG: Das Gebot der Rechtsetzungsgleichheit Der letzte – und, wie zu zeigen sein wird, maßgebliche – einheitsstiftende Verfassungsgrundsatz ist nun der in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgte allgemeine Gleichheitssatz, der verbietet, „wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln“99. Es ist explizit jener Gleichheitssatz, der von Rechtsprechung wie Literatur verschiedentlich her98  Siehe jedoch nachfolgend Seite 170 ff. [E. I. 2.] u. 176 f. [E. II. 3.] zur Anwendung des in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Gleichheitssatzes auf den pränidativen Ungeborenenschutz. Durch die alternative Wahl eines grundrechtlich oder naturwissenschaftlich definierten tertium comparationis ist der Gesetzgeber hier gehalten, Wertungseinheit durch die Anerkennung einer übergeordneten grundrechtlichen Wertung oder aber durch die Orientierung an einer beigeordneten – zu demselben ontologischen Tatbestand getroffenen – einfachgesetzlichen Wertung zu garantieren. 99  StRspr des BVerfG; s. nur etwa BVerfGE 49, 148 (165); 49, 280 (283).



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 163

angezogen worden ist, um die Forderung nach einer „Einheit der Rechtsordnung“ auch und gerade auf Wertungswidersprüche zu erstrecken100. Nicht nur der (unvermeidbare wie vermeidbare) Normwiderspruch, sondern auch der Wertungswiderspruch wird demnach als möglicher Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG anerkannt, als willkürliche Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bzw. willkürliche Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem101. Zwar erfasst der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG genau genommen nur konkrete Ungleichbehandlungen und nicht unterschiedliche abstrakte Qualifizierungen, wie sie mittels einer „Einheit der Rechtsordnung“ problematisiert werden102. Art. 3 Abs. 1 GG ist als ein Gebot der Gleichheit „vor dem Gesetz“ (Rechtsanwendungsgleichheit), nicht als das einer Gleichheit des Gesetzes selbst (Rechtsetzungsgleichheit) formuliert. Dass Art. 3 Abs. 1 GG gleichwohl auch auf unterschiedliche abstrakte Qualifizierungen zur Anwendung kommt, wird verschiedentlich unter Referenz auf Art. 1 Abs. 3 GG, die Bindung der Gesetzgebung an die Grundrechte (und mithin entsprechend an grundrechtsgleiche Garantien), bejaht, und von der zusätzlichen Voraussetzung abhängig gemacht, dass diese abstrakten Unterschiede konkrete Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Einzelnen zu zeigen vermögen103. Die so grundrechtlich garantierte Rechtsetzungsgleichheit beansprucht für alle Bereiche der rechtsstaatlichen Rechtsordnung Geltung104, einschließlich des Strafrechts105. 100  Siehe etwa Battis, in: Stödter / Thieme, FS-Ipsen, 11 (15–17); Canaris, Systemdenken2, 45 f.,125 u. 159; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 92; Kirchhof, Rechtswidrigkeiten, 31; Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 155; Renzikowski, GA 1992, 159 (170). Vgl. außerdem BVerfG NJW 1996, 2086, zur Formulierung eines „Gebots der Folgerichtigkeit innerhalb der Gesamtrechtsordnung“ unter Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG; ausführl. Bespr. bei Felix, Einheit, 274–283. 101  Zu einer solchen Def. einer Verletzung der „Einheit der Rechtsordnung“ s. auch bereits Seite  141 f. [Abschn.  1, B. III.] m. Fn. 36. Demgegenüber wird der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG an anderer Stelle nur als Teilausschnitt – quasi als „Spitze“ – der möglichen Wertungswidersprüche anerkannt und werden auch solche (nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende) Unklarheiten mit dem Begriff des Wertungswiderspruchs belegt, die „nicht […] notwendig beseitigt werden müssen“; s. etwa u. vorstehendes Zitat aus Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 155 f. m. Fn. 46. 102  Zur Fokussierung der „Einheit der Rechtsordnung“ und des ihr entlehnten Gebots der Widerspruchsfreiheit auf abstrakte Sollenssätze s. bereits oben Seite  136 [Abschn.  1, A. I.]. 103  Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 460; ausführl. dazu Martini, Rechtsgleichheit, 5–15. Zur Verpflichtung der Gesetzgebung durch den allgemeinen Gleichheitssatz s. auch die stRspr des BVerfG: BVerfGE 42, 64 (72); 48, 227 (234 f.); 49, 148 (165); zsfd. Günther, Strafrechtswidrigkeit, 91. 104  BVerfGE 26, 228 (244); 38, 225 (228); 41, 1 (13); Günther, Strafrechtswidrigkeit, 91 m. w. N. in Fn. 10. 105  BVerfGE 47, 115 (124); Günther, Strafrechtswidrigkeit, 91.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

Definiert man einen Verstoß gegen die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ demnach als Verstoß gegen das Gebot der Rechtsetzungsgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG), so nehmen die Anforderungen, die jene – als unbestimmte „Allzweckwaffe“ geschimpfte – Formel an die gesetzgebende Gewalt formuliert, konkrete Gestalt an: Sie können nunmehr aus den Voraussetzungen des allgemeinen Gleichheitssatzes entwickelt und präzise bestimmt werden. Für die Gesetzgebung ergibt sich hieraus das Verbot, Normen zu erlassen, die wesentlich gleiche Sachverhalte willkürlich ungleich oder aber wesentlich ungleiche Sachverhalte willkürlich gleich behandeln106. Diese Inhalte sind einem Grundsatz der Normenklarheit i. w. S. gemein, legt man ihn dergestalt aus, dass er auch eine Wertungsklarheit zu verwirklichen anstrebt und zu diesem Zweck die grundlos unterschiedliche Behandlung wertungsgemäß gleicher Sachverhalte verbietet107. I. Die Feststellung einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem Zunächst lässt sich dieser Formulierung der doppelte Gehalt des Art. 3 Abs. 1 GG entnehmen, der da nicht nur die willkürliche Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, sondern auch die willkürliche Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem erfasst. Günther schließt daraus (im Ergebnis zutreffend), dass die „Einheit der Rechtsordnung“ – gleichwohl sie dies durch ihre Begrifflichkeit impliziert – keine größtmögliche Vereinheitlichung verlangt, sie tritt vielmehr für die differenzierte Behandlung von Sachverhalten entsprechend ihrer Abweichungen ein108. Dass die Rechtsprechung des BVerfG den allgemeinen Gleichheitssatz als Verbot der willkürlichen Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem einerseits, der willkürlichen Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem andererseits präzisiert, stellt gleichwohl mehr eine sprachliche denn eine sachliche Differenzierung dar. Denn, wie verschiedentlich überzeugend dargestellt, lässt sich eine Gleichbehandlung stets auch als eine Ungleichbehandlung verstehen, sofern man 106  Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit, 92; Martini, Rechtsgleichheit, 17. Demgegenüber weiß eine sog. „Systemwidrigkeit“ nur als Indiz für eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch den Gesetzgeber zu fungieren; Martini, a. a. O., 288 f. 107  Dazu, dass eine Verletzung der „Einheit der Rechtsordnung“ in diesem Sinne gleichermaßen durch das Gebot der Normenklarheit i. w. S. wie durch das Gleichbehandlungspostulat konkretisiert wird, s. oben Seite  152 f. [B. II. 2.] m. Fn. 70 u. Canaris, Systemdenken2, 17 f.; Engisch, Einheit, 62 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, 96. 108  Günther, Strafrechtswidrigkeit, 93.



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 165

nur auf eine andere Vergleichsgruppe abstellt109. Für die vorliegende Untersuchung braucht hierauf jedoch insofern nicht näher eingegangen werden, als ihren Gegenstand, wie in der Einleitung umrissen, diverse Ungleichbehandlungen bilden, die der Bundesgesetzgeber in Ausübung seiner ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis110 im Strafgesetzbuch niedergeschrieben haben könnte: die strafgesetz­ liche Ungleichbehandlung des ungeborenen menschlichen Lebens zum geborenen menschlichen Leben sowie diejenige des ungeborenen menschlichen Lebens in seinen früheren und späteren Entwicklungsstufen. In Folge dessen wird sich der weitere Untersuchungsgang ausschließlich mit der Frage einer – möglicherweise sachlich nicht begründeten – Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem zu beschäftigen haben. Dabei ist wesentliche Gleichheit im Sinne obiger Präzisierung des Art. 3 Abs. 1 GG durch das BVerfG als die Vergleichbarkeit von Personen, Personengruppen oder Situationen zu verstehen. Dass eine bloße Vergleichbarkeit, nicht eine absolute Gleichheit zum Maßstab erhoben wird, ergibt sich aus dem einfachen Umstand, dass eine absolute Gleichheit weder für Personen (-gruppen) noch für Situationen jemals wird bejaht werden können111. Vergleichbarkeit wiederum setzt die Wahl eines Bezugspunktes – eines sog. tertium comparationis112 – voraus, welcher in einem gemeinsamen Oberbegriff – dem genus proximum113 – zu finden ist, der die rechtlich verschiedenen Personen, Personengruppen oder Situationen vollständig und abschließend erfasst114. 1. Für den postnidativen Ungeborenenschutz

a) Die Wahl eines grundrechtlich definierten tertium comparationis: Die wesentliche Gleichheit zum geborenen Menschen nach den Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG Dieser zu wählende Bezugspunkt bzw. Oberbegriff ist es nun, der die vorliegende Untersuchung erneut die Brücke von der „Einheit der RechtsGrundrechte28, Rn. 468. Gesetzgebungsbefugnis und Identität der rechtsetzenden Autorität s. oben Seite  135 f. [Abschn.  1, A. I.]. 111  Martini, Rechtsgleichheit, 18; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 463. 112  Lat. tertium comparationis: das Dritte des Vergleichs; Pons-Lat.2, 1036 (zu tertius, -a, -um) u. 181 (zu comparatio, -onis, fem.). 113  Lat. genus proximum: die nächste Gattung; Pons-Lat.2, 425 f. (zu genus, -neris, n.) u. 827 (zu proximus, -a, ‑um). 114  Dazu Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 463 u. 465. 109  Pieroth / Schlink, 110  Zur

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

ordnung“ – hier konkretisiert durch den allgemeinen Gleichheitssatz – zu den verfassungsrechtlichen Ausführungen des BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen schlagen lässt: Ebenda konkretisiert das BVerfG den objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG dergestalt, dass das geborene und jedenfalls postnidative ungeborene Leben gleichwertig an ihm teilhaben. Die Begriffe „Jeder“ und „Mensch“ i. S. der besagten Grundrechtsgarantien werden als „menschliches individuelles Leben“ definiert; als menschliches individuelles Leben wird neben dem geborenen Leben jedenfalls auch das postnidative ungeborene Leben in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen anerkannt115. Für eine Untersuchung wie die vorliegende, die Ungleichbehandlungen des geborenen Menschen zum ungeborenen Leben sowie des ungeborenen Lebens in seinen unterschied­ lichen Entwicklungsstufen problematisiert, ist damit ein gemeinsamer normativer Oberbegriff gefunden, der das geborene und ungeborene menschliche Leben (jedenfalls in seinen postnidativen Entwicklungsstadien) vollständig und abschließend zu erfassen vermag: das menschliche individuelle Leben i. S. d. verfassungsgerichtlich konkretisierten Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG. Vermittelt über eine grundrechtliche Wertung, stellen sich das geborene und jedenfalls postnidative ungeborene Leben als wesentlich gleich dar; ihre rechtliche Ungleichbehandlung bedürfte in der Folge einer den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden Rechtfertigung. b) Die Freiheit von horizontalen Wertungswidersprüchen Die mittelbare Schlussfolgerung aus den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG auf eine verfassungsrechtlich gebotene Wertungswiderspruchsfreiheit im strafgesetzlichen Schutz des ungeborenen Lebens findet damit ihre neuerliche Bestätigung116: Während die Normenpyramide eine horizontale einfachgesetzliche Wertungseinheit daraus ableitet, dass jede einzelne Rechtsnorm mit den grundrechtlichen Wertungen (einschließlich der verfassungsgerichtlichen Konkretisierung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG) übereinstimmen muss, verlangt der allgemeine Gleichheitssatz eine solche, indem er einfachgesetzliche Ungleichbehandlungen innerhalb eines gemeinsamen, durch die grundrechtlichen Wertungen definierten Oberbegriffs grundsätzlich ablehnt. In Abgrenzung zur Normenpyramide wählt eine Konkretisierung der Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ durch die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes 115  Siehe

B.].

BVerfGE 39, 1 (37) u. eingehend dazu Kap. 2, Seite  65 ff. [Abschn.  1,

116  Zur verfassungsrechtlichen Begründung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit unter Berufung auf die Normenpyramide gemäß Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG s. oben Seite  154–157 [D.].



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 167

nur eine andere Perspektive: Dergestalt konkretisiert, geht die rechtliche Prüfung nicht – wie durch die Normenpyramide vorgezeichnet – in einem ersten Schritt vertikalen Widersprüchen der einzelnen Rechtsnormen zur Wertung des Verfassungsgerichts nach, um daraus in einem zweiten Schritt auf horizontale Wertungswidersprüche zwischen den einzelnen Rechtsnormen zu schließen. Eine dem allgemeinen Gleichheitssatz folgende Einheitsprüfung, die Ungleichbehandlungen auf der einfachgesetzlichen Ebene thematisiert, richtet ihren Blick stattdessen direkt auf potenzielle horizontale Wertungswidersprüche und setzt, soweit sie ein grundrechtlich definiertes tertium comparationis erwählt, eine verfassungsgerichtliche Wertung nur indirekt voraus. c) Die subsidiäre Wahl eines naturwissenschaftlichen tertium comparationis Dass es nun gerade grundrechtliche Wertungen sind, welche die Untersuchung zum tertium comparationis für den postnidativen Ungeborenenschutz benennt, und nicht etwa einfachgesetzliche Wertungen zum Vergleichsmaßstab erhoben werden, entspringt keiner zufälligen Auswahl. Zwar stellt es eine gängige Argumentationslinie dar, Wertungseinheit durch eine Bindung an anderes einfaches Recht herstellen zu wollen, indem Rechtsnormen zum Schutz des ungeborenen Lebens an den Inhalten anderer einfacher – denselben ontologischen Tatbestand regelnder – Gesetze gemessen werden117. Entsprechende Argumentationen erheben die naturwissenschaftliche Gleichheit zweier Tatbestände zum tertium comparationis eines wertungswiderspruchsfreien Ungeborenenschutzes und fordern mithin für die einfachgesetzliche Ungleichbehandlung des naturwissenschaftlich Gleichen eine sachliche Begründung. Kein grundrechtlich definiertes tertium comparationis und mithin verfassungsrechtliche bzw. verfassungsgerichtliche Wertungen, sondern ein naturwissenschaftlich definiertes tertium comparationis und die zu diesem naturwissenschaftlichen Tatbestand getroffenen einfachgesetz­ lichen Wertungen sollen hier einheitsstiftend wirken. Nun ist der Gesetzgeber ob der Sachverständigenfunktion der Naturwissenschaften zweifelsohne an die naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten 117  Vgl. stellv. etwa nur die bei Henking, Wertungswidersprüche, 183 f., aufgeworfene Fragestellung nach einem etwaigen Wertungswiderspruch zwischen der durch das ESchG gewährleisteten Achtung vor dem embryonalen Leben in vitro einerseits, der in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB normierten Schutzlosigkeit pränidativer Entwicklungsstadien in vivo andererseits. Eine entsprechende Argumentationslinie prägte die jüngste Diskussion um die Rechtmäßigkeit einer Präimplantationsdiagnostik, soweit sie auf die Vereinbarkeit mit § 218a Abs. 2 StGB Bezug nahm; eingehend dazu noch im abschließenden Kap. 8, Seite  838 ff. [Abschn.  3, A. III.].

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

gebunden, an welche seine Rechtsnormen anknüpfen. Insofern unterscheiden sich Naturwissenschaften einerseits, Rechtswissenschaften andererseits zwar durch ihr grundsätzlich anders geartetes Erkenntnisinteresse: Während die Naturwissenschaften auf eine Beschreibung des Seins abzielen, also rein deskriptiv orientiert sind, sind die Rechtswissenschaften eine normative Disziplin, welche nicht das Sein, sondern das Sollen formulieren. In der Folge muss ein juristisches Begriffsverständnis nicht notwendigerweise mit seinem naturwissenschaftlichen Pendant kongruieren. Mehr noch: Eine Schlussfolgerung aus dem nackten Sein auf das Sollen stellte einen sog. naturalistischen Fehlschluss dar118. Denn im Gegensatz zum menschlichen Handeln ist die Natur „weder rechtfertigungsbedürftig noch rechtfertigungsfähig“ und damit auch nicht geeignet, menschliches Handeln zu legitimieren119. Nichtsdestotrotz gewinnen die naturwissenschaftlichen Disziplinen im Verhältnis zu den Rechtswissenschaften ihre Bedeutung durch die ihnen zukommende Sachverständigenfunktion120: Denn nimmt ein Gesetz auf einen biologisch-physiologischen Sachverhalt Bezug, muss eine Auslegung seines Inhalts die naturwissenschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigen, die diesen Sachverhalt prägen. Anderenfalls liefe eine jede Gesetzesauslegung Gefahr, willkürlich zu sein121. Ganz im Sinne des vorliegend thematisierten allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG bedarf eine Ungleichbehandlung zweier Tatbestände, die naturwissenschaftlich gleich sind, einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung: „Das Vehikel, mittels dessen die Aufrechterhaltung dieser Beziehung zwischen Recht und Ontologie praktiziert wird, ist der Gleichheitssatz, soweit er das Willkürverbot enthält“122. Das positive Recht hat demnach ontologische Tatbestände zu respektieren. Jedoch erweist sich eine Orientierung an einfachgesetzlichen (denselben ontologischen Tatbestand regelnden) Inhalten innerhalb einer Anwendung 118  Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 30 f. Zum naturalistischen Fehlschluss s. auch Damschen / Schönecker, in: dies., Status, 187 (205 f.); Hilgendorf, MedR 1994, 429 (432 m. Fn. 40); Merkel, in: Damschen / Schönecker, Status, 35 (37 m. Fn. 3); Schockenhoff, ebda., 11 (17 m. Fn. 7). 119  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Löw, Leben aus dem Labor, 140; ebenso Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 30 f.; s. ferner Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (150 m. Fn. 47); vgl. auch Beckmann, in: ders. / Löhr, Status, 170 (184); Jerouschek, JZ 1989, 279 (281); Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 104. 120  Leisner in NLpB, Recht auf Leben, 9 (21); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 32. 121  Knoepffler, Forschung, 29 f. u. 45; Limbeck, Embryonenschutzgesetz, 171; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 31 f.; Rohrer, Menschenwürde, 91. Krit. Herzog, JR 1969, 441 (441 m. Fn. 1); Kreß, in: Oduncu / Platzer / Henn, Zugriff, 75 (81 f.). 122  Geiger, Jura 1987, 60 (61).



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 169

des allgemeinen Gleichheitssatzes als vorschnell, wenn für den zu regelnden Sachverhalt eine grundrechtliche – nach der Normenpyramide übergeordnete – Wertung existiert (so jedenfalls für den postnidativen Ungeborenenschutz) bzw. durch gesetzgeberische Entscheidung wenigstens als maßgeblich anerkannt worden ist (was, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, für den pränidativen Ungeborenenschutz in Erwägung zu ziehen ist). Durch eine Orientierung an einfachgesetzlichen Inhalten würde in einem solchen Falle nämlich nicht nur die dargelegte Normenhierarchie missachtet, innerhalb derer die grundrechtlichen Wertungen den einfachgesetz­ lichen Wertungen übergeordnet sind; bei Zweifeln an der Vereinbarkeit der zum Vergleichsmaßstab erhobenen einfachgesetzlichen Wertungen mit den Grundrechten liefe man gar Gefahr, eine in ihrer Achtung der Grundrechte jedenfalls angreifbare einfachgesetzliche Regelung zum Leitprinzip der weiteren Gesetzgebung zu erheben und damit die sich in ihr gegebenenfalls manifestierenden Verstöße gegen die Grundrechtsbindung fortzuführen statt zu unterbinden123. Wenn etwa wenigstens gegenüber Teilen der Abtreibungsgesetzgebung Zweifel vorgebracht werden, ob sie der verfassungsgerichtlichen Konkretisierung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG genügen (nämlich einer verfassungsrechtlichen Vorgabe folgen, nach der jedenfalls das postnidative ungeborene Leben in seiner Existenz und Würde gleichwertig zum geborenen Leben zu schützen ist), so würden sich selbige in einem an diesen gesetzlichen Vorschriften orientierten einfachen Recht fortsetzen. Gegenüber einer Bindung an grundrechtliche Wertungen erweist sich die Bindung an anderes einfaches Recht mithin als subsidiär; sofern ein tertium comparationis grundrechtlich definiert werden kann, verdrängt es dessen bloße naturwissenschaftliche Definition124.

123  Vgl. Hillgruber, ZfL 2011, 47, zur Fokussierung der jüngsten Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Präimplantationsdiagnostik nicht auf die Verfassung, sondern auf die Schwangerschaftsabbruchsvorschriften; ebenso ders., in: Spieker / Hillgruber /  Gärditz, Würde des Embryos, 57 (58); ähnl. Scheffer, ZfL 2011, 9 (15). 124  Vgl. Dreier, ZRP 2002, 377 (382), insoweit er seine These eines abgestuften Grundrechtsschutzes mit einem vermeintlichen Schweigen der Verfassung begründet, an dessen Stelle eine „Grundrechtsentfaltung und -konkretisierung durch das Gesetz“ treten könne: Für diesen Fall müsse man „indirektere Auslegungen und Verständnisse bemühen“ und „für schwierige Grenzfälle auch darauf schauen, welche Regelungen der Gesetzgeber in bestimmten Bereichen getroffen hat“. Insoweit durchaus zutreffend, vermag die vorliegende Untersuchung Dreiers Behauptung von einer fehlenden verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG nicht nachzuvollziehen.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit 2. Für den pränidativen Ungeborenenschutz

a) Die Selbstbindung statt hierarchische Bindung des Gesetzgebers Demgegenüber mangelt es für den pränidativen Ungeborenenschutz, wie im Rahmen der Normenpyramide bereits angesprochen, an einem verfassungsrechtlich bzw. verfassungsgerichtlich vorgegebenen tertium compara­ tionis: Anders als für die postnidative Phase ungeborenen Lebens hat das BVerfG für die pränidative Phase nämlich darauf verzichtet, den Wert des ungeborenen Lebens nach dem Grundgesetz zu bestimmen. Dass bereits das pränidative ungeborene Leben gleichwertig an den grundrechtlichen Garantien von Leben und Würde teilhabe, hat das BVerfG wenn auch nicht verneint, so doch auch nicht abschließend bejaht und hat mithin die Konkretisierung seines Werts dem einfachen Gesetzgeber überantwortet125. Dabei bleibt der einfache Gesetzgeber gemäß Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Im Gegensatz zum postnidativen Ungeborenenschutz ist ihm jedoch nicht die Wahl eines durch die Grundrechte definierten tertium comparationis zwingend vorgegeben. Für die wertungswiderspruchsfreie, den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG genügende Konkretisierung des pränidativen Ungeborenenschutzes ist ihm vielmehr ein Spielraum belassen, innerhalb dessen er eine grundrechtliche Selbstbindung nur eingehen kann statt einer hierarchischen Bindung Folge leisten muss: Eine etwaige Erwartung an eine grundrechtlich vermittelte Wertungswiderspruchsfreiheit beschränkte sich für diesen Fall darauf, dass der einfache Gesetzgeber von ihm selbst für wesentlich gleich Befundenes nicht ohne sachlichen gewichtigen Grund ungleich behandelte. b) Die Wahl eines grundrechtlichen tertium comparationis Innerhalb jenes ihm belassenen Spielraums könnte der einfache Gesetzgeber für seine Konkretisierung des einfachgesetzlichen pränidativen Ungeborenenschutzes also ein grundrechtliches wie aber auch nur ein naturwissenschaftliches tertium comparationis als maßgeblich befunden haben. Ein grundrechtliches tertium comparationis wählte er, wenn er die einfachgesetzliche Wertung träfe (nicht einer hierarchischen Bindung folgte!), das pränidative ungeborene Leben – gleich dem geborenen und postnidativen ungeborenen Leben – als menschliches Individuum i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zu qualifizieren. Die durch das BVerfG offen gelassene Fragestel125  Siehe dazu eingehend oben Kap. 2, Seite  105 ff. u. 116 f. [Abschn.  1, B. I. 4. u. ebda., II. 3.].



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 171

lung, ob schutzwürdige Individualität menschlichen Lebens bereits mit seiner Entstehung statt erst mit seiner Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut begänne, beantwortete der Gesetzgeber für sich mithin zugunsten einer Individualität bereits des pränidativen Embryos. Weder Differenzierung von Epiblast und Hypoblast noch der Ausschluss der Mehrlingsbildung würden zu Voraussetzungen erhoben, die über den Beginn der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens entschieden. Stattdessen erkannte man bereits im Abschluss der Fertilisation die letzte qualitative Zäsur in einer kontinuierlichen menschlichen Entwicklung, die dasjenige genetische Programm hervorbringt, das nachfolgende pränatale Entwicklungsschritte nur vollzögen126. Für diesen Fall ginge er die Selbstbindung ein, das pränidative ungeborene Leben – vermittelt über ein grundrechtlich definiertes tertium comparationis – als wesentlich gleich zum postnidativen ungeborenen Leben und zum geborenen Leben zu bewerten und ohne gewichtigen sachlichen Grund nicht ungleich zu behandeln. c) Die alternative Wahl eines naturwissenschaftlichen tertium comparationis Ob des ihm durch das Verfassungsgericht belassenen Konkretisierungsspielraums könnte es der Gesetzgeber aber auch verneint haben, bereits das pränidative ungeborene Leben als menschliches Individuum i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zu qualifizieren und mithin eine übergeordnete grundrechtliche Wertung zum tertium comparationis eines wertungswiderspruchsfreien pränidativen Ungeborenenschutzes zu bestimmen. Für diesen Fall träfe er die Wertung, dass es bis zum Zeitpunkt der vollendeten Nidation noch an einem schutzwürdigen menschlichen Individuum fehlte, ist bis dato doch weder die Differenzierung der Zellen des Embryonalkörpers abgeschlossen noch eine Mehrlingsbildung ausgeschlossen127. Es wäre demnach die Einnistung des Embryos in der Gebärmutterschleimhaut, die der Gesetzgeber als (letzte) qualitative Zäsur in einer sich im Übrigen kontinuierlich vollziehenden, menschlichen Entwicklung anerkannte128. Soweit der Gesetzgeber in diesem Sinne ein naturwissenschaftlich statt grundrechtlich definiertes tertium comparationis wählte – für den pränida126  Zu den möglichen qualitativen Zäsuren innerhalb der pränatalen Entwicklung menschlichen Lebens s. oben Kap. 2, Seite  103 f. [Abschn.  1, B. I. 3.]. 127  Zur Diff. von Epiblast und Hypoblast im verfassungsrechtlichen Diskurs s. oben Kap. 2, Seite  90–93 [Abschn.  1, B. I. 1. b) bb) (3)]; zur Individuation im verfassungsrechtlichen Diskurs s. ebda., Seite  93–96 [Abschn.  1, B. I. 1. b) bb) (4)]. 128  Vgl. die „Jedenfalls“-Datierung in BVerfGE 39, 1 (37).

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

tiven Ungeborenenschutz also eine grundrechtliche Bindung von sich wiese  –, erklärte sich diejenige Ungleichbehandlung, die der pränidative Embryo gegenüber späteren Entwicklungsstadien menschlichen Lebens erfährt, bereits mit seiner fehlenden wesentlichen Gleichheit zu späteren, am grundrechtlichen Gehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhabenden Entwicklungsstadien menschlichen Lebens. Demgegenüber bliebe der Gesetzgeber ob der Sachverständigenfunktion der Naturwissenschaften aber fortwährend noch an die naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gebunden, an welche seine Rechtsnormen anknüpfen. Insofern wäre er angehalten, die naturwissenschaftliche Gleichheit zweier Tatbestände zum tertium comparationis eines wertungswiderspruchsfreien pränidativen Ungeborenenschutzes zu erheben und normative Ungleichbehandlungen des naturwissenschaftlich Gleichen einer sachlichen Begründung zuzuführen129. Für eine wertungswiderspruchsfreie Gestaltung des pränidativen Ungeborenenschutzes hätte er in diesem Sinne den ontologischen Tatbestand der biologischen Gleichheit pränidativer menschlicher Embryonen zu achten (nämlich sie unter einen naturwissenschaftlich definierten, gemeinsamen Oberbegriff zu subsumieren) und deren etwaige Ungleichbehandlung – wenn gesetzliche Vorschriften unterschiedliche Schutzniveaus für das pränidative ungeborene Leben etablierten – sachlich zu begründen. Insofern wäre – über die Grundsätze der Normenpyramide hinausreichend – eine Bindung an anderes einfaches, denselben ontologischen Tatbestand regelndes Recht begründet130. Mangels einer vorrangigen grundrechtlichen Vorgabe könnten naturwissenschaftliche Inhalte sowie solche einfachgesetz­ lichen Vorschriften, die an eben diese naturwissenschaftlichen Inhalte anknüpfen, ihre (zur Grundrechtsbindung subsidiäre) Bindungswirkung entfalten: Eine Gefahr, etwaige sich im einfachen Recht manifestierende Verstöße gegen eine Grundrechtsbindung fortzuführen statt zu unterbinden, bestände hier nicht. Demgegenüber fasste man das naturwissenschaftlich definierte tertium comparationis zu weit, wählte man das „menschliche Leben“ zum biologischen Oberbegriff, der das pränidative ungeborene Leben ebenso wie das postnidative ungeborene Leben und den geborenen Menschen vollständig und abschließend erfasste. Für die postnidativen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens sind dem Gesetzgeber die grundrechtlichen Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG als tertium compara­ tionis vorgegeben und verdrängen mithin das – subsidiäre – naturwissen129  Vgl.

oben Seite  167 f. [1. c)]. den Grundsätzen der Normenpyramide, denen ausschließlich eine Bindung an höherrangiges, nicht aber an anderes gleichrangiges Recht entnommen werden kann, s. oben Seite  154 ff. [D.] u. in Anw. auf den pränidativen Ungeborenenschutz Seite  161 [ebda., IV. 2.]. 130  Zu



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 173

schaftliche tertium comparationis einer durch das Merkmal „menschliches Leben“ vermittelten biologischen Gleichheit131. Dies findet seine Bestätigung darin, dass sich die Wahl eines entsprechenden tertium comparationis als nicht weiterführend erwiese: Auf diesem Wege begründete man zwar eine (weit gefasste) naturwissenschaftliche Gleichheit nicht nur pränidativer Embryonen, sondern auch des postnidativen ungeborenen Lebens sowie des geborenen Menschen. Von vornherein wäre jedoch ersichtlich, dass Ungleichbehandlungen der pränidativen Embryonen unter Bezugnahme auf deren (nach der gesetzgeberischen Entscheidung) fehlende Individualität gerechtfertigt werden können, ob derer es der Gesetzgeber in Abgrenzung zum postnidativen Lebensschutz verneint hätte, den pränidativen Ungeborenenschutz an den grundrechtlichen Wertungen der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG auszurichten. Insofern müsste ein naturwissenschaftlich definiertes tertium comparationis enger gefasst sein und nur dasjenige Entwicklungsstadium menschlichen Lebens vollständig und abschließend erfassen, welches der Gesetzgeber von einer Subordination unter die Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG gerade hat ausnehmen wollen: das pränidative Entwicklungsstadium. II. Die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem Stellen sich geborenes und (jedenfalls) postnidatives ungeborenes Leben – vermittelt über das grundrechtlich definierte tertium comparationis des menschlichen individuellen Lebens i. S. des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG – bzw. pränidative Embryonen – wenigstens vermittelt über das naturwissenschaftlich definierte tertium comparationis der biologischen Gleichheit – als wesentlich gleich dar, sind sie grundsätzlich auch gleich zu behandeln. Werden sie trotz ihrer wesentlichen Gleichheit nun ungleich behandelt bzw. durch eine Rechtsnorm unterschiedlich abstrakt qualifiziert, lässt dies noch nicht auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz bzw. gegen die „Einheit der Rechtsordnung“ schließen, sondern kann im Gegenteil eine sachgerechte und teleologisch gebotene Differenzierung darstellen. Ob dies der Fall ist, ergibt sich aus einer Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. 1. Eine Freiheit von Willkür oder gewichtige sachliche Begründung

An die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung stellt das BVerfG in stetiger Rechtsprechung – je nach Intensität der Un131  Siehe

dazu oben Seite  167 f. [1. c)].

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

gleichbehandlung132 – unterschiedlich strenge Anforderungen: Handelt es sich um eine solche geringerer Intensität, versteht das Gericht den allgemeinen Gleichheitssatz – entsprechend der in hiesiger Überschrift verwendeten Formulierung von der „willkürlichen“ ungleichen Behandlung – als bloßes Willkürverbot und erkennt eine Ungleichbehandlung bereits dann als willkürfrei, ergo gerechtfertigt an, wenn sich nur irgendein sachlicher Grund anführen lässt, der die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Personen(-gruppen) oder Situationen begründen kann. Der allgemeine Gleichheitssatz soll hier einer bloßen Evidenzkontrolle der gesetzgeberischen Tätigkeit dienen133. Demgegenüber muss zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen größerer Intensität nach der Rechtsprechung des BVerfG ein gewichtiger sachlicher Grund i. S. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorliegen. Ein solcher gewichtiger sachlicher Grund soll nur dann bejaht werden können, wenn die unterschiedliche Behandlung einen legitimen Zweck verfolgt, die Behandlung zur Erreichung desselben geeignet und erforderlich ist und schließlich auch in einem angemessenen Verhältnis zu diesem steht134. 2. Die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen des postnidativen ungeborenen Lebens

Für die vorliegende Untersuchung wird nun der zuletzt angeführte Rechtfertigungsmaßstab angelegt werden müssen. Dies gilt zweifellos für eine Widerspruchsanalyse des postnidativen Ungeborenenschutzes, die ob der gleichwertigen Teilhabe des postnidativen Ungeborenen am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG Ungleichbehandlungen auf dem Gebiet des grundrechtlich garantierten Lebens- und Würdeschutzes problematisiert. Angesichts dessen, dass hier elementare, die physische Existenz wahrende und entsprechend gleich zu Beginn unserer Verfassung 132  Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem in Abhängigkeit von deren Intensität s. Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 470–472, u. Felix, Einheit, 268 f.; zu anderweitigen Unterscheidungen s. den Überblick bei Martini, Rechtsetzungsgleichheit, 47–50. 133  BVerfGE 35, 324 (335); 42, 64 (73); 42, 374 (388); 47, 109 (124); 48, 227 (234 f.). Siehe dazu auch bereits die Formulierung auf Seite  164 [vor I.] u. Felix, Einheit, 268; Martini, Rechtsetzungsgleichheit, 21 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 471. Vgl. außerdem Canaris, Systemdenken2, 126 ff., u. Günther, Strafrechtswidrigkeit, 92, die in der Anwendung des Willkürverbots jedoch nicht zwischen Ungleichbehandlungen größerer und geringerer Intensität differenzieren und dem allgemeinen Gleichheitssatz so nur ausnahmsweise eine Verletzung der „Einheit“ entnehmen können, nachdem das Willkürverbot sehr hohe Anforderungen an seine Verletzung stellt. 134  Martini, Rechtsetzungsgleichheit, 55 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 472.



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 175

in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierte Rechte betroffen sind, erscheinen gesetzgeberische Ungleichbehandlungen größerer Intensität gar kaum möglich. Die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlungen beurteilt sich mithin danach, ob für sie ein gewichtiger sachlicher Grund ins Feld geführt werden kann bzw. ob sie den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen, indem sie einen legitimen Zweck verfolgen und zu dessen Verwirklichung geeignete, erforderliche und angemessene Mittel einsetzen. Dabei wird es nach der verfassungsgerichtlichen Konkretisierung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG ausscheiden müssen, Ungleichbehandlungen unter Bezugnahme auf das unterschiedliche Alter oder den unterschiedlichen Entwicklungsstand des menschlichen Individuums zu rechtfertigen: Ob der postulierten Gleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens zum geborenen Leben setzte eine sachliche begründete Ungleichbehandlung voraus, dass man kein Sonderrecht für Ungeborene schüfe. Stattdessen hätte man Kriterien zur Anwendung zu bringen, die allgemein, d. h. für die abstrakte Qualifizierung des Lebens- und Würdeschutzes Ungeborener ebenso wie für diejenige des Lebens- und Würdeschutzes Geborener, gelten135. Innerhalb dieser Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird außerdem auch das bereits angeführte Verbot der Beeinträchtigung der Zielsetzungen anderer Rechtsnormen zu berücksichtigen sein: Für angemessen bzw. verhältnismäßig i. e. S. wird eine gesetzliche Regelung zum Schutz des ungeborenen Lebens nur dann befunden werden können, wenn sie nicht die Zielsetzung anderer strafgesetzlicher Regelungen zum Ungeborenenschutz beeinträchtigt136. Ebenso werden sich positiv-generalpräventive Einbußen innerhalb des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als unangemessen bzw. unverhältnismäßig i. e. S. niederschlagen, wenn für eine Ungleichbehandlung kein legitimer Zweck angeführt werden kann oder zwar ein solch legitimer Zweck besteht, die Ungleichbehandlung jedoch kein geeignetes, erforder­ liches oder sonst angemessenes Mittel zu seiner Verwirklichung darstellt. Insofern bereits aus anderen Gründen unangemessen oder gar schon nach den vorangegangenen Wertungsstufen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wertungswidersprüchlich wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG, muss eine in diesem Sinne sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung überdies diejenige positiv-generalpräventive Funktion unterlaufen, die das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen dem Ungeborenenschutz im Allgemeinen und der Abtreibungsgesetzgebung 135  Vgl. zum gleichwertigen Schutz des ungeborenen Lebens oben Kap. 2, Seite 119–122 [Abschn.  1, C. III.]. 136  Siehe dazu oben Seite  153 f. [C.].

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

im Besonderen zugeschrieben hat: Denn tritt das Fehlen eines sachlichen Grundes erkennbar nach außen, muss auch die übergeordnete Zielsetzung verfehlt werden, ein der Gleichwertigkeitsthese entsprechendes Wert- und Unrechtsbewusstsein zu vermitteln. Die Wertungswidersprüchlichkeit nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG, die in jenen Fällen bereits dem Fehlen eines legitimen Zwecks oder der verneinten Geeignetheit, Erforderlichkeit oder anderweitigen Angemessenheit der Ungleichbehandlung zur Verwirklichung eines im Übrigen legitimen Zweckes entnommen werden kann, würde durch das einhergehende positiv-generalpräventive Defizit so zwar nicht erst begründet, wohl aber weiter verstärkt. 3. Die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen des pränidativen ungeborenen Lebens

Während sich eine Widerspruchsanalyse des postnidativen Ungeborenenschutzes ob der gleichwertigen Teilhabe des postnidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG noch zweifelsfrei auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird beziehen müssen, will sie Ungleichbehandlungen verschiedener Entwicklungsstadien des postnidativen menschlichen Lebens zu rechtfertigen suchen, wird man für den pränidativen Lebensschutz zu differenzieren haben, nachdem das BVerfG dem einfachen Gesetzgeber diesbezüglich einen Spielraum belassen hat, einschlägigen Vorschriften entweder ein grundrechtlich oder aber auch ein nur naturwissenschaftlich definiertes tertium comparationis zugrunde zu legen. Geht man zunächst von einer gesetzgeberischen Entscheidung des Inhalts aus, die verfassungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG auch für die pränidative Lebensphase als maßgeblich anzuerkennen und mithin die grundrechtliche Wertung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zum gemeinsamen Oberbegriff für geborenes, postnidatives und pränidatives ungeborenes Leben zu bestimmen137, so gelten die zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen des postnidativen ungeborenen Lebens getroffenen Ausführungen auch hier: Angesichts der Betroffenheit der grundrechtlichen Garantien von Leben und Würde und der damit einhergehenden Intensität der Ungleichbehandlung richtete sich deren Rechtfertigung nach den strengeren Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Stellt man dem die alternative gesetzgeberische Entscheidung gegenüber, eine objektive Teilhabe auch des pränidativen Lebens am objektiven Schutz137  Siehe

dazu oben Seite  170 f. [I. 2. b)].



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 177

gehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zu verneinen und mithin keine grundrechtliche Wertung, sondern allein eine biologische Gleichheit zum gemeinsamen Oberbegriff für pränidative Embryonen zu bestimmen138, so hätte sich damit die Intensität der Ungleichbehandlung reduziert. Nicht grundrechtlich garantierte Rechte wären betroffen, sondern eine dem grundrechtlichen Schutz vorgelagerte Phase menschlichen Lebens, innerhalb derer jenes Leben noch einem für die Teilhabe am Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG konstitutiven Individualitätserwerb harrte. Entsprechend könnten sich auch die Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen in dieser Lebensphase verschoben, nämlich reduziert haben, sodass sie nicht dem strengeren Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern einer bloßen Evidenzkontrolle i. S. d. Willkürverbotes zu genügen hätten. Dem bleibt aber entgegenzuhalten, dass trotz einer reduzierten Intensität der Ungleichbehandlungen immer noch Entwicklungsstufen menschlichen Lebens betroffen wären, über deren Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG das BVerfG zwar nicht abschließend positiv entschieden hat, die es aber auch nicht verneint hat139. Jedenfalls die zeitliche Nähe des pränidativen Entwicklungsstadiums zum Beginn grundrechtlich garantierten Lebens- und Würdeschutzes, mehr noch seine durch das BVerfG wenigstens nicht abschließend verneinte Teilhabe an dessen objektivem Schutzgehalt lassen es mithin als angebracht erscheinen, zur Rechtfertigung seiner Ungleichbehandlung – welche die Vernichtung seiner physischen Existenz berührt – ebenfalls die strengeren Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu bemühen. III. Conclusio: Der allgemeine Gleichheitssatz als Dreh- und Angelpunkt einer verfassungsrechtlich konkretisierten Freiheit von Wertungswidersprüchen Im Ergebnis stellt der allgemeine Gleichheitssatz unter den verschiedenen, die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ ausfüllenden Verfassungsgrundsätzen den Dreh- und Angelpunkt einer verfassungsrechtlich konkretisierten Freiheit von Wertungswidersprüchen dar. Seine zentrale Bedeutung geht zum einen darauf zurück, dass in seine inhaltlichen Anforderungen – wie aufgezeigt – diejenigen der ihrerseits einheitsstiftenden Grundsätze der Normenpyramide, der Verhältnismäßigkeit und der Normenklarheit i. w. S. integriert werden können: Während ein auf die Herstellung von Wertungsklarheit erstreckter Grundsatz der Normenklarheit i. w. S. die138  Siehe

dazu oben Seite  171 f. [I. 2. c)]. dazu oben Kap. 2, Seite  105 ff. [Abschn.  1, B. I. 4.].

139  Eingehend

178

Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

selben Kriterien wie der allgemeine Gleichheitssatz formuliert140, kann man weiter diejenigen grundrechtlichen Wertungen zum tertium comparationis einer Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes bestimmen, die nach der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers der Normenpyramide zugrunde liegen – auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bezogen, bildet (jedenfalls) für den postnidativen Ungeborenenschutz etwa das menschliche individuelle Leben i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG, wie es durch das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen konkretisiert worden ist, das grundrechtliche tertium comparationis141 –, und kann man innerhalb der Prüfung des gewichtigen sachlichen Grundes bzw. der Verhältnismäßigkeit einer Ungleichbehandlung das oben angeführte Verbot der Beeinträchtigung der Zielsetzungen anderer Rechtsnormen berücksichtigen142. Zum anderen aber reicht die einheitsstiftende Wirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes über diejenige der Normenpyramide hinaus: Während nämlich innerhalb der Normenpyramide nur den Subordinations-, nicht den Koordinationsbeziehungen eine Bindungswirkung entlehnt werden kann, weiß der allgemeine Gleichheitssatz – vorbehaltlich des Vorrangs einer grundrechtlichen Wertung – über die Wahl eines naturwissenschaftlich definierten tertium comparationis auch eine Bindung an anderes – denselben ontologischen Tatbestand regelndes – einfaches Recht zu begründen. Er wüsste mithin auch dann eine Erwartung der Wertungswiderspruchsfreiheit verfassungsrechtlich zu begründen, wenn es an einer übergeordneten grundrechtlichen Wertung mangeln sollte. Soweit man etwa annehmen sollte, dass auf dem Gebiet des pränidativen Ungeborenenschutzes – mangels entsprechender gesetzgeberischer Entscheidung – keine übergeordnete grundrechtliche Wertung Einheit zu stiften vermöge, so könnte die Erwartung einer auf die pränidative Lebensphase beschränkten Wertungseinheit zwar nicht auf die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, jedoch – unter Wahl eines naturwissenschaftlich statt grundrechtlich definierten tertium comparationis – auf die Bindung des Gesetzgebers an den allgemeinen Gleichheitssatz zurückgeführt werden.

140  Siehe dazu oben Seite  164 [vor I.] m. Fn. 107 u. Seite  152 f. [B. II. 2.] m. Fn. 70. 141  Zur Wahl eines grundrechtlich definierten tertium comparationis für den postnidativen Ungeborenenschutz s.  oben Seite  165 [I. 1. a)]; für den pränidativen Ungeborenenschutz s. oben Seite  170 f. [I. 2. b)]. Zur Bindung des Gesetzgebers an die Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG innerhalb der Normenpyramide s. oben Seite  157 ff. [D. IV.]. 142  Siehe dazu oben Seite  175 [II. 2.] u. Seite  153 f. [C.].



Abschn. 2: Verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 179

F. Die Relevanz für die einfachgesetzliche Analyse Mithin ermöglicht eine Orientierung an der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes, diejenigen Grundsätze zusammenzufassen, welche eine Freiheit von Wertungswidersprüchen verfassungsrechtlich begründen: Ein horizontaler einfachgesetzlicher Wertungswiderspruch kann als Verstoß des Gesetzgebers gegen den allgemeinen Gleichheitssatz definiert werden, der in Abhängigkeit vom Vorliegen einer übergeordneten grundrechtlichen Wertung und der entsprechenden Wahl eines grundrechtlichen tertium comparationis auf einen vertikalen Wertungswiderspruch zur Verfassungskonkretisierung zurückgeführt werden kann (so jedenfalls für den postnidativen Ungeborenenschutz) oder aber im Falle des Fehlens einer übergeordneten grundrechtlichen Wertung und der entsprechenden Wahl eines nur naturwissenschaftlichen tertium comparationis einem Verstoß gegen die Bindung an anderes einfaches – denselben ontologischen Tatbestand regelndes – Recht entspringt (so gegebenenfalls – in Abhängigkeit von der einfachgesetzlichen Konkretisierung – für den pränidativen Ungeborenenschutz). Für die einfachgesetzliche Analyse dieser Untersuchung ergibt sich damit die Aufgabe, Ungleichbehandlungen von wesentlich Gleichem zu benennen, die das strafgesetzliche System zum Schutz des menschlichen Lebens offenbart. Für die so bestimmten Ungleichbehandlungen gilt es sodann, mögliche gewichtige sachliche Gründe zu prüfen. Wenn eingangs auf die (verschiedentlich verwirklichte) Gefahr und gleichermaßen Versuchung hingewiesen worden ist, die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ als „Allzweckwaffe“ einzusetzen, so bleibt gegen Ende dieser Ausführungen festzuhalten, dass diese Formel der vorliegenden Untersuchung nur als eine „Arbeitshypothese“143 dienen kann. Sie präjudiziert nicht das Ergebnis eines Gesetzgebungsakts, sondern ist nur ein (gleichwohl entscheidendes) Kriterium, das in Ausübung der legislativen Aufgabe zu beachten ist. Sie ist keine Vorgabe, sondern eine Aufgabe144. Auf den Punkt gebracht, formuliert Günther, dass die „Einheit der Rechtsordnung“ „verbietet, daß Wertungswidersprüche entstehen. Aber sie beantwortet nicht, ob das 143  So ausdrücklich Grimm, AcP 1971, 266 (266); darauf hinweisend Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (10). 144  Siehe dazu u. begriffliche Gegenüberstellung formuliert in Anlehnung an Günther, Strafrechtswidrigkeit, 97, nach dem die Einheit den Staatsgewalten „nicht vor-, sondern vielmehr aufgegeben ist“; ähnl. Canaris, Systemdenken2, 18 m. Fn. 39. Zur diesbzgl. legislativen Aufgabe s. ferner Engisch, Einheit, 69; Kirchhof, Rechtswidrigkeiten, 30 („Vereinheitlichungsauftrag“); Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 155; Martini, Rechtsgleichheit, 288–296. Zum sich anschließenden „Auftrag“ der Gesetzesanwendung, „durch Auslegung Sinnwidrigkeiten und Wertungswidersprüche zu vermeiden oder auszuräumen“, s. ferner Kirchhof, a. a. O., 27; Larenz / Canaris, a. a. O., 155.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

der Fall ist“145. Entsprechend ist die Berechtigung von Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur, die ohne oder mit nur oberflächlicher Begründung eine solche Widersprüchlichkeit für den Schutz des ungeborenen Lebens im deutschen Strafrecht behaupten, zunächst einmal in Frage gestellt, müssen sich solche Stimmen doch dem Vorwurf stellen, die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ eben als die „Allzweckwaffe“ einzusetzen, die dieser Formel ihren zuweilen schlechten Ruf verliehen hat. Die vorliegende Untersuchung setzt sich zum Ziel, das Schutzkonzept des Strafgesetzgebers auf seine Übereinstimmung mit den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen – um auf diesem Weg eine „Allzweckwaffe“ mit Aussagekraft zu füllen und sie vielleicht gezielt auf die gesetzgebende (und sekundär auch rechtsprechende) Gewalt richten zu können. Abschnitt 3

Eine strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit – Die positive Generalprävention – „Denn die Einsicht wirkt in Absicht auf das Gute vierfach, entweder indem sie das Gute verschafft, oder es erhält, oder es mehret, oder einen geschickten Gebrauch davon macht“. (Plutarch146)

Nachdem das Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit im vorangehenden Abschnitt über die „Einheit der Rechtsordnung“ damit verfassungsrechtlich begründet und konkretisiert worden ist, soll es nun – in fortwährender Anlehnung an die Zweiteilung der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen in einen verfassungsrechtlichen und einen strafzwecktheoretischen Diskurs147 – als Voraussetzung positiv-generalpräventiver Wirksamkeit des Strafgesetzes dargelegt werden. Hierzu werden einer vergleichenden Betrachtung verschiedener theoretischer Ansätze zur positiven Generalprävention zunächst die Mechanismen entlehnt, die nach jenen theoretischen Grundlagen einer (unterstellten) positiv-generalpräventiven Wirkung den Weg bereiten sollen. Sind jene Mechanismen einmal benannt, können in einem nachfolgenden Schritt auch die Voraussetzungen formuliert werden, 145  Günther,

Strafrechtswidrigkeit, 98. Trostschrift an Apollonius, in: ders., Moralische Schriften / 3, 294 (298). 147  So bereits die Unterteilung des Kap. 2: Seite  56–124 [Abschn.  1]: Der verfassungsrechtliche Diskurs; Seite  124–131 [Abschn.  2]: Der strafzwecktheoretische Diskurs. 146  Plutarch,

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die eine Rechtsordnung verwirklichen müsste, wollte sie den ihr – durch den Strafgesetzgeber und das BVerfG gleichermaßen – zugeschriebenen Wirkmechanismus in Gang zu setzen.

A. Die Grundlagen der positiven Generalprävention Bevor sich die Untersuchung aber dieser vergleichenden Betrachtung verschiedener theoretischer Konzepte zuwendet, um hieraus auf Mechanismen und Voraussetzungen einer (unterstellten) positiv-generalpräventiven Wirkung zu schließen, soll zunächst noch theorienübergreifend die allgemeine Zielsetzung eines am Strafzweck der positiven Generalprävention ausgerichteten Strafgesetzes definiert sowie im Kontext der Straftheorien platziert werden. Den Einstieg bietet die übliche – vereinfachende – Unterteilung der Zwecke staatlichen Strafens in die sog. absoluten Straftheorien einerseits, die sog. relativen Straftheorien andererseits148. Dass zwischen absoluten und relativen Straftheorien dabei nicht so trennscharf unterschieden werden kann, wie jene Unterteilung den Anschein erweckt, wird im Anschluss noch seine Erörterung erfahren. Wenn sich die vorliegende Untersuchung gleichwohl – in Anlehnung an die meisten Lehrbücher zum allgemeinen Strafrecht oder zur Sanktionenlehre149 – zunächst jener vereinfachenden Gegenüberstellung bedient, sucht sie hierdurch nur das Verständnis von der Abgrenzung der verschiedenen Straftheorien zu erleichtern. Auf der so geschaffenen Grundlage kann innerhalb der anschließenden vergleichenden Betrachtung verschiedener theoretischer Konzepte dann eine vertiefte Erörterung stattfinden, im Zuge derer auch Überschneidungen der auf den ersten Blick so gegensätzlichen Theorien herausgearbeitet werden. I. Ihre herkömmliche Abgrenzung zu den absoluten Straftheorien Folgt man zunächst also jener vereinfachenden Kategorisierung, begründen die absoluten Straftheorien die Strafe allein mit einem Ausgleich des durch den Täter verursachten Unrechts, der im Wege der Sühne (Sühnetheo­ rien) oder Vergeltung (Vergeltungstheorien) erfolgen soll150. Die Bezeichetwa Braun, Rechtswissenschaft4, 54–65; Hassemer / Neumann, in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 14, Vorbem. § 1 Rn. 268–285; Jescheck / Weigend, AT5, 70–75; Lesch, JA 1994, 510 (512); Mayer, AT, 25 f.; Meier, Strafrechtliche Sank­ tionen3, 18; Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 1–62; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 16 f.; ­Stratenwerth / Kuhlen, AT6, § 1, Rn. 4–28; Streng, Sanktionen3, Rn. 10; Wessels /  Beulke, AT42, Rn. 12a. 149  Siehe die vorangegangene Fn. 148. 150  Lesch, JA 1994, 510 (513); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 12a. Zu alternativen Unterteilungen s. etwa Neumann / Schroth, Kriminalität und Strafe, 11–19, die neben 148  Siehe

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

nung als „absolut“ rührt daher, dass nach diesen Straftheorien der Unrechtsausgleich an sich die Strafe legitimieren soll, die Strafe aber keine darüber hinaus gehenden sozialen Wirkungen bezweckt. „Poena absoluta est ab effectu“151: „Die Strafe ist losgelöst von ihrem Effekt“. So hat es Kant, der als geistiger Vater der Vergeltungstheorien gilt, jedenfalls äußerlich vehement zurückgewiesen, die Bestrafung des Täters als Mittel zu außerhalb seiner selbst liegenden sozialen Zwecken – wie zur Prävention künftiger Straftatbegehung – einzusetzen: „Richterliche Strafe […] kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden […]“152. Stattdessen hat er den Zweck staatlicher Strafe darauf beschränkt, durch einen Unrechtsausgleich unmittelbar Gerechtigkeit wiederherzustellen, indem dem Täter in Reaktion auf sein Verbrechen zwangsweise ein Übel auferlegt wird (äußerlich-kausale Sequenz zweier Übel)153. Unter Formulierung eines „Wiedervergeltungsrecht[s] (ius talionis)“154 trat Kant dabei noch dafür ein, nicht nur die Quantität (Schwere), sondern auch die Qualität (Art) des zwangsweise auferlegten Übels nach der Anlasstat zu bestimmen: „was für unverschuldetes Übel du einem anderen im Volk zufügst, das tust du dir selbst an. Beschimpfst du ihn, so beschimpfst du dich selbst; bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst; schlägst du ihn, so schlägst du dich selbst; tötest du ihn, so tötest du dich selbst“155. Demgegenüber sehen die Sühnetheorien – die der Strafe gleichermaßen keine über den Unrechtsausgleich hinausgehenden sozialen Wirkungen zumessen – den Unrechtsausgleich nicht durch die zwangsweise Auferlegung eines Übels auf den Täter, sondern durch eine „Versöhnung des Verbrechers der Sühnetheorie zwischen Vergeltungs- und sog. Gerechtigkeitstheorien differenzieren, u. Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 10, der auf eine häufige Identifizierung des Vergeltungsgedankens mit dem Sühnegedanken hinweist. 151  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 17 m. Fn. 5; s. ferner Lesch, JA 1994, 510 (513) m. w. N. in Fn. 30; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 16. 152  Kant, Metaphysik der Sitten, 158; s. dazu auch Lesch, JA 1994, 510 (513); Noll, Strafe, 5; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 17 f. Zu Zweifeln am rein absoluten Charakter der Vergeltungstheorie Kants s. im Anschluss Seite  195 [B. II. 1.]. 153  Siehe dazu Lesch, JA 1994, 510 (514); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 12a. 154  Kant, Metaphysik der Sitten, 159. 155  Kant, Metaphysik der Sitten, 159; s. dazu auch Lesch, JA 1994, 510 (514), u. Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 18. Anders – und herrschend – die von Hegel formulierte, kommunikativ-symbolisch wirkende „Wertgleichheit“ von Strafe und Tat­ unrecht; dazu an späterer Stelle Seite  198 [B. II. 2.].

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mit sich, mit der verletzten Ordnung, mit der Gemeinschaft“ verwirklicht156. Versöhnung in diesem Sinne setzte voraus, dass einerseits der Schuldige eine freiwillige Leistung erbringt, andererseits die Gesellschaft diese Leistung auch als Tilgung der Schuld des Täters anerkennt. Es ist jedoch eben diese von der Sühnetheorie vorausgesetzte Freiwilligkeit der Sühneleistung und entsühnende Wirkung, ob derer Sühne als Rechtsgrund und Zweck der Strafe kaum mehr vertreten wird157: Weder kann eine freiwillige Sühneleistung im Wege staatlicher Strafe erzwungen werden noch entspricht es dem Regelfall, dass die Gesellschaft die Bestrafung des Täters als Tilgung seiner Schuld anerkennt; im Gegenteil erfährt der Täter insbesondere durch die Freiheitsstrafe eine Stigmatisierung als Verbrecher158. II. Ihre Definition und Platzierung innerhalb der relativen Straftheorien Während die absoluten Straftheorien – in ihrer Ausgestaltung als Vergeltungs- und Sühnetheorien – mithin den Strafzweck auf eine durch den Unrechtsausgleich wiederherzustellende Gerechtigkeit reduzieren wollen, legitimiert nach den relativen Straftheorien nicht bereits der Ausgleich des durch den Täter begangenen Unrechts, sondern erst ein darüber hinaus ­gehender sozial nützlicher Zweck die Strafe: „poena est relativa ad effectum“159 – „die Strafe ist bezogen auf ihre Wirkung“. In diesem Zusammenhang wird der Strafe zugeschrieben, der Begehung künftiger Straftaten – vermittelt über zwei mögliche Wirkungsebenen der Prävention – vorbeugen zu können160: nämlich indem sie auf den einzelnen Täter (Spe156  Vorstehendes Zitat aus Noll, Strafe, 8; s. dazu auch Lesch, JA 1994, 510 (513); Neumann / Schroth, Kriminalität und Strafe, 17; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 45; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 12a; in Vermengung mit der Vergeltungstheorie auch Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 10. 157  Jakobs, AT2, Abschn. 1, Rn. 25; Lesch, JA 1994, 510 (513); s. jedoch BVerfGE 45, 187 (259). 158  v. d. Linde, Rechtfertigung, 203–205; Noll, Strafe, 8 f.; zum Gegensatz von staatlichem Strafzwang und Sühne s. auch Lesch, JA 1994, 510 (513); Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 46 f. 159  Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 16. 160  Nach einem Zitat aus Senecas „De ira“, das seinerseits auf Platos „Protagoras“ zurückgeht: „Nam, ut Plato ait, nemo prudens punit quia peccatum est, sed ne peccetur. Revocari enim praeterita non possunt, futura prohibentur“; v. Hippel, Dt. Strafrecht / 1, 461; Lesch, JA 1994, 510 (515); Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 16 u. 89 m. Anm. 3. Ins Dt. übertragen bei Schmidhäuser, a. a. O., 16: „Denn, wie schon Plato sagt, straft kein Vernünftiger, weil gefehlt worden ist, sondern damit nicht gefehlt werde. Was geschehen ist, kann nämlich nicht ungeschehen gemacht werden, was noch bevorsteht, kann abgewendet werden“.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

zial- bzw. Individualprävention) oder aber auf die Allgemeinheit einwirkt (Generalprävention)161. Auf beiden Wirkungsebenen unterscheidet man sodann weiter nach positiven und negativen Präventionsformen, die man schlagwortartig mit den Begriffen der „Besserung“ und „Abschreckung“ voneinander abgrenzen kann. Entsprechend dieser Differenzierung bezeichnet man etwa als positive Spezialprävention die Besserung des Täters im Sinne einer sozialpädagogischen Befähigung zu einem Leben ohne Straftaten und als negative Spezialprävention die individuelle Abschreckung des sanktionierten Täters vor wiederholter Straftatbegehung162. Auf der spe­ zialpräventiven (an den jeweiligen Täter gerichteten) Wirkungsebene tritt neben Besserung und Abschreckung noch ein dritter Strafzweck hinzu: die Sicherung der Allgemeinheit vor dem als gefährlich befundenen Täter, indem ihm durch unmittelbaren Zwang (so v. a. durch die Freiheit entziehende Maßnahmen) die Begehung weiterer Straftaten unmöglich gemacht wird163. Dieser Sicherungszweck wird gemeinhin – gleich der individuellen Abschreckung – unter dem Begriff der negativen Spezialprävention geführt164. Diese Abgrenzung der Zielsetzungen von Abschreckung und Besserung setzt sich auch in den generalpräventiven Theorien fort, wenn selbige gleichermaßen in eine negative und eine positive Präventionsform unterteilt werden. In ihrer negativen Erscheinungsform, als deren geistiger Vater v. Feuerbach gilt, verbinden Theorien der Generalprävention jedenfalls mit der Androhung, zum Teil auch mit der Verhängung und Vollstreckung der Strafe, die Abschreckung der Allgemeinheit vor der Straftatbegehung. Die Furcht vor drohender Strafe, ob sie nun in eine rationale Kalkulation von Nutzen und Risiken der Straftatbegehung einfließt oder sich als „psychologischer Zwang“ äußert, soll von der Verübung eines Normbruchs abhalten165. In seiner positiven Erscheinungsform erfasst der Strafzweck der Generalprävention – der in dieser Erscheinungsform auch als IntegrationsStrafrechtliche Sanktionen3, 21; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 22 f.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 12a. 162  Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 67; Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 25. 163  Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 25; grundlegend dazu v. Liszt, in: ders., Strafrechtliche Aufsätze / I, 126 (164): „Besserung, Abschreckung, Unschädlichmachung; das sind demnach die unmittelbaren Wirkungen der Strafe; die in ihr liegenden Triebkräfte, durch welche sie den Schutz der Rechtsgüter bewirkt“; Hervorhebungen aus dem Orig. nicht übernommen. 164  Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 25; anders in der Kategorisierung jedoch etwa Lesch (JA 1994, 590), der unter den Begriff der negativen Spezialprävention ausschließlich den Sicherungszweck fasst und hiervon die Kategorie individueller Abschreckung unterscheidet. 165  Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 21 f. 161  Meier,

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 185

prävention bezeichnet wird166 – demgegenüber solche Theorien, „die dem Strafrecht oder der Strafe die Fähigkeit oder auch nur die objektive Funktion zurechnen, sozial-ethisch erwünschte Verhaltensweisen und Weltsichten zu befördern oder auch nur zu stabilisieren und damit die Normtreue und das Rechtsvertrauen, aber auch die Anerkennung der Rechtsnormen zu stärken oder zumindest zu festigen“167. Anders als die negativ-generalpräventiven Theorien erkennen sie dabei weniger in der Furcht vor der angedrohten Strafe dasjenige Mittel, das normgemäßes Verhalten befördern soll, sondern messen einer zu bewirkenden „Einsicht“ in die Wert- und Unrechtsvorstellungen der Rechtsordnung diese verhaltensleitende Funktion zu168. Der positiv-generalpräventiven Straftheorie wohnt mithin die Vorstellung inne, dass Legalität einer gesetzesbezogenen Moralität bedarf und dass diese Moralität durch das Gesetz, namentlich durch die konkrete Verhängung und Vollstreckung von Strafe sowie bereits durch die abstrakte Strafandrohung, befördert werden kann169. III. Ihre Einbettung in die Strafzwecke des Strafgesetzbuchs Das deutsche Strafgesetzbuch schließlich hat sich mit der präventiven Vereinigungstheorie für eine Kombination absoluter und relativer Straftheorien entschieden170. Dabei folgt ihre Bezeichnung als „präventiv“ dem Umstand, dass der präventive Rechtsgüterschutz – trotz seiner Kombination mit absoluten Elementen – das Leitprinzip der Strafe bildet: Indem das Strafgesetzbuch für die 166  Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 6 f.; vgl. ferner Jescheck / Weigend, AT5, 68; Müller-Dietz, in: Vogler, FS-Jescheck / 2, 813 (817 u. 819); Roxin, in: Kaufmann et  al., FS-Bockelmann, 279 (306). Zu einer Def. normativer Integration s. Müller-Tuckfeld, a. a. O., 1. 167  Def. entnommen aus Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 7. 168  Vgl. weiterhin die ähnl. gehaltene Def. von Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 7; krit. zu einer solchen Art der „Erziehungsprävention“ Peralta, ZIS 2008, 506 (507 f.). 169  Vgl. Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 291 f., zur Kant’schen Trennung von Moralität und Legalität und Hegels Kritik hieran. Eingedenk Hegels Kritik verwundert es denn auch nicht, wenn Hegels straftheoretischer Ansatz von der „Negation der Negation“ zwar gemeinhin – wie Kants Straftheorie – den Vergeltungstheorien zugeordnet wird, zugleich aber eine augenscheinliche Nähe zur Idee positiver Generalprävention offenbart; dazu an späterer Stelle Seite 197 [B. II. 2.] m. Fn. 221. 170  Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 33; zur präventiven Vereinigungstheorie s. auch Fischer, StGB60, § 46 Rn. 2a u. 3; Maurach / Zipf, AT / 18, § 6, Rn. 8, u. § 7, Rn. 6 ff.; Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 37–62; Stree / Kinzig, in: Sch / Sch, StGB28, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 11. Zur alternativ vergeltenden – statt präventiven – Vereinigungstheorie s. ebenfalls Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 33–36. Zu einer anderweitigen Diff. von „additiver“ und „dialektischer“ Vereinigungstheorie s. Lesch, JA 1994, 590 (595) m. w. N.

186

Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

Verletzung seiner Normen die Rechtsfolge der Strafe vorsieht, sollen abweichende Verhaltensweisen für die Zukunft verhindert oder zumindest unwahrscheinlich gemacht werden171. Für dieses Leitprinzip der Straftatenpräven­ tion kommt der (intendierten und unterstellten) positiv-generalpräventiven Wirkung strafgesetzlicher Normen insofern eine grundlegende Bedeutung zu, als der Gesetzgeber bereits mit der abstrakten gesetzlichen Strafandrohung ein sozialethisches Unwerturteil über bestimmte Verhaltensweisen ausspricht und dem von der jeweiligen Norm geschützten Rechtsgut einen unter Strafandrohung zu achtenden Stellenwert zuweist. Bereits von der „Einsicht“ in die Richtigkeit dieser abstrakten Norm- und Wertverdeutlichung wird eine Erhaltung oder Stärkung der normativen Integration des Gesetzesadressaten erwartet172. Diese positiv-generalpräventive Funktion der abstrakten Strafandrohung setzt sich in der konkreten Strafanwendung fort, wenn durch Verhängung und Vollstreckung der Strafe im konkreten Einzelfall das fragliche Unwerturteil exemplarisch veranschaulicht und das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Durchsetzungskraft der Rechtsordnung bestätigt werden soll. Begleitet wird jene positiv-generalpräventive Zielsetzung durch eine (intendierte und unterstellte) negativ-generalpräventive Wirkung, wenn den Adressaten des Strafgesetzbuches durch abstrakte Strafandrohung sowie konkrete Strafverhängung und Strafvollstreckung vor Augen geführt werden soll, welche Konsequenzen mit dem abweichenden Verhalten einhergingen, und hiervon eine die Allgemeinheit abschreckende Wirkung erwartet wird. Schließlich werden der konkreten Anwendung von Strafe auch spezialpräventive Wirkungen auf den Täter selbst zugeschrieben: sei es nun, dass die Strafe eine gewisse „Denkzettelfunktion“ erfüllen (individueller Abschreckungseffekt der Strafe), dem Täter Hilfe beim Erlernen normkonformen Verhaltens leisten (individueller Besserungseffekt der Strafe) oder ihn – wenigstens für eine bestimmte Zeit – durch die Entziehung seiner Freiheit an der Begehung weiterer Taten physisch hindern soll (Sicherungseffekt der Strafe)173. Im Gegensatz dazu dienen die Inhalte der absoluten Straftheorien innerhalb der präventiven Vereinigungstheorie nicht der Begründung, sondern nur der Begrenzung von Strafe: Insofern nämlich wird den relativen – generalpräventiven wie spezialpräventiven – Straftheorien vorgeworfen, ihrerseits keine Einschränkungen für das Strafmaß zu kennen174. Denn verlangt man die Verhältnismäßigkeit der Strafe allein mit Bezug auf ihre präventive JA 1994, 510 (515 f.); Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 33. Strafrechtliche Sanktionen3, 33; Müller-Dietz, in: Vogler, FS-Jescheck /  2, 813 (821 f.); zur Dominanz der positiven Generalprävention seit 1980 s. auch Naucke, in: Herzog / Neumann, FS-Hassemer, 559 (567). 173  Siehe zum Vorstehenden Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 33. 174  Anders etwa Hassemer, ZIS 2006, 266 (267 f.); Müller-Dietz, in: Vogler, FSJescheck / 2, 813 (823 f.). Darauf wird an späterer Stelle, wenn die Wirksamkeitsbe171  Lesch,

172  Meier,

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 187

Zielsetzung, birgt dies eine Gefahr der „Maßlosigkeit“ präventiver Straftheo­ rien in sich, in der sich Qualität und Quantität der Strafe nicht nach der Tatschuld bemessen. So besteht der Zweck der Strafe nach den Theorien negativer Generalprävention etwa darin, dem potenziellen Tatanreiz eine überwiegende Tathemmung entgegenzusetzen. Entsprechend wird kritisch angeführt, dass eine Strafe dieser Zielsetzung in Abhängigkeit von der Größe des Tatantriebs formuliert werden müsste, zu dessen Kompensation die Strafandrohung berufen sei: Je gewichtiger der zu erwartende Tatvorteil sei, umso gewichtiger müsse auch das angedrohte Übel sein, unabhängig von dem durch die Tat verwirklichten (ggf. auch nur geringeren) Unrecht, das sich in der Schwere des Delikts bzw. des Gewichts des verletzten Rechtsguts manifestiert habe175. Entsprechend wird gegen die Theorien positiver Generalprävention, die den Zweck der Strafe in einer Normstabilisierung ansiedeln, der Einwand vorgebracht, dass demnach das Strafquantum ebenfalls nicht nach der Schuld, sondern nach einer – durch die Normstabilisierung zu bekämpfenden – „latenten Kriminalitätsbereitschaft der Allgemeinheit“ zu bemessen wäre176. Auch v.  Liszt hat für die spezialpräventiven Theorien zwar einen inhaltlichen Maßstab für die Strafbemessung formuliert: „Nur die notwendige Strafe ist gerecht“177. Wiederum wüsste jene „Notwendigkeit“ aber jede Art der Strafe – bis hin zur physischen Vernichtung des Täters, um ihn wirksam „unschädlich zu machen“ – zu rechtfertigen178, solange sie in den Worten v.  Liszts nur nicht „verschwenderisch“ auftritt, d. h. das für die Zweckverwirklichung erforderliche Maß nicht überschreitet179. Dem Vergeltungsgedanken, der die Proportionalität von Tat und Strafe thematisiert, will die präventive Vereinigungstheorie nun eine vom Zweckgedanken gelöste Grenze des präventiven Eingriffs entnehmen: Nur eine „gerechte“ Strafe soll angedroht, verhängt und vollstreckt werden dürfen, namentlich eine solche Strafe, die in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und Schuld des Täters steht180. Insofern zweifellos dingungen eines generalpräventiv ausgerichteten Strafgesetzes erörtert werden, noch näher eingegangen werden; s. dazu unten Seite  236 f. [D. I.]. 175  Siehe dazu Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 29 f.; Lesch, JA 1994, 510 (517) m. anschaulichen Beispielen. 176  Lesch, JA 1994, 510 (519 m. Fn. 81). 177  v. Liszt, in: ders., Strafrechtliche Aufsätze / I, 126 (161); s. dazu Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 24. 178  So Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 67; Jescheck / Weigend, AT5, 75; Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 26; Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 16. 179  Siehe dazu u. zur Wortwendung einer „verschwenderische[n] Verwendung der Strafe“ v. Liszt, in: ders., Strafrechtliche Aufsätze / I, 126 (161). 180  Siehe dazu Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 20 f. u. 34; krit. Jakobs, AT2, Abschn. 1, Rn. 22 f. Zu einem „Maßprinzip“ der Vergeltungstheorien vgl. auch Haffke, Tiefenpsychologie, 77.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

den absoluten Straftheorien eigen, könnte ein solcher Grundsatz der Proportionalität von Tat(‑schuld) und Strafe jedoch auch bereits dem Rechtsstaatsprinzip entlehnt werden, wie der Rechtsprechung des BVerfG entnommen werden kann181 – der Rückgriff auf die absoluten Straftheorien weiß den Proportionalitätsgedanken, der bereits eine verfassungsrechtliche Grenze bildet, mithin nur zu unterstützen182. IV. Plausibilität statt Empirie Zusammenfassend misst die positive Generalprävention – die das Kernstück der herrschenden präventiven Vereinigungstheorie bildet – dem Strafgesetz und seiner Anwendung im Einzelfall die Funktion zu, künftige Normverletzungen zu verhindern. Als relative Straftheorie tritt sie insofern (jedenfalls prima facie) in einen Gegensatz zu den absoluten Straftheorien, welche die Funktion der Strafgesetze auf einen Gerechtigkeit wiederherstellenden Unrechtsausgleich beschränken wollen. In Abgrenzung zu denjenigen relativen, nämlich spezialpräventiven Theorien, welche die Zielsetzung der Prävention von Normverletzungen durch eine Einwirkung von konkreter Strafverhängung und -vollstreckung auf den Täter verwirklicht sehen, richtet sie ihr Augenmerk auf eine zu beeinflussende Allgemeinheit, welche die konkrete Anwendung der Strafe zwar nicht am eigenen Leib erfährt, selbige jedoch beobachtet sowie darüber hinaus bereits die abstrakte Strafandrohung zur Kenntnis nimmt. Die Beeinflussung der Allgemeinheit soll sich dabei nicht – insofern die Abgrenzung zu den negativ-generalpräventiven Theo­ rien – durch das Mittel der Abschreckung und den Eindruck der „Furcht“ vollziehen, sondern einer „Einsicht“ in die Richtigkeit des zur Kenntnis genommenen und in seiner Anwendung beobachteten Strafgesetzes entspringen. Dabei ist es zunächst durchaus fraglich, ob strafgesetzliche Vorschriften – gegebenenfalls in einem Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung  – überhaupt eine solche positiv-generalpräventive Wirkung zu entfalten vermögen. Empirische Untersuchungen haben in diesem Zusammenhang nur die verhaltenssteuernde Wirkung einer sog. Normakzeptanz nachweisen können: Soweit Normadressaten den Sinn und Zweck einer Strafnorm nachvollziehen konnten – sie nämlich auf die Gefahren des verbotenen Verhaltens oder aber den Nutzen des gebotenen Verhaltens hingewiesen wurden –, veränderte sich auch ihre moralische Einschätzung der fraglichen Verhal181  BVerfGE 45, 187 (228); 50, 205 (215); 73, 206 (253); 90, 145 (173); zsfd. Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 34. 182  Auf die verfassungsrechtlichen Grenzen präventiver Strafzwecke wird an späterer Stelle zurückzukommen sein; dazu Seite  236 f. [D. I.].

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tensweisen bzw. ihr eigenes Verhalten183. Demgegenüber haben sich einschlägige Untersuchungen höchst uneinheitlich dazu geäußert, ob eine Norm – wie die Theorien positiver Generalprävention aber unterstellen – auch dann eine verhaltenssteuernde Wirkung zu entfalten vermag, wenn sie nicht von solchen Zusatzinformationen begleitet ist: Bejaht haben diese Frage solche Untersuchungen, innerhalb derer sich die moralische Einschätzung von nicht kriminalisierten Alltagssituationen bereits dann veränderte, wenn den befragten Probanden nur deren angebliche Strafbarkeit kundgetan worden war (sog. Declaratory-Argument)184. Andere Untersuchungen, innerhalb derer die Probanden unter Strafandrohung verbotene Handlungen tendenziell gar als weniger moralisch verwerflich einschätzten (sog. Bumerang-Effekt), haben diese Frage hingegen verneint185. Entgegen der Grundthese der positiven Generalprävention wirkten Strafandrohungen demnach nicht förderlich auf entsprechende moralische Erwartungen, sondern seien solchen sogar abträglich. Im Ergebnis blieb empirisch also ein „non liquet“186. Nun könnte man aus einem solchen „non liquet“ den Schluss ziehen, die Theorie der positiven Generalprävention gründe auf „Irrationalität oder Metaphysik“187 oder sie sei einzig den „Hirnen von Strafrechtlern“ entsprungen, „während kein normaler Mensch auf diese Idee käme“188. BVerfG wie Strafgesetzgeber sind jedoch gleichermaßen zu einem anderen Schluss gelangt: Während die positive Generalprävention als zentraler Zweck staatlichen Strafens Anerkennung erfährt, nämlich das Kernstück der präventiven Vereinigungstheorie bildet, hat das BVerfG der Rechtsordnung in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen nicht nur eine positiv-generalprä183  Vgl. etwa die Untersuchung von Schwartz und Orleans, innerhalb derer diejenigen (der Mittelschicht entstammenden) Steuerzahler die höchsten Einkommen angaben, denen die moralischen Beweggründe der Steuerzahlung nahegelegt worden waren („the ‚conscience‘ group“); Schwartz / Orleans, in: Schwartz / Skolnick, Society, 533 (535 u. 541); s. dazu auch Schumann, Positive Generalprävention, 26 f. 184  Vgl. die Untersuchung von Berkowitz / Walker, Sociometry 1967, 410 (421); zsfd. Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 117 f., u. Schumann, Positive Generalprävention, 29 f. Vgl. ebenso die Untersuchung von Walker / March, BJC 1984, 27 (39); zsfd. Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 118, u. Schumann, Positive Generalprävention, 30–32. 185  Vgl. etwa die Umfrage von Walker / Argyle, BJC 1964, 570 (572 u. 578); zsfd. Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 117, u. Schumann, Positive Generalprävention, 28 f. Ebenso die Bremer Studie von Schumann et al.; s. dazu Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 119 f., u. Schumann, Positive Generalprävention, 35–38 (36 f.). 186  Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 29; vgl. auch Müller-Tuckfeld, Integra­ tionsprävention, 125. 187  Begriffspaar entnommen aus Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 29. 188  Karl F. Schumann; vollst. Zitat bei Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 120.

190

Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

ventive Zielsetzung zugewiesen, sondern ihr auch das Potenzial zugemessen, eine entsprechende Wirkung zu entfalten. Dass Rechtsprechung wie Gesetzgebung mithin bereitwillig über den fehlenden empirischen Nachweis einer positiv-generalpräventiven Wirkweise hinwegsehen, mag man nun mit Blick darauf nachvollziehen, dass die Bildung von Rechtsvertrauen oder gar die Entwicklung eines allgemeinen Rechtsbewusstseins ein hochkomplexer Vorgang ist, der so viele verschiedene Bedingungen in sich vereint, dass der Anteil einzelner – wie der Androhung, Verhängung und Vollstreckung von Strafe – schwerlich wird isoliert und mithin bestimmt werden können189. Diesbezüglich verhält es sich ähnlich wie in der Kriminalätiologie190, innerhalb derer zahlreiche Theorien entwickelt worden sind, um die Entstehung von Kriminalität erklären zu können: Im Ergebnis hat keiner der von den verschiedenen Theorien als kriminovalent bezeichneten Faktoren Allgemeingültigkeit beanspruchen können; statuiert werden konnte nur die Feststellung, dass Kriminalität offensichtlich auf ein Bündel von (vorwiegend) sozialen Ursachen zurückzuführen sei, welche aber nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Ihr Zusammenwirken sowie ihre Wechselwirkung konnte somit letztlich nur in einer plausiblen Betrachtung behauptet und bejaht werden191. So verhält es sich nach derzeitigem Forschungsstand auch für die positive Generalprävention: ihre Überzeugungskraft bezieht sie aus der „Plausibilität“, nicht aber aus einem empirischen Nachweis ihres theoretischen Konzeptes192. Dass unweigerlich gewisse „Bauchschmerzen“ verbleiben, legitimiert man durch das Strafrecht produzierte gewichtige Grundrechtseingriffe im Wege bloßer Plausibilitätsargumentation statt durch eine empirisch bestätigte positiv-generalpräventive Wirkung, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Jene „Bauchschmerzen“ müssen die vorliegende Untersuchung jedoch nicht bekümmern, welche die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des 189  Hassemer, in: ders. / Lüderssen / Naucke, Generalprävention, 29 (35 f.); Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 29; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 127; s. ferner Andenaes, in: ders., Punishment and Deterrence, 3 (9 f.); ders., in: Grupp, Theo­ ries of Punishment, 138 (143). Zur Komplexität eines Prozesses der Erhaltung und Beförderung von Rechtsvertrauen vgl. auch Hassemer, NStZ 1989, 553 (554); zum mangelnden Vergleichsfall einer Gesellschaft ohne Strafrechtspflege s. außerdem Dölling, ZStW 1990, 1 (18 f.). 190  Auch: Kriminal-Ätiologie; Def. bei Schwind, Kriminologie21, § 1, Rn. 14. 191  Was den anhaltenden Versuch ihrer statistischen Durchdringung freilich nicht hindert; zsfd. dazu Schöch, in: Kaiser / Schöch, Kriminologie7, Fall 1, Rn. 89–93, zu empirisch ausgerichteten Mehrfaktorenansätzen; krit. zur kriminologischen Ursachenforschung Sack, in: Beulke et  al., Dilemma, 25 (31 ff.). 192  So i.  Erg. u. vorstehendes Zitat aus Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 29; vgl. auch Hassemer, in: ders. / Lüderssen / Naucke, Generalprävention, 29 (52): Eine positiv-generalpräventive Wirkung „kann man nur hoffen, nicht aber nachweisen“.

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 191

BVerfG nur zu ihrem Ausgangspunkt nimmt, um sodann zu überprüfen, inwiefern die gerichtliche Postulatio in der einfachen Gesetzgebung ihre wertungswiderspruchsfreie Umsetzung erfahren hat. So hat auch der verfassungsrechtliche Diskurs des vorangegangenen zweiten Kapitels die Stellungnahme des Gerichts zu einer Teilhabe des ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG nicht etwa nachvollzogen, um jene Stellungnahme zu hinterfragen. Stattdessen sollte nur diejenige Konkretisierung der einschlägigen grundrechtlichen Garantien dargestellt werden, die nach der verfassungsgerichtlichen Postulatio der geltenden Abtreibungsgesetzgebung zugrunde liegt. Im Anschluss hieran konnte der erste Abschnitt des vorliegenden dritten Kapitels sodann darlegen, wie jene Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Grundrechtsgarantien in den allgemeinen Gleichheitssatz eingebettet ist – nämlich die grundrechtliche Definition eines tertium comparationis ermöglicht – und das einfache Gesetz so aus verfassungsrechtlicher Sicht verpflichtet, die grundrechtlichen Garantien wertungswiderspruchsfrei umzusetzen. Entsprechend soll auch der strafzwecktheoretische Diskurs des vorangehenden zweiten Kapitels dem vorliegenden Abschnitt nur als Anknüpfungspunkt dienen: Denn eine Rechtsordnung, die in Gefolgschaft der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen den Anspruch erhebt, positiv-generalpräventiv zu wirken, hätte auch die Voraussetzungen zu erfüllen, die theoretische Konzepte für eine solche positiv-generalpräventive Wirkung formulieren. Anderenfalls kehrte sie nach außen, wie sie das ihr unterstellte positiv-generalpräventive Wirkpotenzial auf dem Gebiet des Ungeborenenschutzes – entgegen allen Verlautbarungen – gar nicht erst zu verwirklichen suchte.

B. Die Erscheinungsformen positiv-generalpräventiver Theorien In Anknüpfung an die postulierte positiv-generalpräventive Zielsetzung der Strafgesetzgebung sollen im Folgenden also zunächst die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede verschiedener theoretischer Ansätze zur positiven Generalprävention vorgestellt werden. Dabei soll und kann es nicht der Anspruch der nachfolgenden Ausführungen sein, einen vollständigen Überblick über die verschiedenen Varianten positiv-generalpräventiver Theorien zu formulieren. Sie werden sich stattdessen auf eine vergleichende Betrachtung exemplarisch ausgewählter positiv-generalpräventiver Theo­ rienkonzepte beschränken, innerhalb derer Durkheim als „Begründer“ der positiven Generalprävention solchen Autoren gegenübergestellt wird, die zwar verschiedentlich der Vergeltungstheorie zugerechnet werden, in ihrer Theorie aber auf positiv-generalpräventive Elemente zurückgreifen; ebenso kommen negativ-generalpräventiv bezeichnete Ansätze zur Sprache, soweit

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

sie sich der Idee positiver Generalprävention annähern. Ziel ihrer vergleichenden Betrachtung ist eine Konkretisierung der Mechanismen, die einer (unterstellten) positiv-generalpräventiven Wirkung nach den theoretischen Grundlagen gemeinhin den Weg bereiten sollen, sowie – in einem nachfolgenden Schritt – eine Schlussfolgerung auf die Voraussetzungen jener positiv-generalpräventiven Wirkmechanismen. I. Die positive Generalprävention nach Durkheim Nachdem die positive Generalprävention mithin im Kontext der verschiedenen Straftheorien platziert worden ist und die Zielsetzung einer positivgeneralpräventiv motivierten Strafandrohung wie -anwendung mit einer sozialpädagogisch motivierten Erhaltung und Stärkung der affirmativen Einstellung des Bürgers zu den strafrechtlich geschützten Rechtsgütern („Einsicht“) beschrieben worden ist, verlässt die Untersuchung nunmehr diese allgemeinen Grundlagen und wendet sich einer exemplarischen Auswahl verschiedener Theorienkonzepte zu, in denen positiv-generalpräventive Mechanismen oder wenigstens Zielsetzungen formuliert worden sind. Den Beginn macht das Werk Durkheims, der auch als „Begründer“ des Strafzwecks positiver Generalprävention bezeichnet wird, namentlich als der Theoretiker, der erstmals die wesentlichen Elemente einer positiv-generalpräventiven Wirkweise des Strafrechts erarbeitet habe193. Gleichwohl keine seiner Schriften das Strafrecht zur eigentlichen Thematik erhebt, das (Straf‑) Recht Durkheim vielmehr stets in einem anderen Kontext als Beispiel oder „Meßinstrument sozialer Solidarität“194 diente, durchzieht sein Werk ein roter Faden, welcher essenziell für den Strafzweck der positiven Generalprävention ist195: die Vorstellung von einer Integration der Gesellschaft, einer gemeinsamen, sie verbindenden Moral. In diesem Zusammenhang befasst sich Durkheims Schrift „Über soziale Arbeitsteilung“ etwa mit der These, dass mit der Zunahme der Arbeitsteilung in entwickelten Gesellschaften die Entstehung einer spezifischen Form sozialer Solidarität einhergehe. Der Begriff der Solidarität wird dabei, wie von Müller-Tuckfeld festgehalten, als „Synonym für die je spezifische Form 193  So Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 145. Demgegenüber erkennt ­ ephart, Strafe, 114 u. 123, in Durkheim den Vertreter einer originär vergeltenden G Wirkung der Strafe, die zwar keine individuelle Rechtsgutsverletzung, wohl aber das durch die Verletzung des Kollektivbewusstseins geschaffene Unrecht auszugleichen suchte; insofern bestätigt sich aber nur ein weiteres Mal, in welch enger, ihre Unterscheidung erschwerender Verwandtschaft positive Generalprävention und Vergeltung miteinander verbunden sind. 194  Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 148. 195  Darauf hinweisend: Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 147.

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und Funktion real gegebener gesellschaftlicher Integration“ verwendet. Eine Untersuchung eben dieser Solidarität sieht sich damit konfrontiert, dass Solidarität ein „moralisches Phänomen“ und als solches „der unvermittelten und direkten Beobachtung nicht zugänglich“ ist. Durkheim ist diesem Hindernis nun mit der Analyse einer „äußeren Tatsache“ begegnet, welche die „innere Tatsache“ der Solidarität symbolisieren soll196: Als „Meßinstrument“197 für die ihn interessierende soziale Solidarität diente Durkheim das Recht. Qualitative wie quantitative Veränderungen desselben ließen auf korrespondierende Veränderungen im moralischen Aufbau einer Gesellschaft schlussfolgern: „Wir können also sicher sein, im Recht alle wesentlichen Varianten der sozialen Solidarität widergespiegelt zu finden“198. Das repressive Strafrecht identifizierte Durkheim nun mit einer aus Ähnlichkeiten erwachsenden „mechanischen Solidarität“199, die sich durch ein starkes kollektives Bewusstsein, d. h. die „Gesamtheit der gemeinsamen religiösen Überzeugungen und Gefühle im Durchschnitt der Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft“200, auszeichne. Werden „tief eingeprägt[e]“201 Überzeugungen und Gefühle eben dieses Kollektivbewusstseins („conscience collective“202) durch ein Verbrechen verletzt, komme der Strafe die Funktion zu, die verletzten Kollektivgefühle wiederherzustellen, aufrecht zu erhalten und zu stärken. Die Mechanismen einer solchen Strafwirkung sind – zunächst in Anwendung auf das Individualbewusstsein – unter dem Begriff einer „Theorie der ‚emotiven Dissonanz‘ “203 zusammengefasst worden: Demnach erlebt ein Individualbewusstsein die Konfrontation mit Vorstellungen, die seinen Überzeugungen zuwiderlaufen, zunächst als Bedrohung, müssen sich seine eigenen Inhalte doch unweigerlich in Frage gestellt sehen. Im Bemühen, diese Bedrohung zu eliminieren, initiiere die Konfrontation jedoch sogleich eine gegen die alternative Vorstellung und 196  Siehe

147.

dazu u. vorstehende Zitate aus Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention,

197  Müller-Tuckfeld,

Integrationsprävention, 148. Arbeitsteilung, 112; s. dazu Gephart, Strafe, 45 f.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 148. 199  Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 150. 200  Durkheim, Arbeitsteilung, 128; s. dazu Müller-Tuckfeld, Integrationspräven­ tion, 157. Zur Verwendung des Begriffs „religiös“ i. S. v. „unhinterfragt“ s. ders., a. a. O., 158, und vgl. Gephart, Strafe, 122 f., 151, 156 u. 160 f., zur Strafe im Kontext der Religionssoziologie Durkheims. 201  Durkheim, Arbeitsteilung, 126; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 162. Vgl. auch weitere Beschreibungen Durkheims, a. a. O., 126, um die ein Verbrechen indizierende Kollektivgefühle zu kennzeichnen: „eine bestimmte mittlerer Intensität“, „stark in uns verwurzelt“. 202  Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 157. 203  Gephart, Strafe, 120; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 166. 198  Durkheim,

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deren Repräsentanten gerichtete Gefühlsreaktion, die in ihrer empörten und abgrenzenden Eigenart die eigene verletzte Werte- und Gefühlswelt neuerlich bestätige. Schreitet man von der Verletzung des Individualbewusstseins nun fort zu einer Verletzung des Kollektivbewusstseins durch das Verbrechen, so müsse die gegen den Verbrecher gerichtete Reaktion – die Strafe – ob der Addition der verletzten Vorstellungen ungleich größer ausfallen und manifestiere sich mithin nur folgerichtig in einer organisierten, sich aus Vergeltung und Tadel zusammensetzenden Rache204. Bezüglich ihrer Funktion finde die gegen den „Angreifer“ des Individualbewusstseins gerichtete Gefühlsreaktion jedoch in der Strafe ihr Pendant: Selbige nämlich bekunde die Autorität der verletzten Regel bzw. der ihr zugrunde liegenden gemeinsamen Normvorstellung, schließe das Verbrechen als individuelle Anomalie aus und stelle das durch das Verbrechen zunächst erschütterte Kollektivbewusstsein nicht nur wieder her, sondern wisse es gar zu stärken205. So findet sich bei Durkheim mithin nicht nur seine viel zitierte Normalitätsthese206 formuliert, nach der das Verbrechen durch unausweichliche – empirisch normale – Abweichungen der Individualbewusstseine von der sog. conscience collective bedingt ist207 und ob dessen „alle Symp­tome der Normalität“208 ausweist. Jene „notwendige Erscheinung“209 einer jeden Gesellschaft soll darüber hinaus deren gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, indem die ihm nachfolgende Strafe die Autorität der verletzten Norm bestätigt210.

204  Zum Vorstehenden s. Durkheim, Arbeitsteilung, 148–150; Gephart, Strafe, 120–122; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 167 f. 205  Durkheim, Arbeitsteilung, 152 f.; s. dazu Gephart, Strafe, 121 f.; MüllerTuckfeld, Integrationsprävention, 168 f. 206  Durkheim, Regeln, 156–162  ; ders., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 3–8; ausführl. dazu Gephart, Strafe, 4–33; s. ferner auch Schwind, Kriminologie21, § 7, Rn. 5. 207  Durkheim, Regeln, 159; (als Auszug) nachzulesen bei ders., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 3 (6); s.  dazu ferner Gephart, Strafe, 23. 208  Durkheim, Regeln, 156; ders., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 3 (3). 209  Durkheim, Regeln, 159; ders., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 3 (6). 210  Jene stabilisierende Wirkung sieht sich wiederum um eine mögliche innovative Wirkung ergänzt, wenn Durkheim anerkennt, dass das Verbrechen „eine Antizipation der zukünftigen Moral“ sein kann; Durkheim, Regeln, 160; ders., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 3 (7). Insofern würden die kollektiven Gefühle nicht nur durch die nachfolgende Strafe in ihrem Status Quo bestätigt, sondern würde durch das Verbrechen ein der Veränderung unterworfener Status ad quem angekündigt.

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II. Die positive Generalprävention im Gewand der Vergeltungstheorie211 Positiv-generalpräventive Elemente finden sich nun auch in solchen theoretischen Konzepten, die gemeinhin der Vergeltungstheorie zugerechnet werden. Die eingangs präsentierte trennscharfe Separation von absoluten Straftheorien auf der einen Seite, relativen Straftheorien auf der anderen Seite erweist sich damit zwar der nachvollziehbaren Einführung in die Inhalte der Strafzwecklehre dienlich, wird ob dieser Vereinfachung aber den verschiedenen Theorien kaum gerecht. Verschiedene Rechtslehrer haben diesbezüglich die Verbindungslinien zwischen relativen und absoluten Theo­ rien, namentlich zwischen den Konzepten positiver Generalprävention und der Vergeltung, herausgearbeitet. Auf deren Ergebnisse kann an dieser Stelle Bezug genommen werden: Weder die relativen Theorien werden rein relativ, d. h. rein präventiv vertreten, noch sind die absoluten Theorien rein absolut formuliert, wenn dies auch ihre Bezeichnung implizieren mag212. 1. Ein Unrechtsausgleich zur Herstellung von Gerechtigkeit und Autorität

Wenn die absoluten Theorien den Zweck der Strafe nicht nur nach dem Ausgleich des durch den Täter begangenen Unrechts – der Vergeltung – benennen, sondern sich zu dessen Kennzeichnung zugleich auch auf eine Wiederherstellung der Gerechtigkeit oder „Aufrechterhaltung der Autorität des verletzten Gesetzes“ beziehen, offenbart sich auch in ihnen eine positivgeneralpräventive, dem Normenschutz verpflichtete Zielsetzung213. Dies gilt selbst für die Vergeltungstheorie Kants, wenngleich dieser (jedenfalls äußerlich) den Gedanken der relativen Straftheorien, die Bestrafung des Täters als Mittel zu außerhalb seiner selbst liegenden sozialen Zwecken einzusetzen, vehement zurückweist214. Denn auch Kant siedelt den Zweck der 211  Formuliert in Anlehnung an Hassemer, Strafrecht, 47: „Prävention im Gewand von Vergeltung“. 212  Frommel, Präventionsmodelle, 42, 104–107, 113; dies., in: Albrecht et  al., FS-Schüler-Springorum, 257 (271 f.); Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 27; Ostendorf, in: Beulke et  al., Dilemma, 61 (63). 213  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Frommel, in: Albrecht et al., FS-SchülerSpringorum, 257 (271); s. dazu ferner Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 27 f.; Naucke, in: Hassemer / Lüderssen / Naucke, Generalprävention, 18 f.; in diesem Sinne auch Hassemer, NStZ 1989, 554 (555). Zu Vergeltung und Sühne als „einem frühen Muster positiver Generalprävention“ s. ders., in: Schünemann et  al., FS-Roxin (2001), 1001 (1013); ders., Strafrecht, 106. 214  Siehe oben Seite  182 [A. I.].

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Strafe in der Herstellung von „Gerechtigkeit“ durch Unrechtsausgleich an215 und hebt den Wert einer so hergestellten Gerechtigkeit für das Leben der Menschen – als „Bedingung des gesellschaftlichen Miteinander“ zu wirken – hervor216. In der Folge formuliert Lesch zutreffend – wenn auch reichlich vage und ohne hieraus Konsequenzen für die Qualifizierung als Vergeltungstheorie zu ziehen –, es sei „vorschnell, zu behaupten, die Strafe bei Kant sei bloß Zweck in sich“217. Von der positiven Generalprävention unterscheiden sich die als „absolut“ titulierten Theorien mithin weniger durch ein „Ob“ als durch ein „Wie“ der angestrebten Prävention: Während die absoluten Straftheorien eine direkte Prävention, etwa eine unmittelbar durch den Unrechtsausgleich zu erwartende „Wiederherstellung der Autorität der Rechtsordnung“, postulieren, formulieren positiv-generalpräventive Theorienkonzepte eine komplexere (und darum empirisch auch kaum fassbare218), indirekte präventive Wirkung des Strafgesetzes. Wie die absoluten Straftheorien benennen auch sie den Unrechtsausgleich als ein dem Normenschutz dienendes Mittel („Prävention durch Vergeltung“219), sehen die präventive Zielsetzung jedoch nur indirekt durch jenen Unrechtsausgleich verwirklicht, der in der Allgemeinheit einen bestimmten Eindruck hinterlassen soll: einen Lern-, Vertrauens- und / oder Befriedigungseffekt, welcher künftigen Straftaten entgegen wirkt220.

215  Kant, Metaphysik der Sitten, 159; s. dazu auch Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 19. 216  Hassemer, NStZ 1989, 554 (555 m. Fn. 29); ders., in: Wassermann, AK-StGB, Vorbem. § 1 Rn. 414. 217  Lesch, JA 1994, 510 (513 f.); so auch Hassemer, in: Wassermann, AK-StGB, Vorbem. § 1 Rn. 414. Für ein gegenteiliges, tatsächlich „absolutes“ Verständnis der Kant’schen Straftheorie s. etwa Naucke, in: Herzog / Neumann, FS-Hassemer, 559 (561) (unter Diff. zweier Arten der – „zweckfreie[n] und zweckreiche[n]“ – Vergeltung); Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 17–19 u. 40. 218  Siehe dazu bereits oben Seite  188–191 [A. IV.]. 219  Ähnl. Frommel, in: Albrecht et  al., FS-Schüler-Springorum, 257 (271): „Normenschutz durch Vergeltung“; Gallas, Verbrechenslehre, 4: „Vorbeugung durch Vergeltung“; daran anschließend Haffke, Tiefenpsychologie, 57 u. 77; vgl. auch Naucke, in: Herzog / Neumann, FS-Hassemer, 559 (562): „zweckmäßige Vergeltung“. 220  Hassemer, Strafrecht, 54 f.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 28; vgl. auch Haffke, Tiefenpsychologie, 77. Ausdrückl. zu einer Generalprävention, die „durch das Vergeltungsstrafrecht“ erfolgt: Mayer, Strafrecht, 34; im Erg. entsprechend, aber unter Leugnung des präventiven Charakters seiner Straftheorie: Welzel, Strafrecht11, 3 u. 241 f.; zsfd. Müller-Tuckfeld, a. a. O., 38 (zu Mayer) u. 30 f. (zu Welzel).

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 197 2. Hegel: Eine Normstabilisierung durch die Antwort auf einen abweichenden Weltentwurf

Diese Nähe der absoluten Straftheorien zu den Theorien der positiven Generalprävention lässt sich besonders augenscheinlich bereits in der (bis zum Ende des 19. Jahrhunderts herrschenden) Straftheorie Hegels erkennen, die gleich der ihr zeitlich vorangehenden Straftheorie Kants gemeinhin den Vergeltungstheorien zugerechnet wird221. Demnach präsentiere der Täter mit dem Verbrechen einen von der objektiv-allgemeinen Rechtsordnung abweichenden, individuellen Weltentwurf: Indem der „besondere Wille des Verbrechers“222 in seinem inkriminierten Verhalten erkennbar nach außen tritt, werde ein alternatives Urteil über Recht oder Unrecht der fraglichen Verhaltensweise in Aussicht gestellt. Beispielhaft erläutert, manifestiere sich in einem Totschlag oder Mord die Ansicht des Täters davon, dass es – in Abweichung vom geltenden Recht („Negation“ des geltenden Rechts) – erlaubt sei zu töten223, jedenfalls aber, dass es in einem gleich gelagerten Fall wie dem seinen erlaubt sei. Die Aufgabe des Rechts sei es nunmehr, dieser sich in der Straftat äußerlich manifestierenden Ansicht auf „kommunikativ-symbolische[r] Ebene“224 zu widersprechen („Negation der Negation“), um zu verhindern, dass dem Weltentwurf des Täters Geltung verschafft wird, und um zu gewährleisten, dass das objektiv-allgemeine Recht in seiner Geltungskraft – seiner Autorität – erhalten bleibt. Die Strafe, d. h. „[d]ie Verletzung dieses als eines daseienden Willens[,] also ist das Aufheben des Verbrechens, das sonst gelten würde, und ist die Wiederherstellung des Rechts“225. Indem die Strafe den in Widerspruch zur objektiv-allgemeinen Rechtsordnung tretenden Weltentwurf des Täters als unberechtigt zurückweist, soll sie mithin durch eine „Negation der Negation“ das Recht wiederherstellen226. Die Parallelen zu Durkheims Referenz auf die Theorie der emotiven Dissonanz sind augenscheinlich: So wie Durkheim das Kollektivbewusstsein durch das Verbre221  Dazu Lesch, JA 1994, 510 (514); Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 19; vgl. auch Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 21, nach dem die absolute Theorie bei Hegel eine Gestalt annimmt, „deren Differenz zur hier vertretenen positiven Generalprävention gering ist“. 222  Hegel, Grundlinien, 91 (§ 99); ders. nach Mitschrift Wannenmann, 70 zu § 46. 223  So Hegel nach Mitschrift Wannenmann, 70 zu § 46; s. dazu auch Lesch, JA 1994, 510 (515). 224  Lesch, JA 1994, 510 (515). 225  Hegel, Grundlinien, 91 (§ 99); dazu auch ders. nach Mitschrift Wannenmann, 69 f. zu § 46. 226  Siehe dazu und zum Begriff von der „Negation der Negation“: Hegel, Grundlinien, 90 (Zusatz zu § 97); erläuternd zum Vorstehenden Hassemer, Strafrecht, 11 f.; Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 21, u. Lesch, JA 1994, 510 (514 f.).

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chen als Äußerung eines abweichenden Individualbewusstseins verletzt sieht, tritt nach Hegel dem objektiv-allgemeinen Recht der individuelle Weltentwurf des Täters entgegen; so wie Durkheim das verletzte Kollektivbewusstsein durch die Strafe wiederhergestellt sieht, durch welche das Verbrechen als individuelle Anomalie ausgegrenzt und die Autorität der verletzten Regel bekundet wird, wird das objektiv-allgemeine Recht nach Hegel in seiner Geltungskraft erhalten, indem die Strafe den abweichenden individuellen Weltentwurf des Täters zurückweist. Aber nicht nur diese Parallelen zum Konzept positiver Generalprävention, auch Hegels Ausführungen zur Bestimmung des Strafmaßes offenbaren eine Nähe (oder gar Zugehörigkeit) zu den relativen Straftheorien: Statt der noch bei Kant geforderten Artgleichheit der Strafe fordert Hegel – ob der nur kommunikativ-symbolischen Zurückweisung des Weltentwurfs des Täters – eine nur „dem Wert gleiche“, kommunikativ-symbolisch wirkende Strafe. Diese „Wertgleichheit“ bestimmt sich nach Hegel nun weniger nach dem objektiven Tatunrecht (wie noch bei Kant) oder nach der Tatschuld, sondern maßgeblich nach der Bedürftigkeit des Rechts, in seiner Geltungskraft demonstriert zu werden. Demnach bedürfe es einer schweren Strafe nicht, wenn das Recht bereits weitgehende Anerkennung erfährt und durch das Verbrechen in seiner Geltungskraft wenig destabilisiert wird – mag das begangene Unrecht auch noch so groß sein. Umgekehrt stelle sich das Strafbedürfnis in einer instabilen Rechts- und Gesellschaftsstruktur dar, die auch auf geringfügige Abweichungen mit Nachdruck reagieren müsse227. Dass hier die „Wertgleichheit“ der Strafe in Anführungszeichen gesetzt ist, kommt also nicht von ungefähr – denn sooft diese Formel im Zusammenhang mit Hegel auch zur Anwendung kommt, so wenig zutreffend ist sie, hat Hegel doch nicht eine zum Tatunrecht „gleiche“ Strafe im Blick. Hegel leitet die Qualität und Quantität der Strafe vielmehr aus der Stabilität der gesellschaftlichen Strukturen ab, auf denen das objektiv-allgemeine Recht bzw. dessen Geltungskraft fußt228: „Ist die Gesellschaft noch an sich wankend, dann müssen durch Strafen Exempel statuiert werden, denn die Strafe ist selbst ein Exempel gegen das Exempel des Verbrechens. [sic]; in der Gesellschaft aber, die in sich fest ist, ist das Gesetztsein des Verbrechens so schwach, dass hiernach auch die Aufhebung dieses Gesetztseins zu messen sein muss“229. In diesem Zusammenhang formuliert Hegel (für unsere Ohren, aber wohl nicht nach der Intention des Verfassers reichlich zugespitzt) die „Berechtigung, sowol [sic] einen Diebstahl von etlichen Sous oder einer dazu Lesch, JA 1994, 510 (515). u. m. w. N. Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 21. 229  Hegel, Grundlinien, 209 (Zusatz zu § 218); fehlerhafte Zeichensetzung aus dem Orig. mit [sic] gekennzeichnet. 227  Siehe 228  Zsfd.

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Rübe mit dem Tode, als einen Diebstahl, der das Hundert- und Mehrfache von dergleichen Werten beträgt, mit einer gelinden Strafe zu belegen“230. In dem Umstand, dass Hegel das Strafmaß weniger am objektiven Tatunrecht ausrichtet als an dem Bedürfnis des Rechts nach Stabilisierung, kann mithin ein weiteres Indiz für die Zugehörigkeit seines theoretischen Ansatzes zu den relativen – einen über den Unrechtsausgleich hinausreichenden, sozial nützlichen Zweck verfolgenden – Straftheorien gesehen werden. Demgegenüber liefert unter den modernen absoluten Theorien etwa Köhler einen anderen Erklärungsansatz für diese „Relativität“ der Strafmaßbestimmung, der deren alleinige Ausrichtung am Tatunrecht und mithin deren absoluten Charakter zu erhalten versucht. Zu diesem Zweck werden die Ziele der Generalprävention in die Handlung des Rechtsbrechers verlegt: So sei die Bedeutung der Tat für Dritte ein „Moment erhöhten Tatunrechts, das insofern auch strafzumessungsbedeutsam wird“231. Dem Täter werde die durch eine gestiegene Anzahl an Delikten hervorgerufene Beunruhigung der Bevölkerung, die „Rechtsfriedensstörung“232, als eigenes Unrecht zugerechnet, ebenso die Beeinträchtigung der „Geltungsstabilität des betroffenen Rechtsgutes“233. Der von den Vergeltungstheorien geforderte Unrechtsausgleich zur Wiederherstellung der Autorität des Gesetzes beinhalte mithin auch den Ausgleich für die beschriebene „Rechtsfriedensstörung“ sowie die beeinträchtigte Geltungsstabilität des Rechtsguts. Doch auch dieser Erklärungsansatz weiß nicht darüber hinwegzutäuschen, dass er den Unterschied zwischen absoluten Theorien und positiv-generalpräventiven Erwägungen auf einen bloß begrifflichen Unterschied reduziert: So werden Strafschärfungen zwar nicht offen mit dem positiv-generalpräventiven Anliegen der Normstabilisierung begründet, aber aus Gründen eines den Vergeltungstheo­ rien eigenen, absoluten Unrechtsausgleichs gefordert, dem eben diese Gründe internalisiert worden sind234.

230  Hegel, Grundlinien, 208 (§ 218); fehlerhafte Schreibweise aus dem Orig. mit [sic] gekennzeichnet. Zum Vorstehenden s. ebenso Lesch, JA 1994, 510 (515) u. Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 20. Mit dem Grundsatz einer Proportionalität von Tat und Strafe, ob sie nun den absoluten Straftheorien, dem Rechtsstaatsprinzip oder den präventiven Wirkmechanismen entnommen wird, ist die so dargelegte „Wertgleichheit“ Hegels freilich nicht vereinbar; s. dazu bereits oben Seite  187 [a. E. von A. III.]. 231  Köhler, Zusammenhang, 57. 232  Köhler, Zusammenhang, 52. 233  Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 29. 234  Siehe zum Ganzen Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 28 f., mit dieser Schlussfolgerung a. a. O., 29.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit 3. Die funktionale Vergeltungstheorie

Überschneidungen zwischen den Vergeltungstheorien und Theorien positiver Generalprävention zeigen sich sehr anschaulich auch im Konzept der funktionalen Vergeltungstheorie235, welches – entsprechend seiner Bezeichnung – zuweilen den Vergeltungstheorien, zuweilen den (funktionalen) Theorien positiver Generalprävention zugeordnet wird236. Ähnlich Hegel, welcher die Strafe als „Negation der Negation“ charakterisiert hat, ermöglicht die Strafe demnach die Möglichkeit zu sog. kontrafaktischem, normativem Erwarten. Zur Veranschaulichung wird auf die kognitiven Erwartungen eines Menschen in der Natur verwiesen: Beruhend auf Lernprozessen, gehe man gemeinhin davon aus, dass etwa Bäume nicht umstürzen und Brücken nicht zusammenbrechen. Erst diese kognitive Erwartung ermögliche es dem Menschen überhaupt, sich in der Natur zurechtzufinden. Werden solche kognitiven Erwartungen nun enttäuscht, so setze ein kognitiver Lernprozess ein: Der Mensch lernt, dass seine eigene Erwartung unzutreffend war, dass Bäume eben doch zuweilen umstürzen und Brücken sehr wohl zusammenzubrechen vermögen, und wird sich dieser veränderten Erwartung anpassen, indem er es in Zukunft etwa vermeidet, allzu nah an Bäumen vorbeizugehen oder gar Brücken zu betreten237. Auf entsprechenden Erwartungen, dem Vertrauen in bestimmte Regelhaftigkeiten, bauten nun auch die sozialen Beziehungen zwischen Menschen auf: Etwa könne der Mensch darauf vertrauen, dass ihm sein Gesprächspartner nicht mit einem Male ein Messer in den Bauch ramme – nur so sei sozialer Kontakt überhaupt möglich anstatt ein „unkalkulierbare[s] Risiko“ darzustellen238. Die Strafe soll es jedoch ermöglichen, dass auf Verbrechen als Enttäuschung einer rechtlich garantierten Erwartung nicht mit einem kognitiven Lernprozess reagiert wird 235  Zur funktionalen Vergeltungstheorie (Begriff entnommen aus Lesch, JA 1994, 590 [598]) s. Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 4–11; Lesch, a. a. O, 590 (597–599); ders., Sukzessive Beihilfe, 240–258; Neumann / Schroth, Kriminalität und Strafe, 101–103. 236  Für die Zuordnung zum Strafzweck der positiven Generalprävention s. etwa Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 14 f., u. Schumann, Positive Generalprävention, 8; für die Zuordnung zu den Vergeltungstheorien (als „funktionale“ Vergeltungstheorie) s. Lesch, JA 1994, 590 (598), u. ders., Sukzessive Beihilfe, 249. 237  Lesch, JA 1994, 590 (597); vgl. Jakobs, AT2, Abschn. 1, Rn. 5 (zu kognitiven Erwartungen innerhalb sozialer Kontakte). Anders noch in früheren Zeiten, als – entsprechend der sogleich zu erörternden kontrafaktischen Erwartung – nicht die eigene Erwartung als unzutreffend zurückgewiesen wurde, sondern die Natur für ihr Fehlverhalten verantwortlich gemacht wurde: Beispielsweise wurde nach dem Untergang eines Schiffes das Meer ausgepeitscht à la „Schiffe gehen gemeinhin nicht unter, es sei denn, das Meer begeht ein Unrecht“; Lesch, a. a. O. 238  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 4 u. 6; s. ferner Lesch, Sukzessive Beihilfe, 242; ders., JA 1994, 590 (597).

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(à la „es kommt vor, dass Menschen andere Menschen töten, bestehlen, betrügen“), sondern dass die rechtlich garantierte Erwartung als kontrafaktische, normative239 Erwartung erhalten bleibt: Fehlerhaft ist das Verhalten des Täters, zutreffend bleibt die durch die strafrechtliche Norm aufgestellte Erwartung, an welcher sich die Gesellschaft auch weiterhin orientieren kann240. Diesen Prozess sollten Durkheims Referenz auf die Theorie emotiver Dissonanz und die oben unter den Vergeltungstheorien eingeordnete Straftheorie Hegels bereits veranschaulicht haben: Mit dem Verbrechen verletzt der Täter das der Rechtsordnung zugrunde liegende Kollektivbewusstsein bzw. präsentiert einen individuellen Weltentwurf, der in Konkurrenz zum objektiv-allgemeinen Weltentwurf des Rechts tritt. Er enttäuscht eine rechtlich garantierte Erwartung241. Die auf das Verbrechen folgende Strafe qualifiziert nun das Täterverhalten als individuelle Anomalie und den Entwurf des Täters als unmaßgeblich. Der Täter wird als inkompetent ausgewiesen, während die Geltungskraft der Rechtsordnung und des ihr zugrunde liegenden Kollektivbewusstseins durch die Strafe als maßgeblich bestätigt wird242. Die rechtlich garantierte Erwartung vermag als kontrafaktische, durch die Strafe neuerlich bestätigte Erwartungshaltung fortzubestehen, ein dem Verbrechen folgender kognitiver Lernprozess wird verhindert. Straftat und Strafe sind demnach von kommunikativ-symbolischem Gehalt, stehen zueinander im Verhältnis von „Rede“ (des Täters, der einen vom Recht abweichenden individuellen Weltentwurf präsentiert) und „Antwort“ (der Rechtsordnung, die den Entwurf des Täters als unzutreffend ausweist)243. Mit Jakobs: „Inhalt einer so verstandenen Strafe ist nicht, der Täter werde künftig nicht mehr delinquieren, und erst recht nicht, niemand werde künftig delinquieren, sondern einzig, es sei richtig, auf die Geltung der Normen zu vertrauen“244. Damit aber ist die nahezu kaum durchzuführende Trennung von Vergeltungstheorien und Theorien positiver Generalprävention ein weiteres Mal dargestellt. Indem die funktionale Vergeltungstheorie der Strafe die Funktion 239  Für eine Gegenüberstellung der Def. kognitiver und normativer Erwartungen s. Luhmann, Rechtssoziologie4, 42 f. 240  Lesch, JA 1994, 590 (597 f.); vgl. auch Hassemer, Strafrecht, 5, 9 f. u. 106; Lesch, Sukzessive Beihilfe, 245; Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 6 u. 9–11; Luhmann, Rechtssoziologie4, 39 u. 43. 241  Siehe dazu oben Seite  193 [B. I.: zu Durkheim] u. Seite  197 [B. II. 2.: zu Hegel]; vgl. in vorliegendem Zusammenhang Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 9; Lesch, Sukzessive Beihilfe, 247. 242  Siehe dazu oben Seite  194 [B. I.: zu Durkheim] u. Seite  197 f. [B. II. 2.: zu Hegel]; vgl. in vorliegendem Zusammenhang Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 10; Lesch, Sukzessive Beihilfe, 247 f. u. 253; Luhmann, Rechtssoziologie4, 55 u. 60 f. 243  Jakobs, AT2, Vorwort, VII, u. Abschn.  1, Rn. 9–11; Lesch, Sukzessive Beihilfe, 256 f.; vgl. dazu auch Hassemer, Strafrecht, 106. 244  Jakobs, ZStW 1989, 516 (517); s. dazu auch Lesch, JA 1994, 590 (598).

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zumisst, der Allgemeinheit eine kontrafaktische Erwartungshaltung zu ermöglichen, verfolgt sie eben denjenigen sozial nützlichen Zweck, welcher die positiv-generalpräventiven Theorien kennzeichnet. Die Aussage, eine absolute Strafbegründungstheorie müsse „nicht notwendig auch ‚zweckgelöst‘ “ sein245, erscheint vor diesem Hintergrund eher als ein Versuch, die Eigenständigkeit jenes Theorienkonzepts über begriffliche Spitzfindigkeiten zu retten. III. Das Zusammenspiel von positiver und negativer Generalprävention Nachdem damit die Nähe der Vergeltungstheorien zu den Theorien positiver Generalprävention dargelegt worden ist, soll nun auch eine Verbindung von der negativen Generalprävention zu ihrer positiven „Schwester“ gezogen werden. Während die Beschreibung des von v.  Feuerbach formulierten Grundkonzepts der negativen Generalprävention dabei noch eher der Abgrenzung zum positiv-generalpräventiven Konzept dient, tun sich in Modifikationen dieses Grundkonzepts Gemeinsamkeiten auf, ob derer ihre Erörterung innerhalb einer beschreibenden Darstellung verschiedener positivgeneralpräventiv geprägter Theorienkonzepte ihre Berechtigung erhält. 1. Das v. Feuerbach’sche Grundkonzept negativer Generalprävention: Rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation vs. psychologischer Zwang

Von  Feuerbach, ein Anhänger der Kant’schen Vergeltungstheorie, folgt Kants absoluter Straftheorie insofern, als auch er den Grund der Strafe allein in der Reaktion auf das Verbrechen, im Verbrechen selbst also, nicht in einem Zweck außerhalb des Täters, einschließlich der Abschreckung, verortet: „Gesetzt auch die bloße Vorstellung von der wirklichen Strafe einzelner Verbrecher wäre ein vollgültiger psychologischer Grund zur Abschreckung Anderer von ähnlichen Verbrechen; ist denn jener psychologische Grund zugleich ein Rechtsgrund? Wie kann es ein Recht geben, einem Menschen blos [sic] darum ein Uebel [sic] zuzufügen, weil dieser ihm zugefügte Schmerz dem Staate nützlich ist? Dies heißt einen Menschen als eine Sache behandeln und – auch der Verbrecher ist Mensch“246. Dass v. Feuerbachs 245  So u. vorstehendes Zitat aus Lesch, JA 1994, 590 (599 m. Fn. 156); ebenso v. d. Linde, Rechtfertigung, 164 u. 189. 246  v. Feuerbach, Revision / 1, 47 f.; Rechtschreibung aus dem Orig. übernommen und mit [sic] gekennzeichnet. Man beachte die Nähe zur Formulierung Kants: „der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden“; Kant, Metaphysik der Sitten, 158, u. oben Seite  182 [A. I.].

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Theorie dem Strafzweck der Generalprävention zugeordnet wird, wird dieser im Grunde mithin nicht gerecht: Was v. Feuerbach entwirft, ist vielmehr eine Modifizierung der Kant’schen Vergeltungstheorie, die um eine negativgeneralpräventive, d. h. abschreckende Strafandrohung erweitert wird247. Insoweit aber konfrontiert das v. Feuerbach’sche Grundkonzept der negativen Generalprävention mit jenem maßgeblichen Unterschied, der negative und positive Generalprävention voneinander scheidet: Nicht die „Einsicht“ des Gesetzesadressaten, sondern seine „Furcht“ soll der Begehung künftiger Normverletzungen entgegenwirken, nicht ein sozialpädagogischer Lerneffekt, sondern eine durch die Strafandrohung bewirkte Abschreckung dem Rechtsgüterschutz dienen. Ausgehend von der Prämisse des Menschen als triebgeleitetes Wesen, postulierte v. Feuerbach, dass die Androhung der Strafe dem sinnlichen Antrieb des Menschen zur Tat ein zu erwartendes Übel entgegensetze. Wenn das zu erwartende Übel nur groß genug (größer als etwaige, von der Tatbegehung erwartete Vorteile) sei, werde die Entschließung des potenziellen Täters zur Tat behindert und durch einen Verzicht auf die Straftatbegehung ersetzt: „Es bleibt […] dem Staat kein anderes Mittel übrig, als durch die Sinnlichkeit selbst auf die Sinnlichkeit zu wirken, und die Neigung durch entgegengesetzte Neigung, die sinnliche Triebfeder zur That durch eine andere sinnliche Triebfeder aufzuheben. Wie dieß möglich sey, läßt sich sogleich begreifen. Der Mensch strebt nach einer bestimmten Lust, weil er überhaupt nach Lust verlangt; er entflieht einem bestimmten Schmerz, weil er überhaupt die Unlust, als seiner Natur widersprechend, fliehen muß. Er versagt sich daher eine geringere Lust, wenn er eine größere damit einkaufen kann; er erträgt eine geringere Unlust, wenn er einen größern Schmerz dadurch vermeidet. […] Die Uebertretungen werden daher verhindert, wenn jeder Bürger gewiß weis, daß auf die Uebertretungen ein größeres Uebel folgen werde, als dasjenige ist, welches aus der Nichtbefriedigung des Bedürfnisses nach der Handlung (als einem Object der Lust) entspringt [sic] […]“248. Mit der Gegenüberstellung eines drohenden Übels soll dem Täter nach herkömmlichen Zusammenfassungen der v.  Feuerbach’schen Theorie die 247  Vgl. Naucke, in: Hassemer / Lüderssen / Naucke, Generalprävention, 15 f. Für eine „Theorie der Strafandrohung durch Strafgesetze“ s. Lesch, JA 1994, 510 (517); so auch Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 68; Jakobs, AT2, ­Abschn. 1, Rn. 27; Neumann / Schroth, Kriminalität und Strafe, 35; Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 23. 248  v. Feuerbach, Revision / 1, 45 f.; s. dazu auch Lesch, JA 1994, 510 (516). Vgl. ferner v. Feuerbach, Lehrbuch, 124 (§ 161): „Die Strafe muſs in der Zufügung ein wirkliches Uebel für den Uebertreter seyn. Eine Strafe, durch deren Zufügung der Uebertreter nicht leidet, ist in sich selbst und mit dem Strafgesetze in Widerspruch [sic]“. Zur Erleichterung des Leseflusses wird nur am Ende der vorangehenden Zitate auf die dem Orig. übernommene Rechtschreibung hingewiesen.

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Grundlage für eine rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation eröffnet werden249. In der Folge wird ihre Aussagekraft unter Hinweis darauf in Zweifel gezogen, dass nicht alle Taten einem rationalen Kalkül entspringen und mithin die Theorie insbesondere keine Trieb-, Konflikt- und Affekttaten erfassen könne250. Tatsächlich aber bezieht sich v.  Feuerbach ausdrücklich darauf, dass die Straftatbegehung den Trieben des Menschen (nicht seinem rationalen Kalkül) entspringe und will diesen mit der Strafandrohung weniger einen rational zu bemessenden Nachteil als eine „andere sinnliche Triebfeder“ entgegensetzen251. Dem potenziellen Täter soll es „psychologisch unmöglich“ gemacht werden zu schaden, Rechtsverletzungen zu begehen oder sich auch nur hierzu zu entschließen252. Eine solche psychologische Unmöglichkeit aber wäre darauf ausgelegt, auch gegenüber Trieb-, Konflikt- und Affekttätern ihre Wirkung zu entfalten. Diese Tätergruppe mag ob ihrer Triebsteuerung für eine rationale Strafandrohung nicht empfänglich sein; eine gegenteilige Triebsteuerung durch Schaffung einer entgegengesetzten „sinnlichen Triebfeder“ (Strafandrohung) bliebe grundsätzlich möglich253. Entsprechend werden die Ausführungen v.  Feuerbachs alternativ nicht als eine Theorie der rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation, sondern buchstäblich als eine solche des „psychologischen Zwangs“ geführt254. 2. „Positiv-generalpräventive“ Modifikationen des Grundkonzepts: Eine Sittenbildung durch Abschreckung

Diese v.  Feuerbach’sche Grundthese der negativen Generalprävention, dass Strafandrohungen als tathemmender Trieb wirkten, ist ob ihrer Kon­ struktion eines unmittelbaren Zusammenhangs von Angst vor Strafe und 249  Auf eine solche Kalkulation nehmen die modernen ökonomischen Kriminalitätstheorien („rational choice“) Bezug; zu jenen s. Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 19a. Vgl. auch die Kontrolltheorie von Hirschi, Causes of Delinquency, 20 f. u. ausführl. 162–186 (bzgl. eines „commitment to achievement“ oder „commitment to conventional lines of action“). 250  Dazu etwa Jakobs, AT2, Abschn.  1, Rn. 28; Lesch, JA 1994, 510 (517); abl. (unter Charakterisierung äußerer Kontrolle nicht als „punktuelles Geschehen“, sondern als „permanenter Bestandteil des sozialen Lernprozesses“) Haffke, Tiefenpsychologie, 81 f. 251  v. Feuerbach, Revision / 1, 44 f.; vgl. ders., Lehrbuch, 63 (§ 81): „Nothwendigkeit eines sinnlichen Uebels“ [sic]; weitere Hervorhebungen des Orig. nicht übernommen. 252  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus v. Feuerbach, Revision / 1, 40. 253  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Haffke, Tiefenpsychologie, 82, nach dem die abschreckende Wirkung von Strafandrohungen ihren Beitrag „zum „Aufbau ­intrapsychischer Kontrollinstanzen“ leistet. 254  Zum Begriff des „psychologischen Zwangs“ s. v. Feuerbach, Lehrbuch, 13 (§ 12).

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 205

Verzicht auf Straftatbegehung zunehmend kritisiert worden. Empirischen Untersuchungen hat sie jedenfalls allenfalls partiell standhalten können: So konnte in älteren Untersuchungen zur abschreckenden Wirkung der Todesstrafe bei Tötungsdelikten etwa kein Zusammenhang zwischen der Schwere der Sanktionspraxis in einem Bezugsgebiet und dem Kriminalitätsaufkommen nachgewiesen werden. Ein Zusammenhang konnte stattdessen nur für das Verhältnis zwischen der Entwicklung der Kriminalitätsrate und der Entdeckungs- bzw. Bestrafungswahrscheinlichkeit bestätigt werden – ein Ergebnis, das in neueren Untersuchungen in der abschreckenden Wirkung einer „Verurteilungswahrscheinlichkeit“ Bestätigung erfahren hat255. Auch in Untersuchungen zur „Mikroebene“, die subjektive Annahmen der befragten Personen zur Wahrscheinlichkeit und Schwere der Strafe in Beziehung zur persönlichen Deliktsneigung setzten, ergab sich, dass Art und objektiv erhobene Schwere der Sanktion keine abschreckende Wirkung zu erzeugen wissen. Eine solche konnte stattdessen wiederum nur für das Risiko einer Entdeckung und außerdem für die subjektiv empfundene Strafschwere statuiert werden. Hier zeigte sich außerdem, dass informellen Sozialisations­ instanzen und deren Sanktionen eine größere Bedeutung zukommt als der Sozialisationsinstanz „Staat“ und deren formellen Sanktionen; darüber hinaus schien die persönliche, d. h. moralische Bewertung der Norm als verbindlich und der Tat als verwerflich kriminalitätsverhindernd zu wirken256. Die empirischen Untersuchungsergebnisse unterstützten mithin eher die Vorstellung von einer positiv-generalpräventiven Funktion der Strafe, indem sie zum einen die – auch für den positiv-generalpräventiven Wirkmechanismus relevante – Bedeutung informeller Sanktionen, zum anderen die kriminalitätsverhindernde Wirkung der persönlichen, d. h. moralischen Bewertung der Norm als verbindlich und der Tat als verwerflich hervorhoben. Wohl in Reaktion auf diese (empirische wie theoretische) Kritik hat das Grundmodell negativer Generalprävention unter seinen Anhängern vermehrt Modifikationen erfahren, welche den negativ-generalpräventiven Wirkmechanismus komplexer zu erklären versuchen, indem sie dessen – dem v.  Feuerbach’schen Grundkonzept entnommenen – Präventionsmittel der Abschreckung um das Nahziel einer – der positiv-generalpräventiv ange255  Zsfd. zum Vorstehenden Dölling, ZStW 1990, 1 (3), u. Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 27, jeweils m. w. N.; zu den Ergebnissen aus neuerer Zeit s. Entorf / Spengler, MschrKrim 2005, 313–338. 256  Zsfd. Dölling, ZStW 1990, 1 (4), u. Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 28, jeweils m. w. N. Zur abschreckenden Wirkung des Entdeckungsrisikos (Strafverfolgungsprävention) s. auch Jakobs, AT2, Abschn. 1, Rn. 28 (zur „tatsächliche[n] Chance, bestraft zu werden oder der Strafe zu entgehen“); Roxin, AT / I4, § 3, Rn. 25; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, 50. Zur Bedeutung informeller Sanktionen für den positiv-generalpräventiven Wirkmechanismus s. unten Seite  217 f. [C. I. 2. a)].

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strebten Einwirkung auf das Wert- und Unrechtsbewusstsein verwandten – Sittenbildung erweitern. a) Haffke: Die Übertragung des Freud’schen Persönlichkeitsmodells auf die Ebene der Gesellschaft Zu diesen Modifikationen des Grundkonzepts negativer Generalpräven­ tion kann man etwa den tiefenpsychologischen Erklärungsansatz Haffkes zählen257, der das psychoanalytische Persönlichkeitsmodell Freuds von der Ebene des Individuums auf die Ebene der Gesellschaft übertragen hat, um nicht den äußeren Anlass des Strafens – das abweichende Verhalten des Täters –, sondern die Funktion der Strafe einer tiefenpsychologischen Betrachtung zuzuführen258. So unterscheidet Freuds psychoanalytische Persönlichkeitstheorie259 zunächst zwischen drei psychischen Instanzen: dem „Es“, dem „Ich“ und dem „Über-Ich“. Das „Es“ sei die erste und älteste, von der Natur mitgegebene seelische Instanz. In ihm sei als Teil des Unbewussten „alles Ererbte, unsere primitiven Motive, die Triebe, Sexualität und Aggression“ angesiedelt, außerdem Verdrängtes gespeichert260. Dem „Es“ trete als dritte psychische Instanz das „Über-Ich“ entgegen, welchem – ebenfalls als Teil des Unterbewusstseins – die Funktion eines „Gewissen[s]“, d. h. der moralischen Wertung eines Verhaltens, zukomme261. Es vereinige „moralische und sittliche Gebote und Verbote, Wertvorstellungen, kulturelle und gesellschaftliche Normen“262. Im Gegensatz zum „Es“, welches von der Natur mitgegeben sei, entwickle sich das „Über-Ich“ erst im Rahmen des Sozialisationsprozesses, maßgeblich im Laufe der ersten Lebensjahre. Der Mensch übernehme die moralischen Inhalte von seinem Umfeld, von seinen „Eltern, aber auch 257  In diesem Sinne auch Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 44; Schumann, Positive Generalprävention, 11. Zu Haffkes tiefenpsychologischer Legitimation eines generalpräventiven Strafrechts s. zsfd. auch Wittig, in: Beulke et  al., Dilemma, 13–21. 258  Haffke, Tiefenpsychologie, 49 u. 163 f.; s. dazu auch Engelhardt, Psychoanalyse, 49–52 u. 213 f.; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 42; Neumann / Schroth, Kriminalität und Strafe, 88 f.; Ostermeyer, Bestrafte Gesellschaft, 52 f. 259  Zur heutigen Bewertung des psychoanalytischen Ansatzes s. Myers, Psychologie2, 597–601. 260  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (60); zsfd. Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 7. 261  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 7; s. ferner Myers, Psychologie2, 591. 262  Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (61); zsfd. Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 7.

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von Lehrern, persönlichen Vorbildern und gesellschaftlichen Idolen“263. Stellten sie zunächst noch etwas dar, was von dem Menschen nur gefordert und befolgt wird, ohne dass jener den Sinn nachvollziehen kann, bilde der Mensch in der weiteren Entwicklung eine „eigene“ innere Moral heraus, indem er die ihm präsentierten moralischen Inhalte, Regeln und Gesetze internalisiere264. Das „Ich“ schließlich als zweite, teilweise bewusst agierende psychische Instanz diene als Vermittlungsinstanz zwischen den Anforderungen von „Es“ und „Über-Ich“. Gleich dem „Über-Ich“ werde auch das „Ich“ erst im Laufe des Sozialisationsprozesses aufgebaut265. Ihm komme die Funktion zu, natürliche Triebansprüche des „Es“, die mit der erlernten moralischen Wertung nicht übereinstimmen, über unterschiedliche Mechanismen erfolgreich abzuwehren: etwa über Steuerung des Gedächtnisses, der Wahrnehmung, des Denkens, der Muskelkontrolle und der Angst266. Individuelles kriminelles Verhalten führt diese psychoanalytische Persönlichkeitstheorie Freuds nun auf Störungen der Entwicklung von „Ich“ oder „ÜberIch“ zurück: Als „kriminelles, d. h. sozial nicht angepaßtes Wesen“ geboren, bedürfe der Mensch erst der erfolgreichen Sozialisation, um Werte und Normen der positiven Außenwelt zu übernehmen sowie Triebimpulse des „Es“ durch bestimmte Reaktionsbildungen wie Sublimierung oder Verdrängung zu steuern. Missglücke dieser Anpassungsprozess, könne die gestörte Entwicklung der psychischen Kontrollinstanzen eine Bedingung für kriminelles Verhalten setzen: Treffen Triebansprüche des „Es“ auf ein zu stark ausgeprägtes „Über-Ich“, vermag dies die Ursache für ein unbewusstes Schuldgefühl und ein dem nachfolgendes unbewusstes Strafbedürfnis zu setzen, die in ihrem Zusammenwirken geeignet sind, in neurotisch bedingte Kriminalität zu münden267, ebenso wie im umgekehrten Fall aus der zu schwachen Ausprägung des „Über-Ich“ eine verwahrlosungsbedingte Kriminalität entstehen mag268. 263  Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (61); s. dazu auch Engelhardt, Psychoanalyse, 214; Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 7; ferner Haffke, Tiefenpsychologie, 164, der die angesprochenen Autoritäten als solche charakterisiert, die an die Stelle der strafenden Gestalt des Vaters treten. Vgl. außerdem die „weitergeleitete“ Kommunikation zwischen Recht und Allgemeinheit im positiv-generalpräventiv ausgerichteten Lernprozess; dazu unten Seite  219–223 [C. I. 2. b)]. 264  Engelhardt, Psychoanalyse, 214; Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (61 u. 70); Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 7. 265  Myers, Psychologie2, 592; Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (60 f.); Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 8 f. 266  Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (60 f.); s. dazu auch Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 8. 267  Siehe dazu Aichhorn, in: ders., Verwahrloste Jugend, 263 (281–285). 268  Siehe dazu Aichhorn, in: ders., Verwahrloste Jugend, 263 (279 f.); zsfd. a. a. O., 287.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

Im Anschluss an die psychoanalytische Persönlichkeitstheorie sucht Haffke nun nicht nur das abweichende Verhalten des einzelnen Täters, sondern die Funktion der Strafe einer tiefenpsychologischen Betrachtung zuzuführen269. Im Zuge dessen referiert auch er, dass jeder Mensch „ursprünglich ein asoziales Wesen“ sei, „das erst in einem langwierigen Kulturierungsbzw. Sozialisationsprozeß allmählich die Befolgung der sozialen Normen erlernt“270. Eben jener, die Triebimpulse des „Es“ steuernde Sozialisationsprozess gelingt nach Haffke aber regelmäßig nur äußerlich271: An die Stelle einer ausgewogenen Entwicklung der psychischen Kontrollinstanzen des „Über-Ich“ und „Ich“ trete gegenwärtig272 gemeinhin noch ein unverbundenes Nebeneinander mit dem „Es“, innerhalb dessen die Triebimpulse nicht verarbeitet, sondern nur „widerwillig und aus Strafangst“ verdrängt würden273. Der Reiz egoistischer Triebbefriedigung bliebe so – nur überdeckt durch eine „Zwangsmoral“274 – erhalten und böte der Straftatbegehung eines Anderen den notwendigen Raum, um ihre Infektionsgefahr zu entfalten, nämlich zur Nachahmung anzuregen275. Zugleich ist für eine dem präventiven Rechtsgüterschutz verpflichtete, gesetzliche Strafandrohung so der Anlass geboren, die unvollständig gebliebene Sozialisation der Allgemeinheit durch eine „gesellschaftlich-erzieherische Beeinflussung“276 zu unterstützen: In dieser Funktion soll sie sich nicht darauf beschränken, den – der negativen Generalprävention eigenen – unmittelbaren Eindruck der „Furcht“ und eine dieser Furcht geschuldete Vermeidungsreaktion hervorzurufen. Vielmehr soll die exemplarische Bestrafung einzelner Straftäter (negativ gewendet: einzelner „Sündenböcke“277) der Gesellschaft als ein Mittel dienen, die 269  Haffke, Tiefenpsychologie, 49 u. 163 f.; s. dazu Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 42; Schumann, Positive Generalprävention, 11 f. 270  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Haffke, Tiefenpsychologie, 163. 271  Haffke, Tiefenpsychologie, 65; s. dazu Müller-Tuckfeld, Integrationspräven­ tion, 42. 272  Zu Haffkes Verständnis eines generalpräventiv ausgerichteten Strafrechts als nur „zeitbedingte Konzeption“ s.  ders., Tiefenpsychologie, 76 u. 166 f. Zitat a. a. O., 76, entnommen; Hervorhebung nicht im Original. 273  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Haffke, Tiefenpsychologie, 163. 274  Haffke, Tiefenpsychologie, 163; Hervorhebung aus dem Orig. nicht übernommen. 275  Haffke, Tiefenpsychologie, 49 u. 164; s. dazu Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 41 u. 42; Neumann / Schroth, Kriminalität und Strafe, 89. 276  Haffke, Tiefenpsychologie, 62; zit. auch von Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 41. 277  Krit. zu einer solchen Verpflichtung einzelner „Sündenböcke“ Haffke, Tiefenpsychologie, 62; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 44; Neumann / Schroth, Kriminalität und Strafe, 89. Der Begriff des Sündenbocks geht auf das Alte Testament der Heiligen Schrift zurück: Die Bibel, Lev 16, 21–22. Demnach gebot Gott dem Aaron, Bruder des Mose, einem von der Gemeinde der Israeliten zum Sündop-

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Stabilität der eigenen psychischen Instanzen zu wahren, nämlich die – durch die Straftat zur Nachahmung angeregten – Triebimpulse fortwährend zu unterdrücken und die inneren Kontrollmechanismen des „Über-Ich“ und „Ich“ im Gegenzug zu stärken278. Mittelbar verwirkliche sich so diejenige „sittenbildend[e] Kraft der Strafe“279, die die positiv-generalpräventiven Strafzwecktheorien nach einem geflügelten Wort Mayers für sich beanspruchen, um die Bedingung für einen Aufbau oder wenigstens die Festigung sozialverträglicher wie normkonformer Verhaltensgewohnheiten zu benennen280. Zwar bliebe eine solche „Sittenbildung durch Abschreckung“ auf eine durch „Furcht“ vermittelte Habitualisierung von Sicht- und Verhaltensweisen sowie eine damit einhergehende Selbstdisziplinierung beschränkt; sie vermöge nicht den Grad der Anerkennung gemeinsamer Wertvorstellungen und der Überzeugung von der Richtigkeit normgemäßen Verhaltens zu erreichen, welcher unter dem Stichwort der „Einsicht“ idealtypisch der positiven Generalprävention zugeschrieben wird. Ungeachtet dieser Einschränkung bleibt ihr ein Zusammenspiel von negativ- und positiv-generalpräventiven Elementen eigen: Während Angst vor Strafe ein negativ-generalpräventives Mittel zur Straftatenprävention bildet, ist das Nahziel der (wenn auch eingeschränkten) Sittenbildung ein den positiv-generalpräventiven Theorien entlehntes Präventionsmittel281. b) Weitere Modifikationen der Grundthese negativer Generalprävention Entsprechenden Modifikationen des Grundmodells negativer Generalprävention, die den negativ-generalpräventiven Wirkmechanismus um eine den positiv-generalpräventiven Theorien entlehnte Sittenbildung erweitern, befer erhaltenen Ziegenbock beide Hände auf den Kopf zu legen und hierbei „alle Sünden der Israeliten und alle ihre Übertretungen, die sie begangen haben“ (a. a. O., Vers 21), zu bekennen. Sodann sollte Aaron den Bock in die Wüste treiben lassen und der Bock sollte „alle ihre Sünden mit sich in eine abgelegene Gegend tragen“ (a. a. O., Vers 22). Die Schuld der Gesellschaft wurde also zu deren Entlastung einem Sündenbock auferlegt, der diese mit sich in die Wüste trug. 278  Haffke, Tiefenpsychologie, 63; s. dazu auch Engelhardt, Psychoanalyse, 49, 51 u. 213 f. 279  Haffke, Tiefenpsychologie, 64; s. dazu Müller-Tuckfeld, Integrationspräven­ tion, 42, u. vgl. ferner Lesch, JA 1994, 510 (518). 280  Mayer, AT, 21; ähnl. Welzel, Strafrecht11, 5: „sittenbildende Funktion“. Siehe dazu (unter Referenz auf Mayer) auch Kaspar, Wiedergutmachung, 53; MüllerDietz, in: Vogler, FS-Jescheck / 2, 813 (822); Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 34; Schumann, Positive Generalprävention, 1. 281  Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 44; Schumann, Positive Generalprävention, 11.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

gegnet man auch außerhalb der Tiefenpsychologie. So tritt Andenaes – der bezeichnenderweise als einer der bekanntesten Vertreter einerseits der Abschreckungsprävention, andererseits der positiven Generalprävention klassifiziert wird282 – etwa dafür ein, den im anglo-amerikanischen Sprachraum bevorzugten Begriff der „general deterrence“ (Allgemeinabschreckung) durch den der „general prevention“ (Generalprävention) zu ersetzen283. Das Konzept der Generalprävention soll demnach drei verschiedene Elemente in sich vereinen, innerhalb derer dem abschreckenden Element zugeschrieben wird, die Verinnerlichung moralischer Hemmungen oder wenigstens die Gewöhnung normgemäßen Verhaltens zu vermitteln284. Das negativ-generalpräventive Element der „Angst vor Strafe“ würde so als Mittel zur Verwirklichung des positiv-generalpräventiven Nahziels einer „Beeinflussung der Moral“ fungieren285. Nach Andenaes vermag der Normbruch, sofern er sich der Strafe entzieht, zunächst als ein schlechtes Beispiel zu wirken, indem er andere zu seiner Nachahmung verleitet, d. h. kriminell zu infizieren droht286. Wird das Tabu des Normbruchs verletzt und zieht diese Verletzung eines Tabus überdies keine Sanktion nach sich, so soll hierdurch nicht nur der äußere Anlass geschaffen sein, der andere in Versuchung zu führen weiß. Mehr noch soll die Erfahrung des sanktionsfreien Tabubruchs auch Einfluss auf die innere Einstellung des Beobachters nehmen: „The more violations, the fewer qualms the individual feels“287. Indem das Strafgesetz nun zum einen die Anzahl solcher schlechten Beispiele zu reduzieren sucht, durch die Realisierung seiner Strafandrohung vor allem aber dem ungeachtet seiner Anstrengungen begangenen Normbruch seine Attraktivität nimmt, soll es diesen Infektions- und Nachahmungsprozess zu unterlaufen wissen. Dabei soll sich sein Mechanismus nicht auf eine unmittelbar abschreckende Wirkung beschränken, ebenso wenig wie der Normbruch nur den äußeren Anlass zur Nachahmung bildet. Stattdessen soll sein Sanktionsbeispiel – spiegelbildlich 282  Siehe dazu Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 113; für eine Zuordnung von Andenaes zur negativen Generalprävention s. Christie, Grenzen2, 36; Herzog, Prävention, 46; zur positiven Generalprävention s.  Schumann, Positive Generalprävention, 3. 283  Andenaes, in: ders., Punishment and Deterrence, App. 1, 173; s. dazu auch Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 51. 284  Andenaes, in: ders., Punishment and Deterrence, 3 (8), sowie in Grupp, ­Theories of Punishment, 138 (142). 285  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 51. 286  Andenaes, in: ders., Punishment and Deterrence, 110 (122 f.). 287  Andenaes, in: ders., Punishment and Deterrence, 110 (123); ins Dt. übertragen: „Umso mehr Normbrüche es gibt, umso weniger Skrupel fühlt der Einzelne“. Siehe dazu auch Schumann, Positive Generalprävention, 4.

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zum schlechten Beispiel des Normbruchs – seinerseits Einfluss auf die innere Einstellung der Normadressaten nehmen und eine Moral habitualisieren, die abweichendes, ob der Strafandrohung unattraktives Verhalten ablehnt288. Zur bildlichen Veranschaulichung möge eine – von Andenaes zitierte – Formulierung von Stephens aus dem Jahre 1863 dienen: „Some men, probably, abstain from murder because they fear that if they committed murder they would be hanged [Negative Generalprävention: Angst vor Strafe]. Hundreds of thousands abstain from it because they regard it with horror [Positive Generalprävention: Beeinflussung der Moral]. One great reason why they regard it with horror is that murderers are hanged with the hearty approbation of all reasonable men [Beeinflussung der Moral durch Angst vor Strafe]“289. Im Ergebnis soll sich damit die Wahrscheinlichkeit einer Nachahmung des normkonformen statt abweichenden Verhaltens erhöhen, unterstützt durch die Eigenart des Menschen, dass er „sich ungern von der Masse abheb[t]“290. Von der Strafdrohung gingen demnach nicht nur die von v.  Feuerbach festgehaltenen, unmittelbar abschreckenden Effekte aus, sondern sie soll – vermittelt durch die „Furcht“ – auch langfristig auf Einstellungen und Gewohnheiten einwirken können. Entsprechend den von Haffke getroffenen Ausführungen erreiche dieser „positiv-generalpräventive“ Effekt zwar nicht den Grad autonomer Einsicht, vielmehr werde die Moral durch das Mittel der Abschreckung nur indirekt habitualisiert und stabilisiert. Das quasi ­positiv-generalpräventive Nahziel der moralischen Einflussnahme wird als „Folgeerscheinung der negativen Generalprävention, der Abschreckung“, statt als „eigenständige Wirkung der Inhalte von Strafnormen selbst“ gedacht291. 288  Andenaes, in: ders., Punishment and Deterrence, 110 (123 f.); s. dazu auch Dölling, ZStW 1990, 1 (17). In Veranschaulichung an den Beispielen des Militärs und der Herrschaft einer Besatzungsmacht s. Andenaes, Punishment and Deterrence, 3 (8), sowie ders., in: Grupp, Theories of Punishment, 138 (142). 289  Stephens, General View of the Criminal Law of England, London 1863, zit. nach Andenaes, in: ders., Punishment and Deterrence, 3 (21), sowie in: Grupp, Theo­ries of Punishment, 138 (153); [Klammerzusätze] nicht im Original. In dt. Übersetzung bei Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 51: „Einige Männer widerstehen dem Morden, weil sie befürchten, daß sie, wenn sie einen Mord begingen, gehängt würden. Hunderttausende widerstehen ihm, weil sie ihn mit Grauen betrachten. Ein wichtiger Grund dafür, daß sie ihn mit Grauen betrachten ist, daß Mörder mit der aufrichtigen Zustimmung aller vernünftigen Männer gehängt werden“. 290  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Schumann, Positive Generalprävention, 3. Zur Beeinflussung des Einzelnen durch den Konformitätsdruck der Gruppe vgl. auch die Konformitätsexperimente von Asch, Scientific American 1955, 31, u. die diesbzgl. Zusammenfassung bei Myers, Psychologie2, 645 f. 291  Vorstehende Zitate aus Schumann, Positive Generalprävention, 4 f.; s. dazu auch Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 52.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

C. Eine vergleichende Betrachtung der Mechanismen unterstellter generalpräventiver Wirkweisen Aus dieser beschreibenden Darstellung verschiedener Erscheinungsformen positiver Generalprävention bzw. solcher theoretischer Ansätze, die wenigstens auch positiv-generalpräventive Elemente beinhalten, soll nun zunächst auf die Mechanismen einer (unterstellten) generalpräventiven Wirkung geschlossen werden. In einem nachfolgenden Schritt werden die festgestellten Mechanismen schließlich Aufschluss über die Voraussetzungen der so skizzierten Wirkweisen zu geben vermögen. I. Positiv-generalpräventive Wirkweise: Die Mechanismen eines kommunikativen Lernprozesses mit dem intendierten Lernerfolg der „Einsicht“ 1. Die direkte Kommunikation zwischen Recht und Allgemeinheit

Was nun die Mechanismen eines positiv-generalpräventiven Strafrechts betrifft, so kann Durkheim wie den theoretischen Ansätzen zu einer „positivgeneralpräventiv wirkenden Vergeltung“ übereinstimmend die Vorstellung von einem kommunikativen Lernprozess entnommen werden292. Kommunizierend begegnen sich Recht und Allgemeinheit in einem Verhältnis von „Lehrer“ und „Schüler“; dabei bilden die der Rechtsordnung zugrunde liegenden Wert- und Unrechtsvorstellungen den Gegenstand der Lehre. a) Die Antwort auf das Täterverhalten Zunächst aber vollzieht sich eine Kommunikation nicht zwischen dem Recht und der Allgemeinheit, sondern zwischen ersterem und dem Täter. Eröffnet wird sie durch das Verbrechen des Täters: In den Worten Durkheims irritiert jener die im Kollektivbewusstsein der Allgemeinheit tief eingeprägten Gefühle und Überzeugungen293, in den Worten Hegels negiert er das Recht durch Präsentation seines „besonderen“ individuellen Weltentwurfs294, in den Worten der funktionalen Vergeltungstheorie enttäuscht er 292  Vgl. Hassemer, Strafrecht, 108: „Positive Generalprävention setzt auf Kommunikation und initiiert kommunikative Prozesse“; zum kommunikativen Charakter positiv-generalpräventiv interpretierter, absoluter Straftheorien s. ders., in: Schünemann et  al., FS-Roxin (2001), 1001 (1013); ders., Strafrecht, 106. 293  Siehe dazu bereits oben Seite  193 [B. I.]. 294  Siehe dazu bereits oben Seite  197 [B. II. 2.].

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eine im Recht abgebildete normative Erwartung295. Das Verbrechen ist die äußerliche Manifestation seiner vom Recht abweichenden individuellen Überzeugung; durch die von ihm präsentierte Verhaltensalternative stellt der Täter die Geltungskraft des objektiv-allgemeinen Rechts in Frage. Um ihre Autorität zu wahren, lässt nun die Rechtsordnung auf das – ihren Geltungsanspruch bedrohende – Verbrechen eine ablehnende Antwort folgen: In den Worten Durkheims ergeht mit der Strafe eine empörte und sich abgrenzende strafrechtliche Reaktion, durch die das Verbrechen als individuelle Anomalie ausgeschlossen und die Autorität der verletzten Norm bekundet wird. In den Worten Hegels negiert das Recht mit der Strafe den individuellen Weltentwurf des Täters, durch den es sich selbst in Frage gestellt sieht („Negation der Negation“), und bestätigt stattdessen die eigene Geltungskraft. Nach dem Konzept der funktionalen Vergeltungstheorie weist das Recht das Verhalten des Täters als strafwürdig und mithin fehlerhaft, die in der strafrechtlichen Norm verkörperte Erwartung als zutreffend aus. b) Die Veröffentlichung der Antwort auf das Täterverhalten Konzentrierte man sich nun auf eine spezialpräventive Zielrichtung des Strafrechts und der Strafe, so gelangte die Kommunikation hier zu einem Ende, ist das Strafrecht seinem nach der spezialpräventiven Zielsetzung intendierten Adressaten, dem jeweiligen Täter, doch die „Antwort“ auf sein Verbrechen nicht schuldig geblieben. Richtet man sein Augenmerk wie hier jedoch auf eine generalpräventive Zielrichtung des Strafrechts und der Strafe, so tritt als (weiterer) intendierter Adressat die Allgemeinheit auf: „In der Betrachtungsweise der Lehren von der positiven Generalprävention ist das Strafrecht als eine Institution begriffen, die auf wechselseitigen Austausch mit den Menschen, und nicht nur mit dem Rechtsbrecher, angelegt ist“296. Jene vom „Rechtsbrecher“ zu unterscheidende Allgemeinheit erreicht das Recht, indem es seine das Täterverhalten ablehnende Antwort öffentlich macht, etwa durch öffentliche und in den Medien publizierte Gerichtsentscheidungen297. Auch die abstrakte Strafandrohung des Gesetzes wird als Kommunikationsmittel eingesetzt – dies obwohl die Mechanismen des 295  Siehe

dazu bereits oben Seite  200 f. [B. II. 3.]. Strafrecht, 108. 297  Zur Ausrichtung des Strafrechts nach außen und seiner Unterstützung durch eine massenmediale Vermittlung s. auch Hassemer, Strafrecht, 105 u. 108. Vgl. weiterführend die Abgr. zwischen einer „passiven“ (über bereits getroffene gesetzgeberische Entscheidungen berichtenden) und „aktiven“ (die öffentliche Meinung als Erwartungshaltung zusammenfassenden) Funktion der Massenmedien bei FunckeAuffermann, Symbolische Gesetzgebung, 31, u. Scheerer, Genese der BtM-Gesetze, 127–130 (zur aktiven Funktion) u. 131–141 (zur passiven Funktion). 296  Hassemer,

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

kommunikativen Lernprozesses, innerhalb dessen die Kommunikation durch den Täter bzw. dessen Verbrechen eröffnet wird, maßgeblich Bezug auf das Verhältnis von Straftat und rechtlich nachfolgender Antwort der konkreten Strafverhängung nehmen, sodass eine positiv-generalpräventive Rechtfertigung der abstrakten Strafandrohung zunächst nicht gegeben scheint. Eine solche Reduktion positiv-generalpräventiver Wirkmechanismen auf die konkrete Strafanwendung würde jedoch die Eigenart abstrakter Strafnormen verkennen, die sich als – wenn auch antizipierte – Antwort der Rechtsordnung auf ein – nun prognostiziertes – menschliches Fehlverhalten präsentieren: als antizipierte Antwort auf den hypothetischen Normbruch eines potenziellen Täters, die der Allgemeinheit durch Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt zugänglich gemacht wird. c) Das primäre Kommunikationsziel der „Verständigung“ und der übergeordnete Kommunikationszweck der „Einsicht“ Der übergeordnete Zweck dieser (dem Normbruch nachfolgenden oder ihn antizipierenden) Kommunikation, die sich vom Recht als Sender zur Allgemeinheit als Empfänger vollzieht298, besteht nach der positiv-generalpräventiven Zielsetzung darin, auf eine „Einsicht“ der Allgemeinheit hinzuwirken, die geeignet ist, ein Legalverhalten bzw. den Verzicht auf Straftatbegehung zu befördern. Die Allgemeinheit soll die der strafrechtlichen Reaktion zugrunde liegenden Wert- und Unrechtsvorstellungen adaptieren und als maßgeblich für ihre Verhaltensorientierung anerkennen299. Jene Überzeugung, dass eine solche „Einsicht“ Straftaten vorzubeugen weiß, ist dabei nicht nur der Straftheorie der positiven Generalprävention eigen, sondern begegnet auch in anderen Zusammenhängen: so etwa innerhalb der Kriminalätiologie, die den Ursachen und Entstehungsbedingungen von Kriminalität nachgeht und die so gewonnenen Erkenntnisse in Kriminalitätstheorien einzubetten sucht300. Innerhalb jener Kriminalitätstheorien nehmen die sog. Kontrolltheorien eine Sonderrolle ein, wenn sie die Motivation zur Straftatbegehung als Konstante im menschlichen Wesen verstehen und sich in der Folge nicht um eine Erklärung abweichenden, sondern konformen Verhaltens bemühen. Dabei soll ein hinreichend stark ausgeprägter äußerer oder innerer Halt kriminalitätsverhindernd wirken, also das Individuum zu einem 298  Zur Gegenüberstellung von Sender und Empfänger s. etwa Montada / Kals, Mediation, 195 u. 198 ff., mit einer Zsf. des einfachen Sender-Empfänger-Modells (a. a. O., 195) und verschiedener Erweiterungen (a. a. O., 198 ff.); vgl. ferner auch Bühler, Sprachtheorie2, 79 u. 98. 299  Vgl. Hassemer, Strafrecht, 105 u. 108; krit. Peralta, ZIS 2008, 506 (507 f.). 300  Auch Kriminal-Ätiologie; so etwa bei Schwind, Kriminologie21, § 1, Rn. 14.

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 215

normkonformen statt normwidrigen Verhalten anhalten301. In Spezifizierung der Bedingungen eines solchen Haltes hat Hirschi vier Elemente der Bindung an die Gesellschaft formuliert, zu denen schließlich auch der Glaube an die moralische Gültigkeit der gesellschaftlichen Regeln („belief in the moral validity of rules“) zählt302. Was die Straftheorie der positiven Generalprävention für die Allgemeinheit formuliert, haben die Kontrolltheorien mithin für das Individuum in Worte gefasst: Es gilt, eine „Einsicht“ von Wert- und Unrechtsvorstellungen zu vermitteln, will man normwidriges Verhalten der Allgemeinheit verhindern und normkonformes Verhalten des Einzelnen erwarten können. Eine solche „Einsicht“ aber setzte als ihr vorausgehendes, sog. primäres oder unmittelbares Kommunikationsziel das Verständnis der Rechtsantwort durch den Empfänger voraus. Nach der Kommunikationstheorie Ungeheuers ist ein Kommunikationsprozess zunächst auf die Verständigung von Sprecher und Empfänger gerichtet. Als „minimalste Bedingung dessen, was zwischenmenschliche Kommunikation heißen kann“, müsse der Empfänger zunächst „etwas zur Kenntnis nehmen“, d. h. soll ihm „ein Wissen zuteil werden, das er vorher noch nicht hatte“303. Erst einer solchen Verständigung kann die Verwirklichung eines übergeordneten Kommunikationszwecks nachfolgen, den Ungeheuer mit einer verbalen Beeinflussung der Einstellung (sog. Einstellungspersuasion) oder Steuerung der konkreten Handlungen des Perzipienten identifiziert304. In Übertragung auf die sich zwischen dem Recht und der Allgemeinheit vollziehende Kommunikation müsste der 301  Siehe etwa Hirschi, Causes of delinquency, 10 u. 16; zsfd. u. m. w. N. Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 16 f. 302  Hirschi, Causes of delinquency, 23–26, ausführl. a. a. O., 197–224. Weitere „Halt gebende“ Bedingungen sind nach Hirschi: die soziale Bindung an Bezugspersonen („attachment to others“; Hirschi, a. a. O., 16–19, ausführl. a. a. O., 83–109: „attachment to parents“, 110–134: „attachment to school“, 135–161: „attachment to peers“); die Verpflichtung gegenüber allgemein anerkannten Zielsetzungen, die den Grund für eine rationale Kalkulation der Risiken und Nachteile aus einer Straftat für die bislang erreichte Stellung des Individuums in der Gesellschaft legen („commitment to achievement“ oder „commitment to conventional lines of action“; ders., a. a. O., 20 f. u. ausführl. 162–186); schließlich die Einbindung in normkonforme Tätigkeiten wie Arbeit oder Sportverein, die die Gelegenheiten zu abweichendem Verhalten reduzieren („involvement in conventional activities“; ders., a. a. O., 21–23 u. 187–196). Zsfd. zur Kontrolltheorie nach Hirschi: Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 18. 303  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Krallmann / Ziemann, GK Kommunika­ tionswissenschaft, 264; ferner Krallmann et al., in: KOLOSS, Ungeheuer: Die kommunikative Sozialhandlung, 2.1; Ungeheuer, Einf. Kommunikationstheorie3, 10. 304  Siehe dazu Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 265 f.; Ungeheuer, Einf. Kommunikationstheorie3, 10 f.; vgl. dazu auch ders., Kommunikationstheoretische Schriften / 1, 290 (337 f.).

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

einzelne Bürger als Teil dieser Allgemeinheit also erkennen können, welche Information ihm der Staat – am Beispiel des missbilligten und getadelten Täterverhaltens – durch seine konkrete Strafanwendung bzw. verallgemeinert durch die gesetzliche Strafandrohung vermitteln will: Eine bestimmte Verhaltensweise verwirklicht Unrecht, weil durch sie ein bestimmtes, für schutzwürdig anerkanntes Rechtsgut verletzt wird. Erst auf der Grundlage eines solchen Verständnisses kann von den einzelnen Bürgern als Teil der Allgemeinheit sodann erwartet werden, dass sie das Verstandene – die Schutzwürdigkeit des jeweiligen Rechtsguts und das Unrecht der das Rechtsgut verletzenden Verhaltensweise – als Lernerfolg in ihr eigenes Werte- und Unrechtsempfinden adaptieren, bzw. kann ein positiv-generalpräventiv ausgerichtetes Recht in einem zweiten Schritt dem übergeordneten Kommunikationszweck gerecht werden, der Legalität förderliche Unrechtsund Wertvorstellungen zu bestärken. Auf eben diesen übergeordneten Kommunikationszweck bzw. über Verständnis vermittelten Lernerfolg weisen positiv-generalpräventive Theorien hin, wenn sie den strafrechtlichen Wirkmechanismus als sozialpädagogisch motivierten Lerneffekt beschreiben, der seinerseits nicht auf „Furcht“ (insoweit die Abgrenzung zu den negativ-generalpräventiven Theorien), sondern auf „Einsicht“ aufbaue. In den Worten Hassemers: es geht „um Botschaften an die Adressaten des Strafrechts und um die Erwartung, daß diese Botschaften verstanden werden und dann verhaltensleitend wirken“305. 2. Die „weitergeleitete“ Kommunikation zwischen Recht und Allgemeinheit: Vom Recht zum Bürger zum nächsten Bürger

Dergestalt befassen sich die besprochenen theoretischen Ansätze zur positiven Generalprävention mit einer direkten Relation von Recht und Allgemeinheit, in der das Recht als „Lehrer“ der Allgemeinheit als „Schüler“ direkt gegenübertritt. Sie setzen insofern voraus, dass die auf das Täterverhalten folgende (bzw. es antizipierende) „Antwort“ des Rechts die Allgemeinheit erreicht, indem jene die öffentliche konkrete Rechtsanwendung (bzw. die abstrakte Strafandrohung) zur Kenntnis nimmt, so etwa durch die Lektüre von Gerichtsentscheidungen, die Mitteilung von Verurteilungen im sozialen Umfeld oder – für die abstrakte Strafandrohung – auch durch die Lektüre des Gesetzestextes. Die Zugangsmöglichkeiten für eine direkte Kommunikation zwischen Recht und Allgemeinheit sind damit doch recht eingeschränkt – tatsächlich haben auch die eingangs erwähnten empirischen Untersuchungen zur posi305  Hassemer, in: Schünemann et  al., FS-Roxin (2001), 1001 (1012); ebenso ders., Strafrecht, 105.

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 217

tiv-generalpräventiven Wirkung von Strafandrohungen auf eine nur sehr eingeschränkte Kenntnisnahme von Normänderungen durch die Allgemeinheit hingewiesen306: So hat eine Umfrage von Walker und Argyle zur subjektiven Verwerflichkeit des Selbstmordversuchs etwa festgehalten, dass noch ein Jahr nach dessen Entkriminalisierung durch das englische Recht drei Viertel der Befragten irrigerweise weiterhin von seiner Strafbarkeit ausgingen. Nur ein Viertel der Befragten wusste entweder von der Entkriminalisierung (16 %) oder aber war sich unsicher (9 %)307. Auch die Bremer Studie von Schumann et  al. befasste sich in einem ersten Schritt mit der Frage, inwiefern Normänderungen überhaupt zur Kenntnis der Allgemeinheit gelangen. Als Ergebnis hielt Schumann in Zahlen fest, dass in der ersten Befragung vor Inkrafttreten des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG 518 der 740 befragten Jugendlichen zutreffend eine Strafbarkeit des Anbaus von Rauschmitteln verneint hatten. Von diesen 518 änderten in der zweiten Befragung nach Inkrafttreten des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nur 175 ihre Einschätzung entsprechend der Gesetzesänderung. Demnach hätten nach Schumann nur 34 % der Befragten überhaupt von der Gesetzesänderung Kenntnis genommen308. Auch eine solche, bereits eingeschränkte Rezeption der rechtlichen „Antworten“ auf vergangenes oder antizipiertes Täterverhalten wird man aber nur dann erzielen können, wenn die direkte Kommunikation, die sich vom Recht zum Bürger vollziehen soll, um eine quasi „weitergeleitete“ Kommunikation ergänzt wird, innerhalb derer die rechtlichen Inhalte von dem einen zum nächsten Bürger gereicht werden. a) Die Weiterleitung durch informelle Sozialisationsinstanzen Zu der direkten Relation von Recht und Rezipient, innerhalb derer die (direkte) Kenntnisnahme von konkreter Strafanwendung und abstrakter Strafandrohung eine „Einsicht“ des Gesetzesadressaten in die ihm präsentierten Norminhalte befördern soll, muss also eine weitere (wohl sogar bedeutendere) mittelbare Relation hinzutreten, innerhalb derer die dergestalt adaptierten Norminhalte über informelle Sozialisationsinstanzen als gemeinsame Wertvorstellungen einer Gesellschaft vermittelt bzw. „weitergeleitet“ 306  Zu

jenen Untersuchungen s. oben Seite  188–191 [A. IV.]. BJC 1964, 570 (572); zsfd. Schumann, Positive Generalprävention, 28. Zu jener Studie s.  auch bereits oben Seite  189 [A. IV.] m. Fn. 185. 308  Schumann, Positive Generalprävention, 36; allgemein zum „Vermittlungsproblem“ eines generalpräventiv ausgerichteten Strafrechts Hassemer, in: ders. / Lüderssen / Naucke, Generalprävention, 29 (43–45). Siehe dazu auch bereits oben Seite 189 [A. IV.] m. Fn. 185 u. Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 119, m. Kritik in Fn. 189. 307  Walker / Argyle,

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

werden. Empirische Untersuchungen haben die Relevanz einer solchen mittelbaren („weitergeleiteten“) Kommunikation von Rechtsinhalten hervorgehoben: Untersuchungen zur positiven Generalprävention haben etwa einen sog. „peer-group-Effekt“ ergeben, der sich dadurch auszeichnet, dass die eigenen Unrechts- und Wertvorstellungen durch die Kenntnisnahme von der Haltung Anderer beeinflusst werden309. Entsprechend haben Untersuchungen zur negativ-generalpräventiven Wirkweise darauf hingewiesen, dass von der missbilligenden Reaktion Dritter eine abschreckende Wirkung ausgeht, sodass informellen Sozialisationsinstanzen und deren Sanktionen – im allgemeinen Strafrecht wie im Jugendstrafrecht – gar eine größere Bedeutung als der Sozialisationsinstanz „Staat“ und dessen formellen Sanktionen zukommen soll: „Je verwerflicher die Tat eingestuft wird und je stärker die von Freunden und Bekannten, aber z. B. auch die von der Mutter erwartete Missbilligung ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Tat nicht begangen wird“310. Unter Berücksichtigung dieses, einen Werttransfer begünstigenden Einflusses der „peer groups“ sowie einer abschreckenden Wirkung informeller Sanktionen ließe sich die positiv-generalpräventive Wirkung von Strafnormen mithin auf das kumulative Zusammentreffen zweier Beziehungen zurückführen: In einem ersten (die positiv-generalpräventive Wirkung begründenden) Schritt müsste eine direkte Beeinflussung der Rezipienten durch das Recht eingeleitet werden, in welcher diese die zur Kenntnis genommenen Norminhalte in ihr eigenes Wertesystem übernähmen. In einem zweiten (die positiv-generalpräventive Wirkung nur vermittelnden) Schritt müssten die dergestalt beeinflussten Rezipienten ihre mit dem Recht korrespondierenden Wertvorstellungen auf ihr jeweiliges Umfeld transferieren. Familie, Freunde, Schule, sonstiges soziales Umfeld und Medien wirkten in diesem 309  So etwa Berkowitz / Walker, Sociometry 1967, 410 (421); s. dazu bereits oben Seite  189 [A. IV.] m. Fn. 184 u. Schumann, Positive Generalprävention, 30. Ebenso die Bremer Studie von Schumann et  al.; s. dazu Schumann, Positive General­ prävention, 37, u. oben Seite  189 [A. IV.] m. Fn. 185. Zur Bedeutung der „peers“ s. auch die bereits zur Erwähnung gelangte Kontrolltheorie Hirschis; oben Seite  215 f. [1. c)] m. Fn. 302 u. Hirschi, Causes of Delinquency, 16–19, ausführl. a. a. O., 135–161. Vgl. ferner zur Beeinflussung des Einzelnen durch den Konformitätsdruck der Gruppe vgl. die Konformitätsexperimente von Asch, Scientific American 1955, 31, u. die diesbzgl. Zusammenfassung bei Myers, Psychologie2, 645 f. 310  Siehe dazu u. Zitat aus Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 28 m. w. N.; s. ferner bereits oben Seite  205 [B. III. 2. vor a)] u. 210 f. [B. III. 2. b)]. In diesem Sinne bemerkt auch Haffke, Tiefenpsychologie, dass sich ein generalpräventiv verstandenes Strafrecht zwar als „ein über die gesamte Lebensdauer latent wirksamer Sozialisationsfaktor“ hervorhebe (a. a. O., 80), im Übrigen jedoch „nur einer von vielen, in der Gesellschaft wirksamen Kontrollmechanismen zur Förderung sozialer Integration ist“ (a. a. O., 63); ähnl. Hassemer, in: ders. / Lüderssen / Naucke, Generalprävention, 29 (52 f.).

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Sinne als informelle – die formelle Sozialisationsinstanz des Staates ergänzende – Sozialisationsinstanzen. b) Lernmechanismen innerhalb der „weitergeleiteten“ Kommunikation Innerhalb dieser „weitergeleiteten“ Kommunikation können nun die unterschiedlichsten Lernmechanismen zur Anwendung kommen. Gerade innerhalb von Verhältnissen, in denen eine erzieherische Beeinflussung zur bewussten Zielsetzung erhoben wird (wie etwa in der Kindeserziehung), können wiederum kommunikative, aber auch sog. konditionierende Lernprozesse an Bedeutung gewinnen. Innerhalb kommunikativer Lernprozesse würde – wie bereits oben zur direkten Kommunikationsbeziehung zwischen Recht und Allgemeinheit skizziert – als primäres Kommunikationsziel eine Verständigung angestrebt, mithin ein Verständnis der transportierten Inhalte durch den „Schüler“, das jener als Lernerfolg („Einsicht“) in sein eigenes Werte- und Unrechtsempfinden integrieren kann. Demgegenüber intendieren konditionierende Lernprozesse wenigstens nicht diese weitreichende Verständigung, wenn als Unrecht bewertete Verhaltensweisen mit einer hemmenden Bestrafung (so für operante Konditionierungsprozesse) oder aber auch nur mit einem unkonditionierten Reiz (so für klassische Konditionierungsprozesse) kombiniert werden: Während operante Konditionierungsprozesse so allenfalls ein Verständnis des Kausalzusammenhangs zwischen Verhalten und nachfolgender Strafe voraussetzen, das den Grund für eine habitualisierte Vermeidungsreaktion legt, genügt den klassischen Konditionierungsprozessen die Herbeiführung einer verständnislosen, automatisierten Vermeidungsreaktion311. Von maßgeblicher Bedeutung – auch in Bereichen jenseits der intendierten erzieherischen Beeinflussung – dürften jedoch vor allem die beobachtenden Lernprozesse sein312. Diesbezüglich kann man der Kriminalätiologie die von Sutherland formulierte und in Zusammenarbeit mit Cressey fortentwickelte Theorie der differenziellen Kontakte313 entnehmen, die insofern die Grundlagen für ein beobachtendes Lernen bereitete, als sie eine Assimila­ tion derjenigen Werte und Normen behauptete, die in der Umgebung – ins311  Ausführlich

a)].

zu konditionierenden Lernprozessen s. unten Seite  226 f. [II. 2.

312  Die auch neurologisch in den sog. „Spiegelneuronen“ ihre Bestätigung gefunden haben; s. dazu Myers, Psychologie2, 370; Rizolatti et al., in: Meltzoff / Prinz, The imitative mind, 247. 313  Auch: Theorie der differenziellen Assoziation („Theory of Differential Association“); s. dazu Cressey, in: Rubington / Weinberg, Social Problems6, 159; Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 21.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

besondere in kleinen, intimen Gruppen – vorherrschen314. Sie fand ihre Ergänzung in der Theorie der differenziellen Identifikation von Glaser, nach der Werte und Normen aus einer Identifikation mit Leitbildern übernommen werden315. Dabei darf man jedoch nicht der Versuchung erliegen, die Herren Sutherland, Cressey und Glaser missverstehen zu wollen, indem man sie auf die Behauptung eines imitierenden Lernprozesses beschränkte. Formuliert findet sich bei ihnen vielmehr nur die These, dass der Einzelne sein Verhalten in Reaktion auf die ihn umgebenden Kontakte erlernt, ohne auszuschließen, dass hierbei auch die Mechanismen anderer (nicht allein imitierender, sondern z. B. auch kommunikativer oder konditionierender) Lernprozesse wirksam werden. So hat Sutherland gar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich das „Lernen kriminellen Verhaltens […] nicht auf den Prozeß der Imitation beschränkt“316. Im Gegenteil formuliert er gar die These, dass sich der dargelegte Lernprozess nicht nur „in Interaktion mit anderen Personen“, sondern auch „in einem Kommunikationsprozeß“ vollziehe, der gleichermaßen verbal wie durch Gesten gestaltet sein kann317. Für das beobachtende Lernen kann den Theorien der differenziellen Assoziation oder Identifika­ tion mithin eine nur grundlegende Bedeutung zugemessen werden, die sich daraus speist, dass sie mit dem Umfeld oder den Leitbildern des Einzelnen das maßgebliche lehrende und (nicht nur, aber auch) zu imitierende Gegenüber benennen. Einen größeren Erkenntnisgewinn für beobachtende Lernprozesse verspricht demgegenüber die sozial-kognitive Lerntheorie Banduras, nach der moralische Urteile318 ebenso wie Handlungsabläufe von Verhaltensweisen319 weniger durch persönliche Erfahrung als vielmehr stellvertretend durch Beobachtung des Verhaltens Anderer und der sich daraus für diese Personen dazu Sutherland / Cressey, in: Rubington / Weinberg, Social Problems6, 135 (138–140); in dt. Übersetzung s. Sutherland, in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 395 (396–398); zsfd. Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 21. 315  Glaser, AJS 1956, 433 (440); s. dazu auch Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 26. 316  Vorstehendes Zitat aus Sutherland, in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 395 (398); im engl. Orig. bei Sutherland / Cressey, in: Rubington / Weinberg, Social Problems6, 135 (139 m. These 8). 317  Vorstehendes Zitat aus Sutherland, in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 395 (396); im engl. Orig. bei Sutherland / Cressey, in: Rubington / Weinberg, Social Problems6, 135 (138 m. These 2). 318  Zur Imitation moralischer Urteile s. Bandura, Lerntheorie, 51; zu weiteren Gegenständen des Beobachtungslernens („Urteilsfähigkeit, Sprachstile, Begriffssysteme, Strategien zur Informationsverarbeitung, kognitive Operationen und Verhaltensstandards“) s. ebda., 50. 319  Zur Imitation der „meisten menschlichen Verhaltensweisen“ in ihren Handlungsabläufen s. Bandura, Lerntheorie, 31. 314  Siehe

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ergebenden positiven oder negativen Konsequenzen angeeignet werden („Lernen am Modell“320). Dem Lernprozess sollen dabei insbesondere diejenigen Menschen als Modell dienen, mit denen der Lernende regelmäßigen Umgang pflegt, wobei Bandura die Auswahl des nachzuahmenden Objekts durch dessen Attraktivität motiviert sieht: „Es werden Modelle gewählt, die gewinnende Eigenschaften besitzen, während diejenigen, denen es an gefälligen Charakterzügen fehlt, gewöhnlich ignoriert oder abgelehnt werden“321. Beobachtet und imitiert werden so verschiedene Bezugspersonen, wie sie Eltern, Lehrer oder sonstige Autoritäten, aber auch Gleichaltrige darstellen; ebenso können symbolische Modelle322 oder Medienfiguren323 als Vorbild fungieren. Soweit damit die Mechanismen eines nur individuellen Beobachtungslernens beschrieben sind, findet sich bei Bandura der ergänzende Hinweis auf die Wirksamkeit des Beobachtungslernens auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, nämlich „bei der Verbreitung neuer Ideen und sozialer Praktiken innerhalb einer Gesellschaft“: Zunächst nur durch einzelne „Modelle“ zur Schau getragen, finden sie zunehmend Nachahmung und wissen sich in Abhängigkeit von ihrem funktionalen Wert gegebenenfalls zu stabilisieren324. Für das individuelle Beobachtungslernen zu Bekanntheit gelangt sind in diesem Zusammenhang Experimente von Bandura, Ross und Ross aus den 1960er Jahren, im Zuge derer Kindern im Alter von etwa 3 bis 6 Jahren aggressives, gegen eine Clownspuppe namens „Bobo“ gerichtetes Verhalten auf unterschiedliche Art und Weise vorgeführt wurde325. Beim anschließenden Spielen (dem in einigen der Experimente ein Frustrationserlebnis vor320  Zu diesem Begriff s. Bandura, Lerntheorie, 31; zu den alternativen Begriffen des Beobachtungs- und Modelllernens s. Myers, Psychologie2, 369. 321  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Bandura, Lerntheorie, 33; s. ferner ­Myers, Psychologie2, 372 u. 376. 322  Zum Vorstehenden s. Bandura, Lerntheorie, 53. 323  Zur Imitation eines im Film vorgeführten Verhaltens s. Bandura, JPSP 1965, 589; Bandura, in: ders., Lernen am Modell, 115 (117); ders. / Ross / Ross, JASP 1963, 3; Kelmer / Stein, Fernsehen, 31; Schwind, Kriminologie21, § 14, Rn. 25 f. Man beachte die inhaltliche Verschiebung zu Sutherland, der Filmen noch eine „relativ unwichtige Rolle bei der Entstehung kriminellen Verhaltens“ zuwies; vorstehendes Zitat aus Sutherland, in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 395 (396); in der engl. Fassung Sutherland / Cressey, in: Rubington / Weinberg, Social Problems6, 135 (138 m. These 3). 324  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Bandura, Lerntheorie, 59; zur Fortsetzung des Beobachtungslernens in der Unterscheidung von Meinungsführern und (beobachtenden) sonstigen Konsumenten innerhalb der kommunikationsorientierten Diffusionstheorien s. Koschnick, Focus-Lexikon / 13, 623 (624 f.) m. Stichw. „Diffusion (Diffusionsforschung)“. 325  Siehe stellv. Bandura / Ross / Ross, JASP 1961, 575; dies., JASP 1963, 3 (s. dazu auch Kelmer / Stein, Fernsehen, 31–39; Schwind, Kriminologie21, § 14, Rn. 25 f.);

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geschaltet war326) zeigte allein eine nicht mit Aggressivität konfrontierte Kontrollgruppe einen gewaltfreien Umgang mit der Clownspuppe. Demgegenüber schlugen die anderen Kinder unter Wiederholung der zuvor gehörten Schimpfworte schreiend auf die Clownspuppe ein, nachdem sie unterschiedlich entweder beobachtet hatten, wie ein Erwachsener schimpfend auf die Clownspuppe eingeschlagen hatte, oder aber einen entsprechenden Film über dieselbe Gewalttätigkeit des Erwachsenen oder einer ihn ersetzenden Trickfilmfigur gesehen hatten327. Ihren Akt der Nachahmung sah Bandura dabei durch die Beobachtung nicht nur des zu imitierenden Verhaltens, sondern auch durch die Beobachtung der auf jenes Verhalten folgenden Konsequenzen bedingt: Imitiert wurde das aggressive Verhalten häufiger durch solche Kinder, die dessen Belohnung oder ausbleibender Bestrafung gewahr geworden waren, während sich Kinder, denen eine dem Verhalten nachfolgende Bestrafung vorgeführt worden war, seltener nachahmend-aggressiv verhielten328. Im Gegensatz zu dem bereits dargelegten kommunikativen Lernprozess, der eine „Einsicht“ in die auf ein bestimmtes Verhalten bezogenen Wert- und Unrechtsvorstellungen zu vermitteln anstrebt, und gleich dem kurz zur Erwähnung gelangten konditionierenden Lernprozess setzte ein solches Beobachtungslernen dabei nicht zwingend voraus, dass der Lernende die Bedeutung des nachgeahmten Verhaltens erfasst und in Beziehung zu seinen Wert- und Unrechtsvorstellungen setzt. So findet sich bei Bandura bezüglich des Erlernens moralischer Urteile zwar der Hinweis, dass „Menschen […] von modellierten Meinungen nicht sonderlich beeinflusst [werden], wenn sie diese nicht verstehen“329; zugleich wurde zu Banduras Experiment aber auch kritisch bemerkt, dass unklar blieb, ob die Kinder hier tatsächlich ein aggressives (und als aggressiv verstandenes) Verhalten imitierten oder aber nur ein „interessantes, neues Spielverhalten“ nachahmen wollten330. Wenn die „weitergeleitete“ Kommunikationsbeziehung selbst mithin auch nicht unbedingt ein Verständnis der Rechtsinhalte voraussetzt, wird ihr die in der direkten Kommunikation von Recht und Bürger erzielte „Einsicht“ Bandura, JPSP 1965, 589 (nachzulesen auch bei Bandura, in: ders., Lernen am Modell, 115). 326  So in Bandura / Ross / Ross, JASP 1961, 575 (576 f.); zsfd. Myers, Psychologie2, 371. 327  Zsfd. Myers, Psychologie2, 371 (zu Bandura / Ross / Ross 1961); Schwind, Kriminologie21, § 14, Rn. 25 f. (zu Bandura / Ross / Ross 1963). 328  Bandura, JPSP 1965, 589 (592); s. dazu auch ders., Lerntheorie. 37 u. 58; Myers, Psychologie2, 372 u. 376. 329  Bandura, Lerntheorie, 55. 330  Kelmer / Stein, Fernsehen, 36 i. V. m. 22; Zitat aus Schwind, Kriminologie21, § 14, Rn. 26.

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doch stets vorangestellt sein: Denn „weiterleiten“ kann eine informelle Sozialisationsinstanz nur diejenigen Inhalte, die die rechtliche Antwort auf ein erfolgtes oder antizipiertes Täterverhalten irgendwann einmal transportiert hat, sodass sie eine informelle Sozialisationsinstanz innerhalb eines kommunikativen Lernprozesses hat verstehen und in das eigene Bewusstsein adaptieren können. Ergo: Auch die „weitergeleitete“ Kommunikation setzt zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar zwingend das beschriebene Verständnis der Inhalte des Rechts voraus. II. Negativ-generalpräventive Wirkweise: Die Mechanismen verschiedenartiger Lernprozesse mit dem intendierten Lernerfolg (einer Sittenbildung durch) „Furcht“ Die Mechanismen eines positiv-generalpräventiv verstandenen Strafrechts bzw. einer positiv-generalpräventiv wirkenden Vergeltung sind mithin als diejenigen eines kommunikativen Lernprozesses charakterisiert worden, der auf den Lernerfolg einer „Einsicht“ in die kommunizierten Wert- und Unrechtsvorstellungen ausgerichtet ist. Hiervon unterschieden werden müssen diejenigen Mechanismen, die einem negativ-generalpräventiv verstanden Strafrecht zugrunde gelegt werden, dies auch dann, wenn einschlägige theo­retische Ansätze mit einer durch Abschreckung vermittelten Sittenbildung quasi positivgeneralpräventive Elemente in ihre Konzeption aufgenommen haben331. Zunächst zeigen auch die Mechanismen eines negativ-generalpräventiv verstandenen Strafrechts die Eigenschaften eines Lernprozesses, in dem sich Recht und Allgemeinheit in einem Verhältnis von „Lehrer“ und „Schüler“ gegenübertreten und das Täterverhalten den Gegenstand der „Lehre“ bildet. Darüber hinaus sind jedoch Unterschiede in dem von ihm angestrebten Lernerfolg und seiner Ausgestaltung zu konstatieren. Kennzeichnend für den negativ-generalpräventiv motivierten Lernprozess ist nach dem Grundkonzept v. Feuerbachs wie auch nach dessen nachfolgenden Modifikationen das Merkmal der „Furcht“, ob ihr nun die Funktion zugeschrieben wird, unmittelbar die Straftatenbegehung zu verhindern (so v. Feuerbach) oder mittelbar – vermittelt über eine durch „Furcht“ habitualisierte Sittenbildung – zu deren Prävention beizutragen (so die Modifikationen). Diese „Furcht“  – die den negativ-generalpräventiv motivierten Lernprozess von dem durch den Lern­ erfolg der „Einsicht“ gekennzeichneten, positiv-generalpräventiv motivierten Lernprozess scheidet – kann nun auf die Mechanismen verschiedenartiger Lernprozesse zurückgeführt werden, wie sich bereits in der Uneinigkeit um 331  Siehe oben die auf den Seiten 206–209 [B. III. 2. a)] u. 209 f. [B. III. 2. b)] exemplarisch angeführten Modifikationen des v. Feuerbach’schen Grundkonzeptes.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

die Klassifizierung des Grundkonzeptes v. Feuerbachs widerspiegelt, wenn es einerseits als Konzept einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation, andererseits als das eines psychologischen Zwangs ausgelegt wird332. Es sind jene „Furcht einflößenden“ Mechanismen, denen die folgenden Ausführungen nun nachgehen und die sie von den auf „Einsicht“ statt „Furcht“ aufbauenden, positiv-generalpräventiven Wirkmechanismen abgrenzen werden. 1. Das Konzept der rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation: Die Mechanismen eines kommunikativen Lernprozesses mit dem intendierten Lernerfolg rational nachvollzogener „Furcht“

Legt man einem negativ-generalpräventiv motivierten Lernprozess eine rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation zugrunde, begibt man sich in die Gesellschaft der ökonomischen Kriminalitätstheorien, die – zusammengefasst unter dem Begriff der „rationalen Wahl“ oder „rational choice“ – unterstellen, dass der Entschluss zur Straftatbegehung einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen Kosten-Nutzen-Analyse folgt333. So wie die Einschätzung eines Täters, dass die zu erwartenden Tatvorteile überwiegen, seinen Entschluss zur Tatbegehung soll erklären können, will ein negativ-generalpräventiv ausgerichtetes Strafgesetz jenen zu erwartenden Vorteilen mit der Strafe nun ein konkretes Übel gegenüberstellen, das die Analyse eines potenziellen Täters zulasten der Tatbegehung verschieben soll. Geleitet von diesem Bestreben, lassen sich zunächst Überschneidungen mit den Mechanismen eines kommunikativen Lernprozesses positiv-generalpräventiver Zielsetzung feststellen, die sich letztlich aber in der Charakterisierung des angestrebten Lernerfolgs und des ihm vorgelagerten unmittelbaren Kommunikationsziels der Verständigung unterscheiden. Auch hier gibt die Rechtsordnung durch die konkrete Anwendung und abstrakte Androhung von Strafe ihre Antwort auf das die Kommunikation eröffnende – bereits erfolgte oder auch nur antizipierte – Täterverhalten kund und richtet selbige durch die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen bzw. des abstrakten Gesetzestextes an die Allgemeinheit334. In 332  Siehe

oben Seite  203 f. [B. III. 1.]. dazu Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 19a, u. die Kontrolltheorie Hirschis, die u. a. von der Einbindung in allgemein anerkannte Zielsetzungen auf eine „Halt gebende“, rationale Kalkulation der Risiken und Nachteile aus einer Straftat für die bislang erreichte Stellung des Individuums in der Gesellschaft schließt („commitment to achievement“ oder „commitment to conventional lines of action“): Hirschi, Causes of Delinquency, 20 f. u. ausführl. 162–186; zsfd. Schwind, a. a. O., § 6, Rn. 18, u. oben Seite  215 f. [I. 1. c)] m. Fn. 302. 334  Zur Antwort des Rechts auf das (auch antizipierte) Täterverhalten s. oben Seite  212 [I. 1. a)]; zu ihrer Veröffentlichung s. oben Seite  213 f. [I. 1. b)]. 333  Siehe

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 225

­ bgrenzung zum kommunikativen Lernprozess positiv-generalpräventiver A Zielsetzung intendiert ein negativ-generalpräventiv motiviertes Recht jedoch nicht, auf diesem Wege seine Vorstellungen vom Wert eines bestimmten Rechtsgutes und vom Unrecht bestimmter (jenes Rechtsgut verletzender) Verhaltensweisen zu vermitteln, um letztlich den Adressaten ob einer „Einsicht“ in die Sinnhaftigkeit des Gesetzes zu dessen Befolgung anzuregen. Wesentlich bescheidener in seiner Zielsetzung, beschränkt es seinen übergeordneten Kommunikationszweck bzw. intendierten Lernerfolg darauf, potenzielle Täter von der Nachteiligkeit eines bestimmten Verhaltens für ihre eigene Situation zu überzeugen und jene so zum eigennützigen statt wertbehafteten Verhaltensverzicht zu motivieren335. Das Täterverhalten soll quasi mit einem „Preisschild“ versehen und der Allgemeinheit als Gesamtheit potenzieller Täter so die Nachteile vor Augen geführt werden, die sie auf sich zu nehmen hätte, wenn sie dem Anreiz einer für sie zunächst vorteilhaften Straftatbegehung nachgäbe. Vom einzelnen Bürger als Teil der Allgemeinheit wird sodann erwartet, dass er den Kausalzusammenhang, der zwischen einem bestimmten Verhalten und der nachfolgenden Strafe besteht, verstehend nachvollzieht (primäres Kommunikationsziel) und in eine rationale bzw. willensgetragene Kosten-Nutzen-Kalkulation einfließen lässt, innerhalb derer er auf die Nachteiligkeit des die Strafe nach sich ziehenden Verhaltens für seine eigene Person schlussfolgert (übergeordneter Kommunikationszweck bzw. Lernerfolg der „Furcht“). Ein negativ-generalpräventiv motiviertes Strafrecht will mithin in seinen Adressaten eine rational nachvollzogene „Furcht“ vor den äußeren (strafbaren) Folgen bestimmter Verhaltensweisen erzeugen, nicht aber eine „Einsicht“ in die inneren Beweggründe der Strafbarkeit herausbilden. In Verwirklichung seines dergestalt eingeschränkten, primären Kommunikationsziels der Verständigung kann es sich mithin damit begnügen, dass seine Adressaten die Strafe als drohenden Nachteil einer potenziellen Straftatbegehung begreifen. 2. Das Konzept des „psychologischen Zwangs“

Versteht man negative Generalprävention also im Sinne einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation, liegen ihr – gleich der positiven Generalprävention – die Mechanismen eines kommunikativen Lernprozesses zugrunde, innerhalb dessen sich Recht und Allgemeinheit interaktiv begegnen: Das Recht sendet eine Aussage an die Allgemeinheit, welche jene als Empfänger verstehen und umsetzen soll. Anders scheint sich der negativ-generalpräven335  Zur eingeschränkten kommunikativen Zielsetzung eines negativ-generalpräventiv ausgerichteten Strafrechts vgl. auch Hassemer, Strafrecht, 107, der es ebda. jedoch unterlässt, nach kommunikativen, klassisch konditionierenden und beobachtend-nachahmenden Mechanismen zu differenzieren.

226

Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

tiv motivierte Lernprozess jedoch dann zu gestalten, wenn man seine Zielsetzung nicht in einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation, sondern buchstäblich in der Bewirkung eines „psychologischen Zwangs“336 bzw. der Herbeiführung einer „psychologischen Unmöglichkeit“ angesiedelt sieht: Insofern nähme man v.  Feuerbach beim Wort, wenn er schreibt, dass die Strafandrohung dem sinnlichen Antrieb des Menschen zur Tat eine andere „sinnliche Triebfeder“337 entgegensetze, die es ihm „psychologisch un­mög­ lich“338 mache, Rechtsverletzungen zu begehen oder sich hierzu nur zu entschließen. a) Vorbemerkungen zu einer Gegenüberstellung von klassischer und operanter Konditionierung Mit dieser „psychologischen Unmöglichkeit“ könnte der Strafzweck negativer Generalprävention auf einen Lernprozess der klassischen Konditionierung hinweisen, der nicht auf ein interaktiv erzieltes Verständnis, sondern auf die einseitige Herbeiführung einer automatisierten, reflexbedingten Vermeidungsreaktion abzielt, wie man sie in dieser Art etwa bei Pawlow und Eysenck beschrieben findet339. Mit jener Referenz auf die klassische Konditionierung will vorliegende Untersuchung den Versuch unternehmen, der rationalen Kosten-NutzenKalkulation solch eine alternative Auslegung des v.  Feuerbach’schen Theorienkonzeptes gegenüberzustellen, in der sich v.  Feuerbachs „psychologischer Zwang“ und „psychologische Unmöglichkeit“ buchstäblich verwirklicht finden: Es wäre die automatisierte Vermeidungsreaktion, Ziel und Produkt klassischer Konditionierungsprozesse, die sich gleich einem psychologischen Zwang auf den potenziellen Täter legte und es ihm als solche unmöglich machte, etwaigen ihn überkommenden Trieben zur Straftatbegehung Folge zu leisten. Demgegenüber soll die „gemäßigte“ Form der operanten Konditionierung vorliegend außen vor bleiben: Jene zielt nicht darauf ab, den Grund für automatisierte Vermeidungsreaktionen zu setzen, sondern will in Anknüpfung an die zur Bekanntheit gelangten Experimente Skinners im Gegenteil einen kontrollierten Verhaltensentschluss oder -verzicht bedingen, indem bestimmte Verhaltensweisen wiederholt mit einem verstärkenden nach v. Feuerbach, Lehrbuch, 13 (§ 12). Revision / 1, 44 f. 338  v. Feuerbach, Revision / 1, 40. 339  Siehe dazu sogleich Seite  227–231 [b)] u. 231 f. [c)]; ferner Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 139 f.; Pawlow, in: ders., Reflexe, 15 (19 f.), 42 (45 f.), 52 (54), 60 (64 f. u. 69); zsfd. Forster, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 97 (105 f.); Myers, Psychologie2, 343 f.; Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 34. 336  Begriff

337  v. Feuerbach,

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 227

oder hemmenden Reiz kombiniert werden340. Insofern noch die Nähe zu einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation wahrend, als in Aussicht gestellte Vorteile (sog. Verstärker341) erwünschte Verhaltensweisen fördern oder aber Nachteile (eine Bestrafung342) unerwünschte Verhaltensweisen hemmen sollen, entspränge eine in diesem Sinne konditionierte Vermeidungsreaktion aber nicht etwa einer für jeden Einzelfall rational nachvollzogenen („verstandenen“) Abwägung der zu erwartenden Vor- und Nachteile, sondern wäre vielmehr Teil eines habitualisierten Verhaltensrepertoires, dessen sich der Einzelne bei gegebenem Anlass ohne weitere Bewusstmachung, d. h. quasi aus Gewohnheit, bediente343. Wenn vorliegende Untersuchung nun im Weiteren nicht dieser operanten, sondern der klassischen Konditionierung ihre Aufmerksamkeit schenkt, ist dies dem Bestreben geschuldet, der herkömmlichen Auslegung des v.  Feuerbach’schen Theorienkonzeptes, die sich auf den Entwurf einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation fokussiert, eine solche Auslegung gegenüberzustellen, die quasi am entgegengesetzten Pol psychologischer Prozesse platziert ist. Dass zwischen diesen beiden Polen – der rational nachvollzogenen Abwägung einerseits, der automatisierten Vermeidung von Nachteilen andererseits – noch andere Lernprozesse verortet werden können, derer sich ein negativ- generalpräventiv ausgerichtetes Strafgesetz zu bedienen wüsste, bleibt unwidersprochen; mehr noch soll mit den vorangegangenen kurzen Bemerkungen zur operanten Konditionierung ausdrücklich ein diesbezüglicher Hinweis gegeben worden sein, bevor sich die Untersuchung aufmacht, mit der klassischen Konditionierung das vollständige „Gegenstück“ zu einer rationalen KostenNutzen-Kalkulation zu diskutieren. b) Die Mechanismen eines Lernprozesses der klassischen Konditionierung mit dem intendierten Lernerfolg automatisierter Vermeidungsreaktion In einem klassischen Konditionierungsprozess, wie ihn die vorliegende Untersuchung mithin zum Gegenstand ihres Interesses erhebt, assoziiert nun ein Organismus unterschiedliche Reize, die er nicht kontrolliert und auf die er – gleich einem „psychologischen Zwang“, der ihm eine VerhalPsychologie2, 354 f. u. 369; Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 29. zur operanten Konditionierung mithilfe von Verstärkern s. Forster, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 97 (115–118); Myers, Psychologie2, 357– 360. 342  Ausführl. zur operanten Konditionierung, die sich des (risikobehafteten) Mittels der Bestrafung bedient, s.  Forster, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 97 (116); Myers, Psychologie2, 361 f. 343  Vgl. das Vorwort von W. Correll zu Skinner, Futurum Zwei, 9 (10 f.). 340  Myers,

341  Ausführl.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

tensalternative „unmöglich“ macht – automatisch reagiert344. Die diesbezüglichen Grundlagen geschaffen hat der zur Berühmtheit gelangte Pawlow’sche Hund: ein Versuch, in dem Pawlow den beim Hund angeborenen (unkonditionierten) Reflex345 der Speichelabsonderung durch Lernbedingungen dergestalt beeinflusste, dass er nicht nur auf den angeborenen (unkonditionierten) Reiz der nahenden Fütterung, sondern auch auf einen beeinflussten (konditionierten) Reiz, etwa den eines Glockenzeichens346, erfolgte. Im Einzelnen: In der Ausgangssituation des Versuchs löste die nahende Futtergabe beim Hund den angeborenen Reflex der Speichelabsonderung aus, während das Glockenzeichen noch einen neutralen Reiz bildete, auf welchen der Hund nicht mit diesem Reflex reagierte. Gegenstand des folgenden Lernprozesses bildete die Kombination der Futtergabe mit dem Glockenzeichen, bis der Hund das Ertönen des Glockenzeichens mit der Fütterung assoziierte. Nach mehrfacher Wiederholung dieser Kombination konstatierte man als Lernerfolg die Speichelabsonderung des Hundes bereits bei Ertönen des Glockenzeichens, ohne dass jenes mit einer Fütterung kombiniert sein musste. Der angeborene (unkonditionierte) Reflex der Speichelabsonderung bei nahender Fütterung war hier zu einem im Wege der Beeinflussung herbeigeführten (konditionierten) Reflex bei Glockenzeichen erweitert worden347. Dass einem solchen Lernprozess nicht nur Tiere zugänglich sind, haben erst in neuerer Zeit die Experimente von Gottfried und seinen Kollegen bestätigt, in denen die Präsentation abstrakter Computerbilder mit der Zuführung eines Erdnussbutter- und Vanilleeisduftes kombiniert wurde. Über be344  Vorstehende Zitate nach v. Feuerbach, Lehrbuch, 13 (§ 12), u. ders., Revi­ sion / 1, 40; zur Def. der klassischen Konditionierung s. Myers, Psychologie2, 354, 368 u. 369. 345  Zu den Def. von unkonditionierter und konditionierter Reaktion (hier: unkonditioniertem und konditioniertem Reflex) sowie von unkonditioniertem und kondi­ tioniertem Stimulus (hier: Reiz) s. Myers, Psychologie2, 344. Dabei bildet der Begriff des „Reflexes“ streng genommen einen die Abfolge von Reiz und Reaktion umfassenden Oberbegriff; Forster, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 97 (99 u. 104). Da der Begriff der Reaktion vorliegend aber auch mit Blick auf die Rechtsfolgen eines Tatbestandes zur Verwendung kommt, wird ihm im Zusammenhang mit der Konditionierung nachfolgend der Begriff des „Reflexes“ vorgezogen, um et­ waigen begrifflichen Unklarheiten vorzubeugen. 346  Ebenso wurden die Reize eines Summers, des Lichts, der Berührung eines Beines und des Sehens eines Kreises konditioniert; Myers, Psychologie2, 344. 347  Zusammengefasst bei Forster, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 97 (105 f.), u. Myers, Psychologie2, 343 f. (m. Ausführungen zur Entstehungsgeschichte der einschlägigen Experimente); Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 34; neben and. Versuchsaufbauten referiert von Pawlow, in: ders., Reflexe, 15 (19 f. m. erstmaliger Def. des unbedingten und bedingten Reflexes), 42 (45 f.), 52 (54), 60 (64 f. u. 69). Zum Lernprozess der Konditionierung s. auch Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 139 f.

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 229

gleitende Abbildungen der Gehirnaktivität konnte der Nachweis einer Konditionierung auch menschlicher Probanden geführt werden, wenn nicht erst der reale Duft der Süßigkeiten in ihnen (unkonditionierte) Hungergefühle weckte, sondern die beteiligten Hirnregionen bereits auf das Betrachten der abstrakten Bilder mit einer erhöhten (konditionierten) Aktivität reagierten348. Noch aus älterer Zeit stammt demgegenüber die Studie von Watson und Rayner, die einen Hinweis auf die Konditionierung spezifischer menschlicher Ängste geben wollte: In selbiger wurde „Albert“, ein erst elf Monate altes Kind, mit dem Anblick einer weißen Ratte konfrontiert. Sobald er – noch frei von konditionierten Ängsten – die Ratte neugierig berühren wollte, schlugen die Versuchsleiter direkt hinter seinem Kopf mit einem Hammer gegen eine Eisenstange. Zunächst nur verängstigt durch das laute Geräusch, reagierte der bemitleidenswerte Albert schließlich bereits auf den Anblick der Ratte mit einer konditionierten Angstreaktion349. Jenes (von Pawlow begründete und anderen fortgeführte) Prinzip der Konditionierung durch Assoziation findet sich nun – modifiziert – auch bei Eysenck in seiner Konditionierung zu straffreiem Verhalten350. Wenigstens für die Kindeserziehung zielt Eysenck auf die Auslösung einer sog. „konditionierten Vermeidungsreaktion“351, indem die Versuchungssituation eines Regelverstoßes wiederholt und gleichförmig mit (Angst vor) einer maßvollen352 Strafe, etwa dem in früherer Zeit noch üblichen „Klaps“, gekoppelt wird. In der Folge dieser Koppelung soll der kindliche Adressat die frag­ liche Versuchungssituation mit drohender Strafe assoziieren und sie in der Folge zu vermeiden suchen, nicht weil dies seiner bewussten Entscheidung entspringt, sondern weil er dieses Vermeidungsverhalten als ein automatisiertes (reflexbedingtes bzw. konditioniertes) Verhalten für sich verinnerlicht hat353. Ja, gar die bloße „Benennung“ seines Verhaltens als unerwünscht („schlecht“, „schlimm“, „böse“ oder ähnliches) soll bewirken können, dass das Kind die entsprechenden Verhaltensweisen „durch Assoziation als po348  Gottfried / O’Doherty / Dolan, Science 2003, 1104; darauf hinweisend Myers, Psychologie2, 344. 349  Eine Angstreaktion, die sich im weiteren Verlauf gar noch ausweitete und gleichermaßen einen Hasen (oder ein Kaninchen), einen Seehundfellmantel und ­dergl. mehr erfasste (sog. Generalisierung); s. dazu Forster, in: Stalmann, KindlerHdb. Psychologie, 97 (108 f.); Myers, Psychologie2, 352. 350  Zu Modifizierungen des Pawlow’schen Prinzips der Konditionierung in diesem Zusammenhang s. Seite  230 [a. E. des vorliegenden Gliederungspunktes b)]. 351  Zu diesem Begriff s. Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 144 f.; Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 37. 352  Zum rechten Maß (statt Übermaß der Strafe) s. Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 215. 353  Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 143; Schwind, Kriminologie21, § 6, Rn. 37.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

tentiell gefährlich, Bestrafung wirkend, und insbesondere als Erzeuger von konditionierten Angst- und Furchtreaktionen“ einordnet354. Seine so erzielte Prägung wirkte bis in seine späteren Lebensjahre (kriminalitätshemmend) fort, während abweichende Konditionierungsprozesse in der Kindheit den Grund für eine kriminelle Laufbahn legen könnten355. Wenn v.  Feuerbachs Grundthese der negativen Generalprävention nun dergestalt verstanden wird, dass die Strafandrohung dem sinnlichen Antrieb des Menschen zur Tat eine andere „sinnliche Triebfeder“356 entgegensetzen soll, die es ihm „psychologisch unmöglich“357 macht, Rechtsverletzungen zu begehen oder sich hierzu nur zu entschließen, könnte in dieser „psychologischen Unmöglichkeit“ eben eine solche konditionierte Vermeidungsreaktion gesehen werden, wie sie in Eysencks Konditionierung zu straffreiem Verhalten dargelegt ist. Die Aussicht auf drohende Strafe wäre hierfür als ein unkonditionierter Reiz zu verstehen, d. h. als ein Reiz, der von Natur aus und mithin ohne weitere Beeinflussung zu einem (gleichermaßen unkonditionierten) Reflex der Angst und in der Folge zu einem angstbedingten Verzicht auf solche Verhaltensweisen führte, die eine Strafe nach sich ziehen. Koppelt man diesen unkonditionierten Reiz der Aussicht auf Strafe nun mit dem Reiz der Versuchungssituation eines bestimmten Normverstoßes, indem man auf den fraglichen Verstoß wiederholt die rechtliche Reaktion der Strafe folgen lässt, erreichte man, dass der (potenzielle) Täter die konkrete Versuchungssituation mit drohender Strafe assoziierte und auf diesen Tatanreiz den nunmehr konditionierten Reflex des Tatverzichts zeigte. Nachdem dieses Prinzip im Pawlow’schen Hund seinen Anfang genommen hat, verwundert es nicht, wenn diese Art des negativ-generalpräventiven Wirkmechanismus zuweilen mit dem Begriff der „Dressur“ umschrieben wird358. Dabei kann einer bereits angewandten Strafe die konkludente Drohung entnommen werden, dass die Strafe erneut zur Anwendung gelangen wird, falls ein bestimmtes Verhalten wiederholt werden sollte359. Freilich wären in einer solchen Auslegung negativ-generalpräventiver Wirkweisen Modifizierungen des Pawlow’schen Prinzips zu konstatieren: So 354  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 144. 355  Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 135 u. 161. 356  v. Feuerbach, Revision / 1, 44 f. 357  v. Feuerbach, Revision / 1, 40. 358  Vgl. etwa Hassemer, Strafrecht, 107, der es ebda. jedoch unterlässt, nach kommunikativen, konditionierenden und beobachtend-nachahmenden Mechanismen zu differenzieren. 359  Vgl. die entsprechende Einschätzung zur Abgrenzung der Nötigungsmittel von Gewalt und Drohung mit Gewalt im Rahmen der §§ 240, 249 StGB: Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 403 m. w. N.

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit231

bezöge sich die intendierte Konditionierung nicht etwa auf einen neutralen Reiz (wie es das Glockenzeichen nach Pawlow darstellte), sondern erstreckte sich auf eine „Versuchungssituation“, die ob der erwarteten Vorteile aus der Tatbegehung im wahrsten Sinne des Wortes eine Versuchung birgt. Zwar stellte auch diese Versuchungssituation insofern einen zunächst neutralen Reiz i. S. d. Konditionierung dar, als sie keine automatisierte (reflexbedingte) Vermeidungssituation auslöst. Wohl aber wirkte sie als positiver „Anreiz“ für eine tatbejahende Entscheidung360. Eine erfolgreiche Konditionierung stellte sich damit als erschwert dar, soll doch jener positive „Anreiz“ negativ, also entgegengesetzt, konditioniert werden. Gelingen könnte dies nur unter der von v.  Feuerbach formulierten Prämisse, dass diejenige „sinnliche Triebfeder“361, die überwiegt, obsiegt: Übersteigt der negative Reiz der Strafandrohung mithin den positiven Anreiz der in Aussicht gestellten Tatvorteile, würde es dem potenziellen Täter „psychologisch unmöglich“362 gemacht, dem Anreiz zur Tatbegehung nachzugeben363. In eben diesem Sinne vertritt auch Eysenck die Ansicht, dass über das sozial akzeptierte Verhalten eines Kindes letztlich die Relation zwischen der „Stärke der Versuchung“ und der „Stärke der konditionierten Vermeidungsreaktion“ entscheide364. c) Die Mechanismen eines Lernprozesses der Beobachtung mit dem intendierten Lernerfolg der Nachahmung Angesichts dessen, das vorliegend die Mechanismen eines negativ-generalpräventiv ausgerichteten Strafgesetzes ihre Erörterung finden sollen, bedarf letztlich aber der Hervorhebung, dass Eysenck nicht etwa der abschreckenden Wirkung der Strafe einen konditionierten Lernerfolg zubilligen will. Im Gegenteil schreibt er staatlichen Strafen, die abschrecken sollen, gar einen negativen, die kriminelle Haltung verhärtenden Effekt zu365. Er ist vielmehr von einer durch Strafe bewirkten Gewissensbildung überzeugt, 360  Zum „Lernen durch Erfolg“ vgl. oben die Ausführungen zur operanten Konditionierung auf den Seiten 226 f. [a)]. 361  v. Feuerbach, Revision / 1, 44 f. 362  v. Feuerbach, Revision / 1, 40. 363  „Die Uebertretungen werden daher verhindert, wenn jeder Bürger gewiß weis, daß auf die Uebertretungen ein größeres Uebel folgen werde, als dasjenige ist, welches aus der Nichtbefriedigung des Bedürfnisses nach der Handlung (als einem Object der Lust) entspringt“ [sic]; v. Feuerbach, Revision / 1, 45 f. (Rechtschreibung aus dem Orig. entnommen u. zur Erleichterung des Leseflusses nur am Zitatende mit [sic] gekennzeichnet). Siehe dazu auch bereits oben Seite  203 f. [B. III. 1.]. 364  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 144 f. 365  Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 195.

232

Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

wenn er die Gesamtheit der konditionierten Reaktionen als „Basis“ für das versteht, „was wir normalerweise als unser Gewissen bezeichnen. Gewissen ist tatsächlich ein konditionierter Reflex“366. Einmal erfolgreich vollzogen, vermöge ein dergestalt konditioniertes Gewissen bereits die „bloße Idee vom Verbrechen“ zu unterbinden, indem es konditionierte Vermeidungsreaktionen aktivierte, die ein Gegengewicht zu etwaigen positiven Tatanreizen bildeten und als solches „sehr viel Einfluß“ darauf ausübten, „daß das Verbrechen überhaupt nicht begangen wird“367. Insofern meinte man Eysenck noch weniger mit dem originären Konzept der negativen Generalprävention in Verbindung bringen zu können als mit denjenigen – bereits vorgestellten368 – Theorien, die dem Mittel der Furcht keine unmittelbare (abschreckende) Wirkung, sondern eine nur vermittelnde Wirkung auf dem Weg zu einer weitergehenden Sittenbildung zuschreiben. Auch diese vermittelnde Wirkung sieht Eysenck aber in der Biographie des späteren Straftäters (anders als im Kindesalter) behindert, in der zwischen das Verbrechen und die nachfolgende Bestrafung i. d. R. ein erhebliches Zeitintervall gesetzt ist, während eine erfolgreiche Konditionierung aber der unmittelbaren Reaktion bedarf369. Insofern bezeichnet er es allenfalls als „vorstellbar, […] daß der Häftling zu der Zeit, wenn er verurteilt wird, die Umstände des Verbrechens ideational wiederholen mag, indem er in Worten oder Bildern darüber nachdenkt. Es ist möglich, daß der Zusammenhang zwischen diesen Bildern und der tatsächlichen Verübung des Verbrechens stark genug ist, um ein gewisses Maß an Konditionierung zu verstärken“370. Selbst wenn man der Vorstellung von einer solchen „ideationale[n] Darstellung“371 der Tatbegehung folgen wollte, wüssten Eysencks Ausführungen auf der Grundlage des Pawlow’schen Prinzips schließlich immer noch nur einen konditionierenden Lernprozess mit spezialpräventiver Zielrichtung darzulegen, der auf der konkreten Anwendung von Strafe aufbaute: Kondi­ tioniert würde das Verhalten des individuellen, abgestraften Täters. Demgegenüber bedürfte es für einen konditionierenden Lernprozess mit generalpräventiver Zielrichtung einiger ergänzender Überlegungen: Ein solcher nämlich müsste seine Wirkung gegenüber der Allgemeinheit entfalten, welche die fühlbare rechtliche Reaktion der Strafe und darin enthaltene konkludente Drohung wiederholter Strafanwendung nicht selbst erfährt, sondern allenfalls 366  Eysenck, 367  Eysenck,

Kriminalität und Persönlichkeit3, 147. Kriminalität und Persönlichkeit3, 147 f. m. vorstehenden Zitaten

a. a. O., 148. 368  Siehe oben Seite  204–211 [B. III. 2.]. 369  Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 137 (unter Bezugnahme auf das Gesetz des integrativen Lernens von O. H. Mowrer) u. 147. 370  Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 190. 371  Eysenck, Kriminalität und Persönlichkeit3, 190.

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit233

als Reaktion auf das Verhalten Anderer beobachtet. Mangelt es gar auch an einer solchen Beobachtung des Zusammenhangs von Versuchungssituation und konkreter Strafanwendung (beispielsweise anlässlich von Verurteilungen im sozialen Umfeld, durch Lektüre von Gerichtsentscheidungen oder Kenntnisnahme einschlägiger Medienberichte), verbleibt für die zu konditionierende Allgemeinheit gar nur die abstrakte Strafandrohung im Gesetz, die den konditionierenden Zusammenhang von Reiz und Reflex – stellvertretend für eine konkrete Strafanwendung – nur auf dem Papier vor Augen zu führen wüsste. In einem Lernprozess von generalpräventiver Zielrichtung stellte sie – neben der Beobachtung konkreter Strafanwendung, die aber nur selektiv auf die Allgemeinheit wird wirken können – den einzigen Faktor dar, mittels dessen der konditionierende Zusammenhang von Strafe und Versuchungs­ situation an die Allgemeinheit heranzutragen versucht werden könnte. Die „psychologische Unmöglichkeit“, wie sie das negativ-generalpräventive Grundkonzept v. Feuerbachs zitiert, würde gegenüber der Allgemeinheit also weniger durch eine klassische Konditionierung im eigentlichen Sinne als durch ein sog. „Beobachtungslernen“ verwirklicht werden können, wie es bereits anlässlich der „weitergeleiteten“ Kommunikation im positiv-generalpräventiv motivierten Lernprozess zur Erwähnung gelangt ist. So ist ebenda die sozial-kognitive Lerntheorie Banduras angeführt worden, nach der Verhaltensweisen stellvertretend durch die Beobachtung des Verhaltens Anderer – maßgeblich dessen von Bezugspersonen oder sonstigen Autoritäten – angeeignet werden („Lernen am Modell“)372. Übertragen auf den negativ-generalpräventiv motivierten Lernprozess beobachtete der „zu belehrende“ potenzielle Täter die strafende Reaktion der Autorität „Recht“ auf eine bestimmte Verhaltensweise. Diese ahmte er nach, ohne dass er sie gleich in welcher Form verstehend nachvollzogen haben müsste: Allein ob der Beobachtung übernähme der potenzielle Täter die strafende Reaktion dergestalt als eigene, dass er die fragliche Verhaltensweise einerseits bei Anderen ablehnte als auch entsprechende Verhaltensimpulse in sich selbst „mit strafender Gesinnung“ unterdrückte. Wenigstens den Hinweis auf solch ein den Konditionierungsprozess begleitendes Beobachtungslernen meint man auch bei Eysenck formuliert zu finden, wenn er das kindliche Vermeidungsverhalten in Reaktion auf solche Verhaltensmuster ausgebildet sieht, „die alle eine Sache gemeinsam haben – daß sie von Eltern und Lehrern, von Geschwistern und Verwandten mißbilligt werden und daß sie, in der Vergangenheit, häufig mit Bestrafung assoziiert wurden […]“373. 372  Siehe

oben Seite  220 f. [I. 2. b)]. Kriminalität und Persönlichkeit3, 144; ausdrücklich zu einer „stellvertretenden Konditionierung höherer Ordnung“: Bandura, in: ders., Lernen am Modell, 115 (116). 373  Eysenck,

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

III. Eine Abgrenzung der Mechanismen generalpräventiver Wirkweisen In einer zusammenfassenden Abgrenzung der vorgestellten Lernmechanismen positiv- und negativ-generalpräventiver Prägung ist es mithin die angestrebte „Einsicht“, die den positiv-generalpräventiv motivierten Lernprozess von solchen Lernprozessen scheidet, die negativ-generalpräventiv geprägt sind und allenfalls mittelbar auch ein positiv-generalpräventiv gefärbtes Nahziel der Sittenbildung in ihr Konzept aufnehmen. Mit einer solchen „Einsicht“ strebt der kommunikativ gestaltete Lernprozess positiv-generalpräventiver Zielsetzung einen Lernerfolg des Inhalts an, dass die Allgemeinheit die Wert- und Unrechtsvorstellungen des Rechts in das eigene Bewusstsein adaptieren soll. Ihr vorgelagert ist das unmittelbare Kommunikationsziel eines Verständnisses selbiger Wert- und Unrechtsvorstellungen, welche das Recht mittels konkreter Strafverhängung wie auch abstrakter Strafandrohung an die Allgemeinheit heranträgt. Eine solche „Einsicht“ in verstandene Wert- und Unrechtsvorstellungen findet sich in negativ-generalpräventiv ausgerichteten Lernprozessen nicht, ob man sie nun – i. S. e. „psychologischen Unmöglichkeit“ – als klassisch konditionierend, als beobachtend oder aber – i. S. e. rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation – als kommunikativ begreift. In einen vollkommenen Gegensatz hierzu treten die klassisch konditionierenden oder beobachtenden Lernprozesse, die auf die Herbeiführung einer „psychologischen Unmöglichkeit“ ausgerichtet sind. So ist die Zielsetzung eines Lernprozesses der klassischen Konditionierung statt der „Einsicht“ eine automatisierte, reflexbedingte Vermeidungsreaktion. Selbige wird nicht durch Verständnis, sondern durch die Prägung eines konditionierten Reflexes (Tatverzicht) herbeigeführt, indem ein neutraler Reiz (Versuchungssituation) mit einem unkonditionierten Reiz (Angst vor Strafe) gekoppelt wird. Entsprechend strebt ein beobachtender Lernprozess statt „Einsicht“ die bloße Imitation der strafenden Reaktion des Rechts an, ohne dass jener Imitation der Weg durch Verständnis bereitet sein muss. Demgegenüber finden sich im negativ-generalpräventiv motivierten Lernprozess, dem eine rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation zugrunde gelegt wird, durchaus Überschneidungen zu seinem positiv-generalpräventiven Pendant: Beide Lernprozesse lassen sich auf kommunikative Mechanismen zurückführen, die in einem ersten Schritt das unmittelbare Kommunikationsziel der Verständigung und in einem zweiten Schritt einen auf dieser Verständigung aufbauenden übergeordneten Kommunikationszweck oder Lernerfolg anstreben. Der maßgebliche Unterschied der beiden Lernprozesse ist hier nicht in den – gleichermaßen kommunikativen – Mechanismen, sondern in der Defini­ tion des primären Kommunikationsziels wie übergeordneten Kommunika­

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tionszwecks angesiedelt. Im Gegensatz zum kommunikativen Lernprozess positiv-generalpräventiver Zielsetzung nämlich beschränkt sich das primäre Kommunikationsziel eines negativ-generalpräventiven Lernprozesses darauf, ein Verständnis des Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Verhalten und der nachfolgenden Strafe zu vermitteln, sowie der übergeordnete Kommunikationszweck bzw. intendierte Lernerfolg darauf, diesen verstandenen Zusammenhang in eine eigennützige Kosten-Nutzen-Kalkulation einfließen zu lassen. Er erfasst nicht die Wert- und Unrechtsvorstellungen, die dem Recht zugrunde liegen, und die der einzelne Bürger im Rahmen eines positiv-generalpräventiv ausgerichteten Verständnisses als maßgeblich als für sein eigenes Wert- und Unrechtsbewusstsein anerkennen soll. Ob nun das Verständnis des Zusammenhangs von Verhalten und nachfolgender Strafe einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation als Grundlage dient, die strafende Reaktion verständnislos imitiert oder im Wege klassischer Konditionierung verinnerlicht wird: stets werden nicht die Unrechtsund Wertvorstellungen nachvollzogen, welche das Recht aus positiv-generalpräventiver Sicht zum Ausdruck zu bringen und im Wege einer „Einsicht“ in das Bewusstsein der Allgemeinheit zu transferieren versucht. Darauf weisen auch Modifikationen der Grundthese negativer Generalprävention hin, wie sie etwa von Haffke und Andenaes vorgenommen worden sind: Diese erkennen als Ziel negativ-generalpräventiver Wirkung zwar eine „Sittenbildung“ an (und stimmen insoweit mit dem Strafzweck der positiven Generalprävention) überein, räumen zugleich jedoch ein, dass sich diese Sittenbildung auf eine durch Furcht bewirkte Selbstdisziplinierung und Habitualisierung beschränke und mithin nicht den Grad einer autonomen (auf Verständnis und Anerkennung beruhenden) Einsicht erreiche. In negativgeneralpräventiv motivierten Lernprozessen ist es mithin die strafende Reaktion, die imitiert, bzw. die „Furcht“, die klassisch konditionierend wirken oder auch rational gegen den Nutzen einer Verhaltensweise abgewogen werden soll – nicht die „Einsicht“, die ob der erkannten Sinnhaftigkeit des abverlangten Verhaltensverzichts motivieren soll.

D. Die Freiheit von Wertungswidersprüchen als generalpräventive Wirksamkeitsvoraussetzung Aus der damit geleisteten Konkretisierung der Mechanismen, die einer generalpräventiven Wirkung den Weg ebnen sollen, wird nun auf die Voraussetzungen generalpräventiver Wirkmechanismen (Wirksamkeitsvoraussetzungen) geschlossen werden können.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

I. Die verfassungsrechtlichen Grenzen eines generalpräventiven Strafens Als Wirksamkeitsvoraussetzungen bezeichnet die Untersuchung diejenigen Bedingungen, auf deren Verwirklichung der Eintritt einer postulierten generalpräventiven Wirkung angewiesen ist bzw. bei deren Nicht-Verwirk­ lichung das Scheitern der generalpräventiven Zielsetzung prognostiziert werden muss. Hiervon gilt es die verfassungsrechtlichen Grenzen generalpräventiver Strafzwecke zu unterscheiden. Letztere gelten unabhängig davon, ob eine intendierte generalpräventive Wirkung nur bei ihrer Beachtung zu erwarten ist, sondern sind der Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung geschuldet. Klassisches Beispiel einer solchen verfassungsrechtlichen Grenze präventiver Strafzwecke ist das Gebot einer Proportionalität von Tat und Strafe, welches die Rechtsprechung des BVerfG dem Rechtsstaatsprinzip entlehnt. Demnach muss der mit der Strafe verbundene Grundrechtseingriff nicht nur mit Bezug auf das Präventionsziel (der erzieherischen Beeinflussung oder Abschreckung), sondern auch mit Bezug auf den Anlass des strafenden Eingriffs (die Anlasstat) verhältnismäßig sein: Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt, die Strafzumessung nach der Schuld des Täters, der subjektiven Vorwerfbarkeit der Tat, erfolgen374. Dies hindert nicht, in dieser verfassungsrechtlichen Grenze präventiver Strafzwecke zugleich eine präventive Wirksamkeitsvoraussetzung zu sehen: Hassemer etwa erkennt jene Proportionalität für die positive Generalprävention als theorieimmanent an und veranschaulicht selbiges an der Terminologie positiv-generalpräventiver Theorien, welche die Funktion des Strafrechts dergestalt umschreiben, dass es auf den Normbruch des Täters „antworte“ oder eine „Prävention durch Vergeltung“ verwirkliche. „Antwort“ (auf die Tat) sowie „Vergeltung“ (der Tat) seien im eigentlichen Wortsinne auf eine an der Tat ausgerichtete Sanktion bezogen375. Ebenso macht Müller-Dietz den Erfolg einer Normstabilisierung von eben dieser bereits verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeit der Strafe zur Anlasstat abhängig: Nur die „gerechte“ (i. S. v. „schuldangemessene“) Strafe habe einen stabilisierenden Effekt376. Ungeachtet dessen, ob man nun in diesem Sinne die 374  BVerfGE 20, 323 (331); 45, 187 (228); 50, 205 (215); 73, 206 (253); 90, 145 (173). Siehe dazu bereits oben Seite  186 f. [A. III.], wo überdies die (zusätzliche) Herleitung eines Gebots der Proportionalität von Tat und Strafe aus den absoluten Straftheorien erläutert wird. 375  Hassemer, ZIS 2006, 266 (267 f.); ders., Strafrecht, 45 u. ähnl. 56 f. 376  Müller-Dietz, in: Vogler, FS-Jescheck / 2, 813 (823 f.); in diesem Sinne auch Noll, in: Geerds / Naucke, FS-Mayer, 219 (224); darauf hinweisend Lüderssen, in: Hassemer / Lüderssen / Naucke, Generalprävention, 54 (57 f.). Anders die gängige

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Proportionalität der Strafe zur Anlasstat als Bedingung erfolgreicher Generalprävention formuliert, ist selbige jedenfalls bereits den Verfassungsinhalten zu entnehmen, beansprucht mithin auch dann Geltung, wenn man sie nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung anerkennt. Ebenso ist im vorangegangenen Abschnitt über die „Einheit der Rechtsordnung“ dargelegt worden, wie die Wertungswiderspruchsfreiheit des Rechts einer Bindung des Gesetzgebers an den (durch weitere Verfassungsgrundsätze – nämlich durch Grundrechtsbindung, Normenklarheit i. w. S. und Verhältnismäßigkeit – ausgefüllten) Gleichheitssatz folgt377. Auch hier stellt sich überdies die Frage, ob eine in diesem Sinne bereits verfassungsrechtlich begründete Wertungswiderspruchsfreiheit zugleich auch als Wirksamkeitsvoraussetzung eines generalpräventiv ausgerichteten Strafrechts fungiert, für die vorliegende Untersuchung: inwiefern die behauptete positivgeneralpräventive Zielsetzung, eine Vorstellung vom grundrechtlich bzw. subsidiär naturwissenschaftlich definierten Wert des ungeborenen Lebens und Unrecht seiner Tötung zu vermitteln, auf eine Gleichbehandlung (bzw. sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung) jedenfalls des postnidativen ungeborenen Lebens zum geborenen Leben sowie des ungeborenen Lebens in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstufen angewiesen ist. II. Von den Mechanismen zu den Voraussetzungen generalpräventiver Wirkweisen In Beantwortung dieser Frage richtet die Untersuchung ihren Blick auf die vorangehend festgestellten Mechanismen generalpräventiver Wirkung: maßgeblich auf die Mechanismen der oben näher charakterisierten Lernprozesse. 1. Positiv-generalpräventive Lernprozesse: „Verständnisvolle Einsicht“ in Wert- und Unrechtsvorstellungen

Zunächst zu den Mechanismen eines positiv-generalpräventiv motivierten Lernprozesses, wie er für die theoretischen Ansätze einer klassischen positiven Generalprävention und diejenigen einer „positiv-generalpräventiv wirkenden Vergeltung“ herausgearbeitet worden ist: Selbiger ist dergestalt als kommunikativ definiert worden, dass er als übergeordneten Kommunikationszweck eine „Einsicht“ der Allgemeinheit in rechtliche Wert- und Unrechtsvorstellungen anstrebt und zu eben diesem Zweck das vorangehenKritik an einer „Maßlosigkeit“ relativer Straftheorien; s. dazu oben Seite  186 f. [A. III.]. 377  Zsfd. dazu oben Seite  177 [Abschn.  2, E. III.].

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

de unmittelbare Kommunikationsziel verfolgt, ein Verständnis der durch konkrete Strafanwendung und abstrakte Strafandrohung präsentierten Wertund Unrechtsvorstellungen zu vermitteln. Erst auf der Grundlage eines solchen Verständnisses kann von den einzelnen Bürgern als Teil der Allgemeinheit erwartet werden, dass sie das Verstandene als Lernerfolg in ihr eigenes Werte- und Unrechtssystem adaptieren und in einer „weitergeleiteten“ Kommunikation an andere Bürger weitergeben378. Wenn die vorliegende Überschrift mithin von „verständnisvoller Einsicht“ schreibt, meint sie dies im buchstäblichen Sinne, dass die Allgemeinheit die ihr präsentierte Haltung des Rechts verstehend nachvollziehen haben muss, um sie „erfüllt von diesem Verständnis“ zu ihrer eigenen zu machen. Während die „Einsicht“ so das wesentypische Merkmal eines positiv-generalpräventiv motivierten und kommunikativ ausgestalteten Lernprozesses bildet, ist das Verständnis jener Einsicht als conditio sine qua non vorausgesetzt. a) Die nicht erkennbare sachliche Begründung einer Ungleichbehandlung: Eine Kommunikationsstörung Kommunikationswissenschaftlich setzt jenes primäre Kommunikationsziel der Verständigung nun seinerseits zunächst voraus, dass bezüglich eines Themas eine in der Situation ausreichende Kompatibilität von jeweils individuellen Erfahrungen hergestellt wird379. Bereits notwendigerweise erschwert durch die grundsätzliche Differenz individueller Welttheorien380, kann die Herstellung einer solchen Kompatibilität zusätzlich noch durch die Verwendung missverständlicher Zeichen, Sprachbarrieren, mangelnde Aufmerksamkeit oder dergleichen mehr behindert werden381. In diesem Sinne bildete eine gesetzliche Ungleichbehandlung des wesentlich Gleichen dann eine Kommunikationsstörung, wenn sie zwar aus einem gewichtigen sachlichen Grund erfolgte – insofern also keinen Wertungswiderspruch produzierte – und jene sachliche Begründung für den Adressaten 378  Zum übergeordneten Zweck („Einsicht“) und unmittelbaren Ziel („Verständnis“) der direkten Kommunikationsbeziehung zwischen Recht und Allgemeinheit s. oben Seite  214 f. [C. I. 1. c)]. Zur „Weiterleitung“ der Kommunikation des Rechts s. oben Seite  216–223 [C. I. 2.]. 379  Siehe dazu Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 262 („Überlappung […] intersubjektive[r] Teile von verschiedenen Welttheorien“); Schmidt / Zurstiege, Kommunikationswissenschaft, 167 f.; Ungeheuer, in: ders., Kommunikationstheoretische Schriften / 1, 290 (316). 380  Sog. Prinzip der Fallibilität; Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 276. Zur individuellen Welttheorie nach Ungeheuer s. ebda., 260–263. 381  Vgl. Ungeheuer, in: ders., Kommunikationstheoretische Schriften / 1, 70 (74 f.) u. 290 (338).

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des Gesetzes nur nicht erkennbar hervorträte. Man könnte an eine solche Kommunikationsstörung prima facie etwa an denjenigen Stellen des Strafgesetzbuches denken, an denen es sich schematisierender Zäsuren bedient: zu Beginn des pränatalen Lebensschutzes, wenn es den Schutz der „Leibesfrucht“ erst mit dem 14. Tag nach der Empfängnis beginnen lässt (§ 218 Abs. 1 S. 2 StGB), zwölf Wochen nach der Empfängnis, wenn es die Möglichkeit eines nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs unter Wahrnehmung eines Konfliktberatungsangebots entfallen lässt (§ 218a Abs. 1 StGB) und am Ende des pränatalen Lebensschutzes, wenn es den Anwendungsbereich der allgemeinen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte erst mit der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ – dem Einsetzen der Eröffnungswehen bzw. Öffnen des Uterus – eröffnet sieht382. Für all diese Zäsuren und mit ihnen einhergehenden Ungleichbehandlungen im Lebensschutz sind verschiedentlich (mögliche) sachliche Gründe vorgebracht worden, denen ein Verständnis gemein ist, nach dem jene Zäsuren Zeitabschnitte markieren, innerhalb derer der Lebensschutz auf die symbiotische Verbindung zwischen Schwangerer und dem Ungeborenen und deren Auswirkungen auf Schutzfähigkeit wie Verhaltensrecht reagieren müsse383. Vorbehaltlich einer weiteren Prüfung, ob diese Begründungsansätze überhaupt zu überzeugen vermögen, förderte die Formulierung einer zeitlichen Zäsur jedoch wenigstens ein abweichendes Verständnis des Empfängers: nämlich ein Bewusstsein nicht von der Gleichwertigkeit der verschiedenen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens, die nur aus gewichtigen sachlichen Gründen ungleich behandelt werden, sondern von der Ungleichwertigkeit der verschiedenen Entwicklungsstadien, die erst mit fortschreitender Entwicklung einen sich sukzessiv erhöhenden Lebensschutz erfahren. Nahezu plakativ will sich ein solcher Eindruck angesichts der Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ aufdrängen, wenn sie das menschliche Leben gar in unterschiedliche Rechtsgüter – das Leben der „Leibesfrucht“ einerseits, dasjenige des geborenen Menschen andererseits – unterteilt. Wüsste die symbiotische Verbindung zwischen Schwangerer und Ungeborenem solche zeitliche Zäsuren im Lebensschutz nun tatsächlich – entsprechend der verfassungsgerichtlichen und gesetzgeberischen Postulatio – sachlich statt persönlich zu begründen, würde sich die Kritik am Strafgesetz nicht aus verfassungsrechtlicher, sondern 382  Zu jenen Zäsuren und den durch sie markierten Ungleichbehandlungen s. ausführlich die Kap. 4 (strafgesetzliche „Menschwerdung“), Kap. 6 (nicht indizierter Schwangerschaftsabbruch), Kap. 7 (Nidationsverhütung). 383  Zu einer ausführlichen Erörterung der möglichen sachlichen Gründe für eine Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ s. Kap. 4, Seite  289 ff. [Abschn.  3, B. I.]; für ein Beratungs- statt Indikationenmodell innerhalb der ersten zwölf Wochen seit der Empfängnis s. Kap. 6, Seite  565 ff. [Abschn.  2, A.]; für eine Ausnahme der Nidationsverhütung von den Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch s. Kap. 7, Seite  688 ff. [Abschn.  2].

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

nur aus positiv-generalpräventiver Sicht erklären384: Während ein nach den Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG definierter Wertungswiderspruch noch verneint werden könnte, störte die Formulierung missverständlicher Zäsuren und mithin fehlende Erkennbarkeit sachlicher Gründe jedenfalls die Kommunikation mit der Allgemeinheit. Ein Verständnis des Inhalts, dass Ungleichbehandlungen im Lebensschutz verschiedener Entwicklungsstadien sachlich begründet sind, würde erheblich erschwert und stattdessen ein Missverständnis des Inhalts gefördert, dass jene Ungleichbehandlungen unterschiedliche Wertigkeiten des menschlichen Lebens widerspiegelten und mithin persönlich begründet wären385. b) Die fehlende sachliche Begründung einer Ungleichbehandlung: Eine „positiv-generalpräventive Paradoxie“ Eine andersartige Einbuße trüge der positiv-generalpräventiv motivierte Lernprozess dann davon, wenn Ungleichbehandlungen im Lebensschutz tatsächlich nicht sachlich begründet werden können und mithin Wertungswidersprüche innerhalb der Rechtsordnung produzieren. Es sind jene Wertungswidersprüche, die den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden. Sie entstehen nicht erst auf dem „Transportweg“ der rechtlichen Inhalte – in dem Sinne, dass das Recht seine (bis dato widerspruchsfreien) Inhalte an die Allgemeinheit sendete, die Allgemeinheit als Empfänger seine Inhalte aber abweichend auslegte. Wenn das Gesetz vermeintlich für gleich (schutzwürdig) Erachtetes tatsächlich ohne sachlich gewichtigen Grund verschieden behandelt, ist eine solche Widersprüchlichkeit den rechtlichen Inhalten stattdessen von vornherein eigen386. Ein Gesetzesadressat, der jene Widersprüchlichkeit erkannte, erläge keinem Missverständnis, sondern empfinge die rechtlichen Inhalte so, wie sie auch formuliert worden sind. Die kongruente Wahrnehmung und mit ihr eine gelungene Verständigung von „Sender“ und „Empfänger“ wäre durch 384  Zur Abgr. von solchen gesetzlichen Ungleichbehandlungen, deren positiv-generalpräventive Unangemessenheit sich aus dem Fehlen eines legitimen Zwecks oder ihrer Ungeeignetheit, fehlenden Erforderlichkeit oder sonstigen Unangemessenheit zur Zweckverwirklichung erklärt, sodass sie sich gleichermaßen der verfassungsrechtlichen wie auch der positiv-generalpräventiven Kritik aussetzen, vgl. oben Seite  174 f. [Abschn.  2, E. II. 2.], u. sogleich Seite  240–243 [b)]. 385  Zur positiv-generalpräventiven Botschaft schematisierender Zäsuren vgl. die Ausführungen in Kap. 4, Seite  306 f. [Abschn.  3, B. III.]; Kap. 6, Seite  564 [Abschn.  2, vor A.] m. Fn. 82; Kap. 7, Seite  745 [Abschn.  2, D. III. 2.]. 386  Zur Def. des Wertungswiderspruchs s. oben Seite  140 f. [Abschn.  1, B. III.]; zur verfassungsrechtlichen Konkretisierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit durch den allgemeinen Gleichheitssatz s. oben Seite  162 ff. [Abschn.  2, E.].

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die vorliegend diskutierten Wertungswidersprüchlichkeiten mithin nicht in Frage gestellt. Für die „Einsicht“, die ein positiv-generalpräventiv motiviertes Recht als übergeordneten Kommunikationszweck verfolgt, bedarf es nun aber mehr als nur einer kongruenten Wahrnehmung von Sender und Empfänger. Um Wert- und Unrechtsvorstellungen im Wege der Kommunikation erfolgreich vermitteln zu können, müssen die Gesetze, die jene Vorstellungen konkretisieren und den Gegenstand der Kommunikation bilden, stattdessen selbst inhaltlichen Anforderungen genügen, nämlich in einer Gesamtschau auf konsistente Wert- und Unrechtsvorstellungen der Rechtsordnung schließen lassen387. Unter Bezugnahme auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung würde etwa ein Verständnis von der Gleichwertigkeit des postnidativen menschlichen Lebens – wie sie Verfassungsrechtsprechung und Gesetzgebung postulieren – durch dessen ohne sachlichen Grund erfolgende Ungleichbehandlung in Frage gestellt388. Entsprechend erschwerte eine grundlose Ungleichbehandlung des pränidativen ungeborenen Lebens – für den Fall, dass man seine Teilhabe am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG anerkannte – ein Verständnis seiner Gleichwertigkeit zu späteren Entwicklungsstadien menschlichen Lebens, ebenso – für den Fall, dass man nur seine biologische Gleichheit zu anderen pränidativen Embryonen anerkannte – ein Verständnis vom Wert jener frühen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens389. Während die einen gesetzlichen Normen dem Rechtsgut des ungeborenen Lebens einen bestimmten Wert und seiner Tötung einen bestimmten Unrechtsgehalt zuwiesen, würden andere gesetzliche Normen – für einen abgewandelten Kontext – grundlos eine hiervon abweichende Bewertung treffen. Insofern mag man den Wertungswiderspruch als eine „positiv-generalpräventive Paradoxie“ bezeichnen: Der Adressat des Gesetzes würde so zwar nicht mit paradoxen Handlungsaufforderungen390, wohl aber mit paradoxen Wertungen konfrontiert. 387  Zu einer entsprechenden Einschätzung der Konsistenz von Normen als soziales Entwicklungskapital in der Kindeserziehung vgl. Coleman, Sozialtheorie / 2, 352 f. m. Rz.  593; Stecher, Wirkung sozialer Beziehungen, 83 f. m. w. N. 388  Zur Subsumtion des postnidativen ungeborenen und geborenen Lebens unter einen gemeinsamen, grundrechtlich definierten Oberbegriff s. Seite  165 [Abschn.  2, E. I. 1. a)]. 389  Zu den Alternativen eines grundrechtlich oder naturwissenschaftlich definierten tertium comparationis für den pränidativen Ungeborenenschutz s. Seite 170–173 [Abschn.  2, E. I. 2. b) u. c)]. 390  Zu paradoxen Handlungsaufforderungen als Gegenstand sog. pragmatischer Paradoxien s.  Watzlawick / Beavin / Jackson, Menschliche Kommunikation3, 174 u. 178 f.

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Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

„[V]erstehen setzt voraus, daß es etwas Verstehbares gibt“391 – mangelt es der Rechtsordnung an einer Wertungsklarheit, bleibt es der individuellen Wahrnehmung des jeweiligen Gesetzesadressaten überlassen, wie er die ihm präsentierten Wertungswidersprüche aufzulösen versucht. In der Rezeption des Empfängers kann ein solcher Widerspruch etwa zu einem „Nullum“ führen, wenn gegenläufige Wertungen einander in ihrer Aussagekraft neutralisieren392: Weder die Aussage von der einen Wertigkeit noch diejenige von der anderen Wertigkeit würde Geltung beanspruchen. Für diesen Fall würde mithin gar keine rechtliche Wertvorstellung vermittelt und bliebe die Wahl einer (individuellen!) Wertentscheidung stattdessen dem Adressaten selbst belassen. Zu demselben Ergebnis gelangte eine selektive Rezeption des Adressaten: Von den gegenläufigen Wertungen selektierte der Adressat diejenige, die mit seinem eigenen individuellen Wertebewusstsein am ehesten harmoniert393. Eine Bewusstseinsprägung durch das Recht würde in beiden Fällen verfehlt. Der Zielsetzung eines positiv-generalpräventiv ausgerichteten Rechts, das auf eine „Einsicht“ seiner Adressaten hinzuwirken sucht, wäre eine Beeinträchtigung der Wertungsklarheit damit nicht weniger abträglich als eine Beeinträchtigung der Klarheit über den Normbefehl, die nach allgemeiner Ansicht der Abhilfe bedarf394. Mehr noch, setzten sich die Ungleichbehandlungen, die ein solches Recht verwirklichte, auch dem verfassungsrechtlichen Vorwurf der Unangemessenheit aus: Insofern ist vorangehend zu einem verfassungsrechtlich begründeten Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit ausgeführt worden, wie eine sachlich nicht begründete 391  Nach Pessoa, Buch der Unruhe, 182 (Fragment 176): „Die Vernunft ist der Glaube an etwas, das man ohne Glauben verstehen kann; doch bleibt es noch immer ein Glaube, denn verstehen setzt voraus, daß es etwas Verstehbares gibt“; Hervorhebungen nicht im Original. 392  Vgl. Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (146); ähnl. Belling, Rechtfertigungsthese, 94. 393  Zu einer solchen aktiven Rezeption durch selektive Wahrnehmung vgl. etwa Klapper, Mass Communication, 19 u. 21–23; Lazarsfeld / Berelson / Gaudet, The People’s Choice2, 80–82; Riley / Riley, in: Merton / Broom / Cottrell, Sociology Today, 537 (545 f.); schließlich die zitierten Studien bei Rinke / Lück, in: Mok / Stahl, Politische Kommunikation, 219 (225 f.). Für einen Überblick über Studien zur selektiven Wahrnehmung des Informationsangebots, beginnend mit Festingers Theorie der ­kognitiven Dissonanz aus den 1950er Jahren bis hin zu aktuellen Forschungen aus dem Jahr 2009, vgl. weiterführend Rinke / Lück, a. a. O., 219 (221–228). 394  Vgl. zum unvermeidbaren Normwiderspruch oben Seite  140 [Abschn.  1, B. II. a. E.]. Zur Vereitelung einer Wertungsklarheit des Gesetzes durch Wertungswidersprüche vgl. bereits oben Seite  152 f. [Abschn.  2, B. II. 2.]; ebenso Seite  140 f. [Abschn. 1, B. III.]. Vgl. außerdem die eingangs gezogenen Parallelen von positiver Generalprävention als Straftheorie einerseits, Kontrolltheorien als Kriminalitätstheorie andererseits: Eine inkonsistente Präsentation des Rechts beraubte sich gleichermaßen der Möglichkeit, i. S. d. Kontrolltheorien als ein Halt gebender Faktor zu wirken.

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Ungleichbehandlung – also eine solche, die keinen legitimen Zweck verfolgt oder zu seiner Verwirklichung keine geeigneten, erforderlichen, angemessenen Mittel einsetzt – auch deshalb nicht verhältnismäßig sein kann, weil sie in ihrer Wertungswidersprüchlichkeit die positiv-generalpräventive Funktion eines der Gleichwertigkeitsthese verpflichteten Ungeborenenschutzes unterläuft395. Die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung ist mithin in mehrerer – positiv-generalpräventiver wie verfassungsrechtlicher – Hinsicht zu zurückhaltend verfasst, wenn das BVerfG ebenda zwar dem Wortlaut nach allgemein formuliert, dass „das Rechtsbewußtsein […] durch widersprüchliche rechtliche Bewertungen verunsichert [wird]“396, dem Entscheidungskontext aber zu entnehmen ist, dass es diese Formulierung nicht auf die vorliegend diskutierten Wertungswidersprüche, sondern nur auf – im Übrigen vermeidbare – Normwidersprüche erstreckt397. 2. Lernprozesse negativ-generalpräventiver Zielsetzung: „Verständnislose Furcht“ vor oder Imitation von Strafe

Demgegenüber dürfte sich in negativ-generalpräventiv geprägten Lernprozessen keine entsprechende Problematik aus Wertungswidersprüchlichkeiten ergeben, ob nun das Verständnis des Zusammenhangs von Verhalten und nachfolgender Strafe einer rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation als Grundlage dient, die strafende Reaktion verständnislos imitiert oder im Wege klassischer Konditionierung verinnerlicht wird. Stets wird zwar insofern eine Widersprüchlichkeit zu vermeiden sein, als der zu erlernende Zusammenhang, der zwischen einem bestimmten Verhalten und der nachfolgenden Strafe besteht, konsequent zu wiederholen ist. So wird als Voraussetzung erfolgreicher Konditionierung benannt, dass auf dasselbe Verhalten wiederholt und gleichförmig reagiert wird. Dasselbe Verhalten wäre also im Wiederholungsfall stetig zu bestrafen, soll die Strafe als Reiz wirken und den Reflex des Verhaltensverzichts auslösen. Auch in einem auf Nachahmung ausgerichteten Lernprozess gilt es den zu imitierenden Zusammenhang, der zwischen einem bestimmten Verhalten und der nachfolgenden Strafe besteht, beizubehalten, soll die Anregung zur Imitation der strafenden Reaktion nicht durchbrochen werden. Dies trifft schließlich auch für diejenige Interpretation negativ-generalpräventiver Wirkmechanismen zu, die jene als rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation und mithin als kommunikativen Lernprozess begreift, innerhalb dessen das Verständnis des Zusammen395  Siehe oben Seite  174 f. [Abschn.  2, E. II. 2.], in Abgr. zur vorangehend auf den Seiten 238 ff. [a)] dargestellten bloßen Kommunikationsstörung. 396  BVerfGE 88, 203 (278). 397  Siehe dazu bereits oben Seite  143 [Abschn.  1, C.].

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hangs von Verhalten und nachfolgender Strafe das primäre Kommunika­ tionsziel bildet: Ein entsprechendes Verständnis der Strafe als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretender Nachteil einer Verhaltensweise, der in Abwägung zu deren Nutzen treten muss, wird nur dann gebildet werden, erfährt der Adressat der Kommunikation die Strafe als sicher wiederkehrende Konsequenz eines bestimmten Verhaltens. Wertungswidersprüchlichkeiten, wie sie vorliegend als Ungleichbehandlung menschlichen, für gleichwertig erachteten Lebens ohne sachlichen gewichtigen Grund verstanden werden, stellen nun aber nicht eine solche im Wiederholungsfall inkonsistente Behandlung desselben Verhaltens dar. Wertungswidersprüchlichkeiten tangieren stattdessen die Ungleichbehandlung vergleichbarer, aber nicht identischer Verhaltensweisen. Besonders anschaulich lässt sich dies am gern zitierten Spannungsfeld der Tatbestandslosigkeit der Nidationsverhütung (§ 218 Abs. 1 S. 2 StGB) bei gleichzeitigem Verbot der Stammzellgewinnung unter Strafandrohung (§ 2 Abs. 1 ESchG) verdeutlichen. Durch die Einnahme von Nidationsverhütungsmitteln wird ebenso wie durch die Entnahme von Stammzellen ein pränidativer Embryo getötet; insofern scheinen die Verhaltensweisen zunächst vergleichbar, was den Unrechtsgehalt der Tötung und das Tatobjekt eines pränidativen Embryos betrifft. Identisch sind sie gleichwohl nicht, geht es in dem einen Fall doch um die Einnahme eines den Embryo intrakorporal tötenden Medikaments, in dem anderen Fall um die den extrakorporal erzeugten und aufgezogenen Embryo tötende Entnahme von Stammzellen. Bestrafte das Gesetz die extrakorporale Stammzellentnahme nun wiederholt und gleichförmig, könnte diese Strafe klassisch konditionierend wirken (d. h. den konditionierten Reflex des Verzichts auf Stammzellentnahme auslösen), imitiert werden oder auch als sichere Folge einer Stammzellentnahme verstanden werden. Maßgeblich für einen solchen negativ-generalpräventiv angestrebten Lernerfolg wäre allein der konkrete Kausalzusammenhang von Verhalten und nachfolgender Strafe; dass in einem anderen Zusammenhang – wie dem der Einnahme von Nidationsverhütungsmitteln – auf die Bestrafung eines nur entsprechenden Verhaltens verzichtet wird, tangierte ihn hingegen nicht. Gleiches wird für die Ungleichbehandlungen des geborenen Lebens zum ungeborenen Leben in vivo wie auch für die Ungleichbehandlungen der „Leibesfrucht“ in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien Geltung beanspruchen: Nach der verfassungsgerichtlichen und – dem folgend – gesetzgeberischen Postulatio ist das menschliche Leben in diesen verschiedenen Stadien seiner Entwicklung gleichwertig, nämlich nimmt gleichermaßen am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG teil. Seine Tötung verwirklichte in der Folge ein vergleichbares Unrecht. Knüpft die Rechtsordnung an seine Tötung nun unterschiedliche Rechtsfolgen an, gleichwohl sie ein vergleichbares Unrecht verwirklichen soll, er-

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 245

schwerte dies in einer Gesamtschau der verschiedenen gesetzlichen Vorschriften zwar eine positiv-generalpräventiv bedingte „Einsicht“ in (vermeintlich) gemeinsame Wert- und Unrechtsvorstellungen. Ein negativ-generalpräventiver Lernerfolg würde hingegen nicht unterlaufen, sofern nur die Tötung im jeweiligen konkreten Entwicklungsstadium wiederholt und gleichförmig bestraft würde. Diese Irrelevanz von Wertungswidersprüchlichkeiten für den negativ-generalpräventiv motivierten Lernprozess sieht sich durch obige Ausführungen bestätigt, die dargelegt haben, wie solche Widersprüche (nur) für ein Verständnis der zu transportierenden Wert- und Unrechtsvorstellungen schädlich sind. Im Gegensatz zum positiv-generalpräventiv motivierten Lernprozess nämlich setzt ein negativ-generalpräventiv motivierter Lernprozess kein solches Verständnis voraus, gleich ob ihm nun Mechanismen der klassischen Konditionierung, der Imitation oder auch der Kommunikation zugrunde gelegt werden398. So kann also auch ein Wertungswiderspruch „furchteinflößend“ sein und nach dem theoretischen Konzept einer negativen Generalprävention unmittelbar abschreckend wirken und mittelbar auch zu einer Sittenbildung beitragen. III. Die „Einsicht“ in und die „Furcht“ vor der Abtreibungsgesetzgebung Demnach stellen sich Wertungswidersprüche für diejenigen Mechanismen, die einer (auf „Sittenbildung“ ausgerichteten) negativen Generalprävention zugrunde gelegt werden, also als unschädlich dar, während sich für die Wirkmechanismen des Durkheim’schen Konzeptes positiver Generalprävention sowie der „positiv-generalpräventiv wirkenden Vergeltung“ eine strafzwecktheoretisch begründete Problematik der Wertungswidersprüchlichkeit ergibt. Ein Strafgesetz, welches die Zielsetzung der „Sittenbildung“ verfolgt, muss mithin nicht zwingend frei von Wertungswidersprüchen sein, um seiner Zielsetzung gerecht zu werden – wohl aber muss ein solches Strafgesetz wertungswiderspruchsfrei sein, das den Anspruch formuliert, seine sittenbildende Wirkung nicht auf eine durch „Furcht“ vermittelte Habitualisierung von Sicht- und Verhaltensweisen zu beschränken, sondern zu einer Anerkennung gemeinsamer Wert- und Unrechtsvorstellungen durch die „Einsicht“ in deren Richtigkeit beizutragen. Dem deutschen Strafgesetzbuch, das der präventiven Vereinigungstheorie folgt, sind – wie eingangs dieses Abschnittes bereits ausgeführt worden ist – nun beide generalpräventiven Zielsetzungen eigen, durch „Furcht“ wie 398  Siehe

dazu auch bereits oben Seite  234 f. [C. III.].

246

Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

auch durch „Einsicht“ auf das Bewusstsein seiner Gesetzesadressaten einwirken zu wollen399: Indem die abstrakte gesetzliche Strafandrohung ein sozialethisches Unwerturteil über bestimmte Verhaltensweisen ausspricht und dem von der jeweiligen Norm geschützten Rechtsgut einen unter Strafandrohung zu achtenden Stellenwert zuweist, soll zunächst die normative Integration seiner diesbezüglich „einsichtigen“ Gesetzesadressaten erhalten und gestärkt werden; ebenso soll ihr Vertrauen auf die Durchsetzungskraft der Rechtsordnung Bestätigung erfahren, wenn die Strafe konkret zur Anwendung kommt und das fragliche Wert- und Unrechtsurteil so exemplarisch veranschaulicht wird. Während eine (intendierte und unterstellte) positivgeneralpräventive Wirkung so die zentrale Zielsetzung der Strafgesetze bildet, soll sie um eine (ihrerseits intendierte und unterstellte) negativ-generalpräventive Wirkung ergänzt werden, wenn den Adressaten des Strafgesetzbuches durch abstrakte Strafandrohung wie konkrete Strafverhängung und Strafvollstreckung vor Augen geführt werden soll, welche Konsequenzen mit dem abweichenden Verhalten einhergingen, und hiervon eine die Allgemeinheit abschreckende Wirkung erwartet wird400. Jene Kombination verlautbarter positiv- und negativ-generalpräventiver Wirkweisen tritt auch in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen hervor, soweit das BVerfG ebenda die Strafzwecke der Abtreibungsgesetzgebung behandelt hat. So hat das Gericht der „sichtbare[n] Reaktion im Einzelfall“ wie auch der „bloße[n] Existenz einer solchen Strafandrohung“ auch deshalb die Eignung zugesprochen, Einfluss auf die Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung zu nehmen, weil das „Wissen um die Rechtsfolgen im Falle ihrer Übertretung […] eine Schwelle [bilde], vor deren Überschreitung viele zurückschrecken“401. Insofern ist es also das negativ-generalpräventive Mittel der „Furcht“, das nach dem verlautbarten Willen des Gerichts ein positiv-generalpräventives Nahziel der „Sittenbildung“ verwirklichen soll402. Dass aber auch und vor allem das originär positiv-generalpräventive Mittel der „Einsicht“ bewusstseinsbildend wirken soll, tritt sodann besonders eindrücklich hervor, wenn das Gericht das Für und Wider einer Regelung des frühen403 Schwangerschaftsabbruchs nach dem Indikationen- oder alternativ Tatbestandsmodell diskutiert: Für diesen 399  Siehe

dazu bereits oben Seite  185 f. [A. III.]. dazu auch Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 33. 401  BVerfGE 39, 1 (57). 402  Zu positiv-generalpräventiven Elementen der Modifikationen des v.  Feuer­ bach’schen Grundkonzeptes zur negativen Generalprävention („Sittenbildung durch Abschreckung“) s. oben Seite  204–211 [B. III. 2.]. 403  Nämlich desjenigen Schwangerschaftsabbruchs, der sich noch innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis vollziehen soll; s. dazu § 218a Abs. 1 StGB. 400  Siehe

Abschn. 3: Strafzwecktheoretisch begründete Wertungswiderspruchsfreiheit 247

Fall nämlich erkennt es die „Abschreckungswirkung“ der Strafandrohung als kontraproduktiv, soweit ein Schutz des ungeborenen Lebens auch durch die Beratung beeinflussbarer Frauen verwirklicht werden soll. Es wäre zu befürchten, dass die Aussicht auf formelle Sanktionen weniger von der Tatbegehung als von der Wahrnehmung eines lebensschützenden Beratungsangebots abschreckte: „[G]erade Frauen, bei denen die Voraussetzungen einer Indikation fehlten, und darüber hinaus auch solche, die dem Ausgang eines Indikationsfeststellungsverfahrens nicht trauten, würden ihre Schwangerschaft angesichts der Strafandrohung vorsorglich geheim halten und sich daher weithin einer helfenden Beeinflussung durch Umgebung und Beratungsstellen entziehen“404. Nach Überzeugung des Gerichts drohte das negativ-generalpräventive Mittel der „Furcht“ insofern weniger, Straftaten zu verhindern, als die Tatbegehung der betroffenen Frauen nur in die Illegalität zu verlagern. In der Folge hält es die Rechtsordnung in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis dazu an, „die grundgesetzlich gebotene rechtliche Mißbilligung des Schwangerschaftsabbruchs auch auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen als mit dem Mittel der Strafdrohung“405: Durch die Normierung eines Tatbestandsausschlusses soll das Strafgesetz herauskehren, wie es zwar bereit ist, die „furchteinflößende“ Strafandrohung, nicht aber das Verbot für den frühen, nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch zurückzunehmen und wie es insbesondere keinen Rechtfertigungsgrund anzuerkennen gewillt ist. Auf diesem Wege soll eine Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs verlautbart werden, die sich über das Strafgesetz hinaus auch in anderen Teilrechtsordnungen manifestiert406, und ihrerseits Straftaten vorbeugt, indem sie in einem ersten Schritt das Verständnis und in einem nachfolgenden Schritt die „Einsicht“ der Allgemeinheit wie der jeweiligen Täterin sucht: das Verständnis der jeweiligen Täterin, wenn ihr in einer verpflichtenden Beratung der Wert des ungeborenes Lebens ebenso wie der fortbestehende Unrechtsgehalt dessen Tötung vor Augen geführt wird, das Verständnis der Allgemeinheit, wenn jene das Unrecht des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs allein anhand des Postulats einer Rechtswidrigkeit nachvollziehen soll407. Strafandrohung und konkrete Strafanwendung, die einem negativ-generalpräventiven Recht als abschreckende Mittel dienen, werden innerhalb des zu § 218a 404  BVerfGE

39, 1 (56). 39, 1 (46 u. ähnl. 1 m. LS 4); vgl. BVerfGE 88, 203 (258). Näher zu jenem Konzept von „Hilfe statt Strafe“ s. im weiteren Verlauf der Untersuchung die Widerspruchsanalyse in Kap. 6, Seite  566–572 [Abschn.  2, A. I. u. ebda., II.]. 406  Vgl. BVerfGE 88, 203 (273 f. u. 279). Zur Verwirklichung der positiv-generalpräventiven Zielsetzung im Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung s. bereits oben Kap. 2, Seite  126 f. [Abschn.  2, A. II.]. 407  Ausführl. hierzu an späterer Stelle in Kap. 6, Seite  570 f. [Abschn.  2, A. II.]. 405  BVerfGE

248

Kap. 3: Formulierung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit

Abs. 1 StGB entwickelten Beratungskonzeptes so zurückgenommen, um stattdessen einen Rechtsgüterschutz zu verwirklichen, der sich innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis auf einer „quasi spezialpräventiven“ Ebene408 vornehmlich durch Hilfen für die Schwangere und auf einer generalpräventiven Ebene durch eine „Einsicht“ der Allgemeinheit in die postulierte Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs vollzieht. In diesem Sinne obliegt es dem strafgesetzlichen Ungeborenenschutz also, eine Vorstellung vom Wert des ungeborenen Lebens und vom Unrecht seiner Tötung zu vermitteln, sodass die Allgemeinheit als Gesetzesadressat jene nachvollziehen und verinnerlichen kann. Eine solche Zielsetzung ist durch die vorangegangenen Ausführungen als Erfolg eines kommunikativen Lernprozesses spezifiziert worden, der eine Adaption jener verstandenen Wertungen in das Bewusstsein der Allgemeinheit zum übergeordneten Kommunikationszweck sowie deren Verständnis zum vorausgehenden unmittelbaren Kommunikationsziel hat. Ob dieses – der „Einsicht“ vorausgesetzten – Verständnisses ist eine solche Zielsetzung darauf angewiesen, das Auftreten von – jenem Verständnis abträglichen – Wertungswidersprüchen zu vermeiden. Das im vorangegangenen Abschnitt über die „Einheit der Rechtsordnung“ verfassungsrechtlich begründete Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit erfährt damit auch strafzwecktheoretisch seine Begründung: Die positiv-generalpräventive Zielsetzung, eine Vorstellung vom grundrechtlich bzw. subsidiär naturwissenschaftlich definierten Wert des ungeborenen Lebens und Unrecht seiner Tötung zu vermitteln, setzt ein wertungswiderspruchsfreies Recht voraus, das menschliches Leben in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien ohne sachlichen Grund nicht ungleich behandelt.

408  Nur „quasi spezialpräventiv“ versucht die Rechtsordnung hier Einfluss nehmen, weil das Beratungsmodell auf eine nur potenzielle Täterin einzuwirken anstrebt. Der Begriff der Spezialprävention nimmt demgegenüber auf eine Besserung desjenigen Täters Bezug, der eine Straftat bereits begangen hat und aus Anlass dieser Straftat durch das Strafgesetz zur Verantwortung gezogen wird.

Kapitel 4

Die Analyse ausgewählter Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch auf Wertungswidersprüche – Einleitende Bemerkungen –

Nachdem damit die Erwartung einer Wertungswiderspruchsfreiheit des Rechts, maßgeblich des Strafrechts auf dem Gebiet des Schutzes ungeborenen Lebens, formuliert und begründet worden ist, wird sich die Untersuchung in den folgenden Kapiteln den §§ 218 ff. StGB zuwenden, denen die Aufgabe zukommt, den Schutz des ungeborenen Lebens gemäß den verfassungsgerichtlichen Feststellungen zu verwirklichen und einen positiv-generalpräventiven Transfer von Unrechts- und Wertvorstellungen zu ermöglichen. Bevor die Untersuchung einzelne ausgewählte Regelungen einer näheren Betrachtung unterziehen wird, sollen im vorliegenden Kapitel aber noch einige grundlegende Bemerkungen zu Gegenstand und Gang der weiteren Analyse (Abschnitt 1) wie auch zum Regelungskomplex der §§ 218 ff. StGB (Abschnitt 2 und 3) gemacht werden. Dabei werden die Abschnitte 2 und 3 in den grundlegenden Bemerkungen zum Regelungskomplex der §§ 218 ff. StGB solchen Fragestellungen nachgehen bzw. den Weg bereiten, die den einzelnen, innerhalb der §§ 218 ff. StGB verwirklichten Ungleichbehandlungen vorgelagert sind. So wird der zweite Abschnitt die von der Abtreibungsgesetzgebung geschützten Rechtsgüter beschreiben und zugleich das (formale) Verhältnis darstellen, in das diese Rechtsgüter durch Systematik und Ratio der §§ 218 ff. StGB gestellt werden. Ein Ausblick wird die später aufzunehmende Fragestellung formulieren, ob dieses beschriebene formale Rechtsgüterverhältnis nicht etwa durch eine wertungswidersprüchliche Ausgestaltung und Anwendung der Vorschriften in sein Gegenteil verkehrt wird. Im Anschluss an jenen zweiten Abschnitt, der mit dem Leben der „Leibesfrucht“ das von den §§ 218 ff. StGB (formal) primär geschützte Rechtsgut benennt, wird sich Abschnitt 3 sodann der sog. Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ zuwenden, die diese „Leibesfrucht“ innerhalb des Strafgesetzbuchs vom geborenen Menschen scheidet. Nachdem die nachfolgenden Kapitel 5 bis 7 darauf abzielen werden, ausgewählte Vorschriften zum Schutz des ungeborenen Lebens mit den Vorschriften zum Schutz des „Menschen“ i. S. d. Strafrechts zu verglei-

250

Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

chen, ist jene Zäsur für das Untersuchungsinteresse von grundlegender Bedeutung: Indem sie das Ende des Anwendungsbereichs der §§ 218 ff. StGB und den Beginn des Anwendungsbereichs der §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB markiert, ist sie der gemeinsame Ursprung aller Ungleichbehandlungen, die das Strafgesetzbuch für den Schutz der „Leibesfrucht“ im Verhältnis zum Schutz des geborenen Menschen formuliert. Abschnitt 1

Gang und Gegenstand der einfachgesetzlichen Analyse – Ungleichbehandlungen trotz Gleichwertigkeit – „Sie [die Einheit der Rechtsordnung] verbietet, daß Wertungswidersprüche entstehen. Aber sie beantwortet nicht, ob das der Fall ist“. (Hans-Ludwig Günther1)

Was zunächst den Gang der nachfolgenden einfachgesetzlichen Analyse betrifft, hat das dritte Kapitel das Postulat von der „Einheit der Rechtsordnung“ spezifiziert und mithin die verfassungsrechtlichen Gründe dafür dargelegt, dass auch die Entstehung von Wertungswidersprüchen verboten sein sollte. Ob und inwieweit der Ungeborenenschutz in den §§ 218 ff. StGB von solchen Wertungswidersprüchen gekennzeichnet ist, ist bis dato jedoch noch unbeantwortet geblieben. Dies soll nun der Arbeitsauftrag der nachfolgenden Kapitel sein, die sich der Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ und dem daraus entwickelten verfassungsrechtlichen Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit als „Arbeitshypothese“2 bedienen werden, indem sie das Schutzkonzept der §§ 218 ff. StGB auf Wertungswidersprüche untersuchen, die das dritte Kapitel mit Verstößen gegen den auch an den Gesetzgeber gerichteten allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG) identifiziert hat3. In Anknüpfung an die Ergebnisse des dritten Kapitels wird die nachfolgende einfachgesetzliche Analyse mithin verschiedene Vorschriften zum Schutz des menschlichen Lebens vergleichend betrachten: Vorschriften zum Schutz des ungeborenen Lebens in seinen verschiedenen Entwicklungsstadi1  Günther, Strafrechtswidrigkeit, 98; Hervorhebungen im Zitat dem Orig. entnommen; erläuternder [Klammerzusatz] von der Verfasserin eingefügt. 2  Siehe oben Kap. 3, Seite  179 f. [Abschn.  2, F.]. Zur Bezeichnung der Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ als „bloße Arbeitshypothese“ s. Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (10). 3  Siehe oben Kap. 3, Seite  141 f. [Abschn.  1, B. III. a. E.], Seite  162 f. [Abschn.  2, E. vor I.] u. 177 [Abschn.  2, E. III.].



Abschn. 1: Gang und Gegenstand der einfachgesetzlichen Analyse

251

en werden einander und den durch die Zäsur des Geburtsbeginns geschiedenen Vorschriften zum Schutz des geborenen Menschen gegenübergestellt. So sollen Ungleichbehandlungen von wesentlich Gleichem benannt werden, die die Rechtsordnung offenbart, wenn sie menschliches Leben zu schützen sucht. In einem zweiten Schritt gilt es sodann, mögliche sachliche Gründe darauf hin zu untersuchen, ob sie die besagten Ungleichbehandlungen rechtfertigen können. Den so skizzierten Untersuchungsgang werden die nachfolgenden Kapitel – nach einigen grundlegenden Bemerkungen zum Regelungskomplex der §§ 218 ff. StGB – auf die „Kernvorschriften“ der Abtreibungsgesetzgebung anwenden, um das Schutzkonzept der §§ 218 ff. StGB quasi „stichwortartig“ auf Wertungswidersprüche zu untersuchen. Dabei richtet die Untersuchung ihr Augenmerk darauf, strafgesetzliche Vorschriften zu allen Entwicklungsstadien des (intrakorporalen4) ungeborenen Lebens zu behandeln, die das Strafgesetz differenziert: § 218 Abs. 1 S. 2 StGB zur Tötung des Embryos in vivo5 vor seiner Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut (die Nidationsverhütung)6, § 218a Abs. 1 StGB zur Tötung des Ungeborenen bis zu zwölf Wochen nach der Empfängnis (der nicht indizierte Schwangerschaftsabbruch nach dem Beratungskonzept)7 und § 218a Abs. 2 StGB zur Tötung des Ungeborenen bis zum Einsetzen der Eröffnungswehen bzw. bis zur Öffnung des Uterus (die medizinisch-soziale Indikation)8. In jeder dieser durch das Gesetz ausdrücklich für relevant erklärten „Lebensstufen“9 erfährt das Ungeborene unterschiedliche Einschränkungen seines Lebensschutzes, deren sachliche Rechtfertigung – gerade ob ihrer Unterschiedlichkeit und Abhängigkeit vom jeweiligen Stadium der pränatalen Entwicklung – einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden soll.

4  Intrakorporal in Abgrenzung zu denjenigen Entwicklungsstadien ungeborenen Lebens, die sich bei künstlicher Befruchtung oder anderen „in vitro“ („im Reagenzglas“) vollzogenen Entstehungstatbeständen – wie dem Zellkerntransfer – außerhalb des weiblichen Körpers (extrakorporal) vollziehen. 5  „In vivo“ („im Mutterleib“) in Gegenüberstellung zu „in vitro“ („im Reagenzglas“). 6  Erörtert in Kap. 7 (Seite  670–754). 7  Erörtert in Kap. 6 (Seite  541–669). 8  Erörtert in Kap. 5 (Seite  310–540). 9  In Anlehnung an Hesse, Stufen, in: Michels, Lied des Lebens, 197; jedenfalls von „Stufungen“ der strafgesetzlichen Schutzintensität spricht etwa auch Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (118).

252

Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

A. Der Vergleich des postnidativen Ungeborenenschutzes mit den Vorschriften zum Schutz des „Menschen“ i. S. d. Strafrechts Für die Vorschriften zum Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens findet eine vergleichende Gegenüberstellung mit den Vorschriften zum Schutz des geborenen „Menschen“ – wie in den vorangegangenen Kapiteln 2 und 3 dargestellt – ihren Grund in der Wahl eines grundrechtlichen ter­ tium comparationis. Insofern hat das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen den objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG dergestalt konkretisiert, dass das geborene und jedenfalls postnidative ungeborene Leben gleichwertig an ihm teilhaben. Die Begriffe „Jeder“ und „Mensch“ i. S. der besagten Grundrechtsgarantien werden als „menschliches individuelles Leben“ definiert und umfassen als solches neben dem geborenen Leben jedenfalls auch das postnidative ungeborene Leben in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen. Vermittelt über eine grundrechtliche Wertung, stellen sich das geborene und jedenfalls postnidative ungeborene Leben so als wesentlich gleich dar und bedarf ihre rechtliche Ungleichbehandlung in der Folge einer den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden Rechtfertigung10. Angesichts dessen, dass hier elementare, die physische Existenz wahrende und entsprechend gleich zu Beginn der Verfassung in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Rechte betroffen sind, wird sich die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlungen dabei danach beurteilen, ob für sie ein gewichtiger sachlicher Grund in das Feld geführt werden kann bzw. ob sie den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen, indem sie einen legitimen Zweck verfolgen und zu dessen Verwirklichung geeignete, erforderliche und angemessene Mittel einsetzen11. In diesem Sinne wird mit der Zäsur einer so genannten strafgesetzlichen „Menschwerdung“ noch im vorliegenden Kapitel zunächst der gemeinsame Ursprung aller durch die §§ 218 ff. StGB verwirklichten Ungleichbehandlungen zwischen dem postnidativen ungeborenen Leben und dem geborenen Leben seine Erörterung finden12. Indem sie denjenigen Zeitpunkt kennzeichnet, zu dem die „Leibesfrucht“ zum Menschen i. S. d. Strafrechts wird und der Anwendungsbereich der Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch in denjenigen der Vorschriften zu den allgemeinen Tötungsdelikten übergeht, nimmt 10  Siehe eingehend dazu Kap. 2, Seite  65 ff. [Abschn.  1, B.], u. im Anschluss hieran Kap. 3, Seite  165 [Abschn.  2, E. I. 1. a)]. 11  Siehe dazu Kap. 3, Seite  174 f. [Abschn.  2, E. II. 2.]. 12  Erörtert auf den Seiten 271–309 [Abschn.  3].



Abschn. 1: Gang und Gegenstand der einfachgesetzlichen Analyse

253

sie für die Untersuchung eine Schlüsselrolle ein, deren einfachgesetzliche Analyse – wie ausgeführt – maßgeblich darauf abzielen wird, ausgewählte Vorschriften zum Schutz des ungeborenen Lebens mit den Vorschriften zum Schutz des „Menschen“ i. S. d. Strafrechts zu vergleichen. Sodann wird die Untersuchung vom Allgemeinen zum Besonderen schreiten und die einzelnen, durch die §§ 218 ff. StGB verwirklichten Ungleichbehandlungen auf eine mögliche sachliche Begründung hin untersuchen: So erfährt etwa die Tötung des mit der Schwangeren symbiotisch verbundenen Ungeborenen durch § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB eine gesetzliche Rechtfertigung, die der Schwangeren in vergleichender Gegenüberstellung mit den Voraussetzungen des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) erheblich erleichtert wird. Noch weitergehend befreit der Gesetzgeber die Schwangere für die frühen Stadien der Schwangerschaft, nämlich die ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis, auch von diesen im Vergleich zu § 34 StGB bereits reduzierten Bindungen, indem er den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs bereits dann als „nicht verwirklicht“ ansieht, wenn nur die in § 218a Abs. 1 StGB enumerativ angeführten (Verfahrens‑)Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Ob sich jene Ungleichbehandlungen auf einen legitimen Zweck berufen können und ob jener Zweck den Anforderungen zu genügen weiß, die Art. 3 Abs. 1 GG an den gewichtigen sachlichen Grund einer Ungleichbehandlung stellt und mithin im Zusammenwirken mit Art. 1 Abs. 3 GG für die Wertungswiderspruchsfreiheit einer Rechtsordnung formuliert, wird einer näheren Prüfung unterzogen werden müssen.

B. Der Vergleich des pränidativen Ungeborenenschutzes mit den Vorschriften zum Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens Demgegenüber mangelt es für den pränidativen Ungeborenenschutz, wie in den Kapiteln 2 und 3 ausgeführt, an einem verfassungsrechtlich bzw. verfassungsgerichtlich vorgegebenen tertium comparationis. Die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG haben es insofern der gesetzgeberischen Entscheidung überlassen, seiner wertungswiderspruchsfreien, den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG genügenden Konkretisierung des pränidativen Ungeborenenschutzes einen grundrechtlich oder naturwissenschaftlich definierten Oberbegriff als tertium comparationis zugrunde zu legen13. So könnte der Gesetzgeber die Entscheidung getrof13  Eingehend zur Unentschiedenheit der pränidativen Entwicklungsphase s. oben Kap. 2, Seite  105–111 [Abschn.  1, B. I. 4.] u. 116 [Abschn.  1, B. II. 3.]. Zur unterschiedlichen Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf den pränidativen Ungeborenenschutz s. Kap. 3, Seite 170–173 [Abschn. 2, E. I. 2.].

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

fen haben, das pränidative ungeborene Leben innerhalb des Strafgesetzes – gleich dem geborenen und postnidativen ungeborenen Leben – als menschliches Individuum i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG zu qualifizieren. Insofern bestimmte er einen grundrechtlichen Oberbegriff zum tertium comparationis. Er ginge mithin die Selbstbindung ein, das pränidative ungeborene Leben als wesentlich gleich zum postnidativen ungeborenen Leben und zum geborenen Leben zu bewerten und ohne gewichtigen sachlichen Grund nicht ungleich zu behandeln14. Angesichts der Betroffenheit der grundrechtlichen Garantien von Leben und Würde und der damit einhergehenden Intensität der fraglichen Ungleichbehandlungen beurteilte sich ihre sachliche Rechtfertigung – gleich den Ungleichbehandlungen innerhalb des postnidativen Ungeborenenschutzes – nach den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes15. Ausgehend von einer solchermaßen auf den pränidativen Embryo erstreckten Gleichwertigkeitsthese wird die Untersuchung mithin nach Gründen zu fragen haben, die es auch dann rechtfertigten, das ungeborene Leben in seinen pränidativen Entwicklungsstadien anders als in seinen postnidativen Entwicklungsstadien zu behandeln, wenn man ihm unterschiedslos eine Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zuschriebe: Vor diesem Hintergrund bedürfte etwa die Ausnahme der Nidationsverhütung von den Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch (§ 218 Abs. 1 S. 2 StGB) – ebenso wie der begleitende Verzicht auf die Normierung eines Gefährdungsdeliktes, Produkt- oder Vertriebsverbots – eines gewichtigen sachlichen Grundes, wollte sich die Rechtsordnung diesbezüglich nicht dem Vorwurf eines gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG verstoßenden Wertungswiderspruchs aussetzen16.

14  Siehe

dazu oben Kap. 3, Seite  170 f. [Abschn.  2, E. I. 2. b)]. Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen des postnidativen ungeborenen Lebens s. oben Kap. 3, Seite  174 [Abschn.  2, E. II. 2.]; zur Rechtfertigung von solchen des pränidativen ungeborenen Lebens siehe ebda., Seite  176 f. [Abschn.  2, E. II. 3.]. 16  Zur näheren Kennzeichnung einer Ungleichbehandlung durch § 218 Abs. 1 S. 2 StGB s. unten Kap. 7, Seite  673–687 [Abschn.  1] m. einleitender Referenz auf die mögliche Wahl eines grundrechtlichen tertium comparationis auf Seite 686 f. [Abschn.  1, C.]. Zum Versuch einer sachlichen Begründung s. Kap. 7, Seite  688 ff. [Abschn.  2]. 15  Zur



Abschn. 1: Gang und Gegenstand der einfachgesetzlichen Analyse

255

C. Der Vergleich des pränidativen Ungeborenenschutzes mit anderen Vorschriften zum Schutz des pränidativen ungeborenen Lebens Ob des ihm durch das Verfassungsgericht belassenen Konkretisierungsspielraums könnte es der Gesetzgeber aber auch verneint haben, bereits das pränidative ungeborene Leben als menschliches Individuum i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG zu qualifizieren und mithin eine übergeordnete grundrechtliche Wertung zum tertium comparationis eines wertungswiderspruchsfreien pränidativen Ungeborenenschutzes zu bestimmen. Für diesen Fall erklärte sich diejenige Ungleichbehandlung, die der pränidative Embryo in vivo in den Sachverhalten der Nidationsverhütung durch § 218 Abs. 1 S. 2 StGB wie auch durch den begleitenden Verzicht auf abstraktes Gefährdungsdelikt, Produkt- und Vertriebsverbot erfährt, bereits mit seiner fehlenden wesentlichen Gleichheit zu späteren, am grundrechtlichen Gehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhabenden Entwicklungsstadien menschlichen Lebens. Erklärungsbedürftig blieben – ob der alternativ durch ein naturwissenschaftlich definiertes tertium comparationis vermittelten Gleichheit des pränidativen ungeborenen Lebens – Ungleichbehandlungen, die sich innerhalb des pränidativen Ungeborenenschutzes auftun, so zwischen dem Strafgesetzbuch einerseits, das Embryonen in vivo in ihren ersten Entwicklungsstadien schutzlos stellt, und den Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes andererseits, das in vitro unterschiedliche Schutzniveaus etabliert17. Denn wenn der Gesetzgeber auch eine grundrechtliche Bindung von sich weisen mag, so bleibt er für diesen Fall doch an die naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gebunden, an welche seine Rechtsnormen anknüpfen. Für eine wertungswiderspruchsfreie Gestaltung des pränidativen Ungeborenenschutzes hätte er in diesem Sinne den ontologischen Tatbestand der biologischen Gleichheit pränidativer menschlicher Embryonen zu achten (nämlich sie unter einen naturwissenschaftlich definierten, gemeinsamen Oberbegriff zu subsumieren) und deren etwaige Ungleichbehandlung – im Strafgesetzbuch einerseits, Embryonenschutzgesetz andererseits – sachlich zu begründen18. Weil die pränidativen Entwicklungsstadien dem Anfangspunkt eines grundrechtlich garantierten Lebens- und Würdeschutzes wenigstens zeitlich nahe stehen und das BVerfG ihre Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zumindest nicht abschließend verneint 17  Einführend dazu Henking, Wertungswidersprüche, 183 f.; krit. etwa Kutzer, MedR 2002, 24 (25); für eine sachlich begründete Ungleichbehandlung hingegen etwa Mildenberger, MedR 2002, 293 (297–299). 18  Eingehend dazu s. oben Kap. 3, Seite  171 f. [Abschn.  2, E. I. 2. c)].

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

hat, schiene es dabei angebracht, die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch zur Rechtfertigung seiner Ungleichbehandlung zu bemühen19. Die dadurch aufgeworfene Fragestellung, inwiefern der im Strafgesetzbuch, Embryonenschutzgesetz und mittelbar auch im Stammzellgesetz normierte pränidative Ungeborenenschutz dem so formulierten Anspruch auf eine wertungswiderspruchsfreie Regelung zu genügen vermag, wird jedoch anderen Untersuchungen überantwortet bleiben müssen. Abschnitt 2

Geschützte Rechtsgüter und „Schutzreflexe“ – Der „Januskopf“ des Schwangerschaftsabbruchs – Symbol der Zweiteilung und Zwiespältigkeit

Nachdem damit in Gang und Gegenstand der in den nachfolgenden Kapiteln platzierten einfachgesetzlichen Analyse eingeführt worden ist, kann sich die Untersuchung im vorliegenden Abschnitt ihren grundlegenden Bemerkungen zum Regelungskomplex der §§ 218 ff. StGB zuwenden, beginnend mit einer Beschreibung der von den §§ 218 ff. StGB geschützten Rechtsgüter und ihrer durch Ratio und Systematik formal vorgezeichneten Wertigkeit. So wird der Abtreibungsgesetzgebung von der herrschenden Meinung zugeschrieben, einen „Januskopf“ auf ihren Schultern zu tragen, indem sie einerseits das ungeborene Leben, andererseits aber auch bestimmte Rechte der Schwangeren schützen wolle20. Im Sinne der üblichen Abbildungen des altrömischen Gottes Janus, die ihn mit einem Doppelgesicht oder Doppelkopf zeigen21, wird ihr damit eine grundlegende „Zwiespältigkeit“ zugesprochen, die nur durch eine präzise Definition desjenigen Verhältnisses aufgelöst werden kann, das die §§ 218 ff. StGB für das ungeborene Lebens einerseits, die Rechtsgüter der Schwangeren andererseits formulieren. Welcher Art dieses Verhältnis ist, werden die nachfolgenden Ausführungen zunächst anhand der (postulierten) Ratio und Systematik der Abtreibungsgesetzgebung nachzuvollziehen versuchen: Insofern erwartete man nach den vorangegangenen Kapiteln – die dargelegt haben, wie jedenfalls das postni19  Siehe

dazu oben Kap. 3, Seite  176 f. [Abschn.  2, E. II. 3.]. etwa Eser, in: Sch / Sch, StGB28, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 12; Fischer, StGB60, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 2; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 11; vgl. die entsprechende Referenz auf einen „grundrechtliche[n] Januskopf“ durch Isensee, NJW 1986, 1645 (1647). Demgegenüber misst Merkel der Frage nach einer janusköpfigen Schutzrichtung nur eine „gering[e] Bedeutung“ zu; ders., in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 24, § 218 Rn. 7. 21  Lat. Ianus; Der Brockhaus / 7, 68 m. Stichw. u. Abb. „Janus“. 20  Siehe



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dative ungeborene Leben nach der verfassungsgerichtlichen Postulatio gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhaben soll – die klare Zielsetzung der §§ 218 ff. StGB, das ungeborene Leben vor seiner Tötung zu schützen. Vor allem aber erwartete man, dass sich jene Ratio in einer Systematik der §§ 218 ff. StGB widerspiegelte, die das ungeborene Leben zum primär geschützten Rechtsgut erhöbe, während die Rechtsgüter der Schwangeren allenfalls an einem tatbestandlichen Schutzreflex partizipierten und das ungeborene Leben im Übrigen allenfalls ausnahmsweise – auf den der Tatbestandsmäßigkeit nachfolgenden Wertungsebenen – zu verdrängen wüssten.

A. Der primäre Schutz des ungeborenen Lebens Jene Erwartung erfährt zunächst durch den Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB Bestätigung, der das vorsätzliche „Abbrechen der Schwangerschaft“ unter Strafe stellt. I. Die Benennung des primären Schutzguts „Abbrechen der Schwangerschaft“ meint die Tötung eines Ungeborenen, präzise eine auf das pränatale Leben vor Einsetzen der Eröffnungswehen einwirkende Tathandlung, welche nach den allgemeinen Kausalitäts- und Zurechnungsregeln den Todeserfolg bedingt. In der Regel werden Schwangere und Arzt den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs dabei gemeinschaftlich durch positives Tun verwirklichen (§ 25 Abs. 2 StGB), indem die Schwangere den Abbruch veranlasst und durch den Arzt an sich vornehmen lässt22. In selteneren Fällen kann der Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs auch durch unechtes Unterlassen verwirklicht werden (§ 13 StGB), wenn wenigstens ein Garant den Tod des Ungeborenen nicht abwendet, gleichwohl ihm das physisch-real und zumutbar möglich wäre. Die nach allgemeinen Regeln des unechten Unterlassensdelikts notwendige Garantenstellung haben nach allgemeiner Ansicht sowohl die Schwangere als auch der Erzeuger des Ungeborenen inne23, weiterhin auch der die Schwangere behandelnde Arzt24. 22  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (324 f.); Otto, Jura 1996, 135 (140 m. Fn. 31); Seibel, Probleme, 80. 23  Siehe etwa Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (325 m. Fn. 67); Satzger, Jura 2008, 424 (428); Seibel, Probleme, 107 f.; a. A. aber Albrecht, Garantenstellungen, 218. 24  Zur Garantenstellung des Arztes aus tatsächlicher Schutzübernahme (h. M.) s. etwa Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218 Rn. 50; Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218 Rn. 38; vgl. auch für den Geburtshelfer: Lüttger, in:

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Indem § 218 Abs. 1 StGB nun den Abbruch der Schwangerschaft als Verbotsmaterie festhält, hebt er das ungeborene menschliche Leben, das durch einen solchen Abbruch getötet würde, als schutzwürdiges Rechtsgut hervor. Zugleich tritt erkennbar hervor, wie der Gesetzgeber das Ungeborene diesbezüglich nicht nur für schutzwürdig, sondern auch für schutzbedürftig anerkennt und sich selbst den Anspruch wie die Fähigkeit zuschreibt, es vor Eingriffen in sein Leben zu bewahren. II. Die Spezifizierung des primären Schutzguts Eine Einschränkung erfährt seine Anerkennung als primär geschütztes Rechtsgut der Abtreibungsgesetzgebung jedoch insofern, als nur dasjenige vorgeburtliche Leben für schutzbedürftig anerkannt wird, das auch tatsächlich lebt. Kein taugliches Tatobjekt der §§ 218 ff. StGB stellen nach allgemeiner Ansicht damit die so genannten Blasenmolen dar, in denen „die Embryonalanlage gänzlich fehlt oder nur in entwicklungsunfähigen Kümmerformen vorhanden ist“, ferner der zwar zunächst regulär entwickelte, sodann aber bereits vor der Abbruchshandlung abgestorbene Embryo oder Fetus25. Soweit mithin der Tod eines Embryos bedingt, dass er vom Schutz der §§ 218 ff. StGB ausgenommen werden muss, erweist sich das auf den geborenen Menschen nach herrschender Ansicht zur Anwendung kommende Kriterium des Hirntods26 als ungeeignet, über Leben und Tod in den pränatalen Entwicklungsstadien zu entscheiden27, in denen sich die Entwicklung des Gehirns über einen langen kontinuierlichen Prozess erstreckt: angefangen Ende der dritten Woche, wenn sich die Neuralfalten zum Neuralrohr schließen, aus dessen vorderem Abschnitt später das Gehirn hervorgehen wird28, bis in die postnatalen Entwicklungsstadien, wenn die Synapsenbildung noch fortdauert29. Demgegenüber ders. / Blei / Hanau, FS-Heinitz, 359 (367 f. m. Fn. 24). Für eine ärztliche Garantenstellung aus drittschützender Wirkung des Behandlungsvertrags hingegen Hilgendorf, JuS 1993, 97 (99 m. Fn. 46); zsfd. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (325 m. Fn. 68). 25  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (312); ferner Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 26, u. § 1, Rn. 10. 26  Siehe dazu Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 21 m. w. N.; ausführl. Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 444 (448–451); aus med. Sicht Imbach, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht1, 189 (193 f. u. 199–201). 27  So zutreffend Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (312); aA Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218 Rn. 6. 28  Christ / Wachtler, Embryologie, 47 f.; Moore / Persaud, Embryologie5, 79. 29  So ist erst jenseits der 19. bis 23. pränatalen Entwicklungswoche und postnatal eine erhebliche Zunahme von Synapsen in der Großhirnrinde zu beobachten; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (107).



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beginnt das Herz bereits am Ende der dritten Entwicklungswoche und damit fünf Wochen nach der letzten Monatsblutung zu schlagen, was wenig später – nämlich in der fünften Woche nach der Empfängnis, d. h. sieben Wochen nach der letzten Monatsblutung – auch diagnostiziert werden kann. Das Herz ist somit das erste Organ des embryonalen Körpers, das einen seiner adulten Form entsprechenden Funktionszustand erreicht30, weshalb sich Pränatalmediziner und Embryologen auch der embryonalen Herztätigkeit – anstelle der Hirnströme – bedienen, um den Tod eines Ungeborenen zu bestimmen. In noch früheren, dem ersten Herzschlag vorangestellten Phasen der Schwangerschaft wird der Tod des vorgeburtlichen Lebens schließlich mittels in kurzen Abständen erfolgenden Ultraschalluntersuchungen des fortschreitenden embryonalen Wachstums festgestellt, die um Kontrollen des Hormonspiegels der Schwangeren ergänzt werden31. Dass somit nicht das Kriterium des Hirntodes, sondern das des Fehlens embryonaler Herztätigkeit bestimmend für die Todesdefinition ist, hat auch zur Folge, dass der so genannte Anenzephalus nach heute einhelliger Meinung taugliches Tatobjekt der §§ 218 ff. StGB ist32. Anenzephalie (auch: Anencephalie) ist eine Fehlbildung des Zentralen Nervensystems, infolge derer die Großhirnhemisphären, die Neurohypophyse, das Zwischenhirn sowie das Schädeldach vollständig oder weitgehend fehlen33. Demgegenüber sollen die §§ 218 ff. StGB nicht den sog. Arcadius erfassen: Diese schwere Missbildung monozygoter Zwillinge bedingt dysfunktionale arte­ rielle Verbindungen der Blutkreisläufe zwischen den Zwillingen, in deren Folge es in einem der Zwillinge zu einer Umkehr des Blutflusses kommt und er vom anderen Zwilling mit arteriellem, sauerstoffarmen Blut perfundiert wird, was das Verschwinden der gesamten Herzanlage und die Entstehung sonstiger Fehlbildungen zur Folge hat. Zwar nimmt der Arcardius, von seinem Zwilling auf diese Weise versorgt, intrauterin immer noch an physischer Masse zu, mangels eigener embryonaler Herztätigkeit lebt er nach den oben benannten Kriterien zum Tode eines Fetus jedoch nicht mehr und ist damit nicht vom Schutz der §§ 218 ff. StGB erfasst34. Während diese Einschränkung des Schutzguts noch insofern nachvollzogen werden kann, als die §§ 218 ff. StGB dem Lebensschutz dienen sollen, Embryologie5, 84. in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (313 m. w. N.). 32  Stellv. dafür Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218 Rn. 4; Kühl, StGB27, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 4; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (313 m. w. N.); vgl. ferner Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 26. Zum Recht der Anenzephalen auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 GG s. Merkel, Früheuthanasie, 621 ff. 33  Roche Lexikon Medizin5, 78; in diesem Sinne auch O’Rahilly / Müller, ­Embryologie, 424. 34  Siehe dazu Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (313 f. m. w. N.). 30  Moore / Persaud,

31  Merkel,

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provoziert § 218 Abs. 1 StGB an anderer Stelle Kritik, wenn der Grundtatbestand unter Referenz auf § 218 Abs. 1 S. 2 StGB so ausgelegt wird, dass er nur dasjenige pränatale Leben schützen soll, welches sich auch „in der Gebärmutter“ implantiert hat35. Denn damit wären vom Verbot des Abbruchs nicht solche – sog. ektopische – Schwangerschaften erfasst, bei denen sich der Embryo infolge pathologischer Gegebenheiten, welche die Wanderung des Keims zum Uterus be- oder verhindern, außerhalb des Endometriums (der Uterusschleimhaut) in verschiedenes anderes Gewebe – etwa in einen Eileiter (Tuba uterina), die Bauchhöhle (Peritoneum) oder den Gebärmutterhalskanal (Zervix) – einnistet36. In diesem Sinne wurde die Anwendbarkeit des § 218 StGB auf Schwangerschaften außerhalb des Uterus schon unter Geltung der Gesetzesfassungen des RStGB und des bis 1976 geltenden StGB regelmäßig verneint, gleichwohl sie keine dem § 218 Abs. 1 S. 2 StGB vergleichbare Beschränkung des Orts der Schwangerschaft enthielten37. Weshalb es aber über die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens entscheiden soll, an welcher Stelle es sich mit dem weiblichen Körper verbindet, erschließt sich vor dem Hintergrund der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen nicht: Denn sofern das BVerfG ebenda auf den Abschluss der Implantation in der Gebärmutterschleimhaut abgestellt hat, hat es nur denjenigen Zeitpunkt auf der Ereignisebene zu datieren versucht, zu dem menschliches Leben spätestens seine Individualität erlangt und ab dem es als individuelles menschliches Leben spätestens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhaben soll. Dabei soll der Implantation keine eigenständige qualitative Wirkung zukommen, sondern werden mit ihrem Abschluss vielmehr nur solche Entwicklungsschritte verbunden, die ihrerseits qualitativ wirken könnten: die Differenzierung der Zellen des Embryonalkörpers von denjenigen der ihn ernährenden und schützenden Hüllen sowie die regelmäßige Unteilbarkeit des Embryos38. Sofern es einer ektopischen Schwangerschaft also an einer Implantation in der Gebärmutterschleimhaut mangelt, bietet dies keine Veranlassung, dem andernorts implantierten ungeborenen Leben den Schutz der §§ 218 ff. StGB zu versagen, solange er die für qualitativ befundenen Entwicklungsschritte hinweisend Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (314 f.). ist die Tuba uterina der häufigste ektopische Sitz (95–97 %); Moore /  Persaud, Embryologie5, 60 f.; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 56. 37  v. Holtzendorff, Strafrecht, 457 f.; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (315). 38  Zur möglichen qualitativen Bedeutung der Diff. von Embryoblast und Trophoblast s. oben Kap. 2, Seite  90–93 [Abschn.  1, B. I. 1. b) bb) (3)]; zur möglichen qualitativen Bedeutung der Unteilbarkeit s. ebda., Seite  93–96 [Abschn.  1, B. I. 1. b) bb) (4)]. Siehe ebda., Seite  92 f. u. 94, auch zu deren verfassungsgerichtlicher Datierung auf den Zeitpunkt der abgeschlossenen Implantation (Nida­ tion), der mit dem 14. Tag nach der Empfängnis gleichgesetzt wird. 35  Darauf 36  Dabei



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nur andernorts vollzieht. Seine Schutzwürdigkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Embryo in einer ektopischen Schwangerschaft regelmäßig sterben muss, wenn die Entbindung eines in Peritoneum oder Zervix implantierten Fetus im Wege des Kaiserschnitts auch nicht gänzlich ausgeschlossen ist, sondern in seltenen Fällen bereits geglückt ist39. Denn die Dauer eines menschlichen Lebens kann nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen seine Schutzwürdigkeit nicht definieren40. Auch der Umstand, dass ektopische Schwangerschaften das Risiko ernsthafter Komplikationen für Gesundheit und Leben der Schwangeren in sich bergen41, vermöge zwar ihre Subsumtion unter die insofern einschlägige medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB zu erklären, die zum Schutz von Leben und Gesundheit der Schwangeren Eingriffe in das für schutzwürdig anerkannte ungeborene Leben rechtfertigen soll. Einen Grund, das ungeborene Leben vom Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB auszunehmen und ihm mithin von vornherein seine Schutzwürdigkeit abzuerkennen, bietet seine irreguläre Implantation jedoch nicht42. III. Die Bezeichnung als „Leibesfrucht“ Durch die rechtswissenschaftliche Literatur erfährt jenes lebende und in utero implantierte ungeborene Leben, das im dargestellten Sinne durch den Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB zum primären Schutzgut der Abtreibungsgesetzgebung erhoben wird, schließlich gemeinhin die Bezeichnung als „Leibesfrucht“43. Diese Terminologie setzt sich der Kritik aus, das ungeborene Leben in vivo unzutreffend als „Frucht“ zu versachlichen anstatt seine Zugehörigkeit zur Gattung Mensch oder gar seine gleichwertige Teilhabe am Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1 Abs. 1 GG zu verdeutlichen44. 39  Demgegenüber stirbt der Embryo einer Tubenschwangerschaft in allen Fällen ab; Christ / Wachtler, Embryologie, 31 f. Zu den seltenen Fällen erfolgreicher Bauchhöhlenschwangerschaften s. auch die Nw. bei Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (315 m. Fn. 34 u. 35). 40  Grundsatz des absoluten Lebensschutzes; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 2. 41  Die Ruptur der Tube im zweiten Monat der Schwangerschaft kann zu für die Mutter lebensbedrohlichen Blutungen führen; Christ / Wachtler, Embryologie, 31. Implantationen in das Peritoneum können gleichfalls zu Blutungen führen; dies., a. a. O., 32. 42  Vgl. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (315). Eingehend zum medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruch, durch den Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren abgewendet werden sollen, unten Kap. 5 (Seite  310–540). 43  Siehe exemplarisch Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (122); Lüttger, JR 1971, 133 (133). 44  So etwa Beckmann, Abtreibung3, 141.

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Soweit sich die folgenden Ausführungen gleichwohl in Teilen des Terminus der „Leibesfrucht“ bedienen werden, haben sie eine rein deskriptive Darstellung des geltenden einfachen Gesetzes in der Auslegung durch Rechtsprechung und Rechtslehre zum Gegenstand, zu der auch die Verwendung einer von der Verfasserin zwar kritisierten, aber gängigen Terminologie zählt.

B. Der (Mit‑)Schutz von Gesundheit und Leben der Schwangeren Dass das ungeborene Leben, jedenfalls soweit es lebt und in utero implantiert ist, das eigentliche Schutzgut der Abtreibungsgesetzgebung bildet, ist mithin einhellig anerkannt. Ob die §§ 218 ff. StGB neben dem ungeborenen Leben außerdem noch Rechte der Schwangeren zum Schutzgegenstand haben, ist hingegen umstritten. Die herrschende Meinung bejaht dies und präsentiert den Schwangerschaftsabbruch so verschiedentlich als ein janusköpfiges Delikt45. Die §§ 218 ff. StGB schützten demnach primär das pränatale Leben46, während Gesundheit und Leben der Schwangeren zwar nicht gleichwertig geschützt, aber mitgeschützt würden: in Form eines sekundären Rechtsguts47 oder gar weiter noch „nicht in Form eines selbstständigen Rechtsguts, sondern lediglich als Schutzreflex“48. I. Die Entfaltung eines „Schutzreflexes“ Nur einen „Schutzreflex“ soll die Abtreibungsgesetzgebung für Leben und Gesundheit der Schwangeren insofern entfalten, als sie diesbezüglich nur solchen Risiken begegnen soll, die der Schwangeren aus der Durchführung des Abbruchs erwachsen. Insofern will das Gesetz also in erster Linie das ungeborene Leben schützen und zu diesem Zweck den Schwangerschaftsabbruch unter ein grundsätzliches Verbot stellen. Sofern in Abweichung von diesem Grundsatz aber doch ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird, soll – nunmehr zum Schutze von Leben und Gesundheit der Frau – eine Durchführung des Abbruchs garantiert werden, die lege 45  Stellv. für die h. M.: Eser, in: Sch / Sch, StGB28, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 12; Fischer, StGB60, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 2; Gropp, in: Joecks / Miebach, MKStGB / 42, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 42; Kühl, StGB27, § 218 Rn. 1; Maurach / Schroe­ der / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 8 u. 13; Seibel, Probleme, 83; Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 21. 46  BGHSt 28, 11 (15). 47  Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 15; Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5 Rn. 21 m. Fn. 28; abl. Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 27. 48  Satzger, Jura 2008, 424 (425); Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 224.



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artis durch einen Arzt erfolgt und keine (weiteren) Gefahren für die Frau begründet49. 1. Der Arztvorbehalt in den §§ 218 ff. StGB

Geleitet von dieser Ratio hat der Gesetzgeber in den Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB wie auch in die Indikationen des § 218a Abs. 2, Abs. 3 StGB und die Privilegierung der Schwangeren nach § 218a Abs. 4 StGB einen Arztvorbehalt aufgenommen. Indem das Strafgesetz die ärztliche Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs so zur Voraussetzung seiner tatbestandsausschließenden, rechtfertigenden oder privilegierenden Wirkung erhebt, sucht es die mit einem Abbruch verbundenen gesundheitlichen Risiken möglichst gering zu halten50. Jedoch vermag das Strafgesetzbuch die fraglichen Risiken für Leben und Gesundheit der Schwangeren nur unzulänglich einzugrenzen, wenn es darauf verzichtet, die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs auf Gynäkologen und Pränatalmediziner zu beschränken, also auf solche Ärzte, welche die für einen Abbruch erforderliche spezielle Kompetenz aufweisen. Arzt i. S. d. §§ 218 ff. StGB ist vielmehr jeder, der nach deutschem Recht eine gültige Approbation für Humanmedizin besitzt, sodass zwar Heilpraktiker, Zahnärzte und Veterinäre von der Durchführung des Abbruchs strafgesetzlich ausgenommen sind, Psychiater und ärztlich approbierte Psychologen hingegen beispielsweise nicht51. Inwieweit § 13 Abs. 1 SchKG dem entgegenzuwirken weiß, indem die Vorschrift die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs auf solche Einrichtungen beschränkt, in denen „auch die notwendige Nachbehandlung gewährleistet“ ist, bleibt fraglich. Soweit man hierin noch nicht die Voraussetzung erforderlichen Fachwissens normiert sieht52, vermag ein landesgesetzlich geregelter Facharztvorbehalt die verbleibende gesetzliche Schutzlücke zu schließen: Insofern hat das BVerfG eine diesbezügliche Ge49  So für die Gesundheit der Schwangeren als sekundäres Rechtsgut argumentierend: Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 15. 50  Siehe dazu BVerfGE 88, 203 (314); so auch Eser, in: ders. / Hirsch, Sterilisation u. Schwangerschaftsabbruch, 150 (163); Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 14; Kluth, in: Schmid-Tannwald / Overdick-Gulden, Vorgeburtliche Medizin, 137 (141); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 13 u. 31; Satzger, Jura 2008, 424 (425). Zum sog. Ärztinnenprivileg s. Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 58; Kühl, StGB27, § 218a Rn. 2; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (339 f.). 51  Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 202; Kühl, StGB27, § 218a Rn. 2; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (338); krit. zur fehlenden Konkretisierung des Arztvorbehalts in den §§ 218 ff. StGB: Eser, in: ders. / Hirsch, Sterilisation u. Schwangerschaftsabbruch, 150 (163); ders., in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 58; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 31. 52  So aber Fischer, StGB60, § 218a Rn. 8.

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setzgebungskompetenz der Länder bejaht53 und sie nur zur Normierung einer Übergangsvorschrift verpflichtet, die solchen niedergelassenen Allgemeinärzten einen alternativen Nachweis ihrer Qualifikation ermöglichen soll, denen die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs vor Inkrafttreten eines fraglichen Facharztvorbehalts erlaubt gewesen ist. Dass sie ihren Mangel an spezieller Kompetenz ausgleichen können, indem sie über ihre bisherige umfangreiche und beanstandungsfreie Tätigkeit den Nachweis führen, gebietet die in Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierte Berufsausübungsfreiheit und das Gebot des Vertrauensschutzes54. 2. Das Regelbeispiel des § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StGB

Dass das Gesetz in diesem Sinne neben dem pränatalen menschlichen Leben auch Gesundheit und Leben der Schwangeren „mitschützt“, wird weiter und vor allem auch aus dem zweiten Regelbeispiel des § 218 Abs. 2 S. 2 StGB geschlussfolgert55. Demnach liegt in der Regel ein besonders schwerer Fall des Schwangerschaftsabbruchs vor, wenn der Täter „leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht“. Unter Nennung von Lebens- und Gesundheitsgefahren für die Schwangere gibt das Regelbeispiel einen Hinweis auf weitere Rechtsgüter, die neben dem pränatalen Leben durch die §§ 218 ff. StGB geschützt werden. Zwar kommt Regelbeispielen nach zwischenzeitlich herrschender Meinung keine Tatbestandsqualität zu, sodass sie nicht zu denjenigen strafgesetzlichen Normen zählen, die das tatbestandliche Unrecht – und mit ihm die tatbestandlichen Schutzgüter – abschließend und zwingend normieren56. Stattdessen handelt es sich bei Regelbeispielen um Strafzumessungsregeln57, die nur beispielhaft (nicht abschließend) solche Fälle benennen, in denen 53  Von der der Freistaat Bayern in Art. 3 Abs. 1 S. 2, S. 3 Nr. 2 des BaySchwHEG v. 09.08.1996 Gebrauch gemacht hat; s. BayGVBl., Nr. 16 v. 16.08.1996, 328 (328). Zur diesbzgl. Gesetzgebungskompetenz der Länder s. BVerfGE 98, 265 (307 f.) = BVerfG NJW 1999, 841 (844). 54  BVerfGE 98, 265 (309 f.) = BVerfG NJW 1999, 841 (845); zur Verhältnismäßigkeit des in Art. 3 Abs. 1 S. 2, S. 3 Nr. 2 BaySchwHEG formulierten Facharztvorbehaltes s. auch Koch, Bay. Sonderweg, 153–157; krit. hingegen Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 243 f. 55  Siehe dazu etwa Eser, in: Sch / Sch, StGB28, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 12; Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 42; ders., Schwangerschaftsabbruch, 14; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (311); Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 21 m. Fn. 28. 56  Zur Tatbestandsqualität qualifizierender o. privilegierender Abwandlungen s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 109. 57  BGHSt 23, 254 (256 f.); 26, 104 (105); 33, 370 (373); BGH NJW 2002, 150 (151); NStZ-RR 2003, 297 (297). Die Gegenansicht vertreten etwa Eisele, Regelbei-



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der Unrechtsgehalt der tatbestandlich vertypten Verhaltensweise regelmäßig erhöht und die Anwendung eines erhöhten Strafrahmens in der Folge indiziert (nicht zwingend) ist58. Im Einzelnen: Sind die Voraussetzungen des gesetzlich normierten Regelbeispiels erfüllt, muss die Strafe grundsätzlich dem erhöhten Strafrahmen entnommen werden; von seiner Anwendung kann aber abgesehen werden, wenn besondere Umstände zugunsten des Täters sprechen und die grundsätzlich indizierte Anwendung des erhöhten Strafrahmens ausnahmsweise nicht als geboten erscheint. Insofern ordnet ein Regelbeispiel also keine zwingende Rechtsfolge an. Umgekehrt kann ein besonders schwerer Fall auch dann bejaht werden, wenn das gesetzliche Regelbeispiel nicht erfüllt ist, der Fall aber atypische Umstände aufweist, die für eine Anwendung des Sonderstrafrahmens sprechen. Insofern mangelt es dem Regelbeispiel also an seinem abschließenden Charakter. Obwohl es Regelbeispielen mithin gleichermaßen am abschließenden wie am zwingenden Charakter einer Norm mit Tatbestandsqualität mangelt, bleibt ihnen doch eine Nähe zu den tatbestandlichen Abwandlungen eigen: sie verdeutlichen „in tatbestandlich vertypter Form“, welche Fälle „in der Regel“ von dem erhöhten Strafrahmen erfasst sein sollen59. Zugleich geben sie Aufschluss über die Schutzrichtung der Grundnorm, zu der sie in Beziehung treten, und weisen auf solche Rechtsgüter hin, die durch die Grundnorm typischerweise auch Schutz erfahren sollen. 3. Die Konkurrenz zu den Körperverletzungsdelikten

Dass die §§ 218 ff. StGB sowohl das pränatale Leben als auch Leben und Gesundheit der Schwangeren schützen, zeigt sich schließlich auch in der Rechtsprechung des BGH, soweit das Gericht die Konkurrenz zwischen einem vollendeten Schwangerschaftsabbruch und einem Körperverletzungsdelikt als Gesetzeseinheit beurteilt hat. Demnach soll das Delikt des Schwangerschaftsabbruchs die Körperverletzung als regelmäßig verwirklichte Begleittat verdrängen („konsumieren“60) können, weil jede Abbruchshandlung zugleich auch die Körperintegrität der Schwangeren in Mitleidenschaft zieht – dies beanspruchte nach dem Willen der früheren Rechtsprechung gar auch dann Geltung, wenn ein Täter den Verbrechenstatbestand der schweren Körperverletzung oder der Körperverletzung mit Todesfolge verwirklichte61. spielmethode, 354; Jakobs, AT2, Abschn.  6, Rn. 99; Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, 146. 58  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 112. 59  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 154. 60  Zur Gesetzeseinheit im Wege der Konsumtion s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 791. 61  Siehe etwa BGHSt 10, 312 (314 f.) für das Verhältnis zur schweren Körperverletzung i. S. d. § 224 StGB a. F. (heute: § 226 StGB); 15, 345 (346) für das Ver-

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

Diesen Grundsatz hat der BGH zunächst für das Verhältnis von Schwangerschaftsabbruch und Körperverletzung mit Todesfolge durchbrochen und die §§ 226 StGB a. F. (heute: § 227 StGB) und 218 StGB in Tateinheit zueinander gestellt: Er reagierte damit auf eine veränderte gesetzliche Normierung des Abbruchsverbots, das die Fremdabtreibung seit dem Ersten Strafrechtsreformgesetz vom 25.  Juni 196962 nicht mehr als Verbrechen (wie noch in § 218 Abs. 3 StGB a. F.), sondern nur als Vergehen verfolgt: Ein Vergehen aber soll ein Verbrechen nicht verdrängen können63. Jüngere Entscheidungen knüpfen an diese Argumentation an, wenn sie neuerlich auch im Verhältnis zur (heute in § 224 StGB normierten) gefährlichen Körperverletzung Tateinheit i. S. d. § 52 StGB annehmen: Angesichts des im Jahre 1998 durch das 6. Strafrechtsreformgesetz64 erheblich angehobenen Strafrahmens der gefährlichen Körperverletzung (bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe) soll der Schwangerschaftsabbruch auch deren – in der angehobenen Strafandrohung zum Ausdruck kommenden – gesteigerten Unrechtsgehalt nicht mehr aufzehren können65. Dass der BGH Körperverletzungsdelikte als vom Schwangerschaftsabbruch konsumiert ansehen konnte und dies neuerdings immerhin noch für die einfache Körperverletzung bejaht, ist nun nur auf der Grundlage möglich, dass er durch die §§ 218 ff. StGB sowohl das pränatale Leben als auch die körperliche Integrität und Gesundheit der Schwangeren geschützt sieht. Denn insofern setzt eine Konsumtion die Identität der verletzten Rechtsguts­ träger voraus: Das Unrecht gegen den einen Rechtsgutsträger kann durch das Unrecht gegen einen anderen nicht aufgezehrt werden66. Richtete sich hältnis zur Körperverletzung mit Todesfolge i. S. d. § 226 StGB a. F. (heute: § 227 StGB). 62  BGBl. I, Nr. 52 v. 30.06.1969, 645 (654). 63  BGHSt 28, 11 (11 m. LS 1 u. 17 f.); anders noch für das Verhältnis von vollendetem Schwangerschaftsabbruch und gefährlicher Körperverletzung a. a. O., 11 (16 f.). 64  6. StrRG v. 26.01.1998; BGBl. I, Nr. 6 v. 30.01.1998, 164. 65  Beschluss des BGH v. 22.06.2007–2 StR 203 / 07, nachzulesen in ZfL 2008, 19 (20); krit. Wiebe, ZfL 2008, 16 (16). Entsprechendes gilt für das Verhältnis des § 218 StGB zur schweren Körperverletzung (heute: § 226 StGB); vgl. den Hinweis auf eine mögliche tateinheitliche Verwirklichung der §§ 226 und 218 StGB im Beschluss des BGH v. 02.11. 2007–2 StR 336 / 07, nachzulesen in JR 2008, 250 (251 m. Rz.  9 u. 11). 66  In diesem Sinne gegen eine Konsumtion des § 303 StGB durch einen besonders schweren Diebstahl nach den §§ 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB, wenn es sich bei den Opfern der Begleittaten um andere Rechtsgutsträger handelt: BGH NStZ 2001, 642 (643 a. E.); Krey / Hellmann, BesT / 214, Rn. 106; krit. Wessels / Hillenkamp, BesT / 236, Rn. 245. Gegen eine Konsumtion des Diebstahls einer ec-Karte durch den anschließend mit der entwendeten Karte begangenen Computer-



Abschn. 2: Geschützte Rechtsgüter und „Schutzreflexe“

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der Schwangerschaftsabbruch nun allein gegen das ungeborene Leben, wüsste er das Unrecht einer Körperverletzung, die mit der Schwangeren einen anderen Rechtsgutsträger trifft, unmöglich aufzuzehren und es verböte sich die Annahme einer Gesetzeseinheit, wie sie die Rechtsprechung aber verschiedentlich bejaht hat. II. Kein Schutz als selbstständiges Rechtsgut Die §§ 218 ff. StGB schützen also auch die Schwangere vor solchen Gefahren, die in Folge von Abbruchshandlungen für ihr Leben und ihre Gesundheit auftreten. Der Schutz von Leben und Gesundheit bleibt aber auf diesen – den Abbruch begleitenden – Bereich beschränkt. Einen Schutz als selbstständiges Rechtsgut kann und will das Gesetz demgegenüber bereits deshalb nicht gewährleisten, weil die durch die Abtreibungsgesetzgebung „janusköpfig“ geschützten Rechtsgüter nicht durch dieselbe Handlung geschützt werden können. Besonders deutlich tritt dies in denjenigen Fallkonstellationen hervor, in denen ein Schwangerschaftsabbruch durch eine medizinisch-soziale Indikation gerechtfertigt ist. Für diese Fallkonstellationen erklärt § 218a Abs. 2 StGB ausdrücklich, dass der Schwangerschaftsabbruch Gefahren für Gesundheit und Leben der Schwangeren abwehren soll. Der Schutz von Gesundheit und Leben der Frau als eigenständiges Rechtsgut setzte nach § 218a Abs. 2 StGB damit die Tötung des Ungeborenen voraus, während ein Schutz des ungeborenen Lebens den Verzicht auf eben diese Tötung verlangte. Dass Gesundheit und Leben der Schwangeren keinen Schutz als eigenständiges Rechtsgut erfahren, tritt außerdem in der Systematik der §§ 218 ff. StGB hervor, die die besagten Rechtsgüter der Frau auf der Ebene der Rechtfertigung statt des Tatbestandes erwähnen. Rechtfertigungsgründen kommt nach der gesetzlichen Systematik aber nicht die Funktion zu, Verbotsmaterien zu normieren; stattdessen sollen sie das tatbestandlich indizierte Unrechtsurteil um der Erreichung anderer Ziele willen nur in Ausnahmefällen aufheben67. Zu diesem Zweck sind Rechtfertigungsgründe grundsätzlich unbestimmt formuliert, sodass eine Vielzahl möglicher Einzelfälle unter sie subsumiert werden kann, und sehen vor allem eine Abwägung vor, innerhalb derer die Kollision des tatbestandlich geschützten Rechtsguts mit anderen schutzwürdigen Rechtsgütern im konkreten Einzelfall durch den Rechtsanwender entschieden werden kann. Damit unterscheiden sie sich betrug zulasten der Bank s. BGH NJW 2001, 1508 (1508); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 794; Wessels / Hillenkamp, BesT / 236, Rn. 178. 67  Zur Funktion der Rechtfertigungsgründe s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 272 f.

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

wesentlich von den schon im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB bestimmt formulierten Straftatbeständen. Bei den Schwangerschaftsabbruchsindikationen handelt es sich nun (wenigstens formal) um solche Ausnahmetatbestände, die das primär geschützte Rechtsgut des ungeborenen Lebens in bestimmten Konstellationen nur ausnahmsweise gegenüber anderen Rechtsgütern zurücktreten lassen sollen; zu einem eigenständig geschützten Rechtsgut erheben sie die kollidierenden Rechtsgüter damit nicht68.

C. Der (Mit‑)Schutz der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren So wie die Abtreibungsgesetzgebung für Gesundheit und Leben der Schwangeren einen „Schutzreflex“ entfaltet, nicht aber einen Schutz in Form eines selbstständigen Rechtsguts gewährleistet, wird durch die §§ 218 ff. StGB auch die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren mitgeschützt. Diesbezüglich gilt es jedoch, zwischen Entscheidungen für und gegen die Schwangerschaft zu differenzieren. Was zunächst die Entscheidung zugunsten des Austragens einer Schwangerschaft betrifft, so ist diese dem Schutz der §§ 218 ff. StGB unterstellt69. Erkennbar tritt dies im Regelbeispiel des § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB zutage, das in solchen Sachverhalten, in denen der Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren erfolgt, regelmäßig einen besonders schweren Fall verwirklicht sieht. Aufgrund seiner Tatbestandsnähe kann jenem Regelbeispiel der Hinweis entnommen werden, dass das Strafgesetzbuch die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren ausschnittsweise als sekundär geschütztes Rechtsgut anerkennt, ihr nämlich dann seine Achtung zollt, wenn die fragliche Entscheidung auf den Fortgang (statt Abbruch) der Schwangerschaft gerichtet ist70. Demgegenüber schließt es der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB aus, die Entscheidungsfreiheit der Frau auch insoweit als geschütztes Rechtsgut zu werten, als die Frau von ihr Gebrauch machen kann, um sich 68  Auch aus diesem Grunde müsste der Versuch, aus dem in Tatbestandsausschluss und Indikationen enthaltenen Arztvorbehalt auf Leben und Gesundheit der Schwangeren als selbstständig geschützte Rechtsgüter zu folgern, kritisch betrachtet werden; dazu und weitere Gründe bei Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 27; Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5 Rn. 21 m. Fn. 28. 69  Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 15; Seibel, Probleme, 84; Weber, in: Arzt et al., BesT2, § 5, Rn. 21 u. 35; aA Kröger, in: Jähnke et al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 29; für einen „Schutzreflex“: Satzger, Jura 2008, 424 (425). 70  Zur Schlussfolgerung von Regelbeispielen auf den Rechtsgüterschutz s. oben Seite  264 f. [B. I. 2.].



Abschn. 2: Geschützte Rechtsgüter und „Schutzreflexe“

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gegen ein Austragen der Schwangerschaft zu wenden. Hier gilt zunächst entsprechend, was bereits zum Schutz von Leben und Gesundheit als eigenständiges Rechtsgut bemerkt worden ist: Soweit man die Figur des Tatbestandsausschlusses bemühen wollte, um § 218a Abs. 1 StGB ein weiteres geschütztes Rechtsgut zu entnehmen, müsste man dem nämlich die Nähe des Tatbestandsausschlusses zu den Rechtfertigungsgründen entgegenhalten. Auch der Tatbestandsausschluss soll einen Ausnahmefall regeln, in dem das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs ausnahmsweise nicht zur Strafverfolgung führt. Während § 218 Abs. 1 StGB positiv formuliert, was verboten ist, macht § 218a Abs. 1 StGB hiervon – wie auch die Absätze 2 und 3 – eine negativ formulierte Ausnahme. Ein geschütztes Rechtsgut hervorzuheben – diese Funktion kommt dem Tatbestandsausschluss systematisch ebenso wenig zu wie den Rechtfertigungsgründen. Ebenso trifft es wiederum zu, dass die Freiheit der Entscheidung gegen ein Austragen der Schwangerschaft einerseits und das ungeborene Leben andererseits unmöglich durch dieselbe Handlung geschützt werden können: Mit der Freiheit gegen ein Austragen der Schwangerschaft garantierte die Rechtsordnung die Vornahme eben derjenigen Handlung, durch die das ungeborene Leben getötet wird. Mehr aber noch garantierte es gar diejenige Handlung, die es jenseits der Indikationsfälle als rechtswidrig bewertet. Diesbezüglich nimmt § 218a Abs. 1 StGB den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch, soweit ein bestimmtes Verfahren gewahrt bleibt, zwar vom Tatbestand aus, soll ihn aber gleichwohl nicht von seiner Rechtswidrigkeit entbinden71. Eine rechtswidrige Handlung untersteht nun nicht dem Schutz der Rechtsordnung; die Freiheit der Entscheidung gegen ein Austragen der Schwangerschaft wird nicht zum Schutzgut erhoben.

D. Ausblick Ratio und Systematik der Abtreibungsgesetzgebung streiten damit für ein Verhältnis geschützter Rechtsgüter, in dem das ungeborene Leben das primär geschützte Rechtsgut bildet, während das Leben, die Gesundheit und die Freiheit der Schwangeren, sich für ein Austragen der Schwangerschaft zu entscheiden, nur einen begleitenden Schutz erfahren. Eine Freiheit, sich gegen das Austragen der Schwangerschaft zu entscheiden, erkennt das Gesetz nach seiner Ratio und Systematik nicht an, sondern bewertet die Realisierung eines entsprechenden Entschlusses in § 218a Abs. 1 StGB als rechtswidrig. Jedenfalls formal zeichnen die §§ 218 ff. StGB also dasjenige Rechtsgüterverhältnis nach, das die vorangegangenen Ausführungen zu den 71  Siehe dazu BVerfGE 88, 203 (273 u. 279). Eingehend dazu unten in Kap. 6, Seite  548–556 [Abschn.  1, B.].

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG (Kapitel 2) und zu einem verfassungsrechtlichen Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit (Kapitel 3) haben erwarten lassen: ein Rechtsgüterverhältnis, in dem das am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhabende postnidative ungeborene Leben regelmäßig zu schützen ist und den Rechtsgütern der Schwangeren nur ausnahmsweise auf den der Tatbestandsmäßigkeit nachfolgenden Wertungsebenen weichen muss72. In den nachfolgenden Kapiteln wird die Untersuchung ihr Augenmerk nun darauf verwenden, wie die einschlägigen Vorschriften der §§ 218 ff. StGB diesen Rechtsgüterschutz im Einzelnen ausgestalten. Sie wird die Fragestellung aufwerfen, ob das beschriebene Rechtsgüterverhältnis durch eine wertungswidersprüchliche Ausgestaltung und Anwendung der Vorschriften nicht etwa in sein Gegenteil verkehrt wird. So wird die spezifische Fassung der in § 218a Abs. 2 StGB normierten medizinisch-sozialen Schwangerschaftsabbruchsindikation, durch welche sich diese erheblich von anderen Rechtfertigungsgründen unterscheidet, etwa Anlass zu der Frage geben, ob hier nicht in einer „vertatbestandlichten“ Weise Leben und Gesundheit der schwangeren Frau geschützt und damit „de facto“ zu eigenständig geschützten Rechtsgütern erhoben werden, die dem Schutz des ungeborenen Lebens nicht im Sinne eines nur sekundär geschützten Rechtsgutes untergeordnet sind, sondern diesem im Gegenteil sogar partiell (für den Anwendungsbereich der Indikation) vorangestellt werden73. Weitergehend wird vornehmlich die Regelung des § 218a Abs. 1 StGB den kritischen Rechtsanwender vor die Frage stellen, ob hier nicht der Ungeborenenschutz durch das Recht der Frau auf Selbstbestimmung verdrängt wird und mithin ein eingeschränktes Recht der schwangeren Frau formuliert wird, das ungeborene Leben in den von § 218a Abs. 1 StGB gezogenen Grenzen zu töten74. Besagte Fragestellungen werden in den nachfolgenden Kapiteln einer differenzierten Betrachtung unterzogen und nach Abschluss der einfachgesetzlichen Analyse erneut aufgeworfen werden75. An dieser Stelle aber muss sich die Untersuchung noch damit begnügen, einen Ausblick auf das weitere Untersuchungsinteresse gegeben zu haben. 72  Vgl. auch BVerfGE 88, 203 (255): „Die Grundrechtspositionen der Frau führen allerdings dazu, daß es in Ausnahmelagen zulässig, in manchen dieser Fälle womöglich geboten ist, eine solche Rechtspflicht [zum Austragen des Kindes] nicht aufzuerlegen“; Hervorhebungen nicht im Orig. u. [Klammerzusatz] a. a. O. dem vorangegangenen Satz  entnommen. 73  Zsfd. dazu Kap. 5, Seite  531–540 [Abschn.  4]. 74  Zsfd. dazu Kap. 6, Seite  667–669 [Abschn.  3]. 75  Siehe dazu das die einfachgesetzliche Analyse abschließende Kap. 8 (Seite  755–866).



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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Abschnitt 3

Die Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“ – Die strafgesetzliche „Menschwerdung“ mit der Geburt – „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“. (Hermann Hesse76)

Den gemeinsamen Ursprung jener durch die §§ 218 ff. StGB verwirklichten Ungleichbehandlungen, die nachfolgend noch einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden sollen, markiert nun die Zäsur der so genannten strafgesetzlichen „Menschwerdung“, die die „Leibesfrucht“ vom Menschen i. S. d. Strafrechts und den Anwendungsbereich der Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch von demjenigen der Vorschriften zu den allgemeinen Tötungsdelikten scheidet. Insofern nimmt sie für die vorliegende Untersuchung eine Schlüsselrolle ein, deren einfachgesetzliche Analyse maßgeblich darauf abzielen wird, ausgewählte Vorschriften zum Schutz des ungeborenen Lebens mit den Vorschriften zum Schutz des „Menschen“ i. S. d. Strafrechts zu vergleichen. Bevor sich den einzelnen in den §§ 218 ff. StGB verwirklichten Ungleichbehandlungen zugewendet werden soll, soll im vorliegenden Abschnitt darum zunächst deren gemeinsamer – eine Schlüsselfunktion einnehmender – Ursprung eine nähere Betrachtung erfahren und soll dessen sachliche oder aber persönliche Begründung hinterfragt werden.

A. Ungleichbehandlung: Der reduzierte strafgesetzliche Schutz der „Leibesfrucht“ Indem die strafgesetzliche „Menschwerdung“ den Anwendungsbereich der Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch von demjenigen der Vorschriften zu den allgemeinen Tötungsdelikten abgrenzt, wird zunächst ein grundlegendes „Gefälle“ im strafgesetzlichen Lebensschutz begründet, in dem sich Strafandrohungen, Verbotsmaterien, Ausnahmetatbestände und dergleichen mehr erheblich unterscheiden. Zahlreiche Ungleichbehandlungen manifestierten sich diesseits und jenseits jenes Zeitpunkts in der menschlichen Entwicklung, der die „Leibesfrucht“ vom „Menschen“ scheiden soll. Ein kurzer Überblick über die verschiedenen Ungleichbehandlungen, die in der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ ihren Ursprung finden, soll nun zunächst deren 76  Hesse,

Stufen, in: Michels, Lied des Lebens, 197.

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

zentrale Rolle im menschlichen Lebensschutz herauskehren. Im Anschluss hieran soll der Streit um ihre Datierung dargestellt werden, den die herrschende Meinung nach einer grammatikalischen und systematischen Auslegung (auch) früherer Gesetzesfassungen, ergänzt um kriminalpolitische Erwägungen, für sich entschieden hat. Wie weit reichen also die Folgen jener strafgesetzlichen „Menschwerdung“? Und wann vollzieht sie sich in der Entwicklung eines menschlichen Lebens? Dies sind die Fragen, denen es zu­ allererst nachzugehen gilt, will man dem gemeinsamen Ursprung aller Ungleichbehandlungen im menschlichen Lebensschutz ein Gesicht geben. I. Ein „Gefälle“ im strafgesetzlichen Lebensschutz Wenn sich zunächst den Folgen der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ zugewendet werden soll, so haben die §§ 218 ff. StGB die „Leibesfrucht“77 zum Tatobjekt und schützen jene – noch dazu unter erheblichen Einschränkungen und unter deutlich reduzierter Strafandrohung – nur vor vorsätz­ licher Tötung, während die ungleich strengeren §§ 211 ff., 222 StGB dem Schutz des „Menschen“ im Sinne des Strafrechts nicht nur vor vorsätzlicher, sondern auch vor fahrlässiger Tötung gewidmet sind. Ungleich strenger sind die Vorschriften zu den allgemeinen Tötungsdelikten dabei nicht nur, weil sie mit § 222 StGB eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit normieren, an der es in den §§ 218 ff. StGB mangelt78. Strenger sind sie auch insofern, als sie keine erweiterten Rechtfertigungsmöglichkeiten oder sonstige Ausnahmetatbestände normieren, während die Absätze 2 und 3 des § 218a StGB spezielle Rechtfertigungsgründe normieren und § 218a Abs. 1 StGB unter Wahrung eines bestimmten Verfahrens gar eine straflose Tötung des frühen ungeborenen Lebens zulässt, ohne dass hierfür eine rechtfertigende Konfliktlage dargelegt werden muss. Ebenso normieren die §§ 218 ff. StGB zugunsten der Täterin diverse Privilegierungen, für die die allgemeinen Tötungsdelikte kein Pendant kennen79. Darüber hinaus sieht das Gesetz für die vorsätzliche Verwirklichung eines allgemeinen Tötungsdelikts erheblich höhere Strafrahmen vor, die – jenseits der in § 213 StGB normierten minder schweren Fälle und der Privilegierung des § 216 StGB – von fünf bis fünfzehn Jahren (für Totschlag, §§ 212 Abs. 1, 77  Zur Kritik am Begriff der „Leibesfrucht“ s. oben Seite  261  [Abschn.  2, A. III.]; ähnl. krit. zu einer aus Rechtsvorschriften abgeleiteten „Menschwerdung“ Beckmann, Abtreibung3, 14. 78  Zur bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, die fahrlässige Abtreibung keinem Strafvorwurf zu unterwerfen, s. etwa Goltdammer, Materialien / II, 391; ­Küper, GA 2001, 515 (519); Lüttger, JR 133 (137). 79  §§ 218 Abs. 4 S. 2, 218a Abs. 4, 218b Abs. 1 S. 3, 218c Abs. 2 StGB.



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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38 Abs. 2 StGB) reichen oder gar lebenslange Freiheitsstrafe (für Mord, § 211 Abs. 1 StGB) androhen. Demgegenüber bestimmt die Abtreibungsgesetzgebung für die Verwirklichung eines Schwangerschaftsabbruchs nur einen Strafrahmen von einem Monat bis zu drei Jahren (§§ 218 Abs. 1, 38 Abs. 2 StGB), der sich in besonders schweren Fällen auf einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren erhöht (§ 218 Abs. 2 StGB). Auch Delikte nach den §§ 218b und 218c StGB drohen keine höhere Strafe an80. Insofern enttäuscht das Gesetz – jedenfalls prima facie – eine Erwartung des Inhalts, dass sich in den Strafandrohungen eine Rangordnung der Werte niedergeschlagen haben müsste, die durch die grundrechtlichen Gewährleistungen vorgegeben ist81. Denn nachdem das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen festgehalten hat, dass jedenfalls das postnidative ungeborene und das postnatale Leben gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhaben, meinte man erwarten zu können, dass dieses übereinstimmende Erfolgsunrecht seiner Tötung auch in entsprechend angenäherten Strafandrohungen zum Niederschlag käme. Tatsächlich aber sind die Strafandrohungen der §§ 218 ff. StGB deutlich unter denjenigen der §§ 211, 212 StGB angesiedelt. Schließlich entscheidet die Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ auch über den strafrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit und mithin über den Anwendungsbereich der Vorschriften zur Körperverletzung, §§ 223 ff., 229 StGB, die allein den „Menschen“, nicht aber die „Leibesfrucht“ vor vorsätzlicher wie fahrlässiger körperlicher Misshandlung oder Gesundheitsschädigung schützen82. Dabei muss der Status des Tatobjekts zum für die Tatbestandsverwirk­ lichung maßgeblichen Zeitpunkt nach „exkludierende[r] Abgrenzung“ ohne Überschneidungen bestimmt sein83. Wenn die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ also die „Leibesfrucht“ vom „Menschen“ scheidet, geht es um Fragen wie „Schwangerschaftsabbruch oder allgemeines Tötungsdelikt“, „Schutz vor fahrlässiger Tötung und Körperverletzung – ja oder nein“. Es geht mithin um nichts weniger als um einen „fundamentale[n] Status­ weist ebenfalls hin: Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (181). Zusammenhang zwischen einer (grundrechtlichen) Rangordnung der Werte u. der Höhe der Strafandrohung s. Engisch, Einheit, 30 u. 33; Müller-Dietz, in: Vogler, FS-Jescheck / 2, 813 (822); vgl. RGSt 61, 242 (255); Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 88 u. 102. 82  Ganz h. M.; zum traditionsreichen Mangel an einer Strafandrohung für die „Leibesfruchtverletzung“ vgl. Ritter v. Liszt, Fruchtabtreibung / I, 27–30 m. § 9; zsfd. Lüttger, JR 1933 (137). 83  Siehe dazu u. Begriff entnommen aus Herzberg, in: Bernsmann / Ulsenheimer, Bochumer Beiträge, 39 (44 f.); dazu auch Küper, GA 2001, 515 (517); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (316). 80  Darauf 81  Zum

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

wechsel“84, dem die Untersuchung im Folgenden ihre Aufmerksamkeit widmen will. II. Der Ursprung des „Gefälles“ im strafgesetzlichen Lebensschutz Wann vollzieht er sich nun, jener fundamentale Statuswechsel in der Entwicklung eines menschlichen Lebens? Wenn davon gesprochen wird, dass die strafgesetzliche „Menschwerdung“ denjenigen Zeitpunkt markiert, zu dem die „Leibesfrucht“ zum Menschen wird, impliziert dies zunächst eine Datierung jener Zäsur auf den Zeitpunkt, zu dem die „Leibesfrucht“ den Mutterleib – also denjenigen Ort, der ihr den Namen von der „Leibesfrucht“ gegeben hat – verlässt. Noch deutlicher tritt dies hervor, wenn man von einer Zäsur spricht, die das „ungeborene Leben“ vom geborenen Menschen scheidet: Der Vorgang der Geburt scheint mithin darüber zu entscheiden, ob menschlichem Leben der erhöhte Schutz der §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB oder aber der nur reduzierte Schutz der §§ 218 ff. StGB zuteil wird. 1. Der Streit um die Datierung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“

Tatsächlich sind im Streit um die Datierung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ verschiedene Ansichten vertreten worden. Soweit sie den Anwendungsbereich der §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB mit dem Beginn oder auch erst der Vollendung der Geburt eröffnet sehen wollen, nehmen sie die erwähnten sprachlichen Assoziationen auf, nach denen sich jener „Statuswechsel“ von der „Leibesfrucht“ zum „Menschen“ zu demjenigen Zeitpunkt vollziehen soll, zu dem die „Frucht“ den „Leib“ verlässt, nämlich geboren wird. Demgegenüber löst sich eine dritte Ansicht von den bewussten Assoziationen, wenn sie bereits den (abstrakt) extrakorporal lebensfähigen Fetus als „Mensch“ i. S. d. Strafgesetzes anerkannt wissen will85.

in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (316). zur Erörterung gelangt vorliegend der Vorstoß Hilgendorfs, die strafgesetzliche „Menschwerdung“ bereits auf das Ende des dritten Monats zu datieren, sofern das jeweilige menschliche Leben extrakorporal entstanden ist und auch fortwährend außerhalb des mütterlichen Körpers – nämlich im Wege der Ektogenese – aufgezogen wird; s. dazu Hilgendorf, MedR 1994, 429 (432); abl. Wirth, Spätabtreibung, 41. Aufgrund seiner Einbettung in die Diskussion um den Schutz in vitro entstandener (und überdies auch noch extrakorporal am Leben erhaltener) Embryonen und Feten kann er für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand, der sein Augenmerk dem in vivo gewährten Lebensschutz zuwendet, vernachlässigt werden. 84  Merkel, 85  Nicht



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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a) Die Zäsur des Geburtsbeginns (h. M.) Als herrschende Meinung hat sich unter Berufung auf die Vorschrift des § 217 StGB a. F. diejenige Ansicht durchgesetzt, die den Wandel von der „Leibesfrucht“ zum „Menschen“ mit dem Beginn der Geburt als vollzogen ansieht. Vor seiner Aufhebung durch das sechste Strafrechtsreformgesetz86 regelte der sog. „Gretchenparagraph“87 die Kindstötung, deren Tatbestand die „Tötung“ eines nichtehelichen „Kindes“ durch seine Mutter „in oder gleich nach der Geburt“ voraussetzte und für die das Gesetz eine im Verhältnis zu den allgemeinen Tötungsdelikten erheblich zurückgenommene, im Verhältnis zum Schwangerschaftsabbruch erheblich erhöhte Strafandrohung von mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe vorsah. Der systematischen Platzierung des § 217 StGB a. F. vor der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in den §§ 218 ff. StGB sowie der Verwendung der Tatbestandmerkmale „in der Geburt“ und „Kind“ entnimmt die herrschende Meinung bis heute die gesetzliche Wertung, dass die vorsätzliche Tötung während des Geburtaktes nicht mehr als Schwangerschaftsabbruch, sondern schon als allgemeines Tötungsdelikt angesehen werden müsse: Weil bereits die Tötung „in der Geburt“ den in § 217 StGB a. F. normierten Tatbestand der Kindstötung verwirklichte – anstatt nur Anlass zum Vorwurf eines tatbestandsmäßigen Schwangerschaftsabbruchs zu geben –, müsse die Zäsur für das strafgesetzliche „Menschsein“ auch heute noch „notwendig beim Beginn der Geburt“ liegen88. Mit Beginn der Geburt wurde die „Leibesfrucht“ zum „Kind“ i. S. d. § 217 StGB a. F. und wird sie heute allgemein zum Menschen i. S. d. Strafrechts, dessen Lebensschutz nicht mehr durch die Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch, sondern durch die Vorschriften zu den allgemeinen Tötungsdelikten geleistet wird. Jene Zäsur soll auch über den Anwendungsbereich der Vorschriften zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit (§§ 223 ff. StGB) bestimmen: Wenn diese von der körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsschädigung „eines anderen“ sprechen, nehmen sie in Übereinstimmung mit dem Anwendungsbereich der allgemeinen Tötungsdelikte auf den „Menschen“ im Sinne des Strafrechts Bezug, nach dem Vor86  Art. 1 Nr. 35 des 6. StrRG vom 26.01.1998; BGBl. I, Nr. 6 v. 30.01.1998, 164 (174). 87  Zu diesem Begriff u. zur literarischen Verarbeitung der Kindstötung einer Frankfurter Dienstmagd in v.  Goethes Faust s. Herzberg / Putzke, JZ 2008, 721–723. 88  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Lüttger, JR 1971, 133 (133); s. ferner RGSt 9, 131 (132 f.); 26, 178 (179); BGHSt 31, 348 (350 f.); 32, 194 (195); Küper, GA 2001, 515 (517) m. w. N. in Fn. 14; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 1, Rn. 8; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (316); Saerbeck, Beginn und Ende des Lebens, 94.

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

stehenden also auf das menschliche Leben ab dem Zeitpunkt des Geburtsbeginns89. b) Die alternative Zäsur der Geburtsvollendung Gegen diese grammatikalische Auslegung des § 217 StGB a. F., die bis heute ihren Einfluss auf das Strafgesetzbuch nimmt, wenden sich Vertreter derjenigen Gegenansicht, die für die Vollendung der Geburt als maßgebliche Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ plädieren90. Die Formulierung „in der Geburt“, die § 217 StGB a. F. zur tatbestandlichen Beschreibung der Kindstötung verwendete, habe sich nicht zwingend auf den gesamten Geburtsvorgang beziehen müssen. Auch sei es nicht ausgeschlossen gewesen, das ungeborene Leben unter das Tatbestandsmerkmal des „Kindes“ zu subsumieren, wie bereits die heutige synonyme Verwendung der Begriffe von „Kind“ und „Ungeborenes“ in § 219 Abs. 1 S. 3 StGB offenbare91. Insofern hätte man aus der Terminologie des § 217 StGB a. F. nicht zwingend auf dessen Zugehörigkeit zu den allgemeinen Tötungsdelikten schlussfolgern müssen, sondern hätte die ebenda normierte „Kindstötung“ auch als Delikt verstehen können, das sich noch gegen das Rechtsgut des ungeborenen Lebens richtete. Eine Datierung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ auf den Zeitpunkt des Geburtsbeginns soll der Wortlaut des § 217 StGB a. F. jedenfalls nicht vorgeben. Im Gegenteil erregt es den Widerspruch der Gegenansicht, wenn die herrschende Meinung den bei Geburtsbeginn noch vollständig im Mutterleib befindlichen Fetus unter das Tatbestandsmerkmal des „Menschen“ i. S. d. §§ 211 ff., 222 StGB bzw. „anderen [Menschen]“ i. S. d. §§ 223 ff. StGB subsumiert. Es zähle zu den „kontraintuitive[n] Konsequenzen“92 einer solchen Ansicht und bilde eine „absonderliche Fol26, 178 (179); Lüttger, JR 1971, 133 (133 f.). R. Herzberg / A. Herzberg, JZ 2001, 1106 (1113); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (323); ders., in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 24, § 218 Rn. 40; Wirth, Spätabtreibung, 44; schließlich Zimmermann, Rettungstötungen, 471, der rechtsethische Bestätigung in der von ihm befürworteten Legitimation des Tötungsverbots durch subjektive Überlebensinteressen findet: Weil es selbst dem Neugeborenen an dem für ein Überlebensinteresse konstitutiven Ich-Bewusstsein mangelt, existiere kein zwingender Grund, bereits das Kind im Geburtsvorgang in den subjektiv-rechtlichen Schutzbereich des § 212 StGB einzubeziehen; ders., a. a. O., 465; vgl. diesbzgl. auch Kap. 2, Seite  73 f. [Abschn.  1, B. I. 1. a) dd)], zum Kriterium des Lebenswunsches in der Diskussion um den schutzwürdigen Personenstatus. 91  R. Herzberg, in: Bernsmann / Ulsenheimer, Bochumer Beiträge, 39 (41 f.); ders. /  A. Herzberg, JZ 2001, 1106 (1107 f.); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (317 m. Fn. 43); zust. Zimmermann, Rettungstötungen, 463. 92  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (318). 89  RGSt 90  So



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ge“, wenn man eine während des Geburtsvorgangs erfolgende fahrlässige Verletzung, auf die eine unverschuldete Totgeburt folgt, als fahrlässige Körperverletzung eines Menschen bestrafe, gleichwohl dieser Mensch „nie das Licht der Welt erblickt hat“93. Mehr aber noch werde hierdurch gar das in Art. 103 Abs. 2 GG normierte Analogieverbot berührt94. Neben jener – im beschriebenen Sinne eher intuitiv begründeten – Kritik an der herrschenden grammatikalischen Auslegung des Strafgesetzes vermag die Gegenansicht auf verschiedene Probleme in der Rechtsanwendung zu verweisen, mit denen die herrschende Meinung infolge ihrer Terminierung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ auf den Zeitpunkt des Geburtsbeginns statt der Geburtsvollendung konfrontiert wird95: So besteht die medizinische Möglichkeit, den – durch das Einsetzen der Eröffnungswehen gekennzeichneten96 – Geburtsbeginn durch eine sog. tokolytische Behandlung wieder zum Stillstand zu bringen, etwa um im Falle noch unreifer Feten die Geburt auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und insbesondere die Lungenreifeförderung vorzunehmen97. Wenn der Fetus nach herrschender Meinung nun aber bereits mit Geburtsbeginn zum „Menschen“ im Sinne des Strafrechts erhoben wird, kann ihm jener Status – ist er ihm einmal zuteil geworden – kaum mehr entzogen werden, will man nicht mit grundlegenden Prinzipien des Rechts brechen. Bliebe der Fetus aber nach dem Einsetzen von wieder zum Stillstand gebrachten Eröffnungswehen „Mensch“ und Schutzobjekt der §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB, würde eine jede fahrlässige Tötung des Fetus im Mutterleib unter § 222 StGB fallen und eine jede Verletzung eine Körperverletzung nach den §§ 223 ff. StGB darstellen, gleichwohl der tatsächliche Geburtstermin noch in der Ferne liegen mag. Der betroffene Fetus würde als „Mensch“ umfassender geschützt als ein anderer Fetus, der noch keinen frühzeitigen Wehen ausgesetzt war98. 93  Vorstehende Zitate aus Heimberger, ÖStZ 1910, 163 (166) zum Beginn des strafrechtlichen Menschseins nach § 217 StGB a. F.; im Anschluss hieran Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (318 m. Fn. 45). 94  So Herzberg, in: Bernsmann / Ulsenheimer, Bochumer Beiträge, 39 (48); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (317 f.); Neumann, in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 24, Vorbem. § 211 Rn. 7 m. Fn. 41. 95  Siehe dazu zsfd. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (318– 323). 96  Dazu, dass die Zäsur des Geburtsbeginns durch das Einsetzen der Eröffnungswehen näher gekennzeichnet wird, s. im Anschluss Seite  284–286 [2. a)]. 97  Dudenhausen, Geburtshilfe21, 96. Zum Begriff der Tokolyse s. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch264, 2102. 98  Zu dieser Fallkonstellation s. R. Herzberg / A. Herzberg, JZ 2001, 1106 (1111 f.); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (318); Wirth, Spätabtreibung, 44; für eine statusverändernde Wirkung nur solcher Eröffnungswehen, die

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

Nicht weniger problematisch stellt sich für die herrschende Meinung die strafrechtliche Behandlung der sog. „Perforation“ dar, auf die im weiteren Untersuchungsgang noch zurückzukommen sein wird99. Als solche bezeichnet man die Tötung des Kindes während des Geburtsvorgangs (nach Einsetzen der Eröffnungswehen), wenn es sich auf andere Weise nicht aus dem Mutterleib entfernen lässt und für Mutter und Kind daraus eine unmittelbare tödliche Gefahr erwächst. Denkbar ist dies etwa in solchen Konstella­ tionen, in denen die Schwangere eine konkrete Intoleranz gegen den Kaiserschnitt aufweist oder aber sich weigert, in dessen Vornahme einzuwilligen100. Solche Fälle mögen nach dem Stande der modernen Perinatalmedizin selten sein, weshalb ihnen oft auch nur eine „theoretische Bedeutung“ zugemessen wird101, kommen in der Praxis gleichwohl aber vor: Während früher die sog. Trepanation vollzogen wurde, das Durchbohren und gänzliche Entleeren des kindlichen Kopfes, greift man heute auf die Methode der sog. Cephalocentese zurück, die Punktion des kindliches Kopfes unter Ultraschallkontrolle, um gerade soviel Flüssigkeit aus dem Kopf zu entfernen, dass er sich für eine natürliche Entbindung eignet. Wenn dieses Verfahren in Relation zur älteren Trepanation auch „gemäßigter“ auftreten mag, führt es ungeachtet dessen doch in mehr als 90 % aller Fälle zum Tod des Kindes102. Unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung, die die strafgesetzliche „Menschwerdung“ auf den Zeitpunkt des Geburtsbeginns datiert, kollidieren im Falle einer solchen Perforation nun das Lebensrecht des Kindes (eines „Menschen“ im Sinne des Strafrechts) mit dem der Mutter (gleichfalls „Mensch“ im Sinne des Strafrechts). Gleichwohl sich in den Sachverhalten der Perforation nur jene Gefahr für das mütterliche Leben aktualisiert, die im Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB – d. h. noch vor der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ – einen genuin medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch begründet hat, versagt § 34 StGB dem Rechtsanwender nunmehr die Rechtfertigungsfähigkeit der Tö„im unmittelbaren Anschluss tatsächlich zur Geburt führen“: Rohrer, Menschenwürde, 242. 99  Zu einer Haftung für das „schicksalhafte So-Sein“ in Sachverhalten der Perforation s. unten Kap. 5, Seite  486 f. [Abschn.  3, B. I. 3. a)]. 100  Dazu Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (318 m. Fn. 49); Zimmermann, Rettungstötungen, 426 f.; weiter noch reicht die Def. nach Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (475), der unter die Sachverhalte der Perforation auch die Tötung des Kindes in der Geburt zur Abwehr schwerer Gesundheitsschäden der Mutter fasst. 101  So R. Herzberg / A. Herzberg, JZ 2001, 1106 (1111 m. Fn. 23); Rohrer, Menschenwürde, 294; Zimmermann, Rettungstötungen, 458; darauf hinweisend Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (318). 102  So Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (318 f. m. w. N.); ausführl. zur Perforation Dudenhausen, Geburtshilfe21, 317–319.



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tung (eines Totschlags gemäß § 212 StGB) im Aggressivnotstand. Um die Ratio der genuin medizinischen Indikation auch jenseits des Geburtsbeginns fortwirken lassen zu können, d. h. die Tötung des Kindes zugunsten der Mutter rechtfertigen zu können103, muss sich die herrschende Meinung der Figur eines Defensivnotstandes bedienen, nämlich die Verantwortlichkeit für die Gefahrenentstehung dem Kind zuweisen: Nur so kann sie diesem im Geburtsvorgang eine erhöhte Duldungspflicht auferlegen und den Rechtsgutskonflikt zu Gunsten der Mutter entscheiden104. Für die alternative Ansicht von einer strafgesetzlichen „Menschwerdung“ erst mit Vollendung der Geburt stellte sich eine vergleichbare Problematik erst gar nicht: Ausgehend von ihrer strafgesetzlichen Zäsurensetzung wäre das Objekt der Perforation nicht ein „Mensch“, sondern eine „Leibesfrucht“, sodass die Perforation nicht als Totschlag nach Rechtfertigung strebte, sondern als Abbruch einer Schwangerschaft unschwer unter Bejahung einer medizinisch-sozialen Indikation gerechtfertigt werden könnte105; mehr noch sähe 103  Dass ein solches Fortwirken der Ratio des § 218a Abs. 2 StGB gewollt ist und nur durch die Vorverlegung der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ auf den Geburtsbeginn behindert wird, offenbart sich bei einem Blick auf § 157 Abs. 2 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962, der den Fall der Perforation noch ausdrücklich dem des medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruchs hatte gleichstellen wollen; dazu BT-Drs. IV / 650, 294; Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (475). Für eine diesbzgl., durch den rechtfertigenden Notstand zu schließende Lücke im Schutz der mütterlichen Rechtsgüter auch ders., a. a. O., 457 (476 f.), sowie Hirsch, in: Baldus / Willms, LK-StGB / 19, Vorbem. § 51 Rn. 76. 104  Günther, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (154); Hirsch, in: Arnold et  al., FS-Eser, 309 (320); Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 22 m. Fn. 44 (krit. a. a. O., Rn. 47); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 24; Otte, Defensivnotstand, 154 f.; Renzikowski, Notstand, 268; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 79; ders., in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (476); Rudolphi / Rogall, in: Wolter, SK-StGB / IV137, Vorbem. § 218 Rn. 65 a. E. Zur alternativen Anw. der Grundsätze einer symmetrischen Gefahrgemeinschaft s. abl. Zimmermann, Rettungstötungen, 459; der Grundsätze einer rechtfertigenden Pflichtenkollision: zsfd. Otte, Defensivnotstand, 145 m. w. N.; abl. Zimmermann, a. a. O., 459 f.; zur alternativen Entschuldigung des Perforationskonflikts s.  Belling, Rechtfertigungsthese, 118. 105  So R. Herzberg / A. Herzberg, JZ 2001, 1106 (1111); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (373 f.); ders., in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 24, § 218a Rn. 102; Wirth, Spätabtreibung, 45; Zimmermann, Rettungstötungen, 462–465. Dabei zeugt die Argumentation Zimmermanns (nicht nur, aber unverkennbar auch) von einer intuitiven Prägung, soweit er eine alternative Rechtfertigung der Tötung der Mutter im Perforationskonflikt für „in hohem Maße kontraintuiti[v]“ befindet; so ders., Rettungstötungen, 459 (zu den Grundsätzen einer symmetrischen Gefahrgemeinschaft); ebda, 460: „angesichts seiner massiven Kontraintuitivität einigermaßen unhaltbar“ (zu den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision); ebda., 461: „inakzeptables Ergebnis“ (zu einem im Einzelfall zugunsten des ungeborenen Lebens ausgelegten Defensivnotstand). Weniger die Anwendung allgemeiner Grundsätze scheint hier zu einem – zunächst noch unbestimmten – Ergebnis zu leiten, son-

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

sich ein Arzt angesichts § 12 Abs. 2 SchKG gar verpflichtet, den Eingriff vorzunehmen106. c) Die alternative Zäsur abstrakter extrakorporaler Lebensfähigkeit Eine dritte Ansicht spricht sich schließlich nicht für eine Hinauszögerung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ auf den Zeitpunkt der Vollendung der Geburt, sondern im Gegenteil für deren Vorverlegung auf denjenigen Zeitpunkt aus, in dem das ungeborene Leben wegen des Grades seiner Ausreifung bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre. Nicht der Geburtsbeginn oder gar erst die Geburtsvollendung, sondern bereits die abstrakte extrakorporale Lebensfähigkeit des Fetus diente damit als Zäsur zwischen „Leibesfrucht“ und „Mensch“, zwischen Schwangerschaftsabbruch und allgemeinem Tötungsdelikt107. Mit dem Begriff der abstrakten extrakorporalen Lebensfähigkeit ist das Erreichen eines pränatalen Entwicklungsstadiums angesprochen, in dem sich der Fetus zwar noch in utero, also innerhalb des Mutterleibes befindet, ihm für den Fall vorzeitiger Wehen aber grundsätzlich die Fähigkeit zugesprochen wird, mit neonatologischer Unterstützung außerhalb des Mutterleibes zu überleben – eine Fähigkeit, die die medizinischen Fachgesellschaften nach Vollendung der 20. Woche post con­ ceptionem bzw. 22. Woche post menstruationem in immerhin bis zu 50 % der Fälle als gegeben ansehen. Ab der 22. Woche p. c. bzw. 24. Woche p. m. soll diese Fähigkeit bereits in 60 %, ab der 23. Woche p. c. bzw. 25. Woche p. m. gar in 75 % der Fälle gegeben sein, weswegen die medizinischen Fachgesellschaften auch zur Lebenserhaltung der betreffenden Frühgeborenen anhalten108. dern das gewünschte Ergebnis über die Anwendung allgemeiner Grundsätze zu bestimmen. 106  Zimmermann, Rettungstötungen, 471. 107  Vgl. die Ausführungen des LG Frankfurt in BGH ZfL 2008, 20 (21) = NStZ 2008, 393 (394 m. Rz.  11); ferner Gropp, in: Schumann, Konfliktlösungen, 19 (39 f.); ders., GA 2000, 1 (7–17); mit einer solchen Zäsurenvorverlegung (de lege ferenda) sympathisierend: Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 1, Rn. 9 a. E.; Satzger, Jura 2008, 424 (427). 108  DGGG / DGKJ / DGPM / GNPI, AWMF-LL-Reg. Nr. 024 / 019, pdf-S. 4 f.; s. dazu auch BÄK, Dt. ÄrzteBl. 1998, A-3013 (A-3015), u. Woopen / Rummer, MedR 2009, 130 (130 m. Fn. 4); aus der juristischen Literatur: Dederer, in: Menzel / Müller-Terpitz, Verfassungsrechtsprechung2, 262 (271 m. Fn. 59); Gropp, GA 2000, 1 (13); Wiebe, ZfL 2008, 83 (83); aus den christlichen Sozialwissenschaften: Spieker, Kirche und Abtreibung2, 257 u. 261; krit. zur Abhängigkeit einer solchen Zäsur der abstrakten extrakorporalen Lebensfähigkeit vom jeweiligen Stand des medizinischen Fortschritts: Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 163 f.



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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Gleich der herrschenden Meinung hält es jene Ansicht, die die strafgesetzliche „Menschwerdung“ in Abhängigkeit von der abstrakten extrakorporalen Lebensfähigkeit bestimmen will, nun für mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar, den noch vollständig im Mutterleib befindlichen Fetus unter das Tatbestandsmerkmal des „Menschen“ i. S. d. allgemeinen Tötungsdelikte zu subsumieren109. Die eher intuitiv begründeten Bedenken der soeben referierten Gegenansicht weist sie zurück und votiert im Gegenteil – nicht weniger intuitiv begründet110 – dafür, den Anwendungsbereich der allgemeinen Tötungsdelikte gar bereits mit dem Entwicklungsstadium abstrakter extrakorporaler Lebensfähigkeit eröffnet zu sehen. Entsprechende Ausführungen hat etwa das Landgericht Frankfurt anlässlich seiner Entscheidung über einen Fall pränataler Einwirkung mit postnatalem Erfolgseintritt getroffen111. In besagtem Verfahren hatte der Angeklagte auf die von ihm schwangere Geschädigte mehrfach mit einem Messer eingestochen und sich mithin an ihr des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht. Das durch den Angriff auf die Mutter zu früh geborene Kind verstarb 16 Tage nach dem Angriff auf Grund seiner Frühgeburtlichkeit und eines in Folge der Stichverletzungen seiner Mutter erlittenen Herz-Kreislauf-Stillstandes. In Gefolgschaft der referierten herrschenden Meinung, die die strafgesetzliche „Menschwerdung“ erst auf den Geburtsbeginn datiert, und der später noch näher zu thematisierenden Rechtsprechung, die die Abgrenzung von Schwangerschaftsabbruch und allgemeinem Tötungsdelikt nach der Rechtsnatur des Tatobjekts zum Zeitpunkt der Einwirkung (und nicht des Erfolgseintritts) entscheidet112, sah das Landgericht zum Nachteil des Kindes nur den Tatbestand des vollendeten Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 Abs. 1 StGB) erfüllt. In seiner Urteilsbegründung führte das Gericht jedoch weiter aus, dass die herrschende Datierung des Zeitpunkts strafgesetzlicher „Menschwerdung“ auf den Geburtsbeginn einer kritischen Überprüfung durch die Rechtsprechung bedürfe: Bei Beibehaltung der herrschenden Zäsur würden das geborene Kind und der wegen des Grades seiner Ausreifung bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähige Fetus durch die §§ 211 ff., 222 StGB und §§ 218 ff. StGB einen unterschiedlichen Schutz erfahren und mithin wertungswidersprüchlich behandelt113.

109  So

ausdrücklich Gropp, GA 2000, 1 (14). intuitiv hingegen die ausführliche Darlegung von Gropp, GA 2000,

110  Weniger

1 (7–17). 111  Siehe dazu BGH ZfL 2008, 20 (21) = BGH NStZ 2008, 393 (394 m. Rz. 11). 112  BGHSt 31, 348 (352); Küper, GA 2001, 515 (518 f.); Lüttger, NStZ 1983, 481 (483); ders., JR 1971, 131 (138); Satzger, Jura 2008, 424 (428); dazu an späterer Stelle in Kap. 7, Seite  683 [Abschn.  1, A. III. 1.]. 113  BGH ZfL 2008, 20 (21) = BGH NStZ 2008, 393 (394 m. Rz.  11).

282

Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

Was das Landgericht hier (intuitiv) in Frage stellte, ist die sachliche Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung des lebensfähigen Fetus einerseits und des geborenen Kindes andererseits. Die Tötung des abstrakt extrakorporal lebensfähigen Ungeborenen vor Geburtsbeginn und diejenige ab Geburtsbeginn werden als vergleichbare und mithin als gleichermaßen unter § 212 Abs. 1 StGB zu subsumierende Sachverhalte zur Diskussion gestellt114. Der in demselben Verfahren abschließend entscheidende BGH befand, dass angesichts der geltenden Gesetzessystematik nicht die Rechtsprechung, sondern allein der Gesetzgeber berufen sei, eine solche Korrektur vorzunehmen115. d) Die Entscheidung des Streits In Ermangelung einer solchen gesetzgeberischen Korrektur hat schließlich die herrschende Meinung und ihre grammatikalische wie systematische Auslegung des § 217 StGB a. F. die eher intuitiv und pragmatisch begründeten Bedenken ihrer Kritiker überdauert. Überdauert hat sie auch die Aufhebung des § 217 StGB a. F. durch das sechste Strafrechtsreformgesetz116: Mit ihr entfiel der einfachgesetzliche Anknüpfungspunkt, nach dem die herrschende Meinung die Abgrenzung zwischen Schwangerschaftsabbruch und allgemeinem Tötungsdelikt entschieden hatte. Weil der Gesetzgeber mit der Aufhebung des § 217 StGB a. F. aber nur auf eine veränderte gesellschaftliche Anschauung hatte reagieren wollen, die die Privilegierung einer ihr nichteheliches Kind tötenden Mutter als nicht mehr zeit- und vor allem nicht verfassungsgemäß beurteilte, sah man die dem § 217 StGB a. F. entlehnte Zäsur des Geburtsbeginns hierdurch nicht in Frage gestellt117. Jenseits der Auslegung des § 217 StGB a. F. soll die Datierung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ auf den Zeitpunkt des Geburtsbeginns außerdem durch andere – systematische wie kriminalpolitische – Erwägungen auch Gropp, GA 2000, 1 (7 f.). ZfL 2008, 20 (21) = NStZ 2008, 393 (394 m. Rz.  11); mit Blick auf weitgehende Neuinkriminierungen zust. Gropp, GA 2000, 1 (15). Zu entsprechenden Vorstößen, Spätabbrüche de lege ferenda oder auch de lege lata einer Sonderbehandlung zu unterwerfen, s. auch an späterer Stelle Kap. 5, Seite  336 f. [Abschn.  2, A. II. 2. a)] u. 536–539 [Abschn.  4, B.]. 116  Art. 1 Nr. 35 des 6. StrRG vom 26.01.1998; s. dazu BGBl. I, Nr. 6 v. 30.01.1998, 164 (174). 117  Jäger, JuS 2000, 31 (32); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (317); Satzger, Jura 2008, 424 (428); anders Herzberg, in: Bernsmann / Ulsenheimer, Bochumer Beiträge, 39 (40); krit. auch Dolderer, Spätabbruch, 145 f.; Küper, GA 2001, 515 (531 f.); Rohrer, Menschenwürde, 241; Zimmermann, Rettungstötungen, 463. 114  So

115  BGH



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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ihre Rechtfertigung finden: So ergebe sich aus der Systematik der Tatbestandsmerkmale der §§ 212 Abs. 1, 222 StGB einerseits und des § 218 Abs. 1 StGB andererseits, dass der Beginn des strafgesetzlichen Menschseins erst an die Beendigung der Schwangerschaft anzuknüpfen sei118. Dass gerade der Beginn – anstelle der Vollendung – der Geburt zum für die Unterscheidung von „Leibesfrucht“ und „Mensch“ maßgeblichen Zeitpunkt bestimmt wird, sei sodann das Ergebnis einer aus kriminalpolitischen Erwägungen getroffenen Wahl, die das noch ungeborene Leben während des Geburtsakts – einer „zeitlich-biologische[n] Zone erhöhter Gefährdung durch unsorgfältiges Manipulieren“119 – einem erhöhten strafgesetzlichen Schutz unterstellen wollte. An die Stelle der Strafvorschriften zum Schutze der „Leibesfrucht“, welche sich auf die Strafandrohung für den vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruch beschränken (§§ 218 ff. StGB), treten so die wesentlich strengeren Strafvorschriften zum Schutze des „Menschen“, welche nicht nur vor vorsätzlichen Tötungshandlungen (§§ 211 ff. StGB), sondern auch vor fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) sowie vor vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB) schützen120. Die Gegenansicht, die den Anwendungsbereich der allgemeinen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte erst mit Vollendung der Geburt eröffnet sehen will, vermag diesem Argument des Rechtsgüterschutzes hingegen nur die (unerfüllte) Forderung entgegenzusetzen, de lege ferenda entsprechende Straftatbestände in den §§ 218 ff. StGB zu schaffen121. 2. Der Streit um die Definition des Geburtsbeginns

Die strafgesetzliche „Menschwerdung“ vollzieht sich nach herrschender Meinung und in Anlehnung an § 217 StGB a. F. mithin zum Zeitpunkt des Geburtsbeginns – hinreichend bestimmt ist jene Zäsur damit jedoch noch nicht. Dies offenbarten die ehemals höchst unterschiedlichen Auslegungen jener Zäsur des Geburtsbeginns, die von der Beendigung der so genannten

118  BGH ZfL 2008, 20 (21) = NStZ 2008, 393 (394 m. Rz.  10); s. ferner Dolderer, Spätabbruch, 146; Fischer, StGB60, Vorbem. §§ 211–216 Rn. 6; Hirsch, in: Arnold et  al., FS-Eser, 309 (313 f.); Küper, GA 2001, 515 (533 f.). 119  Lüttger, JR 1971, 133 (134). 120  Siehe dazu Lüttger, JR 1971, 133 (134); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 1, Rn. 8; so bereits zum RStGB argumentierend: RGSt 26, 178 (179); v. Holtzendorff, Strafrecht, 459; s. dazu auch Koch, Schwangerschaftsabbruch, 51. 121  Vgl. die Forderung nach einer entsprechenden Ergänzung des § 218 StGB bei R. Herzberg / A. Herzberg, JZ 2001, 1106 (1113); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (323); Wirth, Spätabtreibung, 45; Zimmermann, Rettungstötungen, 464 f.

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

Plazentaratmung über den Beginn der zur Ausstoßung führenden Wehen bis hin zum teilweisen Austritt aus dem Mutterleib reichten122. a) Das Einsetzen der Eröffnungswehen (h. M.) Zur herrschenden Meinung bildete sich schließlich diejenige Ansicht heraus, die den Beginn der Geburt auf denjenigen Zeitpunkt datierte, zu dem die Ausstoßungsversuche des Mutterleibes einsetzen bzw. zu dem die im weiteren Verlauf zur Ausstoßung führenden Wehen beginnen, gleich ob sie natürlich einsetzen oder künstlich eingeleitet werden123. Mangels präziser Definition durch Rechtsprechung wie Rechtslehre blieb zunächst aber ungeklärt, welche der in der medizinischen Wissenschaft seinerzeit unterschiedenen Wehenarten damit angesprochen sein sollte: Schwangerschafts-, Senkungs-, Vor-, Geburts- oder Nachwehen. Der so genannte Buscopan-Fall bot dem dritten Strafsenat des BGH schließlich die Gelegenheit, in Übereinstimmung mit dem strafrechtlichen Schrifttum festzustellen, dass für den strafrechtlichen Geburtsbeginn jedenfalls nicht schon das Einsetzen der Schwangerschafts-, Senkungs- oder Vorwehen genügte, welche die nahende Geburt nur ankündigen, nicht aber bereits einleiten. Die Geburt selbst beginne (bei regulärem Verlauf) frühestens mit den Geburtswehen, sodass diese Wehenart zum Anknüpfungspunkt für das strafgesetzliche Menschsein erwählt wurde124. Da die Geburtswehen aber wiederum – damals wie heute – in Eröffnungswehen (Wehen während der Eröffnungsperiode) einerseits und Austrei­bungssowie Presswehen (unterschiedlich starke Wehen während der Austrei­ bungsperiode) andererseits unterteilt werden125, blieb zu entscheiden, welcher dieser beiden Arten von Geburtswehen nun über die strafgesetzliche 122  Näheres zu diesen unterschiedlichen Datierungen des Geburtsbeginns bei Heimberger, ÖStZ 1910, 163 (167–170); Lange, in: Baldus / Willms, LK-StGB / 29, Vorbem. § 211 Rn. 3; Lüttger, JR 1971, 133 (134); ders., NStZ 1983, 481 (482). 123  Siehe etwa RGSt 9, 131 (132); 26, 178 (179); BGHSt 10, 5 (5). Zur Feststellung, dass es auf das tatsächliche Einsetzen der Wehen statt auf den Zeitpunkt wehenhemmender oder -beschleunigender Maßnahmen ankomme, s. BGHSt 31, 348 (356); Lüttger, NStZ 1983, 481 (482); Lüttger, in: ders. / Blei / Hanau, FS-Heinitz, 359 (363 f.). 124  BGHSt 31, 348 (356) m. zust. Anm. Hirsch, JR 1985, 335 (336 f.); Lüttger, JR 1971, 133 (135); ders., NStZ 1983, 481 (482). Zur Diff. der verschied. Wehenarten s. etwa Dudenhausen, Geburtshilfe21, 136; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch264, 2254 m. Stichw. „Wehen“. 125  BGHSt 32, 194 (195 f.); 31, 348 (355 f.), unter Verweis auf Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch254, 1297 m. Stichw. „Wehen“; heute Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch264, 2254 m. Stichw. „Wehen“, unter zusätzlicher Subsumtion der Nachgeburtswehen unter den Oberbegriff der Geburtswehen; s. außerdem Breck-



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

285

„Menschwerdung“ entscheiden sollte. Unter Berücksichtigung medizinischer Erkenntnisse festigte sich eine herrschende Meinung des Inhalts, das Einsetzen der so genannten Eröffnungswehen zum für das Strafgesetz maßgeblichen Geburtsbeginn zu bestimmen126. Die Funktion der Eröffnungswehen ist es, die oberen Abschnitte des Geburtsweges (insbesondere den Gebärmutterhalskanal und äußeren Muttermund) bis zur vollen Durchgängigkeit zu erweitern und den vorangehenden Teil des Kindes bis zum äußeren Muttermund bzw. zum Beckenboden zu drängen. Für eine Anknüpfung des juristischen Geburtsbeginns an ihr Einsetzen sprach zum einen der dadurch erzielte „Gleichklang […] mit den medizinischen Anschauungen vom Geburtsbeginn“ sowie die Tatsache, dass diese Wehen den größten Teil der Ausstoßung aus dem Mutterleib vollziehen127. Weil das menschliche Leben gerade in der Eröffnungsphase den Gefahren medikamentöser und operativer Geburtshilfe ausgesetzt ist, konnte zum anderen nur eine solche Datierung der kriminalpolitischen Zielsetzung gerecht werden, das menschliche Leben unter Anwendung der §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB umfassend vor den Gefahren des Geburtsvorgangs zu schützen. Bei Anknüpfung des für die strafgesetzliche „Menschwerdung“ maßgeblichen Geburtsbeginns an einen späteren Zeitpunkt wäre das ungeborene Leben solchen Gefahren mangels Normierung eines Delikts der fahrlässigen Tötung oder der Körperverletzung in den §§ 218 ff. StGB schutzlos ausgeliefert128. Dieser Ansicht von einer Anknüpfung des Geburtsbeginns an das Einsetzen der Eröffnungswehen schloss sich auch der erste Strafsenat des BGH mit Urteil vom 07.12.1983 an129. Die gegenteilige Ansicht, welche die so genannten AustreibungsPresswehen als für den Geburtsbeginn maßgeblich erklärte130, also die hen, welche das Kind anschließend durch die unteren Abschnitte des burtsweges hindurch aus dem Mutterleib hinaus befördern131, berief

und WeGesich

woldt / Pfleiderer, in: dies. / Kaufmann, Gynäkologie5, 412 (415): Dudenhausen, Geburtshilfe21, 136. 126  So u. a. Eser, in: Sch / Sch21, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 13; Lüttger, JR 1971, 133 (135); Maurach / Schroeder, BesT / 16, 12 f. Noch heute h. M.; s. dazu stellv. Küper, GA 2001, 515 (517) m. w. N.; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 1, Rn. 8 a. E.; Rohrer, Menschenwürde, 242 f.; Satzger, Jura 2008, 424 (428). 127  Zum Vorstehenden s. BGHSt 31, 348 (355); 32, 194 (196); s. ferner u. vorstehendes Zitat aus Lüttger, JR 1971, 133 (135). 128  So bereits in den 1980er Jahren Eser, in: Sch / Sch21, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 13; Lüttger, JR 1971, 133 (135); ders., NStZ 1983, 481 (482); aus heutiger Zeit etwa Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 1, Rn. 8; zsfd. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (317 m. Fn. 42). 129  BGHSt 32, 194 (196), m. zust Anm. Hirsch, JR 1985, 335 (339 f.). 130  So u. a. Preisendanz, StGB30, 685 m. Anm. 3 zu § 217 u. 690 m. Anm. 3 zu § 218 Abs. 1; Saerbeck, Beginn und Ende des Lebens, 95. 131  BGHSt 32, 194 (196); Lüttger, JR 1971, 133 (135).

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darauf, dass nur eine Anknüpfung des Geburtsbeginns an das Einsetzen der Treib- und Presswehen eine eindeutige Abgrenzung ermögliche. Der Übergang der normalen Schwangerschaftswehen in die geburtswirksamen Eröffnungswehen könne sich über mehrere Tage hinziehen und sei selbst für einen Mediziner keiner sicheren Abgrenzung zugänglich. Eine solch unsichere medizinische Zäsur eigne sich nicht zur Kennzeichnung einer solch zentralen normativen Zäsur, wie sie die „Menschwerdung“ nach dem Strafgesetz darstelle132. Dem konnte jedoch entgegengehalten werden, dass diese Unsicherheit einer jeden Unterscheidung von Wehenarten innewohnt und sich somit auch bei einer alternativen Anknüpfung des Geburtsbeginns an das Einsetzen der Treib- und Presswehen stellte, die in diesem Fall dann von den Eröffnungswehen abzugrenzen wären133. Unsicherheiten jener Art – namentlich solcher über die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandsmerkmals – weiß das Strafrecht nach § 16 StGB, also nach den Regeln des Tatbestandsirrtums, zu Gunsten des Täters aufzulösen134. b) Der Beginn der Öffnung des Uterus (h. M.) Damit bleibt zuletzt noch die Frage offen, wie die Frage des Geburtsbeginns und strafgesetzlicher „Menschwerdung“ zu entscheiden ist, wenn andere Vorgänge als Wehen den Auftakt der Geburt bilden. Für Sachverhalte des Kaiserschnitts hat sich bezüglich dieser Fragestellung die bereits 1983 im Schrifttum vorherrschende Auffassung durchgesetzt, in solchen Fällen auf den Beginn der Öffnung des Uterus abzustellen. Alle vorhergehenden medizinischen Stadien bildeten nur ein medizinisches Vorstadium der Geburt135. 3. Conclusio und Ausblick

Folgt man mithin der herrschenden Meinung, nach der das menschliche Leben (erst) mit Einsetzen der Eröffnungswehen – bzw. im Falle eines 132  Saerbeck,

(482).

Beginn und Ende des Lebens, 95; zsfd. Lüttger, NStZ 1983, 481

32, 194 (197); Lüttger, NStZ 1983, 481 (482). 32, 194 (197). 135  So bereits in den 1980er Jahren Eser, in: Sch / Sch21, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 13; Hirsch, JR 1985, 335 (340); Lackner15, Vorbem. § 211 m. Anm. 2.a.; aus der heutigen Zeit: Satzger, Jura 2008, 424 (428). Anders – unter Abstellung auf den Beginn der operativen Eröffnung der Bauchdecke – noch Lüttger, in: ders. / Blei / Hanau, FS-Heinitz, 359 (365 f.); anders – unter Abstellung auf den Zeitpunkt der Narkoseeinleitung – auch Cremer, MedR 1993, 421 (422–424). Weiterführend zu besonderen Erscheinungen der „natürlichen“ Geburt (vorzeitiger Blasensprung, Sturzgeburt) s. Lüttger, JR 1971, 133 (135). 133  BGHSt 134  BGHSt



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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Kaiserschnitts mit Öffnen des Uterus136 – zum „Menschen“ i. S. d. Strafgesetzes wird, ist eine vorsätzliche vorgeburtliche Tötung bis zu jenem Zeitpunkt also ein bloßer Schwangerschaftsabbruch, der im Falle medizinischsozialer Indikation gar nach § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigt sein kann. Unmittelbar danach, d. h., sobald die für maßgeblich erkannten Eröffnungswehen einsetzen, wandelt sich die rechtliche Beurteilung und die vorsätz­ liche Tötung verwirklicht noch im Geburtvorgang den Tatbestand des Totschlags oder Mordes. Weiter erfüllt eine fahrlässige Tötung vor dem Einsetzen der Eröffnungswehen keinen Straftatbestand, während die fahrlässige Tötung während des weiteren Geburtsvorgangs bereits der Strafandrohung des § 222 StGB untersteht. Ebenso erfüllen vor dem Einsetzen der Eröffnungswehen zugefügte Verletzungen – gleich ob vorsätzlich oder fahrlässig begangen – keinen Straftatbestand, während solche, die auf eine Einwirkung während des späteren Geburtsvorgangs zurückgehen, den Tatbestand der (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Körperverletzung, §§ 223 ff. StGB, erfüllen. Nur wenige Augenblicke, aus denen der Rechtsanwender auf das Einsetzen der Eröffnungswehen schlussfolgert, entscheiden mithin darüber, ob menschliches Leben vor dem Strafgesetz als „Mensch“ anerkannt und in seinem Leben wie in seiner körperlichen Integrität und Gesundheit entsprechend geschützt wird. Vergleicht man diese einfachgesetzliche Zäsur nun mit dem verfassungsrechtlichen Befund zum Lebensbeginn bzw. zum grundrechtlichen Status vorgeburtlichen Lebens, so offenbart sich – jedenfalls prima facie – eine erhebliche Divergenz: Während „Leibesfrucht“ und „Mensch“ durch das Strafgesetz höchst unterschiedlich vor Tötung und Körperverletzung geschützt werden, spricht das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen von einer Gleichwertigkeit pränataler und postnataler Entwicklungsstadien menschlichen Lebens, jedenfalls dann, wenn sich jene nach der Einnistung des Embryos in der Gebärmutterschleimhaut vollziehen. Es vollziehe sich „ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zuläßt. Er ist auch nicht mit der Geburt beendet; die für die menschliche Persönlichkeit spezifischen Bewußtseins­ phänomene z. B. treten erst längere Zeit nach der Geburt auf“137. Unter Anerkennung eines biologischen Kontinuums reagiert das Gericht hier da­ rauf, dass der Mensch zum Zeitpunkt der Geburt – wie bereits im zweiten 136  Sofern der Geburtsbeginn im Folgenden mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen gleichgesetzt wird, ist damit für den Fall der Kaiserschnittentbindung zugleich immer auch der Geburtsbeginn durch das Öffnen des Uterus angesprochen. 137  BVerfGE 39, 1 (37). Ähnl. für die grundrechtliche Würdegarantie BVerfGE 88, 203 (251).

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

Kapitel beschrieben – im Grunde noch eine „physiologische Frühgeburt“138 ist, die gleich einem „Nesthocker“ noch nicht selbstständig lebens- und bewegungsfähig ist und deren Organe, Sinnesorgane und Gliedmaßen noch der (postnatalen) Weiterentwicklung harren139. „Die menschliche Entwicklung ist ein fortlaufender Prozeß, der mit der Befruchtung der Eizelle beginnt und mit dem Tode endet“140 – mag die Geburt auch ein dramatisches Ereignis sein, welches das Kind der Umgebung des Mutterleibes entreißt, so ist sie in den Worten der Herren Moore und Persaud für viele Entwicklungsvorgänge doch eher ein „zufälliges Ereignis innerhalb eines ununterbrochenen Entwicklungsablaufs“141. Aus jener biologischen Kontinuität leitet das Gericht sein Gebot der normativen Gleichbehandlung ab: „Deshalb kann der Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz  1 GG weder auf den ‚fertigen‘ Menschen nach der Geburt noch auf den selbständig lebensfähigen nasciturus beschränkt werden“. Von besagtem Zeitpunkt an könne auch „zwischen ungeborenem und geborenem Leben […] kein Unterschied gemacht werden“142. Die Zäsur, die das Strafgesetz zwischen „Leibesfrucht“ und „Mensch“ zieht, weicht prima facie – und zwar eklatant – von jener postulierten Gleichwertigkeitsthese ab.

B. Sachliche Begründung des reduzierten strafgesetzlichen Schutzes der „Leibesfrucht“ Ob diese Zäsur durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann und sich mithin nicht nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG dem Vorwurf eines Wertungswiderspruchs aussetzt, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Dabei werden die einzelnen Ungleichbehandlungen, die in der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ nur ihren Ursprung finden, in den nachfolgenden Kapiteln noch eine differenzierte Betrachtung erfahren143. An dieser Stelle soll nur der allgemeinen Fragestellung nachgegangen Fragmente3, 57. Embryologie4, 1; s. auch Portmann, Fragmente3, 57 f. Vgl. zu dem Vorstehenden auch Kap. 2, Seite  74 f. [Abschn.  1, B. I. 1. a) dd)]. 140  Moore / Persaud, Embryologie-Atlas4, 1. 141  Moore / Persaud, Embryologie5, 1. 142  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (37). Ebenso für die grundrechtliche Würdegarantie: „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter Persönlichkeit“; BVerfGE 88, 203 (251). Siehe dazu auch bereits Kap. 2, Seite  103 [Abschn.  1, B. I. 3.] zum Kontinuitätsargument. 143  So wird sich das Kap. 5 etwa mit möglichen sachlichen Gründen für die in § 218a Abs. 2 StGB normierte medizinisch-soziale Schwangerschaftsabbruchsindika138  Portmann,

139  Rohen / Lütjen-Drecoll,



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

289

werden, welche sachlichen Gründe den Gesetzgeber und Rechtsanwender bewogen haben könnten, den Lebensschutz der „Leibesfrucht“ von dem des geborenen Menschen zu trennen und so den Grundstein für einen „funda­ mentale[n] Statuswechsel“144 zu legen, der sich diesseits und jenseits der Grenze strafgesetzlicher „Menschwerdung“ in verschiedenen Ungleichbehandlungen manifestiert, durchgehend aber von einer erheblich veränderten Strafandrohung begleitet wird. Allein die grammatikalische und systematische Auslegung des im heutigen Strafgesetzbuch wie früheren Gesetzesfassungen (§ 217 StGB a. F.) normierten Lebensschutzes145 vermag hierauf noch keine Antwort zu geben. Denn insofern kehrt man nur eine solche Wertung nach außen, die der Gesetzgeber bereits getroffen hat bzw. in früheren Gesetzesfassungen getroffen hatte, wenn er mit dem Geburtsbeginn die erstmalige Anwendung der allgemeinen Tötungsdelikte anstelle der §§ 218 ff. StGB verbindet / verband und eine damit im Einklang stehende Grammatik wie Systematik wählt / wählte. Über seine Gründe, diese Wertung für sachgerecht zu befinden, ist damit hingegen keine Aussage getroffen. Ähnlich mangelt es den kriminalpolitischen Gründen, den Geburtsvorgang durch eine Anwendung der §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB besonders schützen zu wollen146, diesbezüglich an Aussagekraft. Denn sofern man auf das erhöhte Gefahrenpotenzial jener Lebensphase Bezug nimmt, sucht man zwar eine Vorverlegung des fraglichen „Statuswechsels“ von der Vollendung auf den Beginn der Geburt zu erklären – weshalb es aber überhaupt eines solchen „Statuswechsels“ von der „Leibesfrucht“ zum „Menschen“ bedürfen soll, bleibt wiederum unbeantwortet. I. Legitimer Zweck: Eine Rücksichtnahme auf die symbiotische Verbindung mit dem Ungeborenen Was die kriminalpolitische Argumentation für eine Vorverlegung der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ von der Vollendung auf den Beginn der Geburt aber nach außen trägt, ist die grundlegende Bedeutung, die man dem Zustand der Schwangerschaft bzw. der symbiotischen Verbindung von Schwangerer und Ungeborenem beimisst. Erst das Ende jener Symbiose soll einer Anwendung der allgemeinen Tötungsdelikte wie auch der §§ 223 ff. StGB den Weg ebnen können – eine Überzeugung, von der nur aus kriminalpolitischen Gründen das Zugeständnis einer Zäsurenvorverlegung getion, das Kap. 6 mit möglichen sachlichen Gründen für den Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB befassen. 144  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (316). 145  Siehe dazu oben Seite  282 f. [A. II. 1. d)]. 146  Siehe dazu oben Seite  283 [A. II. 1. d)].

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

macht wird, um den Gefahren des Geburtsvorgangs effektiver entgegentreten zu können. Wenn die Untersuchung diesbezüglich und in ihrem weiteren Verlauf von einer symbiotischen Verbindung spricht, liegt dem ein Verständnis zugrunde, nach dem Schwangere wie Ungeborenes von ihrer körperlichen Verbindung wechselseitig profitieren, indem das anderenorts (wenigstens ohne intensivmedizinische Versorgung) nicht lebensfähige Ungeborene am Leben erhalten und der Schwangeren hierdurch die Fortpflanzung ermöglicht wird147. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass alternativ mit guten Gründen auch von einer eher parasitär gestalteten Verbindung gesprochen werden könnte, innerhalb derer nur einer der beiden Partner auf den anderen angewiesen ist148: Denn anders als in den Regelfällen einer Symbiose muss die körperliche Verbindung der Schwangeren mit dem Ungeborenen nicht deren Willen entsprechen, gleich ob ihr der zur Empfängnis führende Geschlechtsverkehr aufgezwungen wurde oder sie nur eine Familienplanung zum Zeitpunkt ihrer sexuellen Aktivität abgelehnt hat und ihr jeweiliges Verhütungsbemühen fehlgeschlagen ist. Auch zieht die Schwangerschaft ihren Gesundheitszustand in Mitleidenschaft, birgt jedoch wenigstens keine unmittelbaren Vorteile für sie, wenn ihr Körper vom Ungeborenen in Anspruch genommen statt gestärkt wird. Weil die Grenzen von Symbiose und Parasitismus aber bereits in der Biologie fließend sind149 und diese Begrifflichkeiten vorliegend nur sinngemäß zur Anwendung kommen sollen, wird der weitere Untersuchungsverlauf am Begriff von einer symbiotischen Verbindung festhalten, den in diesem Zusammenhang auch andere Rechtsliteratur bemüht150: Mit Blick auf das (gegebenenfalls nicht im Einzelfall, aber grundsätzlich vorhandene) Fortpflanzungsinteresse des Menschen kann dies nachvollziehbar vertreten werden. 147  Eine Symbiose im eigentlichen, biologischen Sinne kann freilich nicht vorliegen, setzt eine solche doch „das Zusammenleben artversch., aneinander angepasster Organismen zu gegenseitigem Nutzen“ voraus; Der Brockhaus / 13, 442 m. Stichw. „Symbiose“ (Hervorhebung nicht im Orig.). Gleiches muss für den Begriff des Parasitismus gelten, der seinerseits eine „Auseinandersetzung zwischen zwei artverschiedenen Organismen“ beschreibt, innerhalb derer nunmehr aber nur einer der beteiligten Organismen, „der Parasit, auf den anderen als Wirt, als Nahrungsquelle, angewiesen ist“; vorangehende Zitate aus Mehlhorn / Piekarski, Parasitenkunde6, V (Hervorhebung nicht im Orig.). 148  Hierauf weist auch Jerouschek, JZ 1989, 279 (283 m. Fn. 49), hin. Zu einer Def. des Parasitismus s. Mehlhorn / Piekarski, Parasitenkunde6, V, u. die vorangehende Fn. 147. 149  Der Brockhaus / 13, 442 m. Stichw. „Symbiose“. 150  Vgl. etwa stellv. Henking, Wertungswidersprüche, 133; Schirmer, „In-vitro“Fertilisation, 100; hingegen weist Bemmann, ZStW 1971, 81 (94), ausdrücklich auf einen parasitären Charakter des ungeborenen Lebens in vivo hin.



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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Auch das BVerfG hat in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen die Eigenart jenes Verhältnisses von Schwangerer und Ungeborenem herausgekehrt, die „in denkbar engster Weise verbunden“151 sind: „Unzweifelhaft begründet die natürliche Verbindung des ungeborenen Lebens mit dem der Mutter eine besonders geartete Beziehung, für die es in anderen Lebenssachverhalten keine Parallele gibt“152. Im Anschluss an diese verfassungsgerichtliche Feststellung wie auch an die angeführte kriminalpolitische Argumentation scheint es mithin nur sachgerecht, den Grund für die abweichende Regelung des Lebensschutzes der „Leibesfrucht“, den die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ vom postnatalen Lebensschutz scheidet, in dieser „besonders gearteten Beziehung“ innerhalb einer Schwangerschaft zu suchen: einer Beziehung, auf die der Gesetzgeber mit einem abweichenden Urteil über seine eigene Schutzfähigkeit, die Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen wie auch über das Verhaltensunrecht des die Schwangerschaft beendenden Täters reagiert haben mag153. 1. Die Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen in seiner symbiotischen Verbindung mit der Schwangeren

Soweit eine reduzierte Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen ins Feld geführt worden ist, um dessen zurückgenommenen strafgesetzlichen Schutz zu rechtfertigen, hat dem jedoch bereits das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen eine Absage erteilt. So mag es zwar zutreffen, dass die Natur den Ungeborenenschutz bereits „in die unmittelbare Obhut der Mutter gelegt“ habe154. Entsprechend wird das Ungeborene infolge seiner symbiotischen Verbindung mit dem mütterlichen Körper auch am (grundrechtlichen wie strafgesetzlichen) Schutz der Schwangeren partizipieren. Jedoch liefe es – wie eingangs innerhalb des zweiten Kapitels der vorliegenden Untersuchung ausgeführt worden ist – bereits den grundrecht151  So die Stellungnahme (§ 77 BVerfGG) der BuReg im Vorfeld der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung; BVerfGE 39, 1 (25). 152  BVerfGE 39, 1 (42). 153  In diesem Sinne meint etwa Satzger, Jura 2008, 424 (427), die geringere Strafandrohung des § 218 StGB mit einem durch die besondere „Zweiheit in Einheit“ reduzierten personalen Handlungsunwert der schwangeren Täterin erklären zu können, stellt den erwählten Erklärungsansatz aber selbst sogleich in Frage, indem er die Einbeziehung eines nicht zur Konfliktlösung tätig werdenden Dritten in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB für „unstimmig“ befindet; dazu nachfolgend noch Seite  303 [II. 2.] m. Fn. 185. 154  So die Formulierung der BuReg (§ 77 BVerfGG) im Vorfeld der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung; BVerfGE 39, 1 (25). Vgl. auch Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (146), der von einer „natürlichen Obhut des mütterlichen Organismus“ schreibt.

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

lichen Gewährleistungen zuwider, den Ungeborenenschutz vornehmlich über eine solche Partizipation an den Rechten der Mutter verwirklichen zu wollen: Die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG haben diesbezüglich ausdrücklich festgehalten, dass das ungeborene Leben als eigenständiges Rechtsgut geschützt werden muss155. Vor allem aber weiß eine Partizipation an den mütterlichen Rechten das Ungeborene bereits begriffsnotwendig nur vor Angriffen Dritter zu schützen. Gegen schädigende Einwirkungen, gar absichtliche Abbruchshandlungen seiner Mutter wenden sich die mütterlichen Rechte begriffsnotwendig nicht; ebenso kann die Schwangere wirksam auf sie verzichten, sodass eine Partizipation an ihren Rechten das ungeborene Leben auch nicht vor solchen Dritteinwirkungen zu bewahren wüsste, die sich mit dem Willen seiner Mutter vollziehen. Wer sich auf die „mütterliche Obhut“ über das ungeborene Leben beriefe, um es für weniger schutzbedürftig zu erklären und in der Folge seinen gesetzlichen Schutz zu reduzieren, versagte dem ungeborene Leben so jedenfalls in denjenigen Fällen den vollen Schutz der Rechtsordnung, in denen seine Existenz gerade durch seine Mutter bedroht wird. In diesem Sinne hatte schon das BVerfG hervorgehoben, dass das ungeborene Leben „auch gegenüber der Mutter“ geschützt werden müsse156. Im Gegenteil erhöht die symbiotische Verbindung mit einer potenziellen Täterin in tatsächlicher Hinsicht sogar das Gefahrenpotenzial für das Ungeborene. Denn eine symbiotische Verbindung wird durch die Schwangerschaft in dem Sinne hergestellt, als sie einen Zustand begründet, in dem sich zwei schutzwürdige Leben einen Körper teilen. So leben die Schwangere und das Ungeborene für die Dauer der Schwangerschaft unweigerlich in einer „Zweiheit in Einheit“157, die das Ungeborene von jeder Verhaltens- und Umweltänderung der Schwangeren abhängig macht. Ob die Schwangere nun raucht, trinkt oder eine gefährliche Sportart ausübt – das Ungeborene ist ob seiner Eingliederung in den mütterlichen Körper stets mitbetroffen. Auch seine intendierte Tötung wird der Schwangeren durch deren „mütterliche Obhut“ erheblich erleichtert: Insofern verlangte ein entsprechendes Tötungsvorhaben nur die Einwirkung auf ihren eigenen Körper, in den das Ungeborene einge155  „Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG)“; BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 1 u. ähnl. 36); in diesem Sinne auch BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 1 u. 252). Siehe dazu auch die entsprechenden Ausführungen des Kap. 2, Seite  118 [Abschn.  1, C. I.]. 156  Vgl. BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 2): „Die Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber der Mutter“; ähnl. a. a. O., 42, u. BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 3). Siehe dazu auch die entsprechenden Ausführungen des Kap. 2, Seite  118 [Abschn.  1, C. I.]. 157  BVerfGE 88, 203 (253).



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gliedert ist, und hätte sie seitens des in diesem Sinne „inkorporierten“ Opfers keine Gegenwehr zu erwarten. In seiner symbiotischen Beziehung mit der Täterin, deren Zugriff es ohne Unterlass und Entkommen ausgeliefert ist, entbehrt das Ungeborene stattdessen der Fähigkeit, sich selbst vor etwaigen mütterlichen Angriffen zu schützen, ebenso wie sich seine Schutzbedürftigkeit erhöht. Da es seine Rechtsgüter nicht selbst vor Schaden bewahren kann, wäre eine der Gleichwertigkeitsthese folgende Rechtsordnung folgerichtig angehalten, seine diesbezügliche „Hilflosigkeit“ und das daraus erwachsende Schutzdefizit zu kompensieren, indem sie strengere Vorschriften erließe, die in erhöhtem Maße zur Achtung seiner gefährdeten Rechtsgüter verpflichteten. Denn es entspricht „kriminalpolitischen Grundprinzipien, einem Rechtsgut um so eher strafrechtlichen Schutz angedeihen zu lassen, je hilfsbedürftiger es erscheint“158 – ein Prinzip, das sich innerhalb des Geborenenschutzes etwa auch in § 211 Abs. 2 StGB manifestiert, wenn die Argund Wehrlosigkeit eines Opfers zum Anlass genommen wird, seine insofern heimtückische Tötung für besonders verwerflich zu befinden und als Mord anstatt nur als Totschlag zu verfolgen. In der Folge wäre zu erwarten, dass sich ein der Gleichwertigkeitsthese verpflichteter Gesetzgeber umso mehr schützend vor das ungeborene Leben stellte, nicht aber dass er die Strafandrohung für dessen vorsätzliche Tötung reduzierte und auf eine Strafandrohung für dessen Verletzung wie fahrlässige Tötung gar gänzlich verzichtete: In seiner symbiotischen Verbindung mit der Täterin stellt es sich gegenüber seiner Mutter nicht etwa als weniger schutzbedürftig dar, sondern bedürfte umso mehr des Schutzes vor ihr. 2. Die Schutzfähigkeit des Gesetzes

Soweit also folgt aus der reduzierten Fähigkeit des Ungeborenen, sich in seiner symbiotischen Verbindung mit der Täterin selbst zu schützen, nicht etwa eine reduzierte, sondern gar eine erhöhte Schutzbedürftigkeit. Von jener eingeschränkten Selbstschutzfähigkeit, die seine Schutzbedürftigkeit ansteigen lässt, gilt es nun die Schutzfähigkeit des Gesetzes zu unterscheiden: nämlich das Vermögen der Rechtsordnung, das ungeborene Leben – das sich in seiner „Zweiheit in Einheit“ als hilflos erweist – an seiner statt vor Gefahren für sein Leben und seine Integrität zu bewahren. 158  Zitat aus: Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (146), zu einer erhöhten Schutzbedürftigkeit des Embryos in vitro (im Reagenzglas) gegenüber dem ungeborenen Leben in vivo (im Mutterleib), das „in der natürlichen Obhut des mütterlichen Organismus Geborgenheit findet“, während der Embryo in vitro „beliebigen, kaum kontrollierbaren Zugriffsmöglichkeiten ausgesetzt“ sei; vorliegende Zitate ebda. entnommen. Vgl. dazu auch Mersson, Fortpflanzungstechnologien, 185 f.

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a) Gegenüber der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren Einschränkungen erfährt diese gesetzliche Schutzfähigkeit zunächst gegenüber der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren, soweit das Leben oder die Integrität des Ungeborenen durch sie fahrlässig bis bedingt vorsätzlich beeinträchtigt wird. Dabei steht einem wirksamen Ungeborenenschutz nicht etwa entgegen, dass diese allgemeine Lebensführung durch das allgemeine Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich garantiert ist. Denn insofern obläge es dem Gesetzgeber, eine Kollision mit dem Ungeborenenschutz in Entsprechung mit der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese zugunsten des ungeborenen Lebens zu entscheiden. Dem Zugriff des Gesetzes entzieht sich die allgemeine Lebensführung der Schwangeren vielmehr, indem sie sich jenseits des staatlichen Blickwinkels vollzieht: Welche Lebensgewohnheiten eine Schwangere pflegt, kann unmöglich einer staatlichen Kontrolle unterzogen werden. Selbst wenn solche gefährlichen Lebensgewohnheiten aber – etwa im Wege der Strafanzeige – zur Kenntnis des Staates gelangen sollten, geriete eine Rechtsordnung, die sie unter Strafandrohung verböte, unweigerlich in Beweisschwierigkeiten: Ob der Tod oder auch nur die Verletzung eines Ungeborenen gerade durch die fraglichen gefährlichen Verhaltensweisen der Schwangeren herbeigeführt worden ist, ließe sich schwerlich nachweisen und die Bestrafung aus einem Erfolgsdelikt sähe sich durch jene Erschwerung bis Verhinderung des Kausalitätsnachweises gehindert. Eine diesbezügliche Strafandrohung wäre dazu verurteilt, in dubio pro reo stets ins Leere zu gehen. Unter anderem aus eben diesem Grunde hat der Gesetzgeber auch darauf verzichtet, in die §§ 218 ff. StGB einen Straftatbestand des fahrlässigen Schwangerschaftsabbruchs aufzunehmen, ebenso wie er sich auch dagegen entschieden hat, einen Straftatbestand der „Embryonenschädigung“ zu formulieren, wie ihn das Bundesministerium der Justiz in § 1 seines Diskussionsentwurfs zum Embryonenschutzgesetz noch vorgesehen hatte159. Auch eine Bestrafung wegen nur versuchter statt vollendeter Embryonenschädigung müsste regelmäßig daran scheitern, dass es der Schwangeren bezüglich ihrer allgemeinen Lebensführung in der Regel an einem auch nur bedingten Vorsatz mangeln wird, eine Tötung bzw. Integritätsverletzung des Ungeborenen billigend in Kauf zu nehmen. Die verbleibende Möglichkeit, die allgemeine Lebensführung der Schwangeren in ein abstraktes Gefährdungsdelikt einfließen zu lassen, setzte schließlich eine Gesetzesfassung voraus, die den Verzicht auf einen tatbe159  Zur erschwerten Beweisführung über einen – in § 1 DE ESchG v. 29.04.1986 noch vorgesehenen – Straftatbestand der „Embryonenschädigung“ s. etwa Lenckner / Winkelbauer, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 211 (222–224).



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standlich bestimmten Erfolg durch eine hinreichend konkrete Handlungsbeschreibung kompensierte160. Angesichts der Weite möglicher Tathandlungen könnte eine solche aber kaum formuliert werden, ohne den Anwendungsbereich eines solchen Gefährdungsdeliktes von vornherein übermäßig einzuschränken. Zumindest was die allgemeine Lebensführung der Schwangeren betrifft, sind die möglichen Einflussnahmen der Rechtsordnung mithin „von der Sache her begrenzt“161. Dass der Gesetzgeber das ungeborene Leben durch die Formulierung einer Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ also zunächst gegenüber Verletzungen seiner Integrität wie gegenüber fahrlässigen Tötungen schutzlos stellt, könnte eine der Gleichwertigkeitsthese folgende Rechtsordnung – jedenfalls im Verhältnis zu der Schwangeren als Täterin – nun mit einer diesbezüglich reduzierten Schutzfähigkeit des Strafgesetzes erklären wollen: Gleichwohl der Strafgesetzgeber das ungeborene Leben für schutzbedürftig anerkannte, sähe er sich nicht in der Lage, ihm in seiner symbiotischen Verbindung mit der Täterin zu dem ihn gebührenden Schutz zu verhelfen, weshalb er in der Folge auf entsprechende normative Maßnahmen verzichtete. b) Gegenüber absichtlichen Abbruchshandlungen der Schwangeren Den Regelfall des Schwangerschaftsabbruchs bildet nun aber diejenige Konstellation, in der die Schwangere das Ungeborene absichtlich tötet, um den ungewollten und ggf. auch ihre eigene Gesundheit gefährdenden Zustand der Schwangerschaft zu beenden. Hier steht keine fahrlässige bis bedingt vorsätzliche Beeinträchtigung des ungeborenen Lebens durch ihre allgemeine Lebensführung in Frage, sondern ein absichtlicher Angriff auf das Ungeborene, der bereits aufgrund der ihn begleitenden Tötungsabsicht aus der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren heraussticht und auch einem Beweis eher zugänglich ist. Diesbezüglich wird sich für absichtliche Abbruchshandlungen nicht nur unschwer ein Tötungsvorsatz darlegen lassen, sondern werden Erfahrungssätze über die objektive Tötungseignung der gewählten Abbruchshandlung auch den Kausalitätsnachweis, wenigstens aber – insofern im Rahmen einer Versuchsstrafbarkeit – den Nachweis über den Eintritt einer objektiven Gefahrverdichtung für das jeweilige ungeborene Leben erleichtern162. in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 211 (223). 161  So die Stellungnahme der BuReg gemäß § 77 BVerfGG; zsfd. BVerfGE 39, 1 (25). 162  Vgl. § 1 DE ESchG v. 29.04.1986, der den Tatbestand der „Embryonenschädigung“ auch ob der erleichterten Beweisführung über den Kausalzusammenhang auf leichtfertige Handlungen beschränkte; s. dazu Begr. zum DE ESchG v. 29.04.1986, abgedr. in Günther / Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin2, Anhang I, 160  Lenckner / Winkelbauer,

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Dem Zugriff des Gesetzes würde sich ein solcher absichtlicher Angriff auf ungeborenes Leben also nicht entziehen, sodass die Schutzfähigkeit des Gesetzes aus diesem Grunde nicht für vermindert erkannt werden könnte. Dies kehren auch die §§ 218 ff. StGB heraus, wenn sie nicht etwa darauf verzichten, für den vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruch eine Strafandrohung zu formulieren163, sondern sich darauf beschränken, ihre Strafandrohung im Vergleich mit den allgemeinen Tötungsdelikten zu reduzieren. Sobald sich der Gesetzgeber aber entschließt, eine – wenn auch nur verminderte – Strafe anzudrohen, hat er die eigene Fähigkeit, im Wege der Strafandrohung einen Rechtsgüterschutz zu verwirklichen, bereits bejaht. Einschränkungen der gesetzlichen Schutzfähigkeit werden stets nur den Verzicht auf Strafe – wie soeben bezüglich der Integritätsverletzungen und fahrlässigen Tötungen im Mutterleib diskutiert164 – rechtfertigen können, nicht aber die Höhe einer gewählten Strafandrohung sachlich zu begründen wissen. Entweder ist der Gesetzgeber imstande, ein Rechtsgut zu schützen, oder er ist es nicht – dass er nur „ein bisschen“ imstande sei, wird er nicht für sich beanspruchen können und so auch nicht seine reduzierten Strafandrohungen in den §§ 218 ff. StGB erklären können. 3. Das Verhaltensunrecht des Täters

Wohl aber könnten seine reduzierten Strafandrohungen widerspiegeln, wie der Gesetzgeber aus der symbiotischen Verbindung des Ungeborenen mit dem mütterlichen Körper auf ein im Falle des Schwangerschaftsabbruchs reduziertes Verhaltensunrecht schlussfolgerte. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Schwangerschaft unter Beeinträchtigung der Rechtsgüter der Schwangeren eine besondere Konfliktlage begründet: Für neun Monate ist sie gehalten, ihren Körper einem Anderen zur Verfügung zu stellen und in der Folge gegebenenfalls auch eine Beeinträchtigung ihres Leben, ihrer körperlichen wie seelischen Gesundheit oder auch nur ihres Selbstbestimmungsrechts in Kauf zu nehmen165. Dies könnte den 352 (356); Lenckner / Winkelbauer, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 211 (218). 163  Dies im Übrigen nicht nur für den absichtlichen, sondern auch für den bedingt vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruch, den die Schwangere nicht anstrebt, sondern nur in Kauf nimmt. Tatsächlich dürften sich hier – sofern die nur gebilligte Ungeborenentötung der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren entspringt – aber Beweisschwierigkeiten offenbaren, wie sie vorliegend auf den Seiten 294 f. [a)] beschrieben worden sind. 164  Siehe oben Seite  294 f. [a)]. 165  Vgl. BVerfGE 39, 1 (48). Zu den durch die Schwangerschaft tangierten Grundrechten der Frau siehe a. a. O., 42 f., u. s. ferner die Stellungnahme der BuReg (§ 77 BVerfGG) a. a. O., 25.



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„tiefere[n] Grund für die Minderung des Handlungsunwerts einer Abtreibung“ darstellen166. Sofern das Gesetz diese Beeinträchtigungen als unzumutbar wertet (wie in den Fällen der medizinisch-sozialen Indikation gemäß § 218a Abs. 2 StGB167) bzw. der Schwangeren zugesteht, ihre Schwangerschaft in eigener Person für unzumutbar zu befinden (wie im Falle des § 218a Abs. 1 StGB, der keine Feststellung eines Indikationstatbestandes durch einen Dritten verlangt168), erkennt es an, dass ein Schwangerschaftsabbruch zur Befreiung aus einer solchen Konfliktlage durchgeführt wird, der das Gesetz rechtfertigende (so für die Verwirklichung eines Indikationentatbestandes) oder wenigstens strafausschließende (so für die Verwirklichung des Tatbestandsausschlusses des § 218a Abs. 1 StGB) Wirkung beimisst. Dem ist jedoch stets eine solche Belastung der Frau vorausgesetzt, „die wesentlich über das normalerweise mit einer Schwangerschaft verbundene Maß hinausgeht“169. Demgegenüber hat das BVerfG festgehalten, dass Umstände, die den Pflichtigen nicht schwerwiegend belasten, „die Normalsituation darstellen, mit der jeder fertig werden muß“170. Insofern vermögen die angesprochenen „normalen“ Schwangerschaftsbelastungen das Verhaltensunrecht der Schwangeren also nicht in dem Maße zu reduzieren, dass ein rechtfertigender Indikationentatbestand verwirklicht wäre, und müsste der Schwangeren auch im Rahmen des Beratungskonzeptes nach § 218a Abs. 1 StGB ein Bewusstsein davon vermittelt werden, dass ihr entsprechend motivierter Abbruch Unrecht ist (vgl. § 219 Abs. 1 S. 3 StGB). Sie vermindern das Verhaltensunrecht aber dergestalt, dass die eine Schwangerschaft abbrechende Frau eine dieser „Normalsituation“ ihrer Schwangerschaft entspringende Konfliktlage durch Tötung des Ungeborenen zu beendigen sucht und sich insofern vom Täter eines allgemeinen Tötungsdelikts unvermeidlich unterscheiden muss. Ebenso ist das Verhaltensunrecht desjenigen Dritten tangiert, der nach dem Willen der Schwangeren zur Lösung dieser Konfliktlage tötet: so maßgeblich das Unrecht des den Abbruch durchführenden Arztes, aber auch eines mit dem Willen der Schwangeren tätig werdenden anderen Dritten. Insofern bildete die Beendigung der symbiotischen Verbindung zwischen Schwangerer und Ungeborenem also durchaus einen legitimen Grund, um die Strafandrohung gegenüber den §§ 211 ff. StGB herabzusetzen und so Rück166  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (332). 167  Siehe hierzu eingehend an späterer Stelle Kap. 5 (Seite  310–540). 168  Siehe hierzu eingehend an späterer Stelle Kap. 6 (Seite  541–669). 169  BVerfGE 39, 1 (48). 170  BVerfGE 39, 1 (49).

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

sicht auf die fragliche Minderung des Verhaltensunrechts vor Beendigung der symbiotischen Verbindung zu nehmen. 4. Keine Rücksichtnahme auf eine verminderte Tötungshemmung

Demgegenüber könnte ein gesellschaftliches Bewusstsein, das das ungeborene Leben geringer als das geborene schätzte, keine Reduzierung des Verhaltensunrechts vermitteln. Zwar hat bereits die erste Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG auf entsprechende Unterschiede in der gesellschaftlichen Wertung hingewiesen, wenn es die „leidenschaftliche Diskussion der Abtreibungsproblematik“ als Indiz dafür wertete, „daß in einem Teil der Bevölkerung der Wert des ungeborenen Lebens nicht mehr voll erkannt wird“171. Auch ist es zutreffend, dass ein dergestalt geschwundenes Werte- und Unrechtsbewusstsein die Hemmschwelle vor der Tötung eines Ungeborenen herabzusetzen vermag, sodass der Täter eines Schwangerschaftsabbruchs eine niedrigere Hemmschwelle als der Täter eines allgemeinen Tötungsdelikts zu überschreiten hätte und insofern auch einen weniger gefährlichen verbrecherischen Willen manifestierte. „Das gibt jedoch dem Gesetzgeber nicht das Recht zur Resignation“172 – die Rücksicht auf eine in diesem Sinne verminderte Tötungshemmung bildete nach der Rechtsprechung des BVerfG gleichwohl keinen legitimen Zweck, das ungeborene Leben abweichend vom geborenen Menschen zu behandeln. Denn gerade die unterstellte Geringschätzung des ungeborenen Lebens widerspräche den verfassungsrechtlichen Feststellungen der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen, denen zufolge das postnidative ungeborene Leben gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhat. Diesbezüglich hat das BVerfG ausdrücklich die positiv-generalpräventive Funktion der §§ 218 ff. StGB festgehalten, ein entsprechendes Rechtsbewusstsein vom Wert des ungeborenen Lebens und Unrechtsgehalt seiner Tötung zu bestärken und zwar kein gänzlich geschwundenes Rechtsbewusstsein neu zu prägen, aber ein im Schwinden begriffenes Bewusstsein in seiner reduzierten Form doch zu bestätigen173. Ein gegenteiliges Bewusstsein, das das ungeborene Leben nur gering schätzte, dürfte nach dieser positiv-generalpräventiven Zielsetzung der §§ 218 ff. StGB durch eine nur reduzierte Strafandrohung also 171  Vgl.

dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (66). 39, 1 (66). 173  Siehe dazu eingehend oben Kap. 2, Seite  124–131 [Abschn.  2]. Speziell zur Frage einer Bildung statt nur Abbildung von Rechtsbewusstsein durch eine positivgeneralpräventiv wirksame Rechtsordnung s. ebda., Seite  127–130 [B.]. 172  BVerfGE



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wenigstens keine weitere Bestätigung erfahren. Denn gerade der Höhe der Strafandrohung wird eine zentrale Rolle zugemessen, wenn es darum geht, den hohen Wert eines geschützten Rechtsguts positiv-generalpräventiv zu transportieren: „Dem Wert des von Vernichtung bedrohten Rechtsguts entspricht der Ernst der für die Vernichtung angedrohten Sanktion, dem elementaren Wert des Menschenlebens die strafrechtliche Ahndung seiner Vernichtung“174. In diesem Sinne hat das BVerfG die Verhängung von lebenslangen statt nur zeitigen Freiheitsstrafen ausdrücklich damit gerechtfertigt, dass die Höhe der Strafandrohung den Wert des menschlichen Lebens kommuniziere175. 5. Conclusio

Soweit man also den Grund für die abweichende Regelung des Lebensschutzes der „Leibesfrucht“, den die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ vom postnatalen Lebensschutz scheidet, in der durch eine Schwangerschaft geschaffenen symbiotischen Verbindung zwischen dem Ungeborenen und seiner Mutter sucht, haben bereits die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG eine reduzierte Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens zutreffend verneint. Ebenso haben es die Ausführungen des Gerichts zu einer positiv-generalpräventiven Funktion der §§ 218 ff. StGB ausgeschlossen, eine etwaige Geringschätzung des Werts des ungeborenen Lebens auch nur mittelbar zur sachlichen Rechtfertigung eines reduzierten strafgesetzlichen Schutzes der „Leibesfrucht“ heranzuziehen. Weiter ist es zwar zutreffend, dass die symbiotische Verbindung des Ungeborenen mit der Schwangeren die Fähigkeit des Gesetzes beeinträchtigt, das Ungeborene vor den Auswirkungen der allgemeinen Lebensführung der Frau zu schützen. Gegenüber absichtlichen Abbruchshandlungen, die schließlich den Regelfall der §§ 218 ff. StGB bilden, bleibt seine Schutzfähigkeit jedoch unangetastet. Was die symbiotische Verbindung auch für diese absichtlichen Abbruchshandlungen zur Folge hat, ist ein reduziertes Verhaltensunrecht der Schwangeren, die sich durch den Schwangerschaftsabbruch von jener konfliktbeladenen Verbindung befreien möchte, ebenso ein reduziertes Verhaltensunrecht desjenigen Dritten, der mit ihrem Willen zur Lösung dieser Konfliktlage tätig wird. Insofern kennzeichnet die symbiotische Verbindung zwischen Schwangerer und Ungeborenem eine Phase des menschlichen Lebensschutzes, die in der weiteren Entwicklung des menschlichen Lebens nicht wiederkehrt. Das 174  BVerfGE

39, 1 (47 f.). dazu BVerfGE 45, 187 (256 f.); ferner Hassemer, Strafrecht, 87 f.; Müller-Dietz, in: Vogler, FS-Jescheck / 2, 813 (822). 175  Siehe

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

menschliche Leben des Ungeborenen ist aufgrund seiner symbiotischen Abhängigkeit in einer Art und Weise gefährdet, wie es vom Zeitpunkt seiner Geburt an nie mehr gefährdet sein wird. Ebenso ist die Schwangere aufgrund ihrer symbiotischen Verantwortlichkeit in einer Art und Weise betroffen, wie es ein Täter, der jenseits dieser symbiotischen Verbindung steht, nicht erlebt. Dass diese Phase des menschlichen Lebensschutzes seitens des Gesetzgebers anders behandelt wird als postnatale Phasen des menschlichen Lebensschutzes, verwundert mithin nicht. Stattdessen wüsste es die gesetzgeberische Rücksichtnahme auf ein reduziertes Verhaltensunrecht des Täters durchaus sachlich zu begründen, dass die Schwangere und der ihr zur Hilfe kommende Dritte eine nur reduzierte Strafe fürchten müssen, wenn sie eine Schwangerschaft – jenseits der rechtfertigenden Schwangerschaftsabbruchsindikationen des § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB und des tatbestandsausschließenden Verfahrens des § 218a Abs. 1 StGB – abbrechen und mithin ein ungeborenes Leben töten, um die symbiotische Verbindung mit der Schwangeren aufzulösen. II. Ein „Scheinzweck“: Die Einbeziehung des „sonstigen Dritten“ in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB In Frage steht jedoch, ob diese an sich legitime Zielsetzung durch eine schematisierende Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ verfolgt werden kann, die nicht nur Rücksicht auf Besonderheiten der symbiotischen Verbindung nimmt, sondern sich auch jenseits der symbiotischen Verbindung rücksichtsvoll gibt, indem sie den „sonstigen Dritten“ in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB einbezieht und mithin so behandelt, als sei auch er „ein bisschen schwanger“. Mit dem Begriff des „sonstigen Dritten“ wird derjenige Dritte bezeichnet, der das Ungeborene nicht tötet, um die Schwangere mit deren Willen aus ihrer durch die Schwangerschaft begründeten Konfliktlage zu befreien, sondern der die Schwangerschaft ohne oder gar gegen den Willen der Schwangeren beendet. Ebenso soll von jener Bezeichnung im Folgenden derjenige Dritte erfasst sein, der zwar mit dem Willen der Schwangeren eine ärztliche Therapie an ihr oder dem Ungeborenen vornimmt, hierdurch aber zumindest sorgfaltswidrig – und mithin nicht mehr willensgemäß – das Leben oder die körperliche Integrität des Ungeborenen zu Schaden bringt. Wählt das Gesetz den Weg, der eigenen reduzierten Schutzfähigkeit und einem reduzierten Verhaltensunrecht der Schwangeren durch die Normierung einer schematisierenden Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ Ausdruck zu verleihen, muss es wenigstens in Kauf nehmen, dass sich von dieser Zäsur auch ein solcher „sonstiger“ Dritter erfasst sieht – ungeachtet dessen, dass dessen Verhaltensunrecht womöglich nicht reduziert ist und auch die



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Schutzfähigkeit des Gesetzes ihm gegenüber keine vergleichbaren Einschränkungen erfährt176. 1. Die Schutzfähigkeit gegenüber Dritteinwirkungen

Tatsächlich ist das Ungeborene mangels symbiotischer Abhängigkeit vom Körper des Dritten von dessen allgemeiner Lebensführung nicht unmittelbar betroffen. Soweit eine Einwirkung auf das Ungeborene durch einen Dritten in Frage steht, wird sich diese Einwirkung vielmehr außerhalb der allgemeinen Lebensführung des Dritten vollziehen, etwa einem tätlichen Angriff auf die Schwangere entspringen oder Teil einer ärztlichen Behandlung sein. Solche Einwirkungen, die die allgemeine Lebensführung des Dritten überschreiten, stehen aber nicht außerhalb des staatlichen Blickwinkels. Um die soeben genannten Beispiele aufzugreifen: Weder ein tätlicher Angriff noch eine ärztliche Behandlung entziehen sich der Kon­ trollpotenz des Gesetzgebers. Was die gesetzliche Schutzfähigkeit aber im Einzelfall auch gegenüber einem Dritten mindern kann, ist die Schwierigkeit, im multifaktoriellen Umfeld einen Nachweis über die Kausalität dessen Verhaltens für den Eintritt eines Verletzungserfolgs am Ungeborenen zu führen. Dies gilt jedenfalls für solche Einwirkungen seitens des Dritten, die nicht von einer Verletzungsabsicht begleitet sind, im Allgemeinen und für solche Einwirkungen, die einer Arzneimitteltherapie entspringen, im Besonderen. Entsprechende Schwierigkeiten, den Kausalitätsnachweis zu führen, haben sich etwa im berühmten Contergan-Prozess trotz umfangreichen Beweismaterials offenbart177. So muss man innerhalb des durch die Contergan-Katastrophe populär gewordenen Risikos, den Embryo bzw. Fetus durch die Verabreichung von Arzneimitteln an die Schwangere zu schädigen, zwischen teratogenen und embryotoxischen Schädigungen auf der einen Seite und pharmakotherapeutischen Schädigungen auf der anderen Seite unterscheiden. Während mit pharmakotherapeutischen Schädigungen Folgen der typischen Arzneimittelwirkungen angesprochen sind, die gleichermaßen am Ungeborenen wie auch am Erwachsenen auftreten können und als solche vorhersehbar sind178, sind teratogene und embryotoxische Schädigungen die Folge von „Eingriffe[n] in die ‚Ausformung‘ eines neuen Individuums“; sie kommen 176  Vg.

(332).

dazu die Bsp. bei Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295

177  Zum Kausalitätsnachweis durch das LG Aachen s. dass., JZ 1971, 511 (514); krit. Bruns, in: Lüttger / Blei / Hanau, FS-Heinitz, 317 (331–334); Kaufmann, JZ 1971, 569 (572–575). 178  Lüllmann / Mohr / Hein, Pharmakologie u. Toxikologie17, 51.

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

beim Erwachsenen nicht vor und „sind in der Regel aus der eigentlichen pharmakologischen Wirkung der Substanzen nicht vorherzusagen“179. Mit dieser verneinten Vorhersehbarkeit korrespondiert die erhebliche Schwierigkeit, einen sicheren Nachweis über den Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen einer Arzneimitteltherapie der Schwangeren und einer Fehlbildungshäufigkeit unter Embryonen und Feten zu erbringen. Dies betrifft zunächst die generelle Eignung eines Arzneimittels, den Embryo bzw. Fetus zu schädigen180: Denn steht ein Arzneimittel im Verdacht, eine auch spontan relativ häufig auftretende Fehlbildung auszulösen, könnte die Häufigkeit der Fehlbildung, wie sie bei behandelten Schwangeren auftritt, nur gegen die spontane Häufigkeit statistisch abgegrenzt werden. Erschwerend tritt weiter hinzu, dass während der Schwangerschaft häufig mehr als ein Arzneimittel angewendet wird; schließlich vermag die Krankheit der Schwangeren, aufgrund derer die Arzneimitteltherapie erfolgt, ihrerseits ein Risiko für die embryofetale Entwicklung darstellen181. Selbst wenn der Nachweis über diese generelle Eignung aber gelingt – was für solche Arzneimittel erleichtert ist, die ein spezielles, spontan nicht oder extrem selten austretendes Fehlbildungssyndrom auslösen182 –, sieht sich das Strafgesetz immer noch vor die Schwierigkeit gestellt, den Nachweis über Kausalität und objektive Zurechnung nicht nur im Allgemeinen, sondern für den konkreten Einzelfall erbringen zu müssen: Insofern müsste die tatsächliche Einnahme des verschriebenen Medikamentes nachvollzogen werden können, ebenso wie alternative Ursachen für die Entstehung der jeweiligen Fehlbildung müssten ausgeschlossen werden können183. Soweit der Verzicht auf eine Strafandrohung für den fahrlässigen Schwangerschaftsabbruch und die „Embryonenschädigung“ in den §§ 218 ff. StGB mit besagten Beweisschwierigkeiten gerechtfertigt wird, hat also auch der „sonstige Dritte“ an dieser Ratio Anteil. Ungeachtet dieser grundsätzlichen Schwierigkeiten verbleiben jedoch Fälle, in denen der Erfolgseintritt – wie etwa bei ärztlichen Kunstfehlern – auf eine Dritteinwirkung zurückgeführt 179  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Lüllmann / Mohr / Hein, Pharmakologie u. Toxikologie17, 50. 180  Generelle Kausalität; Kaufmann, JZ 1971, 569 (572). 181  Lüllmann / Mohr / Hein, Pharmakologie u. Toxikologie17, 51. 182  Lüllmann / Mohr / Hein, Pharmakologie u. Toxikologie17, 51. So nach heutigem Kenntnisstand etwa für das im Contergan-Prozess zu trauriger Berühmtheit gelangte Syndrom der Dysmelie, das spontan mit einer Häufigkeit von einem Fall auf zehn Millionen Geburten auftritt (s. dazu dies., a. a. O., 53); anders nach früherem Kenntnisstand noch Kaufmann, JZ 1971, 569 (572). 183  Dazu Bruns, in: Lüttger / Blei / Hanau, FS-Heinitz, 317 (334); Gropp, GA 2000, 1 (5); Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (175); Kaufmann, JZ 1971, 569 (575).



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“303

werden kann und in denen der diesbezügliche Nachweis gegenüber Sachverhalten, die den geborenen Menschen betreffen, jedenfalls nicht weiter erschwert ist184. Weil die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ den „sonstigen Dritten“ aber unterschiedslos in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB einbezieht und diese – anders als die §§ 211 ff., 222, 223 ff. StGB – für fahrlässige Tötung sowie vorsätzliche und fahrlässige Schädigung keinen Straftatbestand vorsehen, bleiben auch solche Fälle straffrei. 2. Das Verhaltensunrecht des „sonstigen Dritten“

Ebenso werden die Gesundheit und selbstbestimmte Lebensplanung des „sonstigen Dritten“ auch durch keine Schwangerschaft unmittelbar in Anspruch genommen. Anders als die Schwangere tötet er nicht, um sich von einer konfliktbeladenen symbiotischen Verbindung zu lösen; anders als derjenige Dritte, der die Schwangerschaft gemäß dem Willen der Schwangeren beendet, tötet er auch nicht, um einem Anderen in einer Konfliktlage zur Hilfe zu kommen. Sein Verhaltensunrecht wird durch die symbiotische Verbindung und Eigenart der in den §§ 218 ff. StGB geregelten Phase des Lebensschutzes mithin nicht angetastet185. 3. Das Regelbeispiel des § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB

De lege lata nimmt der Gesetzgeber diesen Nutznießer seiner Zäsurenlösung schließlich nicht nur in Kauf, sondern erkennt seine Einbeziehung in die §§ 218 ff. StGB ausdrücklich als gewollt an. Dies kann dem Regelbeispiel des § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB entnommen werden, nach dem ein besonders schwerer Fall des Schwangerschaftsabbruchs in der Regel dann vorliegt, wenn der Täter gegen den Willen der Schwangeren handelt. Wenn das Gesetz diesen Fall in der Regel auch strenger als den gewollten Schwangerschaftsabbruch verfolgt, unterwirft es ihn doch nur dem Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB und erspart dem Dritten – ungeachtet fehlender Auswirkungen auf dessen eigenes Verhaltensunrecht – die Strafbarkeit wegen eines allgemeinen Tötungsdelikts nach den §§ 211 ff. StGB186.

184  Vgl. Günther, MedR 1990, 161 (167); Lenckner / Winkelbauer, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 211 (221 f.); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 5, Rn. 27 a. E. 185  Darauf ebenfalls hinweisend: Satzger, Jura 2008, 424 (427); vgl. auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (332). 186  Darauf hinweisend: Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (332).

304

Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch 4. Conclusio: Der Ausdruck eines reduzierten Erfolgs- statt Verhaltensunrechts

Von einem Gesetz, das vornehmlich das reduzierte Verhaltensunrecht der durch diese symbiotische Verbindung besonders belasteten Schwangeren berücksichtigen wollte, erwartete man sich, dass es dieser Motivation durch die Anerkennung besonderer Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe, persönlicher Strafausschließungs-, Strafaufhebungs- oder Strafmilderungsgründe nachkäme. Gemein wäre diesen Regelungen, die eine Ausnahme von der indizierten Gesetzesfolge normierten, dass sie im Einzelfall zur Anwendung kommen könnten. Auf eben diese Weise würde es auch den im Einklang mit dem Willen der Schwangeren handelnden Dritten –  so den Arzt, der die Schwangere aus ihrer besonderen Konfliktlage befreit – privilegieren können. Tatsächlich finden sich in den §§ 218 ff. StGB auch zahlreiche solcher Sonderregelungen, die man durch ein reduziertes Verhaltensunrecht der Schwangeren in ihrer symbiotischen Verbindung mag erklären können und von denen einige ausgewählte Regelungen – so die medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB wie auch der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB – in den folgenden Abschnitten noch eine gesonderte Besprechung erfahren werden. Das Strafgesetzbuch beschränkt sich aber nicht auf die Normierung solcher Sonderregelungen, die im Einzelfall auf die Konfliktlage der Schwangeren reagieren. Es führt überdies eine Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ ein, die das menschliche Leben in unterschiedliche Rechtsgüter – das Leben der „Leibesfrucht“ einerseits, Leben und Gesundheit des geborenen Menschen andererseits – aufteilt. Mit dieser Grenzziehung geht die Aufteilung des strafgesetzlichen Lebensschutzes in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB einerseits, der §§ 211 ff., 222, 223 ff., StGB andererseits einher. Dies hat zur Folge, dass zugunsten des „sonstigen Dritten“ zwar weder der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB noch ein Rechtfertigungsgrund nach § 218a Abs. 2 oder Abs. 3 StGB oder ein persön­ licher Strafausschließung / -aufhebungsgrund eingreift. Er wird jedoch zum Nutznießer der in den §§ 218 ff. StGB reduzierten Strafandrohung und macht sich nur wegen eines Schwangerschaftsabbruchs, nicht wegen eines Tötungsdelikts nach den §§ 211 ff. StGB strafbar, und dies, obwohl er jenseits der symbiotischen Verbindung steht, insbesondere keine Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter durch eine eigene unerwünschte Schwangerschaft abzuwenden versucht und auch nicht mit dem Willen der betroffenen Frau zum Schutze von deren Interessen tätig wird187. 187  Siehe dazu auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (331 f.); ebenfalls auf eine „Milderbestrafung auch des Fremdabbruchs“ weisen in diesem Kontext hin: Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 9.



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

305

Soweit darüber hinaus die Schutzfähigkeit des Gesetzes Einschränkungen erfährt, was solche Beeinträchtigungen des Ungeborenen betrifft, die der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren entspringen, mag der durch die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ prädisponierte Verzicht auf eine Strafandrohung für den fahrlässigen Schwangerschaftsabbruch wie auch für die Verletzung des Ungeborenen wiederum zunächst eine sachliche Begründung vorweisen zu können. Erneut aber zieht aus diesem Verzicht auch ein „sonstiger Dritter“ seinen Nutzen, womit der bezüglich Dritteinwirkungen gleichfalls erschwerte Kausalitätsnachweis zunächst noch versöhnlich stimmen mag – wenn der mit Beweisschwierigkeiten identifizierte sachliche Grund in bestimmten Sachverhalten, wie in denjenigen eines ärztlichen Kunstfehlers, aber nicht zum Tragen kommt, wird neuerlich der Eindruck von einer pauschalisierenden Zäsur unterstützt, die nur vorgeblich (statt tatsächlich) auf Besonderheiten in der Trias von Schutzbedürftigkeit, Schutzfähigkeit und Verhaltensunrecht reagiert. So entlarvt die Einbeziehung des „sonstigen Dritten“ in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB letztlich also eine angebliche Rücksichtnahme auf die symbiotische Verbindung mit dem Ungeborenen als bloßen „Scheinzweck“ der Zäsur einer strafgesetzlichen „Menschwerdung“. Indem das Gesetz jeden Täter, gleich aus welcher Motivation er ein Ungeborenes tötet oder schädigt, in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB einbezieht und ihm damit die gegenüber den §§ 211 ff. StGB reduzierte Straf­ androhung wie auch die Straflosigkeit der Schädigung und fahrlässigen Tötung eines Ungeborenen zugesteht, präsentiert es die Unterscheidung zweier Abschnitte des strafgesetzlichen Lebensschutzes als Ausdruck eines reduzierten Erfolgs- statt Verhaltensunrechts: Die Schädigung eines Ungeborenen verwirklicht kein Unrecht, die Tötung eines Ungeborenen wiegt weniger schwer als die eines strafrechtlichen Menschen, eben weil sie ein Ungeborenes betreffen, nicht weil sie aus oder zur Lösung einer beson­ deren Konfliktsituation geschehen. Die ob der verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG erwartete einheitsstiftende Wirkung im Bereich der Strafandrohung verwirklicht sich mithin  hier nicht in einem als gleich bewerteten Erfolgsunrecht. Stattdessen  offenbart sich hier augenscheinlich eine Wertung der Ungleichwertigkeit188, Grund genug für eine „Verwirrung“, wie sie Engisch beklagt, wenn die Rangordnung der Werte nicht in einer entsprechenden Schwereskala der Delikte bzw. Schwere der Strafandrohungen ihre Umsetzung erfährt189. 188  Nach Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 9, ein „bedeutsamer Wertunterschied“ „zwischen fertigem und sich entwickelndem Leben“. 189  Engisch, Einheit, 30.

306

Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

Zugleich offenbart sich keine bloße Kommunikationsstörung, wie sie das dritte Kapitel für die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ prima facie noch ins Auge gefasst hatte: Denn eine solche setzte voraus, dass sich die Zäsur grundsätzlich sachlich erklären ließe, indem sie tatsächlich Rücksicht auf durch die symbiotische Verbindung bedingte Reduzierungen von Schutzfähigkeit und Verhaltensunrecht zu üben suchte. Der Eindruck, dass das Strafgesetz mit Einführung jener zentralen Zäsur nach Erfolgsunrecht statt Verhaltensunrecht differenzierte und sich insofern zur postulierten Gleichwertigkeitsthese in Widerspruch setzte, müsste auf ein bloßes Missverständnis des Empfängers zurückzuführen sein, das das Gesetz unter Formulierung einer zeitlichen Zäsur im Lebensschutz nur förderte190. Diesbezüglich kehrt die Einbeziehung des „sonstigen Dritten“ in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB aber hervor, dass die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ weit mehr als eine allein positiv-generalpräventiv kritikwürdige Kommunikationsstörung bedingt: nämlich eine Ungleichbehandlung des ungeborenen Lebens im Vergleich zum geborenen „Menschen“, durch die das Gesetz tatsächlich keinen legitimen Zweck zu verwirklichen sucht und die der Gesetzesadressat mithin nicht missversteht, wenn er sie als persönlich statt sachlich begründet erkennt. III. Unangemessenheit: Die positiv-generalpräventive Botschaft einer schematisierenden Zäsur Ein Verständnis von der Gleichwertigkeit des postnidativen menschlichen Lebens – wie sie Verfassungsrechtsprechung und Gesetzgebung postulieren  – sieht sich durch die sachlich unbegründete Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ mithin in Frage gestellt. Diesbezüglich hat die verfassungsrechtliche Begründung eines Gebots der Wertungswiderspruchsfreiheit in Kapitel 3 dargelegt, dass sich positiv-generalpräventive Einbußen innerhalb des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als unangemessen bzw. unverhältnismäßig i. e. S. niederschlagen, wenn für eine Ungleichbehandlung kein legitimer Zweck angeführt werden kann oder die Ungleichbehandlung zumindest kein geeignetes, erforderliches oder sonst angemessenes Mittel zu seiner Verwirklichung darstellt191. Insofern bereits aus anderen Gründen unangemessen oder gar schon nach den vorangegangenen Wertungsstufen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wertungswidersprüchlich wegen Verstoßes gegen die Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG, muss eine in diesem Sinne sachlich nicht begründete Ungleichbehandlung überdies diejenige positiv-generalpräventive Funktion unterlaufen, die das BVerfG in seinen 190  Siehe 191  Siehe

dazu oben Kap. 3, Seite  238–240 [Abschn.  3, D. II. 1. a)]. oben Kap. 3, Seite  153 f. [Abschn.  2, C.].



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen dem Ungeborenenschutz im Allgemeinen und der Abtreibungsgesetzgebung im Besonderen zugeschrieben hat: Denn tritt das Fehlen eines sachlichen Grundes erkennbar nach außen, muss auch die übergeordnete Zielsetzung verfehlt werden, ein der Gleichwertigkeitsthese entsprechendes Wert- und Unrechtsbewusstsein zu vermitteln. Indem sich das Gesetz vorliegend nun einer schematisierenden Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ bedient, um postnatalen und pränatalen Lebensschutz voneinander zu scheiden, kehrt es nach außen erkennbar hervor, wie es nach Erfolgsunrecht und mithin nach einem unterschiedlichen Wert des menschlichen Lebens in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen differenziert. Als wertungswidersprüchlich präsentiert es sich diesbezüglich bereits aus dem einen Grunde, dass es innerhalb eines durchgängig nach der Gleichwertigkeitsthese konzipierten Ungeborenenschutzes keinen legitimen Zweck zu verwirklichen sucht, außerdem aber auch aus dem anderen Grunde, dass der erkennbare Mangel an einem legitimen Zweck ein positiv-generalpräventives Defizit nach sich zieht, welches seinerseits für eine Unangemessenheit der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ streitet. Diese positiv-generalpräventiv abträgliche Wirkung seiner schematisierenden Zäsur verschärft sich weiter im Falle einer Vorverlegung der Zäsur auf das Einsetzen der Eröffnungswehen, wie sie die herrschende Meinung vornimmt. Insofern könnte eine Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“, die auf die Vollendung der Geburt datiert wird, zumindest für die schwangere Täterin sowie für den mit ihrem Willen tätig werdenden Dritten noch beanspruchen, den Besonderheiten der durch die Schwangerschaft geschaffenen symbiotischen Verbindung Ausdruck verleihen zu wollen: Denn mit Vollendung der Geburt entfällt jene konfliktbegründende symbiotische Verbindung mitsamt ihren Auswirkungen auf das Verhaltensunrecht des Täters, der zur Lösung dieser Konfliktlage tötet, ebenso wie ihre spezifischen Auswirkungen auf die Schutzfähigkeit des Gesetzes entfallen, welches das Ungeborene vor der allgemeinen Lebensführung seiner mit ihm symbiotisch verbundenen Mutter nicht abzuschirmen weiß. Indem das Strafgesetzbuch die Zäsur aber unter Argumentation mit der Gesetzesgeschichte (§ 217 StGB a. F.) und der kriminalpolitischen Zielsetzung, das Ungeborene bereits während des gefahrenträchtigen Geburtsvorgangs vor fahrlässiger Tötung oder Verletzungen schützen zu wollen, auf den Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen (bzw. des Beginns mit der Öffnung des Uterus) vorverlegt192, entfernt es die Zäsur von ihrem verlautbarten sachlichen Grund, auf Besonderheiten des Lebensschutzes in einer symbiotischen Verbindung reagieren zu wollen. Je weiter sich eine Ungleichbehandlung von ihrem ursprünglichen sachlichen Grund entfernt, umso mehr schwindet ihre positiv192  Siehe

dazu oben Seite  282–286 [A. II. 1. d) u. 2.].

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Kap. 4: Regelungen rund um den Schwangerschaftsabbruch

generalpräventive Eignung: Dem Gesetzesadressaten wird das Verständnis dessen, dass eine solche Zäsur nur auf reduziertes Verhaltensunrecht reagieren soll, nicht aber ein reduziertes Erfolgsunrecht behaupten will, so erheblich erschwert.

C. Conclusio: Eine „Menschwerdung wie von Zauberhand“ Einen legitimen Zweck verfolgt die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ mithin nicht, sondern gibt allenfalls vor („Scheinzweck“), auf Besonderheiten in einer Phase des Lebensschutzes zu reagieren, die durch eine symbiotische Verbindung von Ungeborenem und Schwangerer gekennzeichnet ist. Zwar ist es zutreffend, dass in dieser Phase die Schutzfähigkeit des Gesetzes reduziert ist, was fahrlässige bis bedingt vorsätzliche Einwirkungen der Schwangeren auf das ungeborene Leben betrifft, ebenso wie auch der Nachweis einer Kausalität von Dritteinwirkungen im Einzelfall erschwert sein mag. Vor allem aber schafft die symbiotische Verbindung des Ungeborenen mit der Schwangeren eine Konfliktlage, die das Verhaltensunrecht desjenigen Täters verringert, der das Ungeborene tötet, weil er von dieser Konfliktlage betroffen ist oder aber die Schwangere mit ihrem Willen aus dieser Konfliktlage befreien will. Eine Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ ist jedoch von schematisierender Wirkung und erfasst auch den „sonstigen Dritten“, dem gegenüber die Schutzfähigkeit des Gesetzes keine vergleichbaren Einschränkungen erfährt und dessen Verhaltensunrecht mangels Beteiligung an der symbiotischen Verbindung auch nicht reduziert ist. Die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ deutet damit weniger auf eine Erhöhung des Verhaltens- denn Erfolgsunrechts hin. In der Folge unterläuft sie auch die übergeordnete positiv-generalpräventive Zielsetzung des strafgesetzlichen Ungeborenenschutzes, eine Gleichwertigkeit jedenfalls des postnidativen ungeborenen Lebens zum geborenen Menschen zu transportieren. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Zäsur von ihrem verlautbarten sachlichen Grund, auf die Besonderheiten des Lebensschutzes in der Phase symbiotischer Verbindung zu reagieren, entfernt wird: Nicht die Beendigung dieser Phase markiert den Übergang zum Anwendungsbereich der allgemeinen Tötungsdelikte, sondern bereits das dem vorangehende Einsetzen der Eröffnungswehen. Bevor sich die Untersuchung in den nachfolgenden Kapiteln den einzelnen, in den §§ 218 ff. StGB verwirklichten Ungleichbehandlungen zuwendet, ist im vorliegendem Abschnitt also festgestellt worden, dass es bereits dem gemeinsamen Ursprung jener Ungleichbehandlungen an einer sachlichen Begründung mangelt: Stattdessen verändert sich hier das Schutzniveau eines Strafgesetzes, das im Anschluss an die Schwangerschaftsabbruchsentschei-



Abschn. 3: Zäsur zwischen „Mensch“ und „Leibesfrucht“

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dungen des BVerfG postuliert, jedes individuelle menschliche Leben i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG gleichermaßen vor Tötung bewahren zu wollen, wie von Zauberhand. Ein unterschiedliches Erfolgsunrecht scheint sich diesseits und jenseits der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ zu verwirklichen, wenn menschliches Leben verletzt oder getötet wird. Ebenso präsentiert sich ein unterstellter unterschiedlicher Wert der Rechtsgüter der „Leibesfrucht“ einerseits und des geborenen Menschen andererseits, wenn das Einsetzen der Eröffnungswehen einerseits das Ende des Anwendungsbereichs der §§ 218 ff. StGB, andererseits den Beginn des Anwendungsbereichs der Vorschriften zu den allgemeinen Tötungsdelikten markiert und in der Folge einerseits das Ende der schutzwürdigen pränatalen Entwicklung, andererseits den Beginn der schutzwürdigen postnatalen Entwicklung definiert. Wenn Hesse schreibt, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt, „der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“193, so trifft dies also auf ganz eigene Weise auch für die strafgesetzliche Zäsur der „Menschwerdung“ zu: Mit dem „Anfang“ einer für normativ relevant befundenen, höheren Entwicklungsstufe setzt ein „gesetzgeberischer Zauber“ ein, der das menschliche Leben erheblich mehr beschützt und ihm erheblich mehr hilft zu leben.

193  Hesse,

Stufen, in: Michels, Lied des Lebens, 197.

Kapitel 5

Die medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

– Verallgemeinerte Umkehrung von Werten – Das Augenmerk der vorliegenden Untersuchung liegt nun auf denjenigen Entwicklungsabschnitten eines menschlichen Lebens, die sich im Mutterleib vollziehen und die mithin noch vor jener „zauberhaften“1 Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ datieren, von der an das menschliche Leben die volle Wertschätzung des Strafgesetzes als „Mensch“ genießt. Sie sind es, die in den nachfolgenden Kapiteln eine nähere Betrachtung erfahren und insbesondere auf Ungleichbehandlungen und deren mögliche sachliche Gründe untersucht werden sollen. Nachdem sich das vierte Kapitel also noch grundlegenden Bemerkungen zum Regelungskomplex der §§ 218 ff. StGB gewidmet hat, markiert das vorliegende fünfte Kapitel den Beginn der eigentlichen einfachgesetzlichen Analyse, an deren Anfang eine Erörterung der medizinisch-sozialen Schwangerschaftsabbruchsindikation des § 218a Abs. 2 StGB gestellt ist. Im Zuge dessen wird der erste Abschnitt zunächst einleitend die in § 218a Abs. 2 StGB vereinigten Typen der medizinisch-sozialen Indikation vorstellen, namentlich zwischen der genuin medizinischen und der eher sozialen (einschließlich „embryopathischen“) Indikation unterscheiden. Beide Typen der medizinisch-sozialen Indikation geben nach heute2 herrschender Meinung einen notstandsähnlichen Konflikt wieder, den § 218a Abs. 2 StGB im Verhältnis zur Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstands einer speziellen Rechtfertigung zuführt. Bereits dieser Umstand, dass das Strafgesetz für die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens einen besonderen Rechtfertigungsgrund normiert, weist auf eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zum Lebensschutz des geborenen Menschen hin, dessen rechtmäßige Tötung sich nach § 34 StGB beurteilt. Jene nur vage Ahnung sucht das vorliegende fünfte Kapitel in seinem weiteren Verlauf zu konkretisieren, wenn es sich den einzelnen rechtfertigenden Merkmalen zuwendet, die in 1  Vgl. oben Kap. 4, Seite  308 f. [Abschn.  3, C.] u. in Anlehnung an Hesse, Stufen, in: Michels, 197: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, / Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben /  / “; Hervorhebung nicht im Original. 2  Zu den Anfängen einer medizinischen Indikation s. BVerfGE 39, 1 (6).



Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB311

Abweichung von § 34 StGB Eingang in den medizinisch-sozialen Indika­ tionentatbestand gefunden haben oder aber auch nicht berücksichtigt worden sind. Noch in seinem ersten Abschnitt wird an die Beschreibung der verschiedenen Indikationentypen mithin eine Erörterung des in § 218a Abs. 2 StGB ausdrücklich normierten Einwilligungserfordernisses anschließen, das die Vorschrift des § 34 StGB in dieser Form so nicht kennt. Darauf folgt im zweiten Abschnitt eine ausführliche Betrachtung einzelner Fallumstände, denen der Gesetzgeber durch die enge Formulierung des § 218a Abs. 2 StGB ihre Abwägungsrelevanz abgesprochen hat: Wenn der medizinischsoziale Indikationentatbestand in Abweichung von § 34 S. 1 StGB eine abstrakt-generell vorweggenommene statt konkret-individuell offene Interessenabwägung normiert und überdies auf ein der Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB entsprechendes Regulativ verzichtet, schließt er es von vornherein aus, dass die Obhutsgarantenstellung der Schwangeren wie auch allgemeine und besondere Gefahrursprünge Einfluss auf das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen der Schwangeren und des postnidativen ungeborenen Lebens nehmen können. Ob die in diesem Sinne verneinte Abwägungsrelevanz sachlich begründet werden kann – namentlich nur dasjenige Ergebnis abstrakt-generell vorwegnimmt, das allgemeine Grundsätze für jeden Einzelfall erwarten ließen – oder aber die Basis der Interessenabwägung einseitig zugunsten der Schwangeren einschränkt, soll eine Subsumtion unter allgemeine Grundsätze aufzeigen, wie sie auch im Rahmen des § 34 StGB erfolgt. Schließlich und letztendlich nimmt der Gesetzgeber so aber nicht nur irgendein Abwägungsergebnis vorweg, sondern erlaubt die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens, wenn hierdurch das mütterliche Leben gerettet oder schwerwiegende Beeinträchtigungen des mütterlichen Gesundheitszustandes abgewendet werden sollen. Für den Schwangerschaftsabbruch normiert er so ein Ergebnis, das der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB für die Tötung des geborenen Menschen ausschließt, wenn er deren Rechtfertigungsfähigkeit ausnahmslos negiert. Ebenso verlangt § 218a Abs. 2 StGB der schwangeren Täterin nicht ab, eine Verdichtung der Gefahrenlage abzuwarten, bevor sie in ein fremdes Rechtsgut – das postnidative ungeborene Leben – eingreift. Auf der Suche nach einer möglichen sachlichen Begründung jenes Zweiklangs von Vorverlegung (des in § 34 S. 1 StGB normierten Gefahrengrads) und Umkehrung (des in § 34 S. 1 StGB normierten Proportionalitätsmaßstabes) wird die Untersuchung in Erwägung ziehen, dass der bewusste Zweiklang nur die rechtfertigenden Merkmale eines Defensivnotstandes oder einer Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns widerspiegelte, mithin durch einen Gefahrverursachungsbeitrag des ungeborenen Eingriffsadressaten oder eine etwaige Unterlassensnähe des Schwangerschaftsabbruchs begründet wäre. In Abhängigkeit von den erzielten Ergebnissen wird sich die Untersuchung so eine Einschätzung erlauben, inwiefern der medizinisch-soziale Indikationentatbestand im

312

Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Anschluss an die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ einen zweiten wesentlichen Wertungswiderspruch in das Strafgesetz transportiert – ein Gesetz, das nach der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese den übereinstimmenden Wert von geborenem und (jedenfalls) postnidativem ungeborenem Leben wie auch das übereinstimmende Unrecht von deren Tötung vermitteln soll. Abschnitt 1

Der Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis – Die willensgemäße Befreiung aus einem notstandsähnlichen Konflikt – „Kurz, wer sich nicht selbst helfen will, dem kann Niemand helfen“. (Johann Heinrich Pestalozzi3)

An den Beginn der diesbezüglichen Betrachtungen sei zunächst also eine Differenzierung der in § 218a Abs. 2 StGB vereinigten Typen der medizinisch-sozialen Indikation gestellt. Die insofern zu unterscheidenden genuin medizinischen und eher sozialen Indikationenlagen versteht die h. M. gleichermaßen als notstandsähnliche Konfliktlagen, die § 218a Abs. 2 StGB einer speziellen Rechtfertigung zuführt, deren Voraussetzungen verschiedentlich von denen des § 34 StGB abweichen. In Abweichung von § 34 StGB setzt der Indikationentatbestand etwa ausdrücklich voraus, dass die zu rechtfertigende Tötungshandlung mit der Einwilligung der Schwangeren erfolgt ist. Bricht ein Arzt nun ihre Schwangerschaft ab, um ihr Leben zu retten oder wenigstens die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden, partizipiert er nur dann an der rechtfertigenden Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB, wenn sein Tun von der (wenigstens mutmaßlichen) Einwilligung seiner Patientin gedeckt war. Nachdem § 34 StGB ein entsprechendes Einwilligungserfordernis nicht zum rechtfertigenden Merkmal erhebt, muss die vorliegende Untersuchung interessieren, worin jener Unterschied zwischen Indikationentatbestand und allgemeinem rechtfertigenden Notstand begründet ist.

3  Pestalozzi,

Briefe und Schicksale, 3.



Abschn. 1: Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis313

A. Die zwei Typen einer medizinisch-sozialen Indikation: Genuin medizinisch oder eher sozial Gemäß § 218a Abs. 2 StGB ist ein medizinisch-sozial indizierter Schwangerschaftsabbruch bei Einwilligung der Schwangeren4 und Vornahme durch einen Arzt5 bis zum Zeitpunkt der strafgesetzlichen „Menschwerdung“, d. h. bis zum Einsetzen der Eröffnungswehen bzw. – im Falle der Entbindung im Wege des Kaiserschnitts – bis zum Beginn mit der Öffnung des Uterus6, erlaubt. Eine medizinisch-soziale Indikation ist nach dem Wortlaut des Gesetzes gegeben, „wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“. Unter Differenzierung von Gefahren für den körperlichen oder seelischen Gesundheitszustand wie von „gegenwärtigen“ oder „zukünftigen Lebensverhältnissen“ können innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB eine genuin medizinische und eine eher soziale Indikation unterschieden werden. Dabei begründet die Abwehr solcher Gefahren für Leib oder Leben der Schwangeren, die unmittelbar aus dem Zustand der Schwangerschaft entstehen, eine genuin medizinische Indikation. In über 90 % aller medizinisch-sozialen Indikationenlagen kommt § 218a Abs. 2 StGB jedoch nicht aus genuin medizinischen, sondern aus sozialen Gründen zur Anwendung: Insofern soll der Abbruch keine unmittelbar aus dem Zustand der Schwangerschaft entstehenden Lebens- oder Leibesgefahren abwehren, sondern wird unter Berücksichtigung nicht nur der gegenwärtigen, sondern auch der „zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren“ durch die Abwehr der „Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ legitimiert7. In der großen Mehrzahl der Fälle entspringt eine solche, eher soziale denn genuin medizinische Konfliktlage einer pränataldiagnostisch festge4  Eingehend

[B.].

5  Näher

zur Einwilligung der Schwangeren s. im Anschluss Seite  316–329

zum Arztvorbehalt s. oben Kap. 4, Seite  263 [Abschn.  2, B. I. 1.]. zur Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ s. oben Kap. 4, Seite  271–309 [Abschn.  3]. 7  Siehe dazu Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 32 u. 40; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 35; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (364 u. 380); s. dazu auch Maio, Mittelpunkt Mensch, 229. Zur heutigen Seltenheit der genuin medizinischen Indikation s. auch Hillenkamp, in: Weilert, Spätabbruch, 29 (45). 6  Eingehend

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

stellten Auffälligkeit des Fetus8. Für solche Abbrüche sah § 218a Abs. 3 StGB in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes (SFHG) vom 27.07.19929 noch eine sog. „embryopathische“10 Indikation vor. Ebenda erklärte das Gesetz die Voraussetzungen der in § 218a Abs. 2 StGB a. F. geregelten medizinischen Indikation auch dann für erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis „dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wiegt, dass von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann“11. Die rechtfertigende Wirkung dieser embryopathischen Indikation machte der Gesetzgeber zudem vom Nachweis einer Beratung abhängig, ferner von der Wahrung einer zeitlichen Grenze von 22 Wochen seit der Empfängnis12. Weil man be­ fürchtete, dass eine solche „embryopathische“ Indikation den Eindruck einer  Geringschätzung des behinderten menschlichen Lebens wie auch ­einer  durch diese Geringschätzung vermittelten Einschränkung seines Lebensschutzes hervorrufen könnte, wurde § 218a Abs. 3 StGB a. F. durch das  Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21.08.199513 gestrichen14. Seine Abschaffung bedeutete gleichwohl nicht, dass das Gesetz für Schwangerschaftsabbrüche, die auf pränatal diagnostizierte Auffälligkeiten des Fetus reagieren, von da an keinen Indikationentatin: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (380). Nr. 37 v. 04.08.1992, 1398. 10  Weil der „embryopathisch“ indizierte Schwangerschaftsabbruch auf eine im späteren Schwangerschaftsverlauf diagnostizierte Auffälligkeit des Fetus reagiert, bemerken Woopen und Rummer zutreffend, dass eigentlich der Terminus der „fetopathischen“ statt „embryopathischen“ Indikation gewählt werden müsste; Woopen / Rummer, MedR 2009, 130 (130) m. Fn. 2. Bereits acht Wochen nach der Fertilisation bzw. nach Abschluss der sog. Organogenese wird das Ungeborene nicht mehr als Embryo, sondern als Fetus bezeichnet; zur Def. der Embryonalperiode s.  Moore / Persaud, Embryologie5, 10; zur Def. der Embryonal- und Fetalzeit: ­Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 1. 11  § 218a Abs. 3 StGB i. d. F. des Art. 13 SFHG vom 27.07.1992; BGBl. I, Nr. 37 v. 04.08.1992, 1398 (1402). 12  Beckmann, MedR 1998, 155 (157 u. 159); Schumann / Schmidt-Recla, MedR 1998, 497 (497). 13  BGBl. I, Nr. 44 v. 25.08.1995, 1050. 14  Czerner, ZRP 2009, 233 (233); Giwer, PID, 108; Gropp, GA 2000, 1 (1 f.); Hillenkamp, in: Böse / Sternberg‑Lieben, FS-Amelung, 425 (430); Schumann / SchmidtRecla, MedR 1998, 497 (497); Wirth, Spätabtreibung, 1 f. u. 9. Berechtigt waren diese Bedenken insofern, als man den geschichtlichen Vorgänger einer embryopathischen Indikation in der eugenischen Indikation wird verorten müssen; zu letzterer eingehend Koch, Schwangerschaftsabbruch, 178–185. Siehe in diesem Zusammenhang außerdem zu Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG: v. Dewitz, ZfL 2009, 74. 8  Merkel,

9  BGBl. I,



Abschn. 1: Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis

315

bestand mehr vorsah. Stattdessen werden „embryopathisch“ begründete Abbrüche seither unter § 218a Abs. 2 StGB des geltenden Rechts subsumiert, indem von einer im Wege der Pränataldiagnostik festgestellten Auffälligkeit des Fetus auf die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren geschlossen wird15. Weil § 218a Abs. 2 StGB seine Gefahrenprognose nicht nur mit Blick auf die „gegenwärtigen Lebensverhältnisse“, sondern auch mit Blick auf die „zukünftigen Lebensverhältnisse“ der Schwangeren formuliert, können innerhalb einer solchen Gefahrenprognose für den seelischen Gesundheitszustand wiederum zwei mögliche Konfliktlagen unterschieden werden: Zum einen könnte die Schwangere bereits die bloße Aussicht auf ein Leben mit dem behinderten Kind so sehr belasten, dass ihr seelischer Gesundheitszustand noch während der Schwangerschaft (und im Hinblick auf ihre „gegenwärtigen Lebensverhältnisse“) schwerwiegend in Mitleidenschaft gezogen zu werden drohte, gegebenenfalls sich auch bereits in entsprechenden psychischen Symptomen manifestierte. Für diesen Fall offerierte § 218a Abs. 2 StGB ihr durch die rechtmäßige Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens „nur“ eine Möglichkeit, die symbiotische Verbindung mit dem Fetus zu beenden und sich mithin aus einer Konfliktlage zu befreien, die eben jener symbiotischen Verbindung entspringt. Weiter reicht die Wirkung einer „embryopathisch“, heute medizinisch-sozial begründeten Indikation, wenn sie mit Blick „auf die zukünftigen Lebensverhältnisse“ der Schwangeren auch solchen Gefahren vorsorgend begegnen will, die der seelischen Gesundheit der Schwangeren erst nach der Geburt aus einem Leben mit dem behinderten Kind erwachsen. So antizipiert § 218a Abs. 2 StGB eine Konfliktlage, die nicht für den weiteren Schwangerschaftsverlauf, sondern erst für die Zeitspanne ab der Geburt prognostiziert wird, wenn die symbiotische Verbindung zwischen der Schwangeren und dem Ungeborenen bereits aufgelöst ist. Die Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB muss sich damit nicht unmittelbar aus dem Schwangerschaftskonflikt ergeben, sondern kann auch den „antizipierten Konflikt der Mutter mit ihrem prospektiven geborenen Kind“ einbeziehen16. 13 / 1850, 25 f.; s. dazu ferner Beckmann, Abtreibung3, 96–98 m. Fn. 1; Czerner, ZRP 2009, 233 (234 m. w. N.); v. Dewitz, ZfL 2009, 74 (81); Giwer, PID, 107; Gropp, GA 2000, 1 (2); Hillenkamp, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 425 (430 u. 433); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (365 f.); Schumann / Schmidt-Recla, MedR 1998, 497 (497). Zu einem etwaigen Wiederaufleben der „embryopathischen“ Indikation in § 3a Abs. 2 ESchG vgl.  Maio, Mittelpunkt Mensch, 234 f. 16  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (361); ebenso Henking, Wertungswidersprüche, 233; krit. zu einer „prophylaktischen Rechtsgutsvernichtung“: Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, 15  BT-Drs.

316

Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Die vormals „embryopathische“ Indikation ist mithin Teil der medizinischsozialen Indikation geworden17. Diese Subsumtion unter § 218a Abs. 2 StGB entspringt der Motivation eines Gesetzgebers, der nur die direkte Verknüpfung von fetaler Auffälligkeit und Indikation hat auflösen, die „embryopathische“ Indikation im Übrigen aber von der medizinisch-sozialen hat „aufgefangen“ wissen wollen18. Tatsächlich wurden Abbrüche, die auf pränatal diagnostizierte Auffälligkeiten eines Fetus reagieren, so nicht nur „verhüllt“19, sondern gar erleichtert20: Denn während das Strafgesetzbuch in der Fassung vor dem Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21.08.199521 die Anwendung der „embryopathischen“ Indikation noch auf den Zeitraum von 22 Wochen nach der Empfängnis begrenzte, kennt die medizinisch-soziale Indikation nach geltendem Recht eine solche Begrenzung nicht. Ebenso entfiel die nach dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz (SFHG) von 1992 für die „embryopathische“ Indikation obligatorisch gestaltete Beratung22 zunächst noch ersatzlos und erlebte – zumindest in ihrem Grundgedanken – erst am 13.05.2009 durch den Beschluss einer Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes eine Renaissance23.

B. Ein „nothilfefeindliches“ Einwilligungserfordernis Auf jene Differenzierung von genuin medizinischer und eher sozialer, „embryopathisch“ begründeter Indikation wird die Untersuchung verschiedentlich noch zurückzukommen haben. An dieser Stelle aber wendet sie Rn. 38. Vgl. auch die BuReg zum Entwurf des 5. StrRG, nach der eine embryopathische Indikation darin begründet ist, dass einer Schwangeren die spätere seelische und körperliche Belastung der Pflege oder Erziehung eines behinderten Kindes nicht zugemutet werden könne; s. dazu BR-Drs. 58 / 72 u. Bett, Embryopathische Indikation, 104. 17  H. M.; s. dazu etwa Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 34 u. 42; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 21; Kühl, StGB27, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 22; einschränkend Schumann / Schmidt-Recla, MedR 1998, 497 (497); krit. Czerner, ZRP 2009, 233 (234). 18  BT-Drs. 13 / 1850, 26; BT-PlenProt 13 / 47, 3762. 19  Zum Vorwurf an die verlautbarte Abschaffung der embryopathischen Indikation, ein „Akt gesetzgeberischer Verhüllungskunst“ zu sein (und gar gegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG zu verstoßen): Tröndle, NJW 1995, 3009 (3015); s. ferner Beckmann, MedR 1998, 155 (160): „Scheinargument“, sowie a. a. O., 155 (161 m. Fn. 81); zur Gefahr eines Fortwirkens der direkten Verknüpfung von fetaler Auffälligkeit und Indikation auch nach der Gesetzesänderung: Schwenzer in AWMF, Referate v. 04. / 05.04.2003, 17 (22 f.). 20  Diesbzgl. krit. Wirth, Spätabtreibung, 2 u. 21. 21  BGBl. I, Nr. 44 v. 25.08.1995, 1050. 22  Siehe § 218a Abs. 3 StGB i. d. F. des Art. 13 SFHG v. 27.07.1992; BGBl. I, Nr. 37 v. 04.08.1992, 1398 (1402). 23  Verwirklicht im Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKGÄndG) v. 26.08.2009; BGBl. I, Nr. 58 v. 14.09.2009, 2990.



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ihren Blick von jener Differenzierung zunächst noch einmal ab und richtet ihn stattdessen auf den indikationenübergreifenden Umstand, dass die herrschende Meinung die Vorschrift des § 218a Abs. 2 StGB als spezialgesetzliche Normierung eines allgemeinen rechtfertigenden Notstandes verstanden wissen will24. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die Frage nach den sachlichen Gründen für ein Einwilligungserfordernis, welches zwar der medizinisch-soziale Indikationentatbestand, nicht aber § 34 StGB ausdrücklich zum rechtfertigenden Merkmal erhebt. I. Mögliche und unmögliche Dispositionen der Schwangeren „Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig […]“25 – entsprechend der „janusköpfigen“ Natur des Schwangerschaftsabbruchs26 muss jene der rechtfertigenden Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB vorausgesetzte Einwilligung zunächst differenziert (nämlich zweigeteilt) betrachtet werden: Von der Entscheidung der Schwangeren über eine Einwilligung in den Abbruch sind nämlich einerseits ihre eigenen Rechtsgüter, andererseits auch die des Ungeborenen betroffen. Über erstere ist die Schwangere dispositionsbefugt und kann folglich selbstbestimmt auf den Schutz ihrer Rechtsgüter verzichten, so wie auch andere Patienten anlässlich medizinischer Eingriffe in Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Integrität einwilligen. Insofern hat es der Rechtsanwender also mit einer rechtfertigenden Einwilligung zu tun27. Der „Januskopf“ des Schwangerschaftsabbruchs aber bedingt, dass die Entscheidung der Schwangeren über die Einwilligung in den Abbruch nicht nur ihre eigenen Rechtsgüter, sondern auch das höchstpersönliche Rechtsgut 24  Zur Auslegung des § 218a Abs. 2 StGB als spezialgesetzliche Regelung eines rechtfertigenden Notstandes s. BGHSt 38, 145 (158); Dolderer, Spätabbruch, 176; Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 34 Rn. 22; Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 171; Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 38 m. w. N.; Zimmermann, Rettungstötungen, 428; eines Aggressivnotstandes: Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 22; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (360); jeweils m. w. N.; eines Defensivnotstandes: Günther, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (152); Hoerster, Abtreibung2, 29; Joerden, ZStW 2008, 11 (18); Köhler, GA 1988, 435 (444). Siehe auch Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 163, der die Indikationen als „Sonderfall der Interessenkollision nach § 34 StGB“ bezeichnet, für den der Gesetzgeber „besondere Hinweise“ gegeben habe. 25  § 218a Abs. 2 StGB; Hervorhebung nicht im Original. 26  Siehe dazu eingehend oben Kap. 4, Seite  256–270 [Abschn 2]. 27  Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a, Rn. 61; Hülsmann, Mehrlinge, 174 m. w. N. Zur Einwilligung als rechtfertigender Verzicht auf dispositive Individualrechtsgüter s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 370; zur Einwilligung des Patienten in einen ärztlichen Eingriff s. dies., a. a. O., Rn. 376.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

des postnidativen ungeborenen Lebens betrifft, das nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhat und in der Folge durch die Strafrechtsordnung in den §§ 218 ff. StGB einen eigenständigen Lebensschutz erfährt28. In diesem Zusammenhang kann der Schwangerschaftsabbruch mit einem anderen janusköpfigen Delikt des Strafgesetzbuches verglichen werden: der Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB, soweit man durch diesen Tatbestand zum einen den Schutz der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs, zum anderen den Schutz individueller Rechtsgüter (wie Leben, körperliche Unversehrtheit und fremdes Eigentum) normiert sieht29. Angesichts dieser (umstrittenen) Zweiteilung der geschützten Rechtsgüter, hat sich eine Diskussion zu der Frage entwickelt, ob der individuell Gefährdete in die Gefährdung seiner Rechtsgüter wirksam einwilligen und mithin die Tatbegehung der Rechtfertigung zuführen kann, gleichwohl er über das durch die Tatbegehung gleichermaßen gefährdete Kollektivrechtsgut der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nicht wirksam disponieren kann (so etwa für den Fall, dass ein Fahrzeuginsasse nach einem Zechgelage das Angebot des Fahrzeuglenkers annimmt, ihn nach Hause zu fahren, obwohl der Fahrer ersichtlich nicht mehr fahrtüchtig ist)30. Eine Mindermeinung im Schrifttum bejaht dies für den Fall, dass das Rechtsgut der Verkehrssicherheit durch eine andere Strafnorm hinreichend geschützt bliebe (was in dem angeführten Beispielsfall mit Blick auf den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB, bejaht werden könnte)31. Weite Teile der Rechtsliteratur bejahen dies gar unabhängig von der Existenz einer solchen Strafnorm, indem sie die gefährdeten Individualrechtsgüter durch den Tatbestand des § 315c StGB unterschiedlich allein, absolut vorrangig oder wenigstens gleichwertig geschützt sehen32. Dass die Einwilligung des individuell Gefährdeten dann eine recht28  Siehe

oben Kap. 2, Seite  118 f. [Abschn.  1, C. I.]. zweiseitigen Schutzrichtung des § 315c StGB s. BGH NJW 1989, 2550 (2550); Graul, JuS 1992, 321 (325); Hillenkamp, JuS 1977, 166 (170); Kühl, StGB27, § 315b Rn. 1 u. § 315c Rn. 1; Rengier, BesT / II14, § 44 Rn. 1; Sternberg-Lieben /  Hecker, in: Sch / Sch, StGB28, § 315c Rn. 2 u. 40; aA König, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 1112, § 315c Rn. 3; Otto, BesT7, § 80, Rn. 1 u. 21 (nur Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs); Wolters, in: Wolter, SK-StGB / V137, Vorbem. § 306 Rn. 1a u. § 315c Rn. 2 (nur Individualrechtsgüter). 30  Siehe dazu Hillenkamp, 40 BesT-Probleme11, 17.  Pr., 75–79; zu ähnl. Fallkonstellationen: OLG Stuttgart NJW 1976, 1904, m. Bespr. durch Hillenkamp, JuS 1977, 166 (170–172); Graul, JuS 1992, 321 (325). 31  So etwa Graul, JuS 1992, 321 (325); Hillenkamp, JuS 1977, 166 (171); vgl. auch Joecks, St-K10, § 315c Rn. 22 f.; zsfd. zu jener „differenzierenden Theorie“ Hillenkamp, 40 BesT-Probleme11, 17.  Pr., 75 (77 f.) m. w. N. 32  Zsfd. unter dem Begriff der „Disponibilitätstheorie“ Hillenkamp, 40 BesTProbleme11, 17.  Pr., 75 (76 f.) m. w. N.; in diesem Sinne etwa Wolters, in: Wolter, SK-StGB / V137, Vorbem. § 306 Rn. 12 u. § 315c Rn. 22; Joecks, St-K10, § 315c 29  Zur



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fertigende Wirkung entfaltet, wenn man durch die Vorschrift allein oder absolut vorrangig seine Individualrechtsgüter geschützt sieht, erschließt sich dabei von selbst. Aber auch sofern der Schutz der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gleichberechtigt zum individuellen Rechtsgüterschutz treten soll, wird die Tat gerechtfertigt werden können: Denn insofern verlangte § 315c StGB eine kumulative Beeinträchtigung der gleichberechtigt geschützten Rechtsgüter und entfiele mit Einwilligung des individuell Gefährdeten eine (gleichberechtigte) Unrechtskomponente. Die herrschende Meinung schließlich will im Schutzniveau des „janusköpfigen“ Delikts eine anderweitige qualitative Abstufung erkennen, nach der § 315c StGB allein oder wenigstens primär die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs schützt, während der Gesichtspunkt der Individualgefährdung nur von untergeordneter Bedeutung sein soll. Willigte nun der individuell Gefährdete in die Tatbegehung ein, so ließe dies allenfalls den Unrechtsgehalt der untergeordneten Schutzrichtung entfallen. Das Unrecht der Gefährdung des primär geschützten Kollektivrechtsguts, über das er nicht dispositionsbefugt ist, bliebe demgegenüber erhalten und schlösse eine rechtfertigende Wirkung seiner Einwilligung aus33. Bei einer Übertragung dieser Diskussion auf die Einwilligung der Schwangeren in die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs fände sich nun keine andere Strafnorm, welche das postnidative ungeborene Leben schützte. Auch können keine Zweifel daran bestehen, dass das Gesetz in § 218 Abs. 1 StGB primär das postnidative ungeborene Leben schützt und zu diesem Zweck den Schwangerschaftsabbruch unter ein grundsätzliches Verbot stellt. Nur sofern in Abweichung von diesem Grundsatz doch ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird, soll – nunmehr zum Schutze von Leben und Gesundheit der Frau – eine Durchführung des Abbruchs garantiert werden, die lege artis durch einen Arzt erfolgt und keine (weiteren) Gefahren für die Frau begründet34. Jener Vorrang des Ungeborenenschutzes manifestiert sich auch darin, dass die janusköpfig geschützten Rechtsgüter – anders als in anderen janusköpfigen Delikten – nicht durch dieselbe Handlung geschützt werden können: Denn das postnidative ungeborene Leben würde durch die Abwehr eines seine physische Existenz Rn. 22 f.; wegen gleichwertiger Individualschutzrichtung: Roxin, AT / I4,§ 13, Rn. 35; Sternberg-Lieben / Hecker, in: Sch / Sch, StGB28, § 315c Rn. 40; wegen alleiniger Individualschutzrichtung: Welzel, Strafrecht11, 453. 33  So etwa BGHSt 6, 232 (234); 23, 261 (264); König, in: Laufhütte et  al., LKStGB / 1112, § 315c Rn. 161, u. § 315b, Rn. 74a; Kühl, StGB27, § 315c Rn. 32; zsfd. zu jener „Indisponibilitätstheorie“ Hillenkamp, 40 BesT-Probleme11, 17.  Pr., 75 (75 f.) m. w. N. 34  Zum primären Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens s. bereits oben Kap. 4, Seite  257–261 [Abschn.  2, A.]; zum nur sekundären Schutz von Leben und Gesundheit der Schwangeren s. Kap. 4, Seite  262–268 [Abschn.  2, B.].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

vernichtenden Schwangerschaftsabbruchs geschützt; Gesundheit und Leben der Schwangeren sollen im Gegenteil gerade bei Durchführung eines solchen existenzvernichtenden Abbruchs geschützt werden35. Ob des primären Unrechtsgehalts der Ungeborenentötung wird die Einwilligung der Schwangeren so nur die Verletzung des untergeordnet mitgeschützten Rechtsguts ihrer gesundheitlichen Belange zu kompensieren vermögen, den Unrechtsgehalt des § 218 Abs. 1 StGB aber nicht entfallen lassen können36. Was den postnidativen Ungeborenenschutz betrifft, muss die Einwilligung der Schwangeren also eine andere Funktion als diejenige des selbstbestimmten Verzichtes auf Rechtsgüterschutz erfüllen. II. Eine Anwendung der Grundsätze der „aufgedrängten Nothilfe“ In diesem Sinne misst die herrschende Meinung der Einwilligung in den §§ 218 ff. StGB eine zweigeteilte Funktion bei, die an das herrschende dogmatische Verständnis von den Indikationen als Spezialregelungen des allgemeinen Notstandes37 anknüpft: Insofern soll die Einwilligung der Schwangeren nicht nur den selbstbestimmten Verzicht auf ihre (nach herrschender Meinung durch die §§ 218 ff. StGB mitgeschützte) körperliche Integrität ermöglichen, sondern überdies den Schwangerschaftskonflikt als notstandsähnlichen Konflikt kennzeichnen, zu dessen Lösung die Schwangerschaft abgebrochen wird. So soll also nicht die Einwilligung der Schwangeren, aber dieser notstandsähnliche Konflikt den Schwangerschaftsabbruch legitimieren38. Entsprechend spricht man davon, dass die Einwilligung der Schwangeren in den Absätzen 2 und 3 des § 218a StGB nur im Kontext der Rechtfertigung stehe, also nicht für sich, sondern nur in Kombination mit weiteren Merkmalen den Abbruch rechtfertige39. 35  Vgl. BVerfGE 88, 203 (255 f.) zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch: „Ein Ausgleich, der sowohl den Lebensschutz des nasciturus gewährleistet als auch der schwangeren Frau ein Recht zum Schwangerschaftsabbruch einräumt, ist nicht möglich, weil Schwangerschaftsabbruch immer Tötung ungeborenen Lebens ist“; ähnl. BVerfGE 39, 1 (43). 36  I.  Erg. übereinstimmend: Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 14 u. 33; vgl. auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (341): „Doch könnte hier die Einwilligung der Schwangeren für sich allein den Tatbestand des § 218 keinesfalls ausschließen. Denn dieser schützt nicht die Schwangere und ist daher für sie nicht disponibel“. 37  Siehe oben Seite  317 [vor I.] m. w. N. in Fn. 24. 38  Hülsmann, Mehrlinge, 175 f.; Kröger, in: Jähnke et al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 29; Lenckner, in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 173 (173 f.); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht3, 145 (340 f.). 39  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (341).



Abschn. 1: Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis321

Findet eine solche Kennzeichnung des Schwangerschaftsabbruchs als Lösung eines notstandsähnlichen Konfliktes, wie sie die herrschende Meinung in der Einwilligungsvoraussetzung eines Indikationentatbestandes erkennt, nun seine Entsprechung wenn schon nicht im Wortlaut, so doch in der Anwendung des § 34 StGB? Diese Entsprechung findet man tatsächlich ebenda: nicht im Wortlaut des § 34 StGB, der eine solche Einwilligungsvoraussetzung nicht kennt, aber in dessen Anwendung durch Rechtsprechung und Lehre, genauer: in den Grundsätzen der sog. „aufgedrängten Nothilfe“40. Entwickelt für Fallkonstellationen der Notwehr (§ 32 StGB), in denen der Nothelfer dem Angegriffenen gegen oder wenigstens ohne dessen Willen Beistand leistet, ist es nur sachgerecht, jene Grundsätze (reduziert um die Besonderheiten der Notwehr) auch auf § 34 StGB zur Anwendung zu bringen: Denn unabhängig davon, ob man die §§ 32 und §§ 34 StGB in ein Verhältnis der Spezialität eingebettet sieht41, sind in Notwehr- wie Notstandslagen Rettungsmaßnahmen eines Dritten denkbar, die dem Willen des Gefährdeten zuwiderlaufen könnten und bei Beachtlichkeit dieses Willens respektvoll zu unterlassen wären42. Der Einfachheit halber werden die folgenden Ausführungen den Terminus der Nothilfe dabei gleichermaßen auf Rettungsmaßnahmen gemäß § 32 wie auch auf solche des § 34 StGB zur Anwendung bringen, d. h. von ihm die Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs ebenso wie das Tätigwerden zugunsten eines anderen im Rahmen des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes („Notstandshilfe“) erfasst sehen. In diesem Sinne besagen die Grundsätze zur „aufgedrängten Nothilfe“ für § 32 wie § 34 StGB, dass eine Nothilfe durch einen Dritten grundsätzlich nur in Übereinstimmung mit dem Willen des Angegriffenen bzw. der von der Notstandslage betroffenen Person erfolgen darf. Während 40  Zur Anerkennung der „aufgedrängten Nothilfe“ durch die h. M.: BGHSt 5, 245 (247 f.); Engländer, Nothilfe, 99 ff.; Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 32 Rn. 182–184; Krey / Esser, AT5, Rn. 568–570; Kühl, StGB27, § 32 Rn. 12; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 25 / 26; Rönnau / Hohn, in: Laufhütte et al., LK‑StGB / 212, § 32 Rn. 208–215; Roxin, AT / I4, § 15 Rn. 116–120; Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, 214 ff.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 334. Zur Verdeutlichung eines allgemeinen Rechtsgedankens des Inhalts, dass die berechtigte Wahrnehmung fremder Interessen an die Übereinstimmung mit dem (wirklichen oder mutmaßlichen) Willen des Interesseninhabers gebunden ist, vgl. die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA), §§ 677, 683 BGB; aus neuerer Zeit ausführl. dazu Koch, Unaufgeforderte Hilfeleistung. 41  Siehe dazu Engländer, Nothilfe, 33 m. w. N. in Fn. 125; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 6; Roxin, AT / I4, § 14, Rn. 48; abl. Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 34 Rn. 93. 42  Zu einer notwendigen Übereinstimmung der Notstandshilfe mit dem Willen des gefährdeten Rechtsgutsinhabers s. Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 29, i. V. m. Abschn. 12, Rn. 62; Koch, Aufgedrängte Nothilfe, 6; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 9; Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 34 Rn. 25.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

der Betroffene den potenziellen Nothelfer in den Fällen eines Nothilfeverzichts lediglich von seiner Beistandsleistung freistellen möchte, untersagt er ihm in den Fällen eines Nothilfeverbots selbige43. 1. Zum Verbot aufgedrängter Gefahrenabwehr nach den §§ 32, 34 StGB

Zur Reichweite eines solchen Nothilfeverbots können nun vier Lösungsansätze zitiert werden: die nothilfefeindliche Lösung, die nothilfefreundliche Lösung, die Willensrichtungslösung und die (herrschende) Mutmaßlichkeitslösung44. Dabei werten nothilfefeindliche und nothilfefreundliche Lösung die „Nicht-Erklärung“ entweder einheitlich als Ablehnung des Hilfsangebots des potenziellen Nothelfers oder aber als diesbezügliche Zustimmung des Betroffenen. Während die nothilfefeindliche Lösung eine Ablehnung bereits dann bejaht, wenn der Betroffene weder ausdrücklich noch konkludent zum Beistand auffordert, entnimmt die notstandsfreundliche Lösung der „NichtErklärung“ in umgekehrter Interpretation keine Ablehnung, sondern die Zustimmung zum Angebot von Nothilfe45. Ein Nothilfeverbot liegt nach der nothilfefeindlichen Lösung damit bereits mit Fehlen einer ausdrücklichen oder konkludenten Zustimmung des Betroffenen vor, während die nothilfefreundliche Lösung ein solches nur im Falle expliziter oder konkludenter Ablehnung bejaht. In Reaktion auf die Schwächen, die beide Lösungsansätze spiegelbildlich zeigen (die Verfehlung der Interessenlage des Betroffenen, wenn dieser seine Zustimmung bzw. Ablehnung zwar nicht formulieren kann, jedoch Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Willen erkennbar sind)46, werden Willensrichtungslösung und Mutmaßlichkeitslösung formuliert, die in Abgrenzung zur notstandsfeindlichen und notstandsfreundlichen Lösung das Unterbleiben einer Erklärung nicht einheitlich als Zustimmung oder Ablehnung werten, sondern den (tatsächlichen oder mutmaßlichen) Willen des Angegriffenen für maßgeblich befinden. Dabei stellt die Willensrichtungslösung auf den tatsächlichen, auch nur inneren Willen des Ange43  Zur Diff. von Nothilfeverzicht und -verbot im Rahmen des § 32 StGB s. Engländer, Nothilfe, 102; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, 122; Seier, NJW 1987, 2476 (2480 a. E.); zur umgekehrten Fragestellung, inwieweit die §§ 13 und 323c StGB einen Dritten zur Nothilfe verpflichten, s. den Beitrag von Engländer, in: Heinrich et  al., FS-Roxin / 1 (2011), 657. 44  Für einen Überblick über die verschiedenen Lösungsansätze s. Engländer, Nothilfe, 106–112. 45  Für eine nothilfefeindliche Lösung im Regelfall s. Himmelreich, MDR 1967, 361 (366); für die nothilfefreundliche Lösung: Krey / Esser, AT5, Rn. 569; Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, 235 f.; zsfd. Engländer, Nothilfe, 106; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, 152. 46  Siehe dazu Engländer, Nothilfe, 107; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, 154.



Abschn. 1: Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis323

griffenen ab, unabhängig davon, ob dieser nach außen in Erscheinung getreten ist47. Anders die herrschende Mutmaßlichkeitslösung, die im Hinblick darauf, dass die Ablehnung der Nothilfe ein an den potenziellen Nothelfer gerichtetes Handlungsverbot darstellt, die Erkennbarkeit des Handlungsverbots für selbigen und mithin wenigstens äußere Anhaltspunkte für einen Ablehnungswillen verlangt48. Entsprechend wird der mutmaßliche Wille hier nach den für den potenziellen Nothelfer erkennbaren „persönlichen Interessen, Präferenzen und Vorstellungen“ des Angegriffenen bestimmt. Fehlen hinreichende Erkenntnisse über die spezifische Interessenlage des Angegriffenen, stellt die Mutmaßlichkeitslösung auf den Willen einer „vernünftige[n] Person“ in der konkreten Situation des Rechtsgutsträgers ab. I. d. R. folgt hieraus die Annahme einer mutmaßlichen Zustimmung in das Angebot auf Nothilfe49. Dass eine Nothilfe vom Betroffenen untersagt und ihm bei Zuwiderhandlung mithin „aufgedrängt“ wird, kann in unterschiedlichsten Motivationen begründet sein. Beispielhaft, da für den anstehenden Vergleich von besonderer Relevanz, seien angeführt: die Sorge um das eigene Wohl in Befürchtung aus der Nothilfe erwachsender Gefahren50 sowie die Sorge um das Wohl des Angreifers bzw. Eingriffsadressaten. In Abgrenzung zum bloßen Nothilfeverzicht wird ein Nothilfeverbot dabei jedenfalls für diejenigen Fälle bejaht, in denen der Betroffene mit seiner Ablehnung den Angreifer bzw. Eingriffsadressaten zu schützen bezweckt. Dieser treffe die Entscheidung, die Belange des Angreifers bzw. Eingriffsadressaten über seine eigenen Interessen zu stellen und nehme einem potenziellen Nothelfer zu diesem Zwecke das Recht, stellvertretend für ihn zum Schutze seiner Interessen einzutreten51. Auch für die allgemeinen Rechtfertigungsgründe ist damit dazu u. abl. Engländer, Nothilfe, 106 u. 108. Engländer, Nothilfe, 108 f.; für die Mutmaßlichkeitslösung ferner: Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 32 Rn. 183; Jakobs, AT2, Abschn. 12, Rn. 62; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 25 / 26; Rönnau / Hohn, in: Laufhütte et  al., LKStGB / 212, § 32 Rn. 209; Roxin, AT / I4, § 15, Rn. 120; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, 154 f. u. 174. 49  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Engländer, Nothilfe, 108 f.; in diesem Sinne auch Jakobs, AT2, Abschn.  12, Rn. 62; Koch, Aufgedrängte Nothilfe, 127; Rönnau / Hohn, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 32 Rn. 209; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, 155 f. u. 174; zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Angegriffenen vgl. ferner BGH StV 1987, 59 (59). 50  Für ein Nothilfeverbot in jenen Fällen: Engländer, Nothilfe, 103 u. 146 f.; Kühl, StGB27, § 32 Rn. 12; Roxin, AT / I4, § 15, Rn. 118; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, 136–138; abl. Koch, Aufgedrängte Nothilfe, 141 f.; für einen bloßen Verzicht: Seier, NJW 1987, 2476 (2483); Beispielsfälle bei Seeberg, a. a. O., 118. 51  Übereinstimmend für ein Nothilfeverbot: Engländer, Nothilfe, 103 u. 146; Koch, Aufgedrängte Nothilfe, 138 f.; Kühl, StGB27, § 32 Rn. 12; Seeberg, Aufge47  Siehe 48  So

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

anerkannt, dass eine Nothilfe (oder eine „Notstandshilfe“) durch einen Dritten grundsätzlich nur in Übereinstimmung mit dem Willen des Angegriffenen bzw. des von der Notstandslage Betroffenen erfolgen darf. Im Gegensatz zu § 218a Abs. 2 StGB ist das Verbot der „aufgedrängten Nothilfe“ in den §§ 32, 34 StGB jedoch nicht mittels eines Einwilligungserfordernisses ausdrücklich normiert, sondern wird in unterschiedlicher Ausprägung einem akzessorischen Charakter von Nothilfe und Notstandshilfe – der nur stellvertretenden Wahrnehmung der Verteidigungsbefugnis des Angegriffenen bzw. des von der Notstandlage Betroffenen – entnommen. 2. Zum Verbot des aufgedrängten Abbruchs nach § 218a Abs. 2 StGB

Wenn das Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB mithin auch nur ein Ausdruck allgemeiner Grundsätze zum Verbot der „aufgedrängten Nothilfe“ ist, so bleibt doch noch eine Frage nach dem Warum offen: Warum hat es der Gesetzgeber in § 218a Abs. 2 StGB für notwendig befunden, das Einwilligungserfordernis in Abweichung von § 34 StGB ausdrücklich zu benennen, sodass er das Verbot einer „aufgedrängten Nothilfe“ in den Indikationentatbestand integriert, anstatt dass er seine Anwendung der Rechtsprechung und Lehre überließe? Den Grund hierfür meint man in einer Verschiebung derjenigen Wertungen zu erkennen, die die Grundsätze einer „aufgedrängten Nothilfe“ transportieren und die der Gesetzgeber auf die besondere Situation des in § 218a Abs. 2 StGB geregelten Schwangerschaftskonflikts angewandt wissen will. a) Die grundsätzliche Nothilfefeindlichkeit der Indikationen Insofern könnte man zunächst daran denken, im Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB die ältere nothilfefeindliche Lösung zur „aufgedrängten Nothilfe“ verwirklicht zu sehen: Diese wertet die „Nicht-Erklärung“ des Betroffenen einheitlich als Ablehnung einer Nothilfe. Nur in denjenigen Fällen, in denen der Betroffene ausdrücklich oder wenigstens konkludent zum Beistand auffordert, soll ein Dritter zur Hilfe berechtigt sein. Diese Lösung ist, wie bereits ihre Bezeichnung zu erkennen gibt, die nothilfefeindliche unter den zur Konstellation der „aufgedrängten Nothilfe“ vertretenen Ansichten: Nothilfe ist demnach nur nach entsprechender Aufforderung zulässig52. drängte Nothilfe, 131 f.; Seier, NJW 1987, 2476 (2483); Beispielsfälle bei Seeberg, a. a. O., 116–118. 52  Zum Streit um die Reichweite eines Nothilfeverbots s. bereits oben Seite  322 f. [1.].



Abschn. 1: Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis

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Dass die Formulierung des rechtfertigenden Indikationentatbestandes gerade an die ältere nothilfefeindliche Lösung anklingt, lässt sich nun insofern nachvollziehen, als jene nothilfefeindliche Lösung etwaigen Motivationen des Betroffenen, Nothilfe nicht in Anspruch zu nehmen, besondere Beachtung schenkt. Derartige Motivationen sind in den Fällen des Schwangerschaftsabbruchs typischerweise besonders ausgeprägt: Denn hier schließt eine Nothilfe nicht nur zwingend eine Verletzung der körperlichen (und gegebenenfalls auch seelischen) Integrität der Schwangeren ein, sondern wendet sich vor allem gegen das Leben des Embryos bzw. Fetus und mithin gegen das Leben des (prospektiven) Kindes der Schwangeren. Das Interesse, sein Gegenüber in der Konfliktsituation zu schützen, auch dann wenn es eine Gefahr entfaltet, kann hier gegenüber sonstigen Fällen der Nothilfe und Notstandshilfe immens erhöht sein. Dies berücksichtigt auch das Gesetz, wenn es gemäß § 218 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB dann einen besonders schweren Fall des Schwangerschaftsabbruchs normiert sieht, wenn der Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren verwirklicht wird. Diesbezüglich hat die vorliegende Untersuchung bereits an früherer Stelle darauf hingewiesen, dass jenem Regelbeispiel aufgrund seiner Tatbestandsnähe der Hinweis auf die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren als sekundär geschütztes Rechtsgut entnommen werden kann. Die Entscheidung zugunsten des Austragens der Schwangerschaft ist so dem Schutz der §§ 218 ff. StGB unterstellt worden53. Wenn das gesetzgeberische Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB mithin garantiert, dass eine gegen oder auch nur ohne den Willen der Schwangeren vorgenommene Nothilfe grundsätzlich rechtswidrig ist, so findet dies seine sachliche Begründung in der besonderen körperlichen wie emotionalen Verbindung zwischen Schwangerer und Ungeborenem als denjenigen, die sich im notstandsähnlichen Konflikt gegenübertreten. Eine Rücksichtnahme auf jene besondere Verbindung, die sich in der Anerkennung eines eher nothilfefeindlich gesteigerten Nothilfeverbots äußert, sieht sich auch nicht etwa dadurch gehindert, dass die Schwangere in Fällen der genuin medizinischen Indikation so gar über ihr Leben – ein grundsätzlich indisponibles Gut – verfügen könnte54. Denn 53  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  268 f. [Abschn.  2, C.] u. Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 21 u. 35; aA Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 29. Zur Schlussfolgerung aus Regelbeispielen auf den Rechtsgüterschutz s. oben Kap. 4, Seite  264 f. [Abschn.  2, B. I. 2.]. 54  Zu rechtsgutsbezogenen Gründen für eine Unbeachtlichkeit des Willens des von einer Notwehr- oder Notstandslage Betroffenen s. BGHSt 5, 245 (247 f.); Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 32 Rn. 184; Jakobs, AT2, Abschn.  12, Rn. 59– 61; Krey / Esser, AT5, Rn. 568; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 25 / 26; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, 140–142 u. 151; Seier, NJW 1987, 2476 (2478); zsfd. Engländer, Nothilfe, 116 f. Für die parallele Bestimmung der Grenzen eines Verzichts auf den Schutz eigener Rechtsgüter in Parallele zur Reichweite der Einwilli-

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

insofern vollzieht sich mit dem Unterbleiben ihrer Einwilligung nicht etwa der Eingriff eines Anderen in ihr Leben, den sie billigte, sondern entwickelt sich nur eine ohne ihr Zutun entstandene Lebensgefährdung fort und entscheidet sich die Schwangere mit Blick auf ihre weiteren Interessen eigenverantwortlich, diese Gefahr gleich einer Selbstgefährdung hinzunehmen55. b) Die nothilfefeindliche Behandlung einer mutmaßlichen Einwilligung Nur grundsätzlich statt ausnahmslos rechtswidrig ist eine gegen oder auch nur ohne den Willen der Schwangeren vorgenommene Nothilfe insofern, als die Zulässigkeit einer nur mutmaßlichen Einwilligung im Rahmen der Schwangerschaftsabbruchsindikationen – wenn auch unter unterschiedlichen Einschränkungen – einhellig bejaht wird56. In Abweichung von der nothilfefeindlichen Lösung zur „aufgedrängten Nothilfe“ wird die Einwilligungsvoraussetzung des § 218a Abs. 2 StGB mithin nicht etwa so verstanden, als setzte die Rechtfertigung des indizierten Abbruchs stets eine ausdrückliche oder wenigstens konkludente Zustimmung der Schwangeren zum Abbruch als Angebot einer Lösung ihres notstandsähnlichen Konfliktes voraus57. Mit der Anerkennung einer mutmaßlichen Einwilligung spiegelt sich vielmehr auch in § 218a Abs. 2 StGB die herrschende Mutmaßlichkeitslösung wider, nach der einer rechtmäßigen Nothilfe im Einzelfall auch die nur mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen genügen kann58. Indem § 218a Abs. 2 StGB aber – anders als § 34 StGB – die Einwilligung der Schwangeren ausdrücklich als Rechtfertigungsvoraussetzung nennt, gibt der Indikationentatbestand zu erkennen, wie innerhalb jener Mutmaßlichkeitslösung eine nothilfefeindliche Gewichtung vorgenommen werden muss. Wenn man die „Nicht-Erklärung“ der Schwangeren so schon nicht – in Anlehnung an die soeben repetierte nothilfefeindliche Lösung – einheitlich als Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs wertet, muss dem Grundsatz, dass eine Nothilfe (oder Hilfe aus einem notstandsähnlichen Konflikt) nur mit dem Willen gung in einen Rechtsgütereingriff s. Seeberg, a. a. O., 142; Seier, NJW 1987, 2476 (2481); diff. Koch, Aufgedrängte Nothilfe, 144. 55  Vgl. Engländer, Nothilfe, 138; Koch, Aufgedrängte Nothilfe, 144; Neumann, in: Kindhäuser et  al., NK‑StGB / 14, § 34 Rn. 83 f.; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 71; Seuring, Aufgedrängte Nothilfe 108 f.; in diesem Sinne auch für ein Verbot aufgedrängter Notstandshilfe in Sachverhalten der Perforation: Roxin, a. a. O., § 16, Rn. 80. 56  Lenckner, in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 173 (175 u. 186); Merkel, in: Kindhäuser et  al., NK‑StGB / 24, § 218a Rn. 45 u. 47. 57  Zur nothilfefeindlichen Lösung s. bereits oben Seite  322 f. [1.] u. Seite  324 f. [2. a)]. 58  Siehe dazu bereits oben Seite  322 [1.].



Abschn. 1: Indikationentatbestand und sein Einwilligungserfordernis

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des von der Konfliktlage Betroffenen erfolgen darf, innerhalb des Indika­ tionentatbestandes doch besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Richtigerweise wäre der Anwendungsbereich einer mutmaßlichen Einwilligung so auf Ausnahmefälle zu beschränken, in denen Gefahren für Leben und / oder Gesundheit der Schwangeren unmittelbar aus dem Zustand der Schwangerschaft erwachsen und eine wirksame Gefahrenabwehr keinen weiteren Aufschub duldet bzw. eine (Wieder‑)Herstellung der Fähigkeit der Schwangeren zur Stellungnahme nicht erwartet werden kann59. Erhöhte Anforderungen sollten weiter auch an die inhaltliche Bestimmung des mutmaßlichen Willens der Schwangeren gestellt werden60. Mit Blick auf die grundsätzliche Nothilfefeindlichkeit des § 218a Abs. 2 StGB sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um die maßgeblichen „individuellen Interessen, Bedürfnisse, Wünsche und Wertvorstellungen“ der Schwangeren zu ermitteln und auf dieser Grundlage ein zuverlässiges Wahrscheinlichkeitsurteil über ihren wahren Willen im Tatzeitpunkt fällen zu können61. Die subsidiäre Abstellung auf die „Maßstäbe eines vernünftig Handelnden“62 dürfte sich in der Situation des indizierten Abbruchs jedenfalls problematisch darstellen: Denn wer wollte beurteilen, ob diejenige Schwangere „vernünftig“ handelte, die sich angesichts der Konfrontation mit Gefahren für ihr eigenes Leben oder ihre eigene Gesundheit für eine Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens entschiede, oder diejenige, die dem Leben ihres prospektiven Kindes den Vorrang vor ihren eigenen Interessen einräumte? Insoweit ginge es auch fehl, dem Indikationentatbestand eine Wertung des Inhalts entnehmen zu wollen, dass der Gesetzgeber auf einen Vorrang der Schwangereninteressen in Indikationenlagen befunden hätte und den medizinisch-sozial indizierten Abbruch in der Folge für „vernünftig“ gekennzeichnet hätte: Denn nicht darüber, ob ein indizierter Abbruch kraft Gesetzes als „vernünftig“ gilt, hat der Gesetzgeber hier entschieden, sondern lediglich die „Rechtspflicht“63 der Frau zum Austragen der Schwangerschaft für eine besondere (notstandsähnliche) Konstellation suspendiert. Ließe man die mutmaßliche Einwil­ ligung in einen Schwangerschaftsabbruch mithin nur in eng umgrenzten ­Ausnahmefällen zu und formulierte deren Voraussetzungen restriktiv, ach­ tete man die Besonderheiten eines Schwangerschaftskonflikts, innerhalb des59  I. Erg. ebenso Lenckner, in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 173 (186); vgl. dazu auch Fischer, StGB60, § 218a Rn. 16a, der die Möglichkeit einer mutmaßlichen Einwilligung „allenfalls bei Vorliegen einer anders nicht abwendbaren Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung“ bejahen will. 60  Siehe dazu auch Lenckner, in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 173 (186 f.). 61  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Wessels / Beulke, AT42, Rn. 381. 62  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 381. 63  BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 3); Hervorhebung nicht im Original.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

sen die Abbruchsmaßnahmen ihrerseits die individuellen Rechtsgüter der Schwan­geren gefährdeten und der Eingriffsadressat in einer besonderen Beziehung zur Schwangeren steht, nämlich ihr prospektives Kind ist. III. Conclusio Ausgehend von dem verfassungsgerichtlichen Anspruch, dass die Rechtsordnung eine Gleichwertigkeit des menschlichen individuellen Lebens diesseits wie jenseits der Geburt zu transportieren hat, müsste dessen Tötung in den §§ 34, 218a Abs. 2 StGB also entweder denselben rechtfertigenden Merkmalen unterworfen sein oder aber müssten diesbezügliche Unterschiede sachlich begründet werden können. Ein erster Unterschied tritt noch in den ersten fünf Worten des § 218a Abs. 2 StGB zutage, wenn der medizinischsoziale Indikationentatbestand verlauten lässt: „Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig […]“64. Das Erfordernis einer Einwilligung, die nicht nur den selbstbestimmten Verzicht der Schwangeren auf individuellen Rechtsgüterschutz zum Ausdruck bringt, sondern den Schwangerschaftskonflikt überdies als notstandsähnlichen Konflikt kennzeichnet, wird durch den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand so ausdrücklich zum rechtfertigenden Merkmal erhoben. Dem allgemeinen rechtfertigenden Notstand mangelt es an dergleichen, wohl aber kommen nach zutreffender Ansicht auch innerhalb seiner Grenzen die ungeschriebenen Grundsätze einer sog. „aufgedrängten Nothilfe“ zur Anwendung, nach denen eine Nothilfe grundsätzlich nur mit dem Willen desjenigen erfolgen darf, der in einer Konfliktlage der Hilfe bedarf. Jenen Willen bestimmt die herrschende Meinung innerhalb der §§ 32, 34 StGB nicht nur nach der ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung des von der Konfliktlage Betroffenen; auch eine Tatbegehung, die – bei Fehlen eines ausdrücklich oder konkludent erklärten Willens – nur im Einklang mit seinem mutmaßlichen Willen erfolgt, soll gegen kein Nothilfeverbot verstoßen, das die rechtfertigende Wirkung des jeweiligen Erlaubnistatbestandes hinderte. Entsprechend ist auch für den Schwangerschaftsabbruch die Wirksamkeit einer mutmaßlichen Einwilligung anerkannt – wenn der medizinischsoziale Indikationentatbestand in Abweichung von § 34 StGB aber das Einwilligungserfordernis ausdrücklich normiert, kann dem zutreffend eine nothilfefeindliche Verschiebung in den Wertungen entnommen werden. Der Grundsatz, dass Hilfe grundsätzlich nur mit dem Willen desjenigen erfolgen darf, der in einer Konfliktlage der Hilfe bedarf, erfährt verbal seine besondere Hervorhebung und spiegelt sich in denjenigen Stimmen wider, die den Anwendungsbereich und die Voraussetzungen einer mutmaßlichen Einwilli64  § 218a

Abs. 2 StGB; Hervorhebung nicht im Original.



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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gung in den Schwangerschaftsabbruch restriktiv bestimmt wissen wollen. Während Johann Heinrich Pestalozzi in anderem Zusammenhang schrieb, dass demjenigen niemand helfen kann, der sich nicht selbst helfen will65, so kann in vorliegendem Zusammenhang formuliert werden, dass derjenigen Schwangeren niemand helfen darf, die sich nicht selbst helfen will, nämlich in den Abbruch der Schwangerschaft auch nicht nur mutmaßlich einwilligt, gleichwohl man durch ihn ihr eigenes Leben oder ihre eigene Gesundheit zu retten wüsste. In seiner besonderen Nothilfefeindlichkeit sieht sich das von § 34 StGB abweichende, ausdrückliche Einwilligungserfordernis begründet und übt sich in sachlich begründeter Rücksichtnahme auf die Eigenheiten des notstandsähnlichen (Schwangerschafts‑)Konflikts. Abschnitt 2

Von fehlender Abwägungsrelevanz – Nur das Für oder auch das Wider – „Wissen Sie, ich denke, daß man das Leben mit allem Für und Wider annehmen muß. Das ist das erste Gebot, noch vor den zehn anderen“. (Milan Kundera66)

So kann also das ausdrücklich benannte Einwilligungserfordernis des medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes einer sachlichen Begründung zugeführt werden, wenn man in ihm eine – durch die Besonderheiten des Schwangerschaftskonflikts indizierte – nothilfefeindliche Gewichtung verwirklicht sieht. Von diesem ersten, noch eng umrissenen Unterschied zwischen dem allgemeinen rechtfertigenden Notstand einerseits, der Schwangerschaftsabbruchsindikation andererseits schreitet die Untersuchung fort zu einem zweiten Unterschied, der vorliegend unter den Begriff der „fehlenden Abwägungsrelevanz“ gefasst wird, in seinen Auswirkungen jedoch viele verschiedene Kreise zieht.

A. Die Ungleichbehandlung: Vorweggenommen statt offen Gilt es, einen Konflikt zu entscheiden, in dem sich verschiedene und überdies gegenläufige Interessen gegenübertreten, wird man es wohl zu den 65  „Kurz, wer sich nicht selbst helfen will, dem kann Niemand helfen“; Pestalozzi, Briefe und Schicksale, 3. 66  Kundera, Abschiedswalzer, 32 f.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Grundprinzipien einer gerechten Entscheidung zählen, dass sie alle entscheidungserheblichen Umstände zu berücksichtigen bemüht ist, gleich welche der am Konflikt beteiligten Parteien betroffen ist bzw. durch sie begünstigt würde. Entsprechend ist die Interessenabwägung in § 34 S. 1 StGB offen formuliert, sodass der Rechtsanwender alle Umstände des konkret-individuellen Einzelfalls, die da auftreten mögen, berücksichtigen kann, gleich ob sie den Notstandstäter oder den Eingriffsadressaten betreffen. § 34 S. 2 StGB formuliert mit seiner in Ergänzung zu § 34 S. 1 StGB tretenden Angemessenheitsklausel gar noch ein Regulativ, um das Ergebnis der Interessenabwägung im Einzelfall korrigieren zu können, soweit die Tat kein so­ zialethisch angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr bildete. Demgegenüber werden die nachfolgenden Ausführungen aufzeigen, wie man im Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB das eine wie das andere vermisst: Das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen der Schwangeren und des postnidativen ungeborenen Lebens ist vorweggenommen und schließt eine Abwägungsrelevanz verschiedener Umstände des Einzel- oder auch Regelfalls von vornherein aus; ein der Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB entsprechendes Regulativ normiert der Indikationentatbestand ebenfalls nicht, sodass die fraglichen Umstände auch auf diesem Wege keinen Einfluss auf die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs nehmen. I. Ein abstrakt-generell vorweggenommenes Abwägungsergebnis Was § 218a Abs. 2 StGB nicht oder in gegenüber § 34 StGB nur äußerst eingeschränktem Umfang aufweist, ist zunächst also Raum für eine vom Rechtsanwender vorzunehmende konkret-individuelle Interessenabwägung. Interessenabwägung im Rahmen des § 34 S. 1 StGB heißt „Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, mit dem Ergebnis, dass das vom Täter geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“67. Der Gesetzgeber formuliert hier die Kollision zwischen dem durch die Notstandshandlung geschützten Interesse und dem durch dieselbe beeinträchtigten Interesse, welche der Rechtsanwender, ohne durch ein vom Gesetzgeber vorweggenommenes Abwägungsergebnis eingeschränkt zu sein, unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden hat. Als solche abwägungsrelevanten Umstände sind nach Wessels und Beulke dann etwa zu berücksichtigen: „Art und Ursprung sowie Intensität und Nähe der Gefahr, Art und Umfang der drohenden Werteinbußen, das Rangund Wertverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter, besondere Gefahr­ 67  So

der Wortlaut des § 34 S. 1 StGB.



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz331

tragungspflichten (zB bei Polizeibeamten, Soldaten und Feuerwehrleuten), spezielle Schutzpflichten (wie etwa auf Grund einer Garantenstellung […]), der vom Täter verfolgte Endzweck, die etwaige Unersetzlichkeit des eintretenden Schadens sowie die Größe der Rettungschancen“68. Demgegenüber beschränkt § 218a Abs. 2 StGB die Interessenabwägung durch den Rechtsanwender im Wesentlichen darauf, ein durch den Gesetzgeber verbindlich vorweggenommenes Abwägungsergebnis nachzuvollziehen: Ist „der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt […], um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und [kann] die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden“, so rechtfertigen diese Gefahren den Eingriff in das postnidative ungeborene Leben, der dessen physische Vernichtung ist. Gleichwohl das postnidative ungeborene Leben das von einem Abbruch betroffene Rechtsgut ist, findet es in der Formulierung des § 218a Abs. 2 StGB bezeichnenderweise keine Erwähnung. Erwähnung finden nur die geschützten Rechtsgüter der Frau, deren Betroffenheit der Rechtsanwender durch die Formulierung einer Gefahrenprognose festzustellen hat. Begründet die Schwangerschaft demnach eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren, so rechtfertigt diese Gefahr – vorbehaltlich einer Unzumutbarkeit etwaiger Handlungsalternativen – den Abbruch der Schwangerschaft und mit ihm die Tötung des Ungeborenen. Als Abwägungsergebnis hat der Gesetzgeber verbindlich vorgezeichnet, dass das Lebensinteresse der Schwangeren stets den Vorrang genießt, ebenso deren Gesundheitsinteresse für den Fall drohender schwerwiegender Beeinträchtigungen. In diesem Sinne hat der VI. Zivilsenat des BGH vom 31.01.2006 auch ein Revisionsverfahren entschieden, in dem die Kläger den beklagten Frauenarzt auf Ersatz des Unterhaltsbedarfs ihrer körperlich behinderten Tochter in Anspruch nahmen, weil mangels pränataler Diagnose der Fehlbildung kein Schwangerschaftsabbruch aus medizinisch-sozialer Indikation durchgeführt worden war69. Die von einem vertraglichen Schadensersatzanspruch vorausgesetzte Rechtmäßigkeit des unterbliebenen Abbruchs, namentlich die medizinisch-soziale Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB, hatte das OLG Hamm in der Berufungsinstanz noch unter Hinweis darauf abgelehnt, dass die Gefahrenprognose nach § 218a Abs. 2 StGB eine Abwägung zwischen den Gesundheitsgefahren für die Schwangere und dem Lebensrecht des AT42, Rn. 311. NJW 2006, 1660.

68  Wessels / Beulke, 69  BGH

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Fetus voraussetze, die Kläger aber – unter anderem angesichts der „nicht so besonders schwerwiegende[n] Behinderung des ungeborenen Kindes“ – nicht in ausreichender Weise den Nachweis geführt hätten, dass letztlich die Interessen des Fetus in dieser Abwägung hätten zurücktreten müssen70. Der VI. Zivilsenat des BGH beanstandete in der Revisionsinstanz nun nicht nur die hohen Anforderungen, die das OLG an die Darlegung der Gefahrenprognose gestellt hatte. Darüber hinaus erklärte er eine (zusätzliche), an den Grad der (zu erwartenden) Behinderung des Kindes und dessen Entwicklung nach der Geburt anknüpfende Abwägung für einen Rechtsfehler, denn: „Die erforderliche Abwägung zwischen dem Lebensrecht des Kindes und den Belangen der Mutter hat der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung dieses Tatbestandes [§ 218a Abs. 2 StGB] bereits vorgenommen“71. „Weiterer Voraussetzungen, die im Wege einer zusätzlichen Abwägung zu berücksichtigen wären“, soll es nicht nur nicht bedürfen, sondern sie überschreiten nach dem Willen des Gesetzes – sofern sie als eigenständige Abwägungskriterien in Rechnung gestellt werden – auch die Prognosebasis, die der Entscheidung über das Vorliegen eines medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes zugrunde gelegt werden darf72. II. Der verbleibende Spielraum für eine Entscheidung im Einzelfall In der zitierten Revisionsentscheidung hat der BGH aber nicht nur herausgekehrt, wie der Gesetzgeber die Abwägung zwischen den Interessen der Schwangeren und des postnidativen ungeborenen Lebens abstrakt-generell vorweggenommen hat, sondern hat auch denjenigen (eng umrissenen) Spielraum benannt, innerhalb dessen sich der medizinisch-soziale Indikationentatbestand den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu öffnen bereit ist. Jener tut sich im Gefahrenmerkmal des § 218a Abs. 2 StGB auf, wenn für die Schwere einer drohenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Schwangeren verschiedene Umstände des Einzelfalls von indizieller Bedeutung sein können.

70  Siehe dazu BGH NJW 2006, 1660 (1660 f.) m. vorstehendem Zitat a. a. O., 1660 (1661). 71  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BGH NJW 2006, 1660 (1662); [Klammerzusatz] nicht im Original. 72  Siehe dazu BGH NJW 2006, 1660 (1661 f.) m. vorstehendem Zitat a. a. O., 1660 (1661); gegen eine (erneute) Abwägung des Rechtsanwenders zwischen Gesundheit der Frau und (behindertem) Leben des Fetus auch: Hillenkamp, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 425 (438).



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz333 1. Die Schwere der drohenden Gesundheitsbeeinträchtigung

Insofern schied es für den BGH in besagtem Verfahren zwar aus, die Art und den Grad einer pränataldiagnostisch festgestellten Auffälligkeit des Fetus als eigenständigen Abwägungsfaktor zu berücksichtigen; wohl aber sollte die zu erwartende Behinderung des geborenen Kindes Rückschlüsse auf das Ausmaß künftiger physischer und psychischer Belastungen der Frau erlauben und insofern von Erkenntniswert für die Gefahrenprognose des § 218a Abs. 2 StGB sein73. In eben diesem Sinne wollte das Gericht auch eine frühere Entscheidung desselben Zivilsenats vom 18.06.2002 verstanden wissen, innerhalb derer sich das Gericht mit einem anderen Umstand des Einzelfalls, nämlich mit dem fortschreitenden Entwicklungsalter des Fetus und dessen Bedeutung für die rechtfertigende Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB zu befassen hatte74: „Auch wenn das Lebensrecht des Kindes dem Grunde nach eine zeitliche Differenzierung der Schutzpflicht nicht zulässt […], kann doch bei dieser Abwägung zur Bestimmung der Voraussetzungen der medizinischen Indikation auch die Dauer der Schwangerschaft und die daraus resultierende besondere Situation für Mutter und Kind Berücksichtigung finden […]“75. Indem das Gericht ebenda (in seiner früheren Entscheidung vom 18.06.2002) die Schwangerschaftsdauer und daraus resultierende besondere Situation für die Schwangere hatte herangezogen wissen wollen, um die rechtfertigenden Merkmale des § 218a Abs. 2 StGB zu bestimmen, schien es für deren indizielle – die Gefahrenprognose des § 218a Abs. 2 StGB ausfüllende – Bedeutung eingetreten zu sein. So sollen nach der Rechtsprechung des BGH also Art und Grad der Behinderung des erwarteten Kindes76, ebenso wie Dauer der Schwangerschaft und fortgeschrittenes Entwicklungsalter des postnidativen ungeborenen Lebens77 nur der Prognose künftiger physischer und psychischer Belastungen der Frau als Basis dienen können. 2. Jenseits der Gefahrenprognose

In diesen Grenzen finden mithin Umstände des Einzelfalls ihren Eingang in die Gefahrenprognose des § 218a Abs. 2 StGB, wenn sich der Rechtsan73  Siehe dazu BGH NJW 2006, 1660 (1661 f.); vgl. in diesem Zusammenhang auch die (in Teilen indiziell verwertete) Diff. nach dem Schweregrad der zu erwartenden Behinderung bei Wirth, Spätabtreibung, 35–38. 74  So die Bezugnahme in BGH NJW 2006, 1660 (1662 a. E.), auf BGHZ 151, 133 = BGH NJW 2002, 2636. 75  BGH NJW 2002, 2636 (2638). 76  Damit befasst: die Entscheidung BGH NJW 2006, 1660. 77  Damit befasst: die Entscheidung BGH NJW 2002, 2636.

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wender ihrer bedient, um den Sachverhalt unter die Gefahr nicht irgendeiner, sondern einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Schwangeren zu subsumieren. Hier bleibt zu entscheiden, wann eine drohende Beeinträchtigung schwer genug wiegt, um die Tötung postnidativen ungeborenen Lebens rechtfertigen zu können, nämlich „ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte“ erreicht, dass „dies von der Frau nicht erwartet werden kann“78. Jenseits dieser Subsumtion unter den Begriff der „schwerwiegenden“ Gesundheitsbeeinträchtigung bleibt die Rechtfertigung eines medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftsabbruchs von der Sachlage des jeweiligen Einzelfalls jedoch unberührt: Während bereits die Inhalte der grundrechtlichen Garantien gegen eine Berücksichtigung „fetusgebundener“ Umstände – d. h. solcher Umstände, die das Entwicklungsalter oder die Konstitution des postnidativen ungeborenen Lebens betreffen – als eigenständiges Abwägungskriterium streiten, erklärt die enge Formulierung des § 218a Abs. 2 StGB auch andere – nicht „fetusgebundene“ – Umstände für unerheblich, soweit sie nicht die Schwere der drohenden Gesundheitsgefährdung konkretisieren, sondern die Schutzwürdigkeit der gefährdeten Interessen der Schwangeren hinterfragen, über die der Gesetzgeber aber bereits antizipiert entschieden hat.

78  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 7 u. 257); in diesem Sinne bereits BVerfGE 39, 1 (49). Vgl. dazu auch BGHZ 129, 178 (183) = BGH NJW 1995, 1609 (1610); BGHZ 149, 236 (241 f.) = BGH NJW 2002, 886 (888). In Fallkonstellationen des Spätabbruchs wäre es ferner auch denkbar, vom fortgeschrittenen Entwicklungsalter des Fetus auf die Zumutbarkeit von Handlungsalternativen i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB zu schließen. Insofern mag sich mit der extrakorporalen Lebensfähigkeit des Fetus eine zusätzliche, im vormaligen Verlauf der Schwangerschaft nicht verwirklichte Handlungsalternative zu eröffnen, wenn die konfliktbeladene Schwangerschaft durch die Einleitung einer Früh- und Lebendgeburt beendet werden könnte und der anschließende postnatale Konflikt durch eine Freigabe des geborenen Kindes zur Pflege oder Adoption aufgelöst werden könnte. Bewertete man diese Handlungsalternative nun als zumutbar i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB (eine Möglichkeit, die jedoch die ausdrückliche Ablehnung der herrschenden Meinung gefunden hat; vgl. diesbzgl. auch die in BT-Drs. VI / 3434, 27, u. BGHSt 38, 144 [161], geäußerten Bedenken), vermöge man den Abbruch einer fortgeschrittenen Schwangerschaft wenigstens dann für rechtswidrig zu erkennen, wenn er sich gegen einen extrakorporal lebensfähigen Fetus richtet; so Wiebe, ZfL 2008, 83 (84); zur Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit einschlägiger Handlungsalternativen je „nach Lage des Einzelfalls“ s. Dolderer, Spätabbruch, 158; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 28 m. w. N.; Wirth, Spätabtreibung, 25. Wiederum jedoch offenbarte sich nur eine indizielle statt eigenständige Bedeutung des fetalen Entwicklungsalters in der Entscheidung nach § 218a Abs. 2 StGB.



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a) Die (auch grundrechtlich garantierte) Unerheblichkeit „fetusgebundener Umstände“ Zunächst also lassen Alter und Konstitution des postnidativen ungeborenen Lebens den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand unberührt. Zwar schien der BGH in der älteren seiner vorliegend zitierten Entscheidungen wenigstens noch mit der Vorstellung sympathisiert zu haben, das fortschreitende fetale Entwicklungsalter zu einem eigenständigen Abwägungskriterium zu erheben, das die Anforderungen an eine medizinisch-soziale Indikation sukzessive erhöhen sollte. Seine diesbezügliche Sympathie meint man seinen Entscheidungsgründen dann entnehmen zu können, wenn sie nicht nur Auswirkungen der Schwangerschaftsdauer auf die Situation der Frau benennen – und mithin ausdrücklich deren indizielle Bedeutung für die Gefahrenprognose des § 218a Abs. 2 StGB ins Feld führen –, sondern auch Auswirkungen auf das postnidative ungeborene Leben sowie dessen Schutzwürdigkeit in ihre Formulierung einbeziehen: Aus der Dauer der Schwangerschaft resultiere nicht nur für die Schwangere, sondern auch für das „Kind“79 eine besondere Situation, die in der Abwägung Berücksichtigung finden könne. Weiter solle „der Schwangerschaftsabbruch sowohl aus dem gesundheitlichen Interesse der Frau als auch im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des sich weiter entwickelnden ungeborenen Lebens so früh wie möglich vorgenommen werden“80. Indem das Gericht seine Ausführungen nicht auf die „besondere Situation für [die] Mutter“ sowie auf die frühestmögliche Vornahme des Abbruchs „aus dem gesundheitlichen Interesse der Frau“ beschränkte, sondern darüber hinaus auch die „besondere Situation für […] [das] Kind“ sowie die „Schutzwürdigkeit des sich weiter entwickelnden ungeborenen Lebens“ hervorhob81, schien es seinen Fokus wenigstens verbal zu erweitern: Nicht allein die indizielle Bedeutung des fortschreitenden Entwicklungsalters für die Gefahrenprognose des § 218a Abs. 2 79  BGH NJW 2002, 2636 (2638). Mit Blick darauf, dass jedenfalls das einfache Strafgesetz den Begriff des „Menschen“ respektive „Kindes“ den allgemeinen Tötungsdelikten vorbehält, deren Anwendungsbereich erst mit Einsetzen der Eröffnungswehen bzw. Vornahme des sie ersetzenden operativen Eingriffs beginnt, erachtet vorliegende Untersuchung den Begriff des „Kindes“ in diesem Zusammenhang für irreführend; vgl. den entsprechenden Hinweis von Hillenkamp, in: Weilert, Spätabbruch, 29 (42). Üblich wäre der Terminus der „Leibesfrucht“; s. dazu aber auch die kritischen Bemerkungen in Kap. 4, Seite  261  [Abschn.  2, A. III.]. Unter Verwendung der medizinischen Begrifflichkeiten könnte für den Zeitraum ab der neunten Woche p. c. auch von einem Fetus und für den Zeitraum bis zur vollendeten achten Woche p. c. von einem Embryo gesprochen werden; s. Moore / Persaud, Embryologie5, 10, und Rohen / Lütjen-Drecoll, Embryologie4, 1, 167, 169. 80  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BGH NJW 2002, 2636 (2638). 81  Vorstehende Zitate aus BGH NJW 2002, 2636 (2638); in [Klammerzusätzen] geschriebene Begriffe vorliegend zur Erleichterung des Leseflusses eingefügt.

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StGB fasste das Gericht so in Worte, sondern es schien überdies seiner Sympathie dafür Ausdruck zu verleihen, dass man in den medizinisch-so­ zialen Indikationentatbestand ein weiteres Abwägungskriterium integrierte, demzufolge ein fortschreitendes Entwicklungsalter die Schutzwürdigkeit des Fetus sukzessive anheben könnte. Dem medizinischen Fortschritt, der zu einer immer weiteren Vorverlagerung der extrauterinen Lebensfähigkeit des Fetus führen mag, könnte hier Bedeutung zukommen82. Damit schien die vorliegend zitierte Zivilrechtsprechung des BGH geneigt zu sein, bereits de lege lata in die medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB hineinzulesen, was im Bemühen um eine Eindämmung des Spätabbruchs – d. h. desjenigen Schwangerschaftsabbruchs, der sich gegen einen abstrakt extrakorporal lebensfähigen Fetus richtet83 – de lege ferenda verschiedentlich diskutiert worden ist. Entsprechende Initiativen hatten vorgeschlagen, die medizinisch-soziale Indikation, die de lege lata bis zum Ende der Schwangerschaft verwirklicht sein kann, einer zeitlichen Grenze zu unterwerfen, ab derer die Rechtfertigung nach § 218a Abs. 2 StGB entweder gänzlich entfallen oder aber nur unter erschwerten Voraussetzungen gewährt werden sollte. Aus dem Jahre 1997 stammt etwa das sog. Schwarzenfelder Manifest, ein als „Erklärung zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik“ vorgestellter Diskussionsentwurf verschiedener medizinischer Fachgesellschaften84 und der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, nach deren Dafürhalten ein Schwangerschaftsabbruch nach der 20.  Schwangerschaftswoche p. c. vorbehaltlich besonderer Ausnahmefälle ausgeschlossen sein sollte85. In neuerer Zeit etwa war eine gemeinsame Gesetzesinitiative der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe dafür eingetreten, nicht nur eine Pflichtberatung einzuführen, sondern die medizinisch-soziale 82  Darauf hinweisend BGH NJW 2002, 2636 (2638); entsprechende Sympathien bei Wirth, Spätabtreibung, 87. 83  Zur abstrakten extrakorporalen Lebensfähigkeit s. DGGG / DGKJ / DGPM /  GNPI, AWMF-LL-Reg. Nr. 024 / 019, pdf-S. 4 f.: ab der 20. Woche p. c. (22. p. m.): 50 % der Fälle, ab der 22. Woche p. c. (24. p. m.): 60 %, ab der 23. Woche p. c. (25. p. m.): 75 %; näher u. mit weiteren Nw. s. auch bereits oben Kap. 4, Seite  280 [Abschn.  3, A. II. 1. c)]. 84  Beteiligt an der diesbzgl. Beschlussfassung: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH), Deutsche Gesellschaft für perinatale Medizin (DGPM), Deutsche Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI). 85  Nachzulesen in der Bekanntmachung der BÄK, Dt. ÄrzteBl. 1998, A-3013 (A-3015); ähnl. Hofstätter, Schwangerschaftsabbruch, 203 f.; zur diesbzgl. Diskus­ sion s. die Zsf. krit. Stimmen bei Richter, Dt. ÄrzteBl. 1998, A-1363. Zur Fortsetzung in einem Positionspapier der DGGG aus dem Jahre 2003 s. dies., Schwangerschaftsabbruch nach PND, 39.



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Indikation durch eine Gesetzesänderung ausdrücklich auf solche Fälle zu beschränken, in denen ein Schwangerschaftsabbruch nach ärztlicher Erkenntnis „unter Berücksichtigung des Alters des ungeborenen Kindes und seiner extrauterinen Lebensfähigkeit“ wegen Gefahr für das Leben oder unzumutbarer Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren angezeigt ist86. Erfolg war den Bemühungen, der rechtmäßigen Tötung extrakorporal lebensfähig Ungeborener auf diese Art und Weise Einhalt zu gebieten, jedoch nicht beschieden. Die Diskussion um die allgemein unerwünschte Erscheinung des Spätabbruchs ist stattdessen am 13.05.2009 in eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) gemündet, die sich darauf beschränkt, in § 2a SchKG das Angebot einer (freiwilligen und ergebnisoffenen) Beratung zu formulieren, die der Schwangeren eine informierte Entscheidung darüber ermöglichen soll, ob und inwiefern sie aus dem in Aussicht getretenen Leben mit einem behinderten Kind die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung für ihren körperlichen und seelischen Gesundheitszustand besorgt87. Dass es diesbezüglich – de lege lata wie auch de lege ferenda – bei einer Sympathie für die Integration „fetusgebundener Umstände“ in den Indikationentatbestand bleiben musste, hatte schon der BGH in seiner vorliegend zitierten Entscheidung erkannt, wenn er in seinen Gründen schrieb, dass „das Lebensrecht des Kindes dem Grunde nach eine zeitliche Differenzierung der Schutzpflicht nicht zuläßt“88. Denn nicht nur die enge Formulierung der medizinisch-sozialen Indikation schließt es aus, das fetale Entwicklungsalter als eigenständiges Abwägungskriterium in die durch § 218a Abs. 2 StGB abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung zu integrieren. Überdies und vor allem wäre es auch mit dem durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG grundrechtlich garantierten Lebensrecht und dessen Konkretisierung durch das BVerfG nicht zu vereinbaren, wenn man die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs in Abhängigkeit vom fetalen Entwicklungsalter sukzessive zu erschweren suchte: Nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG ist das pränatale Leben – jedenfalls vom Zeitpunkt seiner Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut an – ungeachtet seines jeweiligen Entwicklungsstadiums als gleichwertig zum postnatalen Leben zu bewerten und „verbieten sich jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtung mit Blick 86  BÄK / DGGG, Vorschlag 2006, abgedr. in Schumann, Konfliktlösungen, 115 (118); s. dazu Büchner in JVL, Pressemitteilung v. 04.01.2007; weitergehend noch das Ansinnen von Eser / Koch, Schwangerschaftsabbruch, 615, den Abbruch jenseits der fetalen Lebensfähigkeit auf Sachverhalte einer vitalen Indikation zu beschränken. 87  Zum diesbzgl. Gesetzesbeschluss des Dt. Bundestages s. BR-Drs. 447 / 09 v. 22.05.2009; zum Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKGÄndG) s. BGBl. I, Nr. 58 v. 14.09.2009, 2990. 88  BGH NJW 2002, 2636 (2638); vgl. BVerfGE 88, 203 (254).

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auf Alter und Entwicklungsstand dieses Lebens“89. Will man diese verfassungsgerichtliche Konkretisierung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht missachten, kann das fortschreitende Entwicklungsalter eines postnidativen ungeborenen Lebens unmöglich als eigenständiges Abwägungskriterium in § 218a Abs. 2 StGB auftreten. Gleiches wird für Art und Grad einer pränataldiagnostisch festgestellten Auffälligkeit des Fetus gelten müssen, nachdem Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Gleichwertigkeit individuellen menschlichen Lebens nicht nur in Bezug auf sein unterschiedliches Entwicklungsalter, sondern in Bezug auf all seine unterscheidenden Merkmale garantiert: Denn „jedes menschliche Leben – auch das erst sich entwickelnde Leben – ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschied­ lichen Bewertung […] unterworfen werden“90. b) Die (einfachgesetzlich garantierte) Unerheblichkeit sonstiger Umstände Während es demnach bereits nach dem Inhalt der grundrechtlichen Garantien ausscheidet, dem Entwicklungsalter und der Konstitution des postnidativen ungeborenen Lebens die Bedeutung eines eigenständigen Abwägungskriteriums zuzuerkennen, hat der Gesetzgeber durch die enge Formulierung des § 218a Abs. 2 StGB eine weitergehende Vorsorge des Inhalts getroffen, dass die Rechtfertigung eines medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftsabbruchs auch von anderen, nicht „fetusgebundenen“ Umständen des Regel- wie Einzelfalls unberührt bleiben muss. Sofern jene nicht die (auslegungsbedürftige und -fähige) Schwere der Gesundheitsgefahr betreffen – d. h., sobald einmal eine Gefährdung der Schwangeren festgestellt worden ist, die das Leben oder eine „schwerwiegende“ Beeinträchtigung des körperlichen oder auch seelischen Gesundheitszustandes betrifft –, garantiert der Gesetzgeber die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsab89  BVerfGE 88, 203 (267). Siehe dazu eingehend oben Kap. 2, Seite  119 f. [Abschn.  1, C. III. 1.]. AA bei Wirth, Spätabtreibung, 87, die innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB nach verschiedenen fetalen Entwicklungsstadien differenzieren will. 90  BVerfGE 39, 1 (59); s. dazu eingehend oben Kap. 2, Seite  119 f. [Abschn.  1, C. III. 1.]. AA bei Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 40, die einen mit Dauer der Schwangerschaft anwachsenden Wert des werdenden Lebens berücksichtigt wissen wollen; aA auch bei Wirth, Spätabtreibung, 35–38, die innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB für eine Differenzierung nach dem Schweregrad der zu erwartenden Behinderung eintritt. Während die Diagnose leichter bis mittelschwerer Schädigungen (insoweit in Übereinstimmung mit der Rspr des BGH) nur indiziell für die Gefahrenprognose verwertet werden soll, erhebt Wirth, a. a. O., 38, die Diagnose schwerer fetaler Schädigungen zu einem eigenständigen Abwägungskriterium, ob dessen die in § 218a Abs. 2 StGB normierte Abwägung (im Interesse des Fetus!) zugunsten der Ungeborenentötung entschieden werden sollte.



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bruchs, durch den der festgestellten Gefahr Abhilfe geleistet werden soll. Im Zuge dessen erklärt er mit der Garantenstellung der Schwangeren einen Umstand des Regelfalls ebenso für unerheblich wie er einem in ihrer (Täter‑)Sphäre angesiedelten Gefahrenursprung die Eignung abspricht, seine antizipierte Entscheidung für den Einzelfall in Frage zu stellen; etwaige erhöhte Gefahrtragungspflichten91, die nach allgemeinen Grundsätzen aus einer Garantenstellung wie einem vorwerfbaren Vorverhalten des Täters erwachsen, müssten nach der Formulierung des § 218a Abs. 2 StGB ebenso unberücksichtigt bleiben wie eine (erzwungene) Beteiligung der schwangeren Täterin am (Nötigungs‑)Unrecht eines Anderen, wenn sie sich durch eine Gewaltanwendung oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem Schwangerschaftsabbruch nötigen ließe. III. Der Verzicht auf eine Angemessenheitsklausel So wenig wie § 218a Abs. 2 StGB dem Rechtsanwender damit die Möglichkeit einer umfassenden Interessenabwägung belässt, die das Verhältnis der Schwangeren zum in ihr heranwachsenden ungeborenen Leben wie auch ihre Beteiligung an der Gefahrenentstehung zu berücksichtigen wüsste, sieht das Gesetz ebenda auch eine dem § 34 S. 2 StGB entsprechende Angemessenheitsklausel vor, die als Regulativ der zugunsten der Schwangeren entschiedenen Abwägung wirken könnte. Auch wenn das Interesse des Täters das Interesse des Eingriffsadressaten überwiegt, erkennt § 34 StGB in seinem zweiten Satz  an, dass sich die nach dem Ergebnis der Interessenabwägung in § 34 S. 1 StGB zu rechtfertigende Tat aus verschiedenen Gründen als unangemessen darstellen kann: „Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden“. Ungeachtet seines überwiegenden Interesses kann es für den Täter so als zumutbar befunden werden, dass er die ihm drohende Gefahr hinnimmt92, ebenso wie es für den Eingriffsadressaten ungeachtet seines unterliegenden Interesses als unzumutbar erachtet werden kann, dass er den Eingriff in seine Interessen dulden soll; schließlich kann sich jener Eingriff auch „nach den anerkannten Wertvorstellungen der Allgemeinheit“93 oder im In91  Mit dem Begriff der Gefahrtragungspflicht referiert die Untersuchung auf die Fragestellung, ob ein Täter die in einer Konfliktlage eintretende Gefahr hinzunehmen hat; demgegenüber wird sie für eine spiegelbildliche Verpflichtung des Eingriffsadressaten den Begriff der Duldungspflicht verwenden. 92  So in den Fällen besonderer Gefahrtragungspflichten, welche die vorliegende Untersuchung allerdings bereits der Interessenabwägung zuordnet; s. bereits oben Seite  330 [I.] unter Verweis auf Wessels / Beulke, AT42, Rn. 311; ferner Fischer, StGB60, § 34 Rn. 25. 93  BT-Drs. IV / 650, 159; krit. Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 92.

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teresse des Staates oder der Allgemeinheit als unangemessen darstellen94; jedenfalls aber darf er nicht die Menschenwürde des Eingriffsadressaten tangieren, was die Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB im Anschluss an die vorangegangene Interessenabwägung klarstellend verbürgt, indem sie den Rechtsanwender dazu anhält, das eigene Abwägungsergebnis diesbezüglich kritisch zu hinterfragen95. Auf der Suche nach einem entsprechenden Regulativ der in § 218a Abs. 2 StGB normierten Gefahrenprognose und durch sie vorweggenommenen Interessenabwägung findet sich im medizinisch-sozialen Indikationentatbestand nun allenfalls eine Beschränkung der zum Abbruch alternativen Mittel auf solche, die der Schwangeren auch zumutbar sind. Während die Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB jedoch die Möglichkeit eröffnen soll, eine zugunsten des Täters entschiedene Interessenabwägung zu dessen Nachteil zu korrigieren, dient die Einschränkung in § 218a Abs. 2 StGB auf solche Abbruchsalternativen, die der Schwangeren zumutbar sind, nicht dazu, die zugunsten der Schwangeren getroffene Abwägung im Einzelfall doch noch zu deren Nachteil zu modifizieren. Im Gegenteil erleichtert ihr diese Einschränkung die Rechtfertigung dergestalt, dass die Schwangere nicht auf alle milderen und gleich wirksamen, sondern nur auf für sie zumutbare Alternativen zum Abbruch verwiesen werden kann. IV. Conclusio Während sich eine offene Interessenabwägung – wie sie in § 34 S. 1 StGB formuliert ist – vorbehält, die Entscheidung über die Rechtfertigung einer Tat in einer Gesamtschau aller Umstände des Regel- wie auch des jeweiligen konkret-individuellen Einzelfalls zu fällen, beschränkt sich die Prüfung einer medizinisch-sozialen Indikation mithin darauf, ein durch den Gesetzgeber abstrakt-generell entschiedenes Abwägungsergebnis nachzuvollziehen, das auch nicht durch eine dem § 34 S. 2 StGB entsprechende Angemessenheitsklausel in Frage gestellt werden kann. Einzig die Schwere der zu besorgenden gesundheitlichen Beeinträchtigung eröffnet dem Rechtsanwender Raum, Umständen des Einzelfalls insofern Beachtung zu schen94  Siehe dazu Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 94. Demgegenüber reduziert man die Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB auf eine bloße (wiederholende) Kontrollfunktion, wenn man alle für die Rechtfertigung relevanten Gesichtspunkte bereits abschließend in der Interessenabwägung berücksichtigt wissen will; so etwa Hirsch, in: ders., Probleme, 932 (943); Roxin, a. a. O., Rn. 92–94. 95  Siehe dazu Fischer, StGB60, § 34 Rn. 26; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 95–100; vgl. auch BT-Drs. IV / 650, 160; im Rahmen einer kontraktualistisch definierten Angemessenheitsklausel, die nach dem Zweck eines – § 34 zugrundeliegenden – Gesellschaftsvertrags bestimmt wird: Zimmermann, Rettungstötungen, 67 f. m. Fn. 168.



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ken, als sie Rückschlüsse auf das Ausmaß der die Schwangere bedrohenden Gefahr zulassen. Sofern sie aber nicht die Schwere, sondern etwa den Ursprung der Gefahr betreffen, hat der Gesetzgeber ihre Berücksichtigung durch die enge Fassung des § 218a Abs. 2 StGB von vornherein ausgeschlossen; ebenso hat er eine Garantenstellung der Schwangeren gegenüber dem Ungeborenen von vornherein als unerheblich abgetan.

B. Die sachliche Begründung: Eine vermeintlich nur antizipierte Entscheidung über Umstände des Einzel- oder auch Regelfalls Interessiert nun die sachliche Begründung derjenigen Unterschiede, die sich zwischen der Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstands und derjenigen der medizinisch-sozialen Indikation auftun, stellt sich die Frage, woher jene Unerheblichkeit der täterlichen Garantenstellung wie auch des Ursprungs schwangerschaftsbedingter Gefahren innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB herrühren soll, wenn § 34 StGB ihnen durchaus Beachtung zollt, nämlich mit seiner konkret-individuell offenen Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel Vorkehrungen getroffen hat, die die Garantenstellung wie auch den Gefahrenursprung in die Entscheidung einer Interessenkollision einzubeziehen wissen. Insofern könnte § 218a Abs. 2 StGB entweder eine Gleichgültigkeit gegenüber jenen Umständen oder aber deren vorausschauende Bewertung transportieren: Gleichgültig wäre der Gesetzgeber eingestellt, wenn er ihnen in jedem Falle seine Beachtung versagen wollte, ungeachtet dessen ob aus der biologischen Verbundenheit zwischen Schwangerer und Ungeborenem eine nach allgemeinen Grundsätzen zu beachtende Garantenstellung erwüchse und gleich wie sich ein Gefahrenursprung – womöglich auch unvorhersehbar – darstellen sollte. Für diesen Fall sollte der Rechtsgüterschutz der Schwangeren nach dem gesetzgeberischen Willen unter allen Bedingungen den Vorrang gegenüber dem Lebensschutz des Ungeborenen genießen, soweit nur ein Gefahrengrad erreicht wird, der den qualitativen Anforderungen des § 218a Abs. 2 StGB zu genügen weiß. Hingegen hätte der Gesetzgeber über die Beachtlichkeit einer möglichen Garantenstellung wie auch über die der verschiedenen Ursprünge, die eine Gefahr nehmen kann, nur vorausschauend entschieden, soweit er meinte, die von § 218a Abs. 2 StGB erfassten Sachverhalte überblicken zu können, und unter Anwendung allgemeiner Grundsätze zu dem Ergebnis gelangte, dass sich die vorausgesehenen Umstände des Einzel- wie Regelfalls stets als unerheblich darstellten. In diese Richtung deutet das Verständnis der §§ 34 und 218a StGB durch den BGH in Strafsachen, nach dessen Ansicht der rechtfertigende Notstand des § 34 StGB „ein Recht für jedermann und für unabsehbar viele und verschieden gestaltete Gefahrlagen“ ist, während

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

§ 218a StGB nur für „einen eng umgrenzten Kreis von Notlagen“ gelten und sich nur an einen eng umgrenzten Täterkreis wenden soll96. Die folgenden Ausführungen werden ihr Augenmerk nun eingangs einer möglichen Obhutsgarantenstellung zuwenden, die der biologischen Verbundenheit von Schwangerer und Ungeborenem nachfolgte; sodann werden sie sich verschiedenen möglichen Sachverhaltskonstellationen widmen, in denen man meint, den Ursprung der rechtfertigenden Lebens- oder Gesundheitsgefährdung entweder auf das Vorverhalten der schwangeren Täterin oder aber – so für Sachverhalte der „Nötigungsindikation“ – auf die Nötigung eines Dritten zurückführen zu können. Sie werden im Zuge dessen hinterfragen, ob sich die verschiedenen Gefahrenursprünge bereits nach allgemeinen Grundsätzen als unerheblich darstellen, gleichwohl sie (wenigstens prima facie) in der Sphäre des Täters angesiedelt sind. Denn nur dann beschränkte sich § 218a Abs. 2 StGB mit seinem Verzicht auf eine konkretindividuell offene Interessenabwägung wie auch auf eine Angemessenheitsklausel darauf, vorhersehbare Notlagen antizipiert, aber in Übereinstimmung mit allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden. Schlösse die Regelung der medizinisch-sozialen Indikation hingegen auch solche Umstände von der Interessenabwägung aus, die sich nach allgemeinen Grundsätzen (des § 34 StGB) als abwägungsrelevant darstellen, manifestierte sich in ihr anstelle einer sachlich begründeten Entscheidungsantizipation eine persönliche Bevorzugung des Rechtsgüterschutzes der Schwangeren. I. Zu einer erhöhten Gefahrtragungspflicht der Schwangeren im Allgemeinen Mit dem – der biologischen Verbundenheit von Schwangerer und Ungeborenem entspringenden – „persönlichen Näheverhältnis“ und einer allgemeinen Gefahrenverursachung durch die willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr wird sich die Untersuchung dabei zunächst solchen Umständen zuwenden, die jeden medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt kennzeichnen97. 96  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus BGHSt 38, 144 (158); vgl. auch Czerner, ZRP 2009, 233 (234); ferner Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 22: „Rechtfertigungsgründe […], in denen unzumutbaren Konfliktsituationen der Schwangeren auf Grund einer gesetzlichen Vorwegabwägung iSv § 34 Rechnung getragen wird“; ebenso Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 6: „eine im Verhältnis zu § 34 in jeder Hinsicht abschließende, weil eine gesetzliche Vorwegbewertung bestimmter Einzelfälle enthaltende Sonderregelung“. 97  Nicht jedoch jeden kriminologischen Schwangerschaftskonflikt, der sich gemäß § 218a Abs. 3 StGB gerade dadurch auszeichnet, dass nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 StGB be-



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1. Die Rechtsgedanken der §§ 13 und 35 Abs. 1 S. 2 StGB

Beide Regelumstände einer Schwangerschaft spiegeln sich in den zu § 13 StGB entwickelten Fallgruppen einer Garantenstellung wider, wenn ebenda aus einer „natürlichen Verbundenheit“ zwischen Eltern und Kind auf eine Obhutsgarantenstellung geschlussfolgert wird und eine gefahrtragende actio praecedens einer Überwachergarantenstellung aus Ingerenz als Anknüpfungspunkt dient98. Zutreffend aber beschränkt sich die Funktion einer solchen Garantenstellung darauf, diejenigen Täter zu benennen, die im Rahmen eines unechten Unterlassungsdeliktes zur Verantwortung gezogen werden sollen, weil sie einen rechtsgutsschädigenden Erfolg nicht verhindert haben99. Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der unechten Unterlassungsdelikte benennt sie eine besondere Beziehung des Täters zum gefährdeten Rechtsgut, die das Gesetz legitimiert, das täterliche Unterlassen gemäß § 13 StGB der aktiven Rechtsgutsverletzung eines Begehungstäters gleich zu stellen100. Jene haftungsbegründende Funktion einer Garantenstellung steht vorliegend aber nicht in Frage. Stattdessen soll ihre Abwägungsrelevanz hinterfragt werden: Fraglich ist, ob mit jener haftungsbegründenden Garantenstellung auch eine sog. erhöhte Gefahrtragungspflicht einher geht, die zumutbarkeitserweiternd wirkt, nämlich nicht nur dem Unterlassungs-, sondern auch dem Begehungstäter101 die Berufung auf eine notstandsähnliche Konfliktlage und notwendige Gefahrenabwehr erschwert. Nicht über das „Ob“ einer Unterlassungshaftung soll unter Hinzuziehung einer Garantenstellung entschieden werden, sondern unter Berücksichtigung etwaiger erhöhter Gefahrtragungspflichten die Reichweite eines Rechts zur Gefahrenabwehr definiert werden, wie es der Abwägung in einer Notstandslage bzw. in einem notstandsähnlichen Konflikt folgt. gangen worden ist und dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf dieser Tat beruht: Hier rührt die Schwangerschaft gerade nicht aus einer willentlichen Teilnahme der Schwangeren am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr her. 98  Zur heutigen Einteilung der Garantenverhältnisse nach materiellen Kriterien s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 716; krit. Albrecht, Garantenstellungen, 35–37. Im Einzelnen s. zur Obhutsgarantenstellung Wessels / Beulke, a. a. O., Rn. 718; zur Überwachergarantenstellung aus Ingerenz ebda., Rn. 725–727a. 99  So Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 109 u. 112 f.; anders für eine auch „zumutbarkeitsverstärkende Funktion der Garantenpflicht“ (dies ohne einen über § 13 StGB hinausreichenden Rechtsgrund zu bemühen): Eser / Burkhardt, Strafrecht II3, 58, u. Stree / Bosch, in: Sch / Sch, StGB28, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 156. 100  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 715. 101  Dazu, dass der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB als Begehungsdelikt formuliert ist, vgl. auch bereits oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Ein über § 13 StGB hinausreichender Rechtsgrund für die Annahme einer solchen erhöhten Gefahrtragungspflicht ist nach zutreffender Ansicht schnell gefunden, soweit § 35 Abs. 1 S. 2 Hs.  1 StGB innerhalb des entschuldigenden Notstands ausdrücklich eine zumutbarkeitserweiternde Wirkung anordnet102: Demnach entfällt der Schuldvorwurf nämlich dann nicht, wenn dem Notstandstäter „nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen“103. Zwar fasst das Strafgesetz diese zumutbarkeitserweiternde Wirkung nur für Sachverhalte des entschuldigenden Notstandes ausdrücklich in Worte. Dass die in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB exemplarisch angeführten erhöhten Gefahrtragungspflichten aber auf einen allgemeinen Rechtsgedanken zurückgeführt werden können und ihre Anwendung in der Folge nicht auf den entschuldigenden Notstand beschränkt ist, hat allgemeine Anerkennung gefunden104. So kommen sie dann auch innerhalb des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes zum Tragen, wenn „spezielle Schutzpflichten (wie etwa auf Grund einer Garantenstellung)“ im Allgemeinen und der Ursprung der Gefahr wie auch „besondere Gefahrtragungspflichten (zB bei Polizeibeamten, Soldaten und Feuerwehrleuten)“ im Besonderen in die Abwägung des § 34 S. 1 StGB einfließen105. Zugleich wird die zumutbarkeitserweiternde Wirkung einer Garantenstellung so nur dann bejaht, wenn sie zu den Referenzfällen des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB für gleichartig befunden werden kann, d. h. entweder auf eine Art des besonderen Rechtsverhältnisses oder auf einen Gefahrverursachungsbeitrag des Garanten reagiert. Und so muss ihre Abwägungsrelevanz in eben jenem Umfang auch für einen besonderen notstandsähnlichen Konflikt in Erwägung gezogen werden, wie er in § 218a Abs. 2 StGB normiert ist. 2. Die erhöhte Gefahrtragungspflicht in einem „persönlichen Näheverhältnis“

Mit dem „besonderen Rechtsverhältnis“ knüpft § 35 Abs. 1 S. 2 StGB zunächst an eine besondere Gefahrtragungspflicht an, die sich nach herrschender Meinung aus einer beruflichen oder gesellschaftlichen AufgabenBarthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 113. Abs. 1 S. 2 Hs.  2: „jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte“. 104  Siehe etwa die Bezeichnung der Referenzfälle des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB als „allgemeingültige Verhaltenspflichten“ bei Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 108. 105  Zur Interessenabwägung i. S. d. § 34 S. 1 StGB siehe u. vorstehende Zitate aus Wessels / Beulke, AT42, Rn. 311; vgl. auch Hirsch, in: ders., Probleme, 932 (949). 102  Vgl.

103  § 35



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erfüllung des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit ergibt. In solchen Gefahrensituationen, die „der jeweilige Tätigkeitsbereich notwendig und typischerweise mit sich bringt“106, wird der Täter vom Privileg des entschuldigenden Notstands ausgenommen, damit die besonderen Schutzpflichten gegenüber der Allgemeinheit überhaupt gewährleistet werden können107; entsprechend will die herrschende Meinung die berufliche Stellung des Notstandstäters auch in der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB berücksichtigt wissen108. Aber nicht nur Polizeibeamte, Soldaten, Feuerwehrleute, Schiffskapitäne109 und dergleichen mehr sollen in diesem Sinne besonders in die Pflicht genommen werden – weil die Referenzfälle des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB von nur exemplarischem Charakter sind, soll eine erhöhte Gefahrtragungspflicht außerdem auch in ähnlich gestalteten Fallkonstellationen bejaht werden, sofern nur der Ausnahmecharakter des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB gewahrt bleibt. Dies führt u. a. dazu, dass man über den Wortlaut des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB hinaus auch für diejenigen Fälle eine erhöhte Gefahrtragungspflicht diskutiert, die nicht durch eine besondere Beziehung des Täters zur Allgemeinheit, aber durch eine besondere Beziehung zwischen Täter und Tatopfer gekennzeichnet sind, die mithin zwar kein „besonderes Rechtsverhältnis“, dafür aber ein „persönliches Näheverhältnis“ beinhalten110. In jenem – in Anlehnung an § 35 Abs. 1 S. 2 StGB entwickelten und weitgehend parallel zur Obhutsgarantenstellung i. S. d. § 13 StGB konkretisierten111  – „persönlichen Näheverhältnis“ könnte also eine nicht nur haftungsbegründende, sondern auch zumutbarkeitserweiternde Wirkung der Obhutsgarantenstellung ihren Rechtsgrund finden: Eine persönliche enge Verbundenheit verpflichtete dazu, einander unter Aufbringung von wesentlich mehr Opfern vor Rechtsgutsverletzungen zu bewahren als dies im Verhältnis 106  Sog. Zumutbarkeitszusammenhang; s. dazu BGH NJW 1964, 730 (731); Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 73; Roxin, JA 1990, 137 (138); Zieschang, in: Laufhütte et al., LK-StGB / 212, § 35 Rn. 55. 107  BT-Drs. V / 4095, 16; Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 70 f.; Jescheck / Weigend, AT5, 486 f.; Rogall, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 35 Rn. 28; Roxin, JA 1990, 137 (137); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 440; Zimmermann, Rettungstötungen, 246. 108  So etwa Pawlik, Notstand, 215–217; Lenckner / Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 34; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 311; Zimmermann, Rettungstötungen, 249; abl. hingegen Renzikowski, Notstand, 54 u. 70 f. 109  Für eine Aufzählung besonderer Rechtsverhältnisse i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 2 StGB s. BT-Drs. V / 4095, 16; IV / 650, 161; Roxin, JA 1990, 137 (138); zur besonderen Verpflichtung eines Schiffskapitäns (in Anknüpfung an die Causa „Costa Concordia“ v. 13. / 14.01.2012): Esser / Bettendorf, NStZ 2012, 233 (237). 110  Siehe dazu Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 74; anders Bernsmann, 117 f. u. 135 f., der das „persönliche Näheverhältnis“ unter das „besondere Rechtsverhältnis“ und mithin unter den Wortlaut des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB subsumiert. 111  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 74 f.; vgl. Kühl, AT7, § 12, Rn. 82.

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Außenstehender der Fall ist. Vor allem Personen innerhalb familiärer Bindungen sowie freiwillig eingegangener Gefahrengemeinschaften wären demnach nicht nur angehalten, wechselseitig für ihr Wohl zu sorgen, indem sie rechtsgutsschädigende Erfolge verhinderten. In Notstandssituationen oder notstandsähnlichen Konflikten, in denen Rechtsgüter des Täters mit solchen einer ihm nahe stehenden Person kollidierten, hätte der Täter bereits wegen des „persönlichen Näheverhältnisses“, in das er und sein Gegenüber eingebettet sind, bestimmte Einbußen hinzunehmen, bevor er eine Gefahrenabwehr – gerechtfertigt oder entschuldigt – auf Kosten der ihm nahe stehenden Person betreiben dürfte112. Dass die Schwangere gegenüber dem in ihr heranwachsenden Ungeborenen eine solche Obhutsgarantenstellung innehat, wird nun gemeinhin bejaht. Dabei wird zwar allein die biologische („natürliche“) Verbundenheit mit dem Ungeborenen noch keine Schutzpflicht für dessen Leben begründen können113, wohl aber vermag dies ein „rechtlich fundiertes Verhältnis enger natürlicher Verbundenheit“114, wie es für das Verhältnis zwischen den Eltern und ihrem geborenen Kind etwa in den Vorschriften über die elterliche Sorge, §§ 1626 ff. BGB, niedergeschrieben ist115. Gleichwohl der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, eine entsprechende Norm für das Verhältnis der Eltern zu ihrem ungeborenen Kind zu verfassen, mangelt es zumindest einer Obhutsgarantenstellung der Schwangeren nicht am notwendigen „recht­lichen Fundament“ – dies jedenfalls dann nicht, wenn man dem verfassungsgerichtlichen Verständnis des § 218 Abs. 1 StGB durch das BVerfG folgt. Diesbezüglich nämlich hat das BVerfG ausgeführt, dass der Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB der Frau nicht die bloße Pflicht eines „neminem laedere“ auferlege, sondern durch sein Verbot des Schwan112  Siehe dazu Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 74 f.; Hirsch, in: ders., Probleme, 932 (950); Hruschka, JuS 1979, 385 (392); Jescheck / Weigend, AT5, 487. I. Erg. entsprechend bejaht die h. M. auch Restriktionen des Notwehrrechts bei enger persönlicher Beziehung zum Angreifer; s. dazu BGH NJW 1969, 802 (802); NJW 1975, 62 (62 f.); Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 32 Rn. 219–221; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 53; Rönnau / Hohn, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 32 Rn. 238–241; unentschlossen hingegen BGH JZ 2003, 50 (51). 113  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (325 m. Fn. 67 u. 376 m. Fn. 186); krit. auch Bernsmann, JuS 1994, 9 (12). Vgl. aber auch BVerfGE 39, 1 (43): „wenn nach der Natur der Sache eine besondere Verantwortung gerade für dieses Leben besteht“; Hervorhebungen nicht im Original. 114  In Anlehnung an Wessels / Beulke, AT42, Rn. 718; Hervorhebungen nicht im Original. 115  Für Obhutspflichten in beide Richtungen s. etwa BGHSt 19, 167 (167 f.); Bockelmann / Volk, Strafrecht AT4, 138; demgegenüber will Albrecht, Garantenstellungen, 120 f. u. 219, die Kinder gegenüber ihren Eltern nur unter Einschränkungen verpflichtet wissen.



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gerschaftsabbruchs auch diverse positive Handlungsgebote formuliere, die das Gericht von den unmittelbaren Schwangerschaftspflichten des Austragens und Gebärens gar über die Geburt hinweg auf das postnatale Sorgen und Einstehenmüssen erstreckt: „weil sich das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs angesichts der einzigartigen Verbindung von Mutter und Kind nicht in einer Pflicht der Frau erschöpft, den Rechtskreis eines anderen nicht zu verletzen, sondern zugleich eine intensive, die Frau existen­ tiell betreffende Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes enthält und eine darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Einstandspflicht nach der Geburt über viele Jahre nach sich zieht“116. Entnähme man § 218 Abs. 1 StGB in Übereinstimmung mit dem BVerfG damit eine positive „Sorgepflicht“, deren Beachtung es gar unter Strafandrohung einfordert117, fände die fragliche Obhutsgarantenstellung der Schwangeren hierin unweigerlich ihr rechtliches Fundament118. Ihr nachfolgen könnte das fragliche „persönliche Näheverhältnis“ der Schwangeren zum Ungeborenen, das nach dem Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB auch ihre Gefahrtragungspflicht im Schwangerschaftskonflikt des § 218a Abs. 2 StGB – einem Spezialfall des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes – erhöhen könnte. Damit wäre die Erwartung formuliert, dass der Schwangeren eine „natürliche“ (ihrer biologischen Verbundenheit mit dem Ungeborenen entspringende) Verpflichtung zukäme, in erhöhtem Maße Gefahren für ihre eigenen Rechtsgüter hinzunehmen, sofern hierdurch nur das mit den eigenen Interessen kollidierende ungeborene Leben unangetastet bliebe. § 218a Abs. 2 StGB muss diese Erwartung jedoch enttäuschen, wenn er das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem ungeborenen Leben und den Rechtsgütern der Schwangeren nicht nur abstrakt-generell vorwegnimmt, sondern es überdies in dem Sinne definiert, dass das Leben und die Gesundheit der Frau überwiegen, wenn ihnen nur eine schwerwiegende Beeinträchtigung droht. Raum, um ein „persönliches Näheverhältnis“ zum Ungeborenen zu berücksichtigen, das die Gefahrtragungspflicht der Schwangeren erhöhte, ließe § 218a Abs. 2 StGB nicht. 116  BVerfGE

88, 203 (256). einer „Rechtspflicht […], das Kind auszutragen“, s. auch BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 3). Siehe aber an späterer Stelle die diesbzgl. Kritik anlässlich einer Erörterung der „Unterlassungsnähe“ des § 218 Abs. 1 StGB; s. unten Seite  524–528 [Abschn.  3, B. II. 3. b)]. 118  Zur alternativen Begründung einer Obhutsgarantenstellung der Schwangeren kraft bewusster Übernahmeentscheidung s. Bernsmann, JuS 1994, 9 (13); wer das Näheverhältnis zum Ungeborenen jedoch in diesem Sinne von einer Entscheidung der betroffenen Frau abhängig machte, stellte das ungeborene Leben für den bis zur Entscheidung verstreichenden Zeitraum zur Disposition der Schwangeren – ein Ansatz, den das BVerfG wenigstens verbal ausdrücklich verworfen hat; vgl. etwa BVerfGE 88, 203 (256). 117  Zu

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Die sachliche Begründung des in § 218a Abs. 2 StGB abstrakt-generell vorweggenommenen Abwägungsergebnisses sieht sich hierdurch jedoch noch nicht zwingend in Frage gestellt. Denn insofern sind Zweifel angebracht, ob ein „persönliches Näheverhältnis“ dem in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB ausdrücklich normierten Referenzfall des „besonderen Rechtsverhältnisses“ überhaupt gleichgestellt werden sollte: Während ein Täter, der in einem „besonderen Rechtsverhältnis“ steht, nämlich besondere Schutzpflichten gegenüber der Allgemeinheit zu erfüllen hat, verpflichtet ein „persönliches Näheverhältnis“ den Täter nur im Verhältnis zu der ihm jeweils nahe stehenden Person. Wenn das Strafgesetzbuch der Schwangeren in § 218 Abs. 1 so auch mehr als das bloße „neminem laedere“ auferlegen mag, sollen die vom Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs inkludierten positiven Handlungs-, Sorge- und Einstandspflichten doch nur dem jeweiligen, in ihr heranwachsenden ungeborenen Leben zugute kommen, ohne dass man hierdurch Belange der Allgemeinheit gewahrt sehen muss. Man kann mithin nachvollziehbar einer solchen Auslegung des Gesetzes folgen, nach deren Dafürhalten sich ein „persönliches Näheverhältnis“ und ein „besonderes Rechtsverhältnis“ in ihrem Wesensgehalt unterscheiden, sodass eine Anwendung des in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB nur für das „besondere Rechtsverhältnis“ formulierten allgemeinen Rechtsgedankens auf das „persönliche Näheverhältnis“ bereits nach allgemeinen Grundsätzen – mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte – ausscheiden muss119. Wenn das abstrakt-generell vorweggenommene Abwägungsergebnis des § 218a Abs. 2 StGB mithin keinen Raum lässt, eine gesteigerte „natürliche“ Verantwortlichkeit der Schwangeren für das Ungeborene zu berücksichtigen, muss dies nicht unbedingt einer Geringschätzung des postnidativen ungeborenen Lebens entspringen. 3. Die erhöhte Gefahrtragungspflicht eines Gefahrenverursachers

Aber nicht nur ihre biologische Verbundenheit mit dem Ungeborenen könnte angeführt werden, um eine gesteigerte Verantwortlichkeit der Schwangeren gegenüber dem Ungeborenen zu begründen, von der gemäß § 218 Abs. 1 StGB grundsätzlich erwartet wird, dass sie die Schwangerschaft austrägt und damit wenigstens eine „körperliche Sorge“ für das Ungeborene übernimmt. Vielmehr könnte eine gesteigerte Verantwortlichkeit in Orientierung an dem ersten Referenzfall des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB bereits noch früher ihren Anfang genommen und ihren Grund gefunden haben: nämlich dann, als die Frau willentlich an dem zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr teilgenommen und so die Kausalkette eines gefahrbrinBarthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 113; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 35 Rn. 22; Roxin, JA 1990, 137 (138). 119  So



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genden und letztlich eine medizinisch-soziale Indikationenlage herbeiführenden Schwangerschaftsverlaufs in Gang gesetzt hat. a) Die actio praecedens: Willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr Mit dem Referenzfall der „Gefahrenverursachung“ manifestiert sich in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB der allgemeine strafrechtliche Grundsatz der actio bzw. culpa praecedens, der wiederum über den Anwendungsbereich des entschuldigenden Notstandes hinausreicht und in weiteren gesetzlichen Regelungen oder Rechtsfiguren wiederkehrt: Man denke nur an die sog. „Notwehrprovokation“ sowie an ihr Minus einer sonst vorwerfbar herbeigeführten Notwehrlage, ebenso an die Berücksichtigung einer verschuldeten Notstandslage in der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB und an die (wenngleich von der herrschenden Meinung abgelehnte) actio illicita in causa (a. i. i. c.), schließlich an die Rechtsfigur der actio libera in causa (a. l. i. c.)120. Ebenso tritt er im bürgerlichen Notstandsrecht für den Anwendungsbereich der Sachwehr hervor, wenn § 228 S. 1 BGB aus der Gefahrenverantwortlichkeit des Sachinhabers auf dessen erhöhte Duldungspflicht schlussfolgert. Nicht zuletzt hat die Rechtsprechung aus dem allgemeinen Grundsatz der actio praecedens auch eine Garantenstellung aus Ingerenz entwickelt: So wie § 35 Abs. 1 S. 2 StGB den Notstandstäter in erhöhtem Umfang anhält, Gefahren duldend hinzunehmen, die er selbst herbeigeführt hat, kann der Unterlassenstäter verpflichtet werden, aktiv Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen, sofern er durch ein (str.: pflichtwidriges) Vorverhalten die nahe Gefahr eines Schadenseintritts an Rechtsgütern Dritter geschaffen hat121. Für jeden medizinisch-sozialen122 Schwangerschaftskonflikt muss nun unweigerlich ein Beitrag der Schwangeren zur Gefahrenentstehung festge120  So auch Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 58 f. u. 113; Jerouschek, JuS 1997, 385 (389). Zur Notwehrprovokation und sonst vorwerfbaren Herbeiführung einer Notwehrlage s. Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 2.  Pr., 15 m. w. N.; Schünemann, JuS 1979, 275 (278–280); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 346–348; zur Berücksichtigung der verschuldeten Notstandslage in der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB oder alternativ durch eine a. i. i. c. siehe dies., a. a. O., Rn. 312 m. w. N.; zur a. l. i. c. Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 13.  Pr., 93; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 415; jeweils m. w. N. 121  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 110 u. 113. Allgemeine Ausführungen zur Garantenstellung aus Ingerenz s. etwa bei Forster, Zumutbarkeit, 127–129; Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 29.  Pr., 219; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 725. 122  Nicht aber für den kriminologischen Konflikt (§ 218a Abs. 3 StGB); s. bereits oben Seite  342 [vor 1.] m. Fn. 97.

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stellt werden, der sich dergestalt darstellt, dass die Schwangere willentlich und unter Verhütungsverzicht oder im Ergebnis wenigstens nicht hinreichender Anwendung von Verhütungsmitteln an demjenigen Geschlechtsverkehr teilgenommen hat, aus dem die das Leben oder die Gesundheit der Frau gefährdende Schwangerschaft erwachsen ist. Ihr Verhalten hat der Entstehung einer Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB mithin erst den Weg geebnet. Sofern § 218a Abs. 2 StGB als spezialgesetzliche Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes bezeichnet wird123, könnte durch diesen Beitrag zur Gefahrenverursachung auch die Gefahrtragungspflicht der Frau im Schwangerschaftskonflikt erhöht sein und wäre eine Erwartungshaltung des Inhalts begründet, dass § 218a Abs. 2 StGB Vorkehrungen träfe, um eine solche erhöhte Verpflichtung in seiner Abwägung berücksichtigen zu können124. b) Die Verletzung einer Obliegenheit durch den Geschlechtsverkehr Dass die willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr nach den allgemeinen Kausalitätsgesetzen ursächlich für einen späteren Gefahreneintritt in einem medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt wird, vermag eine erhöhte Gefahrtragungspflicht dabei jedoch noch nicht zu begründen. Zwar scheint eine grammatikalische Auslegung des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB zunächst noch dafür zu streiten, dass bereits ein solcher Verursachungsbeitrag zumutbarkeitserweiternd wirken soll125. In der Rechtslehre hat sich unter Abstellung auf den Ausnahmecharakter des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB ebenso wie unter Hinweis auf das frühere Notstandsrecht und die früheren Entwürfe verschiedener Notstandsregelungen aber die gegenteilige Ansicht durchgesetzt: So erkannte § 54 StGB a. F.126, wie auch die Entwürfe der Weimarer Zeit und der Nachkriegszeit, einen Gefahrverursachungsbeitrag des Täters nur dann als zumutbarkeitserweiternd an, wenn er von dessen Verschulden begleitet war. Spätere Entwürfe und Regelungen erwähnten ein solches Verschuldenserfordernis zwar nicht mehr, forderten nunmehr aber – ihrerseits einschränkend – eine Auslegung des 123  Siehe

oben Seite  317 [Abschn.  1, B. vor I.] m. Nw. in Fn. 24. eine mögliche Abwägungsrelevanz der willentlichen Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr weisen ebenfalls hin: Hoerster, Abtreibung2, 38; Seelmann, in: Kettner, Biomedizin, 63 (79). 125  Zu diesem Wortlautargument s. auch Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 56; Bernsmann, Entschuldigung, 112; Hirsch, in: ders., Probleme, 932 (949). 126  In der seit 1871 bis zum Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts v. 04.07.1969 (BGBl. I, Nr. 56 v. 10.07.1969, 717) geltenden Fassung; s. dazu Zieschang, JA 2007, 679 (679). 124  Auf



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Gefahrverursachungsbeitrages „im Licht der […] Zumutbarkeit“127. Wenn sich damit auch diejenige Ansicht durchgesetzt hat, die für einen Ausschluss der Zumutbarkeit qualitativ mehr als die bloße Verursachung der Notstandssituation verlangt128, wird um den Inhalt dieser qualitativen Anforderungen immer noch gestritten129: Teils wird eine objektiv pflichtwidrige Herbeiführung der Notstandslage für hinreichend befunden130, teils die Notwendigkeit einer verschuldeten, d. h. auch subjektiv pflichtwidrigen Verursachung verlautbart131, schließlich auch nur eine Obliegenheitsverletzung als eine Art Verantwortlichkeit des Täters gegen sich selbst vorausgesetzt132. Entsprechend soll auch nur eine „sozialethisch missbilligenswerte“ Herbeiführung der Notwehrlage das Notwehrrecht des § 32 StGB einschränken können133. Nach zutreffender Ansicht wird das einschränkende Merkmal der „sozial­ ethischen Missbilligung“ dabei in Anlehnung an die Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB ausgelegt werden müssen, die mit ihm durch den gemeinsamen allgemeinen Rechtsgedanken verbunden ist, dass derjenige Täter die Gefahr hinnehmen muss, der sie selbst verursacht hat134. Ordnet man die actio praecedens der Schwangeren – ihre willentliche Teilnahme am Geschlechtsverkehr unter augenscheinlich nicht hinreichender Anwendung von Verhütungsmitteln – nun in diesen Meinungsstreit ein, muss zunächst eine Pflichtwidrigkeit des Schwangerenvorverhaltens von vornherein verneint werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man die fragliche Pflichtwidrigkeit eng definiert, nämlich – im Gleichklang mit der herrschenden Bestimmung einer haftungsbegründenden Garantenstellung aus Ingerenz – voraussetzt, dass die Schwangere durch ihre Teilnahme am 127  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 57, mit ausführl. Besprechung der verschiedenen Notstandsentwürfe seit der Weimarer Reformphase a. a. O., 18 ff.; s. dazu auch BT-Drs. V / 4095, 16; Roxin, JA 1990, 137 (139). 128  Kühl, AT7, § 12, Rn. 62; Rogall, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 35 Rn. 29 u. 32; Roxin, JA 1990, 137 (139); Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 35 Rn. 20; Stratenwerth / Kuhlen, AT6, § 10, Rn. 112; Zimmermann, Rettungstötungen, 243. 129  Zsfd. zum Folgenden: Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 57 f. 130  Hirsch, in: ders., Probleme, 932 (949 f.); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 441; Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 35 Rn. 49. H. M. auch für die Garantenstellung aus Ingerenz; s. dazu Hirsch, a. a. O., 932 (949); Hillenkamp, 32 ATProbleme14, 29.  Pr., 219 (221); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 725. 131  Jescheck / Weigend, AT5, 485. 132  Baumann / Weber / Mitsch, AT11, § 23, Rn. 27; Ebert, AT3, 108; Hefermehl, Notstand, 104–106; Kühl, AT7, § 12, Rn. 63; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 35 Rn. 20; Roxin, JA 1990, 137 (139); Stratenwerth / Kuhlen, AT6, § 10, Rn. 112; Zimmermann, Rettungstötungen, 243. 133  Vgl. BGHSt 42, 97 (101); BGH StV 2006, 234 m. Anm. Bosch, JA 2006, 490 (490 m. LS 2 u. 491); Kühl, AT7, § 7, Rn. 223a; Schünemann, JuS 1979, 275 (279). 134  Vgl. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 58 f.; Jerouschek, JuS 1997, 385 (389).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Geschlechtsverkehr gegen eine Norm verstieße, die sie vor den Gefahren eines lebens- oder gesundheitsgefährdenden Verlaufs von Schwangerschaften schützen soll und sie zu diesem Zweck in bestimmten Fallkonstellationen zur Enthaltsamkeit oder Anwendung bestimmter Arten der Verhütung verpflichtete135. Eine solche (grundrechtswidrige) Verpflichtung hat keinen Eingang in das Gesetz gefunden: Das Gesetz verpflichtet auch dann nicht zur Verhinderung von Schwangerschaften, wenn solche (vorhersehbar) das Leben oder die Gesundheit der Frau gefährden würden. Anders könnte das Urteil über die sexuelle Aktivität einer Frau nur dann ausfallen, wenn man zwar den Begriff der Pflichtwidrigkeit gebrauchte, jenen aber nicht mit dem Verstoß gegen eine gesetzliche Schutzvorschrift identifizierte: In diesem Sinne meinen manche Autoren ein „pflichtwidriges“ und ob dessen zumutbarkeitserweiterndes Vorverhalten auch dann bejahen zu können, wenn der Täter einer voraussehbaren Gefahrentstehung durch sein Verhalten grundlos Vorschub leistet, ohne dass sein gefahrträchtiges Vorverhalten Eingang in eine gesetzliche Schutznorm gefunden haben muss136. Dies soll nach einschlägigen Beispielsfällen unter anderem auf denjenigen zutreffen, der sich ohne hinreichend warme Kleidung auf eine Hochgebirgstour oder ohne Rettungsweste auf eine riskante Segelpartie begeben hat: Seine im Angesicht der anstehenden Unternehmung mangelnde Gefahrenvorsorge soll Grund zur Annahme einer erhöhten Gefahrtragungspflicht sein, ob derer die Wegnahme der lebensnotwendigen Schutzbekleidung zu Lasten eines Anderen vom Schuldvorwurf des Gesetzes erfasst bliebe137. In Anwendung auf die vorliegend besprochene willentliche Teilnahme am Geschlechtsverkehr könnte so auch die sexuelle Aktivität einer Frau, die sich ohne oder unter nur unzureichender Anwendung von Verhütungsmitteln vollzieht, nachvollziehbar für pflichtwidrig in diesem weiteren Sinne bewertet werden, dies freilich nur insofern, als Anhaltspunkte im Einzelfall – wie eine ärztliche Diagnose oder eine Anamnese der familiären Krankheitsgeschichte – für den Eintritt einer Schwangerschaft die Entstehung einer medizinisch-sozialen Indikationenlage besorgen ließen („Wissen um eine schwangerschaftsfeindliche Konstitution“)138. Die Beförderung des insoweit erkennbaren 135  Zur Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens als Voraussetzung einer haftungsbegründenden Garantenstellung aus Ingerenz s. etwa BGHSt 37, 106 (115); 54, 44 (47); BGH NStZ 2008, 276 (277); zsfd. Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 29. Pr., 219 (221); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 725. 136  So augenscheinlich Jescheck / Weigend, AT5, 485. 137  Zu diesen Beispielsfällen: Jescheck / Weigend, AT5, 485 (Hochgebirgstour); Kühl, AT7, § 12, Rn. 63; Roxin, AT / I4, § 22, Rn. 48; ders., JA 1990, 137 (139 f.); Zimmermann, Rettungstötungen, 241 (Segelpartie). 138  Auf jenes „Wissen um eine schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ wird in den nachfolgenden Zurechnungserwägungen auf Seite  362–367 [c) bb)] noch zurückzukommen sein. Zum insoweit mangelnden objektiven Zurechnungszusammen-



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Gefahrenpotenzials könnte zum Anlass genommen werden, um der Frau in Anlehnung an den ersten Referenzfall des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB – und vorbehaltlich noch ausstehender Zurechnungserwägungen139 – das Indika­ tionenprivileg des § 218a Abs. 2 StGB zu versagen. Was soweit noch unter dem Begriff der Pflichtwidrigkeit im weiteren Sinne vorgestellt worden ist, führen andere Autoren nun unter dem Begriff einer – gleichermaßen zumutbarkeitserweiternd wirkenden – Obliegenheitsverletzung. Die Bezeichnung als Obliegenheitsverletzung verdient deshalb den Vorzug, weil das Vorverhalten des Notstandstäters – ob es nun die Unternehmung einer Segelpartie ohne eigene Rettungsweste oder ein Geschlechtsverkehr ohne im Ergebnis hinreichende Anwendung von Verhütungsmitteln ist – zunächst weder Fremdinteressen verletzt noch solche ­Eigeninteressen tangiert, die der Gesetzgeber durch ihre Normierung zum allgemeinen Interesse erhoben hat140. Entsprechend wird im Zivilrecht ein solches Gebot als Obliegenheit bezeichnet, „dessen Befolgung nicht erzwungen werden kann, sondern im eigenen Interesse des dadurch Belasteten liegt, weil ihm sonst Rechtsnachteile […] drohen“141. Unter Anleihe bei dieser Begrifflichkeit soll ein zumutbarkeitserweiternder Verursachungsbeitrag i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 2 StGB nun bereits dann vorliegen, wenn „der Täter ohne zureichenden Grund eine voraussehbar zu einer Notstandslage führende Gefahr eingegangen ist“142. Dabei kennzeichnet das unbegründete Eingehen einer voraussehbaren Notstandslage das Vorverhalten zunächst als ein solches, das die Rechtsordnung dem Einzelnen zwar nicht untersagt, das aber dessen eigenen Interessen zuwiderläuft. Interessenwidrig soll es im Weiteren nicht nur deshalb sein, weil das Erleiden einer Gefahr von tatsächlichem Nachteil ist; auch ein rechtlicher Nachteil soll sich an ihn anschließen, wenn dem Täter in der Konfrontation mit der heraufbeschworenen Gefahrenlage der entschuldigende Eingriff in Rechtsgüter Dritter entgegen hang zwischen dem Vorverhalten einer „unwissenden“ Frau und dem Eintritt einer Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB s. Seite  360 f. [c) aa)]. 139  Zu jenen Erwägungen zählen eine etwaige rechtliche Irrelevanz des Gefahreneintritts ob erlaubten Risikos (dazu sogleich im Anschluss auf Seite  366 f. [c) bb) (2)]) sowie eine etwaige Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch ein in dubio allgemeines Lebensrisiko (dazu Seite  363–366 [c) bb) (1)]). 140  Vgl. Rogall, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 35 Rn. 30. Dies gilt im vorliegend bemühten Beispielsfall der Segelpartie freilich nur insoweit, als Vorschriften für den Bootsverkehr keine an den einzelnen Mitreisenden gerichtete Pflicht formulieren, eine Rettungsweste mit sich zu führen; eine nur an den Bootsführer gerichtete Pflicht, für eine ausreichende Anzahl an Rettungswesten Sorge zu tragen, machte das Verhalten des einzelnen Mitreisenden hingegen noch nicht pflichtwidrig. 141  Musielak, GK-BGB12, Rn. 515. 142  Zitat aus Rogall, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 35 Rn. 30; so auch Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 35 Rn. 20; Roxin, JA 1990, 137 (139).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

der Regel des § 35 Abs. 1 S. 1 StGB versagt wird143 bzw. wenn dessen Gefahrverursachungsbeitrag (nach dem Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB) innerhalb einer rechtfertigenden Interessenabwägung zu seinen Lasten Anwendung findet. Jedoch darf auch eine solche Auslegung des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB den Ausnahmecharakter nicht außer acht lassen, der die zumutbarkeitserweiternde Wirkung eines Gefahrverursachungsbeitrags nach der verlautbarten Ratio des Gesetzes kennzeichnen soll: Denn „nur ausnahmsweise“ soll ob eines Vorverhaltens das Notstandsprivileg aberkannt werden können144. Die Vorwerfbarkeit des Vorverhaltens muss demnach so weit reichen, dass sie die grundsätzlich gebotene Rücksichtnahme auf eine das täterliche Verhaltens­ unrecht mindernde Gefahrenabwehr aufzuwiegen weiß145. Dem sucht die dargelegte Auslegung dadurch Rechnung zu tragen, dass nach ihrem Dafürhalten gerade eine durch das Vorverhalten drohende Kollisionslage für den Täter voraussehbar gewesen sein muss, d. h., er muss nicht nur mit der Entstehung einer Gefahr für die eigenen Rechtsgüter, sondern auch für die dritter Personen gerechnet haben können146. So mag man über den, der seine Rettungsweste des Morgens nachlässig liegen lässt, bevor er sich auf eine Segelpartie begibt, zunächst noch nur den Kopf schütteln, bringt er sich selbst doch in eine vermeidbare Gefahr. Stellt man überdies in Rechnung (d. h. ist es voraussehbar), dass er sich in einer aktualisierten Gefahrenlage ob seines Vergessens nur noch unter Beeinträchtigung der Rechte Dritter würde zu retten wissen, mag sich das Kopfschütteln in einen Vorwurf verwandeln: Denn wer die Bedingung für eine potenzielle Geschehensentwicklung setzt, innerhalb derer ihn voraussehbar nur noch der Eingriff in Rechtsgüter Dritter vor eigenem Schaden wird bewahren können, der verstößt zwar nicht – im engeren Sinne pflichtwidrig – unmittelbar gegen eine Roxin, JA 1990, 137 (139). dazu u. vorstehendes Zitat aus BT-Drs. V / 4095, 16; s. außerdem Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 35 Rn. 48 (zur Widerlegbarkeit der in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB ausdrücklich benannten zumutbarkeitserweiternden Umstände); zsfd. Rogall, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 35 Rn. 27. 145  Kühl, AT7, § 12, Rn. 64; Rogall, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 35 Rn. 26; krit. aber Roxin, JA 1990, 137 (138), der für die Aufrechterhaltung des Schuldvorwurfs bei Selbstverursachung stattdessen „generalpräventive Rücksichten“ verantwortlich zeichnet. 146  Zu dieser einschränkenden Auslegung des zumutbarkeitserweiternden Gefahrverursachungsbeitrags i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 2 StGB: Rogall, in: Wolter, SKStGB / I137, § 35 Rn. 30; Roxin, JA 1990, 137 (139). Hingegen kann diese Auslegung nicht überzeugend auf eine angebliche Anleihe beim Rechtsgedanken der a. l. i. c. zurückgeführt werden: so zutreffend Rogall, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 35 Rn. 26; Roxin, JA 1990, 137 (137); anders aber Ebert, AT3, 108; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 35 Rn. 20. 143  Vgl.

144  Vgl.



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drittschützende (Sorgfalts‑)Norm, aber dem fällt neben seiner Eigengefährdung doch immerhin mittelbar die vorwerfbar beförderte Entstehung eines abstrakten Gefährdungspotenzials für andere zur Last147. Insoweit begegnen sich die Kriterien einer Pflichtwidrigkeit im engeren Sinne und Obliegenheitsverletzung, wenn sie gleichermaßen voraussetzen, dass ein Vorverhalten nur dann eine zumutbarkeitserweiternde – die täterlichen Rechte in der Notstandssituation tiefgreifend beschneidende – Wirkung entfalten darf, wenn der Täter dazu angehalten war, dessen Auswirkungen nicht nur auf seine eigene Person, sondern auch auf die Dritter zu überdenken: Ein ausdrücklich normierter Pflichtentatbestand oder auch nur die Aussicht auf eine drohende Kollisionslage muss Anlass geboten haben, sich die abstrakte Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens zu vergegenwärtigen und sein Handeln daran sorgfaltsgemäß auszurichten. Denn Menschen vergessen – zudem in froher Erwartung des Reiseantritts – nun schon einmal eine Rettungsweste, ebenso wie ihnen – in gemeinhin nicht weniger froher Erwartung eines Geschlechtsverkehrs – auch einmal ein Anwendungsfehler in der Verhütung unterläuft oder sie eine Verhütung gar gänzlich unterlassen. Will man ihnen ob solcher Nachlässigkeiten die Möglichkeit aberkennen, in einer akuten Gefahr für den Bestand ihrer Rechtsgüter, ja gar ihres durch Segelpartie oder Schwangerschaft bedrohten Lebens, einzutreten, muss dem wenigstens eine Warnung vorgeschaltet sein, die dort zur verschärften Kontrolle anhält, wo man sich anderenfalls nur im Bereich rechtlich indifferenter Unzulänglichkeiten wähnen würde. Eine normativ nur fingierte Vorhersehbarkeit der Kollisionslage – wie sie zuweilen präsentiert wird148 – kann dies im Übrigen nicht leisten: Denn ist nur das objektiv vorhandene Drittgefährdungspotenzial hinreichend erkennbar, während der Notstandstäter subjektiv nicht mehr als „die äußeren Umstände seines selbstgefährdenden Verhaltens“ zu erfassen vermag149, erreicht ihn zwar die Warnung vor einer (rechtlich unerheblichen) Selbstgefährdung, nicht aber diejenige vor der etwaigen (rechtlich erheblichen) Gefährdung konkurrierender Interessen, die das Recht in seiner Entscheidung über den so entstandenen Konflikt würde berücksichtigen müssen. 147  Zum Vorwurf eines abstrakt gefährlichen Vorverhaltens in diesem Zusammenhang: Rogall, in: Wolter, SK‑StGB / I137, § 35 Rn. 33; anders aber Hefermehl, Notstand, 106, der seine Annahme einer zumutbarkeitserweiternden Obliegenheitsverletzung nicht auf die Herbeiführung einer – fremde Interessen tangierenden – Kollisionslage, sondern ausschließlich auf die Verletzung eigener Interessen stützt (krit. dazu Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 35 Rn. 49). 148  So ausdrücklich Momsen, Zumutbarkeit, 297; jenem zust. Zimmermann, Rettungstötungen, 244 m. Fn. 913. 149  Momsen, Zumutbarkeit, 289; jenem zust. Zimmermann, Rettungstötungen, 244 m. Fn. 913.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Hinreichend gewarnt wird sich der Täter stattdessen allenfalls dann sehen können, wenn die Entstehung einer bestimmten Kollisionslage im Einzelfall für ihn tatsächlich vorhersehbar war. Dies könnte nun dann der Fall sein, wenn sich ihm die mittelbare Benachteiligung Dritter mit besonderer Dringlichkeit aufdrängte, wie es beispielsweise der Fall wäre, wenn er nicht zu irgendeiner (stets abstrakt gefährlichen) Segelpartie aufbräche, sondern zu einer solchen, die beispielsweise ob ihrer Datierung zu einer ungewöhnlichen Jahreszeit ein besonderes Gefahrenbewusstsein schaffen muss150. Ähnliches wird man für den Geschlechtsverkehr einer um ihre „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ wissenden Frau zu konstatieren haben: Nicht jeder ungeschützte oder unzureichend geschützte Geschlechtsverkehr wird in ihr die Besorgnis einer drohenden Indikationenlage heraufbeschwören, sondern nur ein solcher, der wenigstens in der Nähe der „fruchtbaren Tage“ ihres monatlichen Zyklus vollzogen worden ist, sodass sie eine etwa 20 bis 25 % betragende spontane Konzeptionsrate pro Ovulation151 in Rechnung zu stellen hätte, die in den voraussichtlich gefahrbringenden Schwangerschafts­ eintritt münden könnte. Vorliegende Untersuchung will aber noch einen Schritt weitergehen und den warnenden Appell nicht (allein) den tatsäch­ lichen Verhältnissen überantworten, sondern der Rechtsordnung abverlangen: Auch insofern nämlich ist dem Kriterium der Pflichtwidrigkeit im engeren Sinne zuzugestehen, dass jene Warnung nicht dem allgemeinen Gefahr- und Rechtsbewusstsein des Täters anheim fallen darf, sondern von der Rechtsordnung ausgehen muss. Allein ein rechtlicher Appell schüfe nicht nur die Erwartungshaltung, dass ein Täter zur erhöhten Achtsamkeit angehalten ist, sondern böte darüber hinaus einen legitimen Anknüpfungspunkt, um auf eine Enttäuschung dieser Erwartungshaltung mit einer sanktionsähnlichen Folge – der ausnahmsweisen Versagung des Notstandsprivilegs – zu reagieren. Die Rechtsordnung muss dem potenziellen Täter einer Notstandstat mithin verdeutlichen, dass sie jenes Vorverhalten, das seine Auswahl an Rettungsmöglichkeiten in einer Notstandslage zulasten Anderer reduziert, missbilligt oder dass sie es wenigstens seiner – nicht auf andere abzuwälzenden – Verantwortung zuordnet. Insoweit also versteht es die vorliegende Untersuchung anders als Roxin nicht als „Konzession an das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit“, jede Verursachung einer vorhersehbaren Notstandslage dem Gefahrenverursacher anzulasten152. Im Gegenteil befindet sie es in einer von Unzulänglichkeiten geprägten Gesellschaft –  auch in generalpräventiver Hinsicht – für angemessen, nur demjenigen Gefahrverursachungs150  Anders – nämlich unter Verzicht auf ein gesteigertes Gefahrenpotenzial – aber Roxin, JA 1990, 137 (139 f.). 151  Vorbehaltlich normaler Fertilität und altersbedingter Abweichungen; Steck, Fortpflanzungsmedizin, 8. 152  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Roxin, JA 1990, 137 (137).



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beitrag eine zumutbarkeitserweiternde Wirkung zuzuerkennen, dem ein zur Vermeidung des fraglichen Vorverhaltens anhaltender rechtlicher Appell vorgeschaltet war. Dabei kann sich die erforderliche Missbilligung oder wenigstens Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche in der Rechtsordnung auf verschiedene Art und Weise manifestieren: Die Rechtsordnung kann das fragliche Vorverhalten zum Gegenstand eines Verbots‑ oder Gebotstatbestandes erheben (wie es eine Pflichtwidrigkeit i. e. S. voraussetzt), sie kann aber auch nur eine Verpflichtung des Täters normieren, aus dem Vorverhalten entstehende Gefahren grundsätzlich selbst zu tragen, und schließlich kann sie das Vorverhalten auch zum Anlass nehmen, um die Rechtsposition des Täters anderweitig einzuschränken, indem sie Maßnahmen Dritter zur Abwehr des Vorverhaltens für rechtmäßig befindet und ihm deren Erduldung auferlegt. Auch eine bloße Obliegenheit – ein Handeln, das sich den eigenen Interessen zuwider vollzieht, und nur indirekt rechtliche Nachteile nach sich zieht – vermag so einen rechtlichen Appell an den Täter zu vermitteln, noch bevor sich die sanktionsähnlichen Folgen ihrer Verletzung in einer finalen Versagung des Notstandsprivilegs manifestieren. Dem vorausgesetzt ist nur, dass die Nachteiligkeit einer Obliegenheitsverletzung auch anderenorts in der Rechtsordnung zutage tritt. Insoweit zweifellos von geringerer Intensität als die Normierung eines Pflichtentatbestandes, entspringt ein solcher Appell immer noch der verbindlichen Stimme der Rechtsordnung statt nur dem eigenen Gefahr- und Rechtsbewusstsein, das aus den tatsächlichen Verhältnissen seine jeweils individuellen Schlüsse ziehen mag. In Anwendung auf die vorliegend diskutierte Teilhabe am Geschlechtsverkehr unter unzureichender Anwendung von Verhütungsmitteln könnte so konstatiert werden, wie eine solche Teilhabe zwar keine unmittelbaren Rechtsnachteile nach sich zieht, nämlich nicht zum Gegenstand eines entsprechenden Verbots (des Geschlechtsverkehrs) oder Gebots (der sachgemäßen Anwendung von Verhütungsmitteln) erhoben worden ist. Sobald sich aber das dieser Teilhabe immanente Risiko einer Empfängnis mit nachfolgender Einnistung des Embryos in ihrer Gebärmutterschleimhaut realisiert, erlegt das Strafgesetz der Frau in § 218 Abs. 1 StGB eine grundsätzliche Pflicht zum Austragen der Schwangerschaft und zum Erdulden der damit verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf, die erst dann – und der gesetzlichen Systematik folgend, nur ausnahmsweise – suspendiert wird, wenn die fraglichen Beeinträchtigungen in einem medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftskonflikt eskalieren, wie er in § 218a Abs. 2 StGB normiert ist und vorliegend diskutiert wird. Ein Schwangerschaftseintritt wird die Frau also nicht nur in tatsächlicher Hinsicht, sondern zunächst auch in rechtlicher Hinsicht belasten, weil § 218 Abs. 1 StGB sie in tatbestandlich vertypter Art und Weise verpflichtet, die von ihr mitverursachte Schwangerschaft regelmäßig auszutragen und im Zuge dessen gar eigene

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Gesundheitsgefährdungen hinzunehmen153. Dergestalt mit einem rechtlichen Appell konfrontiert, nur dasjenige Vorverhalten zu entfalten, dessen Folgen sie grundsätzlich auch selbst hinzunehmen bereit ist, wüsste die Formulierung einer erhöhten Gefahrtragungspflicht der (ob ihrer „schwangerschaftsfeindlichen Konstitution“) um einen drohenden Schwangerschaftskonflikt wissenden und gleichwohl nicht (hinreichend) verhütenden Frau unter Umständen zu überzeugen: nur unter Umständen deshalb, weil es diesbezüglich noch dem objektiven Zurechnungszusammenhang zwischen ihrem vorwerfbaren Vorverhalten und der Entstehung einer Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB nachzugehen gilt. c) Der objektive Zurechnungszusammenhang zwischen actio praecedens und Gefahreneintritt Denn insoweit – d. h. nach dem Ergebnis der vorangegangenen Ausführungen – wirkt die willentliche Teilnahme der Schwangeren am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr unter wenigstens im Ergebnis nicht hinreichender Anwendung von Verhütungsmitteln zwar zweifelsohne als conditio sine qua non für den nachfolgenden Schwangerschaftsverlauf und könnte man vorbehaltlich eines „Wissens um eine schwangerschaftsfeind­ liche Konstitution“ gar auch eine Obliegenheit durch sie verletzt sehen. Soll sie aber eine erhöhte Gefahrtragungspflicht begründen, muss sie überdies den Regeln der objektiven Zurechnung unterworfen werden: Nur dasjenige Vorverhalten erwiese sich damit als zumutbarkeitserweiternd, das eine rechtlich relevante Gefahr hervorruft, die dem Täter auch objektiv zugerechnet werden kann. Nicht das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist für das Strafrecht von Interesse, sondern die Frage, ob dem Täter ein sozialschädlicher Erfolg – hier: ein Gefahreneintritt – als „sein Werk“ zugerechnet werden kann154. Dies muss nach vorliegend vertretener Ansicht nicht nur für die Frage der Tatbestandsmäßigkeit gelten, wenn es zu entscheiden gilt, ob ein Täter objektiv zurechenbar den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeigeführt hat, sondern beansprucht auch für die Frage der Rechtfertigung Geltung, wenn es zu entscheiden gilt, ob der Täter durch sein Vorverhalten in solcher Weise einen Gefahreneintritt bedingt hat, dass ihm eine rechtmäßige Gefahrenabwehr versagt und er stattdessen zur Duldung der selbst bewirkten Gefahr angehalten werden soll: Nur für die objektiv zurechenbare Her153  Zur Normierung einer Austragungspflicht in § 218 Abs. 1 StGB s. bereits oben Seite  345 f. [2.] zum „persönlichen Näheverhältnis“ zwischen der Schwangeren als Obhutsgarantin und dem ungeborenen Leben. 154  Vgl. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 176 u. 179, zur objektiven Zurechnung des Handlungserfolgs.



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beiführung eines Erfolges formuliert ein Straftatbestand ein Verbot, ebenso wie nur die objektiv zurechenbare Gefahrenverursachung der Rechtsordnung Veranlassung bietet, auch denjenigen zur Befolgung dieses Verbots anzuhalten, der seine Rechtsgüter durch die verbotene Handlung vor der fraglichen Gefährdung zu bewahren versucht. Dabei sieht sich die Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr nach den zur Lehre von der objektiven Zurechnung entwickelten Fallgruppen etwa dann in Frage gestellt, wenn sie mehr dem allgemeinen Lebensrisiko als dem täterlichen Vorverhalten entspringt, ebenso, wenn das täterliche Vorverhalten zwar ein signifikantes Risiko schafft, zugleich aber von sozialem Nutzen ist, sodass die herbeigeführte Gefahr noch einem sog. erlaubten Risiko zugeordnet werden kann. Dem Täter zugerechnet werden kann eine rechtlich relevante Gefahr – ist sie einmal geschaffen – u. a. dann nicht, wenn sie das Ergebnis eines atypischen Kausalverlaufs bildet, nämlich völlig außerhalb dessen ließt, was nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung noch als Folge des täterlichen Vorverhaltens in Rechnung gestellt werden kann155. Entsprechend ist in der jüngeren Rechtsprechung zur „Notwehrprovokation“ auch die Voraussetzung eines sog. objektiven Provokationszusammenhangs formuliert worden: Demnach verpflichtet nur dasjenige Vorverhalten den Täter zur Erduldung statt Abwehr eines Angriffs i. S. d. § 32 StGB, das in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zum provozierten Angriff steht und den Angriff zur adäquaten und vorhersehbaren Folge hat156. Muss zwischen Gefahreneintritt und Vorverhalten des Täters also ein objektiver Zurechnungszusammenhang bestehen, damit sich die Gefahrtragungspflicht des Täters erhöht und sein Gefahrverursachungsbeitrag innerhalb notstandsähnlicher Konfliktlagen Abwägungsrelevanz erlangt, gilt es vorliegend zu entschieden, inwiefern eine willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr eine rechtlich relevante Gefahr zu schaffen vermag, insbesondere ob die Entstehung einer medizinisch-sozialen Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB mehr dem allgemeinen Lebensrisiko oder erlaubten Risiko als dem täterlichen Vorverhalten zuzu155  Zu den verschiedenen Fallgruppen, die eine objektive Zurechnung des Gefahreneintritts in Frage stellen können, vgl. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 179; zum allg. Lebensrisiko ebda., Rn. 183; zum erlaubten Risiko ebda., Rn. 184; zum atypischen Kausalverlauf ebda. Rn. 196. 156  BGH NStZ-RR 2011, 74 (74 m. LS 1 u. 2, 75) m. Anm. Kudlich, JA 2011, 233 (233 m. LS 1 u. 234); BGH NStZ 2009, 626 (626 m. LS 1 u. 627) m. Anm. Hecker, JuS 2010, 172 (172 m. LS u. 173); BGH StV 2006, 234 m. Anm. Bosch, JA 2006, 490 (490 m. LS 2 u. 491); dazu auch Engländer, Nothilfe, 330; Kühl, AT7, § 7, Rn. 226; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 59; Rönnau / Hohn, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 32 Rn. 253; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 348.

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rechnen ist157. Hand in Hand damit gehen Fragen nach der Adäquanz und (neuerlich) nach der Vorhersehbarkeit der Entstehung einer medizinischsozialen Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB, wenn sich der Gefahrverursachungsbeitrag der Schwangeren darauf beschränkt, willentlich an dem zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr partizipiert zu haben. Insoweit sind dem aufmerksamen Leser beide Zurechnungserwägungen eines erlaubten Risikos und allgemeinen Lebensrisikos vorliegend auch bereits in der Definition einer Pflichtwidrigkeit i. w. S. bzw. Obliegenheitsverletzung begegnet: Einen vorwerfbaren Gefahrverursachungsbeitrag soll demnach nur dasjenige Vorverhalten bilden, das der Realisierung eines vorhersehbaren Gefahrenpotenzials (statt nur allgemeinen Lebensrisikos) Vorschub leistet und das als solches grundlos (u. a. nicht unter Rücksichtnahme auf ein erlaubtes Risiko) erfolgt158. Und so ist es denn auch nur folgerichtig, wenn in den hiesigen Zurechnungserwägungen neuerlich jene Differenzierung zum Tragen kommt, die unter Referenz auf ein „Wissen um eine schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ in den vorangegangenen Ausführungen bereits angeklungen ist: Diejenigen Fallgruppen, in denen von vornherein bekannt ist, dass eine Schwangerschaft das Leben der Schwangeren gefährden würde oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes in sich bärge, müssen von denjenigen Fallgruppen unterschieden werden, in denen es am Wissen um eine solche „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ mangelt oder aber die Schwangerschaft sich erst im weiteren Verlauf aufgrund weiterer, nicht vorhersehbarer Bedingungen als das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren gefährdend entwickelt. aa) Das allgemeine Lebensrisiko eines unvorhersehbar lebensoder gesundheitsgefährdenden Schwangerschaftsverlaufs In letzteren Fallgruppen eines unvorhersehbar lebens- oder gesundheitsgefährlichen Schwangerschaftsverlaufs hat sich ein entsprechendes Gefahrenpotenzial zum Zeitpunkt des zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehrs noch nicht manifestiert, sondern wird erst im weiteren Verlauf der Schwangerschaft zutage treten, wenn die schwangerschaftsbedingten Beeinträchtigungen das übliche Maß überschreiten und einer dem § 218a Abs. 2 StGB genügenden Gefahrenprognose den Weg ebnen. Hat eine Frau nun in Unkenntnis des erhöhten Gefahrenpotenzials an einem Geschlechtsver157  Vgl. auch Rogall, in: Wolter, SK‑StGB / I137, § 35 Rn. 32, nach dem ein erlaubtes bzw. „sozial adäquates“ Vorverhalten ungeachtet der etwaigen Vorhersehbarkeit einer künftigen Notstandssituation nicht zumutbarkeitserweiternd wirken darf. 158  Siehe dazu soeben Seite  350–358 [b)].



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kehr teil und verzichtet hierbei auf Verhütung oder bringt eine solche im Ergebnis wenigstens unzureichend zur Anwendung, muss es ob der mangelnden Vorhersehbarkeit der Gefahrenentwicklung von vornherein ausscheiden, ihr einen rechtlich relevanten Gefahrverursachungsbeitrag zuzuschreiben: Insoweit mangelte es ihrem Vorverhalten also auch deshalb an seiner – mit einer Pflichtwidrigkeit im weiteren Sinne bzw. Obliegenheitsverletzung identifizierten – Vorwerfbarkeit, weil es sich in keinen objektiven Zurechnungszusammenhang mit dem Eintritt einer Indikationenlage einbetten ließe159. Zwar begründet der Umstand, dass die fragliche Gefahrenentwicklung im konkret-individuellen Einzelfall nicht vorhersehbar ist, noch keinen atypischen Kausalverlauf: Ein Schwangerschaftsverlauf, der für die Frau die Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar eine Lebensgefahr birgt, mag allgemein zwar wenig wahrscheinlich sein, sodass man ihn ohne besondere Veranlassung nicht wird vorhersehen können, ist in seiner generellen Unwahrscheinlichkeit aber doch jeder Schwangerschaft eigen, sodass man schwerlich von „einer ganz ungewöhnlichen Verkettung von Umständen“ wird reden können, „mit denen nach der Erfahrung des täglichen Lebens nicht zu rechnen“ ist160. Jedoch kann dieses seltene und doch jeder Schwangerschaft eigene („typische“) Risiko von einer sexuell aktiven Frau unmöglich ausgeschlossen werden. Weitgehend – wenn auch nicht hundertprozentig – weiß sie, sofern sie nicht die Absicht der Fortpflanzung verfolgt, nur die Empfängnis zu verhindern, indem sie eine geeignete Art der Verhütung zur Anwendung bringt. Ihrer diesbezüglichen – angesichts der nicht hundertprozentigen Sicherheit einer jeden Verhütung161 bereits eingeschränkten – Kontrollmöglichkeit unterliegt damit jedoch ausschließlich dasjenige Ereignis, das die zu einer Gefahrenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB führende Kausalkette in Gang setzt. Demgegenüber entzieht sich der unvorhersehbare lebens- oder gesundheitsgefährdende Schwangerschaftsverlauf, der der Empfängnis nachfolgt, gänzlich ihrer Einflussnahme. Insofern mag man die über das erhöhte Gefahrenpotenzial nicht informierte Schwangere mit demjenigen Täter vergleichen, der während eines Gewitters nach draußen tritt und sich hierdurch der wenig wahrscheinlichen Gefahr eines Blitzschlags aussetzt. Realisiert sich jene Gefahr, kann dies angesichts 159  Vgl. dazu bereits die vorangegangenen Ausführungen auf den Seiten 350–358 [b)]. 160  Vorstehende Zitate der Def. fehlender Adäquanz nach Wessels / Beulke, AT42, Rn. 169, entnommen. 161  Vgl. etwa zur nur annähernd hundertprozentigen Sicherheit der Antibabypille Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (102 m. Tab.  7.1): Pearl-Index zwischen 0,2 und 0,5; DGGG, AWMF-LL-Reg. 015 / 015, pdf-S. 9: PearlIndex zwischen 0,1 und 0,9.

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der Unbeherrschbarkeit der Naturkräfte unmöglich dem täterlichen Schritt vor die Haustür zugerechnet werden, sondern bildet einen Teil des allgemeinen Lebensrisikos162. Ebenso setzt sich eine Frau mit der willentlichen Teilnahme an einem zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr der allgemein wenig wahrscheinlichen Gefahr einer lebens- oder gesundheitsgefährlichen Entwicklung einer Schwangerschaft aus. Realisiert sich jene Gefahr, kann dies angesichts der Unbeherrschbarkeit ihrer körperlichen Konstitution jedoch wiederum nicht ihrem Vorverhalten, sondern allein einem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet werden. So mag eine Frau heutzutage über ihre Fortpflanzung selbst bestimmen können – der Eintritt unvorhersehbarer gesundheitlicher Beeinträchtigungen muss jedoch fortwährend als Schicksalsschlag innerhalb eines nicht atypischen, aber unbeherrschbaren Kausalverlaufs begriffen werden, der auch dann nicht dem Vorverhalten der Frau zugerechnet werden kann, wenn er sich innerhalb einer Schwangerschaft verwirklicht, die die betroffene Frau durch ihre willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr selbst herbeigeführt hat. bb) Die Risiken sexueller Aktivität im Wissen um eine „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ Anders – nämlich nicht als unbeherrschbarer Schicksalsschlag, sondern als zurechenbare Folge menschlich gewillkürten Verhaltens – mag sich der Eintritt einer solchen gesundheitlichen Beeinträchtigung während der Schwangerschaft dann darstellen, wenn man von vornherein um eine „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ der Frau weiß, d. h., wenn bekannt ist, dass eine Schwangerschaft für die jeweilige Frau eine Indika­ tionenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB nach sich ziehen würde oder dass das diesbezügliche Risiko wenigstens signifikant erhöht ist163. Ihre Kenntnis von dem spezifischen Gefahrenpotenzial einer Schwangerschaft böte der Frau in jenen Sachverhalten Veranlassung, sog. Vermeidefaktoren zu entfalten, die der Gefahrentstehung entgegenwirkten: nämlich entweder Enthaltsamkeit zu üben oder aber eine anerkannte Art der Verhütung zur Anwendung zu bringen, die eine Empfängnis und damit gefahrbringende Schwangerschaft wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern wüsste. Jene Möglichkeit, ihr Sonderwissen in präventiv wirkende Vermeidefaktoren umzusetzen und so Einfluss auf den potenziell gefahrbringenden Kausalverlauf – der vom Geschlechtsverkehr über die Empfängnis hin zur Entstehung einer medizinisch-sozialen Indikationenlage reicht – zu 162  Zum 163  Vgl.

„Fall vom Blitzschlag“ s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 183. zu dieser Sachverhaltskonstellation auch RGSt 36, 334 (340 ff.).



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nehmen, stellt die Unbeherrschbarkeit des Geschehens in Frage: So muss in Erwägung gezogen werden, dass man den Gefahreneintritt während einer Schwangerschaft nicht länger dem allgemeinen Lebensrisiko, sondern der Verantwortlichkeit der jeweiligen Frau zuzuschreiben hat, die in Kenntnis des Gefahrenpotenzials willentlich an einem Geschlechtsverkehr partizipiert hat, ohne im Ergebnis wenigstens eine erfolgreiche Art der Verhütung angewandt zu haben164. (1) In dubio ein allgemeines Lebensrisiko Insofern stellte sich jedoch die Frage, mit welchem Vorverhalten eine Frau denn keine rechtlich relevante Gefahr schüfe, sodass sie innerhalb einer Schwangerschaft auch keiner erhöhten Gefahrtragungspflicht unterläge: Welche Art der Verhütung ist so sicher, dass sie mit ihrem unvermeidlichen Restrisiko allenfalls Raum für eine Empfängnis lässt, die sich als allgemeines Lebensrisiko verwirklicht? Welche andere Art der Verhütung ist weniger sicher, sodass man eine Empfängnis nicht länger dem allgemeinen Lebensrisiko, sondern dem Vorverhalten und mit ihr der Verantwortlichkeit der Frau zuschreiben muss, die der erfolglosen Verhütung schließlich den Vorzug gegenüber alternativen Mitteln und Methoden gegeben hat? Wird etwa bei Einsatz der Antibabypille ob der hohen Sicherheit dieser Verhütungs­ methode ein rechtlich relevanter Gefahrverursachungsbeitrag ausscheiden, während im Falle eher unsicherer Methoden wie beispielsweise des Schaumzäpfchens ein solcher zu bejahen wäre? Der so genannte Pearl-Index gibt an, wie viele Schwangerschaften innerhalb eines Jahres auftreten, wenn 100 sexuell aktive Frauen im gebärfähigen Alter eine bestimmte Methode zur Verhütung verwenden. Je niedriger er ist, desto sicherer ist die Methode165. Sollte die objektive Zurechnung einer schwangerschaftsbedingten Lebensoder Gesundheitsgefahr also bei Anwendung einer Verhütungsmethode, deren Sicherheit mit einem Pearl-Index zwischen 0,1 und 0,9 beziffert wird (Antibabypille)166, ausscheiden, während sie bei Anwendung einer solchen, deren Sicherheit unterschiedlich mit einem Pearl-Index zwischen 3 und 25 164  Anders jedoch noch RGSt 61, 242 (255), u. im Anschluss hieran Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 27. 165  Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101. 166  Für einen Pearl-Index zwischen 0,1 und 0,9 s. DGGG, AWMF-LL-Reg. 015 / 015, pdf-S. 9; zwischen 0,2 und 0,5 s. Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (102 m. Tab. 7.1), zu monophasischen Kombinationspräparaten, Stufen- und Sequenzpräparaten. Demgegenüber differenziert zwischen einer mit einem Pearl-Index von 0,3 bezifferten Methodensicherheit und einer mit einem Pearl-Index von 9 bezifferten Anwendungssicherheit: Trussell, in: Hatcher et  al., Contraceptive Technology20, pdf-S. 1 m. Tab.  3-2.

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benannt wird (Spermizide)167, zu bejahen wäre? Was wäre dann aber wiederum mit den Verhütungsmethoden, deren Sicherheit „dazwischen“ angesiedelt ist – man denke nur an das Kondom, nach der Pille das am häufigsten verwendete Verhütungsmittel, dessen Anwendungssicherheit unter Berücksichtigung auch möglicher Anwendungsfehler höchst unterschiedlich mit einem Pearl-Index zwischen 2 und 15 beziffert wird168? Oder wie wäre der Fall zu beurteilen, dass die Frau die tägliche Tablette ihrer Antibabypillenpackung einmalig verspätet eingenommen, den üblichen Einnahmeabstand dabei jedoch nur unerheblich um zwölf Stunden überschritten hat, sodass Auswirkungen ihres Versäumnisses auf die verhütende Wirkung eher unwahrscheinlich sind169? Hier bewegt man sich nicht nur in einem Bereich, dessen Entscheidung eine wertende Beurteilung der Anwendung von Verhütungsmethoden voraussetzte, sondern vor allem in einem Bereich, der die Intimsphäre der Frau betrifft und der sich als solcher einer etwaigen Beweiswürdigung stets entziehen wird. Das Recht trifft hier bildlich auf die „verschlossene Schlafzimmertür“ der Frau und kann durch diese nicht hindurchblicken (ungeachtet dessen, dass es auch gar nicht würde hindurchblicken wollen)170: Feststellungen über die konkrete Art der Verhütung wird es auch „über das Schlüsselloch“ jener Tür nicht treffen können. Ebenso bleibt es dem Recht versagt, allein aus dem äußeren Indiz des Eintritts einer Schwangerschaft auf eine im Einzelfall unzureichende Anwendung von Verhütungsmethoden zu schließen. Denn soweit es diesen Weg wählte, zeichnete es auch diejenige Schwangere für den späteren Gefahreneintritt verantwortlich, die sich im 167  Für einen Pearl-Index zwischen 3 und 21 s. DGGG, AWMF-LL-Reg. 015 /  015, pdf-S. 19; zwischen 3 und 25 s. Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (102 m. Tab.  7.1). 168  Für einen Pearl-Index zwischen 2 und 12 s. DGGG, AWMF-LL-Reg. 015 / 015, pdf-S. 21; zwischen 7 und 14 s. Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (102 m. Tab.  7.1). Zur Abgrenzung zwischen einem PearlIndex von 0,6 bei unterstellter perfekter Anwendung und einem Pearl-Index zwischen 2 und 15 bei typischer Anwendung, die auch Anwendungsfehler berücksichtigt, s. Padevit, JUU 2013, 26 m. w. N. 169  Vgl. etwa Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (112 m. Tab.  7.6); Richter, Belara® Gebrauchsinformation 2011, pdf-S. 2 m. Nr. 3. Demnach ist die empfängnisverhütende Wirkung zwar nicht mehr gewährleistet, wenn der übliche Einnahmeabstand um mehr als zwölf Stunden überschritten wurde; sofern die vergessene Tabletteneinnahme umgehend nachgeholt und die Einnahme zur gewohnten Zeit fortgesetzt wird, kann das so geschaffene Defizit aber kompensiert werden, indem man während der nächsten sieben Tage des Zyklus zusätzliche mechanische empfängnisverhütende Maßnahmen wie Kondome zur Anwendung bringt. 170  Zu einem ähnlich formulierten Einwand in der Diskussion um die Nidationsverhütung vgl. Merkel, Forschungsobjekt, 61.



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Wissen um ihre „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ solcher Verhütungsmittel fehlerfrei bedient hat, die eine höchstmögliche Sicherheit bieten, und in deren Fall sich nur ein unvermeidliches Restrisiko verwirklicht hat. Würde auch ihr unter Formulierung einer erhöhten Gefahrtragungspflicht die Rechtfertigung versagt, verstieße das Recht gegen den Grundsatz in dubio pro reo, der es dem Rechtsanwender gebietet, bei Zweifeln über den tatsächlichen Sachverhalt von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen171. In ihrer Unkenntnis über die zur Anwendung gebrachte Verhütungsmethode hat die Rechtsordnung im Gegenteil für jeden Einzelfall zu unterstellen, dass eine gemeinhin als „sicher“ bewertete Verhütungsmethode fehlerfrei zur Anwendung gekommen ist und sich im Eintritt einer gefahrbringenden Schwangerschaft nur das jedem Verhütungsmittel verbleibende Restrisiko verwirklicht hat, das der Schwangeren aber nicht zur Last gelegt werden kann. Denn tritt eine Schwangerschaft trotz fehlerfreier Anwendung solcher Verhütungsmethoden ein, setzt sich die Natur über alle Vermeidefaktoren hinweg, die eine sexuell aktive Frau entfalten kann, entzieht sich ihrer Einflussnahme und erweist sich damit als ein – vom allgemeinen Lebensrisiko erfasster – unbeherrschbarer Kausalverlauf172. Dass eine Frau selbst durch die Anwendung einer gemeinhin als sicher bewerteten Verhütungsmethode nicht dasjenige Restrisiko ausschließen kann, das jeder Art der Verhütung eigen ist, wirkt sich schließlich auch zugunsten derjenigen Frau aus, die bekennt, ungeachtet der vorhersehbaren Gefahrenentwicklung gänzlich auf die Anwendung von Verhütungsmitteln verzichtet zu haben, so etwa weil sie durch den ungeschützten Geschlechtsverkehr in absehbarer Zeit eine Schwangerschaft hatte herbeiführen wollen. Denn innerhalb der objektiven Zurechnungslehre wendet die h. M. auch bezüglich des Erfolgseintritts bei pflichtgemäßem Alternativverhalten den Grundsatz in dubio pro reo an. Dem von ihr formulierten Pflichtwidrigkeitszusammenhang173 kann so ein allgemeiner Rechtsgedanke des Inhalts entnommen werden, dass einem Täter nur derjenige Erfolgs- bzw. hier Gefahreneintritt zur Last gelegt werden darf, den er durch ein alternatives Verhalten auch hätte verhindern können. Gleichwohl eine um ihre „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ wissende Frau also Gefährdungen ihrer eigenen Gesundheit wie gar ihres eigenen Lebens bewusst in Kauf nimmt, 171  Zum Grundsatz in dubio pro reo s. BGH NStZ 2005, 85; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 802. 172  Zum allgemeinen Lebensrisiko vgl. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 183. 173  Siehe dazu Wessels / Beulke, AT42, Rn. 197. Anders die von Roxin begründete, sog. Risikoerhöhungslehre, die einen objektiven Zurechnungszusammenhang bereits dann bejaht, wenn das Tatverhalten die Chance des Erfolgseintritts nur erhöht hat; Roxin, AT / I4, § 11, Rn. 88–90 m. w. N. in Fn. 187 u. 188; Stratenwerth / Kuhlen, AT6, § 8, Rn. 36 f., u. § 13, Rn. 54; zsfd. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 198 f.

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wenn sie unter Verzicht auf die Anwendung von Verhütungsmitteln sexuell aktiv wird, kann ihr ein solches Vorverhalten doch nicht als Grund für eine erhöhte Gefahrtragungspflicht zur Last gelegt werden: Weil auch die alternative Anwendung einer Verhütungsmethode das Restrisiko einer Schwangerschaft nicht hätte ausschließen können, bleibt der Kausalverlauf einer Empfängnis und Schwangerschaft letzten Endes unbeherrschbar und fällt einem allgemeinen Lebensrisiko anheim, gleich wie die Schwangere zur Verhütung eingestellt ist. Auch die vermeintliche Selbstbestimmung über ihre Fortpflanzung ist letzten Endes damit nicht frei von „Schicksalsschlägen“, die sich der Verantwortlichkeit einer Frau entziehen. (2) Wenigstens aber ein erlaubtes Risiko Wer ungeachtet dessen dieses allgemeine Lebensrisiko eines jeden heterosexuellen Geschlechtsverkehrs in ein signifikantes (rechtlich relevantes) Risiko umdeuten wollte, müsste schließlich zumindest konstatieren, dass ein solches Risiko verschiedentlich durch den sozialen Nutzen eines willentlichen Geschlechtsverkehrs aufgewogen wird: Dies wird man nicht nur für denjenigen Verkehr, der der Fortpflanzung dient, zu bejahen haben, sondern ebenso für denjenigen, der nur die emotionale Bindung zwischen den Eheleuten innerhalb ihrer gemäß Art. 6 GG besonders geschützten Beziehung stärken soll. Einen sozialen Nutzen verwirklicht die Rechtsform der Ehe nach der Vorstellung des Verfassungsgebers deshalb, weil sie durch ihre rechtlichen, grundsätzlich lebenslang ausgerichteten Bindungen solche Zwecke zu erfüllen sucht, die im öffentlichen Interesse einer Solidaritätsgemeinschaft stehen: Dies betrifft wiederum nicht nur die Erziehung von Kindern, sondern ebenso die Fürsorge um den jeweils anderen – gegebenenfalls wirtschaftlich oder anderweitig schwächeren – Partner174. Ähnlich wird man wohl auch der nichtehelichen Lebensgemeinschaft (bzw. eheähnlichen Gemeinschaft) einen solchen Nutzen zuschreiben können, die das BVerfG als eine „Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau“ definiert hat, „die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zuläßt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen“175. Gleichwohl die in ihr vereinigten Partner ihre wechselseitige Verantwortung 174  Vgl. § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB. Zu den ehelichen Beistandspflichten s. auch Albrecht, Garantenstellungen, 62 f.; zum sozialen Nutzen der Ehe s. Badura, in: Maunz / Dürig, GG-K / II67, Art. 6 Rn. 1 f. u. 15 f.; Frhr. v. Campenhausen, VVDStRL 45 (1987), 7 (17 f.). 175  BVerfG NJW 1993, 643 (645); im Anschluss hieran BVerwG NJW 1995, 2802. Darüber hinaus ist auch die Wohngemeinschaft der Partner grundsätzlich zur



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nicht rechtlich garantieren wollen und die von ihnen gewählte Lebensform in der Folge auch nur vom Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG statt vom Schutz des Art. 6 GG erfasst ist176, ergibt sich aus ihrer Identifikation mit einer „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“177 doch eine gewisse – wenn auch von der Ehe zu unterscheidende – soziale Nützlichkeit. Das Restrisiko, dass die sexuelle Aktivität innerhalb dieser rechtlich anerkannten Beziehungsformen – der Ehe und der nichtehelichen Lebensgemeinschaft – nicht nur zu einer Empfängnis, sondern auch zu einer medizinisch-sozialen Gefahrenlage i. S. d. § 218a Abs. 1 StGB führen kann, sähe sich damit wenigstens von einem erlaubten Risiko gedeckt, förderte eine solche sexuelle Aktivität doch den Fortbestand einer für sozial nützlich erkannten Lebensform. Ob dem risikobehafteten Geschlechtsverkehr auch jenseits dessen ein sozialer – die objektive Zurechnung durchbrechender – Nutzen zugeschrieben werden kann, soll vorliegend hingegen dahingestellt bleiben, wäre im Hinblick darauf, dass durch ihn ein menschliches Grundbedürfnis seine Erfüllung findet, aber wenigstens nicht abwegig. 4. Conclusio

Soweit es § 218a Abs. 2 StGB durch eine abstrakt-generelle Vorwegnahme seines Abwägungsergebnisses also ausschließt, ein „persönliches Näheverhältnis“ zwischen Schwangerer und Ungeborenem wie auch den Verursachungsbeitrag der willentlich am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr partizipierenden Frau zugunsten des ungeborenen Lebens zu berücksichtigen, manifestiert das Strafgesetzbuch an dieser Stelle doch keine Geringschätzung des postnidativen ungeborenen Lebens gegenüber dem geborenen Leben. Denn gleichwohl § 35 Abs. 1 S. 2 diesbezüglich eine zumutbarkeitserweiternde Wirkung nahe legt, haben die vorangegangenen Ausführungen aufgezeigt, dass die Abwägungsrelevanz jener Regelumstände einer Schwangerschaft bereits nach allgemeinen Grundsätzen verneint werden kann, sodass sie auch in einer offen formulierten Interessenabwägung – wie sie in § 34 S. 1 StGB normiert ist – keine Berücksichtigung finden dürften. Dies gilt zum einen für das – parallel zur Obhutsgarantenstellung definierte – „persönliche Näheverhältnis“, durch das die Schwangere und ihr Ungeborenes nach den von § 218 Abs. 1 StGB inkludierten ­positiven Handlungsgeboten verbunden sind: Insofern nämlich kann man nachvollziehbar einer solchen Auslegung des Gesetzes folgen, nach deren Voraussetzung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft befunden worden; BVerwG NJW 1995, 2802 (2803). 176  Vgl. BVerfG NJW 1993, 643 (646); dazu Schlüter, BGB / FamR14, Rn. 4 u. 493. 177  BVerfG NJW 1993, 643 (646).

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Dafürhalten sich ein „persönliches Näheverhältnis“, in dem die Schwangere nur dem in ihr heranwachsenden ungeborenen Leben besonders verpflichtet ist, wesentlich von einem „besonderen Rechtsverhältnis“ unterscheidet, in dem der Täter besondere Schutzpflichten gegenüber der Allgemeinheit zu erfüllen hat, sodass das „persönliche Näheverhältnis“ dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB nicht unterworfen sein kann. Dies gilt zum anderen aber auch für denjenigen Beitrag einer Frau zur Verursachung einer medizinisch-sozialen Indikationenlage, der sich auf ihre willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr beschränkt. Gleichwohl man durch eine solche Teilnahme grundsätzlich eine Obliegenheit verletzt sehen könnte – knüpft die Rechtsordnung an die Einnistung eines empfangenen Embryos doch zunächst ihre tatbestandlich vertypte Pflicht, die Schwangerschaft auszutragen und damit einhergehende Gesundheitsbeeinträchtigungen zu dulden –, muss ein entsprechender Gefahreneintritt angesichts der fehlenden hundertprozentigen Sicherheit, die Verhütungsmethoden bieten, wenigstens in dubio dem allgemeinen Lebensrisiko anstelle dem Vorverhalten der Schwangeren zugerechnet werden; dies gilt unabhängig davon, ob ein das Leben oder die Gesundheit gefährdender Schwangerschaftsverlauf vorhersehbar ist. Selbst aber wenn man die Frau für den Gefahreneintritt verantwortlich zeichnen wollte, müsste man dies durch den sozialen Nutzen, den ein Geschlechtsverkehr verschiedentlich verwirklicht, aufgewogen sehen, sodass sich zwar ein rechtlich relevantes, aber erlaubtes Risiko verwirklichte. Von einem Vorverhalten, das es dem Gefahrenverursacher verwehrte, sich gegen die ihm drohende Gefahr zur Wehr zu setzen, und ihm stattdessen auferlegte, die Gefahrensituation zu erdulden, kann mithin nicht die Rede sein. Ob dies auch für besondere Gefahrenverursachungsbeiträge der Schwangeren konstatiert werden kann, die nicht in jedem medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt verwirklicht sind, sondern nur vereinzelt die medizinisch-soziale Konfliktlage prägen, wird den Gegenstand der folgenden Betrachtungen bilden. Angesprochen sind die Suiziddrohung der schwangerschaftsunwilligen Frau und die Schädigung des Fetus durch gefährliche Verhaltensweisen der Schwangeren. II. Zu einer Erhöhung der Gefahrtragungspflicht durch die Suiziddrohung der Schwangeren Zunächst zu derjenigen Sachverhaltskonstellation, in der die Schwangere für den Fall andauernder Schwangerschaft – bzw. eines Verzichts auf den Schwangerschaftsabbruch – ihren Selbsttötungswillen kundtut und für die man ob ihrer Suiziddrohung zunächst erwartete, dass § 218a Abs. 2 StGB einen etwaigen Nötigungsdruck oder jedenfalls einen besonderen Gefahrver-



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ursachungsbeitrag der Schwangeren – ihre Herbeiführung einer Indikationenlage – zu berücksichtigen suchte. 1. Kein erzwungener Schwangerschaftsabbruch, aber eine herbeigeführte Indikationenlage

Nicht nur einen besonderen Gefahrverursachungsbeitrag, sondern gar einen Nötigungsdruck sieht dabei Merkel durch die Suiziddrohung der Schwangeren verwirklicht, der es – entgegen der h. M.178 – verneint, von der Kundgabe eines Selbsttötungswillens auf das Vorliegen einer Lebensgefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB zu schließen. Zur Begründung beruft er sich auf einen postulierten nötigenden Charakter der Suiziddrohung wie eine damit einhergehende (physische wie psychische) Verhinderungsmöglichkeit des Täters: Anderenfalls könne der Eingriff in ein geschütztes fremdes Rechtsgut entgegen „allgemeine[n] Rechtsprinzipien“ – was soviel bedeutet wie: anders als im Verhältnis Geborener zueinander – allein durch den Nötigungsdruck einer angedrohten Selbstschädigung legitimiert werden. Exemplarisch sucht Merkel dies – zunächst für § 34 StGB – am Fall eines verliebten Mannes (V) zu verdeutlichen, der ernsthaft mit Suizid droht, dürfe er seine Angebetete (F) nicht küssen179. Wenn Merkel diesen Beispielsfall auf die Erwirkung eines Schwangerschaftsabbruchs durch Kundgabe eines Selbsttötungswillens der Schwangeren zu übertragen sucht, muss seine Behauptung eines auch durch die Schwangere ausgeübten „Nötigungsdrucks“ jedoch Widerspruch erregen. Insofern werden die folgenden Ausführungen darlegen, wie zwar F durch die Suiziddrohung des V zu einer Zärtlichkeit genötigt werden soll, die angekündigte Selbsttötung der Schwangeren den behandelnden Arzt aber nicht zu einer solchen Beteiligung am Schwangerschaftsabbruch zwingen kann, die seinem – den gesetzlichen Vorgaben folgenden – Willen widerstreben sollte. a) Die Empfindlichkeit einer Suiziddrohung Beiden Fallkonstellationen ist mit der Kundgabe eines Selbsttötungswillens zunächst das auf Einschüchterung gerichtete Inaussichtstellen eines 178  Stellv. für die h. M.: RGSt 61, 242 (257 f.); BGHSt 2, 111 (115); 3, 7 (9); Belling, Rechtfertigungsthese, 8; Beulke, FamRZ 1976, 596 (598); Dolderer, Spätabbruch, 153; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 28; ders. in Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 150 (155); Fischer, StGB60, § 218a Rn. 20 u. 25; Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218a Rn. 43; ders., GA 2000, 1 (2); ders., in: Schumann, Konfliktlösungen, 19 (27); Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 36; Kühl, StGB27, § 218a Rn. 12; Satzger, Jura 2008, 424 (431). 179  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (363).

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zukünftigen Übels gemein, auf dessen Eintritt sich der jeweilige Täter – V  bzw. die Schwangere – Einfluss zuschreibt180. Dabei soll die jeweilige Selbsttötungsdrohung den Anschein der Ernstlichkeit erwecken und soll es ihr jeweiliges Gegenüber mithin jedenfalls für möglich halten, dass V bzw. die Schwangere ihre verlautbarte Selbsttötungsabsicht auch verwirklichen werden181. Damit die in Aussicht gestellte Selbsttötung des V bzw. der Schwangeren vom Adressaten ihrer Erklärung überdies als empfindliches Übel wahrgenommen werden kann, wie es der Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB verlangt, müsste sie nach objektiver Beurteilung außerdem die Eignung aufweisen, ein besonnenes Gegenüber zum angedachten Nötigungserfolg zu bestimmen. Anders gewendet, dürfte von ihrem jeweiligen Gegenüber nicht erwartet werden können, dass es jener Suiziddrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält182, bzw. müsste die von ihm zur Abwendung jenes Übels geforderte Preisgabe eines Rechtsgutes noch als verhältnismäßig bezeichnet werden können183. aa) Das Inaussichtstellen eines autoaggressiven Verhaltens Für F wird dies noch unschwer bejaht werden können, überwiegt die in Aussicht gestellte Selbsttötung des V doch dergestalt ihr durch einen erzwungenen Kuss tangiertes Recht auf freie (sexuelle) Selbstbestimmung, dass ein besonnener Rechtsgutsinhaber in ihrer Situation wohl das Opfer erbringen würde, das V zur Abwendung seines Suizids verlangt. Dabei wird die Empfindlichkeit des Übels auch nicht etwa dadurch in Frage gestellt, dass selbiges nicht das zu nötigende Gegenüber, sondern den Täter selbst treffen soll. Im Einklang mit dem Wortlaut des § 240 Abs. 1 StGB sind derartige Drohungen mit autoaggressivem Verhalten – ebenso wie die Ausführung autoaggressiver Akte – als taugliches Nötigungsmittel anerkannt: So setzt § 240 Abs. 1 StGB die Formulierung „einen Menschen“ nur zum Merkmal „nötigt“ in Beziehung, um die Nötigung als Fremdschädigungsdelikt auszuweisen, verzichtet aber darauf, diese Formulierung auf 180  Zur Def. der Drohung i. S. d. § 240 StGB s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 402. Übel i. S. dieser Def. ist jeder Nachteil, jede Einbuße an Werten; dies., a. a. O., Rn. 404. 181  Zum notwendigen Anschein der Ernstlichkeit s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 404 m. w. N. 182  Zur Def. des empfindlichen Übels s. BGHSt 31, 195 (201); 32, 165 (174); BGH NStZ 1982, 287; Kindhäuser, LPK-StGB5, § 240 Rn. 16; Krey / Hellmann / Heinrich, BesT / 115, Rn. 374; Sinn, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 253 Rn. 14; Wessels /  Hettinger, BesT / 136, Rn. 404. 183  So zum (mit § 240 StGB identischen) Drohungsbegriff des § 253 StGB Mitsch, BesT 2 / 12, § 6, Rn. 22.



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die Inhalte der jeweiligen Nötigungsmittel – Gewalt und Drohung – zu erstrecken184. Auch ein für den Täter selbst in Aussicht gestelltes Übel kann damit als empfindlich bewertet werden, soweit die fragliche Einbuße nur auch für den Drohungsadressaten empfindlichen Charakter zu entfalten weiß185. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der durch einen Nachteil bedrohte Täter eine dem Drohungsadressaten nahe stehende Person ist186 oder aber der Drohungsadressat sich aus anderen Gründen Mitverantwortung für das Schicksal des Bedrohten zuschreiben wird, etwa weil er sich seiner möglichen Einflussnahme auf dessen Schicksal bewusst ist187 und insofern von Erlebens- wie Schuldängsten geplagt ist188. In diesem Sinne wird sich F etwa mitverantwortlich fühlen, den V durch eine von ihr nicht erwiderte Zuneigung in die Nähe des Todes zu treiben. bb) Das empfindliche Übel für den behandelnden Arzt eines potenziellen Suizidenten Demgegenüber muss man etwas weiter ausholen, will man der Frage nachgehen, inwiefern die in Aussicht gestellte Selbsttötung einer Schwangeren von dem sie behandelnden Arzt als empfindliches Übel wahrgenommen werden kann: Ist eine solche Drohung nach objektiver Beurteilung geeignet, ihn zum angedachten Nötigungserfolg (den Abbruch der Schwangerschaft) zu bestimmen, oder aber wird von einem Arzt erwartet, dass er jener Drohung seiner Patientin in besonnener Selbstbehauptung standhält?

zu § 253 StGB: Mitsch, BesT 2 / 12, § 6, Rn. 17; zu § 249 StGB: Sinn, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 249 Rn. 23. 185  Vgl. BGH NStZ 1982, 286; Mitsch, BesT 2 / 12, § 6, Rn. 24; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 404; krit. jedoch Träger / Altvater, in: Jähnke et al., LK‑StGB / 611, § 240 Rn. 95. Ebenso kann auch das für einen Dritten – für eine vom Drohungsadressaten wie vom Täter verschiedene Person – in Aussicht gestellte Übel empfindlich sein, soweit die Einbuße nur auch für den Drohungsadressaten empfindlichen Charakter zu entfalten weiß; s.  dazu Wessels / Hettinger, a. a. O., Rn. 404; zu § 240 StGB auch Krey / Hellmann / Heinrich, BesT / 115, Rn. 376; Kühl, StGB27, § 240 Rn. 15; Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 9, Rn. 52; zu § 253 StGB: BGHSt 16, 316 (318); BGH NStZ 1994, 31; Eser, Strafrecht IV4, 168, Fall-Nr. 16 m. Rn. A-37; Küper, Jura 1983, 206 (207); Mitsch, BesT 2 / 12, § 6, Rn. 23. 186  Vgl. Eser, Strafrecht IV4, 168, Fall-Nr. 16 m. Rn. A-37; Weber, in: Arzt et al., BesT2, § 9, Rn. 52 (für die Bedrohung Dritter). 187  Vgl. für die Bedrohung Dritter im Rahmen des § 253 StGB: Küper, Jura 1983, 206 (207); Mitsch, BesT 2 / 12, § 6, Rn. 24; Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 9, Rn. 52. 188  Vgl. zu § 253 StGB: Sinn, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 253 Rn. 14 a. E. 184  Vgl.

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(1) Das Anhalten zu einer Abwägung von Leben gegen Leben Für den Arzt gilt es zunächst, sich zwischen der in Aussicht gestellten Selbsttötung der Schwangeren, die eine Tötung des symbiotisch mit ihr verbundenen Ungeborenen einschließt, einerseits und einer Tötung des Ungeborenen durch seine Hand bei gleichzeitiger Rettung des Lebens der Schwangeren andererseits zu entscheiden: Verwehrte er sich der Forderung der Schwangeren, müsste er (wahrscheinlich) deren Tode wie auch den des Ungeborenen hinnehmen; gäbe er ihrem Verlangen nach, schützte er das Leben der Schwangeren und nur das Ungeborene würde (nunmehr mit Sicherheit) getötet. In einer Gegenüberstellung dieser beiden Handlungsoptionen mag man zunächst versucht sein, den Tod des Ungeborenen als unerheblich für die Entscheidung des Arztes zu saldieren. Dessen Tod nämlich scheint beiden Handlungsoptionen gemein, zwischen denen sich der Arzt zu entscheiden hat: Er ist Teil des in Aussicht gestellten Übels, d. h. – ob der symbiotischen Verbindung von Schwangerer und Ungeborenem – zwingende Folge des angedrohten Suizids, ebenso wie er Gegenstand des vom Arzt abverlangten Verhaltens, der Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs, ist. Eine Saldierung in dem Sinne, dass das Ungeborene verloren schiene, gleich wie der Arzt seine Entscheidung fällte, und sein Schicksal mithin die ärztliche Entscheidung nicht zu beeinflussen geeignet wäre, ließe jedoch die unterschiedlichen Gefährdungsgrade außer Acht, welche sich in den beiden Handlungsoptionen manifestieren. Denn ob der Suiziddrohung der Schwangeren scheint das Leben des Ungeborenen zunächst nur gefährdet. Wie hoch nun die Wahrscheinlichkeit auch sein mag, dass die Schwangere ihre ernst anmutende Drohung realisieren wird – zum Zeitpunkt der Drohung bleibt es eine bloße Gefahr und ob deren Prognosecharakters stets von einer gewissen Unsicherheit begleitet189. Demgegenüber würde das Ungeborene durch einen Schwangerschaftsabbruch, also durch das vom Arzt abverlangte Verhalten, mit Sicherheit getötet. Die Gefährdung zweier Leben ist der sicheren Tötung eines dieser Leben gegenüberzustellen, eine Saldierung des von beiden Handlungsalternativen betroffenen ungeborenen Lebens bereits ob der unterschiedlichen Gefährdungsgrade ausgeschlossen. Scheidet aber eine solche Saldierung aus, ist das ungeborene Leben also gerade nicht sowieso und in jedem Falle verloren, konfrontiert die Schwangere, die zur Abwendung ihrer Lebensgefährdung einen Abbruch der Schwangerschaft begehrt, ihren behandelnden Arzt damit, eine Abwägung zwischen zwei gefährdeten Leben zu treffen. Insofern deutete die verfas189  Zur Unsicherheit der Prognose in Sachverhalten zweier kollidierender Lebensrechte vgl. die Ausführungen von Küper, Pflichtenkollision, 62, zu dem „Bergsteigerfall“ verwandten Sachverhalten.



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sungsgerichtliche Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG, durch die jedenfalls das postnidative ungeborene Leben für gleichwertig zum geborenen Leben befunden worden ist, zunächst darauf hin, dass eine solche Abwägung keinem verhältnismäßigen Ausgleich zugeführt werden kann190. In der Folge könnte man ob der Kollision gleichwertiger Rechtsgüter, noch dazu unwägbarer Lebensrechte, meinen, dass ein Arzt dem entsprechenden Verlangen einer Schwangeren in „besonnener Selbstbehauptung“ stand zu halten hätte und dass die in Aussicht gestellte Selbsttötung für ihn kein empfindliches Übel darstellen dürfte, durch das er sich zu einem Abbruch bewegen ließe. Dieser erste Impuls sieht sich durch die Rechtsordnung aber sogleich wieder in Frage gestellt, die in den §§ 218a Abs. 2 StGB, 12 Abs. 2 SchKG in einfache Gesetzesform gegossen hat, welches Verhalten sie von einem „besonnenen“ Arzt erwartet, der mit einer ein Selbsttötungsvorhaben verlautbarenden Schwangeren konfrontiert wird. (2) Die Rechtfertigung des Arztes nach § 218a Abs. 2 StGB So hat der Strafgesetzgeber die Lebensgefahr für die Schwangere in § 218a Abs. 2 StGB ausdrücklich als Voraussetzung der medizinisch-sozialen Indikation und damit als einen die Tötung eines Ungeborenen rechtfertigenden Anlass anerkannt. Wenn dem Leben der Schwangeren durch die Schwangerschaft Gefahr droht, wird ihr zur Lebensrettung die Tötung des ungeborenen Lebens erlaubt und wird dem behandelnden Arzt die rechtmäßige Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs ermöglicht. Davon sind jedenfalls nach ganz herrschender Meinung auch solche Lebensgefahren erfasst, die der Kundgabe eines Selbsttötungswillens der Schwangeren entspringen191. § 218a Abs. 2 StGB manifestiert damit entgegen obigen Bedenken gegen eine quantitative wie qualitative Abwägung von Lebensinteressen, dass vom Arzt als „besonnener Person“ gerade nicht erwartet wird, dass er einer solchen Bedrohung des Lebens der Schwangeren standhält.

190  Siehe dazu oben Kap. 2, Seite  119 f. [Abschn.  1, C. II.] u. Seite  119–122 [Abschn.  1, C. III.]. 191  Stellv. für die h. M.: RGSt 61, 242 (257 f.); BGHSt 2, 111 (115); 3, 7 (9); Belling, Rechtfertigungsthese, 8; Dolderer, Spätabbruch, 153; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 28; ders., in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 150 (155); Fischer, StGB60, § 218a Rn. 20 u. 25; Gropp, in: Joecks / Miebach, MK‑StGB / 42, § 218a Rn. 43; ders., GA 2000, 1 (2); ders., in: Schumann, Konfliktlösungen, 19 (27); Hillenkamp, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 425 (434); Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 36; Kühl, StGB27, § 218a Rn. 12.

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(3) Die ärztlichen Pflichten nach §§ 12 Abs. 2 SchKG, 13 StGB Mehr aber noch nimmt der Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 SchKG solche Fälle vom Weigerungsrecht nach § 12 Abs. 1 SchKG aus, in denen die ärztliche Mitwirkung notwendig ist, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes abzuwenden. Während § 12 Abs. 1 SchKG eine allgemeine Verpflichtung des Arztes, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, also noch verneint, normiert § 12 Abs. 2 SchKG eine solche Verpflichtung für nicht anders abwendbare, akute Todesgefahren, zu denen nach h. M. wiederum auch die hier besprochenen Suizidgefahren gezählt werden192. Jedenfalls dann, wenn kein Ersatzarzt hinzugezogen werden könnte, müsste der Arzt dem so motivierten Verlangen nach Schwangerschaftsabbruch gar von Gesetzes wegen nachkommen193. Im Einklang mit dem so ausgelegten § 12 Abs. 2 SchKG wird auch die Reichweite der allgemeinen Garantenpflicht des Arztes gegenüber der Schwangeren bestimmt werden müssen, deren ärztliche Behandlung er übernommen hat194. Jenseits seiner konkreten Verpflichtung nach § 12 Abs. 2 SchKG wird ihm so durch § 13 StGB eine gegenüber der Allgemeinheit erhöhte Sorge um Leib und Leben seiner Patientin auferlegt, die ihn auch zu solchen Maßnahmen aus seinem ärztlichen Behandlungsangebot verpflichtet, die nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt sind, um ernsthafte Suizidgefährdungen von seiner Patientin abzuwenden: Sollte eine Schwangere ihre Selbsttötungsabsicht ob der Verweigerung eines Schwangerschaftsabbruchs realisieren, drohte dem Arzt gemäß den §§ 212, 222, 13 StGB mithin gar eine Strafbarkeit wegen (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Fremdtötung durch Unterlassen195. Jene Verpflichtung zur Vornahme eines Schwanger192  Vgl. Fischer, StGB60, § 218a Rn. 11, der ebda. als Anwendungsfall des § 12 Abs. 2 SchKG die „strenge medizinische Indikation“ nennt und selbige in Rn. 25 mit Gefahren für das Leben der Schwangeren gleichsetzt, die auch bei ernsthafter Selbstmordgefahr gegeben sind; ausdrückl. DGGG / AGMedR, AWMF-LL-Reg. 015 / 034, pdf-S. 3, die eine Weigerung bei der „akute[n], auch durch psychiatrische Behandlung nicht sicher beherrschbare[n] Suizidgefahr“ für grundsätzlich ausgeschlossen erkennen. 193  DGGG / AGMedR, AWMF-LL-Reg. 015 / 034, pdf-S. 3; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 11; Gitter / Wendling, in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 198 (203). 194  Zur Obhutsgarantenstellung aus Übernahme einer ärztlichen Behandlung s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 720. 195  Zur Strafbarkeit einer ärztlichen Weigerung in den Fällen des § 12 Abs. 2 SchKG s. DGGG / AGMedR, AWMF-LL-Reg. 015 / 034, pdf-S. 3; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 86; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 11; Gitter / Wendling, in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 198 (203); Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 179; Kröger, in: Jähnke et  al., LK‑StGB / 511, § 218a Rn. 78; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (381).



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schaftsabbruchs wird auch nicht etwa dadurch in Frage gestellt, dass der Arzt gemäß § 13 StGB auch dem ungeborenen Leben – nach herrschender Meinung ebenfalls aus tatsächlicher Schutzübernahme – verpflichtet ist196. Droht eine Schwangere für den Fall eines ausbleibenden Abbruchs mit Selbsttötung, scheinen diese beiden Garantenpflichten des Arztes, der gleichermaßen für das Leben der Schwangeren wie auch des Ungeborenen verantwortlich ist, zwar zunächst zu kollidieren. Tatsächlich aber wird die ärztliche Garantenstellung gegenüber dem ungeborenen Leben gemeinhin auf die Abwendung von „Natur-, also Gesundheitsrisiken“ beschränkt, sodass sie nicht die Abwehr solcher Gefahren erfasst, die aus dem Handeln Dritter einschließlich der Schwangeren selbst erwachsen und insofern jenseits der rein medizinischen Zuständigkeit des Arztes gelagert sind. Der Arzt ist beispielsweise nicht unter Strafandrohung der §§ 218, 13 StGB verpflichtet, den eindeutig rechtswidrigen Versuch eines Schwangerschaftsabbruchs zu verhindern; auch muss er die Schwangere zwar vor der Einnahme eines den Embryo bzw. Fetus bedrohenden Medikaments warnen, nicht jedoch gegen die entgegen seiner Warnung erfolgende Einnahme einschreiten197. Entsprechend wird er auch in den Fällen einer aus Suiziddrohung entspringenden Lebensgefahr der Schwangeren nicht mit zwei widerstreitenden – und im Wege der Pflichtenkollision zu entscheidenden198 – Garantenpflichten belastet, einerseits das Leben der Schwangeren durch Tötung des Ungeborenen zu retten, andererseits das ungeborene Leben vor seiner Tötung durch die Schwangere zu bewahren. Verpflichtet ist er hier nur zur Rettung des Lebens der Schwangeren, während sich die Bedrohung des Ungeborenen durch die mütterliche Drohung seiner Zuständigkeit entzieht. Insofern erfahren die ärztlichen Pflichten gegenüber der Schwangeren wie dem Ungeborenen bereits auf der Ebene des Tatbestandes eine Abgrenzung, die im Falle der Suiziddrohung zugunsten des Schutzes der Frau entschieden ist. Zugleich offenbart sich auch an dieser Stelle ein an den Arzt gerichteter gesetzlicher Wille, einer (ernst anmutenden) Suiziddrohung der Schwangeren als „besonnene“, den gesetzlichen Vorschriften unterworfene Person nachzugeben.

196  Zur ärztlichen Verpflichtung gegenüber dem ungeborenen Leben s. bereits oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.] m. Nw. in Fn. 24. 197  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (326 f.); vgl. in diesem Zusammenhang auch Kröger, in: Jähnke et  al., LK‑StGB / 511, § 218 Rn. 38, nach deren Ansicht der Wille der Frau die Grenze des Garantieverhältnisses markiert. 198  Zur rechtfertigenden Pflichtenkollision s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 735 f.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

b) Die Kausalität des Gesetzes statt der Suiziddrohung In einer Rechtsordnung, deren Einheit anzustreben ist199, müssen diese – sich in den §§ 218a Abs. 2 StGB, 12 Abs. 2 SchKG und 13 StGB manifestierenden – Wertungen in § 240 Abs. 1 StGB nun ihr Echo finden, sodass eine in Aussicht gestellte Selbsttötung der Schwangeren, deren Androhung wenigstens den Anschein der Ernstlichkeit erweckt, für den behandelnden Arzt auch ein empfindliches Übel im Sinne des Nötigungstatbestandes darstellen muss: Der potenzielle Tod seiner Patientin einschließlich seiner diesbezüglichen Haftung nach ärztlichem Standesrecht wie Strafgesetzbuch wiegt für ihn objektiv so schwer, dass man auch von einem anderen besonnenen, in seiner Situation befindlichen Rechtsgutsinhaber zu erwarten hätte, dass er der Forderung der Schwangeren nachkommt und die ernst anmutende Lebensgefahr durch Vornahme eines Abbruchs abzuwenden versucht. Jedoch wird der Wille eines Arztes, der sich in diesem Sinne zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs entschließt, nicht etwa durch die Suiziddrohung der Schwangeren gebeugt. Während die Drohung des V im Fall des erzwungenen Kusses fraglos kausal für den Nötigungserfolg wird, nämlich nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Kuss als Nötigungserfolg entfiele200, ist die ärztliche Entscheidung für die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs bereits durch die einschlägigen gesetz­ lichen Regelungen vorgezeichnet, sodass für einen von der Schwangeren auszuübenden Nötigungsdruck weder Veranlassung noch Raum besteht. Hält der Arzt es nämlich wenigstens für möglich, dass die Schwangere ihre Drohung verwirklichen wird, wird er nach ärztlicher Erkenntnis eine Gefahr für ihr Leben bejahen und damit die Voraussetzungen der in § 218a Abs. 2 StGB normierten Indikation verwirklicht sehen. Für diesen Fall aber erkennt das Gesetz in § 218a Abs. 2 StGB die Tötung des Ungeborenen als rechtmäßig an. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz erlegt dem Arzt in § 12 Abs. 2 gar ausdrücklich die Verpflichtung auf, an einem Abbruch zur Abwendung des Todes der Schwangeren mitzuwirken; damit korrespondiert gemäß § 13 StGB seine ärztliche Garantenpflicht, Suizidgefährdungen seiner Patientin durch medizinisch indizierte Maßnahmen abzuwenden201. Ob jener gesetzlichen Vorgaben kann nun nicht davon gesprochen werden, dass ein in Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften handelnder Arzt durch die Suiziddrohung der Schwangeren zur Durchführung des Abbruchs genötigt 199  Siehe

dazu Kap. 3, Seite  144–180 [Abschn.  2]. notwendigen Kausalität zwischen Nötigungshandlung und -erfolg s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 417; zur Def. der Kausalität s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 156 m. w. N. 201  Siehe dazu soeben Seite  373 [a) bb) (2)] u. 374 f. [a) bb) (3)]. 200  Zur



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würde. Deren Selbsttötungsdrohung wird einer ärztlichen Diagnose ihres gesundheitlichen Zustandes wie auch einer ärztlichen Prognose des weiteren Schwangerschaftsverlaufs vielmehr dergestalt als Grundlage dienen, dass der Arzt das Leben der Schwangeren als durch die Schwangerschaft gefährdet und einen Abbruch der Schwangerschaft mithin als indiziert erkennt. Damit aber beugt die Schwangere durch ihre Drohung nicht den Willen des Arztes, sondern erweitert vielmehr dessen Erkenntnisgrundlage, was ihre aktuelle und für den weiteren Verlauf der Schwangerschaft zu erwartende Befindlichkeit betrifft, und legt die Grundlagen seiner Entscheidung über einen zur Gefahrenabwehr angezeigten Schwangerschaftsabbruch. Es ist das Gesetz, das dem Arzt die von der Schwangeren angestrebte Entscheidung über den Abbruch vorgibt, nicht ihre Drohung, die seine Entscheidung erzwingt. c) Conclusio Wenn nach vorliegender Ansicht damit eine Willensbeugung des Arztes durch die Suiziddrohung der Schwangeren ob der vorrangigen Bestimmung seines Willens durch das Gesetz zu verneinen ist, ist die vorgestellte Fallkonstellation zutreffend nicht als Nötigung des Arztes, sondern als Herbeiführung der Voraussetzungen einer Indikationenlage zu diskutieren. Anders als V geht es der Schwangeren nicht darum, einem Anderen ihren Willen aufzuzwingen, sondern darum, die Voraussetzungen jener gesetzlichen Vorschriften herbeizuführen, die ein ihrem Willen entsprechendes Verhalten des Anderen (des Arztes) rechtfertigen und – auch ob jener Rechtfertigung – steuern. Die Schwangere nötigt nicht, sondern führt durch die Kundgabe ihres Selbsttötungsvorhabens eine Situation herbei, die nach ärztlicher Erkenntnis Veranlassung bietet, ihr Leben als durch die Schwangerschaft gefährdet anzusehen, sodass ein Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218a Abs. 2 StGB medizinisch indiziert und rechtmäßig ist und sich der Arzt gemäß § 12 Abs. 2 SchKG wie auch nach seiner allgemeinen Garantenpflicht (§ 13 StGB) zur Durchführung des Abbruchs verpflichtet sehen wird. Doch nicht nur eine Nötigung, auch eine solche Herbeiführung der objektiven Voraussetzungen einer rechtfertigenden Lage erwartete man auf der Ebene der Rechtfertigung berücksichtigt zu sehen, wie diejenigen Grundsätze veranschaulichen, die zu Sachverhalten einer absichtlich (Notwehrprovokation) oder sonst vorwerfbar verursachten Notwehrlage wie auch zur schuldhaften Herbeiführung einer Notstandslage entwickelt worden sind und die es gebieten, eben jene Herbeiführung innerhalb von Gebotenheit (§ 32 Abs. 1 StGB), Interessenabwägung (§ 34 S. 1 StGB) oder Angemessenheit (§ 34 S. 2 StGB) zu berücksichtigen.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB 2. Die absichtlich herbeigeführte Indikationenlage („Indikationenprovokation“)

Mit der Bezeichnung von der absichtlich herbeigeführten Indikationen­ lage oder „Indikationenprovokation“ sei dabei der – wohl eher theoretisch konstruierte denn praktisch relevante – Fall umschrieben, in dem die Schwangere allein deshalb ein Selbsttötungsvorhaben kundtut, um sich einen ob der Bejahung einer medizinisch-sozialen Indikation gerechtfertigten Abbruch zu ermöglichen. Die Bezeichnung jener Fallkonstellation als absichtlich herbeigeführte Indikationenlage oder „Indikationenprovokation“ lehnt an den Begriff der sog. „Notwehrprovokation“ an, der die absichtliche Provokation eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs i. S. d. § 32 StGB umschreibt, mit welcher der Provokateur den Zweck verfolgt, „unter dem Deckmantel“ der Rechtfertigung etwa eine Körperverletzung straflos begehen zu können202. Entsprechend kann von einer „Notstandsprovokation“ gesprochen werden, wenn ein Täter absichtlich eine Notstandslage i. S. d. § 34 StGB herbeiführt, um in vorausgesehener Gefahrenabwehr die intendierte Rechtsgutsverletzung rechtmäßig begehen zu können203. In diesem Sinne sollen nun zunächst solche Sachverhalte einer Suiziddrohung der Schwangeren Erörterung finden, in denen sich die Zielsetzung ihres Verhaltens – der Kundgabe ihres Suizidwillens – darauf beschränkt, eine rechtfertigende Indikationenlage herbeizuführen, d. h. eine Situation, in der das ungeborene Leben rechtmäßig getötet werden darf und in der sich der angesprochene Arzt – auch in Wahrnehmung seiner in § 12 Abs. 2 SchKG normierten Pflicht wie § 13 StGB entnommenen Garantenpflicht – bereit erklären wird, diesen nach § 218a Abs. 2 StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. An die Stelle des von Merkel behaupteten Nötigungsdruckes träte so das Bemühen der Schwangeren, ihren behandelnden Arzt durch die gezielte Kundgabe einer Suizid- und mithin Lebensgefährdung vom Vorliegen der objektiven Voraussetzungen einer medizinischsozialen Indikation zu überzeugen, sodass sie unter deren „Deckmantel“ rechtmäßig einen Abbruch ihrer Schwangerschaft würde durchführen lassen können. Die Rücksichtnahme des Gesetzes auf schicksalhafte Konfliktlagen einer Schwangeren suchte sie so zu ihrem Vorteil auszunutzen.

202  Zur Def. jener Notwehrprovokation siehe u. vorstehendes Zitat aus Engländer, Jura 2001, 534 (534); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 346 f. 203  Vgl. die Berücksichtigung der verschuldeten Notstandslage in der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB oder alternativ durch eine a. i. i. c.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 312 m. w. N.



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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a) Die offenen Einbruchsstellen zur Berücksichtigung eines Rechtsmissbrauchs Fälle der Notwehrprovokation werden von der herrschenden Meinung nun nach dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs entschieden: Wer gezielt die Voraussetzungen einer objektiv rechtfertigenden Lage herbeiführt, einzig und allein um unter deren „Deckmantel“ rechtmäßig einen Tatbestand verwirklichen zu können, missbrauche das Recht, sei Täter statt Opfer und mithin nicht schutzwürdig204. Unterschiedlich versagen Vertreter des Rechtsmissbrauchsgedankens dem Provokateur der Gefahr dabei die Berufung auf ein an sich gegebenes Notwehrrecht oder aber nehmen den Rechtsmissbrauch zum Grund, bereits die Merkmale des in § 32 StGB normierten Erlaubnistatbestandes – etwa die Gebotenheit i. S. d. § 32 Abs. 1 StGB – zu verneinen205. Entsprechend wird auch die Berücksichtigung des Gefahrenursprungs innerhalb des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes zu dem Ergebnis führen müssen, dass die Notstandshandlung eines Provokateurs nicht angemessen i. S. d. § 34 S. 2 StGB ist oder aber bereits die Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB nicht zu bestehen weiß206. Demgegenüber trifft § 218a Abs. 2 StGB unter Verzicht auf eine konkretindividuell offene Interessenabwägung und ein der Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB entsprechendes Regulativ keine Vorkehrungen, um im Einzelfall das Fehlen einer Schutzwürdigkeit des Täters berücksichtigen zu können. Dies muss noch nicht heißen, dass die Rechtsordnung einen Missbrauch der durch § 218a Abs. 2 StGB gewährten Rechtfertigung nicht zu berücksichtigen wüsste: Insofern zeigen bereits diejenigen Ansichten, die dem Notwehrprovokateur die Berufung auf ein „an sich“ gegebenes Notwehrrecht versagen207, dass es nicht zwingend der Subsumtion unter ein gesetzliches Merkmal bedarf, um rechtsmissbräuchliches Verhalten berücksichtigen zu können. Ebenso verwehren die Grundsätze der actio libera in causa nach dem sog. Ausnahmemodell die Berufung auf § 20 StGB, gleichwohl der Wortlaut des § 20 StGB hierfür gerade keine Einbruchsstellen 204  Zum Rechtsmissbrauch in Fällen der Notwehrprovokation s. etwa Erb, in: Joecks / Miebach, MK‑StGB / 12, § 32 Rn. 226; Krey / Esser, AT5, Rn. 553–557; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 55; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 347 m. w. N. Siehe dazu auch die Nw. bei Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 2.  Pr., 15 (18–20). 205  Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 2.  Pr., 15 (20); krit. Engländer, Nothilfe, 318 f.; Erb, in: Joecks / Miebach, MK‑StGB / 12, § 32 Rn. 227. Zur Lokalisierung des Verbots des Rechtsmissbrauchs im normativen Merkmal des „Gebotenseins“ der Verteidigungshandlung i. S. d. § 32 Abs. 1 s. Fahl, Jura 2007, 743 (745 f.); Krey / Esser, AT5, Rn. 555; Roxin, AT / I4, § 15, Rn. 59; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 347 m. w. N. 206  Zur Berücksichtigung der verschuldeten Notstandslage in der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB vgl. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 312 m. w. N. 207  Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 2.  Pr., 15 (20).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

vorsieht208, und manifestiert sich etwa in den umstrittenen Grundsätzen der actio illicita in causa209 – ebenso wie in einer alternativen dogmatischen Begründung der actio libera in causa im Wege der Vorverlegungstheorie210 – ein mögliches „Schlupfloch“, den Strafvorwurf nicht an die gemäß § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigten Abbruchsmaßnahmen, sondern an das seinerseits nicht dem § 218a Abs. 2 StGB unterworfene Vorverhalten der Schwangeren anzuknüpfen. Selbst wenn eine Subsumtion unter die rechtfertigenden Merkmale einer Erlaubnisnorm mithin ergeben sollte, dass auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten von deren rechtfertigender Wirkung profitiert, kannte die Rechtsordnung verschiedene – wenn auch angreifbare211 – „Kniffe“, um demjenigen Täter eine „an sich“ bestehende Rechtfertigung zu versagen, der die Rücksichtnahme des Gesetzes gezielt zu seinem Vorteil auszunutzen versuchte und sich ob dessen als nicht schutzwürdig präsentierte. Was nun aber den „strategisch“ mit Suizid drohenden Täter betrifft, wird es eines solchen „Kniffes“ gar nicht erst bedürfen – in diesem Sinne werden die folgenden Ausführungen nämlich darlegen, wie der „strategische“ Charakter einer solchen Drohung bereits das Gefahrenmerkmal einer Erlaubnisnorm in Frage stellt, noch bevor man die herkömmlichen Einbruchsstellen zur Berücksichtigung eines Rechtsmissbrauchs überhaupt bemühen müsste. b) Die „strategische“ Suiziddrohung: Das Gefahrenmerkmal als versteckte Einbruchsstelle Ähnlich – wenngleich unter paralleler Berufung auf einen postulierten Nötigungsdruck – hat bereits Merkel in seinem Beispielsfall, in dem V einen Kuss der F zu erzwingen sucht, weder Interessenabwägung (S. 1) noch 208  Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 13.  Pr., 93 (98 f.) m. w. N.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 415 m. w. N. 209  Zur a. i. i. c. in Sachverhalten der vorwerfbar herbeigeführten Notwehr- oder Notstandslage s. Engländer, Jura 2001, 534 (536); Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 15 (18); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 312 u. 350 m. w. N. 210  Siehe dazu Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 13.  Pr., 93 (94) m. w. N. 211  Zum umstrittenen Verbot der Einschränkung eines nach der Ratio des Gesetzes zu weit gefassten Rechtfertigungsgrundes (teleologische Reduktion) gemäß Art. 103 Abs. 2 GG s. die Nachweise bei Rudolphi, in: Wolter, SK‑StGB / I137, § 1 Rn. 25a; krit. zum Ausnahmemodell einer actio libera in causa (a. l. i. c.) die Nw. bei Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 13.  Pr., 93 (99 f.); ablehnend zur a. i. i. c. BGH NJW 1983, 2267 a. E.; NStZ 1988, 450 (451); Roxin, AT / I4, § 15, Rn. 68 m. w. N. in Fn. 154, u. ebda., § 16, Rn. 64; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 312 u. 350 m. w. N.; vgl. aber auch BGH NJW 2001, 1075, insoweit das Gericht ein rechtswidriges Vorverhalten zur Tathandlung eines fahrlässigen Tötungsdelikts erhob und die von der Rechtsprechung abgelehnte Rechtsfigur der a. i. i. c. so zwar nicht ausdrücklich bemühen musste, gleichwohl aber ein ihrer Anwendung entsprechendes Ergebnis formulieren konnte; krit. dazu Engländer, Jura 2001, 534 (536 f.).



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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Angemessenheitsklausel (S. 2) des § 34 StGB bemüht, um einen allgemeinen rechtfertigenden Notstand zu verneinen, sondern hat bereits dessen Gefahrenmerkmal durch die Selbsttötungsdrohung einer zurechnungsfähigen Person nicht verwirklicht gesehen: „eine solche Gefahr sei allein dadurch abwendbar, dass er [V] sich nicht das Leben nehme“212. Für denjenigen Sachverhalt, in dem die Suiziddrohung des V „strategisch“ geprägt sein sollte, d. h. einzig und allein dem Zweck diente, den Nötigungserfolg herbeizuführen, wäre dies nun zutreffend formuliert. Geleitet von seinem zielgerichteten Erfolgswillen, F zu einer Zärtlichkeit zu bewegen, erkannte V den psychischen Druck einer Suiziddrohung als geeignetes Mittel an, den Willen der F in seinem Sinne zu beugen, und beschlösse, sich eben dieses Nötigungsmittels zu bedienen, um die von ihm erstrebte Verhaltensänderung der F herbeizuführen. Einer solchen „strategischen“ Verwendung der Suiziddrohung als Nötigungsmittel müsste es nun zwingend an Ernsthaftigkeit und einer etwaigen Notstandslage an einer realen Gefahr mangeln: Wer mit einer Suiziddrohung einzig und allein den Zweck verfolgt, dass die Motivation für dieselbe (das Unterbleiben des ersehnten Kusses) „beseitigt“ wird, will mit der Beseitigung des Suizidmotivs auch das Entfallen des Suizids selbst. Die Ankündigung des Selbsttötungsvorhabens soll der Willensbeugung dienen, ob der allein intendierten Willensbeugung aber nie in die Tat umgesetzt werden. Eine „strategisch“ ausgesprochene Suiziddrohung zeugte so nicht nur von einer uneingeschränkten physischen wie psychischen Verhinderungsmöglichkeit des V, sodass es an dem für eine Gefahr wesenstypischen Kontrollverlust des Gefährdeten mangelte; sie zeugte überdies von dessen Verhinderungswillen. Jenes Sonderwissen des Notstandstäters V müsste nun auch dem objektiven, sachkundigen Betrachter zugeschrieben werden, aus dessen ex ante zu bestimmender Perspektive sich das Gefahrenmerkmal eines allgemeinen rechtfertigenden Notstandes beurteilt213: ein mit umfassender Verhinderungsmöglichkeit und -willen nur verlautbartes Selbsttötungsvorhaben wird so stets nur eine Gefahr vortäuschen, niemals aber einer realen Gefahr Ausdruck verleihen können. Gleich einer solchen „strategischen“ Nötigung des V wird nun auch eine Schwangere in Fällen der „Indikationenprovokation“ keine ernsthafte Suiziddrohung aussprechen und sich in der Folge auch nicht auf eine Lebensgefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB berufen können. Zwar geht es ihr – anders als V und anders, als von Merkel fälschlich angenommen – nicht darum, 212  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (363); [Klammerzusatz] nicht im Original. 213  Zur Gefahrenprognose im Rahmen des § 34 StGB s. Jescheck / Weigend, AT5, 361; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 304; Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 34 Rn. 27 u. 29; zu einer Diff. von Ex-ante- und Ex‑post-Perspektive s. aber auch Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 13.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

den Willen des von ihr angesprochenen Arztes zu beugen und ihn mithin zu nötigen. Was sie aber mit V verbindet, ist ihre Zielsetzung, ihr Gegenüber über das Bestehen einer Lebensgefahr zu täuschen und dessen Willen durch den so herbeigeführten Irrtum zu manipulieren, nämlich in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken. Während Notwehr- wie Notstandsprovokateur herkömmlicherweise noch bereit sind, den provozierten Angriff bzw. die provozierte Gefahr hinzunehmen, um sich die jeweils angestrebte rechtmäßige Gegenwehr bzw. Gefahrenabwehr zu ermöglichen, ist es ausgeschlossen, dass eine Schwangere einerseits ernsthaft mit Suizid droht und andererseits mit jener Drohung den Zweck verfolgt, sich einen rechtmäßigen Abbruch zu ermöglichen. Eine Schwangere, deren Suiziddrohung von dem zielgerichteten Erfolgswillen geleitet ist, eine den erwünschten Abbruch rechtfertigende Lebensgefahr und Indikationenlage zu schaffen, wird stattdessen davon ausgehen, dass ihr der Abbruch ermöglicht wird, bevor sie ihre Suiziddrohung wahr machen muss. Die zum Zweck der Herbeiführung einer nach § 218a Abs. 2 StGB rechtfertigenden Lage absichtlich ausgesprochene Suiziddrohung soll mithin zwar den Anschein der Ernstlichkeit erwecken, kann unter Berücksichtigung dieses Sonderwissens der Schwangeren aber stets nur eine vorgetäuschte, niemals eine ernsthafte Gefahr sein, welche der Schwangeren die Berufung auf die rechtfertigende Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB erlaubte. Klarstellend muss dabei noch bemerkt werden, dass in Fällen „strategischer“ Suiziddrohung nur der Schwangeren, nicht aber dem Arzt die Berufung auf eine Lebensgefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB versagt werden kann, solange die fehlende Ernstlichkeit der kundgegebenen Selbsttötungsabsicht nur nicht erkennbar nach außen hervortritt. Insofern bestimmt § 218a Abs. 2 StGB, dass sich das Vorliegen der Indikation „nach ärztlicher Erkenntnis“ bestimmt, und wird diese ärztliche Erkenntnis als das ex ante zu bestimmende Urteil eines sachkundigen und sorgfältigen Arztes auf der Grundlage der arztrechtlichen Standards präzisiert214. Bliebe einem solchen ex ante zu bestimmenden Urteil eines sachkundigen und sorgfältigen Arztes die Täuschung der Schwangeren nun verborgen, müsste zu seinen Gunsten auch eine Lebensgefährdung i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB bejaht werden. Hier schlägt sich nieder, dass Schwangere und Arzt zwei zu unterscheidende Mittäter sind, von denen die Schwangere zur Lösung eines (angeblichen) eigenen notstandsähnlichen Konflikts handelt, während ihr der Arzt Hilfe in einem notstandsähnlichen Konflikt leistet. Das Sonderwissen der Schwangeren über die Vortäuschung einer Lebensgefahr unterliegt nun nicht der wechselseitigen Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB und kann dem Arzt dazu etwa Fischer, StGB60, § 218a Rn. 19; Kühl, StGB27, § 218a Rn. 10; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (370). 214  Siehe



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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nicht angelastet werden215. Die Berufung auf eine Lebensgefahr und rechtfertigende Indikation bleibt stattdessen folgerichtig nur einer rechtsmissbräuchlich handelnden Schwangeren, nicht aber dem von ihr getäuschten Arzt verwehrt. 3. Die sonst vorwerfbar herbeigeführte Indikationenlage

Wenigstens für Sachverhalte der „strategischen“ Suiziddrohung präsentiert sich das Gefahrenmerkmal des § 218a Abs. 2 StGB mithin als eine versteckte Einbruchsstelle, die es dem Rechtsanwender ermöglicht, ein rechtsmissbräuchliches Verhalten innerhalb einer Erlaubnisnorm zu berücksichtigen. Der Mangel an offenen Einbruchsstellen, wie sie § 34 StGB mit seiner konkret-individuell offenen Interessenabwägung ebenso wie mit seiner Angemessenheitsklausel verwirklicht, ist der Rechtsfindung an dieser Stelle also nicht abträglich; auch eine teleologische Reduktion des § 218a Abs. 2 StGB ist – ebenso wie eine etwaige Vorverlegung der für den Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB maßgeblichen Tathandlung – obsolet. Jedoch ist die damit besprochene Fallkonstellation von der „Indikationenprovoka­ tion“ das Produkt einer eher theoretischen Konstruktion – praktische Relevanz wird demgegenüber erst die Diskussion von Sachverhalten einer sonst vorwerfbar herbeigeführten Indikationenlage beanspruchen können, in denen die Suiziddrohung einer Schwangeren nicht „strategisch“, sondern ernsthaft geprägt ist. a) Eine ernsthafte Suiziddrohung und Lebensgefahr Entsprechend präsentierte sich die Suiziddrohung des V in dem von Merkel zu § 34 StGB entwickelten Beispielsfall dann als ernsthaft, wenn er seinen Lebenswillen von der Erfahrung eines Kusses der F abhängig machte: Nur die Zärtlichkeit seiner Angebeteten ließe V das Leben lebenswert erscheinen und ließe ihn weiter leben wollen; an dieser Einsicht eines Sinnverlustes richtete V sein Handeln aus, wenn er sich bei Ausbleiben der ersehnten Zärtlichkeit das Leben nehmen will. Auch hier mag V mit zielgerichtetem Erfolgswillen handeln; jedoch bleibt der Zweck seiner Suiziddrohung jedenfalls nicht ausschließlich auf die Herbeiführung des Nötigungserfolgs beschränkt, sondern entspringt einer subjektiven Alternativlosigkeit 215  Zur mittäterschaftlichen Begehung eines Schwangerschaftsabbruchs durch die Schwangere und ihren behandelnden Arzt s. bereits oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.]. Zur Zurechnung objektiver Tatbeiträge, nicht aber subjektiven Sonderwissens nach § 25 Abs. 2 StGB s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 526 u. 530–532, u. vgl. ebda. insb. Rn. 530.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

seiner Lage, von der er sich bei Nichterfüllung seiner Sehnsucht ob des ernsthaft empfundenen Sinnverlustes in den Suizid leiten lassen will. Den angestrebten Nötigungserfolg erleben oder sterben – wer für solche Fallkonstellationen eine Lebensgefahr unter Hinweis darauf verneinte, dass es der potenzielle Suizident ja selbst in der Hand habe, ob er sich das Leben nehme oder nicht216, verkannte den psychischen Druck, unter dem der potenzielle Suizident steht (ohne dass dieser Druck die von Merkel unterstellte Zurechnungsfähigkeit des V in Frage stellen müsste217) und durch den zwar nicht seine physische, wohl aber seine psychische Verhinderungsmöglichkeit eine Einschränkung erfährt. Das Leben des potenziellen Suizidenten erscheint in jener Konstellation durch seine eigene Hand nicht minder gefährdet als drohte ihm ein Angriff durch fremde Hand. Dasselbe muss auch für eine ernsthafte Suiziddrohung der Schwangeren gelten, die nicht allein mit der Zielsetzung ausgesprochen wird, die objektiven Voraussetzungen einer rechtfertigenden Indikationenlage herbeizuführen, um sich so die rechtmäßige Durchführung eines Abbruchs zu ermög­ lichen. Hierzu stelle man sich diejenige Fallkonstellation vor, in der die Schwangere ob der Schwangerschaft – etwa ob einer pränataldiagnostisch festgestellten Auffälligkeit des Ungeborenen – so weitgehende Ängste entwickelt, dass sie die Neigung manifestiert, den mit der Schwangerschaft einhergehenden physischen wie psychischen Belastungen unbedingt, auch im Wege des Suizids, ein Ende setzen zu wollen. In ihrer ernst gemeinten, nicht zur Erreichung anderer Zwecke instrumentalisierten Suiziddrohung manifestierte sich nicht nur kein Nötigungsdruck218, sondern nach dem ex ante zu bestimmenden Urteil eines objektiven Betrachters auch eine reale Gefahr für das Leben der Schwangeren und angehenden Suizidentin, die insbesondere nicht durch ein Sonderwissen von einer rechtsmissbräuchlichen Täuschung in Frage gestellt wird219. Insofern täuschte sie keine Gefahr vor, sondern ließe sich von einer empfundenen Alternativlosigkeit ihrer Lage leiten, die bei Fortsetzung der Schwangerschaft nach ihrer Einschätaber Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (363). ein psychischer Druck, der zur Selbsttötung führt, nicht zwangsläufig auf eine Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit schließen lässt, folgt bereits aus der Anerkennung eines eigenverantwortlichen Selbsttötungsentschlusses; zu den Voraussetzungen einer diesbzgl. Eigenverantwortlichkeit s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 48. 218  Zum fehlenden Nötigungsdruck einer Schwangeren, die mit Suizid droht, um einen Schwangerschaftsabbruch durch ihren behandelnden Arzt zu erwirken, s. oben Seite  369–377 [1.] u. ebda. v. a. Seite  376 f. [1. b)]. 219  Zur Vortäuschung einer Lebensgefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB, wenn die Suiziddrohung der Schwangeren von der Absicht zur Herbeiführung der Indikationenlage begleitet ist, s. soeben Seite  380 f. [2. b)]. 216  So

217  Dass



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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zung in einem Suizid münden muss. Nur ihre physische, nicht aber ihre psychische Verhinderungsmöglichkeit besteht so ohne Einschränkungen fort: Denn erlebt eine Frau die Belastungen der Schwangerschaft als so gravierend, dass sie diesem Zustand gleich auf welche Weise und sei es durch den Suizid entkommen will, wiegen jene Belastungen psychisch zu schwer, als dass sie auf das Suizidvorhaben so ohne Weiteres verzichten könnte220. Die Ernsthaftigkeit dieser Belastungen erkennt auch Merkel an, der zwar nicht das Merkmal der Lebensgefahr, wohl aber das Merkmal der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes bejahen will221. Im Ergebnis gelangt so auch er für diese Konstellation zur Bejahung einer medizinisch-sozialen Indikationenlage, verfehlt es in seiner Begründung jedoch, die Qualität der Gefahr zum Ausdruck zu bringen: eine Absicht zur Selbsttötung mag aus Beeinträchtigungen des seelischen Gesundheitszustandes entspringen und mithin ihre Ursache in jenen finden – eskaliert das Erleben dieser Beeinträchtigung jedoch in der Absicht zur Selbsttötung, wird dadurch eine Gefahr begründet, die über die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes hinausreicht. Hier ist nicht mehr nur quasi als Durchgangsstadium der Gesundheitszustand, sondern das Leben selbst gefährdet. Entsprechend – wohl unter Bezugnahme auf diesen praktisch relevanten Fall der ernsthaften Suiziddrohung, die nur sonst vorwerfbar eine Indika­ tionenlage herbeiführt, und unter Ausklammerung des eher theoretisch konstruierten Falls der „strategischen“ Suiziddrohung, die absichtlich eine Indikationenlage herbeizuführen sucht222 – erkennt die herrschende Meinung die Gefahr eines drohenden Suizids durch die Schwangere als Lebensgefahr an, die gemäß § 218a Abs. 2 StGB eine medizinisch-soziale Indikation begründet223.

Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (363). in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (364); hierauf referiert auch Hillenkamp, in: Weilert, Spätabbruch, 29 (46). 222  Vgl. aus der Rechtsprechung BGHSt 2, 111 (115), sofern das Gericht festhält, dass „nicht schon jede Äußerung von Selbstmordgedanken als eine durch die Schwangerschaft hervorgerufene ernstliche Gefahr der Selbstentleibung angesehen werden“ kann; Hervorhebung nicht im Original. Entsprechend aus der Literatur: Eser, in: ders. / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 150 (155), nach dem „jeweils im Einzelfall zu prüfen“ ist, inwieweit die Suiziddrohung „auf einer ernstzunehmenden Entschlossenheit oder Verzweiflung beruht“ (Hervorhebung nicht im Orig.); ähnl. ders., in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 28; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 25. 223  Siehe dazu bereits oben Seite  369 [1. vor a)] m. Fn. 178 u. Seite  373 [1. a) bb) (2)] m. Fn. 191. 220  Anders

221  Merkel,

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

b) Die fehlende Abwägungsrelevanz einer ernsthaften Suiziddrohung Ob man durch eine ernsthafte Suiziddrohung der Schwangeren nun aber eine Lebensgefahr oder nur die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes verwirklicht sehen möchte – die Rechtfertigung einer Ungeborenentötung, die in nur sonst vorwerfbar herbeigeführter Indikationenlage erfolgt, kann jedenfalls durch das Gefahrenmerkmal des § 218a Abs. 2 StGB nicht zu Fall gebracht werden. Insofern schließt sich die Fragestellung an, ob die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB durch die ernsthafte Suiziddrohung einer Schwangeren vorwerfbar herbeigeführt wird, sodass man erwartete, dass der medizinisch-soziale Indikationentatbestand Vorkehrungen träfe, um eine solche vorwerfbare Herbeiführung seiner objektiven Voraussetzungen berücksichtigen zu können. Eine entsprechende Erwartung formt die vergleichende Gegenüberstellung mit dem allgemeinen rechtfertigenden Notstand, innerhalb dessen Interessenabwägung (§ 34 S. 1 StGB) der Ursprung der Gefahr – und mit ihm die sonst vorwerfbare Herbeiführung einer Notstandslage – Berücksichtigung finden kann. Denn wie bereits zur Abwägungsrelevanz einer allgemeinen Gefahrenverursachung durch willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr festgehalten worden ist, herrscht Einigkeit darüber, den Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB in der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB zur Geltung zu bringen, nach dem eine vorwerfbare Gefahrenverursachung durch den Täter die Zumutbarkeit der Gefahrenhinnahme und mithin des Tatverzichts implizieren kann224. Wenn etwa im obigen Beispielsfall des einen Kuss erzwingenden V das Rang- und Wertverhältnis der kollidierenden Rechtsgüter – des Lebens des V einerseits und der sexuellen Selbstbestimmung der F andererseits – zunächst auch eindeutig für ein wesentliches Überwiegen des Lebensinteresses zu streiten scheint, könnte die Entscheidung der fraglichen Interessenabwägung durch einen Gefahrverursachungsbeitrag des V doch noch – entsprechend dem Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB – zu seinen Lasten verschoben werden. Ebenso erwartete man, dass es sich für eine den Schwangerschaftsabbruch begehrende Frau nachteilig auswirken müsste, wenn sie die von ihr proklamierte Lebensgefährdung vorwerfbar selbst herbeigeführt hätte. Wenn vorliegend nun davon gesprochen wird, dass eine Schwangere mit ihrer Suiziddrohung eine medizinisch-soziale Indikationenlage herbeiführt, scheint dies zunächst tatsächlich zu implizieren, dass sie damit auch einen Beitrag zur Entstehung einer den Abbruch legitimierenden Lebensgefahr 224  Siehe dazu bereits oben Seite  349 f. [I. 3. a)]. Zur Bezeichnung der Referenzfälle des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB als „allgemeingültige Verhaltenspflichten“ s. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 108.



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

387

leistete und ihr so gestalteter Gefahrverursachungsbeitrag in der Interessenabwägung einer Erlaubnisnorm Berücksichtigung finden müsste225. Dieser erste Eindruck sieht sich jedoch alsbald dem Einwand ausgesetzt, dass die Kundgabe eines Selbsttötungsvorhabens eine Lebensgefährdung nicht erst begründet, sondern lediglich – als bereits gegeben – in Worte fasst. Veränderungen in ihrer gegenwärtigen und künftigen Lebenssituation, die nicht zuletzt auf die Erfahrung der Schwangerschaft zurückgeführt werden können, lassen im Zusammenwirken mit der psychischen und auch körperlichen Disposition der jeweiligen Schwangeren eine wenigstens empfundene Belastung entstehen, die die Schwangere nicht mehr meint tragen zu können und aus der heraus sie für sich nur noch zwei Handlungsalternativen erkennt: den Schwangerschaftsabbruch oder aber die Selbsttötung. Es wäre verkürzt, wollte man die Ursache der Lebensgefährdung in ihrer Verlautbarung eines Selbsttötungsvorhabens ansiedeln, gleichwohl sich in jener nur derjenige psychische Druck verbal manifestierte, der sich in einer Schwangeren bereits zuvor entwickelt hat; dasselbe wird für V gelten müssen, der einen bereits entstandenen Drang nach seiner Angebeteten F nur in Worte fasst, als er in einer subjektiven Alternativlosigkeit eskaliert, in der ihm aus seiner Sicht bei Ausbleiben des Kusses nur der Suizid verbleibt. Der Kausalzusammenhang ist somit tatsächlich umgekehrt angelegt: nicht erst die Verlautbarung eines Selbsttötungsvorhabens führt zu einer Lebensgefährdung, sondern eine bereits zur Entstehung gelangte Lebensgefahr wird ursächlich für ihre Verbalisierung226. Fragt man nach den eigentlichen Ursachen der Lebensgefährdung, werden sie sich in aller Regel auf ein Bündel verschiedener Faktoren aus den Lebensumständen wie der Disposition des potenziellen Suizidenten zurückführen lassen. Als solche bleiben sie dem objektiven Betrachter (ja womöglich auch dem potenziellen Suizidenten selbst) weitgehend verborgen und muss eine etwaige Verantwortlichkeit des potenziellen Suizidenten für die eigene Lebensgefährdung ausscheiden oder entzieht sich wenigstens des notwendigen Nachweises eines objektiv zurechenbaren Kausalzusammenhangs. Selbst wenn man dem aber nicht folgen wollte und die ernsthafte Suiziddrohung der Schwangeren als Ursache der Lebensgefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB erkennen wollte, hätte man doch weiter zu berücksichtigen, dass nach allgemeinen Grundsätzen nicht bereits irgendeiner, sondern erst der vorwerfbaren – „sozialethisch missbilligenswerten“ – Herbeiführung die 225  Zur Abwägungsrelevanz einer objektiv zurechenbaren Herbeiführung des Gefahreneintritts s. eingehend oben Seite  348–367 [I. 3.]. 226  Vgl. auch oben Seite  383 f. [a)] zum durch eine ernsthafte Suiziddrohung verwirklichten Gefahrenmerkmal, demnach es der potenzielle Suizident gerade nicht selbst in der Hand hat, ob er sich das Leben nimmt oder nicht; andere Beurteilung aber bei Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (363).

388

Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Kraft zukommt, die Abwehrrechte des Täters einzuschränken. Vorwerfbar wäre in Anlehnung an die Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB ein pflichtwidriges Vorverhalten oder wenigstens eine Obliegenheitsverletzung der Schwangeren in dem Sinne, dass ihr das Gesetz die Kundgabe eines Selbsttötungsvorhabens zwar nicht untersagte, aber an dessen Verlautbarung sonstige Rechtsnachteile knüpfte227. Mit ihrer Suiziddrohung verstieße die Schwangere – ebenso wie V – nun nicht gegen eine Pflicht, die eigene Tötung zu unterlassen: Eine solche Pflicht formuliert das Gesetz nicht, das selbst die Verwirklichung (statt nur Androhung) eines Suizidvorhabens – vorbehaltlich seiner Eigenverantwortlichkeit – keinem Straftatbestand unterwirft, sondern der allgemeinen Handlungsfreiheit des Einzelnen überantwortet228. Entsprechend verpflichtet eine solche eigenverantwort­liche Suiziddrohung keinen Garanten dazu, die angekündigte Selbsttötung gemäß § 13 StGB zu verhindern229, und muss der potenzielle Suizident richtiger Ansicht nach auch keine Eingriffe in seine Rechtsgüter erdulden, die nur zu seiner unerwünschten Lebensrettung vorgenommen werden: Auf sein Leben hat er eigenverantwortlich und in der Folge auch rechtlich zulässig verzichtet, sodass es sich nicht mehr als schutzbedürftig darstellt und seine Gefährdung ein rechtsgüterverletzendes Einschreiten nach § 34 StGB nicht mehr zu rechtfertigen weiß230. Selbst wenn man sein Leben entgegen dem Verzicht auf Rettung forthin für schutzbedürftig erkennen wollte, erwiese sich die wider seinen Willen unternommene Lebensrettung letztlich doch deshalb als rechtswidrig, weil sie in keine interessengerechte oder angemessene Zweck-Mittel-Relation eingebettet wäre231. Weder die Androhung noch die Verwirklichung eines eigenverantwortlichen Selbsttötungsentschlusses sind 227  Siehe

dazu bereits oben Seite  350–358 [I. 3. b)] m. w. N. BesT / 136, Rn. 43. Demgegenüber ist ein Verzicht auf das Leben gegenüber einem anderen rechtlich unzulässig, sodass in eine Fremdtötung nicht wirksam eingewilligt werden kann; vgl. § 216 StGB u. s. BGHSt 50, 80; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 372 m. w. N. 229  So zutreffend die h. L.: Jakobs, AT2, Abschn.  29, Rn. 63; Maurach / Schroe­ der / Maiwald, BesT / 110, § 1, Rn. 24; Stree / Bosch, in: Sch / Sch, StGB28, § 13 Rn. 22; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 44 u. 48. Auch die Rspr, die den Garanten grundsätzlich weiterhin verpflichtet wissen will (BGHSt 2, 150 [152 f.]; 32, 367 [374]), hat sich bereit gezeigt, dessen Verpflichtung unter Rücksichtnahme auf die Eigenverantwortlichkeit eines Selbsttötungsentschlusses ausnahmsweise zu suspendieren; s. etwa BGH bei Holtz, MDR 1987, 797 (797 f.); LG Berlin JR 1967, 269; zsfd. Albrecht, Garantenstellungen, 66–68. 230  Zur Schutzbedürftigkeit als Voraussetzung eines notstandsfähigen Rechtsguts s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 300 u. 302. 231  Zur Berücksichtigung des entgegenstehenden Willens eines Suizidenten in Interessenabwägung und / oder Angemessenheitsklausel des § 34 StGB s. Bottke, Suizid, 90; Jakobs, AT2, Abschn. 13, Rn. 29; Koch, Aufgedrängte Nothilfe, 51; Neumann, in: Kindhäuser et  al., NK‑StGB / 14, § 34 Rn. 84; Wagner, Selbstmord, 107. 228  Wessels / Hettinger,



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mithin einem gesetzlichen Verbot unterworfen und das Gesetz knüpft an sie auch nicht insofern Rechtsnachteile für den potenziellen Suizidenten an, als jener die Rechtsgutseingriffe Dritter, die sein Leben retten wollen, zu dulden hätte. Nun sind von der Suiziddrohung der Schwangeren aber gerade nicht nur ihre eigenen Rechtsgüter, sondern auch die des Ungeborenen betroffen. Anders als V stellte sie mithin ein Verhalten in Aussicht, das bei seiner Verwirklichung den Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB verwirklichte und auch nicht durch einen Indikationentatbestand gerechtfertigt würde, soll sich der angekündigte Suizid und die von ihm inkludierte Ungeborenentötung doch gerade jenseits der strafgesetzlichen Indikationen vollziehen, die das tatbestandsmäßige Unrecht eines Schwangerschaftsabbruchs u. a. unter Erfüllung eines Arztvorbehaltes zu kompensieren wüssten232. Insofern verletzte ihre bloße Ankündigung eines solchen rechtswidrigen Verhaltens – das kein gegen den Erklärungsadressaten oder eine ihm nahestehende Person gerichtetes Verbrechen, sondern nur Vergehen ist – zwar noch keine Pflicht233, jedoch riefe sie gemäß § 13 StGB einen anderen Obhutsgaranten des ungeborenen Lebens – seinen biologischen Erzeuger234  – auf den Plan. Im Gegensatz zur ärztlichen Garantenstellung235 nämlich erfasst die des Erzeugers auch die Abwehr eines rechtswidrigen Tötungsverhaltens Dritter oder der Schwangeren selbst. Jener wäre mithin nicht nur berechtigt, sondern kraft seiner Stellung als Garant gar verpflichtet, Notstands- oder Nothilfemaßnahmen zugunsten des Ungeborenen zu ergreifen; die Schwangere wiederum hätte damit verbundene Eingriffe in ihre Rechtsgüter – wenn sich Zu konkurrierenden Abwägungsfaktoren (wie z. B. der Betroffenheit von Drittinteressen) s. Bottke, a. a. O., 90; Koch, a. a. O., 51 f. 232  Zur Verwirklichung des Tatbestands des § 218 Abs. 1 StGB durch Tötung der Schwangeren s. BGHSt 11, 15 (15–18 m. w. N.); BGH NStZ 1996, 276; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 14 u. 29; Satzger, Jura 2008, 424 (427); durch den Suizid der Schwangeren s. Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218 Rn. 25 / 26; Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218 Rn. 11; Maurach / Schroe­ der / Maiwald, a. a. O.; Satzger, a. a. O.; aA noch Welzel, Strafrecht11, 302. 233  Vgl. den Tatbestand der Bedrohung, § 241 StGB: „Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“; Hervorhebungen nicht im Original. 234  Zu einer Garantenstellung „aus natürlicher Verbundenheit“ vgl. bereits oben Seite  346 f. [I. 2.] zu einer entsprechenden Obhutsgarantenstellung der Schwangeren. Beachte ebda. allerdings auch den Hinweis auf eine notwendige rechtliche Konkretisierung; s. dazu auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (325 m. Fn. 67 u. 376 m. Fn. 186). 235  Zur ärztlichen Garantenstellung, die nur die Abwehr von Gesundheitsgefahren, nicht aber die Abwehr solcher Gefahren erfasst, die aus dem Handeln Dritter einschließlich der Schwangeren selbst erwachsen, s.  bereits oben Seite  374 f. [1. a) bb) (3)] u. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (326 f.).

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der Erzeuger etwa des Mittels der Nötigung (nicht aber eines körperinvasiven Eingriffs!) bediente – zu erdulden236. Keinem gesetzlichen Verbot ist die eine Ungeborenentötung inkludierende Selbsttötungsdrohung damit unterworfen, wohl aber knüpft das Gesetz an sie Rechtsnachteile für die Schwangere an, die es fortan hinnehmen müsste, wenn der Erzeuger ihres Kindes zur Abwendung der Gefahr für das Ungeborene in ihre Rechtsgüter eingriffe. Wenn mithin auch eine Obliegenheit durch ihre Drohung verletzt zu sein scheint, so muss abschließend doch konstatiert werden, dass nur diejenige Suiziddrohung den Anlass für rechtmäßige Abwehrmaßnahmen des Erzeugers setzte, die rechtswidrig – jenseits des in § 218a Abs. 2 StGB normierten Verfahrens – nach Verwirklichung strebte, indem die Schwangere eigenmächtig Hand an sich zu legen drohte und sich willig zeigte, das symbiotisch mit ihr verbundene Ungeborene in den erwählten Freitod mitzunehmen. Demgegenüber ließe die Rechtsordnung insoweit keinen Raum mehr für ein rechtmäßiges Eingreifen des Erzeugers, als sich die Schwangere durch die Tötung des Ungeborenen nur aus einer auf ihrer verbalisierten Suizidneigung fußenden, medizinisch-sozialen Indikationenlage zu retten suchte. In Anlehnung an den sog. „Schutzzweckzusammenhang“ innerhalb der objektiven Zurechnungslehre237 könnte man ob dessen davon sprechen, dass die vorwerfbare Drohung mit eigenmächtigem Suizid jedenfalls in keinem „Obliegenheitsverletzungszusammenhang“ zum Eintritt der in § 218a Abs. 2 StGB normierten Kollisionslage stände: Mit der Anerkennung von Abwehrmaßnahmen des Erzeugers richtet sich die Rechtsordnung erkennbar nur gegen den eigenmächtigen Suizid, nicht aber gegen die in die Feststellung einer medizinisch-sozialen Indikationenlage mündende Verbalisierung einer Suizidneigung. Selbst wenn man der suizidgefährdeten Schwangeren ob der Verlautbarung eines Selbsttötungsvorhabens eine kausale Verantwortlichkeit für ihre Lebensgefährdung zuschreiben wollte, hätte man mithin zu konstatieren, dass sich die allein aus einer drohenden rechtswidrigen Ungebore­ nentötung speisende Vorwerfbarkeit ihres Tuns innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB nicht niederschlüge. c) Die Unangemessenheit nur des mangelnden Nötigungsdrucks Die vorangegangen Ausführungen haben mithin in einem ersten Schritt dargelegt, wie der Kausalzusammenhang zwischen ernsthafter Suiziddrohung und Lebensgefährdung umgekehrt werden muss: Nicht die Suiziddrohung wird ursächlich für die Entstehung einer Lebensgefahr, sondern eine in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (327 f.). Wessels / Beulke, AT42, Rn. 182.

236  Merkel, 237  Dazu



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bereits bestehende Lebensgefahr wird durch die Suiziddrohung nur in Worte gefasst. Für den Fall, dass man dem nicht folgen wollte und stattdessen die Drohung als Ursache der Lebensgefahr für die Schwangere identifizierte, haben sie in einem zweiten Schritt dargelegt, wie einer Schwangeren eine solche Gefahrenverursachung wenigstens nicht vorgeworfen werden könnte. Denn die Vorwerfbarkeit einer ernsthaften Suiziddrohung beschränkt sich – wie dargelegt – auf eine eigenmächtige Gefährdung des ungeborenen Lebens, zu deren Abwehr der biologische Erzeuger des Ungeborenen in die Rechtsgüter der Schwangeren eingreifen dürfte, um die mit einem Suizid verbundene rechtswidrige Ungeborenentötung abzuwenden. Demgegenüber wendet sich das Gesetz in keiner Weise gegen die Verbalisierung einer Sui­ zidneigung, die die Schwangere durch eine verfahrensmäßige Tötung des Ungeborenen im Wege des § 218a Abs. 2 StGB abzuwenden sucht. Dass die enge Fassung der medizinisch-sozialen Indikation in § 218a Abs. 2 StGB auf eine offen gehaltene Interessenabwägung verzichtet und die Abwägungsrelevanz aller Umstände des Einzelfalls von vornherein ausschließt, begründet in der Folge für diese Sachverhaltskonstellation kein Defizit: Bereits nach allgemeinen Grundsätzen, nicht erst nach einem in § 218a Abs. 2 StGB verwirklichten „Sonderrecht“ bliebe auch derjenigen Schwangeren die rechtfertigende Wirkung einer Gefahrenlage erhalten, die durch eine ernsthafte Suiziddrohung zu deren Entstehung beitrüge. Jenseits dieser Berücksichtigung eines etwaigen, in der Tätersphäre angesiedelten Gefahrenursprungs durch eine offen gehaltene Interessenabwägung mangelt es § 218a Abs. 2 StGB weiter noch an einem Regulativ, das das Ergebnis einer solchen Interessenabwägung zugunsten des beeinträchtigten Rechtsguts zu verschieben vermochte, soweit sich die zur Gefahrenabwehr getroffene Maßnahme als sozialethisch unangemessen darstellen sollte. Für den von Merkel für § 34 StGB zitierten Beispielsfall vom erzwungenen Kuss etwa käme richtiger Ansicht nach dieses in § 34 S. 2 StGB formulierte Regulativ238 zum Tragen und verwehrte V die Rechtfertigung seiner Nötigung der F: Denn wenn der ernsthaft mit Suizid drohende V auch in seinem Leben gefährdet ist und ihm die Berufung auf jene Lebensgefährdung auch nicht ob seines Vorverhaltens verwehrt werden kann, erlegte man der F durch die Bejahung eines allgemeinen rechtfertigenden Notstandes doch die Pflicht auf, zur Lebensrettung des V eine Zudringlichkeit und mithin eine Beeinträchtigung ihrer Handlungsfreiheit, Selbstbestimmung und ihres Ehrenanspruchs zu dulden239. Dies aber kann in einer Rechtsord238  Zur Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 310 u. 317–320. 239  Die Erzwingung eines Kusses der F könnte neben dem Tatbestand der Nötigung, § 240 StGB (Verletzung der Selbstbestimmung der F), auch denjenigen der Beleidigung, § 185 StGB (Verletzung der Ehre der F), verwirklichen; die Grenze zur

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nung, die die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1 GG zum Kern der Grundrechte zählt, ja, für das allgemeine Persönlichkeitsrecht gar eine Verbindung zur Menschenwürdegarantie bejaht240, unmöglich ein sozialethisch angemessenes Mittel sein, mag es auch eine Lebensgefahr sein, die unter Anwendung dieses Mittels abgewendet werden könnte. Hier konkretisieren sich Sinn und Zweck des in § 34 S. 2 StGB normierten Regulativs der Angemessenheitsklausel, durch dessen Normierung das Gesetz gerade zu garantieren sucht, dass das Rangverhältnis zwischen dem Recht auf freie Selbstbestimmung einerseits und dem Solidaritätsprinzip andererseits auch in Notstandssituationen richtig bestimmt wird241. An eben jener Stelle – statt bereits am Gefahrenmerkmal des § 34 S. 1 StGB – wird so die von Merkel als unhaltbar kritisierte Legitimation einer Rechtsgutsverletzung durch Nötigungsdruck scheitern müssen: Ob und wem F ihre Zärtlichkeiten gewährt, bleibt ihrer eigenen Entscheidung überlassen und kann niemals, auch nicht zum Zwecke der Abwendung einer ernsten Suizidgefahr, zum Gegenstand einer „allgemeinen Hilfspflicht“ erhoben werden242. Demgegenüber mangelt es – wie ausgeführt – einer Suiziddrohung der Schwangeren, die einen medizinisch-sozial indizierten Abbruch ob ihrer Lebensgefährdung begehrt, an solch einem Nötigungsdruck. Ihr Handeln ist nicht darauf gerichtet, den Willen ihres behandelnden Arztes zu beugen, sondern sie führt durch die Verlautbarung ihrer Selbsttötungsabsicht nur die Voraussetzungen einer Indikationenlage herbei: eine Situation, die nach ärztlicher Erkenntnis Veranlassung bietet, ihr Leben als durch die Schwansexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 StGB überschritte sie mangels „einiger Erheblichkeit“ i. S. d. § 184g Nr. 1 StGB demgegenüber noch nicht; vgl. dazu Perron / Eisele, in: Sch / Sch, StGB28, § 184g Rn. 15b. Zum Schutz der Freiheit der Willensentschließung und -betätigung durch § 240 StGB s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 380. Zum Schutz der Ehre durch § 185 StGB s. dies., a. a. O., 464. 240  Zum Schutz von allgemeiner Handlungsfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht durch Art. 2 Abs. 1 GG s. Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 385 ff.; zur Verbindung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit der Menschenwürde s. dies., a. a. O., 391. 241  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 319; vgl. auch Gallas, ZStW 1968, 1 (26). 242  Vgl. die Anwendung der Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB auf den Fall der zum Zwecke der Lebensrettung erzwungenen Blutspende; dazu Hruschka, Strafrecht2, 145; Pawlik, Notstand, 251 f. m. w. N. in Fn. 48 u. krit. ebda., 252 f.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 320; dazu auch Hirsch, in: ders., Probleme, 932 (939 f.), der ein entsprechendes „Autonomieprinzip“ allerdings bereits innerhalb der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB berücksichtigt wissen will; anders Roxin, AT / I4, § 16 Rn. 48–50; Zimmermann, Rettungstötungen, 69 m. Fn. 191. In diesem Zusammenhang zum wechselseitigen Bedingen der Anwendungsbereiche von Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel: Gallas, ZStW 1968, 1 (26); Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 97.



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gerschaft gefährdet anzusehen, sodass ein Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218a Abs. 2 StGB medizinisch indiziert und rechtmäßig ist und sich der Arzt gemäß § 12 Abs. 2 SchKG wie auch nach seiner allgemeinen Garantenpflicht (§ 13 StGB) zur Durchführung des Abbruchs verpflichtet sehen wird243. Verlautbart die Schwangere ihre Suizid- und Lebensgefährdung nun ernsthaft statt „strategisch“ und begehrt sie zu deren Abwehr einen medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruch, ersucht sie ihren behandelnden Arzt in einer realen und ihr nicht vorwerfbaren Gefahrenlage nur um diejenige Hilfeleistung, die ihm bereits das Gesetz in § 218a Abs. 2 StGB erlaubt und durch § 12 Abs. 2 SchKG wie die §§ 212, 222, 13 StGB gar gebietet. Wird ihr jene Hilfe gewährt, kann so schwerlich davon gesprochen werden, dass ein sozialethisch unangemessenes Mittel zur Anwendung kommt. 4. Conclusio

Indem § 218a Abs. 2 StGB Instrumente einer dem § 34 S. 1 StGB entsprechenden, konkret-individuell auszufüllenden Interessenabwägung wie auch einer dem § 34 S. 2 StGB entsprechenden Angemessenheitsklausel vermissen lässt, spricht er verschiedenen Umständen des Einzel- und gar Regelfalls von vornherein die Eignung ab, über eine Interessenkollision zwischen der Schwangeren und dem Ungeborenen zu entscheiden. In ihrem Fehlen manifestiert sich eine gesetzliche Wertung des Inhalts, dass der Gefahrenursprung und mit ihm die Herbeiführung der Indikationenlage für die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs unerheblich ist. Wenigstens für die vorliegend besprochenen Sachverhalte einer Suiziddrohung der Schwangeren nimmt § 218a Abs. 2 StGB nach den vorangegangen Ausführungen so tatsächlich nur dasjenige Ergebnis vorweg, das auch eine Anwendung allgemeiner Grundsätze erwarten ließe: Denn bildet eine „strategische“ Suiziddrohung den Gefahrenursprung, täuscht die Schwangere richtiger Ansicht nach eine Lebensgefährdung nur vor, sodass das ex ante zu bestimmende Urteil eines auch über ihr Sonderwissen verfügenden objektiven Betrachters richtiger Ansicht nach bereits das Gefahrenmerkmal des § 218a Abs. 2 StGB verneinen muss. Des Rückgriffs auf eine – in § 218a Abs. 2 StGB nicht normierte – offene Interessenabwägung oder auch auf eine Art der – in § 218a Abs. 2 StGB ebenfalls nicht normierten – Angemessenheitsklausel bedarf es nicht, um jenes Ergebnis zu erzielen. Demgegenüber ist das Gefahrenmerkmal der medizinisch-sozialen Indikation zwar erfüllt, wenn die Schwangere nicht „strategisch“, sondern ernsthaft ein Selbsttötungsvorhaben kundtut. Den Ursprung ihrer Lebensgefährdung kann man 243  Siehe

oben Seite  376 f. [1. b)] u. 377 [c)].

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der Schwangeren richtiger Weise jedoch nicht zum Vorwurf machen, ob man ihn nun in einem – noch dazu kaum nachvollziehbaren Bündel – aus Lebensumständen, psychischer und körperlicher Disposition oder aber tatsächlich in ihrer – weder pflichtwidrigen noch eine Obliegenheit verletzenden – Verbalisierung eines Selbsttötungsvorhabens ansiedelt. Ebenso wohnt der Suiziddrohung einer Schwangeren auch kein Nötigungsdruck inne, dessen Berücksichtigung man sich in einem der Angemessenheitsklausel entsprechenden Regulativ erwartete. So enttäuscht der Umstand, dass es § 218a Abs. 2 StGB an einer dem § 34 S. 1 StGB entsprechenden konkret-individuell auszufüllenden Interessenabwägung wie auch einer dem § 34 S. 2 StGB entsprechenden Angemessenheitsklausel mangelt, keine Erwartung des Inhalts, dass die medizinischsoziale Indikation dem § 34 StGB entsprechende Vorkehrungen treffen müsste, um eine abwägungsrelevante und unangemessene Herbeiführung einer Lebensgefährdung durch die Suiziddrohung der Schwangeren berücksichtigen zu können. Stattdessen ist es bereits jene Erwartung, die trügt: Während die „strategische“ Suiziddrohung der Schwangeren eine Gefahr nur vortäuscht, kann ihr die ernsthafte Suiziddrohung nicht vorgeworfen werden. III. Zu einer Erhöhung der Gefahrtragungspflicht durch ein das Ungeborene schädigendes Vorverhalten der Schwangeren Wie ist es nun um einen weiteren besonderen Beitrag der Schwangeren zur Verursachung der in § 218a Abs. 2 StGB normierten rechtfertigenden Gefährdungslage bestellt, der über ihre notwendige Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr hinausreicht und der sich in einer Schädigung des ungeborenen Lebens durch gefährdende (Vor‑)Verhaltensweisen konkretisiert? Indem die vorliegende Untersuchung jene Fragestellung aufwirft, wendet sie sich denjenigen Fällen zu, die ehemals die sog. embryopathische Indikation ausfüllten und nunmehr der medizinisch-sozialen Indikation zugeordnet werden: jenen Fällen, in denen eine pränataldiagnostisch festgestellte Auffälligkeit des Fetus ob ihrer Auswirkungen auf den seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren zum Anlass für einen medizinisch-sozial indizierten Abbruch genommen wird244. Soweit diese Auffälligkeit ihrerseits auf eine für das Ungeborene ob seiner symbiotischen Verbindung mit dem Körper der Schwangeren gefährliche Lebensführung zurückgeführt werden könnte, wäre wiederum eine Herbeiführung der Indikationenlage durch die Rechtfertigung begehrende Schwangere angesprochen und wiederum auch die Frage aufgeworfen, ob und inwiefern der 244  Siehe

dazu bereits eingangs auf den Seiten 312–316 [Abschn.  1, A.].



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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Schwangeren ein solcher Gefahrverursachungsbeitrag vorgeworfen werden kann: Stellte er sich nach allgemeinen Grundsätzen nämlich als abwägungsrelevant dar, deutete der Umstand, dass der eng formulierte Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB seine Berücksichtigung von vornherein ausschließt, gegebenenfalls auf eine persönlich begründete Geringschätzung des postnidativen ungeborenen Lebens – statt auf eine sachlich begründete Unerheblichkeit dieses spezifischen Gefahrenursprungs – hin. 1. Die sonst vorwerfbar herbeigeführte Indikationenlage

Hierbei sei zunächst auf die nur sonst vorwerfbare Herbeiführung einer Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB eingegangen, innerhalb derer man einen schädigenden Einfluss des Schwangerenvorverhaltens auf die fetale Entwicklung zu erkennen meint, ohne dass ihr Verhalten von dem zielgerichteten Willen begleitet ist, einer rechtmäßigen Tötung des Ungeborenen gemäß § 218a Abs. 2 StGB Vorschub zu leisten245: Durch ihre Lebensführung setzte die Schwangere eine Bedingung für die Schädigung des Fetus und vermittelte so die rechtfertigende Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes. In diesem Sinne gehen 7 bis 10 % aller angeborenen Fehlbildungen auf eine sog. teratogene Wirkung zurück. Der Begriff der Teratogene umfasst dabei alle Umweltfaktoren, die angeborene (kongenitale) Fehlbildungen hervorrufen können oder durch die die Häufigkeit dieser Fehlbildungen in der Bevölkerung erhöht wird, wie beispielsweise Alkohol, Viren, bestimmte Umweltchemikalien und Medikamente246. Während teratogene Faktoren in den ersten beiden Entwicklungswochen nicht zu Fehlbildungen führen, sondern entweder den Tod des Embryos herbeiführen oder aber ohne bleibende Folgen für eine sich erholende „Leibesfrucht“ bleiben247, ist der Embryo in der vierten bis achten Entwicklungswoche, in der sich eine rasche Zellteilung, -differenzierung und Morphogenese vollzieht, besonders anfällig für jene teratogene Wirkung248. Bringt eine Schwangere im Anschluss an die ersten beiden Entwicklungswochen nun solche teratogenen Faktoren zur Entfaltung – etwa 245  Zur absichtlich herbeigeführten Indikationenlage durch schädigendes Vorverhalten s. im Anschluss Seite  402 ff. [2.]. 246  Moore / Persaud, Embryologie5, 188; zu teratogenen Faktoren s. auch bereits oben Kap. 4, Seite  301 f. [Abschn.  3, B. II. 1.], u. Lüllmann / Mohr / Hein, Pharmakologie und Toxikologie17, 50–53 m. 52, Tab.  3.2. 247  Sie bedingen in dieser Phase entweder eine Schädigung aller Zellen und werden so kausal für den Tod des Embryos oder aber sie schädigen nur wenige Zellen, von deren Beeinträchtigung sich das Ungeborene ohne bleibende Folgen erholen kann; Moore / Persaud, Embryologie5, 188, 190 u. 192. 248  Moore / Persaud, Embryologie5, 91, 190 u. 192.

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durch Alkohol-, Medikamenten- oder sonstigen Drogenmissbrauch – und erleidet der Fetus in seiner weiteren Entwicklung eine für das jeweilige Teratogen typische Fehlbildung, stellt sich wiederum die Frage, inwiefern die Schwangere nicht nur einen Beitrag zur fetalen Fehlbildung, sondern auch zu der hieraus i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB entspringenden Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres eigenen seelischen Gesundheitszustandes geleistet hat. Dieselbe Frage stellt sich für die Ausübung potenziell gefährdender Aktivitäten, wie etwa dann, wenn die Schwangere einer riskanten Sportart nachgeht, durch die sie selbst und in seiner symbiotischen Verbindung mit ihr auch das postnidative ungeborene Leben Schaden erleiden könnte, und sodann eine für jene Aktivität typische Beeinträchtigung diagnostiziert wird. Soweit sie den Gefahreneintritt objektiv zurechenbar verursacht haben sollte, schlösse sich die weiterführende Frage an, inwiefern sich die Schwangere einen solchen Gefahrverursachungsbeitrag vorwerfen lassen müsste, den § 218a Abs. 2 StGB in Ermangelung einer konkret-individuell offenen Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel wiederum nicht zu berücksichtigen weiß. In dem Bemühen, auf beide aufgeworfenen Fragen eine Antwort zu formulieren, sei zunächst – d. h. noch bevor auf die Schwierigkeiten eines Kausalitätsnachweises eingegangen wird – die Vorwerfbarkeit und mithin Abwägungsrelevanz eines entsprechenden Gefahrverursachungsbeitrags der Schwangeren thematisiert: Unterstellt, ein Vorverhalten der Schwangeren würde nachweislich zur Ursache einer später pränataldiagnostisch festgestellten Auffälligkeit des Fetus, inwiefern könnte ihr diese (nicht rechtsmissbräuchliche) Schädigung zum Vorwurf gemacht werden? In Beantwortung jener Fragestellung kann auf die vorangegangenen Ausführungen zu verschiedenen Gefahrverursachungsbeiträgen der Schwangeren Bezug genommen werden, die dargelegt haben, wie eine solche Abwägungsrelevanz voraussetzte, dass die Schwangere die Gefahr entweder subjektiv oder auch nur objektiv pflichtwidrig herbeigeführt hat oder aber wenigstens eine entsprechende Obliegenheit verletzt hat249. a) Keine Pflichtwidrigkeit des schädigenden Vorverhaltens Während die §§ 211 ff., 222, 223 ff., 229 StGB den geborenen Menschen umfassend vor Tötungen und Körperverletzungen schützen, seien sie nun vorsätzlich oder fahrlässig begangen, reduziert sich der diesbezügliche Schutz des menschlichen Lebens für das Stadium der „Leibesfrucht“ auf einen eingeschränkten Schutz vor vorsätzlichen Tötungen nach den §§ 218 ff. 249  Zur Vorwerfbarkeit der Gefahrenverursachung s. auch oben Seite  350–358 [I. 3. b.] und Seite  386–390 [II. 3. b)].



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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StGB. Keine Strafandrohung sehen diese Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch für das Minus zur Vorsatztat – die Fahrlässigkeitstat – wie auch für das Minus zur Tötung – die Körperverletzung – vor. Nach nahezu einhelliger Ansicht können jene Strafbarkeitslücken auch nicht unter Rückgriff auf die Vorschriften der allgemeinen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte geschlossen werden, indem man die fahrlässige Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens unter den Tatbestand des § 222 StGB oder die Verletzung des postnidativen ungeborenen Lebens unter die Tatbestände der §§ 223 ff., 229 StGB subsumierte. Mit der Verletzung „eines anderen“ bzw. „eines Menschen“ setzen Körperverletzungs- wie allgemeine Tötungsdelikte als Tatobjekt unstreitig einen Menschen im Sinne des Strafrechts voraus, dessen Rechtsqualität sich für das gesamte Strafrecht einheitlich nach dem Zeitpunkt des Beginns der Geburt bestimmt250. Dieses Tatobjekt „Mensch“ muss bereits zu dem Zeitpunkt existiert haben, in dem auf das Tatobjekt eingewirkt worden ist. Diesbezüglich hat sich eine stetige Rechtsprechung hinausgebildet, welche da besagt, dass es in den Fällen, in denen sich die Rechtsqualität des Opfers nach dem Eingriff von der „Leibesfrucht“ zum Menschen wandelt, nicht auf dessen Rechtsqualität zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts ankomme, sondern auf diejenige zum Zeitpunkt der Einwirkung auf das Opfer251. Die insofern Aufsehen erregende, vielfach und intensiv diskutierte Entscheidung des Landgerichts Aachen im ConterganProzess, in der das Gericht für die Verwirklichung des Körperverletzungstatbestandes auf die Rechtsqualität des Tatobjekts zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts abgestellt hatte252, hat demgegenüber vehemente Ablehnung 250  Eingehend zur Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ s. oben Kapitel 4, Seite  271–309 [Abschn.  3]. 251  Zunächst zur Abgrenzung der allgemeinen Tötungsdelikte vom vorsätzlichen Schwangerschaftsabbruch: RGSt 4, 380 (381); BGHSt 10, 5 (5 f.); 10, 291 (293); 13, 21 (24); vom fahrlässigen Schwangerschaftsabbruch: BGHSt 31, 348 (352); zsfd. Hirsch, JR 1985, 335 (337); Küper, GA 2001, 515 (518 f.); Lüttger, NStZ 1983, 481 (483); ders., JR 1971, 133 (138). Dabei wollen Eser und Sternberg-Lieben eine Strafbarkeit nach den §§ 223 ff. StGB ausnahmsweise dann bejahen, wenn sich die schädigende Handlung erstmals in den postnatalen Entwicklungsstadien „auszuwirken beginnt“, sodass das geborene Kind den Gegenstand der für die Rechtsqualität des Opfers maßgeblich anerkannten Einwirkung bildete; s. Eser / SternbergLieben, in: Sch / Sch, StGB28, § 223 Rn. 1a. Fraglich ist jedoch, ob hier nicht Einwirkung (auf den fetalen Organismus) und beginnende Auswirkung (i. S. einer erstmaligen Manifestation in äußerlich sichtbaren Folgen) fälschlicherweise gleichgesetzt werden. 252  LG Aachen JZ 1971, 507 (507 u. 510); vgl. auch Tepperwien, Praenatale Einwirkungen, 94, die gleich dem LG Aachen den Zeitpunkt des Erfolgseintritts für maßgeblich befindet, anders als das Gericht aber auf den zunächst tatbestandslosen Erfolgseintritt an der Leibesfrucht (statt am geborenen Menschen) abstellen will, der seine rechtliche Relevanz aber als aufschiebend bedingter Erfolgseintritt am geborenen Menschen erlangen soll.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

erfahren und ist gar als „juristische Katastrophe“ abgetan worden253. De lege lata trifft die Schwangere zunächst also keine Pflicht, bloße Schädigungen des ungeborenen Lebens zu unterlassen, so dass ihr für den Fall, dass sich ein entsprechender Schädigungserfolg nachweislich auf ihr Vorverhalten zurückführen ließe, nicht der Vorwurf einer Pflichtwidrigkeit (im engeren Sinne) gemacht werden könnte. Erst recht normiert das Gesetz keine Verpflichtung der Schwangeren, solche Schädigungen zu unterlassen, um einer Gefährdung ihrer eigenen seelischen Gesundheit durch die Schwangerschaft mit einem pränataldiagnostisch auffälligen Fetus vorzubeugen254. Diesbezüglich ist bereits zur ernsthaften Suiziddrohung der Schwangeren ausgeführt worden, dass ein vorwerfbares Vorverhalten sie nach allgemeinen Grundsätzen nur dann verpflichten könnte, eine Gefährdung ihrer eigenen Rechtsgüter zu erdulden, wenn sich dessen Vorwerfbarkeit auch im zu erduldenden Gefahreneintritt niederschlägt255. Im für § 218a Abs. 2 StGB relevanten Gefahreintritt kommt ein den Fetus schädigendes Vorverhalten aber nur insofern zum Tragen, als die Verletzung der fetalen Integrität eine Ursache für die Gesundheitsgefährdung der Schwangeren zu setzen vermag, aus der ihr der medizinisch-sozial indizierte Schwangerschaftsabbruch einen Ausweg weisen soll. Eine eigenständige (statt nur indizielle) Bedeutung misst der medizinisch-soziale Indikationentatbestand der vorangegangenen Schädigung des Fetus (anders als dessen nachfolgender Tötung) hingegen nicht zu. Selbst wenn sich die Rechtsordnung also entschlösse, ein Verbot der fetalen Schädigung zu normieren, könnte dies nur dann zum Anknüpfungspunkt für einen vorwerfbaren (abwägungsrelevanten) Gefahrverursachungsbeitrag genommen werden, wenn ein solches Verbot gerade dem Schutz der Schwangeren (vor durch die fetale Schädigung vermittelter Gesundheitsbeeinträchtigung) dienen sollte.

253  Vorstehendes Zitat aus Lüttger, NStZ 1983, 481 (485); weitere Prozesskritik etwa bei Bruns, in: Schroeder / Zipf, Maurach-FS, 469–486; Kaufmann, JZ 1971, 569–571; Lüttger, JR 1971, 133 (139–141). 254  Dies gleichwohl das Gesetz die seelische Gesundheit der Schwangeren durch eine Schädigung des Fetus für gefährdet erkennt, wie die heutige Integration der ehemals „embryopathischen“ Indikation in § 218a Abs. 2 StGB manifestiert, im Zuge derer aus der pränataldiagnostisch festgestellten Auffälligkeit des Fetus auf die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes geschlussfolgert wird. 255  Siehe dazu oben Seite  390  [II. 3. b)] u. vgl. zum sog. „Schutzzweckzusammenhang“ innerhalb der objektiven Zurechnungslehre Wessels / Beulke, AT42, Rn. 182.



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b) Keine Obliegenheitsverletzung durch das schädigende Vorverhalten Auch die Annahme einer Obliegenheitsverletzung müsste für das Vorverhalten der Schwangeren ausscheiden: Denn mit der Schädigung des ungeborenen Lebens führte die Schwangere für ihre eigene Person allenfalls einen tatsächlichen, nicht aber einen rechtlichen Nachteil herbei. Insofern leistete sie nur einer Gefahr für ihre eigene seelische Gesundheit Vorschub, wie die Anwendung des § 218a Abs. 2 StGB zum Ausdruck bringt, wenn pränataldiagnostisch festgestellten Auffälligkeiten des Ungeborenen die Eignung zugeschrieben wird, Auswirkungen auf den seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren zu nehmen, ja ihn gar schwer zu beeinträchtigen. In rechtlicher Hinsicht wird die Schwangere durch ein solches Vorverhalten jedoch nicht (zusätzlich) belastet. Während aus ihrer willentlichen Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr noch die in § 218 Abs. 1 StGB normierte Pflicht zum Austragen der Schwangerschaft erwachsen ist – sodass an jener Stelle noch eine Obliegenheitsverletzung in Betracht gezogen werden konnte256 –, legt die Schädigung des Fetus keinen Grund für eine weitere Verpflichtung, sondern leistet allenfalls einer Indikationenlage Vorschub, die die Schwangere gemäß § 218a Abs. 2 StGB von ihrer Austragungspflicht entbinden könnte. Ebenso wenig – und anders als noch im Fall einer ernsthaft mit Suizid drohenden Schwangeren – gäbe sie gemäß § 13 StGB einem anderen Obhutsgaranten des ungeborenen Lebens – seinem biologischen Erzeuger – Veranlassung, Notstands- oder Nothilfemaßnahmen zugunsten des Ungeborenen zu ergreifen und im Zuge dessen rechtmäßig in ihre Rechtsgüter einzugreifen. Denn diesbezüglich erfasst die Garantenstellung des Erzeugers zwar die Abwehr einer rechtswidrigen Tötung des biologisch mit ihm verwandten Ungeborenen257, nicht aber die Abwehr dessen tatbestandsloser Schädigung258. Ein rechtlicher Nachteil, der der Schwangeren aus ihrem schädigenden Vorverhalten erwüchse, ist damit nicht erkennbar. Der Gesetzgeber hat eben nicht nur darauf verzichtet, ein Verbot der Schädigung von Embryonen oder Feten im Mutterleib zu nor256  Siehe

dazu oben Seite  350–358 [I. 3. b)]. oben Seite  389 f. [II. 3. b)] zu einer Verpflichtung des biologischen Erzeugers, eine rechtswidrige Ungeborenentötung abzuwenden und zu diesem Zweck auch rechtmäßig in die Rechtsgüter der Schwangeren einzugreifen. 258  Selbst wenn dem nicht so wäre – die Garantenstellung also auch die Abwehr einer fetalen Schädigung erfasste –, würde der Erzeuger aber nur zum Schutz der Integrität des seiner Obhut überantworteten Fetus statt zum Schutz der mütterlichen Gesundheit tätig. Einer so begründeten Obliegenheit mangelte es damit von vornherein an einem Zusammenhang zur Gesundheitsgefährdung der Schwangeren, die sie nur ob einer gefahrbegründenden Obliegenheitsverletzung sollte erdulden müssen; vgl. oben Seite  398 f. [a)] u. 390  [II. 3. b)] zum allgemeinen Rechtsgedanken eines „Schutzzweckzusammenhangs“. 257  Vgl.

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mieren – sodass eine Pflichtwidrigkeit des schädigenden Vorverhaltens ausscheiden muss –, sondern hat auch darauf verzichtet, eine entsprechende Obliegenheit zu formulieren. c) Schwierigkeiten des Kausalitätsnachweises Dass der Gesetzgeber nun darauf verzichtet hat, eine Pflicht oder wenigstens Obliegenheit des Inhalts zu normieren, dass Schädigungen des postnidativen ungeborenen Lebens – auch mit Blick auf die tangierte mütterliche Gesundheit259 – zu unterlassen wären, wird nun nicht zuletzt mit denjenigen Schwierigkeiten begründet, vor die ein diesbezüglicher Kausalitätsnachweis gestellt wäre. Formulierte man etwa ein Erfolgsdelikt der pränatalen Schädigung – wie es das Bundesministerium der Justiz in § 1 seines Diskussionsentwurfs zum Embryonenschutzgesetz unternommen hatte260 –, setzte dessen objektiver Tatbestand voraus, dass die Kausalität der pränatalen Einwirkung für den Eintritt des Verletzungserfolgs dargelegt werden könnte: Das schädigende Vorverhalten dürfte nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der konkrete Erfolgseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele261. Diesbezüglich ist aber bereits im vierten Kapitel ausgeführt worden, wie Schwierigkeiten im Kausalitätsnachweis einem Strafvorwurf wegen fahrlässiger Ungeborenentötung wie auch wegen einer bloßen Verletzung des Ungeborenen entgegenstehen262. Insofern entzieht sich die allgemeine Lebensführung der Schwangeren nämlich nicht nur der staatlichen Kontrollpotenz, sondern könnte die Häufigkeit einer Fehlbildung, wie sie unter Einfluss des Vorverhaltens auftritt, überdies nur deren spontaner Häufigkeit gegenüber gestellt werden. Und selbst dieser Vergleich von Häufigkeiten wäre im Allgemeinen zum Scheitern verurteilt, nachdem im multifaktoriellen Umfeld der Schwangerschaft häufig mehr als nur ein potenziell schädlicher Einfluss zum 259  Zum notwendigen „Schutzzweckzusammenhang“ zwischen dem wegen des Vorverhaltens formulierten Vorwurf und dem Eintritt der zu erduldenden medizinisch-sozialen Indikationenlage s. soeben Seite  398 f. [a)] u. 399 f. [b)]; außerdem weiter oben 390  [II. 3. b)]. 260  „Wer durch Einwirkung auf einen Embryo oder Foetus eine Gesundheitsschädigung des [aus ihm hervorgegangenen] Menschen herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ (§ 1 Abs. 1 DE ESchG v. 29.04.1986); abgedr. in Günther / Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin2, Anhang I, 349. 261  Zur Def. der Kausalität i. S. d. Conditio-sine-qua-non-Formel s. bereits RGSt 1, 373 (374); ferner BGHSt 1, 332 (333); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 156. 262  Zur diesbzgl. eingeschränkten Schutzfähigkeit des Gesetzes gegenüber der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren s. oben Kap. 4, Seite  294 f. [Abschn.  3, B. I. 2. a)]; gegenüber Dritteinwirkungen s. Kap. 4, Seite  301–303 [Abschn.  3, B. II. 1.].



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Tragen kommt263. Entsprechend wurde die Praxisrelevanz einer Strafbarkeit wegen „Embryonenschädigung“, wie sie § 1 DE ESchG formulierte, auch als gering eingeschätzt, ja, wurde gar von einer Vorschrift gesprochen, die „weitgehend nur auf dem Papier stehen“ würde264. Wollte man alternativ ein Gefährdungsdelikt normieren, setzte ein solches wiederum eine Gesetzesfassung voraus, die den Verzicht auf einen tatbestandlich bestimmten Erfolg durch eine hinreichend konkrete Handlungsbeschreibung kompensierte. Angesichts der Vielfalt möglicher Fallkonstellationen könnte eine solche aber kaum formuliert werden, ohne dass man den Anwendungsbereich einer Strafandrohung für die Schädigung des postnidativen ungeborenen Lebens von vornherein zu weitgehend einschränkte265. So wie jene Beweisschwierigkeiten der – wenn auch nicht einzige, so doch maßgebliche – Grund dafür waren, dass ein Verbot der Schädigung des ungeborenen Lebens keinen Einzug in das Strafgesetz hielt266, ständen sie auch einer Berücksichtigung des schädigenden Vorverhaltens der Schwangeren innerhalb einer hypothetischen, konkret-individuell offenen Interessenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB im Wege. Damit ein Gefahrenverursachungsbeitrag Eingang in eine rechtfertigende Interessenabwägung findet und die Pflicht des Täters zur Duldung der von ihm selbst verursachten Gefahr erhöht, muss unter anderem und vor allem dargelegt werden können, dass das Verhalten des Täters kausal für den nachfolgenden Gefahreneintritt geworden ist und jenen überdies objektiv zurechenbar herbeigeführt hat267. Auch an dieser Stelle gälte es mithin nachzuweisen, dass das schädigende Vorverhalten der Schwangeren nicht hinweggedacht werden 263  Vgl. oben Kap. 4, Seite  302 [Abschn.  3, B. II. 1.], u. Lüllmann / Mohr / Hein, Pharmakologie und Toxikologie17, 51, zu den Schwierigkeiten, einen Beweis über die schädliche Wirkung eines Arzneimittels auf die embryofetale Entwicklung zu führen. 264  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Lenckner / Winkelbauer, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 211 (224). 265  Siehe dazu bereits oben Kap. 4, Seite  294 f. [Abschn.  3, B. I. 2. a)]. 266  Zu weiteren Gründen – beispielsweise von der (behaupteten) Unzumutbarkeit für die Schwangere, durch bestimmte Sorgfaltspflichten zu weitgehend in ihrer durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierten Lebensgestaltung eingeschränkt zu werden, sowie von einem fehlenden gesellschaftlichen Bewusstsein über das Unrecht pränataler Schädigungen – vgl. Begr. zum DE ESchG v. 29.04.1986, abgedr. in Günther / Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin2, 352 (355 f.), u. Lenckner / Winkelbauer, in: dies., a. a. O., 211 (212–224). Der Ankündigung, die damit fortbestehende Lücke im Strafrechtsschutz durch ein bereits in Vorbereitung befindliches Strafrechtsänderungsgesetz schließen zu wollen (s. dazu BT-Drs. 11 / 5460, 6 [7]; Borchmann, MedR 1991, 109 [114]; Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 106; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 5, Rn. 27 a. E.), ist der Gesetzgeber bis heute nicht nachgekommen. 267  So vorliegend erstmals ausgeführt auf Seite  358 ff. [I. 3. c)].

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kann, ohne dass der konkrete Gefahreneintritt – hier der durch die fetale Schädigung vermittelte Eintritt der Gefahr einer schweren Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Eben dieser Nachweis wird in einem multifaktoriellen Umfeld, in dem ein einzelner schädlicher Einfluss nicht isoliert werden kann, aber schwerlich geführt werden können. d) Conclusio Es ist mithin nur stimmig und folgerichtig, wenn dieselben Beweisschwierigkeiten, die der Normierung eines Straftatbestandes der „Embryonenschädigung“ entgegenstanden, auch verhindern, dass der Schwangeren die Berufung auf eine rechtfertigende Gefahrenlage wegen ihres schädigendes Vorverhalten versagt wird268. Auf die Normierung einer Pflicht, das ungeborene Leben nicht zu schädigen (und mittelbar so auch die mütterliche Gesundheit vor der Beeinträchtigung durch eine in diesem Sinne auffällige Schwangerschaft zu bewahren), hat der Gesetzgeber – maßgeblich in Reaktion auf Beweisschwierigkeiten – ebenso verzichtet wie auf die Normierung einer entsprechenden Obliegenheit. Und so wie Beweisschwierigkeiten der Normierung von Pflicht und Obliegenheit entgegengestanden haben, kann auch die Kausalität des schädigenden Vorverhaltens für den Eintritt der rechtfertigenden Indikationenlage nicht dargelegt werden. Solange aber nicht der Nachweis geführt werden kann, dass das Vorverhalten der Schwangeren tatsächlich kausal für diejenige Gefahrenlage geworden ist, auf deren Rechtfertigung sie sich beruft, darf ihr deren rechtfertigende Wirkung auch nicht verwehrt werden. Die Zweifel über den tatsächlichen Sachverhalt müssen zu ihrem Gunsten entschieden werden, will man sie nicht zu Unrecht von einer täterbegünstigenden Erlaubnisnorm ausschließen und mithin gegen den Grundsatz in dubio pro reo verstoßen. 2. Die absichtlich herbeigeführte Indikationenlage („Indikationenprovokation“)

Im Anschluss sei mit der Bezeichnung von der absichtlich herbeigeführten Indikationenlage oder „Indikationenprovokation“ erneut – in Anlehnung an „Notwehrprovokation“ und „Notstandsprovokation“ – der wohl eher theoretisch konstruierte denn praktisch relevante Fall angesprochen, in dem die Schwangere doppelt vorsätzlich handelt, nämlich die Schädigung des Ungeborenen absichtlich herbeizuführen sucht, um sich einen ob der Beja268  Im Erg. entsprechend, aber mit abweichender Begr: Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (366 f.).



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hung einer medizinisch-sozialen Indikation gerechtfertigten Abbruch zu ermöglichen269. Doppelt vorsätzlich handelte sie insofern, als sie nicht nur wissentlich und willentlich das mit ihr symbiotisch verbundene ungeborene Leben zu schädigen suchte, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt auch den Vorsatz gefasst hätte, diese Schädigung zur Durchführung eines medizinischsozial indizierten Schwangerschaftsabbruchs auszunutzen. Die maßgebliche Zielsetzung ihres Verhaltens bildete so das Vorhaben, eine Indikationenlage herbeizuführen, ob derer das ungeborene Leben rechtmäßig getötet werden dürfte und sich der angesprochene Arzt voraussichtlich geneigt zeigen würde, diesen nach § 218a Abs. 2 StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen270. Nur voraussichtlich geneigt wäre der Arzt, weil die fetale Schädigung – im Gegensatz zur die Indikationslage provozierenden Suiziddrohung – nicht geeignet ist, eine den Arzt zum Abbruch verpflichtende Situation zu schaffen: Nach herrschender Meinung nämlich verlangt die in § 12 Abs. 2 SchKG normierte Verpflichtung (des Arztes und anderer im Rahmen ihrer regulären Berufstätigkeit mit der Abtreibung befasster Personen) zur Mitwirkung am Abbruch wenigstens eine akute Gefährdung der Schwangeren, sodass der hier diskutierte „embryopathisch“ begründete Abbruch von der Mitwirkungspflicht auszunehmen wäre und vom Weigerungsrecht des § 12 Abs. 2 SchKG erfasst bliebe271. Einen Schritt weiter noch geht Merkel, nach dessen Ansicht nur akut drohende genuin medizinische Indikationslagen, nämlich schwere Gesundheitsgefahren von „grds. unmittelbar physischer Natur“, eine Mitwirkungspflicht begründen272. Da die allgemeine Garantenpflicht 269  Hierauf ebenfalls eingehend: Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (367). 270  Vgl. bereits oben Seite  378–383 [II. 2.] zu einer „Indikationenprovoka­tion“ durch eine „strategische“ Suiziddrohung. 271  So DGGG / AGMedR, AWMF-LL-Reg. 015 / 034, pdf-S. 3; Ellwanger, SchKG, § 12 Rn. 4; Gitter / Wendling, in: Eser / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 198 (203); Kreienberg / Ludwig, 125 Jahre DGGG, 21; Kröger, in: Jähnke et  al., LK‑StGB / 511, § 218a Rn. 78 i. V. m. 32; Schwenzer in AWMF, Referate v. 04. / 05.04.2003, 17 (20); eine diesbzgl. (klarstellende) Gesetzesänderung fordernd: Antrag der CDU / CSU v. 19.10.2004, BT-Drs. 15 / 3948, 5; BÄK / DGGG, Vorschlag 2006, abgedr. in Schumann, Konfliktlösungen, 115 (120, 129 u. 133); Dolderer, Spätabbruch, 234; weitergehend noch Fischer, StGB60, § 218a Rn. 11, der das Weigerungsrecht – entgegen dem Wortlaut des § 12 Abs. 2 SchKG – gar nur in Fällen einer „strengen medizinischen Indikation“ eingeschränkt sehen will, die er a. a. O. in Rn. 25 ausdrücklich auf die Lebensgefährdung der Schwangeren beschränkt. Demgegenüber verweist Büchner, ZfL 2008, 2 (4), auf eine mögliche gegenteilige Auslegung einschlägiger Ausführungen in BVerfGE 88, 203 (294), nach der alle medizinisch indizierten Abbrüche vom ärztlichen Weigerungsrecht auszunehmen seien. 272  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Merkel, in: Kindhäuser et  al., NK‑StGB / 24, § 218a Rn. 165; zust. Büchner, ZfL 2008, 2 (7 m. Fn. 53).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

des Arztes (§ 13 StGB) nicht weiter als seine in § 12 Abs. 2 SchKG spezifizierte Mitwirkungspflicht reichen kann, bleibt dem Arzt für den „embryopathisch“ begründeten Abbruch, der auf eine von der fetalen Schädigung für den seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren ausgehende Gefahr reagiert, ein gesetzlich garantiertes Weigerungsrecht und wird seine diesbezügliche Entscheidung über die Mitwirkung am Abbruch nicht durch das Gesetz vorweggenommen273. Die absichtliche Schädigung des Ungeborenen wüsste den Arzt somit zwar nicht gesetzlich zu verpflichten und ob dieser Verpflichtung zur Mitwirkung am Abbruch zu bestimmen, wohl aber sein ärztliches Handeln gemäß § 218a Abs. 2 StGB zu legitimieren und ob dieser Legitimation wenigstens auch zu motivieren. a) Eine unzumutbare Gesundheitsgefahr Angenommen, eine Schwangere hätte es nun vermocht, eine den Arzt ob ihrer legitimierenden Wirkung zwar nicht verpflichtende, aber motivierende Indikationenlage zu schaffen274, scheiterte die Rechtfertigung ihrer mit­ täterschaftlichen Beteiligung am Schwangerschaftsabbruch zunächst nicht – wie in der Fallkonstellation einer „strategisch“ mit Suizid drohenden Schwangeren275 – am Mangel einer realen Gefahr, die sich auch unter Berücksichtigung eines etwaigen Sonderwissens der Schwangeren nach dem ex ante zu bestimmenden Urteil eines sachkundigen und sorgfältigen Arztes als solche darstellte276. Anders als die „strategisch“ mit Suizid drohende Schwangere wäre die eine Schädigung des Ungeborenen „strategisch“ herbeiführende Schwangere nämlich gleich dem Notwehr- und Notstandsprovokateur bereit, die provozierte Gefahr hinzunehmen, um sich die von ihr 273  Anders für die Mitwirkung an einem Abbruch, durch den die Suizid- und damit Lebensgefährdung einer Schwangeren abgewendet werden soll; vgl. dazu oben Seite  376 f. [II. 1. b)]. Zum Gleichklang der ärztlichen Pflichten nach den §§ 12 Abs. 2 SchKG und 13 StGB s. außerdem Seite  374 f. [II. 1. a) bb) (3)]. 274  Zu den Schwierigkeiten, den Kausalitätsnachweis über eine Schädigung des ungeborenen Lebens durch die Schwangere zu führen, s. bereits oben Seite  400 f. [1. c)] u. Kap. 4, Seite  294 f. [Abschn.  3, B. I. 2. a)]. 275  Zur Verneinung des Gefahrenmerkmals in Fällen einer nur „strategisch“ mit Suizid drohenden Schwangeren s. oben Seite  380 f. [II. 2. b)]. 276  Zur Def. der Gefahrenprognose nach § 218a Abs. 2 StGB s. Fischer, StGB60, § 218a Rn. 19; Kühl, StGB27, § 218a Rn. 10; Rudolphi / Rogall, in: Wolter, SKStGB / IV137, § 218a Rn. 52. Zur Integration etwaigen Sonderwissens des jeweiligen Notstandstäters in die Prognosebasis vgl. zu § 34 StGB Wessels / Beulke, AT42, Rn. 304 m. w. N.; gegen eine entsprechende Bestimmung des Ex-ante-Urteils im Rahmen des § 218a Abs. 2 StGB aber Rudolphi / Rogall, a. a. O., § 218a Rn. 52, soweit sie der Prognosebasis nur die dem Arzt „bekannten und erkennbaren Umstände“ zurechnen wollen.



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angestrebte rechtmäßige Gefahrenabwehr zu ermöglichen. Sehenden Auges sucht sie durch eine das Ungeborene gefährdende Lebensweise eine Beeinträchtigung der fetalen Entwicklung herbeizuführen, der jedenfalls das Gesetz in § 218a Abs. 2 StGB eine Wirkung auf ihren eigenen seelischen Gesundheitszustand zuschreibt. Sie weiß, dass die fetale Auffälligkeit, auf die ihre eigene Hand hinwirkt, eine gesundheitliche Gefahr für sie selbst begründen kann, und will, dass sich diese abstrakte Eignung zu einer entsprechenden ärztlichen Diagnose verdichtet, sodass der Grund für eine medizinisch-soziale Indikation und einen gemäß § 218a Abs. 2 gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch gelegt ist. Ebenso vermöge auch der Hinweis des § 218a Abs. 2 StGB auf den Vorrang zumutbarer Handlungsalternativen nicht als versteckte Einbruchsstelle zu wirken, die einen Rechtsmissbrauch zu berücksichtigen wüsste: Zwar wäre man versucht, die Fortsetzung der Schwangerschaft ob der rechtsmissbräuchlichen Absicht der Schwangeren als zumutbare Handlungsalternative bewerten zu wollen, jedoch verwehrt die Grammatik des § 218a Abs. 2 StGB dem Rechtsanwender eine solche Auslegung. Denn diesbezüglich verweist ihn § 218a Abs. 2 StGB nur auf solche zumutbaren Handlungsalternativen, durch die die Gefahr auch abgewendet werden kann: Demnach ist der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig, wenn er zum einen „nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden“, und zum anderen „die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“. Hätte die Schwangere durch ihr schädigendes Vorverhalten nun aber eine Situation heraufbeschworen, in der die Schwangerschaft die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustands birgt, würde eine Fortsetzung eben jener gefahrträchtigen Schwangerschaft gerade nicht zur Konfliktlösung beitragen können. Dass aber auch die Duldung einer selbst verursachten Gefahr soll zumutbar sein können, kann der Grammatik des § 218a Abs. 2 StGB gerade nicht entnommen werden, der im Gegenteil die die Schwangere bedrohende Gefahr in jedem Fall abgewendet wissen will277. b) Schwierigkeiten des Kausalitätsnachweises Wenn eine solche „strategische“ Schädigung des Fetus mithin auch darauf ausgerichtet ist, eine Gefährdung i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB tatsächlich zu 277  Anders (für das sonst vorwerfbare Vorverhalten der Schwangeren) aber Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 216.

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bewirken anstatt nur vorzutäuschen, ist damit zunächst doch nur eine Aussage über die subjektive Absicht der Schwangeren getroffen, die das mit ihr symbiotisch verbundene postnidative ungeborene Leben schädigen und ihren eigenen seelischen Gesundheitszustand, vermittelt durch diese Schädigung, gefährden will. Um der Schwangeren – in einer hypothetischen, konkret-individuell offenen Interessenabwägung – eine erhöhte Gefahrtragungspflicht aufzuerlegen, bedürfte es jedoch mehr als der Kenntnisnahme von einer solchen (rechtsmissbräuchlichen) Absicht: nämlich des Nachweises, dass sie ihre so gestaltete Absicht tatsächlich hat realisieren können, ihr Verhalten also nachweislich kausal für den Eintritt eines Schädigungserfolgs am Fetus und in der Folge auch für ihre eigene Gesundheitsgefährdung geworden ist. Nicht bereits die so gestaltete subjektive Absicht erhöht nach dem Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB die Zumutbarkeit, sondern erst die objektive Gefahrenverursachung soll Eingang in eine rechtfertigende Interessenabwägung finden und die Pflicht des Täters zur Duldung der von ihm selbst verursachten Gefahr erhöhen. Mithin erwartete man nicht, dass bereits der Schwangeren, die den Fetus nur rechtsmissbräuchlich schädigen will, die rechtfertigende Wirkung einer Gefahrenlage versagt wird. Entsprechende Erwartungen provozierte erst diejenige Schwangere, deren rechtsmissbräuchliche Absicht auch in ein entsprechendes äußerliches Verhalten gemündet ist, das sich wiederum in einem indikationenbegründenden Gefahreneintritt niedergeschlagen hat278. Eben diesen Nachweis dürfte eine Rechtsordnung jedoch schwerlich führen können, wie bereits zur sonst vorwerfbaren Herbeiführung einer Indikationenlage durch die Entfaltung teratogener Faktoren oder Ausübung potenziell gefährdender Aktivitäten ausgeführt worden ist279. Zwar ist es zutreffend, dass eine Schädigungsabsicht der Schwangeren die Beweisführung erleichtert. So hat der Gesetzgeber auch deshalb auf eine Strafandrohung für die fahrlässige Ungeborenentötung verzichtet, weil er den damit verbundenen Kausalitätsnachweis nicht zu führen können glaubte. Demgegenüber hat er die vorsätzliche – im Übrigen nicht nur absichtliche, sondern auch bedingt vorsätzliche – Ungeborenentötung in § 218 Abs. 1 StGB zum Gegenstand eines Straftatbestandes erhoben, ohne dass er sich hieran durch Zweifel an seiner eigenen Schutzfähigkeit gehindert sah280. Gar noch einen 278  Zum notwendigen Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen dem Vorverhalten der Schwangeren und dem Gefahreneintritt i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB, s. erstmals oben Seite  358 ff. [I. 3. c)]. 279  Vgl. oben Seite  400 f. [1. c)]. 280  Tatsächlich dürften sich hier – sofern die nur gebilligte Ungeborenentötung der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren entspringt – aber Beweisschwierigkeiten offenbaren. Zur erschwerten Beweisführung über eine Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens durch die allgemeine Lebensführung der Schwangeren,



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Schritt weiter ging § 1 Abs. 3 DE ESchG, sofern er vom Tatbestand der „Embryonenschädigung“ auch leichtfertige Handlungen erfasst sehen wollte; bereits diese sollten dem Beweis eher zugänglich als einfach fahrlässige Handlungen sein281. Dies verdient nun insofern Zustimmung, als die verschiedenen Verhaltensformen von Vorsatz und Fahrlässigkeit innerhalb des Unrechtstatbestandes beschreiben, welche psychische Beziehung der Täter zum äußeren Tatgeschehen eingenommen hat, sodass subjektive und objektive Tatseite stets aufeinander bezogen sind282. So wird sich die jeweilige Erscheinungsform des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit auch im objektiven Tatverhalten niederschlagen, wenn jenes den täterlichen Willen (innerhalb einer Vorsatzstrafbarkeit) bzw. die täterliche Unvorsicht (innerhalb einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit) erkennbar nach außen treten lässt. Die nur fahrlässige Schädigung eines Fetus, bei der die Schwangere die Auswirkungen ihres Verhaltens nicht (so in den Fällen unbewusster Fahrlässigkeit) oder nur in dem Vertrauen auf einen glücklichen Ausgang (so in den Fällen bewusster Fahrlässigkeit) wahrnimmt283, wird sich beispielsweise noch unschwer durch eine ihrer allgemeinen Lebensgewohnheiten vollziehen können. Demgegenüber wird sich das Verhalten der Schwangeren, soweit ihr Leichtfertigkeit vorgeworfen wird, so gestalten müssen, dass es „die gebotene Sorgfalt in einem ungewöhnlich hohen Maße verletzt“284. Kommt es ihr gar gerade auf die Herbeiführung des Schädigungserfolges an, wird sie voraussichtlich eine gravierende Einwirkung vollziehen, muss sie doch Vorkehrungen treffen, damit ihr Verhalten die angestrebte Wirkung auch tatsächlich entfalten wird. Ein gefährdendes Verhalten, das einem zielgerichteten Erfolgswillen der Schwangeren genügen muss, wird in diesem Sinne also aus der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren hervorstechen und die Kenntnisnahme des Staates vom jeweiligen Vorverhalten der Schwangeren erleichtern. Ist es aber in ein multifaktorielles Umfeld einges. bereits oben Kap. 4, Seite  294 f. [Abschn.  3, B. I. 2. a)]; zur demgegenüber erleichterten Beweisführung über absichtliche Abbruchshandlungen s. oben Kap. 4, Seite  295 f. [Abschn.  3, B. I. 2. b)]. 281  Siehe dazu bereits oben Kap. 4, Seite  294 f. [Abschn.  3, B. I. 2. a)] u. Begr. zum DE ESchG v. 29.04.1986, abgedr. in Günther / Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin2, Anhang I, 352 (356); Lenckner / Winkelbauer, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 211 (218). 282  Siehe dazu § 16 StGB u. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 144, 203 u. 658. 283  Zur Unterscheidung von unbewusster und bewusster Fahrlässigkeit s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 661. 284  Zur Def. der Leichtfertigkeit s. BGHSt 14, 240 (255); 33, 66 (67); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 662; zur Def. in Auslegung des § 1 DE ESchG v. 29.04.1986 s. dessen Begr., abgedr. in Günther / Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin2, Anhang  I, 352 (355) u. Lenckner / Winkelbauer, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 211 (221).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

bettet, wie es die verschiedenen, für eine Schwangerschaft schädlichen Einflüsse bilden, kann die Rechtsordnung das potenziell gefahrbringende Verhalten zwar identifizieren, dessen tatsächliche Auswirkungen auf den Fetus jedoch immer noch nicht isolieren. Ob eine diagnostizierte fetale Fehlbildung tatsächlich auf das Vorverhalten der Schwangeren zurückgeführt werden kann, die Folge eines anderen (von der Schwangeren nicht „verschuldeten“) teratogenen Faktors ist oder schlicht der spontanen Häufigkeit solcher Fehlbildungen entspringt, bleibt ihr letzten Endes doch verborgen285. 3. Conclusio

Dies führt nun dazu, dass wegen eines Schwangerenverhaltens, das die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB durch eine fetale Schädigung herbeizuführen scheint, kein strafrechtlicher Vorwurf formuliert werden kann, gleich ob sich jene Schädigung nur sonst vorwerfbar oder gar rechtsmissbräuchlich vollziehen soll286. Insofern haben Beweisschwierigkeiten den Gesetzgeber nicht nur davon abgehalten, die (vorsätzliche wie fahrlässige) Embryonenschädigung unter Strafandrohung zu verbieten, sodass diesbezüglich sowohl die fetale Integrität als auch die seelische Gesundheit der Schwangeren schutzlos gestellt ist. Dieselben Beweisschwierigkeiten haben den Gesetzgeber überdies auch daran hindern müssen, der Schwangeren die Schädigung des Fetus und hierdurch vermittelte Gefährdung ihrer eigenen seelischen Gesundheit innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB vorzuwerfen. So entfaltet die Schwangere etwa mit einem Alkoholmissbrauch, aber auch beispielsweise mit der Ausübung einer gefährlichem Sportart ein Vorverhalten, das geeignet ist, eine für das jeweilige Teratogen typische Fehlbildung des Fetus herbeizuführen und im Zuge dessen auch ihre eigene seelische Gesundheit i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB schwerwiegend zu beeinträchtigen. Ob seiner Eingliederung in die allgemeine Lebensführung der Schwangeren wird sich jenes Vorverhalten nicht selten jedoch dem staat­ lichen Blickwinkel entziehen. Selbst wenn es zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen sollte und durch diese als ein potenziell gefahr285  Vgl. oben Kap. 4, Seite  301–303 [Abschn.  3, B. II. 1.]. Demgegenüber werden Erfahrungssätze über die objektive Tötungseignung der gewählten Abbruchshandlung den Kausalitätsnachweis erleichtern, wenn es darum geht, die für § 218 Abs. 1 StGB maßgebliche Tathandlung zu isolieren; vgl. oben Kap. 4, Seite  295 f. [Abschn.  3, B. I. 2. b)]. 286  Anders Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (367), der der Schwangeren die strategische Schädigung des Fetus im Wege der a. i. i. c. zurechnen will; i. Erg. entsprechend will Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 216 f., der Schwangeren die Rechtfertigung in Fällen strategischer Schädigung „aus dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs“ heraus versagen.



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bringendes Verhalten identifiziert werden würde – was in Fällen einer rechtsmissbräuchlichen Schädigung eher der Fall sein wird, als wenn sich die Frau nur sonst vorwerfbar verhält –, bleibt es in ein multifaktorielles Umfeld eingebettet, in dem fetale Schädigungen nicht nur auf das gewillkürte Verhalten der Schwangeren, sondern auch auf erbliche Anlagen, Umwelteinflüsse und dergleichen mehr zurückgehen können. Es ist jenes multifaktorielle Umfeld, das es der Rechtsordnung verwehrt, ein Vorverhalten der Schwangeren als tatsächlichen statt nur potenziellen Ursprung einer durch eine fetale Schädigung vermittelten seelischen Gesundheitsgefährdung zu identifizieren. So wiederholt sich in der vorweggenommenen Interessenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB also diejenige eingeschränkte Schutzfähigkeit des Gesetzes, auf die das vorangegangene vierte Kapitel bereits eingegangen ist, als es die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ und mit ihr die Schutzlosigkeit des Ungeborenen vor fahrlässigen Tötungen wie bloßen Verletzungen zu thematisieren hatte: Nur eingeschränkt schutzfähig ist das Gesetz, soweit sich eine Verhaltensweise jenseits seines Blickwinkels vollzieht, nur eingeschränkt schutzfähig ist es auch, soweit es jenseits der vorsätzlichen Tötung nur schwerlich einen Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Schwangeren und einem Erfolgseintritt am Ungeborenen nachvollziehen kann. So eröffnet sich ihm auch der Kausalzusammenhang zwischen einem Vorverhalten der Schwangeren und dem Eintritt eines Schädigungserfolgs am Ungeborenen nicht, durch den die indikationenbegründende Gesundheitsgefährdung vermittelt werden soll. Indem es der Gesetzgeber in § 218a Abs. 2 StGB durch eine abstrakt-generelle Fassung der Interessenabwägung also ausgeschlossen hat, dass sich ein Beitrag der Schwangeren zur Gefahrenverursachung zugunsten des ungeborenen Lebens auswirken könnte, hat er jedenfalls an dieser Stelle nur auf Einschränkungen seiner eigenen Schutzfähigkeit reagiert und dasjenige Ergebnis vorweggenommen, das Beweisschwierigkeiten für jeden konkreten Einzelfall erwarten ließen. IV. Eine „Nötigungsindikation“ Weil § 218a Abs. 2 StGB jede Gefahr für das Leben der Schwangeren sowie jede Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung deren körper­ lichen oder seelischen Gesundheitszustandes ungeachtet ihres Ursprungs als rechtfertigende Indikationenlage anerkennt, kann die Schwangere also selbst jene Indikationenlage herbeiführen, ohne dass ihr die rechtfertigende Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB verwehrt würde. Dies gilt für ihren allgemeinen Gefahrverursachungsbeitrag, der sich darauf beschränkt, dass sie an dem zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr willentlich teilhat, gleichermaßen aber auch für etwaige besondere Gefahrverursachungsbeiträ-

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

ge, so etwa wenn sie ernsthaft mit Suizid droht oder wenn man meint, durch ihr Vorverhalten eine letztlich auch ihren eigenen seelischen Gesundheitszustand tangierende Schädigung des Fetus verwirklicht zu sehen. Ob jener Irrelevanz des Gefahrenursprungs kann nun aber nicht nur die Schwangere, sondern auch ein Dritter die Durchführung eines rechtmäßigen Abbruchs herbeiführen, sofern sein Tun nur diejenige Wirkung auf Leben oder Gesundheit der Schwangeren entfaltet, die § 218a Abs. 2 StGB als rechtfertigend anerkennt. Zur exemplarischen Veranschaulichung denke man etwa an denjenigen Ehemann, der seiner schwangeren Frau mit Schlägen droht oder dessen bereits entfaltete Gewaltanwendung die konkludente Drohung fortdauernder Gewaltanwendung beinhaltet287, sollte sie eine unerwünschte Schwangerschaft nicht abbrechen. Ebenso denke man an denjenigen Ehemann, der seiner schwangeren Frau mit dem Verlassen droht, trage sie besagte unerwünschte Schwangerschaft weiter aus, oder der auch nur – ohne einen Kausalzusammenhang zwischen seiner Drohung und einem etwaigen Abbruch zu benennen – seinen Willen kundtut, sie nach der Geburt zu verlassen, weil er den Gedanken an ein Leben mit dem erwarteten Kind schlichtweg nicht ertrage. Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach der Wirksamkeit einer durch Drohung erzwungenen Einwilligung der Schwangeren, sondern tun sich darüber hinaus Parallelen zu einer weiteren im Rahmen der Notstandsregelungen der §§ 34, 35 StGB diskutierten Fallkonstellation auf, die ebenda unter dem Begriff des „Nötigungsnotstandes“ geführt wird: einer Fallkonstellation, in der der Täter durch die Gewaltanwendung oder Drohung eines Dritten zur Tatbegehung genötigt wird, d. h. Opfer einer Nötigung ist (§ 240 StGB). Während im Rahmen des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes diskutiert wird, ob das Notstandsrecht des § 34 StGB infolge der Nötigung gänzlich entfallen muss oder wenigstens eine Einschränkung erfährt288, vermag die abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB, die auch nicht durch eine Rechtfertigungsvoraussetzung der sozialethischen Angemessenheit ergänzt wird, eine entsprechende Nötigung und Herbeiführung der Indikationenlage nicht zu berücksichtigen. Die folgenden Ausführungen werden in diesem Zusammenhang zunächst hinterfragen, inwiefern sich die vermuteten Parallelen zwischen „Nötigungsindikation“ (§ 218a Abs. 2 StGB) und „Nötigungsnotstand“ (§ 34 StGB) nicht nur prima facie auftun, sondern auch einem zweiten Blick standhalten. Erst wenn in einem ersten Schritt die Vergleichbarkeit der fraglichen Sachverhalte festgestellt worden ist, soll in einem zweiten Schritt auf die unter287  Zur Abgr. von vis compulsiva u. Drohung mit künftiger Gewalt s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 403 u. 405 f. 288  Siehe dazu Wessels / Beulke, AT42, Rn. 443 m. w. N. in Fn. 81.



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schiedliche Behandlung von „Nötigungsnotstand“ einerseits (§ 34 StGB), „Nötigungsindikation“ (§ 218a Abs. 2 StGB) andererseits eingegangen werden. 1. Die Definition einer „Nötigungsindikation“

a) Die tatbestandsmäßige Nötigung des Täters zur Tatbegehung Nach der Definition von Wessels und Beulke liegt ein Nötigungsnotstand dann vor, „wenn der Täter zugleich Opfer einer Nötigung (§ 240) ist, dh durch Gewalt oder Drohung mit einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit seiner selbst, eines Angehörigen oder einer ihm nahe stehenden Person zu einer rechtswidrigen Tat genötigt wird“289. Will man die Entscheidung der umstrittenen rechtlichen Behandlung des Nötigungsnotstandes nicht vorwegnehmen, wird diese Definition jedoch an zweierlei Punkten gekürzt werden müssen. So setzen Wessels und Beulke die fehlende Rechtfertigungsfähigkeit der im Nötigungsnotstand begangenen Tat voraus, indem sie von der Nötigung zu einer „rechtswidrigen Tat“ schreiben: Denn nur wenn dem genötigten Täter die Berufung auf das Notstandsrecht des § 34 StGB versagt wird, wird der Nötigungserfolg mit einer „rechtswidrigen Tat“ benannt werden können. Weiter hat die favorisierte Entschuldigung der abgenötigten Tat290 Eingang in die Definition gefunden, indem sie die Nötigungsmittel – „Gewalt oder Drohung mit einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit seiner selbst, eines Angehörigen oder einer ihm nahe stehenden Person“ – in Anlehnung an die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes (§ 35 StGB) qualifiziert, auf den bei verneinter Rechtfertigungsfähigkeit ausgewichen werden muss. Mit Blick darauf, dass die unterschiedliche Behandlung des „Nötigungsnotstands“ in § 34 StGB und der „Nötigungsindikation“ in § 218a Abs. 2 StGB aber erst in den nachfolgenden Ausführungen erörtert werden soll291, mithin die verschiedenen Ansichten zur rechtlichen Behandlung des „Nötigungsnotstandes“ in die vergleichende Betrachtung mit der „Nötigungsindikation“ einbezogen werden sollen, wird jene Definition an dieser Stelle um ihre eine Entscheidung des Meinungsstreits vorwegnehmenden Bestandteile gekürzt werden müssen. AT42, Rn. 443. favorisierten Entschuldigung der im Nötigungsnotstand begangenen Tat nach § 35 StGB (statt Rechtfertigung nach § 34 StGB) s. etwa Jescheck / Weigend, AT5, 484; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 41b; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 443 m. w. N. in Fn. 82. 291  Erörtert auf Seite  426 ff. [ab Gliederungspkt.  3. a)]. 289  Wessels / Beulke, 290  Zur

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Wenn im Folgenden von Fallkonstellationen des Nötigungsnotstandes oder der „Nötigungsindikation“ geschrieben wird, seien damit also zunächst solche Sachverhalte angesprochen, in denen der Täter zu einer – nicht zwingend rechtswidrigen – Tatbegehung genötigt wird und sich die Nötigung seiner Person durch nicht weiter qualifizierte Nötigungsmittel – nämlich durch Gewaltanwendung oder Drohung mit einem empfindlichen Übel – vollzieht. b) Die rechtswidrige Nötigung des Täters zur Tatbegehung Demgegenüber wird die Definition an anderer Stelle ergänzt werden müssen. Während der Definition des Nötigungsnotstandes von Wessels und Beulke nur eine solche Nötigung entnommen werden kann, die den Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB verwirklicht, setzen Nötigungsnotstand und „Nötigungsindikation“ nach hier vertretener Ansicht voraus, dass der Täter nicht nur tatbestandsmäßig, sondern auch rechtswidrig zur Tatbegehung genötigt worden ist und sich das gegen ihn entfaltete Verhalten insbesondere als „verwerflich“ i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB darstellt. Dass die Definition in diesem Sinne präzisiert werden muss, kann der Diskussion um das tatbestandliche Unrecht der Nötigung entnommen werden. Zunächst erblickt die herrschende Meinung in § 240 Abs. 1 StGB einen „offenen“ oder „ergänzungsbedürftigen“ Tatbestand, der so weit gefasst ist, dass seine Verwirk­ lichung in Abweichung von anderen Straftatbeständen nicht ohne Weiteres die Rechtswidrigkeit der Nötigung indiziert292. Ein entsprechendes Unrechtsurteil kann stattdessen erst nach einer die Gesamttat bewertenden Feststellung getroffen werden, wie sie der Gesetzgeber auf der Ebene der Rechtfertigung in § 240 Abs. 2 StGB normiert hat. Demnach ist die Tat – sofern nicht bereits ein Rechtfertigungsgrund eingreift – nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel auch zu dem angestrebten Zweck verwerflich ist293. Insofern sind Erwägungen, die gemeinhin Teil der Prüfung des tatbestandlichen Unrechts sind, innerhalb der Nötigung auf die Ebene der Rechtswidrigkeit ausgelagert: Erst das Korrektiv des § 240 Abs. 2 StGB soll aus der Fülle tatbestandsmäßiger Verhaltensweisen diejenigen Nötigungen aussondern, die strafwürdig sind294. Soweit die Definition des Nötigungsnotstands auf das Unrecht des Nötigers verweist, kann sie also nicht nur auf die Verwirklichung des TatbestanAT42, Rn. 286; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 422. StGB , § 240 Rn. 38; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 422–426; beide jeweils m. w. N. 294  Vgl. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 424, zu den Grundlagen der Bewertung nach § 240 Abs. 2 StGB, die eine Ergänzung des Unrechtstatbestandes bilden. 292  Wessels / Beulke, 293  Fischer,

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des des § 240 Abs. 1 StGB Bezug nehmen, sondern muss auch das Korrektiv des § 240 Abs. 2 StGB einbeziehen. Ein Nötigungsnotstand wie auch eine „Nötigungsindikation“ setzt demnach voraus, dass der Täter zugleich Opfer einer rechtswidrigen Nötigung (§ 240 Abs. 2 StGB) ist, d. h. durch Gewalt oder Drohung rechtswidrig zur Tatbegehung genötigt wird. c) Die Herbeiführung einer Indikationenlage Hinzutreten muss schließlich, dass die Nötigung des Dritten nicht nur den Willen des Täters beugt, sondern ihm auch erst den Anwendungsbereich eines Rechtfertigungsgrundes eröffnet. Zur Veranschaulichung betrachte man den von Wessels und Beulke beschriebenen Beispielsfall zum Nötigungsnotstand295: Mit vorgehaltener Waffe droht A dem B, ihn zu erschießen, falls er C nicht die Fenster einwerfe. Die Drohung des A erzwingt nicht nur das Verhalten des B (das Einwerfen fremder Fenster), sondern begründet für B zugleich auch eine gegenwärtige Lebensgefahr, die als Notstandslage den Anwendungsbereich des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes, § 34 StGB, eröffnet. Inwiefern der Umstand, dass jene Notstandslage durch die Drohung eines Dritten herbeigeführt worden ist, die Rechtfertigungsfähigkeit der Tat des B in Frage stellt, wird erst in der Interessenabwägung (§ 34 S. 1 StGB) und Angemessenheitsklausel (§ 34 S. 2 StGB) des so für einschlägig befundenen § 34 StGB entschieden werden. Ein weiteres Mal soll die einleitende Definition des Nötigungsnotstandes also geändert werden: Ein Nötigungsnotstand liegt nach hier vertretener Ansicht vor, wenn der Täter zugleich Opfer einer rechtswidrigen Nötigung ist und die Nötigungsmittel so beschaffen sind, dass sie die Notstandslage des § 34 StGB herbeiführen und mithin wenigstens den Anwendungsbereich des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes eröffnen. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter durch Gewalt oder Drohung mit einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr rechtswidrig zur Tatbegehung genötigt wird. Entsprechend muss eine „Nötigungsindikation“ voraussetzen, dass die Schwangere zugleich Opfer einer rechtswidrigen Nötigung ist und die Nötigungsmittel so beschaffen sind, dass sie die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB herbeiführen und mithin den Anwendungsbereich der medizinisch-sozialen Schwangerschaftsabbruchsindikation eröffnen. Dies ist dann der Fall, wenn nach ärztlicher Erkenntnis durch die Gewaltanwendung oder Drohung mit einem empfindlichen Übel eine auf zumutbare Weise nicht anders abwendbare Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren verursacht worden ist. 295  Wessels / Beulke,

AT42, Rn. 443.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB 2. Die Subsumtion unter die Definition der „Nötigungsindikation“

Unter Verwendung dieser – in Anlehnung an die Definition des „Nötigungsnotstandes“ entwickelten – Definition der „Nötigungsindikation“ sollen die eingangs exemplarisch beschriebenen Verhaltensweisen von die Schwangere bedrohenden Dritten nun darauf untersucht werden, ob sie eine Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB herbeirufen und den Anforderungen an eine rechtswidrige Nötigung genügen: Ein Ehemann drohe seiner schwangeren Frau für den Fall mit Schlägen (oder lässt durch eine bereits entfaltete Gewaltanwendung die konkludente Drohung fortdauernder Gewaltanwendung erkennen), dass sie eine unerwünschte Schwangerschaft nicht abbricht. Ein anderer Ehemann drohe seiner schwangeren Frau mit dem Verlassen, wenn sie die ihm unerwünschte Schwangerschaft weiter austrägt, oder gibt auch nur – ohne einen Kausalzusammenhang zwischen seiner Drohung und einem etwaigen Abbruch zu benennen – seinen Willen kund, sie nach der Geburt zu verlassen, weil er den Gedanken an ein Leben mit dem erwarteten Kind schlichtweg nicht ertrage. a) Die Herbeiführung einer Indikationenlage Der Definition einer „Nötigungsindikation“ werden die besagten Sachverhalte zunächst nur dann genügen, wenn durch das Verhalten des Dritten nicht nur die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch erzwungen wird, sondern auch eine medizinisch-soziale Indikationenlage herbeigeführt wird. Kein Sachverhalt einer „Nötigungsindikation“ liegt demnach in solchen Fallkonstellationen vor, in denen die Voraussetzungen an eine medizinisch-soziale Indikationenlage bereits vor der Intervention des Dritten bejaht werden konnten: so etwa, wenn das Austragen der Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben der Schwangeren begründet, jene sich aber zunächst entschieden hatte, die Schwangerschaft unter Hinnahme jener Gefahr fortzusetzen statt zur Abwehr jener Gefahr abzubrechen. Man stelle sich zur Veranschaulichung eine Sachverhaltskonstellation vor, innerhalb derer sich die Schwangerschaft der Frau F in ihrem fortgeschrittenen Verlauf so gestaltet, dass ihre Fortsetzung das Leben der F gefährdet. Aus Verbundenheit mit dem Ungeborenen und religiösen Motiven lehnt F einen Abbruch jedoch ab und will stattdessen die Lebensgefahr in Kauf nehmen. Aus Angst um seine Frau droht ihr verzweifelter Ehemann M nunmehr, sie zu verlassen und die gemeinsamen Kinder mitzunehmen, sollte sie der gefährlichen Schwangerschaft kein Ende bereiten. F, die diese Drohung ernst nimmt, entschließt sich daraufhin schweren Herzens zum Abbruch, um ihre Familie vor den Folgen einer Trennung zu bewahren. Erzwingt der Dritte M hier die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch, wird seine Drohung zwar



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für ihre Einwilligung, nicht aber für das Vorliegen einer Indikationenlage ursächlich. Weiter reicht die Wirkung der Drittintervention, wenn durch sie nicht nur die Schwangereneinwilligung, sondern auch die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB herbeigeführt wird: so nämlich, wenn erst die jeweilige Drohung des Dritten die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes begründet, ja, gegebenenfalls – vermittelt über diese psychische Beeinträchtigung – auch den körperlichen Gesundheitszustand der Schwangeren in Mitleidenschaft zu ziehen droht oder gar die soeben diskutierte Suizidmotivation der Schwangeren formt. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn sich die Frau F im vorliegend bemühten Beispielsfall durch die Aussicht, einen behinderten Fetus auszutragen und aufzuziehen, zwar psychisch nicht unerheblich beeinträchtigt sähe, sich mit der Situation aber zu arrangieren vermochte, sodass keine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes drohte. Nun aber stelle man sich vor, wie ihr Ehemann M die Fortsetzung der Schwangerschaft vehement ablehnte: Um die Geburt eines behinderten Kindes zu verhindern, drohte er F mit der Trennung, sollte sie nicht unter Inanspruchnahme einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer seelischen Gesundheit auf einen Abbruch hinwirken. Erst jene Verlassensdrohung des M verstärkt die bereits durch die Diagnose einer fetalen Behinderung ausgelösten Angstzustände der F so sehr, dass sie der schwierigen Schwangerschaft nach ärztlicher Erkenntnis i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB nicht mehr gewachsen ist. Es kommt zum medizinisch-sozial indizierten Abbruch. Es sind diese Sachverhalte, die ob ihrer Ähnlichkeit mit Sachverhalten des „Nötigungsnotstandes“ im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollen. b) Die tatbestandsmäßige Nötigung der Schwangeren zum Abbruch Bevor aber auf die unterschiedliche rechtliche Behandlung des Nötigungsnotstandes in § 34 StGB und der „Nötigungsindikation“ in § 218a Abs. 2 StGB eingegangen werden kann, setzt eine Vergleichbarkeit mit den Sachverhalten des „Nötigungsnotstandes“ weiter voraus, dass die Schwangere durch die angeführten Drittverhaltensweisen auch i. S. d. § 240 Abs. 1 StGB zum Abbruch genötigt wird. aa) Die Drohung (auch mit einem Unterlassen) Zunächst stellt jeder der exemplarisch vorgestellten Dritten mit der fortdauernden Anwendung körperlicher Gewalt oder der Aussicht auf Trennung

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ein künftiges, seinem Einfluss unterliegendes Übel in Aussicht296. Für die Drohung, die Beziehung zur Schwangeren abzubrechen, tut sich dabei die Besonderheit auf, dass jene Drohung – bei abweichender Formulierung – auch als Drohung mit einem Unterlassen gedeutet werden kann: als Drohung, die Fortsetzung der ehelichen Beziehung mitsamt der ihr eigenen, wechselseitigen Unterstützung zu unterlassen. Inwiefern solche Drohungen mit einem Unterlassen den Tatbestand der Nötigung verwirklichen, ist nun in der Rechtsliteratur Gegenstand eines Meinungsstreites297. So hat die früher herrschende Meinung den Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB nur dann bejaht, wenn dem mit einem Unterlassen Drohenden eine entsprechende rechtliche Handlungspflicht obliegt298. Im vorliegenden Beispielsfall aber wäre der Ehemann – gleichwohl er mit der Schwangeren durch ein Obhutsgarantenverhältnis verbunden ist299 – in keinem Falle von Rechts wegen verpflichtet, die Beziehung zu der Schwangeren fortzusetzen, sodass ein Teil der Rechtslehre bereits aus diesem Grunde eine Nötigung verneinte. Angesichts dessen, dass sich Drohungen mit Tun und Unterlassen, wie der vorgestellte Fall zeigt, jedoch kaum mehr als nach der Formulierung unterscheiden lassen, sollte deren Differenzierung nicht über die Tatbestandsmäßigkeit einer Nötigung entscheiden können300. In Übereinstimmung mit der heutigen Rechtsprechung des BGH sollten etwaige Wertungsunterschiede, die sich aus jener Differenzierung ergeben können, stattdessen erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit und in den ihr eigenen Abwägungsprozessen Berücksichtigung finden. Nicht strafwürdige Fälle werden in diesem Sinne erst durch das Regulativ des § 240 Abs. 2 StGB ausgeschieden301, sodass trotz des Mangels an rechtlicher Handlungspflicht auch die Verlassensdrohung, deren Gegen296  Zur Def. der Drohung i. S. d. § 240 StGB s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 402. 297  Dazu Hillenkamp, 40 BesT-Probleme11, 7.  Pr., 28–33; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 407–416. 298  Für eine Tatbestandsmäßigkeit nur bei Garantenpflicht des Nötigers s. BGH NStZ 1982, 287, u. die weiterführenden Nachweise bei Hillenkamp, 40 BesT-Probleme11, 7.  Pr., 28 (28 f.) m. w. N. Für eine Tatbestandsmäßigkeit bei (allgemeiner) Rechtspflicht des Nötigers s. RGSt 14, 264; 63, 424 (425 f.); BGH GA 1960, 277; Horn / Wolters, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 240 Rn. 16; unter Einschränkungen auch Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 9, Rn. 50 f.; zsfd. Hillenkamp, 40 BesT-Probleme11, 7.  Pr., 28 (29 f.) m. w. N.; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 407 f. 299  Siehe dazu RGSt 71, 187 (189); BGHSt 2, 150 (153 f.); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 718. 300  Vgl. BGH NStZ 1982, 287, u. Wessels, BesT / 121, Rn. 401, zur Ankündigung, bestehende Beziehungen menschlicher Art abzubrechen; s. dazu Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 416. 301  So die Ansicht des BGH seit 1983 und seiner Entscheidung in BGHSt 31, 195 (200); s. ferner Eser / Eisele, in: Sch / Sch, StGB28, § 240 Rn. 10 u. 20a; Fischer, StGB60, § 240 Rn. 34; Träger / Altvater, in: Jähnke et  al., LK‑StGB / 611, § 240



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stand einer Auslegung als Tun wie Unterlassen gleichermaßen zugänglich ist, unter den Tatbestand der Nötigung subsumiert werden kann. bb) Das empfindliche Übel Als „empfindlich“ würde das in Aussicht gestellte Übel nun angesehen, wenn es eine erhebliche Werteinbuße darstellte und „bei objektiver Beurteilung unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen geeignet“ wäre, „einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen“, anders gewendet: wenn von dem Bedrohten in seiner Lage nicht erwartet werden könnte und müsste, dass er der Bedrohung „in besonnener Selbstbehauptung“ standhält302. Zweifel an der Empfindlichkeit des der Schwangeren angekündigten Übels kommen nun insbesondere in derjenigen Fallkonstellation auf, in der sich das angedrohte Übel auf ein Verlassen der Schwangeren durch ihren Ehemann und damit auf ein rechtlich erlaubtes Verhalten beschränkt303. Angesichts des hohen Werts, der dem von einer erfolgreichen Nötigung betroffenen postnidativen ungeborenen Leben nach den Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1 Abs. 1 GG und ihrer Auslegung durch die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG zukommt, wäre die Forderung nach einer „besonnenen Selbstbehauptung“ der Schwangeren zu erwägen mit der Folge, dass entsprechende Drohungen sie bereits mangels Empfindlichkeit des in Aussicht gestellten Übels nicht zu nötigen wüssten304. Eingedenk dessen, dass eine jede Auslegung gesetzlicher Vorschriften die – das Leitprinzip vorliegender Untersuchung bildende – „Einheit der Rechtsordnung“ zu wahren hat305, ließe eine solche Auslegung des § 240 Abs. 1 StGB jedoch diejenige Wertung außer Acht, die der Gesetzgeber in § 218a Abs. 2 StGB ausdrücklich getroffen hat. Unter Anerkennung der Rechtmäßigkeit des Abbruchs verlangt das Gesetz der Schwangeren ebenda nämlich gerade nicht ab, der (zusätzlichen) psychischen Belastung einer Rn. 62–64; zsfd. Hillenkamp, 40 BesT-Probleme11, 7.  Pr., 28 (30 f.) m. w. N; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 409–413. 302  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 404; Hervorhebung aus dem Orig. nicht übernommen. Siehe dazu ferner insbesondere BGHSt 32, 165 (174); BGH NStZ 1982, 287. 303  Vgl. dazu BGH NStZ 1982, 287; Kröger, in: Jähnke et  al., LK‑StGB / 511, § 218a Rn. 11; Roxin in ders., Grundlagenprobleme, 184 (194). 304  Zu einer entsprechenden Erwägung, auch den um einen Schwangerschaftsabbruch ersuchten Arzt zur „besonnenen Selbstbehauptung“ gegenüber einer Suiziddrohung seiner Patientin anzuhalten, s. oben Seite  372 f. [II. 1. a) bb) (1)]. 305  Zur „Einheit der Rechtsordnung“ s. eingehend oben Kap. 3, Seite  144–180 [Abschn.  2].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Verlassensdrohung standzuhalten, sofern die Aussicht auf Trennung ihren durch die Schwangerschaft bereits sensibilisierten seelischen Gesundheitszustand nur so schwer zu beeinträchtigen drohte, dass jene Gefährdung den Anforderungen des § 218a Abs. 2 StGB an eine medizinisch-soziale Indikation genügte306. Die abstrakt-generelle Vorwegnahme des Abwägungsergebnisses in § 218a Abs. 2 StGB wie auch dessen Verzicht auf ein der Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB entsprechendes Regulativ schafft ungeachtet der Mannigfaltigkeit möglicher Gefahrenursprünge gerade keinen Raum, um der Schwangeren jenseits der Grenze zur Lebensgefahr oder Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes eine Selbstbehauptung gegen die Gefahr abzuverlangen. Wenn das Gesetz in § 218a Abs. 2 StGB damit zu erkennen gibt, dass einer Schwangeren Konfliktlagen eines bestimmten Ausmaßes nicht zugemutet werden können oder auch nur sollen, dann muss diese gesetzliche Wertung auch im Rahmen des § 240 Abs. 1 StGB zum Tragen kommen, dessen Nötigung die Konfliktlage des § 218a Abs. 2 StGB – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit den allgemeinen Auswirkungen einer Schwangerschaft auf den seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren – erst begründet hat. Auch eine Drohung wie die, ihr Ehemann werde die Schwangere verlassen, begründet in dem Umfang ein empfindliches Übel i. S. d. § 240 Abs. 1 StGB, in dem § 218a Abs. 2 StGB die Schwangere ob der dadurch geschaffenen oder vollendeten Konfliktlage von ihrer grundsätzlichen Pflicht zur Selbstbehauptung, nämlich zum Austragen der Schwangerschaft gemäß § 218 Abs. 1 StGB, entbindet. Gleiches wird für die Drohung mit (fortdauernder) Gewaltanwendung gelten müssen, sofern die ihr entspringenden Ängste den durch die Belastungen der Schwangerschaft bereits sensibilisierten seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren dergestalt in Mitleidenschaft ziehen, dass eine Beeinträchtigung in dem von § 218a Abs. 2 StGB verlangten Ausmaß droht. cc) Kausalität, objektive Zurechnung und Nötigungsvorsatz Sind die der Schwangeren vorliegend exemplarisch in Aussicht gestellten Übel mithin in diesem Sinne empfindlich, verwirklichen die jeweiligen Drohungen eines Dritten den objektiven Tatbestand der Nötigung, sofern die Schwangere nur ihren Willen durch das ihr jeweils angedrohte Übel beugen und den Abbruch vornehmen lässt, die Drohung mit dem empfindlichen Übel also ursächlich für den Nötigungserfolg wird307. Weiter wird dem mit 306  Vgl. dazu oben Seite 373 [II. 1. a) bb) (2)] zur entsprechend verneinten Erwartung an eine „besonnene Selbstbehauptung“ des um einen Schwangerschaftsabbruch ersuchten Arztes, der mit einer Suiziddrohung seiner Patientin konfrontiert wird. 307  Zur Kausalität zw. Einsatz des Nötigungsmittels u. Nötigungserfolg s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 417.



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Gewalt drohenden Ehemann ob des von ihm benannten Kausalzusammenhangs – „ich werde dich (wieder) schlagen, wenn du diese Schwangerschaft nicht abbrichst“ – unproblematisch auch ein Vorsatz des Inhalts zuzusprechen sein, dass er seine schwangere Frau durch die Drohung zu einem Abbruch bewegen will308. Etwas differenzierter wird der Nötigungsvorsatz in denjenigen Fallkonstellationen zu beurteilen sein, in denen der Mann nicht mit Gewaltanwendung, sondern mit dem Verlassen seiner schwangeren Frau droht. Der Vorsatz des Mannes wird in dem Fall, in der er seiner schwangeren Frau mit dem Verlassen droht, trage sie die ihm nicht genehme Schwangerschaft weiter aus, zweifellos den von ihm selbst benannten Kausalzusammenhang zwischen seiner Drohung und dem gewünschten Abbruch erfassen. Weniger eindeutig wird sein Vorsatz dann auf diesen für die Verwirklichung des Tatbestands des § 240 Abs. 1 StGB notwendigen Kausalzusammenhang gerichtet sein, wenn er ohne Benennung eines solchen lediglich die künftige Trennung ankündigt, weil er den Gedanken an ein Leben mit dem erwarteten Kind nicht ertrage. In jenem Fall mag die Schwangere durch die Aussicht auf ein Beziehungsende seelisch schwer belastet und ob jener Belastung zu einem Abbruch motiviert werden. Um gegen den Mann den Vorwurf der tatbestandsmäßigen Nötigung richten zu können, müsste jedoch sichergestellt werden, dass er diese Reaktion seiner Frau wenigstens vorausgesehen und billigend in Kauf genommen hat309. c) Die rechtswidrige Nötigung der Schwangeren zum Abbruch Sofern der Nachweis des Nötigungsvorsatzes geführt werden kann, bedarf der Vorwurf nicht nur der tatbestandsmäßigen, sondern auch der rechtswidrigen Nötigung schließlich noch der gesonderten Feststellung einer Verwerflichkeit i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB310. Rechtlich verwerflich in diesem Sinne ist, was „sozial unerträglich und wegen seines grob anstößigen Charakters sozialethisch in besonders hohem Maße zu mißbilligen ist“311. Gegenstand dieser Verwerflichkeitsprüfung ist die Verknüpfung zwischen dem Mittel der 308  Zum notwendigen Vorsatz eines Nötigers s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 419. 309  Dazu, dass hinsichtlich des abgenötigten Verhaltens nach herrschender Meinung auch Eventualvorsatz genügt, s. BGHSt 5, 245 (246); Fischer, StGB60, § 240 Rn. 53; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 419. 310  Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 422 f. 311  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 426; Hervorhebungen aus dem Orig. nicht übernommen. Siehe ferner BGHSt 17, 328 (332); 18, 389 (391); 35, 270 (276 f.).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Drohung und dem Nötigungszweck, die Schwangere zur Durchführung eines Abbruchs zu bewegen312. aa) Rechtswidrige Gewaltanwendung oder -drohung Dabei wird sich die Erzwingung eines Schwangerschaftsabbruchs durch Gewaltanwendung wie -drohung unproblematisch auch als verwerflich i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB darstellen, ist doch bereits das zur Anwendung gebrachte Nötigungsmittel – die Anwendung von oder Drohung mit Gewalt – als verwerflich zu bewerten und wird es nicht zur Verhinderung einer strafbaren oder sittenwidrigen Handlung zum Einsatz gebracht313. Angesichts dessen, dass dies für Gewaltanwendung und Drohung mit Gewalt gleichermaßen gilt, kann hier die mitunter schwierige Abgrenzung zwischen der Gewaltform der vis compulsiva und der konkludenten Drohung mit einer Fortsetzung bzw. Wiederholung bereits entfalteter Gewalt dahinstehen. bb) Rechtswidrige und rechtmäßige Verlassensdrohungen Demgegenüber kann die Drohung des Ehemannes, die Schwangere zu verlassen, zwar als moralisch, nicht aber als rechtlich verwerflich beurteilt werden. Jene Entscheidung über die Fortsetzung eines – auch rechtlich fundierten – Liebesverhältnisses gehört dem Bereich grundrechtlich geschützter Handlungsfreiheit des Drohenden an314 und kann für sich genommen dem Drohenden nicht als verwerflich angelastet werden315. Soweit die Verwerflichkeit des Zwecks in Frage steht, erklärt § 218a Abs. 2 StGB die Vornahme eines medizinisch-sozial indizierten Abbruchs ausdrücklich für rechtmäßig. Wenn weder Mittel noch Zweck des vorliegend Drohenden damit für sich genommen als verwerflich beurteilt werden können, bliebe schließlich einzig die Relation von Mittel und Zweck, an die der Vorwurf rechtswidriger, weil verwerflicher Nötigung geknüpft werden könnte.

312  Zur Rechtswidrigkeit der Nötigung i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB nach der ZweckMittel-Relation s. BGHSt 5, 254 (256); 17, 328 (331 f.); Küper, Definitionen BesT8, 242 ff.; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 426. 313  Vgl. zur Erzwingung der Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch: Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (349); dazu, dass auch das Nötigungsmittel der Gewaltanwendung nicht zwingend auf eine Verwerflichkeit i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB schließen lassen muss s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 422 m. w. N. aus der Rspr. 314  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (349). 315  So auch Roxin, in: ders., Grundlagenprobleme, 184 (194).



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(1) Die rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Indikationenlage Unschwer wird sich diese Zweck-Mittel-Relation für verwerflich darstellen, wenn sich der Nötiger ihrer gezielt bedient, um eine Lebens- oder Gesundheitsgefährdung seiner schwangeren Frau herbeizuführen, sodass einerseits der Wille seiner Frau in die ihm genehme Richtung gebeugt wird und sich das abgenötigte Verhalten andererseits rechtmäßig vollziehen kann. Als veranschaulichendes Beispiel soll der vorliegenden Untersuchung folgende Sachverhaltskonstellation dienen: Im fortgeschrittenen Schwangerschaftsverlauf der F wird im Wege der Pränataldiagnostik eine Behinderung des Fetus festgestellt. F fühlt sich durch die Aussicht, einen behinderten Fetus auszutragen und aufzuziehen, zwar psychisch nicht unerheblich beeinträchtigt, scheint sich aber mit der Situation arrangieren zu können, sodass keine schwere Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes droht. Dabei ist es ihr von entscheidender Hilfe, dass sie sich der Liebe und Unterstützung ihres Ehemannes M gewiss glaubt; wiederholt beteuert sie, dass sie diese neue Lebenssituation ohne ihn nicht zu bewältigen wüsste. Tatsächlich aber kann sich ihr Ehemann M ein Leben mit einem behinderten Kind nicht vorstellen und lehnt die Fortsetzung der Schwangerschaft aus diesem Grund vehement ab. Weil er die Labilität und emotionale Abhängigkeit der F erkennt und um die Geburt eines behinderten Kindes zu verhindern, droht er F mit der Trennung, sollte sie nicht unter Inanspruchnahme einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer seelischen Gesundheit auf einen Abbruch hinwirken. Wie von M vorausgesehen und gewollt, verstärkt erst seine Verlassensdrohung die bereits durch die Diagnose einer fetalen Behinderung ausgelösten Angstzustände der F so sehr, dass sie der schwierigen Schwangerschaft nach ärztlicher Erkenntnis i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB nicht mehr gewachsen ist und ihre Einwilligung zur Durchführung eines medizinisch-sozial indizierten Abbruchs erklärt. Mag seine Entscheidung über die Fortsetzung des Liebesverhältnisses auch Teil seiner grundrechtlich geschützten Handlungsfreiheit sein, muss es sozialethisch doch in hohem Maße zu missbilligen sein, wenn er sich der Verlassensdrohung nicht (nur) bedient, um seinen schwindenden Willen zur Aufrechterhaltung der partnerschaftlichen Beziehung zum Ausdruck zu bringen, sondern wenn es ihm gerade darauf ankommt, eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit seiner Frau herbeizuführen, durch die sich jene zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs angehalten sehen und ihn von der drohenden Vaterschaft befreien soll. Mehr aber noch will er nicht nur in solch grob anstößiger Art und Weise einen bestimmten Willensentschluss der Schwangeren erwirken, sondern will er zugleich dafür Vorsorge tragen, dass sie den von ihm begehrten Entschluss zum Abbruch der Schwangerschaft auch rechtmäßig in die Tat umsetzen kann. So muss ihm

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also auch ein Missbrauch des Rechts zum Vorwurf gemacht werden: § 218a Abs. 2 StGB ist die Wertung zu entnehmen, dass bestimmte Konfliktlagen, die dem besonderen Zustand der Schwangerschaft entspringen oder mit Blick auf die gegenwärtigen wie künftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren zu erwarten sind, nach dem Willen des Gesetzes eine Tötung des Ungeborenen sollen rechtfertigen können. Indem der Dritte eine solche rechtfertigende Konfliktlage gezielt herbeizuführen sucht, sucht er die Rücksichtnahme des Gesetzes auf schicksalhafte Konfliktlagen einer Schwangeren zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen316. Die Gefährdung seiner Frau ist damit nur sein „Nahziel“, das seinem „Fernziel“, von der unliebsamen Vaterschaft befreit zu werden, in verschiedener – verwerf­ licher  – Hinsicht als notwendiges Mittel vorausgesetzt ist. (2) Die sonst vorwerfbare Herbeiführung der Indikationenlage Anders wird die Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation dann zu bewerten sein, wenn der Mann der Schwangeren nicht „strategisch“ mit dem Verlassen droht, sondern durch das Inaussichtstellen eines drohenden Beziehungsendes nur zum Ausdruck bringen will, dass er seinerseits der durch die Schwangerschaft geschaffenen Konfliktlage nicht standhält und sich der ihn belastenden Situation nur durch eine Trennung zu entziehen weiß. Auch jener Mann führt die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB herbei; es kommt ihm jedoch weder gerade darauf an, eine Lebens- oder Gesundheitsgefährdung seiner Frau zu bewirken, noch sucht er den täterbegünstigenden Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB zu seinem Vorteil auszunutzen und mithin das Recht zu missbrauchen. Insofern geht die Frage nach der Verwerflichkeit seines Verhaltens dahin, ob ihm die Herbeiführung der Indikationenlage sonst in irgendeiner Weise vorgeworfen werden kann. Der Veranschaulichung möge eine Abwandlung der bereits bemühten Sachverhaltskonstellationen dienen: Im fortgeschrittenen Schwangerschaftsverlauf der F wird im Wege der Pränataldiagnostik eine Behinderung des Fetus festgestellt. F fühlt sich durch die Aussicht, einen behinderten Fetus auszutragen und aufzuziehen, zwar psychisch nicht unerheblich beeinträchtigt, scheint sich aber mit der Situation arrangieren zu können, sodass keine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes droht. Sie entschließt sich, die Schwangerschaft auszutragen. Obwohl er sich selbst ein Leben mit einem behinderten Kind nur schwerlich vorstellen kann, möchte ihr Ehemann M diesen Entschluss aus Liebe zu seiner Frau unterstüt316  Zu einem solchen Rechtsmissbrauch im Allgemeinen vgl. Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 32 Rn. 226; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 55; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 347.



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zen. Mit fortschreitendem Schwangerschaftsverlauf fühlt sich M durch die Sorge um seine Frau und die in Aussicht gestellte Sorge um ein behindertes Kind aber mehr und mehr überfordert und entschließt sich letztlich schweren Herzens, die schwangere F zu verlassen. Dabei hält er es für möglich, dass F auf die Trennung mit einem Abbruch reagiert, und nimmt diese Folge auch in Kauf. Tatsächlich verstärkt erst seine Verlassensdrohung die bereits durch die Diagnose einer fetalen Behinderung ausgelösten Angstzustände der F so sehr, dass sie der schwierigen Schwangerschaft nach ärztlicher Erkenntnis i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB nicht mehr gewachsen ist und ihre Einwilligung zur Durchführung eines medizinisch-sozial indizierten Abbruchs erklärt. (a) Missbilligung wegen Verstoßes gegen § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB? Das Verlassen einer Lebensgemeinschaft mag nun für den einen oder anderen einen moralischen Vorwurf auslösen. Ein Vorwurf, der für das Recht relevant ist, erwächst daraus jedoch nicht: Man wird das Verlassen einer persönlichen Verbindung heutzutage weder für „sozial unerträglich“ befinden noch wird man ihm einen „grob anstößigen Charakter“ zumessen. Dies gilt selbst dann, wenn die persönliche Verbindung in die Rechtsform der Ehe gekleidet ist. Zwar folgt dieser Rechtsform nach § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB die Verpflichtung der Ehegatten „zur ehelichen Lebensgemeinschaft“ und gegenseitigen Verantwortung, die gemäß § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich auch unauflöslich ist. Die Ehegatten sind demnach von Rechts wegen dazu angehalten, einander nach Kräften beizustehen und zu helfen317, und können, initiiert durch einen Eheherstellungsantrag, gar durch einen Beschluss des Familiengerichts zur Verwirklichung jener Pflicht angehalten werden. Das Recht selbst nimmt dieser (eher theoretischen) Verpflichtung jedoch sogleich wieder ihre praktische Relevanz, indem es einen solchen Beschluss, der dem Eheherstellungsantrag stattgibt, gemäß § 120 Abs. 3 FamFG für nicht vollstreckbar befindet318. Noch einen Schritt weiter geht es in der Relativierung dieser grundsätzlich lebenslänglichen Verpflichtung, indem es deren Beendigung für den Fall des Scheiterns der Ehe anerkennt (§ 1353 Abs. 2 BGB)319. Reagiert der Mann in vorliegendem Beispielsfall auf die Aussicht der Geburt eines behinderten Kindes in der Weise, dass er dadurch auch die Lebensgemeinschaft mit seiner Frau in grundlegender Weise verändert sieht und die erkannte Veränderung nicht 317  Zur Verpflichtung der Ehegatten nach § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB s. BT-Drs. 7 / 4361, 6 f.; Schlüter, BGB / FamR14, Rn. 40 ff. 318  Siehe dazu Schlüter, BGB / FamR14, 43. Bereits vor Inkrafttreten des FamFG war ein Urteil über die sog. Eheherstellungsklage gemäß § 888 Abs. 3 ZPO a. F. nicht vollstreckbar; s. dazu noch ders., BGB / FamR12, Rn. 43. 319  Siehe dazu Schlüter, BGB / FamR14, Rn. 45.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

mittragen kann oder will, wird dies als ein Scheitern der Beziehung anerkannt werden müsse320, das zwar höchst unerfreulich und gar traurig, nicht aber „sozial unerträglich“ und „grob anstößig“ ist. Dies muss selbst dann gelten, wenn die Verlassensdrohung den seelischen Gesundheitszustand seiner Frau in dem Sinne gefährdet, dass er schwer beeinträchtigt zu werden droht. So wird der Vorschrift des § 1353 BGB zwar auch ein wechselseitiges Obhutsgarantenverhältnis der Ehegatten entnommen, das die Ehegatten verpflichte, voneinander Leibes- und Lebensgefahren abzuwenden321. Diese Obhutsgarantenstellung kann jedoch auch dann nicht zur Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft oder auch nur häuslichen Gemeinschaft verpflichten, wenn deren Aufkündigung einen der Ehegatten so verzweifeln lässt, dass er an seiner Gesundheit Schaden zu nehmen droht oder gar mit Suizid droht322. Anderenfalls würde man es einem Ehegatten unter Umständen gar unmöglich machen, sich von seiner Obhutsgarantenstellung zu befreien, die mit einer ernsthaften und erkennbaren Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft entfällt323. Entsprechend erkennt das Recht innerhalb des § 1568 BGB auch nur insofern eine „unauflösliche“ Verpflichtung der Ehegatten an, als in seltenen Ausnahmesituationen die Scheidung – nicht bereits die Anerkennung des Scheiterns der Ehe oder das Getrenntleben der Ehegatten – versagt werden kann, wenn durch sie aufgrund außergewöhn­ licher Umstände eine für den Antragsgegner unerträgliche Lage geschaffen würde324. Eine Lösung von den Verpflichtungen aus § 1353 BGB einschließlich der Obhutsgarantenstellung will und kann die Härteklausel des § 1568 BGB demgegenüber nicht verhindern. (b) M  issbilligung wegen Verletzung einer Obhutsgarantenpflicht gegenüber dem Ungeborenen? Diese Einschätzung fehlender Verwerflichkeit i. S. d. § 240 Abs. 2 StGB wird auch nicht durch eine etwaige Obhutsgarantenstellung des Mannes gegenüber dem ungeborenen Leben tangiert. Soweit der mit dem Verlassen dro320  Zum Scheitern einer Ehe vgl. § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB; näher dazu Ey, in: Säcker / Rixecker, MK‑BGB / 76, § 1565 Rn. 3; Schlüter, BGB / FamR14, Rn. 169–171. 321  RGSt 71, 187 (189); BGHSt 2, 150 (153); 7, 268 (269 f.); 19, 167 (168); Fischer, StGB60, § 13 Rn. 21. 322  Siehe BGHSt 7, 268 (271) (auch bei Suizidgefahr des anderen Ehegatten keine Pflicht, die Hausgemeinschaft fortzusetzen). 323  Zur Beendigung der Obhutsgarantenstellung durch die erkennbare und ernsthafte Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft s. BGHSt 48, 301 (301 u. 305). 324  Siehe dazu BGH FamRZ 1981, 1161 (1162 f.); OLG Stuttgart FamRZ 1992, 320 (320); Schlüter, BGB / FamR14, Rn. 183 f. Zur Ehescheidung im Allgemeinen s. ders., a. a. O., Rn. 168 ff.



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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hende Mann auch der Erzeuger des Fetus ist, wird ihm zwar überwiegend eine Obhutsgarantenstellung zugewiesen, die ihn dazu verpflichtet, das Ungeborene nicht nur vor „Naturrisiken“, sondern auch vor dem rechtswidrigen Tötungsverhalten Dritter oder der Schwangeren selbst zu schützen325. Die Verpflichtung, einen rechtmäßigen Abbruch zu verhindern, wird ihm hingegen nicht auferlegt, auch dann nicht, wenn es darum geht, ihm Verhaltensweisen zu verbieten, die eine rechtfertigende Indikationenlage fördern: Es obliegt nicht seinem Verantwortungsbereich, seinen persönlichen Lebensentwurf so zu gestalten, dass Gefährdungen für die seelische Gesundheit seiner schwangeren Partnerin entgegengewirkt wird, die die Durchführung eines medizinisch-sozial indizierten Abbruchs fördern. Wenn das Gesetz der Schwangeren in § 218a Abs. 2 StGB gar das Recht zuerkennt, einer als schwerwiegend empfundenen Belastung durch die Tötung des Ungeborenen zu entkommen, muss ihrem Mann oder Lebensgefährten auch das Recht zugestanden werden, sich der seinerseits empfundenen Belastung durch eine räumliche Trennung zu entziehen, die die Belastung der Schwangeren und Möglichkeit eines medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruchs erhöht. cc) Conclusio Für den Mann, der zwar wenigstens billigend in Kauf nimmt, dass seine Verlassensdrohung für einen medizinisch-sozial indizierten Abbruch ursächlich werden wird, die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB jedoch nicht absichtlich herbeiführt, kann nach hier vertretener Ansicht mithin kein Vorwurf der rechtswidrigen Nötigung formuliert werden. Anders stellt sich der Sachverhalt dann dar, wenn die Herbeiführung der medizinisch-sozialen Indikationenlage von der Absicht des mit Trennung drohenden Mannes erfasst ist, sodass es ihm auf die Gefährdung seiner Frau wie auch auf den Missbrauch des Rechts gerade ankommt. Seine „strategische“ Verlassensdrohung ist ebenso wie die Gewaltandrohung eine rechtswidrige Nötigung der Schwangeren zum Abbruch. Für diese letzteren beiden Drohungen bestätigen sich mithin Parallelen zu Sachverhalten des Nötigungsnotstands, die sich dadurch auszeichnen, dass der Täter einerseits rechtswidrig zur Tatbegehung genötigt wird und ihm andererseits durch die Nötigung der Anwendungsbereich eines Rechtfertigungsgrundes eröffnet wird. 3. Die rechtliche Behandlung der „Nötigungsindikation“

Welche Behandlung erfahren nun aber Sachverhalte des Nötigungsnotstands durch § 34 StGB einerseits und solche der „Nötigungsindikation“ 325  Merkel,

in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (327).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

durch § 218a Abs. 2 StGB andererseits? Während der Gesetzgeber dem Rechtsanwender in § 34 StGB mit der konkret-individuell offenen Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel gleich zwei Instrumente anheim gestellt hat, innerhalb derer die Art des Gefahrenursprungs und mit ihm die Erzwingung der Notstandshandlung durch einen Dritten Berücksichtigung finden kann, geht der medizinisch-soziale Indikationentatbestand solcher Einbruchsstellen verlustig, wenn § 218a Abs. 2 StGB die Abwägung zwischen den Interessen der Schwangeren und des postnidativen ungeborenen Leben abstrakt-generell vorwegnimmt und auf ein Regulativ jener Abwägung gänzlich verzichtet. Den Ursprung einer rechtfertigenden Gefahrenlage scheint der Gesetzgeber mithin auch dann für unerheblich zu befinden, wenn er nach allgemeinen Grundsätzen zwar nach Beachtung verlangte, innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB jedoch das Leben oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes einer Schwangeren betrifft. Einzig das Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB scheint dem Rechtsanwender insofern (zunächst) noch einen Weg zu weisen, wie er das abstrakt-generell vorweggenommene Abwägungsergebnis für den Fall korrigieren kann, dass die Gefahr der rechtswidrigen Nötigung eines Dritten – etwa einer Gewaltanwendung oder rechtsmissbräuchlichen, da „strategischen“ Verlassensandrohung – entspringt. a) Die Rechtsfolgen des Nötigungsnotstandes nach den §§ 34, 35 StGB Was zunächst die konkret-individuell offene Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel des § 34 StGB betrifft, so bedienen sich Rechtsprechung und Rechtslehre derer unterschiedlich, um die Rechtfertigungsfähigkeit einer ihrerseits rechtswidrig erzwungenen Notstandshandlung entweder – ggf. unter Einschränkungen – zu bejahen oder aber gänzlich zu verneinen326. Soweit vertreten wird, die allgemeinen Notstandsregeln unverändert zur Anwendung kommen zu lassen, verneinen einschlägige Stimmen unterschiedlich die Erheblichkeit dieses spezifischen Gefahrenursprungs oder aber befinden ihn zwar für erheblich, sehen seine Berücksichtigung aber bereits durch die konkret-individuell offene Fassung der rechtfertigenden Merkmale des § 34 StGB gewährleistet327. Insbesondere die Erforderlichkeit der Notstandshandlung soll in Sachverhalten des Nötigungsnotstandes besonderes Augenmerk verdienen, steht doch in Frage, ob sich der Genötig326  Zsfd. dazu Pawlik, Notstand, 299 m. w. N. in Fn. 83; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 443 m. Fn. 81. 327  So etwa Baumann / Weber / Mitsch, AT11, § 17, Rn. 81; Frister, AT5, Kap. 17, Rn. 20; Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 14; Pawlik, Notstand, 303; Renzikowski, Notstand, 67.



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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te nicht vorrangig gegen den nötigenden Hintermann zur Wehr setzen könnte, etwa indem er die Hilfe Dritter einschließlich der Polizei beanspruchte oder sich im Rahmen der Notwehr auch selbst gegen den Hintermann behauptete328. Während man insoweit also bereits in der Anwendung allgemeiner Notstandsregeln hinreichend Raum erkennt, um den Entstehungsgründen einer abgenötigten Tat Rechnung zu tragen, wollen andere Stimmen die Gewichtung des spezifischen Gefahrenursprungs nicht dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten, sondern dem Rechtsanwender an die Hand geben, in welchem Ausmaß eine gefahrbegründende rechtswidrige Nötigung die Schutzwürdigkeit der in die Notstandslage verstrickten Interessen tangiert. In diesem Zusammenhang werden die Anforderungen an ein wesentliches Überwiegen im Rahmen der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB unterschiedlich konkretisiert, der Rechtfertigung nämlich eine besondere Qualität der zu schützenden Rechtsgüter des genötigten Täters wie auch der durch eine Notstandshandlung tangierten Rechtsgüter des Eingriffsadressaten vorausgesetzt. In Sachverhalten des Nötigungsnotstandes dürfe der Eingriffsadressat etwa nicht mehr als einen geringfügigen Sacheingriff oder eine andere entsprechend geringfügige Beeinträchtigung zu erdulden haben329, wenigstens aber müsse neben der Rechtfertigung seiner Tötung auch diejenige nicht ganz unerheblicher Beeinträchtigungen von Freiheit oder körperlicher Integrität ausgeschlossen sein330. Auf Seiten des Genötigten wiederum soll die Rechtfertigung nur demjenigen Notstandstäter zuteil kommen, der durch die Nötigung in seinen hochrangigen Individualrechtsgütern („Leib, Leben oder Freiheit“) gegenwärtig gefährdet ist331, und dies für „Leib oder Freiheit“ auch nur dann, wenn deren erhebliche Beeinträchtigung zu besorgen ist332. Die herrschende Meinung schließlich verneint die rechtfertigende Wirkung eines Nötigungsnotstandes gar absolut, d. h. entscheidet die Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB oder wenigstens die von § 34 S. 2 StGB vorausgesetzte Angemessenheit für jeden Fall und losgelöst von dem Rangund Wertverhältnis, in dem die kollidierenden Rechtsgüter zueinander stehinweisend: Baumann / Weber / Mitsch, AT11, § 17, Rn. 81; Pawlik, Notstand, 303; Renzikowski, Notstand, 67. 329  So etwa Kühl, StGB27, § 34 Rn. 2; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 68. 330  So Neumann, in: Kindhäuser et  al., NK‑StGB / 14, § 34 Rn. 55a; ders., JA 1988, 329 (335). 331  Kühl, StGB27, § 34 Rn. 2; Neumann, in: Kindhäuser et  al., NK‑StGB / 14, § 34 Rn. 55a; ders., JA 1988, 329 (335); vgl. auch Freund, AT2, § 4, Rn. 50 f. (rechtfertigungsfähig, „jedenfalls wenn von dem Genötigten rechtlich nicht erwartet werden konnte, dem Nötigungsdruck standzuhalten“). 332  Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 34 Rn. 69a. 328  Darauf

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hen, zulasten des genötigten Notstandstäters333. Denn beugt sich der Täter einer rechtswidrigen Nötigung, macht er sich nach Ansicht der h. M. zum verlängerten Arm des Nötigers und tritt so auf die Seite des Unrechts, was die Bewährung der Rechtsordnung gefährden und die Schutzwürdigkeit des von ihm – nicht nur auf Kosten des Eingriffsadressaten, sondern auch auf Kosten der Rechtsordnung – vor Gefahr bewahrten Interesses mindern soll. Demgegenüber bleibt die Schutzwürdigkeit der Interessen des Eingriffs­ adressaten von der rechtswidrigen Nötigung unangetastet, sodass es auch verfehlt wäre, brachte man ihn durch eine Rechtfertigung der erzwungenen Tatbegehung um seine diesbezüglichen Abwehrrechte. Dieselben Erwägungen verwehrten es dem Rechtsanwender auch, die erzwungene Tatbegehung – jenen „Übertritt auf die Seite des Unrechts“ – als sozialethisch angemessenes Mittel zur Abwehr der durch die Nötigung geschaffenen Gefahr zu begreifen, wie es § 34 S. 2 StGB für eine rechtfertigende Wirkung aber voraussetzen würde334. Der Eingriff in ein geschütztes fremdes Rechtsgut soll durch einen Nötigungsdruck so nicht legitimiert werden können335; stattdessen soll der Nötigungsnotstand das Verhalten des Genötigten nur gemäß § 35 StGB entschuldigen können. Wenn über die rechtliche Behandlung des Nötigungsnotstandes nach den §§ 34, 35 StGB so letztlich auch keine Einigkeit herrscht, kehrt in den divergierenden Ansichten doch mehrheitlich wieder, wie die gefahrbegründende rechtswidrige Nötigung eines Dritten die Anerkennung als erheblicher Gefahrenursprung erfährt, und wird nur über die spezifischen Rechtsfolgen, die ihrer Erheblichkeit nachfolgen, gestritten. Den notwendigen Raum für diesen Streit bieten Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB und Angemessenheitsklausel des § 34 S. 2 StGB gleichermaßen: In ihrer konkret-individuell offenen Formulierung lassen sie dem Rechtsanwender hinreichend Freiheit, um zu erwägen, wie zwischen den gegenläufigen Interessen im jeweiligen Nötigungsnotstand ein verhältnismäßiger und angemessener Ausgleich geschaffen werden kann.

Günther, in: Wolter, SK‑StGB / I137, § 34 Rn. 49; Haft, AT9, 104; Jescheck / Weigend, AT5, 484; Kühl, AT7, § 8, Rn. 132; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 41b; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 443 m. Bsp.; zsfd. Pawlik, Notstand, 299 m. w. N. in Fn. 82. 334  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 443; krit. Neumann, JA 1988, 329 (333 f.). 335  Vgl. die Kritik von Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (363), an der Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs ob einer durch die Suiziddrohung der Schwangeren geschaffenen Lebensgefahr; dazu bereits abl. oben Seite 369 [II. 1. vor a)]. 333  So



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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b) Die (fehlenden) Rechtsfolgen der „Nötigungsindikation“ nach § 218a Abs. 2 StGB aa) Die abstrakt-generelle Vorwegnahme von Interessenabwägung und Angemessenheit All jenen Erwägungen, welche die Rechtsliteratur und Rechtsprechung zum Nötigungsnotstand entwickelt haben, kann der Rechtsanwender in vergleichbaren Sachverhalten einer „Nötigungsindikation“ nun bestenfalls partiell Geltung verschaffen. Diejenigen Stimmen, die in der konkret-individuell offenen Fassung des § 34 StGB bereits hinreichend Raum sehen, um die gegenläufigen Interessen (des genötigten Notstandstäters, des durch die erzwungene Notstandshandlung betroffenen Eingriffsadressaten und schließlich auch der durch die Nötigung auf die Probe gestellten Rechtsordnung) zu einem verhältnismäßigen und angemessenen Ausgleich zu bringen, müssen sich in § 218a Abs. 2 StGB mit der Formulierung eines rechtfertigenden Indikationentatbestandes begnügen, der diesen Raum empfindlich beschnitten, den Interessenausgleich nämlich abstrakt-generell vorweggenommen hat. Dabei hat auch das von jenen Stimmen im Rahmen des § 34 StGB bevorzugt bemühte Kriterium der Erforderlichkeit336 unverkennbar Einbußen genommen, wenn der Indikationentatbestand die schwangere Täterin nicht auf alle milderen, gleich wirksamen Abwehrmaßnahmen verweist, sondern sie nur zur Inanspruchnahme solcher Handlungsalternativen anhält, die – gemessen an all ihren individuellen Befindlichkeiten – noch als zumutbar gewertet werden können337. Entsprechend nimmt der Proportionalitätsmaßstab des § 218a Abs. 2 StGB zwar abstrakt-generell vorweg, dass eine Schwangerschaft nur dann gerechtfertigt beendigt werden darf, wenn die Schwangere einer Lebensgefahr ausgesetzt ist oder schwerwiegende Beeinträchtigungen ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes drohen. Eine Rücksichtnahme auf einen unter Umständen erzwungenen Gefahrenursprung, wie sie verschiedene Stimmen innerhalb des § 34 StGB durch Konkretisierung des rechtfertigenden Rechtsgüterverhältnisses zu verwirk­ lichen suchen338, vermag man hierin jedoch nicht zu erkennen: Nicht nur, dass die rechtfertigenden Gefahrenlagen zugunsten der schwangeren Täterin weiter gefasst sind, nämlich auch psychische Beeinträchtigungen statt nur 336  Siehe

dazu soeben Seite  426 [a)] m. Fn. 328. Regulativ zumutbarer Handlungsalternativen i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB s. Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 39, u. vgl. bereits oben Seite 339 [A. III.]. 338  Siehe dazu soeben Seite  427 f. [a)] m. Fn. 329–332. 337  Zum

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

„Leibesgefahren“339 erfassen, vor allem aber lässt § 218a Abs. 2 StGB jede Rücksichtnahme auf den ungeborenen Eingriffsadressaten vermissen, der mithin auch infolge einer Nötigung seine Tötung statt nur Bagatelleingriffe zu erdulden hat; damit einher geht das augenscheinlich nicht vorhandene Bemühen der Rechtsordnung, sich innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB gegenüber einer den Abbruch initiierenden Nötigung zu behaupten. Gänzlich unberücksichtigt sehen sich damit die allgemeinen Grundsätze, wie sie die herrschende Meinung für jenseits der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ erzwungene Notstandslagen formuliert hat340: Dass eine „Nötigungsindikation“ ebenso wie der Nötigungsnotstand die Rechtsposition des Opfers (des postnidativen ungeborenen Lebens) aushöhlt, indem der Nötiger seine Tötung durch die psychische Beeinflussung der Frau nicht nur tatsächlich erzwingen, sondern selbige durch die Herbeiführung einer Indikationenlage gar der Rechtfertigung zuführen kann, bleibt für § 218a Abs. 2 StGB in Ermangelung einer konkret-individuell offenen Interessenabwägung wie einer Angemessenheitsklausel folgenlos. Mag die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB so auch durch die Gewaltanwendung eines Dritten oder die rechtsmissbräuchliche, weil „strategische“ Verlassensdrohung eines Dritten herbeigeführt worden sein, partizipieren doch auch solche Sachverhalte an der rechtfertigenden Wirkung eines medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes, innerhalb derer eine Differenzierung nach Gefahrenursprüngen nicht vorgesehen ist. Für unerheblich befunden wird damit aber eine Art des Gefahrenursprungs, der nach allgemeinen Grundsätzen durchaus Beachtung gezollt wird, wenn der einer rechtswidrigen Nötigung entspringenden Gefahrenlage die rechtfertigende Wirkung des § 34 StGB entweder versagt oder wenigstens nur unter Einschränkungen gewährt wird. So muss es ausscheiden, jenes in § 218a Abs. 2 StGB abstrakt-generell vorweggenommene Abwägungsergebnis nur als antizipierte Entscheidung eines Gesetzgebers verstehen zu wollen. Denn er hat diesbezüglich nicht dasjenige in eine abstraktgenerelle Gesetzesform gegossen, was anderenfalls die Anwendung allgemeiner Grundsätze für jeden Einzelfall hätte erwarten lassen. Stattdessen hat er die persönlich statt sachlich begründete Entscheidung getroffen, Sachverhalte der „Nötigungsindikation“ in Abweichung von solchen des „Nötigungsnotstandes“ und mithin in Abweichung von allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden. Dass eine Gefahr ihren Ursprung in der rechtswidrigen Nötigung eines Dritten findet, ist dabei nicht etwa bereits per se für das Strafrecht ohne Belang. Der Nötiger wird sich gemäß § 240 Abs. 1, Abs. 4 339  Zur Auslegung des Begriffs der „Leibesgefahr“ i. S. einer Gefährdung der körperlichen Integrität s. etwa Neumann, JA 1988, 329 (335). 340  Siehe dazu soeben Seite  427 [a)] m. Fn. 333 u. 334.



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S. 2 Nr. 2 StGB dem Strafvorwurf der Nötigung in einem besonders schweren Fall stellen müssen341; dies nicht zuletzt auch, um solchen Einflussnahmen Dritter entgegenzuwirken, die den Erfolg einer Konfliktberatung im Vorfeld des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs zu vereiteln vermögen342. Aus eben jenem Grunde will das BVerfG Personen aus dem Umfeld der Schwangeren – zugleich potenzielle Nötiger – auch in die Konfliktberatung einbezogen wissen343. An anderer, vorliegend diskutierter Stelle aber bleibt die rechtswidrige Nötigung ein unerhebliches Moment: nämlich dann wenn sie in einer Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung der Schwangeren mündet und jene nach dem Willen des Gesetzgebers einen medizinisch-sozial begründeten Abbruch soll rechtfertigen können. Der „Übertritt auf die Seite des Unrechts“, der sich vollzieht, wenn die Schwangere ihren Willen der fraglichen Gewaltanwendung oder Drohung beugt, soll die Unzumutbarkeit der Gefahrenlage nach dem in § 218a Abs. 2 StGB abstrakt-generell vorweggenommenen Abwägungsergebnis nicht tangieren können. Dem kann auch nicht die Ratio des § 218a Abs. 2 StGB entgegengesetzt werden, wenngleich sie prima facie einer rechtfertigenden Wirkung der „Nötigungsindikation“ entgegenzustehen scheint. Die verlautbarte Ratio der Schwangerschaftsabbruchsindikationen ist es, im Wege spezialgesetzlicher Regelung Rücksicht auf aus der Schwangerschaft erwachsende besondere Gefahren zu üben. Hierbei handelt es sich um Gefahren, die in der „Zweiheit in Einheit“344 angelegt sind, in der sich Frau und Ungeborenes befinden und in der die Inanspruchnahme des mütterlichen Körpers durch das Ungeborene deren Leben wie Gesundheit in besonderer Weise beeinträchtigen kann. In Fällen einer „Nötigungsindikation“ hingegen, in denen der Nötiger der Schwangeren damit droht, ihr ein empfindliches Übel zuzufügen, soweit sie nicht den Abbruch vornehmen lässt, geht die Gefahr prima facie nicht aus dieser besonderen „Zweiheit in Einheit“ hervor, für welche die Schwangerschaftsabbruchsindikationen formuliert worden sind, sondern aus äußeren Umständen, die sich durch nichts von einem Nötigungsnotstand außerhalb der §§ 218 ff. StGB (im Lebensschutz Geborener) unterscheiden. Für solche äußerlichen Gefahren aber scheint die erweiterte Rechtfertigungsmöglichkeit des § 218a Abs. 2 StGB nicht konzipiert worden zu sein, sodass ihre 341  § 240 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StGB: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter […] 2. eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder […]“. 342  Vgl. BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 9, 253 u. 296). Eingehend zur Konfliktberatung im Vorfeld des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs, § 218a Abs. 1 StGB, das nachfolgende Kap. 6 (Seite  541–669). 343  BVerfGE 88, 203 (297). 344  BVerfGE 88, 203 (253).

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Anwendung zulasten des Ungeborenen prima facie nicht von dessen Ratio legis erfasst zu sein scheint. Tatsächlich aber ist für die Anwendung des § 218a Abs. 2 StGB anerkannt, dass auch psychische Belastungen indikationenbegründend wirken können, nämlich unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse zur Feststellung der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit führen können. So ist anerkannt, dass beispielsweise die Abwendung des Kindsvaters und der Familie, eine Überforderung durch Drogensucht des Lebenspartners oder eine geplante Ehescheidung eine indikationenbegründende seelische Gesundheitsgefährdung begründen können – je nach Ausprägung und konkreter Bedeutung sowie vor dem Hintergrund der Persönlichkeit der Schwangeren, ihres Gesundheitszustandes und der voraussichtlichen Entwicklung345. Kann aber bereits eine Gesamtwürdigung so­zialer, familiärer und wirtschaftlicher Belastungen, die nicht den Tatbestand der Nötigung i. S. d. § 240 StGB rechtswidrig erfüllen, indikationenbegründend wirken, so muss dies erst recht für solche Belastungen gelten, die durch eine rechtswidrige Nötigung hervorgerufen werden und mindestens ebenso schwer, wenn nicht noch schwerer wiegen werden. Insbesondere über die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren findet sich in § 218a Abs. 2 StGB also ein Einfallstor, über das auch eine von außen auf die Schwangere einwirkende Nötigung Eingang finden und indikationsbegründend wirken kann. § 218a Abs. 2 StGB beschränkt sich damit aber nicht länger – wie die vorangegangenen Ausführungen zu etwaigen besonderen Gefahrverursachungsbeiträgen wie der Suiziddrohung und fetalen Schädigung noch haben vermuten lassen – darauf, die Entscheidung über eine überschaubare Anzahl von Sachverhalten, die es unter seine Merkmale zu subsumieren gilt, nur zu antizipieren, wobei eine Übereinstimmung mit allgemeinen Grundsätzen gewahrt bliebe. Anlässlich der „Nötigungsindikation“ präsentiert sich in § 218a Abs. 2 StGB stattdessen zu guter Letzt eine qualitative Wertung des Gesetzgebers, die von allgemeinen Grundsätzen abweicht und einseitig für die Rechtsgüter der Schwangeren Partei ergreift: Vor jeder den Anforderungen des § 218a Abs. 2 StGB genügenden Gefahr soll sie sich durch die Tötung eines postnidativen ungeborenen Lebens schützen dürfen, ungeachtet dessen, worin diese Gefahr ihren Ursprung nimmt, und sei es auch ein rechtswidriger Ursprung und / oder ein Ursprung, der ihrer Tätersphäre entstammt. Um ihr dies gewährleisten zu können, hat der Gesetzgeber die In345  So bereits BVerfGE 88, 203 (297), zu Abbruchsursachen, die „in gestörten Partnerschaftsbeziehungen, in der Ablehnung des Kindes durch den Vater oder die Eltern der Frau sowie in einem Druck, der von diesen ausgeübt wird“, liegen. Siehe auch BT-Drs. VI / 3434, 21 f.; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 26 f.; Kühl, StGB27, § 218a Rn. 12; Rudolphi / Rogall, in: Wolter, SK-StGB / V137, § 218a Rn. 45; jeweils m. w. N.



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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teressenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB in ihrem Sinne abstrakt-generell entschieden und hat ihr durch den Verzicht auf eine dem § 34 S. 2 StGB entsprechende Angemessenheitsklausel gleichermaßen abstrakt-generell verbürgt, dass der Abbruch in Reaktion auf diese Gefahr stets das sozialethisch angemessene Mittel zur Konfliktlösung sein soll. bb) Die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch Gegen die Rechtmäßigkeit eines „durch Nötigung indizierten“ Schwangerschaftsabbruchs könnte nunmehr allein noch die nach § 218a Abs. 2 StGB erforderliche Einwilligung der Schwangeren streiten, die ebenso durch die Nötigung des Ehemannes erzwungen wie die indikationenbegründende Gefahrenlage durch die Nötigung herbeigeführt wird. Eine durch Nötigung erzwungene Einwilligung nämlich wird dann als unwirksam behandelt, wenn sie nicht mehr der Schwangeren, sondern dem Nötiger zuzurechnen ist. Nach herrschender Meinung ist dies dann der Fall, wenn die fragliche Ausübung von Zwang nicht nur nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine Nötigung darstellt, sondern im Sinne des Gesetzes rechtswidrig den Tatbestand der Nötigung verwirklicht346 – was nach obigen einleitenden Erwägungen zu § 240 StGB für die Gewaltandrohung ebenso wie für die von der Absicht zur Herbeiführung einer Indikationenlage begleitete Verlassensdrohung zu bejahen ist, während die Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB und mithin Rechtswidrigkeit der Nötigung für die eine Indikationenlage nur sonst vorwerfbar herbeiführende Verlassensdrohung verneint werden muss347. Demnach machte letztere Drohung die Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch nicht unwirksam, während es für die ersteren beiden an einer wirksamen Einwilligung mangelte und sich der betreffende, auf diese Drohungen zurückzuführende Abbruch als rechtswidrig präsentierte. Fraglich bleibt jedoch, ob die Anwendung jener Wirksamkeitsvoraussetzungen auf die Einwilligung in einen Schwangerschaftsabbruch derjenigen „Einheit der Rechtsordnung“ genügt, die das Leitprinzip der vorliegenden Untersuchung bildet348. So ist vorliegend bereits für die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit der besagten Drohungen darauf hingewiesen worden, dass sich die Empfindlichkeit des angedrohten Übels nach denjenigen Kriterien bemessen muss, die das Gesetz selbst in § 218a Abs. 2 StGB zum in: Sch / Sch, StGB28, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 48; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (349); Rönnau, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 207; Roxin, AT / I4, § 13, Rn. 113 u. 114; jeweils m. w. N. 347  Siehe dazu oben Seite  419–425 [2. c)]. 348  Ausführlich zur Einheit der Rechtsordnung s. oben Kap. 3, Abschn.  2 (Seite 144–180). 346  Lenckner / Sternberg-Lieben,

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Ausdruck gebracht hat. So wie es ebenda zu erkennen gibt, dass es eine Selbstbehauptung der Schwangeren gegenüber der durch die Drohung geschaffenen Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes nicht erwartet, konnte jene Selbstbehauptung auch im Rahmen des § 240 Abs. 1 StGB von der Schwangeren nicht erwartet werden349. Das Gesetz erwartet aber ungeachtet des Gefahrenursprungs nicht nur keine Selbstbehauptung der Schwangeren und entbindet sie von ihrer in § 218 Abs. 1 StGB normierten Pflicht, die Schwangerschaft auszutragen, sondern will der Schwangeren mit § 218a Abs. 2 StGB auch den Weg weisen, sich einer für unzumutbar befundenen Konfliktlage unter Schonung ihrer eigenen Rechtsgüter zu entziehen. Nachdem die Nötigung nicht nur ihren Willen gesteuert, sondern auch eine indikationenbegründende Gefahr geschaffen hat, soll die Schwangere zur Abwehr der durch die Nötigung bewirkten Gefahr nicht dem Bereich der Illegalität mit all den Erschwerungen und Gefährdungen ihrer körperlichen Integrität, ihrer Gesundheit oder gar ihres Lebens überantwortet sein, sondern eine medizinische Einrichtung und einen Arzt ihres Vertrauens bemühen können, zu deren flächendeckenden Bereitstellung der Gesetzgeber den Staat gemäß § 13 Abs. 2 SchKG gar verpflichtet hat. Würde nun der für jene rechtmäßige Gefahrenabwehr erforderlichen Schwangereneinwilligung aber ob des Gefahrenursprungs – der rechtswidrigen Nötigung des Dritten – die Wirksamkeit aberkannt, würde die dargelegte Gesetzesratio konterkariert: Der Weg einer rechtmäßigen Gefahrenabwehr durch Vornahme eines gemäß § 218a Abs. 2 StGB indizierten Schwangerschaftsabbruchs würde der Schwangeren versperrt statt eröffnet. Wollte sie sich der durch das Gesetz und seine abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung selbst für unzumutbar befundenen Konfliktlage entziehen, wäre sie in die Illegalität statt Legalität verwiesen und mithin eben jenen Erschwerungen und Gefährdungen eines nach deutschem Recht illegalen Abbruchs überantwortet, die das Gesetz gerade zu ihrem Schutz ausschließen mag. Unter Achtung seiner eigenen Ratio muss das Gesetz der Schwangeren mithin den rechtmäßigen Abbruch ermöglichen, soweit eine rechtswidrige Nötigung ihren Gesundheitszustand nur so sehr in Mitleidenschaft zu ziehen droht, dass eine Gefahrenprognose i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB formuliert werden kann, und muss deren erklärten Willen zur Tötung des Ungeborenen auch als wirksame Einwilligung in den Abbruch anerkennen. Unter dem Eindruck derjenigen gesetzlichen Wertung, die sich in der abstrakt-generell vorweggenommen Interessenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB manifestiert, wird mithin nicht eine ob des Nötigungsdrucks unwirksame Einwilligung der Schwangeren in den Abbruch für maßgeblich befun349  Siehe

dazu oben Seite  417 f. [2. b) bb)].



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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den werden dürfen. Maßgeblich kann in jenen Fällen vielmehr stets nur eine hypothetische Einwilligung sein, die durch keine Drohung erzwungen worden ist, aber mit Blick auf künftige Lebensverhältnisse getroffen worden ist, wie sie sich nach dem in Aussicht gestellten künftigen Übel darstellen. Nur so wird der Schwangeren auch in Fällen der rechtswidrigen Nötigung die Entscheidung darüber belassen, ob sie die durch die rechtswidrige Nötigung wie Schwangerschaft veränderten gegenwärtigen und künftigen Lebensverhältnisse und die durch diese Veränderung ihrer Lebensverhältnisse vermittelten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu tragen weiß oder sie aber im Einklang mit der gesetzlichen Einschätzung für unzumutbar befindet und ihnen durch einen Abbruch ein Ende zu bereiten bevorzugt. 4. Conclusio

So wie zu § 34 StGB als „Nötigungsnotstand“ solche Sachverhalte problematisiert werden, in denen der Täter rechtswidrig zur Tatbegehung genötigt wird und erst besagte Nötigung eine Gefahrenlage i. S. d. § 34 S. 1 StGB schafft, eröffnen sich für § 218a Abs. 2 StGB parallele Sachverhalte einer „Nötigungsindikation“, in denen die Schwangere rechtswidrig zum Abbruch genötigt wird und erst besagte Nötigung eine Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB herbeiführt: so etwa bei einer Drohung mit Gewaltanwendung gegen die Schwangere oder auch einer Drohung mit dem Verlassen der Schwangeren, sofern die Verlassensdrohung nur von der Absicht des Nötigers begleitet ist, eine Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB herbeizuführen. Während § 34 StGB jedoch Raum bietet, Sachverhalte des „Nötigungsnotstands“ in seiner konkret-individuell offenen Interessenabwägung (S. 1) oder Angemessenheitsklausel (S. 2) zu würdigen und dem Nötigungsnotstand nach herrschender Meinung seine rechtfertigende Wirkung zu versagen, kann die Herbeiführung einer Indikationenlage durch die rechtswidrige Nötigung eines Dritten („Nötigungsindikation“) in § 218a Abs. 2 StGB keine Berücksichtigung finden: Indem der Gesetzgeber hier auf das Regulativ einer Angemessenheitsklausel verzichtet hat und die Abwägung der kollidierenden Interessen – der durch den Abbruch geschützten Interessen der Schwangeren einerseits, der durch den Abbruch betroffenen Interessen des pränatalen Lebens andererseits – abstrakt-generell zugunsten der Schwangeren entschieden hat, hat er den Gefahrenursprung – die rechtswidrige Nötigung der Schwangeren durch einen Dritten – als irrelevant für § 218a Abs. 2 StGB befunden und die Interessen der Schwangeren ungeachtet ihres „Übertritts auf die Seite des Unrechts“ (des Nötigers) denen des ungeborenen Lebens übergeordnet. Prima facie scheint diese Abweichung von der rechtlichen Behandlung des Nötigungsnotstandes, dem § 34 StGB nach herrschender Meinung seine

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

rechtfertigende Wirksamkeit versagt, noch durch die Unwirksamkeit einer gemäß § 240 StGB rechtswidrig erzwungenen Schwangereneinwilligung korrigiert werden zu können. Will eine an der Einheit der Rechtsordnung orientierte Gesetzesauslegung aber der Ratio des § 218a Abs. 2 StGB genügen, der Schwangeren die Beendigung einer durch seine abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung für unzumutbar befundene Konfliktlage zu ermöglichen, muss ihr die Wirksamkeit einer hypothetischen Schwangereneinwilligung genügen, die zwar mit Blick auf die durch die Nötigung veränderten Lebensverhältnisse getroffen wird, selbst aber nicht als rechtswidrig durch Nötigung erzwungen angesehen wird. Weil die medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB allein die mütterlichen Belange zum Maßstab erhebt, kann ein Dritter durch psychische Einwirkung auf die Schwangere also nicht nur den Abbruch tatsächlich erzwingen, er kann mit derselben auch über Recht und Unrecht entscheiden.

C. Conclusio Kehrt man nun zurück zur eingangs formulierten Fragestellung, worin die Unerheblichkeit der täterlichen Garantenstellung wie auch des spezifischen Gefahrenursprungs innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB und in Abweichung von § 34 StGB begründet ist, muss diese Frage nach dem Vorangehenden differenziert beantwortet werden: Denn während man noch meinen könnte, dass der Gesetzgeber über die (Un‑)Erheblichkeit einer Obhutsgarantenstellung der Schwangeren wie auch über deren mögliche (allgemeine wie besondere) Gefahrverursachungsbeiträge nur vorausschauend entschieden, nämlich das Ergebnis einer Anwendung allgemeiner Grundsätze abstraktgenerell vorweggenommen hat, offenbart sich in Fällen einer „Nötigungs­ indikation“ schließlich seine Gleichgültigkeit auch gegenüber solch einem Gefahrenursprung, der sich nach allgemeinen Grundsätzen als erheblich darstellen würde. I. Das tatsächliche Fehlen einer Abwägungsrelevanz: Die Garantenstellung und (vermeintlichen) Gefahrverursachungsbeiträge der Schwangeren Insofern haben die vorangegangenen Ausführungen zunächst dargelegt, wie ein parallel zur Obhutsgarantenstellung bestimmtes „persönliches Näheverhältnis“ zwischen Schwangerer und Ungeborenem ebenso wie verschiedene mögliche Gefahrverursachungsbeiträge der Schwangeren innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB auch dann keine Berücksichtigung fänden, wenn dessen Interessenabwägung konkret-individuell offen formuliert statt abstrakt-generell vorweggenommen wäre und / oder der Indikationentatbestand eine dem



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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§ 34 S. 2 StGB entsprechende Angemessenheitsklausel kannte. Zwar scheinen die Referenzfälle des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB diesbezüglich zunächst noch eine erhöhte Gefahrtragungspflicht der Schwangeren nahe zu legen, wenn sie einem „besonderen Rechtsverhältnis“ wie auch einer Gefahrverursachung durch den Täter eine zumutbarkeitserweiternde Wirkung zuschreiben. Nur scheinbar erweitern sie die Gefahrtragungspflichten der Schwangeren in ihrem notstandsähnlichen Konflikt, als deren Verhältnis zum symbiotisch mit ihr verbundenen Ungeborenem wie auch ihr etwaiges gefährdendes Vorverhalten bestimmten qualitativen Anforderungen genügen muss, damit es vom allgemeinen Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB erfasst ist. So müsste die Schwangere der Allgemeinheit verpflichtet sein, damit ihr „persönliches Näheverhältnis“ eine Gleichstellung mit dem „besonderen Rechtsverhältnis“ i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 2 StGB erfahren kann; tatsächlich aber hält § 218 Abs. 1 StGB sie nur zur Fürsorge für das in ihr heranwachsende ungeborene Leben an. Ihr Vorverhalten wiederum müsste den indikationsbegründenden Gefahreneintritt objektiv zurechenbar herbeigeführt haben und überdies eine Pflicht oder wenigstens Obliegenheit verletzt haben; eben jene qualitativen Anforderungen vermag das gefährdende Vorverhalten verschiedentlich aber nicht zu erfüllen. Insofern muss eine „strategische“, rechtsmissbräuchlich gemeinte Suiziddrohung der Schwangeren bereits deshalb ins Leere gehen, weil sie unter Einbeziehung des Sonderwissens einer „strategisch“ handelnden Schwangeren gar nicht darauf ausgerichtet ist, eine Lebensgefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB herbeizuführen, sondern nur einer diesbezüglichen Täuschung dienen soll. Demgegenüber geht mit einer ernsthaften Suiziddrohung zwar eine Lebensgefahr einher, jedoch ginge es fehl, die Verlautbarung eines Selbsttötungsvorhabens als deren Ursache zu klassifizieren, während sie zutreffend doch nur einen Entschluss in Worte fasst, den ein ganzes Bündel verschiedener Faktoren (aus den Lebensumständen und der Disposition des potenziellen Suizidenten) bereits anderweitig geformt hat. Selbst wenn man hierin aber eine Bedingung für den Eintritt ihrer Lebensgefährdung erkennen wollte, könnte ihr eine entsprechende Gefahrverursachung nicht vorgeworfen werden: Zwar wäre die in den angedrohten (eigenmächtigen) Suizid integrierte Ungeborenentötung rechtswidrig, sodass die Schwangere diesbezüglich Gefahrabwehrmaßnahmen anderer Obhutsgaranten zu erdulden hätte und insofern auch einen Rechtsnachteil erlitte. Die so verbleibende Vorwerfbarkeit ihres Vorverhaltens, die sich aus einer rechtswidrigen Gefährdung des ungeborenen Lebens speist, steht jedoch in keiner Beziehung zu ihrer Lebensgefährdung i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB, der sie nicht eigenmächtig mit ihrer Tötung begegnen will, sondern aus der sie sich durch die Tötung des Ungeborenen im Gegenteil verfahrensgemäß zu befreien sucht: In Ermangelung einer Art des „Obliegenheitsverletzungszusammenhangs“ böte

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

ein dergestalt formulierter Vorwurf mithin keinen Anlass, um eine Schwangere in erhöhtem Maße zur Erduldung ihrer (vermeintlich selbst verursachten) Lebensgefahr anzuhalten. Weiterhin sieht sich bereits die Kausalität des Schwangerenvorverhaltens in Frage gestellt, sofern die Schwangere eine Verhaltensweise entfaltet, die geeignet ist, den Fetus zu schädigen, und die so – vermittelt über den Schädigungserfolg am Fetus – auch die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres eigenen seelischen Gesundheitszustandes in sich birgt. Denn ob der Eingliederung des gewillkürten Verhaltens der Schwangeren in ein multifaktorielles Umfeld, in dem fetale Schädigungen alternativ auch auf erbliche Anlagen, Umwelteinflüsse und dergleichen mehr zurückgehen können, bleibt es der Rechtsordnung verwehrt, den diesbezüglichen Kausalitätsnachweis zu führen und erfährt die Schutzfähigkeit des Gesetzes eine neuerliche Einschränkung. Dies wird selbst dann gelten müssen, wenn die Schwangere den Fetus – in einer eher theoretischen Sachverhaltskonstellation – „strategisch“ zu schädigen suchte, um sich einen indizierten und mithin rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 StGB zu ermöglichen. Insofern lässt die Schädigungsabsicht der Schwangeren ihr Vorverhalten zwar aus ihrer allgemeinen Lebensführung hervortreten – sie erleichtert dem Staat so aber nur die Kenntnisnahme von ihrem Vorverhalten, nicht den Kausalitätsnachweis, wenn das so identifizierte Vorverhalten in Konkurrenz zu anderen möglichen Gefahrursprüngen tritt. So ist es auch nur folgerichtig, wenn die diesbezüglich mit Beweisschwierigkeiten konfrontierte Rechtsordnung darauf verzichtet hat, ein Verbot der Schädigung des ungeborenen Lebens zu normieren; auch eine entsprechende Obliegenheit kann ihr nicht entnommen werden. Weder die Verletzung der fetalen „Integrität“ noch die hierdurch vermittelte Gefährdung des eigenen seelischen Gesundheitszustandes kann sie der Schwangeren in ihrer diesbezüglich eingeschränkten Schutzfähigkeit zum Vorwurf machen. Demgegenüber bildet die willentliche Teilnahme der Schwangeren am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr in einem ersten Schritt zwar noch eine nachweisbare, da notwendige Bedingung für den Eintritt einer Schwangerschaft und ihren gefahrbegründenden Verlauf; auch kann die Verletzung einer Obliegenheit in Erwägung gezogen werden, folgt der Einnistung eines empfangenen Embryos doch die in § 218 Abs. 1 StGB normierte Verpflichtung der Schwangeren nach, die Schwangerschaft auszutragen und eigene Gesundheitsgefährdungen jedenfalls solange zu erdulden, bis sie in einer medizinisch-sozialen Indikationenlage eskalieren. In einem zweiten Schritt jedoch kann der Gefahreneintritt der Schwangeren nicht objektiv zugerechnet werden, wenn sich ihr diesbezüglicher Gefahrverursachungsbeitrag allein auf diese Partizipation am Geschlechtsverkehr beschränkt. Denn selbst wenn man hierdurch eine rechtlich relevante Gefahr



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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verwirklicht sähe, würde diese doch in jedem Falle durch den sozialen Nutzen des Geschlechtsverkehrs aufgewogen. Zutreffend aber müsste in dubio unterstellt werden, dass sich in der Schwangerschaft samt ihrem gefährlichen Verlauf erst gar keine durch die Schwangere geschaffene rechtlich relevante Gefahr, sondern ein allgemeines Lebensrisiko realisierte. Angesichts der nicht hundertprozentigen Sicherheit aller Verhütungsmethoden beanspruchte dies nicht nur in den Sachverhalten eines unvorhersehbar lebens- oder gesundheitsgefährdenden Schwangerschaftsverlaufs Geltung, sondern müsste auch zugunsten derjenigen sexuell aktiven Frau angenommen werden, die um ihre „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ weiß; nach dem allgemeinen Rechtsgedanken eines „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“ könnte ihr ob dessen gar der gänzliche Verzicht auf Verhütungsmittel nicht zum Vorwurf gemacht werden. Nachdem sich potenziell schädigende Vorverhaltensweisen mithin noch deshalb dem Zugriff des Gesetzes entzogen haben, weil sich in einem multifaktoriellen Umfeld keine einzelne Ursache isolieren lässt, erleidet die Schutzfähigkeit des Gesetzes an dieser Stelle insofern eine Einschränkung, als es in dubio die täterliche Verantwortlichkeit zu verneinen und stattdessen einen quasi „schicksalhaften“ Ursprung zu bejahen hat. Indem es der Gesetzgeber in § 218a Abs. 2 StGB durch eine abstraktgenerelle Fassung der Interessenabwägung ausgeschlossen hat, dass sich ein etwaiger Beitrag der Schwangeren zur Gefahrenverursachung zugunsten des postnidativen ungeborenen Lebens auswirken könnte, hat er also wenigstens für deren Suiziddrohung und deren potenziell den Fetus schädigende Verhaltensweisen nur dasjenige Ergebnis vorweggenommen, das jede Anwendung des § 34 StGB im konkreten Einzelfall erwarten ließe. Insofern könnte man also tatsächlich noch meinen, dass der Gesetzgeber über die Beachtlichkeit der verschiedenen Ursprünge, die eine Gefahr nehmen kann, nur vorausschauend entschieden hätte: Deren Abwägungsrelevanz entfiele bereits nach allgemeinen Grundsätzen, sodass es der Prägung eines eigens für die postnidative Ungeborenentötung entwickelten Sonderrechts gar nicht erst bedurfte. II. Das nur verlautbarte Fehlen einer Abwägungsrelevanz in Sachverhalten der „Nötigungsindikation“ Anders verhält sich die Rechtsordnung jedoch dann, wenn sie mit Sachverhalten der „Nötigungsindikation“ konfrontiert wird: Insofern antizipiert § 218a Abs. 2 StGB durch seine abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung wie auch durch seinen Verzicht auf eine dem § 34 S. 2 StGB entsprechende Angemessenheitsklausel nicht dasjenige Abwägungsergebnis, das auch eine Anwendung allgemeiner Grundsätze erwarten ließe.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Stattdessen schließt es der Indikationentatbestand durch seine eng gefasste Formulierung von vornherein aus, dass man dem postnidativen ungeborenen Leben denjenigen Schutz vor einem in einer rechtswidrigen Nötigung verankerten Gefahrenursprung gewährte, den ein geborener Mensch durch § 34 StGB erfahren würde. Ungeachtet dessen, dass die Schwangere in solchen Sachverhalten „auf die Seite des Unrechts“ (des Nötigers) tritt, befindet der Gesetzgeber ihr diesbezügliches „Unrecht“ als irrelevant für § 218a Abs. 2 StGB und ordnet die Interessen der Schwangeren denjenigen des postnidativen ungeborenen Lebens über, dessen Schutzwürdigkeit so – legitimiert durch den Gesetzgeber – nicht unerheblich ausgehöhlt wird: Die Gewaltanwendung oder ‑androhung vermag ebenso wie die rechtsmissbräuchliche Verlassensdrohung eines Dritten eine Gefahrenlage herbeizuführen, die seine Tötung rechtfertigt und in der Folge solche Maßnahmen, die andere zu seinem Lebensschutz unternähmen, als rechtswidrig verbietet. Dass jenes Ergebnis auch durch die Schwangereneinwilligung und die diesbezüglich formulierten Wirksamkeitsvoraussetzungen keine Korrektur erfahren kann, folgt der Ratio des Gesetzes, das der Schwangeren in § 218a Abs. 2 StGB die Beendigung einer durch seine abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung für unzumutbar befundene Konfliktlage ermöglichen will. Der Frau muss demnach eine rechtmäßige Möglichkeit belassen sein, sich aus solch einer Konfliktlage zu befreien, der Rechtsordnung wiederum muss die Wirksamkeit einer hypothetischen Schwangereneinwilligung genügen, die zwar mit Blick auf die durch die Nötigung veränderten Lebensverhältnisse getroffen wird, selbst aber nicht als rechtswidrig durch Nötigung erzwungen angesehen wird. Mit demjenigen Gefahrenursprung, der in der rechtswidrigen Nötigung eines Dritten angesiedelt ist, schließt die Regelung der medizinisch-sozialen Indikation mithin auch solch einen Umstand des Einzelfalls von der Interessenabwägung aus, der sich nach allgemeinen Grundsätzen (des § 34 StGB) als abwägungsrelevant darstellte. Anstelle einer sachlich begründeten Entscheidungsantizipation manifestiert sich in der abstrakt-generell vorweggenommenen Interessenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB so letztlich doch noch eine persönliche Bevorzugung des Rechtsgüterschutzes der Schwangeren: Die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens, die sich auf ihr Geheiß oder wenigstens mit ihrem mutmaßlichen Willen vollzieht, wird letztlich nicht nur dann für gerechtfertigt erklärt, wenn auch allgemeine Grundsätze, wie sie innerhalb einer konkret-individuell offen formulierten Interessenabwägung und einer dem § 34 S. 2 StGB entsprechenden Angemessenheitsklausel zur Anwendung kommen, für eine Rechtfertigung stritten. Maßgebend für den Gesetzgeber ist stattdessen, dass sich die Schwangere stets vor solchen Gefahren soll schützen dürfen, wie sie in § 218a Abs. 2 StGB normiert sind, und dies ungeachtet dessen, worin diese Gefah-



Abschn. 2: Von fehlender Abwägungsrelevanz

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ren ihren Anfang genommen haben, und sei es auch ein Ursprung, durch den sich die Schwangere selbst ins Unrecht gesetzt hat. III. Der Transport von Wert- und Geringschätzung durch das Mittel der Abwägungsrelevanz Eine solche Anwendung der §§ 218 ff. StGB liegt in der zu § 34 StGB unterschiedlich gewichteten Interessenabwägung begründet: § 34 StGB nimmt als gesetzliche Regelung des Aggressivnotstandes350 verstärkt Rücksicht auf die Belange des Eingriffsadressaten, in welche die Notstandshandlung eingreift. Dem Notstandstäter wird die Rechtfertigung bereits dadurch erschwert und dem Eingriffsadressaten die Chance einer rechtmäßigen Gefahrenabwehr – die sich durch die eigene Notwehr oder die Nothilfe Anderer vollzöge – bereits dadurch weitgehend erhalten, dass der Notstandstäter nur bei wesentlichem Überwiegen seines gefährdeten Interesses rechtmäßig tätig werden darf. Selbst wenn dessen Interesse wesentlich überwiegen sollte, muss er den Verlust der rechtfertigenden Wirkung des § 34 StGB jedoch für den Fall fürchten, dass er durch sein Vorverhalten die Notstandslage objektiv zurechenbar und vorwerfbar herbeigeführt hat oder aber seinerseits Opfer einer rechtswidrigen Nötigung ist und sich mit Vornahme der Tathandlung dazu entschließt, auf die Seite des Unrechts – nämlich seines Nötigers – zu treten. Während der Täter mit seinem Gefahrverursachungsbeitrag die eigene Schutzwürdigkeit relativiert hat, will die h. M. in Fällen des Nötigungsnotstandes außerdem garantiert wissen, dass eine durch Nötigung erzwungene Tat die Rechtsposition des Eingriffsadressaten nicht aushöhlen kann. Anders nun im Falle der Indikation des § 218a Abs. 2 StGB, in der die Schwangere die Tötung des postnidativen Ungeborenen rechtmäßig vornehmen lassen kann, ohne dass sie hierfür ein wesentliches Überwiegen der eigenen Interessen müsste geltend machen können351. Hier konzentriert sich der Rechtfertigungsgrund ganz augenscheinlich auf die Schwangere und ihre Belange als Notstandstäterin anstatt auf das Ungeborene und seine Belange in der Position des Eingriffsadressaten. Im Zuge dessen mag auch eine Gefahrenverursachung durch die Schwangere die rechtfertigende Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB nicht in Frage zu stellen. Während dies für die willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr, die Suiziddrohung und potenziell für den Fetus schädliche Verhaltensweisen noch nach allgemeinen Grundsätzen nachvollzogen werden kann, offenbart § 218a Abs. 2 StGB in Sachverhalten der „Nötigungsindika350  Jakobs, AT2, Abschn.  13 Rn. 6; Lesch, Notwehrrecht, 46; Ludwig, Gegenwärtiger Angriff, 117; Zimmermann, Rettungstötungen, 157. 351  Ausführl. dazu auf den Seiten 443 ff. im nachfolgenden Abschn.  3.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

tion“ ein Defizit, das zwar selten zum Tragen kommen mag, für den Einzelfall dann aber empfindlich ist: Das Ansinnen der h. M., dass die Rechtsposition des Eingriffsadressaten durch das Unrecht eines seinerseits rechtswidrig genötigten Täters nicht ausgehöhlt werden darf, kann angesichts der Konzentration auf die Belange der Schwangeren nicht durchgreifen. Indem der Gesetzgeber solchen Fällen keine Beachtung zollt, gibt er seine Priorität zu erkennen, die darin besteht, das Leben der Schwangeren sowie deren Gesundheit vor schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu schützen. Sie besteht augenscheinlich aber nicht darin, das Leben des postnidativen Ungeborenen zu schützen und nur in solchen Fällen schutzlos zu stellen, in denen es auch nach allgemeinen Grundsätzen ob eines notstandsähnlichen Konfliktes zurücktreten müsste. Denn anderenfalls hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen getroffen, um etwaige erhöhte Gefahrtragungspflichten der Schwangeren wie auch deren im Einzelfall verminderte Schutzwürdigkeit im Interesse des Ungeborenenschutzes berücksichtigen zu können. Indem er gegenteilig verfährt, die Interessenabwägung abstraktgenerell vorwegnimmt und auf ein diesbezügliches Regulativ verzichtet, schließt er es (entgegen dem einleitend angeführten Zitat Kunderas352) aber nicht nur aus, dass von ihm nicht vorhergesehene Gefahrverursachungsbeiträge der Schwangeren – andere als ihre willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr, ihre Suiziddrohung und potenziell den Fetus schädigende Verhaltensweisen – gegebenenfalls zugunsten des postnidativen ungeborenen Lebens wirken könnten. Mehr noch, ermöglicht er sich selbst für vorhersehbare Gefahrursprünge – wie die rechtswidrige Nötigung eines Dritten – eine von allgemeinen Grundsätzen abweichende Entscheidung zugunsten der Schwangeren: Wenn es um die Rechtfertigung eines Schwangerschaftsabbruchs geht, durch den die Schwangere eine Lebensgefahr oder Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden sucht, hat der Gesetzgeber über das „Für“ der Rechtfertigung ihrer Tat bereits entschieden und lässt das „Wider“ im Einzelfall nur allzu bereitwillig außer Acht. So aber erfahren die Rechtsgüter der Schwangeren uneingeschränkt die Wertschätzung, das postnidative ungeborene Leben hingegen die Geringschätzung des Strafgesetzes, wenn das Gesetz durch die enge Formulierung des § 218a Abs. 2 StGB all diejenigen Umstände ausblendet, die im Einzelfall den Rechtsgüterschutz der Schwangeren mindern, den des Ungeborenen stärken könnten.

352  Siehe oben in der Überschrift zum hiesigen Abschn.  2. Siehe auch an anderer Stelle Kundera, Abschiedswalzer, 33: „das Leben mit allem Für und Wider anzunehmen bedeutet, auch Unvorhergesehenes anzunehmen“.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

443

Abschnitt 3

Vorverlegung und Umkehrung – Ein Zweiklang in der Defensive oder Unterlassensnähe – „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun“. (Jean Baptiste Molière353)

So hat die vorliegende Untersuchung bis dato also dargelegt, wie das postnidative ungeborene Leben durch den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand teils eine sachlich begründete, teils aber auch eine persönlich begründete Ungleichbehandlung gegenüber dem geborenen Menschen erfährt: Für sachlich begründet ist noch das ausdrückliche Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB befunden worden, fasst es doch nur das grundsätzliche – auch auf § 34 StGB zur Anwendung kommende – Verbot einer sog. „aufgedrängten“ Nothilfe in Worte, innerhalb dessen es eine besondere Nothilfefeindlichkeit der Indikationen hervorhebt, die den Eigenarten des Schwangerschaftskonflikt geschuldet ist354. Gleichermaßen scheint man zunächst auch noch die abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung des medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes – ebenso wie dessen Verzicht auf eine dem § 34 S. 2 StGB entsprechende Angemessenheitsklausel – auf einen sachlichen Grund zurückführen zu können: Insofern hat die Untersuchung für verschiedene Umstände des Einzel- wie Regelfalls – zu denen die Garantenstellung, allgemeine und besondere Gefahrverursachungsbeiträge der Schwangeren zählen – dargelegt, wie sie bereits nach allgemeinen Grundsätzen das Ergebnis einer Interessenabwägung nicht zu beeinflussen vermögen. Im Anschluss hieran verwirklichte der sie nicht berücksichtigende § 218a Abs. 2 StGB keine Sonderbehandlung des postnidativen ungeborenen Lebens, sondern antizipierte nur das Ergebnis einer Anwendung allgemeiner Grundsätze. Jene sachlich anmutende Begründung der antizipierten Entscheidung des Gesetzgebers gerät jedoch ins Wanken, sobald man auf die gleichermaßen bestrittene Abwägungsrelevanz einer sog. „Nötigungsindikation“ stößt: Wenn der medizinisch-soziale Indikationentatbestand seine rechtfertigende Wirkung auch der auf die „Seite des Unrechts“ tretenden schwangeren Täterin nicht versagt, tritt erkennbar hervor, wie er seine Entscheidungsgrundlage einseitig zugunsten der Schwangeren verkürzt und seine Nega-

353  Molière, 354  Siehe

in: Puntsch, Hdb. Zitate, 427. dazu oben Seite  324–328 [Abschn.  1, B. II. 2.].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

tion der Abwägungsrelevanz in Wirklichkeit doch persönlich statt sachlich begründet ist355. Die privilegierte Stellung der tötenden Schwangeren findet hierin jedoch noch nicht ihr Ende. Sie scheint sich fortzusetzen, wenn § 218a Abs. 2 StGB durch seine abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung und seinen Verzicht auf eine dem § 34 S. 2 StGB entsprechende Angemessenheitsklausel nicht nur irgendein Abwägungsergebnis festschreibt, sondern ein solches, das die Abwägung zwischen den Lebens- und Gesundheitsinteressen der Schwangeren einerseits, dem postnidativen ungeborenen Leben andererseits zugunsten der betroffenen Frau entscheidet. Anders als der Täter einer allgemeinen rechtfertigenden Notstandshandlung (§ 34 StGB) muss die Schwangere damit kein wesentliches Überwiegen ihrer eigenen Interessen geltend machen können, um sich die rechtfertigende Wirkung des einschlägigen Erlaubnissatzes zu verdienen. Stattdessen genügen dem medizinisch-sozialen Indikationentatbestand unter Referenz auf eine Lebensgefährdung der Schwangeren auch nur gleichwertige täterliche Interessen. Unter gleichzeitiger Referenz auf die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes erkennt er gar solche täterliche Interessen als rechtfertigungsfähig an, deren Gefährdung die Qualität der sicheren Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens – vorbehaltlich der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese – niemals erreichen kann: Denn so schwer eine Gesundheitsbeeinträchtigung auch wiegen mag, wird durch sie doch keine physische Existenz unwiderruflich zerstört. Der Proportionalitätsmaßstab ist es mithin, der den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand vom allgemeinen rechtfertigenden Notstand erheblich unterscheidet. Was ihn überdies als abweichend kennzeichnet, sodass die vorliegende Untersuchung von einem „Zweiklang aus Vorverlegung und Umkehrung“ spricht, ist sein eigener Gefahrenbegriff, der keine nähere (und die rechtfertigende Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB beschneidende) Bestimmung erfährt, während § 34 S. 1 StGB ausdrücklich eine gegenwärtige Gefährdung der täterlichen Interessen verlangt und die Reichweite des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes durch sein Verlangen nach einer zeitlichen Zuspitzung der Gefahrenlage einschränkt.

355  Siehe dazu oben Seite  329–442 [Abschn.  2]; speziell zum „persönlichen Näheverhältnis“ s. ebda., Seite  344–348 [Abschn.  2, B. I. 2.]; zur etwaigen Abwägungsrelevanz des Schwangerenvorverhaltens s. ebda., Seite  348–367 [Abschn.  2, B. I. 3.], Seite  368–394 [Abschn.  2, B. II.] u. Seite  394–409 [Abschn.  2, B. III.]; zur „Nötigungsindikation“ s. ebda., Seite  409–436 [Abschn.  2, B. IV.].



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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A. Ungleichbehandlungen: Vorverlegung des Gefahreneintritts und Umkehrung des Proportionalitätsmaßstabs So tut sich im von § 218a Abs. 2 StGB verwendeten Gefahrenbegriff ebenso wie in seinem Proportionalitätsmaßstab also ein weiterer „Zweiklang“ auf, in dem sich der medizinisch-soziale Indikationentatbestand von der Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes neuerlich unterscheidet. Jene neuerlichen Abweichungen gilt es nun in einem ersten Schritt zu konkretisieren – dabei gilt es im Wege der Auslegung insbesondere zu ermitteln, ob § 218a Abs. 2 StGB seiner rechtfertigenden Wirkung wenn schon nicht ausdrücklich, so doch wenigstens stillschweigend eine zeitliche Zuspitzung der Indikationenlage voraussetzt. Auf der Grundlage einer solchen Konkretisierung der neuerlichen Abweichungen des medizinisch-so­ zialen Indikationentatbestandes von § 34 StGB können sodann in einem zweiten Schritt mögliche Erklärungsansätze hinterfragt werden, die einen sachlichen Grund für diesen „Zweiklang“ von modifiziertem Gefahrengrad und Proportionalitätsmaßstab zu offerieren scheinen. I. Vorverlegung: Eine künftige statt gegenwärtige Gefahr Zunächst also zum Gefahrenbegriff des § 218a Abs. 2 StGB, der – anders als derjenige des § 34 S. 1 StGB – durch den Wortlaut seines Erlaubnistatbestandes keine weitere Kennzeichnung erfährt. Ob die Gefahrenprognose des § 218a Abs. 2 StGB gleichwohl so gelesen werden kann, dass sie eine dem § 34 S. 1 StGB entsprechende zeitliche Zuspitzung der Indikationenlage verlangte, kann mithin erst im Wege der Auslegung ermittelt werden. Eben jener werden sich die folgenden Ausführungen widmen, wenn sie die Grammatik, Systematik und Gesetzesteleologie des Indikationentatbestandes (in den durch Art. 103 Abs. 2 GG abgesteckten Grenzen) danach befragen, ob sie eher für eine enge oder weite Auslegung des in § 218a Abs. 2 StGB verwendeten Gefahrenbegriffs streiten. Dabei würde durch eine enge Auslegung die schwangere Täterin belastet, die eine Verdichtung der Gefahrenlage abzuwarten hätte, bevor sie zur Gefahrenabwehr schritte. Demgegenüber schmälerte eine weite Auslegung die Rechtsposition des ungeborenen Eingriffsadressaten, der einen Eingriff in sein Leben noch vor Eintritt einer solchen Gefahrverdichtung hinzunehmen hätte.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB 1. Die unterschiedlichen Gefahrenbegriffe der §§ 34 S. 1 und 218a Abs. 2 StGB

„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig […]“356 – unter Referenz auf eine „gegenwärtige Gefahr“ setzt § 34 S. 1 StGB als Notstandslage einen Zustand voraus, dessen Weiterentwicklung nach dem ex ante zu bestimmenden Wahrscheinlichkeitsurteil eines objektiven Betrachters „den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden“357. Dabei genügt der zeitlichen Komponente dieser Gefahrendefinition nicht nur ein unmittelbar bevorstehender Schadenseintritt bzw. (in Fällen der Dauergefahr) ein zwar noch ungewisser Schadenszeitpunkt, der ob seiner Ungewissheit aber die Möglichkeit der unmittelbar bevorstehenden Gefahrverwirklichung einschließt (ohne die Möglichkeit auszuschließen, dass der Eintritt des Schadens noch eine Weile auf sich warten lässt)358. Der zeitlichen Komponente dieser Gefahrendefinition genügt vielmehr auch eine Situation, in der ein noch nicht unmittelbar bevorstehender, aber ernstlich prognostizierter Schadenseintritt nur durch unverzügliches Handeln abgewendet werden kann („die ‚Erforderlichkeit‘ der Gefahrenabwehr unter zeitlichem Aspekt“)359. Sehr anschaulich wird dies unter dem Begriff der „Gegenwärtigkeit der Zwangslage“ zusammengefasst, ob derer es gelte, „entweder jetzt ohne weiteren Aufschub gefahrabwendend zu handeln oder den drohenden Schaden hinzunehmen“360. Im Gegensatz dazu erfährt der Gefahrenbegriff des § 218a Abs. 2 StGB durch den Wortlaut des Indikationentatbestandes keine weitere Kennzeichnung, die zu erkennen gäbe, dass die Gefahrenprognose durch eine zeitliche Zuspitzung verifiziert werden müsste. Qualitative Anforderungen an die Gefahrenprognose formuliert § 218a Abs. 2 StGB nur insofern, als er seiner rechtfertigenden Wirkung nicht irgendeine, sondern eine „nach ärztlicher S. 1 StGB; Hervorhebung nicht im Original. AT42, Rn. 303; zur Ex-ante-Perspektive eines objektiven Betrachters ebda., Rn. 304. Vgl. ferner – noch zu den Grundsätzen eines übergesetzlichen rechtfertigenden Notstandes – RGSt 61, 242 (255); 66, 222 (225); BGHSt 14, 1 (3). 358  BGH NStZ-RR 2006, 200 (200 m. LS 1 u. 201); zur gegenwärtigen Gefahr in § 34 StGB: Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 84 f.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 306; in § 35 StGB: BGHSt 48, 255 (258). 359  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Küper, Definitionen BesT8, 116; ferner Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 84 f. 360  So Küper, Definitionen BesT8, 116; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 17. 356  § 34

357  Wessels / Beulke,



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

447

Erkenntnis“ (s. dazu auch § 218b StGB) prognostizierte Gefahr voraussetzt. Mit dem ex ante zu bestimmenden Wahrscheinlichkeitsurteil eines Arztes überantwortet § 218a Abs. 2 StGB die Gefahrenprognose so demjenigen objektiven Beobachter, der über eine besondere Eignung verfügt, die Entwicklung solcher Lebens- und Gesundheitsgefahren vorauszusagen, die dem Zustand einer Schwangerschaft entspringen361. Ob sein qualifiziertes ärztliches Urteil aber auch eine Aussage über die zeitliche Nähe des Gefahreneintritts bzw. die Notwendigkeit unverzüglicher Gefahrabwehrmaßnahmen treffen muss, gilt es erst im Wege der Auslegung des in § 218a Abs. 2 StGB verwendeten Gefahrenbegriffs zu ermitteln. 2. Die „konkrete Gefahr“ i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB

Nur prima facie scheint über das Ergebnis dieser Auslegung Einigkeit zu herrschen, wenn der in § 218a Abs. 2 StGB verwendete Gefahrengrad einhellig seine Bezeichnung als „konkrete Gefahr“ erfährt362. In einem zweiten Schritt wird über die nähere inhaltliche Konkretisierung dieser von § 218a Abs. 2 StGB vorausgesetzten „konkreten“ Gefahr jedoch gestritten – insbesondere darf die gewählte Terminologie, die augenscheinlich eine Parallele zum Gefahrengrad der konkreten Gefährdungsdelikte impliziert, nicht über die insofern bestehende Uneinigkeit hinwegtäuschen. a) Eine Auslegung in Anlehnung an die konkreten Gefährdungsdelikte Gleichwohl sei an den Beginn der nachfolgenden Betrachtungen diejenige Ansicht gestellt, die den Gefahrenbegriff in § 218a Abs. 2 StGB parallel zu dem konkreter Gefährdungsdelikte als „nahe liegende“ oder „erhebliche“ Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts versteht363. Damit sich das betroffene Rechtsgut in diesem Sinne als konkret gefährdet erweist, muss es sich 361  Zu den (nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren) Voraussetzungen an eine Gefahrenprognose i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB s. BGHSt 38, 144 (152–160); zu deren Beurteilung nach objektiven Grundsätzen s. ebda., 144 (152). 362  Dolderer, Spätabbruch, 156; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 31 m. w. N.; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (361); Rudolphi / Rogall, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 218a Rn. 43. 363  Vgl. Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 33 unter Berufung auf zwei Entscheidungen des BGH zu konkreten Gefährdungsdelikten: BGHSt 18, 271 (272), u. BGHSt 26, 176 (179); darauf hinweisend Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (362 m. Fn. 150); vgl. auch Dolderer, Spätabbruch, 156; Rudolphi / Rogall, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 218a Rn. 43 f., die allerdings nur ein erhöhtes Wahrscheinlichkeitsurteil über den drohenden Schadenseintritt (a. a. O., Rn. 43), nicht aber eine zeitliche Zuspitzung der Gefahrensituation (a. a. O., Rn. 44) verlangen.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

in einer derart kritischen Situation befinden, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob es verletzt werden wird oder nicht364. Legte man den Gefahrenbegriff des § 218a Abs. 2 StGB nunmehr parallel zu dem konkreter Gefährdungsdelikte aus, wüsste nur diejenige Risikoentwicklung einen Schwangerschaftsabbruch als medizinisch-sozial indiziert zu rechtfertigen, die sich bereits dergestalt konkretisiert hätte, dass sie den Eintritt des Todes der Schwangeren oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres körper­ lichen oder seelischen Gesundheitszustandes nicht nur möglich, sondern „erheblich wahrscheinlich“ erscheinen ließe. Das Abwarten jener Entwicklung wäre mithin auch dann vor die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch gestellt, wenn der Arzt entsprechende abstrakte Gefahren bereits hätte benennen können. b) Die weite Auslegung eines Rechtfertigungsmerkmals Dieser Übertragung des Gefahrenbegriffs konkreter Gefährdungsdelikte auf den des § 218a Abs. 2 StGB mag man nun die fehlende Vergleichbarkeit der Regelungsgehalte von Tatbestand und Rechtfertigungsgrund entgegenhalten wollen, welche eine unterschiedliche Funktion der in ihnen verwendeten Gefahrenbegriffe bedingt. In konkreten Gefährdungsdelikten fungiert die „konkrete Gefahr“ als Tatbestandsmerkmal, ist unrechts- und strafbegründend. Sie „markiert, ab wann ein gefährdendes Verhalten verboten ist, und muss deshalb entsprechend eng ausgelegt werden“365. Im Gegensatz dazu ist der Gefahrenbegriff in § 218a Abs. 2 StGB Teil der Rechtfertigung und markiert, ab wann ein gefahrabwendendes Verhalten erlaubt ist. Mangels unrechts- und strafbegründender Funktion soll es hier der engen Auslegung nicht bedürfen, sondern soll ein Gefahrengrad genügen, ab dem „sich eine zum Schutz bzw. zur Rettung tätig werdende ‚besonnene Person‘ zum Eingreifen veranlasst sehen darf“366. Eine solch unbestimmte Defini­ tion gibt für den Eintritt einer gemäß § 218a Abs. 2 StGB rechtfertigenden Gefahr mithin weder die Notwendigkeit eines erhöhten Wahrscheinlichkeitsurteils über den drohenden Schadenseintritt noch diejenige einer – wie auch immer gearteten – zeitlichen Zuspitzung zu erkennen. Tatsächlich unterscheiden sich die Funktionen eines Straftatbestands und Rechtfertigungsgrunds wesentlich, sodass es auch nur folgerichtig ist, wenn 364  Vgl.

BGH NStZ 1999, 32 (33). in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (362); Hervorhebung nicht im Original. 366  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (362); vgl. zum Gefahrenmerkmal des § 34 S. 1 StGB Neumann, in: Kindhäuser et  al., NK‑StGB / 14, § 34 Rn. 39. 365  Merkel,



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man diese unterschiedlichen Funktionen in der Auslegung ihrer Voraussetzungen berücksichtigt wissen will. Dabei ginge es jedoch zu weit, wenn man allein aus der Eigenschaft eines Tatbestandsmerkmals die Notwendigkeit einer engen Auslegung ableiten wollte, während man eine solche für die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ohne Weiteres als entbehrlich bezeichnen wollte. Zutreffend ist, dass Art. 103 Abs. 2 GG zugunsten des Normadressaten und potenziellen Täters, der die strafgesetzlichen Folgen seines Verhalten voraussehen können und vor richterlicher Willkür geschützt werden soll, unter anderem ein Verbot der strafbegründenden sowie strafschärfenden Analogie formuliert367. Demnach bildet der Wortsinn des Gesetzes die Grenze zulässiger Auslegung eines strafbegründenden oder strafschärfenden Merkmals und scheidet die Anwendung einer Norm auf Fälle, die zwar der Ratio legis entsprechen, aber nicht mehr vom Wortsinn des Gesetzes erfasst sind (Gesetzesanalogie), als verboten aus368. Insofern wendet man sich gegen die den Täter belastende, weil den Wortsinn überschreitende Anwendung eines Straftatbestandes und befürwortet in gewisser Weise tatsächlich dessen „enge“, den Wortsinn wahrende Anwendung. Entsprechend ist die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG auf Rechtfertigungsgründe zwar umstritten369, wüsste man aber die Einschränkung einer nach Sinn und Zweck des Gesetzes zu weit gefassten Erlaubnisnorm auf den ihr nach der Ratio legis zukommenden Anwendungsbereich (teleologische Reduktion)370 zu verbieten, indem man auf den Wortsinn des Rechtfertigungsgrundes als äußerste Grenze der Auslegung verwiese371. Hier wandte man sich gegen die den Täter belastende, weil den Wortsinn einengende Anwendung einer Erlaubnisnorm, während sich deren „weite“, quasi den Wortsinn der Norm ausschöpfende Anwendung jedenfalls nach Art. 103 73, 206 (234 ff.); Krey, ZStW 1989, 838 (841); ders. / Esser, AT5, Rn. 78. Zur Def. der Gesetzesanalogie s. Eser / Hecker, in: Sch / Sch, StGB28, § 1 Rn. 25; Krey / Esser, AT5, Rn. 81; Krey, ZStW 1989, 838 (842 f.). 368  BGHSt 35, 390 (395); BVerfGE 73, 206 (234 ff.); Eser / Hecker, in: Sch / Sch, StGB28, § 1 Rn. 37; Krey / Esser, AT5, Rn. 80; Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 163 f.; Roxin, AT / I4, § 5 Rn. 28; ausführl. dazu Krey, ZStW 1989, 838 (842–846). 369  Abl. etwa Krey / Esser, AT5, Rn. 94; Krey, Gesetzesvorbehalt, 236; Roxin, AT / I4, § 5, Rn. 42. Zur eine Anw. des Art. 103 Abs. 2 GG befürwortenden Gegenansicht s. die Nw. bei Rudolphi, in: Wolter, SK‑StGB / I137, § 1 Rn. 25a; für einen Überblick über die widerstreitenden Argumente s. Krey, Gesetzesvorbehalt, 233–237. 370  Zur Def. der teleologischen Reduktion s. BGHSt 42, 158 (161); Canaris, Lücken im Gesetz2, 83 f. m. Fn. 90; Krey / Esser, AT5, Rn. 89; Krey, Gesetzesvorbehalt, 25; Larenz / Canaris, Methodenlehre3, 161 u. 210 f. 371  Zum Verbot der strafbegründenden oder strafschärfenden teleologischen Reduktion s. BGHSt 42, 158 (161); Canaris, Lücken im Gesetz2, 193; Krey / Esser, AT5, Rn. 89, m. veranschaulichendem Fallbeispiel a. a. O., Rn. 91–93; Krey, Gesetzesvorbehalt, 27, m. Ausführungen zu einer Unterschreitung der Wortsinngrenze a. a. O., 47 f., 130 u. 167 f. 367  BVerfGE

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Abs. 2 GG als unproblematisch, weil täterbegünstigend erwiese. Eine enge Auslegung von Tatbestandsmerkmalen und weite Auslegung von Rechtfertigungsvoraussetzungen mag so in Art. 103 Abs. 2 GG ihre „Schützenhilfe“ finden – dies jedoch nur soweit, wie eine Normanwendung in Frage steht, die den Wortsinn des Gesetzes und mithin die Grenze zulässiger Gesetzesauslegung überschreitet. Innerhalb der durch den Wortsinn gesetzten Grenzen sagt Art. 103 Abs. 2 GG nichts über die Präferenz einer engen oder weiten Gesetzesauslegung aus. So ist dem Rechtsanwender also auch die Auslegung des in § 218a Abs. 2 StGB verwendeten Gefahrenbegriffs nicht durch Art. 103 Abs. 2 GG vorgegeben. Soweit er ihn allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Rechtfertigungsebene weit auslegte, lenkte er den Blick stattdessen einseitig auf die täterbegünstigende Wirkung einer solchen Auslegung und vernachlässigte die opferschützende Wirkung einer engen Auslegung, die er voreilig als entbehrlich abtäte. Denn Rechtfertigungsgründen kommt – wenigstens mittelbar über das Zusammenwirken mit dem Tatbestand – auch die Funktion zu, die Reichweite der tatbestandlichen Verbotsnorm zu konkretisieren. Indem sie den Bereich markieren, in dem ein von der Rechtsordnung grundsätzlich (im Tatbestand) für unrechtmäßig befundenes Verhalten ausnahmsweise aufgrund der Umstände des Einzelfalles für rechtmäßig befunden werden kann, reduzieren sie das auf der Tatbestands­ ebene formulierte Unwerturteil. Im Extremfall kann eine weite Auslegung auf der Ebene der Rechtfertigung gar dazu führen, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis, in dem ein die Rechtswidrigkeit indizierender Tatbestand und eine dieses Indiz widerlegende Rechtfertigung zueinander stehen, umgekehrt wird: Die weit ausgelegte Rechtfertigung würde zum Regelfall, der dadurch in seinem Unwerturteil reduzierte Tatbestand würde nur noch ausnahmsweise auf eine Rechtswidrigkeit schließen lassen. Eben diese Kritik ist an der allgemeinen Notlagenindikation des § 218 Abs. 2 Nr. 3 StGB in der Fassung des 15. StÄG geübt worden: Sie wurde missbräuchlich großzügig gewährt, sodass sich die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs aus allgemeiner Notlagenindikation zum Regelfall entwickelte372. Für das Verhältnis aller Straftatbestände zu ihren Rechtfertigungsgründen kann mithin festgehalten werden, dass die grundsätzliche Verschiedenheit ihrer Regelungsgehalte eine ähnlich enge Auslegung ihrer Voraussetzungen nicht von vornherein entbehrlich machen muss. Vielmehr warnt der Hinweis darauf, dass sich die Reichweite einer tatbestandlichen Verbotsnorm erst im Zusammenspiel mit den sie flankierenden Erlaubnisnormen ergibt, davor, die Funktion jener Erlaubnisnormen und die Bedeutung ihrer Auslegung zu 372  Zu Letzterem s. Fischer, StGB60, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 4; Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (126); Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 51.



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unterschätzen: So wie ihre enge Auslegung die Möglichkeit einer Kompensation des tatbestandlichen Unwerturteils zulasten des Täters einschränkte, reduzierte ihre weite Auslegung die Reichweite des dem Opfer gewährten strafgesetzlichen Schutzes. Für vorliegende Untersuchung: Was eine enge Auslegung des in § 218a Abs. 2 StGB verwendeten Gefahrenbegriffs der Schwangeren an Handlungsalternativen in Situationen von durch die Schwangerschaft verursachter Lebens- und Gesundheitsgefahr nähme, würde dem postnidativen ungeborenen Leben durch eine weite Auslegung an strafgesetzlichem Schutz vor Tötung genommen. Eine weite Gefahrendefinition wiese so die Eignung auf, das Unwerturteil des § 218 Abs. 1 StGB vergleichsweise weit zugunsten der Schwangeren, aber zulasten des postnidativen ungeborenen Lebens zurückzunehmen. Welche – weite oder enge – Auslegung dem Willen des Gesetzgebers nun entspricht, gilt es – innerhalb der durch Art. 103 Abs. 2 GG gesetzten Grenzen, sofern dessen Anwendbarkeit auf Rechtfertigungsgründe bejaht wird – für den jeweiligen einzelnen Rechtfertigungsgrund zu ermitteln, indem sein Wortlaut im Vergleich mit anderen Normen betrachtet wie auch die Gesetzesteleologie hinterfragt wird. Allein aus der Eigenschaft des § 218a Abs. 2 StGB als Rechtfertigungsgrund lässt sich jedoch noch keine Präferenz für eine enge oder weite Auslegung ableiten. c) Die grammatikalische und systematische Auslegung Wenn die vorschnelle Präferenz einer weiten Auslegung von Rechtfertigungsvoraussetzungen damit auch die Ablehnung vorliegender Untersuchung findet, so sollte die auf Tatbestands- und Rechtfertigungsebene verwendete Terminologie des Gesetzgebers doch nicht vermengt werden. Der Gesetzgeber hat für Tatbestands- wie Rechtfertigungsebene vielmehr eine eigene Terminologie entwickelt, um erhöhte Anforderungen an einen Gefahreneintritt zu formulieren: Auf der Ebene des Tatbestandes bedient er sich des Terminus der „konkreten Gefahr“, auf der Ebene der Rechtfertigung des Terminus der „gegenwärtigen Gefahr“, um die Notwendigkeit eines erhöhten Wahrscheinlichkeitsurteils über den drohenden Schadenseintritt sowie die Notwendigkeit von dessen zeitlicher Zuspitzung zum Ausdruck zu bringen. Will eine alternative Gefahrendefinition zu § 218a Abs. 2 StGB eine Vermengung der zur Tatbestandsebene einerseits, Rechtfertigungsebene andererseits entwickelten Gefahrenbegriffe vermeiden, ist es ihr mithin verwehrt, auf eine konkrete Gefahr i. S. d. konkreten Gefährdungsdelikte Bezug zu nehmen; stattdessen muss sie eine Anwendung des in § 34 StGB – und mithin auf der Rechtswidrigkeitsebene – verwendeten Gefahrengrades diskutieren. Damit aufgeworfen ist sodann die Fragestellung, ob der in § 34 StGB verwendete Begriff einer „gegenwärtigen Gefahr“ auf § 218a Abs. 2

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StGB übertragen werden muss373 oder aber eine auch nur „künftige Gefahr“ die Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB zu begründen weiß374. Eingedenk dessen, dass § 218a Abs. 2 StGB von der herrschenden Meinung als spezielle gesetzliche Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstands ausgegeben wird, wäre tatsächlich zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber den Gefahrenbegriff des § 218a Abs. 2 StGB in Anlehnung an § 34 StGB bestimmt hätte. Der medizinisch-sozialen Indikation würde mithin erst diejenige Risikoentwicklung genügen, nach der der Tod oder eine schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung der Schwangeren zwar noch nicht unmittelbar bevorstehen müsste, jedoch bereits ernstlich prognostiziert und vor allem nur durch die unverzügliche Einleitung eines Schwangerschaftsabbruchs wirksam abgewendet werden könnte. Soweit der Gesetzgeber nun in § 34 StGB oder anderen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen (s. die §§ 904 BGB, 32, 35 StGB) einen entsprechenden Gefahrengrad verlangt, um das Vorliegen einer Notwehr- oder Notstandslage zu bejahen, bringt er dies durch die ausdrückliche Verwendung des Begriffs der Gegenwärtigkeit zum Ausdruck. In § 218a Abs. 2 StGB findet sich eine entsprechende Formulierung aber gerade nicht. Grammatikalische wie systematische Auslegung lassen damit darauf schließen, dass der Gesetzgeber in § 218a Abs. 2 StGB bewusst auf die Normierung einer gegenwärtigen Gefahr als Rechtfertigungsvoraussetzung verzichtet hat. Unter Abstellung auf eine nicht näher gekennzeichnete und mithin nur künftige statt gegenwärtige Gefahr lässt der Gesetzgeber für eine Rechtfertigung nach § 218a Abs. 2 StGB vielmehr die bloße Antizipation einer Konfliktlage genügen, deren Gefahrengrad gemäß § 34 StGB rechtfertigende Wirkung zu entfalten weiß: Es genügt die Prognose einer Risikoentwicklung, aus der im weiteren Verlauf der Schwangerschaft eine gegenwärtige Gefahr erst erwachsen kann.

373  Daran anlehnend die Begriffswahl von Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB /  511, § 218a Rn. 33; darauf hinweisend Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (362 m. Fn. 153). An dieser Stelle bedarf es jedoch des Hinweises, dass die Ausführungen von Kröger, a. a. O., auch auf eine Gefahrendefinition i. S. d. konkreten Gefährdungsdelikte Bezug nehmen (dazu oben Seite  447 [a)] m. Fn. 363 u. Merkel, a. a. O., 295 [361 f. m. Fn. 150]) und mithin wenigstens mehrdeutig sind. 374  So Dolderer, Spätabbruch, 156; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 31; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 24; Rudolphi / Rogall, in: Wolter, SK‑StGB / IV137, § 218a Rn. 44; Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 62; krit. zur Diff. von gegenwärtiger und künftiger Gefahr Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (362 f.).



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d) Die teleologische Auslegung aa) Die Anerkennung des prospektiven Schwangerschaftskonflikts Nur dieses Verständnis des von § 218a Abs. 2 StGB vorausgesetzten Gefahrengrades vermag auch denjenigen – gar 90 % aller medizinisch-sozial indizierten Abbrüche ausmachenden – Fällen zu genügen, in denen keine genuin medizinische, sondern eine eher soziale Indikation vorliegt375. Es handelt sich dabei um solche Fälle, in denen aus der im Wege der Pränataldiagnostik festgestellten Behinderung des Fetus bzw. späteren geborenen Kindes auf die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der „zukünftigen Lebensverhältnisse“ und mit ihnen des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren geschlossen wird (soweit jedenfalls die gesetzliche Konstruktion) – mithin auf Gefahren, die der seelischen Gesundheit der Schwangeren erst durch das postnatale Zusammenleben mit einem behinderten Kind drohen. Damit aber wird nun nicht nur eine sich erst im weiteren Verlauf der Schwangerschaft als „gegenwärtige Gefahr“ manifestierende Konfliktlage antizipiert, sondern gar eine Konfliktlage, die erst für die Zeitspanne ab der Geburt und Auflösung der besonderen symbiotischen Verbindung von Schwangerer und Ungeborenem prognostiziert wird. Die Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB muss sich damit nicht zwingend unmittelbar aus dem Schwangerschaftskonflikt ergeben (so für die genuin medizinische Indikation), sondern kann auch den „antizipierten Konflikt der Mutter mit ihrem prospektiven geborenen Kind“ einbeziehen376. Will der Gesetzgeber aber auch solchen antizipierten Konfliktlagen die rechtfertigende Wirkung einer medizinisch-sozialen Indikation beimessen, ist er angehalten, auf deren Verdichtung zu einer gegenwärtigen Gefahr noch während der Schwangerschaft zu verzichten: Von einer Gefahr, die erst für die postnatale Zeitspanne prognostiziert wird, wird die pränatale Zuspitzung hin zu einer gegenwärtigen Gefahr für den seelischen Gesundheitszustand zweifelsohne nicht erwartet377. Ob der Gleichwertigkeit von sozialer und genuin medizinischer Indika­ tion muss dies dann auch für Fälle der genuin medizinischen Indikation gelten, wenn die Schwangerschaft das Leben oder den körperlichen Gesundheitszustand der Schwangeren gefährdet: Jene unmittelbar dem Zustand der Schwangerschaft entspringenden Gefahren müssen ebenfalls nicht so weit 375  Zur Diff. von genuin medizinischer und eher sozialer, „embryopathisch“ begründeter Indikation s. bereits oben die einleitenden Bemerkungen zu den Indikationentypen auf den Seiten 313–316 [Abschn.  1, A.]. 376  Siehe oben Seite  315 [Abschn.  1, A.]; vorstehendes Zitat aus Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (361). 377  Darauf ebenfalls hinweisend: Dolderer, Spätabbruch, 156.

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gediehen sein, dass nur die sofortige Einleitung eines Schwangerschaftsabbruchs die besagten Rechtsgüter vor Schaden bewahren kann – nach dem Willen des Gesetzgebers, der im Verzicht auf die Normierung eines gegenwärtigen Gefahrengrades grammatikalisch wie systematisch zutage tritt und sich in der Anerkennung einer „embryopathisch“ begründeten Indikation auch teleologisch manifestiert, genügt vielmehr bereits die Prognose einer nur künftigen Lebensgefahr oder Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen Gesundheitszustandes. bb) Die Vorsorge gegenüber Spätabbrüchen Indem das Gesetz für eine medizinisch-soziale Indikation eine künftige Gefahr genügen lässt, lässt es mithin frühzeitige Abbruchsmaßnahmen zu, die einen prognostizierten Schwangerschaftskonflikt quasi vorwegnehmen. Anders als die §§ 32, 34 StGB verweist § 218a Abs. 2 StGB den Rechtsanwender nicht darauf, die Verdichtung der prognostizierten Konfliktlage zu einer gegenwärtigen Gefahr abzuwarten. Dies hat nun nicht nur zur Folge, dass – wie ausgeführt – postnatale Konfliktlagen antizipiert werden können. Das Gesetz verlangt der Schwangeren darüber hinaus auch nicht ab, die Entstehung eines noch für den Zeitraum der Schwangerschaft zu erwartenden Konflikts abzuwarten. Der medizinisch-soziale Schwangerschaftsabbruch kann so frühzeitig durchgeführt werden und bleibt nicht als Spätabbruch dem fortgeschrittenen Schwangerschaftsverlauf vorbehalten. Mithin bildet die Vorsorge gegenüber Spätabbrüchen wenigstens eine erwünschte Begleiterscheinung der weiten Auslegung des in § 218a Abs. 2 StGB verwendeten Gefahrenbegriffs: Indem der Gesetzgeber keine zeitliche Zuspitzung der rechtfertigenden Konfliktlage verlangt, sondern zulässt, dass jene nach ärztlicher Erkenntnis auch antizipiert werden kann, weiß er die Erscheinung des Spätabbruchs zwar nicht zu unterbinden, vermeidet aber wenigstens den Vorwurf, Spätabbrüche durch das Verlangen nach einem erhöhten Gefahrengrad zu fördern. (1) Gegenüber Spätabbrüchen in „embryopathischen“ Konfliktlagen In den angesprochenen Fällen, in denen die Indikation „embryopathisch“ begründet ist, hat jedoch auch die notwendige Feststellung einer nur künftigen Gefahr zur Folge, dass die Schwangerschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt abgebrochen werden kann; der gesetzliche Verzicht auf eine Gefahrenzuspitzung weiß hier nur weiteren Zeitaufschub zu verhindern. Ein kurzer Überblick über die verschiedenen Methoden der Pränataldiagnostik und ihre regelmäßige Datierung soll dies im Folgenden veranschaulichen. Unter den Begriff der Pränataldiagnostik fasst vorliegende Untersuchung



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dabei nur solche Untersuchungen, die über die übliche Vorsorge hinausreichen und im Zuge dessen verschiedentlich darauf abzielen, Erkrankungen und Fehlbildungen noch im Mutterleib festzustellen378. Jene Methoden sind nun so gestaltet, dass chromosomale oder sonstige Auffälligkeiten des Fetus i. d. R. erst im fortgeschrittenen Schwangerschaftsverlauf diagnostiziert werden können379. (a) Methoden der Pränataldiagnostik In diesem Zusammenhang ist die Durchführung nicht invasiver Verfahren unterschiedlich zwischen der elften bis 14.  Schwangerschaftswoche (so i. d. R. für das Ersttrimester-Screening380 und den Nackentransparenztest381) oder auch später zwischen der 14. bis 20.  Schwangerschaftswoche (so für den sog. Triple-Test382) datiert. Ihre Aussagekraft ist eingeschränkt, ermöglichen sie doch nur die Schlussfolgerung auf das statistische Durchschnittsrisiko für das Vorliegen einer Chromosomenabweichung oder sonstigen Auffälligkeit des Fetus und bereiten ob dessen nur eine Empfehlung über die Durchführung weiterer (dann i. d. R. invasiver) Verfahren vor383. Dies gilt gleichermaßen für den zwischen der 19. und 22.  Schwangerschaftswoche datierten Fehlbildungsultraschall wie auch für die im Anschluss an das Ersttrimester-Screening erfolgende genetische Sonographie, die solchen Kombinationen verschiedener körperlicher Auffälligkeiten nachgeht, die auf eine Chromosomenstörung hinweisen können. Darüber, ob sich das so identifizierte erhöhte Risiko im Einzelfall tatsächlich verwirklicht hat, können 378  Demgegenüber fasst Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch264, 1692, auch die übliche (in den Mutterschaftsrichtlinien geregelte) Vorsorge unter den Begriff der Pränataldiagnostik; ebenso (aus der juristischen Literatur) Dolderer, Spätabbruch, 13. 379  Weshalb die ehemalige „embryopathische“ Indikation auch bis zur 22.  Woche p. c. zugelassen werden musste; s. dazu § 218a Abs. 3 StGB i. d. F. des Art. 13 SFHG v. 27.07.1992 (BGBl. I, Nr. 37 v. 04.08.1992, 1398 [1402]) u. erläuternd BT-Drs. 12 / 551, 17; Bett, Embryopathische Indikation, 139; Wirth, Spätabtreibung, 4. 380  Siehe dazu Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 41–43; zu seiner Datierung zwischen der elften und 14.  Schwangerschaftswoche s. dies., a. a. O., 42. 381  Datiert i. d. R. zwischen der zwölften und 14.  Schwangerschaftswoche; Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 38 f. Zu seiner Integration in das ErsttrimesterScreening s. dies., a. a. O., 41 f.; außerdem Dolderer, Spätabbruch, 15 m. w. N. 382  Siehe dazu Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 318 (327): 14–18. SSW; Dolderer, Spätabbruch, 17: 16.–18. SSW; Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 43 f.: 15–20. SSW. 383  Zur Ermittlung nur des statistischen Durchschnittsrisikos durch den Nackentransparenztest: Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 39 f.; durch das Ersttrimester-Screening: dies., a. a. O., 42 f.; durch den Triple-Test: dies., a. a. O., 43; ebenso Dolderer, Spätabbruch, 17.

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wiederum erst weiterführende (invasive) Untersuchungen wie die Chorion­ zottenbiopsie oder Amniozentese Aufschluss geben384. Bei der angesprochenen Chorionzottenbiopsie wird i. d. R. zwischen der zehnten bis 13.  Schwangerschaftswoche solches Gewebe aus dem fetalen Teil der Plazenta (des Mutterkuchens) entnommen, das „die genetische Konstitution des Fetus“385 repräsentiert und an welchem DNA- und andere biochemische Analysen durchgeführt werden können386. Ergebnisse einer Direktpräparation liegen nach ein bis sieben Tagen vor und erlauben bereits eine meist zuverlässige Aufklärung von Chromosomenbesonderheiten und bestimmten angeborenen Stoffwechselerkrankungen; Aussagen über den Schweregrad und die Ausprägung der diagnostizierten fetalen Auffälligkeit sind hingegen nur bedingt möglich387. Nur meist zuverlässig sind die Ergebnisse einer Chromosomenanalyse an den fetalen Plazentazellen deshalb, weil selbige chromosomale Abweichungen aufweisen können: So spricht man von Mosaiken, wenn nicht alle Zellen pathologisch sind, sondern auch Zellen mit einem unauffälligen Chromosomensatz existieren388. Weil negativer wie positiver Befund einer Chorionzottenbiopsie mithin in die Irre führen können, sollte insbesondere bei widersprüchlichen Ergebnissen das – nach rund zwei Wochen zu erwartende – Ergebnis einer Langzeitkultur abgewartet werden, bevor man etwa die Einleitung eines Schwangerschaftsabbruchs für angezeigt erkannte389. Während die frühzeitige Terminierung der Chorionzottenbiopsie (zwischen der zehnten und 13.  Schwangerschaftswoche) damit einen Vorteil dieser Diagnostik bildet390, erweist sie sich im Übrigen als in verschiedener Hinsicht der Amniozentese unterlegen, die – anders als die Chorionzottenbiopsie – auch den Nachweis über Neuralrohrfehlbildungen wie die Spina 384  Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 37, 40 (zum Fehlbildungsultraschall) u. 40 f. (zur genetischen Sonographie). Demgegenüber weist Eberhard Merz (seit 2008 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin ­[DEGUM]) auf die vielfach anzutreffende Notwendigkeit einer sonographischen Verlaufsbeobachtung hin; auch diese soll jedoch bedingen, dass nur wenige Fehlbildungen vor der 20.  Woche p. c. erkannt werden; dazu Richter, Dt. ÄrzteBl. 1998, A-1363. 385  O’Rahilly / Müller, Embryologie, 85. 386  Dudenhausen, Geburtshilfe21, 59; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 134; Moore /  Persaud, Embryologie5, 127; Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 46. 387  Siehe dazu BZgA, Informationsangebot zur PND, Chorionzottenbiopsie. 388  Siehe dazu auch Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 48 i. V. m. 46. 389  Siehe dazu BZgA, Informationsangebot zur PND, Chorionzottenbiopsie. 390  Darauf ausdrücklich hinweisend Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 318 (329): Faßbender, NJW 2001, 2745 (2746); Moore / Persaud, Embryologie5, 127; Wirth, Spätabtreibung, 48 m. w. N.



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bifida („offener Rücken“) führen kann391 und überdies von einem geringeren Abortrisiko begleitet ist392. Jene Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) kann grundsätzlich in jedem Schwangerschaftstrimester durchgeführt werden, erfolgt in der Regel aber erst ab der 14.  Schwangerschaftswoche, um die Bildung von hinreichend Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser) abzuwarten393. Unter ultrasonographischer Kontrolle wird eine Kanüle durch die untere Bauch- und Uteruswand in die Fruchtblase eingeführt und Amnionflüssigkeit entnommen. Untersuchungen der Amnionflüssigkeit und den in ihr enthaltenen fetalen Zellen können sodann Aufschluss über vererbbare Stoffwechsel- und Muskelerkrankungen wie auch über chromosomale Aberrationen geben394. Grenzen sind der Amniozentese – wie auch der Chorionzottenbiopsie – hierbei unter anderem durch die sog. Mosaikrate gesetzt, wenn Chromosomenaberrationen nicht in allen Zellen des Fetus auftreten395. Da das endgültige Ergebnis der Untersuchung erst nach etwa zwei Wochen vorliegt, kann eine entsprechende Diagnose erst ab der 16.  Schwangerschaftswoche oder später gestellt werden; auch dann vermag die Untersuchung jedoch keine hundertprozentige Gewissheit über das Vorliegen einer Chromosomenanomalie oder sonstigen Auffälligkeit des Fetus zu vermitteln und nur bedingt Aufschluss über den Schweregrad und die Ausprägung der fetalen Beeinträchtigung zu geben396. Bis die Ergebnisse vorliegen und in die Entscheidung über eine (medizinisch‑)soziale Indikation zum Schwangerschaftsabbruch einfließen können, ist die Schwangerschaft mithin schon weit fortgeschritten. In dem Bemühen, bereits zu einem früheren Zeitpunkt Rückschlüsse aus der Amniozentese zu ziehen, kann in besonderen Fällen 391  Aussagekräftig ist insofern die Konzentration des in der Amnionflüssigkeit enthaltenen AFP (Alpha-Fetoprotein); Moore / Persaud, Embryologie5, 126; O’Rahilly /  Müller, Embryologie, 134; Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 44 u. 46. 392  Die Chorionzottenbiopsie wird unterschiedlich ein Abortrisiko von 2 bis 4 % (Wirth, Spätabtreibung, 49 m. w. N.), 1,5 bis 2 % (Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 47) oder 1 % (Dudenhausen, Geburtshilfe21, 59; Moore / Persaud, Embryologie5, 127) zugesprochen; demgegenüber weist die Amniozentese trotz ihres invasiven Charakters ein Abortrisiko von nur etwa 0,5 % (Moore / Persaud, Embryologie5, 126) bis 1 % (Dudenhausen, Geburtshilfe21, 59; Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 47; Wirth, Spätabtreibung, 49 m. w. N.) auf; zu weiteren Risiken des Eingriffs s.  O’Rahilly / Müller, Embryologie, 86 u. 134. 393  Von diesem Zeitpunkt an beträgt das Flüssigkeitsvolumen etwa 200 ml, sodass 20 bis 30 ml „bedenkenlos“ entnommen werden können; Moore / Persaud, Embryologie5, 126. Für eine regelmäßige Datierung zwischen der 14.–20. SSW: Dolderer, Spätabbruch, 17 m. w. N.; 15.–18. SSW: Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 44. 394  Moore / Persaud, Embryologie5, 126 u. 157; s. ferner BZgA, Informationsangebot zur PND, Fruchtwasseruntersuchung. 395  Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 46. 396  Siehe BZgA, Informationsangebot zur PND, Fruchtwasseruntersuchung.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

das Verfahren der sog. Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) durchgeführt werden, welches sich der gezielten Anlagerung fluoreszierender Gensonden an Chromosomen bedient, um die häufigsten Chromosomenveränderungen mit recht hoher Wahrscheinlichkeit zu erkennen oder aber auszuschließen. Der entsprechende Nachweis kann innerhalb von nur wenigen Tagen geführt werden, bedarf jedoch forthin der Bestätigung durch die Ergebnisse einer Langzeitkultivierung397. Bei speziellen Fragestellungen – so vor allem bei Verdacht auf eine Infektion oder Anämie (Blutarmut) des Ungeborenen, aber auch auf der Suche nach Erbkrankheiten oder zur Überprüfung unklarer Befunde nach einer Amniozentese – besteht ferner die Möglichkeit, den Fetus im Wege der Chordozentese (Nabelschnurpunktion) einer Blutuntersuchung zu unterziehen. Dabei wird unter ständiger Ultraschallüberwachung eine feine Nadel durch die Bauchdecke in die Nabelschnur des Fetus geführt und eine Blutprobe entnommen. Terminiert wird die Nabelschnurpunktion ab der 18.  Schwangerschaftswoche; ihr Ergebnis liegt dann nach etwa drei bis vier Tagen vor398. Diese Diagnostik bleibt jedoch nicht nur wegen ihres späten Untersuchungszeitpunktes, sondern auch ob ihres recht hohen Abortrisikos (ein bis drei Prozent) speziellen Fragestellungen vorbehalten399. Gleichermaßen von einem erhöhten Infektions- und Abortrisiko begleitet ist die sog. Fetoskopie, die auch entsprechend selten zur Anwendung kommt: Dabei wird – i. d. R. 17 bis 20  Wochen nach der letzten Menstruation – ein Fetoskop durch die Bauchdecke und den Uterus in die Amnionhöhle an den Fetus geführt, um Teile des fetalen Organismus direkt sichtbar zu machen und ihn etwa nach Missbildungen abzusuchen. Meist geht ihr Einsatz auf die Notwendigkeit eines intrauterinen operativen Eingriffs zurück oder aber soll eine fetale Biopsie, d. h. eine Entnahme fetaler Gewebsproben aus Haut, Leber oder Muskeln, ermöglichen400.

397  Moore / Persaud, Embryologie5, 185; Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 44. Eingehend zum Verfahren der FISH s. den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ v. 14.05.2002, BT-Drs. 14 / 9020, 85; s. ferner Middel, PID, 31; K. v. d. Ven / Montag / H. v. d. Ven, Dt. ÄrzteBl. 2008, 190 (192). 398  Dolderer, Spätabbruch, 19; Moore / Persaud, Embryologie5, 127; O’Rahilly /  Müller, Embryologie, 134 f.; Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 48 f.; Wirth, Spätabtreibung, 49 m. w. N. 399  Wassermann / Rohde, Pränataldiagnostik, 49; zum Abortrisiko s. auch Wirth, Spätabtreibung, 49 m. w. N. 400  Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 318 (330); Dolderer, Spätabbruch, 19; Moore / Persaud, Embryologie5, 129; O’Rahilly / Müller, ­Embryologie, 135; Wirth, Spätabtreibung, 49 m. w. N.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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(b) Künftige Gefahr als Ergebnis pränataldiagnostischer Methoden Die Diagnose solcher fetaler Auffälligkeiten, denen die Eignung zugeschrieben wird, die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung für den seelischen Gesundheitszustand der Schwangeren und mithin eine medizinisch-soziale Indikation zu begründen, wird damit i. d. R. im Zeitraum zwischen Anfang und fortgeschrittenem Verlauf des zweiten Schwangerschaftstrimesters erfolgen, beginnend mit den Ergebnissen einer Chorionzottenbiopsie (Langzeitkultivierung) frühestens ab der zwölften Schwangerschaftswoche über die Ergebnisse einer Amniozentese (Langzeitkultivierung) ab der 16.  Schwangerschaftswoche bis hin (eher selten) zu den Ergebnissen der Chordozentese meist ab der 19.  Schwangerschaftswoche. Nach der gesetzlichen Fassung des § 218a Abs. 2 StGB, die auf eine gegenwärtige Gefahr verzichtet, muss sich an diese bereits ob des medizinischen Erkenntnisstandes vergleichsweise späte Diagnose einer fetalen Auffälligkeit jedoch kein weiteres Zuwarten anschließen, um feststellen, ob sich die wegen der erwarteten kindlichen Behinderung bejahte künftige Gefährdung des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren in einer gegenwärtigen Gefahr verdichtet, etwa indem die Schwangere entsprechende psychische Symptome entwickelt. So muss der späte Abbruch kein Spätabbruch jenseits der Grenze zur abstrakten Lebensfähigkeit, der Spätabbruch immerhin kein Abbruch zum spätestmöglichen Zeitpunkt sein. Der Abbruch kann vielmehr in nahezu unmittelbarem Anschluss an die pränatale Diagnose einer fetalen Auffälligkeit erfolgen und muss nur die in § 2a Abs. 2 S. 2 SchKG normierte 3-Tages-Frist abwarten401. (2) Gegenüber Spätabbrüchen in genuin medizinischen Konfliktlagen Entsprechendes kann für die genuin medizinische Indikation konstatiert werden: Selbige ließe sich, verlangte man einen erhöhten Gefahrengrad, erst in späteren Phasen der Schwangerschaft bejahen. Ob der Schwangerschaft nicht nur die Möglichkeit (künftige Gefahr) anhaftet, den Tod oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen Gesundheitszustandes der Schwangeren zu bedingen, sondern ob sich jene Möglichkeit im konkreten Fall zu einer gegenwärtigen, unverzügliche Abwehrmaßnahmen notwendig machenden Gefahr verdichtet, wird i. d. R. erst der fortgeschrittene Schwangerschaftsverlauf erweisen. In den frühen Phasen der Schwanger401  § 2a Abs. 2 SchKG: „Die schriftliche Feststellung [über die Voraussetzungen des § 218a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs] darf nicht vor Ablauf von drei Tagen nach der Mitteilung der Diagnose gemäß Absatz 1 Satz  1 oder nach der Beratung gemäß Satz  1 vorgenommen werden“; [Klammerzusatz] nicht im Original.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

schaft kann die ärztliche Erkenntnis nur noch solche Risiken benennen, die in einem bestimmten prozentualen Anteil „solcher“ Schwangerschaften auftreten, nicht aber gegenwärtige Gefahren im konkreten Einzelfall. Indem der Gesetzgeber in § 218a Abs. 2 StGB nun auf das Erfordernis der „Gegenwärtigkeit“ verzichtet, verhindert er, dass medizinisch-soziale Abbrüche Spätabbrüche oder jedenfalls Abbrüche in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien des pränatalen Lebens sein müssen. So lässt das geltende Recht medizinisch-sozial indizierte Abbrüche in § 218a Abs. 2 StGB zwar bis zum Ende der Schwangerschaft zu, schließt durch den Verzicht auf eine „Gegenwärtigkeit“ der Gefahr jedoch aus, dass – wie bei anderen Rechtfertigungs- und auch Entschuldigungsgründen – eine Verdichtung der Gefahr abgewartet werden muss. Spätabbrüche sind gesetzlich zwar nicht verboten, sie sind aber auch nicht durch einen erhöhten Gefahrengrad geboten. Dies schlägt sich auch in der Bundesstatistik nieder, die etwa für das Jahr  2012 von 3.326  Abbrüchen spricht, die aufgrund einer medizinischen Indikation durchgeführt worden sind402. Ab der 22.  Schwangerschaftswoche und mithin jenseits der im Rahmen des Spätabbruchs diskutierten Grenze zur ­abstrakten Lebensfähigkeit, die in 50 % der Fälle mit der 20.  Woche p. c. bzw. 22.  Woche p. m. gleichgesetzt werden kann403, erfolgten aber nur 447  Schwangerschaftsabbrüche; demgegenüber waren 2.299 der insgesamt 106.815  Abbrüche zwischen der zwölften und dem Ende der 21.  Schwangerschaftswoche angesiedelt404. e) Conclusio Wenn eingangs mithin infrage gestellt worden ist, ob dem gesetzgeberischen Willen eher eine enge oder weite Auslegung des in § 218a Abs. 2 StGB verwendeten Gefahrenbegriffs entspricht, ob mithin der Gesetzgeber eher dem Ungeborenenschutz oder den Handlungsoptionen der Schwangeren die Priorität zumisst, so muss dies nach den vorangegangenen Erwägungen zugunsten der Schwangeren und der sie begünstigenden weiten Auslegung entschieden werden. Dies ergibt sich nicht nur aus der Grammatik und 402  Stat. Bundesamt, Schwangerschaftsabbrüche 2012, 23 m. Tab. 7. Für das Jahr 2011: 3.485 medizinisch indizierte Abbrüche; Stat. Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2012, 127 m. Tab.  4.1.12. 403  DGGG / DGKJ / DGPM / GNPI, AWMF-LL-Reg. Nr. 024 / 019, pdf-S. 4 f.; s. dazu bereits oben Seite  336 [Abschn.  2, A. II. 2. a)] m. Fn. 83 u. Kap. 4, Seite  280 [Abschn.  3, A. II. 1. c)] m. w. N. 404  Stat. Bundesamt, Schwangerschaftsabbrüche 2012, 23 m. Tab. 7. Für das Jahr 2011: 480 Abbrüche ab der 22.  Woche bei 2.411 Abbrüchen zwischen der zwölften und dem Ende der 21.  Woche; Stat. Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2012, 127 m. Tab.  4.1.12.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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einem systematischen Vergleich des § 218a Abs. 2 StGB mit anderen Rechtfertigungsgründen, sondern folgt auch derjenigen Ratio legis, die sich in der Anerkennung einer eher sozialen („embryopathischen“) Indikation manifestiert und als solche der Maßstab für eine teleologische Auslegung ist. Denn misst das Gesetz auch solchen Konfliktlagen eine rechtfertigende Wirkung zu, die sich gerade noch nicht in einer gegenwärtigen Gefahr realisiert haben, aber die Verdichtung zu einer solchen für die Zukunft erwarten lassen, muss die „Gefahr“ in § 218a Abs. 2 StGB als der einfachste aller Gefahrengrade verstanden werden, zu dessen Kennzeichnung der Gesetzgeber auf der Ebene der Rechtfertigung eben keiner über den Begriff der Gefahr hinausreichenden Formulierung bedarf: als eine künftige Gefahr, die weder ein erhöhtes Wahrscheinlichkeitsurteil über den drohenden Schadenseintritt noch eine – wie auch immer geartete – zeitliche Zuspitzung verlangt. Im Ergebnis findet die vorliegende Betrachtung damit – wenngleich mit anderer Begründung – zu derjenigen Gefahrendefinition zurück, die Merkel zu § 218a Abs. 2 StGB befürwortet hat: Es genügt ein solcher Gefahrengrad, „ab dem sich eine zum Schutz bzw. zur Rettung tätig werdende ‚besonnene Person‘ zum Eingreifen veranlasst sehen dürfe“ – ein Verständnis dieser Definition vorausgesetzt, nach dem bereits jeder Zustand, für den ein drohender Schaden prognostiziert werden kann, der besonnenen Person Veranlassung zu Schutz und Rettung bietet. Eben damit aber weicht § 218a Abs. 2 StGB ein weiteres Mal von der Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes ab: Während der Wortlaut des § 34 S. 1 StGB die Gegenwärtigkeit der Gefahr ausdrücklich zum rechtfertigenden Merkmal erhebt, verlegt der medizinisch-soziale Indikationentatbestand den rechtfertigenden Gefahreneintritt nach vorne und erweitert auf diese Weise die rechtmäßigen Handlungsoptionen der schwangeren Täterin, ebenso wie die Rechtsposition des ungeborenen Eingriffsadressaten geschwächt wird. II. Umkehrung: Eine Abwägung von Leben gegen Leben Ferner hat der Gesetzgeber im medizinisch-sozialen Indikationentatbestand nicht nur irgendein Ergebnis der Interessenabwägung abstrakt-generell vorweggenommen, sondern ein solches, das mit dem Verständnis des § 218a Abs. 2 StGB als spezialgesetzliche Ausformung des § 34 StGB405 erst in Einklang gebracht werden will: Die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens – eines menschlichen Lebens, dem nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG bereits Individualität zukommt und das 405  Zur Auslegung des § 218a Abs. 2 StGB als spezialgesetzliche Regelung eines allgemeinen rechtfertigenden (Aggressiv- oder Defensiv-)Notstands s. bereits oben Seite  317 [Abschn.  1, B. vor I.] m. w. N. in Fn. 24.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

als solches gleichwertig zum geborenen Menschen zu schützen ist – wird gerechtfertigt, Rechtsgüter der Schwangeren werden gegen das Leben des postnidativen Ungeborenen abgewogen. Demgegenüber scheint der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB für die Rechtfertigungsfähigkeit der Tötung des Eingriffsadressaten noch eine absolute Grenze zu formulieren. Denn insofern verlangt sein Wortlaut nicht nur ein wesentliches Überwiegen der Interessen des Notstandstäters, sondern gibt überdies zu erkennen, welche Abwägungsfaktoren vorrangig über die Kollision widerstreitender Interessen entscheiden sollen: „bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren“406 soll das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegen. Das durch die grundrechtliche Hierarchie definierte Verhältnis der betroffenen Rechtsgüter tritt so an die erste Stelle der zu berücksichtigenden Abwägungsfaktoren. In einer der Normenpyramide verpflichteten Rechtsordnung, innerhalb derer das in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG garantierte Lebensrecht (jedenfalls vom Zeitpunkt der Nidation an) die Gleichwertigkeit jeden individuellen menschlichen Lebens verbürgt407, muss sich die aktive Tötung eines anderen Menschen so grundsätzlich von der rechtfertigenden Wirkung des § 34 StGB ausgeschlossen sehen: Denn selbst wenn ein Täter durch eine solche Tötungshandlung sein eigenes Leben zu wahren suchte, könnte er doch nicht geltend machen, dass sein Lebensinteresse das des Eingriffsadressaten wesentlich überwöge und im Zuge dessen seine bloße Lebensgefährdung die sichere Tötung des Anderen legitimierte. Dies findet jedenfalls in Sachverhalten des Aggressivnotstandes die uneingeschränkte Zustimmung der herrschenden Meinung, wenn ein an der Entstehung der Gefahrenlage unbeteiligter Eingriffsadressat zum Zwecke der Gefahrenabwehr solidarisch verpflichtet wird, einen Eingriff in die eigene Rechtssphäre zu dulden. Weil er selbst zur Gefahrenentstehung keinen (vorwerfbaren) Verursachungsbeitrag geleistet hat, soll ihm auch nicht mehr als der Verlust eines ersetzbaren oder bagatellarischen Rechtsgutes zugemutet werden. Erst recht muss es ausgeschlossen sein, ihn zur Duldung der eigenen Tötung zu verpflichten und mithin die unwiderrufliche Vernichtung seiner physischen Existenz ohne Gegenwehr hinzunehmen408. Dies hat erst in jüngerer Zeit durch das BVerfG S. 1 StGB; Hervorhebung nicht im Original. im Strafrecht den Grundsatz des absoluten Lebensschutzes: Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 2. 408  Gegen eine rechtmäßige Tötung jedenfalls in Sachverhalten des Aggressivnotstandes etwa Günther, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (152 f.); Hirsch, in: ders., Probleme, 288 (305); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (360); Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 33; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 316; Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 34 Rn. 74. 406  § 34 407  Vgl.



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neuerliche Bestätigung erfahren, als dessen Erster Senat am 15.02.2006 auf Nichtigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG ex tunc erkannte409. Die fragliche Vorschrift hatte den Bundesminister der Verteidigung410 ermächtigt, ein Luftfahrzeug abschießen zu lassen, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist“411. So sollte das Leben unbeteiligter412 Flugzeugpassagiere also rechtmäßig getötet werden dürfen, wenn das Leben einer größeren Anzahl anderer Menschen nur durch den Abschuss eines durch Terroristen entführten Flugzeugs gerettet werden kann. Mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG befand das BVerfG die Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG, die eine Abwägung tatunbeteiligter Menschenleben legitimierte, jedoch für verfassungswidrig413, ungeachtet dessen, dass die Anzahl der zu rettenden Leben in den der Regelung unterworfenen Sachverhalten überwiegt und man die zu opfernden Menschenleben bereits für todgeweiht erkannt haben will414. Indem sich der Staat der „Tötung als Mittel zur Rettung anderer“ bediente, würden die zur Duldung ihrer Tötung angehaltenen Personen „verdinglicht und zugleich entrechtlicht“415 – eine entsprechende Wertung transportiert für den vom Staat zu unterscheidenden Dritten auch die Vorschrift des § 34 StGB, soweit sie seinen Eingriff in das Leben eines 409  BVerfGE 115, 118 (= BVerfG ZfL 2006, 47). „[W]ie ein gleichwohl vorgenommener Abschuss und eine auf ihn bezogene Anordnung strafrechtlich zu beurteilen wären“, hat das Gericht dabei offen gelassen; BVerfGE 115, 118 (157). Seinen Ausführungen zur Nichtigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG können aber diesbzgl. Hinweise entnommen werden. Zu nachfolgenden politischen Reaktionen: Ladiges, ZIS 2008, 129 (131). 410  Oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung (§ 14 Abs. 4 LuftSiG). Siehe dazu Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben v. 11.01.2005; BGBl. I, Nr. 3 v. 14.01.2005, 78 (83 f.). 411  § 14 Abs. 3 LuftSiG; BGBl. I, Nr. 3 v. 14.01.2005, 78 (83). 412  Für eine – die Anwendung der Regeln des Defensivnotstandes legitimierende – Kausalität der Flugzeugpassagiere hingegen Gropp, GA 2006, 284 (287); krit. dazu Ladiges, ZIS 2008, 129 (131); Merkel, JZ  2007, 373 (385). 413  BVerfGE 115, 118 (118 m. LS 3, 151); zust. etwa Dreier, JZ 2007, 261 (265 f.); krit. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 285; krit. v. a. bzgl. des – für voreilig befundenen – Rückgriffs auf Art. 1 Abs. 1 GG: Zimmermann, Rettungstötungen, 401 m. Fn. 1625. 414  BVerfGE 115, 118 (158); aA Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 285; Zimmermann, Rettungstötungen, 370 m. w. N. in Fn. 1490. Dazu, dass im Einzelfall tatsächliche Zweifel über die Lagebeurteilung im Allgemeinen und die „Tod­ geweihtheit“ der betroffenen Flugzeugpassagiere im Besonderen verbleiben, s. BVerfGE 115, 118 (154 f. u. 158). 415  BVerfGE 115, 118 (154).

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an der Gefahrentwicklung unbeteiligten Anderen nicht vom Vorwurf der Rechtswidrigkeit entbindet. Während eine Entscheidung des Aggressivnotstands zulasten des geborenen menschlichen Lebens nach herrschender Meinung damit selbst zur Rettung einer Vielzahl anderer (überdies todgeweihter416) Menschenleben ausgeschlossen ist, muss sich das postnidative ungeborene Leben im medizinisch-sozialen Indikationentatbestand verschiedenen – in Gefolgschaft der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese nicht wesentlich überwiegenden – Interessen der Schwangeren beugen. Bereits eine solche Indika­ tionenlage weiß die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens zu rechtfertigen, in der mit einer Lebensgefährdung der Schwangeren nur gleichwertige täterliche Interessen betroffen sind. Indem der Gesetzgeber die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Schwangeren als Indikationenlage anerkennt, misst er darüber hinaus gar bloßen Gesundheitsinteressen eine rechtfertigende Wirkung zu, deren Gefährdung im Verhältnis zur sicheren Tötung unterliegen muss. Indem das Gesetz nicht irgendeine, sondern nur die schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung in seinen medizinisch-sozialen Indikationentatbestand integriert, schließt es in diesem Zusammenhang zwar noch aus, dass wesentlich unterliegende täterliche Interessen eine Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens rechtfertigen können – einfach unterliegende Interessen bleiben von der rechtfertigenden Wirkung des § 218a Abs. 2 StGB aber erfasst417. Sofern man die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese ernst nimmt, wenn sie das postnidative ungeborene Leben für gleichermaßen schutzwürdig wie den geborenen Menschen befindet, müsste sich ein solches Abwägungsergebnis, wie es § 218a Abs. 2 StGB vorwegnimmt, zu ihr also in Widerspruch setzen418. 416  Vgl. in diesem Zusammenhang die entschlossen geäußerte Warnung Roxins vor einer anderenfalls zu befürchtenden und sich dammbruchartig ausbreitenden „Unmenschlichkeit“: ders., AT / I4, § 16, Rn. 33 u. 39; aA etwa Zimmermann, der innerhalb einer asymmetrischen Gefahrgemeinschaft ein wesentlich überwiegendes Überlebensinteresse der faktisch Rettbaren kontraktualistisch begründen will (ders., Rettungstötungen, 386 f. u. 390 f.) und zu diesem Zweck auch nicht davor zurückscheut, eine den Schutz der Rechtsordnung verwirkende Todesgeweihtheit mit einer verbliebenen Lebenserwartung von „maximal 24 Stunden“ zu identifizieren; ders. a. a. O., 387 m. Fn. 1562. 417  So einleitend schon obige Ausführungen auf den Seiten  443 f. [vor A.]. 418  Vgl. Zschiegner, Fristenlösung, 115; als Argument für eine fehlende Grundrechtssubjektivität des pränatalen Lebens verwenden dies Faßbender, NJW 2001, 2745 (2750); Ipsen, JZ 2001, 989 (992 u. 994); Merkel, Forschungsobjekt, 101; Zimmermann, Rettungstötungen, 431. Vgl. auch BVerfGE 88, 203 (255) zu einer Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs, demnach der Gesetzgeber „in Rechnung stellen [muß], daß die miteinander kollidierenden Rechtsgü-



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Anders könnte es sich nur dann verhalten, wenn man in § 218a Abs. 2 StGB eine derjenigen Ausnahmen verwirklicht sähe, für die auch nach allgemeinen Grundsätzen eine Rechtfertigungsfähigkeit der Tötung verschiedentlich wenigstens diskutiert wird419. So hat es für defensive Notstandslagen etwa verschiedentlich Anerkennung erfahren, dass auch die Tötung des Eingriffsadressaten der Rechtfertigung zugänglich ist420. Denn anders als in Sachverhalten des Aggressivnotstandes würde durch die Formulierung einer entsprechenden Duldungspflicht421 kein Eingriffsadressat verpflichtet, der an der Entstehung der Gefahrenlage unbeteiligt ist. Stattdessen hat er selbst einen – wie auch immer gearteten –Verursachungsbeitrag geleistet, ob dessen er durch die Auferlegung einer Duldungspflicht nunmehr lediglich zur Verantwortung gezogen werden soll. In diesem Sinne ist auch die vorliegend referierte Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG gerade deshalb für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG befunden worden, weil jene Vorschrift die Tötung tatunbeteiligter Personen legitimierte und deren Menschenleben mithin instrumentalisierte422. Während tatunbeteiligten Personen die Duldung ihrer Tötung so nicht angetragen werden kann, ohne dass man sie in ihrem Würdeanspruch verletzt, würden einem rechtswidrigen Angreifer durch Auferlegung einer entsprechenden Duldungspflicht etwa nur „die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet“ und würde er „für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung ter hier nicht zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden können, weil auf der Seite des ungeborenen Lebens in jedem Fall nicht ein Mehr oder Weniger an Rechten, die Hinnahme von Nachteilen oder Einschränkungen, sondern alles, nämlich das Leben selbst, in Frage steht“; [Klammerzusatz] im Orig. grammatikalisch verschoben. 419  Zu diesen beiden Ausnahmen – Interpretation des Schwangerschaftsabbruchs als normatives Unterlassen oder Abwehr einer Defensivnotstandsgefahr – vgl. auch die (i.  Erg. ablehnende) Zsf. von Zimmermann, Rettungstötungen, 430 f. 420  Für die Rechtfertigung von Tötungen im Defensivnotstand s. exemplarisch Ebert, AT3, 84; Gropp, AT3, § 6 Rn. 137; Günther, in: Wolter, SK‑StGB / I137, § 34 Rn. 43; ders., in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (153–155) (anders noch ders., Strafrechtswidrigkeit, 340 u. 346); Hirsch, in: ders., Probleme, 288 (303 u. 305 f.); Jakobs, AT2, Abschn. 13, Rn. 46; Koriath, JA 1998, 250 (256); Kühl, StGB27, § 34 Rn. 9; Küper, Pflichtenkollision, 74; Otte, Defensivnotstand, 165; Renzikowski, JR 2001, 468 (470); Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 78; ders., in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (472); Zimmermann, Rettungstötungen, 168 f. Dagegen Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 30; Rengier, NStZ 1984, 20 (22); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 316; Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 34 Rn. 74. Ausführl. dazu im Anschluss Seite  480 f. [B. I. 2. b)]. 421  Den Begriff der Duldungspflicht behält vorliegende Untersuchung dem Eingriffsadressaten vor, während sie für die spiegelbildliche Verpflichtung des Täters den Begriff der Gefahrtragungspflicht verwendet; s. dazu bereits oben Seite  339 [Abschn.  2, A. II. 2. b)] m. Fn. 91. 422  BVerfGE 115, 118 (118 m. LS 3, 160); krit. Ladiges, ZIS 2008, 129 (140).

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genommen“423. Erkennbar tritt damit hervor, wie die (Mit‑)Verantwortlichkeit des Eingriffsadressaten für die Entstehung der Gefahrenlage – die sich in unterschiedlichen, abgestuften Erscheinungsformen manifestieren kann – darüber entscheiden soll, inwieweit er gegen ihn gerichtete Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu erdulden hat; der Anwendungsbereich eines Defensivnotstandes ist dabei zwischen jener referierten „Maximalzuständigkeit des Eingriffsadressaten“ in der Grundsituation der Notwehr, die er durch einen rechtswidrigen Angriff verursacht hat, und seiner „Minimalzuständigkeit“ in der Grundsituation des Aggressivnotstandes, zu deren Entstehung er keinen auch nur anteiligen Verursachungsbeitrag geleistet hat, angesiedelt424. Aber nicht nur ein objektiv zurechenbarer und vorwerfbarer Gefahrverursachungsbeitrag des postnidativen ungeborenen Lebens wüsste das von den Wertungen des § 34 S. 1 StGB abweichende Abwägungsergebnis womöglich einer sachlichen Begründung zuzuführen. Stattdessen lassen die Ausführungen des BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung auch eine besondere Unterlassensnähe des in § 218 Abs. 1 StGB normierten Schwangerschaftsabbruchs erwägen. Machte man der Schwangeren so weniger den aktiven Eingriff in das postnidative ungeborene Leben als das Unterlassen des Austragens der Schwangerschaft zum Vorwurf, könnte die besondere Unterlassensnähe des § 218 Abs. 1 StGB zum Anlass genommen werden, gleichermaßen ein reduziertes Handlungsunrecht der schwangeren Täterin wie auch innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB einen an den Unterlassensvorwurf angepassten Proportionalitätsmaßstab zu bejahen425.

B. Sachliche Begründung: Von einer erhöhten Duldungspflicht in der Defensive und einer reduzierten Gefahrtragungspflicht in Unterlassensnähe Beide – nunmehr einleitend bereits skizzierten – Erklärungsansätze wird die vorliegende Untersuchung nun bemühen, um Abwägungsergebnis wie Gefahrenmerkmal des § 218a Abs. 2 StGB auf ihre mögliche sachliche Begründung zu hinterfragen. Denn insofern könnten der reduzierte Gefahrengrad und das umgekehrte Abwägungsergebnis des § 218a Abs. 2 StGB ihren Grund in einer veränderten „Zuständigkeitsbegründung und -verteilung“426 finden, wie sie die herrschende Meinung für Sachverhalte des Defensivnot423  BVerfGE

115, 118 (161). dazu u. vorstehende Zitate aus Pawlik, Notstand, 306 u. 308; Hervorhebungen aus dem Orig. nicht übernommen. 425  Ausführlich dazu im Anschluss Seite  505–529 [B. II.]. 426  Begriff entnommen aus Pawlik, Notstand, 333. 424  Siehe



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standes anerkennt und wie sie für Sachverhalte eines Unterlassungs- statt Begehungsdelikts wenigstens diskutiert wird. Das von den Wertungen des § 34 S. 1 StGB abweichende Abwägungsergebnis und der im Verhältnis zu § 34 S. 1 BGB reduzierte Gefahrengrad könnten mithin – so in den Sachverhalten des Defensivnotstandes – in einem objektiv zurechenbaren und vorwerfbaren Gefahrverursachungsbeitrag des postnidativen ungeborenen Lebens begründet sein, der dessen Schutzwürdigkeit minderte, oder aber – so mit Blick auf eine etwaige besondere „Unterlassensnähe“ des in § 218 Abs. 1 StGB normierten Schwangerschaftsabbruchs – auf ein vermindertes Handlungsunrecht der Schwangeren reagieren, soweit man ihr weniger den aktiven Eingriff in das postnidative ungeborene Leben als das Unterlassen des Austragens der Schwangerschaft zum Vorwurf machen wollte. „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun“427 – jenes Zitat Molières weist darauf hin, wie der Einzelne nicht nur für sein positives Tun, sondern auch für sein Unterlassen zur Verantwortung gezogen werden kann. Wandelt man den Ausspruch Molières nur ein wenig ab, so lässt sich der Bogen zu den nachfolgend diskutierten Erklärungsansätzen für den spezifischen Gefahrengrad und Proportionalitätsmaßstab spannen: „Wir sind nur verantwortlich für das, was wir tun, und für das, was wir nicht tun“. Der Vorwurf, den man gegen eine das postnidative ungeborene Leben aktiv tötende Schwangere richtet, wäre demnach um eine solche Mitverantwortlichkeit zu reduzieren, die der ungeborene Eingriffsadressat an der Gefahrenentwicklung und dadurch motivierten Tatbegehung trüge. Denn nur für ihr Handeln wäre die Schwangere zur Verantwortung zu ziehen, während ihr ein Verursachungsbeitrag des Eingriffsadressaten nicht angelastet werden soll. Entsprechend wäre der Vorwurf, den man gegen eine das Austragen der Schwangerschaft unterlassende Schwangere richtete, an die Besonderheiten ihres Unterlassungsunrechts anzupassen – denn soll die Frau (primär) wegen einer Unterlassung zur Verantwortung gezogen werden, müssten zu ihrer Entlastung auch diejenigen Unterschiede Berücksichtigung finden, die sich zu einem durch ein positives Tun verwirklichten Unrecht auftun. I. Eine erhöhte Duldungspflicht in Sachverhalten eines Defensivnotstands Wenn sich die vorliegende Untersuchung nun zunächst einem solchen Verständnis des § 218a Abs. 2 StGB zuwendet, nach dem das Gesetz ebenda eine dem Defensivnotstand entsprechende Wertung normierte, wendet sie ihren Blick erstmals von etwaigen Gefahrverursachungsbeiträgen der 427  Molière,

in: Puntsch (Hrsg.), Hdb. Zitate, 427.

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Schwangeren428 hin zu einem solchen Gefahrverursachungsbeitrag, der an die Existenz des postnidativen ungeborenen Lebens und die damit verbundene Inanspruchnahme des mütterlichen Körpers geknüpft würde. Denn kennzeichnend für einen Defensivnotstand ist – schlagwortartig umrissen – die „Verursachung“ der Notstandslage durch den Eingriffsadressaten, aufgrund derer jenem eine erhöhte Duldungspflicht und dem Notstandstäter im Gegenzug ein erweitertes Eingriffsrecht auferlegt wird. Diese erhöhte Duldungspflicht wird unterschiedlich in einer zum Aggressivnotstand umgekehrten oder wenigstens zulasten des Eingriffsadressaten verschobenen Interessenabwägung gesehen und schlägt sich auch im für eine rechtfertigende Wirkung verlangten Gefahrengrad nieder. Dass die Indikationen die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens für rechtmäßig erklären, dies überdies bereits dann, wenn eine nur künftige Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren abgewendet werden soll, könnte mithin in einer solchen „Verursachung“ der Gefahrenlage durch den Embryo bzw. Fetus begründet liegen. Dies jedenfalls ist ein verbreiteter Erklärungsansatz zu den Abweichungen des § 218a Abs. 2 StGB von den Grundsätzen des Aggressivnotstandes nach § 34 StGB429: Demnach schreibe das Gesetz hier die rechtfertigende Wirkung desjenigen Gefahreneintritts und Abwägungsergebnisses verbindlich fest, die unter Rückgriff auf die Figur des Defensivnotstandes auch unter der alleinigen Herrschaft der Notstandsregelung des § 34 StGB zu erreichen gewesen wäre. 1. Der Anwendungsbereich des Defensivnotstandes

Unter welchen Voraussetzungen ein Defensivnotstand und mit ihm eine erhöhte Duldungspflicht des Eingriffsadressaten bejaht werden kann, scheint dabei jedoch noch weitgehend ungeklärt zu sein. In Anlehnung an den Wortlaut der Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB wird die Annahme eines Defensivnotstandes zunächst davon abhängig gemacht, dass der Eingriffsadressat das Entstehen der Notstandslage „verursacht“ habe430. 428  Zu etwaigen Gefahrverursachungsbeiträgen der Schwangeren s. ausführl. oben Seite 341 ff. [Abschn. 2, B.]. 429  Für einen Defensivnotstand in Sachverhalten der medizinischen Indikation s. etwa Bemmann, ZStW 1971, 92; Günther, in: Wolter, SK‑StGB / I137, § 34 Rn. 43; ders., in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (152 u. 154); Hruschka, NJW 1980, 21 (22); Joerden, ZStW 2008, 11 (18); Lampe, NJW 1968, 88 (91); Lugert, Gefahrtragungspflichtige, 53. 430  Siehe exemplarisch nur Hirsch, JR 1980, 115 (117); Otte, Defensivnotstand, 30; Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (471); Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 34 Rn. 73; zsfd. Pawlik, Notstand, 304 m. w. N. in Fn. 100. Zu weiteren – die Verursachung konkretisierenden – Wortwendungen s. Pawlik, a. a. O., 305 m. w. N.



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Jedoch ist bereits zur Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB und ihrer entsprechenden Anwendung innerhalb des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes bemerkt worden, dass die bloße Verursachung i. S. e. reinen Kausalitätsaussage nicht genügen kann, um hieran eine erhöhte Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters zu knüpfen, wenngleich dies eine grammatikalische Auslegung des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB zunächst auch implizieren mag431. Was ebenda zu einer erhöhten Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters vorgetragen worden ist, der die ihn bedrohende Gefahr selbst verursacht hat, beansprucht nun auch für eine erhöhte Duldungspflicht des Eingriffsadressaten Geltung, der dem Notstandstäter erst Veranlassung zu den seine Rechtsgüter beschneidenden Gefahrabwehrmaßnahmen gegeben hat: Dass er – sein Verhalten oder auch nur sein „schicksalhaftes So-Sein“432 – kausal für die rechtfertigende Gefahrenlage geworden ist, vermag einen Defensivnotstand noch nicht zu begründen und seine Rechtsposition mithin noch nicht zu schmälern, indem man ihn einem erweiterten Eingriffsrecht des Notstandstäters überantwortete. Denn kausal i. S. d. Conditio-sine-quanon-Formel werden Täter und Eingriffsadressat im Notstand gleichermaßen: der Eingriffsadressat, weil er ein Gefährdungspotenzial zur Entstehung gelangen lässt, der Täter, weil er sich „zur rechten Zeit an den rechten Ort“ begibt, auf dass sich das noch abstrakte Gefährdungspotenzial gerade gegenüber ihm zu einer konkreten Gefahr verdichten kann. Kein Verhalten, weder das des Notstandstäters noch dasjenige des Eingriffsadressaten kann hier hinweggedacht werden, ohne dass die durch die Notstandshandlung bewirkte Rechtsgutsverletzung entfiele. Richtigerweise kann für die Bestimmung des Anwendungsbereichs eines rechtfertigenden Defensivnotstandes – wie auch schon für die (entsprechende) Anwendung der Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB – keine bloße Kausalitätsaussage, sondern immer nur eine Zurechnungsaussage maßgeblich sein433. Dabei beinhaltet diese „Zurechnungsaussage“ – wie bereits zu § 35 Abs. 1 S. 2 StGB ausgeführt worden ist – nicht nur die Wahrung objektiver Zurechnungskriterien434, sondern auch die Vorwerfbarkeit des Vorverhaltens bzw. „schicksalhaften So-Seins“ des Eingriffsadressaten. Diese Vorwerfbarkeit ist anlässlich 431  Zur grammatikalischen Auslegung des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB s. bereits oben Seite  350 [Abschn.  2, B. I. 3. b)], u. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 56; Bernsmann, Entschuldigung, 112. 432  Speziell zu einer Haftung für das „schicksalhafte So-Sein“ sogleich unten auf Seite  486 f. [3. a)]. 433  Vgl. Eue, JZ 1990, 765 (766); Fuchs, Notwehr, 56; Hoyer, JuS 1988, 89 (94 f.); Ludwig, Gegenwärtiger Angriff, 134; Pawlik, Notstand, 304 f. 434  Vgl. oben Seite  358 [Abschn.  2, B. I. 3. c)], zur Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung nicht nur auf das tatbestandsmäßige Verhalten, sondern auch auf ein täterliches Vorverhalten, ob dessen der Täter zur Duldung einer von ihm selbst bewirkten Gefahr angehalten werden soll.

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des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB mit einem Pflichtverstoß oder wenigstens einer Obliegenheitsverletzung desjenigen Täters identifiziert worden, der zur Abwehr der durch ihn selbst bewirkten Gefahr in die Rechtsgüter des Eingriffsadressaten eingreift435. Gilt es nun in Sachverhalten des Defensivnotstandes umgekehrt nicht eine erhöhte Gefahrtragungspflicht des Notstands­ täters, sondern eine erhöhte Duldungspflicht des Eingriffsadressaten darzu­ legen, müssen zunächst entsprechende Kriterien zur Anwendung kommen: Denn folgt einer bestimmten Art der Gefahrverursachung eine erhöhte Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters nach, die ihn dazu anhält, die durch ihn selbst bewirkte Gefahr zu erdulden statt im Wege des Rechtsgütereingriffs abzuwehren, ist es auch nur folgerichtig, dem Eingriffsadressaten ob derselben Art der Gefahrverursachung eine erhöhte Duldungspflicht zuzuweisen436. Mehr aber noch wird verschiedentlich vertreten, den Eingriffsadressaten auch für andere Arten der Gefahrverursachung, die weder eine Pflicht noch eine Obliegenheit verletzen, verantwortlich zu zeichnen. So platziert Pawlik etwa den Anwendungsbereich des Defensivnotstandes zwischen einer „Maximalzuständigkeit des Eingriffsadressaten“ in der Grundsituation der Notwehr, die er durch einen rechtswidrigen Angriff verursacht hat, und seiner „Minimalzuständigkeit“ in der Grundsituation des Aggressivnotstandes, zu deren Entstehung er auch nicht nur einen anteiligen Verursachungsbeitrag geleistet hat437. Im Zuge dessen fasst er unter die Überschrift einer „rechtswidrigen Rechtskreisorganisation des Eingriffsadressaten“ zunächst den rechtswidrigen, aber schuldlosen Angriff des Eingriffsadressaten, die rechtswidrig-schuldhafte Gefahrschaffung ohne Angriffscharakter438 und die rechtswidrige Organisation beider Konfliktbeteiligten, differenzierend nach der Unabhängigkeit oder Abhängigkeit des einen Fehlverhaltens von dem anderen439. In ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen wüsste eine „rechtswidrige Rechtskreisorganisation“ so sach435  Siehe

oben Seite  350–358 [Abschn.  2, B. I. 3. b)]. etwa Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 47, der die erhöhte Duldungspflicht des Eingriffsadressaten im Defensivnotstand an dessen Gefahrbeseitigungspflicht – z. B. aus Ingerenz – knüpft (einen Grundsatz, den er in Sachverhalten der Perfora­ tion sodann aber nicht durchzuhalten bereit ist; s. ders., a. a. O., Abschn. 13, Rn. 22); vgl. ferner Hoyer, JuS 1988, 89 (95), der der Annahme eines Defensivnotstands gar das rechtswidrige Vorverhalten des Eingriffsadressaten voraussetzen will. 437  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Pawlik, Notstand, 306 u. 308; Hervorhebungen aus dem Orig. nicht übernommen. Zu einem Überblick über die verschiedenen Konstellationen der „Teilzuständigkeit“ nach Pawlik s. ders., a. a. O., 309 f. u. 313. 438  Siehe dazu Pawlik, Notstand, 309 u. 313; ausführl. a. a. O., 313–316 (zur rechtswidrig-schuldhaften Gefahrschaffung ohne Angriffscharakter) u. 317 f. (zu rechtswidrig-schuldlosen Angriffen). 439  Siehe dazu Pawlik, Notstand, 313; ausführl. a. a. O., 318–320. 436  Vgl.



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lich zu begründen, weshalb man dem Eingriffsadressaten in Abweichung von der Grundsituation des Aggressivnotstandes eine erhöhte Duldungspflicht auferlegte: Soweit der Eingriffsadressat gegen die ihm obliegende Pflicht verstieße, innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs die Sicherheit anderer Personen zu gewährleisten, verwirklichte er ein vorwerfbares Vorverhalten, dessen Folgen auch zu seinen Lasten gehen müssten. Denn wer durch ein rechtswidriges Vorverhalten eine Gefahr für andere schafft, muss auch hinnehmen, dass die von seinem Verhalten Betroffenen die durch ihn geschaffene Gefahr abzuwehren suchen und im Zuge dessen – soweit erforderlich – in seine Rechtsgüter eingreifen. Nur folgerichtig setzte sich ein Eingriffsadressat so deren Abwehr- und Eingriffsrecht aus440. Demgegenüber fasst Pawlik unter die Überschrift der „rechtmäßigen Rechtkreisorganisation des Eingriffsadressaten“ auch das rechtmäßige Verhalten des Eingriffsadressaten, dem nur ein abstraktes Gefährdungspotenzial inne wohnt: Insofern geht von den Sachen des Rechtskreisinhabers oder von dessen Körper eine Gefahr aus, ohne dass ihm diesbezüglich der Vorwurf einer Pflichtverletzung gemacht werden kann441. Dass die herrschende Meinung – unbeeindruckt durch die mangelnde Pflichtwidrigkeit – auch in jenen Fällen einer „rechtmäßigen Rechtskreisorganisation“ einen rechtfertigenden Defensivnotstand anerkennt442, sieht Pawlik in einer Sonderzuständigkeit des Eingriffadressaten begründet, der für einen von ihm erlittenen Kontrollverlust einzustehen habe („Sonderzuständigkeit aufgrund erlittenen Kontrollverlustes“): Nachdem rechtliche Organisationsmacht stets die Befugnis zur Ausschließung anderer Personen beinhaltet (vgl. § 903 S. 1 BGB), inkludiert sie die Befugnis, andere Personen von der Kontrolle der Ungefährlichkeit des eigenen Rechtskreises auszuschließen. So aber treten die Personen, die mit dem fraglichen Rechtskreis in Berührung geraten, unweigerlich auch in ein Abhängigkeitsverhältnis zum jeweiligen Rechtsinhaber: Die Integrität ihrer eigenen Rechtsgüter bleibt nur dann gewährleistet, wenn jener – auch jenseits ihm auferlegter Pflichten – dafür Sorge trägt, dass aus seinem Rechtskreis keine Gefahren für andere erwachsen, mithin bereits in seinem eigenen Interesse eine wirksame Kontrolle über den ihm 440  Pawlik, Notstand, 310; zur Verwandtschaft von Notwehr und Defensivnotstand und den dadurch bedingten, erweiterten Eingriffbefugnissen vgl. auch Küper, Pflichtenkollision, 72–76. 441  Pawlik, Notstand, 321; vgl. die Diff. von Handlungs- und Zustandsstörer­ eigenschaft bei Eue, JZ 1990, 765 (766); Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 116 f.; abl. Hoyer, JuS 1988, 89 (95). 442  Eue, JZ 1990, 765 (766); Kühl, AT7, § 8, Rn. 141; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 603 (637 m. Fn. 83); Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 31; Renzikowski, Notstand, 180; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 73 u. 78 f.; ders., in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (473 f.); Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 34 Rn. 73; zsfd. dazu Pawlik, Notstand, 322 m. Fn. 145.

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überantworteten Rechtskreis ausübt443. Kommt ein Rechtsinhaber dem nicht nach, sondern erleidet einen „Kontrollverlust“, der zu einer Notstandslage führt, vermag man den Umstand, dass andere Personen zwar von der Kontrolle der Ungefährlichkeit seines Rechtskreises ausgeschlossen sind, die in der Notstandslage eskalierenden Folgen seines „Kontrollverlustes“ aber zu tragen haben, nur noch durch die Formulierung einer erhöhten Duldungspflicht zu kompensieren444: Machte eine Gefahrenabwehr den Eingriff in seine Rechtsgüter notwendig, würde der Rechtsinhaber so nicht länger durch die eingeschränkt formulierten, rechtfertigenden Merkmale des § 34 StGB privilegiert, die einen Eingriff in seine Rechtsgüter nur bei wesentlichem Überwiegen der täterlichen Interessen zulassen, sondern wäre den Regeln des Defensivnotstandes unterworfen, die die Rechtfertigung einer gegen ihn gerichteten Gefahrenabwehr verschiedentlich erleichtern. Verlangte man jenseits der Pflichtwidrigkeit mithin wenigstens einen solchen „Kontrollverlust“, um die Anwendung der Regeln des Defensivnotstandes sachlich begründen zu können, wären hierdurch auch die Grenzen definiert, die man ihrer Anwendung setzte: Zur Duldung einer gegen seine eigenen Rechtsgüter gerichteten Gefahrenabwehr könnte derjenige Rechtsinhaber nicht in erhöhtem Maße verpflichtet werden, der eben diesen „Kontrollverlust“ nicht erlitten hat oder dessen Rechtskreis zur Schädigung eines Dritten missbraucht worden ist, ohne dass er sich das Fremdverhalten zurechnen lassen müsste445. Dass es jenseits der Pflichtwidrigkeit wenigstens eines solchen „Kontrollverlustes“ bedarf, um eine Anwendung der zum Defensivnotstand entwickelten Regeln zu begründen, stellen nun diejenigen Ansichten in Frage, die einer erhöhten Duldungspflicht des Eingriffsadressaten keinen vorhergehenden Organisationsakt voraussetzen, sondern einen erheblichen – und abwägungsrelevanten – Gefahrverursachungsbeitrag bereits in dessen „schicksalhaftem So-Sein“446 erkennen wollen: „Stammt die Gefahr von einem der in die Situation Verstrickten, so darf sie grundsätzlich auch dann auf diesen abgewälzt, nämlich zu seinen Lasten beseitigt werden, wenn sie ihm nicht als rechtswidrig, ja nicht einmal als Folge seines Verhaltens zuzurechnen ist, er also schlechterdings ‚nichts dafür kann‘, sondern vom Schicksal lediglich zur 443  Pawlik, Notstand, 323. Vgl. zur Def. der Obliegenheitsverletzung als „eine Art Verschulden gegen sich selbst“: Baumann / Weber / Mitsch, AT11, § 23, Rn. 27; Hefermehl, Notstand, 104–106; Roxin, JA 1990, 137 (139); zur Def. der Obliegenheit als ein Gebot, dessen Befolgung „im eigenen Interesse des dadurch Belasteten liegt“: Musielak, GK-BGB12, Rn. 515. Siehe dazu auch bereits oben Seite  350–358 [Abschn.  2, B. I. 3. b)]. 444  So Pawlik, Notstand, 324. 445  Pawlik, Notstand, 324. 446  Zitat entnommen aus Pawlik, Notstand, 329.



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faktischen Gefahrenquelle gemacht worden ist“447. Nach einem „Prinzip der Fairness und damit der distributiven Gerechtigkeit“448 soll mit einer Rechtskreisgarantie so auch die Haftung für aus dem Rechtskreis entspringende Gefahren korrespondieren: Wer von den Garantien des Rechts profitiere, müsse auch die damit einhergehenden Lasten tragen449. Indem der Eingriffsadressat demnach bereits für sein „schicksalhaftes So-Sein“ verantwortlich gemacht würde, reichte seine Haftung innerhalb der Notstandslage weiter als diejenige, die vorliegende Untersuchung für den die Notstandslage verursachenden Notstandstäter anerkannt hat: Seine erhöhte Duldungspflicht fände allein in der Kausalität seines „schicksalhaften So-Seins“ für den nachfolgenden Gefahreneintritt ihre sachliche Begründung, ohne dass dieses eine Obliegenheit oder Pflicht verletzte und ohne dass der Eingriffsadressat eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hätte, die sich im zu erduldenden Gefahreneintritt niederschlüge, wenn sein „So-Sein“ nur auf sein Schicksal statt auf seinen Willen zurückgeführt werden kann. Ob und wie eine solche Duldungspflicht des Eingriffadressaten nachvollzogen werden kann, die der Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters spiegelbildlich gegenübertritt, gleichwohl aber weiter reichte als sie, wird nachfolgend – in Anwendung auf Sachver­ halte des medizinisch-sozial oder kriminologisch begründeten Schwangerschaftskonflikts wie auch auf solche der Perforation – noch seine Erörterung finden450. Bevor sich die vorliegende Untersuchung aber einer möglichen Einbettung des indizierten Schwangerschaftsabbruchs (wie auch der zeitlich an ihn angenäherten Perforation) in den Anwendungsbereich des Defensivnotstandes widmet und in diesem Zusammenhang auch einer möglichen Haftung des Ungeborenen für seine Existenz nachgeht, will sie zunächst noch darstellen, wie weit die dergestalt erhöhte Duldungspflicht des Eingriffsadressaten denn reichen soll, zu der er im vorgestellten Sinne durch eine rechtswidrige oder rechtmäßige Rechtskreisorganisation oder eben auch einfach nur durch sein „schicksalhaftes „So-Sein“ Veranlassung gegeben haben soll. 447  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 603 (621); s. dazu auch ders., JZ 2007, 373 (384); Pawlik, Notstand, 329. Zust. Kühl, AT7, § 8, Rn. 134; in diesem Sinne auch Hoerster, Abtreibung2, 29; Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck, 457 (471); Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 34 Rn. 73. 448  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 603 (637); ähnl. a. a. O., 603 (621): „Regel der fairen Distribution von Risiken“, sowie ders., JZ 2007, 373 (384): „Gebot der Fairness, also der Gerechtigkeit“. 449  So die Auslegung von Pawlik, Notstand, 330; Zimmermann, Rettungstötungen, 161 f.; vgl. auch Fuchs, Notwehr, 56, der die Duldungspflicht des Eingriffsadressaten gleichermaßen in Abhängigkeit von einem „Nutzen“ bestimmen will, den jener aus seinem Gefahrverursachungsbeitrag im Defensivnotstand zieht; ob Fuchs dabei nicht nur die von ihm referierte „Tätigkeit“, sondern auch ein schicksalhaftes „So-Sein“ als relevanten Gefahrverursachungsbeitrag anerkennt, bleibt offen. 450  Siehe dazu im Anschluss auf den Seiten 484 ff. [3.].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB 2. Die Rechtsfolgen des Defensivnotstandes

Insofern könnte die Duldungspflicht des Eingriffsadressaten in zeitlicher wie in inhaltlicher Hinsicht eine Erweiterung erfahren, wenn man den Gefahrengrad, den § 34 S. 1 StGB seiner rechtfertigenden Wirkung voraussetzte, reduzierte, den Proportionalitätsmaßstab, den der allgemeine rechtfertigende Notstand seiner Interessenabwägung zugrunde legt, zum Nachteil des Eingriffsadressaten auslegte oder gar umkehrte, und schließlich die absolute Grenze, die § 34 StGB gegen eine Rechtfertigungsfähigkeit der Tötung formuliert, aufhöbe. a) Die Überwindung des in § 34 S. 1 StGB normierten Proportionalitätsmaßstabes Inhaltlich kennzeichnet den Defensivnotstand nach herrschender Meinung zunächst, dass der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB zulasten des Eingriffsadressaten, der die Notstandslage „verursacht“ hat, verschoben wird. So ist es herrschende Ansicht, dass eine Gefahrenabwehr dann weitergehende Beeinträchtigungen nach sich ziehen darf, wenn sie allein in die Gütersphäre desjenigen eingreift, von dem die Gefahr ausgeht. Entnommen wird dies der für die Sachbeschädigung in § 228 S. 1 BGB normierten Regelung des Defensivnotstandes, nach der die Beschädigung oder Zerstörung einer fremden Sache, „um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden“, dann nicht widerrechtlich ist, wenn sie „zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht“. Entnimmt man § 228 S. 1 BGB nun einen allgemeinen Rechtsgedanken, ist es nur folgerichtig – und dem Prinzip von der „Einheit der Rechtsordnung“ geschuldet451 –, dass man dessen Wertungen auch jenseits seines Anwendungsbereichs zur Anwendung bringt, sofern nur ein Notstandstäter von einer defensiven statt aggressiven Notstandslage betroffen ist. Insofern finden sich in der Rechtsliteratur Wendungen wie die, dass man den „Grundgedanken des § 228 BGB […] über die dortige Regelungsmaterie der Sachwehr hinaus sinngemäß in die Interessenabwägung des § 34 einzubeziehen“ habe452, dass jener Grundgedanke „bei der Abwägung in § 34 eine Rolle“ spiele453 und dass die Abwägung des § 34 StGB in defensiven Notstandslagen „in loser Orientierung an § 228 BGB“ zu 451  Ausführlich zur „Einheit der Rechtsordnung s. oben Kap. 3, Abschn.  2 (Seite  144–180). 452  So Wessels / Beulke, AT42, Rn. 313; ähnl. Freund, AT2, § 3, Rn. 81; Fuchs, Notwehr, 56. 453  So Gropp, AT3, § 6, Rn. 133.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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entscheiden sei454, insbesondere das Überwiegen des täterlichen Interesses „wesentlich früher anzunehmen“ sei455. Im Ergebnis wird der in § 34 S. 1 StGB normierte Proportionalitätsmaßstab auf Sachverhalte des Defensivnotstandes so überwiegend umgekehrt zur Anwendung gebracht456. aa) Die Überhöhung des Gefahrenursprungs innerhalb des § 34 S. 1 StGB Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche „Einbeziehung des Grundgedankens des § 228 BGB“ noch durch eine Subsumtion unter den Wortsinn der in § 34 StGB normierten Interessenabwägung verwirklicht werden kann457 oder ob man durch eine solche „Einbeziehung“ nicht bereits deren Wortsinn verließe und an ihrer Statt die Vorschrift des § 228 S. 1 BGB analog zur Anwendung brachte. Zwar folgte man zunächst nur der allgemeinen Ansicht, dass ein vorwerfbares Vorverhalten (für den Defensivnotstand gegebenenfalls auch ein „schicksalhaftes So-Sein“458), das objektiv zurechenbar einen Gefahreneintritt bedingt, einen erheblichen Abwägungsfaktor bildet459. Insofern ließe § 34 S. 1 StGB auch Raum zu seiner Berücksichtigung, ist seine Interessenabwägung doch nicht abschließend formuliert, sondern behält sich unter Verwendung des Begriffs „namentlich“ vor, die 454  Siehe 455  Siehe

dazu u. vorstehendes Zitat aus Kühl, AT7, § 8, Rn. 134. dazu u. vorstehendes Zitat aus Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34

Rn. 30. 456  Siehe etwa Eue, JZ 1990, 765 (767); Fuchs, Notwehr, 57; Günther, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (150 f.); Hruschka, Strafrecht2, 84 u. 114; Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 46; Joerden, Menschenleben, 127; Köhler, GA 1988, 435 (445); Koriath, JA 1998, 250 (256); Ladiges, ZIS 2008, 129 (131); Renzikowski, Notstand, 240 u. 244 f.; ders., JR 2001, 468 (470); Seelmann, in: Kettner, Biomedizin, 63 (78); zsfd. Pawlik, Notstand, 312 m. Fn. 125; vgl. auch Frister, GA 1988, 291 (293), zu den Proportionalitätsmaßstäben der §§ 34 StGB u. 228 BGB. 457  H. M.; s. nur etwa Hirsch, in: ders., Probleme, 932 (940); Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 30; Otte, Defensivnotstand, 118 f.; Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (466); Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, 198 f.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 313; Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 34 Rn. 72; so auch Günther, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (151 f.), der de lege ferenda jedoch eine ausdrücklich zwischen Defensiv- und Aggressivnotstand differenzierende strafgesetzliche Regelung befürwortet (ders., a. a. O., 147 [156 f.]); weitere Nw. bei Zimmermann, Rettungstötungen, 171 m. Fn. 627. 458  Zu einer Haftung für das „schicksalhafte So-Sein“ s. Kühl, AT7, § 8, Rn. 134; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 603 (637 m. Fn. 83); Pawlik, Notstand, 329, u. soeben Seite  472 f. [1. a. E.]. 459  Vgl. oben Seite  468–473 [1.] zum Anwendungsbereich des Defensivnotstandes u. Seite  343 f. [Abschn.  2, B. I. 1.] zum Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Schutzwürdigkeit der betroffenen Interessen unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls, auch des Gefahrverursachungsbeitrags eines Eingriffsadressaten, zu bestimmen460. Gleichzeitig aber gibt § 34 S. 1 StGB durch seine Formulierung zu erkennen, wie der allgemeine rechtfertigende Notstand das durch die grundrechtliche Hierarchie definierte Verhältnis der betroffenen Rechtsgüter an die erste Stelle der zu berücksichtigenden Abwägungsfaktoren stellt: „bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren“461 soll das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegen462. Wollte man einer Subsumtion unter § 34 S. 1 StGB ein dem § 228 S. 1 BGB entsprechendes Abwägungsergebnis entnehmen, müsste man dem Gefahrverursachungsbeitrag des Eingriffsadressaten verschiedentlich eine so weitgehende Bedeutung zumessen, dass er eben jenes durch die Grundrechtsordnung definierte Rechtsgüterverhältnis zu überwinden wüsste: so etwa dann, wenn der Täter den Eingriffsadressaten gerechtfertigt soll töten dürfen, weil jener sein Leben gefährdet oder für ihn die Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung begründet463. Nachdem der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB ein wesentliches Überwiegen der täterlichen Interessen verlangt, müsste der Gefahrverursachungsbeitrag die Schutzwürdigkeit des Eingriffsadressaten so empfindlich tangieren, dass dessen Lebensinteresse dem Interesse des Täters an seinem Leben oder auch nur seiner Gesundheit i. S. d. § 34 S. 1 StGB wesentlich unterläge – dies gleichwohl das Leben beider nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gleichwertig ist464 und die bloße Gefährdung der täterlichen Gesundheit an die sichere Tötung des Eingriffsadressaten nicht heranreichen kann. Das Rechtsgüterverhältnis würde durch den Gefahrenursprung so „in die hinteren Reihen“ verwiesen, 460  Für eine getrennte Verwertung zuständigkeitsbezogener (Entscheidung über den anzuwendenden Abwägungsmaßstab) und rechtsgutsbezogener Faktoren (Berücksichtigung innerhalb des angewendeten Abwägungsmaßstabs) hingegen Lugert, Gefahrtragungspflichtige, 34 f.; Pawlik, Notstand, 142 f.; Renzikowski, Notstand, 74; zsfd. Engländer, Nothilfe, 34 m. Fn. 130. 461  § 34 S. 1 StGB; Hervorhebung nicht im Original. 462  Siehe dazu auch bereits oben Seite  462 f. [A. II.]. 463  Darauf hinweisend: Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 34 Rn. 19; Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (462); zur Überwindung der in § 34 StGB normierten absoluten Grenze der Rechtfertigungsfähigkeit einer Tötung des Eingriffsadressaten s. auch sogleich Seite  480 f. [b)]. 464  So etwa Ebert, AT3, 84; Küper, Pflichtenkollision, 73, 76 u. zsfd. 122; Otte, Defensivnotstand, 109; Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (465); vgl. auch Hirsch, in: ders., Probleme, 288 (305 f.), nach dem „der Schutz des Lebens des Bedrohten den Vorrang vor dem Schutz des Lebens desjenigen, von dem die unmittelbare Bedrohung ausgeht“, hat; ebenso ders., a. a. O., 932 (940). Zur Gleichwertigkeit allen individuellen menschlichen Lebens s. oben Seite  119 f. [Kap. 2, Abschn.  1, C. III. 1.].



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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gleichwohl § 34 S. 1 StGB es durch seine ausdrückliche Erwähnung noch an die erste Stelle der zu berücksichtigenden Abwägungsfaktoren setzt465. bb) Die analoge Anwendung des § 228 S. 1 BGB Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb verschiedentlich vertreten wird, dass man ein dem § 228 S. 1 BGB entsprechendes Abwägungsergebnis jenseits der Sachwehr nicht durch eine Subsumtion unter die Interessenabwägung des § 34 S. 1 BGB, sondern durch eine analoge Anwendung des § 228 BGB zu erreichen suchen sollte466. Insofern würde offen zum Ausdruck gebracht, dass defensiven Notstandslagen jenseits der Sachwehr auch dann eine rechtfertigende Wirkung beigemessen wird, wenn das durch den Notstandstäter geschützte und – wie dargelegt, primär mit seinem gefährdeten Rechtsgut identifizierte – Interesse das beeinträchtigte Interesse des Eingriffsadressaten nicht i. S. d. § 34 S. 1 StGB wesentlich überwiegt. Ebenso offenkundig träte zutage, wie die rechtfertigende Wirkung einer defensiven Notstandslage nur voraussetzte, dass der durch die Notstandshandlung bewirkte Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr stehen darf. Man verlangte nicht länger ein wesentliches Überwiegen der täterlichen Interessen, damit ein Notstandstäter gerechtfertigt in fremde Rechtsgüter eingreifen kann, sondern setzte seiner Rechtfertigung nur Grenzen, indem seine Notstandshandlung keine wesentlich überwiegenden Interessen des Eingriffsadressaten berühren darf. Der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB würde durch denjenigen des § 228 S. 1 BGB ersetzt und auf diesem Wege in sein Gegenteil verkehrt467. 465  Vgl. die Kritik von Hruschka, NJW 1980, 21 (22), an einer Subsumtion der Sachverhalte des Defensivnotstandes unter § 34 StGB; dazu wiederum die krit. Replik von Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (464 f.), der hierin eine Annäherung an die vom Gesetzgeber verworfene Güterabwägungstheorie erkennen will; zur Abkehr von der Güterabwägungstheorie s. Lampe, NJW 968, 88 (89). 466  Zu einer analogen Anw. des § 228 BGB s. etwa Eue, JZ 1990, 765 (766); Frister, GA 1988, 291 (295); Hirsch, in: ders., Probleme, 288 (302); Hoerster, Abtreibung2, 34; Hruschka, NJW 1980, 21 (22); Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 6 u. 46; Koriath, JA 1998, 250 (256); Lampe, NJW 1968, 88 (91); Ludwig, Gegenwärtiger Angriff, 160; Lugert, Gefahrtragungspflichtige, 35; Renzikowski, Notstand, 244 f.; weitere Nw. bei Zimmermann, Rettungstötungen, 171 m. Fn. 626; zsfd. Otte, Defensivnotstand, 96, m. krit. Betrachtung a. a. O., 97–103; abl. auch Erb, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 34 Rn. 20 u. 155. 467  Koriath, JA 1998, 250 (256); Lugert, Gefahrtragungspflichtige, 35. Gleichermaßen offenkundig tritt der abweichende Abwägungsmaßstab zutage, soweit man den für den Defensivnotstand entwickelten Abwägungsmaßstab gemäß §§ 34 StGB, 228 BGB analog zur Anwendung bringen will; so etwa Küper, Pflichtenkollision, 72 f. m. Fn. 161; Zimmermann, Rettungstötungen, 174 f.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Einer solchen Analogie stellte sich auch nicht das Verbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen: Denn insofern verbietet Art. 103 Abs. 2 GG – sofern man ihn auf Rechtfertigungsgründe überhaupt zur Anwendung bringt – zwar die Einschränkung einer nach Sinn und Zweck des Gesetzes zu weit gefassten Erlaubnisnorm auf den ihr nach der Ratio legis zukommenden Anwendungsbereich (teleologische Reduktion). Demgegenüber wandte sich die Vorschrift nicht gegen die analoge Anwendung einer Erlaubnisnorm, die gleichermaßen zwar die Ratio legis zur Geltung zu bringen suchte, den Täter aber begünstigte statt belastete468. Dass hierdurch im Gegenzug der Eingriffsadressat belastet würde, fände in der Eigenart des Defensivnotstandes seine sachliche Begründung: Mit seinem vorwerfbaren Gefahrverursachungsbeitrag hätte der Eingriffsadressat selbst die Bedingung dafür gesetzt, dass gegen ihn gerichtete Maßnahmen der Gefahrenabwehr erleichtert würden. cc) Die differenzierte Bestimmung der Rechtsfolgen eines Defensivnotstandes Soweit also wäre aufgezeigt, wie der Gefahrverursachungsbeitrag des Eingriffsadressaten entweder seine Schutzwürdigkeit in einem Defensivnotstand so weit zu mindern wüsste, dass sein Interesse innerhalb der Abwägung des § 34 S. 1 StGB dem täterlichen Interesse unterläge, oder aber die analoge Anwendung des in § 228 S. 1 BGB normierten, zum Aggressivnotstand umgekehrten Proportionalitätsmaßstabes rechtfertigte. Demgegenüber wollen andere Stimmen die Schutzwürdigkeit des Eingriffsadressaten – und mit ihr die Rechtsfolgen eines defensiven Notstandes – differenziert, nämlich in Abhängigkeit von der Art seines Gefahrverursachungsbeitrags, bestimmt wissen: So müsste etwa die Duldungspflicht desjenigen Eingriffsadressaten, der die Notstandslage durch rechtswidriges Vorverhalten verursacht hat, eine weitergehende Erhöhung erfahren als die Duldungspflicht desjenigen Eingriffsadressaten, der nur durch seine rechtmäßig organisierte Rechtssphäre ein abstraktes Gefährdungspotenzial geschaffen hat. Soweit Notstandstäter und Eingriffsadressat gleichermaßen vorwerfbar an der Gefahrentstehung mitgewirkt haben, müsste dies ebenfalls innerhalb der Abwägung ihrer Interessen Berücksichtigung finden469. 468  Vgl. dazu bereits oben Seite  449 [A. I. 2. b)] mit verschied. Nw. zum Streit um die Anw. des Art. 103 Abs. 2 GG auf Rechtfertigungsgründe (Fn. 369) sowie zur Def. (Fn. 370) und zum Verbot einer strafbegründenden oder strafschärfenden Reduktion (Fn. 371). 469  Pawlik, Notstand, 312; für eine Diff. nach der Art des Gefahrenursprungs treten ebenfalls ein: Otte, Defensivnotstand, 100–102; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 73–88;



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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Unter einer differenzierenden Betrachtung der Teilzuständigkeiten des Eingriffsadressaten gelangt Pawlik so zu folgender – differenzierter – Rechtsfolgenbestimmung: Rechtswidrig‑schuldlose Angriffe beurteilten sich mit der herrschenden Meinung als Notwehr gemäß § 32 StGB. Unter Rücksichtnahme auf die Schuldlosigkeit des Angriffs wären die Eingriffsbefugnisse jedoch auf das Niveau des Defensivnotstandes i. S. d. § 228 BGB zu reduzieren. Demnach müsste der schuldlos Angreifende zwar die Gegenwehr hinnehmen; diese dürfte aber – in Übereinstimmung mit dem Proportionalitätsmaßstab des § 228 S. 1 BGB – nicht zu einem wesentlich überwiegenden Verlust auf seiner Seite führen470. Entsprechend wäre über rechtswidrigschuldhafte Gefahrschaffungen ohne Angriffscharakter zwar innerhalb des allgemeinen rechtfertigenden Notstands, § 34 StGB, aber ebenfalls unter Anwendung eines in Orientierung an § 228 S. 1 BGB ausgelegen Proportio­ nalitätsmaßstabes zu entscheiden471. Soweit beide Konfliktparteien an der Gefahrverursachung mitgewirkt haben, differenziert Pawlik zwischen dem Fall „symmetrischer“ Sonderzuständigkeiten, in dem sich das Fehlverhalten des einen unabhängig von dem des anderen vollzieht, und dem Fall „asymmetrischer“ Sonderzuständigkeiten, in dem zwischen denselben ein Abhängigkeitsverhältnis des Inhalts besteht, dass es ohne das Fehlverhalten der einen Konfliktpartei nicht zum Fehlverhalten der anderen gekommen wäre472. Für den Fall „symmetrischer Sonderzuständigkeiten“ neutralisierten sich die gegenseitigen Verursachungsbeiträge, sodass keine der Konfliktparteien für sich einen Vorrang beanspruchen könnte. Vermittelnd soll hier ein „einfach positive[r] Gesamtgütersaldo“ greifen und die rechtfertigende Wirkung bereits bei einfachem statt – wie es § 34 S. 1 StGB für den Aggressivnotstand normiert – erst wesentlichem Überwiegen des täterlichen Interesses bejaht werden, jedoch nicht so weit reichen, dass (wie es § 228 S. 1 BGB für den Defensivnotstand vorsieht) jedes täterliche Interesse genügte, solange es nur nicht wesentlich überwiegende Interessen des Eingriffsadressaten tangierte473. In Abgrenzung hierzu vermögen sich die gegenseitigen Verursachungsbeiträge im Fall „asymmetrischer“ Sonderzuständers., in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (460, 467 u. 468 ff.); weitere Nw. bei Pawlik, a. a. O. m. Fn. 126. 470  Pawlik, Notstand, 309 m. Fn. 116; weitere Nw. a. a. O., 307 f. m. Fn. 113; zur Begr. s. die Ausführungen dess., a. a. O., 317 f. Zur anderweitigen Einschränkung der Gebotenheit einer Notwehr gegen den schuldlosen Angreifer vgl. auch Wessels / Beulke, AT42, Rn. 344. 471  Pawlik, Notstand, 315 f. 472  Zu jener Diff. s. Pawlik, Notstand, 318 f. („symmetrische“) u. 319 f. („asymmetrische“ Sonderzuständigkeiten); zu einer alternativen Abwägung beidseitiger Verursachungsbeiträge s. Eue, JZ 1990, 765 (767). 473  Pawlik, Notstand, 318 f. u. 320; anders Eue, JZ 1990, 765 (767), der – in Abhängigkeit von den Umständen des konkreten Einzelfalls – einen rechtmäßigen

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

digkeiten, in dem das Fehlverhalten des einen durch das Fehlverhalten des anderen bedingt ist, nicht zur Gänze neutralisieren. Stattdessen soll dem Notstandstäter, sofern er seinen Gefahrverursachungsbetrag zuerst entfaltet hat, ein überschießender Zuständigkeitsanteil zukommen, ob dessen die Grundsätze des Aggressivnotstandes oder wenigstens dessen Abwägungsmaßstab Anwendung finden sollen474. Kein einfaches, sondern erst ein wesentliches Überwiegen seiner Interessen wüsste die Notstandhandlung des Täters mithin zu rechtfertigen. Was schließlich die abstrakte Gefahrschaffung durch rechtmäßige Rechtskreisorganisation – nach Pawlik durch Kontrollverlust – betrifft, muss zugunsten des Eingriffsadressaten berücksichtigt werden, dass die Erhöhung seiner Duldungspflicht keiner rechtswidrigen Pflichtverletzung entspränge, sondern nur eine Folge seiner objektiven Organisationshoheit bildete. In der Folge müsste die Erhöhung seiner Duldungspflicht auch weniger weit als in Sachverhalten (einseitiger) rechtswidriger Rechtskreisorganisation reichen, so etwa indem man das Eingriffsrecht des Notstandstäters dergestalt einschränkte, dass er dem Eingriffsadressaten nicht einen wesentlich, sondern nur einen einfach größeren Schaden zufügen dürfte als er von sich selbst abwendet475. b) Die Überwindung der in § 34 StGB normierten absoluten Grenze: Rechtfertigungsfähigkeit der Tötung Stellt man den Gefahrenursprung innerhalb des Proportionalitätsmaßstabs des § 34 S. 1 StGB über das Rechtsgüterverhältnis, kehrt den ProportionaEingriff bereits zur Rettung gleichwertiger Rechtsgüter erwägt; krit. dazu Pawlik, a. a. O. m. Fn. 140. 474  Für eine Anwendung der Grundsätze des Aggressivnotstandes vgl. Jakobs, AT2, Abschn. 13, Rn. 27 u. 47. Weil den Eingriffsadressaten, anders als in der Situa­ tion des Aggressivnotstandes, aber eine Mitzuständigkeit für die Konfliktentstehung trifft, will Pawlik nur dessen Proportionalitätsmaßstab angewendet wissen; Pawlik, Notstand, 320. 475  Pawlik, Notstand, 325. Inwiefern Pawlik den Eingriffsadressaten hier gegenüber den Sachverhalten rechtswidriger Rechtskreisorganisation begünstigen will, erschließt sich der Verf. vorliegender Untersuchung allerdings nicht, fasst er an dieser Stelle doch nur den für Sachverhalte des Defensivnotstandes in § 228 S. 1 BGB normierten Proportionalitätsmaßstab in Worte, der nach seinen Ausführungen gleichermaßen auch auf rechtswidrig-schuldhafte Gefahrschaffungen ohne Angriffs­ charakter zur Anwendung kommen soll (a. a. O., 315 f.); eine Begünstigung gegenüber Sachverhalten beidseitig rechtswidriger Rechtskreisorganisation ist bereits deshalb nicht zu erkennen, weil Pawlik ebda. für die asymmetrischen Sonderzuständigkeiten gar auf den Proportionalitätsmaßstab des Aggressivnotstandes zurückgreift (a. a. O., 320). Zur anderweitigen Formulierung eines eingeschränkten Eingriffsrechts s. Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 31; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 77.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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litätsmaßstab durch eine analoge Anwendung des § 228 S. 1 BGB um oder modifiziert ihn auch nur in Abhängigkeit von einer rechtswidrigen oder rechtmäßigen Rechtskreisorganisation des Eingriffsadressaten, ermöglicht dies ein Weiteres: die Überwindung einer absoluten Grenze, die der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB für die Rechtfertigungsfähigkeit der Tötung des Eingriffsadressaten formuliert. Denn im Aggressivnotstand ist jene deshalb von der rechtfertigenden Wirkung des § 34 S. 1 StGB ausgeschlossen, weil der allgemeine rechtfertigende Notstand nach seinem Wortlaut ein wesentliches Überwiegen der Interessen des Notstandstäters verlangt und das Interessenverhältnis primär nach dem Wertverhältnis der betroffenen Rechtsgüter bestimmt. Selbst wenn der Täter durch seine Notstandshandlung sein eigenes Leben zu wahren suchte, könnte jenes so doch niemals das Leben eines Anderen wesentlich überwiegen. Insofern folgt das Strafrecht dem Grundsatz des absoluten Lebensschutzes476 – dies zumindest dann, wenn der Eingriffsadressat die abzuwehrende Gefahr nicht selbst vorwerfbar herbeigeführt hat. Denn überhöht man in defensiven Notstandslagen den Gefahrenursprung oder ersetzt den Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB durch den des § 228 S. 1 BGB, verlangt man nicht länger ein wesentliches Überwiegen der täterlichen Rechtsgüter, sodass jenen auch ein individuelles menschliches Leben in einer Interessenabwägung unterliegen kann. Für defensive Notstandslagen hat damit verschiedentlich Anerkennung erfahren, dass auch die Tötung des Eingriffsadressaten der Rechtfertigung zugänglich ist, dies im Übrigen nicht nur dann, wenn es gilt, eine Lebensgefahr abzuwenden, sondern auch dann, wenn die Gefahr einer erheblichen Körperverletzung oder – in Ausnahmefällen – gar nur die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher oder ideeller Verluste abgewendet werden soll477. Dies soll nach Pawlik gar dann gelten, wenn der Eingriffsadressat seinen Rechtskreis rechtmäßig organisiert hat und nur sein nicht pflichtwidriger Kontrollverlust als erheblicher Gefahrverursachungsbeitrag behandelt wird. Durch seinen Kontrollverlust soll er sich von dem an der Gefahrver­ur­ sachung gänzlich unbeteiligten Eingriffsadressaten unterscheiden, den innerhalb des Aggressivnotstands eine absolute Grenze der Rechtfertigungsfähigkeit vor seiner Tötung zu schützen vermag: Eine solidarische Ge­ fahrenduldung verlangte das die Tötung rechtfertigende Gesetz dem Eingriffsadressaten dann nicht ab, wenn es nur auf eine – wenn auch re­du­zierte  – personale Verantwortlichkeit des Eingriffsadressaten reagierte, der seiner Kontrolle über den ihm überantworteten Rechtskreis verlustig BesT / 136, Rn. 2. Zulässigkeit von Tötungen im Defensivnotstand s. bereits oben Seite 465 [A. II.] m. Nw. in Fn. 420. 476  Wessels / Hettinger, 477  Zur

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

gegangen ist. In der Folge bejaht Pawlik in Abweichung von der ganz herrschenden Meinung478 gar eine Rechtfertigung der Tötung im sog. „Bergsteigerfall“: Derjenige Bergsteiger, der durch die Kappung des Seils den Tod des anderen herbeiführt, handele rechtmäßig, sofern sein Leben nur auf diese Weise gerettet werden könne. Denn der andere (durch die Kappung getötete) Bergsteiger hafte wenigstens für den bei ihm eingetretenen Kontrollverlust, sodass ihm innerhalb eines Defensivnotstandes einfach größere Schäden zugefügt werden dürften, ohne dass dies eine absolute Grenze der Rechtfertigungsfähigkeit untersagte479. c) Der Verzicht auf einen gegenwärtigen Gefahrengrad Schließlich müsste eine Gefahrenabwehr der rechtfertigenden Wirkung eines Defensivnotstandes auch nicht deswegen verlustig gehen, weil sie den Eintritt einer gegenwärtigen Gefahr nicht abwartete. Denn während § 34 S. 1 StGB für den Aggressivnotstand noch ausdrücklich das rechtfertigende Merkmal einer gegenwärtigen Gefahr normiert, kennt die für die Sachbeschädigung in § 228 S. 1 BGB normierte Regelung des Defensivnotstandes ein solches einschränkendes Merkmal nicht, sondern spricht ohne weitere Kennzeichnung des Gefahrengrads von einer durch die Sache drohenden „Gefahr“: „Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht“480. Dass § 228 S. 1 BGB einen allgemeinen Rechtsgedanken formuliert, dessen Wertungen auch jenseits der Sachwehr zur Anwendung kommen sollen, sofern nur ein Notstandstäter von einer defensiven statt aggressiven Notstandslage betroffen ist, haben die vorangehenden Ausführungen zum Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB bereits dargelegt481. Insofern ist es aber auch nur folgerichtig, wenn man jenen Wertungen nicht nur bezüglich der Interessenabwägung des § 34 S. 1 StGB, 478  Exemplarisch für die h. M. s. Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 106 f.; Jakobs, AT2 Abschn. 13, Rn. 23; Küper, Pflichtenkollision, 57–64; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 34 Rn. 24; Maurach / Zipf, AT / 18, § 27, Rn. 25 f.; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 38–40 i. V. m. 35; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 316a; Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK‑StGB / 212, § 34 Rn. 74; zsfd. Pawlik, Notstand, 326 m. Fn. 155. 479  Pawlik, Notstand, 326. Eine Rechtfertigung im Wege des Defensivnotstandes bejahen für den Bergsteigerfall ferner Günther, in: Böse / Sternberg-Lieben, FSAmelung, 147 (154 f.); Hirsch, in: ders., Probleme, 310 (328 f.); Renzikowski, Notstand, 266 f.; Zimmermann, Rettungstötungen, 169. 480  § 228 S. 1 BGB; Hervorhebungen nicht im Original. 481  Siehe oben Seite  474–478 [a)].



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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sondern auch bezüglich des für einen rechtfertigenden Defensivnotstand erforderlichen Gefahreneintritts Geltung zu verschaffen sucht: Von einem Täter, der durch sein Verhalten nur eine durch den Eingriffsadressaten verursachte Gefahr abzuwenden sucht, wird nicht erwartet, dass er eine Verdichtung der Gefahrenentwicklung abwartet, bis die abzuwehrende Gefahr gegenwärtig ist, d. h. nur noch durch eine sofortige Abhilfe abgewendet werden kann482. Jene Vorverlegung des rechtfertigenden Gefahreneintritts fügte sich – gleich der Umkehrung des rechtfertigenden Proportionalitätsmaßstabes – auch in diejenige, den Defensivnotstand prägende Ratio ein, nach der die Duldungspflicht des Eingriffsadressaten (relationale und nunmehr auch zeitliche) Erweiterungen soll erfahren können, wenn er die einschlägige Gefahrenlage nur selbst herbeigeführt hat483. Wiederum zeigt sich jedoch, dass man eine solche Vorverlagerung des rechtfertigenden Gefahreintritts schwerlich durch eine Subsumtion unter einen weit ausgelegten § 34 S. 1 StGB wird erzielen können484. Denn insofern ordnet § 34 S. 1 StGB ausdrücklich an, dass seine rechtfertigende Wirkung den Eintritt einer gegenwärtigen Gefahr verlangt, und überschritte man seinen Wortsinn, wenn man ihm den Verzicht auf eine solche Gefahrverdichtung zu entnehmen suchte. Demgegenüber stellte sich der Eintritt einer gegenwärtigen Gefahr in einer analogen Anwendung des § 228 S. 1 BGB ohne Weiteres als entbehrlich dar, verzichtet § 228 S. 1 BGB doch selbst auf eine entsprechende Gefahrverdichtung. Einer solchen Analogie und damit verbundenen Vorverlegung des Gefahreneintritts stellte sich, wie bereits angeführt, auch nicht das Verbot des Art. 103 Abs. 2 GG in den Weg, das in seiner (umstrittenen) Anwendung auf Rechtfertigungsgründe zwar deren den Täter belastende teleologische Reduktion untersagte, sich aber nicht gegen die analoge Anwendung einer Erlaubnisnorm wandte, durch die der Täter nur begünstigt würde. Dass die Vorverlegung des Gefahreneintritts im Gegenzug den Eingriffsadressaten belastete, fände wiederum in der Eigenart des Defensivnotstandes seine sachliche Begründung: Insoweit erkannte das Gesetz die Rechtmäßigkeit einer Gefahrenabwehr, die sich noch 482  Vgl. zur Gegenüberstellung der §§ 228, 904 BGB Boemke / Ulrici, BGB-AT, § 20, Rn. 16; zur Def. der gegenwärtigen Gefahr i. S. d. § 34 StGB u. inkludierten Notwendigkeit sofortiger Abwehr s. bereits oben Seite  446 [A. I. 1.]. 483  Demgegenüber muss der umgekehrte Ansatz Ludwigs, die Anforderungen an den rechtfertigenden Gefahreneintritt im Defensivnotstand anzuheben statt zurückzunehmen, indem er eine Einheit mit den polizeirechtlichen Vorschriften herzustellen versucht (ders., Gegenwärtiger Angriff, 163–169; zsfd. dazu Otte, Defensivnotstand, 173 f.), Ablehnung erfahren: Denn für eine zeitliche Privilegierung gibt der Gefahrverursachungsbeitrag des Eingriffsadressaten sicherlich keinen Anlass; s. die entsprechende Kritik bei Otte, a. a. O., 175. 484  Zu Schwierigkeiten, die Wertungen des § 228 S. 1 StGB innerhalb des § 34 S. 1 StGB zur Geltung zu bringen, vgl. bereits oben Seite  475 f. [a) aa)].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

vor Eintritt einer gegenwärtigen Gefahr gegen ihn wandte, deshalb an, weil er die abzuwehrende Gefahr selbst verursacht hat und ob seiner Beteiligung in erhöhtem Maße dazu angehalten werden kann, sie zu erdulden. Während seine Duldungspflicht durch eine entsprechende Anwendung des in § 228 S. 1 BGB normierten Proportionalitätsmaßstabes inhaltlich erweitert wird, dehnte sie eine entsprechende Anwendung des in § 228 S. 1 BGB normierten Gefahrengrads in zeitlicher Hinsicht aus485. 3. Der indizierte Schwangerschaftsabbruch im Anwendungsbereich des Defensivnotstandes

Soweit also ist dargelegt worden, wie eine rechtswidrige und rechtmäßige Rechtskreisorganisation und schließlich gar nur das „schicksalhafte So-Sein“ des Eingriffsadressaten verschiedentlich zum Anlass genommen werden, um die Duldungspflicht des Eingriffsadressaten innerhalb eines Notstandskonflikts zu erhöhen. Es ist weiter dargelegt worden, wie weit diese Erhöhung seiner Duldungspflicht in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht reichen kann: Der von § 34 S. 1 StGB vorausgesetzte Gefahrengrad könnte – vorzugsweise durch eine analoge Anwendung des § 228 S. 1 BGB – reduziert werden, sodass die rechtfertigende Wirkung einer defensiven Notstandslage nicht länger eine gegenwärtige Gefahr verlangte. Der Proportionalitätsmaßstab, den der allgemeine rechtfertigende Notstand seiner Interessenabwägung zugrunde legt, könnte zum Nachteil des Eingriffsadressaten ausgelegt oder – vorzugsweise wiederum durch eine analoge Anwendung des § 228 S. 1 BGB – gar umgekehrt werden. Dies zöge schließlich und letztendlich die Rechtsfolge nach sich, dass der rechtfertigenden Wirkung eines Defensivnotstandes keine absolute Grenze mehr gesetzt wäre, wie sie § 34 StGB mit seinem Verlangen nach einem „wesentlichen Überwiegen“ der täterlichen – primär mit dem betroffenen Rechtsgut identifizierten – Interessen noch formuliert: Rechtfertigungsfähig wäre so auch die Tötung des Eingriffsadressaten, ungeachtet dessen dass die täterlichen Rechtsgüter sein Leben niemals wesentlich zu überwiegen wüssten. Wenn die medizinisch-soziale Schwangerschaftsabbruchsindikation des § 218a Abs. 2 StGB in Abgrenzung zu § 34 StGB mithin durch einen Zweiklang von Vorverlegung und Umkehrung gekennzeichnet ist, könnte dies nach den vorangehenden Ausführungen in einem objektiv zurechenbaren und vorwerfbaren Gefahrverursachungsbeitrag des postnidativen ungeborenen Lebens begründet sein, der dessen Schutzwürdigkeit minderte. In Reaktion auf einen defensiven Schwangerschaftskonflikt verlegte § 218a Abs. 2 485  Zur analogen, das Verbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht tangierenden Anwendung des § 228 S. 1 StGB vgl. auch bereits oben Seite  477 [a) bb)].



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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StGB den seiner rechtfertigenden Wirkung vorausgesetzten Gefahreneintritt vor und verlangte – anders als § 34 S. 1 StGB – keine gegenwärtige Gefahr mehr. Ebenso kehrte der medizinisch-soziale Indikationentatbestand das rechtfertigende Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen des Täters und denjenigen des Eingriffsadressaten um, wenn er – anders als § 34 S. 1 StGB – nicht etwa die rechtmäßige Tötung des (postnidativen ungeborenen) Eingriffsadressaten ausschließt, sondern im Gegenteil ein entsprechendes Eingriffsrecht zur Abwehr einer Lebens- oder schweren Gesundheitsgefährdung der schwangeren Täterin formuliert. Soweit die rechtfertigenden Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB und des Defensivnotstandes übereinstimmen, liegt es mithin nahe, die Unterschiede, die sich zwischen § 218a Abs. 2 StGB und § 34 StGB auftun, mit den Eigenheiten eines – in § 218a Abs. 2 StGB normierten – defensiven notstandsähnlichen Konflikts erklären zu wollen. Kein etwaiger Gefahrverursachungsbeitrag der Schwangeren erhöhte so ihre Gefahrtragungspflicht innerhalb des medizinisch-so­ zialen Schwangerschaftskonflikts, sondern ein Gefahrverursachungsbeitrag, den man dem postnidativen ungeborenen Lebens zur Last legte, charakterisierte den aus der Schwangerschaft erwachsenden Konflikt als eine defensive, notstandsähnliche Lage, innerhalb derer die Duldungspflicht des ungeborenen Eingriffsadressaten erhöht wäre. Welcher Art aber soll dieser Gefahrverursachungsbeitrag sein, der dem medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt den Anwendungsbereich des Defensivnotstandes eröffnet? Kann dem postnidativen ungeborenen Leben, das in seiner symbiotischen Verbundenheit mit der Schwangeren den mütterlichen Körper in Anspruch nimmt, etwa eine rechtswidrige oder auch nur rechtmäßige Rechtskreisorganisation zum Vorwurf gemacht werden? Oder wandte man sich mit der Behauptung eines abwägungsrelevanten Gefahrverursachungsbeitrags gegen seine Existenz – sein „schicksalhaftes So-Sein“ – und setzte sich hierdurch nur anderenorts des Vorwurfs einer Ungleichbehandlung gegenüber dem geborenen Menschen i. S. d. Strafrechts aus, wenn sich jener verschiedentlich einer entsprechenden „Existenzhaftung“ zu entziehen weiß? a) Eine Haftung für das „schicksalhafte So-Sein“ Zunächst wird der Vorwurf einer rechtswidrigen oder auch nur rechtmäßigen Rechtskreisorganisation gegen das postnidative ungeborene Leben unmöglich erhoben werden können: Denn die Entwicklung des Embryos oder Fetus ist nicht von seinem menschlichen Willen getragen oder auch nur durch ihn beherrschbar, sodass man diesbezüglich bereits ein Verhalten von Handlungsqualität wird verneinen müssen, das nach dem vorzugswürdigen sozialen Handlungsbegriff ein „vom menschlichen Willen beherrsch-

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tes oder beherrschbares sozialerhebliches Verhalten“ voraussetzt486. Welche Auswirkungen seine Entwicklung auch immer auf den mütterlichen Körper nehmen mag, sodass man versucht sein dürfte, sie ob ihrer Folgen für „sozialerheblich“ zu befinden, wird die Entwicklung des ungeborenen Lebens von Anbeginn an doch durch das embryonale Genom statt durch einen menschlichen Willen beherrscht: Mit der Befruchtung, innerhalb derer sich männlicher und weiblicher Vorkern vereinigen, ist die Zygote eine „funk­ tionelle, sich selbst organisierende und differenzierende Einheit“, die über einen eigenen Stoffwechsel verfügt487. Einem Organisationsakt, gleich welcher Art, entspringt die gefahrbegründende embryonale oder fetale Entwicklung nicht488. So aber bliebe dem geneigten Rechtsanwender nur noch ein möglicher Anknüpfungspunkt, um auf einen erheblichen Gefahrverursachungsbeitrag des postnidativen ungeborenen Lebens zu erkennen, der den in § 218a Abs. 2 StGB normierten Schwangerschaftskonflikt als einen dem Defensivnotstand verwandten Konflikt kennzeichnen soll: Verantwortung könnte der Embryo bzw. Fetus allenfalls für sein „schicksalhaftes So-Sein“ und die aus ihm erwachsenden schädlichen Folgen tragen, mithin dafür, dass er den mütterlichen Körper in seiner symbiotischen Verbindung mit der Schwangeren in Anspruch nimmt und so letztlich in eine Kausalkette eingebettet ist, die zum Eintritt einer Lebens- oder schweren Gesundheitsgefährdung der Schwangeren führt489. Insofern folgte man dem eingangs bereits zur Erwähnung gelangten „Prinzip der distributiven Gerechtigkeit“490 und schlussfolgerte aus einer Rechtskreisgarantie auf eine Haftung für aus dem Rechtskreis entspringende Gefahren: Wer vom rechtlichen Schutz seines Lebens profitiere, müsste im Gegenzug auch für die Gefahren verantwortlich gemacht werden können, die von seiner physischen Existenz aus486  Darauf ebenfalls hinweisend Zschiegner, Fristenlösung, 116 f. (zu § 218a Abs. 1 StGB); vorstehendes Zitat zur sozialen Handlungslehre entnommen aus Wessels / Beulke, AT42, Rn. 93. 487  Vorstehendes Zitat aus Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (83). Anders Christ und Wachtler, die zu diesem Zeitpunkt noch von einer genetischen Inaktivität des embryonalen Genoms und stattdessen von einer Steuerung der ersten Phasen der Embryonalentwicklung durch das mütterliche Genom ausgehen; diese Phase der genetischen Inaktivität des embryonalen Genoms ist allerdings schon im Zwei- bis Vierzellstadium beendet; Christ / Wachtler, Embryologie, 23. 488  Pawlik, Notstand, 328; ebenso Belling, Rechtfertigungsthese, 117 f.; Jakobs, JR 2000, 404 (406). Anders Köhler, GA 1988, 435 (445), der hierin kein Hindernis erkennt, die embryonale Inanspruchnahme des mütterlichen Körpers für rechtswidrig zu erkennen; im Gegenteil will er den Embryo gerade „nicht als gleichgültigen Naturgegenstand, sondern als – wenn auch unbewußt zweckhaft handelndes – unter Rechtsnormen stehendes Subjekt“ voraussetzen. 489  So augenscheinlich Hoerster, Abtreibung2, 29. 490  Siehe Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 603 (637).



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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gehen491. Andere, von dieser Existenz betroffene Personen könnten den Eingriffsadressaten im Wege des Defensivnotstandes mithin gerechtfertigt töten, allein weil seine Existenz ihren Interessen im Wege stände. Die rechtliche Garantie des Lebens implizierte – als korrespondierende Last der Lebensgarantie – seine gerechtfertigte Tötung, soweit seine Existenz nur andere gefährdete492. Eine solche Haftung für das „schicksalhafte So-Sein“ findet man seitens der herrschenden Meinung jedenfalls in den Sachverhalten der Perforation formuliert, wenn die Tötung des noch im Geburtsvorgangs befindlichen Kindes nach den Regeln des Defensivnotstandes gemäß § 34 StGB soll gerechtfertigt werden können. Unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung von der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ mit Einsetzen der Eröffnungswehen kollidieren dabei das Lebensrecht des Kindes (eines „Menschen“ im Sinne des Strafrechts) mit dem der Mutter (gleichfalls „Mensch“ im Sinne des Strafrechts). Eine Auflösung dieser Kollision zweier Lebensrechte nach den Grundsätzen der medizinisch-sozialen Indikation, wie in § 218a Abs. 2 StGB niedergelegt, verbietet sich mithin, hat sich der Wandel von der „Leibesfrucht“ zum geborenen Menschen doch bereits vollzogen und der Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB – einschließlich des medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes – für immer geschlossen493. Ungeachtet dieser Hindernisse, die sich einer Rechtfertigung der Kindestötung durch Perforation entgegenstellen, will die herrschende Meinung die Abwägung von „Leben gegen Leben“ zu Lasten des Kindes entschieden wissen und bejaht, solange sich der diesbezügliche Konflikt nur während des Geburtsvorgangs auftut, einen Defensivnotstand. Indem sie die Gefahrenursache so dem Kind zuweist, eröffnet sie sich die Möglichkeit, den Rechtsgutskonflikt zu seinen Lasten aufzulösen, nämlich den Totschlag am Kind zu rechtfertigen494. Dass das Kind selbst die tödliche Gefahr geschaffen 491  Siehe dazu oben Seite  473 [1.] m. Fn. 448 u. 449; s. ferner Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 603 (637 m. Fn. 83), u. erläuternd Pawlik, Notstand, 330. 492  Insofern gleichermaßen krit. Pawlik, Notstand, 330. 493  Zur h. M., die die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ auf den Geburtsbeginn datiert, s. eingehend oben Kap. 4, Seite  275 f. [Abschn.  3, A. II. 1. a)], 282 f. [Abschn.  3, A. II. 1. d)] u. 283–286 [2.]; zu ihrer alternativen Datierung auf den Zeitpunkt der vollendeten Geburt wie auch zur Perforationsproblematik s. Kap. 4, Seite  276–280 [A. II. 1. b)]. 494  Günther, in: Böse / Sternberg-Lieben, FS-Amelung, 147 (154); Hirsch, in: Arnold et  al., FS-Eser, 309 (320); Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 22 m. Fn. 44; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 24; Renzikowski, Notstand, 268; Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 79; ders., in: Vogler, FS-Jescheck / 1, 457 (476); Rudolphi / Rogall, in: Wolter, SK-StGB / IV137, Vorbem. § 218 Rn. 65 a. E.; krit. Belling, Rechtfertigungsthese, 118; Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 47; Ladiges, ZIS 2008, 129 (137);

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habe, will man in diesem Kontext wiederum damit begründet wissen, dass sich das geburtsreife Kind „durch seinen Verbleib zu einem bedrohlichen ‚Fremdkörper‘ “ für die Mutter entwickelt habe495. Anders gesprochen: Für den Gefahreneintritt verantwortlich gemacht werden soll das Kind deshalb, weil es zur fraglichen Zeit im mütterlichen Geburtskanal existiert (oder „schicksalhaft ist“496), jenen aufgrund seiner anatomischen Eigenschaften unglückseligerweise aber nicht zu passieren weiß. Nicht nur diesseits der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ wird eine Haftung für das „schicksalhafte So-Sein“ mithin diskutiert, wenn sich die Unterschiede zwischen § 218a Abs. 2 StGB und § 34 StGB aus den Eigenheiten einer defensiven notstandsähnlichen Konfliktlage sollen erklären lassen, sondern auch jenseits der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“, wenn die Rechtfertigung der Perforation nach herrschender Meinung den Regeln des Defensivnotstandes folgen soll. In beiden Fällen soll die Existenz des postnidativen ungeborenen Lebens bzw. des noch im Geburtskanal befindlichen Kindes als erheblicher Gefahrverursachungsbeitrag gewertet werden, der seine Duldungspflicht im Konflikt mit den mütterlichen Interessen erhöht und im Gegenzug ein Recht der Schwangeren bzw. Mutter formt, seine gefahr­ begründende physische Existenz zur Abwehr einer eigenen Lebens- oder schweren Gesundheitsgefährdung zu vernichten. b) Eine einseitige Verpflichtung des postnidativen ungeborenen Lebens Soweit also die Fürsprache dafür, dass man einen Rechtskreisinhaber auch für sein „schicksalhaftes So-Sein“ zur Verantwortung ziehen sollte, indem man ihm in einer für defensiv erkannten Notlage eine erhöhte – in inhaltlicher wie zeitlicher Hinsicht erweiterte – Duldungspflicht auferlegte. Ein näherer Blick auf diejenigen Sachverhalte, die einen Schwangerschaftskonflikt formen oder aber eine Perforation erforderlich machen, wird diesbezüglich jedoch offenbaren, wie ebenda eine solche Existenzhaftung nicht allgemein – d. h. gleichermaßen für das postnidative ungeborene Leben, das noch im Geburtsvorgang befindliche Kind wie auch für die Mutter – befürRohrer, Menschenwürde, 294; Zimmermann, Rettungstötungen, 460 m. Fn. 1894; weitere Nw. bei Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (319 f.). 495  So Hirsch, in: Arnold et  al., FS-Eser, 309 (320); zust. mit Blick auf die (angeblich alleinig ursächliche) „Wasserköpfigkeit des Kindes“ Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 114 u. 117; abl. hingegen Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (319 f.). 496  In Anlehnung an den Begriff von einer Haftung für das „schicksalhafte SoSein“; dazu Pawlik, Notstand, 329.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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wortet wird497. Stattdessen wird sie gezielt zur Anwendung gebracht, um der Schwangeren bzw. Mutter die rechtmäßige Tötung solchen mensch­lichen Lebens zu ermöglichen, das sich – wie das postnidative ungeborene Leben – noch in einem diesseits der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ angesiedelten Entwicklungsstadium befindet oder aber diese Zäsur – wie das noch im Geburtsvorgang befindliche Kind – gerade erst überschritten hat. aa) In Sachverhalten der medizinisch-sozialen Indikation (§ 218a Abs. 2 StGB) Zunächst sei also von der – einer Existenzhaftung zugrundeliegenden – Prämisse ausgegangen, dass das postnidative ungeborene Leben bereits für seine Existenz und seine davon inkludierte Inanspruchnahme des mütterlichen Körpers hafte. Damit stände man nun nicht etwa am Beginn der Kausalitätskette, die zur Gefährdung von Leben und Gesundheit der Schwangeren führt. Stattdessen haben die vorangegangenen Ausführungen im zweiten Abschnitt der vorliegenden Untersuchung ausführlich dargelegt, wie die willentliche Teilnahme der Schwangeren am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr die erste und notwendige Bedingung für den Eintritt einer Schwangerschaft und ihren gefahrbegründenden Verlauf bildet498. Im Anschluss haben sie ausgeführt, wie der diesbezügliche Gefahreneintritt der Schwangeren nicht objektiv zugerechnet werden kann, weil sich in der Schwangerschaft einschließlich ihres gefährlichen Verlaufs weniger eine rechtlich relevante Gefahr denn ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Dies im Übrigen nicht nur dann, wenn eine sexuell aktive Frau den potenziell lebens- oder gesundheitsgefährdenden Schwangerschaftsverlauf nicht vorhersehen kann und mithin keine Veranlassung hat, den „Vermeidefaktor“ einer Verhütung zur Anwendung zu bringen499. Nur ein allgemeines Lebensrisiko verwirklichte sich in dubio vielmehr auch dann, wenn sie um die eigene „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ wüsste und sich ein etwaiges Verhütungsdefizit angesichts der nicht hundertprozentigen Sicherheit aller Verhütungsmethoden nur nicht nachweisbar im Eintritt der Schwangerschaft und ihrem gefahrbegründenden Verlauf niederschlüge. Mehr noch kann solch einer Frau nach dem allgemeinen Rechtsgedanken eines „Pflichtwidrigkeitszusammenhangs“ gar der gänzliche Verzicht auf Verhütungsmittel nicht zum Vorwurf gemacht werden können, böte doch auch die alternative 497  Vgl. die Kritik von Silva Sánchez, ZStW 2008, 22 (24), an einer entsprechenden „Asymmetrie zwischen Leibesfrucht und Mutter“. 498  Siehe dazu oben Seite  349 f. [Abschn.  2, B. I. 3. a)]. 499  Siehe dazu oben Seite  360 f. [Abschn.  2, B. I. 3. c) aa)].

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Anwendung einer Verhütung keine hundertprozentige Sicherheit, der gefahrbegründenden Schwangerschaft vorzubeugen500. So aber hat vorliegende Untersuchung es abgelehnt, den ersten Verursachungsbeitrag zur medizinisch-sozialen Indikationenlage – die willentliche Teilhabe der Frau am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr – zum Anlass zu nehmen, um der Schwangeren innerhalb des § 218a Abs. 2 StGB eine erhöhte Gefahrtragungspflicht aufzuerlegen. In Übereinstimmung mit der in § 218a Abs. 2 StGB vorweggenommenen Interessenabwägung, die eine Abwägungsrelevanz des Schwangerenvorverhaltens abstrakt- generell verneint, hat sie die täterliche Verantwortlichkeit verneint und stattdessen einen quasi „schicksalhaften“ Ursprung bejaht501. Nur einen unerheblichen Gefahrverursachungsbeitrag bildet damit dasjenige Vorverhalten der Schwangeren, das zwar von Handlungsqualität ist und ohne Frage auch kausal für den Gefahreneintritt wird – nämlich dessen notwendige Voraussetzung bildet –, sich in besagtem Gefahreneintritt jedoch nicht objektiv zurechenbar niederschlägt. So aber könnte es schwerlich nachvollzogen werden, wenn man an die gefahrbegründende Existenz des postnidativen Ungeborenen eine erhöhte Duldungspflicht im notstandsähn­ lichen Schwangerschaftskonflikt knüpfen wollte, gleichwohl sie nicht seinem Willen unterworfen und mithin frei von Handlungsqualität ist502. Der ungeborene Eingriffsadressat und die schwangere Täterin würden in ihrem notstandsähnlichen Konflikt ungleich behandelt, gleichwohl auf beide doch derselbe allgemeine Rechtsgedanke Anwendung finden soll: Wer eine Gefahr selbst verursacht, soll für die Folgen dieser Gefahren grundsätzlich auch selbst einstehen müssen. Während ein erheblicher Gefahrverursachungsbeitrag der Schwangeren unter Anwendung allgemeiner Grundsätze aber bereits dann zu verneinen wäre, wenn ihr der durch ihr Verhalten herbeigeführte Gefahreneintritt objektiv nur nicht zugerechnet werden kann, hätte das postnidative ungeborene Leben in einem medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt gar für seine bloße Existenz und deren nicht gewillkürte Auswirkungen auf die Schwangere einzustehen. Gleichwohl die beschriebene Existenzhaftung als „Prinzip der Fairness und damit der distributiven Gerechtigkeit“503 betitelt wird, führte sie in Sachverhalten einer 500  Siehe

dazu oben Seite  363–366 [Abschn.  2, B. I. 3. c) bb) (1)]. Seite  436–439 [Abschn.  2, C. I.]. 502  Zur fehlenden Handlungsqualität der pränatalen – durch das embryonale Genom anstelle eines menschlichen Willens gesteuerten – Entwicklung s. bereits oben Seite  485 f. [a)]; krit. zur Anknüpfung der embryonalen bzw. fetalen Verantwortlichkeit an die Existenz des Ungeborenen auch: Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 117 u. 152; Lenckner, Notstand, 267. 503  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 603 (637); ähnl. ders., JZ 2007, 373 (384). 501  Zsfd.



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medizinisch-sozialen Schwangerschaftsabbruchsindikation so doch wenigstens dann zu einem unbilligen statt „fairen“ Ergebnis, wenn sie nur auf eine der an der Konfliktlage beteiligten Parteien Anwendung findet504. bb) In Sachverhalten der Perforation (§ 34 StGB) Diese Ungleichbehandlung von ungeborenem Eingriffsadressat und schwangerer Täterin setzt sich in Sachverhalten der Perforation fort, wenn während des Geburtsvorgangs die Lebensinteressen des Kindes mit denen der Mutter kollidieren und die Rettung des mütterlichen Lebens so eine Perforation erforderlich macht. Die Abwägung von „Leben gegen Leben“, die sich an dieser Stelle auftut, entscheidet die herrschende Meinung zu Lasten des Kindes, indem sie den während des Geburtsvorgangs auftretenden Rechtsgutskonflikt mit einem Defensivnotstand identifiziert. Mit der Zuweisung der Gefahrenursache an das Kind lässt sie denjenigen Täter, der das Kind noch während des Geburtsvorgangs tötet, um das Leben der Mutter zu retten, so an der rechtfertigenden Wirkung eines allgemeinen Notstands teilhaben505. Wiederum aber manifestiert sich eine Ungleichbehandlung, wenn der kindliche Eingriffsadressat allein ob seiner Existenz zur Duldung seiner eigenen Tötung angehalten wird, während die mütterliche Täterin ungeachtet ihres eigenen Beitrags zur Gefahrenverursachung seine rechtmäßige Tötung veranlassen kann. Denn auch in Sachverhalten der Perforation gilt, was bereits zum medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt bemerkt worden ist: Durch ihre i. d. R. willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr hat die Mutter ein Vorverhalten von Handlungsqualität entfaltet, das fraglos ursächlich für diejenige Gefahrenlage geworden ist, mit der sie nunmehr während des Geburtsvorgangs konfrontiert ist506. Folgt man jedoch der vorliegenden Untersuchung, nach deren Dafürhalten der Gefahreneintritt zumindest in dubio dem allgemeinen Lebensrisiko objektiv zugerechnet werden muss und auch ein alternatives Vorverhalten den zur Perforation führenden Konflikt nicht mit Sicherheit 504  Von einer „bodenlose[n] Unfairneß“ spricht in diesem Zusammenhang auch Merkel, Forschungsobjekt, 95; ähnl. krit. auch ders., ZfL 2008, 38 (41); i. Erg. übereinstimmend, in der Begr. jedoch auf eine mitursächliche „Konstitution der Mutter“ (statt auf deren Vorverhalten) abstellend: Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 114. 505  Siehe dazu bereits oben Seite  487 [a)] m. Nw. in Fn. 494. 506  Anders stellte sich dies freilich in den Fällen dar, in denen der Frau der zur Schwangerschaft führende Sexualverkehr aufgezwungen worden ist; darauf hinweisend: Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (320 m. Fn. 56); ders., Forschungsobjekt Embryo, 96 f.; ders., ZfL 2008, 38 (41). Vgl. zu Sachverhalten der kriminologischen Indikation sogleich im Anschluss Seite  493 f. [cc)].

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hätte vermeiden können507, wird jenes Vorverhalten auch jenseits des Geburtsbeginns nicht zum Anlass genommen werden können, um der Schwangeren – nunmehr innerhalb des allgemeinen rechtfertigenden Notstands anstelle des § 218a Abs. 2 StGB – eine erhöhte Gefahrtragungspflicht aufzuerlegen508. An ihrer Stelle wird das noch im Geburtsvorgang befindliche Kind zur Verantwortung gezogen, das seine Tötung zu dulden hat, einzig und allein weil es den Geburtskanal nicht zu passieren weiß, ohne das Leben der Mutter zu gefährden. Während eine Ursachenzuschreibung an das gefährdende Vorverhalten der Mutter nicht versucht wird, gleichwohl es von Handlungsqualität ist und eine notwendige Bedingung für die gefahrbegründende kindliche Existenz bildet, sieht sich die herrschende Meinung augenscheinlich nicht daran gehindert, das noch im Geburtskanal befindliche Kind für verantwortlich zu befinden, gleichwohl ihr nur dessen Existenz und kein Vorverhalten von Handlungsqualität als Anknüpfungspunkt für eine solche Verantwortlichkeit dienen kann. Dass eine solche Existenzhaftung nur eine erhöhte Duldungspflicht des gerade erst zum strafgesetzlichen „Menschen“ gewordenen, kindlichen Eingriffsadressaten begründen soll, während nicht erwogen wird, eine erhöhte Gefahrtragungspflicht der schwangeren Täterin aus Eigenarten ihrer Existenz ableiten zu wollen, offenbart sich auch dann, wenn man mit Merkel einen Blick auf die anatomischen Merkmale nicht nur des Kindes, sondern auch der Mutter wirft, um sodann festzustellen, dass die anatomische Existenz beider in Perforationsfällen einer natürlichen Entbindung entgegensteht: Der kindliche Kopf ist zu groß, der mütterliche Geburtskanal zu eng, um demselben die Passage durch ihn zu ermöglichen509. Ebenso vermag es für eine Ursachenzuweisung an Mutter oder Kind im Wege der Existenzhaftung auch keinen Unterschied zu machen, dass der Fetus durch ein stetiges – durch sein Genom gesteuertes – Wachstum zur Gefahrenentstehung beiträgt, während sich der mütterliche Geburtskanal nicht verändert. Wollte man hieraus die Schlussfolgerung ziehen, dass nur jenes – nicht konstante, sondern sich verändernde – fetale Wachstum eine Bedingung dafür setzt, dass 507  Siehe

[aa)].

dazu soeben die wiederholenden Ausführungen auf den Seiten 489 f.

508  Im Erg. entsprechend, aber mit abw. Begr.: Hirsch, in: Arnold et al., FS-Eser, 309 (319); Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 79. Zu Gründen für eine Gefahrenverantwortlichkeit der Mutter im rechtfertigenden Defensivnotstand s. hingegen R. Herzberg /  A. Herzberg, JZ 2001, 1106 (1111); Ladiges, ZIS 2008, 129 (137); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (320); ders., Früheuthanasie, 613; ders., Forschungsobjekt, 94–96. 509  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (319 f.); ders., Früheuthanasie, 612 f.; im Anschluss hieran Ladiges, ZIS 2008, 129 (137); vgl. dazu auch Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 22 m. Fn. 44; Joerden, Menschenleben, 128.



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die Passage des kindlichen Kopfes durch den Geburtskanal unmöglich wird, müsste man wiederum konstatieren, dass das fetale Wachstum nicht an den Beginn der zum gefahrenträchtigen Geburtsvorgang führenden Kausalkette gesetzt ist: Stattdessen würde das fetale Wachstum wiederum erst durch den mütterlichen Organismus ermöglicht, der den Fetus ernährt und dadurch seinerseits erst die Ursache für dessen Wachstum setzt510. cc) In Sachverhalten der kriminologischen Indikation (§ 218a Abs. 3 StGB) Zu welch kontraintuitiven Ergebnissen eine solche Existenzhaftung zumindest dann führt, wenn man sie nicht nur auf das postnidative ungeborene Leben, sondern auch auf die Schwangere zur Anwendung bringen wollte, kann schließlich auch in denjenigen Sachverhalten festgestellt werden, in denen ein Schwangerschaftsabbruch nicht aus den in § 218a Abs. 2 StGB normierten medizinisch-sozialen Gründen, sondern aus den in § 218a Abs. 3 StGB normierten kriminologischen Gründen erfolgt: Als indiziert erkennt das Gesetz den Abbruch auch dann an, wenn „nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind“. In jenen Sachverhalten eines kriminologischen Schwangerschaftskonflikts hat die Schwangere nun ihrerseits nicht willentlich an dem zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr partizipiert und hat so auch kein Vorverhalten von Handlungsqualität entfaltet, das zur Ursache für den nachfolgenden gefahrträchtigen Schwangerschaftsverlauf wird. Wohl aber wird ihre Existenz innerhalb des ihr aufgezwungenen Geschlechtsverkehrs nicht weniger zur Ursache für den nachfolgenden – einen Abbruch indizierenden – Schwangerschaftsverlauf als die Existenz des ungeborenen Lebens, das durch den bewussten Geschlechtsverkehr empfangen worden ist. Insoweit bedingt die Anwesenheit der Schwangeren am Tatort wie auch ihre Empfängnisbereitschaft zur Tatzeit die sie später gefährdende Schwangerschaft und ruft dasjenige postnidative ungeborene Leben, das wegen seiner Existenz für den gefahrbegründenden Schwangerschaftsverlauf zur Verantwortung gezogen werden soll, (buchstäblich) erst „ins Leben“. Dass die Schwangere jene Auswirkungen ihrer Existenz nicht will, ja ein anderer sie gar gegen ihren Willen herbeiführt, ist zutreffend, kann aber ähnlich auch für das ungeborene Leben formuliert werden, dass gar nichts will, nämlich keinen Willen ausbilden kann. Begründet man für letzteres eine Haftung qua Existenz und in der 510  So

Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (320 m. Fn. 55).

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Folge eine erhöhte Duldungspflicht, müsste man erst recht zulasten der Schwangeren eine erhöhte Gefahrtragungspflicht formulieren, dies selbst dann, wenn sie nur Opfer einer rechtswidrigen Katalogtat gemäß § 218a Abs. 3 StGB geworden ist: Denn ihre Existenz ist der Existenz des postnidativen ungeborenen Lebens vorgelagert. Diese Schlussfolgerung wird man jedoch kaum ziehen wollen, sodass sich die bloße Existenz eben doch nicht als Anknüpfungspunkt für eine Haftung zu eignen scheint. dd) Conclusio Soweit also ist aufgezeigt worden, wie dem postnidativen ungeborenen Eingriffsadressaten nicht ob seiner bloßen Existenz eine erhöhte Duldungspflicht auferlegt werden kann, will man an ihn denselben Maßstab anlegen wie an die schwangere Täterin, deren Existenz keine erhöhte Gefahrtragungspflicht begründet, ja mehr noch, die richtigerweise noch nicht einmal wegen eines grundsätzlich vorwerfbaren Vorverhaltens von Handlungsqualität „in die Pflicht“ genommen wird, soweit ihr nur der (prima facie) hieraus erwachsende Gefahreneintritt objektiv nicht zugerechnet werden kann. Soll die Duldungspflicht des Eingriffsadressaten das Spiegelbild der Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters bilden, dürfte das postnidative ungeborene Leben für seine Existenz ebenso wenig zur Verantwortung gezogen werden wie die Schwangere und entfiele so der sachliche Grund für eine Anwendung der zum Defensivnotstand entwickelten Regeln. c) Der überschießende Zuständigkeitsanteil der Schwangeren Was aber wäre nun, wenn man das spiegelbildliche Verhältnis von Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters und Duldungspflicht des Eingriffsadressaten anderweitig zu wahren suchte, nämlich indem man eine „Existenzhaftung“ für beide nicht gleichermaßen verneinte, sondern im Gegenteil bejahte? Für beide am notstandsähnlichen Schwangerschaftskonflikt Beteiligten beanspruchte mithin der allgemeine Rechtsgedanke Geltung, dass sie die schädlichen Folgen ihres „schicksalhaften So-Seins“ grundsätzlich selbst zu tragen hätten; in einem Erst-recht-Schluss wäre auf die Verantwortlichkeit der Schwangeren für ihr Vorverhalten zu folgern, das von Handlungsqualität und grundsätzlich vorwerfbar wäre und sich nur nicht objektiv zurechenbar im zu ertragenden Gefahreneintritt niederschlüge. Wegen ihrer beidseitigen Haftung bliebe zunächst aber offen, wer die Lasten des benannten allgemeinen Rechtsgedankens im Einzelfall zu tragen hätte, namentlich ob die schwangere Gefahrverursacherin wegen ihres fraglichen Vorverhaltens oder auch nur wegen ihrer Existenz in erweitertem Umfang an der Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens zu hindern wäre oder ob



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umgekehrt der Embryo bzw. Fetus wegen seiner gefahrbegründenden Existenz angehalten wäre, seine Tötung in erweitertem Umfang zu erdulden. Einen Hinweis darauf, wie ein solcher Konflikt aufgelöst werden könnte, in dem in Umsetzung einer beidseitigen „Existenzhaftung“ entweder nur die Gefahrtragungspflicht der Schwangeren oder nur die Duldungspflicht des postnidativen ungeborenen Lebens eine Erhöhung erfahren kann, geben nun die bei Pawlik angeführten „symmetrischen und asymmetrischen Sonderzuständigkeiten“, innerhalb derer derselbe das Verhältnis gegenseitiger Verursachungsbeiträge in einer beidseitigen rechtswidrigen Rechtskreisorganisa­ tion beleuchtet511. aa) Auch eine qualitative Asymmetrie in den Sachverhalten der medizinisch-sozialen Indikation (§ 218a Abs. 2 StGB) und der Perforation (§ 34 StGB) Denn symmetrisch in dem Sinne, dass ein Verursachungsbeitrag nicht kausal für den anderen würde, sind die Verhaltensweisen und Existenzen der Schwangeren wie des postnidativen ungeborenen Lebens nicht, wenn sie einander innerhalb oder im Vorfeld eines Schwangerschaftskonflikts begegnen. Dies betrifft in den Sachverhalten eines medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikts nach § 218a Abs. 2 StGB wie auch der Perforation nach § 34 StGB zunächst nicht nur die Chronologie, sondern auch die Qualität der wechselseitigen Verursachungsbeiträge. In beiden Sachverhalten hat die Schwangere durch ihre willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr ein Verhalten von Handlungsqualität entfaltet, das – als Obliegenheitsverletzung – grundsätzlich auch für vorwerfbar befunden werden könnte und ihr nur deshalb nicht zum Vorwurf gemacht wird, weil ihr der ihrem Verhalten nachfolgende Gefahreneintritt objektiv nicht zugerechnet werden kann512. Das postnidative ungeborene Leben demgegenüber existiert in jenem Schwangerschaftskonflikt nur, d. h. ist infolge des zu seiner Empfängnis führenden Geschlechtsverkehrs der Schwangeren in das Leben gerufen worden und entwickelt sich innerhalb ihres Körpers auf jene Art und Weise fort, die ihm sein embryonales Genom diktiert. So aber muss es von vornherein ausscheiden, die Verursachungsbeiträge einer willentlich am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr teilhabenden Schwangeren einerseits und eines nur existierenden postnidativen ungeborenen Lebens andererseits in ein Verhältnis der Symmetrie setzen zu wollen. Das Vorverhalten der Schwangeren ist der embryonalen und später fetalen Existenz in dieser Diff. s. Pawlik, Notstand, 318–320. dazu soeben die wiederholenden Ausführungen auf den Seiten 489 f. [b) aa)] u. weiter oben auf den Seiten 348–367 [Abschn.  2, B. I. 3.]. 511  Zu

512  Siehe

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der zum Gefahreneintritt führenden Kausalkette nicht nur zeitlich vorgelagert und bildet seine notwendige Voraussetzung, sondern unterscheidet sich auch qualitativ grundlegend von der genetisch determinierten statt gewillkürten Entwicklung des Ungeborenen, der noch nicht einmal eine Handlungsqualität angelastet werden kann. bb) Eine zeitliche Asymmetrie in den Sachverhalten der kriminologischen Indikation (§ 218a Abs. 3 StGB) Demgegenüber vermisst man in einem kriminologischen Schwangerschaftskonflikt zwar auch ein Vorverhalten der Schwangeren, das von Handlungsqualität ist, wenn sie nicht willentlich an dem zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr partizipiert, sondern ihr dieser aufgezwungen wird. Einzig ihre Anwesenheit am Tatort wie ihre Empfängnisbereitschaft zur Tatzeit – beide gleichermaßen ein Ausdruck ihrer Existenz – böten im Sinne einer „Haftung für das schicksalhafte So-Sein“ einen Anknüpfungspunkt, um ihr eine erhöhte Gefahrtragungspflicht im Schwangerschaftskonflikt aufzuerlegen. Gleichwohl im kriminologischen Schwangerschaftskonflikt damit nur zwei „Existenzen“ – die der Schwangeren und die des postnidativen ungeborenen Lebens – aufeinandertreffen, ginge es doch wiederum fehl, von zwei „symmetrischen Zuständigkeiten“ sprechen zu wollen: Denn mögen sich die wechselseitigen Verursachungsbeiträge auch nicht in ihrer Qualität unterscheiden, nachdem sie beide gleichermaßen bereits der Handlungsqualität entbehren, so unterscheiden sie sich doch wenigstens auf der Zeitachse: Die Anwesenheit der Schwangeren am Tatort und ihre Empfängnisbereitschaft zur Tatzeit des erzwungenen Geschlechtsverkehrs sind der Entstehung des ungeborenen Lebens, dessen Entwicklung im Mutterleib fortschreitet und letztlich kausal für eine Lebens- oder schwere Gesundheitsgefährdung der Schwangeren wird, als notwendige Bedingung vorangestellt. So wie Pawlik anlässlich einer beiderseitigen rechtswidrigen Rechtskreisorganisation dann von „asymmetrischen Sonderzuständigkeiten“ spricht, wenn das Fehlverhalten des einen durch das Fehlverhalten des anderen bedingt ist513, eröffnet sich in diesem Falle also eine Asymmetrie zwischen den Existenzen der Schwangeren und des Ungeborenen, die gleichermaßen als Verursachungsbeitrag wirken, innerhalb derer aber erst die Anwesenheit und Empfängnisbereitschaft der Schwangeren (als Ausdruck ihrer Existenz) die gefahrbegründende Existenz des Ungeborenen bedingt und so auch einen überschießenden Anteil zur Gefahrentstehung beiträgt. Eben dieser Argumentation müssten sich übrigens auch solche Stimmen beugen, die in Sachverhalten der Perforation aus den anatomischen Merk513  Pawlik,

Notstand, 319.



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malen von Mutter und Kind fälschlicherweise auf einen überschießenden – die Anwendung der Regeln des Defensivnotstandes rechtfertigenden – Zuständigkeitsanteil des Kindes schließen wollten: Denn mag der Fetus auch stetig wachsen, sodass schließlich der kindliche Kopf nicht mehr den Geburtskanal zu passieren weiß, ist vor sein Wachstum doch wiederum der mütterliche Organismus gesetzt, der den Fetus ernährt und seinerseits dadurch erst die Ursache für dessen Wachstum setzt514. Innerhalb einer beidseitigen Existenzhaftung von Mutter und Kind wäre es so wiederum die Frau, deren Existenz einen überschießenden Beitrag zur Gefahrentstehung leistete. cc) Die Rechtsfolgen einer asymmetrischen, beidseitigen Existenzhaftung Ob nur qualitativ oder auch zeitlich asymmetrisch – in jedem Falle bildet das Vorverhalten bzw. die Existenz der Schwangeren damit eine notwendige Bedingung für die nachfolgende Existenz des postnidativen Ungeborenen, die sich im Verlauf der Schwangerschaft als ihr Leben oder ihre Gesundheit gefährdend erweist. Dachte man sich ihren täterlichen Verursachungsbeitrag hinweg, entfiele notwendigerweise auch die „Mitwirkung“ des ungeborenen Eingriffsadressaten: Ohne die willentliche Teilnahme der Schwangeren am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr wäre die gefahrbegründende Existenz des Ungeborenen gar nicht erst zur Entstehung gelangt; dasselbe gilt für ihre Anwesenheit am Tatort und ihre Empfängnisbereitschaft zur Tatzeit eines erzwungenen Geschlechtsverkehrs. Steht die Existenz des postnidativen ungeborenen Lebens so aber in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Vorverhalten oder zur Existenz der Schwangeren, überwöge der Zuständigkeitsanteil der Schwangeren innerhalb einer beidseitigen Existenzhaftung nicht nur irgendwie, sondern bildete gar den Ursprung des notstands­ ähnlichen Konflikts. Demgegenüber träte die ursächliche Wirkung der ungeborenen Existenz zurück, sodass eine Anwendung der zum Defensivnotstand entwickelten Regeln ihres sachlichen Grundes entbehrte. Mangels sachlicher Begründung – und in Anlehnung an Pawliks „asymmetrische Sonderzuständigkeiten“ innerhalb einer beidseitigen rechtswidrigen Rechtskreisorganisation515 – bliebe es stattdessen bei der regelmäßigen, d. h. nicht weiter begründungsbedürftigen Anwendung der Grundsätze des in § 34 S. 1 StGB normierten Aggressivnotstandes. in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (320 m. Fn. 55). für eine Anwendung des Proportionalitätsmaßstabes des Aggressivnotstandes Pawlik, Notstand, 320; für eine Anwendung von dessen Grundsätzen Jakobs, AT2, Abschn.  13, Rn. 27 u. 47. Siehe dazu auch bereits oben Seite  480 [2. a) cc)] m. Fn. 474. 514  Merkel, 515  Ebda.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Zusammenfassend: Selbst für den Fall, dass man eine „Haftung für das schicksalhafte So-Sein“ befürworten wollte, müsste jene doch gleichermaßen für die Schwangere wie für das postnidative ungeborene Leben Geltung beanspruchen, nämlich Anknüpfungspunkt für eine erhöhte Gefahrtragungspflicht der schwangeren Täterin wie für eine erhöhte Duldungspflicht des ungeborenen Eingriffsadressaten sein. Ob der Asymmetrie der beidseitigen Verursachungsbeiträge im Schwangerschaftskonflikt, die sich entweder bereits qualitativ durch die Handlungsqualität und Vorwerfbarkeit des Schwangerenvorverhaltens oder wenigstens chronologisch durch die zeitliche Datierung des „schicksalhaften So-Seins“ der Schwangeren (während eines erzwungenen Geschlechtsverkehrs) unterscheiden, wüssten sich jene jedoch nicht zur Gänze zu neutralisieren. Stattdessen bliebe ein überschießender Zuständigkeitsanteil der Schwangeren, ob dessen es wiederum nur billig erschiene, an der Regelung des in § 34 StGB normierten Aggressivnotstandes festzuhalten – anders gewendet: ob dessen der sachliche Grund entfiele, um von der Regelung des in § 34 StGB normierten Aggressivnotstandes abzuweichen und an ihrer Statt die Regeln des Defensivnotstandes zur Anwendung zu bringen. d) Eine institutionelle Rücksichtnahmepflicht aus „Lebensdank“ Ebenso wüsste es schwerlich zu überzeugen, wenn man einen Defensivnotstand zulasten des postnidativen ungeborenen Lebens institutionell begründen wollte. Insofern wird zwar in Erwägung gezogen, dass sich eine Rücksichtnahmepflicht des postnidativen ungeborenen Lebens gegenüber seiner Mutter daraus ergeben könnte, dass es jener sein Leben verdankt516. In diese Richtung sollen Ausführungen wie die weisen, dass „das Opfer des Lebens oder die Hinnahme schwerer Gesundheitsschäden […] der Lebensspenderin vom Recht nicht angesonnen werden [dürfen]“517. Weshalb die dazu Pawlik, Notstand, 331; abl. Hoerster, Abtreibung2, 45 f. 517  Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 79; ähnl. ders., in: Vogler, FS-Jescheck, 457 (476); in diesem Zusammenhang zitiert v. Pawlik, Notstand, 331. Vgl. ergänzend auch die Ausführungen von Hirsch, in: Arnold et al., FS-Eser, 309 (319), nach dem der Schwangeren im Perforationskonflikt ob ihrer willentlichen Teilnahme am Geschlechtsverkehr keine erhöhte Gefahrtragungspflicht auferlegt werden dürfte, denn: „Die [jenem Geschlechtsverkehr entspringende] Empfängnis ist Voraussetzung dafür, dass jetzt ein Subjekt existiert, dessen Lebensinteresse dem der Mutter gegenübersteht“; [Klammerzusatz] nicht im Original. Auch nach Ansicht von Hirsch verpflichtet das Vorverhalten der Schwangeren das Kind mithin zu einer Art des „Lebensdanks“, ob dessen es jedenfalls ausgeschlossen sein soll, die Mutter wegen ihres gleichermaßen lebensschaffenden wie -gefährdenden Vorverhaltens für erhöht verantwortlich zu erkennen (und mithin als Gefahrverursacherin im Defensivnotstand zu identifizieren); abl. dazu Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (320 f.). 516  Siehe



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„Lebensspende“ aber nicht nur in sittlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht zu fortwährender „Dankbarkeit“ verpflichten soll, sodass der „Lebensempfänger“ die Integrität seiner eigenen Rechtsgüter im notstandsähnlichen Konflikt hintanzustellen und gegebenenfalls sogar die eigene Tötung zu dulden hätte, kann dem Gesetz so zunächst nicht entnommen werden. Steht die sachliche Begründung einer erhöhten Duldungspflicht in Frage, muss stattdessen – spiegelbildlich zur sachlichen Begründung einer erhöhten Gefahrtragungspflicht des Täters – erneut auf die Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB hingewiesen werden, die als allgemeiner Rechtsgedanke auch jenseits des entschuldigenden Notstands Geltung beansprucht. Demnach kann sich die Pflicht des Notstandstäters zur Gefahrtragung – hier spiegelbildlich also die Pflicht des Eingriffsadressaten zur Gefahrenduldung – aus zweierlei Gründen erhöhen: Zum einen soll grundsätzlich jeder die Folgen eines eigenen vorwerfbaren Gefahrverursachungsbeitrags selbst tragen müssen, zum anderen kann ein „besonderes Rechtsverhältnis“ und die davon inkludierte besondere Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit dazu verpflichten, auch solche Gefahren hinzunehmen, die man nicht selbst herbeigeführt hat518. aa) Eine vorrangige Verpflichtung aus „Lebensspende“ statt „Lebensdank“ In welche dieser Fallgruppen könnte ein „Lebensdank“ des Embryos bzw. Fetus nun eingeordnet werden? Zunächst wiese der vergangenheitsbezogene Begriff des „Lebensdanks“ nur daraufhin, dass dem postnidativen ungeborenen Leben die Existenz der Schwangeren vorausgesetzt ist und mit der willentlichen Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr i. d. R. auch ein Vorverhalten der Schwangeren vorangeht. Denn ein „Dank“ schließt sich stets an etwas Vorangegangenes an; zur „Danksagung“ veranlassen oder gar verpflichten kann mithin nur ein solcher Umstand, den ein Anderer bereits entfaltet oder wenigstens in die Wege geleitet hat. Damit aber manifestiert eine Referenz auf den „Lebensdank“ nur ein weiteres Mal, wie der Beitrag der Schwangeren zur Gefahrenentstehung dem Verursachungsbeitrag des Ungeborenen vorangestellt ist: Der Embryo bzw. Fetus 518  Zum allgemeinen Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB als Grund einer erhöhten Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters vgl. oben Seite  343 f. [Abschn.  2, B. I. 1.]; zum „besonderen Näheverhältnis“: Seite  344–348 [Abschn.  2, B. I. 2.]; zur allg. Gefahrverursachung durch willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr: Seite  348–367 [Abschn.  2, B. I. 3.]; zur besonderen Gefahrverursachung durch Suiziddrohung: Seite  368–394 [Abschn.  2, B. II.]; durch ein den Fetus schädigendes Vorverhalten: Seite  394–409 [Abschn.  2, B. III.].

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verdankt der Schwangeren sein Leben, zugleich geht damit aber auch die durch seine Existenz beförderte Gefahrenlage auf die Person der Schwangeren zurück. Dass daraus aber nicht etwa eine erhöhte Duldungspflicht des ungeborenen Eingriffsadressaten „aus Lebensdank“ folgt, sondern ihre „Lebensspende“ im Gegenteil die schwangere Täterin vorrangig in Anspruch nimmt, hat in den vorangegangenen Ausführungen bereits seine Erläuterung erfahren: Insofern ist zu den (hypothetischen) Rechtsfolgen einer beidseitig anerkannten Existenzhaftung skizziert worden, wie sich in der zeitlichen und qualitativen Asymmetrie der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ein überschießender Zuständigkeitsanteil der Schwangeren statt des Ungeborenen manifestierte519. Weil die zum Defensivnotstand entwickelten Regeln aber an eine überwiegende oder wenigstens gleichwertige Zuständigkeit des Eingriffsadressaten anknüpfen, entbehrte ihre Anwendung so eines sach­ lichen Grundes und erschiene es stattdessen nur billig, an der Regelung des in § 34 StGB normierten Aggressivnotstandes festzuhalten. bb) Verpflichtungen aus „natürlicher Verbundenheit“ Soweit also stände ein „Lebensdank“ in Verbindung zum ersten Referenzfall der in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB normierten und einen allgemeinen Rechtsgedanken transportierenden Zumutbarkeitsklausel, votierte ebenda aber gerade nicht für eine erhöhte Duldungspflicht des Eingriffsadressaten, sondern im Gegenteil für eine vorrangige Inanspruchnahme der „das Leben spendenden“ Schwangeren. Zum zweiten Referenzfall der Zumutbarkeitsklausel könnte er nun insofern in Verbindung gesetzt werden, als verschiedentlich vertreten wird, den Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB auch auf das „persönliche Näheverhältnis“ – statt nur auf das „besondere Rechtsverhältnis“ – zur Anwendung zu bringen, wenn keine besondere Beziehung des Täters zur Allgemeinheit, aber eine besondere Beziehung zwischen Täter und Tatopfer in Rede steht. Jenes „persönliche Näheverhältnis“ wiederum wird weitgehend parallel zur gemäß § 13 StGB haftungsbegründenden Obhutsgarantenstellung konkretisiert, sodass jene im Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB einen Rechtsgrund für ihre auch zumutbarkeitserweiternde Wirkung finden könnte520. Zumutbarkeitserweiternd könnte so auch die „natürliche Verbundenheit“ wirken, wie sie für das Verhältnis zwischen 519  Zum überschießenden Zuständigkeitsanteil der Schwangeren s. soeben ­ eite  494–498 [c)]; ausdrückl. gegen einen überschießenden Zuständigkeitsanteil S hingegen Hirsch, in: Arnold et  al., FS-Eser, 309 (319), unter Hinweis auf die mit ihrem Vorverhalten verbundene „Lebensspende“; s. dazu bereits oben Fn. 517 sowie abl. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (320 f.). 520  Siehe dazu bereits oben Seite  344–348 [Abschn.  2, B. I. 2.].



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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Eltern und Kind bejaht wird521 und auch zwischen Schwangerer und Ungeborenem besteht, wenn der eine dem anderen „sein Leben verdankt“ und überdies noch symbiotisch in den Körper des Anderes integriert ist. Diesbezüglich ist im zweiten Abschnitt des vorliegenden Kapitels jedoch bereits ausgeführt worden, wie sich ein solches „persönliches Näheverhältnis“ in seinem Wesensgehalt von den im zweiten Referenzfall des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB ausdrücklich genannten „besonderen Rechtsverhältnis“ unterscheidet, sodass eine Anwendung des in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB formulierten allgemeinen Rechtsgedankens auf das „persönliche Näheverhältnis“ bereits nach allgemeinen Grundsätzen – mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte – ausscheidet. Eben darin hat vorliegende Untersuchung auch einen sachlichen Grund für das in § 218a Abs. 2 StGB abstrakt-generell vorweggenommene Abwägungsergebnis erkannt, sofern es nicht berücksichtigt, wie ein „persönliches Näheverhältnis“ die Schwangere gegenüber dem Ungeborenen besonders verpflichten könnte: Denn während ein Täter, der in einem „besonderen Rechtsverhältnis“ steht, besondere Schutzpflichten gegenüber der Allgemeinheit zu erfüllen hat, verpflichtet ein „persönliches Näheverhältnis“ den Täter nur im Verhältnis zu der ihm jeweils nahe stehenden Person522. Hat der Gesetzgeber jenes „persönliche Näheverhältnis“ aber nicht zu Lasten der Schwangeren zur Anwendung gebracht, muss es von vornherein ausscheiden, es einseitig nur auf das postnidative ungeborene Leben zur Anwendung bringen zu wollen. Dies gilt umso mehr, als eine solche besondere Verpflichtung zwar für das Verhältnis der Schwangeren gegenüber dem Ungeborenen, nicht aber für das umgekehrte Verhältnis des Ungeborenen gegenüber der Schwangeren rechtlich fundiert wäre: Denn während dem Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB in Übereinstimmung mit dem BVerfG noch eine positive „Sorgepflicht“ der Mutter entnommen werden könnte, deren Beachtung die Rechtsordnung gar unter Strafandrohung einfordert523, vermisste man für das Verhältnis des postnidativen ungeborenen Lebens gegenüber der mit ihm verbundenen Schwangeren eine entsprechende Norm, die es zur „Sorge“ um seine Mutter verpflichtete524. 521  Zur (haftungsbegründenden) Obhutsgarantenstellung im Eltern-Kind-Verhältnis s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 718. 522  Siehe oben Seite  347 f. [Abschn.  2, B. I. 2.] u. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 113. 523  Siehe oben Seite  347 [Abschn.  2, B. I. 2.]. 524  Vgl. Pawlik, Notstand, 331 f., demzufolge eine institutionelle Verbundenheit zwischen Eltern und minderjährigen Kindern als Ausprägung der elterlichen Pflicht zur Fürsorge allenfalls eine erhöhte Duldungspflicht der Eltern in Notstandssituationen, nicht aber eine entsprechend erhöhte Duldungspflicht der Kinder begründet; vgl. Jakobs, AT2, Abschn. 15, Rn. 15, u. (zu den Garantenstellungen im Eltern-KindVerhältnis) Abschn. 29, Rn. 62. Von ihren Kindern ausgehende Gefahren müssten sie

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Für die haftungsbegründende Funktion einer Obhutsgarantenstellung ist dies zunächst auch nur folgerichtig, ginge es doch von vornherein fehl, gegen den Embryo bzw. Fetus den Vorwurf eines tatbestandsmäßigen Unterlassens nach § 13 StGB erheben zu wollen. Denn dessen Entwicklung ist allein durch sein Genom statt durch einen menschlichen Willen bestimmt, sodass durch sie kein Verhalten von Handlungsqualität entfaltet wird und der Embryo bzw. Fetus folglich auch nicht über die „Handlungsmöglichkeit“ verfügte, einen Schaden an den Rechtsgütern der mit ihm symbiotisch verbundenen Schwangeren abzuwenden525. Richtete man an den handlungsunfähigen Embryo bzw. Fetus nach dem Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB hingegen die Erwartung einer zumutbarkeitserweiternden Obhutsgarantenstellung, so müsste diese in seinem „persönlichen Näheverhältnis“ mit der Schwangeren nicht ins Leere gehen: Denn insofern verlangte man nicht nur von ihm den gewillkürten Verzicht auf gegen den Schwangerschaftsabbruch gerichtete Abwehrmaßnahmen (zu denen er mangels Handlungsfähigkeit gar nicht fähig wäre), sondern untersagte es auch Dritten – wie etwa dem biologischen Erzeuger –, dem ungeborenen Eingriffsadressaten zur Hilfe zu eilen. Indem das Gesetz darauf verzichtet, eine „Sorgepflicht“ des Ungeborenen um seine Mutter zu normieren, brächte es sich selbst für den Fall, dass man den Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB auf das „persönliche Näheverhältnis“ erstrecken wollte, um einen sachlichen Grund, ihn auf das Ungeborene entsprechend anzuwenden: Das Ungeborene ist weder der Mutter – wie es ein „persönliches Näheverhältnis“ verlangte – noch der Allgemeinheit – wie es das „besondere Rechtsverhältnis“ voraussetzt – besonders verpflichtet. Eine solche – mit seiner „natürlichen Verbundenheit“ und seinem „Lebensdank“ identifizierte – besondere Verpflichtung ist es mithin aus verschiedenen Gründen nicht, die die zum Nachteil des ungeborenen Eingriffsadressaten formulierte Regelung des § 218a Abs. 2 StGB sachlich zu begründen wüsste. 4. Conclusio

Zusammenfassend kann nach allgemeinen Grundsätzen damit nicht nur die Abwägungsrelevanz allgemeiner und besonderer Gefahrverursachungsbeiträge der Schwangeren negiert werden. Die rechtfertigende Wirkung eines medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftskonflikts wird zutrefin Fällen des Defensivnotstands so in erhöhtem Maße hinnehmen; Pawlik, Notstand, 281 f. m. Fn. 22. 525  Zur fehlenden Handlungsqualität der embryonalen bzw. fetalen Entwicklung s. bereits oben Seite  485 f. [3. a)]. Zur physisch-realen Handlungsmöglichkeit als tatbestandliche Voraussetzung des Unterlassens s.  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 708.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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fend erst recht nicht durch einen solchen Gefahrverursachungsbeitrag tangiert, der an die Existenz des postnidativen ungeborenen Lebens und die damit verbundene Inanspruchnahme des mütterlichen Körpers geknüpft würde526. Zwar offerierte eine Anwendbarkeit der zum Defensivnotstand entwickelten Regeln noch einen möglichen sachlichen Grund dafür, dass der Gesetzgeber für den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand einen von § 34 S. 1 StGB abweichenden Proportionalitätsmaßstab wie Gefahrengrad gewählt hat. Insofern haben die vorausgegangenen Ausführungen erläutert, wie sich das einer rechtfertigenden Wirkung vorausgesetzte Verhältnis zwischen den Interessen des Notstandstäters und Eingriffsadressaten verschiedentlich zu verschieben mag, wenn man innerhalb des Proportionalitätsmaßstabes des § 34 S. 1 StGB die Bedeutung eines Gefahrverursachungsbeitrags des Eingriffsadressaten überhöhte oder aber von vornherein auf eine analoge Anwendung des § 228 S. 1 BGB zurückgriffe. Ebenso ließe eine Anwendung der zum Defensivnotstand entwickelten Regeln das rechtfertigende Merkmal einer gegenwärtigen Gefahr entfallen. Der „Zweiklang von Vorverlegung und Umkehrung“, den der medizinisch-soziale Indikationentatbestand in Relation zum Proportionalitätsmaßstab und Gefahrengrad des § 34 S. 1 StGB verwirklicht, ließe sich in einem für defensiv erkannten notstands­ ähnlichen Konflikt so einer sachlichen Begründung zuführen. Jedoch kann man den medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftskonflikt schwerlich für defensiv befinden, ohne unterschiedliche Maßstäbe an eine Erhöhung der Gefahrtragungspflicht der schwangeren Täterin einerseits und der Duldungspflicht des ungeborenen Eingriffsadressaten andererseits zu stellen. Denn insofern wird man dem postnidativen ungeborenen Leben, dessen Entwicklung durch sein Genom statt seinen Willen bestimmt wird, keinesfalls den Vorwurf einer rechtswidrigen Rechtskreisorganisation oder auch nur eines Kontrollverlustes innerhalb einer rechtmäßigen Rechtskreisorganisation machen können. Seine „Verantwortung“ für die Entstehung der Indikationenlage beschränkt sich stattdessen auf seine Existenz, die im Laufe der Schwangerschaft nur „quasi schicksalhaft“ kausal für eine Lebens- oder schwerwiegende Gesundheitsgefährdung der Schwangeren wird. Tatsächlich scheint die herrschende Meinung eine entsprechende Existenzhaftung in anderem Zusammenhang, nämlich in den Sachverhalten der Perforation, zu bemühen, um keinen Fetus, aber ein noch im Geburtsvorgang befindliches Kind zur Duldung seiner eigenen Tötung zu verpflichten. Nicht nur in diesem Konflikt, der sich just nach Überschreiten der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ auftut, sondern auch in den noch vor 526  Gegen das Verständnis des medizinisch-sozialen Indikationentatbestands als Defensivnotstand auch: Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 117 f.; ders., GA 1988, 1 (8 m. Fn. 43); Lenckner, Notstand, 267; Merkel, Forschungsobjekt, 94 f.; Zimmermann, Rettungstötungen, 430 f.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

jener Zäsur angesiedelten medizinisch-sozial oder kriminologisch begründeten Schwangerschaftskonflikten offenbarte sich jedoch eine Ungleichbehandlung, wenn man den Eingriffsadressaten allein ob seiner Existenz zur Duldung seiner eigenen Tötung anhalten wollte, während die mütterliche Täterin ungeachtet ihres eigenen Beitrags zur Gefahrenverursachung seine rechtmäßige Tötung soll veranlassen können. Will man an den ungeborenen Eingriffsadressaten, dessen Duldungspflicht das Spiegelbild der Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters ist, richtigerweise denselben Maßstab anlegen wie an die schwangere Täterin, dürfte das postnidative ungeborene Leben für seine Existenz ebenso wenig zur Verantwortung gezogen werden wie der Schwangeren ihre Existenz und willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr angelastet wird. Aber selbst wenn man das spiegelbildliche Verhältnis von Gefahrtragungspflicht des Notstandstäters und Duldungspflicht des Eingriffsadressaten anderweitig zu wahren suchte, indem man eine „Existenzhaftung“ beider Parteien nicht gleichermaßen verneinte, sondern bejahte, wäre den beidseitigen Verursachungsbeiträgen doch immer noch verschiedentlich eine zeitliche und / oder qualitative Asymmetrie eigen, wenn sie sich entweder bereits qualitativ durch die Handlungsqualität und Vorwerfbarkeit des Schwangerenvorverhaltens oder wenigstens chronologisch durch die zeitliche Datierung des „schicksalhaften So-Seins“ der Schwangeren (während eines erzwungenen Geschlechtsverkehrs) unterscheiden. Mit dem überschießenden Zuständigkeitsanteil der Schwangeren entfiele auch hier der sachliche Grund, um von der Regelung des in § 34 StGB normierten Aggressivnotstandes abzuweichen und an ihrer Statt die Regeln des Defensivnotstandes zur Anwendung zu bringen. Über diesen überschießenden Zuständigkeitsanteil der Schwangeren vermöge auch eine angebliche institutionelle Rücksichtnahmepflicht aus „Lebensdank“ nicht hinwegzutäuschen. Denn in rechtlicher Hinsicht erlangte das Wort vom „Lebensdank“ erst dann eine zumutbarkeitserweiternde Bedeutung, wenn es sich zu den Fallgruppen des in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB normierten Rechtsgedankens in Verbindung setzen ließe. Dergestalt in Bezug gesetzt, wiese es aber wiederum nur auf einen überschießenden Zuständigkeitsanteil der Schwangeren hin, der sich daraus ergibt, dass der Existenz des postnidativen ungeborenen Lebens ein „lebensspendendes“ Vorverhalten (so bei willentlicher Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr) oder wenigstens die „lebensspendende“ Existenz der Schwangeren (so bei erzwungenem Geschlechtsverkehr) vorangestellt ist. Soweit der „Lebensdank“ demgegenüber auf ein „persönliches Näheverhältnis“ zwischen Schwangerer und Ungeborenem Bezug nehmen sollte, dürfte ein solches allein deswegen nicht zulasten des postnidativen ungeborenen Lebens gehen, weil der Gesetzgeber es in § 218a Abs. 2 StGB – sachlich be-



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gründet durch einen vom „besonderen Rechtsverhältnis“ abweichenden Wesensgehalt – auch nicht zu Lasten der Schwangeren berücksichtigt hat. Dies gilt umso mehr, als das fragliche „Näheverhältnis“ zwar für das Verhältnis der Schwangeren gegenüber dem Ungeborenen, nicht aber für das umgekehrte Verhältnis des Ungeborenen gegenüber der Schwangeren rechtlich fundiert wäre. II. Eine reduzierte Gefahrtragungspflicht in Sachverhalten des Unterlassens Der überschießende Zuständigkeitsanteil der Schwangeren ist es mithin, der letztlich eine Anwendung der Regeln des Defensivnotstandes auf den medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt hindert. Will ein Erklärungsansatz den reduzierten Gefahrengrad und das umgekehrte Abwägungsergebnis des § 218a Abs. 2 StGB einer sachlichen Begründung zuführen, darf er also nicht auf eine angebliche Verursachung der Gefahrenlage durch den Eingriffsadressaten Bezug nehmen. Alternativ könnte sich das Strafgesetz womöglich jedoch auf diejenige veränderte „Zuständigkeitsbegründung und -verteilung“527 berufen, die für die Rechtfertigung des Unterlassens in Abgrenzung zum Begehungsdelikt diskutiert wird. In Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht würde § 218 Abs. 1 StGB so zwar weiterhin als Begehungsdelikt verstanden, das die Ungeborenentötung als positives Tun unter Strafandrohung verbietet528. Zugleich aber reagierte man auf die besondere Nähe des Schwangerschaftsabbruchs zum unechten Unterlassen, die sich darin manifestiert, dass jede aktive Ungeborenentötung auch das unterlassene Austragen der Schwangerschaft durch eine zur Obhut über den Embryo bzw. Fetus verpflichtete Frau in sich birgt, sodass mit einem diesbezüglichen Tötungsverbot auch stets das Gebot einer Fortsetzung der Schwangerschaft einhergeht: „Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und die grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Elemente des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes“529. Insofern normierte § 218a Abs. 2 StGB für den medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt eine spezielle rechtfertigende Unzumutbarkeit des Austragens der Schwangerschaft, deren Abweichungen von § 34 StGB sich aus einer Annäherung des § 218 Abs. 1 StGB an ein unechtes Unterlassensdelikt erklärten: Während in defensiven entnommen aus Pawlik, Notstand, 333. noch die Versuche von Bernsmann, JuS 1994, 9 (12–14), u. v. Renesse, ZRP 1991, 321 (322), den Schwangerschaftsabbruch als unechtes Unterlassungsdelikt der schwangeren Täterin zu deuten. 529  BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 3 u. 253). 527  Begriff

528  Anders

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Notstandslagen die Duldungspflicht des Eingriffsadressaten erhöht und so Einfluss auf den Proportionalitätsmaßstab einer rechtfertigenden Interessenabwägung genommen wird, wäre es nunmehr die Gefahrtragungspflicht der schwangeren Täterin, die man an ihr unterlassensnahes Unrecht anpasste, was im Ergebnis in einen von § 34 StGB abweichenden Proportionalitätsmaßstab münden könnte. Hand in Hand damit ginge der Verzicht auf eine gegenwärtige Gefahr, der für die Rechtfertigung eines tatbestandsmäßigen Unterlassens bereits wesenstypisch ist. Dass der medizinisch-soziale Indikationentatbestand die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens für rechtmäßig erklärt, dies überdies bereits dann, wenn eine nur künftige Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren abgewendet werden soll, könnte mithin darin seinen sachlichen Grund finden, dass der Abbruch einer Schwangerschaft stets auch mit einem Unterlassensmoment identifiziert werden kann, mit jenem Unterlassensmoment aber ein modifiziertes Verhaltensunrecht und – wenn auch umstritten – eine von § 34 StGB abweichende Notstandsunzumutbarkeit einhergeht. 1. Der Anwendungsbereich einer rechtfertigenden Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns

Damit ein Verhalten nun überhaupt am Anwendungsbereich einer solchen rechtfertigenden Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns partizipieren könnte, die in Reaktion auf das spezifische Unterlassensunrecht von den rechtfertigenden Merkmalen des § 34 StGB abwiche, müsste es zunächst den Voraussetzungen genügen, die das Gesetz für die Verwirklichung eines echten Unterlassenstatbestandes normiert oder die Rechtsprechung und Lehre für die spiegelbildliche Verwirklichung eines Begehungsdeliktes durch ein unechtes Unterlassen entwickelt haben. Ferner setzte die Anwendung besonderer – von § 34 StGB abweichender – Zumutbarkeitserwägungen für das Unterlassen voraus, dass sich das Verhaltensunrecht eines Unterlassungstäters überhaupt von dem eines Begehungstäters unterschiede und dass die Formulierung der allgemeinen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe jenes unterschiedliche Unrecht nicht hinreichend zu berücksichtigen wüsste. a) Das tatbestandsmäßige unechte Unterlassen Zunächst also zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit gegen einen Täter der Vorwurf des tatbestandsmäßigen Unterlassens erhoben werden kann und dieser Unterlassensvorwurf wiederum die Anwendung besonderer, für das Unterlassen entwickelter Zumutbarkeitserwägungen indiziert: Während der Täter eines echten Unterlassungsdelikts gegen



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eine gesetzliche Gebotsnorm verstößt, d. h. eine vom Gesetz ausdrücklich geforderte Tätigkeit unterlässt530, entspricht das unechte Unterlassen nur wertungsmäßig der Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes, der originär für ein aktives Tun formuliert worden ist, im Wege einer Tatbestandsergänzung spiegelbildlich aber auch auf ein täterliches Unterlassen zur Anwendung gebracht werden kann531. So richtet sich der Straftatbestand des § 212 Abs. 1 StGB originär gegen denjenigen Täter, der einen anderen durch ein positives Tun tötet. Diesbezüglich formuliert § 212 Abs. 1 StGB ein Verbot der Tötung und eine an jedermann gerichtete Pflicht, die Tötung eines anderen zu unterlassen. Wertungsmäßig kann nun aber auch ein Unterlassen den Vorwurf des § 212 Abs. 1 StGB nach sich ziehen, so beispielsweise für den Fall, dass eine Mutter ihr Kleinkind verhungern ließe. Dem vorausgesetzt ist gemäß § 13 Abs. 1 StGB ihre Garantenstellung, die als tatbestandsergänzendes Merkmal wirkt und die Formulierung eines diesbezüglichen Strafvorwurfs erschwert: „Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt […]“532. Um sich dem Vorwurf eines tatbestandsmäßigen unechten Unterlassens auszusetzen, muss der Täter also ein Garant sein, d. h., ihm muss entweder der Schutz eines bestimmten Rechtsguts oder aber die Überwachung einer bestimmten Gefahrenquelle überantwortet sein533. Nur wenn er eine solche Obhuts- oder Überwachergarantenstellung inne hat, kann von ihm die Abwendung eines – für das Begehungsdelikt formulierten – tatbestandsmäßigen Erfolges verlangt werden. Dergestalt konkretisiert, kann etwa § 212 Abs. 1 i. V. m. § 13 StGB das Gebot einer Abwendung des Tötungserfolgs entnommen werden und formuliert der Tatbestand im vorliegend exemplarisch angeführten Sachverhalt die an die Mutter gerichtete Pflicht, dasjenige positive Tun zu entfalten, dessen es bedarf, um das Leben des ihrer Obhut überantworteten Kindes zu bewahren. Dem originär formulierten Tötungsverbot tritt gemäß § 13 StGB so das Gebot einer Abwendung des Tötungserfolgs spiegelbildlich gegenüber, so wie der originär formulierten Unterlassenspflicht eine Handlungspflicht gegenüber tritt: Nicht nur durch sein Tun, sondern auch durch sein Nichtstun vermag sich ein Täter dem Vorwurf des tatbestandsmäßigen Verhaltens auszusetzen. 530  Vgl. etwa §§ 123 Abs. 1 Alt.  2, 138, 323c StGB. Zu den echten Unterlassungsdelikten s. BGHSt 14, 280 (281); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 696. 531  BGHSt GrS 16, 155; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 697 f. 532  § 13 Abs. 1 StGB; Hervorhebung nicht im Original. 533  Zu Obhuts- und Überwachergarantenstellung als Grundpositionen der verschiedenen, zur Anerkennung gelangten Garantenverhältnisse s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 716.

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Dabei lässt sich das täterliche Verhalten im exemplarisch angeführten Sachverhalt noch unschwer nach seinem äußeren Erscheinungsbild als Tun oder Unterlassen charakterisieren: Lässt eine Mutter ihr Kind verhungern und wird dadurch kausal für dessen Tod, hat sie nicht etwa ein Kausalgeschehen durch den Einsatz von Energie in Gang gesetzt – wie es ein Begehungsdelikt von ihr verlangte –, sondern hat nur den Dingen ihren Lauf gelassen und in den durch ihr Nichtstun bestimmten Geschehensablauf nicht eingegriffen534. In anderen Sachverhalten mag sich eine Verhaltensweise als mehrdeutig präsentieren, so etwa wenn ein Täter eine Sorgfaltsmaßnahme unterlässt, sein diesbezügliches Unterlassen aber erst in einem nachfolgenden Tun zum Tragen kommt: Viel zitierte Beispiele für eine solche Mehrdeutigkeit sind der Radfahrer, der für keine hinreichende Beleuchtung an seinem Fahrrad gesorgt hat, sodann ohne Licht am Straßenverkehr teilnimmt und einen tödlichen Unfall verursacht535, der Fabrikant, der den Tod seiner Arbeiterinnen durch die Ausgabe nicht desinfizierter, mit Milzbrandviren behafteter Ziegenhaare herbeiführt536, und aus neuerer Zeit schließlich der an Hepatitis B erkrankte Chirurg, der sich keiner diesbezüglichen Kontrolluntersuchung unterzieht und in der Folge seine Patienten bei deren Herzoperationen ansteckt537. Offerieren sich in diesem Sinne Anknüpfungspunkte sowohl für ein tatbestandsmäßiges Tun als auch für ein tatbestandsmäßiges Unterlassen, entscheidet die Rechtsprechung nach dem „Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhal­ tens“538. Den Schwerpunkt der vorangehend benannten Verhaltensweisen bildet somit das positive Tun, denn erst mit ihm entfaltet die im Vorfeld unterlassene Sorgfaltsmaßnahme ihre schädlichen Auswirkungen: Erst wenn der Radfahrer mit dem nicht beleuchteten Rad am Straßenverkehr teilnimmt, der Fabrikant die nicht desinfizierten Haare an seine Arbeiterinnen weitergibt und der auf Hepatitis B nicht getestete Chirurg operiert, wird ihr Verhalten zur Gefahr für andere und präsentiert sich als sozialerheblich539. Nur wenn 534  Zu jener Abgrenzung des Tuns vom Unterlassen nach dem unzweideutigen äußeren Erscheinungsbild s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 699. Zum Kriterium des Energieeinsatzes s. weiterführend Brammsen, GA 2002, 193 (200–203 u. 205–208); zu demjenigen der Kausalität s. Roxin, AT / II, § 31, Rn. 78; Streng, ZStW 2010, 1 (22 f.); Welzel, Strafrecht11, 203; zur Kombination beider s. Joecks, St-K10, § 13 Rn. 16 u. 18. 535  Zum zugrundeliegenden Sachverhalt s. RGSt 63, 392. 536  Zum zugrundeliegenden Sachverhalt s. RGSt 63, 211. 537  BGH JR 2004, 33 (34). 538  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 700; s. dazu auch BGHSt 6, 46 (59) u. BGH JR 2004, 33 (34): „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“; BGHSt 49, 147 (164): „Unrechtsschwerpunkt“; Stree / Bosch, in: Sch / Sch, StGB28, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 158: „Schwerpunkt“. 539  Vgl. RGSt 63, 211 (213); BGH JR 2004, 33 (34); demgegenüber hat sich das Reichsgericht in RGSt 63, 392 (393 f.), aber der Frage nach einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen gewidmet.



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das Unterlassungsmoment keine bloß wesensnotwendige Modalität des Handlungsvollzuges bildet, muss sich der Täter wegen eines unechten Unterlassens statt wegen eines Begehungsdelikts verantwortlich zeichnen. b) Die Rücksichtnahme auf einen verringerten Unrechtsgehalt durch die Anerkennung besonderer Zumutbarkeitserwägungen Richtet sich gegen einen Täter so der Vorwurf des tatbestandsmäßigen unechten Unterlassens, ist damit womöglich auch der Anlass geschaffen, auf sein Verhalten besondere, eigens für das Unterlassen formulierte Zumutbarkeitserwägungen zur Anwendung zu bringen. Einer besonderen Zumutbarkeitsprüfung bedürfte es dann, wenn die allgemein anerkannten Tatbestandsmerkmale, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe auf das Begehungsdelikt zugeschnitten wären und die Eigenheiten eines tatbestandsmäßigen Unterlassens so gegebenenfalls nicht hinreichend zu berücksichtigen wüssten. Zu jenen Eigenheiten des Unterlassens wird ein verringerter Unrechtsgehalt gegenüber der aktiven Rechtsgutsverletzung gezählt, den Rechtsprechung und h. L. gleichermaßen bejahen und den auch der Gesetzgeber mit der Normierung einer fakultativen Strafmilderung in § 13 Abs. 2 StGB wenigstens in Betracht gezogen hat. Die Pflicht zur Vornahme einer Handlung im Bereich des unechten Unterlassens ist demnach weniger selbstverständlich als diejenige im Bereich des Begehungsdelikts, von einem tatbestandsmäßigen Tun abzulassen. Während die Erfüllung letzterer grundsätzlich von jedem erwartet werden kann, soll dem Einzelnen die Forderung nach einem positiven Tun wesentlich mehr abverlangen und soll ihre Nichterfüllung umso eher verzeihlich sein, wenn die gebotene Handlung um eigener persönlicher Interessen willen unterlassen wird. Aus diesem reduzierten, in jedem Falle aber besonderen Unrechtsgehalt leitet die herrschende Meinung ab, dass vor den Strafvorwurf wegen eines unechten Unterlassens besondere Zumutbarkeitserwägungen gesetzt sein müssen540. Darüber, auf welcher Ebene des Deliktaufbaus sie Berücksichtigung finden sollen und ob sie ebenda in ein allgemein anerkanntes Merkmal integriert werden können oder es nicht doch der Ergänzung um eine besondere Zumutbarkeitsprüfung bedarf, ist damit jedoch noch nichts gesagt. Stattdessen werden besondere Zumutbarkeitsvoraussetzungen von jeher auf allen Ebenen des Deliktsaufbaus von der Tatbestandsmäßigkeit über die Rechtswid540  Zum Vorstehenden s. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 132 f.; Stree, in: Eser et al., FS-Lenckner, 393 (397 f.); zur Entschuldigung in Unterlassensdelikten s. Hefermehl, Notstand, 15.

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rigkeit bis hin zur Schuld und zur Ebene persönlicher Strafausschließungsgründe diskutiert541. c) Mögliche unterlassungsspezifische Abweichungen von § 34 StGB Möglich wäre etwa, dass § 34 StGB auf der Ebene der Rechtfertigung hinreichend Raum bietet, um jene an das Unterlassensunrecht angepassten Zumutbarkeitserwägungen zu erfassen. Grundlegende Zweifel müssen sich diesbezüglich jedoch auftun, wenn man die §§ 34, 35 StGB als solche Notstandsregelungen versteht, die primär auf das vorsätzliche Begehungsdelikt zugeschnitten sind542. So macht es sich § 34 StGB zur Aufgabe, jene Gefahrenlage zu bestimmen, die dem Betroffenen nicht mehr zugemutet werden kann und die den Notstandstäter in der Folge berechtigt, die Abwehr einer für unzumutbar befundenen Eigen- oder Fremdgefährdung zu betreiben. Ein Unterlassen ließe sich hierunter jedoch allenfalls unter Einschränkungen subsumieren: Denn eine Fremdgefährdung – d. h. eine nicht durch den Täter selbst herbeigeführte Gefahr – wird durch sein Unterlassen nicht abgewendet werden können543. Einzig eine Eigengefährdung, die sich auf seine eigene (täterliche) Hand zurückführen ließe, wüsste der Täter durch sein Untätigbleiben zu vermeiden, soweit er durch sein Unterlassen einer ihm obliegenden Pflicht zuwider handelte, deren Verwirklichung für ihn eine Gefahr nach sich zöge544. Bereits ob dessen tun sich Zweifel auf, inwiefern der allgemeine rechtfertigende Notstand die Eigenheiten einer solchen Gefahrensituation zu erfassen vermag, die den Täter zum Unterlassen einer rechtlich geforderten Tätigkeit – statt zur Vornahme einer aktiven Notstandshandlung – motiviert. Dass man bei unveränderter Anwendung des in § 34 StGB formulierten Proportionalitätsmaßstabs und Gefahrengrads auf den Unterlassenstäter überdies Gefahr liefe, den Wesensgehalt des unechten Unterlassens zu verfehlen und mit ihm die Eigenarten einer den Unterlassenstäter rechtfertigen541  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 134; Gropp, AT3, § 11, Rn. 52. Vgl. zum Streit um die systematische Zuordnung von Zumutbarkeitserwägungen im historischen Werdegang der Notstandsgesetze ders., a. a. O., 148–151; zum Streit um die systematische Zuordnung des in § 323c StGB verwendeten Zumutbarkeitsbegriffs ebda., 164–167, u. Geilen, Jura 1983, 138 (145 f.). 542  So Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 136; Hruschka, Strafrecht2, 94; ders., JuS 1979, 385 (390 f. m. Fn. 21); Lugert, Gefahrtragungspflichtige, 25 f.; Renzikowski, Notstand, 71; Wortmann, Unzumutbarkeit, 133 u. 153; zu § 35 StGB s. Hefermehl, Notstand, 17. 543  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 136; Lugert, Gefahrtragungspflichtige, 26; Renzikowski, Notstand, 71. 544  Siehe dazu Pawlik, Notstand, 215 m. Fn. 166; Roxin, AT / II, § 31, Rn. 206.



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den Gefahrenlage zu verkennen, soll im Folgenden dargelegt werden. Wenn die Untersuchung dabei für das unechte Unterlassensdelikt einen alternativen Gefahrengrad und Proportionalitätsmaßstab skizziert, sucht sie zugleich rechtfertigende Merkmale einer Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns zu definieren, die den vom Begehungsdelikt abweichenden Wesensgehalt des Unterlassens ernst nähmen statt verfehlten. Deren Anerkennung stritte für eine besondere Zumutbarkeitsprüfung, die in Ergänzung zu den allgemein anerkannten Rechtfertigungsgründen träte. 2. Die rechtfertigenden Merkmale einer Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns

Ein solches Bemühen, gemeinsame Merkmale einer rechtfertigenden Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens für das unechte Unterlassensdelikt zu formulieren, hat die These von den tatbestandsspezifischen Konkretisierungen der Zumutbarkeit noch für vergeblich erklärt, nach deren Dafürhalten Zumutbarkeitskriterien nur in Abhängigkeit vom jeweiligen Straftatbestand bestimmt werden können545. Zutreffend aber können aus denjenigen Zumutbarkeitsklauseln, die das Gesetz für den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) und den entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB) ausdrücklich normiert hat, übereinstimmende Anforderungen an eine Unzumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens abgeleitet werden. Die insofern definierende Wirkung des entschuldigenden Notstandes ergibt sich bereits daraus, dass die in § 35 Abs. 1 S. 2 StGB normierte Zumutbarkeitsklausel de lege lata das wichtigste Beispiel für die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens in Entschuldigungsgründen bildet546. Als solches kann sie herangezogen werden, um die Zumutbarkeitsanforderungen an die Verwirklichung jeder Verhaltenspflicht zu konkretisieren, die einem unechten Unterlassungsdelikt zugrunde liegende Pflicht zum Tätigwerden eingeschlossen547. Auch die vorliegende Untersuchung hat sich ihrer bereits bedient, um innerhalb des notstandsähnlichen Konflikts des § 218a Abs. 2 StGB die potenziellen Auswirkungen eines „besonderen Näheverhältnisses“ wie Gefahrverursachungsbeitrags auf die Gefahrtragungspflicht der schwangeren Täterin oder Duldungspflicht des ungeborenen Eingriffsadressaten zu hinterfragen. Demgegenüber begründet sich die definierende Funktion des § 323c StGB darin, dass echtes und unechtes Unterlassensdelikt als substanziell gleichwertig begriffen werden können, normieren sie doch gleichermaßen eine Pflicht zur Hilfeleistung in Gefahrenlagen. Vorbehaltlich der Un545  Frellesen,

Zumutbarkeit, 91; erläuternd dazu Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 40. (Un‑)Zumutbarkeit, 45 f. 547  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 44. 546  Barthel,

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terschiede, die sich daraus ergeben, dass § 323c StGB jedermann zur allgemeinen Hilfeleistung verpflichtet, während sich das unechte Unterlassungsdelikt nur an den Garanten richtet, können die zur unterlassenen Hilfeleistung in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Zumutbarkeitskriterien so zumindest eine Orientierungshilfe sein, wenn es darum geht, die Anforderungen an das gerechtfertige Verhalten eines unechten Unterlassenstäters zu definieren548. a) Unterlassungsspezifische Abweichungen vom Proportionalitätsmaßstab des § 34 StGB Mit der Skizze eines zu § 34 S. 1 StGB alternativen Proportionalitätsmaßstabes für das unechte Unterlassen ist zunächst die Intensität der Täterinteressen angesprochen, die diese in Relation zu den Interessen des Opfers aufweisen müssen, damit von der Unzumutbarkeit eines den tatbestandsmäßigen Erfolg abwendenden positiven Tuns gesprochen werden kann. Folgte man demjenigen Werteverhältnis, das § 34 S. 1 StGB für eine allgemeine rechtfertigende Notstandsunzumutbarkeit formuliert, so könnte eine Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter nur unter der Voraussetzung gerechtfertigt werden, dass das zu schützende Interesse das in Anspruch genommene wesentlich überwiegt. So wie der aktiv tätig werdende Notstandstäter seinen Eingriff in fremde Rechtsgüter nur für den Fall rechtfertigen könnte, dass er durch ihn wesentlich überwiegende Interessen zu bewahren sucht, könnte auch ein trotz seiner Garantenstellung untätig bleibender Notstandstäter nur dann eine Rechtfertigung seines unechten Unterlassens erwarten, wenn seine Interessen diejenigen seines Opfers wesentlich überwiegen549. Unbeachtet bliebe so der verringerte Unrechtsgehalt, den ein unechtes Unterlassen gegenüber dem positiven Tun verwirklicht: Gleichwohl die herrschende Meinung anerkennt, dass dem Garanten unter Auferlegung einer Handlungspflicht mehr abverlangt wird als dem Begehungstäter unter Auferlegung einer Unterlassenspflicht, steckte man ihrem rechtmäßigen Verhalten doch dieselben Grenzen und gestattete es dem Garanten ebenfalls nur bei einem wesentlichen Überwiegen seiner Interessen, sich eines positiven Tuns zu enthalten550. Mehr aber noch verpflichtete man einen Garanten so unter 548  Vgl. BGH NStZ 1984, 164; darauf hinweisend Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 42. Zur entsprechenden Anwendung der Unzumutbarkeit i. S. d. § 323c StGB (§ 330c StGB a. F.) auf alle Unterlassensdelikte s. auch Hefermehl, Notstand, 16; Welzel, JZ  1958, 494 (495 f.); abl. Forster, Zumutbarkeit, 123. 549  Zsfd. dazu Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 105 f.; Wortmann, Unzumutbarkeit, 153. 550  Vgl. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 105, wenn er darauf hinweist, dass der Anwendung eines dem § 34 S. 1 StGB entsprechenden Proportionalitätsmaßstabes auf



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Umständen gar zu einem positiven Tun, durch das er sein eigenes Leben sicher opferte551: Man stelle sich vor, er würde mit einer Lebensgefährdung derjenigen Personen konfrontiert, die entweder seiner Obhut überantwortet sind oder aber von einer durch ihn überwachten Gefahrenquelle bedroht werden. Deren Rettung könnte er nur unter Opferung seines eigenen Lebens betreiben. Bei unveränderter Anwendung des in § 34 S. 1 StGB normierten Proportionalitätsmaßstabes verlangte ihm die Rechtsordnung in dieser Situa­ tion tatsächlich ein Tun ab, nämlich die aktive Rettung des Anderen, gleich ob der Garant seinerseits hierdurch zu Tode gelangte. Denn steht dem Garanten als zu beschützendes Interesse das Leben eines anderen gegenüber, kann er diesem Interesse noch nicht einmal das eigene Leben als „wesentlich überwiegend“ entgegensetzen und würde durch § 34 StGB nicht von seiner Handlungspflicht entbunden. Tatsächlich aber verlangt die Rechtsordnung zwar die Duldung von Gefahren, nicht aber die bewusste Lebensopferung (den „sicheren Tod“)552. Im Gegenteil mutet sie einem Handlungspflichtigen noch nicht einmal die erhebliche Gefährdung des eigenen Lebens oder auch nur der eigenen Gesundheit zu, ebenso wenig diejenige eines Angehörigen553. So sieht sie innerhalb des § 323c StGB selbst für lebensbedrohliche Lagen der zu rettenden Person davon ab, solche Handlungspflichten zu normieren, durch deren Verwirklichung sich der Täter der Gefahr einer schweren Erkrankung aussetzte, und verpflichtet ihn auch nicht dazu, in eine tätliche Auseinandersetzung einzugreifen, wenn er sich hierdurch in die Gefahr einer erheblichen eigenen Körperverletzung begäbe554. Personen, die in einem „besonderen Rechtsverhältnis“ stehen und ob dessen in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB eine besondere Gefahrtragungspflicht tragen, müssen wiederum zwar erhebliche Eigengefährdungen riskieren, sind jedoch nicht verpflichtet, den „sicheren Tod“ auf sich zu nehmen, d. h. partizipieren fortwährend an der entschuldigenden Wirkung das Unterlassen die Prämisse vorausgesetzt ist, dass Unterlassungstat und Handeln unter Notstandsbefugnissen eine übereinstimmende Intensität entfalten. 551  Darauf hinweisend Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 105; Wortmann, Unzumutbarkeit, 153. 552  Roxin, JA 1990, 137 (138). 553  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 97. 554  OLG Düsseldorf, NJW-RR 2000, 1623 (1624); LG Mannheim NJW 1990, 2212 (2212); Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 97; Engländer, in: Heinrich et  al., FSRoxin / 1 (2011), 657 (660 m. Fn. 18); Fischer, StGB60, § 323c Rn. 17. Vgl. in der Gesetzesgeschichte der unterlassenen Hilfeleistung auch § 115 S. 2 AE 1970, demnach eine Hilfeleistungspflicht dann nicht zur Entstehung gelangte, „wenn die erforderliche Hilfeleistung den Täter in Leibes- oder Lebensgefahr bringen würde“; Baumann et al., AE StGB, BesT / 1, 10 u. 58; s. dazu die Ausführungen von Baumann et al., a. a. O., 61, u. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 52.

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des § 35 StGB555. Dieselbe Zumutbarkeitsgrenze beanspruchte auch Geltung, soweit man sich willig zeigte, die Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB auf das in Anlehnung an die Obhutsgarantenstellung bestimmte „besondere Näheverhältnis“ zur Anwendung zu bringen: Selbst der Vater müsste sich so nicht bis zum Tode aufopfern, wenn sein Sohn in eine lebensbedrohliche Notstandslage geriete556. Weil § 35 Abs. 1 S. 2 StGB einen allgemeinen Rechtsgedanken transportiert und auch jenseits des entschuldigenden Notstandes Anwendung findet, wird Entsprechendes für die allgemeine Hilfeleistungspflicht i. S. d. § 323c StGB und das zu rechtfertigende unechte Unterlassen gelten müssen557. Bereits aus diesem Grunde muss eine Einschränkung des Proportionalitätsmaßstabs des § 34 S. 1 StGB also für unabdingbar bezeichnet werden, soll ein Garantenunterlassen gerechtfertigt werden558. Wie aber könnte sich jene Einschränkung sachgerecht gestalten? Eine Pflicht zur Opferung des eigenen Lebens weiß zunächst diejenige Ansicht zu vermeiden, die eine rechtfertigende Unzumutbarkeit nicht erst bei wesentlichem Überwiegen, sondern bereits bei Gleichwertigkeit des Garanteninteresses zum zu beschützenden Interesse bejaht559. Dass ein handlungspflichtiger Täter seine eigenen Interessen anderen unterordnen soll, gleichwohl sie gleich schwer wiegen, sei eine Forderung nach einem altruistischen Verhalten, die an einen Durchschnittsmenschen nicht gerichtet werden könnte – vielmehr könnte man ihn nur dann zu einer seine eigenen Interessen beschneidenden Handlung auffordern, wenn jene in Relation zu dem durch seine Handlung zu beschützenden Interessen unterlägen560. Der Maßstab der Gleichwertigkeit scheint insofern der rechtfertigenden Pflichtenkollision entnommen zu sein, die bei Gleichwertigkeit kollidierender Hand555  Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 73 u. 97; Esser / Bettendorf, NStZ 2012, 233 (237); Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 35 Rn. 25; Roxin, JA 1990, 137 (138); Zieschang, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 35 Rn. 56; Zimmermann, Rettungstötungen, 248 f. m. w. N. 556  So Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 75; Hefermehl, Notstand, 15; Kühl, AT7, § 12, Rn. 84; v. Renesse, ZRP 1991, 321 (323); im Erg. entsprechend Zimmermann, Rettungstötungen, 253 (jedoch nicht unter Referenz auf ein „persönliches Näheverhältnis“, sondern auf eine dem altruistischen Interesse an einer entschuldigenden Notstandshilfe gegenübergestellte Sonderpflicht). 557  Vgl. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 75; Frellesen, Zumutbarkeit, 206; anders – d. h. beschränkt auf die entschuldigende (statt rechtfertigende) Wirkung des § 35 StGB – aber etwa Esser / Bettendorf, NStZ 2012, 233 (237). 558  So Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 106. 559  BGH NStZ 1984, 164; Küper, Pflichtenkollision, 123; vgl. zu § 323c StGB: Forster, Zumutbarkeit, 125; Geilen, Jura 1983, 138 (145); zsfd. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 104 f. 560  So etwa Forster, Zumutbarkeit, 125 f.



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lungspflichten eine diesbezügliche Auswahlentscheidung des Täters als rechtfertigend anerkennt. Jedoch hat jene mit der Kollision zweier Handlungspflichten die Abwägung zwischen fremden Interessen zum Gegenstand, während im Falle einer für das Unterlassen entwickelten rechtfertigenden Unzumutbarkeit auch eigene Belange des Garanten betroffen wären. Insofern dürfte es von einem Durchschnittsmenschen aber bereits zu viel verlangt sein, dass er seine eigenen Interessen erst dann soll bewahren dürfen, wenn sie den gleichen Wert wie die zu beschützenden Interessen eines Anderen haben561. Entsprechend überzeugt es auch wenig, die Wahrung gleichwertiger Interessen des Unterlassenstäters als ein „Leitprinzip der Unrechtsneutralisierung“ zu begreifen, das dem für das Begehungsdelikt formulierten Prinzip des wesentlich überwiegenden Interesses als „Gegenstück“ gegenübertreten soll562. § 34 S. 1 StGB gestattet dem Notstandstäter den aktiven Eingriff in fremde Rechtsgüter dann, wenn er durch ihn eine Gefahr für wesentlich überwiegende Interessen abzuwehren sucht. Gleichzeitig legt er dem Eingriffsadressaten für diesen Fall die Verpflichtung auf, den aktiven Eingriff in seine Rechtsgüter zu erdulden. Vom Unterlassungstäter wird nun unter Formulierung einer Handlungspflicht erwartet, dass er selbst aktiv tätig wird, hierdurch aber seine eigenen Interessen beschneidet und dies auch hinzunehmen hat. Ob des letzteren sind so weniger die zu rechtfertigenden Begehungs- und Unterlassungstäter vergleichbar. Wertungsmäßig ähneln sich vielmehr Unterlassungstäter und Eingriffsadressat, wenn die Rechtsordnung sie gleichermaßen dazu anhält, Einbußen an den eigenen Rechtsgütern hinzunehmen, die der Eingriffsadressat in der Notstandssituation duldend hinzunehmen und der Unterlassungstäter aktiv herbeizuführen hat563. Brachte man die Wertung des § 34 S. 1 StGB in diesem Sinne aber umgekehrt zur Anwendung, sodass der Unterlassungstäter wertungsmäßig an die Stelle des Eingriffsadressaten statt Notstandstäters träte, rechtfertigte nicht etwa erst die Gleichwertigkeit seiner Interessen sein Untätigbleiben. Die Duldung eigener Rechtseinbußen hätte er vielmehr erst dann hinzunehmen, wenn die fremden Interessen, die er durch sein Tätigwerden schützen soll, wesentlich überwögen. Anders gesprochen, könnte sein Untätigbleiben solange gerechtfertigt werden, wie seine eigenen Garanteninteressen in Relation dazu nur nicht wesentlich geringwertiger sind. Wollte man für die Unterlassungstat also einen zum Begehungsdelikt umgekehrten Proportionalitätsmaßstab formulieren, dürften nicht erst gleichwertige GaranteninteresBarthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 104. aber u. vorstehende Zitate aus Küper, Pflichtenkollision, 92; zsfd. ders., a. a. O. 123. 563  Vgl. Engländer, in: Heinrich et  al., FS-Roxin / 1 (2011), 657 (660); zur Vergleichbarkeit von „Jedermanns-Duldungspflichten“ (§ 34 StGB) und „JedermannsHandlungspflichten“ (§ 323c StGB) auch: Seelmann, JuS 1995, 285 a. E. 561  So 562  So

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sen sein Untätigbleiben rechtfertigen, sondern müsste bereits geringwertigeren Garanteninteressen diese Wirkung beigemessen werden564. Eben jenen Ansatz, den Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB im Unterlassensbereich umgekehrt („e contrario“) zur Anwendung zu bringen, vertreten diejenigen Stimmen, die eine rechtfertigende Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns erst dann verneinen wollen, wenn die zu beschützenden Interessen, ob derer der Garant tätig werden soll, seine eigenen Interessen wesentlich überwiegen. In allen anderen Fällen des nur einfachen Überwiegens der zu beschützenden Interessen, ihrer Gleichwertigkeit oder ihres Unterliegens könnte sich der Garant zu seinen Gunsten grundsätzlich auf eine rechtfertigende Unzumutbarkeit berufen565. Neben dem Wortlaut des § 323c StGB, der zur Annahme einer Unzumutbarkeit im Unterlassensbereich ebenfalls bereits eine „erhebliche“, d. h. nicht unbedingt überwiegende eigene Gefahr genügen lässt566, berufen sich die Vertreter von einem so gelagerten Wertverhältnis auf eine Interessengewichtung, die sich e  contrario § 34 S. 1 StGB vollziehen soll. Erläuternd sei so ein weiteres Mal hervorgehoben, was in Kritik an einem „Leitprinzip der Unrechtsneutralisierung“ bereits ausgeführt worden ist: Der Garant, den die Rechtsordnung zu einer Handlung anhält, die seine eigenen Rechtsgüter zum Schutze fremder verletzt oder wenigstens gefährdet, entspricht wertungsmäßig weniger dem aktiv tätig werdenden Notstandstäter, der fremde Rechtsgüter zum Schutze der eigenen in Anspruch nimmt, als dem Eingriffsadressaten, der zur Duldung einer Verletzung seiner eigenen Rechtsgüter angehalten wird. So aber erscheint es nur sachgerecht, den Abwägungsmaßstab des § 34 S. 1 StGB quasi spiegelbildlich auf das Unterlassen zur Anwendung zu bringen. Eine Pflicht zur Inkaufnahme von Einbußen an den eigenen Rechtsgütern – ob sie sich nun als Duldungspflicht eines Eingriffsadressaten manifestiert oder mit der Handlungspflicht eines Unterlassenstäters einhergeht – gelangte demnach nur dann zur Formulierung, wenn das gegenläufige Interesse wesentlich überwöge. Solange das Interesse des Eingriffsadressaten bzw. dasjenige des Unterlassungstäters hingegen nicht von wesentlich geringerem 564  Dies formuliert zutreffend Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 104 f.; s. dazu auch die Nachweise zu denjenigen nachfolgend repetierten Stimmen, die den in § 34 S. 1 StGB normierten Proportionalitätsmaßstab im Unterlassensbereich umgekehrt („e contrario“) angewendet wissen wollen. 565  Siehe etwa Roxin, AT / II, § 31, Rn. 205 f.; vgl. zu § 323c StGB (§ 330c StGB a. F.) Frellesen, Zumutbarkeit, 224 f.; Hruschka, Strafrecht2, 96; Pawlik, GA 1995, 360 (371 f.); Seelmann, JuS 1995, 281 (286); Wortmann, Unzumutbarkeit, 137; zsfd. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 103 f. 566  Zu § 323c StGB (§ 330c StGB a. F.) etwa Frellesen, Zumutbarkeit, 222 f.; zsfd. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 103, u. Forster, Zumutbarkeit, 119 f. Krit. zur Schlussfolgerung aus § 323c StGB (§ 330c StGB a. F.) auf die Unzumutbarkeit in unechten Unterlassensdelikten Forster, a. a. O., 123.



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Wert ist, wäre der Eingriffsadressat nicht zur Duldung des Eingriffs in seine Rechtsgüter, der Unterlassungstäter nicht zur Preisgabe seiner eigenen Rechtsgüter verpflichtet567. b) Unterlassungsspezifischer Verzicht auf eine gegenwärtige Gefahr Nachvollziehbar kann mithin vertreten werden, dass der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB auf Unterlassungstaten so nicht angewendet werden kann, sondern die Interessenlage des unechten Unterlassungsdeliktes nur dann sachgerecht zu erfassen vermöge, wenn man das durch ihn normierte Interessenverhältnis umkehrte bzw. wenn man den Unterlassungstäter diesbezüglich nicht dem aktiv tätig werdenden Notstandstäter, sondern dem eine Gefahrenlage erduldenden Eingriffsadressaten wertungsmäßig gleichsetzte. Es ist aber nicht nur der Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB, der den Wesensgehalt des Unterlassungsdelikts verfehlt: In Übereinstimmung mit § 323c StGB, aber im Gegensatz zu den Notstandsregelungen der §§ 34, 35 StGB kann für eine Unzumutbarkeit im Unterlassensbereich stattdessen auch keine gegenwärtige Gefährdung der Täterinteressen vorausgesetzt werden. Zunächst erlaubt § 34 StGB nur solche Gefahren durch Begehung einer Tat zu Lasten des Eingriffsadressaten abzuwenden, die dem Täter oder einer vom Eingriffsadressaten zu unterscheidenden, dritten Person drohen: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr […] eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen […] das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“568. Das tatbestandsmäßige Verhalten des Notstandstäters ist so stets durch die Motivation gekennzeichnet, eine Gefahr für sich selbst oder einen Dritten abzuwenden. Dass jener Dritte nicht identisch mit dem Eingriffsadressaten sein kann, zeigt wiederum die Formulierung des Proportionalitätsmaßstabes, innerhalb derer „das geschützte Interesse das beeinträchtigte“ wesentlich überwiegen muss. Wären der zu schützende Dritte und der beeinträchtigte 567  Zust. Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 106 f. m. Ausnahmen ebda., 107 f. (für besondere Gefahrtragungspflichten nach § 35 Abs. 1 S. 2 StGB) u. 113–115 (für Sicherungsgarantenstellungen); diff. auch Engländer, in: Heinrich et  al., FS-Roxin / 1 (2011), 657 (661 u. 663 f.), der Handlungspflicht des Unterlassungstäters und Duldungspflicht des Eingriffsadressaten für vergleichbar erachtet, den Unterlassungstäter in Abhängigkeit von seiner Garantenstellung aber erst bei Gleichwertigkeit (so für den Beschützergaranten) oder wesentlichem Überwiegen (so für den Überwachergaranten) seiner eigenen Interessen entlasten will. 568  § 34 S. 1 StGB; [Auslassungen] und Hervorhebungen nicht im Original.

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Eingriffsadressat aber identisch, kollidierten keine widerstreitenden Interessen, sondern herrschte Interessenidentität. Während eine Notstandslage i. S. d. § 34 StGB somit die gegenwärtige Gefährdung des Notstandstäters oder eines Dritten verlangt, sind im Bereich des unechten Unterlassens typischerweise gerade nicht die Garanteninteressen oder (ihn nicht verpflichtende) Drittinteressen gefährdet. Im Gegenteil ist regelmäßig allein das durch den Garanten zu schützende Interesse einer Gefahr ausgesetzt, zu deren Abwehr vom Garanten eine erfolgsabwendende Handlung erwartet wird. Erst durch die Vornahme jener erfolgsabwendenden Handlung begäbe sich der Garant in eine Gefahrenlage569. Man stelle sich etwa den dreijährigen B vor, der allein in einem führerlosen, abgekoppelten Zugwaggon sitzt, während sich jener auf einen Abgrund hinzubewegt und bei ungebremster Fahrt in die Tiefe zu stürzen droht. Seine Mutter A befindet sich außerhalb des Zugwaggons, namentlich neben den Gleisen, und beobachtet das Geschehen. Wie A zutreffend erkennt, wäre es ihr möglich, auf den Waggon aufzuspringen und ihn noch vor Erreichen des Abgrundes durch das Betätigen einer Notbremse zum Stillstand zu bringen. Allerdings gefährdete sie damit ihr eigenes Leben wie auch ihre körperliche Unversehrtheit. Sofern die Mutter als potenzielle Täterin hier nun untätig bliebe, drohte ihr keine Gefahr. Im Gegenteil gefährdete sie ihr eigenes Leben erst dann, wenn sie diejenige Handlung vornähme, die die Rechtsordnung unter Hinweis auf eine Obhutsgarantenstellung von ihr fordert, nämlich dann, wenn sie sich selbst in den gefahrbringenden Waggon begäbe, um das Leben ihres Kindes zu retten. Nun sind freilich auch solche Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen das Interesse des Garanten selbst – noch vor Vornahme der erfolgsabwendenden Handlung – gefährdet ist, so etwa wenn man im vorgestellten Beispielsfall nicht nur den dreijährigen B, sondern auch die Mutter A in dem fraglichen Zugwaggon platziert, der in die Tiefe zu stürzen droht. Eine Notstandslage, wie sie § 34 StGB formuliert, wäre damit gleichwohl immer noch nicht formuliert: Denn die Handlung, die A zur Abwehr der Gefahr vollziehen müsste und die nach dem Wortlaut des § 34 StGB den Anknüpfungspunkt einer Rechtfertigung bildete, wäre das Betätigen der Notbremse. Eben diese erfolgsabwendende Handlung provozierte aber keinen Interessenkonflikt zwischen der Mutter A und ihrem Kind B, wie ihn eine Notstandsregelung auszulösen versucht, und beeinträchtigte insbesondere keine fremden Interessen. Die Handlung, die A zur Rettung ihres eigenen Lebens vornähme, wäre zugleich diejenige Handlung, derer es zur Rettung des Kindeslebens bedarf, und in der Folge nicht rechtfertigungsbedürftig. 569  Darauf hinweisend Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 135; s. dazu auch Engländer, in: Heinrich et  al., FS-Roxin / 1 (2011), 657 (663).



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3. Der Schwangerschaftsabbruch im Anwendungsbereich einer rechtfertigenden Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns

Soweit die rechtfertigenden Merkmale einer Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns in diesem Sinne von denjenigen des § 34 StGB abwichen, d. h. den Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB umkehrten und auf den Eintritt einer gegenwärtigen Gefahr verzichteten, könnte hierin ein sachlicher Grund für den „Zweiklang von Vorverlegung und Umkehrung“ angelegt sein, den der medizinisch-soziale Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB in Abweichung vom allgemeinen rechtfertigenden Notstand des § 34 StGB normiert. § 218a Abs. 2 StGB wäre die Regelung einer speziellen rechtfertigenden Unzumutbarkeit für den medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt zu entnehmen, die den Schwangerschaftsabbruch zwar weiterhin als Begehungsdelikt achtete, jedoch auf seine spezifische Unterlassensnähe reagierte, indem sie nicht die für das Begehungsdelikt in § 34 StGB formulierten rechtfertigenden Merkmale übernähme, sondern diejenigen einer Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns in ihre Regelung integrierte. Die Abwägung zwischen dem Leben und der Gesundheit der Schwangeren einerseits, dem postnidativen ungeborenen Leben andererseits könnte so zulasten des Ungeborenen entschieden werden, verlangte ein an das Unterlassensmoment angepasster Proportionalitätsmaßstab doch nicht länger zwingend ein wesentliches Überwiegen der Interessen der Schwangeren. Stattdessen könnte der Schwangerschaftskonflikt bereits dann zugunsten der Frau entschieden werden, wenn ihre betroffenen Rechtsgüter nur nicht wesentlich geringwertiger als das postnidative ungeborene Leben wären. Dies träfe jedenfalls für das mütterliche Leben zu, könnte – vorbehaltlich einer drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigung – aber auch für ihre körperliche wie seelische Gesundheit bejaht werden. Dieser Erklärungsansatz könnte mithin den zu § 34 S. 1 StGB umgekehrten Proportionalitätsmaßstab sachlich begründen, der eine Abwägung gegen das Leben des Ungeborenen zulässt570. Mit Blick darauf, dass eine Unzumutbarkeit des normgemäßen positiven Tuns das rechtfertigende Merkmal einer gegenwärtigen Gefahr nicht kennt571, offerierte er womöglich auch einen sachlichen Grund dafür, dass § 218a Abs. 2 StGB meint, auf eine entsprechende Gefahrverdichtung verzichten zu können. Tatsächlich werden die Indikationen als „Sonderfall der Interessenkolli­ sion des § 34 StGB“ bezeichnet, für den der Gesetzgeber „besondere Hin570  Zu möglichen unterlassungsspezifischen Abweichungen des § 218a Abs. 2 StGB vom Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB s. oben Seite  515 f. [a. E. von 2. a)]; zust. Bernsmann, JuS 1994, 9 (13). 571  Siehe dazu oben Seite  517 f. [2. b)].

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weise“ gegeben habe572. Diese „besonderen Hinweise“ – womit die Abweichungen von § 34 StGB angesprochen sind – sollen mit der den Indikationen zugrunde liegenden Zumutbarkeitsidee erklärt werden können, aufgrund derer eine Rechtfertigung erleichtert werden dürfte: Die Frau soll dann von ihrer grundsätzlichen Rechtspflicht zum Austragen der Schwangerschaft entbunden werden, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft für sie eine unzumutbare Belastung darstellen würde573. In diesem Sinne hat auch das BVerfG bereits in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung verlauten lassen, dass das „Lebensrecht des Ungeborenen […] zu einer Belastung der Frau führen [kann], die wesentlich über das normalerweise mit einer Schwangerschaft verbundene Maß hinausgeht. Es ergibt sich hier die Frage der Zumutbarkeit, mit anderen Worten die Frage, ob der Staat auch in solchen Fällen mit dem Mittel des Strafrechts die Austragung der Schwangerschaft erzwingen darf. Achtung vor dem ungeborenen Leben und Recht der Frau, nicht über das zumutbare Maß hinaus zur Aufopferung eigener Lebenswerte im Interesse der Respektierung dieses Rechtsgutes gezwungen zu werden, treffen aufeinander“574. Fraglich ist jedoch, ob die Besonderheiten des § 218a Abs. 2 StGB gerade mit derjenigen Zumutbarkeitsidee erklärt werden können, die den unechten Unterlassensdelikten zugrunde liegt. a) Die Austragungspflicht der Schwangeren als (vermeintliche) ­Handlungspflicht im Bereich des unechten Unterlassens Diesbezüglich zieht die Untersuchung in Betracht, dass der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs für die Schwangere eine ganz eigentümliche Nähe zu einem unechten Unterlassungsdelikt aufzeigt575. Als ein Begehungsdelikt konstruiert, das Schwangere und Arzt mittäterschaftlich durch aktives Tun verwirklichen, wird der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB zunächst regelmäßig durch das gemeinschaftliche positive Tun von Schwangerer und Arzt verwirklicht (§ 25 Abs. 2 StGB), innerhalb dessen die Schwangere den Abbruch veranlasst und durch den Arzt an sich vornehmen lässt576. Eher selten wird er im Zusammenwirken mit § 13 StGB spiegel572  Vorstehend zitierte Begriffe aus Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 163; ebenso ­Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 62. 573  So Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 163. 574  BVerfGE 39, 1 (48). 575  Weitergehend noch Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 5, Rn. 6, die im Schwangerschaftsabbruch „zu einem bedeutenden Teil materiell eine Unterlassungstat“ erkennen; für einen primären Unterlassungscharakter des Schwangerschaftsabbruchs: Bernsmann, JuS 1994, 9 (12 f.). 576  Siehe dazu bereits oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.].



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bildlich auf ein unechtes Unterlassen angewendet, wenn wenigstens ein Garant – die Schwangere, der Erzeuger des Ungeborenen oder der die Schwangere behandelnde Arzt – den Tod des Ungeborenen nicht abwendet, gleichwohl ihm dies physisch-real und zumutbar möglich wäre577. Wenngleich der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB von der Schwangeren nun – entsprechend seiner Konstruktion und regelmäßigen Verwendung – das Unterlassen einer aktiven tötenden Handlung verlangt, hält er sie zugleich doch auch zur Vornahme einer rechtlich gebotenen Handlung an: Den Schwangerschaftsabbruch verbietet das Gesetz und richtet an die Schwangere damit zugleich das Gebot, ihre Schwangerschaft auszutragen578. In diesem Sinne legen auch die Ausführungen des BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung nahe, dass die Indikationen in Anlehnung an die Unzumutbarkeit in Unterlassungsdelikten gestaltet sein könnten. Das Gericht führt zunächst einleitend an, dass es sich beim Schwangerschaftsabbruch nicht um ein Unterlassungs-, sondern um ein Begehungsdelikt handele579. Bereits der Umstand, dass das Gericht eine entsprechende Klarstellung überhaupt für notwendig erachtet, lässt aber auf ein Problembewusstsein des Gerichts schließen: Es erkennt, wie nahe seine weiteren Ausführungen der rechtlichen Behandlung des Unterlassens stehen, und hält es aus diesem Grunde für geboten, solchen Schlussfolgerungen ausdrücklich entgegenzutreten, die den Schwangerschaftsabbruch als Unterlassungsdelikt auslegten. Stattdessen sollen seine weiteren Ausführungen erklären, weshalb auch im Begehungsdelikt des Schwangerschaftsabbruchs das Zumutbarkeitskriterium besondere Berücksichtigung erfahren soll: „weil sich das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs angesichts der einzigartigen Verbindung von Mutter und Kind nicht in einer Pflicht der Frau erschöpft, den Rechtskreis eines anderen nicht zu verletzen, sondern zugleich eine intensive, die Frau existenziell betreffende Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes enthält und eine darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Einstandspflicht nach der Geburt über viele Jahre nach sich zieht“580. Nicht die bloße Pflicht des „neminem laedere“ – wie beim Begehungsdelikt – also wird der Frau 577  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.]. Zur Garantenstellung von Schwangerer und Erzeuger s. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (325 m. Fn. 67); zu derjenigen des behandelnden Arztes s. etwa Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218 Rn. 50; Hilgendorf, JuS 1993, 97 (99 m. Fn. 46); Kröger, in: Jähnke et al., LK-StGB / 511, § 218 Rn. 38; Lüttger, in: ders. / Blei / Hanau, FS-Heinitz, 359 (367 f. m. Fn. 24); zsfd. Merkel, a. a. O., 145 (174 m. Fn. 68). 578  Jene Austragungspflicht der Schwangeren heben etwa hervor: Bernsmann, JuS 1994, 9 (12 f.); Geilen, ZStW 1991, 829 (847 f.); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 5, Rn. 6; v. Renesse, ZRP 1991, 321 (322). 579  BVerfGE 88, 203 (256). 580  BVerfGE 88, 203 (256).

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durch ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs auferlegt581. Stattdessen sollen § 218 Abs. 1 StGB diverse positive Handlungsgebote zu entnehmen sein, die nach Ansicht des Gerichts gar die unmittelbaren Schwangerschaftspflichten des Austragens und Gebärens überdauern sollen. Sie sollen nicht nur „das Aufsichnehmen von Gefahren für Leib und Leben, von körperlichen und psychischen Belastungen“, die der Schwangerschaft entspringen, umfassen, sondern auch solche „Pflichten, die sich später aus dem Muttersein und der Verantwortung für die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder ergäben“582. Hierauf hat das vorliegende Kapitel bereits in seinem zweiten Abschnitt Bezug genommen, wenn es darum ging, die allgemeine Abwägungsrelevanz einer Obhutsgarantenstellung der Schwangeren zu hinterfragen. Nachdem die symbiotische Verbindung zum Ungeborenen wie auch dessen Abstammung von der Schwangeren für eine „natürliche Verbundenheit“ streiten, könnte der Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB das notwendige rechtliche Fundament formulieren, dessen eine „natürliche Verbundenheit“583 bedarf, um eine Obhutsgarantenstellung der Schwangeren zu begründen: Soweit man seiner Auslegung durch das BVerfG folgte, gäbe er mit der Formulierung positiver Handlungsgebote zu erkennen, wie die Rechtsordnung die Schwangere zur Obhut über den Embryo bzw. Fetus verpflichtet wissen will584. Diese positiven Handlungsgebote, die einen Rückschluss auf die Obhutsgarantenstellung der Schwangeren erlaubten, könnten nun auch eine solche Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs indizieren, die an die eines – gleichermaßen die Verletzung eines Handlungsgebots normierenden – Unterlassungsdelikts angenähert ist: „Aus der Vorausschau auf die damit verbundenen Belastungen können in der besonderen seelischen Lage, in der sich werdende Mütter gerade in der Frühphase einer Schwangerschaft vielfach befinden, in Einzelfällen schwere, unter Umständen auch lebensbedrohende Konfliktsituationen entstehen, in denen schutzwürdige Positionen einer schwangeren Frau sich mit solcher Dringlichkeit geltend machen, daß jedenfalls die staatliche Rechtsordnung […] nicht verlangen kann, die Frau müsse hier dem Lebensrecht des Ungeborenen unter allen Umständen den Vorrang geben“585. Mit den „damit verbundenen Belastungen“ knüpft das 581  So auch die Stellungnahme des BT-Abgeordneten Ehmke für den Dt. Bundestag (§ 77 BVerfGG): „Eine Strafvorschrift gegen den Schwangerschaftsabbruch verlange von der Frau nicht nur, wie von Dritten, eine bloße Unterlassung“; zsfd. BVerfGE 39,1 (31 f.). 582  Vorstehende Zitate aus der Stellungnahme v. Ehmke (s. die vorangegangene Fn. 581); zsfd. BVerfGE 39,1 (32). 583  Begriff gewählt in Anlehnung an Wessels / Beulke, AT42, Rn. 718. 584  Siehe oben Seite  347 [Abschn.  2, B. I. 2.]. 585  BVerfGE 88, 203 (256 f.); Hervorhebungen nicht im Original. Vgl. auch BVerfGE 39, 1 (50).



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Gericht an die von ihm vorangehend genannten Handlungsgebote – namentlich an die „Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes“ ebenso wie an die „darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Einstandspflicht nach der Geburt“586 – an, die es so zum Bezugspunkt einer rechtfertigenden Unzumutbarkeit erhebt. Nicht die das Begehungsdelikt kennzeichnende (Unterlassens‑)Pflicht, niemanden zu schädigen, wäre mithin diejenige welche, deren Erfüllung einem Täter gegebenenfalls nicht zugemutet werden soll. Stattdessen scheinen es – wie innerhalb des Unterlassungsdelikts – positive Handlungspflichten zu sein, die sich unter Umständen als unzumutbar präsentieren und deren Nichterfüllung in der Folge gerechtfertigt werden könnte587. Besonders deutlich soll dies nach der Verlautbarung des BVerfG im vorliegend thematisierten, medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftskonflikt hervortreten, wenn sich die Pflicht zum Austragen der Schwangerschaft zu einer Gefahr für das Leben oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Frau verdichtet: „Unzumutbar erscheint die Fortsetzung der Schwangerschaft insbesondere, wenn sich erweist, daß der Abbruch erforderlich ist, um von der Schwangeren ‚eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden‘ […]. In diesem Fall steht ihr eigenes ‚Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit‘ (Art. 2 Abs. 2 Satz  1 GG) auf dem Spiel, dessen Aufopferung für das ungeborene Leben von ihr nicht erwartet werden kann“588. Wenn das BVerfG an dieser Stelle von einer nicht zu erwartenden „Aufopferung“ spricht, bedient es sich wohl nicht zufällig einer solchen Formulierung, durch die eine Pflicht zum aktiven Tun – nämlich zur „Aufopferung“ der eigenen Rechtsgüter statt bloßen Duldung eines Rechtsgütereingriffs – zum Ausdruck gebracht wird589.

586  BVerfGE

88, 203 (256). ein solches Verständnis der Schwangerschaftsabbruchsvorschriften s. Bernsmann, JuS 1994, 9 (13). 588  BVerfGE 39, 1 (49). 589  So auch im einleitend auf Seite  520 [vor a)] verwendeten Zitat: „Achtung vor dem ungeborenen Leben und Recht der Frau, nicht über das zumutbare Maß hinaus zur Aufopferung eigener Lebenswerte im Interesse der Respektierung dieses Rechtsgutes gezwungen zu werden, treffen aufeinander“; BVerfGE 39, 1 (48), Hervorhebung nicht im Original. Zur Verwendung des – eine positive Handlungspflicht implizierenden – Begriffs der „Aufopferung“ s. außerdem BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 7): „Dafür müssen Belastungen gegeben sein, die ein solches Maß an Aufopferung eigener Lebenswerte verlangen, daß dies von der Frau nicht erwartet werden kann“; Hervorhebung nicht im Orig. u. entsprechend a. a. O., 203 (257). 587  Für

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b) Die Austragungspflicht der Schwangeren als allgemeine ­Gefahrtragungspflicht in Konfliktlagen Diesbezüglich führt ein Vergleich des unechten Unterlassensdelikts und Begehungsdelikts, wie sie sich in Notstandslagen präsentieren, jedoch recht schnell zu der Feststellung, dass die Pflicht zum Austragen der Schwangerschaft weniger mit einer positiven Handlungspflicht im Bereich des unechten Unterlassens gleich gesetzt werden kann. Indem das Gesetz die Schwangere in § 218 Abs. 1 StGB zum Austragen ihrer Schwangerschaft anhält, verleiht es vielmehr seiner Erwartung Ausdruck, dass die Frau einer schwangerschaftsbedingten – nicht notwendigerweise bereits notstandsähnlichen – Konfliktlage stand halten muss, durch die ihre Rechtsgüter beeinträchtigt werden oder wenigstens eine Gefährdung erfahren. Denn wenngleich die Schwangerschaft als solche nicht als Gesundheitsbeeinträchtigung verstanden wird590, wird die Schwangere doch regelmäßig solche leichteren bis mittelschweren Beeinträchtigungen ihres Gesundheitszustandes auf sich zu nehmen haben, die ein Ausfluss der embryonalen oder fetalen Inanspruchnahme ihres Körpers sind. Nicht nur regelmäßig, sondern gar unvermeidlich wird die Schwangerschaft auch ihre Handlungsfreiheit beschneiden: „Die einschneidenden Wirkungen einer Schwangerschaft auf den körperlichen und seelischen Zustand der Frau sind unmittelbar einsichtig und bedürfen keiner näheren Darlegung. Sie bedeuten häufig eine erhebliche Änderung der gesamten Lebensführung und eine Einschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten“591. Jene Beeinträchtigungen muss die Schwangere nach dem Willen des Gesetzgebers hinnehmen, d. h., sie sind Teil der in § 218 Abs. 1 StGB normierten tatbestandlichen Austragungspflicht und die Kehrseite des auf Tatbestandsebene formulierten Tötungsverbots. Aber nicht nur zur Erduldung solcher Konfliktlagen, die (noch) nicht notstandsähnlich sind, hält der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB an. Auch für den notstandsähnlichen Konflikt, der sich in einer Lebensgefährdung oder Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes konkretisiert, formuliert § 218 Abs. 1 StGB auf der Kehrseite des Tötungsverbots eine entsprechende tatbestandliche Gefahrtragungspflicht592, Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 29. 39, 1 (48). Vgl. auch Sacksofsky, in: Oduncu / Platzer / Henn, Zugriff, 52 (64): Der Embryo beanspruche von der Mutter „der Sache nach ein Leistungsrecht“, wenn der Frau durch die Schwangerschaft „massive körperliche und psychische Veränderungen“ zugemutet werden. 592  Anstelle der Gefahrtragungspflicht könnte auch von einer Duldungspflicht geschrieben werden; weil vorliegende Untersuchung den Begriff der Duldungspflicht aber dem Eingriffsadressaten vorbehält, verwendet sie für den Täter auch an dieser Stelle den Begriff der Gefahrtragungspflicht; s. dazu bereits oben Seite  465 [a. E. von A. II.] m. Fn. 421 u. Seite  339 [Abschn.  2, A. II. 2. b)] m. Fn. 91. 590  Vgl.

591  BVerfGE



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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die er erst im Wege der Rechtfertigung zurücknimmt, wenn die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB erfüllt sind; gleiches gilt für den kriminologisch begründeten Schwangerschaftskonflikt, der die rechtfertigenden Voraussetzungen des § 218a Abs. 3 StGB verwirklicht593. Die vermeintliche positive Handlungspflicht, die einleitend noch bemüht worden ist, um eine Unterlassensnähe des § 218 Abs. 1 StGB zu zeichnen, ist damit aber nur ein Ausdruck der an jedermann gerichteten Pflicht, Konfliktlagen grundsätzlich standzuhalten und nicht durch den Eingriff in fremde Rechtsgüter zu beenden. In diesem Sinne formuliert der Gesetzgeber auch für den Tatbestand des Totschlags in § 212 Abs. 1 StGB die Pflicht, möglichen Gefahrenlagen standzuhalten und nicht durch die Tötung eines Anderen zu beenden: In einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahrenlage für ein geschütztes Rechtsgut soll der Täter die Gefahr hinnehmen und darf sich ihr nicht durch die Tötung eines Anderen entziehen. Erst recht soll er solche Situationen hinnehmen, die sich noch nicht zu einer solchen, gemäß § 34 StGB rechtfertigenden Gefahr verdichtet haben. So unterscheidet sich die gesetzliche Erwartung an die Schwangere, dass sie eine konfliktbeladene Schwangerschaft austragen möge, aber in nichts von derjenigen, die das Gesetz im Bereich des positiven Tuns an einen Begehungstäter richtet. Auch die Schwangere muss kein aktives Tun entfalten, um der tatbestandlichen Erwartung des § 218 Abs. 1 StGB zu genügen, sondern muss nur in einer Konfliktlage ausharren und darauf verzichten, sich aus ihr durch eine aktive Handlung zu befreien594. Zwei Beispiele sollen diesen Unterschied zwischen einer Handlungspflicht im unechten Unterlassensdelikt und der grundsätzlichen Erwartung, einer Konfliktlage passiv standzuhalten, im Folgenden noch einmal verdeutlichen. Zu diesem Zwecke sei zunächst ein Sachverhalt skizziert, innerhalb dessen die Täterin einer positiven Handlungspflicht unterworfen ist, deren Nichtverwirklichung den Vorwurf eines unechten Unterlassens nach sich zieht: Man stelle sich wiederum also den dreijährigen B vor, der allein in einem führerlosen, abgekoppelten Zugwaggon sitzt, während sich jener auf einen Abgrund hinzubewegt und bei ungebremster Fahrt in die Tiefe zu stürzen droht. Seine Mutter A befindet sich außerhalb des Zugwaggons, namentlich 593  In allen übrigen – nicht notstandsähnlichen – Konflikten erhält die Rechtsordnung das Verbot des § 218 Abs. 1 StGB aufrecht und bietet der Schwangeren durch den Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB nur die Möglichkeit, ihren konfliktbegründenden Zustand zwar rechtswidrig, aber straffrei zu beenden; dazu eingehend Kap. 6. 594  Anders v. Renesse, ZRP 1991, 321 (322), die die Schwangere gar in ihrer durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Würde gefährdet sieht, versteht man die andauernde Schwangerschaft – wie vorliegend vertreten – als ein zu erduldender statt (aktiv „zu machender“) Zustand.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

neben den Gleisen, und beobachtet das Geschehen. Wie A zutreffend erkennt, wäre es ihr möglich, auf den Waggon aufzuspringen und ihn noch vor Erreichen des Abgrundes durch das Betätigen einer Notbremse zum Stillstand zu bringen. Allerdings gefährdete sie damit ihr eigenes Leben wie auch ihre körperliche Unversehrtheit595. In dieser Konfliktlage erwartete man von der zur Obhut über den kleinen B verpflichteten Garantin grundsätzlich – d. h. vorbehaltlich etwaiger Zumutbarkeitserwägungen – einen aktiven Eingriff zur Rettung ihres Kindes. Erfüllt A diese tatbestandsmäßige Handlungspflicht nicht, sondern lässt den Waggon ungehindert in die Tiefe stürzen, woraufhin ihr Kind – wie vorausgesehen – zu Tode kommt, wird sie sich ob ihres Nichtstuns dem Vorwurf eines tatbestandsmäßigen unechten Unterlassens stellen müssen. Dem sei nun eine Abwandlung jenes Sachverhaltes gegenüber gestellt, innerhalb derer die Mutter keiner positiven Handlungspflicht zuwider handelt, wie sie ein unechtes Unterlassungsdelikt formuliert, sondern nur die Verletzung einer dem Begehungsdelikt eigenen Unterlassenspflicht in Frage steht: Nunmehr also stelle man sich den dreijährigen B vor, wie er nicht allein, sondern gemeinsam mit seiner Mutter A in dem führerlosen, abgekoppelten Zugwaggon sitzt, der sich auf den Abgrund hinzubewegt und letztlich halb über dem Abgrund zum Stillstand kommt. Wie A zutreffend erkennt, gefährden die unkoordinierten Bewegungen des unruhigen Kleinkindes das Gleichgewicht des Waggons, der daraufhin abzustürzen droht. Unterlässt B diese Bewegungen nicht, werden sie gemeinsam abstürzen und den Tod finden, wenigstens aber schwere Verletzungen davontragen. Nach vergeblichen Versuchen, B zu beruhigen oder auch nur festzuhalten, entschließt sich A, ihr Kind aus dem Waggon zu werfen und damit ihr eigenes Leben und ihre eigene Gesundheit zu retten. In jener Situation wird von A nicht erwartet, dass sie aktiv in den gefähr­ lichen Geschehensablauf eingreift. Stattdessen beschränkt sich die Rechtsordnung darauf, an sie die jedermann treffende Pflicht des „neminem laedere“ zu richten, und erwartet in der Folge nichts weiter, als dass sie ihrem Kind durch ihr positives Tun keinen Schaden zufügt, d. h., dass sie B nicht aus dem Waggon hinaus in den sicheren Tod wirft. Handelt sie dem zuwider, wird sich A gemäß § 212 Abs. 1 StGB nicht nur dem Vorwurf eines tatbestandsmäßigen Totschlags stellen müssen. Unter unveränderter (nicht durch ein Unterlassensmoment modifizierter) Anwendung des in § 34 S. 1 StGB normierten Proportionalitätsmaßstabes entzieht sich eine aktive Tötungshandlung auch der Rechtfertigung, vermag ihr eigenes Leben das Leben des Kindes doch unmöglich wesentlich zu überwiegen, sondern könnte allenfalls nach § 35 StGB entschuldigt sein. 595  Siehe dazu bereits oben Seite  517 f. [2. b)] zum unterlassungsspezifischen Verzicht auf einen gegenwärtigen Gefahrengrad.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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Vergleicht man hiermit nun die grundsätzliche Pflicht zum Austragen einer Schwangerschaft, so kommt man zu dem Ergebnis, dass diese Pflicht nicht mit derjenigen des ersten Sachverhalts verglichen werden kann, innerhalb derer man die tatbestandliche Erwartung formulierte, dass die Mutter A zur Rettung ihres Kindes B auf den entgleisten Waggon aufspränge, um seine abschüssige Fahrt noch vor dem Abgrund zum Stillstand zu bringen. Anders als A, die in dieser Situation erst noch auf den gefahrbegründenden Waggon aufspringen müsste, um ihrer positiven Handlungspflicht zu genügen, muss eine Schwangere kein aktives Tun entfalten, damit sie die von § 218 Abs. 1 StGB inkludierte Pflicht zum Austragen der Schwangerschaft erfüllt. Stattdessen befindet sie sich bereits im gefahrbegründenden Schwangerschaftsverlauf und wird durch die Formulierung einer Austragungspflicht nur dazu angehalten, in der dadurch geschaffenen Konfliktlage passiv auszuharren. Die Forderung, die an sie gestellt wird, ist so diejenige des zweiten statt ersten Sachverhalts, innerhalb dessen A sich bereits in dem gefahrbringenden Waggon befindet und nur davon Abstand nehmen soll, den B zu ihrer eigenen Rettung aus dem Waggon zu werfen. Zugleich ist damit aufgezeigt, wie die Ausführungen des BVerfG zu § 218 Abs. 1 StGB trügen, sofern sie von tatbestandlich normierten „Handlungspflichten“596 der Schwangeren gegenüber dem Ungeborenen sprechen: Denn keine besondere Verpflichtung zu einer aktiven Handlung, sondern nur die allgemeine Verpflichtung zu einer passiven Gefahrtragung erlegt das Strafgesetz der Schwangeren auf. Während das vorliegende Kapitel in seinem vorangegangenen Abschnitt mithin noch in Erwägung gezogen hat, dass § 218 Abs. 1 StGB ein rechtliches Fundament für die Obhutsgarantenstellung der Schwangeren gegenüber dem Ungeborenen formulierte597, muss dem nach dem vorstehend Erläuterten eine Absage erteilt werden. Das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs erschöpft sich entgegen den Ausführungen des BVerfG eben doch in der Pflicht der Frau, „den Rechtskreis eines anderen nicht zu verletzen“598. Wenn die Schwangere dem nur durch das Austragen der Schwangerschaft Genüge leisten kann, sieht sie sich nur mit der allgemeinen Pflicht konfrontiert, Konfliktlagen standzuhalten statt durch einen Eingriff in fremde Rechtsgüter zu beenden. Was § 218 Abs. 1 StGB insofern von anderen Begehungsdelikten noch unterscheidet, ist zugegebenermaßen der Umstand, dass die von ihm angesprochenen potenziellen Täterinnen ausnahmslos von einer Konfliktlage 596  Vgl. BVerfGE 88, 203 (256): „eine intensive, die Frau existentiell betreffende Pflicht zum Austragen und Gebären des Kindes […] und eine darüber hinausgehende Handlungs-, Sorge- und Einstandspflicht nach der Geburt“. Siehe dazu auch oben Seite  521 f. [a)]. 597  Siehe oben Seite  346 f. [Abschn.  2, B. I. 2.]. 598  BVerfGE 88, 203 (256); s. dazu auch oben Seite  521 f. [a)].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

betroffen sind: Die konfliktträchtige Schwangerschaft ist hier zum Tatbestandsmerkmal des § 218 Abs. 1 StGB erhoben worden599. Demgegenüber hat die Konfliktlage etwa keinen Eingang in den Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB, eines allgemeinen Tötungsdeliktes, gefunden, sodass ein Totschlag im Gegensatz zum Schwangerschaftsabbruch nicht immer auf einen (wie auch immer gearteten) Konflikt reagieren wird. So bildet die Pflicht zur Gefahrtragung in den Sachverhalten des § 212 Abs. 1 StGB mithin nur im Einzelfall – wenn der Totschlag zur Konfliktlösung begangen wird – die Kehrseite des allgemeinen Tötungsverbots. In den dem § 218 Abs. 1 StGB unterworfenen Sachverhalten hingegen ist sie eine notwendige Kehrseite des Abbruchsverbots. Einen sachlichen Grund, die Voraussetzungen an eine Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs in Relation zur in § 34 StGB normierten Rechtfertigung der allgemeinen Tötung zu erleichtern, bietet dies gleichwohl nicht: Denn eine gesetzgeberische Entscheidung des Inhalts, dass man sich Konfliktlagen nicht durch die Tötung eines Anderen entziehen darf, sieht sich dadurch, dass solche Konfliktlagen notwendigerweise statt nur ausnahmsweise auftreten, nicht in Frage gestellt. Tritt der zu regelnde Fall ein, beansprucht die gesetzliche Wertung Geltung, gleich wie oft sich solche Sachverhalte im Anwendungsbereich der jeweiligen Vorschrift auftun mögen. Abschließend kann mithin zusammengefasst werden, dass mit der Anerkennung einer „Pflicht zum Austragen der Schwangerschaft“ kein Element des Unterlassens in den Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB hineingetragen worden ist. In jener Pflicht manifestiert sich stattdessen nur die allgemeine Erwartung, Konfliktlagen standzuhalten und nicht durch einen Eingriff in fremde Rechtsgüter zu beenden. Dass sich die Täterin eines Schwangerschaftsabbruchs stets statt nur ausnahmsweise in einer solchen Konfliktlage befindet, mindert jene Erwartung nicht und weiß die Abweichungen des § 218a Abs. 2 StGB von § 34 S. 1 StGB – wenn der medizinisch-soziale Indikationentatbestand den rechtfertigenden Proportionalitätsmaßstab umkehrt und den rechtfertigenden Gefahrengrad vorverlegt – sachlich nicht zu begründen. 4. Conclusio

So also muss es scheitern, den (vorverlegten) Gefahrengrad und (umgekehrten) Proportionalitätsmaßstab des § 218a Abs. 2 StGB durch eine besondere Unterlassensnähe des Schwangerschaftsabbruchs erklären zu wollen. 599  § 218 Abs. 1 S. 1 StGB: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“; Hervorhebung nicht im Original.



Abschn. 3: Vorverlegung und Umkehrung

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Denn wiederum wäre so zwar ein Erklärungsansatz gefunden, der für die Umkehrung des in § 34 S. 1 StGB formulierten Proportionalitätsmaßstabes ebenso wie für die Vorverlegung des rechtfertigenden Gefahreneintritts eine sachliche Begründung offerierte. Diesbezüglich haben die vorangegangenen Ausführungen dargelegt, wie der Verzicht auf eine gegenwärtige Gefahr für die Rechtfertigung eines Unterlassungsdelikts wesenstypisch ist. Ebenso haben sie skizziert, wie sich in einem Proportionalitätsmaßstab, der sich e  contrario zu § 34 S. 1 StGB verhält, der abweichende Wesensgehalt des Unterlassungsdelikts widerzuspiegeln vermag, wenn der einem Handlungsgebot unterworfene Unterlassungstäter wertungsmäßig mehr dem einer Duldungspflicht unterworfenen Eingriffsadressaten entspricht. Wie schon die Anwendung der zum Defensivnotstand entwickelten Regeln, muss jedoch auch eine Anwendung solcher, an das Unterlassungsdelikt angepasster rechtfertigender Merkmale daran scheitern, dass der Anwendungsbereich des jeweiligen Erklärungsansatzes für den Abbruch einer Schwangerschaft nicht eröffnet ist. Denn insofern mag dem Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB zwar zunächst noch eine besondere Unterlassensnähe anmuten, wenn das Gebot des Austragens der Schwangerschaft die notwendige Kehrseite des in § 218 Abs. 1 StGB normierten Verbots einer Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens bildet. Ein zweiter Blick offenbart jedoch, wie einer Frau durch § 218 Abs. 1 StGB so nicht etwa ein positives Handlungsgebot auferlegt wird: Sie muss sich nicht aktiv in den gefahrbegründenden Zustand einer Schwangerschaft hineinbegeben, sondern befindet sich bereits in jenem Zustand und wird durch § 218 Abs. 1 StGB lediglich angehalten, die mit ihm einhergehenden Gefahren passiv zu erdulden. So aber manifestiert sich im Gebot des Austragens der Schwangerschaft nur die allgemeine – dem Tatbestand eines jeden Begehungsdelikts eigene – Pflicht, dass man Konfliktlagen standhalten möge und insbesondere nicht durch den Eingriff in fremde Rechtsgüter beenden soll. Zugleich büßt eine Anwendung besonderer, zum Unterlassungsdelikt entwickelter rechtfertigender Merkmale ihre sachliche Begründung ein, die vorliegend zunächst noch für eine besondere Unterlassensnähe des in § 218 Abs. 1 StGB normierten Straftatbestandes in Erwägung gezogen wurde: Ist es keine besondere Handlungspflicht, sondern nur das allgemeine Gebot des „neminem laedere“, das sich hier gegen die Schwangere richtet, besteht auch kein Anlass, die Rechtfertigung ihrer Tötungshandlung an das Unterlassungsdelikt anzunähern.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

C. Conclusio: Ein Zweiklang in der Offensive und fern des Unterlassens „Wir sind nur verantwortlich für das, was wir tun, und für das, was wir nicht tun“600 – wenn die Untersuchung einleitend jene Abwandlung des Molière’schen Zitats bemüht hat, um auf mögliche Einschränkungen der Verantwortung der schwangeren Täterin hinzuweisen601, so muss sie abschließend feststellen, dass jene Grenzen gegenüber der Schwangeren nicht wirksam werden. Dies gilt zunächst für die Regeln des Defensivnotstandes, deren Anwendung voraussetzte, dass der ungeborene Eingriffsadressat einen erheblichen Verursachungsbeitrag zu derjenigen Gefahrenlage geleistet hätte, die die Schwangere zum tatbestandsmäßigen Abbruch (d. h. zu seiner Tötung) erst motiviert. Es gilt ebenso für die Grundsätze des Unterlassungsdelikts, deren Einfluss auf die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs wenigstens eine besondere Unterlassensnähe der Tat und in der Folge ein reduziertes Unterlassensunrecht der Schwangeren voraussetzte. Denn insofern haben die vorangegangenen Ausführungen dargelegt, wie dem postnidativen ungeborenen Leben seine gefahrbegründende Existenz nicht vorgeworfen werden kann und die Schwangere an seiner statt einen überschießenden Zuständigkeitsanteil verwirklicht; sie haben ferner aufgezeigt, wie sich im Gebot zum Austragen der Schwangerschaft nur die allgemeine Duldungspflicht eines jeden Begehungstäters widerspiegelt und wie jenes Gebot mithin keinen Anlass bietet, ihr Verhaltensunrecht für reduziert zu befinden und ihre Rechtfertigung zu erleichtern. In der Offensive statt in der Defensive vollzieht sich die Tötung des Ungeborenen, ebenso fern des Unterlassens anstatt in seiner Nähe. Wenn der medizinisch-soziale Indikationentatbestand vom rechtfertigenden Gefahreneintritt und Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB gleichwohl abweicht, wird man dies so schließlich für persönlich statt sachlich begründet befinden müssen. Indem der Gesetzgeber für die Indikationenlage eines medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikts ein Recht der Schwangeren zur Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens normiert, konzentriert sich das Strafgesetz neuerlich ganz auf die Schwangere und ihre Belange als Täterin in einem notstandsähnlichen Konflikt anstatt auf das Ungeborene und seine Belange in der Position des Eingriffsadressaten. Sofern die Schwangerschaft das Leben der Frau gefährdet oder aber die 600  In Anlehnung an Molière: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun“; nachzulesen in Puntsch (Hrsg.), Hdb. Zitate, 427. 601  Siehe oben Seite  467 [B. vor I.].



Abschn. 4: Erste Rechtsgüterumkehrung

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Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes in sich birgt, muss der ungeborene Eingriffsadressat seine eigene Tötung erdulden – dies überdies ohne dass Umstände des Einzelfalls dieses Recht hinterfragen könnten, hat der Gesetzgeber doch die Abwägungsrelevanz aller sonstigen, nicht in § 218a Abs. 2 StGB abstrakt-generell vorweggenommen Umstände von der Entscheidung über die rechtfertigende Wirkung des medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonfliktes ausgenommen. Abschnitt 4

Abschließende Stellungnahme: Eine erste Rechtsgüterumkehrung – Die vertatbestandlichte Garantie der weiblichen Rechtsgüter – „Denn ein Recht zum Leben, Lump, Haben nur die etwas haben“. (Heinrich Heine602)

A. Das verlautbarte und tatsächliche Rechtsgüterverhältnis Im Ergebnis setzt sich der medizinisch-soziale Indikationentatbestand so in einen Widerspruch zu demjenigen Rechtsgüterverhältnis, für das Ratio und Systematik der Abtreibungsgesetzgebung vordergründig streiten und das die vorliegende Untersuchung im zweiten Abschnitt ihres vierten Kapitels vorläufig festgehalten hat. Demnach bildet das ungeborene Leben, soweit es lebt und in utero implantiert ist, das tatbestandliche Schutzgut des § 218 Abs. 1 StGB. Indem der Tatbestand den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafandrohung verbietet, sucht das Strafgesetz die Tötung des Ungeborenen zu verhindern und sein Leben nicht nur, aber regelmäßig vor der mit ihm symbiotisch verbundenen Mutter zu schützen603. Demgegenüber werden Gesundheit und Leben der Schwangeren zunächst augenscheinlich nur begleitend mitgeschützt, wenn das Gesetz unter Normierung eines Arztvorbehalts eine Durchführung des Abbruchs garantieren will, die sich de  lege artis durch einen Arzt vollzieht604, und gemäß § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StGB einen besonders schweren Fall des Schwangerschaftsabbruchs verwirklicht sieht, wenn der Täter „leichtfertig die Gefahr des Todes oder Weltlauf, in: Briegleb, Sämtliche Gedichte5, 618. dazu oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.]. 604  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  263 [Abschn.  2, B. I. 1.]. 602  Heine,

603  Siehe

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht“605. „[N]icht in Form eines selbstständigen Rechtsguts, sondern lediglich als Schutzreflex“606 sollen die Rechtsgüter der Frau so die nur sekundäre Wertschätzung des Strafgesetzes erfahren. Jenseits dieses nur „den Abbruch begleitenden“607 Bereichs aber bleibt dem Leben wie der Gesundheit der Schwangeren wenigstens ihre formale Anerkennung als selbstständig geschütztes Rechtsgut versagt. Dies ergibt sich nicht nur begriffsnotwendig daraus, dass das Gesetz in einem medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftskonflikt anderenfalls vor die unmögliche Aufgabe gestellt wäre, den Abbruch der Schwangerschaft einerseits zu verbieten – um das postnidative ungeborene Leben vor seiner Tötung zu bewahren –, andererseits zu gebieten – um Leben und Gesundheit der Schwangeren zu schützen, die durch die Schwangerschaft Schaden zu nehmen drohten. Jenseits dessen streitet gegen einen eigenständigen Schutz von Leben und Gesundheit der Schwangeren vor allem die Systematik der §§ 218 ff. StGB, wenn die besagten Rechtsgüter der Frau auf der Ebene der Rechtfertigung statt des Tatbestandes Erwähnung finden. Integriert in den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand, präsentieren sich Leben und Gesundheit der Schwangeren so als Teil eines Ausnahmetatbestandes, innerhalb dessen das primär geschützte Rechtsgut des postnidativen ungeborenen Lebens nur im Einzelfall zu weichen hat608. Insoweit – was die Systematik der Abtreibungsgesetzgebung betrifft – findet also dasjenige Rechtsgüterverhältnis seine Bestätigung, das die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG und – im Anschluss an sie – ein verfassungsrechtliches Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit erwarten lassen: ein Rechtsgüterverhältnis, in dem das am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhabende postnidative ungeborene Leben regelmäßig zu schützen ist und den Rechtsgütern der Schwangeren allenfalls ausnahmsweise auf den der Tatbestandsmäßigkeit nachfolgenden Wertungsebenen zu weichen hat609. Demgegenüber gibt die spezifische Fassung des medizinisch-sozialen Indikationentatbestands, durch welche sich dieser erheblich vom allgemeinen rechtfertigenden Notstand unterscheidet, Anlass zu der Einschätzung, dass das beschriebene Rechtsgüterverhältnis durch eine wertungswidersprüchliche Ausgestaltung und Anwendung in sein Gegenteil verkehrt worden ist. In diesem Zusammenhang hat der vorangegangene Abschnitt ausge605  Siehe

dazu oben Kap. 4, Seite  264 f. [Abschn.  2, B. I. 2.]. BesT / 136, Rn. 224; so bereits zitiert in Kap. 4, Seite  262 [Abschn.  2, B. vor I.]. 607  Zitat entnommen aus Kap. 4, Seite  267 [Abschn.  2, B. II.]. 608  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  267 [Abschn.  2, B. II.]. 609  So erstmals bereits festgestellt in Kap. 4, Seite  269 [Abschn.  2, D.]. 606  Wessels / Hettinger,



Abschn. 4: Erste Rechtsgüterumkehrung

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führt, wie § 218a Abs. 2 StGB ohne sachliche Begründung nicht nur den Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB umkehrt, sondern auch den Gefahrengrad vorverlegt. Sofern die Schwangerschaft das Leben der Frau gefährdet oder aber die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes in sich birgt, muss der ungeborene Eingriffs­ adressat demnach seine eigene Tötung erdulden610. Diese Duldungspflicht wird ihm überdies – wie Abschnitt 2 dargelegt hat – auferlegt, ohne dass Umstände des Einzelfalls dieses Recht hinterfragen könnten, hat der Gesetzgeber doch die Abwägungsrelevanz aller sonstigen, nicht in § 218a Abs. 2 StGB abstrakt-generell vorweggenommen Umstände von der Entscheidung über die rechtfertigende Wirkung des medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonfliktes ausgenommen und auch auf ein dem § 34 S. 2 StGB entsprechendes Regulativ seiner vorweggenommenen Abwägung verzichtet. Keine Garantenstellung, kein allgemeiner wie besonderer Gefahrverursachungsbeitrag der Schwangeren und auch nicht ihr „Übertritt auf die Seite des Unrechts“, den sie in Sachverhalten einer „Nötigungsindikation“ vollzieht, weiß an jener Entscheidung des Strafgesetzgebers zu rütteln. Während die fehlende Abwägungsrelevanz der ersten drei Umstände dabei noch einer sachlichen Begründung zugeführt werden kann – nämlich nur eine Entscheidung antizipiert, die richtigerweise auch unter Anwendung allgemeiner Grundsätze zu erwarten wäre –, transportiert die postulierte Unerheblichkeit einer „Nötigungsindikation“ erkennbar eine persönlich statt sachlich begründete Motivation des Gesetzgebers, den die Aushöhlung der Rechtsposition des ungeborenen Eingriffsadressaten augenscheinlich nicht zu bekümmern vermag611. Welchem der betroffenen Interessen im medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt der Vorrang gebührt, hat der Gesetzgeber dem Rechtsanwender damit bereits für alle denkbaren Fälle vorgegeben: stets dem Leben der Schwangeren, ja sogar stets derer körperlicher wie seelischer Gesundheit im Falle drohender schwerwiegender Beeinträchtigung. Die Funktion der Indikationen geht ob dieser abstrakt-generell entschiedenen Interessenabwägung weit darüber hinaus, die Kollision mit anderen Rechtsgütern nur einzelfallabhängig entscheiden zu wollen. Leben und Gesundheit der Schwangeren erfahren stattdessen einen quasi „vertatbestandlichten“ Schutz, wenn § 218 Abs. 2 StGB keine „Einbruchsstellen“ zur Berücksichtigung einzelfallabhängiger Umstände kennt. De facto werden sie so doch – versteckt auf der Rechtfertigungsebene – zu eigenständig geschützten Rechtsgütern erhoben, die dem Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens partiell (für den Anwendungsbereich der Indikation) sogar vorangestellt sind. 610  Zsfd. 611  Zsfd.

dazu oben Seite  530 [Abschn.  3, C.]. dazu oben Seite  436–442 [Abschn.  2, C.].

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

B. Ein vertatbestandlichtes Recht auf Abtreibung und seine Erscheinungsformen Mit dieser abstrakt-generell vertypten Rechtfertigung korrespondiert für den medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftskonflikt wenigstens in dem Sinne ein Recht der Frau auf Abtreibung, dass sie nicht ausnahmsweise, sondern regelmäßig vor dem Einschreiten eines Dritten geschützt wird. Zwar braucht die Frau, wenn sie den Schwangerschaftsabbruch zu verwirklichen sucht, keine Gegenwehr des postnidativen ungeborenen Lebens zu fürchten, das ihr in seiner symbiotischen Verbindung hilf- und wehrlos ausgeliefert ist und sein eigenes Leben mithin nicht zu verteidigen vermag. Anders aber stellte sich dies dann dar, wenn sich ein Dritter entschlösse, den drohenden Schwangerschaftsabbruch durch sein Eingreifen zu verhindern, und dem Embryo bzw. Fetus in der Folge Nothilfe612 oder – falls sich das Abbruchsansinnen der Schwangeren noch nicht zu einem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff i. S. d. § 32 S. 1 StGB verdichtet haben sollte  – „Notstandshilfe“613 leisten wollte. Vor jenem Eingreifen eines Dritten schützt das geltende Strafgesetz die Schwangere nun nicht nur, indem es in § 218a Abs. 2 StGB die Rechtswidrigkeit eines medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruchs negiert, sodass es für eine rechtmäßige Nothilfe an einem rechtswidrigen Angriff der Schwangeren614 und für eine rechtmäßige „Notstandshilfe“ an der Schutzwürdigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens mangelte, das nach dem Willen der Rechtsordnung die drohende Werteinbuße hinzunehmen hat615. Jenseits der Systematik, aber nach Ausgestaltung und Anwendung der §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 2 StGB verstärkt das Strafgesetz seinen Schutz (der Schwangeren, nicht des postnidativen ungeborenen Lebens) um ein weiteres, wenn es sein Unrechtsurteil über die Ungeborenentötung nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig zurücknimmt. Nicht ausnahmsweise nach einer nicht immer vorhersehbaren Abwägung von Einzelfallumständen ist der Abbruch im medizinisch-sozial begründeten Schwangerschaftskonflikt so gerechtfertigt. Stattdessen präsentiert er sich regelmäßig – quasi „vertatbestandlicht“ – als rechtmäßig, ohne 612  Zum Begriff der „Nothilfe“ i. S. d. § 32 Abs. 2 StGB, wenn der Verteidiger den Angriff nicht von sich selbst, sondern von „einem anderen“ abwehren will, s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 334. 613  Im Anschluss an den Begriff der „Nothilfe“ soll der Begriff einer „Notstandshilfe“ vorliegend die Hilfeleistung eines Dritten innerhalb des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes, § 34 StGB, umschreiben. Zu diesem Begriff s. erstmalig oben Seite  321 [Abschn.  1, B. II. vor 1.]. 614  Zum „rechtswidrigen“ Angriff i. S. d. § 32 S. 2 StGB s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 331. 615  Zur Schutzwürdigkeit als Vor. eines notstandsfähigen Rechtsgutes s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 302.



Abschn. 4: Erste Rechtsgüterumkehrung

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dass eine konkret-individuell offen gehaltene Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel dem einen zuweilen unvorhersehbaren Einwand entgegenzusetzen vermögen. Dem Normadressaten bleiben so kaum mehr Zweifel darüber belassen, ob die Ungeborenentötung zur Abwehr von Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefahren im Einzelfall vielleicht doch rechtswidrig sein könnte und sein Einschreiten forderte oder wenigstens rechtfertigte. Das Verbot einer diesbezüglichen Not- oder Notstandshilfe wird ihm weitaus deutlicher vor Augen geführt, als dies § 34 StGB für die Tötung eines geborenen Menschen unternimmt, wenn er mit seiner konkret-individuell offen formulierten Interessenabwägung und Angemessenheitsklausel Raum für Unvorhersehbares lässt. Soweit also garantiert das Zusammenspiel der §§ 218 Abs. 1 und 218a Abs. 2 StGB der Schwangeren ein Recht darauf, ihren medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruch ungestört von etwaigen Rettungsmaßnahmen Dritter durchführen zu lassen. Will man jenes „Recht auf ein Nichteinschreiten Dritter“ um ein Anspruchsrecht der Schwangeren ergänzt sehen, wird man letzteres freilich in den Grenzen lesen müssen, die ihm durch das in § 12 Abs. 1 SchKG verbürgte Recht des medizinischen Personals, die Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch zu verweigern, gesetzt sind616. Wo jene Grenzen verlaufen, darüber herrscht bis dato noch Un­ einigkeit. Der Wortlaut des § 12 Abs. 2 SchKG nimmt zunächst solche Schwangerschaftskonflikte vom grundsätzlichen Weigerungsrecht aus, in denen eine „anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung“ der Schwangeren besteht. Unstreitig können Ärzte und andere Personen, die im Rahmen ihrer regulären Berufstätigkeit mit der Abtreibung befasst sind, so die Mitwirkung an einem genuin medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch nicht verweigern und ist der Schwangeren für diesen Bereich ihr Anspruchsrecht gesetzlich zugesichert. Jenseits der genuin medizinischen Indikation jedoch trifft man auf unterschiedliche Beurteilungen, wie weit denn das Weigerungsrecht reichen soll: Merkel etwa sieht vom Wortlaut des § 12 Abs. 2 SchKG keine „seelischen“ Gefahren und „zukünftigen Lebensverhältnisse“ der Schwangeren erfasst, wie sie § 218a Abs. 2 StGB für die soziale Komponente der medizinisch-sozialen Indikation voraussetzt. Zur Mitwirkung am Abbruch verpflichten sollen nach seinem Dafürhalten so grundsätzlich nur solche Gesundheitsgefahren, die von unmittelbar physischer Natur sind617. Andere Kommentierungen verlangen zwar keine Gefährdung unmittelbar physischer Natur, legen § 12 616  Zum Weigerungsrecht nach § 12 SchKG s. etwa Büchner, ZfL 2008, 2; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (380–382). 617  Siehe dazu bereits oben Seite 403 [Abschn. 2, B. III. 2. vor a)] u. Merkel, in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 24, § 218a Rn. 165.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

Abs. 2 StGB allerdings in dem Sinne einschränkend aus, dass sie eine akute Gefährdung fordern und den „embryopathisch“ begründeten Abbruch im Regelfall von § 12 Abs. 2 SchKG ausnehmen618. Dem Anspruchsrecht der Schwangeren scheinen so – je nachdem wie man das Weigerungsrecht grundrechtlich verortet – durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Berufsausübungsfreiheit619, gegebenenfalls auch durch die Gewissensfreiheit620 des medizinischen Personals Grenzen gesetzt zu sein. Tatsächlich hat es gar Vorstöße gegeben, sich jene tatsächlichen Grenzen in der Diskussion um die Gestaltung der Abtreibungsgesetzgebung de lege ferenda zunutze zu machen; ein prominentes Beispiel bildete etwa das frühere Ansinnen (auch der früheren Bundesministerin der Justiz Däubler‑Gmelin), die Erscheinung des Spätabbruchs mithilfe des ärztlichen Standesrechts und des in § 12 Abs. 1 SchKG normierten Weigerungsrechts einzudämmen621: Denn würde die Bundesärztekammer Abtreibungsärzten in den einschlägigen Sachverhalten die fragliche Weigerung empfehlen oder gar entsprechende Maßstäbe in das ärztliche Standesrecht übernehmen, könnten Spätabbrüche nicht mehr unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB – welche die Wahrung des Arztvorbehalts einschließen – gerechtfertigt werden. Es wäre mithin der Ärzteschaft überlassen, den Spätabbruch durch ihr tatsächliches Verhalten zu regulieren, während der Gesetzgeber seiner Verantwortung enthoben würde. Als „mehr als erstaunlich“, „befremdlich“ und eine „Zumutung“ waren entsprechende Vorstöße nicht nur zu bewerten, weil sie den Ärzten den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben suchten, den allein der Gesetzgeber zu tragen hatte622. Mehr noch forderten sie dazu auf, die in § 13 Abs. 2 SchKG normierte Pflicht der Länder zu unterlaufen, „ein ausreichendes Angebot 618  Siehe dazu bereits oben Seite  403 [Abschn.  2, B. III. 2. vor a)] m. w. N. und weiteren Ansichten in Fn. 271. 619  Für eine diesbzgl. Eröffnung des Schutzbereichs des „durch das ärztliche Berufsbild geprägten Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG)“ s. BVerfGE 88, 203 (294). 620  Zu einer diesbzgl. Eröffnung des Schutzbereichs der Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG, vgl. Bauer, Gewissensschutz, 169 m. Fn. 690; Büchner, ZfL 2008, 2 (7 ff.); Dolderer, Spätabbruch, 232 f.; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 86; Kluth, in: Schmid-Tannwald / Overdick-Gulden, Vorgeburtliche Medizin, 137 (146 f.); ders., MedR 1996, 546 (550 m. Fn. 52). 621  Siehe dazu zsfd. Spieker, in: Büchner / Kaminski, Lebensschutz, 86 (103); Wiebe, ZfL 2008, 83 (85). 622  So Spieker, in: Büchner / Kaminski, Lebensschutz, 86 (103); vorstehende Zitate ebda. entnommen. Entsprechende Kritik, dass man versucht sei, „alle Verantwortung den Medizinern“ aufzubürden, und hiervon auch der Gesetzgeber nicht gefeit sei, äußerte bereits zum 15. StÄG v. 18.05.1976 Beulke, FamRZ 1976, 596 (601 f.): Überhöht sah er die ärztliche Verantwortung nicht erst durch eine bestimmte Erwartungshaltung an die Ausübung des ärztlichen Weigerungsrechts, sondern bereits durch die Normierung einer „sog. medizinischen Oberindikation“, die Formulierung der Gefah-



Abschn. 4: Erste Rechtsgüterumkehrung

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ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherzustellen. Zutreffend nämlich wird die Ausübung des in § 12 SchKG normierten Weigerungsrechts nicht so weit reichen dürfen, dass sie diese in § 13 Abs. 2 SchKG zur „Staatsaufgabe“623 erhobene Pflicht der Länder gefährdete624. In diesem Zusammenhang kann auf ein (rechtlich unverbindliches) Rechtsgutachten eines EU-Expertennetzwerks für Grundrechte vom 14.12.2005 „über die Vereinbarkeit von in Konkordaten enthaltenen Gewissensklauseln mit den Vorgaben des EU-Gemeinschaftsrechts und der Grundrechte“625 hingewiesen werden. Nach dessen Ergebnis gefährdet eine Klausel des Inhalts, dass jedermann das Recht habe, die Mitwirkung an bestimmten medizinischen Praktiken einschließlich der Abtreibung aus Gewissensgründen zu verweigern, ernsthaft „das Recht aller Frauen, gewisse medizinische Dienstleistungen oder Beratungen zu erhalten“626, und fördert eine Unterversorgung insbesondere ländlicher Bezirke mit den fraglichen medizinischen Dienstleistungen627. Um dem vorzusorgen, wäre ein mit der Abtreibung befasster Mediziner, soweit er aus Gewissensgründen seine Mitwirkung am begehrten Abbruch verweigerte, nach Ansicht des EU-Expertennetzwerks zu verpflichten, die Patientin an einen anderen, zur Durchführung der Abtreibung bereiten Arzt zu verweisen, der diese auch tatsächlich selbst in abgerenprognose „nach ärztlicher Erkenntnis“ und eine „allumfassend[e] Zuständigkeit der Ärzte im Beratungs- und Feststellungsverfahren“. 623  BVerfGE 88, 203 (328 u. 333). 624  Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen des BayVGH DVBl. 1990, 880 (881 f.), in denen es der Verwaltungsgerichtshof für rechtmäßig befand, dass die Stadt Nürnberg die Ausschreibung einer Chefarztstelle seinerzeit von der Bereitschaft zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen abhängig gemacht hatte: Zur Kompensation des ärztlichen Weigerungsrechts sei eine Mitwirkung des Staates und anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften – auch in Gestalt der auf abtreibungswillige Bewerber beschränkten Stellenausschreibung – geboten, um eine hinreichende Anzahl an Einrichtungen und Ärzten garantieren zu können, die die ärztliche Dienstleistung der Abtreibung offerieren; best. durch BVerwGE 89, 260; dazu Kluth, MedR 1996, 546 (548): „Das System als solches funktioniert jedoch nur, wenn sich genügend Ärzte, seien sie privat tätig oder beim Staat angestellt, zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen bereit erklären“; ferner Seibel, Probleme, 181 f. Siehe aber auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (381), dazu, dass auch eine bereits eingegangene vertragliche Verpflichtung zum Schwangerschaftsabbruch unter dem Vorbehalt des § 12 Abs. 1 SchKG stehe, sodass für den Fall einer anschließenden Weigerung zwar ggf. eine Schadensersatzpflicht wegen schuldhaften Vertragsschlusses, nicht aber wegen der Weigerung in Frage stehe. 625  Zit. v. Cornides, ZfL 2007, 2 m. Fn. 1. Zum Originaltext s. EU Network of Independent Experts on Fundamental Rights, Opinion 4 / 2005. 626  Zit. v. Cornides, ZfL 2007, 2. 627  Krit. Cornides, ZfL 2007, 2 (4).

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legenen Gebieten vornehmen kann628. Eine entsprechende Einschränkung wäre auch für § 12 SchKG zu erwarten, wenn ein jenseits des genuin medizinischen Schwangerschaftskonflikts ausgeübtes Weigerungsrecht das Recht der Schwangeren auf einen „eher sozial“, „embryopathisch“ begründeten Abbruch zu unterlaufen drohte. Angesichts dessen, dass das BVerfG das Weigerungsrecht des § 12 SchKG nicht durch die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), sondern durch die Berufsausübungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG) grundrechtlich garantiert sieht629, hätte sich eine entsprechende Einschränkung dabei noch nicht einmal einer Abwägung mit der vorbehaltlos garantierten Gewissensfreiheit zu stellen. Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit kann nach der durch das Apothekenurteil des BVerfG630 geprägten Stufentheorie stattdessen bereits dann gerechtfertigt sein, wenn „Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit“ den Eingriff verlangen, wozu sowohl der Schutz der Allgemeinheit vor drohenden Gefahren und Schäden als auch die Sicherung und Förderung des Berufsstandes zählen kann631. Noch weitgehender steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht unter der Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG, die bestimmt, dass es bereits durch die „verfassungsgemäße Ordnung“ eingeschränkt werden kann, d. h. durch jede Norm, die nur formell und materiell mit der Verfassung in Einklang steht632. In einer Rechtslandschaft, die die Abtreibungsgesetzgebung ungeachtet ihrer Wertungswidersprüchlichkeiten für verfassungsmäßig befindet, wüsste man denjenigen Eingriff in Berufsausübungsrecht wie allgemeines Persönlichkeitsrecht, der sich durch eine Einschränkung des in § 12 SchKG verbürgten Weigerungsrechts vollzöge, so unschwer unter Berufung auf eine Gefährdung des in den §§ 218 ff. StGB normierten Schutzkonzepts zu rechtfertigen. Selbst wenn man das Weigerungsrecht des § 12 SchKG aber auf die Gewis628  Siehe dazu erläuternd Cornides, ZfL 2007, 2 (9). Zu solch einem „Recht auf Abtreibung“ vgl. auch die entsprechenden Ausführungen des Europäischen Parlaments (EP) und der Parlamentarischen Versammlung (PV) des Europarats: so etwa die Entschließung des EP v. 04.09.2008 zu dem Thema Müttersterblichkeit im Vorfeld der hochrangigen Veranstaltung der Vereinten Nationen zur Überprüfung der Milleniums-Entwicklungsziele am 25.09.2008, abgedruckt in BR-Drs. 685 / 08; die Entschließung 1607 (2008) der PV betreff des Zugangs zu sicherer und legaler Abtreibung in Europa, abgedruckt in BT-Drs. 16 / 13167, 12. 629  BVerfGE 88, 203 (294): „Auch fällt das Recht, die Mitwirkung an Schwangerschaftsabbrüchen […] zu verweigern, in den Schutzbereich seines durch das ärztliche Berufsbild geprägten Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG)“. Krit. dazu Dolderer, Spätabbruch, 232 f.; Kluth, in: SchmidTannwald / Overdick-Gulden, Vorgeburtliche Medizin, 137 (147). 630  BVerfGE 7, 377. 631  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 925. 632  So seit dem Elfes-Urteil; BVerfGE 6, 32 (38 ff.); 80, 137 (153).



Abschn. 4: Erste Rechtsgüterumkehrung

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sensfreiheit zurückführte633, wäre es vor Einschränkungen nicht gefeit: Denn insofern garantiert Art. 4 Abs. 1 GG zwar die Gewissensfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht, in das nur durch kollidierendes Verfassungsrecht, d. h. durch andere Grundrechte oder Verfassungsgüter, verfassungsgemäß eingegriffen werden kann634; der (Mit‑)Schutz von Leben und Gesundheit der Schwangeren, die es etwa vor den Risiken eines illegalen Abbruchs zu bewahren gilt, wüsste aber auch insofern eine den Grundrechtseingriff rechtfertigende Wirkung zu entfalten635. Soweit das Gesetz in § 218a Abs. 2 StGB die Rechtmäßigkeit des medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruchs verbürgt, muss die Schwangere gemäß § 13 Abs. 2 SchKG auch die Bereitstellung einer solchen Einrichtung erwarten können, in der sie den für rechtmäßig erkannten Abbruch durch einen Arzt lege artis vornehmen lassen kann.

C. Conclusio „Denn ein Recht zum Leben, Lump, / Haben nur die etwas haben /  / “636 – was das Verhältnis der Schwangeren zu dem in ihr heranwachsenden, postnidativen ungeborenen Leben betrifft, kann schwerlich geleugnet werden, wie ihre Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG im strafgesetzlichen Lebensschutz eine höchst unterschiedliche Umsetzung findet. In diesem Zusammenhang beschränkt sich die strafgesetzliche Ungleichbehandlung des Fetus bzw. Embryos einerseits, der Schwangeren andererseits nicht etwa darauf, dass die Frau am allgemeinen Tötungsverbot der §§ 211 ff., 222 StGB, das postnidative ungeborene Leben hingegen nur am Verbot eines Abbruchs der Schwangerschaft nach § 218 Abs. 1 StGB partizipiert. Sie reicht bis auf die Rechtfertigungsebene, auf der die in den §§ 32, 34 StGB normierten allgemeinen Notwehr- und Notstandsregeln einerseits, der in § 218a Abs. 2 StGB normierte medizinischsoziale Indikationentatbestand andererseits höchst unterschiedlich festlegen, ob und in welchem Umfang ein menschliches Leben seine Tötung zu erdulden hat. Jedenfalls die Tötung einer an der Gefahrentstehung unbeteiligten Konfliktpartei kann keine Rechtfertigung nach § 34 StGB erfahren, sodass eine Lebensgefährdung also nach allgemeinen Grundsätzen hingenommen 633  Vgl. etwa BT-Drs. 7 / 1981, 18 f.; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (381 f.). 634  Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 576. 635  Dolderer, Spätabbruch, 233 m. Fn. 289; Kröger, in: Jähnke et al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 79; vgl. auch Bauer, Gewissensschutz, 169 m. Fn. 690; Kluth, MedR 1996, 546 (550 m. Fn. 52). 636  Heine, Weltlauf, in: Briegleb, Sämtliche Gedichte5, 618; Hervorhebung nicht im Original.

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Kap. 5: Medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB

und nicht durch den Eingriff in das Leben eines Anderen abgewendet werden darf. Demgegenüber erkennt § 218a Abs. 2 StGB die Tötung des – gleichermaßen an der Gefahrentstehung unbeteiligten – ungeborenen Eingriffsadressaten als rechtfertigungsfähig an und mutet es der schwangeren Täterin im Gegenzug nicht zu, eine Lebens- oder auch nur schwere Gesundheitsgefährdung zu ertragen: Ihr ist es gestattet, sich aus dem medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt durch eine aktive Tötungshandlung zu befreien. Ihr Recht auf Leben mündet im medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt so in ein Recht zur Tötung, während die Teilhabe am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG das postnidative ungeborene Leben nicht davor zu bewahren weiß, dass es in besagtem Schwangerschaftskonflikt seine Tötung zu erdulden hat und dass diesbezügliche Abwehrmaßnahmen Dritter als rechtswidrig ausscheiden. „Denn ein Recht zum Leben, Lump, / Haben nur die etwas haben /  / “637 – was ist es nun, das die Schwangere im medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt „hat“, das postnidative ungeborene Leben aber nicht, sodass das Leben der einen geschützt wird und gar in ein Recht zur Tötung mündet, das Leben des anderen aber zurückweichen muss und an seine Stelle eine Pflicht zur Duldung der eigenen Tötung tritt? Ein sachlicher Grund ist es nach den vorangegangenen Ausführungen nicht, den die Tötungshandlung der Schwangeren für sich beanspruchen kann. In Beantwortung dieser Fragestellung sieht man sich stattdessen in das vorangehende vierte Kapitel zurückgeführt, das einen persönlich begründeten, gemeinsamen Ursprung all jener Ungleichbehandlungen, die das Strafgesetz im Verhältnis des geborenen „Menschen“ zum ungeborenen Leben verwirklicht, zur abschließenden Feststellung hatte638: Vorbehaltlich den Sachverhalten der Perforation, innerhalb derer die Ratio des § 218a Abs. 2 StGB fortwirkt, gewinnt die strafgesetzliche Anerkennung als „Mensch“ auch auf der Rechtfertigungsebene an Gewicht. Der Schwangeren gewährt sie im medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt „wie von Zauberhand“639 – nämlich unbeeindruckt durch den Wertungswiderspruch, in den sie sich zur verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese setzt – ein Recht zur aktiven Tötung des an der Gefahrentstehung unbeteiligten postnidativen ungeborenen Eingriffsadressaten; dem Embryo bzw. Fetus legt sie im Gegenzug – gleichermaßen „zauberhaft“ – die Pflicht zur Duldung seiner aktiven Tötung auf. 637  Heine, Weltlauf, in: Briegleb, Sämtliche Gedichte5, 618; Hervorhebung nicht im Original. 638  Siehe dazu zsfd. oben Kap. 4, Seite  308 f. [Abschn.  3, C.]. 639  Vgl. oben Kap. 4, Seite  309 [Abschn.  3, C.] u. in Anlehnung an Hesse, Stufen, in: Michels, 197: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, / Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben /  / “; Hervorhebung nicht im Original.

Kapitel 6

Die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB – Das Etikett der Rechtswidrigkeit –

Mit den Unterschieden, die sich zwischen dem in § 34 StGB normierten, allgemeinen rechtfertigenden Notstand und dem in § 218a Abs. 2 StGB einer gesetzlichen Regelung zugeführten medizinisch-sozialen Indikationentatbestand auftun, ist das fünfte Kapitel einer solchen Ungleichbehandlung nachgegangen, die das Verhältnis zwischen dem geborenen Menschen und dem postnidativen ungeborenen Leben betrifft, nämlich sich in der Rechtfertigung einer Tötung diesseits und jenseits der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ offenbart. Das vorliegende sechste Kapitel geht nun inhaltlich einen Schritt weiter (in den betrachteten menschlichen Entwicklungsstadien hingegen einen Schritt zurück), wenn es sich mit der Vorschrift des § 218a Abs. 1 StGB einer solchen Ungleichbehandlung zuwendet, die sich pränatal zwischen verschiedenen Entwicklungsstadien des ungeborenen, in der Gebärmutterschleimhaut eingenisteten Lebens vollzieht. Auch innerhalb der vorgeburtlichen Entwicklung des postnidativen ungeborenen Lebens ist so die Frage aufgeworfen, ob und wie eine bestimmte Ungleichbehandlung in Einklang mit der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese gebracht werden kann, nach der menschliches individuelles Leben in all seinen vorgeburtlichen wie nachgeburtlichen Entwicklungsstadien zwar nicht gleichartig, aber gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhaben soll. Im Bemühen, diese Frage für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch zu beantworten, werden die folgenden Ausführungen in ihrem ersten Abschnitt neuerlich zunächst die – sich nunmehr in § 218a Abs. 1 StGB vollziehende – Ungleichbehandlung spezifizieren und sich in einem zweiten Schritt (und Abschnitt) sodann ihrer möglichen sachlichen Begründung zuwenden. So hat bereits die Tötung des mit der Schwangeren symbiotisch verbundenen Ungeborenen durch § 218a Abs. 2 StGB eine gesetzliche Rechtfertigung erfahren, die der Schwangeren in vergleichender Gegenüberstellung mit den Voraussetzungen des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) erheblich erleichtert ist. Trotz all dieser Erleichterungen bleibt jene Rechtfertigung aber immer noch an die Feststellung eines durch das Gesetz näher gekennzeichneten „notstandsähnlichen Konflikts“ gebunden, über dessen Vorliegen ein Dritter „nach ärztlicher Erkenntnis“ und unter

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

(gegebenenfalls eingeschränkter) gerichtlicher Kontrolle zu befinden hat. Für die frühen Stadien der Schwangerschaft, nämlich die ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis, befreit der Gesetzgeber die Schwangere nun auch von diesen im Vergleich zu § 34 StGB bereits reduzierten Bindungen, indem er den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs bereits dann als „nicht verwirklicht“ ansieht, wenn nur die in § 218a Abs. 1 StGB enumerativ angeführten (Verfahrens‑)Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: wenn also die Schwangere den nicht indizierten Abbruch „verlangt“, dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 S. 2 StGB nachweist, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen (§ 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB), und schließlich den Abbruch durch einen Arzt (§ 218a Abs. 1 Nr. 2 StGB) – nach herrschender Meinung überdies lege artis1 – innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis (§ 218a Abs. 1 Nr. 3 StGB) vornehmen lässt. Hingegen bedarf es der für einen Dritten –  Arzt wie Gericht – nachvollziehbaren Darlegung einer unzumutbaren Konfliktlage innerhalb des § 218a Abs. 1 StGB nicht; stattdessen entzieht sich die Ungeborenentötung einem möglichen Strafvorwurf, ohne dass das Gesetz auch nur nach ihren Beweggründen fragte. Die Voraussetzungen, an die die Straffreiheit des nicht indizierten Abbruchs geknüpft ist, unterliegen so ausnahmslos dem gewillkürten Verhalten einer Schwangeren, die sich zu seiner Durchführung entschlossen hat. Ihrem Abbruchswillen (verbalisiert in einem Abbruchsverlangen) erkennt das Gesetz eine Bedeutung zu, die – wie im ersten Abschnitt zu zeigen sein wird – diejenige der Einwilligung i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB bei Weitem übersteigt. Sicherlich muss es forthin die Rechtswidrigkeit eines solchen Abbruchs postulieren, dessen Täter keine Entlastung durch eine in staatlicher Verantwortung festgestellte, rechtfertigende Indikationenlage erfahren. Es ist jedoch bemerkenswert, dass das Gesetz jenes Postulat fortwährender Rechtswidrigkeit nicht etwa in einen Ausnahmetatbestand fasst, der den Rechtfertigungsgründen innerhalb des Deliktsaufbaus nachfolgt. Stattdessen formuliert es einen eigens für den nicht indizierten Abbruch entworfenen Ausnahmetatbestand, der gemeinhin die Bezeichnung als Tatbestandsausschluss erfährt und innerhalb des Deliktsaufbaus (nicht nur) seiner Begrifflichkeit nach in Verbindung zu der den Rechtfertigungsgründen vorangehenden Wertungsebene der Tatbestandsmäßigkeit tritt. 1  Stellv. für die h. M.: BGHSt 1, 329 (331); 2, 111 (115); 14, 1 (1 u. 2); Eser in Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 59; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 9; Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218a Rn. 26; Kröger, in: Jähnke et  al., LKStGB / 511, § 218a Rn. 19; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 31. Krit. Kühl, StGB27, § 218a Rn. 2a; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (311 f.); ders., in: Kindhäuser et al., NK-StGB / 24, § 218a Rn. 9; Satzger, Jura 2008, 424 (430); Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 55.



Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

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Wenn das vorliegende Kapitel in seinem zweiten Abschnitt sodann einen möglichen sachlichen Grund für jene Regelung eines Tatbestandsausschlusses erfragt, wird es zunächst zu konstatieren haben, dass man ihn in einer Anwendung allgemeiner Grundsätze nicht wird finden können. Mit dem in § 218a Abs. 1 StGB normierten Tatbestandsausschluss präsentiert das Gesetz für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch eine Rechtsfigur, die wortwörtlich „ihresgleichen sucht“ (und nicht findet), nämlich einzigartig ist2. Insofern ist es müßig, zu ihrer Begründung allgemeine Grundsätze bemühen zu wollen, wie vorliegende Untersuchung es im fünften Kapitel anlässlich der unterschiedlich normierten Rechtfertigung in den §§ 34, 218a Abs. 2 StGB noch unternommen hat. Was § 218a Abs. 1 StGB betrifft, gilt es stattdessen, einen legitimen Zweck zu erfragen, ob dessen sich der Gesetzgeber entschlossen haben könnte, von eben jenen allgemeinen Grundsätzen abzuweichen und den nicht indizierten Abbruch zum Gegenstand einer neuen, in anderweitigem Kontext gänzlich unbekannten Rechtsfigur zu erheben. Diesbezüglich wird die Untersuchung ein sog. Beratungsmodell referieren, das das postnidative ungeborene Leben in der Frühphase der Schwangerschaft effektiver als eine Strafe soll schützen können: Während der Gesetzgeber mit der postulierten Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs fortwährend ein diesbezügliches Unrechtsbewusstsein zu fördern gedenkt, soll der Frau durch die Normierung eines Tatbestandsausschlusses gleichzeitig Straffreiheit garantiert werden, ja mehr noch soll sich ein von ihr verlangter Abbruch „in einem geschützten Raum“ (etwa getragen von einem wirksamen ärztlichen Behandlungsvertrag und abgesichert durch Sozialhilfeleistungen wie Entgeltfortzahlung) vollziehen können. In der Vorstellung des Gesetzgebers sind es jene Aussichten, die eine den Abbruch erwägende Schwangere motivieren sollen, ein am Ungeborenenschutz ausgerichtetes Beratungsangebot anzunehmen und zu verinnerlichen. Ob das Beratungskonzept diese Schutzmechanismen tatsächlich gemäß der gesetzgeberischen Vorstellung zu verwirklichen weiß, wird das vorliegende Kapitel jedoch erst zu eruieren haben: Etwa gilt es zu hinterfragen, ob das Strafgesetz in seinem Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung tatsächlich das verlangte Bewusstsein von der fortwährenden Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs zu vermitteln vermag. Es gilt weiter zu hinterfragen, ob die Konfliktberatung nach den gesetzlichen Vorgaben wie auch in ihrer konkreten Ausgestaltung in der Beratungsrealität überhaupt darauf ausgerichtet ist, das ungeborene Leben zu schützen. Verneinte man nur eine jener Fragen, negierte man die der Geeignetheit eines Beratungskonzeptes vorangestellten Bedingungen. Die Tatbestandslösung des § 218a 2  So auch Seibel, Probleme, 19: „in ihrer systematischen Konstruktion ohne Vorbild in der Geschichte der Strafgesetzgebung“.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

Abs. 1 StGB ginge so des gewichtigen sachlichen Grundes verlustig, dessen sie nach Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG bedarf, um sich des Vorwurfs der Wertungswidersprüchlichkeit zu entziehen. Nur ergänzend gälte es dann noch die Frage nach der Angemessenheit eines (quantitativ formulierten) Beratungskonzeptes aufzuwerfen, das die Ungeborenentötung im jeweiligen Einzelfall der „Letztverantwortung“ der Schwangeren anheim stellt, um so (hoffentlich) eine Vielzahl anderer ungeborener Leben zu retten. Abschnitt 1

Ungleichbehandlung: Das tatbestandsausschließende Abbruchsverlangen – Eine Unerheblichkeitserklärung der Schwangeren – „Mein Bauch gehört mir“. (Alice Schwarzer3)

Bevor sich die Untersuchung dem Beratungskonzept – jenem möglichen sachlichen Grund für die in § 218a Abs. 1 StGB verwirklichte Ungleichbehandlung des frühen ungeborenen Lebens – zuwendet, soll die fragliche Ungleichbehandlung im ersten Abschnitt des vorliegenden Kapitels, wie angekündigt, zunächst aber noch näher charakterisiert werden. Dabei ist es nicht das Ziel der folgenden Ausführungen, über die – bis heute unklar gebliebene4 – dogmatische Natur des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Tatbestandsentschlusses zu entscheiden. Die folgenden Ausführungen werden sich vielmehr darauf beschränken, eine für das Untersuchungsinteresse maßgebliche Differenzierung zu treffen: Angesprochen ist die Differenzierung zwischen derjenigen dogmatischen Natur des Tatbestandausschlusses, die das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung verlautbart hat, und derjenigen, die sich dem unvoreingenommenen Leser des Strafgesetzes (positiv-generalpräventiv wirksam) präsentiert. So soll insbesondere die tatsächliche statt nur verlautbarte Bedeutung des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Abbruchsverlangens der Schwangeren herausge3  stern vom 06.06.1971; s. dazu Dederer, in: Menzel / Müller-Terpitz, Verfassungsrechtsprechung2, 262 (264); Stoessinger, Bundesrepublik, stern.de v. 22.11.2008. 4  Für eine Unvereinbarkeit mit den herkömmlichen Kategorien der Strafrechtsdogmatik s. etwa Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218a Rn. 6 f.; ders., in: Schumann, Konfliktlösungen, 19 (24); Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 236; vgl. auch Satzger, Jura 2008, 424 (426), der von einem „strafrechtsdogmatisch ebenso einmaligen wie fragwürdigen“ Tatbestandsausschluss spricht; weitere Nw. bei Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 2, u. Seibel, Probleme, 24 f. m. Fn. 77 u. 78.



Abschn. 1: Ungleichbehandlung

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kehrt werden, zu der mit dem in der Überschrift des vorliegenden Abschnitts verwendeten Begriff der „Unerheblichkeitserklärung“ bereits ein Hinweis gegeben worden ist.

A. Das zentrale Moment des § 218a Abs. 1 StGB Jenes Abbruchsverlangen soll auch an den Beginn der diesbezüglichen Überlegungen gestellt werden. Es wird – wie auch schon die Einwilligung in § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB – differenziert (zweigeteilt) betrachtet werden müssen: Denn ob der „janusköpfigen“ Natur des Schwangerschaftsabbruchs sind von der Entscheidung der Schwangeren über die Durchführung eines nicht indizierten Abbruchs wiederum nicht nur ihre eigenen Rechtsgüter, sondern auch die des Ungeborenen betroffen. I. Die Disposition der Schwangeren über ihre eigene körperliche Integrität Über ihre eigenen Rechtsgüter ist die Schwangere dispositionsbefugt und kann folglich selbstbestimmt auf deren Schutz verzichten, so wie auch andere Patienten anlässlich medizinischer Eingriffe in Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Integrität einwilligen5. Indem § 218a Abs. 1 StGB die Wirksamkeit jener Disposition von weiteren geschriebenen wie (nach herrschender Meinung auch) ungeschriebenen Merkmalen abhängig macht – namentlich von der ärztlichen Durchführung des Abbruchs (§ 218a Abs. 2 StGB) lege artis –, greift das Gesetz nur diejenigen Anforderungen auf, die Rechtsprechung und Rechtslehre an die Rechtfertigung bzw. den Ausschluss der Tatbestandsmäßigkeit eines ärztlichen Eingriffs formulieren: Nicht rechtswidrig (so die Rechtsprechung) bzw. nicht tatbestandsmäßig (so die überwiegende Rechtslehre) sei ein solcher Eingriff nur dann, wenn er nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt werde6. Die in § 218a Abs. 1 StGB ausdrücklich vorausgesetzte Konsultation eines Arztes wie auch die ungeschriebene Voraussetzung einer Durchführung des Abbruchs „lege artis“ folgen damit dem Umstand, dass die §§ 218 ff. StGB nach herrschender Meinung nicht nur das ungeborene Leben, sondern auch Gesundheit und Leben der abbruchwilligen Schwangeren schützen. Die Schwangere soll so vor den ihr Leben oder wenigstens ihre Gesundheit gefährdenden Folgen eines „Kurpfuschertums“ bewahrt werden, das bekanntermaßen einen hohen 5  Vgl.

dazu bereits oben Seite  317 [Kap. 5, Abschn.  1, B. I.]. (umstrittenen) Subsumtion ärztlicher Heilbehandlungsmaßnahmen unter den Tatbestand der Körperverletzungsdelikte s. zsfd. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 323 ff. 6  Zur

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

Risikofaktor darstellt, wenn Schwangerschaften jenseits der Legalität oder auch nur unter Verletzung medizinischer Sorgfaltsmaßstäbe abgebrochen werden7. II. Keine wirksame Disposition der Schwangeren über das ungeborene Leben Der „Januskopf“ des Schwangerschaftsabbruchs aber bedingt, dass die Entscheidung der Schwangeren über das Verlangen nach Durchführung eines nicht indizierten Abbruchs nicht nur ihre eigenen Rechtsgüter, sondern auch das höchstpersönliche Rechtsgut des ungeborenen Lebens betrifft, das nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhat und in der Folge durch die Strafrechtsordnung in den §§ 218 ff. StGB einen eigenständigen Lebensschutz erfährt. Während die Schwangere über ihre eigenen Rechtgüter disponieren kann, ist das Ungeborene trotz seiner symbiotischen Verbindung mit der Schwangeren nicht Gegenstand derer (freien) Disposi­ tion8. „Mein Bauch gehört mir“ hieß die Aktion der Journalistin Alice Schwarzer, die zum Selbstbekenntnis „Wir haben abgetrieben!“ von 374  Frauen in der gleichnamig betitelten Ausgabe des Magazins „stern“ vom 06.06.1971 führte und auf Abschaffung der Abtreibungsstrafbarkeit hinwirken wollte9. Unter (formaler) Verneinung dieser Dispositionsbefugnis haben sich die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG wie auch die ihnen folgende Strafgesetzgebung einer solchen Haltung entgegengesetzt: „Der Schwangerschaftsabbruch muss für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein […]. Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden“10. Damit mag ihr „Bauch“ zwar noch der jeweiligen Schwangeren „gehören“ – über das ungeborene Leben, das sich in ihrem Uterus eingenistet hat, ist sie jedoch nicht verfügungsberechtigt. 7  Vgl. dazu Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 59; Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218a Rn. 26; Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 19. 8  Vgl. dazu bereits oben Seite  317 f. [Kap. 5, Abschn.  1, B. I.]. 9  Stoessinger, Bundesrepublik, stern.de v. 22.11.2008; dazu auch Dederer, in: Menzel / Müller-Terpitz, Verfassungsrechtsprechung2, 262 (264); näher zu dieser Kampagne Gante, § 218 i. d. Diskussion, 125–127, u. aus erster Hand Schwarzer, So fing es an, 23 ff. 10  BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 4); in diesem Sinne auch a. a. O., 255, u. BVerfGE 39, 1 (44).



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III. Die missglückte Überwindung eines Mangels an Dispositionsbefugnis Diesen Mangel an Dispositionsbefugnis sucht das Strafgesetz nun zu überwinden, indem es in § 218a Abs. 1 StGB eine Mehrzahl negativer Merkmale formuliert, die – grammatikalisch durch ein „und“ verbunden – kumulativ verwirklicht sein müssen, damit die Vorschrift ihre „tatbestandsausschließende“ Wirkung entfaltet. Indem das Abbruchsverlangen der Schwangeren so nur in den Kontext mehrerer gleichzeitig zu erfüllender „tatbestandsausschließender“ Merkmale eingebettet wird, soll dessen Bedeutung relativiert und Vorsorge gegen den Eindruck getroffen werden, es wiese der Schwangeren die Befugnis zur Disposition über das ungeborene Leben zu. Betrachtet man die Art der Merkmale, die dem Abbruchsverlangen der Schwangeren in § 218a Abs. 1 StGB beigeordnet sind, muss jener Versuch jedoch als augenscheinlich unvollkommen bewertet werden. Denn neben besagtem Verlangen zählt § 218a Abs. 1 StGB nur solche Merkmale auf, deren Verwirklichung die abbruchswillige Schwangere ohne Weiteres wird herbeiführen können11: Sie muss dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 S. 2 StGB nachweisen, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen (§ 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB), und muss ferner den Abbruch durch einen Arzt (§ 218a Abs. 1 Nr. 2 StGB) innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis (§ 218a Abs. 1 Nr. 3 StGB) vornehmen lassen. Das verbindende Element dieser kumulativ „tatbestandsausschließenden“ Merkmale ist der Abbruchsentschluss der betroffenen Frau, der sich im jeweiligen Merkmal nur unterschiedlich konkretisiert: So bereitet die betroffene Frau die Entscheidung über einen etwaigen Abbruch vor, indem sie das Angebot einer Schwangerschaftskonfliktberatung wahrnimmt und so die Ausstellung der in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorausgesetzten Beratungsbescheinigung veranlasst. Hat sich hiernach ihr Entschluss verfestigt, die Schwangerschaft abbrechen zu lassen, und verlangt sie nach der Ungeborenentötung, legt ihr § 218a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB für die Umsetzung ihres Entschlusses Bindungen auf und verpflichtet sie, den Abbruch fristgemäß innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis von einem Arzt vornehmen zu lassen. Über die straflose Durchführung eines nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs entscheidet damit aber allein der Entschluss der abbruchwilligen Frau, soweit er sich nur im Sinne der Merkmale des § 218a Abs. 1 StGB konkretisiert. 11  Vgl. dazu auch Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 1, nach denen „die Voraussetzungen für die Nichtanwendung des § 218 nach § 218a Abs. 1 leicht zu erlangen sind“.

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IV. Conclusio und Ausblick Entgegen aller (unvollkommenen) Bemühungen des Strafgesetzes, diesen Eindruck zu vermeiden, bildet das Abbruchsverlangen der Schwangeren so das zentrale Moment des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Verfahrens und überantwortet die Rechtsordnung der potenziellen Täterin die Entscheidung darüber, ob ungeborenes Leben in der Frühphase der Schwangerschaft straflos getötet werden kann. Konzentriert sich der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB mithin auf das Abbruchsverlangen und misst der Schwangeren die Macht zu, über das in ihr wachsende ungeborene Leben zu disponieren, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, wie weit diese Macht reicht, nämlich auf welcher Wertungsstufe der Strafbarkeit das Abbruchsverlangen der Schwangeren einzuordnen ist: Vermag die potenzielle Täterin eines nicht indizierten Abbruchs nur darüber zu entscheiden, ob die Strafandrohung für ihr grundsätzlich inkriminiertes Verhalten zum Tragen kommt? Vermag sie gar ihre eigene Tat zu rechtfertigen? Oder vermag sie noch weitergehend bereits das tatbestandliche Unrechtsurteil aufzuheben, das § 218 Abs. 1 StGB für den Abbruch der Schwangerschaft formuliert? In Beantwortung jener Fragestellung werden die folgenden Ausführungen zwischen einer verlautbarten Platzierung des Abbruchsverlangens jenseits der (allgemeinen) Rechtswidrigkeit und seiner tatsächlich wirksamen Platzierung diesseits der Rechtswidrigkeit differenzieren.

B. Die verlautbarte Platzierung des Abbruchsverlangens jenseits der (allgemeinen) Rechtswidrigkeit In seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung hat das BVerfG den von ihm befürworteten Tatbestandsausschluss wie folgt eingeleitet: „§ 218 des Strafgesetzbuches in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes findet keine Anwendung, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle […] hat beraten lassen“12. Im Anschluss hieran formuliert § 218a Abs. 1 StGB, dass „der Tatbestand des § 218 […] nicht verwirklicht“13 ist, wenn die in § 218a Abs. 1 StGB enumerativ aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind. 12  BVerfGE 88, 203 (210 m. II.2. d. Entscheidungsformel); Hervorhebungen nicht im Original. 13  Hervorhebungen nicht im Original.



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Entgegen jener grammatikalischen Bezugnahme jedenfalls des Strafgesetzes auf die Wertungsebene der Tatbestandsmäßigkeit hat das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch verlautbaren lassen, dass es durch seine Anordnung eines Tatbestandsausschlusses nur die Strafandrohung für den nicht indizierten Abbruch entfallen lassen möchte: „Werden […] Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen aus dem Straftatbestand ausgeklammert, so bedeutet dies lediglich, daß sie nicht mit Strafe bedroht sind“14. Inwiefern seine weiteren Urteilsinhalte dieses dogmatische Verständnis näher erläutern, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. I. Sein Ursprung in der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Zunächst bildet – gleich den in § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB geregelten Schwangerschaftsabbruchsindikationen – das Kriterium einer Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens die Grundlage des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Tatbestandsausschlusses15. Im Rahmen der Regelung des indizierten Schwangerschaftsabbruchs will das BVerfG jenes Kriterium – im Anschluss an eine postulierte Unterlassensnähe des Schwangerschaftsabbruchs16 – auf der Ebene der Rechtswidrigkeit konkretisiert wissen, wo es die Gestalt der medizinisch-sozialen (§ 218a Abs. 2 StGB) wie auch kriminologischen (§ 218a Abs. 3 StGB) Indikation annimmt. Ebenda – auf der Ebene der Rechtswidrigkeit – begegnete es dem Adressaten des Strafgesetzbuches in der Fassung des 15. StÄG vom 18.05.1976 auch noch in einer allgemeinen Notlagenindikation (§ 218a Abs. 2 Nr. 3 StGB a. F.)17, für deren Verfassungsmäßigkeit das BVerfG einen so schweren „sozialen oder psychisch-personalen Konflikt“ voraussetzte, „daß – unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit betrachtet – die Kongruenz mit den anderen Indika­ tionsfällen gewahrt bleibt“18. In diesem Sinne gibt auch § 219 Abs. 1 S. 3 StGB für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch zu erkennen, dass seine Durchführung „nach der Rechtsordnung […] nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen 14  BVerfGE

88, 203 (274). dazu § 219 Abs. 1 S. 3 StGB im Anschluss an BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3.[1] d. Entscheidungsformel) und – zur Unzumutbarkeit auch jenseits der medizinischen Indikation – BVerfGE 88, 203 (257). 16  Zur tatbestandlichen Vertypung einer notstandsähnlichen Duldungspflicht in § 218 Abs. 1 StGB und Diskussion einer besonderen „Unterlassensnähe“ s. oben Kap. 5, Seite  519–528 [Abschn.  3, B. II. 3.]. 17  BGBl. I, Nr. 56 v. 21.05.1976, 1213 (1214). 18  BVerfGE 88, 203 (257); ähnl. BVerfGE 39, 1 (50); s. dazu auch Eser, in: ders. / Hirsch, Schwangerschaftsabbruch, 150 (160 f.). 15  Siehe

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kann“, nämlich dann, „wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt“. Noch deutlicher hat die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG ein Bewusstsein der Frau darüber eingefordert, dass jene Belastung „vergleichbar den Fällen des § 218a Abs. 2 und Abs. 3 des Strafgesetzbuches“ sein muss19. II. Das Verbot seiner rechtfertigenden Wirkung In Anlehnung an die Schwangerschaftsabbruchsindikationen des § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB könnte man mithin auch für den beratenen Abbruch zunächst erwarten, dass sich eine Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens rechtfertigend auswirken sollte. Eine solche Erwartung wird auch durch die systematische Stellung des Tatbestandsausschlusses unterstützt, den der Gesetzgeber in einem vom Grundtatbestand verschiedenen Paragraphen normiert, namentlich den rechtfertigenden Indikationen im ersten Absatz des § 218a StGB vorangestellt hat. Hinzu tritt, dass § 218 Abs. 1 und § 218a Abs. 1 StGB auch grammatikalisch in ein Regel-Ausnahme-Verhältnis eingegliedert sind, wobei der Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB den Normalfall des Schwangerschaftsabbruchs als prinzipiell durch das Gesetz missbilligt formuliert, während § 218a Abs. 1 StGB Fälle einer ausnahmsweisen Straffreiheit regeln soll20. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis entspricht dem, in dem Tatbestand und Rechtfertigungsgrund zueinander stehen. 1. Die Formulierung einer „Selbstindikation“

Angesichts dessen, dass § 218a Abs. 1 StGB aber darauf verzichtet, den subjektiv empfundenen Konflikt der Schwangeren in staatlicher Verantwortung überprüfen zu lassen, kann für den nicht indizierten Abbruch – anders als für den indizierten Abbruch – eine solche Rechtfertigung wegen der Unzumutbarkeit des Austragens der Schwangerschaft nicht in Frage stehen. Rechtfertigende Wirkung nämlich soll ein Ausnahmezustand „nach unverzichtbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen“ nur dann entfalten können, „wenn das Vorliegen seiner Voraussetzungen unter staatlicher Verantwortung festgestellt werden muß“21, „sei es durch die Gerichte, sei es durch Dritte, 19  BVerfGE

88, 203 (210 m. II.3. [1] d. Entscheidungsformel). grammatikalischen und systematischen Formulierung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses in den §§ 218, 218a Abs. 1 StGB s. auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (309); ebenso weist Koch, Bay. Sonderweg, 80, auf die systematische Nähe von Tatbestandsausschluss und Indikationen hin. 21  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (205 m. LS 15); ähnl. a. a. O., 274. 20  Zur



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denen der Staat kraft ihrer besonderen Pflichtenstellung vertrauen darf und deren Entscheidung nicht jeder staatlichen Überprüfung entzogen ist“22. Soll ein Schwangerschaftsabbruch hingegen ohne solche Feststellung nicht nach der Indikationenregelung des § 218a Abs. 2, Abs. 3 StGB, sondern nach der Beratungsregelung des § 218a Abs. 1 StGB vorgenommen werden, dürfe er nicht „für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig)“ erklärt werden23. Anderenfalls würde die Rechtsordnung eine „Selbstindikation“ zulassen, indem „die an dem Konflikt existenziell beteiligten Frauen selbst mit rechtlicher Erheblichkeit feststellten, ob eine Lage gegeben ist, bei der das Austragen des Kindes unzumutbar ist und deshalb der Abbruch der Schwangerschaft auch von Verfassung wegen erlaubt sein kann. Die Frauen würden dann in eigener Sache über Recht oder Unrecht befinden“24. Rechtlicher Schutz aber bedinge, „daß das Recht selbst Umfang und Grenzen zulässigen Einwirkens des einen auf den anderen normativ festlegt und nicht dem Belieben eines der Beteiligten überläßt“25. An dieser Stelle wird ein weiteres Mal offenbar, dass sich die Rechtsfigur des § 218a Abs. 1 StGB auf das Abbruchsverlangen der Schwangeren konzentriert26: Es ist dessen zentrale Bedeutung, ob derer das Gericht eine so weitreichende Definitionsmacht der Schwangeren befürchten muss, dass es sich angehalten sieht, ihr die Rechtfertigung des  nicht indizierten Abbruchs zu versagen. Nicht „unter staatlicher Verantwortung“27 würde festgestellt, „ob eine Lage gegeben ist, bei der das Austragen des Kindes unzumutbar ist und deshalb der Abbruch der Schwangerschaft auch von Verfassungs wegen erlaubt sein kann“28, sondern „die an dem Konflikt existenziell beteiligten Frauen“29 entschieden dies in eigener Verantwortung. Keines der dem Abbruchsverlangen in § 218a Abs. 1 StGB beigeordneten Merkmale weiß dies zu unterbinden. Auch eine Annahme des Inhalts, dass nach Wahrnehmung der in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB normierten Beratung nur noch diejenige Frau ihre Schwangerschaft abbräche, die sich in einem unzumutbaren und mithin notstandsähnlichen Konflikt befindet, könnte über die Anerkennung einer solchen „Selbstindikation“, in der allein das Abbruchsverlangen der Frau über Recht und Unrecht des beratenen Abbruchs entscheidet, nicht hinwegtrösten. Denn eine solche Annahme würde – wie das BVerfG selbst ausge22  BVerfGE

88, 203 (274). dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (270); s. dazu ferner a. a. O., 204 f. m. LS 15, 261 f. u. 274. 24  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (275). 25  BVerfGE 88, 203 (255). 26  Siehe dazu bereits oben Seite  547 [A. III.]. 27  BVerfGE 88, 203 (205 m. LS 15). 28  BVerfGE 88, 203 (275). 29  BVerfGE 88, 203 (275). 23  Siehe

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führt hat – „die Lebenswirklichkeit verkennen, in der Männer wie Frauen vielfach ihre eigenen Lebensvorstellungen überbewerten und diese auch dann nicht zurückzustellen bereit sind, wenn es bei objektivem Nachvollziehen ihrer individuellen Lebenssituation zumutbar erscheint“30. Eine „Selbstindikation“ lässt der Rechtsstaat mithin aus wohl überlegten Gründen nicht zu: Anderenfalls würde der subjektivierten Einschätzung der betroffenen Frau und potenziellen Täterin eines Schwangerschaftsabbruchs die Entscheidung überantwortet, ob diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, die ihr nach der Rechtsordnung die Tötung des Ungeborenen erlauben31. 2. Keine Begründung nach den Grundsätzen zur aufgedrängten Nothilfe

Damit scheidet es auch von vornherein aus, das in § 218a Abs. 1 StGB normierte Abbruchsverlangen nach den Grundsätzen zur aufgedrängten Nothilfe sachlich zu begründen, wie es die vorliegende Untersuchung noch für die in den Absätzen 2 und 3 des § 218a StGB normierte Einwilligung der Schwangeren unternommen hat32. Nach den Grundsätzen zur aufgedrängten Nothilfe handelt auch derjenige Dritte rechtswidrig, der einen Anderen aus einer grundsätzlich rechtfertigenden Angriffs- oder Notstandssituation befreien möchte, solange er nur ohne die (mutmaßliche) Einwilligung des Angegriffenen oder von der Notstandslage Betroffenen tätig wird. Sichergestellt werden soll so, dass dem von einer Angriffs- bzw. Notstandssituation Betroffenen keine Hilfe aufgedrängt wird, die seinem erklärten oder mutmaßlichen Willen zuwiderläuft33. Demgegenüber mangelt es innerhalb des Anwendungsbereichs des § 218a Abs. 1 StGB bereits an einer objektiv erkennbaren Angriffs- oder Notstandssituation, die eine unerbetene „Konflikthilfe“ von Seiten Dritter rechtfertigen könnte. Diesbezüglich setzen BVerfG wie Strafgesetzgeber zwar auch für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 1 StGB voraus, dass er grundsätzlich nur zur Lösung solcher Konfliktlagen erfolgen 30  BVerfGE 88, 203 (267 u. ähnl. 277). Zur Zumutbarkeit solcher Umstände, „die im Rahmen der Normalsituation einer Schwangerschaft verbleiben“, s. etwa BVerfGE 88, 203 (257). 31  Demgegenüber will Zschiegner in Anknüpfung an Hassemer in § 218a Abs. 1 StGB zwar keine materielle, aber eine formelle (gleich prozedurale) Rechtfertigung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs verwirklicht sehen; s. dazu Hassemer, in: Däubler-Gmelin et  al., FS-Mahrenholz, 731 (734 f. u. 750 f.); Seibel, Probleme, 229, m. Kritik a. a. O., 232 f.; Zschiegner, Fristenlösung, 218–228 u. 240 f. 32  Siehe dazu oben Kap. 5, Seite  320–328 [Abschn.  1, B. II.] u. Seite  328 [Abschn.  1, B. III.]. 33  Siehe dazu oben Kap. 5, Seite  320–328 [Abschn.  1, B. II.] u. Seite  328 [Abschn.  1, B. III.].



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soll, die in ihrer Schwere den Indikationenlagen des § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB entsprechen, mithin ihrerseits also einem „notstandsähnlichen Konflikt“ entspringen34. Nur grundsätzlich können sie dies aber voraussetzen, als die Feststellung einer Konfliktlage in § 218a Abs. 1 StGB keiner staatlichen Überprüfung überstellt ist, sondern der subjektiven Einschätzung der Schwangeren überlassen wird. Innerhalb des Anwendungsbereichs des § 218a Abs. 1 StGB definiert so erst das erklärte Abbruchsverlangen der Schwangeren einen Schwangerschaftskonflikt, aus dem die betroffene Frau von ihrem behandelnden Arzt befreit werden möchte. Damit aber entfällt von vornherein die – durch eine entsprechende Anwendung der Grundsätze zur aufgedrängten Nothilfe abzuwendende – Möglichkeit, dass ihr ein Dritter rechtmäßig eine Gefahrenabwehr aufdrängen könnte: Handelte ein solcher Dritter nämlich ohne ihre Zustimmung, würde er bereits nicht zur Abwehr einer Gefahrenlage tätig, die schließlich erst durch das Abbruchsverlangen der Schwangeren definiert wird. III. Der verlautbarte Ausschluss von der Strafandrohung An sein in diesem Sinne eindeutiges Rechtswidrigkeitsurteil über die nicht indizierte Tötung ungeborenen Lebens schließt das BVerfG an, wenn es ausführt, dass seine Anordnung eines Tatbestandsausschlusses nur die Strafandrohung für den nicht indizierten Abbruch tangieren soll: „Werden […] Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen aus dem Straftatbestand ausgeklammert, so bedeutet dies lediglich, daß sie nicht mit Strafe bedroht sind“35. Das durch die Verwirklichung des Grundtatbestands des § 218 Abs. 1 StGB indizierte Rechtswidrigkeitsurteil soll unangetastet bleiben, was das BVerfG innerhalb seiner Anordnung nach § 35 BVerfGG durch einen dem Tatbestandsausschluss nachfolgenden Satz zu verdeut­lichen sucht: „Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs bleibt auch in diesen Fällen unberührt“36. Wie es nun aber soll bewerkstelligt werden können, dass die Anordnung eines Tatbestandsausschlusses nur die Strafandrohung für den nicht indizierten Abbruch und nicht das Urteil über seine Rechtswidrigkeit tangiert, darüber herrscht Uneinigkeit. Hierzu ist einerseits vertreten worden, dass der Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB dem Gericht nur als „Erkenntnishilfe“37 statt notwendige Bedingung seines Rechtswidrigkeitsurteils dient. So soll das 34  Vgl. § 219 Abs. 1 S. 3 StGB u. BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. d. Entscheidungsformel). 35  BVerfGE 88, 203 (274). 36  BVerfGE 88, 203 (210 m. II.2. d. Entscheidungsformel). 37  Schulz, StV 1994, 38 (45).

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Gericht in einem ersten Schritt den Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB bejahen und aus dessen Verwirklichung auf ein grundsätzliches Unrecht – die Rechtswidrigkeit – des nicht indizierten Abbruchs schlussfolgern können. Weil ihm der Grundtatbestand aber nur als Erkenntnishilfe dient, soll es in einem zweiten Schritt das tatbestandliche Unrechtsurteil durch den Tatbestandsauschluss wieder negieren können, ohne dass hierdurch die bereits indizierte Rechtswidrigkeit in Frage gestellt werden müsse38. Anders könnte man jene Ausführungen des BVerfG in Anlehnung an Günther zu konkretisieren versuchen, der von der allgemeinen Rechtswidrigkeit eine nachfolgende „Strafrechtswidrigkeit“ unterschieden wissen will39, innerhalb derer sog. Strafunrechtsausschließungsgründe ein Verhalten seiner strafrechtlichen Missbilligung, nicht aber dem Urteil über seine allgemeine Rechtswidrigkeit entziehen sollen40. Mit dem Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB, der gemäß der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung an der Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs nicht rühren will, entfiele demnach nicht etwa eine dem Rechtswidrigkeitsurteil vorangestellte tatbestandliche „Erkenntnishilfe“, sondern erst der Befund eines spezifischen strafwürdigen Unrechts auf einer der allgemeinen Rechtswidrigkeit nachfolgenden Wertungsebene. Davon unberührt bliebe die allgemeine Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs, die statt durch Strafe aber auch durch die Gesamtrechtsordnung zum Ausdruck gebracht werden könnte. Ob man in diesem Sinne durch die verfassungsgerichtliche Tatbestandslösung nun aber eine tatbestandliche „Erkenntnishilfe“ oder eine Strafrechtswidrigkeit tangiert sieht, in jedem Falle gilt, wie das BVerfG selbst anerkennt, dass das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs „im Umfang des Tatbestandsausschlusses nicht mehr in einer Strafbestimmung enthalten ist“41. Weil das Strafgesetzbuch mithin die Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs nicht hinreichend deutlich herauszukehren vermag, soll in eben jene Lücke nun die Gesamtrechtsordnung springen und dessen Rechtswidrigkeit „an anderer Stelle der Rechtsordnung in geeigneter Weise zum Ausdruck“ bringen42. So lehnt das BVerfG 38  Siehe dazu Schulz, StV 1994, 38 (44 f.); vgl. auch Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218a Rn. 11; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (351). 39  Siehe dazu Günther, Strafrechtswidrigkeit, 100 f. u. 178. 40  Siehe dazu Günther, Strafrechtswidrigkeit, 178, 247 u. 255 f.; in Anw. auf die Schwangerschaftsabbruchsindikationen nach der früheren Indikationenlösung ders., a. a. O., 314–322. Siehe dazu auch Barthel, (Un‑)Zumutbarkeit, 216; krit. Belling, Rechtfertigungsthese, 95 f.; Hirsch, in: ders., Probleme, 529 (537 f.). 41  BVerfGE 88, 203 (279). 42  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (279, ähnl. 258). Zur positiv-generalpräventiven Zielsetzung nicht nur des Strafgesetzes, sondern auch der Gesamtrechtsordnung s. bereits oben Kap. 2, Seite  126 f. [Abschn.  2, A. II.].



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eine rechtfertigende „Selbstindikation“ nicht nur aus rechtsstaatlichen Gründen so vehement ab, weil anderenfalls der potenziellen Täterin die Entscheidung über Recht und Unrecht überantwortet würde43, sondern will auch eine befürchtete „Durchschlagskraft“44 der strafgesetzlichen Rechtfertigung vermeiden: Denn wenn „das Strafrecht einen Rechtfertigungsgrund vorsieht, muß das im allgemeinen Rechtsbewußtsein so verstanden werden, als sei das im Rechtfertigungstatbestand bezeichnete Verhalten erlaubt. Auch die Rechtsordnung im übrigen [sic] würde bei den jeweiligen Regelungen über Recht und Unrecht in ihren Teilbereichen davon ausgehen, daß der Schutz für dieses Leben durch die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe aufgehoben sei“45. Nach dem Willen des BVerfG, das die fehlende Strafandrohung für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch durch ein Unrechtsurteil der Gesamtrechtsordnung kompensiert wissen will, dürfen sich die anderen Teilbereiche der Rechtsordnung aber gerade nicht verpflichtet sehen, die Wertung eines strafrechtlichen Rechtfertigungsgrunds in ihren jeweiligen Regelungen zum Ausdruck zu bringen, um so einer angestrebten „Einheit der Rechtsordnung“ zu genügen46. Im Gegenteil sollen gerade sie diejenige Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs transportieren, die das Strafgesetzbuch infolge seines Tatbestandsausschlusses nicht mehr wiederzugeben vermag, und sollen so Vorsorge gegen ein allgemeines Rechtsbewusstsein treffen, in dem sich der Eindruck von einer Rechtmäßigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs zu verankern drohte. Nur so bliebe die positiv-generalpräventive Zielsetzung einer Rechtsordnung gewahrt, die „das verfassungsrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs bestätigen und verdeutlichen“47 soll. Die Normierung eines Tatbestandsausschlusses anstatt eines Rechtfertigungsgrundes soll einem solchen Unrechtsurteil der Gesamtrechtsordnung nun den Weg ebnen: „Eine Entscheidung des Gesetzgebers darüber, ob der Schwangerschaftsabbruch in anderen Teilen der Rechtsordnung als rechtmäßig oder rechtswidrig anzusehen und zu behandeln ist, bleibt damit offen 43  Siehe

dazu oben Seite  550 f. [II. 1.]. 88, 203 (273). 45  BVerfGE 88, 203 (273). Zu einer Forderung nach einheitlicher Beurteilung der Rechtswidrigkeit vgl. auch Felix, Einheit, 159; vgl. ferner die entsprechende Einschätzung von Günther, Strafrechtswidrigkeit, 100, für das allgemeine Rechtswidrigkeitsurteil (nicht jedoch für ein rechtsgebietsspezifisches Urteil der Strafrechtswidrigkeit; ebda., 101). 46  Siehe dazu BVerfGE 88, 203 (273 f. u. 279); vgl. BVerfGE 39, 1 (44 u. 46). Krit. zu einer „Durchschlagskraft“ strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe Felix, Einheit, 290 f. 47  BVerfGE 88, 203 (273); zu einer möglichen Gefährdung generalpräventiver Zielsetzungen durch einen Strafverzicht s. etwa Dölling, ZStW 1990, 1 (16). 44  BVerfGE

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

[…]. In anderen Bereichen der Rechtsordnung können dann eigenständige Regelungen getroffen werden, die dort den Schwangerschaftsabbruch als rechtswidrig zugrunde legen“48.

C. Die tatsächlich wirksame Platzierung des Abbruchsverlangens diesseits der Rechtswidrigkeit Gleich ob man durch einen Tatbestandsausschluss, wie er in § 218a Abs. 1 StGB normiert worden ist, nun quasi „nachträglich“ das generelle Unrechtsurteil des § 218 Abs. 1 StGB oder eine sog. Strafrechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs negiert sieht, stimmen die bis dato dargestellten Positionen darin überein, dass durch den Tatbestandsausschluss jedenfalls die allgemeine Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs nicht in Frage gestellt werden soll. Ein Urteil über die allgemeine Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs müsste insofern – unter Ausklammerung des § 218a Abs. 1 StGB – an die abstrakte Typisierung des Abbruchsunrechts in § 218 Abs. 1 StGB anknüpfen49. Jedenfalls nach grammatikalischer Auslegung ergibt sich die Reichweite des strafrechtlichen Verbots aber nicht bereits aus dem Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB, sondern lässt sich erst unter Hinzuziehung des § 218a Abs. 1 StGB erfassen. Mit der Vorschrift des § 218a Abs. 1 StGB hat ein Tatbestandsausschluss Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden, den der Strafgesetzgeber mit den Worten einleitet: „Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn […]“50. Im Vergleich mit der verfassungsgericht­ lichen Anordnung nach § 35 BVerfGG, die noch davon sprach, dass „§ 218 des Strafgesetzbuches in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes […] keine Anwendung [findet]“51, hat der Strafgesetzgeber die Grammatik des Tatbestandsausschlusses damit weiter verschärft. Ein Leser des Strafgesetzes, der den Gesetzgeber „beim Wort“ nimmt, wird § 218a Abs. 1 StGB in diesem Sinne unweigerlich grammatikalisch so auslegen, dass jene Sonderregelung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs der Ebene des Tatbestandes zuzuordnen ist: einer Wertungsstufe, die dies48  BVerfGE

88, 203 (274). in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218a Rn. 11; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (351). Krit. zur Konstruktion eines „tatbestandslosen, aber rechtswidrigen“ Handelns und zur damit verbundenen Annahme einer gespaltenen Rechtswidrigkeit auch Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 14– 16; Fischer, StGB60, § 218a Rn. 4 (jeweils m. w. N.); Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 (2344); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 2. 50  Hervorhebungen nicht im Original. 51  BVerfGE 88, 203 (210 m. II.2. d. Entscheidungsformel); Hervorhebungen nicht im Original. 49  Gropp,



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seits der Rechtswidrigkeit liegt, nämlich dem Rechtswidrigkeitsurteil vorgelagert ist. I. Die Formulierung negativer Tatbestandsmerkmale In diesem Sinne folgt dem Wortlaut des § 218a Abs. 1 StGB also eine solche Auslegung, die das ebenda geregelte Verfahren dem tatbestandlichen Regelungsbereich zuordnet. § 218a Abs. 1 StGB formuliere negative Tatbestandsmerkmale, die im eigentlichen Sinne „den Tatbestand ausschließen“. Während § 218 Abs. 1 StGB solche Tatbestandsmerkmale nennt, deren kumulative Verwirklichung den objektiven Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs (positiv) verwirklicht, zählt § 218a Abs. 1 StGB nach einem solchen Verständnis diejenigen Merkmale auf, deren kumulative Verwirklichung den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs (negativ) entfallen lässt bzw. von denen wenigstens ein Merkmal nicht erfüllt sein darf, damit der positiv formulierte Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB verwirklicht bleibt. Setzt die Tatbestandsmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs demnach die Nichtverwirklichung mindestens eines Merkmals des § 218a Abs. 1 StGB voraus, muss konsequenterweise auch der korrespondierende Vorsatz negativ, nämlich auf die Nichtverwirklichung mindestens eines Merkmals des § 218a Abs. 1 StGB, ausgerichtet sein. Tatbestandsmäßig handelt nur der, der einerseits den Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB vorsätzlich (positiv) verwirklicht und andererseits den Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB vorsätzlich (negativ) nicht verwirklicht52. II. Die Tatbestandsmäßigkeit als notwendige Bedingung der Rechtswidrigkeit Präsentiert sich § 218a Abs. 1 StGB in diesem Sinne aber als eine Zusammenfassung negativer Tatbestandsmerkmale, entfällt mit seiner Verwirk­ lichung nicht nur die Tatbestandsmäßigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs, sondern auch der notwendige Anknüpfungspunkt für ein Rechtswidrigkeitsurteil über seine Durchführung. 1. Nach dem zweistufigen Deliktsaufbau

Dies gilt nicht nur dann, wenn man der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen folgt, die vom herkömmlichen Verständnis des Tatbestands 52  Zu diesem Verständnis des § 218a Abs. 1 StGB s. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (310 u. 352); ders., in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 24, § 218 Rn. 3.

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als generelles Verbot und des Rechtfertigungsgrundes als selbstständige Erlaubnisnorm abweicht und in Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit stattdessen eine systematisch einheitliche Wertungsstufe erblickt. Tatbestand und Rechtswidrigkeit bilden demnach einen Gesamt-Unrechtstatbestand, der (positiv) unrechtsbegründende und (negativ) unrechtsausschließende Merkmale in sich vereinige53. Soweit ein Tatbestandsausschluss, wie er in § 218a Abs. 1 StGB normiert ist, die Tatbestandsmäßigkeit des inkriminierten Verhaltens entfallen lässt, wäre nach dieser Lehre die Verwirklichung des besagten Gesamtunrechtstatbestandes zu verneinen und mit ihm das in den Gesamtunrechtstatbestand integrierte Rechtswidrigkeitsurteil54. So kehrt ein zweistufiger Deliktsausbau evident heraus, dass der Tatbestand dem Rechtswidrigkeitsurteil nicht nur als (entbehrliche) „Erkenntnishilfe“ dient, sondern dass seine Verwirklichung eine notwendige Bedingung für das Rechtswidrigkeitsurteil formuliert. 2. Nach dem dreistufigen Deliktsaufbau

Aber auch jenseits dieser Lehre – innerhalb des herrschenden dreistufigen Deliktsaufbaus – muss mit der Tatbestandsmäßigkeit diejenige vorgelagerte Wertung der Sozialschädlichkeit und sozialethischen Verwerflichkeit entfallen, an die eine nachfolgende Wertung der Rechtswidrigkeit anknüpfen könnte. Nach dem herkömmlichen dreistufigen Deliktsaufbau – den drei Ebenen der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld – kann rechtswidrig nämlich nur das (in einem engeren Sinne) tatbestandsmäßige Verhalten sein55. Unter Normierung eines Straftatbestandes wählt der Gesetzgeber aus der Vielzahl menschlicher Handlungen diejenigen aus, die er für so sozialschädlich und sozialethisch verwerflich befindet, dass sie regelmäßig rechtswidrig sind und einer strafrechtlichen Ahndung unterworfen sein sollen56. Nachdem der Strafgesetzgeber mit der Normierung eines Tatbestandes in diesem Sinne ein generelles Unrechtsurteil über die jeweilige Verhaltensweise getroffen hat, prüft er auf der Ebene der Rechtswidrigkeit 53  So etwa Engisch, in: v. Caemmerer, Rechtsleben / I, 401 (406 u. 409 f.); Kaufmann, JZ 1954, 653 (655); zsfd. Hirsch, in: ders., Probleme, 529 (533 m. w. N.); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 124 / 125 u. 473. 54  Siehe dazu Schulz, StV 1994, 38 (45). 55  Aus der Rspr vgl. etwa nur RGSt 61, 242 (247); BGHSt 1, 131 (132); 2, 194 (200 f.); aus dem Schrifttum exemplarisch Hirsch, in: ders., Probleme, 529 (533 m. w. N. u. 534); Rönnau, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, Vorbem. § 32 Rn. 6; Tröndle, NJW 1995, 3009 (3011); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 82 f. 56  Zur sog. „Auslesefunktion des Tatbestandes“ s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 9 u. 119; vgl. auch Jakobs, AT2, Abschn.  6, Rn. 51.



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sodann, ob jenes generelle Unrechtsurteil auch im jeweiligen konkreten Einzelfall Geltung beanspruchen soll oder aber ob ein Erlaubnissatz das der Tatbestandsmäßigkeit entspringende Indiz der Rechtswidrigkeit ausnahmsweise zu widerlegen weiß57. Sind die Voraussetzungen eines in der Gesamtrechtsordnung normierten Erlaubnissatzes erfüllt, konkretisiert sich das tatbestandliche, nur generelle Verbot ausnahmsweise nicht in einer Rechtspflicht und wird das tatbestandsmäßige, grundsätzlich verbotene Verhalten um der Erreichung anderer Ziele willen von der Rechtsordnung zugelassen58. Die Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens dient also einem (anschließenden) Rechtswidrigkeitsurteil als Anknüpfungspunkt: Eine konkrete Rechtspflicht kann in einem zweiten Schritt nur aus einem solchen Verhalten erwachsen, das in einem ersten Schritt überhaupt für so sozialschädlich und sozialethisch verwerflich befunden worden ist, dass es einer Strafandrohung unterworfen sein soll. III. Die Garantie einer „Unerheblichkeitserklärung“ So tut sich für den Bürger, dem die tatbestandliche Beschreibung des missbilligten Verhaltens eine „Möglichkeit zur Selbstorientierung“ eröffnen soll59, ein Widerspruch auf, wenn ausgerechnet ein Ausschluss des Tatbestandes ein gegenüber der Rechtfertigung gesteigertes Unrechtsurteil transportieren soll: Denn rechtswidrig kann nur ein tatbestandsmäßiges Verhalten sein, während dem tatbestandslosen Verhalten eigen ist, dass es sich durch das Fehlen einer für strafwürdig erkannten Rechtsgutverletzung auszeichnet und in der Folge per se strafrechtlich irrelevant ist60. Mit der Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB tritt an die Stelle des vom Verfassungsgericht verlautbarten gesteigerten Unrechtsurteils eine dem Willen der Schwangeren unterworfene, strafrechtliche Irrelevanz. Ob jener zentralen Bedeutung des Abbruchsverlangens hat vorliegende Untersuchung eingangs auch den Begriff einer „Unerheblichkeitserklärung“ gewählt: Es ist das erklärte Verlangen der Schwangeren nach einem nicht indizierten Abbruch, mit dem sie nicht etwa nur über Recht und Unrecht, sondern gar über die strafrechtliche Relevanz zu disponieren vermag. 57  Zur Tatbestandsmäßigkeit als Indiz der Rechtswidrigkeit s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 121 / 122 u. 286. 58  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 270–273. 59  Wessels / Beulke, AT42, Rn. 120. 60  Als eine „zumindest für das allgemeine Rechtsbewusstsein nicht auszuschließende Deutung einer tatbestandlichen Ausgrenzung“ wertet dies auch Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 13; ebenso Seibel, Probleme, 44. Beide vertreten jedoch auch die Ansicht, dass eine solche Rezeption (für den rechtskundigen Betrachter) nicht zwingend sein muss; Eser, ebda; Seibel, a. a. O., 42 f.

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Im Gegensatz zu anderen Delikten, deren tatbestandliches Unrecht sich aus einem Handeln gegen oder ohne den Willen des verfügungsberechtigten Rechtsgutsinhabers erklärte, ist diese „Unerheblichkeitserklärung“ aber nicht in den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs, § 218 Abs. 1 StGB, aufgenommen, sondern in einen eigenständigen Tatbestandsausschluss eingegliedert, der den Rechtfertigungsgründen in § 218a Abs. 1 StGB vorangestellt ist. So hindert das Abbruchsverlangen der Schwangeren nicht bereits die Entstehung eines generellen Unrechtsurteils, das § 218 Abs. 1 StGB für die vorsätzliche Tötung des Ungeborenen formuliert, und wird der tatbestandliche Schutz des ungeborenen Lebens in der Frühphase der Schwangerschaft – gleich seinem grundrechtlich garantierten Lebensrecht  – „nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet“61. Stattdessen nimmt es nur das nach § 218 Abs. 1 StGB gebildete Unrechtsurteil in einem zweiten Schritt zurück, soweit diese vorsätzliche Tötung im konkreten Einzelfall unter Wahrung der übrigen Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB auf ein Abbruchsverlangen der Schwangeren hin ergeht. Damit stellt § 218a Abs. 1 StGB das tatbestandliche Unrechtsurteil des § 218 Abs. 1 StGB quasi unter die auflösende Bedingung eines Abbruchsverlangens der Schwangeren: Das besagte Unrechtsurteil des § 218 Abs. 1 StGB soll Geltung für sich beanspruchen können, mit Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses (des Abbruchsverlangens) aber diesen Geltungsanspruch aufgeben62. Weil der Eintritt dieses zukünftigen ungewissen Ereignisses –  die Erklärung des Abbruchsverlangens durch die Schwangere – gänzlich dem Willen der Schwangeren überantwortet ist, steht das tatbestandliche Unrechtsurteil des § 218 Abs. 1 StGB unter einer Art der Wollensbedingung, nämlich unter einer Potestativbedingung, über deren Eintritt lediglich das Wollen einer Partei entscheidet63. Wie zur Wollensbedingung ausgeführt wird, dass es im Belieben der Partei stehe, ob ein Rechtsgeschäft wirksam wird oder bleibt64, stellt § 218a Abs. 1 StGB es in das Belieben der Schwangeren, ob das tatbestandliche Unrechtsurteil des § 218 Abs. 1 StGB in ihrem konkreten Einzelfall fortbestehen soll: Macht sie von der ihr in § 218a Abs. 1 StGB eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis die Durchführung eines Schwan61  Zitat

aus BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 1 u. 252). § 158 Abs. 2 BGB: „Wird ein Rechtsgeschäft unter einer auflösenden Bedingung vorgenommen, so endigt mit dem Eintritt der Bedingung die Wirkung des Rechtsgeschäfts; mit diesem Zeitpunkt tritt der frühere Rechtszustand wieder ein“. Zur auflösenden Bedingung s. auch Musielak, GK-BGB12, Rn. 633. 63  Zu Wollens- und Potestativbedingungen im Rechtsgeschäft s. Bork, in: v. Staudinger, BGB / 1 [2013], Vorbem. §§ 158–163 Rn. 16; Musielak, GK-BGB12, Rn. 635; Wolf, in: Soergel / Wolf, BGB-AT / 213, Vorbem. § 158 Rn. 23 u. 25. 64  Vgl. § 454 Abs. 1 S. 2 StGB (Kauf auf Probe); Wolf, in: Soergel / Wolf, BGBAT / 213, Vorbem. § 158 Rn. 25. 62  Vgl.



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gerschaftsabbruchs zu verlangen, entfällt der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB als „nicht verwirklicht“ und wird die verlangte Ungeborenentötung damit für strafrechtlich unerheblich erklärt65. Während das BVerfG also noch ausdrücklich eine rechtfertigende „Selbstindikation“ hatte vermieden wissen wollen66, hat es eine tatbestandsausschließende „Unerheblichkeitserklärung“ der Schwangeren zugelassen bzw. anerkannt, dass das Verbot des § 218 Abs. 1 StGB im Ergebnis unter eine „Wollensbedingung“ der potenziellen Täterin gestellt ist. Der betroffenen Frau und potenziellen Täterin eines Schwangerschaftsabbruchs ist mithin nicht nur die Entscheidung darüber überlassen worden, ob diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, die ihr nach der Rechtsordnung die Tötung des Ungeborenen erlauben67, sondern noch weitergehend die Entscheidung darüber, ob diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, nach denen die Rechtsordnung ein Verhalten überhaupt für sozialschädlich und soziaethisch verwerflich beurteilt. Wenigstens de facto hat in § 218a Abs. 1 StGB eine solche Regelung Eingang in das Strafgesetzbuch gefunden, die den Schutz des ungeborenen Lebens vom Willen der Schwangeren abhängig macht und die das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch ausdrücklich hatte ausgeschlossen wissen wollen: „Ein Ausgleich kann auch nicht […] dadurch erreicht werden, daß für eine gewisse Zeit der Schwangerschaft das Persönlichkeitsrecht der Frau vorgeht und danach erst das Recht des ungeborenen Lebens Vorrang erhält. Das Lebensrecht des Ungeborenen käme dann nur zur Geltung, wenn die Mutter sich nicht in der ersten Phase der Schwangerschaft zu seiner Tötung entschlossen hat“68. So wird die gesetzliche Regelung des nicht indizierten Abbruchs nicht zu Unrecht auch als eine „umetikettierte Fristenregelung“69 oder „Etiketten­ 65  Vgl. § 158 Abs. 1 BGB: „Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung vorgenommen, so tritt die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit dem Eintritt der Bedingung ein“. Zur aufschiebenden Bedingung s. auch Musielak, GK-BGB12, Rn. 633. 66  Siehe dazu oben Seite  550 f. [B. II. 1.]. 67  So noch für „mit der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes unvereinbar“ befunden in BVerfGE 88, 203 (275). 68  BVerfGE 88, 203 (256); Hervorhebungen nicht im Original. Siehe auch BVerfGE 88, 203 (267): „so verbieten sich jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtung mit Blick auf Alter und Entwicklungsstand dieses Lebens oder die Bereitschaft der Frau, es weiter in sich leben zu lassen“; Hervorhebungen nicht im Original. Vgl. dazu auch eingangs die entsprechenden Ausführungen zu einem eigenständigen Grundrechtsschutz des ungeborenen Lebens in Kap. 2, Seite  118 [Abschn.  1, C. I.] m. w. N. 69  Tröndle, NJW 1995, 3009 (3010); s. dazu auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht3, 145 (158) m. Fn. 16.

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schwindel“70, eine „Fristenregelung mit Beratungspflicht“71 oder (was, wie noch zu zeigen sein wird, treffender ist) als eine „Fristenregelung mit Beratungsangebotspflicht“72 bezeichnet. Noch deutlicher wird der gesetzlichen Regelung zum nicht indizierten Abbruch der Vorwurf gemacht, ein Beispiel unaufrichtiger Gesetzgebung zu sein, indem das Gesetz „ein markiges Verbot des Schwangerschaftsabbruchs“ vortäusche, das in Wahrheit nicht existiere73.

D. Conclusio und Ausblick Entgegen aller (unvollkommenen) Bemühungen des Strafgesetzes, diesen Eindruck zu vermeiden, bildet das Abbruchsverlangen der Schwangeren das zentrale Moment des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Verfahrens und überantwortet die Rechtsordnung der potenziellen Täterin die Entscheidung darüber, ob ungeborenes Leben in der Frühphase der Schwangerschaft straflos getötet werden kann. Diesbezüglich hat das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch verlautbaren lassen, dass ein Schwangerschaftsabbruch, der unabhängig vom Vorliegen einer in staatlicher Verantwortung festgestellten Indikationenlage durchgeführt wird, einem gegenüber den Indikationen des § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB gesteigerten Unrechtsurteil ausgesetzt sein muss und insbesondere keine Rechtfertigung durch die Rechtsordnung erfahren darf. Strafgesetzlich hat jenes Rechtswidrigkeitsverdikt jedoch in einer Tatbestandslösung Umsetzung gefunden, die sich dem systematischen Widerspruch ausgesetzt sieht, ein gegenüber der Rechtfertigung gesteigertes Unrechtsurteil transportieren zu wollen, indem sie die einer Rechtswidrigkeit vorausgesetzte und nicht etwa nachfolgende Tatbestandsmäßigkeit verneint. So ist das Verbot des § 218 Abs. 1 StGB im Ergebnis unter eine auflösende „Wollensbedingung“ der potenziellen Täterin gestellt: Macht sie von der ihr in § 218a Abs. 1 StGB eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs zu verlangen, entfällt der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB als „nicht verwirklicht“ und wird die von ihr verlangte Ungeborenentötung für strafrechtlich unerheblich erklärt. ZRP 2002, 377 (380); Hoerster, Abtreibung2, 186. ZRP 2002, 377 (379): Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht3, 145 (158) m. w. N. in Fn. 16; Otto, Jura 1996, 135 (138); Tröndle, NJW 1995, 3009 (3009 m. Einl.); in diesem Sinne auch Frommel, KritV 2009, 181 (187): „de factoFristenregelung mit Beratungspflicht“; Satzger, Jura 2008, 424 (426): „Fristenregelung mit Beratungsangebot bzw. Beratungspflicht“. 72  Fischer, StGB60, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 10. 73  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Schroeder, ZRP 1992, 409 (410); darauf hinweisend Otto, Jura 1996, 135 (138); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 1; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (309 m. Fn. 17 u. 18). 70  Dreier, 71  Dreier,



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Jene Divergenz zwischen verlautbarter Platzierung des Abbruchsverlangens jenseits der allgemeinen Rechtswidrigkeit und tatsächlich wirksamer Platzierung auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit wird nun Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen sein. Nicht nur der Motivation für besagte Divergenz wird damit auf den Grund gegangen werden, sondern auch der Motivation für eine Ungleichbehandlung, die das ungeborene Leben in den ersten zwölf Wochen nach Empfängnis erfährt: Indem das Gesetz die Konsequenzen des verlautbarten Rechtswidrigkeitsverdikts nicht zieht, sondern auf eine Tatbestandslösung ausweicht, wird das ungeborene Leben in den ersten zwölf Wochen nach Empfängnis der Möglichkeit eines straflosen, obgleich unbegründeten Schwangerschaftsabbruchs überantwortet, die es nicht nur ab Beginn der Geburt und seines strafgesetzlichen Menschseins, sondern bereits in späteren Schwangerschaftsstadien nicht zu fürchten braucht. Abschnitt 2

Sachliche Begründung: Die Ratio eines Beratungsmodells – Ein „Diener zweier Herren“ – „Aber was Teufel soll ich machen? – Ich kann ja nicht beide bedienen. – Nicht?“ (Carlo Goldoni74)

Insofern – d. h. innerhalb des vorliegend besprochenen § 218a Abs. 1 StGB  – unterbricht die normative Zäsur von zwölf Wochen nach der Empfängnis das biologische Kontinuum der pränatalen Entwicklung zu einem Zeitpunkt, zu dem seine möglichen Anfangspunkte – Fertilisation, Implantation und Individuation – bereits weit überschritten sind75. Nunmehr hat der Fetus – tatsächlich bereits mit Abschluss der Embryonalperiode am Ende der achten Woche – die dem menschlichen Körper eigene Form erreicht und sind all seine äußeren und inneren Organe angelegt76. Sein Herz hat gar am Ende der dritten Entwicklungswoche (fünf Wochen nach der letzten Monatsblu74  Goldoni, Der Diener zweier Herren, 19 (1. Aufzug, 14. Auftritt); ähnliche Übersetzung in Riedt (Hrsg.), Sechs Komödien, 27 (49), dort als Akt 1, Szene 10, ausgewiesen: „Wie zum Teufel soll ich mich jetzt anstellen? Allen beiden kann ich doch nicht dienen! Kann nicht? Und warum eigentlich nicht?“ 75  Zu diesen möglichen Anfangspunkten einer kontinuierlichen Entwicklung s. oben Kap. 2, Seite  103 f. [Abschn.  1, B. I. 3.]. 76  Moore / Persaud, Embryologie5, 102 u. 108 m. Abb. 5.19; dies., EmbryologieAtlas4, 93 f.; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (94 u. 100); Sadler, ­Embryologie11, 115 ff.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

tung) schon zu schlagen begonnen77. Anlagen eines späteren Ich- und Zukunftsbewusstsein haben in der dritten Woche mit der primären Neuralisation ihren Anfang genommen und in der vierten Woche mit der Differenzierung der Kopffalte (Hirnanlage) ihre Fortsetzung gefunden78. Mit einer beginnenden Empfindungsfähigkeit des ungeborenen Lebens, auf die reflektorischmotorische Reaktionen bereits ab der sechsten bis achten Woche hinweisen, könnten sich erste aktualisierte Lebensinteressen herausgebildet haben79. Was die Gestaltwerdung des Fetus betrifft, haben am Ende der zwölften Woche seine oberen Extremitäten bereits nahezu ihre endgültigen Proportionen erreicht, während die unteren noch weniger gut entwickelt und kürzer sind. Die äußeren Genitalien männlicher und weiblicher Feten erhalten ab der zwölften Woche ihre fetale Ausprägung, sodass in den meisten Fällen ab der zwölften bis zur 14. Woche das Geschlecht mithilfe ultrasonographischer Aufnahmen anhand der äußeren Genitalien bestimmt werden kann80. Mitten in dieser fortschreitenden kontinuierlichen Entwicklung, aus der das BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen eine Gleichwertigkeitsthese entwickelt hat, setzt das – verfassungsgerichtlich bestätigte – Strafgesetz nun eine normative Zäsur, die über die Reichweite des Lebensschutzes entscheidet und die verschiedenen (früheren und späteren) Entwicklungsstadien menschlichen Lebens wenigstens an einem unterschiedlich ausgestalteten Schutzkonzept teilhaben lässt81. Um sich des Vorwurfs zu entledigen, dass das Strafgesetzbuch an dieser Stelle wertungswidersprüchlich agiert – und um darzulegen, dass es unter Hervorhebung einer zeitlichen Zäsur von zwölf Wochen nach der Empfängnis stattdessen allenfalls eine positiv-generalpräventiv abträgliche Kommunikationsstörung fördert82 –, müsste für die fragliche Ungleichbehandlung, 77  Diagnostiziert werden kann dieser Herzschlag jedoch erst in der fünften Woche nach der Empfängnis, d. h. sieben Wochen nach der letzten Monatsblutung bzw. drei Wochen nach Ausbleiben der letzten Monatsblutung; Moore / Persaud, Embryologie5, 84. 78  Siehe oben Kap. 2, Seite  84 [Abschn.  1, B. I. 1. b) bb) (1)]. 79  Siehe oben Kap. 2, Seite  71 f. [Abschn.  1, B. I. 1. a) cc)]. 80  Moore / Persaud, Embryologie5, 118. 81  Vgl. weiterführend auch die frühere (um die Mitte des 12. Jh. datierte) Diff. des kanonischen Rechts zwischen den Tötungen einer unbeseelten und einer (erst ab dem 40. bzw. 80.  Tag nach der Empfängnis) beseelten „Leibesfrucht“, die seinerzeit Eingang in das weltliche Recht fand; dazu Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 69 f. u. 71; Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 174. Insoweit mag man sich versucht sehen, in der Zwölfwochenfrist des § 218a Abs. 1 StGB noch jenen Gedanken einer sukzessiven (sich erst nach etwa achtzig Tagen vollziehenden) Beseelung nachwirken zu sehen. 82  Zur Kommunikationsstörung durch eine zwar sachlich begründete, aber diesbzgl. missverständliche Ungleichbehandlung s. im Allgemeinen oben Kap. 3,



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die sich in einer Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB realisiert, nach den zu Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG entwickelten Grundsätzen ein gewichtiger sachlicher Grund angeführt werden können. Was also wird als legitimer Zweck jener Ungleichbehandlung des ungeborenen Lebens in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis angeführt und kann jener Zweck den Anforderungen standhalten, die Art. 3 Abs. 1 GG an den gewichtigen sachlichen Grund einer Ungleichbehandlung stellt?

A. Legitimer Zweck: Steigerung der Effektivität des Ungeborenenschutzes in der Frühphase der Schwangerschaft Die Ratio der in Abschnitt 1 kritisch beleuchteten Tatbestandslösung soll sich auf den Schutz des ungeborenen Lebens, auch und vor allem gegenüber seiner Mutter, fokussieren83. Insofern ist dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative belassen, wie er seiner in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG festgestellten Schutzpflicht für das ungeborene Leben nachzukommen gedenkt, und findet jene Einschätzungsprärogative ihre Grenze nur im sog. Untermaßverbot, nach dem die gesetzgeberischen Vorkehrungen „einen angemessenen und wirksamen Schutz“ gewährleisten und zudem „auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen“ müssen84. Der Gesetzgeber muss also zunächst die tatsächliche Lage sorgfältig ermittelt, die ermittelten widerstreitenden Interessen sodann im Wege praktischer Konkordanz vertretbar gegeneinander abgewogen und seine Ergebnisse schließlich in einer Auswahl effektiver Schutzmaßnahmen verwertet haben85. Für die Frühphase der Schwangerschaft ist seine Entscheidung in § 218a Abs. 1 StGB in ein Beratungsmodell gemündet, das dem ungeborenen Leben einen vornehmlich präventiven statt repressiven Schutz durch „Hilfe statt Strafe“ zuteil kommen lassen soll86. Seite  238–240 [Abschn.  3, D. II. 1. a)] und im Besonderen oben Kap. 4, Seite  306 [Abschn.  3, B. II. 4. a. E.]. 83  Hinzu trat die Aufgabe, die bis dato „von einer Fristenregelung einerseits und einer Indikationenregelung andererseits gekennzeichneten deutschen Teilrechtsordnungen und das durch sie in unterschiedlicher Weise geprägte Rechtsbewußtsein der Bevölkerung zusammenzuführen“; BVerfGE 88, 203 (264 f.). 84  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (254); s. dazu ferner Calliess / Kallmayer, JuS 1999, 785 (791); May, Fortpflanzungsmedizin, 203. 85  Brüning, JuS 2000, 955 (957); Calliess / Kallmayer, JuS 1999, 785 (791). 86  Zu einem Leitgedanken des „Vorranges der Prävention vor der Repression“ s. auch BVerfGE 39, 1 (44); 30, 336 (350).

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

I. „Hilfe statt Strafe“: Präventiver Schutz durch beratende Einflussnahme Im Einklang mit dem Willen der Schwangeren statt gegen deren Willen gedenkt die Rechtsordnung den Schutz des ungeborenen Lebens so zu verwirklichen: „jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft sei ein wirksamer Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nur mit der Mutter, aber nicht gegen sie möglich“87. Dass der Gesetzgeber zu jener Einschätzung gerade (und nur) für die „Frühphase der Schwangerschaft“ gelangt ist, erklärt er mit Eigenarten dieser Phase der Schwangerschaft, die einerseits die Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens erhöhen und andererseits die Schutzfähigkeit des Gesetzes reduzieren sollen. 1. Die Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen in der frühen Schwangerschaft

Erhöht sei die Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens gegenüber seiner Mutter88, weil jene in der frühen Phase der Schwangerschaft noch keine solche psychische Bindung an das ungeborene Leben herausgebildet hätte, wie dies für spätere Phasen der Schwangerschaft kennzeichnend sei, und der existenziellen Betroffenheit durch die Schwangerschaft mithin anders – nämlich mit einer noch herabgesetzten Toleranzgrenze – begegnete89. Die „unmittelbare Obhut der Mutter“, die das Gericht in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen bemüht90, soll in jener Phase noch nicht voll ausgebildet, das von der Schwangeren für das Ungeborene ausgehende Gefahrenpotenzial im Gegenzug erhöht sein: Die Hemmschwelle, ein ungeborenes Leben – noch dazu das im eigenen Leib heranwachsende – zu töten, soll umso mehr herabgesetzt sein, je weniger sich die Schwangere an das ungeborene Leben gebunden fühlte, nämlich es bereits als das eigene angenommen hätte. Indem das gesetzliche Beratungskonzept nun postuliert, der Schwangeren „Hilfe statt Strafe“ zukommen zu lassen, sucht es einen Weg, jenem Defizit an mütterlicher Obhut im Vorfeld der Tatbegehung abzuhelfen: Eine Konfliktberatung soll der Schwangeren u. a. ihre Mutterschaft 87  BVerfGE 88, 203 (266); zust. Augsberg, in: Weilert, Spätabbruch, 271 (277 f.); abl. Dreier, ZRP 2002, 377 (380). 88  Allgemein zur Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens in seiner symbio­ tischen Verbindung mit der Schwangeren s. oben Kap. 4, Seite  291 f. [Abschn.  3, B. I. 1.]. 89  Vgl. dazu BVerfGE 88, 203 (266). 90  So die Formulierung der BuReg (§ 77 BVerfGG) im Vorfeld der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung; BVerfGE 39, 1 (25). Vgl. auch Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (146), der von einer „natürlichen Obhut des mütterlichen Organismus“ schreibt.



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vergegenwärtigen91 und sie ermutigen, ihrer daraus erwachsenden Verantwortung nachzukommen92, nicht aber der Schwangeren ihre potenzielle Täterschaft vorwerfen und mit Strafe drohen. 2. Die Schutzfähigkeit des Gesetzes in der frühen Schwangerschaft

Insofern betont das Gesetz weniger das Gefahrenpotenzial, das von der schwangerschaftsunwilligen Frau für das Ungeborene ausgeht, sondern hebt an dessen Stelle das Potenzial der Frau hervor, das ungeborene Leben zu schützen, indem sie auf die potenzielle Tatbegehung verzichtete. Einen wirksamen Ungeborenenschutz sucht das gesetzliche Beratungssystem zu verwirklichen, nicht indem es sich unter Formulierung einer Strafandrohung gegen die potenzielle Täterin wendet, sondern indem es ihre Bereitschaft zur „mütterlichen Obhut“ zu wecken bzw. zu unterstützen sucht, dies auch und vor allem, weil das Gesetz für die Frühphase der Schwangerschaft Einschränkungen seiner eigenen Schutzfähigkeit erkannt haben will. Reduziert sei die gesetzliche Schutzfähigkeit insofern, als in jener frühen Phase der Schwangerschaft nur die Schwangere und von ihr selbst ins Vertrauen gezogene Personen von der Existenz des neuen Lebens wissen93: „Der Staat sieht sich vor die Aufgabe gestellt, Leben zu schützen, von dessen Vorhandensein er nichts weiß“94. Insofern stellt ein Schwangerschaftsabbruch zwar eine absichtliche Einwirkung auf das ungeborene Leben dar, die bereits aufgrund der ihn begleitenden Tötungsabsicht aus der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren heraussticht und einem (Kausalitäts- wie Vorsatz‑)Beweis in der Folge grundsätzlich zugänglich ist95. Jedoch haftet ihm in der Frühphase der Schwangerschaft die Eigenart an, dass die schwangerschaftsunwillige Frau die Existenz eines in ihrem Uterus heranwachsenden Tatobjekts noch unschwer zu verbergen wüsste und mithin auch die Tatbegehung einer Kenntnisnahme durch die Strafverfolgungsbehörden entziehen könnte. Ein unentdecktes Ausweichen in die Illegalität wäre ihr erleichtert, der Zugriff des Gesetzes im Gegenzug erschwert. 91  Vgl. § 219 Abs. 1 S. 3 StGB: „Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat […]“; so auch BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. Abs. 1 S. 3 der Entscheidungsformel). 92  Vgl. § 219 Abs. 1 S. 2 StGB: „Sie [die Beratung] hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“; so auch BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. Abs. 1 S. 2 der Entscheidungsformel u. ähnl. 282). 93  Siehe dazu BVerfGE 88, 203 (263 u. 266). 94  BVerfGE 88, 203 (263); zust. Zschiegner, Fristenlösung, 85. 95  Vgl. dazu oben Kap. 4, Seite  295 f. [Abschn.  3, B. I. 2. b)].

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So kommt es also, dass der Gesetzgeber seine Fähigkeit, das Ungeborene ohne Zusammenwirken mit seiner Mutter (der potenziellen Täterin) zu schützen, beeinträchtigt sieht. Gleichwohl er das ungeborene Leben bereits in der Frühphase der Schwangerschaft für schutzbedürftig erachtet, sieht er sich nicht in der Lage, ihm ohne den Willen der Schwangeren zu dem ihm gebührenden Schutz zu verhelfen. In der Folge hat er es für aussichtsreicher befunden, auf die einen Schwangerschaftsabbruch erwägende Frau nicht im Wege der Strafe, sondern im Wege einer Konfliktberatung Einfluss zu nehmen, die sie zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigt und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind aufzeigt96. Mit anderen Worten hat sich die Rechtsordnung entschlossen, dass man vor der Tatbegehung die Kommunikation mit dem potenziellen Täter über seine Tatpläne und etwaige Handlungsalternativen suchen möchte. Um die Schwangere aber überhaupt zur Wahrnehmung eines solchen Beratungsangebots motivieren zu können und im weiteren Verlauf des Verfahrens die Offenheit des Beratungsgesprächs zu fördern, will ihr das Gesetz die Angst nehmen, dass sie ebenda eine rechtfertigende Notlage darlegen müsste, um einer drohenden Strafe zu entgehen: „Nur wenn die Beratungsregelung generell und ausnahmslos von der Feststellung des Vorliegens einer sozialen Notlage absieht, kann sie erreichen, daß Frauen die Beratung annehmen und sich ihr nicht im Blick auf eine erstrebte Beurteilung ihrer Entscheidung als rechtmäßig – und daran möglicherweise geknüpfte günstige Rechtsfolgen – verschließen“97. In „Notlagen, die sich als Produkt vielfältiger und vielschichtiger, auch dem persönlichen Bereich der Schwangeren zuzurechnender Faktoren ergeben“98, erfahre die Frau ihre ungewollte Schwangerschaft als einen „höchstpersönlichen“ Konflikt, der sich „nicht nur nach objektiven Komponenten, sondern auch nach ihren physischen und psychischen Befindlichkeiten und Eigen96  BVerfGE 39, 1 (44 f. u. 50); 88, 203 (263 f. u. 270); Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 90 f.; Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (127); Starck, JZ 2002, 1065 (1070 f.). Vgl. außerdem Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 222, zur Ratio von Strafmilderungs- und Strafausschließungsgründen zugunsten der Schwangeren (§§ 218 Abs. 3, Abs. 4 S. 2, 218a Abs. 4 S. 1, §§ 218b Abs. 1 S. 3, 218c Abs. 2 StGB). Zu den Inhalten der Konfliktberatung s. §§ 219 StGB, 5 SchKG und die eingehende Besprechung selbiger unten auf den Seiten 623 ff. [B. II.]. 97  BVerfGE 88, 203 (271, in diesem Sinne auch 204 m. LS 11). Vgl. auch den Bericht des Sonderausschusses für die fünfte Strafrechtsreform: „Solange jedoch die Frau irgendwelche strafrechtlichen Sanktionen befürchten muß, wird sie kaum Beratung und Hilfe in Anspruch nehmen“; BT-Drs. 7 / 1981 (neu), 9 / 10; zit. auch v.  BVerfGE 39, 1 (16). Vgl. ferner die Einschätzung der Filmemacherin Janina Heckmann, soweit sie das regelmäßige Schweigen der von einem Schwangerschaftsabbruch individuell betroffenen Frauen mit einem „Angst vor Rechtfertigungsdruck“ erklärt; Czygan / Kruber, Sexuologie 2012, 179 (183). 98  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (268) (dort zur allg. Notlagenindikation gemäß § 218a Abs. 2 Nr. 3 StGB a. F.).



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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schaften“ beurteile99. Ein Dritter, der diesen höchstpersönlichen Konflikt zu eruieren versuchte, indem er „in den innersten Bereich einer Frau“ eindränge, müsste mit dem Widerstand jener Frau rechnen, die sich gegen seine Beurteilung und Bewertung wehren könnte, schlimmer aber noch müsste er erwarten, dass sich die betroffene Frau seiner Intervention durch das „Vorschieben von anderen Gründen oder Ausweichen in die Illegalität“ entzöge100. Insofern sollen sich die allgemeinen Notlagen – die nach alter Rechtslage unter die allgemeine Notlagenindikation gefasst wurden, nach aktueller Gesetzeslage dem § 218a Abs. 1 StGB unterfallen – von denjenigen Notlagen unterscheiden, die in Sachverhalten medizinischer, embryopathischer oder auch kriminologischer Indikation einer Drittfeststellung zugeführt werden: Ob eine Fortsetzung der Schwangerschaft die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Frau begründet, die Gefahr einer schweren Schädigung des Kindes besteht oder aber die Frau Opfer einer Straftat ist, soll „greifbar“ und damit der ärztlichen Feststellung zugänglich sein. Der vorgegebene objektive Sachverhalt verändert nach Dafürhalten des BVerfG „die Thematik und die Funktion der Beratung so, daß Frauen kaum Anlaß haben, einer solchen Indikationsfeststellung auszuweichen oder die Beratung nicht mit der notwendigen Offenheit anzunehmen“101. Insofern könnte die angeführte, durch einen Tatbestandsausschluss transportierte „strafrechtliche Irrelevanz“ der erste Baustein für eine solche zweckorientierte Behandlung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs sein, die die eigenverantwortliche Entscheidung der Schwangeren über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft achtet statt strafgesetzlich ahndet. Indem § 218a Abs. 1 StGB das Abbruchsverlangen der Frau zu seinem zentralen Moment erhebt, sichert die Rechtsordnung der Schwangeren zu, dass die Entscheidung über den Abbruch ihrer „Letztverantwortung“ unterstellt ist102. Der Schwangeren misst es innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis so die Macht zu, über die Ungeborenentötung eine „Unerheblichkeitserklärung“ auszusprechen, den Schutz des Ungeborenen ordnet es – quasi unter Formulierung einer Potestativbedingung – dem mütterlichen Willen unter. Dabei soll der Respekt, der der eigenverantwortlichen Entscheidung der Schwangeren gezollt wird, jedoch nicht den Eigenzweck des Gesetzes bilden, sondern den weiterreichenden Zweck des präventiven Ungeborenenschutzes 99  Vorstehende 100  Siehe

Zitate aus BVerfGE 88, 203 (265). dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (266); vgl. a. a. O.

auch 271. 101  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (269); s. ferner Wirth, Spätabtreibung, 11. 102  Zum Begriff der „Letztverantwortung“ s. etwa BVerfGE 88, 203 (268 u. 270).

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befördern: Indem das Gesetz der Schwangeren in § 218a Abs. 1 StGB die Entscheidung über den nicht indizierten Abbruch überantwortet, will es sich einen Zugang zur potenziellen Täterin eröffnen, die es an seiner statt als schutzfähig erkannt hat. Mit anderen Worten soll die Anerkennung einer weiblichen statt gesetzlichen „Letztverantwortung“ eine Kommunikation mit der potenziellen Täterin fördern, innerhalb derer ihr Alternativen zu der ins Auge gefassten Tatbegehung vor Augen geführt werden können. In diesem Sinne hat das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung seine Überzeugung ausgeführt, dass „der Gesetzgeber im Rahmen einer Beratungsregelung das gewünschte Ergebnis, die Frau nicht mit Strafe zu bedrohen, wenn sie – nach stattgehabter Beratung – die Schwangerschaft in der Frühphase durch einen Arzt abbrechen läßt, verfassungsrechtlich unbedenklich nur durch einen Tatbestandsausschluß erreichen“103 könne. II. Rechtswidrigkeitsverdikt: Präventiver Schutz durch Bewusstseinsbildung Zugleich sieht sich jenes auf Hilfe (Beratung) statt Strafe fokussierte Schutzkonzept vor die präventiv begründete Herausforderung gestellt, trotz seines Verzichts auf einen Strafvorwurf ein Bewusstsein vom Wert des ungeborenen Lebens und vom Unrecht seiner nicht indizierten Tötung zu fördern. Ein entsprechendes Wert- und Unrechtsbewusstsein soll einerseits (in einem positiv-generalpräventiven Sinne) der Allgemeinheit, andererseits (quasi positiv-spezialpräventiv104) der jeweiligen Schwangeren vermittelt werden, die im konkreten Einzelfall einen nicht indizierten Abbruch erwägt und sich mithin als potenzielle Täterin darstellt. Auf erstere, positiv-generalpräventive Zielsetzung nimmt das BVerfG Bezug, wenn es sich gegen die Bewertung eines nicht indizierten Abbruchs als rechtmäßig wendet: Eine solche Bewertung schwäche „den rechtlichen Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens, den das prinzipielle Verbot des Schwangerschaftsabbruchs durch die Aufrechterhaltung des Rechtsbewußtseins zu bewirken vermag (positive Generalprävention)“105. Auch eine 103  BVerfGE

88, 203 (278 f.); s. dazu auch a. a. O., 273. „quasi positiv-spezialpräventiv“ versucht die Rechtsordnung hier Einfluss nehmen, weil das Beratungsmodell auf eine nur potenzielle Täterin einzuwirken anstrebt. Der Begriff der positiven Spezialprävention setzt demgegenüber eine Besserung desjenigen Täters voraus, der eine Straftat bereits begangen hat und aus Anlass dieser Straftat durch das Strafgesetz zur Verantwortung gezogen wird; s. dazu auch bereits oben Kap. 3, Seite  248 [Abschn.  3, D. III.] m. Fn. 408. 105  BVerfGE 88, 203 (278). Zur positiv-generalpräventiven Zielsetzung der Abtreibungsgesetzgebung s. Kap. 2, Seite  124–131 [Abschn.  2], u. Kap. 3, Seite 180–248 [Abschn.  3]. 104  Nur

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Beratungsregelung, die durch die Gewährung von Straffreiheit die Kommunikation mit der potenziellen Täterin fördern will, muss mithin der Gefahr begegnen, dass hierdurch die „normative Orientierung auf den Schutz des ungeborenen Lebens“ entfallen könnte, und muss dafür Sorge tragen, dass „der verfassungsrechtliche Rang des Rechtsguts des ungeborenen menschlichen Lebens […] dem allgemeinen Rechtsbewußtsein weiterhin gegenwärtig“ bleibt106. Insofern ist im vierten Kapitel bereits ausgeführt worden, wie der in § 218 Abs. 1 StGB normierte Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs die postnidative Ungeborenentötung unter Strafandrohung verbietet und das ungeborene Leben in seinen postnidativen Entwicklungsstadien so als schutzwürdiges Rechtsgut anerkennt107. Weiter haben die vorangegangenen Ausführungen des vorliegenden Kapitels dargelegt, wie das durch die Tatbestandsmäßigkeit nach § 218 Abs. 1 StGB indizierte Verhaltensunrecht der Schwangeren durch eine „Selbsteinschätzung“ der Unzumutbarkeit ihrer Konfliktlage nicht angetastet wird, ebenso wenig wie eine solche – von der Frau selbst getroffene – Einschätzung in der Lage ist, die Schutzwürdigkeit des Ungeborenen in Frage zu stellen108. In diesem Kontext soll die Normierung eines Tatbestandsausschlusses es nun ermöglichen, dass das Verbot des nicht indizierten Abbruchs fortbesteht – nämlich nicht durch einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund zurückgenommen wird – und wenn schon nicht durch eine Strafandrohung, so doch „an anderer Stelle der Rechtsordnung in geeigneter Weise zum Ausdruck“109 gebracht werden kann. Vor dem Hintergrund einer in diesem Sinne „wachgehaltenen Orientierung über die verfassungsrechtlichen Grenzen von Recht und Unrecht“110 soll schließlich an das Verantwortungsbewusstsein der betroffenen Frau appelliert werden, der die „Letztverantwortung“ über die Entscheidung zum Abbruch zugewiesen ist: „Nur wenn das Bewußtsein von dem Recht des Ungeborenen auf Leben wach erhalten wird, kann die unter den Bedingungen der Beratungsregelung von der Frau zu tragende Verantwortung an diesem Recht ausgerichtet und prinzipiell geeignet sein, das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen“111. Nicht nur auf die Allgemeinheit versucht die Rechtsordnung 106  Siehe

dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (272). oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.]. 108  Siehe oben Seite  550 f. [Abschn.  1, B. II. 1.] u. vgl. BVerfGE 88, 203 (255 u. 276). 109  BVerfGE 88, 203 (279). Zur Verwirklichung der positiv-generalpräventiven Zielsetzung im Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung s. bereits oben Kap. 2, Seite  126 f. [Abschn.  2, A. II.]. 110  BVerfGE 88, 203 (268). 111  BVerfGE 88, 203 (320); so auch a. a. O., 272: „Diese Orientierung gibt der verantwortlich handelnden Frau die Grundlage, ihr Handeln zu beurteilen. Dies ge107  Siehe

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

also (positiv-generalpräventiv) Einfluss zu nehmen, indem sie am Rechtswidrigkeitsverdikt festhält. Auch der potenziellen Täterin soll (quasi positiv-spezialpräventiv) ein solches Bewusstsein über das Unrecht der nicht indizierten Tötung ihres Ungeborenen vermittelt werden, das eine Entscheidung für das Austragen der Schwangerschaft wenigstens fördern könnte. III. Conclusio Das Beratungskonzept gerät damit in eine „Zwickmühle“ und muss in seiner lebensschützenden Ausrichtung „zwei Herren“112 dienen: dem Rechtswidrigkeitsverdikt einerseits, das ein Unrechtsbewusstsein von der nicht indizierten Tötung ungeborenen Lebens transportieren soll, der legalen, weil tatbestandlosen Ermöglichung des nicht indizierten Abbruchs andererseits, derer das Beratungskonzept bedarf, um Zugang zur Schwangeren als der potenziellen Täterin zu erlangen. Ähnlich Goldonis Diener Truffeldino muss sich die Rechtsordnung der Frage stellen: „Aber was Teufel soll ich machen? – Ich kann sie ja nicht beide bedienen. – Nicht?“113. Und wie Truffeldino entscheidet sich auch die Rechtsordnung entgegen allen Bedenken, den Ansprüchen beider „Herren“ zu genügen zu versuchen. Aus ihrer „Zwickmühle“ soll sie die eigentümliche Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB befreien, die den nur beratenen Schwangerschaftsabbruch nicht rechtfertigt, aber anderweitig vom Vorwurf der Sozialschädlichkeit und sozialethischen Verwerflichkeit befreien kann114. Der Zweck, den die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB und mit ihr die Ungleichbehandlung des ungeborenen Lebens in seinen ersten zwölf Wochen nach Empfängnis verfolgt, mag also zunächst ein legitimer sein: In jener Frühphase der Schwangerschaft misst der Gesetzgeber einem Beratungskonzept, das zwar von Rechtswidrigkeit spricht, aber auf Strafe verzichtet, die größere Effektivität zu, das ungeborene Leben vor einem etwai­ gen Zugriff seiner Mutter zu schützen115. Damit dieser Zweck nun aber nicht nur Legitimität für sich beanspruchen, sondern der Ungleichbehandlung auch als sachlicher Grund dienen kann, muss sich die Tatbestandslörade ist der Kern der Verantwortung, die der Frau mit einer Beratungsregelung überlassen ist […]“. 112  In Anlehnung an Goldoni, Der Diener zweier Herren; vgl. das den vorliegenden Abschn.  2 einleitende Zitat. 113  Goldoni, Der Diener zweier Herren, 19 (1. Aufzug, 14. Auftritt). 114  In den Worten Satzgers ein gesetzgeberischer „Eiertanz“; ders., Jura 2008, 424 (430). 115  BVerfGE 39, 1 (44 f. u. 50); 88, 203 (204 m. LS 11); Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 90 f.; Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (127); Starck, JZ 2002, 1065 (1070 f.).



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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sung nach den zu Art. 3 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätzen als zu seiner Verwirklichung geeignet, erforderlich und angemessen erweisen.

B. Die (Un‑)Geeignetheit der Tatbestandslösung zum Schutz des ungeborenen Lebens Entsprechend der dargestellten Zweiteilung seiner Zielsetzung, dem ungeborenen Leben einerseits durch beratende Einflussnahme („Hilfe statt Strafe“), andererseits durch Bewusstseinsbildung (Rechtswidrigkeitsverdikt) einen präventiven Schutz zukommen zu lassen, hat das BVerfG selbst in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung die maßgeblichen zwei Voraussetzungen für die Geeignetheit des Beratungskonzeptes zum (quantitativen) Schutz des ungeborenen Lebens formuliert: Zum einen müsste der nicht indizierte Abbruch wenn schon nicht durch das Strafgesetz, so doch durch die Gesamtrechtsordnung als rechtswidrig gekennzeichnet werden (Rechtswidrigkeitsverdikt). Unter Wahrung dieses Rechtswidrigkeitsverdikts soll der dem ungeborenen menschlichen Leben durch das Grundgesetz beigemessene Wert und das daraus folgende Unrecht seiner Tötung dem allgemeinen Rechtsbewusstsein demonstriert werden116 und sich auch der im konkreten Einzelfall betroffenen Frau verdeutlichen, wenn sie über die Lösung eines Schwangerschaftskonflikts zu entscheiden hat117. Zum anderen hat das BVerfG – in quasi positiv-spezialpräventiver Weise – festgehalten, dass es zu „den notwendigen Rahmenbedingungen eines Beratungskonzeptes“ gehöre, dass „die Beratung für die Frau zur Pflicht gemacht wird und ihrerseits darauf ausgerichtet ist, die Frau zum Austragen des Kindes zu ermutigen“118. Das Gericht hat damit seine bereits in der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung getroffene Aussage präzisiert, nach welcher der Verzicht auf eine strafrechtliche Ahndung nur „unter der Voraussetzung mit dem Schutzgebot des Art. 2 Abs. 2 Satz  1 GG vereinbar [wäre], daß ihm eine andere gleich wirksame rechtliche Sanktion zu Gebote stände, die den Unrechtscharakter der Handlung (die Mißbilligung durch die Rechtsordnung) deutlich erkennen lässt und Schwangerschaftsabbrüche ebenso wirksam verhindert wie eine Strafvorschrift“119. 116  So BVerfGE 88, 203 (272). Zum positiv-generalpräventiven Schutzauftrag s. auch BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 10, 253 u. 261). 117  BVerfGE 88, 203 (253 u. 268). 118  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (270; s. auch 204 m. LS 12). Darüber hinaus zählt BVerfGE 88, 203 zu den notwendigen Rahmenbedingungen eines Beratungskonzeptes auch die Einbeziehung derjenigen Personen, die auf den Willen der Frau Einfluss nehmen können – Arzt und Personen des familiären und weiteren sozialen Umfelds – (a. a. O., 271), ebenso das Angebot sozialer Hilfen (a. a. O., 272 u. 285). 119  BVerfGE 39, 1 (51).

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

I. Die Kennzeichnung des nicht indizierten Abbruchs als rechtswidrig Um einen effektiven Ungeborenenschutz verwirklichen zu können, muss das Beratungskonzept den nicht indizierten Abbruch nach verlautbarter Ansicht des BVerfG also zunächst als rechtswidrig ausweisen. „Dazu dient insbesondere das Strafrecht, das Rechtsgüter von besonderem Rang und in einer besonderen Gefährdungslage schützt und das allgemeine Bewußtsein von Recht und Unrecht am deutlichsten prägt“120. Seine einfachgesetzliche Umsetzung kann das Rechtswidrigkeitsverdikt aber nicht allein im Strafrecht finden, dessen Tatbestände als „ultima ratio“121 besonders sozialschädliche und sozialethisch verwerfliche Verhaltensweisen unter Strafandrohung verbieten. Ungeachtet dessen, dass es zum originären Aufgabenbereich der Strafgesetzgebung gezählt wird, die „Achtung und grundsätzliche Unverletzlichkeit menschlichen Lebens“ zu transportieren und im Zuge dessen „die Tötung anderer umfassend mit Strafe“ zu bedrohen122, soll das Strafrecht diesbezüglich um die Gesamtrechtsordnung ergänzt werden können, um den Wert des ungeborenen Lebens und das Unrecht seiner nicht indizierten Tötung „auf andere Weise in der Rechtsordnung unterhalb der Verfassung klar zum Ausdruck zu bringen“123. Ob die Gesamtrechtsordnung jenem Rechtswidrigkeitsverdikt Genüge leistet und das Verbot des nicht indizierten Abbruchs „klar zum Ausdruck bringt“, soll im Folgenden nachvollzogen werden. 1. Im Strafgesetzbuch

An den Beginn diesbezüglicher Betrachtungen sei die Feststellung platziert, dass das Strafgesetzbuch jedenfalls eine eindeutige Aussage über die Rechtswidrigkeit nicht zu treffen vermag. Unter der Normierung eines Tatbestandsausschlusses verzichtet das Gesetz auf die grundsätzlich in § 218 Abs. 1 StGB vorgesehene Strafandrohung, die das wesentliche Mittel seiner positiv-generalpräventiv wirksamen Unrechtskennzeichnung bildet, und behauptet sich gerade nicht gegenüber Verstößen gegen das Verbot nicht indizierter Schwangerschaftsabbrüche. In Anlehnung an Durkheims Normalitäts- und Stabilitätsthese macht es sich gerade nicht die stabilisierende Wirkung der Kriminalität zu eigen, die dem Recht die Gelegenheit zur 120  BVerfGE

A. I.].

121  BVerfGE

88, 203 (273); s. dazu auch bereits Kap. 2, Seite  125 [Abschn.  2,

39, 1 (47). dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (257). 123  BVerfGE 88, 203 (258); vgl. BVerfGE 39, 1 (46); s. dazu auch bereits Kap. 2, Seite  126 f. [Abschn.  2, A. II.]. 122  Siehe



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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Manifestation durch Antwort auf einen abweichenden Weltentwurf bietet124. Noch weitergehend aber präsentiert sich dem Gesetzesadressaten mit dem in § 218a Abs. 1 StGB normierten Tatbestandsausschluss eine Rechtsfigur, die mehr als nur die Rechtswidrigkeit, sondern gar die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens auszuschließen scheint125. So mag das Gesetz die Aufgeschlossenheit betroffener Frauen gegenüber einer unter staatlicher Verantwortung vollzogenen Beratung wahren. Der Transport eines Rechtswidrigkeitsverdikts wird allein durch das Strafgesetzbuch aber unmöglich gelingen, sondern müsste „auf andere Weise“, nämlich durch andere Teilbereiche der Rechtsordnung, vollzogen werden, wie das BVerfG selbst festgestellt hat126. 2. In der Gesamtrechtsordnung

Auch die Gesamtrechtsordnung ist aber – wie schon das Strafgesetzbuch  – angehalten, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Beratungskonzept in seiner Durchführung und Wirksamkeit nicht durch Verbote und sonstige Missbilligungen zu unterlaufen drohen und die die betroffene Frau insbesondere nicht dazu anhalten, „die Beratung gar nicht erst anzunehmen und in die Illegalität auszuweichen“127. Um der Schutzwirkung des Beratungskonzeptes willen sollen auch hier die Konsequenzen, die sich aus der – verfassungsgerichtlich ausdrücklich geforderten – Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch ergeben, nicht in jeder Hinsicht gezogen zu werden brauchen, „wenn das Beratungskonzept um seiner Wirksamkeit willen bestimmte Ausnahmen fordert“128. Um ein solches Konzept zu etablieren, müsse es „möglich sein, in dem jeweils einschlägigen Rechtsbereich davon abzusehen, den nach Beratung vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch, obwohl er nicht gerechtfertigt ist, als Unrecht zu behandeln“129. Die Erwartung, dass die Gesamtrechtsordnung das Rechtswidrigkeitsverdikt transportiert und ein diesbezügliches „Defizit“ des Strafgesetzes kompensiert, wird so verschiedentlich enttäuscht werden müssen130.

124  Siehe

dazu oben Kap. 3, Seite  194 f. [Abschn.  3, B. I.]. dazu oben Seite  562  [Abschn.  1, D.]. 126  Siehe oben Kap. 2, Seite  126 f. [Abschn.  2, A. II.], u. BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 4 u. 46). 127  BVerfGE 88, 203 (279). 128  BVerfGE 88, 203 (270). 129  BVerfGE 88, 203 (280). 130  Für einen schlagwortartigen Überblick über die in das Beratungskonzept eingebundenen Teile der Gesamtrechtsordnung s. Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (355 f.); ders., Forschungsobjekt, 65 f.; ders., ZfL 2008, 38 (40). 125  Zsfd.

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a) Der Ausschluss von Nothilferechten Man beginne etwa mit der Erwartung, dass gegen einen als rechtswidrige Tötung bewerteten Schwangerschaftsabbruch gemäß § 32 StGB rechtmäßig Nothilfe zugunsten des Ungeborenen müsste geübt werden können. Ließe man eine solche Nothilfe aber zu, legalisierte man die Sabotage des eigenen Beratungskonzeptes. Hiergegen ist man nun bemüht, Vorsorge zu treffen, indem entsprechende Nothilferechte einhellig verneint werden, als wäre der Abbruch nach der Beratungslösung eine rechtmäßige und nicht – wie verlautbart – eine rechtswidrige Tat. Nur über die Begründung einer in diesem Sinne einhellig befürworteten Rechtswidrigkeit der Nothilfe hat zunächst noch Uneinigkeit geherrscht: Während das BVerfG das Recht auf Nothilfe gegen nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch ausdrücklich hatte ausgeschlossen wissen wollen131, befand der Gesetzgeber eine entsprechende strafgesetzliche Regelung für entbehrlich, da bereits der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB einen „rechtswidrigen Angriff“ i. S. d. § 32 StGB ausschließe132. Jene gesetzgeberische Einschätzung wiederum hat in der Rechtsliteratur keine Zustimmung gefunden, die einhellig darauf verweist, dass die Rechtswidrigkeit des Angriffs i. S. d. § 32 StGB keine Strafrechtswidrigkeit sein müsse. Ob der fortbestehenden – und nach dem Rechtswidrigkeitsverdikt des BVerfG auch ausdrücklich verlangten – Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch nach der Gesamtrechtsordnung vermöge der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB Nothilfebefugnisse von Abtreibungsgegnern mithin gerade nicht auszuschließen133. Im Ergebnis aber stimmt die Rechtsliteratur mit BVerfG und Gesetzgeber darin überein, dass Nothilfe zugunsten des durch den Abbruch bedrohten Ungeborenen im Rahmen des Beratungskonzeptes ausgeschlossen werden müsse und behilft sich angesichts der Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs nach der Gesamtrechtsordnung damit, dass zwar nicht die Rechtswidrigkeit des Angriffs i. S. d. § 32 StGB, aber die Gebotenheit einer solchen Nothilfe nach § 32 Abs. 2 StGB zu verneinen sei134. 131  Siehe

dazu BVerfGE 88, 203 (279). 13 / 1850, 25; dazu auch Hillenkamp, in: Putzke et  al., FS-Herzberg, 483 (499 m. Fn. 50); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (351); Seibel, Probleme, 79. 133  Stellv. für die h. L.: Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 14; Kühl, StGB27, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 25; Lesch, Notwehrrecht, 14; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (351); Otto, Jura 1996, 135 (139); Satzger, JuS 1997, 800 (802); Seibel, Probleme, 90 f.; Tröndle, NJW 1995, 3009 (3014). 134  So Beulke, KK-Strafrecht / III4, Rn. 66; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 14: „das übergeordnete Interesse an der Wirksamkeit der Beratungsschutzkon132  BT-Drs.



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Unterstützung findet sie im „dualistischen Notwehr- und Nothilfemodell“ der h. M., nach dem – ein kumulatives Verhältnis von Individualgüterschutz und Rechtsbewährung vorausgesetzt135 – ein rechtswidriger Angriff nicht nur Individualschutzgüter, sondern auch die Rechtsordnung als Kollektivgut gefährden muss, um Anlass zu seiner gemäß § 32 StGB gerechtfertigten Abwehr zu geben136. Denn solange man mit dem BVerfG von der Verfassungsmäßigkeit des geltenden Beratungskonzepts ausgeht oder dessen gesetzliche Regelung zumindest toleriert, wird die Rechtsordnung durch die Aussicht auf einen nicht indizierten, aber das Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB wahrenden Schwangerschaftsabbruch gerade nicht angetastet. Im Gegenteil wäre es gerade das Handeln eines Nothelfers, das dieses vom Gesetzgeber für die ersten zwölf Schwangerschaftswochen erwählte Lebensschutzkonzept zu unterlaufen trachtete137. So mag es mit dem Rechtswidrigkeitsverdikt schwerlich vereinbar sein, dass dem Notwehr- und Nothilferecht mit der Achtung vor der gesetzlichen Beratungslösung eine „sozialethisch[e] Schranke“138 gesetzt wird. Für die Praktikabilität des erwählten Konzepts aber ist dies unverzichtbar: Indem Abwehrbefugnisse aus § 32 StGB wegen eines „sozialrechtlichen Aspekts“ von Notwehr und Nothilfe – des Rechtsbewährungsprinzips – versagt werden, wird das gesetzlich normierte und verfassungsgerichtlich bestätigte Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB vor potenziellen Eingriffen Dritter wirksam abgeschirmt139. zeption […] als eine Art ‚sozialethischer Schranke‘ des Notwehrrechts“; Satzger, Jura 2008, 424 (432); ders., JuS 1997, 800 (802 f.); Seibel, Probleme, 103–105; krit. Hillenkamp, in: Putzke et  al., FS-Herzberg, 483 (500); Lesch, Notwehrrecht, 20 f. u. 22. Zu weiteren Begr. für einen Nothilfeausschluss s. etwa Lesch, Notwehrrecht, der die in § 34 S. 2 StGB normierte Angemessenheit zum (auch ungeschriebenen Regulativ) aller Notrechte erhebt (a. a. O., 59) und die Nothilfe zugunsten des Ungeborenen (wenigstens jenseits einer Garantenbeziehung; a. a. O., 72 f.) wegen des Vorrangs der Beratungslösung für unangemessen befindet (a. a. O., 69); ferner Otto, Jura 1996, 135 (140), der mit Blick auf den staatlichen Strafverzicht die Erforderlichkeit privater Zwangsmaßnahmen in Frage stellen will; krit. Seibel, Probleme, 100 f.; Tröndle, NJW 1995, 3009 (3011); dazu auch Hillenkamp, a. a. O., 483 (499 f. m. Fn. 51). 135  Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 1a; Roxin, AT / I4, § 15, Rn. 2; zsfd. Engländer, Nothilfe, 29 f. m. w. N. 136  Stellv. für die h. M.: BGHSt 24, 356 (359); 48, 207 (212); Krey / Esser, AT5, Rn. 470; Kühl, StGB27, § 32 Rn. 1; Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 1 f.; Roxin, AT / I4, § 15, Rn. 1; Satzger, JuS 1997, 800 (803); Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, 182 f. u. 96; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 324a; krit. Rönnau / Hohn, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 32 Rn. 66; zsfd. Engländer, Nothilfe, 29 u. 8 m. Fn. 7. 137  So auch Beulke, KK-Strafrecht / III4, Rn. 66; Satzger, Jura 2008, 424 (432); krit. Seibel, Probleme, 99 f. 138  Begriff entnommen aus Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 14. 139  Mit Blick auf das gesetzlich erwählte Schutzkonzept verneint Hillenkamp nicht (erst) die Gebotenheit einer Nothilfe Dritter, will deren gefahrabwendendes

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b) Die von den §§ 134, 138 Abs. 1 BGB unangetastete Wirksamkeit des ärztlichen Behandlungsvertrags An die erste – durch das Rechtswidrigkeitsverdikt genährte, zugunsten der Praktikabilität des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Verfahrens aber enttäuschte – Erwartung von der Rechtmäßigkeit einer Nothilfe zugunsten des durch den Abbruch bedrohten Ungeborenen schließt sich die zweite Erwartung von der Nichtigkeit des Vertrages an, den Schwangere und Arzt über den nicht indizierten und mithin für rechtswidrig verlautbarten Abbruch abschließen. Gemäß § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig. Ebenso nichtig ist nach § 138 Abs. 1 BGB ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt. Mit Blick darauf, dass das BVerfG von einem „verfassungsrechtliche[n] Verbot des Schwangerschaftsabbruchs“140 ausgeht und die Rechtswidrigkeit des Abbruchs nach seinem Willen in der gesetzlichen Tatbestandslösung fortwirken soll, erwartete man gemeinhin also eine den §§ 134, 138 Abs. 1 BGB folgende Nichtigkeit des Behandlungsvertrags141. An jener Stelle interveniert jedoch wiederum die Ratio des Beratungskonzeptes, das eine Schwangere, die einen Abbruch in Erwägung zieht, nicht nur durch den Verzicht auf Straffreiheit zur Wahrnehmung des dem Ungeborenenschutz dienenden Beratungsangebots motivieren soll, sondern ihr darüber hinaus auch diejenigen rechtlichen Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen muss, derer sie zur Durchführung eines nach der Beratung gegebenenfalls fortbestehenden Abbruchsverlangens bedarf. Insofern muss der betroffenen Frau gewährleistet werden, dass sich der Leistungsaustausch zwischen ihr und dem behandelnden Arzt mit Rechtsgrund vollzieht, nämlich in Erfüllung eines wirksamen Vertrages, der die wechselseitigen Rechte und Pflichten regelt. Besonders schutzbedürftig ist die Schwangere gegenüber möglichen Schlechterfüllungen der Beratungs- und Behandlungspflichten des Arztes, auf die sie nicht nur delikts-, sondern auch vertragsrechtlich muss reagieren können142. Rechtsprechung und Lehre stimmen in der Folge darin überein, dass der über die Abtreibung geschlossene Vertrag als wirksam behandelt zu werden habe143. Verhalten aber im Wege einer teleologischen Reduktion bereits vom Anwendungsbereich des § 32 StGB ausnehmen; ders., in: Putzke et al., FS-Herzberg, 483 (501). 140  BVerfGE 88, 203 (273). 141  Siehe zu dieser Erwartung etwa Belling, Rechtfertigungsthese, 145; ferner die Nw. bei Seibel, Probleme, 123 m. Fn. 478 u. 479, 126 m. Fn. 493. 142  BVerfGE 88, 203 (295); dazu auch Hillgruber, MedR 1998, 201 (203). 143  Siehe dazu grundlegend BVerfGE 88, 203 (279 u. 295); ausführl. Seibel, Probleme, 123–140; krit. Büchner, ZfL 2008, 2 (3).



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Jener dem Beratungsmodell dienlichen Rechtsfolge weiß die Vorschrift des § 134 BGB insofern Vorschub zu leisten, als sie ihre Nichtigkeitssanktion nicht ausnahmslos anordnet: Nicht jeder Verstoß gegen ein Verbotsgesetz zieht mithin die Nichtigkeit des betreffenden Vertrags nach sich, sondern nur derjenige, für dessen Wirksamkeit „sich nicht aus dem Gesetz [vorliegend etwa aus dem zu befördernden Beratungsmodell] ein anderes ergibt“144. Innerhalb einer Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB wird man demgegenüber die grundsätzliche Missbilligung der nicht indizierten Ungeborenentötung gegen die Ratio des Beratungsmodells abzuwägen haben, um die Sittenwidrigkeit eines einschlägigen Behandlungsvertrages ungeachtet jener Missbilligung verneinen zu können145. Beide Vorschriften lassen in ihrer Formulierung mithin den Raum, dessen es bedarf, um die diesbezüglich widerstreitenden Vorgaben des Verfassungsgerichts wie des Strafgesetzgebers gegeneinander auszuspielen: Rechtswidrig soll er sein, der nicht indizierte Abbruch, und sich doch innerhalb eines Beratungsmodells vollziehen dürfen. Setzt dieses Modell nun die Wirksamkeit einer vertraglichen Vereinbarung über den nicht indizierten Abbruch voraus, manifestiert eine nach den §§ 134 und 138 Abs. 1 StGB ausbleibende Nichtigkeitssanktion nur neuerlich, wie Rechtsprechung und Lehre gewillt sind, die für den Ungeborenenschutz vorgeblich unerlässliche Außenwirkung des Rechtswidrigkeitsverdikts zu beschädigen, wenn sie der Umsetzung jenes in § 218a Abs. 1 StGB erwählten einfachgesetzlichen Beratungskonzepts zuwiderläuft. c) Die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EfzG Verfassungsrechtlich unbedenklich und der Schutzwirkung des Beratungskonzepts wenigstens förderlich soll es weiter sein, der Schwangeren für ihre durch den nicht indizierten Abbruch bedingte Fehlzeit am Arbeitsplatz das Entgelt fortzuzahlen146. Nach § 3 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EfZG) hat ein Arbeitnehmer, der durch unverschuldete Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert wird, für die Zeit jener Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 EfzG gilt nach Absatz 2 Satz  1 144  Vorstehendes Zitat der gesetzlichen Formulierung entnommen; [Klammerzusatz] nicht im Original. Für eine solche Anwendung der Ausnahmeklausel des § 134 BGB auf die vertragliche Vereinbarung eines nicht indizierten Abbruchs: Seibel, Probleme, 132–134 m. w. N.; anders aber für den noch vor Durchführung der Beratung abgeschlossenen Vertrag: dazu ders., a. a. O., 135–137. 145  So Seibel, Probleme, 138 f. 146  Siehe dazu BVerfGE 88, 203 (205 m. LS 16 a. E. und 324 f.).

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derselben Vorschrift nun zunächst auch diejenige Arbeitsverhinderung, die infolge eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. Dem setzt Satz  2 denjenigen Abbruch gleich, der zwar rechtswidrig, aber unter Wahrung der in § 218a Abs. 1 StGB normierten Voraussetzungen der Tatbestandslösung erfolgt ist. Was die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber im Krankheitsfall betrifft, erfahren rechtmäßiger – nach § 218a Abs. 2 oder Abs. 3 StGB gerechtfertigter – und rechtswidriger – nach § 218a Abs. 1 StGB „den Tatbestand nicht verwirklichender“ – Schwangerschaftsabbruch mithin keine Unterscheidung, sondern gelten beide gleichermaßen als unverschuldet. Jene Gleichsetzung indizierter und nicht indizierter Schwangerschaftsabbrüche hat die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG auf der Grundlage des früheren Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG147) mit dem für die Schutzwirkung des Beratungskonzeptes erforderlichen Ausschluss einer Offenbarungspflicht begründet. Um der betroffenen Frau einen Anspruch auf Lohnfortzahlung wegen unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit nach § 1 Abs. 1 S. 1 LFZG zu versagen, hätte man die betroffene Frau dazu anhalten müssen, den Grund ihrer Arbeitsunfähigkeit darzulegen, sodass ihrem Arbeitsgeber ein Verschuldensnachweis überhaupt möglich ist. Das Schutzkonzept einer Beratungsregelung wird aber als in seiner angestrebten Wirkung beeinträchtigt angesehen, wenn betroffene Frauen in diesem Sinne mit einem – auch nur arbeitsrechtlichen – Zwang zur Offenlegung ihres Entschluss konfrontiert würden: Um ihnen denjenigen Freiraum zu verschaffen, dessen die Einnahme einer dem Austragen der Schwangerschaft gegenüber aufgeschlossenen Haltung bedarf, sollen sie ihre Abbruchsentscheidung außerhalb der Konfliktberatung und des ärztlichen Gesprächs gegenüber Dritten gerade nicht darlegen müssen148. So setzt § 3 Abs. 2 S. 2 StGB also denjenigen Abbruch, dessen Rechtswidrigkeit durch die Gesamtrechtsordnung transportiert werden soll, dem in § 3 Abs. 2 S. 1 EfzG normierten „nicht rechtswidrigen“ Abbruch gleich. Dass hierdurch keine Aussage über seinen Unrechtsgehalt getroffen, sondern nur eine dem Beratungsmodell abträgliche Offenbarungspflicht vermieden werden soll, dürfte wohl kaum zur Einsicht des Gesetzesadressaten gelangen. 147  Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung vom 27.07.1969 (BGBl. I, Nr. 67 v. 30.07.1969, 946), aufgehoben durch Art. 4 des Gesetzes über den Ausgleich von Arbeitsgeberaufwendungen und zur Änderung weiterer Gesetze vom 22.12.2005 (BGBl. I, Nr. 76 v. 30.12.2005, 3686 [3690]). 148  Zum Vorstehenden s. BVerfGE 88, 203 (324 f.); ebenso Seibel, Probleme, 150 f. m. w. N.



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d) Das Verbot von Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen Demgegenüber dürfen nach der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG keine Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für den nach der Beratungsregelung erfolgenden Abbruch ergehen149. Während es das Gericht im Übrigen in Kauf nimmt, dass das Rechtswidrigkeitsverdikt in weiten Teilen der Gesamtrechtsordnung um der Wirksamkeit des Beratungskonzeptes willen zurückgenommen wird – man betrachte nur die vorangegangenen Ausführungen zum Ausschluss der Nothilfe, zur Wirksamkeit des Behandlungsvertrages auch unter Berücksichtigung der §§ 134, 138 Abs. 1 StGB sowie zur Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 1 EfzG –, schließt es eine entsprechende Haltung für Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen aus verfassungsrechtlichen Gründen aus. aa) Die gesetzliche Regelung des § 24b SGB V Dieser Einschätzung folgend besteht gemäß § 24b Abs. 1, Abs. 2 SGB V nur „bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft“, der durch einen Arzt (Abs. 1 S. 1) in einer Einrichtung i. S. d. § 13 Abs. 1 SchKG vorgenommen wird (Abs. 1 S. 2), ein solcher Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, der neben der ärztlichen Beratung über Erhaltung oder Abbruch der Schwangerschaft ohne Einschränkungen auch die ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verbandsund Heilmitteln sowie die Krankenhauspflege erfasst (Abs. 2). Ohne Einschränkungen werden die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung demnach nur derjenigen Schwangeren zuteil, die einen gemäß § 218a Abs. 2 oder Abs. 3 StGB indizierten Abbruch vornehmen lässt. Demgegenüber schränkt § 24b Abs. 3 SGB V die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen im Falle eines unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB vorgenommenen Abbruchs verschiedentlich ein: So werden vom Anspruch auf ärztliche Behandlung die Vornahme des Abbruchs selbst sowie die Nachbehandlung bei komplikationslosem Verlauf ausgenommen und die Versorgung mit Arznei-, Verbands- und Heilmitteln sowie die Krankenhausbehandlung von der einschränkenden Zielsetzung abhängig gemacht, dass sie der Gesundheit des Ungeborenen, der Kinder aus weiteren Schwangerschaften oder der Mutter dienen. § 24b Abs. 4 SGB V präzisiert in seinem Satz  1 jene vom Anspruch auf Leistungen ausgenommene ärztliche Vornahme des Abbruchs näher und nimmt ferner auch mit diesen ärztlichen Leistungen im Zusammenhang stehende Sachkosten (S. 2) sowie bei voll149  BVerfGE

88, 203 (205 m. LS 16, 312 u. 315).

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stationärer Vornahme des Abbruchs den allgemeine Pflegesatz für den Tag, an dem der Abbruch vorgenommen wird, von der Leistungspflicht der Krankenkasse aus (S. 3). Zusammengefasst wird eine Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenkassen – im Anschluss an die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG – also ausgeschlossen, soweit es sich um den Abbruch selbst handelt. Unberührt bleibt der Anspruch auf Leistungen im Vorfeld eines Schwangerschaftsabbruchs ebenso wie der Anspruch auf Nachbehandlungen, die durch komplikationsbedingte Folgeerscheinungen des Abbruchs veranlasst sind150. bb) Die Zuordnung zum Kompetenzbereich der Gesundheitsvorsorge Dabei verhindert das kompetenzrechtliche Bild der Sozialversicherung eine Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenkassen für die Durchführung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs nicht. Zunächst „kommt es für die kompetenzrechtliche Zuordnung nicht darauf an, ob die Kompetenz für eine inhaltlich rechtmäßige oder rechtswidrige Regelung in Anspruch genommen wird; entscheidend ist, ob die Regelung gegenständlich in den Kompetenzbereich fällt“151. Diesbezüglich hat das BVerfG ausgeführt, dass ein solcher Abbruch zwar weder eine Gesundheitsvorsorge noch einen Heileingriff darstelle: „Ein in irgendeiner Weise behandlungsbedürftiger Zustand der Schwangeren entsteht hier in der Regel erst durch den Eingriff, dessen finanzielle Absicherung durch die Solidargemeinschaft in Rede steht“. Der notwendige Bezug zum kompetenzbegründenden Thema der Gesundheitsvorsorge ergebe sich aber daraus, dass der nicht indizierte Abbruch notwendigerweise einen medizinischen Eingriff an der Frau darstelle, der von gesundheitlichen Risiken begleitet ist152. cc) Jenseits der Grenze zur staatlichen Unrechtsteilnahme Zutreffend scheint das Gericht mit der Finanzierung eines nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs durch die gesetzlichen Krankenversicherungen, die ihrerseits Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, aber die Grenze zur staatlichen Unrechtsteilnahme überschritten zu sehen. Zum Vergleich ein Kurzfall aus dem allgemeinen Teil des Strafrechts: Wer dem 150  Zu dieser Diff. von Leistungen im Vorfeld des nicht indizierten Abbruchs, Durchführung des Abbruchs und Nachsorge für aufgetretene Komplikationen s. BVerfGE 88, 203 (320 f.). 151  BVerfGE 88, 203 (313). 152  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (314).



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zu einer bestimmten rechtswidrigen Tötung Entschlossenen die Gelder bereitstellt, damit er die für die Realisierung seines Vorhabens notwendigen Mittel erstehen und mithin die Tötung vollziehen kann, fördert zweifellos die Haupttat und verwirklicht – vorbehaltlich des notwendigen Doppelvorsatzes – eine Beihilfe nach § 27 StGB. Entsprechend setzte sich auch ein Staat, für den Körperschaften des öffentlichen Rechts die Finanzierung eines rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs besorgten, wenigstens dem Vorwurf staatlicher Unrechtsteilnahme aus: „Die Übernahme der Arztkosten und die sozialversicherungsrechtlich vorgesehene Organisation und Gewährleistung der ärztlichen Leistungen für die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sind zwar nicht unmittelbar ursächlich für die Tötung des ungeborenen Lebens; sie stellen sich aber als eine Beteiligung des Staates an diesem Vorgang dar“153. Ein solcher Vorwurf entfiele nur dann, wenn die Tötung des Ungeborenen „rechtmäßig ist und der Staat sich dieser Rechtmäßigkeit mit rechtsstaat­ licher Verläßlichkeit vergewissert hat“154. In der Sprache des § 27 StGB entfällt nur für diesen Fall, in dem eine Schwangerschaftsabbruchsindikation nach § 218a Abs. 2 oder Abs. 3 StGB festgestellt worden ist, die rechtswidrige Haupttat, zu der ein Staat Hilfe leisten könnte. In denjenigen Fällen hingegen, in denen die Rechtsordnung in Umsetzung eines Beratungskonzeptes auf die Feststellung einer Indikation verzichtet und das durch § 218 Abs. 1 StGB indizierte Rechtswidrigkeitsurteil fortdauern lassen möchte, bleibt mit dem nicht indizierten Abbruch ein Anknüpfungspunkt für den Vorwurf staatlicher Unrechtsteilnahme erhalten. Ein Rechtsstaat, der sich diesem Vorwurf entziehen muss, darf sich an der Tötung ungeborenen Lebens mithin nicht beteiligen, solange er von deren Rechtmäßigkeit nicht überzeugt sein kann. Anderenfalls übernähme er „Mitverantwortung für Vorgänge, deren Rechtmäßigkeit er einerseits schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht als gegeben ansehen darf und andererseits im Rahmen seines Schutzkonzeptes festzustellen gehindert ist“155. dd) Die Prägung eines gegenläufigen Rechtsbewusstseins Mehr aber noch: Soweit in einem funktionierenden Gemeinwesen die Vorstellung vorherrscht, dass sich der Staat nicht an Unrecht beteilige und 88, 203 (315 f.); dazu auch Seibel, Probleme, 153 f. 88, 203 (315). 155  BVerfGE 88, 203 (316); so auch a. a. O., 319: „Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit wäre auch nicht etwa nur am Rande berührt, sondern vielmehr im Kern verletzt, übernähme der Staat allgemein […] mittelbar oder unmittelbar (Mit-)Verantwortung für Vorgänge, von deren Rechtmäßigkeit er nicht überzeugt sein kann“. 153  BVerfGE 154  BVerfGE

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ein entsprechender Vorwurf mithin gegenstandslos sein müsse, leistete die Finanzierung eines nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts der Vorstellung Vorschub, dass ein dergestalt geförderter Abbruch rechtmäßig sein müsse. Durch Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen würde gar der Eindruck geprägt, dass der nicht indizierte Schwangerschaftsabbruch unter das übliche Versicherungsrisiko gefasst werden könne und einen „in diesem Sinne alltäglichen, also der Normalität entsprechenden Vorgang“ bilde156. Nachvollziehbar sieht das BVerfG also das Rechtsbewusstsein unterlaufen, würde es die gesetzlichen Kassen anhalten, zu einem rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch Hilfe zu leisten: Hierdurch würde „unvermeidlich“ der Eindruck erweckt, „der Schwangerschaftsabbruch würde von der Rechtsordnung am Ende doch gutgeheißen“157, und würde „das allgemeine Bewußtsein in der Bevölkerung, daß das Ungeborene auch gegenüber der Mutter ein Recht auf Leben hat und daher der Abbruch der Schwangerschaft grundsätzlich Unrecht ist, erheblich beschädigt“158. ee) Conclusio Mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip, das eine staatliche Unrechtsteilnahme verbietet, und die positiv-generalpräventive Zielsetzung, ein Unrechtsbewusstsein bezüglich der nicht indizierten Ungeborenentötung zu schaffen, hat das BVerfG Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für den nicht indizierten und als rechtswidrig verlautbarten Abbruch mithin als verfassungswidrig ausgeschlossen. Ihre gesetzliche Umsetzung hat jene verfassungsgerichtliche Einschätzung in der Vorschrift des § 24b Abs. 3, Abs. 4 SGB V gefunden, welche die Vornahme des nach § 218a Abs. 1 StGB erfolgenden Abbruchs ebenso wie die Nachbehandlung bei komplikationslosem Verlauf von der Leistungspflicht der gesetzlichen Kassen ausnimmt und einen Anspruch auf andere der angeführten Leistungen nur unter Einschränkungen anerkennt. Ob des Rechtswidrigkeitsverdikts muss die einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 1 StGB begehrende Frau für besagte, von der Leistungspflicht der gesetzlichen Kassen ausgenommene Leistungen selbst aufkommen, entgeht ob der Ratio des Beratungskonzepts, 156  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (319); vgl. auch BVerfGE 39, 1 (44). In diesem Sinne kritisiert Isensee, NJW 1986, 1645 (1648), gar auch Krankenkassenleistungen für den indizierten – und mithin rechtmäßigen – Abbruch: Nicht der Eindruck einer exzeptionellen „Grenzsituation“, sondern derjenige einer „regulären medizinischen Heilmaßnahme“ würde vermittelt; s. weiter ders., a. a. O., 1645 (1649). 157  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (320). 158  BVerfGE 88, 203 (319).



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das ungewollt schwangere Frauen einer am Schutz des ungeborenen Lebens orientierten Beratung zuführen und vor den Gesundheitsgefahren eines illegal durchgeführten Abbruchs schützen will, aber dem Strafvorwurf für diese aus eigener Kraft finanzierte, rechtswidrige Tatbegehung. e) Die Gewährung von Sozialhilfe Wie ist es nun aber um diejenigen Frauen bestellt, die die Mittel für einen nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch nicht aus eigener Kraft aufbringen können? Sie werden allein durch die in Aussicht gestellte Straffreiheit nicht zur Wahrnehmung des Beratungsangebots motiviert werden können, ebenso wie diese Aussicht sie nicht von einem illegalen Abbruch wird abhalten können. Um auch diese Frauen zu erreichen und sie der am Schutz des ungeborenen Lebens orientierten Beratung zuzuführen159, muss der Gesetzgeber für den Fall finanzieller Bedürftigkeit Möglichkeiten der nicht nur straflosen, sondern auch finanzierten Durchführung des Abbruchs offerieren: „Verlangt die Rechtsordnung nun einerseits zum Schutze der Gesundheit der schwangeren Frau, andererseits aber auch um des Schutzes des Ungeborenen willen die Inanspruchnahme eines Arztes, so darf dies nicht daran scheitern, daß die Frau nicht über die dafür erforderlichen finanziellen Mittel verfügt. In diesem Fall darf es dem Staat nicht verwehrt sein, diese Mittel selbst bereitzustellen“160. Besagte Finanzierung sollen nun Sozialhilfeleistungen gewährleisten, die das BVerfG auch für einen als rechtswidrig verlautbarten, aber nach Beratung i. S. d. § 218a Abs. 1 StGB erfolgenden Abbruch als verfassungsgemäß befunden hat161. So treten die gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 19 Abs. 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG)162 bei Abbrüchen nach § 218a Abs. 1 StGB für solche Frauen in Vorleistung, denen die Aufbringung der Mittel zur Finanzierung des Abbruchs nach der in § 19 Abs. 2 SchKG festgelegten 159  Zu

dieser Ratio der Gewährung von Sozialhilfe s. BVerfGE 88, 203 (322). 88, 203 (321); so auch a. a. O., 316 f.: „Das Beratungskonzept schließt es ein, daß ein Abbruch der Schwangerschaft unter medizinisch unbedenklichen Bedingungen und unter Umständen erfolgen kann, die das Persönlichkeitsrecht der Frau wahren. Diesen Anforderungen ist nur genügt, wenn keine Frau aus finanziellen Gründen an der Inanspruchnahme eines Arztes gehindert ist. […] Soweit die Frauen […] nicht über hinreichendes eigenes Einkommen oder Vermögen verfügen, kann der Staat nach den Grundsätzen des Sozialhilferechts auch hier ihren Bedarf decken“. 161  BVerfGE 88, 203 (205 m. LS 16 u. 312). 162  Ehemals § 1 des Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen vom 21.08.1995 (SchwHG), verkündet als Art. 5 des Schwangeren- und Familiehilfenänderungsgesetzes (SFHÄndG); BGBl. I, Nr. 44 v. 25.08.1995, 1050 (1054). 160  BVerfGE

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Einkommensgrenze nicht zugemutet werden kann163 und die bei der Kasse einen Antrag auf Kostenübernahme stellen164. Die entstehenden Kosten des Abbruchs werden den Kassen gemäß § 22 SchKG sodann von dem Bundesland, in dem die Schwangere ihren Wohnsitz hat, erstattet. Im Ergebnis finanziert der Staat so weit über 90 % der nach § 218a Abs. 1 StGB erfolgenden und für rechtswidrig erkannten Schwangerschaftsabbrüche aus Steuergeldern165. Weshalb BVerfG und Gesetzgeber die Grenze zur staatlichen Unrechtsteilnahme durch diese staatliche Hilfeleistung aber nicht überschritten und das allgemeine Bewusstsein von der Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs nicht beschädigt sehen wollen, bleibt unverständlich. Auch diese Finanzierung des nicht indizierten Abbruchs, für die gemäß § 22 SchKG letzten Endes gar eine Gebietskörperschaft aufkommt, muss unweigerlich der Vorstellung Vorschub leisten, dass ein dergestalt geförderter Abbruch rechtmäßig sein müsse, und in diesem Sinne das durch das Rechtswidrigkeitsverdikt zu wahrende Bewusstsein vom Unrecht des nicht indizierten Abbruchs erheblich beschädigen. f) Die staatliche Einrichtungsgarantie gemäß § 13 Abs. 2 SchKG Mit seiner Ablehnung von Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für den gemäß § 218a Abs. 1 StGB erfolgenden Abbruch hat das BVerfG mithin zu erkennen gegeben, wie es die finanzielle Hilfeleistung als dem Rechtswidrigkeitsverdikt und dem durch es zu wahrenden (Un‑)Rechtsbewusstsein abträglich erachtet, hat gleichzeitig aber auf Umwegen eine finanzielle Vorleistung der gesetzlichen Krankenkassen und Erstattung durch das jeweilige Bundesland zulassen müssen, um das befürwortete Beratungskonzept nicht in seiner Wirksamkeit zu unterlaufen. In eine entsprechende „Zwickmühle“ gerät das Gericht, hat es eine andere Art der Hilfeleistung zum rechtswidrigen Abbruch zu beurteilen: die Schaffung und fortdauernde Gewährleistung eines Angebots an Einrichtungen zur Durchführung auch des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs.

163  Zur Unzumutbarkeit der Aufbringung der Mittel s. weiter auch § 19 Abs. 3 SchKG sowie die in § 25 SchKG festgehaltenen Übergangsvorschriften. 164  Vgl. BVerfGE 88, 203 (322): „Es liegt außerdem nahe, alle Verfahren zur staatlichen Gewährung von Schutz und Hilfe möglichst bei einer Behörde, etwa bei der gesetzlichen Krankenversicherung, zusammenzufassen und so zugleich sicherzustellen, daß die Frau nur einmal ihre Situation darlegen muß“. 165  BT-Drs. 15 / 1556; die ebda. genannten Zahlen aufgreifend: Büchner, ZfL 2004, 48 (51 f.); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (358); Spieker, Der verleugnete Rechtsstaat2, 23.



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aa) Eine Pflicht zur staatlichen Unrechtsteilnahme oder -täterschaft Jene Hilfeleistung ist heute in § 13 Abs. 2 SchKG normiert: „Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher“166. Sie ist durch das Verfassungsgericht nicht mit Blick auf das Rechtswidrigkeitsverdikt als staatliche Unrechtsteilnahme oder gar Unrechtstäterschaft167 unterbunden worden. Im Gegenteil hat es die Sicherstellung eben jenes Angebots als „Staatsaufgabe“168 bewertet: In Verwirklichung seines Schutzkonzeptes habe der Staat dafür Sorge zu tragen, dass zum Abbruch einer Schwangerschaft ärztliche Hilfen in einer Entfernung zur Verfügung stehen, die von der Frau nicht die Abwesenheit über einen Tag hinaus verlangen. So sollen sich weder der Arzt noch die schwangere Frau aus organisatorischen Gründen dazu gedrängt sehen, den vereinbarten Termin zum Schwangerschaftsabbruch zu nutzen, sondern soll ihnen die Möglichkeit eröffnet werden, den Eingriff gegebenenfalls auf einen späteren Tag zu verschieben, was wiederum dem Lebensschutz des Ungeborenen dienen soll169. Dass sich die Anerkennung einer solchen „Staatsaufgabe“ einer Pflicht zur staatlichen Unrechtsteilnahme oder gar Unrechtstäterschaft bedenklich annähert170, klingt einzig in demjenigen Passus der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung an, in dem das Gericht die Länder mit Blick auf die Schutzpflicht zugunsten des ungeborenen Lebens anhält, „zusätz­ liche Maßnahmen zu unterlassen, wenn sich diese als aktive Förderung des Schwangerschaftsabbruchs auswirken“171. Diesem verfassungsgerichtlichen Passus, dass es den Ländern entsprechend dem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag nach § 13 Abs. 2 SchKG zwar obliege, für die notwendige ärztliche Betreuung der Schwangeren zu sorgen, sie gleichzeitig aber eine aktive Förderung des Schwangerschaftsabbruchs zu unterlassen hätten, wohnt insofern ein nicht auflösbarer Widerspruch inne, als bereits die Sicherstellung von Einrichtungen zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen die 166  § 13 Abs. 2 SchKG entspricht Art. 4 des 5. StrRG i. d. F. d. Schwangerenund Familienhilfegesetzes v.  27.07. 1992; Büchner, ZfL 2008, 2 (4). 167  Eine Unrechtstäterschaft statt nur Unrechtsteilnahme vermag man deshalb in Erwägung zu ziehen, weil beratene Abbrüche – wie von BVerfGE 88, 203 (329) ausdrücklich zugelassen – auch in Kliniken mit kommunaler Trägerschaft stattfinden; darauf hinweisend: Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (356). 168  BVerfGE 88, 203 (328). 169  BVerfGE 88, 203 (212 m. II.4. Abs. 5 der Entscheidungsformel u. 330). 170  Nicht nur eine Annäherung, sondern die Begründung einer solchen Pflicht kritisiert Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (356); ders., ZfL 2008, 38 (40); ebenfalls krit. Jakobs, JR 2000, 404 (407). 171  BVerfGE 88, 203 (334).

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Grenze zur aktiven Förderung eindeutig überschreitet. Der Staat wird verpflichtet, ein flächendeckendes Angebot an Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, in denen – nach Ansicht des BVerfG und gemäß der herrschenden Meinung im Strafrecht – menschliches Leben rechtswidrig getötet wird, das wenigstens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhat. Durch verfassungsgerichtliches Urteil und einfaches Gesetz wird der Staat verpflichtet, Unrecht zu begehen oder wenigstens daran teilzunehmen: in den Worten Merkels eine „normenlogische Unmöglichkeit“172. Zum Vergleich wieder ein Kurzfall aus dem allgemeinen Teil des Strafrechts: Wer dem zur Tötung Entschlossenen die Waffe bereitstellt, fördert zweifellos die Haupttat und verwirklicht – vorbehaltlich des notwendigen Doppelvorsatzes – mithin eine Beihilfe nach § 27 StGB. Warum der Staat den Abbruch aber nicht in diesem Sinne fördern soll, wenn er der Schwangeren die für den Abbruch notwendigen Einrichtungen bereitstellt, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie der Umstand, dass die den bedürftigen Frauen nach §§ 19 ff. SchKG geleistete finanzielle Unterstützung die Grenze zur staatlichen Unrechtsteilnahme nicht überschreiten soll. In einem funktionierenden Gemeinwesen, in dem die Vorstellung vorherrscht, dass sich der Staat nicht an Unrecht beteilige, wird das durch den Staat garantierte flächendeckende Angebot an Abbruchseinrichtungen ebenso wie die staatliche Finanzierung nicht indizierter Schwangerschaftsabbrüche der Vorstellung Vorschub leisten müssen, dass ein dergestalt geförderter Abbruch rechtmäßig sein müsse. bb) Assoziationen von „Holocaust“ und „Babycaust“ Dass eine so ausgestaltete Abtreibungspraxis und ihre Legitimierung durch das geltende Recht Abtreibungsgegner zu Äußerungen vom „Babycaust“ veranlasst, mit denen sie eine Verbindung zum nationalsozialistischen Holocaust herstellen, sollte nun angesichts dieser staatlichen Unrechtsteilnahme nicht verwundern. Dass auch das BVerfG einen solchen Vergleich zwar nicht ausdrücklich, aber mittelbar für nicht „fern liegend“ befindet, muss angesichts seiner Fürsprache für eine Reglementierung nicht indizierter Schwangerschaftsabbrüche im Wege des Beratungskonzepts und des darin inkludierten Tatbestandsausschlusses umso mehr erstaunen. So bildete die Äußerung „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ den Gegenstand des sog. „Babycaust-Beschlusses“ des BVerfG vom 24.05.2006173. 172  Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (356); ders., Forschungsobjekt, 57 u. 72; krit. auch Büchner, ZfL 2008, 2 (4); Jakobs, JR 2000, 404 (407). 173  BVerfG NJW 2006, 3769 = ZfL 2006, 124. Zur Befassung des EGMR mit nachfolgenden Individualbeschwerden s. dessen Urteil v. 13.01.2011; EGMR ZfL 2011, 61.



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Verbreitung fand jene Äußerung durch ein Flugblatt, das auf dem gemeinsamen Gelände eines Klinikums und einer auf Abtreibungen spezialisierten Praxis verteilt wurde, den in der Abtreibungspraxis tätigen Arzt namentlich nannte und das Klinikumgelände als Ort des kritisierten Geschehens deutlich hervorhob174. Während die Gerichte des Strafverfahrens den Vergleich von „Holocaust und „Babycaust“ als eine unzulässige, von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht geschützte Schmähkritik werteten und den Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB (gegenüber dem Arzt wie auch der Klinikträgerin) für verwirklicht befanden175, verneinte das Berufungsgericht im Zivilverfahren einen entsprechenden Unterlassungsanspruch des Abtreibungsarztes gegen die besagte Äußerung176. Unter Bezugnahme auf eine frühere Entscheidung des BGH, die ein Flugblatt identischen Inhalts zum Gegenstand hatte, deutete das Zivilgericht die angegriffene Äußerung nicht in dem – einen Unterlassungsanspruch zweifelsohne begründenden – Sinne, dass jene die angeprangerten Vorgänge mit dem Holocaust des Nationalsozialismus in seinem geschichtlichen Sinne unmittelbar gleichsetzte. Vielmehr bediene sich die Äußerung des Mittels der Provokation, um Aufmerksamkeit für ein Sachanliegen zu erregen und die Meinung zu vermitteln, dass die Abtreibungspraxis auf der Grundlage der geltenden Gesetzeslage eine verwerfliche Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens darstelle177. Insofern befand das Berufungsgericht im Zivilverfahren die für den Äußernden günstigste Deutungsvariante für maßgeblich, während es diejenige, welche das Persönlichkeitsrecht am stärksten beeinträchtigte, als unerheblich abtat. Dem hat das BVerfG in seinem „Babycaust-Beschluss“ vom 24.05.2006 widersprochen. Zunächst hat es die Äußerung „damals: Holocaust, heute: Babycaust“ – gleich den Straf- und Zivilgerichten – als eine mehrdeutige Äußerung folgenden möglichen Inhalts verstanden: Einerseits könne sie als 174  BVerfG

NJW 2006, 3769 (3769). das Landgericht Nürnberg in der Berufungsinstanz; nachzulesen in BVerfG NJW 2006, 3769 (3770 u. 3771); ZfL 2006, 124 (124 f.). Entsprechend wies das Bayerische Oberste Landesgericht die Revision des Abtreibungsgegners als unbegründet zurück; nachzulesen in BVerfG NJW 2006, 3769 (3770) u. ZfL 2006, 124 (125). Nachdem die Verfassungsbeschwerde – was die Verurteilung wegen Beleidigung des Abtreibungsarztes (statt wegen Beleidigung der Klinikträgerin) betrifft – für unbegründet befunden worden war (dazu: BVerfG NJW 2006, 3769 (3770) u. ZfL 2006, 124 [126]), verneinte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 13.01.2011 eine Verletzung des Art. 10 EMRK; s. dazu EGMR ZfL 2011, 61 m. LS 1. 176  Nach erfolgreicher Unterlassungsklage vor dem Landgericht Nürnberg wurde der Unterlassungsanspruch (auch) gegen die besagte Äußerung in der Berufungsinstanz durch das OLG Nürnberg verneint; ZfL 2006, 124 (125 f.). 177  So die frühere Entscheidung des BGH NJW 2000, 3421 (3423). 175  So

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bloßer Vorwurf der verwerflichen Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens verstanden werden, andererseits könne sie aber auch auf eine unmittelbare Gleichsetzung zum Holocaust schließen lassen, sodass der in dem Flugblatt namentlich benannte Arzt mit einem „Handlanger staatlich geplanter Ausrottung von Teilen der Bevölkerung“ und sein legales Verhalten „mit der willkürlichen Tötung von Menschen durch ein Unrechtsregime“ identifiziert würde178. Zur Deutung solcher mehrdeutiger Äußerungen hatte das BVerfG im so genannten Stolpe-Beschluss179 – dort noch bezüglich einer Tatsachenbehauptung – erstmals festgestellt, dass der Prüfung von Unterlassungsansprüchen eine andere Deutung zugrunde zu legen sei als der Prüfung von Ansprüchen auf Widerruf oder Geldentschädigung oder der Prüfung in einem Strafverfahren. Während man bei Widerruf, Geldentschädigung und Strafverfahren „im Lichte der Meinungsfreiheit“ auf diejenige Deutungs­ variante abstellt, welche keine bzw. die geringste Persönlichkeitsverletzung bewirkt, kehrte das BVerfG diesen Maßstab für die Auswahl unter mehreren möglichen Deutungsvarianten im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs um: Von mehreren nicht fern liegenden Deutungsvarianten sei der Prüfung eines Anspruchs auf zukünftige Unterlassung gerade diejenige zugrunde zu legen, die eine Persönlichkeitsverletzung bewirke bzw. zur schwereren Persönlichkeitsverletzung führe. Weil ein Unterlassungsanspruch die Meinungsfreiheit des sich Äußernden geringer beschneide als eine nachträgliche Verhängung von Sanktionen, sei es dem sich Äußernden zumutbar, mehrdeutige Äußerungen in Zukunft so zu präzisieren, dass sie den Betroffenen so wenig wie möglich in seinem Persönlichkeitsrecht tangieren180. In Fortführung dieser Stolpe-Rechtsprechung181 erkannte das BVerfG im „Babycaust-Beschluss“ nun darauf, dass dem zu prüfenden zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch des Abtreibungsarztes gegen die Flugblattaktion diejenige Deutungsvariante zugrunde zu legen sei, die dessen Persönlichkeitsrecht ob 178  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus ZfL 2006, 124 (125), zu den Ausführungen des LG Nürnberg im strafrechtlichen „Babycaust-Verfahren“. 179  BVerfGE 114, 339 = BVerfG NJW 2006, 207. 180  BVerfGE 114, 339 (350 u. 352); im Anschluss hieran auch BVerfG ZfL 2006, 135 (137); zsfd. Mückl, ZfL 2007, 62 (66), u. Zimmermanns, ZfL 2007, 80 (80 f.). 181  Indem das BVerfG die Stolpe-Rechtsprechung vorliegend auf ein Werturteil anwendete, entwickelte es diese Rechtsprechung insofern fort, als sie nun nicht nur für Tatsachenbehauptungen, sondern auch für Werturteile Geltung beanspruchte; krit. zu deren Ausweitung auf Werturteile s. Hochhuth, NJW 2007, 192 (193); Mückl, ZfL 2007, 62 (67). Vgl. den ebenfalls am 24.05.2006 ergangenen „RechtswidrigeAbtreibungen-Beschluss“ des BVerfG, in welchem das Gericht die Stolpe-Rechtsprechung auf eine Äußerung zur Anwendung brachte, deren Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil offen blieb; BVerfG, ZfL 2006, 135 (näher dazu unten Seite  601 [g) bb) (2)] m. Fn. 218). Kritisch u. a. Mückl, ZfL 2007, 62 (68); Zimmermanns, ZfL 2007, 80 (81).



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einer unmittelbaren geschichtlichen Gleichsetzung seiner Abtreibungstätigkeit mit dem Holocaust stärker beeinträchtige182. Indem das BVerfG diese Deutungsvariante nun zur Grundlage seiner Entscheidung machte (und die Sache in der Folge an das OLG Nürnberg zurückverwies), bewertete es die Deutung der Äußerung „damals: Holocaust, heute Babycaust“ i. S. e. unmittelbaren Gleichsetzung von Abtreibungspraxis und Holocaust ausdrücklich als eine „nicht fern liegende“ Deutungsmöglichkeit: Denn nur diese „nicht fern liegenden Deutungsmöglichkeiten“ sind der Erfassung des Sinnes einer Äußerung zu Grunde zu legen183. „Nicht fern liegen“ kann die Deutung einer Äußerung aber nur dann, wenn die Äußerung selbst sowie ihr Bezugspunkt Anhaltspunkte aufweisen, an welche diese Deutung (aus der Sicht eines Durchschnittsrezipienten) anknüpfen kann. Ersteres, nämlich dass die Äußerung selbst Anhaltspunkte für eine entsprechende Deutung liefern muss, ist selbstverständlich und im vorliegenden Fall ohne Weiteres erfüllt: Das Flugblatt bezeichnet die Abtreibung als „Babycaust“ und lehnt damit bereits in der Wortschöpfung an den Holocaust an. Es nennt Holocaust und „Babycaust“ in unmittelbarer Aufeinanderfolge und bezieht sie dadurch sowie durch das Begriffspaar „damals / heute“ zweifelsohne aufeinander. Nun kann diese hergestellte Verbindung entweder die scharfe Kritik an einer in beiden Fällen verwirklichten verwerflichen Massentötung zum Ausdruck bringen oder aber sie könnte dergestalt verstanden werden, dass der Staat und die Personen, derer er sich bedient, auch heute noch eine Art von Holocaust praktizieren, der sich eben nicht gegen Millionen von Juden, sondern gegen Millionen Ungeborener richtet. Die Formulierung der Äußerung trägt beide Deutungen. Dies allein genügt allerdings nicht, um eine Deutung als „nicht fern liegend“ bejahen zu können. Die Deutung muss zusätzlich auch durch Anhaltspunkte im Bezugspunkt der Äußerung getragen werden bzw. darf wenigstens nicht durch gegenteilige Anhaltspunkte widerlegt werden. Beispielhaft betrachte man folgende Formulierung: „Frau N. ist eine Hure“. Nun bieten sich ver182  BVerfG ZfL 2006, 124 (130 u. 131). Entsprechend will Hillenkamp auch über das Notwehrrecht des Arztes entscheiden: Ob einer gleichermaßen präventiven Ausrichtung der Notwehr dürfe der Arzt bereits dann von einer Notwehrlage ausgehen, wenn er nur durch eine mögliche (weniger nachsichtige) Deutung der ihn angreifenden Äußerungen in seinen schutzwürdigen Rechtsgütern bedroht wird; Hillenkamp, in: Putzke et  al., FS-Herzberg, 483 (494 f.). 183  Vgl. den Beschluss des BVerfG im „Soldaten sind Mörder“-Verfahren, nach dem fern liegende Deutungen bei der Erfassung des Sinns einer Äußerung außer Ansatz zu bleiben haben; BVerfGE 93, 266 (296). In diesem Sinne auch sein Beschluss im Verfahren „Stolpe“: „Der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht sind vielmehr alle nicht entfernt liegenden Deutungsvarianten zu Grunde zu legen, die dieses Recht beeinträchtigen“; BVerfGE 114, 339 (350) = BVerfG NJW 2006, 207 (209); Hervorhebungen nicht im Original.

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schiedene Deutungen an: Die Äußerung könnte so verstanden werden, dass Frau N. tatsächlich als Prostituierte arbeitet oder aber dass Frau N. infolge einer liberalen Sexualauffassung Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Männern zu haben pflegt. Möglich wäre aber auch das Verständnis, dass Frau N. ihre Prinzipien zwecks Vorteilserlangung „verkauft“ hat. Schließlich könnte der Begriff der „Hure“ auch nur als beliebiges Schimpfwort fungieren, um Frau N. in ihrem Achtungsanspruch abzuwerten. Wandelt man dieses Beispiel nicht in der Äußerung, sondern im Bezugspunkt dergestalt ab, dass Frau N. nicht irgendeine Frau, sondern eine Nonne ist, die in einem abgeschiedenen Kloster auf einem Berg lebt, so wandeln sich mit dem Bezugspunkt auch die möglichen Deutungen der Äußerungen. Dafür, dass die Nonne N. tatsächlich als Prostituierte arbeitet oder aber wenigstens mit verschiedenen Männern ins Bett steigt, fehlen die Anhaltspunkte im Bezugspunkt der Äußerung, namentlich im Leben der Nonne, ja es liegen sogar gegenteilige Anhaltspunkte vor, sodass es eher fern liegen wird, dem durchschnittlichen Adressaten der Äußerung ein entsprechendes Verständnis zu unterstellen. Der Bezugspunkt bestimmt also maßgeblich die Möglichkeiten der Deutung mit. In Übertragung auf die Äußerung vom „Holocaust und Babycaust“ hat das BVerfG, indem es die unmittelbare Gleichsetzung von Holocaust und Abtreibungspraxis als Deutungsmöglichkeit bejaht hat, – wenn auch unbeabsichtigt – bestätigt, dass die geltende Abtreibungspraxis samt der sie legitimierenden Gesetzeslage einer solchen Deutung zumindest nicht widerspricht184. Im Anschluss hieran soll vorliegend nun das Wagnis unternommen werden, diejenigen Punkte festzuhalten, an denen eine unmittelbare Gleichsetzung von Abtreibungspraxis und Holocaust ansetzen könnte. Von einem „Wagnis“ wird man deshalb sprechen müssen, weil die vergleichende Bezugnahme auf den Holocaust allgemein scharfe Ablehnung provoziert: Man erinnere sich nur an die Reaktionen, die entsprechende Passagen aus dem Buch „Erinnerung und Identität: Gespräche an der Schwelle zwischen den 184  Vgl. die scharfe Kritik, die Gas an der Auslegung des BVerfG formuliert: „schlicht absurd“ sei „die Annahme, dass Freudemann [der betroffene Arzt] gleichsam als KZ-Arzt den Daumen senkt oder hebt und in einem Handstreich Massentötungen vornimmt oder anordnet, aus dem einzigen Grunde, weil die Opfer ohne Anschauung des Einzelfalls als lebensunwertes Leben betrachtet werden“; Gas, ZfL 2006, 131 (133); [Klammerzusatz] nicht im Original. Schärfer noch: „nicht nur der durchschnittliche, sondern auch der stark unterdurchschnittlich bemittelte Leser [könne] ohne Weiteres erkennen, was von solch einer Gleichsetzung zu halten ist, nämlich gar nichts“; ders., ebda.; [Klammerzusatz] nicht im Original. Gas verneint also Anhaltspunkte für eine Gleichsetzung von Abtreibungspraxis und Holocaust im Bezugspunkt der Abtreibungspraxis und verneint in der Konsequenz auch die darauf beruhende Deutungsmöglichkeit aus der Sicht des Durchschnittsrezipienten als „schlicht absurd“.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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Jahrtausenden“, geschrieben vom damaligen Papst Johannes Paul II., provozierten185, ferner an die allgemeine Empörung über eine Dreikönigspredigt von Joachim Kardinal Meisner, in der jener die Tötung durch Abtreibung in einem Atemzug mit Herodes, Hitler und Stalin genannt hatte186, schließlich an den nicht weniger weit reichenden Unwillen über Äußerungen des Bischofs Mixa auf dem politischen Aschermittwoch der CSU in Dinkelsbühl, als jener den Mord an mehr als sechs Millionen Juden zwar zutreffend als „entsetzliches und singuläres Verbrechen“ bezeichnet hatte, „im weiteren Zusammenhang“ aber auch darauf hingewiesen hatte, dass angesichts geschätzter neun Millionen Abtreibungen in den vergangenen dreißig Jahren „auch in der Gegenwart Verbrechen gegen das Leben begangen würden, die höchste Wachsamkeit erforderten“187. Angesichts dieses „gefährlichen Fahrwassers“ bedarf es des nachdrücklichen Hinweises, dass die nun auch vorliegend unternommene vergleichende Bezugnahme gerade keine Gleichsetzung von Abtreibung und Holocaust unternehmen möchte. Geht es aber darum, die Auswirkungen jener Wertungswidersprüchlichkeit darzulegen, die sich zwischen dem postulierten Rechtswidrigkeitsverdikt zum nicht indizierten Abbruch und der in § 13 Abs. 2 SchKG normierten staatlichen Einrichtungsgarantie auftut, kommt man nicht umhin, dem Grund für Assoziationen zum Holocaust nachzugehen, wie sie sich unmittelbar in den Aktivitäten einzelner Abtreibungsgegner, mittelbar aber auch im Babycaust-Beschluss des BVerfG vom 24.05.2006 niedergeschlagen haben. Es sind dies zunächst folgende Parallelen zwischen den beiden Sachverhalten: 106.815 Abtreibungen wurden dem Statistischen Bundesamt im Berichtsjahr 2012 gemeldet; dabei handelte es sich bei 103.462 – d. h. in 96,9 % aller Fälle – um nach der Beratungsregelung des § 218a Abs. 1 StGB vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche188. Unter Berücksichtigung einer Differenz zur Anzahl tatsächlich abgerechneter Abtreibungen, einer verbleibenden Dunkelziffer von im Ausland oder heimlich durchgeführten Abbrüchen sowie von in der Abtreibungsstatistik nicht erfassten Mehrlingsreduktionen nach In-vitro-Fertilisation189 wird man noch eine erhebliche Erhöhung – in Anknüpfung an Spieker „bei vorsichtiger Schätdazu beispielhaft RP-Online v. 19.02.2005, Papst-Äußerungen. über nachfolgende Reaktionen bei Spiegel-Online v. 08.01.2005, Umstrittene Predigt. 187  Überblick über nachfolgende Reaktionen bei u. vorstehende Zitate aus Focus-Online v. 27.02.2009, Mixa; s. dazu auch Faz.net v. 02.03.2009, Kritik an Mixa. 188  Stat. Bundesamt, Schwangerschaftsabbrüche 2012, 9 u. 11 m. Tab.1.1. Für 2011: 105.537 von 108.867 (96,8 %); Stat. Bundesamt, Jahrbuch 2012, 127 m. Tab.  4.1.12. 189  Siehe dazu Spieker, Kirche und Abtreibung2, 59–61; ders., Der verleugnete Rechtsstaat2, 20 f. 185  Siehe

186  Überblick

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zung“ eine Verdoppelung190 – dieser Zahlen in Erwägung zu ziehen haben. Es handelt sich also um eine Massentötung („massenhafte, medizinisch technisierte Tötung“191). Diese findet in staatlichen Einrichtungen, mit staatlicher Unterstützung und unter Verzicht auf eine Strafandrohung statt, sodass man es mit einer staatlich organisierten und strafgesetzlich zumindest tolerierten Massentötung zu tun hat. Wenn an dieser Stelle auch noch kein abschließendes Urteil formuliert werden soll, deuten die bisherigen Ausführungen außerdem daraufhin, dass das Gesetz – entgegen den ausdrücklichen Behauptungen der Rechtsprechung und des Gesetzgebers – das ungeborene Leben für weniger schutzwürdig befindet als das geborene Leben. Letzteres bildet fraglos ein „Minus“ zum Holocaust, innerhalb dessen das im Wege der Massentötung eliminierte Leben für gänzlich „lebensunwert“ befunden wurde. Nicht ganz „fern liegend“ ist aber ein Verständnis des Inhalts, dass sich jenes „Minus“ auf einen nur graduellen Unterschied beschränkt, wenn man zwar nicht den „Lebenswert“ und mit ihm das „Ob“ der Schutzwürdigkeit in Frage stellt, wohl aber bereit ist, diesbezüglich ein Verhältnis des „Mehr-oder-weniger“ zu formulieren. Dass die Gleichsetzung von Holocaust und „Babycaust“ letztlich doch scheitern muss, liegt in der unterschiedlichen staatlichen Motivation begründet192: Diese hat anlässlich der Abtreibung nicht die gezielte Ausrottung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zum Gegenstand. Im Gegenteil, angesichts des drohenden demographischen Effekts käme dem Staat eine Erhöhung der Geburtenrate mehr als nur gelegen. Dass er darauf abzielt, die millionenfache Tötung ungeborenen Lebens voranzutreiben, muss somit tatsächlich als „fern liegend“ abgetan werden. Der Staat begünstigt die Abtreibung nicht und erhöht nicht gezielt deren zahlenmäßige Durchführung, sondern lässt sie in einem gesetzlichen Rahmen als eine unerwünschte Erscheinung zu, die er im Wege des Zwangs nicht hat bekämpfen können und die er nach eigenem Bekunden nunmehr mittels eines „Beratungs- und Hilfekonzepts“ zu kontrollieren versucht. Gleichwohl der Vergleich letztlich also an der zentralen Zielsetzung der staatlich legitimierten Massentötung scheitern muss, sind vorliegend doch wenigstens zwei – unter Vorbehalt gar drei – Parallelen gezogen worden, die ihn unterstützen. Und gerade ob dieser Parallelen im Bezugspunkt der Abtreibungspraxis hat das BVerfG im fraglichen Beschluss die unmittelbare Gleichsetzung von Holocaust und „Babycaust“ nachvollziehbar als eine 190  Spieker, Der verleugnete Rechtsstaat2, 21. Zum ausdrücklichen Hinweis des Stat. Bundesamtes auf ein Meldedefizit s. dass., Schwangerschaftsabbrüche 2000, 5; zur stat. Zählung von nur etwa 60 % der Abbrüche s. BiB, Bevölkerung2, 31; dazu zsfd. Spieker, a. a. O., 19 f. 191  Di Fabio, in: Maunz / Dürig, GG-K / I67, Art.  2 Abs. 2 S. 1 Rn. 44. 192  Vgl. dazu auch Beckmann, Abtreibung3, 141.



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mögliche Deutungsvariante bejahen können – ob es in seiner Zielsetzung lag, der Kritik der Abtreibungsgegner mittelbar eine gewisse Plausibilität zuzusprechen, darf freilich bezweifelt werden. g) Der umfassende Schutz von ärztlicher Person und Tätigkeit Besteht also nach § 13 Abs. 2 SchKG die „Staatsaufgabe“, „ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot sowohl ambulanter als auch stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherzustellen, insbesondere für die notwendige ärztliche Betreuung zu sorgen, so liegt es nahe, dass das Recht die Person und Tätigkeit des Arztes, dessen Mitwirkung es zur Erfüllung seiner „Staatsaufgabe“ und zur Umsetzung seines Beratungskonzeptes zwingend bedarf193, besonders schützen wird. Der rechtliche Schutz reicht dabei – wie die folgenden Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen werden – über die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für seine Tätigkeit (Wirksamkeit des Behandlungsvertrages auch unter Berücksichtigung der §§ 134, 138 Abs. 1 BGB; Ausschluss von Nothilferechten zugunsten des Ungeborenen) weit hinaus. Geschützt werden vielmehr auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arztes (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) vor anprangernden Hinweisen auf seine (rechtswidrige) Abtreibungstätigkeit sowie die Grundlagen seiner ärztlichen Erwerbstätigkeit (Art. 12 Abs. 1 GG) vor etwaigen Störungen des Vertrauensverhältnisses zu potenziellen Patientinnen sowie einer Schädigung seines wirtschaftlichen Erwerbs. aa) Der Schutz der ärztlichen Tätigkeit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG Dass die ärztliche Tätigkeit des beratenen Schwangerschaftsabbruchs von der in Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierten Berufsfreiheit erfasst ist, hat das BVerfG in seinem Urteil vom 27.10.1998 festgehalten194. Eingedenk des Unrechtscharakters, der dem Gegenstand jener Tätigkeit nach 193  Zur notwendigen Einbindung des Arztes in das Schutzkonzept s. BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 13 u. 289); Kluth, in: Schmid-Tannwald / Overdick-Gulden, Vorgeburtliche Medizin, 137 (140); ders., MedR 1996, 546 (548). Vgl. dazu auch die Überlegungen, Spätabbrüche bereits de lege lata durch vereinheitlichte Ausübung des Weigerungsrechts nach § 12 Abs. 1 SchKG zu unterbinden: krit. Spieker, in: Büchner / Kaminski, Lebensschutz, 86 (103); zust. Wiebe, ZfL 2008, 83 (85). 194  BVerfGE 98, 265 (297) = BVerfG NJW 1999, 841 (842); ebenso mit Urteil vom 07.12. 2004: BGHZ 161, 266 (272) = BGH NJW 2005, 592 (593); s. dazu auch Seibel, Probleme, 185 f.; abl. Hillgruber, MedR 1998, 201 (203 f.).

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

dem Rechtswidrigkeitsverdikt zukommt, meint man zunächst aber eine Abstufung des grundrechtlichen Schutzes in dem Sinne, dass er dem Abtreibungsarzt in nur abgeschwächter Form zuteil wird, erwarten zu können195. So hat das BVerfG etwa zum gewerblichen Glücksspiel festgehalten, dass die Stufentheorie deutlich modifiziert wird, wenn Gegenstand der Berufsfreiheit eine unerwünschte Tätigkeit wie das Glücksspiel ist, welches der Staat nur im Hinblick darauf gestattet, dass ihm bewusst ist, die Problematik im Wege eines strikten Verbots nicht in den Griff zu bekommen196. Der gemäß § 218a Abs. 1 StGB durchgeführte Schwangerschaftsabbruch ist nun nach der verfassungsgerichtlichen Bekundung eine nicht nur unerwünschte, sondern gar rechtswidrige Erscheinung, deren Eindämmung durch das Strafgesetz in der Vergangenheit verschiedentlich vergeblich versucht worden ist, bevor Verfassungsrechtsprechung und Gesetzgeber den Weg des Beratungskonzepts eingeschlagen haben. Hieraus zu schlussfolgern, dass die angeführte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum gewerblichen Glücksspiel auch für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch Geltung beanspruchte197, wäre jedoch voreilig. Denn insofern muss zwischen der unerwünschten Erscheinung selbst und deren (kontrollierter) Ermöglichung durch Dritte und deren Berufe unterschieden werden: Dass sich Schwangere zum Abbruch entschließen, mag ob der damit verbundenen Tötung des am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhabenden ungeborenen Lebens unerwünscht sein. Dass Ärzte ihre Tätigkeit zur Verfügung stellen, damit diese Abbruchsentscheidung nach vorangegangener Beratung und unter Vermeidung einer Gefährdung der Gesundheit der Frau und der Kinder aus weiteren Schwangerschaften198 in die Tat umgesetzt werden kann, muss zumindest de facto jedoch anders beurteilt werden. Denn wenn der Gesetzgeber – durch die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG verfassungsgerichtlich legitimiert – das Beratungskonzept samt seines Arztvorbehaltes in geltendes Recht gegossen hat, ja sich selbst in § 13 Abs. 2 SchKG ausdrücklich dazu verpflichtet hat, stationäre und ambulante Einrichtungen zur Durchführung von Abbrüchen Gas, ZfL 2006, 131 (134). NJW 2006, 1261 (1293 m. Rz.  94); zum Unterschied zu den herkömmlichen Anforderungen der Stufentheorie s. BVerfGE 102, 197 (215); Gas, ZfL 2006, 131 (134 m. Fn. 22). 197  In diese Richtung deuten die Ausführungen von Gas, ZfL 2006, 131 (134). 198  Vgl. die Beschränkung der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch auf solche Maßnahmen, die dazu dienen, neben der Gesundheit des Ungeborenen, falls es nicht zum Abbruch kommt (Nr. 1), die Gesundheit der Kinder aus weiteren Schwangerschaften (Nr. 2) oder die Gesundheit der Mutter (Nr. 3) zu schützen, insbesondere zu erwartenden Komplikationen aus dem Abbruch der Schwangerschaft vorzubeugen oder eingetretene Komplikationen zu beseitigen; § 24b Abs. 3 SGB V. 195  Vgl.

196  BVerfG



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sicherzustellen, kann ihm die Tätigkeit eines Arztes, der Abbrüche vornimmt, unmöglich unerwünscht sein – ungeachtet dessen, dass dessen Tätigkeit nach § 218a Abs. 1 StGB als rechtswidrig postuliert wird199. Die ärztliche Tätigkeit ist eine conditio sine qua non für die Anwendung des geltenden Rechts zum Schwangerschaftsabbruch und mithin nichts anderes als erwünscht200. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen des ersten Senats des BVerfG in seinem Urteil vom 27.10.1998 zu verstehen, wenn er da anführt: „Jedenfalls hier, wo die Tätigkeit des Arztes notwendiger Bestandteil des gesetzlichen Schutzkonzeptes ist, weil es seiner Mitwirkung im Interesse der Schwangeren und ihrer Gesundheit bedarf und von der Beteiligung des Arztes am Schutzkonzept zugleich ein besserer Schutz für das ungeborene Leben durch eingehende ärztliche Beratung […] zu erwarten ist, kann der ärztlichen Vornahme von rechtswidrigen Schwangerschaftsabbrüchen der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG nicht versagt werden“201. Ähnlich argumentiert auch der BGH in jüngerer Zeit: „Der Schutz des ungeborenen Lebens kann in dieser Weise aber nur unter Einbindung der Ärzte und der Beratungsstellen im Zusammenwirken mit der Frau erreicht werden. Zum einen bedarf es der ärztlichen Mitwirkung im Interesse der Schwangeren und ihrer Gesundheit, zum anderen ist von der Beteiligung des Arztes zugleich ein besserer Schutz für das ungeborene Leben durch eingehende ärztliche Beratung zu erwarten […]. Aus diesem Grund genießt auch diese ärztliche Tätigkeit den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG“202. Die verfassungsgerichtlich abgesegnete Tatbestandslösung des Gesetz­ gebers will die mittäterschaftliche Verwirklichung des Tatbestands des Schwangerschaftsabbruchs durch Arzt und Schwangere einerseits als rechtswidrig postulieren, soweit sie einer Indikation entbehrt. Um die ungewollt Schwangere nicht an die Illegalität zu verlieren, sondern einer am Schutz des Ungeborenen orientierten Beratung zuzuführen, hat sie sich jedoch andererseits entschlossen, eben jene mittäterschaftliche Tatbestandsverwirklichung nicht nur durch die Gewährung von Straffreiheit zu tolerieren, sondern auch durch Hilfeleistung in einem rechtlichen Rahmen zu ermöglichen. Es ist jene Ambivalenz der Tatbestandslösung zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch, die zu dem merkwürdig anmutenden Ergebnis führt, dass eine für rechtswidrig befundene Berufstätigkeit gleichwohl er199  Zur ärztlichen Sicht auf die geschilderte „Janusköpfigkeit“ der berufsmäßigen Abtreibungstätigkeit vgl. Maio, Mittelpunkt Mensch, 227. 200  So auch BayVGH DVBl. 1990, 880 (881 f.); Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 (2345, a. E. von III.1.c.); Koch, Bay. Sonderweg, 149; vgl. ferner Seibel, Probleme, 168. 201  BVerfGE 98, 265 (297) = BVerfG NJW 1999, 841 (842); krit. Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 241. 202  BGHZ 161, 266 (271 f.) = BGH NJW 2005, 592 (593).

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

wünscht sein muss203 und in eben jener Erwünschtheit ungeschmälert am Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG teilhat, als sei sie eine rechtmäßige Tätigkeit. bb) Das Verbot, den Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 1 StGB unter namentlicher Nennung des Arztes als rechtswidrig zu bezeichnen Wie weit nun dieser Schutz der berufsmäßigen (auch nicht indizierten und rechtswidrigen) Abtreibung nach Art. 12 Abs. 1 GG und der Person des Abtreibungsarztes nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG reicht, hat sich in verschiedenen gerichtlichen Entscheidungen manifestiert. Zunächst soll sich vorliegend denjenigen zivilgerichtlichen Entscheidungen bis hin zum abschließenden Beschluss des BVerfG vom 24.05.2006 zugewendet werden, denen zufolge Abtreibungsgegner, die Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1 StGB als rechtswidrig bezeichnen und diese in Beziehung zu einem namentlich genannten Arzt setzen, ob der Unwahrheit jener (ggf. mit einem Werturteil kombinierten) Tatsachenbehauptung zur Unterlassung verpflichtet sind204. Nachdem bereits dargelegt worden ist, wie der Staat der Vorstellung von der Rechtmäßigkeit des nicht indizierten Abbruchs Vorschub leistet, indem er ein flächendeckendes Angebot an Abbruchseinrichtungen garantiert und bedürftigen Frauen die Vornahme eines solchen finanziert, scheinen die Gerichte damit noch einen Schritt weiter zu gehen und die gegenteilige Vorstellung von der Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs gar als unwahr zu verwerfen anstatt im Sinne des Rechtswidrigkeitsverdikts zu bestätigen. (1) D  ie verbotene Prangerwirkung einer unwahren Tatsachenbehauptung Den Entscheidungen lag die Flugblattaktion eines „Lebensschützers“ vom 16.10.2001 vor einer gynäkologischen, auch Abtreibungen durchführenden Praxis zugrunde. Besagtes Flugblatt formulierte auf dem Deckblatt – unter voller Namensnennung des betroffenen Arztes sowie der Angabe seiner Praxisadresse – die Forderung: „Stoppt rechtswidrige Abtreibungen in der Praxis Dr. K.“. Im weiteren – auf der Innen- und Rückseite des Flugblattes geschrie203  Zur zwiespältigen Haltung der Rechtsordnung gegenüber der – gleichermaßen rechtswidrigen wie erwünschten – ärztlichen Durchführung nicht indizierter Schwangerschaftsabbrüche s. auch Tröndle, NJW 1995, 3009 (3012). 204  BVerfG ZfL 2006, 135, mit den Vorinstanzen: LG Heilbronn ZfL 2002, 20; OLG Stuttgart ZfL 2002, 54; BGH NJW 2003, 2011.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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benen – Text des Flugblattes forderte es zur Unterstützung „im Kampf gegen die straflose Tötung ungeborener Kinder“ auf205. Übereinstimmend stellten die Gerichte eine Verletzung des in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierten allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Abtreibungsarztes in Gestalt der so genannten Prangerwirkung fest206, die sich dadurch auszeichnete, dass ein allgemeines Sachanliegen durch identifizierende Herausstellung einer Einzelperson verdeutlicht wurde207. Innerhalb der Abwägung des dergestalt tangierten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Abtreibungsarztes gegen die Meinungsfreiheit des Abtreibungsgegners sollte von Gewicht sein, ob der Arzt konkreten Anlass gegeben habe, gerade ihn aus der Menge „Kritikwürdiger“ herauszugreifen208, und vor allem ob dem Arzt nur ein moralisches Fehlverhalten oder aber ein strafrechtlich relevantes Verhalten angelastet werde209. Hierzu haben die Gerichte zum einen festgehalten, dass es keinen hinreichenden Anlass für die exemplarische Herausstellung seiner Person bilde, dass der Arzt seine Bereitschaft zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen öffentlich – nämlich im Internet – habe erkennen lassen210. Vor allem aber sahen sie den Arzt durch das Flugblatt – unter Abstellung auf eine umgangssprach­ liche Identifizierung von Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit – als eine Person bezeichnet, die mit strafbaren („rechtswidrigen“) Handlungen aus dem Bereich der Straftaten gegen das Leben beruflich befasst sei. Das Flugblatt 205  So zitiert aus dem rückseitigen Text des betreffenden Flugblatts; s. dazu die Sachverhaltsdarstellung in BVerfG ZfL 2006, 135 (135). Zu entsprechenden inhaltlichen Aussagen im Innentext des Flugblatts siehe a. a. O., 135 (136). 206  Zum Vorbringen des LG Heilbronn und OLG Stuttgart s. BVerfG ZfL 2006, 135 (135 f.); zum Vorbringen des BGH s. BVerfG a. a. O., 135 (136); schließlich das BVerfG selbst, a. a. O., 135 (137 f.). Das OLG Stuttgart wies angesichts dessen, dass das Vorgehen des Abtreibungsgegners geeignet sei, potenzielle Patientinnen von einer Inanspruchnahme der Leistungen des Klägers abzuhalten, zusätzlich zu jener Persönlichkeitsverletzung auf eine Verletzung der erlaubten ärztlichen Tätigkeit, Art. 12 Abs. 1 GG, hin; ebda. 207  BVerfG ZfL 2006, 135 (138) unter Verweis auf BGH VersR 1994, 1116 (1118). Krit. zu diesem erweiterten Verständnis einer Prangerwirkung: Zimmermanns, ZfL 2007, 80 (83 u. 85), u. Mückl, ZfL 2007, 62 (68 u. 70), welcher maßgeblich kritisiert, dass eine Erörterung der früheren – inhaltlich gegenläufigen – „Greenpeace“-Entscheidung des BVerfG (NJW 1999, 2358) unterblieben ist. Die unterbliebene Abgrenzung zur früheren „Greenpeace“-Entscheidung nahm hingegen der BGH in seiner Revisionsentscheidung v. 07.12.2004 vor; s.  dazu sogleich Seite  605 [cc) (1)] m. Fn. 226. 208  BVerfG ZfL 2006, 135 (138); BGH VersR 1994, 57 (59); VersR 1994, 1116 (1118). 209  BVerfG Zfl 2006, 135 (138); vgl. BGH NJW 1978, 1797 (1801). 210  BVerfG ZfL 2006, 135 (138); krit. dazu Mückl, ZfL 2007, 62 (68 u. 70 f.); Zimmermanns, ZfL 2007, 80 (85).

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erhob nach Ansicht der Gerichte mithin den Vorwurf eines nicht nur moralisch, sondern auch strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens. Nach der gesetzlichen Regelung in § 218a StGB, welche indizierte Abbrüche rechtfertigt und nicht indizierte der Tatbestandslösung unterstellt, handele es sich dabei um eine unwahre Tatsachenbehauptung, die als solche nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst ist, soweit der sich Äußernde von der Unwahrheit der Behauptung Kenntnis hat oder aber diese evident ist211; im Übrigen tritt die Meinungsfreiheit grundsätzlich gegenüber dem jeweils tangierten Persönlichkeitsrecht zurück212. Soweit die Äußerung des Flugblatts nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil ausgelegt werde, knüpfe jenes zumindest an diese unwahre Tatsachenbehauptung an und sei die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung in der Abwägung der Meinungsfreiheit des Abtreibungsgegners, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abtreibungsarztes, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, zu berücksichtigen. Angesichts dessen, dass die rechtliche Beurteilung der Äußerung demnach zu demselben Ergebnis gelange, gleich ob man sie als Tatsachenbehauptung oder Werturteil einordnet, hat das BVerfG die Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Werturteil letztlich offen gelassen213. (2) D  ie umgangssprachliche Identifizierung von Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit Zur postulierten Identifizierung von Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit führten die Gerichte näher aus, dass die Äußerung, ein Arzt nehme „rechtswidrige“ Abtreibungen vor, nach dem für die Auslegung maßgeblichen Empfängerhorizont des Durchschnittsrezipienten214, namentlich nach dem des rechtlichen Laien, (nur) so verstanden werden könne, dass die besagten „rechtswidrigen“ Abtreibungen außerhalb der Voraussetzungen des § 218a StGB und damit strafbar vorgenommen würden215. Das BVerfG fasste dies 211  BVerfGE 61, 1 (8); 85, 1 (15); 90, 241 (249 u. 254); zsfd. Mückl, ZfL 2007, 62 (64). 212  So BVerfG ZfL 2006, 135: LG Heilbronn (135) u. BVerfG (137); BVerfGE 99, 185 (197); krit. zur Einstufung als Tatsachenbehauptung statt Werturteil Zimmermanns, ZfL 2007, 80 (82). 213  BVerfG ZfL 2006, 135 (137); krit. Zimmermanns, ZfL 2007, 80 (83). 214  Siehe dazu auch BVerfG NJW 1995, 3303 (3310) = BVerfGE 93, 266 (295) – „Soldaten sind Mörder“; BVerfG NJW 2006, 207 (208) = BVerfGE 114, 339 (348)  – „Stolpe“; darauf hinweisend Gas, ZfL 131 (132 m. Fn. 8). 215  Unter Abstellung auf dieses umgangssprachliche Verständnis das LG Heilbronn in BVerfG ZfL 2006, 135 (135); unter Anerkennung als mögliche Deutung



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sehr prägnant wie folgt zusammen: „Das Landgericht und das Oberlandesgericht sind zu dem Ergebnis gelangt, der in den gesetzlichen Regelungen der §§ 218, 218a StGB angelegte, regelmäßig nur dem juristischen Experten zugängliche Unterschied von Schwangerschaftsabbrüchen als eines strafbaren oder tatbestandslosen (§ 218a Abs. 1 StGB) oder eines nach § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigten Verhaltens habe hier bei der Sinndeutung außer Betracht zu bleiben“216. Demgegenüber hat das BVerfG selbst ausdrücklich offen gelassen, ob dieses umgangssprachliche Verständnis das einzig denkbare sei oder ob nicht doch in Betracht zu ziehen sei, dass der juristische Laie „Rechtswidrigkeit“ im Sinne der gesetzlichen Tatbestandslösung verstehe und mithin von der Strafbarkeit zu unterscheiden vermöge: „Es kann dahinstehen, ob die von den Zivilgerichten vorgenommene Deutung der Äußerung im umgangssprachlichen Sinn sich als einzig mögliche aufdrängt“217. Dahinstehen könne dies deshalb, weil in Fortführung seiner Stolpe-Rechtsprechung auch bei eingestandener Mehrdeutigkeit der Äußerung auf das erstere, den Terminus „Rechtswidrigkeit“ mit Strafbarkeit gleichsetzende Verständnis abzustellen sei. Weil ein Unterlassungsanspruch die Meinungsfreiheit des sich Äußernden geringer beschneide als eine nachträgliche Verhängung von Sanktionen, sei es dem sich Äußernden zumutbar, mehrdeutige Äußerungen in Zukunft so zu präzisieren, dass sie den Betroffenen so wenig wie möglich in seinen Grundrechten tangierten. Dem sich Äußernden erlegte das BVerfG damit im Rahmen von Unterlassungsansprüchen eine Klarstellungsobliegenheit auf218. Entsprechend sei es dem Abtreibungsgegner in vorliegendem Fall möglich, durch eindeutige Wortwahl zu verdeutlichen, dass die in der Praxis des namentlich benannten Arztes vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche zwar rechtswidrig, aber nicht strafbar seien: „Es gibt keine einer ggf. mehrdeutigen Äußerung das BVerfG in dass., ZfL 2006, 135 (137). Partielle Bestätigung findet eine solche Einschätzung in der Untersuchung von Heitzmann, in der die befragten ostdeutschen Frauen das „Miteinander“ von Rechtswidrigkeit und Straffreiheit als ein Konstrukt kritisierten, das „eher etwas für Juristen“ sei – „Rechtswidrigkeit sei doch stets mit Strafe verbunden“; s. dazu u. vorstehende Zitate aus Heitzmann, Rechtsbewusstsein, 171 (einschlägige Interviewinhalte a. a. O., 170). 216  BVerfG ZfL 2006, 135 (137); Hervorhebungen nicht im Original. 217  BVerfG ZfL 2006, 135 (137), unter Verweis auf das OLG Karlsruhe, das den Begriff der rechtswidrigen Abtreibung in einem ähnlich formulierten Flugblatt rechtstechnisch gedeutet, also gerade nicht mit dem Vorwurf der Strafbarkeit identifiziert hatte; dazu OLG Karlsruhe NJW 2003, 2029 (2031); Seibel, Probleme, 187 f. 218  BVerfGE 114, 339 (350) = BVerfG NJW 2006, 207 (209 m. Rz.  34 u. 35). Zur Anwendung der Stolpe-Rechtsprechung auf Werturteile s. auch den vorab besprochenen „Babycaust-Beschluss“ des BVerfG v. 24.05.2006: BVerfG NJW 2006, 3769, u. oben Seite  590 [f) bb)] m. Fn. 181.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

Anhaltspunkte dafür, dass es dem Beschwerdeführer unzumutbar gewesen wäre, durch eindeutige Wortwahl auch auf der Vorderseite des Flugblattes zu verdeutlichen, dass die in der Praxis des Dr. K. vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche nicht strafbar sind“219. (3) Die Formulierung einer Klarstellungsobliegenheit Soweit man nun dem Eindruck erlegen sein sollte, dass die Gerichte und gar das BVerfG selbst das in der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung zur Voraussetzung des Beratungskonzeptes erhobene Rechtswidrigkeitverdikt unterlaufen, indem sie nicht nur der Vorstellung von der Rechtmäßigkeit des nicht indizierten Abbruchs Vorschub leisten, sondern die Behauptung von dessen Rechtswidrigkeit gar als unwahre Tatsachenbehauptung einordnen, kann dem für diese Entscheidung noch widersprochen werden220. Als unwahr wird hier gerade nicht die Behauptung der Rechtswidrigkeit im rechtstechnischen Sinne (rechtswidrig, aber straffrei infolge eines Tatbestandsausschlusses), sondern nur die im umgangssprachlichen Sinne (rechtswidrig gleich strafbar) bezeichnet. Eine Behauptung des Inhalts, dass Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1 StGB „rechtswidrig“ seien, ohne jene notwendige Präzisierung, dass sie nach geltendem Recht gleichwohl infolge eines Tatbestandsausschlusses straflos sind, würde die Gefahr in sich bergen, die Haltung des Rechts zu verkürzen und einseitig die Teilaussage der „Rechtswidrigkeit“ in den Vordergrund zu stellen. Durch die unvollständige Darstellung, die der Adressat für vollständig hält und halten soll, würde die unwahre Tatsache vorgespiegelt, dass solche Abbrüche gleich anderen, straftatbestandlich normierten Verhaltensweisen rechtswidrig und strafbar seien. Dass unwahre Tatsachen in diesem Sinne auch durch die unvollständige Darstellung einer wahren Tatsache vorgespiegelt werden können, kehrt auch in der Definition der Täuschungshandlung im Rahmen des Betrugstatbestandes gemäß § 263 StGB wider: „Zwischen dem Vorspiegeln falscher und dem Entstellen oder Unterdrücken wahrer Tatsachen gibt es keine scharfe Trennungslinie, vielmehr gehen diese Erscheinungsformen der Täuschungshandlung zumeist ineinander über. Das gilt insbesondere bei der unvollständigen Darstellung von Tatsachen, die ein anderer für vollständig hält und halten soll. Soweit der Täter hier das Rich219  BVerfG ZfL 2006, 135 (137). So auch das LG Heilbronn ebda., 135 (135): „Es sei dem Beschwerdeführer hier zudem unschwer möglich und zumutbar gewesen, in der Kritik an der Bereitschaft zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zumindest deutlich zu machen, dass der Kläger sich nach geltendem Recht legal verhalte“. 220  In diesem Sinne verkennt aber Mückl, ZfL 2007, 62 (70), den Beschluss des BVerfG.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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tige entstellt […], spiegelt er zugleich etwas Falsches vor“221. Das Flugblatt des Abtreibungsgegners, das auf dem Deckblatt nur die Rechtswidrigkeit der Abbrüche aufführt, die Straflosigkeit derselben aber erst im weiteren Text (auf Innen- und Rückseite – quasi „im Kleingedruckten“) erwähnt, macht sich eben diese täuschende Vorgehensweise zu eigen. Der Hinweis auf „rechtswidrige“ Abbrüche unterstreicht die ablehnende Haltung gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch eben effektiver als der alternative Hinweis auf „zwar rechtswidrige, aber tatbestands- und straflose“ Abbrüche. Falsch, da verkürzt ist er gleichwohl. Das besprochene Verfahren spiegelt damit nicht etwa eine solche Haltung der Gerichte wider, die den nicht indizierten Abbruch de facto als rechtmäßig behandelt und gegen ihn gewendete Rechtswidrigkeitsaussagen durch ein Unterlassungsurteil zu unterbinden versucht. Es spiegelt vielmehr eine solche Haltung wider, die auf die verfassungsgerichtliche wie gesetzgeberische Gratwanderung reagiert, den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch einerseits gemäß § 218a Abs. 1 StGB von der Verwirklichung des Tatbestands des § 218 Abs. 1 StGB auszunehmen, andererseits aber als rechtswidrig zu postulieren. Jede Verkürzung des Beratungskonzeptes bärge die Gefahr in sich, jene Gratwanderung zu unterlaufen und eine der Rationes des Bewertungskonzeptes zu verfehlen: So wie die einseitige Betonung einer „Tatbestands- und Straflosigkeit“ es der Allgemeinheit unmöglich machte, die Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs zu erkennen und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein zu bewahren, behinderte die einseitige Betonung der Rechtswidrigkeit die gesetzliche Zielsetzung, die ungewollt Schwangere von ihrer Angst vor Strafverfolgung zu befreien und einer lebensschutzorientierten Beratung zuzuführen, ebenso wie sie eine Anerkennung der ärztlichen Abtreibungstätigkeit behinderte, auf welche das Beratungskonzept aber angewiesen ist. Was die Gerichte dem Abtreibungsgegner abverlangten, ist mithin nicht die Leugnung des Rechtswidrigkeitsverdikts, das das BVerfG selbst als Voraussetzung für eine dem Lebensschutz dienende Tatbestandslösung erkannt hat, sondern nur eine differenzierte Darstellung der geltenden Rechtslage, die beiden Rationes des Beratungskonzeptes gerecht wird. cc) Das Verbot, auf die Abtreibungstätigkeit eines namentlich benannten Arztes hinzuweisen Ein solcher gerichtlicher Hinweis auf eine Klarstellungsobliegenheit des Abtreibungsgegners ließ zunächst vermuten, dass das Unterlassungsurteil maßgeblich auf der Unwahrheit der verbreiteten Tatsachenbehauptung be221  Wessels / Hillenkamp,

BesT / 236, Rn. 502.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

ruhte, und sei sie auch nur Bestandteil eines Werturteils. In der Folge könnte man denken, dass ein Lebensschützer nicht zum Unterlassen der vollständigen Wiedergabe der Rechtslage, also des Hinweises auf die Rechtswidrigkeit, aber durch einen Tatbestandsausschluss vermittelte Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, verurteilt werden würde – auch nicht, wenn er diese in Beziehung zu einem für die Öffentlichkeit eindeutig identifizierbaren Arzt setzte. Der fragliche Abtreibungsgegner jedenfalls ging nach dem gegen ihn ergangenen und durch die obersten Gerichte bestätigten Unterlassungsurteil dazu über, seine „Protestaktion“ unter Verzicht auf die Rechtswidrigkeitsaussage fortzuführen. Er wurde jedoch eines Besseren belehrt, als gegen ihn ein weiteres Unterlassungsurteil des LG Heilbronn erging, das wiederum in der Berufungsinstanz durch das OLG Stuttgart und in der Revisionsinstanz durch den BGH mit Urteil vom 07.12.2004 bestätigt wurde: Demnach nämlich ist auch die namentliche Benennung eines Abtreibungsarztes in der unmittelbaren Nähe seiner Gynäkologenpraxis unter Hinweis darauf, dass er Abtreibungen (nicht: rechtswidrige Abtreibungen!) vornehme, zu unterlassen222. (1) Die verbotene Prangerwirkung einer wahren Tatsachenbehauptung In dem fraglichen Fall postierte sich der besagte Lebensschützer am 24.04.2002 wiederum mit einem Sandwichplakat vor derselben gynäkologischen, Schwangerschaftsabbrüche durchführenden Praxis, vor der er sich auch nach der vorab besprochenen Entscheidung des BVerfG postiert hatte – nunmehr allerdings unter Verzicht auf die ihm untersagte Rechtswidrigkeitsaussage. Das Sandwich-Plakat trug auf seiner Vorderseite die Aufschrift „Abtreibung tötet ungeborene Kinder“, auf seiner Rückschrift „Du sollst nicht töten. Gilt auch für Ärzte“. Versehen mit diesem Plakat, sprach der Lebensschützer (potenzielle) Patientinnen und Passanten an und verwickelte sie in kritische Gespräche über das Thema Abtreibung, in welchen er auch den Namen des Klägers unter Hinweis darauf, dass dieser Abtreibungen vornehme, nannte. Auf dem von ihm verteilten Flugblatt wurde – ebenfalls unter namentlicher Nennung des Arztes – „zur Hilfe im Kampf gegen die straflose Tötung ungeborener Kinder“ aufgerufen. Dabei verfolgte der Lebensschützer – was nach den Entscheidungsgründen der Gerichte „auf der Hand“223 lag – das Ziel, sowohl das Verhältnis zwischen Arzt und Patientin zu irritieren als auch dem Kläger wirtschaftliche Nachteile zuzufügen. Das Landgericht Heilbronn verurteilte den Beklagten, es zu unterlassen, Patientinnen des Klägers sowie Passanten in der Nähe von dessen Arztpraxis anzusprechen und wört222  BGH

NJW 2005, 592 = BGHZ 161, 266. 161, 266 (268 u. 271) = BGH NJW 2005, 592 (592 u. 593).

223  BGHZ



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lich oder sinngemäß darauf hinzuweisen, dass der Kläger in seiner Praxis Abtreibungen vornimmt. Die Berufung des Beklagten wurde vom OLG Stuttgart zurückgewiesen. Der letztinstanzlich entscheidende BGH befand, dass das Berufungsurteil der Nachprüfung standhalte224. Auch durch solche kritischen Äußerungen, denen allein die zutreffende Tatsachenbehauptung der berufsmäßigen Abtreibungstätigkeit – nicht die nach umgangssprachlichem Verständnis unwahre Tatsachenbehauptung der rechtswidrigen Abtreibungstätigkeit – zugrunde liegt, sah der BGH eine Prangerwirkung gegen die Person des Arztes verwirklicht: „Indem der Beklagte Passanten und Frauen, die er für Patientinnen des Klägers hält, in unmittelbarer Nähe von dessen Praxis in Gespräche über das Thema Abtreibung verwickelt, den Kläger namentlich benennt und auf dessen Abtreibungstätigkeit hinweist, um die Patientinnen zu irritieren und von dem Besuch der Praxis abzuhalten, würdigt er die berufliche Tätigkeit des Klägers insgesamt herab, obwohl diese legal ist“225. Nach Ansicht des BGH stigmatisierte eine solche Darstellung gar den Arzt und grenzte ihn sozial aus: Aus einer Vielzahl von Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, werde der fragliche Arzt zwecks Personalisierung eines Sachanliegens willkürlich herausgegriffen und in eine ungewollte und nicht herausgeforderte Öffentlichkeit gedrängt. Ungewollt und nicht herausgefordert sei sie, weil der Kläger das Thema, ob Abtreibungen zulässig sein sollen oder nicht, von sich aus nicht in die Öffentlichkeit gebracht habe. Die öffentliche Präsentation eines Behandlungsangebots der Praxis, das auch die berufsmäßige Durchführung von Abtreibungen umfasse, begründet nach Ansicht des BGH jedenfalls noch keinen „öffentliche[n] Beitrag zur Abtreibungsdiskussion“226. Zudem beeinträchtige ein solches Drittverhalten das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und (potenzieller) Patientin, auf welchem das gesetzliche Beratungskonzept basiere. Die Grundlagen der Arztpraxis würden durch die „auf der Hand“ liegende Zielsetzung, dem betroffenen Arzt wirtschaftliche Nachteile zuzufügen und ihn mithin von der Fortführung seiner Tätigkeit abzuhalten, tangiert227. 224  Siehe

(592).

zum Vorstehenden BGHZ 161, 266 (266–268) = BGH NJW 2005, 592

225  BGHZ

161, 266 (269) = BGH NJW 2005, 592 (592). dazu u. vorstehendes Zitat aus BGHZ 161, 266 (270) = BGH NJW 2005, 592 (592 a. E.) m. Abgr. zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren FCKW produzierender Unternehmen gegen Greenpeace (BVerfG NJW 1999, 2358 [2359]; BGH VersR 1994, 58 [58 f.]). Selbige Abgrenzung hatte das BVerfG in seinem „Rechtswidrige-Abtreibungen-Beschluss“ v. 24.05.2006 noch vermissen lassen; s. dazu bereits oben Seite  599 f. [bb) (1)] m. Fn. 207. 227  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BGHZ 161, 266 (271) = BGH NJW 2005, 592 (593). 226  Siehe

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(2) Die allgemeine negative Bewertung ärztlicher Abtreibungstätigkeit Bereits die namentliche Benennung eines Arztes unter Hinweis auf dessen (sich in den Grenzen des Rechts haltende) Abtreibungstätigkeit soll mithin geeignet sein, diesen Arzt nicht nur in seiner Ehre zu schädigen, sondern ihn gar im Sinne einer Prangerwirkung sozial auszugrenzen und zu stigmatisieren. In diesem Zusammenhang gilt es festzuhalten, dass eine Prangerwirkung nach der Rechtsprechung tatsächlich auch von zutreffenden Tatsachenbehauptungen mit Persönlichkeitsbezug ausgehen kann, wenn die fraglichen Tatsachen nur „allgemein als negativ bewertet“ werden228. Eine solche allgemeine negative Bewertung ärztlicher Abtreibungstätigkeit wird in dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt nun nicht etwa erst durch die Kritik des Abtreibungsgegners an der geltenden Rechtslage geschaffen. Denn insofern war klar ersichtlich, dass die negative Bewertung auf dem Sandwichplakat und im Flugblatt des Aktivisten dessen subjektive und nicht etwa eine allgemeine Überzeugung reflektierte. Eine allgemeine negative Haltung gegenüber der ärztlichen Abtreibungstätigkeit setzte der BGH – in Übereinstimmung mit der verfassungsgerichtlichen und gesetzgeberischen Wertung, die Abtreibungen nach § 218a Abs. 1 StGB rechtswidrig nennt – vielmehr als gegeben voraus. Indem das Urteil des BGH zur Unterlassung solcher Äußerungen anhielt, enttäuschte die Rechtsprechung jedoch abermals die an die Gesamtrechtsordnung im Allgemeinen und deren Anwendung im Einzelfall gerichtete Erwartung, dass sie ein dem Rechtswidrigkeitsverdikt entsprechendes Unrechtsbewusstsein prägt und zu diesem Zweck auch öffentliche Kritik an besagtem Unrecht eines nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs zulässt. Stattdessen verbietet sie eben jene Kritik jedenfalls dann, wenn sie sich gegen einen namentlich genannten Arzt richtet, und fokussiert sich mithin auf die andere Ratio des ambivalenten Beratungskonzeptes, der ungewollt schwangeren Frau die Wahrnehmung des Beratungsangebots und dem Arzt die Wahrnehmung seiner Abtreibungstätigkeit in einem von Stigmatisierung befreiten Umfeld zu ermöglichen. (3) Die Formulierung eines Tabus Kein anderes Urteil könnte damit besser die Ambivalenz zum Ausdruck bringen, mit der Staat, Recht und Gesellschaft der berufsmäßigen, nicht indizierten Tötung vorgeburtlichen Lebens gegenüberstehen: Weil der nicht 228  BVerfG ZfL 2006, 135 (138), anlässlich des „Rechtswidrige-AbtreibungenVerfahrens“ mit abschließendem Beschluss des BVerfG v. 24.05.2006; vgl. auch BGH VersR 1994, 1116 (1118).



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indizierte Abbruch nach dem Rechtswidrigkeitsverdikt des BVerfG eine für rechtswidrig befundene Handlung bleibt, kommt der BGH nicht umhin, seiner berufsmäßigen Durchführung etwas „Unehrliches“229 und dem Hinweis auf jene Tätigkeit mithin einen ehrverletzenden Charakter zuzusprechen. Weil eben jene „unehrliche“ Berufstätigkeit aber Teil eines gesetz­ lichen Schutzkonzeptes ist und als solcher mit staatlichen Mitteln straflos ausgeführt werden kann, sieht sich die Rechtsprechung angehalten, Person und Tätigkeit des Abtreibungsarztes davor schützen, ins Licht jener „Unehrlichkeit“ gerückt zu werden, und unterwirft bereits die kritische Nennung seiner Berufstätigkeit einem Tabu, soweit sie nur unter namentlicher Bezugnahme auf seine Person erfolgt. Die Wertung von der Rechtswidrigkeit jener Berufstätigkeit vermag sie im Wege des Tabus freilich schwerlich so zu transportieren, dass sie Eingang in das allgemeine Rechtsbewusstsein fände. dd) Die Abgrenzung zur sog. „Gehsteigberatung“ Mit eben jenem Tabu schien nun ein – zwischenzeitlich rechtskräftiges230  – Urteil des Landgerichts München I vom 25.07.2006 zu brechen, das die so genannte „Gehsteigberatung“ eines Lebensschutzzentrums vor einer auf Abtreibungen spezialisierten Praxis für rechtmäßig befand, gleichwohl auch im Rahmen dieser „Gehsteigberatung“ Passanten und (potenzielle) Patientinnen direkt angesprochen wurden und es sich aus dem Angebot einer solchen „Gehsteigberatung“ vor der Praxis eines bestimmten Arztes wenigstens sinngemäß ergab, dass der (auf dem zu seiner Praxis weisenden Schild namentlich genannte231) Arzt Abtreibungen durchführt232. (1) Kein Bruch eines Tabus Es bleibt jedoch wohl bei diesem ersten Anschein, dass hier ein Gericht mit besagtem Tabu gebrochen hätte, die Berufstätigkeit eines namentlich genannten Abtreibungsarztes kritisch anzusprechen. Ausschlaggebend für dieses Urteil des Landgerichts München I zugunsten der Lebensschützer und zulasten des Abtreibungsarztes nämlich war, dass die fragliche Bera229  „Unehrlich“ nicht im Sinne von „betrügerisch“, sondern im Sinne von „ehrlos“; J. Grimm / W. Grimm, Dt. Wörterbuch, Bd. 24, Sp. 453 m. Stichw. „unehrlich“. 230  Der in erster Instanz unterlegene Abtreibungsarzt hatte zwar zunächst Berufung eingelegt, diese sodann aber zurückgenommen und durch diesen Rechtsmittelverzicht die Rechtskraft des Urteils herbeigeführt; s. dazu etwa ALfA, Pressemitteilung v. 13.10.2006. 231  Für einen Eindruck von den Örtlichkeiten der Gehsteigberatung s. die Abb. bei Sigler, LebensForum 80 (2006), 4 (5). 232  LG München I ZfL 2006, 96 = NJW 2006, 3791.

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tung gerade darauf verzichtete, kritische Gespräche über die Zulässigkeit der Abtreibungen zu initiieren und in diesem Zusammenhang (direkt) auf die Abtreibungstätigkeit des Arztes hinzuweisen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Landgerichts München I vollzog sich die fragliche „Gehsteigberatung“ nämlich dergestalt, dass ein Lebensschützer still für das ungeborene Leben und die „werdende“ Mutter betete, während der andere Frauen in einem vermuteten Schwangerschaftskonflikt ansprach, um ihnen Rat und Hilfe zu offerieren, ebenso andere Passanten, um sie über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren233. Das verwendete Informationsmaterial enthielt dabei weder kritische Äußerungen über die geltende Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch noch wurde der betroffene Arzt namentlich genannt. Inhalt und Zielsetzung der „Gehsteigberatung“ beschränkten sich vielmehr darauf, durch Hilfsangebote Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch zu eröffnen und Informationen über die Vornahme und Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu vermitteln. Äußerungen wie „Mama, schütze das Leben deines Babys“ ließen dabei zwar mittelbar auf eine negative Darstellung des Abtreibungsarztes und dessen Abtreibungstätigkeit (den Anlass des Schutzes) schließen; eine direkte negative Darstellung war hingegen weder Ziel noch Inhalt der Beratung234. Auch verneinte das Landgericht eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patientin und damit eine relevante Beeinträchtigung des gesetzlich vorgesehenen Beratungskonzepts im Hinblick darauf, dass weder der Arzt durch direkte negative Äußerungen diffamiert noch die (potenzielle) Patientin durch das aufdringliche und diffamierende Hinzutreten eines Dritten einer wesentlichen psychischen Belastung ausgesetzt würde (bei Nichtannahme des Gesprächsangebots wurden die angesprochenen Personen nicht weiter bedrängt). Die ärztliche Tätigkeit selbst würde durch die „Gehsteigberatung“ allenfalls erschwert, nicht aber unmöglich gemacht. Schließlich hielt das Gericht fest, dass die „Gehsteigberatung“ insofern nicht die Grundlagen der Arztpraxis berührte, als sie weder zu erwiesenen wesentlichen finanziellen Einbußen führte noch sich auch nur wirtschaftliche Nachteile der Arztpraxis zu ihrer Zielsetzung machte235. Eine Verschiebung gegenüber den im Urteil vom 07.12.2004 zum Ausdruck gebrachten Wertungen des BGH offenbarte sich jedoch da, wo das Landgericht München I ein Recht der Passanten oder der Patientinnen, nicht angesprochen zu werden, ausdrücklich verneinte: Der mit dem Ansprechen verbundene Anschein, eine Abtreibungspraxis aufsuchen zu wollen, könne allenfalls als soziallästig empfunden werden. Insbesondere unter Berück233  Siehe

dazu LG München I ZfL 2006, 96 (96 u. 98). LG München I ZfL 2006, 96 (98). 235  LG München I ZfL 2006, 96 (98). 234  Dazu



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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sichtigung dessen, dass der Kläger es weder geheim halte noch es der interessierten Öffentlichkeit verborgen bleiben könne, dass er eine Abtreibungsklinik betreibt, seien die Patientinnen bzw. Passanten diesbezüglich nicht schutzwürdig236. Demgegenüber hatte es der BGH noch ausdrücklich abgelehnt, die Schutzwürdigkeit des Arztes vor kritischen Stellungnahmen zur nicht indizierten Abtreibung deshalb in Frage zu stellen, weil er selbst die nicht indizierte Abtreibung öffentlich als Behandlungsangebot seiner Praxis ausgewiesen hatte und insofern einen „öffentliche[n] Beitrag zur Abtreibungsdiskussion“ geleistet hätte237. Auch hier mag sich in den divergierenden Gerichtsentscheidungen nun das unterscheidende Merkmal von „Kritik“ einerseits – vor der es zu schützen gilt –, „Rat und Hilfe“ andererseits – vor denen es des Schutzes nicht bedarf – niedergeschlagen haben. Es gilt jedoch ergänzend zu bemerken, dass dieses Merkmal die „Gehsteigberatung“ nicht nachhaltig vor einem Verbot hat bewahren können: Denn anders als das Landgericht München I hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) BadenWürttemberg in seinem Beschluss vom 10.06.2011238 auf die Rechtmäßigkeit eines solchen Verbots erkannt. Auch ein Angebot von „Rat und Hilfe“ soll nach Ansicht der Verwaltungsgerichte neuerdings das allgemeine Persönlichkeitsrecht der angesprochenen schwangeren Frauen verletzen können239, ebenso wie es eine Gefahr für das gesetzliche Beratungskonzept zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch in sich bergen soll240. Das durch das Landgericht München I noch negierte Recht der Passanten und Patientinnen, nicht angesprochen zu werden, hat der VGH – unter Beschränkung auf potenziell betroffene Frauen – nunmehr ausdrücklich bejaht: „Gerade in dieser Konfliktsituation hat die schwangere Frau ein Recht darauf, von fremden Personen, die sie auf der Straße darauf ansprechen, in Ruhe gelassen zu werden“241. Im weiteren Rechtsweg erfuhr diese Einschätzung 236  LG München I ZfL 2006, 96 (99) unter ausdrückl. Abgr. zum Urteil des BGH v. 07.12.2004; s. dazu bereits oben Seite  605 [cc) (1)] m. Fn. 226. Zu der vom Beklagten selbst gesuchten Öffentlichkeit s. auch Büchner, ZfL 2006, 100 (101 f.). 237  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BGH NJW 2005, 592 (592 a. E.); dazu auch Seite  605 [cc) (1)] m. Fn. 226. 238  Beschluss über die Beschwerde gegen den Beschluss des VG vom 04.03.2001 – 4 K 314 / 11; VGH Baden-Württemberg ZfL 2011, 97 = VGH Mannheim NJW 2011, 2532 m. Anm. Büchner, ZfL 2011, 102. 239  VGH Baden-Württemberg ZfL 2011, 97 = VGH Mannheim NJW 2011, 2532 (2532 f.). 240  VGH Baden-Württemberg ZfL 2011, 97 = VGH Mannheim NJW 2011, 2532 (2532 m. LS 1); zur Gefährdung des Persönlichkeitsrechts ferner a. a. O., 2532 (2533); zu derjenigen des Beratungskonzepts a. a. O., 2532 (2535). 241  VGH Baden-Württemberg ZfL 2011, 97 (99); [Klammerzusatz] nicht im Original.

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durchweg – angefangen mit dem Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg über das Urteil in der Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Freiburg bis hin zum Urteil des VGH in der Berufungs­instanz – Bestätigung242. (2) Rat und Hilfe statt Kritik Ob eine „Gehsteigberatung“ das vorliegend thematisierte Persönlichkeitsrecht eines in unmittelbarer Nähe mit der Abtreibung befassten Arztes sowie dessen erlaubte ärztliche Tätigkeit verletzt, ist jedoch nicht Gegenstand des VGH-Beschlusses gewesen. Diesbezüglich hat er sich also nicht in eine Gegenposition zum Urteil des Landgerichts München I begeben, dem eine Unterscheidung zwischen Kritik an der Abtreibung und dem Angebot von Rat und Hilfe sowie zwischen direkter und nur mittelbarer verbal negativer Darstellung, ergänzt um die Manifestation einer Geschäftsschädigung (sabsicht), entnommen werden konnte. Was den Arzt betrifft, vermag nicht allein der – auch der „Gehsteigberatung“ eigene – wenigstens sinngemäße Hinweis auf dessen Abtreibungstätigkeit eine Persönlichkeitsrechtsverletzung kraft Prangerwirkung zu begründen sowie in dessen erlaubte ärztliche Tätigkeit geschäftsschädigend einzugreifen. Ein entsprechendes Schutzbedürfnis ist stattdessen erst für denjenigen Hinweis bejaht worden, der in unmittelbarer Praxisnähe mit einer Äußerung personalisierter Kritik an der Abtreibung verbunden wird. Demgegenüber vermag diejenige Aktivität von Lebensschützern, die frei von solcher Kritik ist und keine nachweisbaren geschäftsschädigenden Auswirkungen entfaltet, nach neuerer Ansicht zwar die von einem Schwangerschaftskonflikt betroffenen Frauen, nicht aber den Arzt zu tangieren. ee) Conclusio zum umfassenden Schutz von ärztlicher Person und Tätigkeit Zusammenfassend offenbaren die besprochenen Gerichtsurteile, durch die Person und Tätigkeit des Abtreibungsarztes verschiedentlich Schutz erfahren haben, ein weiteres Mal die Ambivalenz, die das Recht bezüglich des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs in vielfältigen Bereichen zu bewältigen hat. Sie prägt erkennbar auch sein Verhältnis zu den Ärzten, deren Mitwirkung es zur Umsetzung seines Beratungskonzeptes zwingend bedarf und die gleichzeitig doch eine Tötungshandlung berufsmäßig vornehmen, 242  Regierungspräsidium Freiburg, Widerspruchsbescheid vom 13.07.2011; VG Freiburg, Urteil vom 01.12.2011; VGH Mannheim, Urteil v. 19.10.2012; s. dazu VGH Mannheim ZfL 2012, 123 (124 f.).



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die das Recht in § 218a Abs. 1 StGB als rechtswidrig missbilligt. Um der Wirksamkeit des Beratungskonzeptes willen müssen Gesetzgeber und Rechtsprechung mithin eine rechtswidrig missbilligte Handlung schützen. Hierzu werden nun nicht nur die entsprechenden rechtlichen Grundlagen geschaffen, sondern auch die beteiligten Personen geschützt: vor personalisierter Kritik und etwaiger Geschäftsschädigung. Der Staat muss gleichermaßen vermeiden, dass die Person des Arztes an der Abtreibungstätigkeit Schaden nimmt, wie er auch wirtschaftliche Nachteile für eine Praxis, die sich teils oder gar ausschließlich aus der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen finanziert, abwenden muss, will er nicht die für ihn so essenzielle ärztliche Mitwirkungsbereitschaft gefährden243. Die nicht ganz ungefährliche Folge dieser Ambivalenz: Indem die Rechtsprechung Unterlassungsurteile gegen Abtreibungsgegner unter anderem mit einer behaupteten Geschäftsschädigung begründet, erhebt sie die von ihm selbst als rechtswidrig missbilligte Tötung vorgeburtlichen Lebens zu einer schützenswerten wirtschaftlichen Existenzgrundlage. Die Befürchtungen, die das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung244 und der bayerische Gesetzgeber anlässlich Art. 5 Abs. 2 seines Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes (BaySchwHEG) v. 09.08.1996 bezüglich spezialisierter Abtreibungseinrichtungen245 geäußert hatten, scheinen sich damit jedenfalls insofern realisiert zu haben, als sich der Staat gehalten sieht, die Tötung vorgeburtlichen Lebens als Erwerbsgrundlage zu schützen – wenn er auch in § 219a StGB ein Verbot kommerzieller Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ausspricht und dieses auch (noch) nicht einschränkend „im Lichte der Berufsausübungsfreiheit“ auslegt. Eine einschränkende Auslegung des § 219a Abs. 1 StGB des Inhalts, dass sachliche Informationen eines Arztes über seine Bereitschaft zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen erlaubt seien, verstoße gegen die gesetzgeberische Ratio, die öffentliche Darstellung der Abtreibung „als etwas Normales“ sowie ihre Kommerzialisierung zu verhindern246. Die Information darüber, welche Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, soll nach dem 243  Vgl. Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 (2345, a. E. von III.1.c.); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (358). 244  BVerfGE 88, 203 (294 f.): Eine Gefährdung der ärztlichen Aufgabe, das ungeborene Leben zu schützen, liege in spezialisierten Abtreibungspraxen „auf der Hand“; Zitat entnommen a. a. O., 294. 245  LT-Drs. 13 / 4961, 1 u. 8 f. Mangels Kompetenz des Landesgesetzgebers wurde Art. 5 Abs. 2 BaySchwHEG (BayGVBl., Nr. 16 v. 16.08.1996, 328 [329]) durch Urteil des BVerfG vom 27.10.1998 aber für verfassungswidrig und nichtig erklärt; BVerfGE 98, 265 (313) = BVerfG NJW 1999, 841 (846); anders noch Koch, Bay. Sonderweg, 153. 246  LG Bayreuth ZfL 2007, 16 (17); dazu auch Goldbeck, ZfL 2007, 14 (14 f.). Vorstehendes Zitat aus u. zur gesetzgeberischen Ratio s. BT-Drs. 7 / 1981 [neu], 17;

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gesetzgeberischen Willen, der insofern in § 219a Abs. 2 StGB zum Ausdruck gekommen ist, nicht über die Öffentlichkeit, sondern unter Umgehung pekuniärer Interessen über Behörden, anerkannte Beratungsstellen oder andere Ärzte erfolgen247. Soweit Patientinnen jedoch jenseits einer solchen verbotenen Werbung den Weg in eine Abtreibungspraxis finden, erfahren Person und Tätigkeit des die als rechtswidrig postulierte Abtreibung vornehmenden Arztes umfassenden Schutz: vor einer Prangerwirkung wie einer Störung des Vertrauensverhältnisses zu seinen (potenziellen) Patientinnen und einer Schädigung seiner wirtschaftlichen Grundlagen. h) Conclusio zum Rechtswidrigkeitsurteil der Gesamtrechtsordnung Bevor nun eine Conclusio zur Behandlung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs durch die Gesamtrechtsordnung gezogen werden soll, sei noch einmal an den „Rechtswidrige-Abtreibungen“-Beschluss des BVerfG vom 24.05.2006 erinnert248: In selbigem wertete das Gericht die Behauptung von der Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs nach einem umgangssprachlichen Verständnis als unwahre Tatsachenbehauptung und legte dem diese Behauptung verbreitenden Abtreibungsgegner die Obliegenheit auf, jene Rechtswidrigkeitsaussage künftig um den Hinweis auf die Straflosigkeit des nicht indizierten Abbruchs zu präzisieren. Ohne jene notwendige Präzisierung würde die Haltung des Rechts zum nicht indizierten Abbruch verkürzt und die Teilaussage der „Rechtswidrigkeit“ einseitig in den Vordergrund gestellt. Das Flugblatt des Abtreibungsgegners, das auf dem Deckblatt nur die Rechtswidrigkeit der nicht indizierten Abbrüche aufführte, deren Straflosigkeit aber erst im weiteren Text (auf Innen- und Rückseite – quasi „im Kleingedruckten“) erwähnte, machte sich eine täuschende Vorgehensweise zu eigen, um seine ablehnende Haltung gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch effektiver zum Ausdruck zu bringen. Wo das BVerfG den Abtreibungsgegner nun zur Unterlassung verurteilt und zur künftigen Klarstellung verpflichtet hat, scheint es an den Gesetzgeber und seine Behandlung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs durch die Gesamtrechtsordnung geringere Anforderungen zu stellen. Gleich Goldbeck, ZfL 2005, 102 (102 f.); Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 219a Rn. 1. 247  LG Bayreuth ZfL 2007, 16 (17); Fischer, StGB60, § 219a Rn. 3; Goldbeck, ZfL 2005, 102 (103 m. Fn. 26); ders., ZfL 2007, 14 (15) m. Abgr. zum „Rechtswidrige-Abtreibungen-Beschluss“ des BVerfG v. 24.05.2006 (BVerfG ZfL 2006, 135); vgl. ferner Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 219a Rn. 8–11; Kröger, in: Jähnke et  al., LK‑StGB / 511, § 219a Rn. 8; diesbzgl. krit. Christian Fiala im Tagungsbericht v. Czygan / Kruber, Sexuologie 2012, 179 (180). 248  Dazu oben Seite  598–603 [g) bb)].



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dem Abtreibungsgegner verkürzt nämlich auch die Gesamtrechtsordnung die Aussage von der „Rechtswidrigkeit, aber durch einen Tatbestandausschluss vermittelten Straflosigkeit“ des nicht indizierten Abbruchs, allerdings im umgekehrten Sinne um die Rechtswidrigkeit des Abbruchs und hebt stattdessen einseitig die Straflosigkeit des Abbruchs hervor. Mit Ausnahme der Verweigerung der Krankenkassenleistung für den nicht indizierten Abbruch, die aber durch die Sozialhilfeleistung für bedürftige Frauen kompensiert wird, lässt die Gesamtrechtsordnung jede Auswirkung einer Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs vermissen249. Nun hat das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung zwar ausdrücklich festgehalten, dass um der Wirkung des Beratungskonzeptes willen nicht jede Folge der Rechtswidrigkeit gezogen werden müsse250. Die Schutzwirkungen des grundsätzlichen Verbots sollen nach seinem Bekunden dann nicht verloren gehen, „wenn Folgewirkungen des Verbots – mit Rücksicht auf sinnvolle andere Schutzmaßnahmen – nur in bestimmten Bereichen der Rechtsordnung eingeschränkt werden, in anderen hingegen Geltung haben“251. Bleibt in der Konsequenz aber kaum eine bis gar keine Folge der Rechtswidrigkeit zu erkennen, muss man sich unweigerlich fragen, woraus der Adressat des Gesetzes die Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs überhaupt soll ziehen können252, und sieht man die Schutzwirkungen des Verbots ebenso unweigerlich in Frage gestellt. Realisiert hat sich mithin diejenige „Durchschlagskraft“, die das BVerfG der abgelehnten „Selbstindikation“ zugeschrieben hatte: Wenn das Strafrecht für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch einen Rechtfertigungsgrund normierte, würden auch andere Teilbereiche der Rechtsordnung seiner Maßgabe folgen, dass der Schutz für das ungeborene Leben durch eine „Selbstindikation“ aufgehoben werde253. Dass sich jene „Durchschlagskraft“ nun auch für den Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB realisiert hat, sollte eingedenk dessen im Abschnitt 1 getroffener Charakterisierung als „Unerheblichkeitserklärung“ der Schwangeren nicht verwundern. Denn entfällt mit dem Abbruchsverlangen der Schwangeren und dessen weiterer auch Beckmann, Abtreibung3, 88; Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 14; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (355 f.); Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 155 f.; Zschiegner, Fristenlösung, 90; zum Entwurf der in § 218a Abs. 1 StGB verwirklichten Tatbestandslösung durch das BVerfG (BVerfGE 88, 203) vgl. Hoerster, Abtreibung2, 193; Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 23. 250  BVerfGE 88, 203 (270 u. 280). 251  BVerfGE 88, 203 (280). 252  So auch Beckmann, Abtreibung3, 89; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (357 f.). 253  Siehe oben Seite  553–556 [Abschn.  1, B. III.] u. vgl. BVerfGE 88, 203 (273 f.). 249  So

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Konkretisierung das tatbestandliche Unrecht des § 218 Abs. 1 StGB, ist auch einem verlautbarten Rechtswidrigkeitsurteil der notwendige Anknüpfungspunkt entzogen254. Ob eine rechtfertigende „Selbstindikation“ nun verhindert, dass sich das tatbestandliche Unrechtsurteil zur konkreten Rechtspflicht verdichtet, oder aber eine „Unerheblichkeitserklärung“ als auflösende „Wollensbildung“ wirkt und bereits das tatbestandliche Unrechtsurteil im Einzelfall entfallen lässt: Beiden Wertungen ist gemein, dass sich der beratene Abbruch als „erlaubt“ darstellt und augenscheinlich auch von der Gesamtrechtsordnung so begriffen wird, welche die Rahmenbedingungen seiner straflosen Durchführung garantiert, während sie auf seine verlautbarte Rechtswidrigkeit allenfalls kaum merklich eingeht. Damit mag die Gesamtrechtsordnung derjenigen Ratio des Beratungskonzeptes nachkommen, nach welcher der ungewollt Schwangeren die Angst vor Strafverfolgung genommen und sie einer lebensschutzorientierten Beratung zugeführt werden soll, ebenso wie den in das Beratungskonzept eingebundenen Ärzten ihre Tätigkeit störungsfrei ermöglicht werden soll. Verfehlen muss sie aber diejenige andere gesetzliche Zielsetzung, demnach der Allgemeinheit die Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs vermittelt und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein bewahrt werden soll. Nur eine differenzierte Darstellung der geltenden Rechtslage kann beiden Rationes des Beratungskonzeptes gerecht werden – so hat die vorliegende Untersuchung ihre Ausführungen zum „Rechtswidrige-Abtreibungen“-Beschluss des BVerfG beschlossen. Diesem Anspruch wird die Gesamtrechtsordnung aber gleich dem Abtreibungsgegner nicht gerecht, sondern droht das Rechtswidrigkeitsverdikt, das vom BVerfG zur Voraussetzung einer dem Schutz des ungeborenen Lebens verpflichteten Tatbestandslösung erhoben worden ist, gar in sein Gegenteil zu verkehren. Den schmalen Grat zwischen Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs einerseits und seiner durch den Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB vermittelten Straflosigkeit andererseits, den Verfassungsrechtsprechung und Gesetzgebung mit einem Beratungskonzept einzuschlagen versucht haben, scheint die Gesamtrechtsordnung mithin zu verlassen und sich stattdessen einseitig der Straflosigkeit zuzuneigen255.

254  Siehe dazu oben Seite  557 f. [Abschn.  1, C. II.] u. Seite  559–562 [Abschn.  1, C. III.]. 255  So zutreffend Dreier, ZRP 2002, 377 (380); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (358); s. ferner auch Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 218a Rn. 15; Jakobs, JR 2000, 404 (406 f.); Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 (2342, a. E. von II.3.b.).



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3. In der Statistik

Mit dieser verkürzten bis hin zur umgekehrten Gesetzesaussage gehen die Zahlen der Abtreibungsstatistik des Statistischen Bundesamtes konform, nach denen im Jahre 2012 beispielsweise 96,9 % der 106.815 gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung des § 218a Abs. 1 StGB vorgenommen wurden256. Demgegenüber wird die Strafjustiz mit Verstößen gegen die §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 1 StGB nahezu nicht befasst257: § 218a Abs. 1 StGB lässt den Schwangerschaftsabbruch so weitgehend zu, dass man kaum mehr Anlass sehen wird, einen strafbaren, die Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB nicht erfüllenden Abbruch zu begehen. Auch von einem substantiellen Rückgang der Dunkelziffer wird mit Einführung des § 218a Abs. 1 StGB ausgegangen258. Befolgt wird damit weniger ein Verbot des rechtswidrigen, nicht indizierten Abbruchs als vielmehr ein Verbot des Verstoßes gegen das Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB259, ob dessen einem Abbruch zwar nicht die Rechtmäßigkeit, aber die Straflosigkeit zuerkannt wird. Unter Wahrung der in § 218a Abs. 1 StGB festgelegten Verfahrensvoraussetzungen hat sich der nicht indizierte Schwangerschaftsabbruch so zum Regelfall der Abtreibung entwickelt und nährt als solcher den Eindruck, dass seine Rechtswidrigkeit in Vergessenheit geraten ist260. Dies hat in der Untersuchung Heitzmanns aus dem Jahre 2002 seine Bestätigung erfahren, die neun Interviews über die Meinungsbildung zum Schwangerschaftsabbruch analysierte, die sie im Zeitraum von Oktober 1998 bis März 1999 mit Frauen aus West- und Ostdeutschland geführt hatte261. Befragt zu ihrem „spontanen Rechtswissen über das Abtreibungsrecht“, hatte jede der interviewten Frauen über die normierte Beratungspflicht, nicht aber über eine seitens des Gesetzes vermittelte Rechtswidrigkeit zu berichten gewusst262. Ihre diesbezügliche Unkenntnis hatte auch durch eine Konfrontation mit den einschlägigen Gesetzestexten nicht überwunden werden können; nur eine 256  Stat. Bundesamt, Schwangerschaftsabbrüche 2012, 9 u. 11 m. Tab.1.1. Für das Jahr 2011: 96,8 % der 108.867 gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche; Stat. Bundesamt, Jahrbuch 2012, 127 m. Tab.  4.1.12. 257  Darauf ebenfalls hinweisend: Wirth, Spätabtreibung, 9. 258  So Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (337). 259  Vgl. Jakobs, JR 2000, 404 (405), nach dem das in § 218a Abs. 1 StGB geregelte Abbruchsverfahren den Abbruchsgrund vertritt. 260  Zur gesellschaftlichen Rezeption des Rechtswidrigkeitsverdikts s. auch Seibel, Probleme, 196 ff. 261  Zum methodischen Ansatz der Untersuchung: Heitzmann, Rechtsbewusstsein, 118. 262  Heitzmann, Rechtsbewusstsein, 161 f.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

der neun Probandinnen war durch die Gesetzeslektüre dazu veranlasst worden, die ambivalente Haltung des Gesetzes in recht vager Form („verrückte Doppelgeschichte“, „Tatbestand und trotzdem straflos bleiben“) wiederzugeben; die übrigen Frauen hatten der weitergehenden Erklärung bedurft263. Entsprechend gingen nach den Ergebnissen einer im April 2005 durchgeführten repräsentativen Umfrage des TNS Emnid-Insituts immerhin 49 % der 1003 Befragten davon aus, dass Abtreibung in Deutschland nach dem Gesetz „bis zum dritten Monat ohne Einschränkung erlaubt“ sei264 – ein Eindruck, der augenscheinlich auch in der Wahrnehmung des Auslands fortlebt, wenn etwa die British Broadcasting Corporation (BBC) die deutsche Abtreibungsgesetzgebung dergestalt wiedergibt, dass der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen „available on request“, d. h. auf Anfrage verfügbar, sei265. Tatsächliche Geltung beansprucht damit nach den Angaben der Statistik ebenso wie in weiten Teilen der Allgemeinheit eine (faktische) Rechtmäßigkeit des nicht indizierten Abbruchs gemäß § 218a Abs. 1 StGB. 4. Nach Einschätzung der Rechtsprechung

Zu der Einschätzung, dass sich das Rechtswidrigkeitsverdikt und der in § 218a Abs. 1 StGB normierte Tatbestandsausschluss schwerlich miteinander vereinbaren lassen, ohne dass der Tatbestandsausschluss das Rechtswidrigkeitsverdikt aus Sicht des Gesetzesadressaten aufzehrt, sind bereits auch diejenigen Gerichte gelangt, welche die nicht weiter präzisierte Behauptung der Rechtswidrigkeit nach § 218a Abs. 1 StGB durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche ausdrücklich als eine nach umgangssprachlichem Verständnis unwahre Tatsachenbehauptung gedeutet haben. Auf jene gerichtlichen Entscheidungen ist vorliegende Untersuchung bereits in ihren Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs nach der Gesamtrechtsordnung eingegangen, um zu verdeutlichen, wie weit der Schutz reicht, den die Rechtsordnung den in ihr Beratungskonzept zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch eingebundenen Ärzten gewährt266. Was diese Rechtsprechung für den Gegenstand vorliegender Untersuchung nun so erwähnenswert macht, dass an dieser Stelle ein weiteres Mal auf sie 263  Heitzmann,

Rechtsbewusstsein, 170. Umfrage v. 12. / 13.04.05, pdf-S. 1 m. Tab.  1; zur These, dass § 218a Abs. 1 StGB das Bewusstsein vom Recht statt Unrecht des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs nähre, vgl. Tröndle, in: Dannecker et  al., FS-Otto, 821 (833). 265  BBC, Europe’s Abortion Rules v. 12.02.2007. 266  Siehe dazu bereits oben Seite  598–603 [2. g) bb)]. 264  chrismon.de,



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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eingegangen werden soll, ist die als maßgeblich erkannte Auslegung, dass die „Rechtswidrigkeit“ von Schwangerschaftsabbrüchen umgangssprachlich mit deren Strafbarkeit gleichzusetzen sei. Wir erinnern uns: In seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung hatte das BVerfG noch die Einschätzung formuliert, dass dem juristischen Laien die Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruches auch ohne Strafandrohung im Wege einer Tatbestandslösung vermittelt werden könne. Dem trat nun mit besagten Unterlassungsurteilen eine gerichtliche Einschätzung des Inhalts entgegen, dass der juristische Laie Rechtswidrigkeit mit Verbot und Strafbarkeit identifiziere. Gegen einen solchen Eindruck könne nur durch den gleichzeitigen Hinweis auf die durch einen Tatbestandsausschluss vermittelte Straflosigkeit des besagten Abbruchs und mithin durch die unverkürzte Darstellung der geltenden Rechtslage zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch Vorsorge getroffen werden. Wenn der Laie demnach geneigt sein wird, nur den außerhalb der Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB vorgenommenen Abbruch als rechtswidrig zu verstehen, ergibt sich im Umkehrschluss, dass er den innerhalb der Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB vorgenommenen Abbruch als rechtmäßig zu verstehen geneigt sein wird267. Bereits mit dem Verzicht auf einen Strafvorwurf im Wege des Tatbestandsausschlusses wird unschwer sein Eindruck von einer Rechtmäßigkeit des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs korrespondieren268. Mehr aber noch wird dieser Eindruck durch die Hilfe, die der Staat zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch leistet – indem er rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen und Einrichtungen sowie Finanzierung sichergestellt hat –, verstärkt werden: „Ein Schwangerschaftsabbruch […], dessen Voraussetzungen detailliert geregelt sind und an dessen Durchführung zudem staatliche und kirchliche Stellen im Rahmen des obligatorischen Beratungsgesprächs mittelbar mitwirken, ist nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums wenn auch nicht erwünscht, so doch rechtmäßig“269. Die in der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung kundgetane Einschätzung des BVerfG, dass sich das Bewusstsein einer Rechtswidrigkeit auch im Wege einer Tatbestandslösung vermitteln lasse, wird damit jedenfalls insofern in Frage gestellt, als es der Rechtsordnung an einer Präzisierung ihrer in § 218a Abs. 1 StGB getroffe267  Siehe

dazu bereits oben Seite  600 f. [2. g) bb) (2)]. dazu auch die verfassungsgerichtliche Kritik an der Fristenlösung des 5. StrRG: „Der ‚gefährliche Schluß von der rechtlichen Sanktionslosigkeit auf das moralische Erlaubtsein‘ […] liegt zu nahe, als daß er nicht von einer großen Anzahl Rechtsunterworfener gezogen würde“; BVerfGE 39, 1 (58) unter Zit. v. Engisch, Gerechtigkeit, 104. 269  LG Heilbronn, Urteil v. 18.12.2001, ZfL 2002, 20; dazu auch Dreier, ZRP 2002, 377 (380 u. ebda., Fn. 15). 268  Vgl.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

nen Aussage von der Tatbestands- und Straflosigkeit des nicht indizierten Abbruchs mangelt: Dass jener Abbruch zugleich rechtswidrig sein soll, vermag die geltende Gesamtrechtsordnung ebenso wenig zu vermitteln wie das in den fraglichen Entscheidungen behandelte Flugblatt des Abtreibungsgegners seine Rechtswidrigkeitsaussage um den Hinweis auf die Tatbestands- und Straflosigkeit des nicht indizierten Abbruchs zu ergänzen wusste (bzw. ergänzen wollte). In diesem Sinne in Frage gestellt wurde die Einschätzung der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung jedenfalls durch das im vorliegenden Fall erstinstanzlich entscheidende Landgericht Heilbronn270. Das abschließend entscheidende BVerfG jedoch ließ ausdrücklich „dahinstehen“, ob der juristische Laie den nicht weiter präzisierten Begriff der Rechtswidrigkeit nicht auch rechtstechnisch im Sinne der Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB verstehen und mithin von der Strafbarkeit unterscheiden könne271. Indem das BVerfG den gegen den Abtreibungsgegner gerichteten Unterlassungsanspruch mit dem Persönlichkeitsschutz nach der StolpeRechtsprechung begründete und sowohl ein rechtstechnisches als auch umgangssprachliches Verständnis vom Begriff der Rechtswidrigkeit als möglich nachvollzog, hielt es sich – anders als seine vorinstanzlich entscheidenden Gerichte – quasi eine „Hintertür“ offen, welche es ihm weiterhin ermöglicht, die Geeignetheit der Tatbestandslösung zum Transport des Rechtswidrigkeitsverdikts zu bejahen. Denn die Geeignetheit (straf‑)gesetzlicher Vorschriften stellt das BVerfG weitgehend in das gesetzgeberische Ermessen272. Steht also der Transport des Rechtswidrigkeitsverdikts durch die Vorschrift des § 218a Abs. 1 StGB – und nicht die Begründung eines Unterlassungsanspruchs – in Frage, so kann das BVerfG von den durch ihn gleichermaßen bejahten Verständnismöglichkeiten immer noch auf diejenige abstellen, nach der der Adressat den gesetzgeberischen Gedanken am ehesten nachzuvollziehen vermag: vorliegend also auf das – vom BVerfG nicht ausgeschlossene – rechtstechnische Verständnis des § 218a Abs. 1 StGB. Die (allzu) wenig voraussetzende Geeignetheit der Tatbestandslösung, ein Rechtswidrigkeitsverständnis zu transportieren, wird es damit weiterhin bejahen können, ungeachtet dessen, dass es zum Zwecke des Persönlichkeitsschutzes in einem Atemzug Abtreibungsgegnern die „unwahre Tatsachenbehauptung“ verbietet, einem namentlich benannten Arzt die Vornahme rechtswidriger Abtreibungen vorzuwerfen. 270  Zu den einschlägigen Ausführungen des LG Heilbronn s. BVerfG ZfL 2006, 135 (135). 271  BVerfG ZfL 2006, 135 (137); vgl. OLG Karlsruhe NJW 2003, 2029 (2031), u. s. dazu auch bereits oben Seite  601 [2. g) bb) (2)] m. Fn. 217. 272  Zur weitreichenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers s. Pieroth /  Schlink, Grundrechte28, Rn. 290–292 u. 297.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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Gleichwohl kann festgehalten werden, dass das BVerfG der umgangssprachlichen Identifizierung von Rechtswidrigkeit mit Strafbarkeit nicht widerspricht, sondern sie ausdrücklich als Deutungsvariante einer mehrdeutigen Äußerung anerkennt. Es wendet sich gerade nicht gegen die Einschätzung der Vorinstanzen, dass „der in den gesetzlichen Regelungen der §§ 218, 218a StGB angelegte […] Unterschied von Schwangerschaftsabbrüchen als eines strafbaren oder tatbestandlosen (§ 218a Abs. 1 StGB) oder eines nach § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigten Verhaltens“ „regelmäßig nur dem juristischen Experten zugänglich“ sei und als solcher „bei der Sinndeutung außer Betracht zu bleiben“ habe273. Dass der rechtliche Laie die Figur des Tatbestandsausschlusses, mit deren Hilfe der Gesetzgeber im Anschluss an die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG einen rechtswidrigen und doch straffreien, nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch zu statuieren versucht hat, in aller Regel nicht wird nachvollziehen können, gesteht es damit wenigstens als möglich ein. 5. Conclusio zur Kennzeichnung des nicht indizierten Abbruchs als rechtswidrig

Sofern das BVerfG das Rechtswidrigkeitsverdikt – die Kennzeichnung des nicht indizierten Abbruchs als rechtswidrig – zur Voraussetzung für die Geeignetheit des Beratungskonzeptes zum (quantitativen) Schutz des ungeborenen Lebens erhoben hat, ist jener Voraussetzung nach den vorangehenden Ausführungen nicht Genüge getan: Die Regelung des nicht indizierten Abbruchs durch Strafgesetzbuch wie Gesamtrechtsordnung lässt weniger auf dessen Rechtswidrigkeit denn auf dessen faktische Rechtmäßigkeit schließen. Mehr noch: Das Recht duldet den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch nicht nur kraft gesetzlicher Anordnung, es garantiert darüber hinaus seine ungestörte Vornahme, indem es Nothilferechte zugunsten des Ungeborenen ausschließt, den auf Vornahme einer rechtswidrigen Handlung gerichteten Behandlungsvertrag auch unter Berücksichtigung der §§ 134, 138 Abs. 1 BGB als wirksam behandelt, den Lohnausfall infolge des rechtswidrigen Abbruchs durch eine Entgeltfortzahlung für den Krankheitsfall kompensiert, den rechtswidrigen Abbruch durch Sozialhilfeleistungen finanziert und schließlich gar indem es den Staat nach § 13 Abs. 2 SchKG verpflichtet, ein flächendeckendes Angebot solcher Einrichtungen zu sichern, in denen die rechtswidrigen Abbrüche nach der Tatbestandslösung vorgenommen werden können. Der Gesetzgeber hat damit nahezu alle relevanten Konsequenzen ausgeschlossen, die eine Rechtsordnung gegenüber einem rechtswidrigen Verhalten entfalten kann. Eingetreten ist mithin das, was das 273  Zitate

aus BVerfG ZfL 2006, 135 (137); Hervorhebungen nicht im Original.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

BVerfG selbst quasi als die „Achillesferse“ eines Beratungskonzepts zugestanden hat: Wird der beratene Abbruch in anderen Bereichen der Rechtsordnung nämlich nicht als rechtswidrig ausgewiesen, „wirkt sich der Ausschluß des Straftatbestandes wie ein Rechtfertigungsgrund aus“274. Dass dem Rechtsbewusstsein seiner Adressaten in der Folge die Rechtswidrigkeit des Abbruchs immer weniger vermittelt werden kann, ist nur die logische Folge eines gesetzgeberischen Konzeptes, das diese Rechtswidrigkeit an keiner Stelle vermittelt: Man fragt sich, „woran sich das Rechtsbewusstsein der Menschen eigentlich noch orientieren soll, von dessen Erhaltung und Stärkung die Verfassungsrichter die Wirksamkeit eines Beratungskonzeptes in erster Linie abhängig gesehen haben“275. Damit korrespondieren die statistischen Zahlen, die den beratenen Abbruch als Regelfall ausweisen, und jene Gerichtsentscheidungen, die eine Neigung des Gesetzesadressaten bestätigen, den gemäß § 218a Abs. 1 StGB vorgenommenen Abbruch als rechtmäßig zu verstehen. Dass der beratene Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig ist, ist demnach weniger einem Normappell denn – bedient man sich der Begrifflichkeiten der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG – einem nur moralischen „Appell an ihre Verantwortung“276 oder einer „Anforderung an die Freiwilligkeit“277 zu entnehmen. Die Frauen, die vor die unglückselige Entscheidung gestellt sind, einen solchen Abbruch vornehmen zu lassen oder nicht, folgen in ihrer Entscheidung einem moralischen Ruf, basierend auf dem eigenen Gewissen, vielleicht sogar unter Einfluss des in den §§ 218a Abs. 1, 219 StGB rechtlich vorgesehenen Verfahrens. Es bleibt aber beim bloßen moralischen Appell278; entschließt sich die Schwangere dem zum Trotz für einen Abbruch, wird das Recht ihr keine Steine in den Weg legen, sondern ihr den Weg sogar ebnen. Dem mag auch die verfassungsgerichtliche Behauptung eines 274  BVerfGE 88, 203 (274); aus diesem Grunde für eine Rechtmäßigkeit des beratenen Abbruchs de lege lata: Merkel, Forschungsobjekt, 86, mit ausführl. Darlegung a. a. O., 76–86. 275  Büchner, ZfL 2008, 2 (3); in diesem Sinne auch Böckenförde-Wunderlich, PID, 193 m. w. N.; Seibel, Probleme, 197 ff. Vgl. auch die Stellungnahme des BVerfG zur Fristenlösung des 5. StrRG: „Dies muß die in der Bevölkerung herrschenden Auffassungen von ‚Recht‘ und ‚Unrecht‘ verwirren. Die rein theoretische Verlautbarung, der Schwangerschaftsabbruch werde ‚toleriert‘, aber nicht ‚gebilligt‘, muß wirkungslos bleiben, solange keine rechtliche Sanktion erkennbar ist, die die gerechtfertigten Fälle des Schwangerschaftsabbruchs von den verwerflichen klar scheidet“; BVerfGE 39, 1 (57 f.). 276  BVerfGE 88, 203 (267); so auch a. a. O., 268: „könne aber die im Überlassen einer Letztverantwortung zum Ausdruck kommende Achtung vor dem Verantwortungsbewußtsein der Frauen Appellfunktion haben“. 277  BVerfGE 88, 203 (253); dort unter Verwendung des Plurals. 278  So zutreffend Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (358); ders., ZfL 2008, 38 (41).



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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Rechtswidrigkeitsurteils keine Abhilfe zu schaffen: „Protestatio facto con­ traria non valet“ – „eine Verwahrung gegen das entgegengesetzte Verhalten gilt nicht“279. Mit einem entsprechenden Konflikt waren im Übrigen auch die römischkatholischen280 Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen konfrontiert. Im Rahmen einer langjährigen Problematisierung der Ausstellung des für einen straffreien Abbruch nach § 218a Abs. 1 StGB erforderlichen Beratungsscheins durch die katholischen Beratungsstellen (Papstbriefe aus den Monaten September 1995, Januar 1998 und Oktober 1999281) beschloss der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz auf Aufforderung des Papstes am 22.06.1999, den Beratungsschein um folgenden Zusatz zu ergänzen: „Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden“282. Für diesen Zusatz manifestierte sich verschiedentlich jedoch die „Befürchtung“283 (oder im umgekehrten Sinne auch die Hoffnung284), dass er als nicht rechtsverbindlich betrachtet werden würde, sodass der Beratungsschein dem Zusatz zum Trotz für eine straffreie Abtreibung Verwendung finden könnte285. Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 218a Abs. 1 StGB, in deren Folge ein nicht indizierter Schwangerschafts279  Die heute herrschende Meinung zur Unbeachtlichkeit ausdrücklicher verbaler Erklärungen, die in Widerspruch zum konkludenten, als Vertragsannahme gedeuteten Verhalten stehen; Musielak, GK-BGB12, Rn. 145. Hierauf beziehen sich in vorliegendem Zusammenhang ausdrücklich: Gropp, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 42, § 218a Rn. 8; Jakobs, JR 2000, 404 (407); Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (357); ders., Forschungsobjekt, 85; Zimmermann, Rettungstötungen, 447. Zur verwandten Rede von einer unbeachtlichen „falsa demonstratio“ s. Merkel, ZfL 2008, 38 (39); Zimmermann, a. a. O., 448. 280  Soweit sich der nachfolgende Untersuchungsverlauf des Begriffs „katholisch“ bedient, sind von diesem Begriff solche Einrichtungen erfasst, die der römisch-katholischen Kirche zuzuordnen sind. 281  Die vom 21.09.1995, 11.01.1998 und 03.06.1999 datierenden Briefe von Papst Johannes Paul II. zur Schwangerschaftskonfliktberatung finden sich abgedruckt in Beckmann, Beratungsschein, 199–201 (Schreiben 1995), 202–206 (Schreiben 1998), 224–226 (Schreiben 1999); s. dazu auch Spieker, Kirche und Abtreibung2, 138 f. (zum Brief aus dem Jahre 1995), 143–145 (Jahr 1998) u. 158–160 (Jahr 1999). 282  Siehe dazu Spieker, Kirche und Abtreibung2, 166 f.; zur Forderung dieses Zusatzes durch Johannes Paul  II. s.  Spieker, a. a. O., 160, u. den dritten Papstbrief vom 03.06.1999, Ziff. 3, abgedr. bei Beckmann, Beratungsschein, 224 (225). 283  Brief des Kardinals Sodano vom 20.10.1999; abgedr. bei Spieker, Kirche und Abtreibung2, 176–180 m.  vorstehendem Zitat a. a. O., 176. 284  Vgl. etwa v. Wensierski / Dierry / Schwarz, Gespräch mit Karl Lehmann, Der Spiegel 26 / 1999, 58 (59); weiterführend Spieker, Kirche und Abtreibung2, 167. 285  Diese „Hoffnung“ oder „Befürchtung“ aus juristischer Sicht bestätigend: Dederer, in: Menzel / Müller-Terpitz, Verfassungsrechtsprechung2, 262 (272 m. Fn. 61); Kluth, NJW 1999, 2720 (2721 f.).

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

abbruch zwar rechtswidrig genannt, aber nahezu durchgängig als rechtmäßig behandelt wird, hätte es der angeführte Zusatz verbal zwar ausgeschlossen, in der Sache aber zugelassen, dass Beratungsbescheinigungen katholischer Beratungsstellen zur Durchführung eines straffreien Abbruchs Verwendung finden. Ein im Auftrag des Papstes verfasster, auf den 20.10.1999 datierter Brief von Angelo Kardinal Sodano286 stellte diesbezüglich klar, dass damit „die Kirche selbst ihr internes Nein nach außen, das heißt in der praktisch gelebten Wirklichkeit, als Ja interpretiert sehen wollte, daß sie Nein und Ja zugleich sagte“287, und konstatierte zu Recht, dass in diesem Widerspruch „die innere Widersprüchlichkeit des Gesetzes selbst zum Vorschein“288 komme. Anders als der Gesetzgeber des StGB konstatierte er jedoch eine „Glaubwürdigkeitskrise“289 und im Anschluss hieran die Notwendigkeit, das Bekenntnis gegen den Schwangerschaftsabbruch (das interne Nein) auch „in der praktisch gelebten Wirklichkeit“ (als Nein) fortzusetzen: Auf Weisung des Papstes beschlossen die katholischen Bischöfe am 23.11.1999, die bisherige Beteiligung am staatlichen System der Schwangerschaftskonflikt­ beratung insofern zu beenden, als katholische Beratungsstellen die einen straffreien Abbruch ermöglichenden Bescheinigungen nicht mehr ausstellen dürfen290. Ungeachtet dessen, wie man diese Entscheidung bewertet, hat die katholische Kirche so immerhin den Widerspruch zwischen ihrer verlautbarten Haltung zum Schwangerschaftsabbruch291 und ihrer gegenläufigen Beteiligung an der Ausstellung von Beratungsbescheinigungen aufgelöst, während in der Rechtsordnung ein Widerspruch zwischen der verlautbarten Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs und seiner gegenläufigen Behandlung als rechtmäßig fortlebt292. Die erste der durch das BVerfG benannten Voraussetzungen für die Geeignetheit des Beratungskonzeptes zum (quantitativen) Ungeborenenschutz stellt sich nach Ansicht vorliegender Untersuchung damit fortwährend als nicht verwirklicht dar. Inwiefern dies auch für die zweite der verfassungsbei Spieker, Kirche und Abtreibung2, 176–180. bei Spieker, Kirche und Abtreibung2, 176. 288  Nachzulesen bei Spieker, Kirche und Abtreibung2, 177. 289  Nachzulesen bei Spieker, Kirche und Abtreibung2, 176. 290  Beschluss des Ständigen Rates der Dt. Bischofskonferenz v. 23.11.1999; abgedr. bei Beckmann, Beratungsschein, 255; s. dazu auch Spieker, Kirche und Abtreibung2, 181. 291  Zur aktuellen Haltung der römisch-katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch s. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 72 f.; zsfd. zur – seit ihren frühesten Anfängen – wechselhaften Behandlung der Abtreibung innerhalb der kirchlichen Lehre: ders., a. a. O., 69 ff. 292  Diese Einschätzung teilend: Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, § 218a Rn. 23. 286  Abgedr.

287  Nachzulesen



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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gerichtlich benannten Voraussetzungen – die Formulierung einer Beratungspflicht und Ausrichtung der verpflichtenden Beratung am Lebensschutz des Ungeborenen – gilt, soll nun im Folgenden einer Betrachtung unterzogen werden. II. Die Pflichtberatung mit Ausrichtung am Schutz des ungeborenen Lebens Dieses Beratungsangebot, zu dessen Wahrnehmung jede Frau verpflichtet ist, will sie einen nicht indizierten Abbruch straflos vornehmen lassen, stellt – neben der grundsätzlich ausbleibenden Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen – die einzige für die Frau spürbare rechtliche Reaktion dar. Ausgehend von der Prämisse, dass ein Schutz des ungeborenen Lebens aufgrund seiner symbiotischen Verbindung nur in Übereinstimmung mit der Mutter, nicht aber gegen ihren Willen erreicht werden kann293, kommt der Konfliktberatung die Funktion zu, im Vorfeld der potenziellen Tatbegehung die Kommunikation mit der ungewollt schwangeren Frau zu suchen, um deren Tatpläne und etwaige Handlungsalternativen zu erörtern und mithin Wege aus der Konfliktlage zu weisen, die jenseits einer Tötung des Ungeborenen angesiedelt sind294. Damit bildet die in den §§ 219 StGB und 5 SchKG geregelte Konfliktberatung das Herz- und Kernstück des für verfassungsgemäß befundenen einfachgesetzlichen Beratungskonzeptes zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch295. Ein Beratungskonzept, das die postulierte Schutzwirkung für das ungeborene Leben entfalten und den Verzicht auf einen Strafvorwurf kompensieren können soll, erforderte nun „Rahmenbedingungen, die positive Voraussetzungen für ein Handeln der Frau zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen“296. So ist der Gesetzgeber – dem die „volle Verantwortung“297 für die Durchführung des Beratungskonzeptes zukommt – gebunden, was 293  BVerfGE 88, 203 (266); Dreier, ZRP 2002, 377 (380); s. auch oben Seite  566–570 [A. I.]. 294  Zur Konfliktberatung als an den potenziellen Täter gerichtetes Kommunikationsangebot s. oben Seite  567 f. [A. I. 2.]. 295  BVerfGE 88, 203 (281 u. 301): „zentrale Bedeutung“. Diese herausragende – das Rechtswidrigkeitsverdikt überstrahlende – Bedeutung der Konfliktberatung spiegelt sich auch in den Interviews Heitzmanns wider, in denen die befragten Frauen die gesetzlich normierte Beratungspflicht spontan referierten, das Rechtswidrigkeitsverdikt jedoch selbst im Anschluss an die Gesetzeslektüre nicht wiederzugeben vermochten; s.  dazu Heitzmann, Rechtsbewusstsein, 161 f. u. 170. 296  BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 12 u. 270). 297  BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 12 u. 286); so auch a. a. O., 301: „Beratung als staatliche Aufgabe“.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

den Inhalt, die Durchführung und die Organisation der Beratung einschließlich der Auswahl an ihr mitwirkender Personen betrifft. Regelungen zu Inhalt, Durchführung und Organisation müssten in Erfüllung seiner Schutzpflicht für das ungeborene menschliche Leben „wirksam und ausreichend“298 darauf abzielen, die einen Abbruch erwägende Frau für das Austragen der Schwangerschaft zu gewinnen. Nur dann könne die gesetzgeberische Einschätzung, dass ein Beratungskonzept wirksamen Lebensschutz zu leisten wisse, nachvollzogen werden299. In Überprüfung dieser Erwartung sollen im Folgenden nun zunächst die sich zwischen „Zielorientierung“ einerseits, „Ergebnisoffenheit“ andererseits bewegenden gesetzlichen Vorgaben dargestellt werden, um im Anschluss die durch den Gesetzgeber tolerierte Positionierung der gesetzlich anerkannten Beratungsstellen in diesem Spannungsfeld nachzuvollziehen. Nur eine solche Beratung, die sich durch Gesetz dem Ungeborenenschutz verpflichtet sieht und jener Verpflichtung in der Praxis auch gerecht zu werden versucht, wird den Verzicht auf einen seinerseits das ungeborene Leben schützenden Strafvorwurf kompensieren und die Ungleichbehandlung, die das ungeborene Leben durch § 218a Abs. 1 StGB erfährt, sachlich begründen können. 1. Die gesetzlichen Vorgaben

Eingedenk dessen erwartete man in der gesetzlichen Regelung der Konfliktberatung eine Stellungnahme formuliert zu finden, von welchen Beratungsinhalten sich der Gesetzgeber einen wirksamen Ungeborenenschutz in der Frühphase der Schwangerschaft verspricht und welche Inhalte die in sein Schutzkonzept eingebundenen Beratungsstellen mithin in ihre Beratungsgespräche zu integrieren haben, um ihrer zentralen Bedeutung für die zum nicht indizierten Abbruch entwickelte Tatbestandslösung gerecht zu werden. In abstrakt-genereller Weise wären hier die Konturen eines Beratungskonzeptes zu zeichnen, dessen Erfolg befördert werden muss, damit der Verzicht auf einen Strafvorwurf sachlich begründet werden kann. a) Die Zielorientierung nach § 219 Abs. 1 StGB Beginnend mit dem Strafgesetzbuch, normiert § 219 Abs. 1 S. 1 StGB an erster Stelle, dass die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens zu dienen habe. Bereits nach der Ratio des gesetzlichen Beratungskonzeptes, vorgeburtlichen Lebensschutz durch Beratung statt Strafandrohung zu ver298  BVerfGE 299  Siehe

88, 203 (281). dazu BVerfGE 88, 203 (281 u. 301 f.).



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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wirklichen, ist diese Zielorientierung immanenter Bestandteil des gesetz­ lichen Systems300; der Gesetzgeber hebt sie hier – nicht zuletzt auch durch die Platzierung zu Beginn des Paragraphen – in ihrer Bedeutung nur nochmals hervor. Diese Zielorientierung weiter konkretisierend, fügt er in Satz 2 des § 219 Abs. 1 an: „Sie [die Beratung] hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen“301. „Verantwortlich“ und „gewissenhaft“ soll diese Entscheidung sein, weil der Frau zuerkannt, aber auch zugemutet wird, selbst Verantwortung zu übernehmen, indem sie eine selbstbestimmte Entscheidung trifft. Die Beratung erkennt mithin die Freiheit der Ratsuchenden an, eine eigene Entscheidung fällen zu können, erlegt ihr zugleich jedoch auch die Bürde auf, eine eigene Entscheidung fällen zu müssen, die ihr nicht durch ein Rechtmäßigkeitsurteil der Rechtsordnung abgenommen wird302. Sehr deutlich richtet der Gesetzgeber auch im dritten Satz des § 219 Abs. 1 den Fokus auf das Ungeborene, wenn er ein Bewusstsein der beratenen Frau darüber verlangt, dass das ungeborene Leben bereits ein eigenes Lebensrecht genieße und dass der beratene Schwangerschaftsabbruch – gleichwohl er nicht indiziert ist – nach der Rechtsordnung nur für Sachverhalte mit „Indikationennähe“ vorgesehen ist: „Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt“303. Damit folgt das Gesetz den Ausführungen des BVerfG, das in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung auf die Notwendigkeit einer Aufnahme jener Inhalte in die Konfliktberatung hingewiesen hatte. Ein Beratungskonzept, das die „gewissenhaft[e] Entscheidung“ der schwangeren Frau über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft achtet, muss demnach gewährleisten können, dass die Frau jene Entscheidung im Bewusstsein ihrer Verantwortung trifft, „die sie nach dem Beratungskonzept 300  Vgl. BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. Abs. 1 S. 1 d. Entscheidungsformel, 282 u. 306). 301  So auch BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. Abs. 1 S. 2 d. Entscheidungsformel); ähnl. a. a. O., 282. 302  Mackscheidt, in: Reiter / Keller, Paragraph 218, 452 (452); vgl. Petersen, MedR 1990, 1 (7), nach dem die Feststellung einer Indikation durch einen Dritten die Schwangere von ihrer „Schuld“ zu entlasten weiß. 303  Nahezu wortgleich BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. Abs. 1 S. 3 d. Entscheidungsformel); in diesem Sinne auch a. a. O., 272.

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in spezifischer Weise trägt“304. Hierzu muss ihr der verfassungsrechtliche Rang und grundsätzliche Vorrang des von ihrer Entscheidung betroffenen Rechtsguts des ungeborenen Lebens ebenso vergegenwärtigt werden wie das fortbestehende Unrechtsurteil, das die Rechtsordnung über eine Tötung des Ungeborenen fällt305. „Dessen muß sich die beratende Person vergewissern und etwa vorhandene Fehlvorstellungen in für die Ratsuchende verständlicher Weise korrigieren“306. In Satz 4 des § 219 Abs. 1 erst richtet der Gesetzgeber den Fokus auf die Schwangere und spezifiziert diejenigen Mittel, durch die die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigt werden soll: Durch „Rat und Hilfe“ soll dazu beigetragen werden, „die im Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen“307. Insoweit präsentiert sich in § 219 Abs. 1 StGB eine sehr deutlich am Schutz des ungeborenen Lebens ausgerichtete Konfliktberatung, die eindeutig für das ungeborene Leben Partei nimmt: Die Zielorientierung wird klar mit dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Fortsetzung der Schwangerschaft benannt. Zu diesem Zweck fordert der Gesetzgeber eine Vergegenwärtigung des eigenen Lebensrechts des Ungeborenen wie auch der Beschränkung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs auf indika­ tionennahe Ausnahmesituationen und sieht die Bewältigung der der Ab­ bruchs­erwägung zugrunde liegenden Konfliktlage als Mittel auf dem Weg zum Schutz des ungeborenen Lebens an. b) Die Ergebnisoffenheit nach § 5 SchKG Mit dem weiterführenden Verweis in § 219 Abs. 1 S. 5 StGB auf das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) scheint sich die Richtung der gesetzlichen Vorschriften jedoch zu verschieben308. Ebenda begegnet dem Leser in § 5 SchKG nämlich eine Skizze von Zielorientierung und Inhalten der Konfliktberatung, deren Akzente sich im Vergleich zu § 219 StGB verschoben haben: Im Gegensatz zu § 219 Abs. 1 StGB platziert § 5 Abs. 1 SchKG die Zielorientierung des Schutzes ungeborenen Lebens nicht an erster Stelle, sondern erst in seinem letzten Satz309. In seinem ersten Satz formuliert er stattdessen das Gebot der Ergebnisoffenheit der Beratung: „Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisof304  Vorstehende

Zitate aus BVerfGE 88, 203 (283). 88, 203 (283 f.). 306  BVerfGE 88, 203 (284); in diesem Sinne auch a. a. O., 306. 307  So auch BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. Abs. 2 d. Entscheidungsformel). 308  Darauf ebenfalls hinweisend Beckmann, Abtreibung3, 83. 309  Darauf ebenfalls hinweisend Koch, Bay. Sonderweg, 87. 305  BVerfGE



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fen zu führen“. Systematisch ausgelegt, verlagert der Gesetzgeber hier den zentralen und primären Stellenwert, den er in § 219 Abs. 1 S. 1 StGB dem Schutz des ungeborenen Lebens beimisst, auf die Ergebnisoffenheit der Beratung. Nur eine solche ergebnisoffen gestaltete Beratung habe die „Chance […], das ungeborene menschliche Leben wirklich zu schützen“, indem sie Zugang zu der beratenen Frau finde, die sich an der Lösung des Schwangerschaftskonflikts beteiligen soll, und verhindere, dass sich die beratene Frau der Handlungsalternative einer Fortsetzung der Schwangerschaft voreilig verschließt310. Mehr aber noch schafft der Gesetzgeber mit seiner Forderung nach einer „ergebnisoffenen“ Beratung in § 5 Abs. 1 S. 1 SchKG bei gleichzeitiger Formulierung eines übergeordneten Ziels des vorgeburtlichen Lebensschutzes in S. 4 (sowie § 219 Abs. 1 S. 1 StGB) einen systemimmanenten Widerspruch von Ergebnisoffenheit und Zielorientierung der Beratung. Diesen Widerspruch hat das BVerfG nur sehr unbefriedigend aufzulösen versucht, indem es für eine Beratung eintritt, die zwar ergebnisoffen sein soll, zugleich aber „nicht zieloffen“ sein darf311. In der Konfliktberatung verwirkliche sich ein „Vorgang personaler Kommunikation“, in den auch „vom Berater vermittelte normative Vorstellungen und Werthaltungen“ sollen einfließen können312, ohne dass dadurch der Grund für eine „Fremdbestimmung“313 gelegt sein soll. Jene Verlagerung des Fokus von dem Ungeborenen auf die beratene Frau setzt sich in den Sätzen 2 und 3 des § 5 Abs. 1 SchKG fort, die – im Anschluss an eine Formulierung des BVerfG – in der Art eines Sinnspruchs formulieren: Die Beratung „geht von der Verantwortung der Frau aus“ (§ 5 Abs. 1 S. 2 SchKG), „soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden“ (S. 3)314. Während § 219 Abs. 1 S. 3 StGB ein Bewusstsein der Frau vom Lebensrecht des Ungeborenen und vom Ausnahmecharakter des nicht indizierten Abbruchs verlangt, formuliert § 5 Abs. 1 S. 3 SchKG also das „Soll“, selbige nicht zu „belehren“ oder zu „bevormunden“, und begründet mithin einen weiteren Widerspruch, dass sich eine Bewusstseinsprägung ohne Belehrung vollziehen soll. Schließlich formuliert § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG zunächst noch die Erwartung, „dass die schwangere Frau der sie beratenden Person die Gründe mit310  Zu den Vorteilen der Ergebnisoffenheit siehe u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (282). 311  BVerfGE 88, 203 (306). 312  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (282). 313  BVerfGE 88, 203 (283). 314  Vgl. BVerfGE 88, 203 (283): „Die Beratung soll ermutigen, nicht einschüchtern; Verständnis wecken, nicht belehren; die Verantwortung der Frau stärken, nicht sie bevormunden“.

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teilt, derentwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt“315, relativiert oder besser negiert diese Erwartung in seinem zweiten Halbsatz jedoch sogleich wieder, wenn ebenda geschrieben steht, „der Beratungscharakter schließt aus, dass die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau erzwungen wird“. Dabei folgt die im ersten Halbsatz formulierte Erwartung an eine Mitteilung der Abbruchsgründe der Zielorientierung der Beratung, die als Herz- und Kernstück des Tatbestandsmodells die beratene Frau zu einer Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen hat. Um dieser Zielorientierung zu genügen, sollen wissenschaftlich anerkannte Methoden der Konfliktberatung zur Anwendung kommen, die maßgeblich voraussetzen, dass jene Beratung dialogisch, nämlich in Form eines Gesprächs, durchgeführt wird. Dies schließe es auch ein, dass die Schwangere der beratenen Person die Gründe mitteilt, die sie ihrer – wie das Gesetz in § 219 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StGB unterstellt – „verantwortliche[n] und gewissenhafte[n]“ Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft zugrunde legt316. Denn nur unter der Voraussetzung, dass die im konkreten Einzelfall in Frage stehenden Abbruchsgründe auch zur Kenntnis der beratenden Person gelangen, wird sie im Rahmen der Konfliktberatung Hilfen offerieren können, die einen Weg aus der individuellen Konfliktlage aufzuzeigen vermögen. Ebenso bereitet es eine „verantwortliche“ und „gewissenhafte“ Entscheidung vor, dass die betroffene Frau ihre Konfliktlage umfassend reflektiert und somit einen Prozess der Bewusstwerdung durchläuft317. In eben diesem Sinne hat das BVerfG die Gesprächsbereitschaft der Frau in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch als „unerläßlich“ für eine dem Lebensschutz verpflichtete Beratung bezeichnet318. Dass das Gesetz die entsprechende Erwartung im zweiten Halbsatz des § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG gleichwohl relativierend zurücknimmt, ist seinem Verzicht auf ein Indikationenmodell in der Frühphase der Schwangerschaft geschuldet: Jenem Verzicht liegt die gemeinsame Überzeugung von Gesetzgeber und Verfassungsrechtsprechung zugrunde, dass die notwendige Indikationenfeststellung durch einen Dritten die Gefahr begründe, dass sich eine abbruchswillige Frau ihr „durch Vorschieben von anderen Gründen oder Ausweichen in die Illegalität entzieht“319. Um in 315  So auch BVerfGE 88, 203 (210 m. II.3. Abs. 2 S. 3 lit. a Hs.  2 d. Entscheidungsformel). 316  BVerfGE 88, 203 (284 f.). 317  Vgl. Mackscheidt, in: Reiter / Keller, Paragraph 218, 452 (465): „Will Beratung nicht immer zum Verstehen einer Not- und Konfliktlage beitragen und die Kräfte des anderen wecken und unterstützen, die diesem eine Bewältigung seiner Realität ermöglichen?“. 318  BVerfGE 88, 203 (284 f.); vorstehendes Zitat entnommen a. a. O., 203 (285). 319  BVerfGE 88, 203 (266); in diesem Sinne auch a. a. O., 271; vgl. dazu auch Wirth, Spätabtreibung, 11.



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diesem Sinne nicht der Möglichkeit zur Einflussnahme auf die betroffene Frau verlustig zu gehen, hat sich der Gesetzgeber entschlossen, in der Frühphase der Schwangerschaft auf die Außenkontrolle durch einen Dritten zu verzichten. Weil die betroffene Frau aber auch in der Konfliktberatung einem Dritten gegenübertritt, muss sich ein solcher Verzicht auf Außenkontrolle ebenda folgerichtig fortsetzen: Auch dort muss ihr die Sorge genommen werden, dass man sie zur Darlegung ihrer Abbruchsgründe zwingen und auf der Grundlage einer dergestalt erzwungenen Offenbarung zum Gegenstand der Bewertung der beratenden Person machen würde. c) Erwartete, aber nicht zu erzwingende Offenbarung in der Konfliktberatung nach den §§ 5 Abs. 2 Nr. 1, 7 SchKG In der Praxis der Konfliktberatung wird dies dazu führen, dass auch derjenigen Frau eine Beratungsbescheinigung ausgestellt werden wird, die zu den Abbruchsgründen schweigen möchte oder muss. So hat etwa das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)320 ausdrücklich ausgeführt, dass das Schweigen einer Frau in der Beratung – wenn auch nur im Extremfall – respektiert werden müsse321, und skizziert pro  familia für den Fall, dass die beratene Frau bereits zum Abbruch entschlossen ist und nur noch Informationen zum Abbruchgeschehen begehrt, ein auf diesen Wunsch reduziertes Abbruchgespräch: „Frauen haben oft bereits vor dem Aufsuchen der Beratungsstelle ihre Entscheidung getroffen und können diese Entscheidung für sich annehmen. Sie haben häufig auch in ihrem sozialen Umfeld genügend Personen, mit denen sie sprechen können und von denen sie unterstützt werden“322. Die Aufforderung zu einer Darlegung der die jeweilige Frau bewegenden Abbruchsgründe wird mithin nur von „Appellcharakter“ sein: In den Worten des § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG wird eine Mitwirkung der beratenen Frau eben nur „erwartet“, nicht aber „erzwungen“323. 320  Zwischenzeitlich (seit Oktober 2012) aufgegangen im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung u. ebda. unter dem Namen „Diakonie Deutschland“ als Teilwerk fortbestehend; Diakonie Deutschland, Fusion, Diakonie.de v. 14.06.2012. 321  Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 16. 322  pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 18 f.; in diesem Sinne auch Mackscheidt, in: Reiter / Keller, Paragraph 218, 452 (457 f.). Demgegenüber erachtet Ellwanger, SchKG, § 5 Rn. 2, ein dergestalt reduziertes Beratungsgespräch noch ausdrücklich für unzulässig. 323  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Mackscheidt, in: Reiter / Keller, Paragraph 218, 452 (453); hieran anschließend dies., a. a. O., 454 f.; zust. nach ausführl. grammatikalischer, systematischer und historischer Auslegung: Koch, Bay. Sonderweg, 41, 92 u. 93 m. w. N. Anders aber die Auslegung durch den Freistaat Bayern; s. dazu BayLT-Drs. 13 / 4961, 15; Koch, Bay. Sonderweg, 36.

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Jenes Minus der Erwartung statt Erzwingung findet anlässlich der das Beratungsverfahren abschließenden Erteilung der Beratungsbescheinigung seine Fortsetzung: Insofern stellt § 7 Abs. 2 SchKG der beratenden Person zwar die Anberaumung eines weiteren Gesprächstermins anheim, soweit sie die Fortsetzung des Gesprächs für notwendig erachtet. Würde ob der fraglichen Gesprächsfortsetzung aber die Wahrung der in § 218a Abs. 1 StGB vorgesehenen Zwölfwochenfrist unmöglich werden, darf die Beratungsbescheinigung gemäß § 7 Abs. 3 SchKG nicht mehr verweigert werden324 – ein Eingeständnis, das bereits die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung trotz aller „Unerlässlichkeit“ eines dialogischen Austausches über die Abbruchsgründe der schwangeren Frau in Worte gefasst hat: Sofern das BVerfG ebenda ausführt, dass eine Bescheinigung solange nicht ausgestellt werden dürfe, wie „der Beraterin oder dem Berater die Möglichkeiten einer Konfliktlösung – gegebenenfalls unter Einbeziehung dritter Personen – nicht ausgeschöpft erscheinen“325, eröffnet es den mit der Konfliktberatung befassten Personen zunächst den notwendigen zeit­ lichen Spielraum, dessen es im Einzelfall gegebenenfalls bedarf, um überhaupt erst eine Gesprächsbereitschaft der jeweiligen Klientin zu wecken. Unter Hinweis darauf, dass das (vorläufige) Vorenthalten der Beratungsbescheinigung nicht dazu dienen dürfe, ein Überschreiten der dem nicht indizierten Abbruch in § 218a Abs. 1 Nr. 3 StGB gesetzten Frist zu forcieren, identifiziert es sogleich aber auch eine absolute (nicht nur zeitliche) Grenze jener Einwirkungsmöglichkeiten326. Letztendlich relativiert das Bundesgesetz die grundsätzliche Erwartung an eine Mitteilung der Abbruchsgründe so nicht nur im zweiten Halbsatz des § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG, sondern schließt es im Einklang mit dem BVerfG in § 7 SchKG auch aus, dass durch die drohende Verweigerung der Beratungsbescheinigung ein indirekter Zwang auf die Schwangere ausgeübt werden könnte, mag man die Mitteilung der Gründe an anderer Stelle auch für noch so „unerläßlich“ befunden haben. Der Aushändigung des Beratungsnachweises wird mithin weniger die Fragestellung vorausgesetzt sein, ob die Schwangere in der Beratungssituation „genug getan“ hat, sondern ob die Beraterin „in angemessener Weise versucht“ hat, der schwangeren Frau mit beraterischen Mitteln zu helfen327. Mit Blick darauf ist es gerechtfertigt, 324  Siehe dazu etwa BayLT-PlenProt 13 / 57, 4057 (Redebeitrag Münzel, Bündnis 90 / Die Grünen); anders aber Ellwanger, SchKG, Einf. Rn. 9 u. § 7 Rn. 5 a. E.; ebenfalls krit. Koch, Bay. Sonderweg, 37. 325  BVerfGE 88, 203 (307); in diesem Sinne auch a. a. O., 286; vgl. außerdem Ellwanger, SchKG, § 7 Rn. 4. 326  BVerfGE 88, 203 (286). 327  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Mackscheidt, in: Reiter / Keller, Paragraph 218, 452 (459).



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in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB weniger die Pflicht zur Beratung328, sondern die Pflicht zur Wahrnehmung eines Beratungsangebots329 normiert zu sehen. Einzig das Bayerische Schwangerenberatungsgesetz (BaySchwBerG) vom 09.08.1996330 hat in seinem Art. 10 Abs. 1 S. 1 eine Sonderposition eingenommen, in welchem es die Erteilung der Beratungsbescheinigung – unbeirrt durch die gegenläufigen verfassungsgerichtlichen und bundesgesetz­ lichen Vorgaben – davon abhängig macht, dass die Frau ihre Gründe für den Schwangerschaftsabbruch dargelegt hat331. d) Gelegenheit statt Pflicht zur Offenbarung gegenüber dem Arzt, § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB Dieser bundesgesetzliche Verzicht auf eine Offenbarungspflicht der Schwangeren in der Konfliktberatung findet schließlich in § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB sein Pendant, der (im Verhältnis zu § 218 StGB subsidiär) denjenigen Arzt mit Strafe bedroht, der eine Schwangerschaft abbricht, ohne der Frau Gelegenheit gegeben zu haben, ihm die Gründe für ihr Abbruchsverlangen darzulegen. Im Einklang mit dem Wortlaut des SchKG kann somit auch § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB keine Verpflichtung der Frau entnommen werden, mit dem Arzt über die Gründe für den Abbruch zu sprechen332. Im Gegensatz dazu hatte das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung für die ärztliche Beratung noch festgehalten, dass die Ermittlung des Schwangerschaftskonflikts Teil der ärztlichen Schutzaufgabe und einer ärztlich verantwortbaren Entscheidung über die 328  Vgl. BVerfGE 88, 203 (270): „Beratung für die Frau zur Pflicht gemacht“; Frommel, KritV 2009, 181 (187): „de facto-Fristenregelung mit Beratungspflicht“; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (309): „Fristenregelung mit Beratungspflicht“. 329  Vgl. Beckmann, Abtreibung3, 84: „Anwesenheitspflicht, aber keine echte Beratungspflicht“; Büchner, ZfL 2007, 72 (75): „Fristenregelung nicht mit Beratungspflicht, sondern mit Beratungsangebot“; Fischer, StGB60, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 10: „Fristenregelung mit Beratungsangebotspflicht“. 330  BayGVBl., Nr. 16 v. 16.08. 1996, 320 (322). 331  Siehe dazu Ellwanger, SchKG, Einf. Rn. 9; krit. BayLT-PlenProt 13 / 57, 3987 (Redebeitrag Haas, SPD). Eine u. a. hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde mangels eigener, gegenwärtiger und unmittelbarer Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen als unzulässig abgewiesen; s. den Nichtannahme­ beschluss des BVerfG v. 18.09.1997, 2 BvR 1595 / 97; ausführl. zur Diskussion der Verfassungsmäßigkeit des BaySchwBerG Koch, Bay. Sonderweg, 33–42, 128–131 u. 140–175. 332  So ausdrückl. BVerfGE 98, 265 (321 ff.) = BVerfG NJW 1999, 841 (848 f.); vgl. das Vorbringen der Fraktion der SPD in BT-Drs. 12 / 8609, 11; den Gesetzesentwurf der Fraktion der FDP in BT-Drs. 13 / 268, 22; krit. aber der Vertreter des Minderheitengesetzentwurfs der Abgeordneten der CDU / CSU in BT-Drs. 13 / 1850, 19.

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Mitwirkung am Schwangerschaftsabbruch vorausgesetzt sei333. Der schon durch Berufsethos und Berufsrecht auch dem Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtete Arzt müsse der Frau nicht nur Kenntnis davon verschaffen, dass „der Schwangerschaftsabbruch menschliches Leben zerstört“334, sondern sich auch selbst ein Bild davon machen, ob das Abbruchsverlangen „auf einem eigenen, verantwortlichen Entschluß und achtenswerten Gründen“335 beruhe. Insofern schien das BVerfG zwischen den Anforderungen an die Konfliktberatung und die nachfolgende ärztliche Beratung zunächst noch zu differenzieren: Für erstere nämlich legte es zwar die grundsätzliche Erwartung einer Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der Frau dar, sah ausdrücklich aber von deren Erzwingung ab, weil die Sorge um eine Überprüfung und Bewertung darzulegender Gründe auch jenseits der Indikationenprüfung eine Entscheidung für die Mutterschaft eher behindern als fördern könnte336. Im Zusammenhang mit der ärztlichen Beratung meinte sich das BVerfG gegen diese Bedenken bereits unter Hinweis darauf verwehren zu können, dass keine ärztliche Feststellung und Beurteilung einer Indikation zu besorgen ist, sondern nur die Grundlagen für eine verantwortbare Entscheidung des Arztes über seine Mitwirkung am Abbruch geschaffen werden sollen337. Weil die Frau von dem konsultierten Arzt aber die Durchführung des Abbruchs begehrt, muss sie gerade eine solche Gesprächsmotivation bedrängen und in Sorge darüber versetzen, dass der von ihr konsultierte Arzt seine Mitwirkung verweigern könnte. Anders als in der Konfliktberatung, in der objektiv nicht befürchtet werden muss, dass eine Beratungsbescheinigung in Ermangelung von „achtenswerten Gründen“338 versagt wird, ist eine solche Befürchtung in der ärztlichen Beratung tatsächlich nicht unbegründet: Den Abbruch verhindern wird eine Weigerung des konsultierten Arztes zwar nicht, wohl aber verzögern und den diesbezüglichen zeit­ lichen wie psychischen Aufwand der Frau erhöhen, wenn ersatzweise ein anderer Arzt konsultiert werden muss. Es machte mithin wenig Sinn, wenn man zwar anerkannte, dass der Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der Frau innerhalb der Konfliktberatung Grenzen gesetzt sein können, für die ärztliche Beratung aber verlangte, dass sie durch Nennung „achtenswerter 333  BVerfGE

88, 203 (289 f.). 88, 203 (290). 335  BVerfGE 88, 203 (292); unter Zugrundelegung der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung bemängeln Koch, Bay. Sonderweg, 107 f., und Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 272, die Unvereinbarkeit des § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB mit dem Grundgesetz. 336  BVerfGE 88, 203 (282). 337  BVerfGE 88, 203 (291 f.). 338  BVerfGE 88, 203 (292). 334  BVerfGE



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Gründe“ um die Mitwirkung des konsultierten Arztes regelrecht werben müsste. Jenen Widerspruch hat der Bundesgesetzgeber vermieden, indem er im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens339 von einem solchen Konzept divergierender Offenbarungspflichten der Frau in Konfliktberatung und ärztlicher Beratung abgewichen ist und für beide Beratungssituationen stattdessen gleichermaßen eine Verpflichtung der Frau verneint hat, ihre Abbruchsmotivation dazulegen. Die gesetzlichen Vorgaben an beide Beratungssituationen seien aufeinander abzustimmen, um eine wirkungsvolle und widerspruchsfreie Gesamtregelung zu erzielen340. Ungeachtet dieser bundesgesetzlichen Lösung unternahm das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz (BaySchwHEG) vom 09.08.1996 auf Landesebene auch diesbezüglich den Versuch eines landesgesetzlichen Sonderweges, indem es erneut eine Offenbarungspflicht der Frau normierte, nunmehr also innerhalb der ärztlichen Beratung. In Art. 11 Nr. 1 lit. a sah es eine Änderung des Art. 18 des Heilberufe-Kammergesetzes (HKaG) vor, nach dem Ärzte den Abbruch einer Schwangerschaft im Einzelfall dann nicht für verantwortbar halten dürfen und ihre Mitwirkung hieran ablehnen müssen, wenn die Frau nicht die Beweggründe für ihr Abbruchsverlangen dargelegt hat341. Mit Urteil vom 27.10.1998 fand dieser Sonderweg aber sein Ende, als das BVerfG die vom Bundesgesetz abweichende Regelung des Art. 11 Nr. 1 lit. a BaySchwHEG mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes Bayern für formell verfassungswidrig und nichtig erklärte342. Zwar unterliege das ärztliche Berufsrecht grundsätzlich der Gesetzgebungskompetenz der Länder; im Sonderfall des Schwangerschaftsabbruchs könne der Bundesgesetzgeber aber für alle unmittelbar im Schutzkonzept wurzelnden und für seine Wirksamkeit erforderlichen Regelungen die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für sich beanspruchen, welche zwecks stringenter Verwirklichung des Beratungskonzeptes um eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs ergänzt werde343. Von dieser habe der Bundesgesetzgeber in § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB abschließend Gebrauch gemacht, indem er es für die ärztliche Beratung der Schwangeren als hinreichend angesehen habe, dass der Arzt ihr die Gelegenheit eröffne, die Gründe für das Abbruchsverlangen darzulegen. Für eine hiervon abweichen339  Zur Entwicklung des Gesetzgebungsverfahrens in dieser Frage s. BVerfGE 98, 265 (322) = BVerfG NJW 1999, 841 (848). 340  Vgl. BVerfGE 98, 265 (321, 324 f. u. 326) = BVerfG NJW 1999, 841 (848 f.). 341  BayGVBl., Nr. 16 v. 16.08. 1996, 328 (331). Zu Art. 18 HKaG i. d. F. der Bekanntmachung vom 20.07.1994 s. GVBI., Nr. 21 v. 31.08.1994, 853 (857); ber. am 20.06.1995: GVBl., Nr. 15 v. 29.06.1995, 325. 342  BVerfGE 98, 265 (321) = BVerfG NJW 1999, 841 (848). 343  Vgl. BVerfGE 98, 265 (313 f. u. 326) = BVerfG NJW 1999, 841 (846 u. 849).

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de Regelung des Inhalts der ärztlichen Beratung mangele es dem bayerischen Gesetzgeber bereits an der Gesetzgebungskompetenz344, sodass Frauen bundesweit in der ärztlichen Beratung zu den Gründen ihres Abbruchsverlangens schweigen können, ohne dass der Durchführung des Abbruchs damit ein Hindernis gesetzt wäre. Indem das BVerfG der bundesgesetzlichen Regelung mithin eine Sperrwirkung zuerkannt hat, hat es § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB mittelbar für verfassungsgemäß (nämlich für fähig, eine Sperrwirkung zu entfalten) anerkannt: Dass der Bundesgesetzgeber in Abweichung von der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung darauf verzichtet hat, eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Arzt zu normieren, hat so ausdrücklich den verfassungsgerichtlichen Segen erfahren. e) Conclusio Darauf, dass die gesetzliche Regelung des nicht indizierten Abbruchs mitunter als „umetikettierte Fristenregelung“345, „Fristenregelung mit Beratungspflicht“346 oder „Fristenregelung mit Beratungsangebotspflicht“347 bezeichnet wird, ja noch deutlicher ihr der Vorwurf gemacht wird, ein Beispiel unaufrichtiger Gesetzgebung zu sein, indem das Gesetz ein „markiges Verbot des Schwangerschaftsabbruches“ vortäusche, das in Wahrheit nicht existiere348, hat vorliegende Untersuchung eingangs bereits hingewiesen349. Soweit gegen den Gesetzgeber in diesem Sinne der Vorwurf erhoben wird, er betreibe mit dem Rechtswidrigkeitsverdikt einen „Etikettenschwindel“350, indem er den Abbruch im Strafgesetzbuch als rechtswidrig ausweise, sodann aber in der Durchführung als rechtmäßig behandle, könnte dieser „Etikettenschwindel“ in den §§ 219 StGB und 5 SchKG nun seine Fortsetzung gefunden haben: Das Hauptgesetz, das Strafgesetzbuch, enthält Vorschriften, die sich für das ungeborene Leben stark machen. Im Nebengesetz aber, dem Schwangerschaftskonfliktgesetz, hält der Gesetzgeber Vorschriften fest, die 344  Vgl.

BVerfGE 98, 265 (321 u. 325) = BVerfG NJW 1999, 841 (848 u. 849). NJW 1995, 3009 (3010); s. dazu auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (309 m. Fn. 16). 346  Dreier, ZRP 2002, 377 (379): Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (309); Otto, Jura 1996, 135 (138); Tröndle, NJW 1995, 3009 (3009 m. Einl.); in diesem Sinne auch Frommel, KritV 2009, 181 (187); Satzger, Jura 2008, 424 (426). 347  Fischer, StGB60, Vorbem. §§ 218–219b Rn. 10. 348  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Schroeder, ZRP 1992, 409 (410); darauf Bezug nehmend Otto, Jura 1996, 135 (138); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 1; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (309 m. Fn. 17 u. 18). 349  Siehe dazu oben Abschn.  1, Seite  562 [a. E. von C. III.]. 350  Dreier, ZRP 2002, 377 (380); Hoerster, Abtreibung2, 186. 345  Tröndle,



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ihr ungleich stärker am Lebensschutz des Ungeborenen ausgerichtetes Pendant sogleich wieder relativieren: Die Zielorientierung nach § 219 Abs. 1 S. 1 und S. 2 StGB trifft auf die Ergebnisoffenheit des § 5 Abs. 1 S. 1 SchKG, die gesetzgeberische Forderung nach einem bestimmten Rechtsbewusstsein der Frau in § 219 Abs. 1 S. 3 StGB auf die Soll-Vorschrift des § 5 Abs. 1 S. 3 SchKG, selbige nicht zu belehren oder zu bevormunden. § 5 Abs. 1 S. 4 SchKG relativiert die im eigenen Halbsatz 1 formulierte „Erwartung“ einer Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft in seinem Halbsatz 2 durch den Hinweis, diese Bereitschaft könne nicht erzwungen werden – eine Freiheit von Zwang, die auch § 7 Abs. 3 SchKG der betroffenen Frau garantiert, wenn er ihr Gewissheit darüber verschafft, dass die begehrte Beratungsbescheinigung letztlich nicht wird versagt werden dürfen. Damit legt das Gesetz die Grundlage dafür, § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB weniger eine Pflicht zur Beratung als eine Pflicht zur Wahrnehmung des Beratungsangebots zu entnehmen, der bereits dann Genüge getan ist, wenn die Frau eine gesetzlich anerkannte Beratungsstelle nur aufsucht, ohne dass sie in den lebensschützenden Dialog mit der beratenden Person treten muss. Bereits die abstrakt-generellen Vorgaben zum Inhalt der Pflichtberatung in den §§ 219 StGB, 5 SchKG lassen mithin die Konturen eines Beratungskonzeptes vermissen, das nach dem gesetzgeberischen Willen den Verzicht auf Strafandrohung eines an sich rechtswidrigen Verhaltens rechtfertigt. Der Gesetzgeber bezieht weniger Stellung dazu, von welchen Beratungsmechanismen welche Wirkungen auf die Einstellung der Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu erwarten sind, als dass er vielmehr einen – auslegungsbedürftigen wie auslegungsfähigen – Widerspruch zwischen den auf das ungeborene Leben fokussierten Vorgaben des § 219 StGB und den auf die beratene Frau fokussierten Vorgaben des § 5 SchKG formuliert. 2. Die Beratungsverständnisse der gesetzlich anerkannten Beratungsstellen

Wie die Beratungsstellen mit diesem abstrakt-generellen Widerspruch umgehen bzw. wo sie ihren Schwerpunkt – in Anlehnung an den auf das ungeborene Leben fokussierten § 219 StGB oder an den auf die Belange der zu beratenden Frau fokussierten § 5 SchKG – setzen, soll nun an den Beispielen folgender Beratungsstellen einer näheren Betrachtung unterzogen werden: den Beratungsstellen des Deutschen Caritasverbandes, den Beratungsstellen von pro familia und der Arbeiterwohlfahrt, schließlich den Beratungsstellen des Vereins donum vitae und des – heute unter dem Namen Diakonie Deutschland geführten – Diakonischen Werks351. 351  Für einen Überblick über die verschied. Beratungsstellen s. etwa Spieker, Kirche und Abtreibung2, 121.

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Diesbezüglich erwartete man sich eine solche Gestaltung des Beratungsgesprächs, die nicht dem individuellen Selbstverständnis der jeweiligen gesetzlich anerkannten Beratungsstelle, sondern einem durch die verfassungsrechtlichen wie gesetzlichen Vorgaben vorgezeichneten Beratungsverständnis folgt: Nach der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG nämlich darf der Staat nur solchen Einrichtungen die Beratung anvertrauen, die „nach ihrer Organisation, nach ihrer Grundeinstellung zum Schutz des ungeborenen Lebens und nach dem bei ihnen tätigen Personal die Gewähr dafür bieten, daß die Beratung im Sinne der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben erfolgt“352. a) Die Beratungsstellen des Deutschen Caritasverbandes Beginnend mit den Beratungsstellen der katholischen Kirche353, sollen zunächst diesbezügliche Materialien des Deutschen Caritasverbandes einer näheren Betrachtung unterzogen werden. aa) Einleitende Bemerkungen (1) Zur Eigenart katholischer Beratungsstellen Hierzu muss eingangs angemerkt werden, dass sich die Funktion der katholischen Beratungsstellen mit der den Papstbriefen folgenden Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.11.1999, keine Beratungsbescheinigung mehr auszustellen354, gewandelt hat. Im Hinblick darauf haben verschiedene Bundesländer deren gesetzliche Anerkennung als Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle widerrufen und deren Förderung durch öffentliche Mittel eingestellt oder betreiben diese Förderung nur noch eingeschränkt auf freiwilliger Grundlage355. 352  BVerfGE 88, 203 (302 u. ähnl. 287); s. in diesem Zusammenhang auch a. a. O., 212 m. II.4. Abs. 3 u. 210 m.  II.3. der Entscheidungsformel. 353  Zu den katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen zählen die des Deutschen Caritasverbandes sowie die des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), nicht aber die des eingetragenen Vereins donum vitae. Zu donum vitae s. die separate Erörterung auf den Seiten 650 f. [c) aa) (2)]. 354  Siehe dazu oben Seite  621 f. [I. 5.] u. Beckmann, Beratungsschein, 255; Spieker, Kirche und Abtreibung2, 181. 355  Verweigert wurde die Förderung durch die Länder Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland, während etwa Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen an ihr festhielten; Spieker, Kirche und Abtreibung2, 265.



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Daraufhin ergangene Gerichtsentscheidungen sind bis zum heutigen Tag höchst unterschiedlich ausgefallen. Mit Urteil vom 15.07.2004 hat das BVerwG etwa festgestellt, dass „[a]uch Beratungsstellen, die die allgemeine Beratung nach § 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) erbringen, ohne sich an der Schwangerschaftskonfliktberatung zu beteiligen und den Beratungsschein auszustellen, […] Anspruch auf öffentliche Förderung nach § 4 Abs. 2 SchKG [haben]“356. „Der Fördersatz beträgt wie bei Konfliktberatungsstellen 80 % der notwendigen Personal- und Sachkosten“357. In diesem Sinne hat am 16.  Januar  2009 auch das Verwaltungsgericht Cottbus das Land Brandenburg – beschränkt auf die Fördermittel für das Jahr 2001 – zur Nachzahlung an den Caritasverband der ­Diözese Görlitz für das Jahr 2001 verurteilt. Es gab damit den Anstoß für einen am 13.  Juli  2009 außergerichtlich geschlossenen Vergleich, der die Förderung des Caritasverbands für die Jahre 2001 bis 2006 beinhaltete und ob dessen weitere Klagen zurückgezogen wurden358. Demgegenüber erhalten Beratungsstellen nach Art. 16 Nr. 1 des Bayerischen Schwangerenberatungsgesetzes (BaySchwBerG) nur dann staatliche Förderung, wenn sie – neben anderen Voraussetzungen – anerkannt wurden, überwiegend im Bereich der Schwangeren- und der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig sind und zur Sicherstellung eines ausreichenden Beratungsangebots benötigt werden. Nachdem die Beratungsstellen der katholischen Kirche seit dem 01.01.2001 keine Beratungsbescheinigungen (§ 7 SchKG) mehr ausstellten, widerrief der Freistaat Bayern ihre Anerkennung und stellte ihre Förderung ein, weil sie mit Verzicht auf die Ausstellung von Beratungsbescheinigungen keine Schwangerschaftskonfliktberatung im Sinne der §§ 5, 6 SchKG durchführten. Die hiergegen gerichtete Popularklage eines Bürgers wies der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 25.01.2006 als unbegründet ab: In seiner Entscheidung bejahte er zwar einen Widerspruch des Landesrechts zu dem vom BVerwG in obiger Entscheidung ausgelegten Bundesrecht, erkannte diesen jedoch für nicht so schwerwiegend, dass er das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung verletzen würde. Der Anspruch der Beratungsstellen auf öffentliche Förderung sei in § 4 Abs. 2 SchKG nur dem Grunde nach geregelt, während § 4 Abs. 3 SchKG („Näheres regelt das Landesrecht“) den Landesgesetzgebern einen Ausgestaltungsvorbehalt 356  BVerwG NJW  2004, 3727 (3727 m. LS 1) = ZfL  2004, 110 (110 m. LS 1). Der zitierte § 4 Abs. 2 SchKG hat sich durch das Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG) v. 22.12.2011 in § 4 Abs. 3 SchKG verschoben (Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 lit. b BKiSchG; BGBl. I, Nr. 70, 2975 [2982]). 357  BVerwG NJW 2004, 3727 (3727 m. LS 2); s. dazu auch Spieker, Kirche und Abtreibung2, 267 f. 358  Nachzulesen im Pressearchiv des Bistums Görlitz, Mitteilung v. 06.08.2009.

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einräume359. Angesichts dieses Ausgestaltungsvorbehalts sei es „nicht unvertretbar, wenn der Landesgesetzgeber sich für berechtigt angesehen hat, eine Förderung nur solchen Beratungsstellen zu gewähren, die allgemeine Beratung und Schwangerschaftskonfliktberatung einschließlich der Ausstellung einer Beratungsbescheinigung im Verbund anbieten“360. Seit 2007 fördert das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen die allgemeinen Beratungsstellen der katholischen Kirche als freiwillige Leistung mit einer Pauschale von 27.000 Euro jährlich pro Beratungsstelle361. Ungeachtet eines solchen Widerrufs ihrer gesetzlichen Anerkennung soll stellvertretend für die katholischen Beratungsstellen im Folgenden das Beratungsverständnis des Deutschen Caritasverbandes mit dem anderer (gesetzlich anerkannter) Beratungsstellen verglichen werden. Dies liegt darin begründet, dass die katholische Kirche bis 2001 noch den für eine Schwangerschaftskonfliktberatung erforderlichen Schein ausgestellt hat und seither im Rahmen der allgemeinen Schwangerenberatung zwar keine Ausstellung eines Beratungsscheins, aber ihre beratende Unterstützung in Konfliktlagen offeriert. (2) Zum Deutschen Caritasverband Der Deutsche Caritasverband ist Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege und seit 1916 die von den deutschen Bischöfen anerkannte institu­ tionelle Zusammenfassung und Vertretung der katholischen Caritas in Deutschland362. In ihm sind die Diözesan-Caritasverbände, die anerkannten zentralen Fachverbände, die anerkannten katholischen caritativen Vereinigungen, jeweils einschließlich ihrer Gliederungen und Mitglieder, sowie die überdiözesan tätigen caritativen Orden zusammengeschlossen363. Als Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche versteht der Deutsche Caritasverband seinen Dienst als „Lebensvollzug der Kirche“364. Entsprechend leiten sich seine Ziele von der Lehre der römisch-katholischen 359  Seit Inkrafttreten des BKiSchG v. 22.12.2011 zum 01.01.2012 finden sich die zitierten Vorschriften in § 4 Abs. 3 und Abs. 4 SchKG (Art. 3 Abs. 2 Nr. 2 lit. b BKiSchG; BGBl. I, Nr. 70, 2975 [2982]). 360  BayVerfGH ZfL 2006, 18 (24). 361  Siehe dazu etwa SkF-Bayern, Pressemeldung v. 02.11.2006, u. Spieker, Kirche und Abtreibung2, 269. 362  Dt. Caritasverband, Satzung, 2 m. Präambel u. 4 m. § 2 Abs. 1; ders., Leitbild, 12 m. III.1., Rn. 6, u. III.2., Rn. 9. 363  Dt. Caritasverband, Satzung, 6 m. § 4 Abs. 1. 364  Dt. Caritasverband, Satzung, 2 m. Präambel; ders., Leitbild, 9 m. II.5., Rn. 27, u. ähnl. 5 m. Präambel, Rn. 9: „Durch sein Wirken trägt er zur öffentlichen Beglaubigung der kirchlichen Verkündigung bei“.



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Kirche ab und werden mit dem Schutz der Menschenwürde, der Solidarität in einer pluralen Welt und einer Verpflichtung über Grenzen hinweg benannt365. Seine Aufgaben benennt er mit der Hilfe für Menschen in Notlagen, einer Anwaltschaft für Benachteiligte, einer Mitgestaltung der Sozialund Gesellschaftspolitik sowie schließlich auch mit einem Beitrag zur Qualifizierung sozialer Arbeit366. In Erfüllung jener Aufgaben bestimmt der Deutsche Caritasverband „Weisung und Beispiel Jesu Christi“ zu seiner „Richtschnur“367 ebenso wie „[m]aßgebend für seine Tätigkeit […] der Anspruch des Evangeliums und der Glaube der Kirche“ sein sollen368. Speziell für die Frage des Schutzes ungeborenen Lebens bekennt sich der Deutsche Caritasverband in seinem Leitbild zu einer „Verpflichtung, menschliches Leben von Anfang bis Ende, von der Empfängnis bis zum Tod, zu achten, zu schützen und, wo Not ist, helfend zu begleiten“369. bb) Beratungsverständnis 1: „Zielorientierung“ – Die Konzentration auf den Schutz des ungeborenen Lebens In der Folge verwundert es nicht, wenn einschlägige Materialien des Deutschen Caritasverbandes ein Verständnis von seiner allgemeinen Schwangerenberatung wiedergeben, das sich auf den Schutz des ungeborenen Lebens fokussiert. Mit der am 12.10.2000 verabschiedeten Rahmenkonzeption für die Arbeit katholischer Schwangerschaftsberatungsstellen hat der Deutsche Caritasverband auf der Grundlage der „jeweils gültigen Bischöflichen Richtlinien“370 den verbindlichen Rahmen für die Arbeit katholischer Schwangerschaftsberatungsstellen vorgegeben. In Anlehnung an die am Schutz des vorgeburt­ 365  Dt. Caritasverband, Satzung, 8 m. § 6 Abs. 1; ders., Leitbild, 6 m. I.1., Rn. 2–13. 366  Dt. Caritasverband, Leitbild, 7 f. m. I.2., Rn. 14–34. Zu Zweck und Aufgaben s. auch ders., Satzung, 8 f. m. § 6 Abs. 2. 367  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Dt. Caritasverband, Leitbild, 5 m. Präambel, Rn. 2. 368  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Dt. Caritasverband, Leitbild, 5 m. Präambel, Rn. 8. 369  Dt. Caritasverband, Leitbild, 6 m. I.1., Rn. 5. 370  Dt. Caritasverband, Ja zum Leben, 3 m. Vorwort. Angesprochen sind die Bischöflichen Richtlinien für katholische Schwangerenberatungsstellen v. 26.09.2000, die – von den Diözesanbischöfen zum 01.01.2001 in Kraft gesetzt – an die Stelle der „Vorläufigen Bischöflichen Richtlinien für katholische Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen nach Paragraf 219 StGB in Verbindung mit den Paragrafen 5 bis 7 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG)“ vom 21.11.1995 getreten sind; nachzulesen etwa in der Sammlung von Verordnungen und Richtlinien für das Bistum Limburg, SVR IV.H.1, 1-02.

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lichen Lebens ausgerichteten gesetzlichen Vorgaben in § 219 Abs. 1 StGB heißt es ebenda: „Diese Konfliktberatung ist mit Ziel, Inhalt und Aufgabenstellung auf den Lebensschutz des ungeborenen Kindes gerichtet [vgl. § 219 Abs. 1 S. 1 StGB]. Die Beratung lässt sich von dem Bemühen leiten, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft und zur Annahme ihres Kindes zu ermutigen, ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen [vgl. § 219 Abs. 1 S. 2 StGB] durch Überwindung der Not- und Konfliktlage, in der sich die Schwangere befindet [vgl. § 219 Abs. 1 S. 4 StGB]. Die Beraterin stärkt das Bewusstsein der Frau, dass das ungeborene Kind in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat [vgl. § 219 Abs. 1 S. 3 StGB] und dass das menschliche Leben von Anfang an unverfügbar ist“. Mit Blick auf die kirchliche Posi­tion zum Schutz des Ungeborenen fügt die Rahmenkonzeption an: „Zugleich macht sie deutlich, dass aus der Sicht des christlichen Glaubens niemand über das Leben des ungeborenen Kindes verfügen darf“371. Den gesetz­lichen Widerspruch einer solchen Zielorientierung zur nach § 5 SchKG vorausgesetzten Ergebnisoffenheit der Beratung übernehmend, formuliert sie: „Die zielorientierte Beratung wird nach ihrem Wesen und Selbstverständnis als dialogisches Geschehen immer ergebnisoffen geführt“372. Eine Auflösung dieses Widerspruchs versucht das katholische Beratungsverständnis, indem es die Ergebnisoffenheit auf den dialogischen und daher in seinem Ergebnis unvorhersehbaren Prozess eines Beratungsgesprächs reduziert: „Nach kirchlichem und professionellem Selbstverständnis ist Schwangerschaftsberatung ein dialogischer Prozess, der zielorientiert auf das Leben des Kindes ausgerichtet ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Leitsätzen darauf hingewiesen, dass ein ungeborenes Kind gegenüber der Mutter ein eigenes Lebensrecht hat. In der Beratung im existentiellen Schwangerschaftskonflikt geht es darum, die Letztverantwortung der Frau / des Paares für das Kind zu stärken. Diese Zielorientierung ist und bleibt eine Vorgabe für jede einzelne Beratung, unabhängig davon, ob sie ihr Ziel erreicht oder nicht. Das bedeutet aber auch, dass am Beginn eines Beratungsprozesses das Ergebnis noch nicht feststehen kann und damit jede Beratung in ihrem Ergebnis offen ist“373. Damit erkennen die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen an, dass das Leben des ungeborenen Kindes nur mit der Mutter und durch sie geschützt werden kann, wollen diese „Letztverantwortung“ der Frau aber eindeutig zielorientiert „für das Kind 371  Vorangegangene Zitate entnommen aus Dt. Caritasverband, Ja zum Leben, 12; Zusätze in [Klammern] nicht im Original. Vgl. die entsprechenden Formulierungen in § 1 der Bischöflichen Richtlinien für katholische Schwangerenberatungsstellen v. 26.09.2000; Bistum Limburg, SVR IV.H.1, 1-02. 372  Dt. Caritasverband, Ja zum Leben, 12. 373  Dt. Caritasverband, Ja zum Leben, 8.



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stärken“. „Die Beratung soll der Frau helfen, ihrer Verpflichtung gegenüber dem ungeborenen Kind gerecht zu werden […] und will gemeinsam mit der Frau Wege aus der Konfliktlage suchen und das Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft mit dem Kind stärken“374. b) Die Beratungsstellen von pro familia und der Arbeiterwohlfahrt Den katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen, die den Schutz des ungeborenen Lebens zum Zentrum ihres Beratungsverständnisses machen, stehen diametral diejenigen Beratungsstellen gegenüber, die sich dazu bekennen, ihre Beratung zentral am Selbstbestimmungsrecht der Frau auszurichten. Beispielhaft sei hier auf das Beratungsverständnis von pro familia und der Arbeiterwohlfahrt eingegangen, wie es sich nach den Materialien dieser Organisationen darstellt. aa) Einleitende Bemerkungen (1) Zu pro familia Hinter der abkürzenden Bezeichnung pro familia steht der 1952 mit dem Ziel, das Menschenrecht auf Familienplanung durchzusetzen, gegründete Verein „pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpäda­ gogik und Sexualberatung e. V.“, der auch Gründungsmitglied der Internatio­ nalen Gesellschaft für Familienplanung – „International Planned Parenthood Federation“ (IPPF) – ist375. pro familia versteht sich als „Fach-, Dienstleistungs- und Interessenverband für alle Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte“376. In diesem Zusammenhang tritt pro familia ein für eine „sexuelle Kultur, […] in der sexuelle Selbstbestimmung und damit auch Bestimmung über die eigene Fruchtbarkeit als wesentliches Merkmal so­zialer Kompetenz gilt, statt diffamiert oder gar strafrechtlich geahndet zu werden“, sowie für das „Recht auf freie und eigenverantwortliche Entscheidung der Frau für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch und für die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch“377. 374  § 2 der Bischöflichen Richtlinien für katholische Schwangerenberatungsstellen v. 26.09.2000; Bistum Limburg, SVR IV.H.1, 1-02. 375  pro familia, Satzung, 1 m. § 1; dazu auch dies., Für selbstbestimmte Sexualität4, 4; dies., Verbandsprofil; International Planned Parenthood Federation (IPPF), Charta, 4. 376  pro familia, Satzung, 1 m. § 2 Nr. 1 Abs. 2. 377  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus pro familia, Für selbstbestimmte Sexualität4, 4.

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Als „Vorkämpferin für Sexualaufklärung und Empfängnisregelung und gegen illegale Abtreibung“ gründete pro familia bereits in den 1950er und 1960er Jahren die ersten Beratungsstellen und baute diese in den 1970er Jahren unter Beteiligung an der Beratung gemäß § 218 StGB a. F. weiter aus378. pro familia selbst unterhält auch eigene medizinische Einrichtungen zur Familienplanung, in denen ambulante Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Diesbezüglich hatte das BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung noch eingewandt, dass „eine wie immer geartete organisatorische, institutionelle oder wirtschaftliche Integration von Beratungsstellen in Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ die Zielorientierung des Ungeborenenschutzes unterlaufen könnte, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, „daß die Beratungseinrichtung materiell an der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen interessiert ist“379. Mit einer organisatorischen und wirtschaftlichen Trennung der medizinischen Einrichtung von der Beratungsstelle sieht pro familia diesbezügliche Bedenken sowie die ihnen folgende Vorschrift des § 9 Nr. 4 SchKG für berücksichtigt an380. (2) Zur Arbeiterwohlfahrt (AWO) Die 1919 von Marie Juchacz als „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD“ gegründete und viele Jahre von Frauen geführte Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist ein Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege, dessen Gründung auf die durch den Ersten Weltkrieg bedingte Not reagiert hatte und der in jener Not mithilfe von Nähstuben, Mittagstischen, Werkstätten und Beratungsstellen „Hilfe zur Selbsthilfe“ hatte leisten wollen381. Dabei hatte sich die AWO bereits zur Zeit der Weimarer Republik dem Kampf um die Streichung des § 218 StGB angeschlossen. Wie die AWO selbst betont, ist sie aufgrund ihrer Geschichte so ein der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit der Frauen besonders verpflichteter Verband. Nach 1945 und der Zerschlagung des Verbandes durch die nationalsozialistische Herrschaft setzte sie ihr Engagement fort382; heutzutage ist die AWO tra378  pro

familia, Verbandsprofil. dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (287); in diesem Sinne auch a. a. O., 302 f. 380  pro familia, Satzung, 1 m. § 2 Nr. 1 Abs. 1 S. 3; dies., Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 17; dies., Für selbstbestimmte Sexualität4, 14. 381  Siehe dazu Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO), Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 4 m.  Präambel; AWO-Unterfranken, Gründung der AWO, DrA-S. 1. 382  AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 4 m. Präambel u.  7. 379  Siehe



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ditioneller Träger von stationären Einrichtungen der Altenhilfe, außerdem betreibt sie Kindergärten, Einrichtungen für Ferienfreizeit und Beratungsstellen. bb) Beratungsverständnis 2: „Ergebnisoffenheit“ – Die Konzentration auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau Dem angedeuteten Selbstverständnis folgend, erklären pro familia wie AWO in ihren Materialien gleichermaßen das Selbstbestimmungsrecht der Frau zum Zentrum ihres Interesses und Engagements. So setzt pro familia die „Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Frau“ an die Spitze ihrer zentralen Forderungen383 und widmen sich auch die ersten beiden der „Zehn Standards für die AWO-Beratungsstellen“ dem Selbstbestimmungsrecht der Frau: „Wir fördern und unterstützen das Selbstbestimmungsrecht der Rat suchenden [sic] in Bezug auf Fortsetzung oder Abbruch einer Schwangerschaft […]“384. „Wir respektieren jede selbst- und eigenverantwortlich getroffene Entscheidung“385. Beide Organisationen bezeichnen sich selbst als „parteiliche Interessenvertretung für Frauen“386, wozu sich in den Materialien von pro familia etwa die folgende Formulierung findet: „pro familia fühlt sich beim Thema Schwangerschaftsabbruch vor allem den betroffenen Frauen verpflichtet. Ihre Haltung ist in dieser Hinsicht klar und parteilich“387 und bezieht „eindeutig Position zugunsten der betroffenen Frauen“388. In diesem Zusammenhang ist auch ihr – gleichfalls in den Materialien herausgestelltes – politisches Engagement zu sehen, auf die Abschaffung der Strafandrohung für Abtreibung einschließlich der in den §§ 218a Abs. 1, 219 StGB vorgesehenen und ihrem Selbstverständnis widersprechenden Pflichtberatung hinzuwirken: „Wir setzen uns weiterhin für eine Fristenlösung ohne Pflichtberatung und für die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen ein“389. Entsprechend messen die Materialien der AWO der Anordnung des 383  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 4. 384  AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 3 m. Standard 1; krit. Büchner, ZfL 2005, 70 (72). 385  AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 3 m. Standard 2. 386  So wenigstens bis 2009 noch das im Internetauftritt der AWO nachzuvollziehende Selbstverständnis: AWO, Selbstverständnis (2001), DrA-S. 1; krit. Büchner, ZfL 2005, 70 (72). 387  pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 20. 388  pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 4. 389  AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 3 m. Standard 5; dazu auch a. a. O., 7. Zur Forderung nach Abschaffung der §§ 218 u. 219 StGB s.

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BVerfG eine „frauenfeindliche Tendenz“ zu390 und sehen AWO wie pro familia in der geltenden Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch eine „Entmündigung von Frauen“, „Missachtung ihrer Entscheidungskompetenz“391 und mithin eine „massive Diskriminierung und Einschränkung des Persönlichkeitsrechts der Frau“392 verwirklicht. Eine „unwürdige Kriminalisierung von Frauen“ führe dazu, „die medizinische Dienstleistung Schwangerschaftsabbruch selbst zu denunzieren und zu tabuisieren“393, und erlege den bereits zu einem Abbruch entschlossenen Frauen eine zeitliche Verzögerung auf, die eine „unnötige Belastung und eine Gefährdung der psychischen und körperlichen Bewältigung des Schwangerschaftsabbruchs“ darstelle394. Noch weitergehend bezeichnet pro familia die Strafandrohung für Schwangerschaftsabbrüche als ein Mittel zur „Unterdrückung weiblicher Sexualität“: Angesichts der nicht hundertprozentigen Sicherheit auch moderner Verhütungsmittel und der Spontaneität und Emotionalität sexuellen Verhaltens bedeute Strafandrohung für Schwangerschaftsabbruch auch Strafandrohung für Sexualität bzw. – da ein Abbruch nur die Frau unmittelbar in ihrer ganzen Existenz betreffe – Strafandrohung und Unterdrückung spezifisch der weiblichen Sexualität395. Hand in Hand damit geht eine Betrachtung des Schwangerschaftsabbruchs unter dem „Aspekt von Familienplanung“: Zwar stellt pro familia in diesem Zusammenhang ausdrücklich klar, „dass Schwangerschaftsabbruch keine Methode der Empfängnisverhütung darstellt“. Angesichts dessen, dass keine Verhütungsmethode „zugleich absolut sicher, jederzeit verfügbar, gesundheitlich völlig unproblematisch und jeder individuellen ferner auch AWO, Grundsatzprogramm (2005), 21; pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 4; dies., Standpunkt Schwangerschaftsberatung, 7 m. Fn. 4. 390  AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 8. 391  Zitate entnommen aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 18; eine entsprechende Rezeption des § 218 StGB durch die von ihr interviewten Frauen berichtet auch Heitzmann, Rechtsbewusstsein, 249. 392  AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 7; ebenso noch AWO, Selbstverständnis (2001), DrA-S. 2. Vgl. die entsprechende Formulierung in pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 3: „In der Verankerung der bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch sieht pro familia eine Diskriminierung von Frauen in Form einer massiven Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung“; Hervorhebungen nicht im Original. 393  pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 15. 394  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 8. In diesem Kontext verweist pro familia auf eine nach der neunten Woche geringfügig steigende Komplikationsrate sowie auf die Möglichkeit eines medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs nur im frühen Schwangerschaftssta­ dium, ebda. 395  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 8.



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­ ebenssituation angemessen“ ist, sei aber der Schwangerschaftsabbruch als L „ultima ratio in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft […] insofern faktisch eine Variante reproduktiven Verhaltens und deshalb auch unter dem Aspekt von Familienplanung zu betrachten“396. Im Internetauftritt der AWO schien sich wenigstens bis zum Jahre 2009 eine Nähe zu diesem Verständnis zu offenbaren, sofern sich ebenda ein 1991 von Herrad Schenk gehaltener Vortrag findet, in welchem Schenk unter anderem das Verhältnis von Anti-Baby-Pille und Schwangerschaftsabbruch beleuchtet. Bei Einnahme der Pille entferne sich die Frau weit vom biologischen Rhythmus ihres Körpers und erlebe ihre potenzielle Gebärfähigkeit nur noch abstrakt. In Lebensphasen, in denen das Thema „Fruchtbarkeit“ aber von zentraler Bedeutung für die Identität der Frau sei, stelle die Abtreibung die einzige Form der „Fruchtbarkeitsregulierung“ dar, „bei der sich die Frau gleichzeitig ihrer Fruchtbarkeit bewusst“ werde397: „Der Kampf der Frauen gegen den § 218 ist deswegen vor allem ein Kampf um ein Selbstbestimmungsrecht, das eben nicht identisch mit dem grundsätzlichen Verzicht auf Fruchtbarkeit ist. Er ist auch der Kampf um bewußt erlebte Fruchtbarkeit und um bewußt verantwortete Mutterschaft“398. Indem pro familia und AWO den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch in diesem Sinne mit „Familienplanung“ und „Fruchtbarkeitsregulierung“ assoziieren bzw. assoziierten, fördern sie – den durch das BVerfG ausdrücklich abgelehnten – Eindruck, dass „es sich beim Schwangerschaftsabbruch um den gleichen sozialen Vorgang wie […] eine rechtlich irrelevante Alternative zur Empfängnisverhütung“399 handele. Jenseits dieser grundsätzlichen Ablehnung einer Strafandrohung für Schwangerschaftsabbrüche und einer dem Abbruch vorgelagerten Pflichtberatung sehen beide Organisationen schließlich die Effizienz der Beratung behindert, wenn die Klientin zur Wahrnehmung eines dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Beratungsangebotes verpflichtet wird: Hierdurch widerspreche die Pflichtberatung nach den §§ 219 StGB, 5 SchKG sogar „in zwei wesent­ lichen Punkten der allgemein gültigen Definition von Beratung und den ­‚Regeln fachlichen Könnens‘ “: „sie ist nicht freiwillig“ und „sie ist zielgerichtet“400. 396  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 3 m. Vorwort; weitere Stimmen, die den Schwangerschaftsabbruch unter das reproduktive Verhalten fassen, finden sich im Tagungsbericht v. Czygan /  Kruber, Sexuologie 2012, 179, zusammengefasst: a. a. O., 180 zu Christian Fiala, 182 zu Cornelia Helfferich u. 183 zu Monika Frommel. 397  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Schenk, Kleine Geschichte des § 218, DrA-S. 5; Vortrag auch zit. bei Gedak / Meurer, Hebamme, 97. 398  Schenk, Kleine Geschichte des § 218, DrA-S. 6. 399  So bereits BVerfGE 39, 1 (44). 400  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 7. In diesem Sinne auch pro familia, Standpunkt Schwanger-

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Trotz dieser bekennenden Ablehnung der geltenden Abtreibungsgesetzgebung haben sich pro familia wie AWO entschlossen, nach Maßgabe der geltenden Gesetze Beratung sowohl gemäß § 2 SchKG als auch gemäß den §§ 5, 6 SchKG i. V. m. 219 StGB durchzuführen. Beide geben dabei zu erkennen, wie sie auch im Gefüge jener rechtlichen Vorschriften ihr individuelles Beratungsverständnis zu realisieren suchen. Sehr deutlich war dazu wenigstens bis Februar 2009 im Internetauftritt der AWO nachzulesen: „Das geltende Recht erschwert eine parteiliche Interessenvertretung für Frauen. Dennoch versucht die AWO ihr Beratungsverständnis mit der geltenden Gesetzeslage zu verwirklichen, indem sie alle sich bietenden Handlungsspielräume nutzt“401. Erst nach zwischenzeitlicher Überarbeitung ihres Selbstverständnisses gibt sie aktuell nun eine versöhnlichere und zumindest verbal kooperative Haltung zur geltenden Rechtslage zu erkennen, wenn sie an ihre „scharfe Kritik“ einer „Zwangsberatung“ zwar erinnert, „[f]ür die letzten Jahre […] allerdings eine Befriedung der gesellschaftlichen Debatte und eine Akzeptanz für die getroffene Regelung“ feststellt, ob derer sie „derzeit keinen Anlass“ sehe, „eine Neuauflage der Diskussion zur Regelung des Schwangerschaftsabbruches zu fordern oder für gesellschaftlich geboten zu halten“402. pro familia wiederum wählt den Weg, die Klientin zu Beginn der Beratung auf die bestehenden gesetzlichen Vorgaben hinzuweisen, denen pro familia verpflichtet sei, aber kritisch gegenüberstehe. Beraterin und Klientin „können deshalb selbstbewusst mit diesen Beschränkungen umgehen“403. Den entscheidenden „Handlungsspielraum“ bzw. das erforderliche „Selbstbewusstsein“ verleiht ihnen insofern der Widerspruch, der sich zwischen der gesetzlichen Vorgabe einer Zielorientierung in § 219 StGB und einer Ergebnisoffenheit in § 5 SchKG auftut404. Hierzu führt die AWO etwa aus: „Den gesetzesimmanenten Widerspruch müssen sowohl die Träger der durch Länderrichtlinien anerkannten Beratungsstellen als auch die Beratenden in Einklang bringen“. Dabei widerspreche die Zielorientierung „der allgemein gültigen Definition von Beratung“. Weil das Gesetz schaftsabbruch4, 18; dies., Standpunkt Schwangerschaftsberatung, 7 m. Fn. 4 (jeweils unter Bezugnahme auf DAKJEF, Beratungsstandards v.  22.03.2001); ferner Jutta Franz, Leiterin der pro familia-Beratungstelle in Hettstedt, in Czygan / Kruber, ­Sexuologie 2012, 179 (182). 401  AWO, Selbstverständnis (2001), DrA-S. 1; Hervorhebungen nicht im Original. Krit. dazu auch Büchner, ZfL 2005, 70 (72). 402  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus AWO, Selbstverständnis (2013), DrAS. 1. 403  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 18; vgl. ferner auch einschlägige (aber deutlich zurückhaltender gefasste) Ausführungen v. Jutta Franz in Czygan / Kruber, Sexuologie 2012, 179 (182). 404  Zsfd. dazu oben Seite  634 f. [1. e)].



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aber auch die Ergebnisoffenheit der Beratung vorschreibe, könne sich die Frau doch – trotz Zielorientierung – „in eigener Verantwortung für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden“405. Ähnlich die folgenden Ausführungen von pro familia: „Eine mit Strafandrohung erzwungene Beratung steht zwar im Widerspruch zu den wissenschaftlich begründeten Regeln und den ethischen Grundsätzen der Konfliktberatung […]. Dennoch bleiben auch in einer Pflichtberatung Prinzipien wie die Ausrichtung der Beratung an wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Respekt vor der letztlich persönlichen Entscheidung und Verantwortung der Frau (‚Ergebnisoffenheit‘) anerkannt. Damit kann in einer Weise beraten werden, die fachlich und ethisch vertretbar und mit dem beschriebenen Selbstverständnis von pro familia vereinbar bleibt und zugleich der in Deutschland geltenden staatlichen Vorgabe entspricht, wonach die Beratung dem Schutz des vorgeburtlichen Lebens dienen soll“406. Im gesetzesimmanenten Widerspruch von Zielorientierung und Ergebnisoffenheit konzentrieren sich AWO und pro familia mithin auf den Aspekt der Ergebnisoffenheit. Nur eine ergebnisoffene Beratung entspreche ethischen und fachlichen Beratungsgrundsätzen und wahre das Selbstverständnis von pro familia wie AWO, für das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht der Frau über einen Schwangerschaftsabbruch einzutreten. Hier könnte das Mittel der Ergebnisoffenheit gar zur Zielorientierung geworden sein. Damit korrespondiert, dass die hier referierten Materialien beider Organisationen kaum merklich auf die in § 219 Abs. 1 StGB geregelten Inhalte eingehen. Im Gegenteil: Die Materialien skizzieren nicht nur eine Offenheit im Ergebnis des Beratungsgesprächs, sondern auch eine Offenheit in dessen Inhalten: Die beratenen Frauen seien „sehr wohl in der Lage, sich aus einem breitgefächerten Beratungsangebot die Elemente zu wählen, die sie brauchen“. Entsprechend richte sich der jeweilige Beratungsschwerpunkt „nach den Bedürfnissen der Klientinnen“407 und skizziert pro familia die möglichen Inhalte eines Beratungsgesprächs wie folgt: „bei der einen Frau“ führt sie umfassende Unterstützung im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch an (Suche nach einer guten medizinischen Versorgung, Begleitung in die Praxis, Kinderbetreuung während des Eingriffs, Nachsorge, Gestaltung 405  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus AWO, Standards Schwangerschaftsberatungsstellen (2010), 7. 406  pro familia, Für selbstbestimmte Sexualität4, 8; vgl. auch dies., Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 18: „Für den Beratungsverlauf legen die Ausführungen der §§ 219 ff. StGB und des Schwangerschaftskonfliktgesetzes aber durchaus auch Prinzipien professioneller psychosozialer Beratung zugrunde, die mit den Grundsätzen von DAKJEF und pro familia vereinbar sind“; Hervorhebungen nicht im Original. 407  Vorstehende Zitate aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 20.

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der Partnerbeziehung nach dem Abbruch), „bei der anderen Frau“ entsprechende Unterstützung im Zusammenhang mit der Fortsetzung der Schwangerschaft, „bei der dritten Frau“ schließlich die Hilfestellung in einer Abwägung alternativer Möglichkeiten408. All das erweckt den Eindruck, dass nicht die gesetzlichen Vorgaben in § 219 Abs. 1 StGB den Beratungsinhalt bestimmen, sondern die beratene Frau. Soweit diese bereits zum Abbruch entschlossen ist und nur noch Informationen zum Abbruchgeschehen begehrt, skizziert pro familia ein auf diesen Wunsch reduziertes Abbruchgespräch: „pro familia achtet die eigenverantwortliche Entscheidung von Frauen und bietet ihnen nach Wunsch Informationen und Hilfestellung, die sie für ihre Entscheidung oder für die Realisierung ihres Lösungsweges benötigen. […] Frauen haben oft bereits vor dem Aufsuchen der Beratungsstelle ihre Entscheidung getroffen und können diese Entscheidung für sich annehmen. Sie haben häufig auch in ihrem sozialen Umfeld genügend Personen, mit denen sie sprechen können und von denen sie unterstützt werden“409. So überrascht es denn auch kaum noch, dass die „Krisen- und Konfliktberatung“ nach Angaben aus Nordrhein-Westfalen mit 9,6 % bzw. 10,6 % an die letzte Stelle derjenigen Inhalte gestellt war, die in den Jahren 2002 und 2003 in der in § 5 SchKG normierten Beratung thematisiert worden sind410. Die lebensschützende Wirkung der Beratung wird durch eine solche Offenheit ihrer Inhalte, deren Auswahl der beratenen Frau anheim gestellt ist, in Frage gestellt: Jedenfalls diejenige „Beratung, die sich lediglich an der im Beratungsgespräch vorgetragenen Interessenlage der schwangeren Frau orientiert, ohne den vorhandenen Zwiespalt aufzugreifen, wird dem Auftrag der Beratung nicht gerecht“ werden411. Gleiches gilt für eine „bloß informierende Beratung, die den konkreten Schwangerschaftskonflikt nicht aufnimmt und zum Thema eines persönlich geführten Gesprächs zu machen sucht“412. Entsprechend gehen auch weder die Materialien von pro familia noch die der AWO näher auf den Schutz des ungeborenen Lebens vor Abtreibung ein413, der ja Ratio des gesetzlichen Beratungskonzepts sein soll. Die staat408  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 19. 409  pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 18 f. 410  Büchner, ZfL 2005, 70 (73). Anlass der Angaben war eine an die Länder gerichtete Anfrage der Juristen-Vereinigung Lebensrecht (JVL), über die Erfahrungen mit der Schwangerschaftskonfliktberatung zu berichten; ebda., 70 (70). 411  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (283). 412  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (282); ähnl. a. a. O., 307. 413  In pro familia, Für selbstbestimmte Sexualität4, 8, findet sich allerdings folgender Abschnitt: „Menschliches Leben ist auch vor der Geburt schützenswert. Forschungsergebnisse belegen jedoch hinreichend, dass Druck, Einschüchterung,



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liche Schutzpflicht für das ungeborene Leben „sieht pro familia vor allem gegenüber den Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft, insbesondere durch die Möglichkeit der In-Vitro-Fertilisation“. „Von der Diskussion um die individuelle Entscheidung von Frauen bei einer ungewollten Schwangerschaft [sei dies] zu trennen“414. c) Die Beratungsstellen von Diakonie Deutschland und donum vitae Einen eher vermittelnden Weg, der im Schwangerschaftskonflikt für eine „zweifache Anwaltschaft“415 von Frau und ungeborenem Leben statt für eine parteiliche Vertretung der Interessen einer Partei eintritt, scheinen – mit unterschiedlichen Akzentuierungen – schließlich die Beratungsstellen des Werks Diakonie Deutschland und die des Vereins donum vitae einzuschlagen. aa) Einleitende Bemerkungen (1) Zu Diakonie Deutschland Diakonie Deutschland, bis zum Oktober 2012 als das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche (EKD) bekannt416, ist die evangelische Entsprechung zum Deutschen Caritasverband417. Zu ihren Mitgliedern zählen die Evangelische Kirche in Deutschland, die im Werk mitarbeitenden Freikirchen, die freikirchlichen Diakonischen Werke, die Landesverbände und die Fachverbände418. Die Diakonie beansprucht für sich, „Wesens- und LebensBelehrung, Bevormundung oder gar Strafdrohungen gegen schwangere Frauen und diejenigen, die sie in ihrer Entscheidungsfindung unterstützen, keine geeigneten Mittel sind, menschliches Leben zu schützen“; Hervorhebungen nicht im Original. 414  Vorstehende Zitate aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 9. 415  Begriff entnommen aus donum vitae, Beratungskonzept8, 11. 416  Seit Oktober 2012 ist das Diakonische Werk der EKD ein Teilwerk des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung. Als „Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband“ besteht es ebenda neben dem „Evangelischen Entwicklungsdienst – Brot für die Welt“ fort; s. dazu bereits oben Seite  629 [1. c)] m. Fn. 320 u. Diakonie Deutschland, Fusion, Diakonie.de v. 14.06.2012; EWDE, Satzung v. 14.06.2012, 3 m. § 6 u. 4 m. § 7. Soweit im Folgenden von der „Diakonie“ geschrieben wird, sind beide Werke angesprochen: das Diakonische Werk, das die vorliegend analysierten Texte herausgegeben hat, und das Werk Diakonie Deutschland, das sich weiterhin auf diese Texte beruft. 417  Vgl. Diakonisches Werk d. EKD, in: dass., Rechtsgrundlagen2, Satzung i. d. F. vom 18.10.2007, 4 (4 m. § 1); EWDE, Satzung v. 14.06.2012, 3 m. § 6 Abs. 1. 418  Diakonisches Werk d. EKD, in: dass., Rechtsgrundlagen2, Satzung i. d. F. vom 18.10.2007, 4 (6 m. § 3 Abs. 1); vgl. EWDE, Satzung v. 14.06.2012, 19–22 m. Anlage (Mitgliederverzeichnis, Stand Mai 2012).

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äußerung der evangelischen Kirchen“ zu sein419: Nachdem es der kirchliche Auftrag sei, Zeugnis von „Gottes Liebe zur Welt in Jesus Christus“ abzulegen, soll dieses Zeugnis in den Hilfeleistungen der Diakonie Gestalt annehmen420. (2) Zu donum vitae Demgegenüber wurde der Verein donum vitae am 24.09.1999 von katholischen Laien gegründet, nachdem Papst Johannes Paul II. den katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen die Ausstellung des nach § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch erforderlichen Beratungsscheins untersagt hatte421. Hinter seiner abkürzenden Bezeichnung steht der bürgerliche Verein „DONUM VITAE zur Förderung des Schutzes des menschlichen Lebens e. V.“422, dessen Gründungsziel die Fortführung eines Beratungsangebots mit katholischer Prägung innerhalb des gesetzlichen Systems war423. Die in donum vitae organisierten katholischen Laien gerieten damit in Konflikt mit der katholischen Kirche: Diese nämlich sieht – wie ein durch den ehemaligen Apostolischen Nuntius für Deutschland, Erzbischof Giovanni Lajolo, übermittelter Brief bezeugt – in der Gründung von donum vitae einen „offene[n] Widerspruch zu den Anweisungen des Heiligen Vaters“ und eine Verdunklung des „Zeugnis[ses] der katholischen Kirche, für die alle Glieder – Geistliche, Ordensleute und Laien – Verantwortung tragen“424. Dem hält donum vitae unter Bezugnahme auf das Zweite Vatikanische Konzil die Unterscheidung „zwischen dem, was die Christen als einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun“, entgegen425. Mit der Erklärung der deutschen Bischöfe vom 20.06.2006426 ist schließlich klargestellt worden, dass donum 419  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Diakonisches Werk der EKD, Leitbild Diakonie, pdf-S. 7. 420  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Diakonisches Werk d. EKD, in: dass., Rechtsgrundlagen2, Satzung i. d. F. vom 18.10.2007, 4 (4 m. Präambel); ähnl. EWDE, Satzung v. 14.06.2012, 1 m. Präambel. 421  Siehe dazu etwa Spieker, Kirche und Abtreibung2, 197. 422  donum vitae, Satzung, § 1. 423  Näher dazu donum vitae, Selbstverständnis6, 10. 424  Lajolo, Brief v. 30.10.2000; s. dazu ferner Spieker, Der verleugnete Rechtsstaat2, 183; ders., Kirche und Abtreibung2, 278. 425  donum vitae, Selbstverständnis6, 8. 426  Abgedruckt etwa bei Trelle, in: Kirchl. Anzeiger Hildesheim v. 17.07.06, 131.



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vitae als eine „Vereinigung außerhalb der katholischen Kirche“427 angesehen wird, die weder von der Deutschen Bischofskonferenz noch von einzelnen deutschen Bischöfen anerkannt worden ist428; insofern wird vorliegend auch zwischen den katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen einerseits (Deutscher Caritasverband und Sozialdienst katholischer Frauen) und donum vitae andererseits unterschieden429. bb) Beratungsverständnis 3: „Ergebnisoffene Zielorientierung“ – Ein vermittelnder Weg Die Arbeit von donum vitae ist – in Übereinstimmung mit der gesetzlich vorgegebenen Zielorientierung und begründet im christlichen Glauben – entsprechend den oben angeführten katholischen Beratungsstellen zunächst eindeutig auf den Schutz des ungeborenen Lebens ausgerichtet: „Auf der Grundlage des christlichen Glaubens geht die Beratung von der Würde jedes menschlichen Lebens aus, unabhängig von seinem Entwicklungssta­ dium, einer Krankheit oder Behinderung“430. „Es ist ein zentraler Teil einer Schwangerschaftskonfliktberatung, den Blick der Schwangeren auf das Ungeborene zu lenken, das ein von ihr unabhängiges Recht auf Leben hat“431. „Das Beratungskonzept macht klar, dass alle relevanten Aspekte im Kontext der Schwangerschaftskonfliktberatung berücksichtigt sind und bringt die eindeutige Ausrichtung auf den Lebensschutz hin zum Ausdruck: In Wort und Tat, Beratung und Hilfe“432. Zugleich aber stellt donum vitae in seinen Materialien ausdrücklich klar, eine „zweifache Anwaltschaft für das Kind und die Frau“ zu übernehmen433. Der Verein stelle sich „ichstärkend an die Seite der schwangeren Frau“ und versuche zugleich im partnerschaftlichen Beratungsprozess „die Entwicklung von Perspektiven für ein Leben mit dem Kind“ zu fördern434. Entsprechend dieser Dualität sieht er nach seinem Selbstverständnis in den gesetzlichen Vorgaben von 427  Vorstehendes Zitat abgedr. bei Trelle, in: Kirchl. Anzeiger Hildesheim v. 17.07.06, 131. 428  Siehe dazu auch Spieker, Kirche und Abtreibung2, 279. 429  Siehe oben Seite  636 [a) vor aa)] m. Fn. 353. 430  donum vitae, Beratungskonzept8, 5; s. dazu auch donum vitae, Selbstverständnis6, 5 f. 431  donum vitae, Beratungskonzept8, 12. 432  donum vitae, Selbstverständnis6, 6; Hervorhebungen nicht im Original. 433  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus donum vitae, Beratungskonzept8, 11. Vgl. auch donum vitae, Selbstverständnis6, 9: „Frauen in Konflikten und ungeborene Kinder verfügen in dieser Gesellschaft nicht über sehr viele Anwälte“; Hervorhebung nicht im Original. 434  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus donum vitae, Beratungskonzept8, 11 f.

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Zielorientierung einerseits und Ergebnisoffenheit andererseits keinen Widerspruch, sondern versteht Ergebnisoffenheit und den dadurch ausgedrückten „Respekt vor der personalen Freiheit und Würde der Frau“ als „grundlegende Voraussetzung der Beratung“ und damit als Mittel zur Verwirklichung des Ziels des Schutzes ungeborenen Lebens435. In der durch grundsätzliche Ergebnisoffenheit ermöglichten Beratung könne mit der Frau gemeinsam nach Hilfsmöglichkeiten gesucht und die Frau in ihrer reflektierten Entscheidungsfindung begleitet werden. In diesem Zusammenhang sei der Frau „die Würde des Ungeborenen und sein Recht auf Leben ins Bewusstsein zu rufen. Dies geschieht in der Absicht, dass die Frau die Möglichkeit zulässt, sich ein Leben mit dem Kind vorzustellen und entsprechende Hilfsangebote wahrzunehmen“436. Die Zielorientierung am Schutz des ungeborenen Lebens kehrt – im durch Ergebnisoffenheit ermöglichten – dialogischen Beratungsprozess in „den Werten und normativen Überzeugungen der Beraterin“ wieder. „In der vom christlichen Glaubensverständnis geprägten Überzeugung der Beraterin wird der Wert des Lebens […] nicht nur in Worten dargestellt, sondern kann über die Haltung der Beraterin und die Art der Gesprächsführung überzeugend vermittelt werden“437. Ähnlich betonen auch die evangelischen Beratungsstellen der Diakonie ihre zweifache Anwaltschaft sowohl für das ungeborene Leben als auch für die Frau. Dabei sehen sie Ergebnisoffenheit aber nicht nur als Mittel zum Schutz des ungeborenen Lebens, sondern gleichermaßen als Mittel zum Schutz des „Lebens“ der beratenen Frau. Schutz des ungeborenen Lebens und Schutz des „Lebens“ der beratenen Frau sind demnach gleichwertige Aufgaben des evangelischen Beratungsgesprächs: „Für evangelische Beraterinnen und Berater ist der Schutz des ungeborenen Lebens von einzigartigem Wert. Zugleich stellen sie sich vorbehaltlos auf die Seite derer, die unerwünscht schwanger geworden sind […]. Beratung zum Leben umschließt das geborene wie das ungeborene Leben, beide stehen im Konflikt miteinander“438. Die Konfliktsituation der ungewollt schwangeren Frau spezifiziert die evangelische Beratung dabei als einen „fundamentalen Konflikt zwischen ihrem eigenen Leben und dem Leben des Ungeborenen“439. Eine einseitige Parteinahme zugunsten des ungeborenen Lebens oder der 435  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus donum vitae, Beratungskonzept8, 10. „Klarer kann nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass donum vitae sich von seinem Selbstverständnis her, wie im Gesetz gefordert, von dem Ziel leiten lässt, zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und zugleich ergebnisoffen zu beraten“; donum vitae, Selbstverständnis6, 7. 436  donum vitae, Beratungskonzept8, 5 f. 437  donum vitae, Beratungskonzept8, 12. 438  Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 11. 439  Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 10.



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Frau lehnen sie im Hinblick darauf ab, dass eine solche „das Problem verkürzen und verkennen“ würde: „Sowohl die schwangere Frau wie das ungeborene Kind haben ein Lebensrecht, gerade dies macht das Unerträgliche des Konflikts und die Ausweglosigkeit der Situation aus“. In dieser von zwei kollidierenden „Lebensrechten“ gekennzeichneten Situation will evangelische Beratung Frauen nun einen Raum schaffen, „in dem sie ohne Druck von außen die Konfliktsituation anschauen und eine eigenverantwortliche Entscheidung suchen und finden können, in dem sie die bereits gefundene Entscheidung nochmals überdenken können“. Die Entscheidung der Frau über die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs achtet sie dabei als „Gewissensentscheidung der einzelnen Frau, unabhängig davon, wie sie ausfällt“440. Übereinstimmungen mit dem Beratungsverständnis von pro familia und AWO scheinen sich da zu offenbaren, wo die Diakonie gleichfalls Beratungspflicht und inhaltliche Einflussnahmen als kontraproduktiv für die Durchführung von Beratung erachtet, zu deren wesentlichen Voraussetzungen die Freiwilligkeit und Offenheit zählten441, außerdem da, wo sie die Orientierung der Gesprächsinhalte vorrangig an der Lebenssituation und den Bedürfnissen der Frau betont442. Die Entscheidung über Abbruch oder Fortsetzung einer Schwangerschaft soll als Gewissensentscheidung der jeweiligen Frau respektiert werden: „Die Entscheidung über den Abbruch oder die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Verantwortung dafür liegt nach diesem Verständnis letztlich bei der Frau. Es bleibt allein ihre Gewissensentscheidung […]“443. Während die „zweifache Anwaltschaft“ für das ungeborene Kind und die Frau also die Diakonie mit donum vitae verbindet, scheinen die Gründe für eine solche doch unterschiedlich gelagert zu sein: Im Rahmen der Arbeit von donum vitae noch als Mittel zur Realisierung des Schutzes ungeborenen Lebens genannt, weist die Diakonie die Ergebnisoffenheit der Beratung auch als Mittel zum Schutz der Frau selbst aus. Dabei nimmt sie, anders als pro familia und AWO, jedoch nicht (ausdrücklich) auf deren Selbstbestimmungsrecht Bezug, sondern auf deren gleichermaßen zum ungeborenen Leben zu schützendes „Leben“. Im Hinblick darauf, dass in der Situation des nicht indizierten Abbruchs nicht die Vernichtung der physischen Existenz der Frau in Frage steht, dürfte mit dem „Lebensrecht“ der Frau aber 440  Vorstehende Zitate aus Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 12. Dazu, dass der hier zur Verwendung kommende Begriff der „Gewissensentscheidung“ untechnisch verstanden werden muss und nicht unter Art. 4 Abs. 1 GG gefasst werden kann, s. BVerfGE 88, 203 (308). 441  Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 15 f. 442  Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 17 f. 443  Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 10.

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auch hier wohl eher das Selbstbestimmungsrecht der Frau bzw. deren so­ ziale Existenz angesprochen sein. 3. Conclusio: Selbst- statt Beratungsverständnis

Aus der Widersprüchlichkeit der auf das ungeborene Leben fokussierten Vorgaben des § 219 StGB und der auf die beratene Frau fokussierten Vorgaben des § 5 SchKG scheinen sich die Beratungsstellen mithin diejenigen Akzente für ihr Beratungsverständnis erwählen zu können, die mit ihrem jeweiligen, einer bestimmten Interessengruppierung entspringenden Selbstverständnis am besten harmonieren. Allein aus der vorangegangenen Gegenüberstellung haben sich nun wenigstens drei – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Akzentuierungen innerhalb des „vermittelnden“ Beratungsverständnisses gar vier – zum Teil vollkommen konträre Verständnisse der Pflichtberatung nach § 218a Abs. 1 StGB ableiten lassen, die mit dem gesetzesimmanenten Widerspruch von Zielorientierung und Ergebnisoffenheit, Bewusstseinsvermittlung und Verzicht auf Belehrung jeweils unterschiedlich – in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen Selbstverständnis – umgehen. Eine anschauliche, wenn auch zugespitzte Zusammenfassung der drei konträren Beratungsverständnisse kann einem Beitrag in „Diakonie Korrespondenz“ entnommen werden, der sich mit der „Beratung im Schwangerschaftskonflikt“ befasst: „Die Beratung nach § 219 StGB dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Aus diesem Grundsatzziel wird teilweise die Erwartung abgeleitet, in der Beratung solle die ungewollt schwangere Frau zum Austragen des Kindes gebracht werden. Ihr müsse in der Beratung klar gemacht werden, dass ein Abbruch der Schwangerschaft ethisch zu missbilligen sei. […] Im Mittelpunkt dieser Sicht von Beratung steht das ungeborene Kind, die Beratung soll danach dazu beitragen, dass sich die Frau für die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheidet [Beratungsverständnis 1]. Eine entgegengesetzte Vorstellung besteht darin, dass Beratung der Frau möglichst reibungslos zum Abbruch verhelfen und den dafür nötigen Beratungsschein ausstellen soll. Ihre Entscheidung soll nicht mehr hinterfragt werden, so sei die Ergebnisoffenheit der Beratung gewahrt [Beratungsverständnis 2]. Beide Haltungen verschließen sich dem, was den Konflikt ausmacht, nämlich, dass Leben und Würde der Frau dem Leben und der Würde des ungeborenen Kindes gegenüber stehen, das ein Teil von ihr ist und in den ersten Monaten der Schwangerschaft ohne sie nicht lebensfähig. Beide Haltungen setzen die Beraterin unter Druck. Eine fachlich qualifizierte Beratung wird undurchführbar, wenn die Beraterin einseitig entweder für die Mutter oder für das Kind Partei ergreift. Sie würde dann den Erfolg ihrer Beratung daran messen, ob sich die schwangere Frau der vorgegebenen Zielvorstellung anpasst. […] Gerade dadurch aber wäre eine



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Konfliktberatung im eigentlichen Sinne nicht mehr möglich, die Beratung könnte nicht zum Freiraum werden, der es der schwangeren Frau ermöglicht, beide Seiten wahrzunehmen […] [Beratungsverständnis 3]“444. Indem der Gesetzgeber hier nicht Stellung bezieht, gibt er die inhaltliche Ausgestaltung des gesetzlich normierten Beratungskonzeptes aus seiner Hand in diejenige verschiedener Interessenverbände – ja, die Betonung des Selbstbestimmungs- und / oder „Lebensrechts“ der Frau durch einige von ihnen erweckt gar den Eindruck, dass er ihnen nicht nur die nähere Ausgestaltung, sondern auch die Korrektur seines Konzeptes nach ihrem jeweiligen (Selbst‑)Verständnis überlässt445. Er entzieht sich mithin der staatlichen „Verantwortung“, unter die das Beratungskonzept gestellt ist446, indem er die Beratung „privaten Organisationen zu unkontrollierter und nach je eigenen religiösen, weltanschaulichen oder politischen Zielvorstellungen ausgerichteter Ausführung überläßt“447. So betonen die Beratungsstellen von pro familia und AWO im Widerspruch zwischen § 219 StGB und § 5 SchKG etwa die Ergebnisoffenheit als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Frau. Nach ihrem Selbstverständnis stehen sie für ein rechtskritisches Bewusstsein, das in Abweichung von der verfassungsgerichtlichen und gesetzgeberischen Abwägung nicht dem Lebensrecht des Ungeborenen, sondern dem Selbstbestimmungsrecht der Frau den Vorrang einräumt. Dieses rechtskritische Bewusstsein aber steht der Vermittlung eines Rechtsbewusstseins des Inhalts, dass dem Ungeborenen ein eigenes Lebensrecht zukomme und der nicht indizierte Abbruch ob des nicht gerechtfertigten Eingriffs in dasselbe ein Unrecht sei, entgegen448. Entsprechend finden sich in ihren Materialien auch keine Hinweise auf einen entsprechenden, jenes Rechtsbewusstsein erhaltenden oder fördernden Inhalt des Beratungsgesprächs. Eine Abweichung vom verfassungsgerichtlichen bzw. gesetzgeberischen Abwägungsergebnis zugunsten des ungeborenen Lebens klingt ferner auch in den Materialien der Beratungsstellen der Diakonie an, wenn sie zwar ein Bewusstsein vom Lebensrecht des Ungeborenen vermitteln, dieses aber in unauflöslichem Konflikt zu einem gleichwertigen „Lebensrecht“ der Frau sehen. Im Hinblick darauf, dass in der Situation des nicht indizierten Abbruchs nicht die Vernichtung der physischen Existenz der Frau in Frage steht, dürfte mit dem Lebensrecht der Frau auch hier wohl eher das Selbstbestimmungsrecht der Frau bzw. deren soziale Existenz angesprochen sein. Insofern die Diakonie 444  Diakonisches Werk d. EKD, Diakonie Korrespondenz 04 / 2001, 16 f.; Zusätze in [Klammern] nicht im Orig. enthalten. 445  Krit. in diesem Zusammenhang auch Büchner, ZfL 2005, 70 (72). 446  Zur diesbzgl. staatl. „Verantwortung“ s. BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 12, 286 f. u. 302). 447  BVerfGE 88, 203 (286). 448  Darauf ebenfalls hinweisend u. m. w. N.: Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 170.

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diese als gleichwertig zum Lebensrecht des Ungeborenen anerkennt, kehrt sie die verfassungsgerichtliche und gesetzgeberische Entscheidung der Rechtsgüterkollision in der Situation des nicht indizierten Abbruchs – anders als pro familia und AWO – zwar nicht in ihr Gegenteil um, negiert sie aber gleichwohl durch ihr hiervon abweichendes Abwägungsergebnis der Gleichwertigkeit. Derartige – durch die Widersprüchlichkeit des einfachen Rechts geförderten – Modifizierungen der Rechtsgüterabwägung widerstreiten der Feststellung des BVerfG in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung, der Staat dürfe „nur solchen Einrichtungen die Beratung anvertrauen, die […] nach ihrer Grundeinstellung zum Schutz des ungeborenen Lebens […] die Gewähr dafür bieten, daß die Beratung im Sinne der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben erfolgt“449. Schließlich vollziehen nur das Beratungsverständnis der katholischen Beratungsstellen sowie das des Vereins donum vitae die zugunsten des ungeborenen Lebens entschiedene verfassungsgerichtliche und gesetzgeberische Abwägung nach, indem sie sich auf die Zielorientierung eines vorrangigen Schutzes ungeborenen Lebens, wie in § 219 StGB festgehalten, konzentrieren und das Bewusstsein vom Lebensrecht des Ungeborenen und vom grundsätzlichen Unrecht des nicht indizierten Abbruchs zum Gegenstand des Beratungsgesprächs erheben. Freilich sehen sich katholische Beratungsstellen und donum vitae gerade ob ihrer eindeutigen Zielorientierung dem Vorwurf ausgesetzt, weniger „ergebnisoffen“, sondern „belehrend“ zu beraten und sich mithin den Zugang zu einem offenen Beratungsgespräch zu erschweren. Vor allem aber entspringt ihre Unrechtsvermittlung weniger dem geltenden Recht als dem christlichen Glauben450. Insofern wird hier weniger ein Rechts- als ein Glaubensbewusstsein vermittelt. Auch der beratenen Frau dürfte weniger der Eindruck vermittelt werden, die Haltung des Rechts als die Haltung der katholischen Kirche präsentiert zu bekommen. III. Conclusio zur (Un‑)Geeignetheit der Tatbestandslösung zum Schutz des ungeborenen Lebens Wenn mithin zum Rechtswidrigkeitsverdikt bereits kritisch angemerkt worden ist, dass jenes – ob der in der Gesamtrechtsordnung wie der Statistik zutage tretenden faktischen Rechtmäßigkeit – schwerlich den Anspruch erheben kann, als Normappell anerkannt zu werden, vielmehr zum bloßen 449  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 88, 203 (287 sowie 302); vgl. in diesem Zusammenhang auch a. a. O., 212 m. II.4. Abs. 3 u. 210 m. II.3. der Entscheidungsformel. 450  Entsprechend für die Diakonie, wenn sie vom Lebensrecht des Ungeborenen spricht.



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„moralischen Appell“ oder zur „Anforderung an die Freiwilligkeit“ verkommen ist451, so sieht sich die gleichermaßen behauptete Ausrichtung der Konfliktberatung am Schutz des ungeborenen Lebens einer ähnlichen Kritik ausgesetzt: Während das BVerfG die gesetzliche Anerkennung der Beratungsstellen noch von deren Gewähr, dass die Beratung im Sinne der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben erfolgt, abhängig gemacht hatte452, öffnet ihnen der Gesetzgeber mit seinem Widerspruch von Zielorientierung und Ergebnisoffenheit jeden Spielraum, anstelle jener Vorgaben ihre individuelle Weltanschauung zu transportieren. Inwiefern das Beratungsgespräch also den Schutz des ungeborenen Lebens thematisiert, bleibt weitgehend den Beratungsstellen und ihrer jeweiligen Weltanschauung überlassen, bildet auch hier also weniger eine normierte Verpflichtung der Beratungsstellen als eine „Anforderung an deren Freiwilligkeit“ bzw. an die Freiwilligkeit der beratenen Frau, deren individuelle Gesprächsbereitschaft und Informationsneigung jedenfalls nach den Materialien von pro familia und AWO den Inhalt des Beratungsgesprächs maßgeblich mitbestimmen. Dem Nahziel seines Beratungskonzeptes, im Vorfeld der Tatbegehung mit der ungewollt schwangeren Frau in Kommunikation über ihre Tatpläne und Handlungsoptionen zu treten, mag der Gesetzgeber damit gerecht geworden sein: Mit der Gewährung von Straffreiheit und gar Offerte seiner (finanziellen wie organisatorischen) Hilfeleistung will er die Schwangere zur Wahrnehmung seines Beratungsangebots zu motivieren. Mit der Garantie einer Ergebnisoffenheit der Beratung wie dem Verzicht auf Bevormundung und Belehrung will er sicherstellen, dass die sein Beratungsangebot annehmende Schwangere auch in ehrlichen Austausch mit der beratenden Person tritt. Der eigentlichen Ratio (dem „Fernziel“) seines Beratungskonzeptes, für den Schutz des ungeborenen Lebens und gegen das Unrecht dessen nicht indizierter Tötung zu sprechen, wird er auf diesem Wege jedoch schwerlich genügen können: Eine gesetzliche Regelung, die den nicht indizierten Abbruch in Strafgesetzbuch wie Gesamtrechtsordnung als de facto rechtmäßig statt rechtswidrig ausweist, mag der Frau die Angst vor Strafe und Stigmatisierung nehmen und ihr den Weg zur Beratung weisen, positiv-generalpräventiv erweist sie sich jedoch nicht nur als unwirksam, sondern gar als einem dem Rechtswidrigkeitsverdikt entsprechenden Unrechtsbewusstsein abträglich. Ebenso mag eine Beratung, die die ihr zugedachte Zielorientierung des Ungeborenenschutzes nach den gesetzlichen Vorgaben wie nach ihrer Ausgestaltung im Einzelfall in den Hintergrund treten lässt, ob ihrer Ergebnisoffenheit den Zugang zur beratenen Frau finden, muss jedoch ge451  Siehe dazu oben Seite  620 [I. 5.]; zu den zitierten Begrifflichkeiten s. ebda. u. BVerfGE 88, 203 (267 u. 253). 452  So ausdrücklich BVerfGE 88, 203 (287 u. 302).

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

genüber der Frau wie auch gegenüber der Allgemeinheit in ihrer lebensschützenden Botschaft empfindlich einbüßen. Welche Gestalt diese Einbuße annimmt, haben die vorangegangenen Ausführungen zu skizzieren versucht und im Zuge dessen aufgezeigt, wie der gesetzliche Widerspruch von Zielorientierung und Ergebnisoffenheit, in dem die §§ 219 StGB und 5 SchKG überdies gegensätzliche Akzente setzen, den unterschiedlichsten Haltungen zur Abtreibungsfrage die Tür öffnet. Insofern wird durch die Beratung kein Rechtsbewusstsein vermittelt, sondern vielmehr die jeweilige Weltanschauung derjenigen Beratungsstelle, die sich die Frau in ihrer Konfliktsituation erwählt hat – in einem Falle mag diese Weltanschauung mit dem geltenden Recht, wie es geschrieben steht, harmonieren, im anderen Fall mag es selbiges gar konterkarieren. Mit Rechtswidrigkeitsverdikt und Ausrichtung der Beratung am Schutz des ungeborenen Lebens hat die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB diejenigen beiden Voraussetzungen verfehlt, an die das BVerfG ihre Eignung zum Schutz des ungeborenen Lebens geknüpft hat. Verneint man aber jene Eignung, mangelt es auch der Ungleichbehandlung, die das ungeborene Leben durch § 218a Abs. 1 StGB in den ersten drei Monaten seiner Entwicklung nach Empfängnis erfährt, an der Rechtfertigung durch einen gewichtigen sachlichen Grund.

C. Die (Un‑)Angemessenheit der Tatbestandslösung: Die Relation zwischen individuellem und generellem ­Ungeborenenschutz Bereits ob einer Ungeeignetheit der Tatbestandslösung, einen effektiven Ungeborenenschutz (der in der Frühphase der Schwangerschaft der Formulierung eines Strafvorwurfs gar überlegen sein soll) zu verwirklichen, lehnt vorliegende Untersuchung es also ab, in § 218a Abs. 1 StGB eine sachlich begründete Ungleichbehandlung des ungeborenen Lebens zu sehen. Gleichwohl die Untersuchung damit ihr „Urteil“ über § 218a Abs. 1 StGB bereits gefällt haben mag, soll sich im Anschluss noch der Frage zugewendet werden, ob die Beeinträchtigung, die die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB für das (einzelne) ungeborene Leben bedeutet, in einem angemessenen Verhältnis zum mit der Tatbestandslösung verfolgten Zweck des generellen Ungeborenenschutzes steht. Unterstellt also, die Tatbestandslösung wäre zur Verwirklichung des von ihr verfolgten legitimen Zwecks geeignet, genügte sie auch den Anforderungen, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an ihre Angemessenheit stellt453? 453  Zur Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) s. Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 299.



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I. Ein genereller statt individueller Ungeborenenschutz Hierzu sei einleitend zunächst ein weiteres Mal der mit der Tatbestandslösung verfolgte Zweck referiert, der sich nach der gesetzgeberischen Begründung und in Anschluss an die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG auf den Schutz des ungeborenen Lebens, auch und vor allem gegenüber seiner Mutter, fokussiert. Zur Verwirklichung jener Zielsetzung setzt die Tatbestandslösung in der Frühphase der Schwangerschaft auf das Mittel der „Hilfe“ statt „Strafe“: Durch den Verzicht auf einen Strafvorwurf und die Anerkennung ihrer „Letztverantwortung“454 soll die Frau für eine zwar ergebnisoffene, aber dem Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtete Beratung und durch jene Beratung sodann für das Austragen des Ungeborenen gewonnen werden, indem selbige sie zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigt und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind aufweist. Während soweit noch der grundsätzlich legitime Zweck verfolgt wird, einen in seiner Effektivität gesteigerten, (generellen) Ungeborenenschutz zu verwirklichen, muss die Rechtsordnung in Anerkennung einer solchen „Letztverantwortung“ auch diejenigen rechtlichen Rahmenbedingungen garantieren, innerhalb derer die Frau ein etwaiges, nach Beratung fortbestehendes Abbruchsverlangen durch Tötung des Ungeborenen straffrei realisieren kann. Nur wenn die Entscheidungsfreiheit der Frau über die Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs geachtet werde, schaffe man sich einen kommunikativen Zugang zu deren Entscheidungsprozess und könne diesen auf vertrauensvoller Basis zugunsten des ungeborenen Lebens zu beeinflussen versuchen. Indem das Gesetz so die nicht indizierte Tötung einzelner ungeborener Leben in Kauf nimmt (Straffreiheit gewährt und gar Hilfe leistet), meint es eine Mehrzahl unbestimmter ungeborener Leben zu schützen, deren Mütter sich einer Beratung nach den §§ 218a Abs. 1 Nr.  1, 219 StGB, 5 SchKG öffnen und sich von den dargebotenen Handlungsalternativen überzeugen lassen. In allen anderen Fällen – in denen am Ende der Konfliktberatung der Entschluss zu einem Schwangerschaftsabbruch steht  – wird der Schutz des jeweiligen ungeborenen Lebens jedoch verlustig gehen müssen455. Dabei unterliegen Verfassungsgericht und Gesetzgeber keiner 454  BVerfGE

88, 203 (268 u. 270). bereits die Kritik an den §§ 105, 106 AE 1970; ausgeführt in BVerfGE 39, 1 (11 f.). Zu den §§ 105, 106 AE 1970 s. Baumann et al., AE StGB, BesT / 1, 8, m. Erläuterungen a. a. O., 38–41. Ausführl. zur Unmöglichkeit, die geltende Beratungslösung unter die Prinzipien einer dem Individualschutz verpflichteten Rechtsordnung zu subsumieren: Merkel, Forschungsobjekt, 107–109 (zur Subsumtion unter den Gedanken der mutmaßlichen Einwilligung) u. 109 f. (zur Subsumtion unter einen rechtfertigenden Notstand wegen des überwiegenden embryonalen Interesses). 455  Ähnl.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

Illusion über die Erfolgsaussichten ihres Beratungskonzeptes: Das BVerfG etwa wies in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung ausdrücklich daraufhin, dass es „nicht gesagt [sei], daß nach fachkundiger und individueller Beratung nur noch die Frau ihre Schwangerschaft abbricht, die sich in einem Konflikt solchen Ausmaßes befindet, daß ihr das Austragen des Kindes nach […] verfassungsrechtlichen Maßstäben unzumutbar ist. Dies würde die Lebenswirklichkeit verkennen, in der Männer wie Frauen vielfach ihre eigenen Lebensvorstellungen überbewerten und diese auch dann nicht zurückzustellen bereit sind, wenn es bei objektivem Nachvollziehen ihrer individuellen Lebenssituation zumutbar erscheint“456. Um im Wege der Kommunikation hoffentlich eine größere Anzahl ungeborener Leben retten zu können, nimmt es die gesetzliche Regelung mithin in Kauf, dass ungeborenes Leben im konkreten Einzelfall getötet wird. Um einen generellen Ungeborenenschutz verwirklichen zu können, wird der individuelle Ungeborenenschutz durch die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB mithin empfindlich beschnitten, ja mehr noch, wird der Schutz des individuellen ungeborenen Lebens im konkreten Einzelfall zur Disposition der jeweiligen Schwangeren gestellt. II. Das unangemessene Mittel einer „Wollensbedingung“ für den individuellen Ungeborenenschutz Diesbezüglich ist eingangs bereits festgestellt worden, dass § 218a Abs. 1 StGB an die Stelle eines vom Verfassungsgericht intendierten gesteigerten Unrechtsurteils eine dem Willen der Schwangeren unterworfene strafrechtliche Irrelevanz treten lässt, indem es das tatbestandliche Unrechtsurteil des § 218 Abs. 1 StGB unter eine tatbestandsausschließende „Unerheblichkeitserklärung“ und mithin auflösende „Wollensbedingung“ der potenziellen Täterin stellt. Der betroffenen Frau und potenziellen Täterin eines Schwangerschaftsabbruchs ist mithin nicht nur die Entscheidung darüber belassen worden, ob Voraussetzungen gegeben sind, die im konkreten Einzelfall die Tötung ihres Ungeborenen erlauben, sondern noch weitergehend die Entscheidung darüber, ob die Rechtsordnung die Tötung ihres Ungeborenen im konkreten Einzelfall überhaupt als sozialschädlich und soziaethisch verwerflich beurteilen soll457. Weil das Abbruchsverlangen der Schwangeren aber nicht nur ihre eigenen Rechtsgüter, sondern auch das höchstpersönliche Rechtsgut des ungeborenen Lebens betrifft, muss eine solche gesetzliche Regelung, die „die Verfü456  BVerfGE 457  Siehe

88, 203 (267); in diesem Sinne auch a. a. O., 277. dazu oben Seite  559–562 [Abschn.  1, C. III. u. D.].



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gung über das Lebensrecht des nasciturus, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter überantwortet“458, den verfassungsrechtlichen Vorgaben von einer Teilhabe des ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG zuwiderlaufen. Insofern stellt sich bereits das von § 218a Abs. 1 StGB zur Anwendung gebrachte Mittel – die Beschneidung des individuellen Ungeborenenschutzes – als unangemessen dar, ohne dass dafür die Relation bemüht werden müsste, in die es zum Zweck des generellen Ungeborenenschutzes tritt. III. Die unangemessene Relation in einem quantitativen Lebensschutz Gleichwohl soll abschließend auch diese Relation einer näheren Betrachtung unterzogen werden, innerhalb derer § 218a Abs. 1 StGB Einschränkungen des individuellen Ungeborenenschutzes normiert, um als übergeordneten Zweck einen generellen Ungeborenenschutz zu verwirklichen. Was § 218a Abs. 1 StGB hier manifestiert, muss sich unweigerlich als eine quantitative Abwägung ungeborenen Lebens darstellen, innerhalb derer die Tötung einzelner ungeborener Leben in Kauf genommen wird, um (hoffentlich) eine Vielzahl anderer ungeborener Leben zu retten. Die Inkaufnahme einer Tötung im Einzelfall, die von der Gewährung von Straffreiheit bis hin zur staatlichen Hilfeleistung reicht, ist das Mittel, dessen sich die Rechtsordnung bedient, um den Zweck eines generellen Ungeborenenschutzes zu fördern459. Diese Zweck-Mittel-Relation soll an folgendem Fallbeispiel noch einmal verdeutlicht werden460: Man stelle sich vor, dass ein Täter das Austragen einer ungewollten Schwangerschaft erzwingt, indem er die abbruchwillige Frau – die sich in keiner nach § 218a Abs. 2 oder Abs. 3 StGB rechtfertigend wirkenden medizinisch-sozialen oder kriminologischen Indikationenlage befindet – bis zum Zeitpunkt der Geburt einsperrt und sie mithin an der Umsetzung ihres Abbruchsvorhabens hindert. Fraglos machte er sich dadurch an der Schwangeren einer Freiheitsberaubung, § 239 StGB, und einer Nötigung, § 240 StGB, schuldig. Soweit er sich nun gemäß § 32 StGB auf eine Nothilfe zugunsten des ungeborenen Lebens beriefe, würde ihm jene Rechtfertigung mangels Gebotenheit seiner Tathandlung abgesprochen werden. Verneint würde die Gebotenheit, weil der Gesetzgeber in den §§ 218 ff. StGB ein solches Konzept zum Schutz des ungeborenen Lebens normiert 458  BVerfGE

88, 203 (255). dazu auch Stahl, Schwangerschaftsabbruch, 140 f. 460  Ähnl. die bei Satzger, JuS 1997, 800, gebildeten Beispielsfälle. 459  Vgl.

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hat, das es bewusst ausschließt, eine Entscheidung der Frau zugunsten der Schwangerschaft zu erzwingen, und sich im Gegenteil derer Entscheidungsfreiheit als Mittel zum Ungeborenenschutz bedient461. Entsprechend müsste eine Rechtfertigung im Wege des § 34 StGB an der fehlenden Angemessenheit scheitern: Mit dem Beratungskonzept der §§ 218 ff. StGB hat der Gesetzgeber die Erzwingung einer Entscheidung zugunsten des ungeborenen Lebens auch für nicht angemessen erklärt462. Obwohl der Täter in vorliegendem Fallbeispiel also das einzelne ungeborene Leben definitiv effektiv geschützt hat, indem er dessen – als rechtswidrige Handlung bewertete – Tötung verhindert hat, wird er von der Rechtsordnung für schuldig befunden, die Entscheidungs- und körperliche Bewegungsfreiheit der Frau verletzt zu haben, und ihm der Vorwurf gemacht, auf diesem Wege das einem generellen Ungeborenenschutz verpflichtete gesetzliche Beratungskonzept unterlaufen zu haben. Nun trifft es sicherlich zu, dass eine Rechtsordnung, die ein auf der Entscheidungsfreiheit basierendes Beratungskonzept vorstellte, gleichzeitig aber die Ausübung eines den Abbruch verhindernden Zwangs gegen die Schwangere für rechtmäßig befände, damit ihr eigenes Konzept zur Disposition stellte. Der angestrebte Schutz des ungeborenen Lebens als generelles Rechtsgut könnte dadurch tatsächlich in Frage gestellt werden. Gleichwohl: eben nur ein Schutz des ungeborenen Lebens als generelles Rechtsgut. Die §§ 218 ff. StGB geben aber in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vor, das individuelle ungeborene Leben zu schützen, ihr Schutzgut ist „das sich im Mutterleib entwickelnde Leben als eigenständiges, höchstpersönliches Rechtsgut“463. „Die Schutzpflicht für das ungeborene Leben ist bezogen auf das einzelne Leben, nicht nur auf menschliches Leben allgemein“, lassen auch die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG verlautbaren464. Ob der ebenda bejahten Gleichwertigkeit 461  Siehe

oben Seite  576 f. [B. I. 2. a)] m. w. N. 13 / 1850, 25; Hillenkamp, in: Putzke et  al., FS-Herzberg, 483 (499 u. 501); Satzger, JuS 1997, 800 (804); Seibel, Probleme, 115 f.; vgl. aber auch Zimmermann, Rettungstötungen, 65, der – bzgl. einer zur Lebensrettung erforderlichen, aber nicht von einer Einwilligung gedeckten Organentnahme – darauf hinweist, dass ein spezielles gesetzliches Verfahren zur Lösung eines Interessenkonflikts nicht durch die Anwendung des § 34 StGB überspielt werden darf. Unter Berufung auf den Grundsatz vom Vorrang des spezielleren Gesetzes sei eine Rechtfertigung des dem Verfahren zuwider laufenden Tuns mithin von vornherein – statt erst im Rahmen des § 34 S. 2 StGB – zu verwerfen. 463  Vorstehendes Zitat aus Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 223; Hervorhebungen im Vergleich zum Orig. verändert. 464  BVerfGE 88, 203 (203 m. LS 2 sowie 252); ebenso a. a. O., 257: „Schutzpflicht des Staates, die gegenüber jedem ungeborenen menschlichen Leben besteht“; Hervorhebungen nicht im Original. Vgl. auch BVerfGE 39, 1 (58 f.) und die Aus462  BT-Drs.



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jedenfalls des postnidativen ungeborenen Lebens zum geborenen Leben beanspruchen die allgemeinen Grundsätze zum Lebensschutz auch für den Ungeborenenschutz Geltung und mit ihnen der dem Art. 1 Abs. 1 GG entnommene Grundsatz der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens, nach dem sich der Schutz menschlichen Lebens – unabhängig von der Anzahl der aufgeopferten bzw. geretteten Leben – einer quantitativen (wie auch qualitativen) Abwägung entzieht465. So darf der „Schutz des einzelnen Lebens […] nicht deswegen aufgegeben werden, weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Jedes menschliche Leben – auch das erst sich entwickelnde Leben – ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden“466. In diesem Sinne hat der BGH in älterer Zeit den Erlaubnistatbestandsirrtum eines Polizeibeamten verneint, der sich im (Irr‑)Glauben an die Rechtfertigung seines Tuns – der Tötung einer einzelnen Frau zur Besänftigung eines die gesamte Menschheit bedrohenden „Katzenkönigs“ – wähnte467 und hat das BVerfG in jüngerer Zeit den Abschuss eines Luftfahrzeugs und mithin die Tötung unbeteiligter Flugzeugpassagiere auch dann für rechtswidrig befunden, wenn durch den führungen zu einem individuellen Grundrechtsschutz des ungeborenen Lebens in Kap. 2, Seite  119 f. [Abschn.  1, C. II.]. 465  Zum Grundsatz der Unabwägbarkeit menschlichen Lebens s. etwa Dreier, JZ 2007, 261 (263 f.); Gallas, Verbrechenslehre, 71 f.; nach einer kontraktualistischen Interpretation des § 34 StGB: Zimmermann, Rettungstötungen, 54 i. V. m. 48 ff. (vorbehaltlich der Besonderheiten des Defensivnotstandes: ebda., 168); weitere Nw. bei ders., a. a. O., 38 f. m. Fn. 54; krit. Delonge, Interessenabwägung, 126 f., nach dem das Verbot der quantitativen Lebensabwägung nur die Verletzung eines gesellschaftlichen Urvertrauens tabuisieren soll (dazu auch Zimmermann, a. a. O., 44). Zum Verbot einer qualitativen Abwägung menschlichen Lebens s.  Dreier, a. a. O., 261 (263); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 316a; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 2. 466  BVerfGE 39, 1 (59); zu dieser Kritik am in § 218a Abs. 1 StGB verwirklichten Beratungskonzept s. auch Hoerster, Abtreibung2, 190 ff. 467  BGHSt 35, 347 (348 u. 350). Nicht weniger bekannt und nach dem Grundsatz absoluten Lebensschutzes nur der Entschuldigung statt der Rechtfertigung zugänglich: der sog. Mignonette-Fall, in dem ein schiffbrüchiger Seemann einen anderen (bereits erheblich geschwächten) Seemann tötete. Von dessen Leichnam ernährten sich er und zwei weitere Überlebende und überdauerten so die Zeitspanne bis zu ihrer Rettung. Weder das quantitative Überwiegen der Anzahl Überlebender noch die qualitativ wirkende Schwächung des Tatobjekts soll die Tötungshandlung nach h. M. rechtfertigen können; dazu Dreier, JZ 2007, 261 (264); Krey / Esser, AT5, Rn. 91; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 316; anders, soweit man die Grundsätze einer „Gefahrgemeinschaft“ (auch: „Gefahrengemeinschaft“) mit einseitiger, d. h. asymmetrischer Verteilung der Rettungschancen zur Anwendung brachte: dazu Roxin, AT / I4, § 16, Rn. 35 f.; Zimmermann, Rettungstötungen, 302 f. u. 401; abl. Dreier, JZ 2007, 261 (265 f.). Zur terminologischen Unterscheidung von „Gefahrgemeinschaft“ und „Gefahrengemeinschaft“ s.  Zimmermann, a. a. O., 300.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

Abschuss eine größere Anzahl anderer Menschen gerettet werden soll468. Die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB bedient sich aber gerade einer solchen quantitativen Abwägung, was im referierten Beispielsfall dazu führt, dass das individuelle ungeborene Leben vor der Entscheidung seiner Mutter gegen ein Austragen der Schwangerschaft nicht im Wege der Nothilfe geschützt werden darf, sondern sein Fürsprecher als Nötiger und Freiheitsräuber bestraft wird469. Ein genereller Schutz ungeborenen Lebens ist der Zweck, dessen Verwirklichung sich die Rechtsordnung nach eigenem Bekunden verschreibt, die Anerkennung der Entscheidungsfreiheit der ungewollt Schwangeren und mithin die Inkaufnahme der Tötung individuellen ungeborenen Lebens das Mittel, das der Verwirklichung jenes Zwecks den Weg ebnen soll. In einem wohl abgewogenen, d. h. angemessenen Verhältnis können Mittel und Zweck jedoch unmöglich stehen: Ihr Verhältnis bleibt quantitativ begründet und steht mithin zu verfassungsrechtlichen wie – dem folgend – einfachgesetzlichen Grundsätzen des Lebensschutzes in offenem Widerspruch. Nun darf der Gesetzgeber „nicht nur das Ziel im Auge haben, sei es auch noch so erstrebenswert; er muß beachten, daß auch jeder Schritt auf dem Wege dahin sich vor der Verfassung und ihren unverzichtbaren Postulaten zu rechtfertigen hat“470. Entgegen einem bekannten Sprichwort heiligt der Zweck nicht zwingend die Mittel – und vermag sie auch im rechtlichen Sinne nicht immer zu rechtfertigen.

D. Conclusio Abschließend sei nun noch einmal rekapituliert, was die vorangegangenen Ausführungen zu einem möglichen, gewichtigen sachlichen Grund für die Vorschrift des § 218a Abs. 1 StGB ergeben haben, die einerseits die Rechtswidrigkeit einer Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis verlautbaren soll, andererseits aber so gestaltet ist, dass sie den Verbotstatbestand des Schwangerschaftsabbruchs unter eine auflösende Potestativbedingung stellt. Ihr liegt der zunächst legitime Zweck eines wirksamen Ungeborenenschutzes zugrunde, den man in der Frühphase der Schwangerschaft zu verwirklichen können glaubt, indem man die eigenverantwortliche Entscheidung der Schwangeren über Fortset468  BVerfGE 115, 118; zust. Dreier, JZ 2007, 261 (265); s. dazu auch bereits oben Kap. 5, Seite  462 f. [Abschn.  3, A. II.]. 469  Krit. zu einer solchen „Gesamtlösung“ in „einer auf individuellen Grundund Freiheitsrechten beruhenden Rechtsordnung“ auch Merkel, Forschungsobjekt, 103 u. 106. 470  BVerfGE 39, 1 (59).



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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zung oder Abbruch der Schwangerschaft achtet statt ahndet. Indem man der potenziellen Täterin ihre „Letztverantwortung“ vergewissert – und dies auch grammatikalisch wie systematisch im Gesetz zu erkennen gibt –, hofft man einen Zugang zu ihr zu finden und das postnidative ungeborene Leben im Zusammenwirken mit der Mutter effektiver schützen zu können, als dies eine Strafandrohung gegen den Willen der Mutter soll vermögen können. „Zwei Herren“471 gibt das Beratungskonzept mithin vor, in seiner lebensschützenden Ausrichtung dienen zu wollen – dem Rechtswidrigkeitsverdikt einerseits, das ein der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese folgendes Unrechtsbewusstsein von der nicht indizierten Tötung ungeborenen Lebens transportieren soll, der legalen, weil tatbestandslosen Ermöglichung des nicht indizierten Abbruchs andererseits, derer das Beratungskonzept bedarf, um Zugang zur Schwangeren als der potenziellen Täterin zu erlangen. Die eigentümliche Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB, die den nur beratenen Schwangerschaftsabbruch nicht rechtfertigt, aber anderweitig bereits vom Vorwurf der Sozialschädlichkeit und sozialethischen Verwerflichkeit zu befreien sucht, soll es der Rechtsordnung ermöglichen, beiden (widerstreitenden) Ansprüchen gerecht zu werden. Insofern also noch von einem legitimen Zweck getragen, die Möglichkeiten des Ungeborenenschutzes in einer Phase der pränatalen Entwicklung zu steigern, in der der Embryo bzw. Fetus in erhöhtem Maße schutzbedürftig, das Gesetz aber umso weniger schutzfähig ist, verliert das Konzept an seiner Legitimität, sobald man sich seiner postulierten Geeignetheit zuwendet, jenen Zweck zu verwirklichen. Dabei hat die vorliegende Untersuchung darauf verzichten können, die Wirksamkeit des Beratungskonzepts einer empirischen Überprüfung zuzuführen. Seine Geeignetheit wird vielmehr bereits durch jene Voraussetzungen in Frage gestellt, die seine Befürworter selbst formuliert haben, um den Verzicht auf eine Strafandrohung in der Frühphase der Schwangerschaft sachlich begründen zu können. Einen effektiven Ungeborenenschutz wüsste das Tatbestandsmodell demnach nur für den Fall zu verwirklichen, dass die Gesamtrechtsordnung das strafgesetz­ liche Defizit kompensierte, ein Rechtswidrigkeitsurteil über den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch zu transportieren, und dass die durch den Verzicht auf eine Strafandrohung geförderte Konfliktberatung tatsächlich darauf ausgerichtet wäre, dem Schutz des individuellen ungeborenen Lebens zu dienen, indem sie der beratenen Frau ein Bewusstsein über den verfassungsrechtlichen Wert des ungeborenen Lebens und das daraus folgende Unrechtsurteil über seine Tötung vermittelte. Bereits diese Voraussetzungen, die der Konstruktion eines Ungeborenenschutzes durch Beratung zugrunde 471  In Anlehnung an Goldoni, Der Diener zweier Herren; vgl. das den vorliegenden Abschn.  2 einleitende Zitat.

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

gelegt worden sind, sind nach den vorstehenden Ausführungen nicht erfüllt, ja, mehr noch ist das Beratungskonzept von vornherein nicht darauf angelegt, ein Bewusstsein von der Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs zu verbreiten und die beratene Frau auch dann zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen, wenn sie bereits zur Durchführung des Abbruchs entschlossen ist. Dass es in diesem Sinne von vornherein nicht darauf angelegt war, die ihm zugedachte Zielsetzung zu verwirklichen, zeigt sich auch darin, dass der Gesetzgeber seiner Korrektur- und Nachbesserungspflicht, die ihm die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG auferlegt hatte472, bis heute nicht nachgekommen ist473. Das Beratungskonzept ist bereits nach seiner Konstruktion aber nicht nur ungeeignet, die grundsätzlich legitime Zielsetzung eines in seiner Effektivität gesteigerten Ungeborenenschutzes zu verfolgen, es bedient sich hierzu auch eines unangemessenen Mittels, das zu jener Zielsetzung in eine gleichermaßen unangemessene Relation tritt. Indem es der Schwangeren im konkreten Einzelfall die „Letztverantwortung“ belässt, über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft zu entscheiden, erklärt es die potenzielle Täterin wenigstens faktisch für befugt, über den strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens zu disponieren. Hier verwirklicht sich nicht erst die „Selbstindikation“, die in einem Rechtstaat verboten sein muss, sondern noch weitergehend die Macht der potenziellen Täterin, über die Anwendung des Verbotstatbestandes zu entscheiden. Diese Befugnis, die mit einer Preisgabe des individuellen Ungeborenenschutzes im konkreten Einzelfall einhergeht, erkennt die Rechtsordnung an, um auf diesem Wege hoffentlich eine größere Anzahl ungeborener Leben zu retten, deren Mütter sich in der Konfliktberatung zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen lassen. Nicht nur der individuelle Ungeborenenschutz, auch allgemeine Grundsätze des Strafrechts werden so preisgegeben, indem ein quantitativer Lebensschutz normiert wird. In Ermangelung eines Beratungskonzeptes, das ein angemessenes Mittel bildete, um den an sich legitimen Zweck eines effektiven Ungeborenenschutzes in der Frühphase der Schwangerschaft zu verwirklichen, und überhaupt über die Eignung verfügte, diese Zielsetzung zu befördern, kann mithin nicht davon die Rede sein, dass man das menschliche individuelle Leben in § 218a Abs. 1 StGB nur einer sachlich begründeten Ungleichbehandlung unterzöge.

472  BVerfGE 88, 203 (269 u. 309 f.); zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten als Bestandteil prozeduraler Kompensationstechniken vgl. Augsberg, in: Weilert, Spätabbruch, 271 (280). 473  Darauf weisen etwa Büchner und Ellwanger hin; Büchner, ZfL 2009, 38 (41); ders., ZfL 2007, 72 (72); Ellwanger, ZfL 2007, 86 (86).



Abschn. 3: Zweite Rechtsgüterumkehrung

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Abschnitt 3

Abschließende Stellungnahme: Eine zweite Rechtsgüterumkehrung – Die Überwindung von Grenzen der Selbstbestimmung – „Frau, erwache! […] Welche Einschränkungen man euch auferlegen mag, es liegt in eurer Macht, sie zu bezwingen, ihr müßt es bloß wollen“. (Olympe de Gouges474)

Was bleibt, ist die Feststellung, dass die in § 218a Abs. 1 normierte Tatbestandslösung den strafgesetzlichen Lebensschutz auf eine beispiellose Art und Weise einschränkt. Hierzu bedient sie sich der Figur eines dem Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB nachfolgenden Tatbestandsausschlusses, von dem die Verfassungsrechtsprechung hat verlauten lassen, dass seine Wirkweise jenseits der allgemeinen Rechtswidrigkeit platziert sein soll. Wenigstens der Verlautbarung nach soll die Normierung eines Tatbestandsausschlusses so weder die tatbestandliche Anerkennung des postnidativen ungeborenen Lebens als schutzwürdiges Rechtsgut noch das Urteil der Gesamtrechtsordnung über die Rechtswidrigkeit seiner nicht indizierten Tötung antasten. In vermeintlicher Übereinstimmung mit der durch die Gleichwertigkeitsthese prädisponierten Hierarchie grundrechtlicher Garan­tien wie auch der ihr entspringenden positiv-generalpräventiven Zielrichtung soll zwischen dem postni­ dativen Ungeborenenschutz und den betroffenen Rechtsgütern der Frau – maßgeblich ihrem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht –, so eine Relation gezeichnet werden, in der das postnidative ungeborene Leben regelmäßig zu schützen ist und das Unrecht seiner Tötung durch eine (nur selbst empfundene) Beeinträchtigung der weiblichen Selbstbestimmung nicht tangiert wird475. Damit negieren BVerfG wie strafgesetzliche Verlautbarung ein Recht der Frau, sich jenseits des Anwendungsbereichs eines Indikationentatbestandes gegen das Austragen der Schwangerschaft und mithin für eine Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens zu entscheiden. Für die gesamte Dauer der Schwangerschaft soll das Selbstbestimmungsrecht der Frau dem vorrangigen Schutz des vorgeburtlichen Lebens unterliegen476. Tatsächlich aber – d. h. nicht nur der Verlautbarung nach – stellt § 218a Abs. 1 StGB den Verbotstatbestand des Schwangerschaftsabbruchs unter eine 474  de Gouges, Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (1791), Nachwort; Zitat entnommen aus de Gouges, Schriften, 55 f.; ähnl. Übers. u. frz. Orig. bei Burmeister, Rechte der Frau, 145 f. (Orig.) u. 164 f. (Übers.). 475  So erstmals bereits festgestellt in Kap. 4, Seite  269 [Abschn.  2, D.]. 476  BVerfGE 39, 1 (43); Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 211 u. 223; vgl. Dreier, ZRP 2002, 377 (379 f.).

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Kap. 6: Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB

auflösende Potestativbedingung, was sich in seinem Wortlaut und seiner systematischen Bezugnahme auf die Wertungsstufe der Tatbestandsmäßigkeit auch nach außen kehrt. Der Schwangeren wird so nicht erst die Macht zuerkannt, über Recht und Unrecht zu entscheiden – wie es das verlautbarte Rechtswidrigkeitsverdikt vermeintlich ausschließen will –, sondern mehr noch zugestanden, bereits über die strafgesetzliche Relevanz einer Ungeborenentötung in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis zu disponieren. Tritt eine ungewollte Schwangerschaft nur in Widerspruch zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung, lässt es die Rechtsordnung bereitwillig zu, dass ihr tatbestandlich verlautbartes Unrechtsurteil über den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch mit dem Abbruchsverlangen der jeweiligen Schwangeren wieder zurückgenommen wird. Dass die Reichweite des in § 218 Abs. 1 StGB normierten Straftatbestandes in diesem Sinne dem Willen der Schwangeren überantwortet wird, kann dabei – anders als verlautbart – auch nicht durch die Zielsetzung eines angeblich gesteigerten Ungeborenenschutzes sachlich begründet werden. Die Achtung, die die Rechtsordnung der eigenverantwortlichen Entscheidung der Schwangeren zollt, präsentiert sich nicht als den Ungeborenenschutz beförderndes Mittel, sondern wird zum Eigenzweck der in § 218a Abs. 1 StGB normierten Tatbestandslösung, die die durch die Schwangerschaft tangierten Grundrechtspositionen der abbruchswilligen Frau in ihren Fokus stellt. Unterstützung findet dieses Ergebnis überdies darin, dass sich das systematische Regel-Ausnahme-Verhältnis, in dem § 218 Abs. 1 StGB und § 218a Abs. 1 StGB zueinander stehen, auch statistisch in sein Gegenteil verkehrt hat, wenn rund 97 % aller gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche nach der in § 218a Abs. 1 StGB normierten Beratungslösung vorgenommen werden477. Der weit gefasste Tatbestandsausschluss hat sich in der Realität des Rechts so zum Regelfall entwickelt und das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in § 218 Abs. 1 StGB zur Ausnahme degradiert478. Das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs büßt seine tatbestandliche Wirkung ein; an seine Stelle tritt der quasi tatbestandliche Charakter eines Verbots, eine das Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB wahrende Frau wegen des Schwangerschaftsabbruchs strafrechtlich zu belangen479. Damit 477  Für 2012: 103.462 von 106.815 (96,9 %); Stat. Bundesamt, Schwangerschaftsabbrüche 2012, 9 u. 11 m. Tab.1.1. Für 2011: 105.537 von 108.867 (96,8 %); Stat. Bundesamt, Jahrbuch 2012, 127 m. Tab.  4.1.12. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Einschätzung von Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (309), zu einer prozentualen Umkehrung des in den §§ 218, 218a Abs. 1 StGB normierten Regel-Ausnahme-Verhältnisses; ferner ders., in: Kindhäuser et al., NK-StGB / 24, § 218 Rn. 1. 478  Krit. zum vorgetäuschten systematischen Regel-Ausnahme-Verhältnis der §§ 218 und 218a Abs. 1 StGB auch Jakobs, JR 2000, 404 (405); Maurach / Schroe­ der / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 1; Schroeder, ZRP 1992, 409 (410). 479  Diese Einschätzung teilen Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 1 u. Rn. 2 a. E.; vgl. auch Jakobs, JR 2000, 404 (405), zur Ersetzung eines Abbruchsgrunds durch das in § 218a Abs. 1 StGB geregelte Abbruchsverfahren; ferner Augs-



Abschn. 3: Zweite Rechtsgüterumkehrung

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konform geht, dass mit pro familia und AWO auch solche Beratungsstellen mit gesetzlicher Anerkennung die Pflichtberatung nach den §§ 219 StGB, 5 SchKG durchführen, die das Selbstbestimmungsrecht der Frau zum Zentrum ihres Interesses erklären. Insofern wirken solche Beratungsstellen am Schutzkonzept des Gesetzgebers mit, die die Abwägung zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau zugunsten des letzteren entscheiden. So realisiert sich eben dasjenige Ergebnis einer Abwägung zwischen den Grundrechtspositionen der Frau und des ungeborenen Lebens, das das BVerfG seiner Protestatio nach hatte ausgeschlossen wissen wollen: Seiner Verlautbarung nach „kann die besondere Lage der Frau und des Ungeborenen in dieser Frühphase der Schwangerschaft zwar Anlaß sein, unter Rücknahme strafrechtlicher Sanktionen besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen; sie darf aber – wie dargelegt – nicht dazu führen, die Grundrechtsposition der Frau denen des ungeborenen Lebens überzuordnen“480. Denn „Grundrechte der Frau tragen nicht so weit, daß die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes – auch nur für eine bestimmte Zeit – generell aufgehoben wäre“481. Soweit die Protestatio – verborgen in einem Tatbestandsausschluss haben die Grundrechte der Frau die Abwägung gegen das ungeborene Leben aber für sich entscheiden können und das durch die Systematik von Grundtatbestand und Tatbestandsausschluss vorgezeichnete Verhältnis kollidierender grundrechtlicher Gewährleistungen in sein Gegenteil verkehrt: Nicht dem Ungeborenenschutz, sondern dem Selbstbestimmungsrecht wird in § 218a Abs. 1 StGB der Vorrang eingeräumt und das Ungeborene mithin nur dann geschützt, „wenn die Mutter sich nicht in der ersten Phase der Schwangerschaft zu seiner Tötung entschlossen hat“482. Der Schwangeren garantiert die Rechtsordnung damit gar mehr als nur ein Recht auf Selbstbestimmung: nämlich ein Recht auf „Fremdbestimmung“ über das in ihr wachsende ungeborene Leben483. berg, in: Weilert, Spätabbruch, 271 (280 f.), zu einer „dezidiert prozedurale[n] Logik“ der Beratungslösung. 480  BVerfGE 88, 203 (267). 481  BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 7, entsprechend 255); in diesem Sinne auch BVerfGE 39, 1 (1 m. LS 3 u. 43). 482  Ablehnend dazu noch BVerfGE 88, 203 (256). 483  Vgl. zur früheren „Fristenlösung“ die Begr. des Antrags auf verfassungsrechtliche Überprüfung des § 218a StGB in der Fassung des 5. StrRG: „Selbstbestimmungsmacht der Frau, die in Wahrheit insoweit eine Fremdbestimmungsmacht sei“; zsfd. BVerfGE 39, 1 (22). Insofern lebt die für verfassungswidrig befundene Fristenlösung im aktuellen Beratungskonzept des Strafgesetzes fort: Eben jene Fristenlösung hatte der Bundestagsabgeordnete Ehmke treffend so charakterisiert, dass es ihr letztlich „entscheidend um die Wahrung mütterlicher Interessen [gehe], wobei man gleichzeitig bemüht sei, die des nasciturus soweit als möglich zu schützen“; zsfd. BVerfGE 39, 1 (31). „Sehe man die Lage so, dann stärke die Fristenregelung die Grundrechte der Frau aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG“; zsfd. BVerfGE 39, 1 (31).

Kapitel 7

Die strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung – „Verhütung ist Frauensache“ –

Während der Gesetzgeber die der Schwangeren in § 218a Abs. 2 und Abs. 3 StGB gewährte Rechtfertigung an die Feststellung eines näher gekennzeichneten „notstandsähnlichen Konflikts“ gebunden hat, hat er die Schwangere für die frühen Stadien der Schwangerschaft – nämlich für die ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis – auch von diesen im Vergleich zu § 34 StGB bereits reduzierten Bindungen befreit und für den Fall, dass das in § 218a Abs. 1 StGB normierte Verfahren gewahrt bleibt, bereits den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ausgeschlossen. Ungeachtet des Rechtswidrigkeitsverdikts hat der Gesetzgeber für besagten Zeitabschnitt der Schwangerschaft die Figur des Tatbestandsausschlusses gewählt, um der Schwangeren die seinem Beratungsmodell förderliche Straffreiheit zuzuerkennen, und vermittelt dem Gesetzesadressaten im Ergebnis so eine strafgesetzliche Irrelevanz der Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens. Für strafgesetzlich irrelevant bewertet der Gesetzgeber auch die Tötung des pränidativen ungeborenen Lebens, wenn er – eingegliedert in die Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch – in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB bestimmt, dass „Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, […] nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes [gelten]“. Handlungen, die bereits die Einnistung des Embryos in der Gebärmutterschleimhaut verhindern (sog. Nidationsverhinderung oder Nidationsverhütung), erfüllen demnach nicht den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs und sind nicht als Erfolgsdelikt unter die Strafandrohung des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB gestellt. In vergleichender Gegenüberstellung mit § 218a Abs. 1 StGB reicht diese strafgesetzliche Irrelevanz insofern weiter, als der Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB von vornherein statt erst auf Verlangen der betroffenen Frau entfällt und sie überdies auch nicht die Wahrung eines Verfahrens voraussetzt. Es ist dies die letzte und weitgehendste Erleichterung, die das Gesetz derjenigen Frau zuerkennt, die eine Tötung des (möglicherweise) in ihr wachsenden ungeborenen Lebens begehrt: Soweit sich



Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

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diese (potenzielle) Tötung noch vor Abschluss der Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut vollziehen soll, wird der Frau diese Tötung frei von einem Vorwurf der Rechtswidrigkeit oder auch nur Tatbestandsmäßigkeit anheim gestellt, ohne dass ein Dritter eine Konfliktlage festgestellt oder die Frau auch nur ein bestimmtes Verfahren gewahrt haben muss. Diese rechtliche Unerheblichkeit einer von der Frau gewollten Nidationsverhütung findet jenseits des strafrechtlichen Erfolgsdeliktes ihre Fortsetzung, wenn die Rechtsordnung diesbezüglich darauf verzichtet, ersatzweise ein allgemeines Gefährdungsdelikt oder wenigstens ein Produkt- und Vertriebsverbot zu normieren. Ob – und wenn ja, wie – diese wortwörtlich existenzielle Entscheidung, die physische Existenz des pränidativen ungeborenen Lebens in vivo schutzlos zu stellen, sachlich1 begründet werden kann, soll das vorliegende Kapitel im Folgenden interessieren. Wie in den anderen Kapiteln bereits gehandhabt, wird auch das siebte Kapitel in seinem ersten Abschnitt zunächst ein näheres Bild von der fraglichen Ungleichbehandlung zeichnen. Im Zuge dessen wird es insbesondere den Anwendungsbereich des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB näher umreißen, dessen Grenzen in Verkennung der Wirkweise einer Nidationsverhütung mal zu weit, mal zu eng gezogen werden. Geht es im zweiten Abschnitt sodann um die Begründung der Tatbestandslosigkeit der Nidationsverhütung, wird die Untersuchung verschiedentlich wieder auf diejenige Trias stoßen, die sie auch schon in den vorangegangenen Kapiteln auf ihrem Weg durch den strafgesetzlichen Ungeborenenschutz begleitet hat: Nach einleitenden Bemerkungen zu einer gar erhöhten Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens in seinen pränidativen Entwicklungsstadien wird sie sich nachfolgend eingehend mit einer möglicherweise eingeschränkten Schutzfähigkeit des Gesetzes und einem gegebenenfalls reduzierten Verhaltensunrecht der die Nidation verhütenden Frau zu befassen haben. Insofern gilt es zu erfragen, ob der Nachweis über die Tatbestandsmerkmale eines vollendeten oder versuchten Schwangerschaftsabbruchs in Sachverhalten der Nidationsverhütung überhaupt erbracht werden könnte oder aber ob diesbezügliche Beweisschwierigkeiten die gesetzliche Schutzfähigkeit tangieren, sodass der Gesetzgeber in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nur solche Sachverhalte vom Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB ausnähme, die ihn sowieso in keinem Einzelfall nachweislich zu erfüllen wüssten. Ein reduziertes Verhaltensunrecht der Schwangeren könnte weiter dafür streiten, 1  Dazu, dass die Tatbestandslosigkeit einer Tötung in den pränidativen Entwicklungsstadien auch persönlich begründet sein könnte, ohne dass sich der Gesetzgeber hierdurch unweigerlich in einen Wertungswiderspruch zur verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese setzte, s. oben Kap. 3, Seite  170–173 [Abschn.  2, E. I. 2.]; zur alternativen Wahl eines naturwissenschaftlich statt grundrechtlich definierten tertium comparationis s. auch sogleich Seite  686 f. [Abschn.  1, C.].

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

dass der Gesetzgeber die Nidationsverhütung auch nicht alternativ zum Gegenstand eines abstrakten Gefährdungsdeliktes und / oder allgemeinen Produkt- und Vertriebsverbots erhoben hat: Ein weiteres Mal schiene das Gesetz auf einen Konflikt der schwangerschaftsunwilligen Frau Rücksicht zu nehmen, der mit der Indikationenlage des § 218a Abs. 2 StGB und der zum Abbruch i. S. d. § 218a Abs. 1 StGB motivierenden Konfliktlage bereits in den vorangehenden Kapiteln seine Erörterung gefunden hat. Indem der Gesetzgeber die Nidationsverhütung für zulässig befindet, ließe er erstmals eine (präventive und / oder antizipierte) Vorsorge eines Konflikts zu, noch bevor die betroffene Frau überhaupt Gewissheit über seine Grundlagen – die Entstehung eines Embryos, der sich nunmehr in ihre Gebärmutterschleimhaut einzunisten sucht – erlangt haben kann. Insofern noch vergleichbar mit den Präventivmaßnahmen im Rahmen des § 34 StGB und der antizipierten Notwehr im Rahmen des § 32 StGB, müsste es jedoch neuerlich verwundern, wie der Gesetzgeber das Verhältnis der kollidierenden Rechtsgüter entschieden wissen will: zugunsten des Interesses der Frau, die ihre selbstbestimmte Lebensplanung und -gestaltung wahren will, und zu Lasten des pränidativen Embryos in vivo, der an seiner lebensnotwendigen Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut gehindert werden darf, ohne dass dies auch nur zum Gegenstand eines tatbestandlichen Vorwurfs gemacht würde. In einer Rechtsordnung, die die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese auf den pränidativen Lebensschutz erstreckte, würfe dies die Frage auf, inwieweit er sich diesbezüglich tatsächlich nur in Rücksichtnahme auf ein reduziertes Verhaltensunrecht der Schwangeren übt oder aber (noch dazu unter Einbeziehung eines „sonstigen Dritten“) doch ein unterschiedliches Erfolgsunrecht normiert.



Abschn. 1: Ungleichbehandlung

673

Abschnitt 1

Ungleichbehandlung: Die Tatbestandslosigkeit nach § 218 Abs. 1 S. 2 StGB und darüber hinaus – Eine Unerheblichkeitserklärung des Gesetzes – „[A]ls handle es sich […] um eine rechtlich irrelevante Alternative zur Empfängnisverhütung“. (BVerfG2)

Zunächst aber gilt es, eine nähere Vorstellung von jener Ungleichbehandlung zu vermitteln, die sich in Relation zum Lebensschutz nachfolgender Entwicklungsstadien in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB und darüber hinaus manifestiert, ebenso wie repetiert werden muss, unter welchen Bedingungen eine solche Ungleichbehandlung geeignet wäre, die postulierte Wertungswiderspruchsfreiheit der Rechtsordnung zu stören. An den Beginn diesbezüglicher Betrachtungen sei der Anwendungsbereich des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB gestellt, dessen sich das Strafgesetz bedient, um klarzustellen, dass Handlungen, die bereits die Einnistung des Embryos in der Gebärmutterschleimhaut verhindern, nicht den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs verwirklichen und in der Folge nicht als Erfolgsdelikt unter die Strafandrohung des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB gestellt sind. Weil der Anwendungsbereich jener Vorschrift in den Gesetzeskommentierungen oftmals zu eng eingegrenzt, an anderer Stelle aber auch zu weit ausgedehnt wird, wird sich die Untersuchung im Folgenden bemühen, die verschiedenen Verhütungsmittel und -methoden zu benennen, deren Tatbestandslosigkeit erst einer Subsumtion unter § 218 Abs. 1 S. 2 StGB entnommen werden kann, und wird sie von solchen abgrenzen, die bereits per se den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs nicht erfüllen. So soll die oftmals unterschätzte, an anderer Stelle aber auch überschätzte Reichweite des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB einer Klärung zugeführt werden und soll von der Ungleichbehandlung, die das pränidative ungeborene Leben in vivo (im Mutterleib) gegenüber späteren Entwicklungsstadien erfährt, ein Bild gezeichnet werden, das ihrem Wesen gerecht wird.

A. Der Anwendungsbereich des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB Während die gesetzlichen Kommentierungen zu § 218 Abs. 1 S. 2 StGB vielfach nur auf die „Pille danach“ und die „Spirale (danach)“ verweisen, 2  BVerfGE

39, 1 (44).

674

Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

mithin allein Mittel der so genannten Notfallverhütung von § 218 Abs. 1 S. 2 StGB erfasst sehen3, wird an anderer Stelle die Behauptung in den Raum gestellt, aus der Regelung in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB ergebe sich, dass alle Methoden und Maßnahmen der Empfängnisverhütung wie der Nidationsverhütung von den § 218 ff. StGB nicht erfasst und mithin strafrechtlich irrelevant seien4. Welche Verhütungsmethoden und -mittel werden von § 218 Abs. 1 S. 2 StGB also erfasst: Nur die Notfallverhütung nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder auch die reguläre Verhütung? Nur Nidationsverhütung oder auch Empfängnisverhütung? I. Begrifflichkeiten Notfallverhütung und reguläre Verhütung unterscheiden sich – wie ihre Bezeichnung bereits anklingen lässt – nach dem Zeitpunkt ihrer Anwendung, welche einerseits nur im Notfall, andererseits regulär erfolgt. So werden Mittel der Notfallverhütung, bei denen es sich namentlich um die „Pille danach“ und die „Spirale danach“ handelt, erst nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingesetzt, um eine ungewünschte Empfängnis zu verhindern oder die Entwicklung eines Embryos wenigstens noch frühzeitig – vor seiner abgeschlossenen Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut – zu unterbrechen. Die Notfallverhütung soll damit auch dann noch zu einem „Schutz vor Schwangerschaft“ verhelfen, wenn die reguläre Verhütung vergessen wurde oder aber ausnahmsweise versagt hat. Im Gegensatz dazu wird die reguläre Verhütung vorausschauend vor dem Geschlechtsverkehr oder auch während des gesamten weiblichen Zyklus angewendet, um die unerwünschte Folge einer Schwangerschaft nach Möglichkeit ausschließen zu können5. Demgegenüber unterscheiden sich Nidationsverhütung und Empfängnisverhütung – und wiederum ist deren Abgrenzung zueinander bereits in ihrer Bezeichnung enthalten – in ihrer Wirkungsweise. Die Empfängnisverhütung nämlich soll bereits die Empfängnis, die Befruchtung einer reifen Eizelle durch ein Spermium und mithin die Entstehung eines Embryos, verhindern. Später setzt die Wirkungsweise einer Nidationsverhütung an, welche nach 3  Siehe etwa Fischer, StGB60, § 218 Rn. 8; so wohl auch Dreier, JZ 2007, 261 (268); Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 193; Henking, Wertungswidersprüche, 180; Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (130); Kutzer, MedR 2002, 24 (25); Middel, PID, 169; Mildenberger, MedR 2002, 293 (294); Rohrer, Menschenwürde, 147; Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (550). 4  So etwa Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 220. 5  Zur begrifflichen Unterscheidung von Notfallverhütung und regulärer Verhütung vgl. exemplarisch den Sprachgebrauch in BZgA, Sichergehn, 70, 71, 72, 88 u. 89; ebenso dies., Pille danach, Vorderseite m. Sp.  1 u. 2; WHO, Fact Sheet Levonorgestrel, pdf-S. 1 u. 2.



Abschn. 1: Ungleichbehandlung

675

bereits erfolgter Befruchtung die Einnistung des entstandenen Embryos in der Gebärmutterschleimhaut verhindern soll. II. Die Wirkungsweisen unterschiedlicher Verhütungsmethoden und -mittel Im herkömmlichen Sprachgebrauch nun werden die Begriffe der Nida­ tionsverhütung und Notfallverhütung häufig synonym verwendet, ebenso die Begriffe der Empfängnisverhütung und regulären Verhütung. Dem liegt ein verbreitetes (Miss‑)Verständnis zugrunde, nach dem eine reguläre Verhütung allein die Befruchtung der Eizelle verhindern soll, während die Notfallverhütung nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr nur noch die Einnistung der bereits befruchteten Eizelle zu verhindern wüsste. Die folgende nähere Betrachtung der Wirkungsweisen unterschiedlicher Verhütungsmethoden und -mittel soll diesem Missverständnis entgegenwirken und einer solchen Subsumtion unter § 218 Abs. 1 S. 2 StGB als Grundlage dienen, die den Anwendungsbereich dieser Vorschrift weder unterschätzt, da zu sehr eingrenzt, noch überschätzt, da zu weit ausdehnt. 1. Die Wirkungsweisen der unterschiedlichen Arten regulärer Verhütung

Es lassen sich zunächst die unterschiedlichen Arten regulärer Verhütung in drei Kategorien einteilen: in die der hormonellen Verhütungsmittel, die der Spirale und die der reinen Empfängnisverhütung. a) Die hormonellen Verhütungsmittel Hormonelle Verhütungsmittel bedienen sich in unterschiedlicher Zusammensetzung der weiblichen Hormone Östrogen und / oder Gestagen, um eine ungewünschte Empfängnis zu verhindern oder die embryonale Entwicklung wenigstens noch in ihren pränidativen Stadien zu beendigen6. Das meistverbreitete Mittel zur Schwangerschaftsverhütung ist zunächst die Antibabypille („Pille“). Antibabypillen enthalten heute das künstliche Östrogen Ethinylestradiol, welches mit unterschiedlichen Typen von Gesta6  Sofern der folgende Überblick zu den hormonellen Verhütungsmitteln eine Schilderung der Wirkungsweise der Hormonspirale außen vor lässt, soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Hormonspirale natürlich auch um ein hormonelles Verhütungsmittel handelt. Auf sie soll aber zwecks besserer Veranschaulichung erst im Anschluss eingegangen werden, wenn die Wirkungsweise der Spirale thematisiert werden wird; s. dazu Seite  677 [b)].

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

genen kombiniert wird7. Über das Zusammenwirken der beiden Hormone Östrogen und Gestagen wird ihr eine vierfache Wirkung zugeschrieben: Zunächst wird bereits eine Hemmung der Reifung von Eizellen und damit eine Verhinderung des Eisprungs angestrebt. Hinzu tritt eine Veränderung des Schleims im Gebärmutterhalskanal, sodass Spermien nicht in die Gebärmutter sollen eindringen können. Die Hemmung der Eizellenreifung und Erzeugung einer Barriere für eindringende Spermien sind also Wirkungsweisen der Empfängnisverhütung, indem sie bereits eine Befruchtung zu verhindern suchen. Schließlich aber sieht man diese beiden Wirkungsweisen für den Fall einer erwartungswidrig erfolgenden Befruchtung noch um eine dritte und vierte ergänzt: um die Beeinflussung der Motilität des die Eizelle befördernden Eileiters sowie den nur ungenügenden Aufbau der Gebärmutterschleimhaut, sodass sich ein Embryo, der ungeachtet der empfängnisverhütenden Vorkehrungen zur Entstehung gelangen sollte, wenigstens nicht würde einnisten können8. Eine der „Pille“ vergleichbare Wirkung weisen – gleichfalls eine Östrogen-Gestagen-Kombination enthaltend – Vaginalring9 und Hormonpflaster10 auf, ebenso – unter Verzicht auf Östrogen, aber über eine erhöhte Menge an Gestagen – die Dreimonatsspritze11. Die „Minipille“ unterscheidet sich von der Antibabypille dadurch, dass sie nur das Hormon Gestagen enthält12. Mit Ausnahme eines neueren Präparates, das das Gestagen „Desogestrel“ enthält, hemmt sie den Eisprung nicht vollständig, sondern nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nur „bei vielen Verwenderinnen“13. Ihre verbleibende Wirkungsweise stimmt mit der der „Pille“ überein: Sie soll einerseits (empfängnisverhütend) den Schleim im Gebärmutterhals verfestigen, sodass eindringenden Spermien die Passage unmöglich gemacht wird, andererseits einen mangelhaften Aufbau der Gebärmutterschleimhaut bedingen, um die Nidation einer gegebenenfalls befruchteten Eizelle zu verhindern14. Eine in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (104). in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (104 f. m. Tab.  7.2); BZgA, Sichergehn, 20; Moore / Persaud, Embryologie5, 558. 9  Siehe BZgA, Sichergehn, 34, die an besagter Stelle jedoch nur empfängnisverhütende Wirkweisen ausdrücklich zitiert; zur Wirkungsweise des Vaginalrings s. ferner Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (114). 10  BZgA, Sichergehn, 36. 11  Dabei ist die Wirkung der Dreimonatsspritze aber wenigstens primär auf die Verhinderung des Eisprungs ausgerichtet; BZgA, Sichergehn, 33. Zur Wirkungsweise der Dreimonatsspritze s. ferner Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (106). 12  Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (106). 13  BZgA, Sichergehn, 23. 14  BZgA, Sichergehn, 23. 7  Breckwoldt, 8  Breckwoldt,



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entsprechende Wirkungsweise wird dem Hormonimplantat zugeschrieben, das unter die Haut an der Innenseite des Oberarmes eingepflanzt wird und von dort kleine Mengen an Gestagen in den Körper abgibt15. b) Die Spirale Innerhalb der regulären Verwendung der Spirale (auch: intrauterines Pessar) muss zwischen dem Einsetzen einer Kupferspirale und dem einer Hormonspirale differenziert werden. Beide – aus Kunststoff bestehenden – Spiralen werden von einem Gynäkologen durch Vagina und Muttermund hindurch dauerhaft in der Gebärmutter platziert. Der Schaft einer Kupferspirale ist nun mit feinem Kupferdraht umwickelt. Durch das Kupfer sollen sich einerseits der Schleim am Muttermund (empfängnisverhütend), andererseits – durch eine leicht entzündliche Reaktion an deren Oberfläche – auch die Gebärmutterschleimhaut (nidationsverhütend) verändern; genau geklärt ist die Wirkungsweise der Kupferspirale jedoch bis heute nicht16. Demgegenüber handelt es sich bei der Hormonspirale um eine mit einem kleinen Hormondepot versehene Spirale, die das Gestagen Levonorgestrel – dessen sich auch „Pille“ und „Pille danach“ bedienen – freisetzt. Zum einen – insofern von empfängnisverhütender Natur – soll diese hormonelle Abgabe den Schleim im Gebärmutterhals verdicken und dadurch für die Spermien undurchlässig machen sowie die Beweglichkeit der Spermien hemmen. Zum anderen soll – entsprechend der Kupferspirale – der Aufbau der Gebärmutterschleimhaut gehemmt und auf diesem Wege die Nidation einer befruchteten Eizelle verhindert werden17. c) Die Mittel reiner Empfängnisverhütung Zu den Mitteln reiner Empfängnisverhütung ohne absichernde nidationsverhütende Wirkung zählen schließlich chemische Mittel wie Schaumzäpfchen oder Gels, die einen zähen Schleim vor dem Muttermund bilden und eindringende Spermien abtöten (so Mittel mit dem Wirkstoff Nonoxinol) oder deren Beweglichkeit hemmen sollen (so Mittel auf Säurebasis wie 15  BZgA,

Sichergehn, 32. in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (103 f.); BZgA, Sichergehn, 29; Henking, Wertungswidersprüche, 180. In Deutschland bis dato noch eher wenig verbreitet ist die sog. Kupferkette, ein der Kupferspirale in ihrer Wirkungsweise verwandtes, aber rahmenloses Intrauterinpessar; s. dazu den Internetauftritt des Herstellers: http: /  / www.verhueten-gynefix.de / (letzter Zugriff: 29.05.2013). 17  Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (104); BZgA, Sichergehn, 31. 16  Breckwoldt,

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Zitronen- oder Milchsäure-Gel)18, weiterhin mechanische Barrieren, die teils unter Kombination mit einem solchen Gel das Zusammentreffen von gereifter Eizelle und Spermien und damit deren Vereinigung im Wege der Befruchtung verhindern sollen. Das meistverwendete Verhütungsmittel dieser Art ist das Kondom; für die Frau gibt es entsprechende Mittel19. Schließlich können zur reinen Empfängnisverhütung auch natürliche Methoden der Familienplanung eingesetzt werden, unter deren Anwendung man (ggf. in Kombination mit technischen Hilfsmitteln) die fruchtbaren Tage im Zyklus der Frau zu ermitteln sucht, d. h. diejenigen Tage, an denen verhütet oder aber Enthaltsamkeit geübt werden muss, um eine Empfängnis zu vermeiden20. Grundsätzlich dauerhafte Unfruchtbarkeit wird durch die Sterilisation, das Abklemmen oder Durchtrennen der Ei- bzw. der Samenleiter, herbeigeführt21. d) Conclusio Zusammengefasst beschränkt sich innerhalb der regulären Verhütungsmittel und -methoden einzig die Wirkung der reinen Empfängnisverhütung –  wie bereits die Bezeichnung verdeutlichen soll – darauf, die Empfängnis bzw. Befruchtung einer Eizelle zu verhindern. Hormonelle Verhütungsmittel und „Spirale“ ergänzen demgegenüber ihre einfach bis zweifach empfängnisverhütende Wirkung um eine nidationsverhütende Wirkung, sodass sich eine erwartungswidrig befruchtete Eizelle nicht in der Gebärmutterschleimhaut würde einnisten können. Insofern wird ihre Wirkungsweise vom herkömmlichen Sprachgebrauch verkannt, wenn die Begriffe der Empfängnisverhütung und regulären Verhütung synonyme Verwendung finden: Denn auch unter Anwendung einer regulären Verhütung richtet sich die Verwenderin – jenseits der vorliegend als „reine Empfängnisverhütung“ bezeichneten Mittel und Maßnahmen – nicht allein gegen die Empfängnis und Ent18  Zur Wirkungsweise der chemischen Methoden s. Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (102); BZgA, Sichergehn, 50. 19  Zur Wirkungsweise des Kondoms s. BZgA, Sichergehn, 24. Entsprechende mechanische Mittel für die Frau sind das Frauenkondom, auch Femidom genannt, und das Diaphragma (Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 [103], sowie BZgA, a. a. O., 28 u. 38), ferner das lea contraceptivum und die FemCap (BZgA, a. a. O., 40 f.). 20  Zur symptothermalen Methode s. Breckwoldt, in: ders. / Kaufmann / Pfleiderer, Gynäkologie5, 101 (102); BZgA, Sichergehn, 42. Zur Zeitwahlmethode nach KnausOgino s. Breckwoldt, a. a. O., 101 (101 f.). 21  BZgA, Sichergehn, 52. Dabei besteht heute mit vergleichsweise guten Erfolgsaussichten die Möglichkeit einer sog. Refertilisierung, d. h. einer operativen Verbindung der durchtrennten Samen- bzw. Eileiter mit dem Ergebnis wiederhergestellter Furchtbarkeit; ebda.



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stehung neuen Lebens, sondern wenigstens hilfsweise auch gegen die Einnistung eines solchen Lebens in ihrer Gebärmutterschleimhaut. 2. Die Wirkungsweisen der unterschiedlichen Arten der Notfallverhütung

So unterscheidet sich die reguläre Verhütung also mehr nach dem Zeitpunkt ihrer Anwendung als nach ihrer Wirkungsweise von der sog. Notfallverhütung, die erst nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr – statt vorausschauend vor oder während eines Verkehrs – zum Einsatz gebracht wird, die sich nach dem Inhalt einschlägiger Informationsmaterialien und Lehrbücher der Humanembryologie aber gleichermaßen gegen eine noch ausstehende Empfängnis wie hilfsweise auch gegen die Einnistungsversuche eines Embryos richtet. Als eine solche Notfallverhütung kommt die „Spirale danach“ ebenso zur Anwendung wie die „Pille danach“. Als „Spirale danach“ bezeichnet man das Einsetzen einer auch als reguläres Verhütungsmittel zur Verwendung kommenden Kupferspirale bis zu fünf Tage nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr22, deren vermutete Wirkungsweise vorliegend bereits mit einer empfängnisverhütenden Veränderung des Schleims am Muttermund wie auch mit einer nidationsverhütenden Entzündung an der Gebärmutterschleimhaut identifiziert worden ist23. Bis Oktober 2009 bot die „Spirale danach“ in Deutschland damit die einzige Möglichkeit, die Befruchtung oder Einnistung einer Eizelle auch dann noch zu verhindern, wenn die Anwendung einer „Pille danach“ nicht mehr in Frage kam. Denn bis dato wurden auf dem deutschen Markt nur solche Pillenpräparate vertrieben, die sich bis zu 72 Stunden nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr als Notfallverhütung eignen, vornehmlich solche, die eine relativ niedrige Dosis eines Gestagen-Analogons – Levonorgestrel, das auch Wirkstoff von Antibabypillen ist – enthalten. Erst seit Oktober 2009 ist nun auch eine solche „Pille danach“ auf dem Markt, die sich des – die Wirkung des Geschlechtshormons Progesteron hemmenden  – Wirkstoffs Ulipristalacetat bedient und noch bis zu fünf Tage bzw. 120 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr zur Anwendung gebracht werden kann24. Unabhängig von der Spannbreite ihres Anwendungsfensters sollen beide Arten der „Pille danach“ zunächst wiederum ovarielle Funktionen stören, namentlich den Eisprung unterdrücken oder verzögern. Hinzu tritt allgemein der Hinweis auf eine auch nidationsverhütende Wirkung, die zwar noch des abschließenden wissenschaftlichen Nachweises 22  BZgA, Sichergehn, 72. Nicht zur Nachverhütung nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr eignet sich die Hormonspirale; ebda. 23  Siehe oben Seite  677 [1. b)]. 24  BZgA, Sichergehn, 70.

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harrt25, augenscheinlich aber vermutet bis hin zu unterstellt wird, rechtfertigt doch erst eine solche Unterstellung oder wenigstens Vermutung ihre Publikation in einschlägigen Informationsmaterialien wie auch in Lehrbüchern der Humanembryologie26: Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf mögliche Beeinträchtigungen der Motilität des die Eizelle befördernden Eileiters, der Funktion des Östrogen und Progesteron produzierenden Gelbkörpers (Corpus luteum) und der in Vorbereitung auf eine mögliche Schwangerschaft erfolgenden Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut (des Endometriums)27. Ausgehend hiervon würde der Antibabypille und „Pille danach“ übereinstimmend eine jedenfalls empfängnis- und gegebenenfalls auch nidationsverhütende Wirkungsweise zugeschrieben. Dass gleichwohl nur die Antibabypille zur regulären Verhütung eingesetzt wird, während die „Pille danach“ allein der Verhütung nach einem ungeschützten Geschlechtsverkehr dient („Notfallverhütung“), geht auf medizinische Gründe zurück: So ist die Sicherheit der „Pille danach“ nicht mit der der Antibabypille zu vergleichen und können bei ihrer Einnahme vermehrt Nebenwirkungen, insbesondere ausgeprägte Blutungsstörungen, auftreten28. Jene potenziell nidationsverhütende Wirkung der Notfallverhütung ist es auch, die erst kürzlich, Anfang des Jahres 2013, Anlass zu einer medienwirksamen Aufregung gegeben hat, als bekannt wurde, wie es zwei Kölner Krankenhäuser in der Hand eines katholischen Trägers abgelehnt hatten, an dem bei ihm vorstellig werdenden Opfer einer Vergewaltigung eine gynäkologische Untersuchung zur Spurensicherung vorzunehmen, insbesondere aber das Rezept für die in Deutschland verschreibungspflichtige „Pille danach“ auszustellen29. Die diesbezügliche Aufregung muss, bezogen auf die Rezeptierung30, insofern überraschen, als sich hier nur eine voraussehbare 25  Darauf hinweisend etwa BZgA, Pille danach, Vorderseite m. Sp. 2; Henking, Wertungswidersprüche, 181; zu den Ergebnissen verschiedener einschlägiger Studien s. Trussell, Contraception 2006, 87 (87); ders. / Raymond, Emergency Contraception, 5–7. 26  Vgl. BZgA, Pille danach, Vorderseite m. Sp. 2; s. überdies Henking, Wertungswidersprüche, 181. 27  BZgA, Sichergehn, 70; dies., Pille danach, Vorderseite m. Sp.  2; Moore / Persaud, Embryologie5, 63, 65 u. 558; Rella, Imago Hominis 2000, 254 (254 f.); WHO, Fact sheet Levonorgestrel, pdf-S. 1. 28  BZgA, Sichergehn, 71; WHO, Fact sheet Levonorgestrel, pdf-S. 2. 29  Siehe dazu (auch stellv. für andere) die Darstellung in Süddeutsche.de v. 17.01.2013, Katholische Kliniken. 30  Abweichend muss man dies für die (ebenfalls verweigerte) gynäkologische Untersuchung und Spurensicherung beurteilen, durch deren Vornahme das Krankenhaus keinen Kausalbeitrag zu einer nachfolgenden Tötungshandlung geleistet hätte, wohl aber dem fraglichen Vergewaltigungsopfer eine weitere belastende Verzögerung der notwendigen Maßnahmen erspart hätte.



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Parallele zur heutigen Positionierung der katholischen Kirche in der Konfliktberatung offenbarte, die die vorliegende Untersuchung bereits in ihrem sechsten Kapitel beschäftigt hat31: Denn so wie die Kirche die Ausstellung eines Beratungsscheins mit dem Argument ablehnt, dadurch Hilfe zu einer missbilligten Tötungshandlung zu leisten, muss sie gleichermaßen befürchten, mit der Rezeptierung einer Notfallverhütung einen Kausalbeitrag zu einer beabsichtigten und direkten32 Vernichtung bereits entstandenen menschlichen Lebens zu leisten, wodurch sie sich in Widerstreit zur eigenen Lehre setzte. Dabei ginge es sicherlich zu weit, wenn man gleich dem Sprecher des Erzbistums Köln von einer „abtreibenden Wirkung“ der „Pille danach“ spräche33: Denn erwiesenermaßen hat die „Pille danach“ keine Wirkung nach Abschluss der Nidation einer befruchteten Eizelle in der Gebärmutterschleimhaut, d. h. nach demjenigen Ereignis, dessen Vollzug § 218 Abs. 1 S. 2 StGB für einen tatbestandsmäßigen Schwangerschaftsabbruch voraussetzt. Damit stellt sie innerhalb des aktuellen Strafgesetzes keine Form des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs dar, dessen Vornahme den Vorschriften der §§ 218 ff. StGB unterworfen ist, und muss als solche von der Abtreibungspille „Mifegyne“ (auch: „RU 486“) unterschieden werden34. Gleichwohl: es bleibt eine strafgesetzliche Unterscheidung. Für die katholische Lehre, die das menschliche Leben umfassend bereits ab seiner Empfängnis geschützt sehen will, ist die Nidation hingegen kein Anlass, um eine dem § 218 Abs. 1 S. 2 StGB entsprechende Zäsur zu formulieren. Eine beabsichtigte nidationsverhindernde Wirkung muss sie stattdessen für ähnlich verwerflich befinden wie eine abortive Zielsetzung35. Umso mehr muss nun der jüngste „Kurswechsel“36 der Deutschen Bischofskonferenz – dem eine entsprechende Erklärung von Joachim Kardinal Meisner vorangegangen war37, überraschen: Begründet mit vermeintlich abweichenden Wirkungsweisen neuerer Präparate, soll die Verschreibung der „Pille danach“ in Reaktion auf sexuelle Übergriffe nunmehr doch die Billigung der katholischen Kirche erfahren, soweit das jeweils verschriebene 31  Siehe

dazu oben Kap. 6, Seite  621 f. [Abschn.  2, B. I. 5.]. Diff. der römisch-katholischen Lehre nach beabsichtigten und unbeabsichtigten, direkten und indirekten Tötungen s. die Ausführungen von Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 73 m. Fn. 209 u. weiteren Nw. 33  Siehe dazu Süddeutsche.de v. 17.01.2013, Katholische Kliniken. 34  BZgA, Sichergehn, 70; Moore / Persaud, Embryologie5, 63, 65 u. 558; WHO, Fact sheet Levonorgestrel, pdf‑S. 1. 35  Vgl. die Verlautbarung der Kongregation für die Glaubenslehre im Jahre 2008; zsfd. Deckers, Gretchenfrage, Faz.net v. 05.02.2013; vgl. in diesem Zusammenhang auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 73. 36  Begriff entnommen dem Titel eines einschlägigen Beitrags auf Süddeutsche.de v. 21.02.2013, Kurswechsel. 37  Siehe dazu Deckers, Gretchenfrage, Faz.net v. 05.02.2013. 32  Zur

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Präparat nachweislich nur die Empfängnis, nicht aber die Nidation verhindert und mithin kein bereits entstandenes menschliches Leben gefährdet38. Dem kundigen Betrachter erschließt sich dabei schwerlich, welcher Art solche Präparate sein sollten: Sowohl für den von Meisner zitierten39 Wirkstoff Levonorgestrel als auch für den in diesem Zusammenhang von Süddeutsche.de bemühten Wirkstoff Ulipristalacetat40 findet sich in einschlägigen Informationsmaterialien fortwährend der Hinweis auf eine mögliche nidationsverhütende Wirkung41; teils reicht der Hinweis gar so weit, dass man hierdurch „wahrscheinlich auch den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut“ störe42. Hierüber scheinen sich nunmehr augenscheinlich nicht nur Teile der Presse hinwegzusetzen, wenn sie die potenziell nidationsverhütende Wirkung der „Pille danach“ mit einer erstaunlich anmutenden Gewissheit ausdrücklich verneinen43, sondern auch die katholische Kirche scheint zur selektiven Wahrnehmung44 einer nur empfängnis- statt auch nidationsverhütenden Wirkungsweise bereit zu sein, ermöglicht sie ihr gegenüber missbrauchten Frauen doch die gesellschaftlich gewünschte Hilfeleistung, ohne die Grundlagen der eigenen Lehre (die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens ab seiner Empfängnis) in Frage stellen zu müssen. III. Die Subsumtion der Wirkungsweisen unter § 218 Abs. 1 S. 1 und S. 2 StGB Geht aus den dergestalt näher beschriebenen Wirkungsweisen unterschiedlicher Verhütungsmethoden und -mittel mithin wenigstens die potenziell auch nidationsverhindernde Wirkung der Notfallverhütung wie der meisten regulären Verhütungsmittel hervor, so sind damit die Grundlagen geschaffen, um den Anwendungsbereich des vorliegend interessierenden 38  So die Erklärung Meisners u. im Anschluss hieran ebenso Zollitsch, Pressemitteilung Nr. 38 v. 21.02.2013, 9; zsfd. dazu Deckers, Gretchenfrage, Faz.net v. 05.02.2013; Süddeutsche.de v. 21.02.2013, Kurswechsel. 39  Darauf hinweisend Deckers, Gretchenfrage, Faz.net v. 05.02.2013. 40  Siehe dazu Süddeutsche.de v. 21.02.2013, Kurswechsel. 41  BZgA, Sichergehn, 70; dies., Pille danach, Vorderseite m. Sp.  1; darauf ebenfalls hinweisend Deckers, Gretchenfrage, Faz.net v. 05.02.2013. 42  BZgA, Sichergehn, 70 (für den Wirkstoff Ulipristalacetat); ähnl. Knott, Notfallverhütung (für Levonorgestrel). 43  Vgl. stellv. etwa Spiegel-Online v. 25.01.2013, Kirchendebatte. 44  Auf eine ähnl. selektive Wahrnehmung des Adressaten im positiv-generalpräventiv motivierten Lernprozess hat vorliegende Untersuchung in ihrem Kap. 3 bereits hingewiesen; s. ebda., Seite  240–243 [Abschn.  3, D. II. 1. b)] m. w. N. in Fn. 393. Ebenso wird sie in ihrem weiteren Verlauf noch auf verwandte Neutralisierungstechniken eingehen; dazu im Anschluss Kap. 8, Seite  775–782 [Abschn.  1, B. II. 2.].



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§ 218 Abs. 1 S. 2 StGB zu bestimmen, der bestimmt, dass „Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, […] nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes [gelten]“. 1. Reine Empfängnisverhütung: Tatbestandslos per se

Definiert man Empfängnisverhütung zunächst als diejenige Art der Verhütung, die ausschließlich der Befruchtung einer Eizelle und damit bereits der Entstehung eines Embryos entgegenwirkt, bedarf es keiner Subsumtion unter § 218 Abs. 1 S. 2 StGB, um ihre Anwendung für tatbestandslos zu befinden. Denn dass eine so verstandene Empfängnisverhütung den in § 218 Abs. 1 S. 1 StGB normierten Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs nicht verwirklichen kann, ergibt sich bereits daraus, dass der Schwangerschaftsabbruch – gleich den in den §§ 223 ff. StGB und den §§ 211 ff. StGB geregelten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten – ein Zustandsdelikt ist, das nur das zum Zeitpunkt der Einwirkung bereits vorhandene, nicht aber das erst in seiner Entstehung befindliche Rechtsgut schützt45. Ausdrücklich festgehalten hat das für die §§ 211 ff. StGB etwa der dritte Senat des BGH im so genannten Buscopan-Urteil anlässlich der Frage, ob eine pränatale Einwirkung mit postnatalem Verletzungserfolg den Tatbestand eines (fahrlässigen) Tötungsdeliktes erfüllen kann: Den Tatbestand der (fahrlässigen) Tötung verwirklicht demnach nur derjenige Täter, der auf einen bereits existenten „Menschen“ (im Sinne des Strafgesetzbuchs) tötend einwirkt – nicht derjenige, der durch seine pränatale Einwirkung einen noch gar nicht existenten „Menschen“ an seiner Entstehung nur hindert46. Ebenso kann den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs nur diejenige Frau verwirklichen, die ein bereits existentes ungeborenes Leben vorsätzlich tötet – nicht aber diejenige, die nur die Befruchtung einer Eizelle abwendet und mithin nur ein noch gar nicht existentes ungeborenes Leben an seiner Entstehung hindert. Eine (reine) Empfängnisverhütung richtet sich also nicht gegen das von den §§ 218 ff. StGB geschützte Rechtsgut des ungeborenen Lebens und kann für sich beanspruchen, bereits per se tatbestandslos zu sein. 45  Zum Rechtsgut von Zustandsdelikten s. Hirsch, JR 1985, 335 (337); Hülsmann, Mehrlinge, 139. 46  BGHSt 31, 348 (352); s. dazu Hirsch, JR 1985, 335 (337); Lüttger, NStZ 1983, 481 (483); so auch in der Folge das OLG Karlsruhe NStZ 1985, 314 (315); OLG Bamberg NJW 1988, 2963 (2964); BGH ZfL 2008, 20 (21) = NStZ 2008, 393 (394 m. Rz. 12–14); BVerfG NJW 1988, 2945 (2945); s. dazu Hülsmann, Mehr­linge, 135. Dem Buscopan-Urteil hat vorliegende Untersuchung bereits die für den Geburtsbeginn maßgebliche Wehenart entnommen; s. dazu oben Kap. 4, Seite  284 f. [Abschn.  3, A. II. 2. a)].

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

Nach obigen Ausführungen zur Wirkungsweise der unterschiedlichen Verhütungsmittel und -methoden ist damit allein die als „reine Empfängnisverhütung“ bezeichnete Kategorie der regulären Verhütungsmittel per se und nicht erst kraft gesetzlicher Anordnung in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB tatbestandslos. Zur Erinnerung: Dazu zählen chemische Mittel wie Schaumzäpfchen oder Gels, Kondome (und entsprechende durch die Frau anzuwendende mechanische Barrieren, die ein Zusammentreffen von Ei- und Samenzelle verhindern sollen), die Berechnung der fruchtbaren Tage im Zyklus der Frau sowie die Sterilisation. Demgegenüber reicht die Wirkung hormoneller Verhütungsmittel und der Spirale über eine bloße Empfängnisverhütung hinaus, sodass ihre Anwendung als solche nicht bereits per se tatbestandslos ist. 2. Auch nidationsverhütende Mittel: Tatbestandslos gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 StGB

Gleichwohl im herkömmlichen Sprachgebrauch gerne und irreführend als Empfängnisverhütungsmittel bezeichnet, wird hormonellen Verhütungsmitteln und der Spirale als Teil der regulären Verhütung nämlich ebenso eine nidationsverhütende Wirkung zugeschrieben wie der „Pille danach“ und „Spirale danach“ als Teil der Notfallverhütung. Weil durch ihre Anwendung auch die Einnistung eines möglicherweise zur Entstehung gelangenden entstandenen Embryos verhindert werden soll und sich so eine potenzielle Tötung ungeborenen pränidativen Lebens verwirklicht, scheidet es nicht von vornherein („per se“) aus, die Nidationsverhütung als tatbestandsmäßigen Schwangerschaftsabbruch zu begreifen, ebenso wie nicht per se ausgeschlossen ist, dass das ärztliche Verschreiben dieser rezeptpflichtigen Mittel eine Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch darstellen könnte. Es sind jene auch nidationsverhütenden Mittel, auf die sich der Anwendungsbereich des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB erstreckt – und dies ungeachtet dessen, ob sie regulär oder nur „im Notfall“ Verwendung finden. Noch bevor man eine Subsumtion unter den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs versucht, stellt § 218 Abs. 1 S. 2 StGB für diese Mittel fest, dass sie nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne des Gesetzes gelten und mithin eine Strafbarkeit gemäß § 218 Abs. 1 StGB von vornherein ausscheidet. Während § 218a Abs. 1 StGB also noch das Abbruchsverlangen der Schwangeren zur zentralen Voraussetzung seines Tatbestandsausschlusses erhoben und der Schwangeren eine „Unerheblichkeitserklärung“ überantwortet hat, spricht das Strafgesetzbuch jene Erklärung für die Nidationsverhütung in § 218 Abs. 1 S. 2 selbst aus: Deren Anwendung ist nicht erst kraft des Willens der jeweiligen Frau, sondern bereits kraft des gesetzlichen



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Willens unerheblich47. Zugleich erfährt die in Tötungsabsicht unternommene Verhinderung der Einnistung eines pränidativen Embryos in vivo eine strafgesetzliche Gleichstellung mit der Verhinderung seiner Entstehung im Wege der Empfängnis: Beide sind gleichermaßen unerheblich. Insofern harmoniert das Strafgesetz mit der „weiten Verbreitung und langen Tradi­ tion“ nidationsverhütender Mittel, ebenso mit der damit verbundenen Einschätzung, dass „der juristische und medizinische Laie den biologischen, ethischen und rechtlichen Unterschied zwischen Empfängnis- und Nida­ tionsverhütung vermutlich oft nicht sieht“48.

B. Der begleitende Verzicht auf abstraktes Gefährdungsdelikt, Produkt- und Vertriebsverbot Die beschriebene strafgesetzliche Gleichstellung von Nidations- und Empfängnisverhütung findet an der Stelle ihre Fortsetzung, an der der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, die Nidationsverhütung wenn schon nicht als Erfolgsdelikt (als tatbestandsmäßigen Schwangerschaftsabbruch), so doch wenigstens als abstraktes Gefährdungsdelikt unter Strafandrohung zu verbieten. Denn Strafgrund eines solchen abstrakten Gefährdungsdelikts ist bereits die generelle Gefährlichkeit einer Verhaltensweise für ein zu schützendes Rechtsgut. Dass die Anwendung nidationsverhütender Mittel für pränidatives Leben (wenigstens) eine solche abstrakte Gefahrenlage schafft, dürfte nun außer Zweifel stehen: wenigstens in einer bestimmten Anzahl der Fälle wird durch ihre Wirkungsweise eine bereits befruchtete Eizelle an der Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut gehindert und mithin ein pränidativer Embryo zu Tode gebracht49. Gleichwohl hat der Gesetzgeber nicht nur auf die Normierung eines abstrakten Gefährdungstatbestandes der Nidationsverhütung verzichtet, sondern auch auf diejenige eines Produkt- und Vertriebsverbots, das seinerzeit für die „Pille danach“ nur diskutiert wurde, aber keine Umsetzung fand50. 47  Diesen qualitativen Unterschied zwischen § 218 Abs. 1 S. 2 StGB und dem in § 218a Abs. 1 StGB normierten Tatbestandsausschluss verkennt hingegen Seibel, Probleme, 45. 48  Vorstehende Zitate aus Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (149). 49  Zutreffend die diesbzgl. Feststellung von Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 107; anders – u. a. unter Hinweis auf den fehlenden abschließenden Nachweis über die nidationsverhütende Wirkungsweise einschlägiger Verhütungsmittel (zur Kupferspirale s. oben Seite  677 [A. II. 1. b)]; zur Pille danach s. oben Seite  679–682 [A. II. 2.]) – augenscheinlich Henking, Wertungswidersprüche, 197. 50  Zur Diskussion eines Produkt- und Vertriebsverbots der „Pille danach“ s. Dreier, JZ 2007, 261 (268); ders., ZRP 2002, 377 (379); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 555. Vgl. auch für den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

Im Gegenteil ist in neuerer Zeit verschiedentlich sogar – wenn auch bis dato vergeblich51 und gegen den Widerstand des Bundesverbands der Frauenärzte (BVF) wie auch der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) – eine Änderung des Arzneimittelgesetzes diskutiert worden, um die sich des Wirkstoffs Levonorgestrel bedienende „Pille danach“ frei zugänglich zu machen52. Nachdem die aktuelle Rechtsordnung also (noch) nur darauf verzichtet, die Nidationsverhütung durch entsprechende Strafandrohungen oder anderweitige Verbotstatbestände zu unterbinden, mehren sich in der „Rechtswirklichkeit“ solche Stimmen, die deren Verbreitung durch eine Befreiung von der Rezeptpflicht weiter fördern wollen.

C. Die Ungleichbehandlung gegenüber dem postnidativen ungeborenen Leben Zurück aber zur aktuellen Rechtsordnung: Wie vermag der Gesetzgeber nun seine Entscheidung, (potenzielle) Tötungen des ungeborenen Lebens in seinen pränidativen Entwicklungsstadien vollumfänglich für unerheblich zu erklären, zu begründen? In Beantwortung dieser Fragestellung bieten sich in Anknüpfung an die im zweiten Abschnitt des dritten Kapitels erzielten Ergebnisse zwei Begründungswege an: Demnach konfrontieren Sachverhalte der Nidationsverhütung die vorliegende Untersuchung erstmals mit einer Gefährdung solcher Entwicklungsstadien ungeborenen Lebens, für die es an einem verfassungsrechtlich bzw. verfassungsgerichtlich vorgegebenen tertium comparationis mangelt. Die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG haben es insofern der gesetzgeberischen Entscheidung überlassen, seiner wertungswiderspruchsfreien, den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG genügenden Konkretisierung des das Verbot eines Inverkehrbringens von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft in § 219b StGB. 51  Zur diesbzgl. Entscheidung des Gesundheitsausschusses des Dt. Bundestages s. tagesschau.de v. 15.05.2013, „Pille danach“. 52  Für eine diesbezügliche Befreiung von der Rezeptpflicht bereits im Juli 2003: das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM); gleichermaßen dafür votierend: pro familia und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA); s. dazu etwa FPZ-Berlin / pro familia-Berlin / MUVS-Wien, Stellungnahme Notfallkontrazeption, pdf-S. 1; Kuhlmann, Dt. ÄrzteBl. 2004, A-377; pro familia, Pannenhilfe nach 6. Auf Initiative der Gesundheitsbehörde des Landes Bremen hin ist erst 2012 wieder ein entsprechender Antrag auf einem Treffen aller Landesministerien beraten worden; s. dazu Kuhrt, „Pille danach“, Spiegel-Online v. 29.03.12. Aktuell prüft die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) die Entlassung des nidationsverhütenden Wirkstoffs Ulipristalacetat aus der Verschreibungspflicht; s. Hohle, PZ 2014.



Abschn. 1: Ungleichbehandlung

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pränidativen Ungeborenenschutzes einen grundrechtlich oder naturwissenschaftlich definierten Oberbegriff als tertium comparationis zugrunde zu legen53. Die Ungleichbehandlung, die der pränidative Embryo in vivo durch § 218 Abs. 1 S. 2 StGB – wie auch durch den begleitenden Verzicht auf die Normierung eines abstrakten Gefährdungsdelikts, Produkt- und Vertriebsverbots – gegenüber dem postnidativen ungeborenen Leben erfährt, wüsste man dabei für den Fall, dass der Gesetzgeber nur ein naturwissenschaftlich statt grundrechtlich definiertes tertium comparationis wählte, bereits mit einer fehlenden wesentlichen Gleichheit des pränidativen Embryos zu späteren, am grundrechtlichen Gehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG teilhabenden Entwicklungsstadien menschlichen Lebens zu erklären54. Anders wäre sie dann zu beurteilen, wenn man dem Verzicht auf ein Verbot der Nidationsverhütung eine alternative Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde legen wollte, die verfassungsgerichtliche These von der Gleichwertigkeit aller menschlichen Individuen auch auf die pränidative Lebensphase zu erstrecken: Insofern bezöge der Gesetzgeber Stellung, dass er das pränidative ungeborene Leben als gleichwertig zum postnidativen ungeborenen Leben wie zum geborenen Leben anerkannte, sodass es gleichermaßen am objektiven Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und des Art. 1 Abs. 1 GG teilhätte55. Soweit der Gesetzgeber gleichwohl auf ein Verbot der Nidationsverhütung verzichtete, müsste er dies sachlich statt persönlich begründen können: Denn gleichwohl pränidatives und postnidatives ungeborenes Leben insoweit demselben grundrechtlichen Oberbegriff unterstellt sein sollten, manifestiert sich in der Rechtsordnung für die Nidationsverhütung doch der Eindruck, dass sie „eine rechtlich irrelevante Alternative zur Empfängnisverhütung“ sei – ein Eindruck, den das BVerfG für die Tötung postnidativer Entwicklungsstadien noch ausdrücklich hatte ausgeschlossen wissen wollen56.

53  Siehe dazu eingehend oben Kap. 2, Seite  105–111 [Abschn.  1, B. I. 4.] u. 116 f. [Abschn.  1, B. II. 3.]; im Anschluss hieran Kap. 3, Seite  170 [Abschn.  2, E. I. 2. a)] u. Kap. 4, Seite  253 f. [Abschn.  1, B.]. 54  Zur Wahl eines naturwissenschaftlich definierten tertium comparationis für den pränidativen Ungeborenenschutz s. oben Kap. 3, Seite  171 f. [Abschn.  2, E. I. 2. c)], u. im Anschluss hieran Kap. 4, Seite  255 f. [Abschn.  1, C.]. 55  Zur Wahl eines grundrechtlich definierten tertium comparationis für den pränidativen Ungeborenenschutz s.  oben Kap. 3, Seite  170 [Abschn.  2, E. I. 2. b)], u. im Anschluss hieran Kap. 4, Seite  253 f. [Abschn.  1, B.]. 56  Vgl. BVerfGE 39, 1 (44).

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

Abschnitt 2

Sachliche Begründung: Die Spezifika der pränidativen symbiotischen Beziehung – Diesseits und jenseits des Erfolgsdelikts – „Die im Dunkeln sieht man nicht“. (Bertolt Brecht57)

Ob jenem Unterfangen einer sachlichen statt persönlichen Begründung des Verzichts auf ein Verbot der Nidationsverhütung Erfolg beschieden wäre oder aber die Rechtsordnung sich diesbezüglich dem Vorwurf eines gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG verstoßenden Wertungswiderspruchs aussetzte, soll nun Gegenstand des zweiten Abschnitts dieses Kapitels sein. Auf der Suche nach einer solchen sachlichen Begründung stößt man dabei zunächst auch in den pränidativen Entwicklungsstadien auf eine sym­ biotische Beziehung des ungeborenen Lebens zu derjenigen Frau, die es empfangen hat. Anders als in seinen postnidativen Entwicklungsstadien ist das ungeborene Leben zu jenem frühen Zeitpunkt seiner Entwicklung mit dem mütterlichen Körper zwar noch nicht in dem Sinne „verbunden“, dass es sich in dessen Gebärmutterschleimhaut – dem regulären Ort seiner Fortentwicklung – abschließend implantiert hätte. Auch seiner pränidativen symbiotischen Beziehung sind – wie der postnidativen symbiotischen Verbindung – aber Besonderheiten eigen, die mit der Trias von Schutzbedürftigkeit, Schutzfähigkeit und Verhaltensunrecht Grundvoraussetzungen eines jeden strafgesetzlichen Schutzes tangieren und denen man insofern auch die Eignung zuschreiben könnte, Ungleichbehandlungen innerhalb des Lebensschutzes zu rechtfertigen.

A. Die pränidative Schutzbedürftigkeit des Embryos in vivo Was zunächst seine Schutzbedürftigkeit betrifft, hat der Embryo in vivo auch in seinen pränidativen Entwicklungsstadien – in denen er bereits in den mütterlichen Körper eingegliedert, wenn auch noch nicht fest mit ihm verbunden ist – bereits an einer „unmittelbare[n]“58 oder „natürlichen Obhut des mütterlichen Organismus“59 teil. Jene kann ihn – wie bereits in Kapitel  4 der vorliegenden Untersuchung anlässlich einer Erörterung der Zäsur 57  Brecht,

Die Dreigroschenoper, 109. die Formulierung der BuReg (§ 77 BVerfGG) im Vorfeld der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung; BVerfGE 39, 1 (25). 59  Begriff aus Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (146). 58  So



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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strafgesetzlicher „Menschwerdung“ hervorgehoben worden ist60 – begriffsnotwendig aber nur vor Angriffen Dritter schützen, die sich gegen den Willen der betroffenen Frau vollziehen. Schutzlos stellte man den Embryo hingegen gegenüber einer Nidationsverhütung, die regelmäßig die Frau selbst oder ein Dritter mit ihrem Willen zur Anwendung bringt. Mehr noch stellt man ihn – wollte man sich mit der mütterlichen Obhut begnügen – gar gegenüber derjenigen Täterin schutzlos, von der für ihn ob seiner symbiotischen Eingliederung in ihren Körper ein gesteigertes Gefahrenpotenzial ausgeht: Sofern seine Mutter seinen Tod anstrebte, hätte sie zur Herbeiführung des Todeserfolges nur auf ihren eigenen Körper einzuwirken, ohne eine Gegenwehr des „inkorporierten“ Opfers erwarten zu müssen. Das embryonale Schutzbedürfnis ist insofern also erhöht statt verringert. So wie man nun hätte erwarten können, dass der Gesetzgeber seine Strafandrohung für vorsätzliche Tötungen des ungeborenen Lebens nicht reduziert, sondern vielmehr erhöht, seinen Schutz vor Integritätsverletzungen und fahrlässiger Tötung nicht zurücknimmt, sondern durchzusetzen sucht, so wäre auch zu erwarten, dass sich ein der Gleichwertigkeitsthese verpflichteter Gesetzgeber schützend vor das durch die Nidationsverhütung bedrohte pränidative ungeborene Leben stellte, anstatt dass er dessen Existenz dem Willen der jeweiligen Frau überantwortete, die es empfangen hat. Denn eine der Gleichwertigkeitsthese folgende Rechtsordnung sähe sich angehalten, seine „Hilflosigkeit“ wie auch sein daraus erwachsendes Schutzdefizit zu kompensieren, indem sie Vorschriften erließe, die zur Achtung seiner gefährdeten Rechtsgüter verpflichteten61.

B. Die gesetzliche Schutzfähigkeit: Verhinderte Beweisführung über Erfolgsund Gefahreneintritt Dass der Gesetzgeber auf diese erhöhte Schutzbedürftigkeit des pränidativen ungeborenen Lebens gleichwohl mit einer Vorschrift, wie in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB festgehalten, reagiert, den pränidativen Embryo in vivo ungeachtet seines dargelegten Schutzbedürfnisses also – zunächst für den Bereich der Erfolgsdelikte – schutzlos stellt, könnte eine der Gleichwertigkeitsthese folgende Rechtsordnung nun mit einer diesbezüglich reduzierten Schutzfähigkeit des Strafgesetzes erklären wollen: Gleichwohl der Strafge60  Zur erhöhten Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens in seiner symbiotischen Beziehung bzw. Verbindung mit seiner Mutter s. die näheren Ausführungen in Kap. 4, Seite  291 f. [Abschn.  3, B. I. 1.]. Vgl. außerdem die Ausführungen zur Notwendigkeit eines eigenständigen Grundrechtsschutzes des ungeborenen Lebens in Kap. 2, Seite  118 [Abschn.  1, C. I.]. 61  Näher zum Vorstehenden s. Kap. 4, Seite  291 f. [Abschn.  3, B. I. 1.].

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

setzgeber den pränidativen Embryo in vivo für schutzbedürftig anerkannte, sähe er sich nicht in der Lage, ihm zu dem ihm gebührenden Schutz zu verhelfen, weshalb er in der Folge auf entsprechende normative Maßnahmen verzichtete. In diesem Sinne argumentiert die Rechtsliteratur, soweit sie zur sachlichen Begründung der Ungleichbehandlung, die das pränidative ungeborene Leben in vivo gegenüber dem postnidativen ungeborenen Leben erfährt, Beweisschwierigkeiten anführt62. Denn könnte der Nachweis über die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB in Sachverhalten der Nidationsverhütung nicht erbracht werden, nähme die eine Tatbestandsmäßigkeit der Nidationsverhütung verneinende Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nur dasjenige Ergebnis abstrakt-generell vorweg, das bereits eine Subsumtion unter den Tatbestand des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB für jeden Einzelfall erwarten ließe. In ihrer nur deklaratorischen Funktion wäre sie bereits sachlich begründet und nähme die Nidationsverhütung nicht etwa rechtsgestaltend – in Abweichung vom Ergebnis einer Subsumtion unter die §§ 218 ff. StGB – vom Anwendungsbereich der Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch aus. Dies soll nun die Fragestellung sein, der die nachfolgenden Ausführungen nachgehen werden: Nimmt § 218 Abs. 1 S. 2 StGB die Nidationsverhütung nur deklaratorisch vom Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB aus oder verneint die Vorschrift deren diesbezügliche Tatbestandsmäßigkeit rechtsgestaltend? Um eine Antwort formulieren zu können, soll die Verwendung nidationsverhütender Mittel im Folgenden unter die gesetzlichen Vorschriften des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB (für den vollendeten Schwangerschaftsabbruch) bzw. der §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB (für den versuchten Schwangerschaftsabbruch) subsumiert werden – unter der hypothetischen Prämisse, dass § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nicht existierte: Inwiefern könnte die Anwendung einer Nidationsverhütung als Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich verfolgt werden, würde sie durch § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nicht bereits ausdrücklich vom Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB ausgenommen?

62  Vgl. Böckenförde-Wunderlich, PID, 187; Giwer, PID, 68; Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 50 f.; Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (150); Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (131); Merkel, Forschungsobjekt, 57; Mildenberger, MedR 2002, 293 (294); Weber, in: Arzt et al., BesT2, § 5, Rn. 24 f. (unter Beschränkung der Beweisschwierigkeiten auf die Vollendungsstrafbarkeit); darauf hinweisend auch Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 554 f.; Schirmer, „In-vitro“-Fertilisation, 120 u. 235. Zum Nachweis dieser Argumentation bereits in den Gesetzgebungsmaterialien s. die Nw. bei Henking, Wertungswidersprüche, 185 m. Fn. 716–718.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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I. Kein vollendeter Schwangerschaftsabbruch durch Nidationsverhütung Zunächst sei sich dem Vorwurf eines vollendeten Schwangerschaftsabbruchs durch Nidationsverhütung zugewendet. Der in § 218 Abs. 1 S. 1 StGB geregelte Schwangerschaftsabbruch ist ein Verletzungs- und Erfolgsdelikt, welches als solches die Kausalität zwischen Tathandlung und Erfolgseintritt verlangt: Die Tathandlung darf nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele63. Für die „echten“ postnidativen Abbruchshandlungen ist dieser Kausalitätsnachweis unschwer zu führen. Anders stellte sich dies für die hier besprochene Nidationsverhütung dar, wollte man sie als Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich verfolgen. Dabei ist es zunächst unerheblich, dass die jeweilige Nidationsverhütung gegebenenfalls zum Einsatz kommt, bevor das ungeborene Leben und mithin potenzielle Tatobjekt überhaupt zur Entstehung gelangt ist. In diesem Zusammenhang haben die einleitenden Bemerkungen bereits dargelegt, dass die jeweiligen nidationsverhütenden Maßnahmen stets auch darauf ausgerichtet sind, in einem vorangehenden Wirkungsschritt die bevorstehende Empfängnis zu verhindern. So wird die jeweilige Frau also die Verhütung zu einem Zeitpunkt zur Anwendung bringen, zu dem sie nicht nur von der Existenz eines Embryos keine Kenntnis hat, sondern eine Empfängnis gegebenenfalls noch gar nicht stattgefunden hat. Die fragliche Tathandlung würde damit zu einem Zeitpunkt vorgenommen, zu dem gegebenenfalls noch gar kein Tatobjekt vorhanden ist. Einem tatbestandsmäßigen Schwangerschaftsabbruch stände dies nach stetiger Rechtsprechung jedoch nicht entgegen. Denn diesbezüglich gilt nicht erst seit dem Buscopan-Urteil des BGH, dass sich die tatbestandsrelevante Rechtsqualität des Opfers nach dem Zeitpunkt der Einwirkung auf das Opfer bestimmt64. Diesen Zeitpunkt, zu dem eine Tathandlung ihre Wirkung entfaltet – in Fällen der Nidationsverhütung also etwa derjenige Zeitpunkt, zu dem ein Embryo auf eine infolge der Verhütung unzureichend entwickelte Gebärmutterschleimhaut trifft – gilt es von demjenigen Zeitpunkt zu unterscheiden, zu dem die Tathandlung vorgenommen bzw. die Nidationsverhütung zur Anwendung gebracht wird. Dass zum letzteren Datum womöglich noch kein Embryo existiert hat, ist einer etwai­ gen Tatbestandsmäßigkeit der erst später ihre Wirkung entfaltenden Nida­ 63  Zur Def. des Erfolgs- und Verletzungsdelikts s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 23 u. 26. 64  RGSt 4, 380 (381); BGHSt 10, 5 (5 f.); 10, 291 (293); 13, 21 (24); schließlich das Buscopan-Urteil v.  22.04.1983: BGHSt 31, 348 (352); s. dazu Hirsch, JR 1985, 335 (337); Küper, GA 2001, 515 (518 f.); Lüttger, NStZ 1983, 481 (483); ders., JR 1971, 133 (138).

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tionsverhütung nicht abträglich65. Hier kann nichts anderes als im Beispielsfall des vergifteten Kleinkindes gelten, in dem die Giftflasche bereits vor der Zeugung des Kindes platziert wird und das Platzieren der Flasche gleichwohl eine tatbestandsmäßige Tötungshandlung darstellt66. Auch in Gefolgschaft des Buscopan-Urteils ergeben sich erste Beweisschwierigkeiten aber insofern, als die Existenz des Tatobjekts „Embryo“ zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nidationsverhütung ihre Wirkung entfaltet, müsste nachgewiesen werden können. In vivo, d. h. jenseits der extrakorporalen Befruchtung im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation, wird ein solcher Nachweis schwerlich geführt werden können. Herkömmliche Schwangerschaftstests vermögen im Blut ab zehn Tagen, im Urin ab bis zu 14 Tagen nach der Befruchtung das so genannte humane Choriongonadotropin (hCG) anzuzeigen67, ein etwa ab dem sechsten Tag der pränatalen Entwicklung, wenn sich die Blastozyste an die Gebärmutterschleimhaut anlagert, vom Trophoblasten gebildetes Hormon68. Sonographisch kann eine Schwangerschaft gar erst am Beginn der dritten Woche (oder fünf Wochen nach dem Beginn der letzten Monatsblutung) nachgewiesen werden69. Gelangte in einer Rechtsordnung, die den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nicht kannte, nun eine Nidationsverhütung zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden und sähen sich diese veranlasst, um den 14. Tag nach der möglichen Befruchtung oder noch später einen solchen Test durchzuführen, wüsste ein negativer Test auf hCG nur auszuschließen, dass zum Zeitpunkt des Tests eine Schwangerschaft besteht. Worauf dieses Nichtbestehen einer Schwangerschaft aber beruhte, ob es einer ausgebliebenen Befruchtung folgte oder auf die nidationsverhindernde Wirkung eines Verhütungsmittels zurückging, bliebe ungeklärt. Zugunsten der Frau müsste in der Folge stets davon aus65  Zur Irrelevanz des Zeitpunkts der Handlungsvornahme für die Rechtsqualität des Opfers s. etwa Sinn, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 212 Rn. 5; Kaufmann, JZ 1971, 569 (569); Lüttger, NStZ 1983, 481 (483); Tepperwien, Praenatale Einwirkungen, 46. 66  Kaufmann, JZ 1971, 569 (569); Sinn, in: Wolter, SK-StGB / IV137, § 212 Rn. 5; vgl. auch das Bsp. v.  Tepperwien, Praenatale Einwirkungen, 46, in dem „der Täter vor der Geburt des Kindes eine Zeitbombe in der Wiege anbringt, die das Kind, das später in diese Wiege gelegt wird, tötet“. 67  Zum Nachweis des Schwangerschaftshormons hCG s. BZgA, Informations­ angebot Schwangerschaftsverlauf, 1.–8. Woche; Dudenhausen, Geburtshilfe21, 54; Moore / Persaud, Embryologie5, 58; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch264, 1901 m. Stichw. „Schwangerschaftstest“; O’Rahilly / Müller, Embryologie, 53 (gar für einen Nachweis bereits ab dem achten Tage). Einschlägige Quellen im Internet datieren den möglichen hCG-Nachweis im Blut demgegenüber gemeinhin noch früher um den sechsten Tag nach der Befruchtung. 68  Moore / Persaud, Embryologie5, 47; Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (77). 69  Moore / Persaud, Embryologie5, 58.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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gegangen werden, dass ein Tatobjekt mangels Befruchtung nie existiert habe – ein durch die Beweislast vorgegebenes Ergebnis, das in den statistischen Wahrscheinlichkeiten zusätzliche Unterstützung findet: Bedenkt man nämlich, dass die spontane Konzeptionsrate pro Ovulation – bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, normaler Fertilität und vorbehaltlich altersbedingter Abweichungen – nur etwa 20 bis 25 % beträgt70, ist die Existenz eines tauglichen Tatobjekts im Sinne der §§ 218 ff. StGB tatsächlich mehr als fraglich, dies umso mehr als jede Nidationsverhütung zusätzlich auch noch empfängnisverhütende Wirkung entfaltet. Anders stellte es sich nur dann dar, wenn man sich veranlasst sähe, bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen solchen Test durchzuführen. Ein Schwangerschaftstest, der darauf ausgerichtet ist, das Hormon hCG bereits ab dem zehnten oder gar an einem noch früheren Tage im Blut anzuzeigen, wüsste insofern den Nachweis zu erbringen, dass eine Eizelle befruchtet worden ist und die befruchtete Eizelle überdies begonnen hat, sich an die Gebärmutterschleimhaut anzulagern. Hinzu träte die Möglichkeit eines solchen Tests, der bereits 24 bis 48 Stunden nach der Befruchtung den so genannten „Early Pregnancy Factor“ (EPF), ein von den Trophoblastzellen abgegebenes immunsuppressives Protein, im mütterlichen Blut nachzuweisen vermag71. Fiele ein solcher Test zunächst positiv aus, ohne nach dem regulären Zeitpunkt einer Nidation durch einen weiteren Schwangerschaftstest bestätigt zu werden, erlangte man Kenntnis davon, dass eine Eizelle zunächst befruchtet worden ist, sich aber nicht in die Gebärmutterschleimhaut hat implantieren können. Doch selbst für diesen Fall bliebe unbeantwortet, welche Bedingungen für das Scheitern ihrer Nidation ursächlich geworden sind. Insofern nämlich gesellt sich zur nidationsverhindernden Wirkungsweise des Verhütungsmittels eine hohe Rate von Embryonen, die bis zum Zeitpunkt ihrer erwarteten Nidation einen natürlichen Tod finden. Man spricht auch davon, dass sich in diesem Zeitfenster ein so genanntes „embryonales Screening“ verwirklicht, im Zuge dessen eine hohe Zahl – etwa ein Drittel bis die Hälfte – der befruchteten Eizellen einem Spontan­ abort, einem nicht künstlich ausgelösten Abort, zum Opfer fällt. Dabei stellen gerade die Anfänge der Implantation eine kritische Periode der Entwicklung dar, die sich auch jenseits der Anwendung einer Nidationsverhütung nicht vollziehen kann, wenn das hormonelle Gleichgewicht von Östrogen und Progesteron gestört ist und sich die Uterusschleimhaut in der Folge nur unzureichend entwickelt72. Auch Teratogene – Umweltfaktoren 70  Steck,

Fortpflanzungsmedizin, 8. Embryologie5, 48 u. 58. 72  Moore / Persaud, Embryologie5, 50 u. 62; vgl. auch Diedrich et al., Reproduktionsmedizin, 23 m. Abb. 1, die auf ein Implantationsversagen in 30 % aller Fälle 71  Moore / Persaud,

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wie beispielsweise Alkohol, Viren, bestimmte Umweltchemikalien und Medikamente – fördern in den ersten beiden Entwicklungswochen das Absterben des Embryos, indem sie die Furchungsteilungen oder die Implantation beeinträchtigen. Sie bedingen in dieser Phase entweder eine Schädigung aller Zellen und werden so kausal für den pränidativen Todeseintritt oder aber sie schädigen nur wenige Zellen, von deren Beeinträchtigung sich die „Leibesfrucht“ ohne bleibende Folgen erholen kann73. In der Mehrzahl der Fälle – man spricht von 50 % aller erkannten Aborte – ist schließlich eine Chromosomenanomalie Ursache des Spontanaborts74. Neben der bereits ausgeführten Schwierigkeit, die Befruchtung und mithin Existenz eines pränidativen Embryos in vivo nachzuweisen, würde infolge dieser verschiedentlich erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Spontanaborts mithin in keinem Fall der strafrechtlichen Verfolgung einer Nidationsverhütung mit Sicherheit festgestellt werden können, ob tatsächlich die Verwendung nidationsverhütender Mittel zum konkreten Tod des Embryos in vivo geführt hat oder ob nicht etwa ein natürlicher Vorgang – das „embryonale Screening“ – hierfür ursächlich gewesen ist75. Selbst wenn im Einzelfall mithin Veranlassung bestehen sollte, einen frühen Schwangerschaftstest durchzuführen, der den Nachweis über eine embryonale Existenz und deren Adplantationsversuche erbrachte, so könnte aus einem nachfolgenden negativen Schwangerschaftstest doch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Tod des zunächst zur Entstehung gelangten Embryos gerade durch die Verwendung des Nidationsverhütungsmittels verursacht worden sein muss. Im Gegenteil einer Spontankonzeption hinweisen. Zur Def. des Spontanaborts s. Dudenhausen, Geburtshilfe21, 326; Moore / Persaud, Embryologie-Atlas4, 52 f. 73  Anders in späteren Entwicklungsstadien, in denen teratogene Faktoren angeborene (kongenitale) Fehlbildungen hervorrufen können und die Häufigkeit dieser Fehlbildungen in der Bevölkerung erhöhen; Moore / Persaud, Embryologie5, 188, 190 u. 192. 74  Moore / Persaud, Embryologie5, 50 u. 63. 75  Zu dieser Argumentation s. auch Böckenförde-Wunderlich, PID, 187 m. Fn. 172 m. w. N.; Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (150); Faßbender, NJW 2001, 2745 (2749); Merkel, Forschungsobjekt, 57; Mildenberger, MedR 2002, 293 (294). Demgegenüber ist das „embryonale Screening“ für sich genommen – d. h. jenseits besagter Schwierigkeit, einen Nachweis über die Kausalität zu führen – kein Argument, das den Verzicht auf einen strafgesetzlichen Schutz des pränidativen Embryos zu rechtfertigen wüsste; zutreffend Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (150 m. Fn. 47); dazu auch Schirmer, „In-vitro“Fertilisation, 104 u. 202 ff.; abl. für einen so begründeten Verzicht auf einen grundgesetzlichen Lebensschutz in den pränidativen Entwicklungsstadien: Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 202 f. Anders Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 48; Lüttger, JR  1969, 445 (450 f.), und wohl auch Schroth, JZ 2002, 170 (176); ebenso Henking, Wertungswidersprüche, 197 u. 198, die u. a. jenes „embryonale Screening“ bemüht, um ihre Ablehnung eines abstrakten Gefährdungsdeliktes in den pränidativen Entwicklungsstadien zu begründen.



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wäre zugunsten der Frau ausnahmslos davon auszugehen, dass der Embryo anderweitig seinen (natürlichen) Tod gefunden hat76. Eine Strafbarkeit der die Nidation verhütenden Frau wegen vollendeten Schwangerschaftsabbruchs schiede damit in allen, nicht nur in einzelnen Fällen der Nidationsverhütung aus77. Ebenso könnte gegen einen die Nidationsverhütung verschreibenden Arzt unmöglich der Nachweis einer Beihilfe zur pränidativen Tötung, §§ 218 Abs. 1 S. 1, 27 StGB, geführt werden. Für den vollendeten Schwangerschaftsabbruch durch Nidationsverhütung stellt § 218 Abs. 1 S. 2 StGB also tatsächlich nur deklaratorisch fest, was auch eine Subsumtion unter den Tatbestand des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB ergäbe: Mangels nachgewiesener Ursächlichkeit für den Tod eines – in seiner Existenz regelmäßig noch nicht verifizierten – pränidativen Embryos in vivo würde die Nidationsverhütung den Tatbestand eines vollendeten Schwangerschaftsabbruchs nicht zu verwirklichen wissen. II. Kein versuchter Schwangerschaftsabbruch durch Nidationsverhütung Während § 218 Abs. 1 S. 2 StGB die Tatbestandsmäßigkeit der Nidationsverhütung für den vollendeten Schwangerschaftsabbruch mithin nur deklaratorisch verneint, stände der fehlende Kausalitätsnachweis einer Versuchsstrafbarkeit der die Nidationsverhütung anwendenden Frau gemäß den §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB nicht im Wege und ließe auch die Strafbarkeit des die Nidationsverhütung verschreibenden Arztes wegen Beihilfe zur versuchten pränidativen Tötung gemäß den §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1, 27 StGB nicht entfallen78. Insofern wäre zu erwägen, dass § 218 Abs. 1 S. 2 StGB die Nidationsverhütung nicht deklaratorisch – d. h. in Übereinstimmung mit dem Ergebnis einer Subsumtion unter die §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB – vom Anwendungsbereich der Vorschriften über den versuchten Schwangerschaftsabbruch ausnähme, sondern deren Tatbestandsmäßigkeit – in Abweichung vom Ergebnis einer Subsumtion unter die §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB – rechtsgestaltend verneinte79. Dass bereits § 218 Abs. 4 S. 2 StGB die Bei. Erg. auch Henking, Wertungswidersprüche, 193 f. Erg. übereinstimmend: Gropp, Schwangerschaftsabbruch, 50 f., der in Abweichung von vorstehenden Ausführungen jedoch postuliert, dass die Beweisführung nur nicht „ohne Eindringen in intimste Persönlichkeitsbereiche der Frau“ (ders., a. a. O., 50) geführt werden könne. 78  Zur Versuchsstrafbarkeit in Fällen nicht nachweisbarer Kausalität vgl. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 168. 79  So Weber, in: Arzt et  al., BesT2, § 5, Rn. 25. 76  So 77  I. 

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strafung der Schwangeren wegen versuchten Schwangerschaftsabbruchs ausschließt, machte die Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB insofern jedenfalls nicht entbehrlich. Denn § 218 Abs. 4 S. 2 StGB ist lediglich ein persönlicher Strafausschließungsgrund80, der zwar eine Strafverfolgung gegen die Frau ausschließt, nicht aber den Vorwurf beseitigen kann, der mit der Feststellung eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Schwangerschaftsabbruchsversuchs gegen sie erhoben würde. Vor allem aber bliebe trotz des in § 218 Abs. 4 S. 2 StGB normierten Strafausschließungsgrundes eine Beihilfe des Arztes an einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tat im Sinne des § 27 StGB möglich. Um der so formulierten Frage nachzugehen, ob § 218 Abs. 1 S. 2 StGB die Tatbestandsmäßigkeit der Nidationsverhütung auch für den versuchten Schwangerschaftsabbruch nur deklaratorisch verneint oder jene aber rechtsgestaltend beseitigt, soll nun die Verwendung nidationsverhütender Mittel unter die gesetzlichen Versuchsvorschriften der §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB subsumiert werden: wiederum unter der Prämisse, dass § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nicht existierte. 1. Die Einzelfallabhängigkeit des Tatentschlusses

Im Rahmen des Tatentschlusses müsste die Frau den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB gerichteten Vorsatz haben, müsste also von der Tötung eines pränidativen Embryos durch die Verwendung des (auch) nidationsverhütenden Mittels gleichermaßen wissen, wie sie diese auch wollen müsste. In Abhängigkeit von der subjektiven Vorstellung der Frau über die Wirkungsweise des zur Anwendung kommenden Verhütungsmittels (Wissenselement) und ihrer subjektiven Einstellung zu derselben (Willenselement) gälte es hier vier verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden: Da wäre erstens die Frau, die dem zum Einsatz kommenden Verhütungsmittel irrigerweise eine ausschließlich empfängnisverhütende Wirkung beimisst. Zweitens könnte sich eine Frau über die Wirkungsweise ihres Verhütungsmittels gar keine Vorstellung machen, was wohl nicht selten der Fall sein wird. Drittens mag es sein, dass eine (diesbezüglich informierte) Frau in jedem Falle eine Empfängnis verhindern oder wenigstens eine bereits initiierte embryonale Entwicklung noch pränidativ beendigen will, sodass es ihr zwecks Verwirklichung dieses Ziels sowohl auf die empfängnisverhütende als auch auf die nidationsverhütende Wirkung ankommt. Viertens und letztendlich ist es denkbar, dass eine verhütende Frau primär nur die Empfängnis verhindern will, während ihr die nidationsverhütende Wirkung zwar bekannt, aber unerwünscht ist. 80  Fischer,

StGB60, § 218 Rn. 14.



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a) Vom Tatbestandsirrtum und Fehlen jeglicher Vorstellung über die Wirkungsweise der Verhütung Dass der Tatentschluss einer solchen Frau, die irrigerweise von einer nur empfängnisverhütenden Wirkung des angewandten Verhütungsmittels ausgeht, ebenso zu verneinen wäre wie derjenige einer Frau, die sich gar keine Vorstellung über die Wirkungsweise des fraglichen Verhütungsmittels macht, liegt auf der Hand. Im ersteren Fall weiß die Frau nicht von der (potenziell) tödlichen, da die Einnistung einer bereits befruchteten Eizelle verhindernden, Wirkung des Mittels und unterläge insofern einem Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, der im Rahmen des Versuchstatbestandes ihren Tatentschluss ausschlösse81. Im letzteren Falle wiederum fehlt es gänzlich an einer Vorstellung über die Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB, weshalb ein Tatentschluss ebenfalls zu verneinen wäre82. b) Von alternativen „Absichten“ Anders nun für diejenige Sachverhaltskonstellation, in der die Frau in jedem Falle eine Schwangerschaft verhindern will und es ihr zwecks Verwirklichung dieses Ziels auf die – alternativ eintretende – empfängnis- oder nidationsverhütende Wirkung ankommt: Ihr zielgerichteter Erfolgswille geht also dahin, durch die Verwendung des Verhütungsmittels entweder bereits die Befruchtung der Eizelle zu verhindern oder aber – soweit die empfängnisverhütende Wirkung nicht eintreten sollte – die bereits befruchtete Eizelle wenigstens an ihrer Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut zu hindern. Ersteres begründete auch innerhalb einer Regelung des versuchten Schwangerschaftsabbruchs, die keinen § 218 Abs. 1 S. 2 StGB kannte, keinen Tat­ entschluss, ist der Wille der Frau doch darauf gerichtet, die Entstehung pränidativen Lebens zu verhindern, nicht aber darauf, bereits entstandenes pränidatives Leben zu töten83. Anders für die „hilfsweise“ – für den Fall, dass keine empfängnisverhütende Wirkung eintreten sollte – gewollte Tötung durch Nidationsverhütung, die als solche von der Frau sogar angestrebt wird: Für diesen Fall kommt es der Frau („hilfsweise“) gerade darauf an, den Transport des Embryos durch den Eileiter oder den Aufbau ihrer Gebärmutterschleimhaut zu stören, sodass einem gegebenenfalls entstandenen Embryo die Nidation unmöglich gemacht würde und er mangels EinnisTatbestandsirrtum s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 598. NJW 1953, 153; Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr., 1 (12 f. m. Bsp. 3). 83  Siehe oben Seite  683 [A. III. 1.] zur Tatbestandslosigkeit allein empfängnisverhütender Mittel per se. 81  Zum

82  BGH

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tungsmöglichkeit sterben müsste. Die Anwendung des nidationsverhütenden Mittels wäre damit von einer Tötungsabsicht – nämlich einem dolus directus ersten Grades84 – begleitet, wie sie im Rahmen der §§ 211 ff. StGB auch ein Täter aufweist, der ein lebensnotwendiges Medikament unbemerkt durch ein Placebo austauscht, um den Tod des auf die Medikation angewiesenen Opfer herbeizuführen. Dass sich die Frau dabei die nidationsverhütende Wirkung nur als möglich und nicht als sicher vorstellt, wäre unerheblich, solange sie von ihr nur beabsichtigt wird: Ein Erfolg, auf den es dem Täter bei seiner Handlung ankommt, ist immer auch beabsichtigt im Sinne eines dolus directus ersten Grades, unabhängig davon, ob der Täter „die Verwirklichung für sicher oder nur für möglich hält“85. So stände es einem Tatentschluss also nicht entgegen, dass diese Wirkung nur „hilfsweise“ von der Frau gewollt wird. Insbesondere handelte es sich dabei nicht um einen sog. „Vorbehalts-Vorsatz“, für den die erforderliche Tatentschlossenheit verneint werden muss, weil der Täter das „Ob“ der Tat noch vom Eintritt bestimmter Umstände abhängig macht und mithin die Entscheidung über das „Ob“ der Tatbegehung noch gar nicht gefallen ist86. Zwar tritt eine Nidationsverhinderung nach der Vorstellung der Frau nur unter der Bedingung ein, dass nicht bereits die Befruchtung hat verhindert werden können. Bedingt ist damit aber nur die (zweistufige) Wirkung ihrer unbedingt gewollten Tatausführung, nicht ihre Tatausführung selbst. Somit wiese diese Konstellation nicht auf einen Vorbehaltsvorsatz hin, sondern stände eher dem so genannten Alternativvorsatz (dolus alternativus) nahe, der sich dadurch auszeichnet, dass der Täter bei der Vornahme einer bestimmten Handlung nicht sicher weiß, ob er von zwei sich gegenseitig ausschließenden Tatbeständen oder Erfolgen den einen oder den anderen verwirklicht, jedoch beide in seinen Vorsatz aufnimmt. Der Tatvorsatz deckt hier jeweils beide Möglichkeiten ab, wenngleich nur eine davon verwirklicht werden kann87. Entsprechend weiß die Frau in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht sicher, ob sie durch die Verwendung des Verhütungsmittels bereits die Empfängnis oder aber erst die Nidation verhindert. Was jene Konstellation (wohlgemerkt: inner84  Zur Vorsatzform der Absicht (dolus directus ersten Grades) s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 211 f. 85  BGHSt 21, 283 (284 f.). 86  Zum erforderlichen Grad an Tatentschlossenheit s. etwa BGH JR 2000, 293 (295); außerdem Wessels / Beulke, AT42, Rn. 598. Im Gegensatz dazu kann der Tatentschluss bejaht werden, wenn der Täter zur Tat schon fest entschlossen ist und nur deren Ausführung noch vom Eintritt bestimmter – von ihm nicht mehr zu beeinflussender – Umstände abhängig macht; Wessels / Beulke, a. a. O., Rn. 215 u. 598. 87  Zum Alternativvorsatz s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 231; für das Zusammentreffen alternativer Tatobjekte s. v. Heintschel-Heinegg, JA 2009, 149.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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halb einer Regelung des versuchten Schwangerschaftsabbruchs, die keinen § 218 Abs. 1 S. 2 StGB kannte) von dem beschriebenen dolus alternativus freilich unterscheidet, ist die Tatbestandslosigkeit des alternativ gewollten „Erfolgs“ einer reinen Empfängnisverhütung. In Übereinstimmung mit dem dolus alternativus stellt die Unsicherheit darüber, welcher der alternativ gewollten Erfolge eintritt, das Vorliegen eines Tatentschlusses jedoch nicht in Frage, sodass der Tatentschluss einer solchen Frau, die die Absicht einer Nidationsverhinderung hegt, in einer um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten gesetzlichen Regelung bejaht werden könnte, gleichwohl ihre alternative „Absicht“88, bereits die Empfängnis zu verhindern, von vornherein keinem Straftatbestand zugeordnet werden kann. Zwar würde die Frau damit – zunächst auf der Ebene des Tatentschlusses – verpflichtet, nicht in den natürlichen Aufbau ihrer Gebärmutterschleimhaut einzugreifen. Wer sich daran stören sollte, sei jedoch darauf hingewiesen, dass eine solche Verpflichtung der Frau kaum weiter reichte als die verfassungsgerichtlich bestätigte Pflicht, einen bereits eingenisteten Embryo auszutragen. So wenig mit Blick auf diese Austragungspflicht die Aussage „mein Bauch gehört mir“ zutrifft (eine Aussage, welche die in den siebziger Jahren datierte Diskussion der Abtreibungsstrafbarkeit als Parole prägte), so wenig müsste für den Fall, dass ein bereits entstandener pränidativer Embryo die Gebärmutterschleimhaut zur Einnistung benötigt, ein Bestimmungsrecht der Frau über ihre Gebärmutterschleimhaut bejaht werden89. Aus dem „hilfsweise“ Wissen und Wollen der Frau ergibt sich aber eine weitere Eigenheit ihrer Verhütungsabsicht, auf die im Rahmen des unmittelbaren Ansetzens noch zurückzukommen sein wird90: Wirksam werden soll ihre Nidationsverhütung nämlich nur für den Fall, dass ein Embryo erwartungswidrig – trotz des Einsatzes einer Empfängnisverhütung – entstehen sollte, sodass eine Nidationsverhütung seinen Transport durch den Eileiter zu beeinflussen hätte, ebenso für den Fall, dass er im Zuge seiner weiteren pränidativen Entwicklung bis zur Gebärmutterschleimhaut gelangte, die in Folge der Nidationsverhütung aber unterentwickelt ist, sodass seine Einnistungsversuche scheitern müssten. Indem die Frau die Verhinderung der Ni88  Der Begriff der „Absicht“ sei an dieser Stelle wie auch in hiesiger Überschrift in Anführungszeichen gesetzt, erfüllte die alternative „Absicht“ der Empfängnisverhütung, auf die sich die nachfolgenden Ausführungen beziehen, doch auch in einer um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten Rechtsordnung keinen Straftatbestand, sodass die zum subjektiven Tatbestand entwickelten Termini diesbezüglich nur entsprechende Verwendung finden können. 89  Vgl. oben Kap. 6, Seite  546 f. [Abschn.  1, A. II.]. Näher zur fraglichen Selbstbestimmung der Frau über ihre Gebärmutterschleimhaut s. im Anschluss auf den Seiten 727 ff. [D.]. 90  Siehe dazu sogleich Seite  710–713 [2. b)].

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dation in diesem Sinne von der Entstehung eines Embryos wie auch von dessen erfolgreicher, durch ein „embryonales Screening“ ungestörter Wanderung bis zur Gebärmutterschleimhaut abhängig macht, steht der konkrete Erfolg ihrer Tathandlung (Tötung durch Verhinderung der Nidation) unter der Bedingung einer gewissen „Mitwirkung“ des Embryos. Vergleicht man dies mit den Fällen mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt.  2 StGB), in denen der mittelbare Täter das Tun seines Tatmittlers in den Tatplan einbezieht, sowie mit den nach Ansicht des BGH wenigstens entsprechend § 25 Abs. 1 Alt.  2 StGB zu behandelnden „Selbstschädigungsfällen“, in denen der Täter das Opfer als Werkzeug gegen sich selbst einsetzt, könnte ob dieser „Mitwirkung“ des Embryos in Erwägung gezogen werden, dass – in einem um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten Strafgesetz – auch die ein nidationsverhütendes Mittel einsetzende Frau den Tatentschluss hegte, die Tat wenigstens in einer der mittelbaren Täterschaft verwandten Struktur zu begehen91. Die Frage muss hier noch nicht entschieden werden, da das „Ob“ des Tatentschlusses der Frau davon unberührt bliebe: Entweder hätte sie die („hilfsweise“) Absicht, die Tat als unmittelbare Täterin gemäß § 25 Abs. 1 Alt.  1 StGB zu begehen, oder aber sie strebte es an, den Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs zumindest in einer der mittelbaren Täterschaft, § 25 Abs. 1 S. 2 StGB, „verwandten Struktur“92 zu verwirklichen. c) Von der „Unerwünschtheit“ einer nidationsverhindernden Wirkung In der letzten skizzierten Sachverhaltskonstellation will die Frau nun primär nur die Empfängnis verhindern, während ihr die Möglichkeit einer nidationsverhütenden Wirkung zwar bekannt, aber unerwünscht ist – so etwa für den Fall, dass die Frau das pränidative Leben ab vollendeter Befruchtung für schutzwürdig erachtet und eine Tötung durch Nidationsverhinderung scheut. In diesem Fall strebt die Frau zwar eine empfängnisverhütende, nicht aber eine nidationsverhütende Wirkung an. Bezüglich letzterer stellte sich in einem um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten Strafgesetz die Frage, ob man aus der Verwendung des auch nidationsverhütenden Mit91  Die „Selbstschädigungsfälle“ unterscheiden sich von den üblichen Fällen mittelbarer Täterschaft dadurch, dass ihnen kein Dreiecksverhältnis zwischen mittelbarem Täter, Tatmittler und Opfer zugrunde liegt, sondern nur ein Zweipersonenverhältnis zwischen Täter und Opfer, in dessen Rahmen sich das Opfer unbewusst selbst schädigen soll; für einen Überblick über einschlägige Sachverhaltskonstella­ tionen s. Weddig, Giftfalle, 26 f. Ob § 25 Abs. 1 Alt.  2 StGB auf diese Fälle (direkt oder entsprechend) zur Anwendung kommt, ist umstritten; s. dazu unten Seite 710 f. [2. b)] m. Fn. 133 u. vgl. BGHSt 43, 177 (180); Hillenkamp, 32 AT-Probleme14, 15.  Pr., 114 (121 m. Bsp. 4); ausführl. Weddig, Giftfalle, 35–59. 92  Wortwahl in Anlehnung an BGHSt 43, 177 (180).



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tels in Kenntnis dessen (auch nidationsverhütender) Wirkungsweise auf einen bedingten Vorsatz (dolus eventualis) schließen könnte oder aber ob der Frau diesbezüglich nur bewusste Fahrlässigkeit (luxuria) zur Last fiele. Während mit einem dolus eventualis der für einen versuchten Schwangerschaftsabbruch erforderliche Tatentschluss gegeben wäre93, formulierten die Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch für eine nur bewusst fahrlässige Tötung ungeborenen Lebens kein tatbestandliches Unrechtsurteil. Der Streit um die Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist nun so alt wie vielfältig94 – ebenso vielfältig könnte die vorliegend formulierte Fragestellung entschieden werden, was ein kleiner Überblick veranschaulichen soll: Nach der so genannten Möglichkeitstheorie, welche Eventualvorsatz bereits dann bejaht, wenn der Täter den Erfolg nur für möglich gehalten und gleichwohl gehandelt hat95, handelte die Frau mit Tatentschluss. Zu einem anderen Ergebnis dürfte die so genannte Wahrscheinlichkeitstheorie gelangen, die in Erhöhung der durch die Möglichkeitstheorie formulierten Anforderungen voraussetzt, dass der Vorsatztäter den Erfolgseintritt nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlich gehalten und gleichwohl gehandelt hat96. Angesichts dessen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung selbst bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr pro Ovulation nur etwa 20 bis 25 % beträgt97, die Frau mit der Verhütung aber auch die Empfängnis künstlich zu verhindern sucht, ist bereits die Entstehung eines pränidativen Embryos und mithin taug­ lichen Tatobjekts einer Nidationsverhinderung unwahrscheinlich. Darüber hinaus konkurriert mit der nidationsverhindernden Wirkung des Verhütungsmittels noch das sog. „embryonale Screening“, d. h. der bekannte 93  Zum Tatenschluss s. Putzke, JuS 2009, 894 (896); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 598; zum für § 218 Abs. 1 StGB hinreichenden Eventualvorsatz s. Satzger, Jura 2008, 424 (429). Soweit man bzgl. der Nidationsverhinderung einen Eventualvorsatz bejahte, träte jener außerdem wiederum in „Konkurrenz“ zu einem alternativen Wissen und Wollen, bereits die Empfängnis statt erst die Nidation zu verhindern, das seinerseits aber weder einen (subjektiven) Tatbestand erfüllte noch den „alternativen“ Vorsatz einer Nidationsverhinderung in Frage stellte; s. dazu bereits oben Seite  697–700 [b)]. 94  Für einen Überblick über die verschiedenen, dazu vertretenen Ansichten s. Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr., 1–11, u. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 214–228. 95  So Frister, AT5, Kap. 11, Rn. 24 f.; Langer, Jura 2003, 135 (138); Lesch, JA 1997, 802 (809); zsfd. Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr., 1 (2); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 217. 96  Zur Wahrscheinlichkeitstheorie s. Maurer, Das voluntative Element, 119 f.; Mayer, AT, 121; Welzel, Strafrecht11, 68; zsfd. Hillenkamp, AT-Probleme14, 1. Pr., (1) 3; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 218. Vgl. auch Jakobs, AT2, Abschn.  8, Rn. 22 f., der für bedingten Vorsatz genügen lässt, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung zum maßgeblichen Tatzeitpunkt für „nicht unwahrscheinlich“ erachtet. 97  Steck, Fortpflanzungsmedizin, 8.

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Umstand, dass eine große Anzahl pränidativer Embryonen bis zum Zeitpunkt der Nidation bereits aus natürlichen Gründen abstirbt98. Soweit eine Frau diese Inhalte in ihre Vorstellung aufgenommen hat, wird sie den Erfolg der Nidationsverhinderung im Einzelfall also eher für unwahrscheinlich erachten und handelte nach der Wahrscheinlichkeitstheorie nicht mit Eventualvorsatz, sondern nur bewusst fahrlässig. Anders dürfte dies gegebenenfalls Puppe unter Bezugnahme auf die von ihr für den Eventualvorsatz verlangte „Vorsatzgefahr“ beurteilen, als die sie „eine nach allgemeinen Vernunftregeln anerkannte Methode“ bezeichnet, „einen Verletzungserfolg herbeizuführen, […] unabhängig davon, ob er [der Täter] den Verletzungserfolg herbeiführen will oder nicht“99. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das auch nidationsverhindernd wirkende Mittel wiederholt zur Verwendung gelangt: Denn wenigstens dann, wenn man die im Einzelfall reduzierten Wahrscheinlichkeiten seiner nidationsverhindernden Wirkung (die einem nach der Wahrscheinlichkeitstheorie bestimmten Eventualvorsatz noch hinderlich sein müssen), addiert, käme eine über dieses Wissen verfügende Frau nicht umhin, den Einsatz eines solchen Mittels als eine nach allgemeinen Vernunftregeln anerkannte Methode der Tötung pränidativen Lebens anzuerkennen100. Demgegenüber lieferte die so genannte Vermeidungstheorie101 hinreichend Anhaltspunkte, um wiederum nur bewusste Fahrlässigkeit zu bejahen, sofern sie den Eventualvorsatz nämlich bereits dann verneint, wenn der Täter nur einen Vermeidungswillen gezeigt hat, namentlich Gegenfaktoren zur Vermeidung des Eintritts einer unerwünschten Nebenfolge oder – wie vorliegend im Fall der alternativen Empfängnisund Nidationsverhütung – eines unerwünschten alternativen Erfolgseintritts vollzogen hat102: Denn bringt eine Frau solch eine Verhütung zur Anwendung, um bereits der Empfängnis entgegenzuwirken, während ihr die alternative Verhinderung der Nidation eines bereits entstandenen Embryos zwar bewusst, aber unerwünscht ist, so hat sie nach dieser Lehre zweifellos die primär gewollte Empfängnisverhütung in ihren Verwirklichungswillen einbezogen, nicht aber die Nidationsverhütung, die ja nur für den Fall ihre unerwünschte Wirkung entfaltet, dass der in den Vorsatz aufgenommene 98  Siehe

dazu oben Seite  693 f. [I.]. dazu u. vorstehendes Zitat aus Wessels / Beulke, AT42, Rn. 228. Näher zur „Vorsatzgefahr“: Puppe, AT2, § 9, Rn. 11; dies., in: Kindhäuser et  al., NKStGB / 14, § 15 Rn. 64 ff.; dies., Vorsatz und Zurechnung, 39 f.; dazu auch Bung, Wissen und Wollen, 185–192; Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr., 1 (5 m. w. N. auf Seite  4). 100  Vgl. Puppe, Vorsatz und Zurechnung, 45 f., zu Sachverhalten reduzierter Erfolgswahrscheinlichkeiten. 101  Zur Vermeidungstheorie s. Kaufmann, ZStW 1958, 64 (73–76); zsfd. Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr., 1  (8 f.); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 219. 102  Vgl. Kaufmann, ZStW 1958, 64 (73 f.). 99  Siehe



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Erfolgseintritt einer Empfängnisverhütung verfehlt statt verwirklicht worden ist; dabei erklärt es die Vermeidungstheorie ausdrücklich für unschädlich, wenn ein Täter „im Zweifel bleibt, ob seine Maßnahme zur Verhinderung des Nebenerfolges ausreichen wird, wenn er also nach wie vor mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts rechnet“103. Entsprechend müsste auch die von Herzberg für einen Eventualvorsatz vorausgesetzte „unabgeschirmte Gefahr“104 verneint werden, entfällt sie doch dann, wenn der Täter (oder ein Dritter oder auch nur das gefährdete Opfer selbst) ihrer Realisierung entgegenwirkt. Zur Schaffung eines entsprechenden Problembewusstseins sei jedoch relativierend an die unterschiedliche Wirkungsweise der Verhütungsmittel erinnert, nach der sich auch ihre Eignung, als „Gegenfaktor“ oder „Gefahrabschirmung“ zu wirken, unterschiedlich darstellen wird: Während die Antibabypille etwa eine zweifach empfängnisverhütende Wirkung entfaltet und nur hilfsweise auch die Nidation zu verhindern sucht, tritt bei der Spirale die empfängnisverhütende Wirkung in den Hintergrund105. Bereits durch die Wahl der Verhütung trifft die Frau also eine Entscheidung zwischen verschiedenen „Gegenfaktoren“ und „Gefahrabschirmungen“, die den Erfolgseintritt einer Nidations- und nicht nur Empfängnisverhütung unterschiedlich effektiv zu vermeiden suchen. Ob jene Unterschiede in den Erfolgsaussichten einer „Erfolgsvermeidung“ oder „Gefahrabschirmung“ auch eine unterschiedliche Bewertung des Vorsatzes implizieren, kann in der vorliegenden – nur auf die Veranschaulichung der Vielfalt des Meinungsstreits gerichteten – Darstellung dahinstehen. Den Eventualvorsatz verneinen würde in der vorliegend skizzierten Konstella­ tion schließlich die so genannte Gleichgültigkeitstheorie, nach der nur der Täter mit Eventualvorsatz handelt, der den Erfolgseintritt mindestens aus Gleichgültigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut in Kauf nimmt106. Folgt man der vorliegenden Sachverhaltsschilderung, ist es der potenziellen Täterin nämlich gerade nicht gleichgültig, ob pränidatives Leben nur an der Entstehung gehindert oder aber getötet wird. dazu u. vorstehendes Zitat aus Kaufmann, ZStW 1958, 64 (73 f.). „unabgeschirmten Gefahr“ s. Herzberg, JuS 1986 (254–256 u. 262); ders., JZ 1988, 573 (576) u. 635 (639); in jüngerer Zeit auch innerhalb des Vollendungsdeliktes um das Unmittelbarkeitserfordernis des § 22 StGB präzisierend ders., in: Feltes / Pfeiffer / Steinhilper, FS-Schwind, 317 (324 f.); zsfd. Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr., 1 (5 m. w. N. auf Seite  4); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 228. 105  Siehe dazu oben Seite  675 [Abschn.  1, A. II. 1. a)] zur „Pille“ und Seite  677 [Abschn.  1, A. II. 1. b)] zur Spirale. 106  Zur Gleichgültigkeitstheorie s. Engisch, NJW 1955, 1690; Sternberg-Lieben, in: Sch / Sch, StGB28, § 15 Rn. 84; vgl. auch BGH NStZ-RR 2007, 43 (44); JR 2009, 120 (122); schließlich auch Beulke, Jura 1988, 641 (644), der den Terminus der Gleichgültigkeit aber ähnlich einer „billigenden Inkaufnahme“ definiert; zsfd. Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr., 1 (7 f.); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 220. 103  Siehe 104  Zur

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Konzentriert man sich letztlich auf die in diesem Streit von der Rechtsprechung und herrschenden Lehre vertretene Billigungstheorie, nach der Eventualvorsatz voraussetzt, dass der Täter den für möglich gehaltenen Erfolg „gebilligt“ oder „billigend“ in Kauf genommen hat107, müsste die Frau die konkret drohende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung erkannt, diese Gefahr ernst genommen108 und sich um des von ihr erstrebten Zieles mit dem Risiko einer Tatbestandsverwirklichung abgefunden haben. Anschaulich ausgedrückt, müsste sie eine „Na-wenn-schon“-Haltung manifestiert haben, also eher bereit gewesen sein, eine etwaige Tatbestandsverwirklichung hinzunehmen, als auf die Vornahme der Tathandlung zu verzichten. Demgegenüber ginge – ebenso anschaulich ausgedrückt – eine nur bewusst fahrlässig handelnde Verwenderin davon aus, dass schon „alles gut gehen“ werde, und vertraute darauf, dass der drohende Erfolgseintritt ausbleibe109. Was trifft nun auf die vorliegend dargestellte Frau zu? Manifestiert sie durch die Verwendung des auch nidationsverhütenden Mittels in Kenntnis um dessen Wirkungsweise, dass sie eher bereit ist, die Tötung pränidativen Lebens hinzunehmen als auf die von ihr gewählte Verhütungsmethode zu verzichten? Oder vertraut sie auf die auch empfängnisverhütende Wirkung des angewandten Mittels110, sodass es zu einer Nidationsverhinderung hoffentlich gar nicht erst kommen wird? Eine kaum und wohl nur in Abhängigkeit von dem subjektiven Bekenntnis der jeweiligen Frau zu entscheidende Frage. Entspräche die Hemmschwelle vor der Tötung pränidativen Lebens derjenigen, die sich vor der Tötung eines „Menschen“ im Sinne des Strafrechts auftut, so ließe sich – wie zu den in den §§ 211 ff. StGB normierten Tötungsdelikten – noch damit argumentieren, dass vor der vorsätzlichen Tötung eine viel höhere Hemmschwelle liege, als sie vor die bewusst fahrlässige Lebensgefährdung gesetzt ist. Mit Blick auf diese postulierte Hemmschwelle hat die Rechtsprechung selbst für äußerst lebensgefährliche Behandlungen einen Vorsatz zur Tötung im Sinne der §§ 211 ff. StGB ver107  Zur Billigungstheorie s. RGSt 76, 115 (116); BGHSt 36, 1 (9 f.); 44, 99 (102 f.); 51, 18; 57, 183; Baumann / Weber / Mitsch, AT11, § 20, Rn. 54; Fischer, StGB60, § 15 Rn. 9a–9e; Maurach / Zipf, AT / 18, § 22, Rn. 36 f.; zsfd. Hillenkamp, ATProbleme14, 1.  Pr., 1 (6 f.); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 221–226. 108  Insofern verschwimmen hier die Grenzen zwischen der Billigungstheorie und der sog. Ernstnahmetheorie. Zwischen diesen beiden differenziert aber etwa Hillenkamp, AT-Probleme14, 1.  Pr.: Ausführungen zur Billigungstheorie ebda., 1 (6 f.), zur Ernstnahmetheorie ebda., 1 (9 f.). 109  Siehe dazu u. zu den verwendeten Begrifflichkeiten Wessels / Beulke, AT42, Rn. 225 f. 110  Nebst der sich bereits bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr pro Ovulation nur auf etwa 20 bis 25 % belaufenden Befruchtungswahrscheinlichkeit (Steck, Fortpflanzungsmedizin, 8) u. dem natürlichen „embryonalen Screening“; so bereits vorliegend zur Wahrscheinlichkeitstheorie und oben Seite  692–695 [I.].



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neint111. Die Hemmschwelle vor einer Tötung pränidativen Lebens dürfte angesichts der weiten Verbreitung von Mitteln der regulären Verhütung wie der Notfallverhütung jedoch noch nicht einmal ansatzweise mit derjenigen vor der Tötung eines geborenen Menschen vergleichbar sein. Ob überhaupt ein qualitativer Unterschied in der Hemmung des Tatantriebs ausgemacht werden kann, je nachdem ob pränidatives Leben nur bewusst fahrlässig gefährdet oder vorsätzlich getötet werden soll, bleibt damit dem Bereich der Spekulation vorbehalten. Ebenda bliebe unter Anwendung der herrschenden Billigungstheorie auch die formulierte Fragestellung nach dem Eventualvorsatz und Tatentschluss derjenigen Frau zurück, die durch die Anwendung eines Verhütungsmittels primär nur die Empfängnis verhindern möchte und der die Möglichkeit einer nidationsverhindernden Wirkung zwar bekannt, aber unerwünscht ist. d) Conclusio Zusammengefasst würde der Tatenschluss der ein Nidationsverhütungsmittel zur Anwendung bringenden Frau – in einer um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten Regelung des Schwangerschaftsabbruchs – jedenfalls nicht in allen denkbaren Fallkonstellationen verneint werden können. Unproblematisch negiert werden könnte er noch für diejenigen Sachverhalte, in denen die Frau irrigerweise von einer nur empfängnisverhütenden Wirkung des angewandten Verhütungsmittels ausgeht oder sich gar keine Vorstellung über die Wirkungsweise des fraglichen Verhütungsmittels macht. Weniger eindeutig würde das Urteil über den Tatentschluss dann ausfallen, wenn der Frau die Möglichkeit einer nidationsverhütenden Wirkung zwar bekannt, aber unerwünscht ist, etwa weil sie das pränidative Leben ab der vollendeten Befruchtung für schutzwürdig erachtet und folglich zwar die Entstehung menschlichen Lebens durch Empfängnisverhütung zu verhindern sucht, eine Tötung bereits entstandenen menschlichen Lebens durch Nidationsverhütung aber scheut. Denn auch wenn man die Vielfalt der Meinungen im Streit um die Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit auf die von Rechtsprechung und herrschender Lehre vertretene Billigungstheorie reduziert, bliebe es eine kaum und wohl nur in Abhängigkeit vom subjektiven Bekenntnis der Frau zu entscheidende Frage, ob die Frau eher bereit ist, die Tötung pränidativen Lebens hinzunehmen als auf die von ihr gewählte Verhütungsmethode zu verzichten, oder aber ob sie etwa auf die auch empfängnisverhütende Wirkung des angewandten Mittels vertraut, sodass es zu einer Nidationsverhinderung hof111  Vgl. dazu nur LG Rostock NSZ 1997, 391; BGH NStZ-RR 2006, 9; JZ 1981, 35.

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fentlich gar nicht erst kommen wird. Schließlich würde der Tatentschluss für den Fall, dass die Frau eine Schwangerschaft in jedem Fall ausschließen will und es ihr zwecks Verwirklichung dieses Ziels auf die (alternativ eintretende) empfängnis- oder nidationsverhütende Wirkung ankommt, zweifelsohne zu bejahen sein, ja nähme gar die Vorsatzform einer „hilfsweisen“ Absicht an. In Abhängigkeit von der subjektiven Vor- wie Einstellung (Wissens- und Wollenselement) der ein Nidationsverhütungsmittel zur Anwendung bringenden Frau müsste die Frage nach deren Tatentschluss in einem um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten Strafgesetz mithin unterschiedlich, nämlich in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, beurteilt werden. Ob ihrer Einzelfallabhängigkeit wüsste die Antwort auf jene Frage aber eine Annahme des Inhalts, dass § 218 Abs. 1 S. 2 StGB die Tatbestandsmäßigkeit der Nidationsverhütung auch für den versuchten Schwangerschaftsabbruch nur deklaratorisch – d. h. in Übereinstimmung mit einer Subsumtion unter die gesetzlichen Versuchsvorschriften der §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB – verneinte, nicht zu stützen. Weil der subjektive Tatbestand des (versuchten) Schwangerschaftsabbruchs nicht in jedem Fall der Nidationsverhütung zu verneinen wäre, gösse § 218 Abs. 1 S. 2 StGB diesbezüglich nicht nur dasjenige in generell-abstrakte Gesetzesform, was anderenfalls eine Subsumtion unter die Versuchsvorschriften für jeden Einzelfall zwingend erwarten ließe. Ob sich dies für das unmittelbare Ansetzen der Frau – den objektiven Versuchstatbestand – anders darstellt, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. 2. Kein unmittelbares Ansetzen zur Nidationsverhütung

Damit die Anwendung eines Nidationsverhütungsmittels – in einem Strafgesetz, das § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nicht kannte – den Tatbestand des versuchten Schwangerschaftsabbruchs verwirklichte, müsste die verhütende Frau auch gemäß § 22 StGB nach ihrer Vorstellung von der Tat zur Tötung eines pränidativen Embryos unmittelbar angesetzt haben. Ein solches unmittelbares Ansetzen wäre nach dem Kombinationsansatz von Rechtsprechung und herrschender Lehre für den Zeitpunkt zu bejahen, in dem sie subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“ überschritte und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzte112. Als Kombinationsansatz wird diese Auslegung des § 22 StGB bezeichnet, weil sie verschiedene Theorien zur Unmittelbarkeit des Ansetzens in sich vereinigt, so insbesondere die 112  BGH wistra 2008, 105 (106); Engländer, JuS 2003, 330 (331); Weddig, Giftfalle, 74 f.; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 601; krit. Putzke, JuS 2009, 985 (986).



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sog. „Zwischenakt- oder Teilaktstheorie“113, nach der zwischen dem schon entwickelten Täterverhalten und der eigentlichen Tatbestandshandlung gemäß der Vorstellung des Täters „keine wesentlichen Teilakte“ mehr liegen dürfen114, und den Gefährdungsgedanken, nach dem ein Stadium erreicht sein muss, in welchem das betroffene Rechtsgut aus der Sicht des Täters bereits unmittelbar gefährdet erscheint115. Demnach muss „die vom Täter in Gang gesetzte Ursachenreihe nach seiner Vorstellung vom Tatablauf ohne Zäsur und ohne weitere wesentliche Zwischenakte in die eigentliche Tatbestandshandlung einmünden, mit der Folge, dass aus seiner Sicht das Angriffsobjekt schon konkret gefährdet erscheint“116. In diesem Sinne in die Auslegung des unmittelbaren Ansetzens integriert, wird dem Mangel an ausstehenden Teilakten nur eine Indizwirkung für den Gefährdungsgedanken zugesprochen: Stehen keine Zäsur und keine weiteren wesentlichen Zwischenakte aus, wird dies nicht immer, aber in der Regel auf eine unmittelbare Gefährdung des Angriffsobjekts schließen lassen. Stellt man nun die Frage nach dem unmittelbaren Ansetzen in denjenigen Fällen, in denen eine Frau eine Nidationsverhütung zur Anwendung bringt, so ist zunächst festzuhalten, dass die Frau mit der Verwendung des nidationsverhütenden Mittels alles getan hat, was nach ihrer Vorstellung erforderlich oder möglicherweise ausreichend ist, um einen pränidativen Embryo zu töten und um mithin – in einer um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten gesetzlichen Regelung – den Tatbestand des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB zu erfüllen. Gleichwohl ihr Täterhandeln also gänzlich abgeschlossen ist, kann hieraus doch nicht ohne Weiteres auf ihr unmittelbares Ansetzen und die Tatbestandsmäßigkeit eines (beendeten117) Versuchs geschlossen werden. Vielmehr beansprucht der zur Abgrenzung von Vorbereitungs- und Versuchsstadium entwickelte Kombinationsansatz auch für solche Fälle Geltung, in denen der Täter die nach seinem Tatplan erforderlichen eigenen Handlungen bereits vollständig erbracht hat118: Auch für diese Fälle gilt es zu hinterfragen, ob das abge113  Zum Begriff der „Zwischenakttheorie“ s. etwa Engländer, JuS 2003, 330 (331); Putzke, JuS 2009, 985 (986); Vogler, in: Küper / Welp, FS-Stree / Wessels, 285 (286); zum Begriff der „Teilaktstheorie“ s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 600. 114  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Vogler, in: Küper / Welp FS-Stree / Wessels, 285 (286); krit. a. a. O., 287 f. 115  Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 22 Rn. 42; Otto, AT7, § 18, Rn. 27 f. u. 30; zu den in der Auslegung des § 22 StGB kombinierten Ansichten s. auch Wessels /  Beulke, AT42, Rn. 600 m. w. N. 116  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Wessels / Beulke, AT42, Rn. 601 m. w. N. 117  Zur Def. des beendeten Versuchs s. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 631. 118  Darauf ausdrücklich hinweisend: BGHSt 43, 177 (179 f.), unter Referenz auf die Rspr des BGH zum Versuchsbeginn in Fällen mittelbarer Täterschaft: BGHSt 4, 270 (273); 30, 363 (365 f.); 40, 257 (268 f.); s.  ferner Roxin, in: Schroeder / Zipf, FS-Maurach, 213 (217 f.).

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schlossene Täterhandeln nach dem Tatplan tatsächlich bereits eine unmittelbare Rechtsgutsgefährdung bedingt, wie es die fehlende Notwendigkeit weiterer eigener Teilakte zunächst erwarten lässt. a) Das unmittelbare Ansetzen eines mittelbaren Täters So hat zunächst ein mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) mit seiner Einwirkung auf das von ihm erwählte „Werkzeug“ all diejenigen Teilakte vollbracht, die ihm nach seiner Vorstellung von der Tat obliegen, um den jeweiligen gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen. Von seinem insoweit abgeschlossenen Handeln schließt innerhalb eines weiten Meinungsstreits gleichwohl nur die so genannte Einzellösung auch auf sein unmittelbares Ansetzen119. Demgegenüber bejaht die so genannte Gesamtlösung den Versuchsbeginn – scheinbar diametral entgegengesetzt – i. d. R. erst dann, wenn das durch den Hintermann beeinflusste „Werkzeug“ (der Tatmittler) seinerseits unmittelbar zur Tat ansetzt120. Auch die vermittelnde – so genannte differenzierende und früher noch vorherrschende – Theorie entnimmt der Einwirkung auf den Tatmittler nur dann ein unmittelbares Ansetzen des Hintermannes, wenn durch sie ein gutgläubiger Tatmittler beeinflusst wird. Erfährt hingegen ein bösgläubiges „Werkzeug“ die Einflussnahme, soll die Grenze zum Versuchsbeginn erst dann überschritten sein, wenn der dergestalt beeinflusste Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Tatbestandsverwirk­ lichung ansetzt121. Wenn jene verschiedenen, speziell zum unmittelbaren Ansetzen des mittelbaren Täters entwickelten Theorien so auch zu unterschiedlichen bis 119  Auch Einwirkungstheorie genannt. Unterschiedlich bejahen Vertreter der Einzellösung bereits mit Beginn oder Abschluss der Einwirkung auf den Tatmittler den Versuchsbeginn: Baumann / Weber / Mitsch, AT11, § 29, Rn. 155; Jakobs, AT2, Abschn.  21, Rn. 105; Puppe, AT2, § 20, Rn. 32; zsfd. u. weitere Nw. bei Hillenkamp, AT-Probleme14, 15. Pr., 114 (115 f.); Schünemann, in: Laufhütte et al., LK-StGB / 112, § 25 Rn. 150; Weddig, Giftfalle, 66; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 614. Dabei kann der Begriff der Einwirkung wiederum unterschiedlich ausgelegt werden, wie in den Sachverhalten der Schaffung einer tatprovozierenden Situation zutage tritt; dazu Weddig, Giftfalle, 66; Wolters, NJW 1998, 578 (580). 120  Auch strenge Theorie genannt. Vertreten von Bung, JA 2007, 868 (871); Fricke, Versuchsbeginn, 66; Gössel, JR 1998, 293 (295); Kühl, AT7, § 20, Rn. 91; ders., StGB27, § 22 Rn. 9; zsfd. u. weitere Nw. bei Hillenkamp, AT-Probleme14, 15. Pr., 114 (114 f.); Schünemann, in: Laufhütte et al., LK-StGB / 112, § 25 Rn. 150; Weddig, Giftfalle, 69; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 614. 121  Busch, in: Baldus / Willms, LK-StGB / 19, § 43 Rn. 33; Welzel, Strafrecht11, 191; zsfd. u. weitere Nw. bei Hillenkamp, AT-Probleme14, 15. Pr., 114 (116 f.); Schünemann, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 112, § 25 Rn. 150; Weddig, Giftfalle, 67; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 614; für weitere Diff. innerhalb des Meinungsstandes s.  Engländer, JuS 2003, 330 (332 f.).



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diametral entgegen gesetzten Ergebnissen gelangen mögen122, ist ihnen doch gemein, dass sie gleichermaßen eine Antwort darauf zu formulieren versuchen, wann sich in Sachverhalten der mittelbaren Täterschaft nach dem Tatplan eine unmittelbare Gefahr für das betroffene Rechtsgut verwirklicht123. So bejaht die Einzellösung eine solche Gefahr auch deshalb bereits mit der Einwirkung auf den Tatmittler, weil der Erfolgseintritt hiernach – wie im Tatplan vorgesehen – nur noch durch eine Gegeninitiative des mittelbaren Täters abgewendet werden kann124. Dem entgegen gesetzt weist die Gesamtlösung daraufhin, dass der Tatplan für denjenigen Zeitpunkt, zu dem der Tatmittler die fragliche Einwirkung erfährt, noch wesentliche Teilakte des Tatmittlers vorsieht, die vollzogen sein müssten, damit es zu einer Gefährdung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts kommt, sodass der Gefahreneintritt erst mit dem unmittelbaren Ansetzen des Tatmittlers identifiziert werden könne125. Schließlich beantwortet die differenzierende Lösung die Frage nach einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung in Abhängigkeit davon, ob der Tatmittler bösgläubig ist, sodass für einen Gefahreneintritt noch abgewartet werden müsste, ob er seinen Vorsatz – wie im Tatplan vorgesehen – im Moment der unmittelbaren Tatbegehung durchzuhalten gewillt ist126. Ist er hingegen gutgläubig, sei nach dem Tatplan bereits mit der Einwirkung auf ihn eine Kausalkette in Gang gesetzt, die ohne weitere Einflussnahme jener Verwirklichung zustrebt und als solche das tatbestandlich geschützte Rechtsgut bereits unmittelbar gefährdet127. In diesem Sinne liegt den speziell zur mittelbaren Täterschaft formulierten Abgrenzungstheorien mithin nur das gemeinsame Bemühen zugrunde, den Eintritt einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung innerhalb des Tatplanes zu datieren. So verwundert es auch nicht, dass sich eine herrschende Meinung des Inhalts durchgesetzt hat, über den Versuchsbeginn auch in Fallkonstellationen mittelbarer Täterschaft nach allgemeinen Kriterien, d. h. in 122  Vgl. auch Weddig, Giftfalle, 65, zu einer „erhebliche[n] Spannbreite“ der verschiedenen Erklärungsansätze. 123  Vgl. auch Otto, NStZ 1998, 243 (243), soweit er die verschiedentliche Anwendung der Grundsätze von Einzel- wie Gesamtlösung durch den BGH auf deren gemeinsamen Grundgedanken – den für den Versuchsbeginn notwendigen Eintritt einer unmittelbaren Gefährdung – zurückführt; ebenso Hillenkamp, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 112, § 22 Rn. 158, der für maßgeblich erkennt, dass „die geforderte Handlungsunmittelbarkeit hergestellt und die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung nahegerückt ist“. 124  Hillenkamp, AT-Probleme14, 15.  Pr., 114 (116 m. Arg.  2). 125  Hillenkamp, AT-Probleme14, 15.  Pr., 114 (115 m. Arg.  4). 126  Hillenkamp, AT-Probleme14, 15.  Pr., 114 (117 m. Arg.  3); vgl. auch Weddig, Giftfalle, 67. 127  Hillenkamp, AT-Probleme14, 15.  Pr., 114 (116 f. m. Arg.  1); vgl. auch Weddig, Giftfalle, 67.

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Übereinstimmung mit dem Versuchsbeginn eines unmittelbaren Täters, zu entscheiden128. Nur so kann je nach Lage des konkreten Einzelfalls – d. h. in Abhängigkeit von der Formulierung des jeweiligen Tatplans – entschieden werden, ob eine unmittelbare Gefahr bereits mit der Einwirkung auf den Tatmittler oder doch erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten soll, und erfahren die unvermeidlichen Unterschiede verschiedener Sachverhalte Berücksichtigung anstatt eingeebnet zu werden129. b) Der pränidative Embryo in der „Passauer Giftfalle“ Nun erinnere man sich an den bereits gegebenen Hinweis, dass der konkrete Erfolgseintritt in Fällen der Nidationsverhütung – wenn ein Embryo „hilfsweise“ durch Verhinderung seiner Nidation in der Gebärmutterschleimhaut getötet werden soll – unter der Bedingung einer gewissen embryonalen „Mitwirkung“ steht130: So wendet zwar allein die Frau das entsprechende Verhütungsmittel an. Dessen konkrete, nidationsverhütende Wirkung kann sich jedoch erst dann entfalten, wenn es überhaupt zu einer Befruchtung gekommen ist – mithin ein Embryo entstanden ist, dessen Transport durch den Eileiter beeinflusst werden kann – und es dem dergestalt entstandenen Tatobjekt, dem pränidativen Embryo, gelungen ist, durch den Eileiter entlang zur (infolge der Verhütungswirkung in ihrer Entwicklung gestörten) Gebärmutterschleimhaut zu gelangen, sodass er sich in jene vergeblich einzunisten versuchen kann. Vergleicht man diese notwendige embryonale „Mitwirkung“ mit den Fällen mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt.  2 StGB), in denen der mittelbare Täter das Tun seines Tatmittlers in den Tatplan einbezieht, könnte für ein um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduziertes Strafgesetz in Erwägung gezogen werden, dass auch die ein nidationsverhütendes Mittel einsetzende Frau den Tatentschluss hat, die Tat wenigstens in einer der mittelbaren Täterschaft verwandten Struktur zu begehen: Die von ihr vorausgesehene Tatbestandsverwirklichung setzte voraus, dass ein Tatobjekt (der pränidative Embryo) „erscheint“ (entsteht) und sich in den räumlichen Wirkungskreis (zunächst innerhalb des Eileiters, sodann vor der Gebärmutterschleimhaut) begibt, in dem die Tathandlung (die Verwendung des auch nidationsverhütenden Mittels) ihre konkrete Wirkung entfalten kann. Ähnlich dem mittelbaren Täter, der das Tun seines Tatmittlers in den 128  Vgl. die unterschiedlichen Formulierungen von BGHSt 30, 363 (365); 40, 257 (268); 43, 177 (179 f.); Eser, in: Sch / Sch, StGB28, § 22 Rn. 54a; Hillenkamp, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 112, § 22 Rn. 158; Otto, AT7, § 21, Rn. 127; ders., NStZ 1998, 243 (243); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 613; krit. Roxin, AT / II, § 29, Rn. 260– 265. 129  Vgl. Wessels / Beulke, AT42, Rn. 614. 130  Siehe oben Seite  699 [a. E. von 1. b)].



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Tatplan einbezieht, nähme die ein nidationsverhütendes Mittel verwendende Frau jene embryonale „Mitwirkung“ in ihren Tatplan auf und wollte den Embryo – das Opfer ihrer Tat – als „Werkzeug gegen sich selbst“ einsetzen. Was ihren Tatplan von den üblichen Fällen mittelbarer Täterschaft unterschiede, wäre, dass ihm kein Dreipersonenverhältnis zwischen mittelbarem Täter, Tatmittler und Opfer zugrunde läge, sondern nur ein Zweipersonenverhältnis zwischen Täter und Opfer, in dessen Rahmen sich das Opfer unbewusst selbst schädigen soll, der Embryo selbst nämlich seiner erfolglosen Einnistung in eine unzureichend entwickelte Gebärmutterschleimhaut Vorschub leisten soll. In seiner zur Bekanntheit gelangten Entscheidung über die „Passauer Giftfalle“ hat der BGH aber auch in solchen Selbstschädigungsfällen „eine der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur“ erkannt und die zur mittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt.  2 StGB) entwickelten Grundsätze in der Folge für (wenigstens entsprechend) anwendbar erklärt131: In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der angeklagte Apotheker nach seinem Tatplan jedenfalls in Kauf genommen, dass die Einbrecher, deren (neuerliches) Erscheinen er befürchtete, sich unwissentlich selbst töten würden, indem sie aus der von ihm bereitgestellten Flasche tranken, die mit der Aufschrift „Echter Hiekes Bayerwaldbärwurz“ etikettiert war, tatsächlich aber eine hochgiftige Flüssigkeit enthielt132. Nach Ansicht des BGH stilisierte der Tatplan des Apothekers die in Aussicht genommenen Opfer so als „Tatmittler gegen sich selbst“, deren Tod erst durch ihr eigenes Dazutun herbeigeführt werden sollte133. Nun trifft es zweifellos zu, dass sich die selbstschädigende „Mitwirkung“ des Embryos von derjenigen, die die Einbrecher in der beschriebenen Giftfalle hatten vollziehen sollen, darin unterscheidet, dass der Embryo nicht etwa „die Hand gegen sich selbst erheben“ – etwa eine vergiftete Flüssigkeit konsu131  Siehe

dazu u. vorstehendes Zitat aus BGHSt 43, 177 (180). 43, 177 (178). 133  BGHSt 43, 177 (180); krit. zu einer solchen Auslegung der Entscheidung aber Kudlich, JuS 1998, 596 (597), der den Ausführungen des BGH „eher“ eine Annahme unmittelbarer Täterschaft entnehmen will; dazu auch Weddig, Giftfalle, 42. Für eine (wenigstens entsprechende) Anw. des § 25 Abs. 1 Alt.  2 StGB auf das „blinde“ Werkzeug im Zweipersonenverhältnis s. – exemplarisch für die h. L. – Engländer, JuS 2003, 330 (331 m. Fn. 4); Fischer, StGB60, § 22 Rn. 28; Hillenkamp, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 112, § 22 Rn. 159; Kudlich, JuS 1998, 596 (597); Schild, in: Kindhäuser et  al., NK-StGB / 14, § 25 Rn. 46 u. 96; Weddig, Giftfalle, 51, m. ausführl. Begr. a. a. O., 51–59; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 539a; Zaczyk, in: Kindhäuser et al., NK-StGB / 14, § 22 Rn. 30; aA etwa Hoyer, in: Wolter, SK-StGB / I137, § 25 Rn. 38; Jahn, JA 2002, 560 (561); Otto, AT7, § 21, Rn. 101–104 (§ 25 Abs. 1 Alt.  1 StGB direkt); Wolters, NJW 1998, 578 (579) (§ 25 Abs. 1 Alt.  1 StGB analog). Für einen Überblick über den diesbzgl. Meinungsstand s. Schild, a. a. O., § 25 Rn. 46 f.; Weddig, Giftfalle, 37–42; jeweils m. w. N. 132  BGHSt

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mieren – muss, um Schaden zu nehmen; dem Tatplan der verhütenden Frau genügt es, dass er „erscheint“ und sich durch den Eileiter bis vor die Gebärmutterschleimhaut begibt. Die Qualifizierung der Nidationsverhütung als „Selbstschädigungsfall“ sieht sich dadurch jedoch nicht gehindert: In seinen Entscheidungsgründen nämlich erstreckt der BGH die Geltung der zu § 25 Abs. 1 S. 2 StGB entwickelten Grundsätze auch auf diejenigen Fälle, in denen die Mitwirkung des Opfers darauf beschränkt ist, sich in den Wirkungsbereich eines präparierten Tatmittels zu begeben. So referiert der BGH zur Verdeutlichung seiner Grundsätze nicht nur den „Brandstiftungsanlagenfall“ des Reichsgerichts, in dem mit der zum Ingangsetzen der Brandstiftung notwendigen Betätigung des Lichtschalters durch einen Dritten zweifellos eine sich selbst und andere schädigende Handlung gegeben war134, sondern auch den Fall eines bloßen Distanzdeliktes, in dem der Täter eine Zeitbombe an einem belebten Platz deponiert135. Anders als im Fall der „Brandstiftungsanlage“ bedarf es bei einem Zeitzünder nun keines Auslösens durch eine dritte Person, sodass die notwendige Mitwirkung potenzieller Opfer darauf reduziert ist, sich zum fraglichen Zeitpunkt der Detonation in dessen räumlichem Wirkungsbereich zu befinden. Und so wie sich das Opfer im Fall einer durch den Täter präparierten Zeitbombe erst in den Wirkungskreis der Bombe begeben muss, damit sich der Tatbestand des Tötungsdelikts, wie vorausgesehen, verwirklichen kann, muss sich auch der Embryo im Fall der Nidationsverhütung erst in den verschiedentlich beschleunigten oder verzögerten Transport durch den Eileiter bzw. vor die durch das Verhütungsmittel in ihrer Entwicklung beeinträchtigte Gebärmutterschleimhaut begeben, damit die Nidation, wie vorausgesehen, misslingen und der konkrete Tötungserfolg am Embryo eintreten kann. Dabei ist es der besonderen Opferkonstitution geschuldet, dass der im Tatplan vorgesehene Gefahreneintritt nicht von dem gewillkürten Verhalten des Opfers, sondern von seiner genetisch gesteuerten Entwicklung abhängt: Denn der Embryo „verhält“ sich in dem Sinne noch nicht, sondern entwickelt sich – gesteuert durch sein genetisches Programm als eine „funktionelle, sich selbst organisierende und differenzierende Einheit“136 – in einem prädestinierten Sinne weiter137. Ungeachtet dessen tritt der konkrete Erfolg nach dem Tatplan nicht allein 134  RGSt

66, 141. hinweisend BGHSt 43, 177 (181). 136  Höfling, FAZ v. 10.07.2001, 8, Sp.  5; ebenso Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (83). Man beachte, dass der Zellkern der Zygote – und damit das embryonale Genom – nach Christ / Wachtler, Embryologie, 23, noch genetisch inaktiv ist, sodass der erste Schritt in der Embryonalentwicklung noch vom mütterlichen Genom gesteuert wird. Diese Phase der genetischen Inaktivität des embryonalen Genoms ist allerdings schon im Zwei- bis Vierzellstadium beendet. 137  Zur insofern bestimmenden Wirkung des mit Abschluss der Fertilisation herausgebildeten Genoms s. Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 135  Darauf



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ob des Täterverhaltens ein, sondern setzt ein Tun seines Opfers voraus, ob es nun dessen Willen oder wie hier auch nur dessen genetischem Programm entspringt. c) Die Manifestation einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung im subjektiven Tatplan oder in einer objektiven Gefahrverdichtung Beinhalten Sachverhalte der Nidationsverhütung demnach ein selbstschädigendes Moment, müsste ob der Nähe zur mittelbaren Täterschaft auch der Versuchsbeginn parallel zu dem in Fällen mittelbarer Täterschaft – nach dem Kriterium unmittelbarer Rechtsgutsgefährdung – bestimmt werden138. Für die mittelbare Täterschaft zunächst gilt es nach Ansicht des BGH zu ermitteln, inwiefern nach dem Tatplan bereits die Einwirkung des mittelbaren Täters auf sein „Werkzeug“ eine unmittelbare Gefahr für das geschützte Rechtsgut begründet oder es aber für die Begründung einer solchen Gefahr noch des Handelns des Tatmittlers bedarf. Demnach erwächst aus der Einwirkung des mittelbaren Täters laut Tatplan bereits dann eine unmittelbare Gefahr, wenn er seinen Tatmittler nur in der Vorstellung entlässt, dass dieser die tatbestandsmäßige Handlung in engem Zusammenhang mit dem Abschluss seiner Einwirkung vornehmen werde. Anders stellt sich dies dann dar, wenn die Einwirkung auf den Tatmittler erst nach längerer Zeit Früchte tragen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie überhaupt Wirkung entfaltet: In diesen Fällen soll der Versuch erst dann beginnen, wenn der Tatmittler, dessen Verhalten dem Täter über § 25 Abs. 1 Alt.  2 StGB zugerechnet wird, seinerseits unmittelbar zur Tat ansetzt139. In Anlehnung an diese Bestimmung des unmittelbaren Ansetzens in Fällen der mittelbaren Täterschaft, die das in den Tatplan einbezogene Handeln des Tatmittlers berücksichtigt, hat der BGH nun auch den Versuchsbeginn in den sog. „Selbstschädigungsfällen“ datiert, mithin den maßgeblichen Zeitpunkt, in dem sich die straflose Vorbereitung des mittelbaren Täters zum strafbaren Versuch wandelt, in Abhängigkeit von der im jeweiligen Einzelfall notwendigen Opfermitwirkung ermittelt. Im Einzelnen führte der BGH dazu in der „Passauer Giftfalle“ aus, dass eine unmittelbare Gefährdung des als Tatmittler gegen sich selbst fungierenden Opfers nur dann bereits mit dem Aufstellen der Falle zu bejahen sei, sofern der Täter mit Gewissheit von dem Erscheinen und dem für den Taterfolg eingeplanten (117); Rager, in: ders., Würde des Menschen3, 67 (82 u. 103 f.); dazu auch bereits Kap. 2, Seite  104 f. [Abschn.  1, B. I. 3.]. 138  Zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch des mittelbaren Täters nach dem Kriterium unmittelbarer Rechtsgutsgefährdung s. bereits oben Seite  708 f. [a)]. 139  BGHSt 43, 177 (179 f.) m. w. N.

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Verhalten des Opfers ausgehe140. In der Literatur ist diese Argumentation insofern auf Kritik gestoßen, als der Täter demnach auch dann bereits mit dem Aufstellen der Falle unmittelbar ansetzte und nach seinem Tatplan eine unmittelbare Rechtsgutsgefährdung für verwirklicht erkannte, wenn für ihn feststeht, dass das Opfer die selbstschädigende Handlung erst nach Ablauf einer geraumen Zeit vornehmen wird141. Diese Kritik hat der BGH in zwei Entscheidungen jüngeren Datums zu entkräften gesucht, indem er seine Ansicht dergestalt konkretisiert hat, dass der Täter von einem (wenigstens potenziell) engen zeitlichen Zusammenhang der Opfermitwirkung zum Aufstellen der Falle ausgehen müsse. So habe ein Täter mit der Installation einer Autobombe etwa bereits dann unmittelbar zur Tat angesetzt, wenn er sich bewusst sei, dass irgendwann ein Fahrzeugführer erscheinen werde142. Wird nämlich das Erscheinen des Opfers „irgendwann“ erwartet, so schließe dies die Möglichkeit ein, dass es auch „jederzeit“ erscheinen könne (Tätervorstellung von einem potenziell engen zeitlichen Zusammenhang), und begründe aus Tätersicht bereits eine unmittelbare Gefahr für das Rechtsgut. In einer anderen Entscheidung sah der BGH das unmittelbare Ansetzen bereits mit der Manipulation einer Steckdose für erfüllt an, weil der Täter die Nutzung der fraglichen Steckdose bei ungestörtem Fortgang der Dinge alsbald und innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes erwartete (Tätervorstellung von einem tatsächlich engen zeitlichen Zusammenhang)143. Zusammengefasst bejaht der BGH also ein unmittelbares Ansetzen des Täters bereits mit dem Aufstellen der Falle, wenn der Täter in der Vorstellung handelt, die als gewiss angesehene Opferschädigung werde in einem (wenigstens potenziell) engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufstellen erfolgen – vergleichbar dem mittelbaren Täter, der den Tatmittler in der Vorstellung entlässt, die tatbestandsmäßige Handlung werde in engem Zusammenhang mit dem Abschluss der Einwirkung erfolgen. Hält der Täter ein potenziell alsbaldiges Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des präparierten Tatmittels hingegen lediglich für möglich, aber noch für ungewiss oder gar wenig wahrscheinlich, so soll sein unmittelbares Ansetzen noch eine (objektive) Gefahrverdichtung, namentlich das tatsächliche (objektive) Erscheinen des Opfers und dessen Anstalten, die erwartete selbstschädigende Handlung 140  BGHSt

43, 177 (181). etwa Herzberg, JuS 1999, 224 (225 a. E.). 142  BGH NStZ 1998, 294 (295). 143  In besagtem Fall manipulierte der Täter die Steckdosen dergestalt, dass bei – alsbald erwartetem – bestimmungsgemäßem Gebrauch ein tödlicher Stromschlag übertragen werden sollte; BGH NStZ 2001, 475 (476); ausführl. Bespr. bei Engländer, JuS 2003, 330–336. Vgl. den in der „Passauer Giftfalle“ in einem Klammerzusatz referierten Fall der „Brandstiftungsanlage“ (RGSt 66, 141), in welchem der Täter in absehbarer Zeit das Betätigen eines Lichtschalters und das dadurch bedingte Ingangsetzen der Brandstiftung erwartete. 141  So



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vorzunehmen, voraussetzen144 – vergleichbar dem mittelbaren Täter, dessen Einwirkung auf den Tatmittler erst nach längerer Zeit wirken soll oder der sich deren Wirkung nicht sicher ist145. Wenn der BGH dabei formuliert, dass es einer objektiven Gefahrverdichtung in solchen Sachverhalten bedarf, in denen er das Erscheinen des Opfers „für lediglich möglich, aber noch ungewiß oder gar für wenig wahrscheinlich“146 hält, gibt er zu erkennen, dass er den umgekehrten Begriff der Gewissheit nicht streng im Sinne einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verstanden wissen wollte, sondern eine demgegenüber geringere Wahrscheinlichkeit hat genügen lassen wollen, sodass eine objektive Gefahrverdichtung also bereits dann entbehrlich ist, wenn für das fragliche Opferverhalten nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht147. Bestätigt wird dies durch eine jüngere Entscheidung des BGH, in welcher der BGH die unmittelbare Gefahrbegründung von einem aus Tätersicht „wahrscheinlichen“ und „nahe liegenden“ Opferverhalten abhängig machte148. Im Ergebnis bestimmt der BGH die unmittelbare Rechtsgutsgefährdung damit zum eingrenzenden Versuchsmerkmal, das sich nicht nur subjektiv im Tatplan manifestieren soll, sondern in bestimmten Fällen – nämlich bei fehlender „Gewissheit“ über den weiteren Tatablauf und Gefahreneintritt – durch eine objektive Gefahrverdichtung noch verifiziert werden muss. Hierzu geht der BGH ausdrücklich auf den möglichen Einwand ein, dass die Versuchsstrafbarkeit – wie die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs zeigt – gemeinhin gerade keinen objektiven Gefahreneintritt verlange, sondern die subjektive Gefährlichkeit (etwa einer Handlung am untauglichen Objekt oder durch untaugliche Mittel) genügen lässt. In den Fällen mittelbarer Täterschaft aber 144  BGHSt 43, 177 (181); strenger noch Weddig, Giftfalle, 128 u. 131, der für ein unmittelbares Ansetzen ausnahmslos – d. h. unabhängig von der Tätervorstellung – voraussetzt, dass das Tatopfer unter Verkennung des Gefährdungspotenzials in den Wirkungsbereich des Tatmittels eingetreten ist. 145  Für eine Beurteilung des Versuchsbeginns nicht nur nach dem in Aussicht genommenen Täterverhalten, sondern auch nach dem Verhalten des Tatwerkzeugs und / oder Opfers vgl. die Klingelfälle, sofern das Läuten an der Tür deshalb als unmittelbares Ansetzen zum Raub bewertet wird, weil der Tatplan das Erscheinen eines Hausbewohners als gewiss unterstellt; vgl. BGHSt 26, 201 (203 f.); dazu auch Wessels / Beulke, AT42, Rn. 609. Anders dürfte dies nach den vorstehend referierten Anforderungen an den Versuchsbeginn dann zu beurteilen sein, wenn sich das Erscheinen des Opfers nach dem Tatplan noch als ungewiss präsentiert – für diesen Fall wäre mit dem Auftritt des Opfers noch eine objektive Gefahrverdichtung abzuwarten. 146  Zitat entnommen aus BGHSt 43, 177 (181). 147  Vgl. BGHSt 43, 177 (182), soweit das Gericht den Angeklagten deshalb entlastet sah, weil sich das Erscheinen der Einbrecher nach seinem Tatplan als „nicht sehr wahrscheinlich“ darstellte. 148  BGH NStZ 2001, 475 (476).

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wird das Tatmittlerverhalten dem mittelbaren Täter gemäß § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zugerechnet, sodass es sich kraft dieser Zurechnung auch als (objektiver) Anknüpfungspunkt für einen Versuchsbeginn eignet, in dem sich die Gefährlichkeit für das Rechtsgut manifestieren soll. Entsprechend soll die Entscheidung über den Versuchsbeginn in den nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zu behandelnden „Selbstschädigungsfällen“, in denen der Täter das Gelingen seines Plans ebenfalls teilweise aus der Hand gibt, das Opferverhalten und damit eine objektive Gefahrverdichtung mitberücksichtigen können149. Für den Versuchsbeginn in Fällen der Nidationsverhütung hätte dies in einem um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten Strafgesetz zur Folge, dass er nur in Abhängigkeit von der – für den konkreten Erfolg einer Nidationsverhütung erforderlichen – „Mitwirkung“ des pränidativen Embryos bestimmt werden könnte. Richtete man sich dabei nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen zum Versuchsbeginn in Fällen notwendiger Opfermitwirkung, so müsste für den Tatplan einer über die Wirkungsweise des Verhütungsmittels aufgeklärten Frau eine Ungewissheit konstatiert werden. Für die reguläre Verhütung ergibt sich dies bereits aus dem Zeitpunkt ihrer Anwendung, die vor oder während den fraglichen Geschlechtsverkehr gesetzt ist: Eine Frau, die noch nicht einmal auf einen ungeschützten Geschlechtsverkehr reagiert, sondern ausschließlich vorsorgend tätig wird, kann unmöglich voraussagen, dass ihr noch zu vollziehender Geschlechtsverkehr „mit Gewissheit“ oder auch nur „wahrscheinlich“ zu einer Befruchtung führen wird. Im Gegenteil schafft die auch empfängnisverhindernde Wirkung ihres Verhütungsmittels eine Vorstellung davon, dass die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Embryos gegenüber der natürlichen Befruchtungsrate erheblich vermindert ist150. Aber auch der Verwenderin einer Notfallverhütung wird es an der entsprechenden „Gewissheit“ mangeln müssen: Insoweit könnte ihr eine Untersuchung des eigenen Bluts auf den „Early Pregnancy Factor“ zwar noch vor der Anwendung einer Notfallverhütung Kenntnis davon verschaffen, ob sich eine Empfängnis etwa bereits vollzogen hat und mithin ein zu gefährdendes Tatobjekt bereits zur Entstehung gelangt ist151. Eine solche Untersuchung würde jedoch eher 149  BGHSt 43, 177 (182); zust. Weddig, Giftfalle, 81 f. Demgegenüber bemüht Herzberg nur ein subjektives Abgrenzungskriterium der „Gefahr der Tatbestandsverwirklichung“, das sich nach der Vorstellung des Täters bestimmt: Herzberg, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 22 Rn. 137 u. 143; ders., in: Schünemann et  al., FS‑Roxin (2001), 749 (771 f.). 150  Vgl. oben Seite  691–695 [I.] zur verhinderten Beweisführung über das Tatobjekt eines vollendeten Schwangerschaftsabbruchs. 151  Der Nachweis über den „Early Pregnancy Factor“ kann bereits 24 bis 48 Stunden nach einer Empfängnis geführt werden; s. Moore / Persaud, Embryologie5, 48, 58, u. oben Seite  693 f. [I.].



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einem theoretischen Gedankenspiel denn der Praxis vorbehalten sein, in der die schwangerschaftsunwillige Frau kein Interesse daran haben kann, einen entsprechenden Test anzustrengen und ihrem Umfeld mithin Kenntnis von der embryonalen Existenz zu verschaffen, deren Tötung sie anstrebte, eine um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierte Rechtsordnung aber verböte. Entzieht sich eine womöglich bereits vollzogene Empfängnis mangels Durchführung eines Bluttestes aber ihrer Kenntnis, während sie im Gegenzug wiederum darum weiß, dass die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis bereits von Natur aus reduziert ist und durch die auch empfängnisverhütende Wirkung des von ihr zur Anwendung gebrachten Nidationsverhütungsmittels noch weiter vermindert wird, wird es die betroffene Frau auch in den Fällen der reagierenden Notfallverhütung – gleich der vorsorgenden regulären Verhütung – weder für „gewiss“ noch auch nur für wahrscheinlich152 befinden, dass es zu einer Befruchtung bereits gekommen ist oder eine solche noch bevorsteht. Unter Anwendung der vom BGH in der „Passauer Giftfalle“ entwickelten Grundsätze könnte ein unmittelbares Ansetzen damit nicht bereits mit der Verwendung der Nidationsverhütung bejaht werden. Die von der Frau nur als möglich, aber „ungewiss“ vorausgesehene unmittelbare Gefährdung pränidativen Lebens müsste sich ob ihrer Ungewissheit vielmehr objektiv verifizieren: in der erfolgreichen Befruchtung einer Eizelle und deren ebenso erfolgreichen Entwicklung bis in diejenigen Stadien, in denen sich ihr Transport durch den Eileiter verschiedentlich beschleunigen oder verzögern soll oder ihre Einnistung in eine unterentwickelte Gebärmutterschleimhaut scheitern soll. Zu demselben Ergebnis gelangte man auch unter Zugrundelegung der sog. Gesamtlösung, die den Versuch erst mit dem unmittelbaren Ansetzen des Tatmittlers beginnen lässt und die auf die Selbstschädigungsfälle meist dahingehend modifiziert zur Anwendung gelangt, dass sich das Opfer (der Tatmittler gegen sich selbst) in den Wirkungskreis des Tatmittels begeben haben muss153. d) Das Entlassen des Geschehensablaufs aus dem Herrschaftsbereich des Täters in Ergänzung um eine objektive Gefahrverdichtung Zu einem anderen Ergebnis könnte man gelangen, legte man der Abgrenzung von Versuch und Vorbereitung in den „Selbstschädigungsfällen“ zwar gleichermaßen das Kriterium der unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung zugrunde, konkretisierte dies aber dergestalt, dass der Täter den Gesche152  Zur untechnischen Verwendung des Begriffs der „Gewissheit“ durch den BGH s. weiter oben. 153  Zur Gesamtlösung s. oben Seite  708 [a)].

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hensablauf aus seinem eigenen Herrschaftsbereich entlassen haben müsste154. Unabhängig von der subjektiven „Gewissheit“ des Täters verlangte man damit insbesondere keine objektive Gefahrverdichtung durch das Verhalten des Opfers. Der Übergang zum Versuchsstadium hinge allein davon ab, dass der Täter seinen Entschluss in dem für den weiteren Geschehensablauf entscheidenden Moment durchhalte. Sein Verhalten bestimmte über die Strafwürdigkeit, während eine Beurteilung der Strafwürdigkeit nicht nach dem Täterverhalten, sondern – unter Bezugnahme auf die Notwendigkeit einer objektiven Gefahrverdichtung – nach dem Verhalten des als „Werkzeug gegen sich selbst“ verwendeten Opfers kriminalpolitisch sinnwidrig sei155. In diesem Sinne hat etwa Roxin gegen die Notwendigkeit einer objektiven Gefahrverdichtung den Einwand vorgebracht, dass damit nicht mehr der Täter, sondern der Tatmittler bzw. das Opfer zur Tat ansetze156. Für den vorliegenden Fall der Nidationsverhütung legte dies ein unmittelbares Ansetzen der Frau bereits mit der Tathandlung, der Verwendung des fraglichen Verhütungsmittels, nahe: Jedenfalls bei Einsatz der „Pille danach“ zur Notfallverhütung oder der Dreimonatsspritze zur regulären Verhütung gäbe die Frau den Geschehensablauf bereits in dem Zeitpunkt aus der Hand, in dem sie die Tabletten eingenommen hat bzw. sich die Spritze hat injizieren lassen. Von diesem Zeitpunkt an entfaltete der in den Körper gegebene Wirkstoff – vorbehaltlich dessen, dass die Frau nicht etwa die „Pille danach“ erbrechen sollte – irreversibel seine auch nidationsverhindernde Wirkung. Differenzierter wird man die Herrschaft der Frau über den Geschehensablauf wohl für die anderen hormonellen Verhütungsmittel sowie für die „Spirale“ zu beurteilen haben. Soweit die Wirkung des Verhütungsmittels darauf angelegt ist, über einen längerfristigen Zeitraum auf den Körper der Frau einzuwirken und hier Veränderungen hervorzurufen (wie bei der täglich einzunehmenden Antibabypille und Minipille sowie bei den ohne Unterbrechung zu tragenden Mitteln wie Vaginalring, Hormonpflaster und 154  Siehe etwa Jakobs, AT2, Abschn.  21, Rn. 105; Rudolphi, in: Wolter, SKStGB / I137, § 22 Rn. 20a; Schünemann, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 112, § 25 Rn. 150; zsfd. dazu auch Weddig, Giftfalle, 68 m. w. N. Anders jedoch Roxin, soweit er die Entlassung aus dem Herrschaftsbereich des Täters und den Eintritt einer unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung als alternative Voraussetzungen des Versuchs verstehen will, sodass ein Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung noch vor Eintritt einer unmittelbaren Gefahr soll bejaht werden können; s. Roxin, in: Schroeder / Zipf, FS-Maurach, 213 (227); ders., AT / II, § 29, Rn. 230 u. 244; im Anschluss hieran auch Engländer, JuS 2003, 330 (335). Ebenfalls darauf, ob der (mittelbare) Täter den Geschehensablauf aus der Hand gegeben hat, stellen Wessels / Beulke, AT42, Rn. 613–616 (allerdings unter Einschränkungen), ab; dazu sogleich weiter unten. 155  Hillenkamp, AT-Probleme14, 15.  Pr., 114 (118 m. Arg.  2). 156  Roxin, AT / II, § 29, Rn. 197 f.; anders BGHSt 43, 177 (182); s. in diesem Zusammenhang auch die Replik von Weddig, Giftfalle, 81 f. m. Fn. 352.



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Spirale), wird es wohl ein Zeitfenster geben, innerhalb dessen die Medikation unterbrochen bzw. das in / an den Körper verbrachte Verhütungsmittel wieder entfernt werden kann, noch bevor sich die nidationsverhütende Wirkung hat entfalten können. In diesem Fall gäbe die Frau den Geschehensablauf erst mit Ablauf des bewussten Zeitfensters aus der Hand, wenn eine Verhinderung der Nidation durch die Medikation bzw. das Mittel nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Zu demselben Ergebnis gelangte man auch über das Grundkonzept der sog. Einzellösung, das den Versuchsbeginn bereits mit der Einwirkung des Hintermannes auf den Tatmittler, in den Selbstschädigungsfällen mit der Vornahme der Täterhandlung bzw. Schaffung der tatprovozierenden Situation, bejaht: Unmittelbar angesetzt würde mit Verwendung des betreffenden Verhütungsmittels für dasjenige Zeitfenster, dessen das Verhütungsmittel zur Entfaltung seiner die Nidation verhindernden Wirkung wenigstens bedarf157. Aber auch wenn man dieser Form der Abgrenzung darin folgte, dass nach dem Tatplan in der Regel bereits in dem Augenblick ein Rechtsgut unmittelbar gefährdet wird, in dem die Tathandlung und deren weiterer Kausalverlauf aus der Hand gegeben werden und vom Täter nicht mehr beeinflusst werden können – für den Fall der Nidationsverhütung führte dies freilich zu dem etwas zweifelhaft anmutenden Ergebnis, dass die unmittelbare Gefährdung eines Rechtsgutes aus Tätersicht bejaht würde, gleichwohl der Täter gar nicht weiß, ob dieses Rechtsgut jemals existieren wird. Zutreffend ist vielmehr, dass in diesem speziellen Fall die Kausalkette, die die Frau mit Verwendung des Verhütungsmittels aus der Hand gibt, laut Tatplan nur unter der Voraussetzung eine unmittelbare Gefahr für das Leben des pränidativen Embryo begründet, dass das Rechtsgut zur Entstehung gelangt, d. h., dass es zur Befruchtung einer Eizelle kommt. Nur und erst wenn dieses Ereignis eintritt, sieht die Frau durch ihre Tathandlung eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen, der sie nicht mehr Einhalt gebieten kann. Insofern zeigt sich im Fall der Nidationsverhütung sehr deutlich, dass das Kriterium vom Aus-der-Hand-Geben des Geschehensablaufs zwar in der Regel mit einer unmittelbaren Gefährdung einhergehen wird, jedoch nicht in jedem Falle damit kongruent sein muss. 157  Vgl. Herzberg / Hoffmann-Holland, in: Joecks / Miebach, MK-StGB / 12, § 22 Rn. 131; unter dem Vorbehalt fehlender Revokationsmöglichkeit ebenso: Jakobs, AT2, Abschn.  21, Rn. 105, i. V. m. Abschn.  25, Rn. 72. Anders für Modifikationen der Einzellösung, so etwa bei Wolters, NJW 1998, 578 (580), der auch eine versuchsbegründende Einwirkung i. S. der Einwirkungstheorie erst dann bejahen will, wenn das Tatobjekt in den Wirkungsbereich des Tatmittels eintritt, was in Sachverhalten der Nidationsverhütung – wie dargelegt – aber notwendigerweise ungewiss bleibt. Zsfd. zum Ganzen: Weddig, Giftfalle, 66 f. u. 110; zur Einzellösung s. auch bereits oben Seite  708 f. [a)].

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Entsprechend wird auch das Kriterium vom Aus-der-Hand-Geben des Geschehensablaufs für die mittelbare Täterschaft verschiedentlich in zeit­ licher Hinsicht eingegrenzt und im Zuge dessen um das Verhalten des Tatmittlers (bzw. in den „Selbstschädigungsfällen“ um das Verhalten des Opfers) ergänzt: Nur dann sei das Unmittelbarkeitserfordernis des § 22 StGB bereits mit dem Entlassen des Tatmittlers aus dem Einwirkungsbereich des mittelbaren Täters erfüllt, wenn der Tatmittler die Tat nach der Vorstellung des mittelbaren Täters „im unmittelbaren Anschluss“ ausführen solle158. Demgegenüber fehle es am Unmittelbarkeitserfordernis des § 22 StGB, „wenn der mittelbare Täter das Geschehen schon zu einem Zeitpunkt aus der Hand gäbe, in welchem auch aus seiner Sicht der Tatmittler noch weitere wesentliche Vorbereitungshandlungen ausführen müsste und infolgedessen noch ungewiss ist, zu welchem Zeitpunkt die Gefährdung des Opfers ein akutes Stadium erreichen würde“. In einem solchen Fall soll die Grenze zwischen Vorbereitung und Versuch für den mittelbaren Täter trotz der bereits in Gang gesetzten Kausalkette erst dann überschritten sein, wenn sein Tatmittler „nach Abschluss seiner Vorbereitungen unmittelbar zur Tatausführung ansetzt“159. Mit dieser zeitlichen Eingrenzung und ergänzenden Berücksichtigung des Tatmittlerverhaltens verlangt man also auch für diejenige Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, die auf ein Aus-der-Hand-Geben des Geschehensablaufs abstellt, eine objektive Gefahrverdichtung: das unmittelbare Ansetzens des Tatmittlers selbst bzw. – modifiziert für die „Selbstschädigungsfälle“ – den Eintritt des Opfers in den Wirkungsbereich des Tatmittels. Eben diese objektive Gefahrverdichtung gälte es auch in dem hier besprochenen Fall der Nidationsverhütung nachzuweisen, in dem die Frau mit der Verwendung des Verhütungsmittels das Geschehen bereits zu einem Zeitpunkt aus der Hand gibt, zu dem es noch wesentlicher „Mitwirkungen“ des Opfers bedarf und zu dem damit auch aus der Sicht der Frau noch ungewiss ist, ob und wann ein pränidativer Embryo unmittelbar gefährdet wird. Eine Unmittelbarkeit im Sinne des § 22 StGB setzte damit auch nach dieser Ansicht den Nachweis von der Entstehung eines pränidativen Embryos sowie von dessen Wanderung durch den Eileiter zur Gebärmutterschleimhaut voraus.

dazu u. vorstehendes Zitat aus Wessels / Beulke, AT42, Rn. 615 a. E. dazu u. vorstehende Zitate aus Wessels / Beulke, AT42, Rn. 616; ebenso Hillenkamp, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 112, § 22 Rn. 162; vgl. auch die Ausführungen von Weddig, Giftfalle, 69 u. 117 f., zu solchen Spielarten der „Entlassungstheorie“, die das Entlassen des Geschehens aus dem Herrschaftsbereich um eine „alsbaldige Erfolgserwartung“ des mittelbaren Täters ergänzen. 158  Siehe 159  Siehe



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e) Die Beweisführung über die objektive Gefahrverdichtung Gleich ob man das für den Versuchsbeginn maßgebliche Kriterium der unmittelbaren Rechtsgutsgefährdung nun im Sinne des BGH konkretisierte oder alternativ das Entlassen aus der Tätersphäre für grundsätzlich gefahrund versuchsbegründend anerkannte: Soweit man in einer um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten Rechtsordnung gegen die Nidationsverhütung den Vorwurf eines versuchten Schwangerschaftsabbruchs erheben wollte, stieße man diesbezüglich also unweigerlich auf Beweisschwierigkeiten, wie sie bereits eine Strafbarkeit wegen vollendeten Schwangerschaftsabbruchs unmöglich gemacht haben. So ist bereits zur Strafbarkeit wegen vollendeten Schwangerschaftsabbruchs ausgeführt worden, dass ein Schwangerschaftstest auf hCG, den man zwecks Beweisführung im Anschluss an den 14. Tag nach der Empfängnis anstrengte, nur das Bestehen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Tests ausschließen könnte. Über eine dem negativen Test vorangehende embryonale Gefährdung wüsste dies jedoch nichts auszusagen, wäre zugunsten der Frau doch stets davon auszugehen, dass ein Tatobjekt mangels Befruchtung bereits nie zur Entstehung gelangt sei oder wenigstens einem Spontanabort – statt der Nidationsverhütung – zum Opfer gefallen sei160. Hingegen wüsste man durch die frühzeitige Durchführung eines solchen Schwangerschaftstests, der bereits Veränderungen in den pränidativen Entwicklungsstadien anzeigen soll, einen entsprechenden Gefährdungsnachweis zu erbringen: So verifizierte ein positiver Bluttest auf den so genannten „Early Pregnancy Factor“ bereits 24  bis 48 Stunden nach der Befruchtung, dass ein embryonales Gefährdungsobjekt entstanden ist, das sich nach dem regulären Verlauf seiner Entwicklung überdies im Eileiter befindet, innerhalb dessen die Nidationsverhütung seinen Transport beeinflussen soll. Frühzeitig durchgeführt wiese schließlich auch ein positiver Bluttest auf hCG nicht nur die Empfängnis nach, sondern gäbe überdies zu erkennen, dass die befruchtete Eizelle begonnen hat, sich an die Gebärmutterschleimhaut anzulagern, die infolge der Nidationsverhütung unterentwickelt sein soll. Dass die Nidationsverhütung im konkreten Einzelfall einen Embryo gefährdete, der sich in ihren Wirkungsbereich begeben hat, wäre damit nachgewiesen; dass sie auch kausal für den Eintritt eines Todeserfolgs an ihm würde, müsste – anders als innerhalb des vollendeten Schwangerschaftsabbruchs – für eine Versuchsstrafbarkeit nicht dargelegt werden161. 160  Siehe

dazu oben Seite  692–695 [I.]. einem möglichen Gefährdungs- statt Kausalitätsnachweis durch frühzeitige Bluttests auf EPF und hCG vgl. bereits oben Seite  692–695 [I.] zum vollendeten Abbruch. 161  Zu

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

Während die Beweisführung über einen vollendeten Schwangerschaftsabbruch in Fällen der Nidationsverhütung mithin am fehlenden Kausalitätsnachweis scheitern müsste, stände die Notwendigkeit eines Gefährdungsnachweises der Beweisführung über einen nur versuchten Schwangerschaftsabbruch nicht zwingend entgegen. Jedoch könnte die Gefährdung nur innerhalb eines äußerst engen Zeitfensters aufgezeigt werden: Um jenes Zeitfenster in einer Rechtsordnung, die den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB nicht kannte, zu wahren, müssten die Strafverfolgungsbehörden frühzeitig Kenntnis von der Anwendung einer (gemäß § 218 Abs. 1 S. 1 StGB verbotenen) Nidationsverhütung erlangen und überdies in unmittelbarem Anschluss tätig werden, nämlich die betreffende Frau noch in den fraglichen pränidativen Entwicklungsstadien zu einem Schwangerschaftstest verpflichten. So mag es zwar nicht unmöglich sein, den Beweis über eine diesbezügliche Versuchsstrafbarkeit zu führen, aber man würde optimale Bedingungen zu erfüllen haben: Eine Beweissicherung müsste betrieben werden, noch bevor das Verhütungsmittel erfolgreich die Nidation verhindert hat und ein negativer Schwangerschaftstest von da an lediglich das Bestehen einer Schwangerschaft auszuschließen wüsste, ohne aber die Gründe hierfür benennen zu können. Nachdem man solche optimalen Bedingungen in der Praxis schwerlich würde schaffen können, bilden die fraglichen Beweisschwierigkeiten einen sachlichen Grund dafür, dass § 218 Abs. 1 S. 2 StGB die Nidationsverhütung nicht nur vom Tatbestand des vollendeten Schwangerschaftsabbruchs ausschließt, sondern auch von einer Versuchsstrafbarkeit ausnimmt. Denn jenseits eines eher theoretischen Gedankenspiels um eine optimale Beweissicherung müsste die objektive Gefahrverdichtung, deren Nachweis nach obigen Ausführungen für ein unmittelbares Ansetzen zur Nidationsverhütung erforderlich wäre, in jedem einzelnen Falle zugunsten der Frau verneint werden. Auf der Grundlage einer solchen Bestimmung des unmittelbaren Ansetzens offenbart die Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB damit auch für den versuchten Schwangerschaftsabbruch ihre nur deklaratorische Funktion, indem sie die Nidationsverhütung, die die Grenze zum strafbaren Versuch mangels Nachweises einer objektiven Gefahrverdichtung regelmäßig nicht zu überschreiten vermag, vom Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB ausnimmt. III. Conclusio und Ausblick Wenn vorliegende Untersuchung eingangs also die Fragestellung formuliert hat, ob es einen sachlichen Grund gibt, die Nidationsverhütung von den Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch auszunehmen, so kann bzw. muss diese Fragestellung nach dem vorstehend Erläuterten bejaht werden: Aufgrund von Beweisschwierigkeiten könnte die Nidationsverhütung in



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keinem Falle als vollendeter Schwangerschaftsabbruch bestraft werden. Denn fällt ab dem 14. Tage nach der Empfängnis ein Schwangerschaftstest auf hCG negativ aus, wird man dies stets auf verschiedene Faktoren zurückführen können: darauf, dass eine Empfängnis bereits aus natürlichen Gründen nicht stattgefunden hat oder aber erfolgreich verhütet werden konnte, ebenso darauf, dass bereits ein „embryonales Screening“ die Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut verhindert hat oder aber – insofern nur die letzte von vier Möglichkeiten – die Nidation erfolgreich verhütet werden konnte. Bis zum Zeitpunkt seiner etwaigen Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut bleibt ein sich in vivo entwickelnder Embryo der Außenwelt weitgehend verborgen und tritt zuvor allenfalls mittelbar „in Erscheinung“, wenn 24 bis 48 Stunden nach seiner Empfängnis der „Early Pregnancy Factor“ und etwa ab dem zehnten Tage seiner Entwicklung auch das Schwangerschaftshormon hCG im Blut der fraglichen Frau nachgewiesen werden kann. Selbst wenn auf diesem Wege – ausnahmsweise – von seiner Existenz Kenntnis erlangt werden sollte, wird es der Außenwelt aber unweigerlich verborgen bleiben, wie der fragliche Embryo seinen Tod gefunden hat und ob die Nidationsverhütung hierfür ursächlich geworden ist. An ähnlichen Beweisschwierigkeiten müsste auch eine Versuchsstrafbarkeit wegen der Nidationsverhütung scheitern: Denn zwar erforderte eine diesbezügliche Beweisführung keinen Kausalitätsnachweis, sondern beschränkte sich auf den Nachweis einer objektiven Gefahrverdichtung, den ein noch in den pränidativen Entwicklungsstadien durchgeführter Schwangerschaftstest theoretisch zu erbringen wüsste. Wenn eine Beweisführung über die Versuchsstrafbarkeit mithin auch nicht gänzlich ausgeschlossen ist, so müsste sie sich doch innerhalb eines engen Zeitfensters vollziehen, das eine frühestmögliche Kenntniserlangung und Beweissicherung durch die Strafverfolgungsbehörden voraussetzte und als solches von der Praxis schwerlich würde eingehalten werden können. So potenzieren sich für den pränidativen Lebensschutz in vivo also diejenigen Hindernisse, die die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen gar bereits für den postnidativen Lebensschutz bis zu zwölf Wochen nach der Empfängnis gesehen haben, wenn sie formulierten, dass in frühen Phasen der Schwangerschaft nur die Schwangere und von ihr selbst ins Vertrauen gezogene Personen von der Existenz des neuen Lebens wissen162: „Der Staat sieht sich vor die Aufgabe gestellt, Leben zu schützen, von dessen Vorhandensein er nichts weiß“163. In vivo „verbirgt“ sich der Embryo in seinen pränidativen Entwicklungsstadien aber regelmäßig sogar vor der 162  BVerfGE 163  BVerfGE

I. 2.].

88, 203 (263 u. 266). 88, 203 (263). Siehe dazu oben Kap. 6, Seite  567 [Abschn.  2, A.

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

Frau, die ihn empfangen hat und die seine Existenz gleichwohl nur vermuten oder befürchten, nicht aber verifizieren kann. „Die im Dunkeln sieht man nicht“164 – in Anlehnung an dieses Brecht’sche Zitat aus der Schlussstrophe des Dreigroschenfilms bleibt die Täterschaft einer die Nidation verhütenden Frau deshalb verborgen, weil die Existenz ihres potenziellen Opfers regelmäßig und die Art seines Todes gar nie zur Kenntnis gelangt, über eine Tat der Nidationsverhütung vielmehr ein „Grauschleier der Ungewißheit“165 gelegt ist. Die Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB stellt mithin für alle Fälle der Nidationsverhütung nur das klar, was anderenfalls eine Anwendung der Vorschriften über den Schwangerschaftsabbruch in jedem Einzelfall ergeben müsste. Durch ihre nur deklaratorische Funktion erfährt § 218 Abs. 1 S. 2 StGB eine sachliche Begründung und stellt nicht eine mögliche Entscheidung des Gesetzgebers in Frage, auch das pränidative ungeborene Leben im Anschluss an die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG als gleichwertig zum postnidativen ungeborenen Leben zu behandeln.

C. Die gesetzliche Schutzfähigkeit jenseits des Erfolgsdelikts Soweit also zeigt sich das Strafgesetz tatsächlich nicht fähig, einen pränidativen Lebensschutz in vivo durch die Normierung eines Erfolgsdelikts zu verwirklichen, und muss die diesbezügliche Schutzlosigkeit des Embryos zu einer auf die pränidativen Entwicklungsstadien erstreckten Gleichwertigkeitsthese nicht zwingend in Widerspruch treten. Aber auch wenn man § 218 Abs. 1 S. 2 StGB in diesem Sinne als eine deklaratorische statt rechtsgestaltende Regelung klassifiziert, die nur dasjenige generell-abstrakt regelt, was anderenfalls eine Subsumtion unter die Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 1 StGB bzw. die Versuchsvorschriften der §§ 218 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB erwarten ließe, so befreit dies die gesetzliche Regelung der Nidationsverhütung doch nicht von der weitergehenden Fragestellung, weshalb es der Gesetzgeber unterlassen hat, die Nidationsverhütung alternativ zum Gegenstand eines abstrakten Gefährdungstatbestands und / oder Produkt- und Vertriebsverbots zu erheben166. Denn wenn sich die Vollendungs- wie Versuchsstrafbarkeit einer Verwenderin von Nidationsverhütungsmitteln im Rahmen eines Erfolgsdeliktes 164  Brecht, Die Dreigroschenoper, 109. Vgl. auch „Die Moritat von Mackie Messer“, 5. Strophe a. E., a. a. O., 7: „Und sein Geld hat Mackie Messer / Dem man nichts beweisen kann“ (Hervorhebungen nicht im Orig.). 165  Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (150). 166  Siehe dazu bereits eingangs des vorliegenden Kapitels auf Seite  685 f. [Abschn.  1, B.].



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auch nicht würde nachweisen lassen, so muss – solange die einschlägige Literatur eine nidationsverhütende Wirkung annimmt oder wenigstens vermutet – doch unterstellt werden, dass in einer nicht näher bestimmten Anzahl der Fälle eine bereits befruchtete Eizelle an der Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut gehindert und mithin ein pränidativer Embryo in vivo getötet wird167. Offen bleibt nur die Bestimmung des jeweiligen konkreten Einzelfalls, in dem sich die generelle Gefährlichkeit der Nidationsverhütung tatsächlich zu einer unmittelbaren Gefährdung des Embryos verdichtet oder in der Folge gar zum Erfolg (Absterben mangels möglicher Einnistung) führt. Für ein abstraktes Gefährdungsdelikt, dessen Strafgrund bereits die generelle Gefährlichkeit einer Verhaltensweise für ein zu schützendes Rechtsgut ist, wäre dies aber unerheblich168. Ebenso ließe sich – anders als in Fällen der fahrlässigen Tötung eines Ungeborenen oder der Verletzung seiner Integrität – auch die Tathandlung für ein abstraktes Gefährdungsdelikt der Nidationsverhinderung hinreichend bestimmt benennen. So hat vorliegende Untersuchung die Erfolgsaussichten eines Strafgesetzes, das die allgemeine Lebensführung der Schwangeren zu reglementieren suchte, noch als „von der Sache her begrenzt“ beschreiben müssen, nachdem sich diesbezüglich zu viele Verhaltensweisen als mögliche Tathandlung offerieren, deren Kausalität für einen Tötungs- oder Verletzungserfolg ob der Vielfalt möglicher Ursachen nicht nachvollzogen werden kann und die sich alternativ auch nicht unter die gemeinsame Tathandlung eines abstrakten Gefährdungsdeliktes zusammenfassen ließen, ohne gegen den Bestimmtheitsgrundsatz zu verstoßen169. Demgegenüber gilt es in Sachverhalten der Nidationsverhütung, einen bestimmten absichtlichen Angriff auf das Ungeborene abzuwehren, der sich als solcher von der allgemeinen Lebensführung der Schwangeren hervorhebt. Weil vor der Einnistung des Embryos in der Gebärmutterschleimhaut weder seine Existenz noch seine erfolgreiche Wanderung an denjenigen Ort, an dem das Tatmittel seine Wirkung entfalten soll, verifiziert werden kann, schiede es zwar auch für diesen absichtlichen Angriff aus, aus allgemeinen Erfahrungssätzen auf den Kausalitätsnachweis oder auch nur auf eine objektive Gefahrverdichtung zu schluss167  So bereits eingangs formuliert auf Seite  685 [Abschn.  1, B.]; ebenso bei Spiekerkötter, Verfassungsfragen, 107. Ebenso wäre ein Wissen der Schwangeren um die abstrakte Gefahr der Nidationsverhütung zu unterstellen, das aber nicht mit dem bedingten Vorsatz bzw. Tatentschluss zur Tötung eines Embryos im konkreten Einzelfall verwechselt werden darf; uneindeutig insofern Klopfer, Forschung, 64. 168  Unzutreffend insoweit Henking, Wertungswidersprüche, 197, soweit sie die im Einzelfall bestehende Ungewissheit über die Existenz eines Tatobjekts mit einem Hindernis auch für die Normierung eines abstrakten Gefährdungsdeliktes identifiziert. 169  Dazu oben Kap. 4, Seite  294 [Abschn.  3, B. I. 2. a)]. Zitat entnommen der Stellungnahme der BuReg gemäß § 77 BVerfGG; zsfd. BVerfGE 39, 1 (25).

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folgern170. Unter Referenz auf die spezifische Wirkungsweise der Verhütung könnte er jedoch unschwer als Tathandlung eines abstrakten Gefährdungsdeliktes benannt und so der Reglementierung zugeführt werden171. Entsprechend hat der BGH im Fall der „Passauer Giftfalle“ auch eine Strafbarkeit des Apothekers wegen versuchten Totschlags verneint, eine Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von schädlichen Stoffen als Lebensmittel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes172 aber bejahen können: nicht wegen – von § 22 StGB für den Versuch vorausgesetzter – unmittelbarer, sondern abstrakter Gefährdung des Rechtsguts. Im Sinne obigen Zitats aus dem Dreigroschenfilm mag es damit unmöglich sein, eine konkrete Tat zu verfolgen, die sich „im Dunkeln“ an einem „nicht gesehenen Opfer“ vollzieht. Es bleibt aber ohne Weiteres möglich, solche Verhaltensweisen zu unterbinden, die ihren Anfang „in der Helligkeit“ nehmen – nämlich ebenda vorgenommen werden – und nur ihre Wirkung „im Dunkeln“ entfalten. Wenn sich mit der Anwendung des Nidationsverhütungsmittels für jeden erkennbar eine generell gefährliche Verhaltensweise manifestiert, deren Auswirkungen im konkreten Einzelfall nur ungewiss bleiben, dann ist der Gesetzgeber in keiner Weise gehindert, bereits die für ihn erkennbare Vornahme der gefährlichen Verhaltensweise zu unterbinden, ungeachtet ihrer – nicht erkennbaren – Auswirkungen im konkreten Einzelfall. Der Gesetzgeber hat aber nicht nur auf die Normierung eines abstrakten Gefährdungstatbestandes der Nidationsverhütung verzichtet, sondern auch auf diejenige eines Produkt- und Vertriebsverbots, das die Abtötung des intrakorporal empfangenen Embryos in seiner pränidativen Lebensphase durch Verwendung entsprechender Mittel faktisch unmöglich machen würde173. Während § 218 Abs. 1 S. 2 StGB mithin noch als das Ergebnis einer generell-abstrakt vorweggenommenen Subsumtion begriffen werden kann, deutet der weitergehende Verzicht auf die Normierung jeglichen Verbotstat170  Anders für postnidative absichtliche Abbruchshandlungen; s. oben Kap. 4, Seite  295 f. [Abschn.  3, B. I. 2. b)]. 171  Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kap. 4, Seite  294 [Abschn.  3, B. I. 2. a)]. 172  Siehe das Gesetz zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts v. 15.08.1974; BGBl. I, Nr. 95 v. 20.08.1974, 1945 (1960). Seit dem 07.09.2005 ersetzt durch das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch: s. Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts v. 01.09.2005; BGBl. I, Nr. 55 v. 06.09.2005, 2618; berichtigt mit Gesetz v. 18.10.2005: BGBl. I, Nr. 65 v. 21.10.2005, 3007. 173  So bereits eingangs formuliert auf Seite  685 f. [Abschn.  1, B.]. Vgl. das Verbot eines Inverkehrbringens von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft in § 219b StGB u. s. zur Diskussion eines Produkt- und Vertriebsverbots der „Pille danach“ außerdem Dreier, ZRP 2002, 377 (379).



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bestandes eher auf das Ergebnis einer rechtspolitischen Entscheidung hin, die dem pränidativen Lebensschutz in vivo die selbstbestimmte Entscheidung der Frau über ihre Fortpflanzung voranstellte. Nach embryonaler Schutzbedürftigkeit und gesetzlicher Schutzfähigkeit leitet dies die Untersuchung zu ihrem nächsten Gesichtspunkt, der den gesetzgeberischen Verzicht auf einen pränidativen Lebensschutz in vivo auch jenseits des Erfolgsdelikts soll erklären können174: der neuerlichen Rücksichtnahme auf einen etwaigen Konflikt der schwangerschaftsunwilligen Frau, der ihrer symbiotischen Beziehung mit dem pränidativen Embryo in vivo entspringt und ob dessen ihr Verhaltensunrecht herabgesetzt sein könnte.

D. Das Verhaltensunrecht der verhütenden Frau oder die pränidative Schutzwürdigkeit des Embryos in vivo: Im Konflikt mit der Selbstbestimmung Dass eine symbiotische Verbindung mit dem Ungeborenen Anlass zu verschiedensten Konflikten mit dem Leben, der physischen wie psychischen Gesundheit oder auch schlicht der Selbstbestimmung der Schwangeren gibt, haben die vorangehenden Kapitel bereits aus jeweils unterschiedlichem Blickwinkel dargelegt. Sie haben ebenfalls aufgezeigt – und kritisiert –, wie die Rechtsordnung verschiedentlich gewillt ist, Eingriffe in das ungeborene Leben bereits zu einem Zeitpunkt zuzulassen, zu dem sich ein Konflikt mit den Rechtsgütern der Frau noch nicht aktualisiert hat, eine rechtfertigende bis tatbestandsausschließende Konfliktlage der Frau mithin nur antizipiert wird. Ferner haben sie aufgezeigt, dass das Gesetz jener (auch antizipierten) Konfliktlage nur für den Fall rechtfertigende oder tatbestandsausschließende Wirkung beimisst, dass sich diese Beeinträchtigungen als unzumutbar darstellen (wie in den Fällen der rechtfertigenden Indikationen gemäß § 218a Abs. 2, Abs. 3 StGB) bzw. der Schwangeren zugestanden wird, ihre Schwangerschaft in eigener Person für unzumutbar zu befinden (wie im Falle des § 218a Abs. 1 StGB, der keine Feststellung eines Indikationentatbestandes durch einen Dritten verlangt). Die Sorge um einen antizipierten Konflikt wird die Frau nun auch zur Anwendung einer Nidationsverhütung motivieren: Dabei wird die verhütende Frau im Regelfall voraussehen, welche Auswirkungen eine Schwangerschaft und Mutterschaft auf ihre bis dato selbstbestimmte Lebensführung hätte, und wird bestrebt sein, die potenzielle symbiotische Beziehung zu einem Ungeborenen noch in seinen pränidativen Entwicklungsstadien zu beenden, um so möglichen Beeinträchtigungen ihrer Selbstbestimmung Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (149), zu „zwei teleologische[n] Hauptgesichtspunkte[n]“ der Straffreiheit der Nidationsverhütung. 174  Vgl.

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frühzeitig vorzubeugen. Jene Selbstbestimmung ist Teil des in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches „auch die Selbstverantwortung der Frau umfasst, sich gegen eine Elternschaft und die daraus folgenden Pflichten zu entscheiden“175. Sofern der Gesetzgeber also auch jenseits der Erfolgsdelikte auf ein Verbot der Nidationsverhütung verzichtet, was mit Beweisschwierigkeiten nicht erklärt zu werden vermag, müsste in Erwägung gezogen werden, dass sein diesbezügliches Schweigen widerspiegelte, wie er das Verhältnis zwischen dem pränidativen Ungeborenenschutz und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau generell-abstrakt entschieden wissen möchte: Insofern unterstellte er, dass allen Sachverhalten der Nidationsverhütung die Sorge um denselben (antizipierten) Konflikt eigen ist und dass jener Konflikt ausnahmslos zugunsten der Frau entschieden werden müsste, die auf eine selbstbestimmte Fortpflanzung bedacht ist und der diesbezügliche Einschränkungen nicht sollen zugemutet werden können. Weil er die Entscheidung über den Konflikt zwischen pränidativem Lebensschutz und weiblicher Selbstbestimmung insoweit vorwegnähme und eine abweichende Einschätzung ablehnte, meinte er das diesbezügliche Abwägungsergebnis typisieren zu können, statt es erst in Abhängigkeit von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls finden zu müssen. Dabei behielte der Gesetzgeber jene Typisierung auch nicht erst solchen Wertungsebenen vor, die einem Grundtatbestand der Nidationsverhütung nachfolgten und insofern systematisch nur eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Gefährdung eines pränidativen Ungeborenen formulierten. Indem er stattdessen bereits auf die Formulierung eines Verbotstatbestandes verzichtet, entschiede er über Sachverhalte der Nidationsverhütung systematisch anders als über solche des medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruchs, in denen er das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem Leben des postnidativen Ungeborenen und den Rechtsgütern der Frau zwar ebenfalls abstrakt-generell vorwegnimmt, jenes Ergebnis durch § 218a Abs. 2 StGB aber erst auf der Ebene der Rechtfertigung festschreibt. Entsprechend unterschiede sich seine (Nicht‑)Regelung der Nidationsverhütung von der gesetzlichen Behandlung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs, für den er zwar eine Unerheblichkeitserklärung der Frau zulässt, jene aber in die Figur des dem Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB nachfolgenden Tatbestandsausschlusses kleidet176. Inwieweit es sich in einen der Gleichwertigkeitsthese verpflichteten pränidativen Ungeborenenschutz integrieren ließe, dass der Gesetzgeber in diesem Sinne Rücksicht auf eine antizipierte Konfliktlage zu nehmen versuchte, die die betroffene Frau vorausschauend als unzumutbar identifizier175  Zitat

176  Zsfd.

entnommen aus BVerfGE 39, 1 (43). dazu oben Kap. 6, Seite  562  [Abschn.  1, D.].



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te und von der sie sich in der Folge durch eine Nidationsverhütung frühzeitig zu befreien versuchte, soll im Folgenden seine Betrachtung erfahren. I. Die Antizipation eines Konflikts und seine präventive bis antizipierte Abwehr Zunächst kehrte in einem so erklärten Verzicht auf das Verbot der Nidationsverhütung also die Bereitschaft des Gesetzgebers wider, innerhalb des Ungeborenenschutzes Konfliktlagen zu antizipieren: Einer schwangerschaftsunwilligen Frau würde nunmehr ausnahmslos zugestanden, auf das intrakorporal empfangene ungeborene Leben noch in seinen pränidativen Entwicklungsstadien mit Tötungsabsicht einzuwirken, bevor es die Selbstbestimmung der jeweiligen Frau überhaupt zu beeinträchtigen begonnen hat und sobald nur die Vorstellung von seiner gegenwärtigen oder auch erst kommenden Existenz quasi eine „Vorschau“ auf kommende mögliche Beeinträchtigungen ihrer Lebensplanung und -gestaltung erlaubt. 1. Die Antizipation von Konfliktgrundlagen und Konfliktentstehung

Anders als die bis dato besprochenen Sachverhalte aber kennzeichnet die Nidationsverhütung darüber hinaus, dass zum fraglichen Zeitpunkt ihrer Anwendung selbst die Grundlagen des vorausgesehenen Konflikts – die symbiotische Verbindung des Embryos mit der Gebärmutterschleimhaut der Frau und dem vorangehend seine Entstehung – noch keine Verifizierung haben erfahren können. Für die reguläre Verhütung ergibt sich dies bereits aus ihrer Eigenart, dass sie vorausschauend – noch vor einem womöglich zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr oder während eines solchen – zur Anwendung kommt, für die Notfallverhütung wiederum daraus, dass sie maximal bis zu fünf Tage nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr Anwendung finden kann177, ein herkömmlicher Schwangerschaftstest aber erst ab etwa dem zehnten Tag nach der Empfängnis den Nachweis über das Schwangerschaftshormon hCG soll führen können178. Die Verwenderin einer Nidationsverhütung wirkt damit in einem so nahen Zusammenhang mit der möglichen Empfängnis auf ihren Körper ein, dass bereits über die Existenz des embryonalen Tatobjekts, das erst Anlass zur Sorge um künftige 177  Zur Anwendung der regulären Verhütungsmittel s. oben Seite  675–679 [Abschn. 1, A. II. 1.]; zur Eignung der Notfallverhütung innerhalb eines Zeitfensters von 72 bis 120 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr s. oben Seite 679 f. [Abschn.  1, A. II. 2.], u. BZgA, Sichergehn, 70 u. 72. 178  Zum Nachweis des Schwangerschaftshormons hCG im Blut ab zehn Tagen, im Urin ab bis zu 14 Tagen nach der Befruchtung s. oben Seite  692 [B. I.] m. w. N.

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Konflikte gibt, keine Gewissheit bestehen wird. Auch ein – in der Praxis wohl kaum zur Anwendung kommender – Test auf den „Early Pregnancy Factor“ vermöge zwar früher – nämlich bereits 24 bis 48 Stunden nach der Befruchtung – die Befruchtung einer Eizelle nachzuweisen179, wüsste aber gerade wegen seiner frühen Verwendung wiederum keine Aussage darüber zu treffen, ob die positiv getestete, befruchtete Eizelle Anstalten machen wird, sich in die Gebärmutterschleimhaut der Frau einzunisten, oder einem (in diesen Entwicklungsstadien nicht unüblichen) Spontanabort zum Opfer fallen wird180. Ungewiss wird damit in jedem Fall die symbiotische und im weiteren Verlauf konfliktbegründende Verbindung mit dem Körper der Frau bleiben, die durch Anwendung des Verhütungsmittels gerade verhindert werden soll. Erst recht bleibt es schließlich ein theoretisches Gedankenspiel, ob sich mit der verifizierten Schwangerschaft und Aussicht auf ein Kind tatsächlich ein Konflikt aktualisieren wird oder aber ob sich die Frau mit ihrer veränderten Lebenssituation – aus dem aktuellen Erleben heraus – nicht doch wird arrangieren können und wollen. Demgegenüber ist in den Sachverhalten des § 218a Abs. 1 StGB der Nachweis über eine Schwangerschaft erbracht181 und auch der zum Abbruchsverlangen motivierende Konflikt, den die Schwangere für ihre weitere Lebensplanung und -gestaltung erwartet, innerhalb von Schwangerenkonfliktberatung und ärztlicher Beratung wenigstens verschiedentlich erfragt (wenn auch nicht zwingend ermittelt) worden182. In den Sachverhalten einer rechtfertigenden medizinisch-sozialen Indikation muss eine entsprechende Konfliktprognose darüber hinaus durch einen Dritten „nach ärztlicher Erkenntnis“ formuliert worden sein: Untersuchungen der Schwangeren müssen auf eine künftige Gefährdung in ihrem Leben oder ihrer körperlichen Gesundheit durch die Schwangerschaft folgern lassen oder aber der Pränataldiagnostik müssen Hinweise auf eine Behinderung des Fetus zu entnehmen sein, die es – auch mit Blick auf die durch die Geburt eines behinderten Kindes veränderte Lebenssituation – rechtfertigen sollen, eine künftige Geoben Seite  693 f. [B. I.] und Moore / Persaud, Embryologie5, 48 u. 58. erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Spontanaborts vor der Nidation („embryonales Screening“) s. bereits oben Seite  693 [B. I.] und Moore / Persaud, Embryologie5, 50 u. 62 f. Zur Def. des Spontanaborts s. dies., Embryologie-Atlas4, 52 f. 181  Vgl. die Vorschrift des § 218c Abs. 1 Nr. 3 StGB, die einem Arzt in den Fällen des § 218a Abs. 1 und 3 den Schwangerschaftsabbruch untersagt, wenn er sich nicht zuvor aufgrund ärztlicher Untersuchung von der Dauer der Schwangerschaft überzeugt hat. 182  Zur Schwangerenkonfliktberatung s. § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG u. oben Kap. 6, Seite  629 f. [Abschn.  2, B. II. 1. c)]. Zur ärztlichen Beratung s. § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB und oben Kap. 6, Seite  631–634 [Abschn.  2, B. II. 1. d)]. Eine Offenbarungspflicht der beratenen Frau wird hingegen in Konfliktberatung wie ärztlicher Beratung gleichermaßen verneint; s. oben Kap. 6, a. a. O. 179  Siehe 180  Zur



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fahr für die seelische Gesundheit der Mutter zu prognostizieren183. Gleichwohl damit weder die medizinisch-soziale Indikation des § 218a Abs. 2 StGB noch die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB eine gegenwärtige Gefährdung der Schwangeren verlangen, beide unter Abstellung auf auch „zukünftige Lebensverhältnisse“184 im Gegenteil verschiedentlich Konfliktlagen antizipieren, setzen sie doch gleichermaßen voraus, dass die Grundlagen des Konflikts – eine Schwangerschaft und gegebenenfalls ein medizinisch-sozial begründetes Gefahrenpotenzial – zum Zeitpunkt der Abbruchsmaßnahmen bereits vorliegen und überdies bekannt sind. An dieser Stelle offenbart sich also das Spezifikum von Sachverhalten der Nidationsverhütung, in denen nicht nur ein weiterer Geschehensablauf prognostiziert wird, sondern es darüber hinaus gar an der zugrunde liegenden Prognosebasis mangelt. Nicht nur der Eintritt eines Konflikts wird auf der Grundlage bekannter Daten antizipiert – ohne zu wissen, ob der weitere Geschehensablauf nicht etwa Gegenfaktoren entwickelt, die die Wahrscheinlichkeit dessen Eintritts mindern –, sondern auch das Datum der Schwangerschaft wird vorweggenommen – ohne zu wissen, ob sich die Wahrscheinlichkeit bis Unwahrscheinlichkeit einer Empfängnis überhaupt bestätigen und sich das so entstandene Leben, ungestört durch ein natürliches „embryonales Screening“, tatsächlich erfolgreich in der Gebärmutterschleimhaut seiner Mutter implantieren wird. So bleibt es also nicht bei der einen, seit den vorangegangenen Kapiteln bereits bekannten Antizipation einer Konfliktlage, wenn basierend auf den Kenntnissen über die Schwangerschaft – gegebenenfalls ergänzt um Kenntnisse über den Gesundheitszustand der Schwangeren und / oder chromosomale Auffälligkeiten des Fetus – „nur“ ein weiterer Geschehensablauf prognostiziert wird. Antizipiert werden darüber hinaus bereits die Grundlagen des potenziellen Konflikts: nämlich die embryonale Existenz und deren beginnende symbiotische Verbindung mit dem Körper der Frau, die erst den Anfangspunkt jedes weiteren Geschehensablaufs innerhalb einer Schwangerschaft und mithin einer beliebigen Konfliktentstehung setzen würde. Insofern wirkt die Frau also nicht deshalb in Tötungsabsicht auf einen (potenziell entstandenen) Embryo ein, weil sie einen Weg aus einer bereits aktualisierten Konfliktlage zu finden suchte. Sie wirkt auch nicht deshalb auf ihn ein, weil sie auf bereits verifizierte Grundlagen einer erst für die Zukunft erwarteten Konfliktlage reagieren wollte. Stattdessen trägt sie Vorsorge dafür, dass die Grundlagen eines Konflikts – die mögliche Nidation und 183  Vgl. die Vorschrift des § 218b Abs. 1 StGB, die einem Arzt in den Fällen des § 218a Abs. 2 und 3 den Schwangerschaftsabbruch untersagt, wenn ihm keine schriftliche Feststellung eines anderen Arztes vorliegt, demnach die Voraussetzungen einer Schwangerschaftsabbruchsindikation gegeben sind. 184  So der Wortlaut des § 218a Abs. 2 StGB.

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symbiotische Verbindung mit einem Ungeborenen – gar nicht erst zur Entstehung gelangen: Sie reagiert darauf, dass die erste Bedingung einer solchen konflikttragenden Verbindung mit der Befruchtung einer Eizelle bereits geschaffen worden sein könnte oder in der Zukunft womöglich noch entstehen wird, wenn ein Geschlechtsverkehr zu einer unerwünschten Empfängnis führt. 2. Doppelte Antizipation in Sachverhalten der Notfallverhütung und regulären Verhütung

Diese doppelte Antizipation von Konfliktentstehung wie Konfliktgrundlagen findet sich nun in Sachverhalten der Notfallverhütung wie der regulären Verhütung gleichermaßen wieder. Was sie voneinander unterscheidet, ist der Grad ihrer – auf die Empfängnis bezogenen – Ungewissheit. So werden die Frau und der von ihr konsultierte fachkundige Dritte in Sachverhalten der Notfallverhütung wenigstens eine Einschätzung über die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer unerwünschten Empfängnis getroffen haben, indem sie die Daten über den Termin und – sofern es mehrfach dazu gekommen sein sollte – über die Häufigkeit ungeschützten Geschlechtsverkehrs mit einer Bestimmung der fruchtbaren Tage im Monatszyklus zusammenführen. Insoweit reagiert die Anwendung einer Notfallverhütung auf eine Ungewissheit darüber, ob ein ungeschützter Geschlechtsverkehr zu einer Empfängnis führt oder womöglich bereits geführt hat, ebenso auf für den konkreten Einzelfall bezifferte Wahrscheinlichkeitsaussagen. Ihre Anwendung entspringt so zwar keinem aktualisierten Schwangerschaftskonflikt, aber wenigstens einer begründeten Sorge, dass sich durch bereits entfaltete Verhaltensweisen die erste Bedingung verwirklichen – nämlich eine embryonale Existenz zur Entstehung gelangen – könnte, die im weiteren Geschehensablauf einem Konflikt mit der Selbstbestimmung der betroffenen Frau den Weg ebnen könnte. Bezüglich der zweiten Bedingung einer Konfliktentstehung, die mit der auf die Empfängnis folgenden Nidation identifiziert werden kann, handelt die jeweilige Verwenderin freilich ausschließlich präventiv statt reaktiv, wenn sie zu einem solch frühen Zeitpunkt Gegenmaßnahmen trifft, dass sich eine befruchtete Eizelle mit Sicherheit noch nicht in ihre Gebärmutterschleimhaut eingenistet hat, sondern eben hieran im Wege der Verhütung noch gehindert werden soll. Anders nun in den Sachverhalten der regulären Verhütung, in denen die jeweilige Frau nicht auf einen ungeschützten Geschlechtsverkehr reagiert, sondern vorsorglich Maßnahmen trifft – etwa die Antibabypille einnimmt –, um einen Geschlechtsverkehr ausüben zu können, der nicht mit dem Risiko einer Schwangerschaft behaftet ist. Die Anwendung der Verhütung entspringt an dieser Stelle keinem bereits aktualisierten Konflikt und auch keiner Unge-



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wissheit wie begründeten Sorge darüber, dass bereits entfaltete Verhaltensweisen die erste Bedingung eines in der Entstehung begriffenen Konflikts verwirklichen könnten. In keiner Weise reaktiv, sondern ausschließlich präventiv wird also die regulär verhütende Frau tätig: Um sexuell aktiv sein zu können, ohne Beeinträchtigungen ihrer selbstbestimmten Lebensführung durch eine unerwünschte Schwangerschaft befürchten zu müssen, will sie unter Anwendung der Verhütung in einem ersten Schritt bereits der Empfängnis entgegenwirken. Weil sie einer Empfängnis aber jenseits der Enthaltsamkeit und Sterilisation nicht mit vollkommener Sicherheit vorbeugen kann, soll ihr die reguläre Anwendung auch nidationsverhindernder Mittel darüber hinaus gewährleisten, dass sich ein erwartungswidrig entstehender Embryo nicht in ihre Gebärmutterschleimhaut würde einnisten können. Insofern ist die Frau zum Zeitpunkt der Anwendung des Verhütungsmittels noch nicht – wenn es sich um ein reguläres Verhütungsmittel handelt – bzw. wenigstens nicht erheblich – wenn sie eine Maßnahme der Notfallverhütung trifft – belastet: Während sich die regulär verhütende Frau nur innerhalb ihrer allgemeinen Lebensplanung mit der Entscheidung hat befassen müssen, wie sie sich vor einer Schwangerschaft und Mutterschaft schützen will, vermag die Ungewissheit in Sachverhalten der Notfallverhütung darüber, ob sich das Risiko einer Empfängnis verwirklicht hat, zwar durchaus zu quälen, wird gleichwohl aber noch zu derjenigen „Normalsituation“ gezählt werden müssen, „mit der jeder fertig werden muss“185. Vor allem aber ist die Anwendung der Nidationsverhütung damit in einem Kontext angesiedelt, dessen weitere Entwicklung gemeinhin noch abgewartet werden könnte, bevor man ihn als Begründung für einen potenziellen Eingriff in fremde Rechtsgüter anerkannte: Abgewartet werden könnte zum einen, ob sich eine Empfängnis und Nidation – die Voraussetzungen einer symbiotischen Verbindung und mit ihr die Grundlagen des künftigen, bis dato nur vorausgesehenen oder vermuteten Konflikts – überhaupt bestätigen. Abgewartet werden könnte zum anderen, ob sich die Einstellung der jeweiligen Frau noch wandeln wird, wenn sie die Abwägung zwischen ihren eigenen Rechtsgütern und dem Leben des Ungeborenen in einer nicht nur hypothetisch gezeichneten, sondern aktualisierten Konfliktlage zu entscheiden hat. Diese Wartezeit auszuharren ist jedoch weder die verhütende Frau bereit noch verlangt es ihr die Rechtsordnung ab. 3. Eine präventive und antizipierte Nidationsabwehr

Dass die Rechtsordnung darauf verzichtet, eine entsprechende Erwartung zu formulieren, deutet jedoch noch nicht darauf hin, dass sie das durch die 185  Vorstehende

Zitate aus BVerfGE 39, 1 (49).

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Nidationsverhütung bedrohte pränidative ungeborene Leben gering schätzte. Indem sie eine vorsorgende Nidationsverhütung zulässt, könnte die Rechtsordnung der schwangerschaftsunwilligen Frau auch nur zugestehen wollen, dass sie in Reaktion auf die bis dato nur antizipierte Konfliktlage vorsorgend tätig wird, nämlich auf die embryonale Entwicklung (präventiv) einwirkt, noch bevor sich der Embryo an die Uterusschleimhaut anzulagern versucht hat, oder aber wenigstens eine (antizipierte) Abwehr für den Fall vorbereitet, dass sich der Embryo mit dem Körper der Frau symbiotisch zu verbinden versucht. Dass ein solches Zugeständnis nicht zwingend mit einer Geringschätzung des von der präventiven oder antizipierten Abwehr betroffenen Rechtsguts einhergehen muss, zeigt ein Blick in die weitere Rechtsordnung: Denn auch andernorts zeigt sich die Rechtsordnung bereit, einer solchen – präventiven wie antizipierten – Vorsorge gegen einen nur vorausgesehenen Konflikt unrechtsmindernde Wirkung zuzumessen. a) Das präventive Wirkelement der Nidationsverhütung Dies gilt zunächst für die so genannten Präventivmaßnahmen. Als Präventivmaßnahme bezeichnet die Rechtsliteratur diejenige Abwehr, die sich gegen einen nur für die Zukunft vorausgesehenen Angriff richtet – so etwa, wenn ein Täter einen Anderen von dessen ihm zur Kenntnis gelangten Mordvorhaben abhalten will und ihn zu diesem Zweck präventiv in seinem Zimmer einschließt186. Während eine Rechtfertigung nach § 32 StGB mangels gegenwärtigen Angriffs ausscheiden muss, erkennt die Rechtsordnung jene Präventivmaßnahmen unter Anwendung des § 34 StGB als rechtmäßig an, sofern die vorbeugende Abwehr nur die Grenzen der Verhältnismäßigkeit wahrt und schwere Verletzungen des davon Betroffenen vermeidet187. Dass nun auch der Nidationsverhütung ein solch präventives Wirkelement eigen ist, soll im Folgenden am Beispiel der „Pille danach“ Erläuterung finden. So war zunächst in den Wirkmechanismus der früher üblichen „Pillen danach“ ein präventives Element integriert, wenn ihr – wie im Falle der fünf- bis sechstägigen, hochdosierten Gabe von Diäthylstilböstrol – zuge186  Zum alternativen Begriff der „Präventiv-Notwehr“ s. Suppert, Notwehr, 403; im Anschluss hieran auch Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck, 457 (478). Dieser alternative Terminus führt jedoch in die Irre, impliziert er doch eine Anwendung der Notwehrvorschriften, gleichwohl jene nach heute herrschender Meinung mangels gegenwärtigen Angriffs i. S. d. § 32 StGB nicht einschlägig sind; anders noch Suppert, Notwehr, 404, zu einer analogen Anw. des früheren Notwehrparagraphen § 53 StGB a. F. 187  BGHSt 39, 133 (136 f.); Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 16 f.; Roxin, NStZ 1993, 335 (335); ders., in: Vogler, FS-Jescheck, 457 (479 f. u. 483); Wessels /  Beulke, AT42, Rn. 329.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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schrieben wurde, den Transport des frühen Embryos durch den Eileiter zu beschleunigen, sodass der Embryo zu früh im Uterus ankommt und auf ein unvorbereitetes Endometrium trifft188. Gleichermaßen präventiv stellt sich die Wirkungsweise heutiger „Pillen danach“ dar, soweit ihnen zugeschrieben wird, den Transport der Eizelle durch den Eileiter zu verzögern anstatt zu beschleunigen189. Denn damit sich ein Embryo in der Uterusschleimhaut der Frau einnisten kann, muss er das Endometrium zum rechten Zeitpunkt erreichen, nachdem es in der so genannten Sekretionsphase des weiblichen Menstruationszyklus hinreichend auf die embryonale Nidation vorbereitet und bevor sein Abbau in der anschließenden ischämischen Phase eingeleitet worden ist190. Indem die jeweilige Frau nun unter Anwendung einer solchen Nidationsverhütung darauf hinwirkt, dass sich der Transport des Embryos durch den Eileiter entweder beschleunigt oder aber verzögert, tritt sie seiner symbiotischen Verbindung mit ihrem Körper präventiv entgegen, noch bevor er überhaupt Anstalten gemacht hat, sich an ihre Uterusschleimhaut zu adplantieren und so die Grundlage für einen kommenden Konflikt mit ihrer Selbstbestimmung zu schaffen. Vergleichbar demjenigen Täter, der einen potenziellen Angreifer durch seine Einschließung von seinem Tatvorhaben abhält oder anderweitig darauf hinwirkt, dass der Angreifer den Ort des Tatgeschehens nicht bzw. zu spät erreichen wird191, trägt sie dafür Sorge, dass das Ungeborene an den Ort eines möglichen Nidationsgeschehens entweder zu früh oder aber zu spät gelangt und seine Implantationsversuche so misslingen müssen. b) Das antizipierte Wirkelement der Nidationsverhütung Maßgeblich aber wird den heute üblichen „Pillen danach“ die Wirkung zugeschrieben, den Aufbau des Endometriums und mithin dessen Vorbereitung auf eine mögliche Implantation zu stören192. Hierin manifestiert sich eine anderweitige, nunmehr antizipierte statt präventive Vorsorge gegen den vorausgesehenen Konflikt mit der Selbstbestimmung der Frau. Anerkennung findet eine solche antizipierte Konfliktvorsorge auch andernorts innerhalb des § 32 StGB, wenn die Rechtsordnung die so genannEmbryologie5, 63. Imago Hominis 2000, 254 (255). 190  Moore / Persaud, Embryologie5, 63 u. 65. Zu den verschiedenen Phasen des Menstruationszyklus – einschl. Sekretionsphase und ischämischer Phase – s. dies., a. a. O., 34 f. 191  Dazu Roxin, in: Vogler, FS-Jescheck, 457 (483 f.); Wessels / Beulke, AT42, Rn. 329; vgl. ferner BGHSt 13, 197 m. Anm. Roxin, a. a. O., 457 (481); BGHSt 39, 133 (134), m. Anm. Roxin, NStZ 1993, 335. 192  Moore / Persaud, Embryologie5, 63; Rella, Imago Hominis 2000, 254 (254 f.). 188  Moore / Persaud, 189  Rella,

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

te antizipierte Notwehr für rechtmäßig befindet, innerhalb derer selbsttätig wirkende Schutz- und Abwehrvorrichtungen ihre Wirkung erst zu demjenigen späteren Zeitpunkt entfalten sollen, zu dem sich ein gegenwärtiger Angriff aktualisiert. Gleichwohl solche Einrichtungen mithin vorsorglich installiert werden, wird ihr Mechanismus doch erst durch den Eintritt einer Notwehrlage aktiviert, sodass sich ihre Rechtmäßigkeit nach den allgemeinen – einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff umfassenden – Voraussetzungen des § 32 StGB beurteilen kann193. Von dieser „antizipierten Notwehr“ kann nun insofern eine Parallele zur Anwendung der heute üblichen nidationsverhütenden Mittel gezogen werden, als jene die Nidation verhindern sollen, indem sie den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut beeinträchtigen. Jene ihnen zugedachte Wirkung werden sie aber erst dann entfalten können, wenn ein Embryo tatsächlich bis vor das Endometrium gelangt, also den Wirkungskreis ihrer Anwendung betritt, statt bereits zuvor einem Spontanabort zum Opfer zu fallen. So wie die „antizipierte Notwehr“ also nur dann zum Tragen kommt, wenn sich ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff und mit ihm eine Notwehrlage realisiert, entfaltet auch die Nidationsverhütung erst dann ihre spezifische Wirkung, wenn ein Embryo bis vor die Gebärmutterschleimhaut wandert, sich also wenigstens die Grundlagen für den vorausgesehenen Konflikt mit der Selbstbestimmung der Frau bewahrheiten. Mit ihrer Anwendung werden Vorkehrungen getroffen, die ihre Wirkung – ähnlich einer selbsttätig wirkenden Schutz- und Abwehreinrichtung – erst für den Fall entfalten sollen, dass sich ein Embryo tatsächlich in die Gebärmutterschleimhaut der Frau einzunisten versucht. Insofern könnte man mit Fug und Recht auch von einer antizipierten Nidationsabwehr sprechen, deren Rechtmäßigkeit man nur nicht erst der Ebene der Rechtfertigung überantwortete, sondern durch den Verzicht auf einen Verbotstatbestand bereits generell-abstrakt vertypte. 4. Conclusio

Wenn sich die rechtliche Behandlung der Nidationsverhütung also dadurch auszeichnet, dass der Gesetzgeber eine Konfliktvorsorge zulässt, bevor überhaupt Gewissheit über die Konfliktgrundlagen – die Entstehung eines pränidativen Embryos und dessen Wanderung bis an die Gebärmutterschleimhaut – erlangt ist, so stellt dies als solches nicht in Frage, dass der gesetzgeberische Verzicht auf einen Verbotstatbestand der Nidationsverhütung sachlich statt persönlich begründet sein könnte. Denn allein mit der 193  Rönnau / Hohn, in: Laufhütte et  al., LK-StGB / 212, § 32 Rn. 153; Müssig, ZStW 2003, 224 (240 f.); Perron, in: Sch / Sch, StGB28, § 32 Rn. 18a; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 329a; anders Roxin, AT / I4, § 15, Rn. 52.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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Anerkennung einer in diesem Sinne präventiven oder antizipierten Konfliktvorsorge verwirklichte der Gesetzgeber in vivo keine Sonderbehandlung des ungeborenen Lebens in seinen pränidativen Entwicklungsstadien. Stattdessen brächte er allgemeine Rechtsgrundsätze zur Anwendung, die auch jenseits des Ungeborenenschutzes in den Vorschriften der §§ 32 und 34 StGB Geltung beanspruchen können, wenn der Gesetzgeber den Täter nicht dazu anhält, die Entstehung einer rechtfertigenden Konfliktlage und deren mögliche Auswirkungen auf einen Entschluss zur Konfliktabwehr abzuwarten – stets vorausgesetzt, dass die präventive und / oder antizipierte Konfliktvorsorge das Verhältnis der kollidierenden Rechtsgüter sachgerecht entschiede. II. Selbstbestimmung durch Nidationsverhütung So müssen für eine antizipierte Notwehr die Voraussetzungen des § 32 StGB erfüllt sein, insbesondere also die Abwehrhandlung erforderlich und geboten sein, damit sie die Anerkennung der Rechtsordnung erfährt; eine Präventivmaßnahme demgegenüber wird gemäß § 34 StGB gar die weiterreichenden Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit zu wahren haben, damit sie eine rechtfertigende Wirkung entfalten kann. Entsprechendes würde auch für eine präventive wie antizipierte Nidationsabwehr gelten müssen, durch die die betroffene Frau ihre Selbstbestimmung zu wahren sucht und im Gegenzug eine Gefährdung des pränidativen ungeborenen Lebens in vivo wenigstens billigend in Kauf nimmt. Insofern wird an späterer Stelle noch darauf einzugehen sein, ob es ein der Gleichwertigkeitsthese folgender pränidativer Lebensschutz vertreten könnte, die Straflosigkeit einer solchen Nidationsabwehr nicht erst für den Einzelfall im Wege einer Rechtfertigung anzuordnen, sondern durch den Verzicht auf ein strafgesetzliches Verbot bereits auf der Tatbestandsebene generell-abstrakt vorwegzunehmen. Vorliegend soll sich zunächst aber der Frage gewidmet werden, ob jene Straflosigkeit überhaupt – d. h. ungeachtet ihrer systematischen Platzierung – auf eine sachgerechte Entscheidung des Gesetzgebers über das Verhältnis von pränidativem Ungeborenenschutz und weiblicher Selbstbestimmung zurückgeführt werden könnte: Sachgerecht wäre sie nur dann, wenn das Interesse der Frau an der Wahrung ihrer selbstbestimmten Lebensplanung und -gestaltung einen nach der Gleichwertigkeitsthese konzipierten, pränidativen Lebensschutz überhaupt zu verdrängen wüsste, d. h. in einer Abwägung mit dem pränidativen ungeborenen Leben auch dann zu obsiegen wüsste, wenn man selbiges für gleichwertig zu späteren Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens erkannte.

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung 1. Das Verhältnis zur Selbstbestimmung im Allgemeinen

Eben dies würde in einer an die Hierarchie grundrechtlicher Gewährleistungen gebundenen Rechtsordnung aber unweigerlich verneint werden müssen. Denn wenn das Interesse an einer selbstbestimmten Lebensplanung auch durch das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG normierte allgemeine Persönlichkeitsrecht grundrechtliche Anerkennung erfährt, so würde es eine Kollision mit dem pränidativen Ungeborenenschutz innerhalb einer auch diesbezüglich nach der Gleichwertigkeitsthese konzipierten Rechtsordnung unmöglich zugunsten der verhütenden Frau entscheiden können. So hat das vorangehende fünfte Kapitel bereits dargelegt, wie § 218a Abs. 2 StGB Eingriffe in das postnidative ungeborene Leben zwar auch zur Lösung antizipierter Konfliktlagen zulässt, diese Konfliktlagen aber nach ärztlicher Erkenntnis unzumutbar sein müssen, damit sie den Abbruch einer Schwangerschaft zu rechtfertigen wissen. Für unzumutbar in diesem Sinne befindet das Strafgesetz solche Schwangerschaften, die das Leben der Schwangeren gefährden oder aber zumindest die künftige Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes begründen. Selbst diese, durch § 218a Abs. 2 StGB legitimierte Ungeborenentötung zur Rettung der Gesundheit oder gar des Lebens der Schwangeren muss aber – wie im fünften Kapitel ausgeführt worden ist – einem nach der Gleichwertigkeitsthese konzipierten Ungeborenenschutz zuwiderlaufen, weil die Rechtsgüter der Schwangeren das Leben eines für gleichwertig anerkannten Ungeborenen nicht im Sinne des § 34 StGB wesentlich zu überwiegen wissen. Auch eine angebliche Verantwortlichkeit des Ungeborenen für den Gefahrenursprung kann – ebenso wie eine Nähe der Ungeborenentötung zu einem Unterlassensdelikt – nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht herangezogen werden, um dieses für eine Rechtfertigung geforderte Rechtsgüterverhältnis umzukehren194. Im Anschluss hieran hat das vorangehende sechste Kapitel ausgeführt, wie Beeinträchtigungen der Selbstbestimmung, die nur die Schwangere selbst anstelle eines Dritten für unzumutbar befunden hat, eine Rechtfertigung ihres Abbruchs ausschließen, weshalb die Rechtsordnung – wenn auch nur ihrer „protestatio“ nach – auf einem diesbezüglichen Rechtswidrigkeitsverdikt beharrt hat. Insofern verwehrt sich die Rechtsordnung – wenngleich nur formal – gegen eine „Selbstindikation“, wenn „die an dem Konflikt existenziell beteiligten Frauen selbst mit rechtlicher Erheblichkeit feststellten, ob eine Lage gegeben ist, bei der das Austragen des Kindes unzumutbar ist“195. Sie will garantieren, „daß das Recht selbst Umfang und Grenzen zulässigen Einwirkens des einen auf den ande194  Siehe 195  Siehe

(275).

oben Kap. 5, Seite  466–529 [Abschn.  3, B.]. oben Kap. 6, Seite  550 f. [Abschn.  1, B. II. 1.], u. BVerfGE 88, 203



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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ren normativ festlegt und nicht dem Belieben eines der Beteiligten überläßt“196. Insofern erwartete man sich von einer Rechtsordnung, die sich auch innerhalb des pränidativen Ungeborenenschutzes der Gleichwertigkeitsthese verpflichtet fühlte, unweigerlich ein Verbot der Anwendung nidationsverhütender Mittel, von dem auch keine rechtfertigenden Ausnahmen zugelassen werden dürften. Dabei liefe es einer rechtmäßigen Nidationsverhütung nicht unbedingt zuwider, dass die Frau zum Zeitpunkt der Anwendung ihrer Verhütung noch in keiner Weise bzw. wenigstens nicht erheblich belastet ist197. Denn diesbezüglich haben die vorangehenden Ausführungen dargelegt, dass die verhütende Frau gerade nicht zur Befreiung aus einer aktuellen Konfliktlage, sondern zur Vorsorge eines erst kommenden Konfliktes tätig wird. Gilt es also – vor dem Hintergrund der Gleichwertigkeitsthese – die Rechtmäßigkeit ihrer Nidationsverhütung zu hinterfragen, müsste über den pränidativen Ungeborenenschutz in vivo nicht in Relation zu aktuellen Beeinträchtigungen der weiblichen Selbstbestimmung entschieden werden, sondern in Relation zu denjenigen Beeinträchtigungen, die von der Schwangeren nur für die Zukunft vorausgesehen werden und gegen die sie im Wege der Nidationsverhütung Vorsorge treffen will. Auch jene etwaigen künftigen Beeinträchtigungen der weiblichen Selbstbestimmung wüssten – gleichwohl sie mit einer verifizierten Schwangerschaft voraussichtlich anwachsen und die gegenwärtige Entscheidungsnot und Ungewissheit der verhütenden Frau nicht unerheblich übersteigen werden – eine potenzielle Tötung früher Embryonen aber unmöglich zu legitimieren: Denn wie schwer sie in der Zukunft auch wiegen mögen – zum Zeitpunkt der Nidationsverhütung trifft die jeweilige Frau diesbezüglich nur eine höchstpersönliche „Selbsteinschätzung“, sodass ihre Entscheidung, ein etwaiges ungeborenes Leben an seiner Einnistung in ihrer Gebärmutterschleimhaut zu hindern, ausschließlich dem Verlangen entspringt, über ihre Lebensführung selbst zu bestimmen und ungeplante Ereignisse soweit als möglich auszuschließen. So wie der Schwangeren aber nicht die Macht zur Formulierung einer „Selbstindika­ tion“ überantwortet werden darf, kann es erst recht nicht allein ihr subjektives – überdies in jedem Einzelfall unterschiedliches – Empfinden sein, das dem generell-abstrakten Verzicht auf die Normierung eines Verbotstatbestandes zugrunde gelegt wird. Anderenfalls würde das Leben eines pränidativen Embryos in vivo der subjektivierten Einschätzung der betroffenen Frau überantwortet, während das Recht von vornherein darauf verzichtete, die Grenzen ihres Handelns zu definieren. 196  BVerfGE

88, 203 (255). den unterschiedlichen Ungewissheiten in Sachverhalten der Notfallverhütung und regulären Verhütung s.  bereits oben Seite  733–736 [I. 3.]. 197  Zu

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung 2. Das Verhältnis zu § 218a Abs. 1 StGB im Besonderen

Während der Gesetzgeber der Gefahr einer „Selbstindikation“ für den postnidativen Ungeborenenschutz mithin noch durch die Verlautbarung eines Rechtswidrigkeitsverdikts begegnet ist, um der Gleichwertigkeitsthese wenigstens formal zu genügen, lässt er ein solches für den pränidativen Ungeborenenschutz in vivo vermissen. Was den Schutz des postnidativen wie pränidativen ungeborenen Lebens in seinen ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis demgegenüber zunächst noch zu verbinden scheint, ist die strafgesetzliche Irrelevanz der Tötung eines Ungeborenen, die postnidativ dem tatbestandsausschließenden Abbruchsverlangen der Schwangeren, pränidativ bereits dem Fehlen eines einschlägigen Verbotstatbestandes folgt. Insofern kann die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB aber – zumindest formal – noch für sich beanspruchen, dem (wenngleich im Ergebnis nur quantitativen) Ungeborenenschutz dienen zu wollen: Indem sie im konkreten Einzelfall der jeweiligen Schwangeren die eigenverantwortliche Entscheidung über die Durchführung des Abbruchs belässt, will sie der eigenen Verlautbarung nach den Zugang zur schwangerschaftsunwilligen Frau finden, die sich frei von Angst vor Strafandrohung und Unrechtsbewertung einer Konfliktberatung öffnen soll und die man innerhalb jener zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen hofft198. Eine solche Ratio kann das Strafgesetz aber nicht für sich beanspruchen, wenn es für die Nidationsverhütung nur auf die Normierung eines Verbotstatbestandes verzichtet, ohne von der Schwangeren eine „Gegenleistung“ – wie die Wahrnehmung eines Beratungsangebots – zu verlangen, die den Ungeborenenschutz anderweitig fördern könnte. Im Gegenteil unterliefe es in einer uneingeschränkt nach der Gleichwertigkeitsthese konzipierten Rechtsordnung auch die Ratio des § 218a Abs. 1 StGB, wenn man durch Zulassung der Nidationsverhütung quasi Vorsorge gegenüber dem nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch treffen wollte: Denn soweit man an seiner statt die Nidationsverhütung zuließe, reduzierte man nicht die Anzahl der Ungeborenentötungen, wohl aber die Anzahl derjenigen Fälle, in denen sich eine Beratung Zugang zu einer schwangerschaftsunwilligen Frau verschaffen kann. Stattdessen eröffnete man schwangerschaftsunwilligen Frauen eine Möglichkeit, dem Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB frühzeitig zu entgehen, indem sie ein ihnen ohne Weiteres zugängliches Mittel zur Anwendung bringen, das auf ein potenziell zur Entstehung gelangtes Ungeborenes noch vor dem Zeitpunkt 198  Siehe oben Kap. 6, Seite  568 f. [Abschn.  2, A. I. 2.]. Dazu, dass das in § 218a Abs. 1 StGB normierte Beratungskonzept im Ergebnis allenfalls einen quantitativen Ungeborenenschutz zu verwirklichen wüsste (und sich mithin einer unangemessenen Zweck-Mittel-Relation bedient) s. oben Kap. 6, Seite  658–664 [Abschn.  2, C.].



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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seiner abgeschlossenen Implantation tötend einwirken wird. Auch aus diesem Grunde also müsste sich der Verzicht auf einen Verbotstatbestand der Nidationsverhütung innerhalb einer Rechtsordnung, die die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese auf den pränidativen Ungeborenenschutz erstreckte, als unangemessen bzw. unverhältnismäßig i. e. S. darstellen: Denn angemessen bzw. verhältnismäßig i. e. S. kann eine gesetzliche Ungleichbehandlung nur dann sein kann, wenn sie nicht die Zielsetzungen anderer Rechtsnormen unterläuft199 – was auf eine Tatbestandslosigkeit der pränidativen Ungeborenentötung in vivo nicht zuträfe, soweit sie innerhalb einer der Gleichwertigkeitsthese verpflichteten Rechtsordnung die Zielsetzung des zu § 218a Abs. 1 StGB entwickelten Beratungskonzepts untergrübe. Mehr aber noch förderte das Gesetz eine Ungeborenentötung, die der schwangerschaftsunwilligen Frau auch in anderer Hinsicht erheblich erleichtert ist: Denn anders als in den Fällen des Schwangerschaftsabbruchs, wenn ungeborenes Leben in seinen postnidativen Entwicklungsstadien vernichtet werden soll, wird die Existenz eines pränidativen Embryos in vivo, jedenfalls aber seine Adplantation an die Gebärmutterschleimhaut, zum Zeitpunkt der Nidationsverhütung regelmäßig noch keine Verifizierung erfahren haben200. Die Frau nimmt also ein Mittel ein, das für den Fall, dass ein Tatobjekt entsteht und in den Wirkungskreis ihres Tatmittels eintritt, eine tötende Wirkung entfalten soll – ohne zu wissen, ob das Tatobjekt überhaupt zur Entstehung und ihre Tathandlung überhaupt zur Einwirkung gelangt. Eine verhütende Frau wird sich somit stets darauf berufen können, dass sie eine Nidation nur „sicherheitshalber“ verhindern wollte, in erster Linie aber davon ausging, dass es bereits zu keiner Empfängnis kommen würde, sondern dass das von ihr zur Anwendung gebrachte Mittel seine auch empfängnisverhütende Wirkung entfaltete. In diesem Zusammenhang erinnere man sich auch daran, dass die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG bereits für den Zeitraum der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis auf eine besondere Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen gegenüber seiner Mutter hingewiesen haben, weil die Frau in jener frühen Phase der Schwangerschaft noch keine solche psychische Bindung an das ungeborene Leben herausgebildet hätte, wie dies für den späteren Verlauf kennzeichnend sei, und der existenziellen Betroffenheit durch die Schwangerschaft in der Folge mit einer noch herabgesetzten Toleranzgrenze begegnete201. Um wie vieles mehr muss dies für jenen Zeitabschnitt der pränatalen Entwicklung gelten, in dem eine embryonale Existenz noch nicht einmal verifiziert ist, ja, in dem eine reguläre Nidationsverhütung gar vorsorglich zur Anwen199  Siehe

dazu oben Kap. 3, Seite  153 f. [Abschn.  2, C.]. dazu oben Seite  722 f. [B.III.]. 201  Siehe oben Kap. 6, Seite 566 [Abschn. 2, A. I. 1.], u. BVerfGE 88, 203 (266). 200  Zsfd.

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

dung gebracht würde, bevor der Embryo zur Entstehung gelangt ist und seine Weiterentwicklung durch das Tatmittel gehindert wird? Eine psychische Bindung an ein nur vielleicht existierendes oder nur vielleicht noch zur Entstehung gelangendes ungeborenes Leben werden wohl die wenigsten Frauen herausbilden; entsprechend wird ihre Toleranz gegenüber einer empfundenen Bedrohung ihrer Selbstbestimmung durch eine unerwünschte (potenzielle) Schwangerschaft so niedrig sein wie zu keinem späteren Zeitpunkt seit der (potenziellen) Empfängnis. Aber selbst wenn sie sich der unkomfortablen Einsicht öffnen sollte, dass eine Tötung pränidativen ungeborenen Lebens durch ihre Hand möglich ist, die zur Anwendung gebrachte Nidationsverhütung gerade zu diesem Zweck zum Einsatz gebracht wird, wird sie sich immer noch mit der Vorstellung beruhigen können, dass nicht selten auch körpereigene Vorgänge – das so genannte „embryonale Screening“ – eine Nidation des zur Entstehung gelangten ungeborenen Lebens verhindern, die Kausalität ihrer eigenen Maßnahmen also durch eine weitere Alternativursache in Frage gestellt ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich mit Anwendung einer Nidationsverhütung gerade ihre „hilfsweise“ Tötungsabsicht realisiert, ist gegenüber der Gewissheit, dass ein auf ihr Verlangen hin durchgeführter Schwangerschaftsabbruch kausal für eine Tötung des in ihr heranwachsenden ungeborenen Leben werden wird, mithin reduziert. Insofern wird eine Frau regelmäßig weniger gehemmt sein, noch in pränidativen Entwicklungsstadien tötend auf ungeborenes Leben einzuwirken, während sie die Entscheidung über die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs vor eine erhöhte Hemmschwelle stellte. 3. Conclusio

Wenn man den Verzicht auf einen Verbotstatbestand der Nidationsverhütung mithin auch als eine präventive wie antizipierte Konfliktvorsorge anerkennen wollte, so käme man in einer Rechtsordnung, die den pränidativen Ungeborenenschutz in vivo nach der Gleichwertigkeitsthese gestaltete, doch nicht umhin festzustellen, dass der Gesetzgeber diesbezüglich ein solches Abwägungsergebnis generell-abstrakt vorwegnähme, das dem durch die Grundrechte vorgezeichneten Verhältnis zwischen dem Leben des pränidativen Ungeborenen einerseits, der weiblichen Selbstbestimmung andererseits zuwiderliefe. Denn in einer solchen Rechtsordnung wäre es nicht denkbar, dass eine „Selbsteinschätzung“ der Frau über ihre durch die Nidation gefährdete Selbstbestimmung das Leben eines pränidativen Embryos in vivo zu verdrängen wüsste. Ebenso unterliefe es die Zielsetzung des zu § 218a Abs. 1 StGB entwickelten Beratungskonzepts und stellte sich bereits aus diesem Grunde als unangemessen dar, wenn man die Tötung pränidativen ungeborenen Lebens in vivo zuließe, ohne dass sich eine schwangerschafts-



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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unwillige Frau einem dem Ungeborenenschutz dienenden Verfahren zu unterziehen hätte. So aber verwirklicht sich innerhalb des pränidativen Ungeborenenschutzes in vivo nicht erst die „Selbstindikation“, gegen die sich die Rechtsordnung für den beratenen Abbruch unter Normierung einer Tatbestandslösung wenigstens noch formal verwehrt hat. Auch wird der potenziellen Täterin einer Ungeborenentötung nicht erst die Macht zuerkannt, über die Anwendung eines Verbotstatbestandes zu entscheiden, wie es die Rechtsordnung für den beratenen Abbruch unter Formulierung eines tatbestandsausschließenden Abbruchsverlangens de facto zugelassen hat. Stattdessen wird ihr die potenzielle Ungeborenentötung im Wege der Nidationsverhütung anheim gestellt, ohne dass sich die Frau von den Bindungen eines Verbotstatbestands auch nur durch die verfahrensmäßige Erklärung eines Abbruchsverlangens befreien müsste. Es bedarf ihrerseits mithin „keiner großen Worte“, ja nicht einmal eines einzigen Wortes, damit die Frau ihre Selbstbestimmung über das Leben eines potenziell in ihr heranwachsenden Embryos in seinen pränidativen Entwicklungsstadien stellen darf. Gleichwohl es sich mit einer auf den pränidativen Ungeborenenschutz erstreckten Gleichwertigkeitsthese nicht vereinbaren lässt, trifft an ihrer Statt bereits das Gesetz ein Unerheblichkeitsurteil über die Nidationsverhütung und sucht einen diesbezüglichen Widerspruch – anders als innerhalb des postnidativen Ungeborenenschutzes – auch nicht mithilfe der Systematik von Rechtfertigung und Tatbestandsmäßigkeit oder wenigstens durch ein Rechtswidrigkeitsverdikt zu verbergen. III. Eine Differenzierung nach Erfolgsunrecht am Beginn der pränatalen Entwicklung Mithin offenbart sich in dem Verzicht auf ein Verbot der Nidationsverhütung, der jenseits des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB auch nicht mit einer Rücksichtnahme auf Spezifika der symbiotischen Beziehung zum pränidativen Embryo in vivo sachlich begründet werden kann, keine Übereinstimmung mit der Gleichwertigkeitsthese. Denn es ist weder eine reduzierte gesetzliche Schutzfähigkeit noch eine Rücksichtnahme auf antizipierte Beeinträchtigungen der verhütenden Frau in ihrer Selbstbestimmung, die jenem Verzicht zugrunde liegt. Im Gegenteil gibt der Gesetzgeber zu erkennen, wie er neuerlich nach Erfolgsunrecht statt Verhaltensunrecht differenziert, indem er der schematisierenden Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“, die an das Ende der pränatalen Entwicklung in vivo gestellt ist, mit dem 14.  Tag nach der Empfängnis eine gleichermaßen schematisierende Zäsur gegenüber stellt, die nunmehr den Beginn einer schutzwürdigen pränatalen Entwicklung in vivo markiert.

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung 1. Die Einbeziehung des „sonstigen Dritten“

Eine schematisierende Zäsur kann dem Gesetz am Anfang der pränatalen Entwicklung in vivo insofern entnommen werden, als die beschriebene Straflosigkeit der Nidationsverhütung allein die Wahrung einer zeitlichen Grenze voraussetzt: Jede in Tötungsabsicht vorgenommene Handlung, deren Wirkung sich noch vor Abschluss der Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut entfaltet, bleibt tatbestandslos, ungeachtet dessen, wer sie vorgenommen hat. Keinen Ausnahmetatbestand formuliert das Gesetz, der sich allein an die von der symbiotischen Beziehung betroffene Frau und an die ihr Hilfe leistenden Dritten richtete, sondern eine schematisierende zeitliche Zäsur, die auch den „sonstigen Dritten“ erfasst. Ein „sonstiger Dritter“ aber sucht die Nidation weder zum Schutz einer durch die Aussicht auf eine eigene unerwünschte Schwangerschaft tangierten Selbstbestimmung zu verhindern noch wird er mit dem Willen der jeweiligen Frau zum Schutze derer Selbstbestimmung tätig. So entlarvt seine Einbeziehung eine angebliche Rücksichtnahme auf die Selbstbestimmung der verhütenden Frau als bloßen „Scheinzweck“ des Strafverzichts, wie zuvor seine Einbeziehung in den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB auch bereits die Rücksichtnahme auf die symbiotische Verbindung mit dem Ungeborenen als bloßen „Scheinzweck“ der Zäsur einer strafgesetzlichen „Menschwerdung“ entlarvt hat202. Man stelle sich etwa nur den besorgten Liebhaber vor, der seiner Freundin – in helle Aufregung durch ein geplatztes Kondom versetzt – ohne ihr Wissen allmorgendlich eine Antibabypille unter das Frühstücksmüsli mischt oder ihr nach dem bereits vollzogenen ungeschützten Verkehr gar heimlich die stärkere „Pille danach“ verabreicht. Der eigenmächtig handelnde Liebhaber machte sich hier zweifelsohne einer gefährlichen Körperverletzung gemäß den §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig, indem er seiner Freundin ohne deren Willen einen gesundheitsschädlichen Stoff verabreichte203. Ein Vorwurf würde ihm jedoch nur mit Blick auf die von seinem Verhalten tangierten Rechtsgüter der Frau gemacht – die Auswirkungen auf ein potenzielles Ungeborenes, dessen Nidation er verhinderte, legte ihm das 202  Siehe

oben Kap. 4, Seite  300–306 [Abschn.  3, B. II.]. den einschlägigen Tatbestandsmerkmalen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB s. Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 263 f. Demgegenüber machte sich der Liebhaber keiner Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, Abs. 2 StGB schuldig, weil eine Gewaltanwendung durch das heimliche Beibringen eines Mittels nicht verwirklicht werden kann; RGSt 58, 98; 72, 349; Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 384. Ein besonders schwerer Fall der Nötigung i. S. d. § 240 Abs. 4 Nr. 2 StGB scheiterte überdies daran, dass § 218 Abs. 1 S. 2 StGB die Nidationsverhütung vom Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ausnimmt, sodass ihre zwangsweise Verabreichung auch aus diesem Grunde keine Nötigung „zum Schwangerschaftsabbruch“ darstellte. 203  Zu



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Gesetz hingegen nicht zur Last, das über § 218 Abs. 1 S. 2 StGB hinaus auch auf die Normierung eines allgemeinen Gefährdungsdeliktes verzichtet. So wird der „sonstige Dritte“ also zum Nutznießer der Tatbestandslosigkeit der Nidationsverhütung, wie er auch bereits zum Nutznießer der die §§ 218 ff. StGB von den §§ 211 ff. StGB scheidenden Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ geworden ist – und dies, obwohl er jenseits der symbiotischen Beziehung mit dem Ungeborenen und deren unterstellten Auswirkungen auf das Verhaltensunrecht des Täters steht204. Indem das Gesetz darauf verzichtet, wegen der pränidativen Ungeborenentötung in vivo einen Vorwurf zu formulieren, gleich welcher Täter aus welcher Motivation heraus die Nidation verhindert, lässt sich die Tatbestandslosigkeit der Tötung pränidativen ungeborenen Lebens in vivo nicht anders als ein Ausdruck für fehlendes Erfolgs- statt Verhaltensunrecht verstehen. Zugleich offenbart sich keine bloße Kommunikationsstörung, wie sie das dritte Kapitel für den in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB zitierten 14. Tag nach der Empfängnis prima facie noch ins Auge gefasst hatte: Der Eindruck, dass das Strafgesetz zwischen dem prä- und postnidativen Lebensschutz nach Erfolgsunrecht statt Verhaltensunrecht differenziert und insofern zu einer auch auf die pränidativen Entwicklungsstadien erstreckten Gleichwertigkeitsthese in Widerspruch träte, entspringt keinem bloßen Missverständnis des Empfängers, das das Gesetz unter Formulierung einer zeitlichen Zäsur im Lebensschutz nur förderte205. Stattdessen verwirklicht die Tötung eines pränidativen Ungeborenen in vivo nach dem Strafgesetz tatsächlich kein Unrecht, weil sie sich in einer augenscheinlich für nicht schutzwürdig befundenen Entwicklungsphase vollzieht. 2. Die positiv-generalpräventive Botschaft einer schematisierenden Zäsur

Entsprechend setzte sich der Verzicht auf einen Verbotstatbestand, sofern er auf die pränidativen Entwicklungsstadien beschränkt ist, auch zu derjenigen positiv-generalpräventiven Zielsetzung in Widerspruch, die eine auf den pränidativen Lebensschutz erstreckte Gleichwertigkeitsthese aber verlangen würde: Für diesen Fall nämlich stände die Rechtsordnung in der positivgeneralpräventiv begründeten Pflicht, ein solches Wertbewusstsein zu vermitteln, nach dem menschliches Leben in all seinen Entwicklungsstadien, 204  In diesem Sinne zu einer „Sperrwirkung“ des § 218 StGB: Merkel, in: Roxin /  Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (332). 205  Siehe dazu oben Kap. 3, Seite  238–240 [Abschn.  3, D. II. 1. a)]; für die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ s. oben Kap. 4, Seite  306 f. [Abschn.  3, B. III.]; für die Beschränkung der Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB auf die ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis s. oben Kap. 6, Seite  564 [Abschn.  2, vor A.] m.  Fn. 82.

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

auch den pränidativen, gleichwertig wäre. Ebenso stände sie in der Pflicht, ein Unrechtsbewusstsein zu transportieren, nach dem die Ungeborenentötung ungeachtet des betroffenen Entwicklungsstadiums Missbilligung erführe und sich ein Verzicht auf den Strafvorwurf erkennbar auf sachliche Gründe zurückführen ließe206. Wenn sich in der Rechtsordnung – nach dem Datum der strafgesetzlichen „Menschwerdung“207 – stattdessen ein weiteres Mal eine schematisierende Zäsur auftut, die auch „sonstige Dritte“ erfasst, sucht sie einen Eindruck des Inhalts, dass sie menschlichem Leben jedenfalls an den Anfängen – wie auch am Ende – seiner pränatalen Entwicklung einen unterschiedlichen Wert beimisst, aber gerade nicht zu bekämpfen. Stattdessen verzichtet sie bereits darauf, die pränidative Ungeborenentötung in vivo unter einen Verbotstatbestand zu fassen, und präsentiert so offen eine fehlende Schutzwürdigkeit jener Lebensphase. Die übergeordnete Zielsetzung eines durchgängig nach der Gleichwertigkeitsthese konzipierten Ungeborenenschutzes würde sie so unterlaufen, sodass sich ihre diesbezügliche Ungleichbehandlung der pränidativen Entwicklungsstadien auch aus positiv-generalpräventiven Gründen als unangemessen bzw. unverhältnismäßig i. e. S. darstellen müsste: Denn angemessen bzw. verhältnismäßig i. e. S. könnte nach einer auf den pränidativen Lebensschutz erstreckten Gleichwertigkeitsthese nur eine solche gesetzliche Ungleichbehandlung des pränidativen Embryos sein, die erkennbar einen legitimen Zweck statt nur „Scheinzweck“ verfolgte und hierzu des Weiteren erkennbar ein geeignetes, erforderliches, angemessenes Mittel bildete, sodass sie ein der Gleichwertigkeitsthese folgendes Wertund Unrechtsbewusstsein zu vermitteln vermochte208. Anders stellte sich dies nur dann dar, wenn man das Erfolgsunrecht der pränidativen Tötung verneinte und mithin die fehlende Schutzwürdigkeit des pränidativen ungeborenen Lebens als eigentliche Ratio des Verzichts auf einen Verbotstatbestand der Nidationsverhütung begriffe und identifizierte. Die eingangs formulierte Fragestellung, ob der einfache Gesetzgeber auch den pränidativen Ungeborenenschutz in vivo unter die Gleichwertigkeitsthese gefasst hat, würde so verneint und die abgeschlossene Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut, die der Gesetzgeber auf den 14.  Tag nach der Empfängnis datiert hat, markierte in einer so verstandenen Rechtsordnung folgerichtig nur den Beginn schutzwürdigen ungeborenen Lebens und mit ihm das beginnende Unrecht, wenn menschliches Leben getötet wird. 206  Siehe oben zum strafzwecktheoretischen Diskurs der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen in Kap. 2, Seite  124–127 [Abschn.  2, A.], sowie zum positiv-generalpräventiv begründeten Gebot einer Wertungswiderspruchsfreiheit in Kap. 3, Seite  180 ff. [Abschn.  3]. 207  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  300–306 [Abschn.  3, B. II.]. 208  Siehe dazu oben Kap. 3, Seite  153 f. [Abschn.  2, C.].



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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3. Das Wort vom „kleineren Übel“

So ließe sich auch unschwer nachvollziehen, weshalb der Gesetzgeber die Nidationsverhütung – in Relation zum „widrigenfalls zu besorgenden Schwangerschaftsabbruch nach der Nidation“ gesetzt – „für alle Beteiligten als das kleinere Übel“ erachtet haben soll209. Verständlich ist diese Wortwendung zunächst nur aus der Perspektive der betroffenen Frau, die durch die Anwendung einer Nidationsverhütung psychisch weitaus weniger belastet wird – und mithin ein „kleineres Übel“ erfährt –, als es ihr die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs abverlangen würde. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich mit Anwendung einer Nidationsverhütung gerade ihre „hilfsweise“ Tötungsabsicht realisiert, ist gegenüber der Gewissheit, dass ein auf ihr Verlangen hin durchgeführter Schwangerschaftsabbruch kausal für eine Tötung des in ihr heranwachsenden ungeborenen Leben werden wird, deutlich reduziert. In der Folge wird eine Frau zunächst regelmäßig weniger gehemmt sein, noch in pränidativen Entwicklungsstadien mit Tötungsabsicht auf das ungeborene Leben einzuwirken, während sie die Entscheidung über die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs vor eine erhöhte Hemmschwelle stellte. Dies gilt für die Notfallverhütung, die in Ungewissheit über eine bereits erfolgte Empfängnis zum Einsatz kommt, erst recht aber für die reguläre Verhütung, die ausschließlich von vorsorgendem statt auch reagierendem Charakter ist210. Mit jener reduzierten Hemmschwelle wird später regelmäßig eine gleichermaßen reduzierte psychische Belastung einhergehen, wenn sich die Frau mit dem Wissen um ihr Tun und dessen – für die Nidationsverhütung nur potenziellen, für den Schwangerschaftsabbruch definitiven – Folgen auseinandersetzen muss. Schließlich werden nicht nur die psychischen Folgen, sondern auch die körperlichen Nebenwirkungen einer Nidationsverhütung im Vergleich zu den Risiken eines Schwangerschaftsabbruchs von geringerer Tragweite sein. Demgegenüber sähe man innerhalb einer Rechtsordnung, die auch den pränidativen Ungeborenenschutz an der Gleichwertigkeitsthese ausrichtete, aus der Perspektive des ungeborenen Lebens nur „ein Übel durch das andere ersetzt“, wenn es durch die Anwendung einer Nidationsverhütung noch pränidativ statt durch einen Schwangerschaftsabbruch erst postnidativ zu Tode gebracht werden sollte. Mehr aber noch verwirklichte sich für das ungeborene Leben gar ein „größeres Übel“, wird doch nicht nur seine Le209  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (149). Die Wortwendung vom „kleineren Übel“ findet parallele Anwendung auch in der Gegenüberstellung des Schwangerschaftsabbruchs nach Pränataldiagnostik mit dem Verwerfen eines Embryos nach Präimplantationsdiagnostik; so etwa Kreß, Universitas 2011 / Nr. 785, 31 (34). 210  Siehe dazu auch bereits oben Seite  740–742 [II. 2.].

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bensdauer verkürzt, sondern auch die Frau davon entbunden, sich vor der intendierten tötenden Einwirkung einer dem Ungeborenenschutz verpflichteten Beratung unterziehen zu müssen. Insofern erleichtert die Rechtsordnung also seine Tötung und gibt ihren – für die postnidative Lebensphase noch festgeschriebenen – Anspruch auf, der schwangerschaftsunwilligen Frau Wege für ein Austragen der Schwangerschaft sowie für ein anschließendes Leben mit dem geborenen Kind aufzeigen zu wollen211. Aus der Perspektive des Ungeborenen wird man die Wortwendung vom „kleineren Übel“ der Nidationsverhütung mithin nur dann nachvollziehen können, wenn man der Rechtsordnung – wie vorliegend vertreten – zuschreibt, dass sie den pränidativen Ungeborenenschutz in vivo gar nicht nach der Gleichwertigkeitsthese konzipieren will, sondern sich diesbezüglich vorbehält, ein reduziertes Erfolgsunrecht der Tötung des frühen ungeborenen Lebens festzuschreiben: Denn spricht man ungeborenem Leben in seinen pränidativen Entwicklungsstadien nicht denselben Wert zu wie in seinen postnidativen Entwicklungsstadien, kann man eine Nidationsverhütung auch mit Blick auf das ungeborene Leben unschwer als „kleineres Übel“ gegenüber einem nachfolgenden Schwangerschaftsabbruch bewerten212. Durch ihre Anwendung würde menschliches Leben noch in solchen Entwicklungsstadien getötet, in denen es die Rechtsordnung nicht für schutzwürdig anerkannte. Im Gegenzug wüsste man es zu vermeiden, dass die physische Existenz des ungeborenen Lebens erst in denjenigen fortgeschrittenen Entwicklungsstadien vernichtet wird, in denen es unter den Schutz der Rechtsordnung gestellt ist und nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung gleichwertig zum geborenen Leben sein soll.

E. Conclusio: Der verneinte Wert des pränidativen ungeborenen Lebens So haben die vorangegangenen Ausführungen also zu solch einem Ergebnis geführt, nach dem der einfache Gesetzgeber den ihm durch das BVerfG überantworteten Entscheidungsspielraum nicht dazu verwendet hat, auch den pränidativen Ungeborenenschutz nach der Gleichwertigkeitsthese zu gestalten. Dabei ist es nicht die viel zitierte Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB, die sich im Geltungsbereich der Gleichwertigkeitsthese einer sachlichen Begründung entzöge: Denn diesbezüglich vermögen noch Beweisschwierigkeiten die Ausnahme der Nidationsverhütung von den Vorschriften 211  Siehe

dazu auch bereits oben Seite  740 f. [II. 2.]. für das Verwerfen eines Embryos nach Präimplantationsdiagnostik Kreß, Universitas 2011 / Nr. 785, 31 (34). 212  Vgl.



Abschn. 2: Sachliche Begründung

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über den Schwangerschaftsabbruch zu erklären. Dass die Nidationsverhütung nicht als Schwangerschaftsabbruch unter Strafandrohung verboten wird, sagt für sich genommen damit nichts über den Wert aus, den das einfache Gesetz dem pränidativen ungeborenen Leben in vivo zuerkennt: Stattdessen reagiert der Gesetzgeber mit seiner in § 218 Abs. 1 S. 2 StGB normierten Vorschrift auf Einschränkungen der eigenen Schutzfähigkeit, was die pränidativen Entwicklungsstadien eines sich in vivo entwickelnden menschlichen Lebens betrifft. Demgegenüber spiegelt der Umstand, dass der Gesetzgeber auch jenseits des Erfolgsdeliktes auf ein Verbot der Nidationsverhütung verzichtet, seine Geringschätzung des pränidativen ungeborenen Lebens in vivo wider und gibt mithin zu erkennen, wie sich der Gesetzgeber von einer auf den pränidativen Ungeborenenschutz erstreckten Gleichwertigkeitsthese abgewendet hat213. Denn so eröffnet er nicht nur schwangerschaftsunwilligen Frauen die Möglichkeit, sich dem Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB durch eine für tatbestandslos erkannte Nidationsverhütung zu entziehen, sondern scheint den (doppelt) antizipierten Konflikt zwischen dem ungeborenen Leben und der weiblichen Selbstbestimmung in Abweichung von derjenigen Hierarchie grundrechtlicher Gewährleistungen zu entscheiden, wie sie sich in Gefolgschaft einer auf den pränidativen Ungeborenenschutz erstreckten Gleichwertigkeitsthese darstellen müsste. Dass es von vornherein aber gar nicht seine Ratio ist, Rücksicht auf die Selbstbestimmung der Frau zu nehmen, zeigt schließlich die schematisierende Natur seines Verzichts auf einen Verbotstatbestand, durch den jede Tötung in der pränidativen Lebensphase in vivo von einem Vorwurf enthoben wird, unabhängig davon, wer sie vorgenommen hat. So wird auch der „sonstige Dritte“ straflos gestellt, der jenseits der symbiotischen Beziehung zwischen dem potenziellen Embryo und der betroffenen Frau steht und von ihr auch nicht – wie etwa ein Arzt – hinzugezogen wird, um ihr bei der präventiven wie antizipierten Konfliktlösung Hilfe zu leisten. Auf ein negiertes Erfolgsunrecht statt Verhaltensunrecht, eine persönliche statt sachliche Begründung lässt die auf die pränidative Entwicklungsphase beschränkte Straflosigkeit der Ungeborenentötung mithin schließen, die zum Ausdruck bringt, wie die Rechtsordnung dem pränidativen Leben jedenfalls dann keine Achtung entgegenbringt, wenn es sich in vivo befindet. Nicht die Gleichwertigkeitsthese erfährt so ihre Umsetzung, sondern im Gegenteil die schematisierende Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ ihr Gegenstück, wenn der 14. Tag nach der Empfängnis nun gleichermaßen schematisierend nicht das Ende, sondern den Beginn der schutzwürdigen pränatalen Entwicklung in vivo markiert.

213  I.  Erg.

übereinstimmend Merkel, Forschungsobjekt, 62.

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

Abschnitt 3

Abschließende Stellungnahme: Eine Rechtsgüterreduzierung statt -umkehrung – Exklusivität statt nur Vorrang der Selbstbestimmung – „Heutzutage kennen die Leute von allem den Preis und von nichts den Wert“. (Oscar Wilde214)

Erst jenseits dieser schematisierenden Zäsur vom 14. Tage nach der Empfängnis also erkennt der Gesetzgeber die Schutzwürdigkeit (ungeborenen) menschlichen Lebens an, während es diesseits jener Grenze an einem für schutzwürdig erkannten Rechtsgut mangelt. Diese Ablehnung der Gleichwertigkeitsthese kehrt die Rechtsordnung auch systematisch für jeden erkennbar nach außen, wenn sie die Straflosigkeit der Nidationsverhütung – anders als in § 218a Abs. 2 StGB und § 218a Abs. 1 StGB – nicht erst durch einen Ausnahmetatbestand verwirklicht, sondern bereits auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit festschreibt: Nur weil durch die Verhinderung der embryonalen Nidation kein schutzwürdiges Rechtsgut tangiert sein soll, kann sie es vertreten, die Sozialschädlichkeit und sozialethische Verwerflichkeit einer allgemeinen Gefährdung des pränidativen Embryos in vivo zu verneinen, gleich ob sie sich durch die Hand der verhütenden Frau oder eines „sonstigen Dritten“ vollzieht, und kann bereits die tatbestandliche Regelung seiner potenziellen Tötung für entbehrlich erachten215.

A. Postnidative Rechtsgüterumkehrung: Der kaschierte Vorrang der weiblichen Selbstbestimmung Insofern unterscheidet sich die normative (Nicht‑)Regelung des pränidativen Ungeborenenschutzes in vivo von demjenigen Schutz, den das Strafgesetz dem ungeborenen Leben in seinen postnidativen Entwicklungsstadien gewährt: Denn wenigstens systematisch erfährt das ungeborene Leben in seinen postnidativen Entwicklungsstadien die Anerkennung als schutzwürdiges Rechtsgut, wenn der in § 218 Abs. 1 StGB normierte Grundtatbestand des Schwangerschaftsabbruchs seine Tötung unter Strafandrohung verbietet. 214  Wilde, Bildnis des Dorian Gray, 119. Im engl. Orig.: „Nowadays people know the price of everything, and the value of nothing“; ebda., 118. 215  Zu Sozialschädlichkeit und sozialethischer Verwerflichkeit als Grundlage für die Entstehung von Rechtsgütern, Rechtsnormen und Straftatbeständen s. Wessels /  Beulke, AT42, Rn. 9.



Abschn. 3: Rechtsgüterreduzierung statt -umkehrung

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Erst auf nachfolgenden Wertungsebenen wird sein Schutz eingeschränkt, wenn § 218a Abs. 2 StGB eine medizinisch-soziale Abbruchsindikation auf der Ebene der Rechtfertigung platziert216 und auch § 218a Abs. 1 StGB das tatbestandliche Unrechtsurteil des Schwangerschaftsabbruchs erst nachträglich entfallen lässt („auflöst“), ja, nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung gar nur die Strafandrohung ausschließt, während das durch die Tatbestandsmäßigkeit indizierte Unrechtsurteil unberührt bleiben soll217. Systematisch werden das postnidative ungeborene Leben und die betroffenen Rechtsgüter der Frau – in vermeintlicher Übereinstimmung mit der durch die Gleichwertigkeitsthese gezeichneten Hierarchie grundrechtlicher Garantien – so in eine Relation gesetzt, in der das postnidative ungeborene Leben regelmäßig zu schützen ist und nur ausnahmsweise den Rechtsgütern der Frau weichen muss oder gar nur anders (im Rahmen eines Beratungskonzeptes anstelle im Wege der Strafandrohung) geschützt werden soll218. Nur kaschiert durch diese Systematik, die die „protestatio“ von einer Gleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens zum geborenen Leben transportieren soll, erlaubt sich das Strafgesetzbuch in § 218a Abs. 2 sodann, ein solches Abwägungsergebnis tatbestandlich zu vertypen, das den Rechtsgütern der Frau gegenüber dem postnidativen ungeborenen Leben den Vorrang einräumt219, und gestattet sich in § 218a Abs. 1 gar, das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs unter eine auflösende Potestativbedingung zu stellen, nämlich dem erklärten Willen der jeweiligen schwangeren Frau zu überantworten220. So verkehrt der Gesetzgeber das durch die Grundrechte vorgezeichnete Verhältnis zwischen den Rechtsgütern der Schwangeren und dem postnidativen ungeborenen Leben also in sein Gegenteil221, wenn er die postnidative Ungeborenentötung für gerechtfertigt oder gar für strafgesetzlich unerheblich befindet, soweit die Schwangere nur danach verlangt, um künftigen Gefahren für ihr Leben, ihre Gesundheit oder auch ihre Selbstbestimmung entgegenwirken zu können. Um sich der Gleichwertigkeitsthese, 216  Siehe 217  Siehe

oben Kap. 5, Seite  531–533 [Abschn.  4, A.]. oben Kap. 6, Seite  544–563 [Abschn.  1] u. zsfd. Seite  667–669

[Abschn.  3]. 218  Siehe oben Kap. 5, Seite  531–533 [Abschn.  4, A.], u. Kap. 6, Seite 567–570 [Abschn. 2, A. I. 2.], u. Seite 667–669 [Abschn. 3]. Dazu, dass das in § 218a Abs. 1 StGB normierte Beratungskonzept im Ergebnis jedoch allenfalls einen quantitativen Ungeborenenschutz zu verwirklichen weiß, innerhalb dessen das individuelle ungeborene Leben preisgegeben wird, s. oben Kap. 6, Seite 658–664 [Abschn. 2, C.]. 219  Siehe zsfd. oben Kap. 5, Seite  531–533 [Abschn.  4, A.]. 220  Siehe oben Kap. 6, Seite  559–562 [Abschn.  1, C. III.] u. zsfd. ebda., Seite 667–669 [Abschn.  3]. 221  Vgl. die Überschriften der abschließenden Stellungnahmen in Kap. 5, Seite 531 [Abschn.  4: „Eine erste Rechtsgüterumkehrung“] u. Kap. 6, Seite  667 [Abschn.  3: „Eine zweite Rechtsgüterumkehrung“].

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

an die er nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG für den postnidativen Ungeborenenschutz gebunden ist, nach außen hin aber wenigstens anzunähern, hat er für jene Rechtsgüterreduzierung eine Maskierung gewählt und sie in eine gegenläufige Systematik eingekleidet, die die Rechtsgüter der Schwangeren – gleichwohl sie den Vorrang genießen – erst in einem Ausnahmetatbestand zur Berücksichtigung bringt, während sie das postnidative ungeborene Leben – gleichwohl es regelmäßig zurücktreten muss – in einem Grundtatbestand als schutzwürdig hervorhebt.

B. Pränidative Rechtsgüterreduzierung: Die unmaskierte Exklusivität der weiblichen Selbstbestimmung Eine andere Wertung transportiert die Systematik des Strafgesetzes für das pränidative ungeborene Leben, wenn es dessen potenzielle Tötung in vivo nicht nur vom Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ausnimmt (denn insoweit lässt sich § 218 Abs. 1 S. 2 StGB ja immer noch mit Beweisschwierigkeiten sachlich begründen), sondern auch nicht zum Gegenstand eines allgemeinen Gefährdungsdelikts oder wenigstens Produkt- und Vertriebsverbots erhebt. Bereits systematisch tritt hier hervor, wie das Leben des pränidativen Embryos in vivo nicht nur ausnahmsweise anderen Rechtsgütern weichen muss, sondern von vornherein kein schutzwürdiges Rechtsgut bildet. Kein Konflikt zwischen verschiedenen schutzwürdigen Rechtsgütern wird so einer Entscheidung zugeführt, sondern dem vorgelagert bereits die Existenz eines solchen Konfliktes verneint. Mit einer Entscheidung des einfachen Gesetzgebers, die Gleichwertigkeitsthese auch auf den pränidativen Ungeborenenschutz zu erstrecken, wäre eine solche Regelung, die einem ungeborenen Leben die Anerkennung als Schutzgut von vornherein versagte, freilich nicht zu vereinbaren gewesen. Denn insoweit hätte man – in Fortsetzung der Regelungen des § 218a Abs. 2 StGB und § 218a Abs. 1 StGB – erwartet, dass der Gesetzgeber wenigstens systematisch eine Annäherung an die Gleichwertigkeitsthese versuchte, indem er das pränidative ungeborene Leben auf Tatbestandsebene zunächst als Schutzgut anerkannte und sodann nur ausnahmsweise in einer Kollision mit anderen schutzwürdigen Rechtsgütern zurücknähme. Wenn der Gesetzgeber eine Kaschierung nun im Gegenteil für nicht nötig befindet, die Straflosigkeit der Nidationsverhütung und Schutzlosigkeit des pränidativen ungeborenen Lebens in vivo vielmehr offen zu Tage treten lässt, bekennt er sich erstmals auch systematisch zu seiner Negation der Gleichwertigkeitsthese. Seine diesbezügliche Offenheit haben ihm die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG ermöglicht, die sich eines eigenen abschließenden Urteils über die Teilhabe des pränidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG enthalten haben. Stattdessen wurde



Abschn. 3: Rechtsgüterreduzierung statt -umkehrung

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dem einfachen Gesetzgeber die Entscheidung überantwortet, ob er die für den postnidativen Ungeborenenschutz entwickelte, verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese auch auf die pränidativen Entwicklungsstadien zu erstrecken gedachte oder nicht222 – eine Fragestellung, die er negierte, als er auch nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen an der von ihm gewählten Schutzlosigkeit des pränidativen Embryos in vivo festhielt und sich entschloss, sie durch den Verzicht auf einen Verbotstatbestand forthin offen zu erkennen zu geben. Wenn die Rücksichtnahme auf eine symbiotische Beziehung zwischen dem Ungeborenen und der Frau mithin auch nicht die Ratio des Verzichts auf ein Verbot der Nidationsverhütung bildet, der Gesetzgeber stattdessen auch den „sonstigen Dritten“ von jedem Vorwurf enthebt, rücken mit der fehlenden Wertschätzung des pränidativen ungeborenen Lebens in vivo doch wiederum die durch die symbiotische Beziehung tangierten Grundrechtspositionen der schwangerschaftsunwilligen Frau in den Fokus der gesetzlichen Regelung zum Ungeborenenschutz. Indem der Gesetzgeber den pränidativen Embryo in vivo schutzlos stellt, stärkt er im Gegenzug die betroffene Frau in ihren Rechtsgütern. Mehr noch verschärft sich in den pränidativen Stadien einer vorgeburtlichen Entwicklung das bereits angesprochene Gefälle zwischen dem Ungeborenenschutz und dem Schutz der Rechtsgüter der Frau, wenn nicht nur ein diesbezüglicher Konflikt zugunsten der Frau entschieden wird, sondern dem pränidativen Embryo in vivo von vornherein abgesprochen wird, in diesem Konflikt überhaupt berücksichtigt zu werden. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau genießt nicht länger nur den „Vorrang“223, sondern steht allein und kann sich frei entfalten, ohne dass diese Entfaltung der Rechtfertigung bedürfte. Ein weiteres Mal fokussiert sich die Rechtsordnung auf „die Wahrung mütterlicher Interessen“, weshalb sie auch Sachverhalte der Nidationsverhütung nicht von der Warte des ungeborenen Lebens, sondern „von den Rechten der Mutter her“ betrachtet224. Sie kennt den Preis, den die Selbstbestimmung der Frau in der Zukunft würde zu zahlen haben, respektierte sie bereits die Anfänge einer symbiotischen Verbindung ihres Körpers mit einem ungeborenen Leben. Weil die Frau diesen Preis aber nicht zu zahlen gewillt ist, nutzt der einfache Gesetzgeber den ihm durch das Verfassungsgericht überantworteten 222  Siehe oben Seite  686 f. [Abschn.  1, C.], u. Kap. 3, Seite  170–173 [Abschn.  2, E. I. 2.]. 223  Zur vorliegenden Wortwahl vgl. die Ausführungen des BVerfG für das Verhältnis von postnidativem Ungeborenenschutz und Selbstbestimmung der Frau, dem das Gericht – seiner Verlautbarung nach – allerdings den „Vorrang“ des Ungeborenenschutzes statt der Selbstbestimmung entnehmen will; BVerfGE 39, 1 (43). 224  Vorstehende Zitate entnommen der Stellungnahme des Bundestagsabgeordneten Ehmke zur Fristenlösung; zsfd. BVerfGE 39, 1 (31).

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Kap. 7: Strafgesetzliche Irrelevanz der Nidationsverhütung

Entscheidungsspielraum und verneint bereits den Wert jenes ungeborenen Lebens, dessen fortschreitende Entwicklung in der Zukunft die Interessen der Frau beschneiden würde. So kennt er den „Preis“, nicht aber den „Wert“ einer Achtung vor dem menschlichen Leben in seinen frühesten Entwicklungsstadien225 – und vermag der Frau das Recht zuzusprechen, ihre Interessen zu wahren, ohne Rücksicht auf einen gegenläufigen Wert nehmen zu müssen: Denn wo kein Wert verletzt wird, da verwirklicht sich auch kein Unrecht. Im wahrsten Sinne des Wortes ist Verhütung mithin eine „Frauensache“ – auch dann, wenn sie mit der Absicht zur Tötung pränidativen ungeborenen Lebens zur Anwendung kommt und als solche menschliches Leben in seinen frühen Entwicklungsstadien wenigstens gefährdet.

225  In Anlehnung an Wilde, Bildnis des Dorian Gray, 119: „Heutzutage kennen die Leute von allem den Preis und von nichts den Wert“.

Kapitel 8

Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung – In den Fesseln des Wertungswiderspruchs und Status quo –

Nachdem sich die vorangegangenen Kapitel 4 bis 7 ausführlich einer vergleichenden Betrachtung der einfachgesetzlichen Vorschriften zum Lebensschutz gewidmet haben, wird es im achten und letzten Kapitel der vorliegenden Untersuchung nun darum gehen, die Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3 mit den Ergebnissen dieser einfachgesetzlichen Analyse zu verbinden. Jene Analyse hat – in Anknüpfung an die im zweiten Kapitel dargelegte verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese und ausgehend von der im dritten Kapitel entwickelten Widerspruchsdefinition – wiederholt sog. horizontale einfachgesetzliche Wertungswidersprüche identifizieren müssen, nämlich immer dann, wenn die §§ 218 ff. StGB das postnidative ungeborene Leben sowohl gegenüber dem geborenen Menschen i. S. d. Strafrechts als auch in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien einer Ungleichbehandlung unterwerfen, ohne dies durch einen gewichtigen sachlichen Grund rechtfertigen zu können. Es sind diese Wertungswidersprüche, die der erste Abschnitt des letzten Kapitels zunächst repetieren wird, um auf einen gesetzlichen, gemeinhin abhilfebedürftigen Missstand hinzuweisen: auf eine Abtreibungsgesetzgebung, deren Vorschriften nicht nur gegen einen um die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese angereicherten allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen, sondern die ob jenes Verstoßes auch die Voraussetzungen unterlaufen müssen, die der postulierten positiv-generalpräventiven Wirkung vorangestellt sind. „Aus Fehlern lernt man“, sagt der Volksmund, und die Fehler des Gesetzgebers verpflichten ihn gar zu ihrer Korrektur. Dass sich eine solche Fehlerkorrektur in der Vergangenheit gleichwohl nicht vollzogen hat, was die Regelung der §§ 218 ff. StGB betrifft, und auch in der Zukunft aller Voraussicht nach nicht zu erwarten ist, bedarf einer Erklärung, die die vorliegende Untersuchung dem Konzept der symbolischen Gesetzgebung meint entnehmen zu können. Insofern wird der zweite Abschnitt dieses letzten Kapitels darlegen, wie der Wertungswiderspruch nicht nur ein Produkt der Divergenz manifester und latenter Funktionen eines Gesetzes ist, sondern innerhalb einer symbolischen Gesetzgebung –

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

weiterreichend gar in einer symbolischen Verfassungskonkretisierung – auch funktionalisiert sein kann. In seiner Funktionalisierung weist er den durch einen abweichenden manifesten Zweck nur kaschierten latenten Funktionen des Strafgesetzes den Weg und vermag einer Gesellschaft so durchaus zu dienen – wenn auch auf eine andere Art und Weise, als dies der manifeste Zweck des Rechtsgüterschutzes zunächst impliziert. Stets kann dies aber nur ein vordergründiger und kurzfristiger Nutzen sein, während die Rechtsordnung durch das Täuschungsmanöver des Gesetzgebers und der Verfassungsrechtsprechung, die sich zu einem der Gleichwertigkeitsthese entsprechenden Rechtsgüterschutz gleichermaßen nur noch symbolisch bekennen, nachhaltigen Schaden nehmen muss. Dies darzulegen, bildet die Zielsetzung des dritten und letzten Abschnitts des vorliegenden Kapitels und führt zu einer abschließenden Schlussfolgerung, die auf die Notwendigkeit couragierter Worte wie Taten der Verfassungsrechtsprechung und des Gesetzgebers hinweisen will. Couragiert müssen deren Worte sein, wenn sie aufgefordert sind, die Glaubwürdigkeit der postulierten Gleichwertigkeitsthese zu hinterfragen und an deren Stelle ein solches Bekenntnis vom Wert des menschlichen Lebens in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien zu setzen, das – getragen vom allgemeinen Rechtsbewusstsein – forthin auch als Grundsatz einer autopoietischen Rechtsordnung würde fungieren können. Das Einfallstor für eine symbolische Gesetzgebung und Verfassungskonkretisierung wäre zu versiegeln, den funktionalisierten, aber verfassungswidrigen und positiv-generalpräventiv unwirksamen Wertungswidersprüchen ihr Entstehungsgrund zu nehmen. Hieran schlösse sich mit einer grundlegenden Revision und Reform des strafgesetzlichen Lebensschutzes eine couragierte Tat an, durch die der Gesetzgeber offen nach außen zu kehren hätte, welch unterschiedliche Wertschätzung er dem menschlichen Leben in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien zollt. Keine symbolische Systematik und keine neutralisierende Sprache hätten länger zu verbergen, wie die Rechtsordnung zumindest für die pränatalen Abschnitte der menschlichen Entwicklung bereit ist, den Wert des menschlichen Lebens zu relativieren. Die Chancen, die sich der Entwicklung des Rechts damit eröffneten, wären beträchtlich: Während sich in der gegenwärtigen Rechtsordnung – insbesondere auf den noch nicht vollständig erschlossenen Gebieten des Lebensschutzes in vitro – noch die Wertungswidersprüche der Abtreibungsgesetzgebung fortsetzen, könnte sich das Recht auf der Grundlage einer Werterevision endlich wieder nach systeminternen Kriterien richten, statt durch Einflüsse von außen bestimmt zu werden und gefesselt zu sein.



Abschn. 1: Gebot einer Aufhebung des Wertungswiderspruchs

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Abschnitt 1

Das grundsätzliche Gebot einer Aufhebung des Wertungswiderspruchs – Die vorläufige Identifizierung eines gesetzlichen Missstandes – „Aus Fehlern lernt man“. (Volksmund)

Nachdem das zweite Kapitel der vorliegenden Untersuchung zunächst noch die allgemeine, durch die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG genährte Erwartung an eine durch die Grundrechte vermittelte, gegebenenfalls bewusstseinsbildende, jedenfalls aber bewusstseinsabbildende Werteeinheit des strafgesetzlichen Lebensschutzes geformt hat, hat das nachfolgende dritte Kapitel jene Erwartungshaltung bereits in eine konkrete Gestalt gekleidet, nämlich ein Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit formuliert, das verfassungsrechtlich seinen Grund (unter anderem1) in einem die Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG integrierenden allgemeinen Gleichheitssatz findet und dessen Beachtung strafzwecktheoretisch von den positiv-generalpräventiven Wirkmechanismen vorausgesetzt wird. Die Frage, inwieweit der Ungeborenenschutz des Strafgesetzbuches – angefangen von der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ über die Ausnahmetatbestände des § 218a Abs. 1 und Abs. 2 hin zur Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 2 – diesen Geboten Folge leistet oder aber ihnen zuwider handelt, ist in den Kapiteln 4 bis 7 einer Antwort zugeführt worden. Ihre Ergebnisse ebnen einer ersten Anschlussforderung den Weg, nach welcher der Gesetzgeber verfassungswidrige und positiv-generalpräventiv unwirksame Wertungswidersprüche zu beseitigen hätte.

A. Eine verfassungsrechtlich begründete ­Wertungswiderspruchsfreiheit Jener einfachgesetzlichen Analyse in den Kapiteln 4 bis 7 hat vorliegende Untersuchung eine Definition des normativen Wertungswiderspruchs zugrunde gelegt, die sich des allgemeinen Gleichheitssatzes bedient und das 1  Zu weiteren einheitsstiftenden Grundsätzen, deren Anforderungen aber in den allgemeinen Gleichheitssatz integriert sind, s. ausführl. oben Kap. 3, Seite  149–152 [Abschn.  2, B. II.: Normenklarheit i. w. S.]; ebda., Seite  153 f. [Abschn.  2, C.: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz]; ebda., Seite  154–162 [Abschn.  1, D.: Normenpyrami­ de bzw. Vereinbarkeit mit den Grundrechten].

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

maßgebliche tertium comparationis der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese entnimmt: Denn hat menschliches individuelles Leben ungeachtet seines Alters oder sonstiger persönlicher Eigenschaften gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG teil, sind all diejenigen Stadien seiner Entwicklung für wesentlich gleich zu befinden, die als menschliches individuelles Leben anerkannt sind und insofern unter einen gemeinsamen, grundrechtlich definierten Oberbegriff gefasst werden können. Werden sie durch die Rechtsordnung ungleich behandelt, muss die Rechtsordnung hierfür einen gewichtigen sachlichen Grund anführen können, wenn sie sich nicht dem Vorwurf einer Wertungswidersprüchlichkeit aussetzen will, der ihr gleichzeitig eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes zur Last legte. Dies beansprucht nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung jedenfalls für den postnidativen Lebensschutz Geltung. Für den pränidativen Lebensschutz wäre ein entsprechender Anspruch hingegen nur dann zu formulieren, wenn der Gesetzgeber die seitens des BVerfG offen gelassene Frage, ob menschliches Leben bereits vor seiner Einnistung in der Gebärmutterschleimhaut individualisiert ist und grundrechtlichen Schutz genießt, bejaht hätte: Insofern gemeinsam mit dem geborenen Menschen wie auch dem postnidativen ungeborenen Leben unter ein grundrechtlich definiertes tertium comparationis – das menschliche individuelle Leben i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG – gefasst, dürfte das Gesetz auch sein Leben nicht ohne gewichtigen sachlichen Grund anders als nachfolgende Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens behandeln. Ausgehend von ihrem so bestimmten Interesse, möglichen Wertungswidersprüchen innerhalb des Strafgesetzes nachzugehen, hat vorliegende Untersuchung ihren Blick sodann unmittelbar auf das Verhältnis der einfachgesetzlichen Vorschriften und ihre horizontale Wertungswiderspruchsfreiheit gelenkt. I. Die Wertungswidersprüche im postnidativen Lebensschutz Im Zuge dessen hat die Untersuchung die Vorschriften der §§ 34 und 218a Abs. 2 StGB, die die Tötung des geborenen Menschen und postnidativen ungeborenen Lebens einer unterschiedlichen Rechtfertigung zuführen, in einen direkten Vergleich gestellt. Ebenso hat sie eine Sonderhandlung des postnidativen ungeborenen Lebens in den ersten zwölf Wochen nach seiner Empfängnis konstatiert, wenn § 218a Abs. 1 StGB seine Tötung einem Tatbestandsausschluss unterstellt, für den man in späteren Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens ein Äquivalent vermisst. Gleichwohl alle drei Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG teilhaben, ebnet die Rechts-



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ordnung ihrer – nicht unbedingt gerechtfertigten, aber straflosen – Tötung doch höchst unterschiedlich den Weg. 1. Ein gemeinsamer Ursprung in der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“

Als gemeinsamen Ursprung dieser Ungleichbehandlungen hat die Untersuchung zunächst die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ benannt2, die den Anwendungsbereich der allgemeinen Tötungsdelikte von dem der §§ 218 ff. StGB scheidet3 und in ihrer schematisierenden – auch den an der Konfliktlage unbeteiligten „sonstigen Dritten“ erfassenden – Wirkung eine Differenzierung nach unterschiedlichem Erfolgsunrecht vornimmt4. Gleichwohl das Strafgesetz nach den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG jedes menschliche individuelle Leben i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG gleichermaßen vor Tötung zu bewahren hat, nimmt die Rechtsordnung mit jener Datierung mithin nicht nur eine sachlich begründete Rücksicht auf die Besonderheiten der symbiotischen Verbindung zwischen Schwangerer und Ungeborenem5, sondern misst dem Leben einer „Leibesfrucht“ einen anderen Wert zu, als sie dem geborenen Menschen zuerkennt6. 2. Der medizinisch-soziale Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB

Diese unterschiedliche Wertschätzung findet in den einzelnen – in der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ nur ihren Anfang nehmenden – Ungleichbehandlungen sodann ihre Fortsetzung. So hat vorliegende Untersuchung verschiedene rechtfertigende Merkmale des medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes benannt, die sich von denen des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes unterscheiden: das ausdrückliche Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB, seine generell-abstrakt vorweg2  Eingehend zur Datierung jener Zäsur s. oben Kap. 4, Seite  274–287 [Abschn.  3, A. II.]. 3  Zum dadurch initiierten „Gefälle“ im strafgesetzlichen Lebensschutz s. den diesbzgl. Überblick des Kap. 4, Seite  272 f. [Abschn.  3, A. I.]. 4  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  300–306 [Abschn.  3, B. II.]. 5  Zu den Einschränkungen der pränatalen Schutzfähigkeit s. oben Kap. 4, Seite 293–296 [Abschn.  3, B. I. 2.]; zum eingeschränkten Verhaltensunrecht der Schwangeren und des zur Konfliktlösung tätig werdenden Dritten s.  ebda., Seite  296 f. [Abschn.  3, B. I. 3.]; zsfd. ebda., Seite  299 f. [Abschn.  3, B. I. 5.]. 6  Vgl. Kap. 4, Seite  308 f. [Abschn.  3, C.]: eine „Menschwerdung wie von Zauberhand“.

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genommene Interessenabwägung ebenso wie seinen Verzicht auf ein dem § 34 S. 2 StGB entsprechendes Regulativ der Abwägung, schließlich die Vorverlegung des rechtfertigenden Gefahreneintritts ebenso wie die Abweichung vom Proportionalitätsmaßstab des § 34 S. 1 StGB. All diese Merkmale hat sie daraufhin untersucht, ob die in ihnen verwirklichte Ungleichbehandlung des postnidativen ungeborenen Lebens sachlich begründet werden kann. In Beantwortung dieser Fragestellung schien das ausdrückliche Einwilligungserfordernis des § 218a Abs. 2 StGB7 ebenso wie seine abstrakt-generell vorweggenommene Interessenabwägung8 zunächst noch für einen sachlichen Grund zu streiten: Insofern vermochte die Untersuchung das Einwilligungserfordernis noch als bloßen Ausdruck der Grundsätze der aufgedrängten Nothilfe zu verstehen, die auch innerhalb des § 34 StGB zur Anwendung kommen9. Seine Erhebung zum ausdrücklich genannten rechtfertigenden Merkmal ließ sich in diesem Zusammenhang mit einer nothilfefeindlichen Betonung der herrschenden Mutmaßlichkeitslösung erklären, muss man der Schwangeren in ihrer symbiotischen Verbindung mit dem zu tötenden Ungeborenen doch ein besonderes Interesse am Unterbleiben des Schwangerschaftsabbruchs eingestehen: Weil ein solcher Abbruch stets auch Gefahren für ihre eigene Person in sich birgt und sie überdies in einer nahenden Mutter-Kind-Beziehung zum Ungeborenen steht, wird ein Abbruch stets nur mit ihrer (gegebenenfalls auch mutmaßlichen, aber besonders sorgfältig ermittelten) Einwilligung erfolgen dürfen10. Aber nicht nur für das Einwilligungserfordernis des § 34 StGB kann ein sachlicher Grund bemüht werden. Auch für die täterliche Garantenstellung und täterlichen Gefahrverursachungsbeiträge hat die Untersuchung zunächst nur festgestellt, wie sie das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen der Schwangeren und des Ungeborenen bereits nach allgemeinen Grundsätzen unberührt lassen müssten. Wenn die Vorschrift des § 218a Abs. 2 StGB die Abwägungsrelevanz jener Umstände abstrakt-generell bestreitet, produziert sie für die pränatalen Entwicklungsstadien mithin kein spezifisches Abwägungsergebnis, sondern antizipiert nur ein allgemein – d. h. gleichermaßen für die postnatalen wie pränatalen Entwicklungsstadien – zu erwartendes Ergeb7  Siehe

dazu oben Kap. 5, Seite  316–329 [Abschn.  1, B.]. dazu oben Kap. 5, Seite  329–341 [Abschn.  2, A.: Ungleichbehandlung] u. Seite  341–436 [B.: sachliche Begründung]. 9  Siehe oben Kap. 5, Seite  322 f. [Abschn.  1, B. II. 1.] zum Verbot aufgedrängter Gefahrenabwehr nach den §§ 32, 34 StGB. 10  Siehe oben Kap. 5, Seite  324–328 [Abschn.  1, B. II. 2.]. Zu den nothilfefeindlichen Interessen einer Schwangeren s. ebda., Seite  324 f. [a)]; zur Anerkennung auch ihrer mutmaßlichen Einwilligung s. ebda., Seite  326 f. (b)]; zsfd. Kap. 5, Seite  328 [Abschn.  1, B. III.]. 8  Siehe



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nis11. Dies kann nach vorliegend vertretener Ansicht für die Obhutsgarantenstellung der Schwangeren12 ebenso wie für ihre willentliche Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr13 vertreten werden und beansprucht auch für ihre etwaigen besonderen Gefahrverursachungsbeiträge, wenn sie mit Suizid droht14 oder ein den Fetus schädigendes Vorverhalten entfaltet15, Geltung. Demgegenüber schließt der eng formulierte medizinisch-soziale Indikationentatbestand mit demjenigen Gefahrenursprung, der in der rechtswidrigen Nötigung eines Dritten angesiedelt ist, auch einen solchen Umstand des Einzelfalls von der Interessenabwägung aus, der sich nach allgemeinen Grundsätzen (des § 34 StGB) als abwägungsrelevant darstellen würde. Indem der Gesetzgeber auch solchen Fällen keine Beachtung zollt, der Schwangeren also die Rechtfertigung ihres Abbruchs belässt, gleichwohl ihr jene nach allgemeinen Grundsätzen zu versagen wäre, gewährt er ihrem Leben und ihrer Gesundheit eine solche Vorrangstellung, wie sie ihr im Konflikt mit einem anderen geborenen Menschen niemals zuerkannt würde. Im Gegenzug muss das postnidative ungeborene Leben ihren Interessen in einer Art und Weise weichen, wie sie einem geborenen Menschen niemals zugemutet werden würde16. Damit hat die vorliegende Untersuchung in der abstrakt-generell vorweggenommenen Interessenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB anstelle einer nur sachlich begründeten Entscheidungsantizipation letztlich doch eine persönlich begründete Ungleichbehandlung für verwirklicht erkannt17. Jener 11  Zsfd. zur tatsächlich fehlenden Abwägungsrelevanz der Obhutsgarantenstellung, willentlichen Teilnahme am zur Empfängnis führenden Geschlechtsverkehr und eines den Fetus schädigenden Vorverhaltens s. oben Kap. 5, Seite  436–439 [Abschn.  2, C. I.]. 12  Siehe oben Kap. 5, Seite  344–348 [Abschn.  2, B. I. 2.], zur Gefahrtragungspflicht im „persönlichen Näheverhältnis“; zsfd. ebda., Seite  367 [Abschn.  2, B. I. 4.]. 13  Siehe oben Kap. 5, Seite  348–367 [Abschn.  2, B. I. 3.], unter Diff. des unvorhersehbar lebens- oder gesundheitsgefährdenden Schwangerschaftsverlaufs auf den Seiten 360 f. [c) aa)] vom Wissen um eine „schwangerschaftsfeindliche Konstitution“ auf den Seiten 362–367 [c) bb)]; zsfd. ebda., Seite  367 [4.]. 14  Siehe dazu oben Kap. 5, Seite  368–394 [Abschn.  2, B. II.], unter Diff. der absichtlich (Seite  378–383 [2.]) und sonst vorwerfbar (Seite  383–393 [3.]) herbeigeführten Indikationenlage; zsfd. ebda., Seite  393 f. [4.]. 15  Siehe dazu oben Kap. 5, Seite  394–409 [Abschn.  2, B. III.], unter Diff. der sonst vorwerfbar (Seite  395–402 [1.]) und absichtlich (Seite  402–408 [2.]) herbeigeführten Indikationenlage; zsfd. ebda., Seite  408 f. [3.]. 16  Zur Nötigungsindikation und deren Abwägungsrelevanz nach allgemeinen Grundsätzen, nicht aber nach § 218a Abs. 2 StGB s. oben Kap. 5, Seite  409–436 [Abschn.  2, B. IV.], u. zsfd. Seite  439 f. [C. II.]. 17  Siehe oben Kap. 5, Seite  441 f. [Abschn.  2, C. III.], zum Transport von Wert- und Geringschätzung durch das Mittel der Abwägungsrelevanz.

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Mangel an sachlicher Begründung setzt sich fort, wenn man sich den möglichen Gründen zuwendet, die den in § 218a Abs. 2 StGB verwirklichten Verzicht auf einen gegenwärtigen Gefahrengrad18 wie auch seine Abweichung vom in § 34 S. 1 StGB formulierten Proportionalitätsmaßstab19 erklären könnten. Insofern hat die Untersuchung aufgezeigt, wie weder die Regeln des Defensivnotstandes auf den medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruch zur Anwendung kommen können noch eine entsprechende Anwendung der für das Unterlassungsdelikt entwickelten Wertungen sachgerecht ist: Während dem postnidativen ungeborenen Leben seine gefahrbegründende Existenz nicht vorgeworfen werden kann und die Schwangere an seiner statt einen überschießenden Zuständigkeitsanteil verwirklicht20, spiegelt sich im Gebot zum Austragen der Schwangerschaft nur die allgemeine Duldungspflicht eines jeden Begehungstäters wider, die keinen Anlass bietet, auf ein reduziertes Verhaltensunrecht der Schwangeren zu erkennen und ihr die Rechtfertigung der Ungeborenentötung zu erleichtern21. Der in § 34 StGB normierte allgemeine rechtfertigende Notstand und der in § 218a Abs. 2 StGB normierte medizinisch-soziale Indikationentatbestand legen so höchst unterschiedlich fest, ob und in welchem Umfang ein menschliches individuelles Leben seine Tötung zu erdulden hat. Während die Tötung einer an der Gefahrentstehung unbeteiligten Konfliktpartei nach § 34 StGB keine Rechtfertigung erfahren kann, erkennt § 218a Abs. 2 StGB die Tötung des – gleichermaßen an der Gefahrentstehung unbeteiligten – ungeborenen Eingriffsadressaten als rechtfertigungsfähig an, dies außerdem in einer vertatbestandlichten Art und Weise und zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die rechtfertigende Indikationenlage noch nicht zu einer gegenwärtigen Gefahr verdichtet hat. Nicht die Teilhabe des postnidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG spiegelt sich in § 218a Abs. 2 StGB so wider; an deren Stelle wirkt in § 218a Abs. 2 StGB stattdessen die – nach dem Ergebnis des vierten Kapitels ihrerseits persönlich begründete – Zäsur einer strafgesetzlichen „Menschwerdung“ fort, die Rechtsprechung und Rechtslehre mit dem Geburtsbeginn identifizieren, und die nicht nur, aber eben auch auf der Rechtfertigungsebene einen buch18  Zur diesbzgl. Ungleichbehandlung s. oben Kap. 5, Seite  445–461 [Abschn.  3, A. I.]. 19  Zur diesbzgl. Ungleichbehandlung s. oben Kap. 5, Seite  461–466 [Abschn.  3, A. II.]. 20  Siehe oben Kap. 5, Seite  467–505 [Abschn.  3, B. I.] zur erh. Duldungspflicht eines Defensivnotstandstäters; zsfd. ebda., Seite  502–505 [Abschn.  3, B. I. 4.] u. Seite  530 [Abschn.  3, C.]. 21  Siehe oben Kap. 5, Seite  505–529 [Abschn.  3, B. II.] zur red. Gefahrtragungspflicht eines Unterlassenstäters; zsfd. ebda., Seite  528 f. [Abschn.  3, B. II. 4.] u. 530 [Abschn.  3, C.].



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stäblich existenziellen Unterschied zwischen menschlichem individuellem Leben in seinen post- und pränatalen Entwicklungsstadien zeichnet. 3. Der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB

Während § 218a Abs. 2 StGB das postnidative ungeborene Leben so ohne einen gewichtigen sachlichen Grund anders als den geborenen Menschen behandelt, normiert § 218a Abs. 1 StGB für die ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis eine Ungleichbehandlung, die auch gegenüber späteren Entwicklungsstadien des ungeborenen Lebens, d. h. noch innerhalb der pränatalen Entwicklungsphase, zum Tragen kommt. Das verfassungsgerichtlich bestätigte Rechtswidrigkeitsverdikt zum nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch hat ebenda seine Umsetzung in einer Tatbestandslösung gefunden, die sich dem systematischen Widerspruch ausgesetzt sieht, ein gegenüber der Rechtfertigung gesteigertes Unrechtsurteil transportieren zu wollen, indem sie die einer Rechtswidrigkeit vorausgesetzte und nicht etwa nachfolgende Tatbestandsmäßigkeit verneint22. Überdies hat vorliegende Untersuchung festgestellt, wie § 218a Abs. 1 StGB das Abbruchsverlangen der Schwangeren zu seinem zentralen Moment erhebt: Mit ihm entfällt – ein ordnungsgemäßes Verfahren unterstellt – der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB als „nicht verwirklicht“ und erklärt das Strafgesetz die verlangte Ungeborenentötung für unerheblich23. Diesbezüglich kann sich der Gesetzgeber zunächst noch auf den an sich legitimen Zweck berufen, einen wirksamen Ungeborenenschutz in der Frühphase der Schwangerschaft befördern zu wollen: Während die Verlautbarung des Rechtswidrigkeitsverdikts noch ein Unrechtsbewusstsein von der nicht indizierten Tötung des ungeborenen Lebens transportieren soll, soll die strafgesetzlich verbürgte Aussicht auf einen legalen, weil tatbestandslosen Schwangerschaftsabbruch die potenzielle Täterin motivieren, das Angebot einer am Ungeborenenschutz ausgerichteten Konfliktberatung anzunehmen24. Wie vorliegende Untersuchung festgestellt hat, erweist sich der 22  Siehe oben Kap. 6, Seite  548–556 [Abschn.  1, B.: zur verlautbarten Platzierung des Abbruchsverlangens jenseits der allgemeinen Rechtswidrigkeit] u. Seite  556–562 [Abschn.  1, C.: zur tatsächlichen Platzierung diesseits der Rechtswidrigkeit]; zsfd. ebda., Seite  562 f. [D.]. 23  Siehe oben Kap. 6, Seite  548 f. [Abschn.  1, A. IV.: zum zentralen Moment des § 218a Abs. 1 StGB], Seite  559–562 [Abschn.  1, C. III.: zur Garantie einer „Unerheblichkeitserklärung“] u. zsfd. ebda., Seite  562  [Abschn.  1, D.]. 24  Siehe oben Kap. 6, Seite  566–570 [Abschn.  2, A. I.: zum präventiven Schutz durch beratende Einflussnahme], Seite  570 f. [Abschn.  2, A. II.: zum Rechtswidrigkeitsverdikt]; zsfd. ebda., Seite  572 [Abschn.  2, A. III.] u. Seite 664–666 [Abschn.  2, D.].

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diesbezügliche Entwurf eines Beratungskonzepts jedoch von vornherein als ungeeignet, diesen Zweck eines effektiven Ungeborenenschutzes zu befördern: Weder vermag die Gesamtrechtsordnung ein Rechtswidrigkeitsurteil über den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch zu transportieren25 noch ist die durch den Verzicht auf eine Strafandrohung geförderte Konfliktberatung darauf ausgerichtet, der beratenen Frau ein Bewusstsein über den verfassungsrechtlichen Wert des ungeborenen Lebens und das daraus folgende Unrechtsurteil über seine Tötung zu vermitteln26. Selbst wenn das Beratungskonzept aber über die ihm unterstellte Eignung verfügte, einen wirksamen Ungeborenenschutz zu verwirklichen, formulierte es immer noch einen quantitativen Lebensschutz und bediente sich so eines unangemessenen Mittels, das zur Zielsetzung des Ungeborenenschutzes in eine gleichermaßen unangemessene Relation träte: Wenn die Rechtsordnung in § 218a Abs. 1 StGB die Preisgabe des individuellen Ungeborenenschutzes in Kauf nimmt, um auf diesem Wege hoffentlich eine größere Anzahl ungeborener Leben zu retten, deren Mütter sich in der Konfliktberatung zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen lassen, tritt es zu allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts in Widerspruch, nach denen ein menschliches Leben gegen ein anderes nicht abgewogen werden darf27. II. Ein potenzieller Wertungswiderspruch im pränidativen Lebensschutz Indem sie den allgemeinen Gleichheitssatz zu ihrem Ansatz erkoren hat, hat vorliegende Untersuchung aber nicht nur den Rahmen diktiert, innerhalb dessen der postnidative Lebensschutz auf seine Freiheit von horizontalen Wertungswidersprüchen untersucht werden kann. Vorbehaltlich der dem Gesetzgeber überantworteten Wahl eines grundrechtlich oder naturwissenschaftlich definierten tertium comparationis hat sie auch einer Widerspruchsanalyse des pränidativen Lebensschutzes den Weg geebnet28. Insofern hat die Untersuchung zu ergründen versucht, ob der Verzicht auf ein Verbot der Nidationsverhütung mit der Wahl eines grundrechtlichen 25  Siehe dazu oben Kap. 6, Seite  574–623 [Abschn.  2, B. I.]. Zsfd. Kap. 6, Seite  619–623 [Abschn.  2, B. I. 5.] u. Seite  656 f. [Abschn.  2, B. III.]; ebda., Seite  664–666 [Abschn.  2, D.]. 26  Siehe dazu oben Kap. 6, Seite  623–656 [Abschn.  2, B. II.]. Zsfd. ebda. Kap. 6, Seite  656–658 [Abschn.  2, B. III.] u. Seite  664–666 [Abschn.  2, D.]. 27  Siehe dazu oben Kap. 6, Seite  658–664 [Abschn.  2, C.]; zsfd. ebda., Seite  664–666 [Abschn.  2, D.]. 28  Zu einer Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf den pränidativen Lebensschutz s. oben Kap. 3, Seite  170–173 [Abschn.  2, E. I. 2.]; zur Selbstbindung statt hierarchischen Bindung des Gesetzgebers s. ebda., Seite  170 [a)].



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tertium comparationis vereinbart werden könnte29. Angenommen, der Gesetzgeber hätte sich also selbst verpflichtet, auch den pränidativen Embryo unter die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese zu fassen, wäre es ihm gleichwohl möglich gewesen, die Verhinderung der Nidation für strafrechtlich irrelevant zu erklären? Was die Vorschrift des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB und die dadurch verwirklichte Ungleichbehandlung des pränidativen Embryos betrifft, hat die Untersuchung tatsächlich eine sachliche Begründung ausfindig machen können: Beweisschwierigkeiten hinderten insofern nicht nur den Nachweis, dass es tatsächlich die Nidationsverhütung ist, die im Einzelfall kausal für den Tod eines Embryos wird, sondern machten in der Praxis auch den Nachweis einer objektiven Gefahrverdichtung unmöglich. Weder den Tatbestand des vollendeten noch den des versuchten Schwangerschaftsabbruchs vermochte die Anwendung einer Nidationsverhütung nachweislich zu erfüllen30. Indem das Strafgesetz die Nidationsverhütung nicht als Schwangerschaftsabbruch unter Strafandrohung verbietet, trifft es so eine Aussage über seine eigene eingeschränkte Schutzfähigkeit, sagt aber noch nichts über den Wert aus, den das einfache Gesetz dem pränidativen Embryo zuerkennt. Eine solche Wertung lässt sich erst seinem begleitenden Verzicht auf die Normierung eines abstrakten Gefährdungsdeliktes, Produkt- oder Vertriebsverbots entnehmen: Insofern auf den Nachweis einer Kausalität oder auch nur objektiven Gefahrverdichtung nicht angewiesen, erweist sich seine diesbezügliche Schutzfähigkeit als nicht eingeschränkt31. Stattdessen muss sich sein Normverzicht als persönlich begründet präsentieren, wenn es schwangerschaftsunwilligen Frauen nicht nur die Möglichkeit eröffnet, sich dem Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB durch eine für tatbestandslos erkannte Nidationsverhütung zu entziehen32, sondern den doppelt antizipierten Konflikt zwischen dem Leben des pränidativen Embryos und der weiblichen Selbstbestimmung33 überdies in Abweichung von derjenigen Hierarchie grundrechtlicher Gewährleistungen 29  Zur Anw. eines grundrechtlichen tertium comparationis auch auf den pränidativen Lebensschutz s. oben Kap. 3, Seite 170 f. [Abschn. 2, E. I. 2. b)], u. Kap. 4, Seite  253 f. [Abschn.  1, B.]. 30  Zum vollendeten Schwangerschaftsabbruch durch Nidationsverhütung in einer hypothetischen, um den § 218 Abs. 1 S. 2 StGB reduzierten gesetzlichen Regelung s. oben Kap. 7, Seite  691–695 [Abschn.  2, B. I.]; zum versuchten Schwangerschaftsabbruch s. oben Kap. 7, Seite  695–722 [Abschn.  2, B. II.]. 31  Zur diesbzgl. gesetzlichen Schutzfähigkeit jenseits des Erfolgsdelikts s. oben Kap. 7, Seite  724 f. [Abschn.  2, C.]. 32  Zum Verhältnis von tatbestandsloser Nidationsverhinderung und dem Beratungsmodell des § 218a Abs. 1 StGB s. oben Kap. 7, Seite  740–742 [Abschn.  2, D. II. 2.]. 33  Zur doppelten Konfliktantizipation in Sachverhalten der Nidationsverhinderung s. oben Kap. 7, Seite  729–737 [Abschn.  2, D. I.].

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entscheidet, wie sie sich in Gefolgschaft einer auf den pränidativen Ungeborenenschutz erstreckten Gleichwertigkeitsthese darstellen müsste34. Dies muss jedoch kein Mangel des Strafgesetzes sein, sondern kann auch lediglich zu erkennen geben, wie der Gesetzgeber die ihm überantwortete Entscheidung über die Teilhabe des pränidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG (negativ) beschieden hat35. III. Conclusio Zusammengefasst zeichnet die Formel von der „Einheit der Rechtsordnung“ für den postnidativen Lebensschutz also auch dann ein Bild der Wertungswidersprüchlichkeiten, wenn man sie nicht als „handliche ‚Allzweckwaffe‘ in juristischer Begründungsnot“36 zur Anwendung bringt, sondern in eine umfangreiche, am allgemeinen Gleichheitssatz orientierte Analyse fasst. Am Beginn jener Wertungswidersprüche steht die Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“, die den Anwendungsbereich der §§ 218 ff. StGB schematisierend – d. h. auch unter Einbeziehung des „sonstigen Dritten“ – von dem der §§ 211 ff., 222 StGB scheidet, ohne dies sachlich (durch die besonderen Belastungen der Schwangerschaft) erklären zu können. Systematisch eher versteckt vollzieht sich demgegenüber die Ungleichbehandlung des postnidativen ungeborenen Lebens in den §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 1 und 2 StGB, wenn das Lebensrecht des Ungeborenen auf der Tatbestandsebene noch äußerlich bzw. systematisch die Anerkennung als schutzwürdiges Rechtsgut erfährt, auf einer nachfolgenden Stufe des Deliktsaufbaus aber nicht nur den Rechten der Schwangeren weichen muss, sondern sein diesbezügliches Unterliegen gar in einer vertatbestandlichten Art und Weise abschließend normiert sieht. Dies gilt für sein Verhältnis zu Leben und Gesundheit der Schwangeren ebenso wie für sein Verhältnis zum weiblichen Selbstbestimmungsrecht, wenn § 218a Abs. 2 StGB ein entsprechendes Ergebnis seiner Interessenabwägung abstrakt-generell vorwegnimmt und auch keine nach34  Zum Verhältnis zur weiblichen Selbstbestimmung (nach einer auf den pränidativen Ungeborenenschutz erstreckten Gleichwertigkeitsthese) s. oben Kap. 7, Seite  738 f. [Abschn.  2, D. II. 1.], 742 f. [ebda., 3.], 750–754 [Abschn.  3]; zur Diff. von Erfolgsunrecht s. oben Kap. 7, Seite  743–748 [Abschn.  2, D. III.] u. 748 [Abschn.  2, E.]. 35  Zur alternativen Wahl eines naturwissenschaftlich definierten tertium comparationis für den pränidativen Lebensschutz s. oben Kap. 3, Seite  171 f. [Abschn.  2, E. I. 2. c)], u. Kap. 4, Seite  255 f. [Abschn.  1, C.]. 36  Günther, Strafrechtswidrigkeit, 89. Vgl. dazu die einleitenden Ausführungen zu Kap. 3, Seite  144 f. [Abschn.  2, vor A.], 162 f. [ebda., E. vor I.] u. 179 f. [ebda., F.].



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trägliche Korrektur zulässt und § 218a Abs. 1 StGB der Schwangeren die Letztentscheidungskompetenz zuweist, ohne dies durch ein dem Ungeborenenschutz tatsächlich dienendes Beratungskonzept rechtfertigen zu können. Demgegenüber hat sich das BVerfG enthalten, ob es seine Gleichwertigkeitsthese auch auf den pränidativen Embryo erstreckt wissen will. Wenn das Strafgesetz dessen Tötung jenseits des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB auch keinem anderen Verbot unterstellt, mag sich hierin lediglich offenbaren, wie der Gesetzgeber die (vorläufig noch) ihm überantwortete Frage nach der grundrechtlichen Schutzwürdigkeit des pränidativen Embryos verneint hat. Seine diesbezügliche Verweigerung eines durch das Strafgesetz gewährten Lebensschutzes träte damit in keinen Wertungswiderspruch zur verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese, sondern unterfiele bereits nicht deren Anwendungsbereich.

B. Eine strafzwecktheoretisch begründete ­Wertungswiderspruchsfreiheit Soweit die vorliegende Untersuchung in diesem Sinne Wertungswidersprüchlichkeiten festgestellt hat, die den einfachgesetzlichen Schutz des individuellen menschlichen Lebens prägen, hat sie gleichzeitig auch mögliche Hindernisse identifiziert, die sich in einer durch Kommunikation vermittelten Bewusstseinsbildung oder jedenfalls -abbildung – wie sie das Strafgesetz nach der verfassungsgerichtlichen Verlautbarung seiner positivgeneralpräventiven Wirkung betreiben soll – auftun können. Denn erhebt es das Strafgesetz zu seinem übergeordneten Kommunikationszweck, dass seine Normadressaten jedenfalls das postnidative ungeborene Leben als gleichwertig zum geborenen „Menschen“ i. S. d. Strafrechts erkennen und dessen Tötung für ein gleichermaßen großes Unrecht wie die Begehung eines allgemeinen Tötungsdeliktes befinden, bildet eine entsprechende Verständigung sein unmittelbares Kommunikationsziel, wird durch sachlich unbegründete Ungleichbehandlungen aber gerade nicht befördert. I. Das Unterlaufen der positiv-generalpräventiven Wirkung durch den Wertungswiderspruch Bereits das zweite Kapitel hat ausgeführt, wie die positive Generalprävention in der dem Strafgesetzbuch zugrunde gelegten präventiven Vereinigungstheorie das zentrale Moment bildet37 und wie das BVerfG die positiv37  Siehe dazu oben Kap. 3, Seite  185–188 [Abschn.  3, A. III.] u. 245–248 [ebda., D. III.].

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generalpräventive Wirkung des Ungeborenenschutzes in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen nicht nur postuliert, sondern besonders hervorgehoben hat: Insofern schrieb das Gericht dem originär positiv-generalpräventiven Mittel der Einsicht eine gegebenenfalls bewusstseinsbildende, jedenfalls aber bewusstseinsabbildende Wirkung zu, die in den Sachverhalten des in § 218a Abs. 1 StGB normierten Beratungskonzepts gar die negativ-generalpräventive Wirkung der Strafandrohung verdrängen soll38. Zurück tritt so diejenige Art einer (durch Furcht habitualisierten) Sittenbildung, die nicht zwingend frei von Wertungswidersprüchen sein muss: In ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen der Konditionierung, Nachahmung oder rationalen Kosten-Nutzen-Kalkulation setzt eine negativgeneralpräventiv ausgerichtete Sittenbildung zwar die im Wiederholungsfall konsistente Behandlung desselben Verhaltens voraus, wird durch eine Ungleichbehandlung verschiedener, nur wertungsmäßig vergleichbarer Sachverhalte aber nicht berührt39. Im Gegensatz dazu hat das dritte Kapitel für die Mechanismen und Voraussetzungen eines positiv-generalpräventiv ausgerichteten Strafgesetzes festgehalten, wie jenes in einem übergeordneten Kommunikationszweck die Einsicht der Normadressaten in die Wert- und Unrechtsvorstellungen der Rechtsordnung prägen will und insofern das unmittelbare Kommunikationsziel der Verständigung voraussetzt40. Weil nur dasjenige, was verstanden worden ist, „einsichtig“ in das eigene Unrechtsund Wertbewusstsein integriert werden kann, eine widersprüchliche Wertund Unrechtsvorstellung aber schwerlich verstehend nachvollzogen werden kann, hat es die Freiheit von Wertungswidersprüchen mit einer Wirksamkeitsvoraussetzung der originär positiv-generalpräventiven Kommunikation identifiziert41. Insofern kann eine Verständigung über die zu vermittelnden Wert- und Unrechtsvorstellungen an verschiedenen Stellen des Kommunikationsvorganges zu Fall gebracht werden: Von einer (bloßen) Kommunikationsstörung ist vorliegend gesprochen worden, wenn das Gesetz die zu vermittelnden Vorstellungen zwar zunächst konsistent formuliert – d. h. insbesondere nur solche Ungleichbehandlungen normiert, die auch sachlich begründet werden können –, deren Transport aber unterläuft, indem es seine (sachlichen) Gründe für einschlägige Ungleichbehandlungen nicht hinreichend erkennbar nach außen kehrt42. Die vorliegend thematisierten Wertungswidersprüche reichen 38  Siehe

dazu oben Kap. 3, 245–248 [Abschn.  3, D. III.]. dazu zsfd. oben Kap. 3, Seite  243 f. [Abschn.  3, D. II. 2.]. 40  Siehe dazu oben Kap. 3, Seite  214–216 [Abschn.  3, C. I. 1. c)] zum übergeordneten Zweck und unmittelbaren Ziel einer positiv-generalpräventiv ausgerichteten Kommunikation. 41  Siehe dazu oben Kap. 3, Seite  237–243 [Abschn.  3, D. II. 1.]. 42  Siehe dazu oben Kap. 3, Seite  238–240 [Abschn.  3, D. II. 1. a)]. 39  Siehe



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hingegen weiter, indem sie nicht erst die kongruente Wahrnehmung von Sender und Empfänger auf dem Transportweg der rechtlichen Inhalte stören, sondern bereits den Gegenstand der Kommunikation in eine „positiv-generalpräventive Paradoxie“ kleiden43. Insoweit das Gesetz tatsächlich Ungleichbehandlungen normiert, die sachlich nicht begründet werden können, überantwortet es der Gesetzgeber seinen Normadressaten, die wahrgenommenen Wertungswidersprüche in ihrer Rezeption aufzulösen. Er muss es so wenigstens in Kauf nehmen44, dass sich seine widerstreitenden Wertungen in der Rezeption des Empfängers aufheben oder aber dass der Adressat diejenige Wertung selektiert und als verbindlich anerkennt, die mit seinem individuellen Wertbewusstsein am ehesten harmoniert. Der verlautbarte übergeordnete Kommunikationszweck, dass eine bestimmte rechtliche statt individuelle Wert- und Unrechtsvorstellung Eingang in das Bewusstsein der Normadressaten findet, wird damit aber verfehlt. Das Ergebnis der Rezeption wird so beliebig; wie der rechtliche Ungeborenenschutz ausgestaltet ist, kann unter Hinweis auf die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese, die Systematik von Tatbestand und Ausnahmetatbestand oder sonstige Ausgestaltung und Anwendung des einfachen Rechts wahlweise ganz unterschiedlich bestimmt werden45. So darf es nicht verwundern, dass die Schutzwürdigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens in der Literatur verschiedentlich ganz offen in Abweichung von der verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG bestimmt wird: Wenn unter Hinweis auf § 218a Abs. 2, § 218a Abs. 1 und § 218 Abs. 1 S. 2 StGB von einem abgestuften Lebensrecht oder Lebensschutz des Ungeborenen gesprochen wird oder jenem das Grundrecht auf Leben gänzlich abgesprochen wird46, ist der jeweilige Autor augen43  Siehe dazu oben Kap. 3, Seite  240–243 [Abschn.  3, D. II. 1. b)]. Zur angewandten Abgrenzung der Kommunikationsstörung von der positiv-generalpräventiven Paradoxie s. auch oben Kap. 4, Seite  306 [Abschn.  3, B. II. 4. a. E.]; zur Kritik an der positiv-generalpräventiven Eignung einer Zäsurenvorverlegung vgl. ebda., Seite  306 f. [Abschn.  3, B. III.]. 44  Dass die Konservierung der individuellen Vorstellung statt Prägung einer rechtlichen Wert- und Unrechtsvorstellung das eigentliche gesetzgeberische Anliegen bildet, wird nachfolgend noch seine Erörterung finden; s. dazu sogleich auf den Seiten 785 ff. [Abschn.  2] des vorliegenden Kapitels, der sich mit einem Konzept der symbolischen Gesetzgebung und Verfassungskonkretisierung befassen wird. 45  Siehe oben Kap. 3, Seite  240–243 [Abschn.  3, D. II. 1. b)] zu den Folgen einer durch den Wertungswiderspruch begründeten „positiv-generalpräventiven Paradoxie“. 46  Vgl. etwa die unterschiedlichen Formulierungen Hilgendorfs in MedR 1994, 429 (432), NJW 1996, 758 (761) u. in Gethmann / Huster, PID, 175 (183 u. 187); krit. Hoerster, ZfL 2006, 45; ders., JuS 2003, 529 (529 f.); ders., MedR 1995, 394 (395). Vgl. ferner Dreier, ZRP 2002, 377 (378 u. 382): ders., JZ 2007, 261 (267 f. u. 270) m. krit. Erwiderung von Hoerster, JZ 2008, 295 (296); Faßbender, NJW

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scheinlich demjenigen Eindruck gefolgt, nach dem das Strafgesetzbuch in den §§ 218 ff. persönlich statt nur sachlich begründete Ungleichbehandlungen verwirklicht, und hat deren Wertung vor die der verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG gestellt, dies gleichwohl der Grundsatz der Normenpyramide ebenso wie der allgemeine Gleichheitssatz eine subsidiäre Bindung an einfaches Recht solange untersagen, wie der Schutzbereich einer übergeordneten grundrechtlichen Wertung eröffnet ist47. In diesem Sinne hat etwa Hilgendorf auf die „rechtsethischen Vorstellungen des ganz überwiegenden Teils der deutschen (aber nicht nur der deutschen) Bevölkerung“48 hingewiesen sowie darauf, dass der „Status des Embryos im positiven Recht […] so schwach“ sei, dass eine gegenteilige Auffassung dadurch „desavouiert“ werde49. Wer dem Gesetz solch einen abgestuften Lebensschutz entnimmt und ihn gar zum Vergleichsmaßstab für andere einfache Gesetze erhebt, erklärt im Ergebnis nicht nur seine individuelle Auslegung der einfachgesetzlichen Wertungen für maßgeblich, sondern missachtet auch die hierarchische Struktur einer Rechtsordnung, innerhalb derer einfache Gesetze einander nur in einer Koordinationsstatt Subordinationsbeziehung gleichrangig beigeordnet sind. Die innerhalb der Normenhierarchie übergeordneten wie auch innerhalb des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes vorrangig zum tertium comparationis zu erhebenden grundrechtlichen Wertungen träten zurück, sodass der „Selbststand“ der Verfassung durch ein gegenläufig ausgelegtes einfaches Recht zu unterlaufen werden drohte50: In dem Hinweis auf ein abgestuftes Lebensrecht etwa manifestiert sich eben jene Differenzierung in der Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens, die die Grundrechtsgarantien der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG gerade haben vermeiden wollen: Ein Leben wird für mehr, das andere für weniger schutzwürdig (deutlicher gesprochen, für weniger lebenswert und achtenswert in seiner Würde) befunden, obwohl beide nach der Verlautbarung des BVerfG ein individuelles menschliches Leben i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG sind und als solches gleichwertig, d. h. ohne Abstufungen, am objektiven Schutzgehalt besagter grundrechtlicher Garantien teilhaben. Mit der Kommunikation von Wertungswi2001, 2745 (2749 u. 2751); Ipsen, JZ 2001, 989 (994); Kloepfer, JZ 2002, 417 (420). Dazu auch bereits oben Kap. 3, Seite  159 f. [Abschn.  2, D. IV. vor 1.] m. Fn. 91. 47  Siehe diesbzgl. zum Grundsatz der Normenpyramide oben Kap. 3, Seite  156 [Abschn.  2, D. III.] u. 157–162 [ebda., IV.]; zum allgemeinen Gleichheitssatz oben Kap. 3, Seite  167 f. [Abschn.  2, E. I. 1. c)]. 48  Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (178). 49  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (183); krit. auch Hoerster, ZfL 2006, 45 (46). 50  Siehe dazu bereits oben Kap. 3, Seite  158 f. [Abschn.  2, D. IV. vor 1.].



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dersprüchen fördert das Strafgesetz so letztlich ein Wert- und Unrechtsbewusstsein, dem eine diametral andere Prägung eigen sein kann, als sie die grundrechtlichen Wertungen angeblich vermitteln wollen. II. Das Unterlaufen der positiv-generalpräventiven Wirkung durch eine neutralisierende Sprache Zum Handlanger solcher individuellen, von der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese abweichenden Wert- und Unrechtsvorstellungen macht sich das Strafgesetz überdies auch, indem es die kommunizierten Wertungswidersprüche durch eine Gesetzessprache zu kaschieren sucht, die die vorliegende Untersuchung in ihren nachfolgenden Ausführungen als neutralisierend bezeichnen wird. Andernorts findet man in diesem Zusammenhang den Hinweis auf eine „verschleiernde Gesetzesfassung“51 oder eine „undeutliche“ Gesetzesformulierung, die als „unehrlich“52 oder „Wortschwindelei“53 empfunden werden kann. 1. Der Verzicht auf die Bezeichnung des Tatobjekts und auf die Qualifizierung von Tathandlung und -erfolg als Tötung

Obwohl das zu schützende Rechtsgut nach allgemeiner Ansicht „Ausgangspunkt und Leitgedanke für die Tatbestandsbildung“ ist und dementsprechend den zentralen Begriff im Tatbestandsaufbau bilden sollte54, findet sich in § 218 Abs. 1 StGB weder eine Benennung der „Leibesfrucht“ als das von ihm geschützte Rechtsgut noch eine rechtliche Qualifizierung der Tathandlung als Tötungshandlung bzw. des Taterfolgs als Tötungserfolg. Während etwa als Mörder derjenige bezeichnet wird, der unter Verwirklichung der besonderen Mordmerkmale „einen Menschen tötet“ (§ 211 Abs. 2 StGB), und Totschläger derjenige ist, der „einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein“ (§ 212 Abs. 1 StGB), verwirklicht den Tatbestand des § 218 Abs. 1 51  Günther, in: ders. / Keller, 137 (149 m. Fn. 44). Vgl. auch BVerfGE 39, 1 (46): „Der Schwangerschaftsabbruch ist eine Tötungshandlung; […] – die jetzt übliche Bezeichnung als ‚Schwangerschaftsabbruch‘ kann diesen Sachverhalt nicht verschleiern“; Hervorhebung nicht im Original. Entsprechend Petersen, MedR 1990, 1 (2), zum Vokabular der „wissenschaftlichen Alltagssprache“: „Verschleiert und verdrängt wird das Bewußtsein vom vorgeburtlichen Menschen und dessen Tötung […]“; Hervorhebung nicht im Original. 52  Vorstehende Zitate aus Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (324 m. Fn. 65). 53  Tröndle, Jura 1987, 66 (69). 54  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Jescheck, AT4, 231; ebenso Tröndle, Jura 1987, 66 (69); s. ferner ders., in: Dreher / Tröndle, StGB45, Vor § 218 Rn. 5.

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StGB derjenige, der „eine Schwangerschaft abbricht“. Das Tatobjekt findet in § 218 Abs. 1 StGB damit ebenso wenig Erwähnung wie der Terminus der Tötung zur Verwendung gelangt55; stattdessen kann der Begriff des Schwangerschaftsabbruchs in der Alltagssprache auch nur die medizinisch indizierte künstliche Einleitung frühzeitiger Wehen meinen56. Auch in den weiteren Vorschriften der §§ 218 ff. StGB wird der Leser des Gesetzes kaum merklich mit dem Begriff der „Leibesfrucht“ oder gar dem des vorgeburtlichen menschlichen Lebens konfrontiert. Eine Ausnahme bildet hier lediglich die Verfahrensvorschrift des § 219 StGB, die Ziele und Einzelheiten der nach § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgesehenen Konfliktberatung regelt. Ebenda spricht der Gesetzgeber ausdrücklich nicht nur von einer „Leibesfrucht“, sondern von einem „ungeborenen Leben“ (Abs. 1 S. 1), von dem „Ungeborenen“ (Abs. 1 S. 2) und gar von einem „Kind“ (Abs. 1 S. 2, 3). Es ist bezeichnend, dass gerade hier eine im Übrigen vermisste Bezeichnung des geschützten Rechtsguts so deutlich Ausdruck findet: Nicht in einem positivgeneralpräventiv wirkenden Sollenssatz findet der Gesetzgeber so deutliche Worte, sondern in einer Verfahrensvorschrift, dies außerdem nur in demjenigen Zusammenhang, in dem die postulierte Ausrichtung der Konfliktberatung auf den Ungeborenenschutz verdeutlicht werden soll, die nach den vorangehenden Ausführungen nur zum Schein behauptet wird, nach den widerstreitenden gesetzlichen Vorgaben der §§ 219 StGB, 5 SchKG wie der gegenläufigen Praxis aber keine Umsetzung findet57. Deutlicher hatte sich das Strafgesetz noch in seinen früheren Fassungen, etwa in § 218 des Reichsstrafgesetzbuches (RStGB) vom 15.05.1871 ausgedrückt, der in seinem ersten Absatz folgende Strafandrohung enthielt: „Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleibe tödtet [sic], wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft“58. Das Tatobjekt fand hier in der „Frucht“ seinen Namen, die Tathandlung erlangte als „Tötung im Mutterleib“ wenigstens in der zweiten Handlungsalternative ihr Gesicht. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch § 218 dazu auch Küper, GA 2001, 515 (515 f. m. Fn. 4). hinweisend: Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (324); anders – jenseits der Alltagssprache – Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 27. 57  Siehe dazu oben Kap. 6, Seite  623–656 [Abschn.  2, B. II.]; zur diesbzgl. Ungeeignetheit der gesetzlichen Vorgaben s. ebda. zsfd. Seite  631–634 [1. d)]; zur diesbzgl. Ungeeignetheit der Beratungspraxis s. ebda. zsfd. Seite  654–656 [3.]. 58  Gesetz betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich v. 15.05.1871; RGBl. 1871, Nr. 24 v. 14.06.1871, 127 (167); Hervorhebungen nicht im Orig.; Rechtschreibung des Orig. übernommen und mit [sic] gekennzeichnet. Zit. auch v. BVerfGE 39, 1 (7); zur weiteren Verwendung des Terminus von der „Abtötung der Leibesfrucht“ im früheren Strafrecht s. ebda., 1 (46). 55  Siehe

56  Darauf



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Abs. 1 RStGB noch vergleichsweise vorsichtig verhielt, wenn die Vorschrift das Tatobjekt zwar benannte, aber immer noch als „Frucht“ versachlichte statt als „menschliches Leben“ personalisierte59. Gleichermaßen relativierend präsentierte sich auch noch seine Qualifizierung der Tathandlung, wenn zwar die zweite Handlungsalternative von einem Abtöten der „Frucht“ noch im Mutterleib (etwa durch Fetozid) sprach, während der Regelfall der Abtreibung, die Herbeiführung einer extrauterin lebensunfähigen Frühgeburt, davon abgrenzend in der ersten Handlungsalternative nicht als „Tötung“, sondern als „Abtreibung“ bezeichnet wurde. Im Vergleich zur heutigen Gesetzesfassung präsentierte sich in § 218 RStGB somit eine tatbestandliche Formulierung, die Tatobjekt und Tathandlung des Schwangerschaftsabbruchs zwar zurückhaltend, aber immerhin überhaupt benannte. Demgegenüber weist heute einzig die systematische Stellung der §§ 218 ff. StGB darauf hin, dass der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch zu den Tötungsdelikten zählt: Im 16.  Abschnitt des Besonderen Teils des StGB platziert, findet der Abbruch in einem Abschnitt Erwähnung, der nach seiner Überschrift „Straftaten gegen das Leben“ behandelt60. Mit diesem Schweigen des Gesetzes gehen verschiedene Formulierungen in Gesellschaft und Politik einher, die den Vorgang der Abtreibung positiv umschreiben, wenn sie ihn als Teil „einer ‚sexuellen‘ oder ‚reproduktiven‘ Gesundheit“ ebenso wie als „Ausfluss einer ‚geplante[n]‘ oder ‚verantwor­ tete[n]‘ Elternschaft“ bezeichnen61. Mit „pro familia“ trifft man auf eine Organisation, unter deren familienfreundlichem Namen für die Abschaffung des § 218 StGB und mithin jeglicher Strafandrohung für die Abtreibung eingetreten wird und eine Konfliktberatung durchgeführt wird, die gemäß ihrem Selbstverständnis anstelle des Ungeborenenschutzes offen das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Mittelpunkt ihres Interesses rückt62. In 59  Einhergehend mit dieser begrifflichen Versachlichung schützte das RStGB die „Frucht“ auch noch nicht um ihrer selbst willen, sondern mit Blick auf das Interesse der Bevölkerungsmehrung; Koch, Schwangerschaftsabbruch, 51; Wecker, Frauenbewegung, 184. Zur Kritik am Begriff von der „Frucht“ bzw. „Leibesfrucht“ s. bereits eingangs der einfachgesetzlichen Analyse das Kap. 4, Seite  261 f. [Abschn.  2, A. III.]. 60  Vgl. Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 3. Darauf weist bereits die erste Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG ausdrücklich hin: „Der Schwangerschaftsabbruch ist eine Tötungshandlung; das wird aufs deutlichste dadurch bezeugt, daß die ihn betreffende Strafdrohung […] im Abschnitt ‚Verbrechen und Vergehen wider das Leben‘ enthalten ist […]“; BVerfGE 39, 1 (46); dazu auch Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 8. 61  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Mückl, ZfL 2007, 62 m. Fn. 8. 62  Darauf ebenfalls hinweisend Mückl, ZfL 2007, 62 m. Fn. 8. Zur Geschichte und zu den Zielsetzungen von pro familia s. bereits oben Kap. 6, Seite  641 f. [Abschn.  2, B. II. 2. b) aa) (1)]; zu deren Beratungsverständnis s. ebda., Seite  643–649

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jene positive Umschreibung des eigenen Selbstverständnisses wie des Verständnisses vom Schwangerschaftsabbruch ordnet sich dann auch nur stimmig ein, dass pro familia die medizinischen Verfahren des Schwangerschaftsabbruchs gleichsam neutralisierend beschreibt, nämlich weder das postnidative ungeborene Leben als Opfer jener Verfahren nennt noch die Tötung als deren Ergebnis zur Erwähnung bringt: So dient eine Vakuum­ aspiration in ihren Worten nur dem „Absaugen eines Schwangerschaftsgewe­ bes“63 und wird infolge eines medikamentösen Abbruchs nur eine „Fruchtblase sicher ausgestoßen“ und ein „Abbluten des Schwangerschaftsgewebes“ herbeigeführt64. Auch die Rechtsprechung ist in Referenz auf die jeweilige Gesetzgebung schließlich nicht davor gefeit, den Tötungscharakter der in den §§ 218 ff. StGB geregelten Tathandlungen verbal zu relativieren: Beispielhaft sei nur das Wort von der „Schwangerschaftsunterbrechung“65 angeführt, das in Gesetzgebung wie Rechtsprechung einen Eindruck vom Schwangerschaftsabbruch vermittelte, als würde durch ihn ein Zustand nur „unterbrochen“, d. h., als könnte die Schwangerschaft zu einem späteren Zeitpunkt unverändert fortgeführt werden und als verursachte der Abbruch keinen bleibenden Schaden, noch dazu an einem schutzwürdigen Rechtsgut66. Etwas weniger explizit, aber darum nicht weniger effektiv konfrontiert die erste Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG ihren Leser noch mit dem Begriff des „werdenden Lebens“67, von dem das Gericht erst in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung weitgehend abrückt68. Indem die Rechtsprechung den Embryo wie auch den Fetus mit diesem Begriff belegt, fördert sie ein solches Verständnis ihrer Leser, nach dem Embryo und Fetus eben doch noch kein (schutzwürdiges) Leben sind, [Abschn.  2, B. II. 2. b) bb)] u. im Anschluss hieran Seite  654–656 [Abschn.  2, B. II. 3.]. 63  Zu dieser Wortwahl vgl. pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 13. 64  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus pro familia, Standpunkt Schwangerschaftsabbruch4, 14. 65  Darauf hinweisend Mückl, ZfL 2007, 62 m. Fn. 8; des Weiteren auch Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 5, Rn. 9. 66  Vgl. noch die begriffliche Verwendung in BVerfGE 39, 1 (7 u. 11), u. BVerfGE 88, 203 (219 f. u. 323), soweit das Gericht die frühere oder bestehende (den Begriff der „Unterbrechung“ verwendende) Gesetzeslage referierte; vgl. außerdem a. a. O., 85 u. 91 m. Fn. 3, die Wortwahl in der abweichenden Meinung der Richterin Rupp-v.  Brünneck und des Richters Simon. Zur begrifflichen Verwendung in der Lehre s. etwa Leisner in NLpB, Recht auf Leben, 9 (41). 67  So etwa BVerfGE 39, 1 (41 f.); zur Verwendung des Begriffs vom werdenden Leben in der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung s. auch Jerouschek, JZ 1989, 279 (282). 68  Zur damit verbundenen Abkehr vom Potenzialitätsargument s. oben Kap. 2, Seite  96–99 [Abschn.  1, B. I. 1. c)].



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sondern ein solches erst zu werden gedenken69; dies ungeachtet dessen, dass das Gericht im gleichen Atemzug bekräftigt, wie jedenfalls das postnidative ungeborene Leben bereits ein individuelles menschliches Leben ist, das gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG teilhaben soll. 2. Von den täterlichen zu den gesetzlichen Neutralisierungstechniken

Warum aber dieses Schweigen des Gesetzes zu Tatobjekt und Tathandlung und warum im Anschluss hieran diese positiven oder wenigstens relativierenden Umschreibungen in Rechtsprechung, Politik und Gesellschaft? Davon, dass die kommunizierten Wertungswidersprüche durch eine neutralisierende Gesetzessprache kaschiert werden sollen, war einleitend die Rede. Dies soll nun einem zweiten Blick unterzogen werden und führt zu einem andernorts bemühten Konzept, innerhalb dessen man gleichermaßen einen Widerspruch – eine sog. „kognitive Dissonanz“ – zu kaschieren sucht. Angesprochen sind die von Sykes und Matza in Anknüpfung an Sutherland beschriebenen Neutralisierungstechniken, die sie am Beispiel jugendlicher Straftäter skizziert haben70. a) Täterliche Neutralisierungstechniken nach Sykes und Matza Jener Entwurf täterlicher Neutralisierungstechniken baut auf der Prämisse auf, dass allgemeine gesellschaftliche Normen und Werte grundsätzlich die Anerkennung des Straftäters finden: „[…] there is a good deal of evidence suggesting that many delinquents do experience a sense of guilt or shame and its outward expression is not to be dismissed as a purely manipulative gesture to appease those in authority“71. Dies soll jedenfalls für solche Täter gelten, denen es in ihrer Biographie an der Verbindung zu einem normkonformen Umfeld nicht gänzlich mangelt72. Speziell für jugendliche 69  Krit. zum Begriff des „werdenden Lebens“ Beckmann, Abtreibung3, 142; Belling, Rechtfertigungsthese, 2; Jerouschek, JZ 1989, 279 (282); Keller, in: Günther / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 111 (117 u. 118 m. Fn. 36). 70  Siehe dazu Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (im engl. Orig.); in dt. Übers. bei Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360. 71  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (664 f.); ins Dt. übertragen bei Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (361): „[…] manches spricht [dafür], daß viele Delinquenten ein Gefühl der Schuld oder Scham erleben, und ihre Äußerungen dürfen nicht nur als eine schlaue Geste zur Beschwichtigung der Autoritätspersonen abgetan werden“. 72  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (669), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (370 f.).

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Straftäter weisen Sykes und Matza auf einen andauernden Respekt gegenüber solchen Personen hin, die im Einklang mit dem Gesetz leben, und schlussfolgern auf eine eigentümliche Loyalität der Täter mit den geltenden Gesetzen, wenn jene zwar selbst Teil einer delinquenten Subkultur sind, sich hierdurch jedoch nicht gehindert sehen, gleichzeitig auch die moralische Gültigkeit des herrschenden Normsystems anzuerkennen73. Da eine solche Anerkennung anlässlich der Begehung einer Straftat jedoch mit dem eigenen Tun in Widerspruch gerät – man spricht von „kognitiver Dissonanz“, einem Widerspruch von Denken (der Straftäter teilt grundsätzlich die gesellschaftliche Werteordnung) und Tun (der Straftäter verstößt gegen dieselbe)74 –, ist der grundsätzlich norm- und wertetreue Straftäter zur Auflösung der kognitiven Dissonanz angehalten, sein Tun in irgendeiner Form zu rechtfertigen, indem er die von den Normen ausgehende Motivationswirkung neutralisiert75. Dabei ist es die Struktur eines Normsystems, die dem Täter – wie Sykes und Matza zutreffend festgehalten haben – den Weg zu einer solchen Neutralisierung ebnet: In seiner Unkenntnis ausnahmsloser Verbotsnormen und stattdessen zusammengesetzt aus solchen Normbefehlen, deren Verletzung verschiedentlich eine (erst im Einzelfall zu konkretisierende) Rechtfertigung oder Entschuldigung erfahren kann, muss das geltende Strafgesetz dem Täter nahezu als Vorbild76 dafür dienen, wie er gegen ein Verbot verstoßen kann, ohne die eigenen Wert- und Unrechtsvorstellungen in Frage stellen zu müssen. Sucht jener seine Tat vor sich selbst zu rechtfertigen, wird er sich ähnlich dem Strafgesetz auf Gründe berufen, die sein Tun im Einzelfall vom grundsätzlich anerkannten Normbefehl ausnehmen sollen, sich dabei jedoch Rechtfertigungen und Entschuldigungen erdenken, die das Strafgesetz als solches nicht anerkennt. Gemeinhin als „rationalizations“ (dt.: „Rationalisierungen“) bezeichnet, die den Täter nach 73  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (665), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (362). 74  Zum Begriff der „kognitiven Dissonanz“ in der Sozialpsychologie s. deren Begründer Leon Festinger: ders., Theorie der kognitiven Dissonanz2, 15–17; s. ferner Rinke / Lück, in: Mok / Stahl, Politische Kommunikation, 219 (221 f.); Smith /  Mackie, Social Psychology3, 277–279; Tavris / Aronson, Ich habe recht, 27 f. 75  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (666), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (363 f.). Vgl. auch Festinger, Theorie der kognitiven Dissonanz2, 33–35, zu einer Reduktion kognitiver Dissonanz durch das Hinzufügen kognitiver Elemente; Smith / Mackie, Social Psychology3, 285 f., mit beispielhaften Rechtfertigungen. Eine sehr anschauliche und unterhaltsame Einführung in die – sich in den unterschiedlichsten Lebenskontexten manifestierenden – Rechtfertigungsstrategien bieten schließlich Tavris / Aronson, Ich habe recht, 11–24 u. 25–64. 76  Man könnte in Anlehnung an Banduras sozial-kognitive Lerntheorie auch von einem „Modell“ schreiben, denn wie Verhaltensweisen und moralische Urteile ­werden nach Bandura auch Rechtfertigungen im Wege der Beobachtung erlernt; Bandura, Lerntheorie, 55 u. 56.



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der Tatbegehung von Schuldgefühlen und der Schuldzuweisung Anderer bewahren sollen77, finden Sykes und Matza für sie den Begriff der „techniques of neutralization“ (dt.:  Neutralisierungstechniken) und weisen ihnen die Funktion zu, das kriminelle Verhalten im Vorfeld zu ermöglichen, indem sie die täterlichen Abweichungen vom allgemein anerkannten Normsystem in einen (subjektiv empfundenen) Einklang mit dem Selbstbild des Täters bringen78. In Anknüpfung hieran haben Sykes und Matza verschiedene Typen solcher Neutralisierungstechniken herausgearbeitet, zu denen unter anderem zählen: die Leugnung der eigenen Verantwortung für die Tatbegehung („The Denial of Responsibility“) unter Hinweis darauf, dass die Tat ein Produkt solcher äußerer Zwange bilde, die sich der Kontrolle des Individuums mehr oder weniger entziehen, und beispielsweise unter dem Druck einer Gruppe entstanden sei79; außerdem die „Verdammung der Verdammenden“ („The Condemnation of the Condemners“), insbesondere die missbilligende Herabsetzung der an der Strafverfolgung beteiligten Personen, wodurch sich deren Urteil über den Täter in Frage gestellt sehen soll80; schließlich die Berufung auf höherstehende Verpflichtungen („The Appeal to Higher Loyalties“), etwa auf die ungeschriebenen Normen einer Subkultur, denen sich der Täter verpflichtet fühlt und denen er in seinem Konflikt zwischen zwei Normsystemen nach eigenem Empfinden den Vorrang geben muss81. Hinzu treten zwei weitere Neutralisierungstechniken, die für die vorliegende Untersuchung im Folgenden an Relevanz gewinnen werden: die Leugnung eines Opfers wie eines Schadens. Raum für eine Leugnung des Opfers („The Denial of the Victim“) bieten dabei gemeinhin insbesondere diejenigen Straftaten, die sich gegen anonyme Personenmehrheiten oder juristische Personen wenden und es dem Täter bereits ob der Anonymität und / oder Vergesellschaftung des Opfers ermöglichen, sich kein Opfer vorstellen zu müssen. Innerhalb der Begehung anderer Straftaten – die sich also nicht gegen ein per se anonymes oder vergesellschaftetes Opfer wenden – kann sich dies wiederum dadurch vollzie77  Vgl. dazu Myers, Psychologie2, 594; Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (72). 78  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (666 f.), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (365 f.). 79  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (667), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (366). 80  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (668), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (368 f.). 81  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (669), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (369 f.). Zu einem Überblick über die verschiedenen Neutralisierungstechniken s. auch Schwind, Kriminologie21, § 19, Rn. 27.

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hen, dass der Täter Informationen über sein Opfer meidet; eine Neutralisierungstechnik, die typischerweise mit Sachverhalten der Entführung oder Vergewaltigung in Verbindung gebracht wird. Die Verneinung des Opfers weist dem Täter so einen Weg, wie er sich anlässlich der Tatbegehung die von ihm grundsätzlich verinnerlichten Normen und vorweggenommenen Reaktionen der Außenwelt nicht vergegenwärtigen muss. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, wie Sykes und Matza unter die Neutralisierungstechnik von der „Leugnung des Opfers“ auch die Definition des Opfers als wertlos fassen: Weil das Opfer seine Viktimisierung verdiene oder die Tatbegehung durch ein eigenes Fehlverhalten bedingt habe, beanspruche die gesellschaftliche Wertordnung diesbezüglich keine Geltung bzw. schlösse das Opfer von ihrer Schutzwirkung aus und rechtfertige im Gegenteil eine Art der Vergeltung durch den Straftäter82. In einen engen Zusammenhang mit der Leugnung seines Opfers tritt die Neutralisierungstechnik, die Entstehung eines Schadens zu leugnen („The Denial of Injury“). Sie bereitet dem Straftäter weniger auf der Personen-, dafür aber auf der Sachebene eine psychologische Erleichterung des Inhalts, dass sich seine Tatbegehung in einen vermeintlichen Einklang mit der gesellschaftlichen Werteordnung bringen lasse: so etwa, wenn der Täter eines Eigentumsdeliktes die Vorstellung pflegt, dass dem Geschädigten sein Verlust nichts ausmachen werde oder dass er ein Auto (in einem untechnischen Sinne) nicht stehle, sondern es sich nur ausleihe83. Zur beispielhaften Erläuterung einer Kombination jener beiden Neutralisierungstechniken von der Leugnung des Opfers wie des Schadens mag der vergleichsweise profane Diebstahl von Handtüchern oder ähnlichen Utensilien durch die Gäste größerer Hotelketten dienen. (Jener wird selbstverständlich nur darum vorliegend als „vergleichsweise profan“ abgetan, weil die Verfasserin selbst gerade den Neutralisierungstechniken erliegt.) Hier mangelt es der Hotelkette, welche dem Täter als ein großes, von einer anonymen Personenmehrheit geführtes Unternehmen gegenübertritt, zunächst am „personalisierten Gesicht“ eines Opfers. Hand in Hand damit geht die Möglichkeit der Schadensleugnung, typischerweise indem man annimmt, der Diebstahl von Handtüchern oder ähnlicher Hotelutensilien sei bereits im Preis für die Unterbringung einkalkuliert oder falle angesichts der Größe des Unternehmens und der von ihm erzielten Gewinne wenigstens nicht ins Gewicht84. 82  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (668), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (368); vgl. dazu auch Schnell, in: Stalmann, Kindler-Hdb. Psychologie, 55 (72 u. 73). 83  Sykes / Matza, ASR 1957, 664 (667), u. dies., in: Sack / König, Kriminalsoziologie2, 360 (367). 84  Siehe dazu Schneider, in: ders., Verbrechensopfer, 9 (16); Schwind, Kriminologie21, § 19, Rn. 27; vgl. auch das Bsp. in Tavris / Aronson, Ich habe recht, 16 f.



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Eine Tat ohne Opfer, ohne Schaden und mithin ohne kognitive Dissonanz ist geboren. Zugleich ist ein Anlass gegeben, dem Erfolg jener Neutralisierungstechniken solche Maßnahmen entgegenzusetzen, die den psychologischen Mechanismus der Neutralisierung zu stören vermögen, wie sie Schneider am Beispiel nordamerikanischer Hotelketten umschrieben hat: „Man findet in den Zimmern beispielsweise folgenden Hinweis: ‚Wenn nach Ihrer Abreise Handtücher fehlen, wird das Zimmermädchen dafür verantwortlich gemacht!‘ “85. Es gilt, das potenzielle Opfer mit dem Personal zu identifizieren und nicht entpersonalisiert auf das große Unternehmen zu beschränken, ebenso wie es gilt, mit der Verantwortlichkeit des Personals einen konkreten Schaden zu benennen, statt auf das Unternehmen abzuwälzen und als nicht weiter erwähnenswert zu leugnen. Weil „ ‚[e]hrliche‘ Menschen […] niemals einen Freund oder Nachbarn bestehlen oder betrügen“ würden, hofft man so, der Tatbegehung noch im Vorfeld entgegenzuwirken86. b) Eine gesetzliche Neutralisierung zugunsten der Normadressaten Wie aber können diese Neutralisierungstechniken in eine Verbindung mit der vorliegenden Untersuchung im Allgemeinen und der neutralisierenden Gesetzessprache in den §§ 218 ff. StGB im Besonderen gebracht werden? Zunächst hat auch der Gesetzgeber eine kognitive Dissonanz, einen Widerspruch zwischen dem ihm aufgegebenen Denken und dem tatsächlich durch ihn entfalteten Tun, aufzulösen: So haben die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG seine Verpflichtung postuliert, einen solchen einfachgesetzlichen Schutz jedenfalls des postnidativen ungeborenen Lebens zu verwirklichen, der den Embryo wie Fetus als gleichwertig zum geborenen Menschen achtet und seine Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG unter Wahrung des Untermaßverbots umsetzt. Tatsächlich aber hat der Gesetzgeber in den §§ 218 ff. StGB ein Schutzkonzept in Gesetzesform gegossen, das die Tötung jenes für gleichwertig zum geborenen Menschen befundenen Lebens nicht nur ausnahmsweise, unter bestimmten und eng gefassten Voraussetzungen, rechtfertigt, sondern für den Fall einer entsprechenden Willenserklärung der Schwangeren regelmäßig unter den rechtfertigenden Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB (so im medizinisch-sozialen Schwangerschaftskonflikt) oder den Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB (so in anderen, auch 85  Dazu u. vorstehendes Zitat aus Schneider, in: ders., Verbrechensopfer, 9 (16); s. dazu auch Schwind, Kriminologie21, § 19, Rn. 27. 86  Dazu u. vorstehendes Zitat aus Schneider, in: ders., Verbrechensopfer, 9 (16); s. dazu auch Schwind, Kriminologie21, § 19, Rn. 27.

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nicht kriminologisch begründeten Schwangerschaftskonflikten87) fasst. Ein mit der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese identifizierter Anspruch (das „Denken“) und eine Gesetzesrealität, die Ungleichbehandlungen ohne gewichtigen sachlichen Grund zulässt (das „Tun“), müssen so auseinanderfallen. Horizontale Wertungswidersprüche offenbaren sich, wenn das Gesetz die Rechtfertigung einer Tötung oder sonstige Freistellung von Strafe auch in denjenigen pränatalen Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens erleichtert, die gemeinsam mit dem geborenen Menschen unter ein nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG definiertes tertium comparationis gefasst werden können; Hand in Hand damit geht ein strafgesetzlicher Ungeborenenschutz, der verschiedentlich in einen vertikalen Wertungswiderspruch zur übergeordneten verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese tritt. Jene Widersprüche sind es also, die ein den grundrechtlichen Wertungen (innerhalb der Normenpyramide wie innerhalb des allgemeinen Gleichheitssatzes) verpflichtetes Strafgesetz zu kaschieren hat, will es den Eindruck erwecken, seiner diesbezüglichen Verpflichtung zu genügen, oder aber sein diesbezügliches Versagen wenigstens nicht gar zu deutlich nach außen kehren. Einen möglichen Weg der Kaschierung bietet ihm die Wahl einer neutralisierenden Gesetzessprache: Denn soweit das Gesetz in den §§ 218 ff. StGB darauf verzichtet, ein Opfer des Schwangerschaftsabbruchs zu benennen, und den tatbestandlichen Erfolg auch nicht mit einem Todeseintritt identifiziert, geht die durch die Rechtsordnung wertungswidersprüchlich behandelte Abtreibung wenigstens nach außen hin ihres Opfers verlustig und wird auch der durch sie bewirkte Schaden verschleiert. In diesem Sinne – wenn auch ohne den Zusammenhang zu einer gesetzgeberischen Neutralisierungstechnik herzustellen – hat beispielsweise auch Tröndle auf eine kaschierende Wirkung der in § 218 Abs. 1 StGB gewählten Formulierung hingewiesen, die nicht verbalisiere, dass ein Schwangerschaftsabbruch die vorsätzliche Tötung vorgeburtlichen menschlichen Lebens meint und als solche die Grundrechte verletze88. Dabei ist es jedoch weniger die neutralisierende Gesetzgebung denn ihr Normadressat, der hierdurch eine Art der „psychologischen Erleichterung“ erfahren soll. Denn die Legislative ist in ihrer Gesamtheit bereits „entpersonalisiert“, d. h. setzt sich aus einer Vielzahl an Bundestags- und Bundesratsmitgliedern zusammen, die in einem demokratischen Prozess über die zu erlassenden Gesetze entscheiden. Der Legislative ein Bedürfnis nach psycho87  Ein kriminologisch begründeter Schwangerschaftskonflikt unterfiele hingegen dem Indikationentatbestand des § 218a Abs. 3 StGB, der nicht zum Gegenstand der vorliegenden Untersuchung zählt. 88  Tröndle, in: Dreher / Tröndle, StGB45, § 218 Rn. 2. Ähnl. Kröger, in: Jähnke et  al., LK-StGB / 511, Vorbem. §§ 218 ff. Rn. 3; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 5, Rn. 9.



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logischer Erleichterung zuzusprechen, hieße mithin eine entpersonalisierte Gesamtheit zu individualisieren. Selbst wenn man ein entsprechendes Bedürfnis aber dem einzelnen Mitglied der Legislative zuweisen wollte, dürfte die verbale Leugnung von Tatobjekt (Opfer) und Art des Taterfolgs (Schaden) wohl nur eine Neutralisierungstaktik zweiter Wahl darstellen. Denn gerade jener Umstand, dass die Legislative in ihrer Gesamtheit selbst „entpersonalisiert“ ist, eröffnet jedem einzelnen ihrer Mitglieder den unmittelbaren Zugang zu einer alternativen Neutralisierungstechnik: zur Leugnung der eigenen Verantwortlichkeit89 (anstelle von Opfer und Schaden), indem es sich nur als Teil einer Personenmehrheit versteht, die schließlich erst in demokratischer Abstimmung all ihrer Teile zu einer Entscheidung zu gelangen vermag. Darüber hinaus können zumindest die beteiligten Mitglieder des Bundesrats auch noch auf die Weisung ihrer jeweiligen Landesregierung verweisen, um ihre individuelle Verantwortlichkeit abzutun90. Demgegenüber ist den Mitgliedern des Bundestags gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ein freies Mandat garantiert, sodass grundsätzlich weder Weisungen der eigenen Partei noch die einer anderen Gruppe ihre Entscheidung zu bestimmen wissen – was gleichzeitig heißt, dass ihnen ein Anderer die Entscheidung nicht abzunehmen und keine Weisungsgebundenheit ihre individuelle Verantwortlichkeit zu mindern vermag. Insofern erfährt zwar auch diese Garantie der Entscheidungsfreiheit in der Praxis ihre Einschränkungen, wenn sich der Einzelne dem Mehrheitsergebnis einer fraktionsinternen Abstimmung beugt und im Parlament das durch die Fraktion demokratisch bestimmte Abstimmungsverhalten entfaltet (sog. Fraktionsdisziplin)91. Was die Fragen des Ungeborenenschutzes betrifft, wird eine solche Fraktionsdisziplin jedoch kaum ihre bestimmende und gleichzeitig entlastende Wirkung entfalten können: Denn in persönlich zu treffenden Gewissensentscheidungen tritt sie zurück, weshalb den Abgeordneten des Bundestags auch die Stimmabgabe zu § 218 StGB anheim gestellt worden ist92. Ob man sich nun aber auf die entpersonalisierende Zusammensetzung der Legislative, die Weisungsgebundenheit der Mitglieder des Bundesrats oder – jenseits persönlich zu treffender Gewissensentscheidungen – auf eine etwaige Fraktionsdisziplin der Bundestagsabgeordneten berufen mag: An Wegen, die eigene individuelle Verantwortlichkeit zu verneinen und eine sich im Gesetzgebungsverfahren manifestierende 89  „The 90  Zur

Denial of Responsibility“; s. dazu oben Seite  777 [a)] m. Fn. 79. Weisungsgebundenheit der BR-Mitglieder s. Degenhart, Staatsrecht / I28,

Rn. 660. 91  Zum Spannungsverhältnis von freiem Mandat und Fraktionsdisziplin s. Degen­hart, Staatsrecht / I28, Rn. 613 f. 92  Siehe dazu noch Degenhart, Staatsrecht / I21, Rn. 634; zum Vorrang der Gewissensentscheidung des BT‑Abgeordneten in der aktuellen Aufl.: ders., Staatsrecht / I28, Rn. 614.

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kognitive Dissonanz zu neutralisieren, mangelt es den in der Legislative vereinigten Personen nicht, sodass jene des Verzichts auf die Nennung von Tatobjekt und Schaden gar nicht erst bedürfen sollten. Soweit sich das Strafgesetz gleichwohl einer in diesem Sinne neutralisierenden Sprache bedient, wird es die Neutralisierung vielmehr für die Adressaten des Gesetzes vorwegnehmen, an die sich die Rechtsordnung mit ihrem von kognitiver Dissonanz geprägten Ungeborenenschutz schließlich richtet. Jenen gegenüber wird mithin verbal ein Wertungswiderspruch gemildert, wenn ihnen einerseits propagiert wird, dass vorgeburtliches Leben schutzwürdig und – jedenfalls ab seiner Einnistung in der mütterlichen Gebärmutterschleimhaut – sogar gleichwertig zum geborenen Menschen schützenswert sei, andererseits aber nicht nur tagtäglich Schwangerschaften abgebrochen werden, sondern dies auch noch in Übereinstimmung mit dem Gesetz geschieht. Gemildert würde so auch jener Wertungswiderspruch, der in den unterschiedlichen Strafandrohungen diesseits und jenseits einer persönlich begründeten Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ zutage tritt. Indem der Gesetzgeber Tatobjekt und Taterfolg in der Gesetzesfassung verschleiert, bleibt die Weite der Ausnahmen vom Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs ebenso wie die geringe Strafandrohung des § 218 Abs. 1 StGB für den Leser erträglich, muss er sich jene doch wenigstens grammatikalisch nicht vergegenwärtigen. So wählt der Gesetzgeber also für die Adressaten des Ungeborenenschutzes eine neutralisierende Sprache und mildert fürsorglich deren inneren Widerstreit, der sich bei Betrachtung der Rechtsordnung auftun muss, wenn einerseits die Gleichwertigkeit allen menschlichen individuellen Lebens behauptet, andererseits aber eine Tötungshandlung in den pränatalen Entwicklungsstadien dieses Lebens verschiedentlich erleichtert wird. 3. Die potenzierte Beeinträchtigung des positiv-generalpräventiven Wirkmechanismus

Gleichzeitig kann es das Gesetz aber nicht vermeiden, dass es mit seinem Versuch, einen (auch positiv-generalpräventiv abträglichen) Wertungswiderspruch zu kaschieren, nunmehr nur an anderer Stelle ein Hindernis positivgeneralpräventiver Wirksamkeit schafft. Mit seiner neutralisierenden Sprache entzieht das Strafgesetz seiner postulierten positiv-generalpräventiven Wirkweise nicht nur die wesentliche Voraussetzung einer deutlichen Kennzeichnung des Unrechtsgehalts und für schutzwürdig befundenen Rechtsguts, sondern hält seine Adressaten gerade dazu an, dass sie die Wertigkeit des (postnidativen) ungeborenen Lebens verdrängen statt ihrer gewahr werden, ebenso wie sie sich dessen Tötung gerade nicht bewusst bzw. zum Teil ihres Unrechtsbewusstseins machen sollen. Nach der Formulierung der §§ 218 ff. StGB tötet der potenzielle Täter nicht, sondern bricht eine



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Schwangerschaft ab, seine Tathandlung scheint – da nicht genannt – kein Opfer zu haben, keinen Schaden zu bedingen. In den Worten Günthers: „Sieht man die wichtigste Aufgabe strafbewehrter Verbote in ihrer die Wertvorstellungen bekräftigenden, positiv-generalpräventiven Funktion, dann gehören Gesetzesfassungen wie in §§ 219d oder 218a StGB, die inhaltliche Aussagen und Wertungen gezielt verschleiern, zu den gröbsten Entgleisungen, die dem Strafgesetzgeber unterlaufen können“93. III. Conclusio Was bleibt an positiv-generalpräventiven Wirkvoraussetzungen im Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens, ist mithin eine Fragestellung, die man sich gegen Ende der vorliegenden Untersuchung zu stellen hat. Denn nicht nur Wertungswidersprüche mindern die positiv-generalpräventiven Wirkmechanismen, indem sie der Kommunikation rechtlicher Wert- und Unrechtsvorstellungen das Hindernis einer „positiv-generalpräventiven Paradoxie“ in den Weg legen. Eine neutralisierende Gesetzesterminologie leistet das ihrige, wenn sie jene positiv-generalpräventiv abträglichen Wertungswidersprüche zu kaschieren sucht und der Vermittelung einer benannten Wertund Unrechtsvorstellung eben dadurch ein Hindernis bereitet. Einem positivgeneralpräventiven Wirkmechanismus sind so verschiedentlich diejenigen Voraussetzungen entzogen, auf deren Verwirklichung eine Bildung oder wenigstens bestätigende Abbildung bestimmter Wert- und Unrechtsvorstellungen angewiesen wäre. Mehr noch wird man soweit gehen können, dass die Abtreibungsgesetzgebung gar nicht erst darauf ausgerichtet ist, die ihr zugeschriebene positiv-generalpräventive Wirkung zu entfalten. In all ihrer Widersprüchlichkeit und unter Verwendung einer neutralisierenden Sprache kehrte sie stattdessen nach außen, wie sie das ihr unterstellte positiv-generalpräventive Wirkpotenzial auf dem Gebiet des (postnidativen) Ungeborenenschutzes – entgegen allen Verlautbarungen – gar nicht erst zu verwirklichen sucht.

C. Conclusio und Ausblick: Die vorläufige Identifizierung eines gesetzlichen Missstandes Muss der postulierte übergeordnete Kommunikationszweck einer Einsicht, wie ihn das Konzept einer originären positiven Generalprävention zeichnet und wie ihn das BVerfG dem strafgesetzlichen Ungeborenenschutz (im Zusammenwirken mit der Gesamtrechtsordnung) zuschreibt, durch die in in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (149 m. Fn. 44); ähnl. Würtenberger in JVL, Referate, 31 (41). 93  Günther,

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den Kapiteln 4 bis 694 festgestellten Wertungswidersprüche mithin scheitern, wäre also nicht nur aus verfassungsrechtlicher, sondern auch aus strafzwecktheoretischer Sicht die Erwartung begründet, dass man diesen Widersprüchen Einhalt geböte. Unter Hinweis auf eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes wie auch Verfehlung des Strafzwecks trüge man die Forderung auf der Zunge, dass die festgestellten Wertungswidersprüche einen Missstand des Gesetzes bildeten, zu dessen Abhilfe der Gesetzgeber verpflichtet sei. In ihnen müsste sich die vom BVerfG beschworene „Nachbesserungspflicht“ aktualisieren, der der Gesetzgeber dann zu genügen hat, „wenn die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes erkannt oder doch jedenfalls deutlich erkennbar wird“95. Das menschliche individuelle Leben wäre demnach jedenfalls ab dem Zeitpunkt seiner Einnistung in der mütterlichen Gebärmutterschleimhaut gleichwertig zu schützen; Ausnahmetatbestände für seine rechtmäßige oder wenigstens straflose Tötung wären unter Anwendung allgemeiner Grundsätze anstatt nach einem persönlich begründeten Sonderrecht zu formulieren. Wohin dies führte, lässt eine kurze Erinnerung an den Inhalt der vorangehenden Kapitel schnell augenscheinlich werden: Es führte etwa in eine Rechtsordnung, in der selbst der medizinischsoziale Schwangerschaftskonflikt die Tötung des postnidativen ungeborenen Lebens nicht rechtfertigte, hat jenes zur Gefahrenentstehung doch nicht beigetragen und verdiente mithin denselben Schutz vor Tötung, den auch ein unbeteiligter geborener Eingriffsadressat nach § 34 StGB genießt. Es führte weiter in eine Rechtsordnung, innerhalb derer eine Tatbestandslösung, wie sie § 218a Abs. 1 StGB normiert, von vornherein ausscheiden müsste: Das für gleichwertig erkannte ungeborene Leben dürfte nicht zu einem solchen Zweck (der Rettung fremder Leben) preisgegeben werden, der außerhalb seiner selbst liegt, dies überdies noch unter Entfaltung solcher Mittel, die von vornherein nicht so zur Anwendung gebracht werden, dass sie diese Eignung überhaupt entfalten könnten. Dies bildet also die erste Schlussfolgerung des letzten Kapitels der vorliegenden Untersuchung: die Feststellung eines gesetzlichen Missstandes, der eigentlich aufzuheben wäre. Eigentlich! Dass es bei dieser Schlussfolgerung nicht bleiben kann, eine entsprechende Forderung zwar auf der Zunge liegt, letztlich aber doch nicht in konkreten Handlungsanweisungen an den Gesetzgeber mündet, findet schließlich in jener Eigenart des wertungswidersprüch94  Demgegenüber muss der in Kap. 7 thematisierte Verzicht auf ein Verbot der Nidationsverhütung nicht zwingend auf einen Wertungswiderspruch des Strafgesetzes hinweisen, sondern vermag alternativ zu offenbaren, wie der Gesetzgeber den pränidativen Lebensschutz nicht in den Anwendungsbereich der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese hat einbeziehen wollen; s. dazu oben Seite  764 f. [A. II.]. 95  BVerfGE 88, 203 (310); vgl. BVerfGE 16, 130 (142).



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lichen strafgesetzlichen Ungeborenenschutzes seinen Grund, nach der dessen grundlegender Missstand funktionalisiert worden ist. Es ist jene Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs in einer symbolischen Abtreibungsgesetzgebung, die im Nachfolgenden betrachtet werden soll und zur Formulierung einer zweiten Schlussfolgerung der Untersuchung führt. Abschnitt 2

Die Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs in einer symbolischen Abtreibungsgesetzgebung – Seine augenblickliche Nützlichkeit – „Die meisten Menschen ertragen es leichter, daß man ihnen zuwider handelt, als daß man ihnen zuwider spricht“. (Marie v. Ebner-Eschenbach96)

Vorangestellt sei die allgemeine Bemerkung, dass man die festgestellten Wertungswidersprüche bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht als einfachen Missstand im strafgesetzlichen Lebensschutz wird qualifizieren können. Zu viele an der Zahl sind es, zu lange sind sie nun schon etabliert und akzeptiert im strafgesetzlichen Lebensschutz, als dass man an ein bloßes Versehen des Gesetzgebers glauben wollte, dem überhaupt Abhilfe geleistet werden soll. Vor allem aber ist der geltenden Abtreibungsgesetzgebung – jedenfalls was ihre Kombination von Indikationen- und Tatbestandslösung betrifft – in der zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG der verfassungsrechtliche Segen erteilt worden. Diesbezüglich hat eingangs der vorliegenden Untersuchung bereits das zweite Kapitel auf eine verfassungsgerichtliche Ambivalenz hingewiesen: Während das BVerfG einerseits ausdrücklich die Gleichwertigkeit des ungeborenen Lebens in all seinen postnidativen Entwicklungsstadien wie auch zum geborenen Menschen postuliert hat, hat es andererseits in derselben Entscheidung den Entwurf einer für verfassungsmäßig postulierten Abtreibungsgesetzgebung gezeichnet, dem die einfachgesetzliche Kombination von Indikationen- und Tatbestandslösung in den Absätzen 1 bis 3 des § 218a StGB bis heute folgt. Nach eigenem Bekunden sollte jener Entwurf seine Protestatio von der Gleichwertigkeit nur konkretisieren und nicht etwa relativieren, d. h. die Gleichwertigkeit allen individuellen menschlichen Lebens einfachgesetzlich festschreiben und nicht in Widerspruch hierzu treten97. Dass 96  v. Ebner-Eschenbach, 97  Siehe

Aphorismen, 39. oben Kap. 2, Seite  56 f. [Abschn.  1, vor A.].

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

dies nicht zutreffend ist, haben die vorangegangenen Kapitel ausführlich darlegt: Insofern haben sie horizontale Wertungswidersprüche im strafgesetzlichen Lebensschutz benannt und zugleich zutage gefördert, wie die §§ 218 ff. StGB verschiedentlich in einen vertikalen Wertungswiderspruch zu derjenigen verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG treten, die die vorliegende Untersuchung dem allgemeinen Gleichheitssatz als grundrechtlich definiertes tertium comparationis vorausgesetzt hat. Nicht erst der Strafgesetzgeber ist so zum Produzenten der vorliegend festgestellten Wertungswidersprüche geworden, sondern die Verfassungsrechtsprechung selbst hat mit dem Entwurf einer angeblich verfassungsmäßigen Abtreibungsgesetzgebung den Grundstein hierfür gelegt98. Wenn die vorliegend thematisierten Wertungswidersprüche so aber bereits auf der Ebene der Verfassungskonkretisierung ihren Anfang nehmen, wird man ihre einfachgesetzliche Fortsetzung schwerlich als einen Missstand des Gesetzes qualifizieren können, dessen Abhilfe auch nur gewollt wäre. Im Gegenteil wird man sich die Frage zu stellen haben, weshalb weder die verfassungskonkretisierende Rechtsprechung noch die einfache Gesetzgebung Wertungswidersprüche im strafgesetzlichen Lebensschutz zu vermeiden suchen, sondern sich nahezu systematisch des Mittels einer sachlich unbegründeten Ungleichbehandlung zu bedienen scheinen. Diesbezüglich erwägt die Untersuchung, die festgestellten Wertungswidersprüche gleichermaßen als Produkt wie auch als Mittel einer symbolischen Verfassungskonkretisierung und Strafgesetzgebung zu klassifizieren. Eine für nützlich erkannte einfachgesetzliche Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs wäre Anlass für die Verfassungsrechtsprechung, ihrerseits über die Ineffektivität einer gesetzlichen Regelung und deren Verletzung grundrechtlicher Garantien hinwegzutäuschen, sodass deren an sich verfassungswidrigen Inhalte – kaschiert durch den verfassungsgerichtlichen Segen – fortbestehen können.

A. Das Konzept einer symbolischen Strafgesetzgebung Dabei nimmt die Untersuchung nicht etwa auf denjenigen symbolischen Charakter Bezug, der jedem positiv-generalpräventiv ausgerichteten Strafgesetz eigen ist, das sich zur Bewirkung eines realen Rechtsgüterschutzes kommunikativer Wirkmechanismen bedient. Für symbolisch befindet sie im Folgenden stattdessen diejenigen Strafgesetze, die nur nach außen hin vorgeben, dem Schutz des von ihnen tatbestandlich verbürgten Rechtsgutes zu dienen, während sie diesbezüglich tatsächlich aber ineffektiv oder gar nor98  Einen „Grundwiderspruch des Schutzkonzepts des BVerfG“ erkennt auch Tröndle, NJW 1995, 3009 (3010).



Abschn. 2: Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs

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mativ unwirksam sind. Ihr so nur vorgetäuschter manifester Zweck des Rechtsgüterschutzes wird durch andere latente (nicht unmittelbar sichtbare) Zielsetzungen des Gesetzgebers verdrängt, die durch den Wertungswiderspruch – anders als der Zweck des Rechtsgüterschutzes – gerade keinen Schaden nehmen99. Im Gegenteil ist es erst der Wertungswiderspruch, der dem Gesetzgeber die Verwirklichung seiner latenten Zielsetzungen und die damit einhergehende Täuschung über seine wahren Absichten ermöglicht. Im Begriff der Täuschung ist damit gleichzeitig angelegt, wie vorliegende Verwendung des Begriffspaares „manifest / latent“ von derjenigen abweicht, die in Freuds Psychoanalyse auftritt100: Denn während vorliegend die gesetzgeberische Vorspiegelung eines manifesten Zwecks besprochen wird, die ein Gegenüber – den Normadressaten – über abweichende Zielsetzungen hinwegtäuschen soll, haben beispielsweise Freuds Ausführungen zur Traumdeutung auf solche manifeste Traumbilder Bezug genommen, die nur quasi als Stellvertreter für latente (i. S. v. verdrängte) Gedanken wirken. In ihrer stellvertretenden Eigenart suchen sie primär kein Gegenüber hinter das Licht zu führen, sondern sind das Produkt eines Verdrängungsprozesses der träumenden Person, der unbewusste Gedanken nur verkleidet in eine andere (manifest zutage tretende) Gestalt an die Oberfläche des Bewusstseins treten lässt. Vornehmlich gegenüber dem eigenen Bewusstsein codiert der verdrängende Träumer so das latent Vorhandene101. Demgegenüber widmet sich vorliegende Untersuchung solch einer symbolischen Gesetzgebung, der es an einem Element der Selbsttäuschung zwar gegebenenfalls nicht mangelt, die in ihrer Außenwirkung zuvorderst aber einen Anderen, nämlich den Adressaten des Gesetzes, zweckgerichtet zu täuschen sucht. Bevor in diesem Zusammenhang nun von den verschiedenen – in eine nach außen gerichtete Täuschung eingebetteten – Zwecken und Zielsetzungen eines Gesetzes oder auch des für ihn verantwortlich zu zeichnenden Gesetzgebers102 geschrieben werden wird, bedarf es im Vorfeld noch eines weiteren klarstellenden Hinweises: nämlich die Vergewisserung, dass unter 99  Zur Unterscheidung manifester und latenter sozialer Funktionen der Gesetzgebung vgl. Merton, Social Theory, 105; s. dazu auch Hassemer, NStZ 1989, 553 (555); Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 43; Voß, Symbolische Gesetzgebung, 60 ff. 100  Zur Unterscheidung des Manifesten und Latenten in der Freud’schen Psychoanalyse s. etwa Aichhorn, in: ders., Verwahrloste Jugend, 60 (64 f.); Nagera, Psychoanalytische Grundbegriffe, 314 f. m. w. N. (für die Freud’sche Traumdeutung); Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 18. 101  Vgl. Nagera, Psychoanalytische Grundbegriffe, 314 f. m. w. N. 102  Weiterführend zur Abgrenzung des formellen Gesetzgebers vom materiellen Gesetzgeberbegriff Funcke‑Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 23; vgl. dazu auch Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 28 f.

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Verwendung jener subjektiv geprägten Begrifflichkeiten nicht etwa Gesetz und Gesetzgeber unzutreffend personalisiert werden sollen. Denn „[m]eistens schweigt der Gesetzgeber über seine Absichten, häufig verschleiert er sie, und durchweg ist er sich über seine Intentionen selber nicht im klaren [sic] – gerade bei Kompromißgesetzen oder Vorschriften mit unterschiedlichem moralischem Appell (wie etwa bei der Abtreibungsregelung) gibt es ‚den‘ Gesetzgeber nur institutionell, aber nicht intentional“103. In diesem Sinne nimmt vorliegende Untersuchung mit den Begriffen von Zweck und Zielsetzung also nicht etwa auf die konkreten Absichten und Intentionen eines personalisierten, historischen Gesetzgebers Bezug. In einem objektivierten Sinne seien unter ihrer Verwendung stattdessen diejenigen Funktionen umschrieben, die eine gesetzliche Vorschrift innerhalb der aktuellen Rechtsordnung aus der Perspektive eines objektiven Betrachters wahrnimmt, wenn man ihren Wortlaut und ihre systematische Platzierung, ebenso wie ihre Entstehungsgeschichte und heutige Anwendung einer wertenden Gesamtbetrachtung unterzieht104. I. Kommunikative Strafgesetze im Dienste des Rechtsgüterschutzes An den Beginn der diesbezüglichen Erörterung von Zwecken und Zielsetzungen seien zunächst diejenigen Strafgesetze gestellt, die durch die Kommunikation symbolischer Botschaften tatsächlich dem Schutz des in ihnen tatbestandlich verbürgten Rechtsguts dienen sollen. Soweit die Untersuchung bis dato ein strafzwecktheoretisch begründetes Gebot der Wertungswiderspruchsfreiheit formuliert hat, hat sie auf eben jene Strafgesetze Bezug genommen, die nach der einhelligen Verlautbarung in Rechtsprechung und Literatur den Regelfall bilden. Jene Strafgesetze sind der Erwartung ausgesetzt, dass sie durch eine Regulierung der von ihrer Formulierung erfassten Sachverhalte reale Folgen zu bewirken vermögen, die als solche auch dem empirischen Nachweis zugänglich sind105. Wie das dritte Kapitel der vorliegenden Untersuchung einleitend bereits ausgeführt hat, soll die positive Generalprä103  Hassemer, NStZ 1989, 553 (555); Rechtschreibung aus dem Orig. übernommen. So auch ders, Strafrecht, 110; dazu auch ders., in: Schünemann et  al., FSRoxin (2001), 1001 (1016). 104  Anders Hassemer, der in diesem Zusammenhang für eine konsequente Verwendung alternativer, objektiv geprägter Begrifflichkeiten (wie „Erwartbarkeit“, „Wirkung“, „Funktion“ u. ä.) wirbt; Hassemer, NStZ 1989, 553 (555). Vgl. aber auch Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 57, der die „objektive[n] Untauglichkeit einer Norm“ als Indiz für eine entsprechende gesetzgeberische Absicht des Gesetzgebers versteht. 105  Hassemer, Strafrecht, 96 f.; Müssig, Schutz abstrakter Rechtsgüter, 11; Wessels / Beulke, AT42, Rn. 6; zur Unterscheidung von sog. instrumenteller und symboli-



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vention dabei das Zentrum ihrer diesbezüglichen Bemühungen bilden, nämlich eine der Straftatenbegehung abträgliche Einsicht der Normadressaten in Wert- und Unrechtsvorstellungen des Rechts vermitteln106. In diesem Zusammenhang formulieren die abstrakt-generell formulierten Straftatbestände und konkret-individuell zur Anwendung gebrachten Strafandrohungen symbolische Botschaften, mittels derer auf das Bewusstsein der Normadressaten eingewirkt werden soll, sodass das Strafgesetz letztlich verhaltensleitend soll wirken können107. Identifiziert man das kommunikative Element der Strafandrohung und Strafe in diesem Sinne mit einem symbolischen Element, wird man die Symbolik – jedenfalls „seit dem Ende […] einer radikal absoluten Strafbegründung“108 – als für ein Strafgesetz wesenstypisch, „ubiquitär“ und „jedenfalls unvermeidbar“ bezeichnen können109. II. Symbolische Strafgesetze in anderen Diensten Demgegenüber rückt die Symbolik eines Strafgesetzes in einen kritischen Blickwinkel, wenn das Strafgesetz seine eigentliche Zielsetzung des Rechtsgüterschutzes – gleichwohl symbolisch im abstrakt-generellen Straftatbestand postuliert und gegebenenfalls auch in der konkreten Strafanwendung zur Schau getragen – nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zu verwirklichen weiß. Es sind jene Strafgesetze, auf die die Untersuchung im Folgenden Bezug nehmen wird, wenn sie von einer symbolischen Strafgesetzgebung schreibt und die Nichtverwirklichung der „abstrakt aus dem Gesetzestext resultierenden Zweck / Mittel-Relation“110 zum Anlass nimmt, um gesetzliche Vorschriften als symbolisch zu klassifizieren. 1. Womöglich normativ unwirksam, jedenfalls aber ineffektiv

Dabei wird sie die Definition der symbolischen Gesetzgebung jedoch weiter fassen als Neves, der die Effektivität eines Gesetzes von seiner normativen Wirksamkeit unterscheidet und eine symbolische Gesetzgebung scher Gesetzgebung vgl. schließlich auch Funcke‑Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 44 f. m. w. N. 106  Siehe oben Kap. 3, Seite  212–223 [Abschn.  3, C. I.], u. Hassemer, Strafrecht, 105 u. 108. 107  Hassemer, Strafrecht, 102; ders., NStZ 1989, 554 (555); Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 16. 108  Hassemer, NStZ 1989, 554 (555). 109  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Hassemer, Strafrecht, 103; darauf hinweisend u. weitere Nw. auch bei ders., in: Schünemann et  al., FS-Roxin (2001), 1001 (1010); im Anschluss Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 16. 110  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 47.

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nicht bereits dann in Erwägung zieht, wenn sich ein Gesetz nur als ineffektiv erweist, während seine normative Wirksamkeit unangetastet bleibt: „Ist es trotz Ineffektivität (Nichterreichung der Ziele) allerdings wirksam, […] so darf nicht von symbolischer Gesetzgebung die Rede sein“111. Dabei will Neves die Wirksamkeit einer Norm empirisch danach beurteilt wissen, ob sie befolgt wird oder – bei Zuwiderhandeln gegen ihren Inhalt – Durchsetzung findet112. Befolgt wird sie dann, „wenn gesetzmäßig gehandelt wird, ohne dass dieses Verhalten durch eine vollstreckende Aktivität erzwungen wird“113; demgegenüber findet sie ihre Durchsetzung, wenn ihre Adressaten zwar gesetzwidrig handeln, der Staat auf diesen Gesetzesverstoß aber reagiert, um das Recht zu erhalten bzw. wiederherzustellen114. Nur, wenn „keine der beiden Alternativen ihrer Verwirklichung eintritt“115, soll eine Norm auf ihren symbolischen Gehalt reduziert werden dürfen. Übertragen auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, hat das sechste Kapitel etwa ausgeführt, wie die Strafjustiz mit Verstößen gegen die Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch nahezu nicht befasst wird: Insbesondere der in § 218a Abs. 1 StGB normierte Tatbestandsausschluss lässt die Tötung eines postnidativen Ungeborenen so weitgehend zu, dass kaum mehr Veranlassung besteht, einen strafbaren, die Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB nicht erfüllenden Abbruch zu begehen116. Insofern wird nicht nur von einem substantiellen Rückgang der Dunkelziffer ausgegangen117, sondern spiegelt sich auch in Polizeilicher Kriminalstatistik wie Strafverfolgungsstatistik wider, wie das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs weitgehend befolgt zu werden scheint: So spricht erstere von gerade mal 58 Personen, die im Jahre 2012 wegen der in den §§ 218 ff. StGB normierten Delikte polizeilich erfasst wurden, davon 49 Personen wegen eines Schwangerschaftsabbruchs nach § 218 Abs. 1 StGB118. Weiter noch hält die Strafverfolgungsstatistik für das Jahr 2011 insgesamt gerade mal acht Personen fest, die nach allgemeinem Strafrecht wegen eines Schwangerschaftsabbruchs abgeurteilt wurden und von denen nur gegen vier Personen die 111  Neves,

Symbolische Konstitutionalisierung, 49 f. Symbolische Konstitutionalisierung, 44. Zu einer weitergehenden Diff. von Anwendung und Gebrauch einer Norm s. ders., a. a. O., 45 f. 113  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 43. 114  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 43 f. 115  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 44 f. 116  Siehe oben Kap. 6, Seite  615 [Abschn.  2, B. I. 3.]; in diesem Sinne auch Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (337), nach dem § 218a StGB „die Zuständigkeit der Strafjustiz fast vollständig ausschließt“. 117  So Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (337). 118  BMI, PKS 2012, 49. Zum Vergleich die Zahlen aus dem Jahr 2011: 131 Personen, davon 108 nach § 218 Abs. 1 StGB (ebda.); 2010: 92 Personen, davon 75 nach § 218 Abs. 1 StGB (BMI, PKS 2010, 37). 112  Neves,



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Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erging119. Man könnte jene statistischen Zahlen mithin durchaus heranziehen, um die normative Wirksamkeit der Abtreibungsgesetzgebung zu belegen, die weit überwiegend befolgt und in den wenigen Fällen des Zuwiderhandelns auch durchgesetzt wird. Im Anschluss an Neves wäre es dann nur folgerichtig, den §§ 218 ff. StGB die Anerkennung einer symbolischen Gesetzgebung zu versagen (bzw. ihnen den Vorwurf einer solchen zu ersparen): Denn eine solche setzt nach seinem Dafürhalten zwingend die normative Unwirksamkeit der einschlägigen Vorschriften voraus, während sie deren Ineffektivität nicht genügen lässt120. Insofern wird vorliegend aber die Ansicht vertreten, dass ein Gesetz nicht nur durch seine ausbleibende Befolgung und Durchsetzung auf seinen symbolischen Gehalt reduziert werden kann. Eine symbolische Gesetzgebung gilt es stattdessen auch dann in Erwägung ziehen, wenn gesetzliche Vorschriften zwar in weiten Teilen befolgt und im Falle ihres Zuwiderhandelns auch durchgesetzt werden, gleichwohl aber die ihnen zugeschriebene Zielsetzung nicht verwirklichen können, weil sie von vornherein so formuliert sind, dass weder ihre Befolgung noch ihre Durchsetzung den fraglichen Zweck fördern kann. Dies mag etwa dann der Fall sein, wenn das Gesetz zwar eine tatbestandliche Verbotsnorm kennt, die vorgeblich den Schutz eines bestimmten Rechtsgutes anstrebt, auf einer nachfolgenden Wertungsebene des Deliktsaufbaus sodann aber einen Ausnahmetatbestand folgen lässt, der so weit gefasst ist, dass das Gesetz eine Übertretung des grundsätzlichen Verbots nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig zulässt. Im Falle der Abtreibungsgesetzgebung ist es vornehmlich der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 StGB, aber auch der Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB, der so weit gefasst ist, dass für das in § 218 Abs. 1 StGB normierte Verbot des Schwangerschaftsabbruchs kaum mehr Raum verbleibt. Befolgt wird die Abtreibungsgesetzgebung mithin weniger, indem Normadressaten die postnidative Ungeborenentötung unterließen, sondern mehr, indem sie die weit formulierten Ausnahmetatbestände für sich nutzen, sich also auf eine rechtfertigende Indikationenlage berufen oder das Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB befolgen, auf dass ihr tatbestandsmäßiges Verhalten als gerechtfertigt erkannt oder anderweitig für straflos befunden wird. Bereits durch ihre Formulierung treffen die §§ 218 ff. StGB so Vorsorge für ihre normative Wirksamkeit, unterlaufen durch die Formulierung weit gefasster Ausnahmetatbestände aber zugleich die das postnidative ungeborene Leben schützende Wirkung eines tatbestandlichen Verbots des Schwan119  Stat. Bundesamt, Strafverfolgung 2011, 64, 96 u. 128. Eine weitere Aburteilung erging im Jahr 2011 nach Jugendstrafrecht; dass., a. a. O., 32. Zum Begriff des Abgeurteilten s. dass., a. a. O., 13; zum Begriff des Verurteilten s. dass., a. a. O., 15. 120  Siehe oben u. Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 49 f.

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gerschaftsabbruchs. Was ihre normative Wirksamkeit gewährleistet, ebnet gleichzeitig ihrer Ineffektivität den Weg. 2. Die Divergenz manifester und latenter Funktionen

Dabei wird zugegebenermaßen kein Strafgesetz seine Zielsetzung des Rechtsgüterschutzes vollständig verwirklichen können121. Der Raum für ein (im kritischen Sinne) symbolisches statt nur kommunikativ-symbolisches Strafgesetz eröffnet sich mithin erst dann, wenn dessen latente Funktionen seine manifeste Funktion des Rechtsgüterschutzes überlagern, der Rechtsgüterschutz mithin nur noch als primäre Funktion postuliert wird, während tatsächlich aber andere Zielsetzungen eines nunmehr politisch agierenden Gesetzgebers in den Vordergrund treten122. Dabei können in Anlehnung an Kindermann im Wesentlichen drei latente (verborgene) Funktionen unterschieden werden, die eine symbolische Gesetzgebung – motiviert durch die gesellschaftliche Erwartungshaltung – unmittelbar zu verwirklichen sucht: Insofern kann sich ein Gesetzgeber angehalten sehen, einen sozialen Wert zu bekräftigen, verschiedene politische und weltanschauliche Gruppen in einem sog. dilatorischen Formelkompromiss widerzuspiegeln oder auch einfach nur den Wähler durch den Erlass einer sog. Alibigesetzgebung zu beschwichtigen123. Es sind jene drei Funktionen, die nachfolgend zunächst im Allgemeinen beschrieben werden sollen, bevor sie im Anschluss der geltenden Abtreibungsgesetzgebung zugeordnet werden. a) Die latente Funktion einer Bekräftigung sozialer Werte Soweit eine symbolische Gesetzgebung zunächst soziale Werte zu bekräftigen sucht, reagiert der Gesetzgeber auf eine Debatte um die „Dominanz bestimmter Werte“, indem er nach außen hin die „Überlegenheit“ der Wertauffassung einer bestimmten Gruppe anerkennt124: „[…] the designation of a 121  Hassemer, in: Schünemann et al., FS-Roxin (2001), 1001 (1016); ders., Strafrecht, 109. 122  Zum Verhältnis von „Mehr-oder-Weniger“ im Bereich des symbolischen Strafrechts s. etwa auch Funcke‑Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 56; Hassemer, in: Schünemann et al., FS-Roxin (2001), 1001 (1016 u. 1017); ders., Strafrecht, 110; ders., NStZ 1989, 553 (556); im Anschluss hieran Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 16 u. 28. 123  Kindermann, in: Grimm / Maihofer, Gesetzgebungstheorie, 222 (230); ders., in: Voigt, Symbole, 257 (267); in Anknüpfung hieran ebenso Hassemer, NStZ 1989, 553 (554); ders., Strafrecht, 94 m. Fn. 7 u. 110 f.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 36; Voß, Symbolische Gesetzgebung, 25 ff. 124  Vorstehende Zitate aus Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 36.



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way of behaviour as violating public norms confers status and honor on those groups whose cultures are followed as the standard of conventionality, and derogates those whose cultures are considered deviant“125. Dabei ist es bereits die symbolische Anerkennung der betreffenden Werte, mithin der Erlass und nicht erst die bestätigte normative Wirksamkeit oder Effektivität der entsprechenden Gesetze, ob derer die fragliche Gruppierung Befriedigung erfahren soll126. Man spricht auch von „Differenzierungsgesten“ einerseits, „Kohäsionsgesten“ andererseits, die jene Art der symbolischen Gesetzgebung entfalten soll: Als „Differenzierungsgeste“ wirkt sie, soweit sie Bevölkerungsgruppen und deren Werte und Interessen differenziert, nämlich die einen bestätigt, die anderen negiert. Zugleich soll sie auf verschiedenen Ebenen einer Gesellschaft als „Kohäsionsgeste“ wirken, so etwa eine scheinbare Identifizierung der Gesellschaft als Ganzes mit den bekräftigten Werten vorgeben oder aber den jeweiligen Zusammenhalt der verschiedenen Bevölkerungsgruppen stärken, die durch die gemeinsame Erfahrung einer legislativen Bestätigung oder Negation miteinander verbunden sind127. In diesem Sinne soll es den Befürwortern der Alkoholprohibition in den Vereinigten Staaten etwa weniger darum gegangen sein, ein instrumentell wirksames Alkoholverbot zu erwirken, als dass sie um gesellschaftlichen Respekt rangen, den sie durch die legislative Anerkennung ihrer Werte zu erfahren meinten128. Entsprechend ist auch für die Diskussion der Abtreibung in den 1970er Jahren der Bundesrepublik Deutschland ein Wissen darum postuliert worden, dass ein tatbestandliches Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in weiten Teilen keine instrumentelle Wirksamkeit entfalten würde129. In diesem Zusammenhang hatte etwa das Magazin „stern“ am 06.06.1971 über die Bilder und Namen von 28 Frauen – die im Heftinneren um eine Unterschrif125  Gusfield, in: Rubington / Weinberg, Social Problems6, 103 (104). Ins Dt. übertragen: „[…] [D]ie Festsetzung, dass eine Lebensweise die Normen öffentlichen Lebens verletze, hebt den Status und die Ehre derjenigen Gruppen empor, die dem konventionellen Maßstab folgen, und setzt diejenigen herab, deren Kultur als abweichend angesehen wird“. 126  Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 52 f.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 36 u. 88. 127  Gusfield, Symbolic Crusade2, 171 f.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 38. 128  Grundlegend dazu Gusfield, Symbolic Crusade2, 51, 119 u. 166; ders., in: Rubington / Weinberg, Social Problems6, 103 (104); im Anschluss hieran Hassemer, NStZ 1989, 553; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 36. 129  Blankenburg, Unwirksamkeit von Gesetzen, 11; zsfd. Kindermann, in: Grimm / Maihofer, Gesetzgebungstheorie, 222 (231 f.); Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 37; Voß, Symbolische Gesetzgebung, 26 f. Zur Kritik an entsprechenden „Differenzierungs- und Kohäsionsgesten“ in der Diskussion um die Abtreibung s. aber sogleich c).

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tenliste von 374 Frauen ergänzt wurden – nicht nur die Überschrift „Wir haben abgetrieben!“ gesetzt und so auf einen ubiquitären Charakter des Schwangerschaftsabbruchs hingewiesen, den das seinerzeit geltende Gesetz130 leugnete. Zum (angeblichen131) Selbstbekenntnis der genannten 374 Frauen schrieb das Magazin stattdessen weiter: „Dies ist kein Aufstand gegen das Recht, sondern ein Protest gegen die Verlogenheit eines Paragrafen, an den selbst Richter nicht mehr glauben. Klagt uns an, sperrt uns ein, wenn ihr den Mut dazu habt“132. Soweit man gleichwohl systematisch an ihm festhielt (und dem grundsätzlichen Abtreibungsverbot erst in § 218a StGB a. F. die Fristenlösung nachfolgen ließ133), habe man vornehmlich den Wert des postnidativen ungeborenen Lebens gegenüber dem „moralischen Anspruch der Frau auf Bestimmung über ihre Nachkommenschaft“134 bekräftigen wollen. Schließlich wird einer sozialen Wertbekräftigung auch der weitergehende Zweck zugeschrieben, von „(moralischem) Appellcharakter“ zu sein, so beispielsweise, wenn Vorschriften des Umweltstrafrechts ihre Normadressaten „zu ökologischer Sensibilität zu erziehen“ suchen135. b) Die latente Funktion einer sog. Alibigesetzgebung Demgegenüber bildet die fehlende Bewirkungspotenz des Gesetzgebers den Anlass für eine sog. „Alibigesetzgebung“136, durch die der Gesetzgeber bestimmte Erwartungen seiner Adressaten zu befriedigen sucht, gleichwohl 130  Seinerzeit § 218 StGB i. d. F. des 1.  StrRG vom 25.06.1969; BGBl. I, Nr. 52 v. 30.06.1969, 645. 131  Tatsächlich ist zwischenzeitlich bekannt, dass entgegen ihres Bekenntnisses nicht alle der angeführten Frauen einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hatten; Kraft, Nicht abgetrieben, Süddeutsche.de v.  17.05.2010; Schwarzer, Selbstbekenntnis, Die Zeit v. 23.04.09 u. Zeit-Online v. 08.09.2009; dazu auch: Die Welt v. 20.01.08, Hintergrund. Näher zu dieser Kampagne und nachfolgenden medienwirksamen Aktionen Gante, § 218 i. d. Diskussion, 125–129; Schwarzer, So fing es an, 23 ff. 132  Stoessinger, Bundesrepublik, stern.de v. 22.11.2008. 133  § 218a StGB i. d. F. des 5. StrRG vom 18.06.1974; BGBl. I, Nr. 63 v. 21.06.1974, 1297. Später gefolgt von der Indikationenlösung des 15. StÄG v. 18.05.1976 (BGBl. I, Nr. 56 v. 21.05.1976, 1213), der Fristenregelung mit Beratungspflicht des SFHG v. 27.07.1992 (BGBl. I, Nr. 37 v. 04.08.1992, 1398) und der heute geltenden Tatbestandslösung des SFHÄndG v. 21.08.1995 (BGBl. I, Nr. 44 v. 25.08.1995, 1050). 134  Blankenburg, Unwirksamkeit von Gesetzen, 11; Hassemer, NStZ 1989, 553 (554). 135  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Hassemer, NStZ 1989, 553 (554); zur symbolischen Gesetzgebung auf dem Gebiet des Umweltstrafrechts s. auch Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 29 ff. 136  Der Begriff der „Alibigesetzgebung“ wird zurückgeführt auf Kindermann, in: Voigt, Symbole, 257 (267); s.  dazu Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 38.



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es ihm zu deren Erfüllung bereits an den Minimalbedingungen mangelt137. Konfrontiert mit einem sozialen Problem und dem Verlangen der Bevölkerung nach einer gesetzlichen Regulierung der problembehafteten Sachverhalte, sucht der Gesetzgeber nunmehr nicht (nur) bestimmte soziale Werte zu bekräftigen, sondern präsentiert einen Normerlass, der als sog. „Ersatzreaktion“ wirken soll. Jener Begriff der „Ersatzreaktion“ knüpft an Beobachtungen der Verhaltensforschung an, innerhalb derer Tiere zum Kampf außerstande sind, ungeachtet ihrer mangelnden Handlungsfähigkeit aber gleichwohl drohende Gesten vollziehen138. Ähnlich agiert der Gesetzgeber, wenn er ein soziales Problem tatsächlich nicht seiner Auflösung zuführen kann, durch einen Normerlass gleichwohl aber den Anschein einer unmittelbaren Lösung und mithin seiner eigenen Handlungsfähigkeit zu vermitteln sucht, um „Vertrauen in das politische bzw. das Rechtssystem“ zu schaffen139. Die auf ihm lastende Erwartungshaltung soll ihre Erfüllung so in einem Täuschungsmanöver, anders gesprochen in einem „Alibi“ des in Wirklichkeit handlungsunfähigen Gesetzgebers finden140. Gerade im Strafrecht resultiert aus der (gegebenenfalls auch nur subjektiven141) Wahrnehmung einer ansteigenden Kriminalitätsrate in regelmäßigen Abständen der gesellschaftliche Ruf nach neuen oder härteren Sanktionen des Staates, der sich gegenüber einer bestimmten Art der Kriminalität oder auch der allgemeinen Neigung zur Straftatbegehung mit Nachdruck durchzusetzen habe142. Und ungeachtet dessen, ob die verlangten Sanktionen die mit ihnen assoziierte Erwartung nach einer erhöhten Effektivität des Rechtsgüterschutzes tatsächlich erfüllen können, ist der Gesetzgeber einem solchen Ruf auch wiederholt nachgekommen, um das gesellschaftliche Bedürfnis nach seiner Reaktion zu befriedigen und sich des gesellschaftlichen Vertrauens in seine eigene Bewirkungspotenz zu verdienen. Wenigstens 137  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 38; vgl. dazu Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 51 f. 138  Zum Begriff der „Ersatzreaktion“ s. Hassemer, NStZ 1989, 553 (554); Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 38 m. Fn. 46; Noll, ZSR 1981, 347 (360– 362). 139  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 38 f.; ebenso Kindermann, in: Grimm / Maihofer, Gesetzgebungstheorie, 222 (234). 140  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 41; vgl. Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 59. 141  Zu Fehleinschätzungen der Kriminalitätsrate s. Schwind, Kriminologie21, § 14, Rn. 11, u. § 20, Rn. 22; vgl. auch Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 37 f. 142  Funcke-Auffermann, Symbolische Gesetzgebung, 39; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 39; Ostendorf, HRRS 2009, 158 (158 f.); Schwind, Kriminologie21, § 20, Rn. 14 u. 22.

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temporär sucht er das erschütterte Sicherheitsgefühl der Bevölkerung so zu beruhigen oder gar wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang stammt noch aus älterer Zeit der Hinweis auf eine Novelle des § 130 StGB, durch die der Staat seine Ablehnung der in den Jahren 1959 und 1960 gehäuft auftretenden Schändungen jüdischer Friedhöfe und Synagogen demonstrierte143. Weil deren Verfolgung durch die Gesetzesänderung gar nicht berührt wurde, sah man sich hier geradezu lehrbuchmäßig mit dem Beispiel einer Alibigesetzgebung konfrontiert. Aber auch in der Gegenwart mag man an so mancher Stelle des rechtspolitischen Diskurses ein legislatives „Alibi“ aufleuchten sehen: Man erinnere sich etwa an die wiederholten Rufe nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts, die in jüngerer Zeit in Reaktion auf verschiedene Überfälle in den U‑Bahnen deutscher Großstädte laut wurden und im Juni des Jahres 2012 schließlich in ein Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten mündeten144. Jenes führte nicht nur den sog. Warnschussarrest in das Jugendgerichtsgesetz (JGG) ein145, sondern hob auch die Strafrahmenobergrenze für Heranwachsende in Mordfällen auf 15  Jahre an146; dies gleichwohl die jugendstrafrechtliche Literatur eine solche Anhebung der Strafrahmenobergrenze mit Blick auf die Urteilspraxis der Jugendgerichte stets für hinfällig erachtet147 und die gleichzeitige Verurteilung zu Jugendstrafe und Jugendarrest gar für schädlich statt nützlich befunden hatte148. Auch die „populistische ‚Rübe ab‘bzw. Wegschließen, und zwar für immer‘-Strategie“149, die sich in der 143  Siehe dazu Kindermann, in: Grimm / Maihofer, Gesetzgebungstheorie, 222 (237); Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 37 f.; zsfd. Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 39. 144  Gesetz v. 04.09.2012; BGBl. I, Nr. 41 v. 07.09.2012, 1854. Siehe in diesem Zusammenhang auch BR‑Drs.  350 / 12 u. den „Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten“ in BT-Drs. 17 / 9389. 145  §§ 8 Abs. 2 S. 2 i. V. m. 16a JGG; s. dazu Streng, Jugendstrafrecht3, Rn. 264a. 146  § 105 Abs. 3 S. 2 JGG; s. dazu Streng, Jugendstrafrecht3, Rn. 439a. 147  Vgl. dazu nur Eisenberg, JGG16, § 18 Rn. 10; Ostendorf, JGG9, Grdl. zu §§ 17 und 18 Rn. 9; ders., NStZ  2006, 320 (325); anders nur bei voller Einbeziehung der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht: DJT / 64, NJW 2002, 3073 (3078 m. VI.13. der Abt.-Str.); Kreuzer, Stellungnahme am 23.05.12, pdf-S. 6. Siehe dazu zsfd. Streng, Jugendstrafrecht3, Rn. 439a. 148  Vgl. dazu nur Kreuzer, Stellungnahme am 23.05.12, pdf-S. 2 ff.; Ostendorf, NStZ 2006, 320 (325); Streng, Jugendstrafrecht3, Rn. 422; Verrel / Käufl, NStZ 2008, 177 (178 f.). Anders z. T. die Praxis: vgl. den „Neuregelungsvorschlag“ v. MüllerPiepenkötter / Kubink, ZRP 2008, 176 (179 f.); ferner verschied. Gesetzesinitiativen u. Parteien: dazu Vietze, Einstiegsarrest, 87 f., 101–104; Werner-Eschenbach, Jugendstrafrecht, 53–65. 149  Zitat aus Haffke, in: Herzog / Neumann, FS-Hassemer, 355 (357), der wiederum auf den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (BamS v. 08.07.2001) Bezug nimmt; Haffke, a. a. O., 355 (357 m. Fn. 14).



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Diskussion um die strafrechtliche Behandlung von Sexualstraftätern anhaltender Beliebtheit erfreut, wird man hier verorten dürfen, sofern sie auf eine zwar real gegebene, aber (massenmedial) überspitzte Bedrohung reagiert: Indem ein „starker Staat“ die zunehmende Verschärfung einschlägiger Gesetze als alternativlose Handlungsstrategie zur Wiederherstellung der gesellschaftlichen Sicherheit geriert, mag er den Anschein für sich beanspruchen, jedes verbliebene Restrisiko seiner Kontrolle unterwerfen zu können. Stabilisiert er das durch die Wahrnehmung entsprechender Sexualstraftaten (subjektiv) erschütterte Sicherheitsempfinden so wenigstens temporär, bleibt dies vornehmlich aber dem von seiner Hand erschaffenen Anschein geschuldet, der mehr über seine Darstellungs- denn Bewirkungspotenz Zeugnis ablegt150. In diesen Zusammenhang eingebettet sieht sich schließlich auch eine Erweiterung der gesetzgeberischen Zuständigkeitsfelder, wenn Universalrechtsgüter, die gleichermaßen weit gefasst wie vage formuliert sind, ihren Zugang auf die Tatbestandsebene finden151. Nach Hassemer reagiert der Gesetzgeber mit einer solch weiten Formulierung der zu schützenden Rechtsgüter auf Entwicklungen in der Gesellschaft, innerhalb derer zum einen die Risikoangst steigt, zum anderen der Normenschwund zunimmt: Konfrontiert mit komplexen Prozessen, begehrt die Gesellschaft eine Reduktion ihrer Unsicherheiten152 oder muss – etwa in Bereichen der Umweltzerstörung oder des Drogenmissbrauchs – gar den Zusammenbruch zentraler Systeme ihres Lebens fürchten153; ebenso drohen für verbindlich erkannte soziale Normen angesichts von „Ökonomisierung“ und „narzißtische[r] Individualisierung“ zu schwinden154. Gibt der Gesetzgeber seinen Anspruch auf, einen empirisch nachvollziehbaren Rechtsgüterschutz bewirken zu müssen, kann er sich auch die Regulierung solcher „Großprobleme“ anmaßen und die verschiedentlich verunsicherte Gesellschaft durch die Demonstration seiner diesbezüglichen Handlungsfähigkeit zu beruhigen suchen155. 150  In diesem Sinne krit. u. vorstehendes Zitat aus Haffke, in: Herzog / Neumann, FS-Hassemer, 355 (357 u. 369 f.). 151  Zu einer beispielhaften Aufzählung solcher Universalrechtsgüter s. Hassemer, NStZ 1989, 553 (557); vgl. außerdem ders., in: Schünemann et  al., FS-Roxin (2001), 1001 (1007). Zu ihrer Subsumtion unter den Rechtsgutsbegriff des Strafrechts s. Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 26. 152  Hassemer, NStZ 1989, 553 (557). 153  Hassemer, Strafrecht, 97 f. m. w. N.; ders., in: Schünemann et  al., FS-Roxin (2001), 1001 (1005); zur gesellschaftlichen Risikoangst vgl. etwa auch FunckeAuffermann, Symbolische Gesetzgebung, 35. 154  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Hassemer, in: Schünemann et  al., FSRoxin (2001), 1001 (1006); ebenso ders., Strafrecht, 98. 155  Siehe dazu und zum Begriff des „Großproblems“ bzw. „Großrisikos“ Hassemer, Strafrecht, 99.

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Dazu, dass der Gesetzgeber entsprechende „Großrisiken“ auch auf dem Gebiet des postnidativen Ungeborenenschutzes zu bekämpfen gesucht hat, finden sich in der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung Hinweise, wenn das BVerfG durch die Fristenregelung nach dem Fünften Strafrechtsreformgesetz eher die Regulierung eines solchen „Großproblems“ denn einen individuellen Rechtsgüterschutz verwirklicht sah: „Der von der Verfassung geforderte Rechtsschutz für das konkrete einzelne Menschenleben wird zurückgestellt zugunsten einer mehr ‚sozialtechnischen‘ Verwendung des Gesetzes als einer gezielten Aktion des Gesetzgebers zur Erreichung eines bestimmten gesellschaftspolitisch erwünschten Zieles, der ‚Eindämmung der Abtreibungsseuche‘ “156. c) Die latente Funktion eines sog. dilatorischen Formelkompromisses Eng verbunden mit der latenten Zielsetzung solcher Alibigesetzgebungen sind schließlich Sachverhalte des sog. dilatorischen Formelkompromisses157, innerhalb derer sich der Gesetzgeber zur Normierung eines Gesetzes angehalten sieht, durch das sich divergente politische Gruppen – Konservative wie Progressive – kohärent repräsentiert fühlen können158. Es sind die diametral gegensätzlichen Positionen zu einer Streitfrage, die der gesetzgeberischen Tätigkeit in den fraglichen Sachverhalten ein Hemmnis bereiten. Denn will die Rechtsordnung, dass sich die Gesamtheit statt nur Teile der Gesellschaft mit ihr identifizieren können, muss ihr eine Stellungnahme schwer fallen, wenn das gesellschaftliche Bewusstsein grundlegende Divergenzen aufweist. Selbst eine nur symbolische Bekräftigung der umstrittenen Wertung wird ihr in den fraglichen Sachverhalten nicht dienlich sein, wirkte eine soziale Wertbekräftigung doch einerseits als normative „Differenzierungsgeste“, indem sie die Kluft zwischen den divergenten Positionen nur noch weiter betonte, andererseits als „Kohäsionsgeste“, indem sie den Zusammenhalt in den widerstreitenden Bevölkerungsgruppen durch das jeweilige Erlebnis einer legislativen Bestätigung oder Ablehnung nur noch weiter stärkte159. Angesichts eines solchen Streits, in dem der Gesetzgeber auf diametral gegensätzliche Wert- und Unrechtsvorstellungen seiner Normadressaten 39, 1 (59); Hervorhebungen nicht im Original. Begriff des dilatorischen Formelkompromisses s. die Analyse der Weimarer Verfassung durch Schmitt, Verfassungslehre5, 31 f. 158  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 42. 159  Zur Differenzierungs- und Kohäsionsgestik einer sozialen Wertbekräftigung s. bereits oben Seite  792 f. [a)] und Gusfield, Symbolic Crusade2, 171 f.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 38. 156  BVerfGE 157  Zum



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trifft, mag es für ihn verführerisch erscheinen, sich einer Stellungnahme zu enthalten, soll das Gesetz doch von einem allgemeinen Rechtsbewusstsein getragen sein, das er vorliegend aber schwerlich identifizieren kann160. Insofern ist es dem Gesetzgeber aber ebenso wenig vergönnt, sich in einer nach außen gerichteten Rechtsordnung seiner Stellungnahme zu enthalten, wie es ein Mensch in der Gegenwart eines anderen Menschen vermeiden kann zu kommunizieren: Denn „[i]n der Gegenwart eines anderen Menschen hat alles Verhalten – aktiv oder passiv, absichtlich oder unabsichtlich – Mitteilungscharakter und ist daher Kommunikation“161. Einen Ausweg aus seiner misslichen Lage bietet dem Gesetzgeber die Formulierung eines scheinbaren Kompromisses, durch den er die Konfliktlösung meint, auf unbestimmte Zeit verschieben zu können. Nur einen Schein-Kompromiss strebt er insofern an, als es ihm um die Vertagung der Entscheidung geht, nicht aber um „die ‚sachliche Regulierung und Ordnung‘ bestimmter kontroverser Fragen mittels Verhandlungen“162. Keine Entscheidung über einen gesellschaftlichen Konflikt will er so treffen, sondern den Konflikt quasi nur auf Eis legen, bis sich die widerstreitenden Positionen zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft womöglich angenähert haben und in ihrer Annäherung eine tatsächliche Stellungnahme der Rechtsordnung ermöglichen. Bis dahin sollen sich die Streitparteien gleichermaßen in der gesetzlichen Regelung wiederfinden können, gleichwohl ihre Ansichten tatsächlich unvereinbar sind. Dieses zunächst unmöglich anmutende Vorhaben soll im Wege eines Gesetzes verwirklicht werden, das mit gespaltener Zunge mehrdeutige Aussagen formuliert, etwa eine nur symbolische Regelung trifft, die tatsächlich aber keine oder wenigstens eine abweichende Umsetzung findet, sodass sich ihre Befürworter auf den symbolischen Wortlaut des Gesetzes, ihre Gegner auf dessen normative Unwirksamkeit 160  Vgl. in diesem Zusammenhang die Vorstöße Kaufmanns, einen „rechtsfreien Raum“ zu verwirklichen; Kaufmann, in: Schroeder / Zipf, FS-Maurach, 327 (331 f., 336 u. 341); ders., JuS 1978, 361 (366 f.); krit. dazu Zschiegner, Fristenlösung, 99–104. Vgl. auch die verwandten Ausführungen Kayßers, Abtreibung, 167 f., zu einem „strafrechtsfreien Raum“; krit. wiederum Zschiegner, Fristenlösung, 104–108. 161  Watzlawick, in: Gadamer / Vogler, Philosophische Anthropologie / 2, 103 (112); in diesem Sinne auch für die zwischenmenschliche Kommunikation ders. / Beavin / Jackson, Menschliche Kommunikation3, 51; für die rechtliche Kommunikation vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie4, 298 m. § 28; für den „sekundären“ – d. h. nicht bereits tatbestandsfreien – Bereich des rechtsfreien Raums Hirsch, in: ders., Probleme, 310 (320 u. 322). Weitergehend dürfte sich der Gesetzgeber einer Wertung zur Abtreibung, durch die für schutzwürdig erkanntes menschliches Leben getötet wird, auch gar nicht enthalten, selbst wenn ihm dies möglich wäre; s. dazu krit. Belling, Rechtfertigungsthese, 44 f. m. Fn. 1 u. 149 f. 162  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 88, unter Zitierung v. Schmitt, Verfassungslehre5, 31 (der a. a. O. jedoch den Begriff der „Regelung“ anstelle desjenigen der „Regulierung“, wie von Neves zitiert, verwendet).

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oder abweichende Handhabung berufen können. Es gilt, „eine Formel zu finden, die allen widersprechenden Forderungen genügt und in einer mehrdeutigen Redewendung die eigentlichen Streitpunkte unentschieden läßt“163. In den Worten Watzlawicks bedarf es des Widerspruchs als Mittel der „Entwertung“: „Gemeint sind damit alle jene Verhaltensformen, deren Zweck es ist, die eigenen Aussagen oder die des Partners einer klaren Bedeutung zu berauben, so daß man vom anderen nicht auf eine bestimmte Bedeutung festgenagelt und dafür verantwortlich gemacht werden kann“164. So nämlich können sich die konkurrierenden Streitparteien beschwichtigt sehen, ohne dass der Gesetzgeber ihnen hierfür eine tatsächliche Lösung ihres Konflikts offerieren muss165. III. Ein unmittelbarer Nutzen statt Schaden des Wertungswiderspruchs Kommunikativ-symbolische Strafgesetze, die tatsächlich dem Schutz des von ihnen tatbestandlich verbürgten Rechtsgutes zu dienen bezwecken, treffen mithin auf symbolische Strafgesetze, die diesen Zweck nur vortäuschen, tatsächlich aber unterschiedliche, vom Rechtsgüterschutz abweichende, latente Zielsetzungen verfolgen. In beiden nimmt der vorliegend thematisierte Wertungswiderspruch eine jeweils diametral gegensätzliche Stellung ein: Während er der Wirkung kommunikativ-symbolischer, tatsächlich dem Rechtsgüterschutz verpflichteter Strafgesetze abträglich ist166, machen sich andere Strafgesetze den Wertungswiderspruch wenigstens für den Moment zunutze, um ihre vom Rechtsgüterschutz abweichenden latenten Zielsetzungen verwirklichen zu können. Insofern ist der Wertungswiderspruch also nicht nur ein notwendiges Produkt widerstreitender Zielsetzungen, sondern darüber hinaus auch das Mittel, dessen sich eine symbolische Gesetzgebung bedient, um die Ansichten widerstreitender Parteien in einem dilatorischen Formelkompromiss zusammenzufassen, die gesetzgeberische Handlungsfähigkeit – gleichwohl nicht vorhanden – in einer Alibigesetzgebung vorzutäuschen und soziale Werte zu bekräftigen, gleichwohl sie sie nicht zu fördern vermag oder auch nur gedenkt. Verfassungslehre5, 32. in: Gadamer / Vogler, Philosophische Anthropologie / 2, 103 (112); in diesem Sinne auch ders. / Beavin / Jackson, Menschliche Kommunikation3, 75. 165  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 42; zu einer entsprechenden Einschätzung der Wirkung des Norwegischen Haushaltsangestelltengesetzes von 1948 s. Aubert, in: Hirsch / Rehbinder, Rechtssoziologie, 284 (302); zu einer entsprechenden Analyse der Weimarer Verfassung s. Schmitt, Verfassungslehre5, 32–35. 166  Siehe oben Seite  767–771 [Abschn.  1, B. I.], u. ausführl. oben Kap. 3, Seite  240–243 [Abschn.  3, D. II. 1. b)] u. 245–248 [Abschn.  3, D. III.]. 163  Schmitt,

164  Watzlawick,



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1. Funktionalisierung zur Vereinigung divergenter Positionen

Am deutlichsten tritt diese Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs in einem dilatorischen Formelkompromiss hervor, den der Gesetzgeber formuliert, um divergente Ansichten in einem Gesetz zusammenführen zu können167. Der Wertungswiderspruch ermöglicht es ihm, dass sich verschiedene Parteien gleichermaßen in seinem Gesetz repräsentiert fühlen können: die Befürworter eines schützenden Verbots, indem sie sich auf die (symbolische) Normierung eines entsprechenden Verbotstatbestandes berufen können, dessen Gegner, indem sie sich auf seine – für gewollt erkannte – normative Unwirksamkeit oder Ineffektivität berufen und / oder solche Vorschriften zitieren, die zum symbolischen Verbotstatbestand in das Verhältnis einer sachlich nicht begründeten Ungleichbehandlung treten. Widersprüchlich ist eine gesetzliche Regelung dann, wenn sich wenigstens zwei Wahrheiten in ihr zu vereinigen suchen; zugleich bilden diese verschiedenen Wahrheiten die Spiegelbilder, in denen sich divergente Ansichten – die eine in der einen Wahrheit, die andere in der gegenteiligen – wiedererkennen können, sodass sie sich ungeachtet ihrer Unvereinbarkeit durch dasselbe Gesetz repräsentiert fühlen können. Dass gegensätzliche Positionen durch den Wertungswiderspruch gleichermaßen Bestätigung erfahren, erlangt dabei durch eine solche mögliche Reaktion der Normadressaten Schützenhilfe, die vorliegende Untersuchung in ihrem dritten Kapitel bereits unter dem Begriff der „selektiven Rezeption“ vorgestellt hat: Konfrontiert mit paradoxen Wertungen selektiere der Adressat diejenige, die mit seinem eigenen individuellen Wertebewusstsein am ehesten harmoniert, und erkenne mithin nur diejenigen Gesetzesinhalte als für sein Rechtsbewusstsein maßgeblich an, die seine bereits vorhandenen Wert- und Unrechtsvorstellungen bestätigen168. Werden durch diese Kombination von Wertungswiderspruch des Gesetzes und selektiver Rezeption seiner Adressaten am Ende so mehr individuelle Vorstellungen bestätigt als rechtliche Wert- und Unrechtsvorstellungen vermittelt, müsste eine Gesetzgebung, die tatsächlich dem Schutz bestimmter Rechtsgüter dienen will, Schaden nehmen169. Anders verhält es sich jedoch für eine symbolische Gesetzgebung, die den Konflikt zwischen widerstreitenden Positionen durch die Formulierung eines dilatorischen Formelkompromisses nur beschwichtigen will: Denn sie sieht ihre eigentliche (latente statt manifeste) Zielsetzung 167  Zum

dilatorischen Formelkompromiss s. oben Seite  798 f. [II. 2. c)]. dazu oben Kap. 3, Seite  242 [Abschn.  3, D. II. 1. b)] u. vgl. Klapper, Mass Communication, 19 u. 21–23; Lazarsfeld / Berelson / Gaudet, The People’s Choice2, 80–82; Riley / Riley, in: Merton / Broom / Cottrell, Sociology Today, 537 (545 f.). 169  Siehe oben Kap. 3, Seite  242 [Abschn.  3, D. II. 1. b)]. 168  Siehe

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im Gegenteil erst verwirklicht, wenn die angesprochenen Normadressaten die wertungswidersprüchlichen Inhalte durch eine individuell erwählte, selektive Lesart des Gesetzes reduzieren. Auf diesem Wege kann sich jede der Streitparteien darauf berufen, in einem Konflikt um Werte die (vermeintliche) Bestätigung des (individuell ausgelegten) Gesetzes erfahren zu haben. In diesem Zusammenhang mag ein Hinweis auf Habermas’ Unterscheidung zwischen einem kommunikativen und strategischen Handeln170 dienlich sein: Während kommunikatives Handeln auf der Koordination von Handlungsplänen „über Akte der Verständigung“171 basiere und als solches den Anspruch an eine „Wahrhaftigkeit der beteiligten Subjekte“172 voraussetze, soll strategisches Handeln nach Habermas dazu dienen, die Entscheidungen eines rationalen Gegenspielers in Befriedigung „egozentrische[r] Erfolgskalküle“ zu beeinflussen173. Ob seiner zweckrationalen Ausrichtung soll es nicht auf Wahrhaftigkeit der sprachlichen Äußerung des Handelnden angewiesen sein, sondern auch die Täuschung des jeweiligen Gegenspielers zulassen174. Eine entsprechende Differenzierung findet sich bei Ungeheuer, der zwischen einer Überredungs- und Überzeugungsvariante der Persuasion unterscheidet: Während einer Überzeugung die redliche Darlegung eines schlüssigen Begründungszusammenhangs vorausgesetzt sei, den der Perzipient als richtig akzeptieren soll, könne eine Persuasion in Gestalt der Überredungsvariante auch im Wege der Täuschung und Verdunkelung, unter Zuhilfenahme falscher Angaben und Ungenauigkeiten ebenso wie unter Vorspiegelung schlüssiger Beweise und Berufung auf bloße Scheinargumente herbeigeführt werden175. Demnach wären wertungswidersprüchliche Vorschriften nicht per se davon ausgeschlossen, ihre jeweilige Zielsetzung zu verwirklichen, sofern sie nur erfolgreich einen Irrtum in ihren Normadressaten herbeizuführen wüssten – ein Irrtum, den der Normadressat durch die vorliegend bemühte selektive Rezeption gar selbst beförderte. Noch weitergehend könnte man gar davon sprechen, dass der in diesem Sinne selektierende Normadressat seine Täu170  Siehe dazu Habermas, Nachmetaphysisches Denken, 68–75; ders., Kommunikatives Handeln / I, 384 ff.; ders., Technik7, 62 f.; erw. um das symbolische Handeln Habermas, in: ders., Vorstudien, 353 (404 f. m. Fig.  14); zsfd. Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 294 f.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 99 f. 171  Habermas, Kommunikatives Handeln / I, 385. 172  Habermas, in: ders., Vorstudien, 127 (138); dazu auch ders., a. a. O., 127 (178); zsfd. Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 100. 173  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Habermas, Kommunikatives Handeln / I, 385; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 99. 174  Vgl. Habermas, Kommunikatives Handeln / I, 445; Habermas, in: ders., Vorstudien, 353 (404); zsfd. Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 100. 175  Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 265 f.; Ungeheuer, Einf. Kommunikationstheorie3, 70.



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schung will: Er will eine Entscheidung über den Streit um Werte, in den er selbst involviert ist, und ist in der Folge geneigt, einem solchen Verständnis des Gesetzes zu folgen, durch das er seine eigene Position bestätigt und den Streit in seinem Sinne beigelegt sieht. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen griffe es mithin zu kurz, wenn man in einer symbolischen Gesetzgebung – vorliegend besprochen für den dilatorischen Formelkompromiss – nur den Gesetzgeber für die Täuschung verantwortlich zeichnen wollte, während man den Bürger einseitig mit der getäuschten statt täuschenden Partei identifizieren wollte176. Tatsächlich verschwimmen ob einer selektiven Rezeption des Normadressaten die Grenzen zwischen Täuschung (durch das Gesetz) und Selbsttäuschung (durch seine Adressaten): Weniger wie eine einseitige, denn wie eine einvernehmliche – und erst ob des Zusammenwirkens beider Parteien erfolgversprechende – Täuschung mutet solch ein dilatorischer Formelkompromiss mithin an. 2. Funktionalisierung zur Kaschierung eines Mangels an realen Folgen

Aber nicht nur einem dilatorischen Formelkompromiss, sondern auch einer Alibigesetzgebung oder sozialen Wertbekräftigung kann der Wertungswiderspruch dienlich sein, indem er die fehlende Bewirkungspotenz oder auch den fehlenden Bewirkungswillen des Gesetzgebers kaschiert und die referierte selektive Rezeption eines Normadressaten erleichtert. Denn sucht der Gesetzgeber seine tatsächlich nicht vorhandene Handlungsfähigkeit durch den Normerlass nur vorzutäuschen, während die jeweilige gesetzliche Vorschrift tatsächlich normativ unwirksam bleibt, d. h. weder befolgt noch durchgesetzt wird, läuft er Gefahr, dass seine Täuschung für den Normadressaten zu offensichtlich hervortritt, als dass jener sie noch selektiv ignorieren könnte. Die Zielsetzung seiner Alibigesetzgebung könnte sich so in ihr Gegenteil verkehren, sein Täuschungsversuch das Misstrauen anstelle des Vertrauens seiner Normadressaten nähren, wenn jene nicht umhin kämen einzugestehen, wie sie an dieser und mithin womöglich auch an anderer Stelle durch den Gesetzgeber hinter das Licht geführt werden177; zu176  So aber für die Alibigesetzgebung Kindermann, in: Voigt, Symbole, 257 (270), u. Lauterwein, Symbolische Gesetzgebung, 59 f.; letzterer allerdings mit dem Eingeständnis, dass die Täuschung „geradezu bereitwillig als ‚Wahrheit‘ hingenommen“ werde (a. a. O., 59). Krit. dazu etwa Neves, der weiterführend gar den Gesetzgeber mit dem Opfer einer (Selbst-)Täuschung identifizieren will; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 41 m. w. N. Entsprechend findet sich auch bei MeyerAbich, ZRP 2002, 219 (219), die Einschätzung von einer „Selbsttäuschung des Gerichts“ (des BVerfG ob seiner wertungswidersprüchlichen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen). 177  Vgl. Neves, der diesbzgl. von einem „Paradox“ spricht; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 104. Zur „Unglaubwürdigkeit“ des Rechtssystems und „nach-

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gleich würde mit dem Vertrauensverlust bzw. mit einer Einbuße an Autoritätsgläubigkeit eine nach Ungeheuer wesentliche Bedingung für das Gelingen einer persuasiven Kommunikation in Mitleidenschaft gezogen178. Ausgehend von der vorliegend verwendeten Definition der symbolischen Gesetzgebung, die nicht nur das normativ unwirksame, sondern auch das nur ineffektive Gesetz erfasst179, bietet der Wertungswiderspruch dem Gesetzgeber nun aber eine mögliche Handhabe, um seine fehlende Handlungsfähigkeit zu kaschieren: Formuliert werden könnte so eine (wertungswidersprüchliche) gesetzliche Regelung, die in weiten Teilen befolgt und im Falle des Zuwiderhandelns auch durchgesetzt werden könnte, ohne dass dies die Fähigkeit des Gesetzgebers voraussetzte, den postulierten Normzweck zu verwirklichen. Ein Verbotstatbestand könnte vorgeblich den Schutz eines bestimmten Rechtsgutes bezwecken und die Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers demonstrieren, während ein Ausnahmetatbestand so weit gefasst wäre, dass das Gesetz ein Handeln wider das Verbot regelmäßig statt nur ausnahmsweise zuließe. Unter Hinweis auf seine normative Wirksamkeit könnte das so befolgte Gesetz vordergründig für sich beanspruchen, der Feder eines handlungsfähigen Gesetzgebers entsprungen zu sein, während es die eigene Ineffektivität und dessen tatsächlich fehlende Bewirkungspotenz durch einen weit gefassten Ausnahmetatbestand zu kaschieren suchte. Eines entsprechenden Mechanismus könnte sich diejenige symbolische Strafgesetzgebung bedienen, die eine gesellschaftliche Gruppe durch eine soziale Wertbekräftigung in ihrer moralischen Haltung zu bestätigen sucht oder gar einen moralischen Appell aussprechen will: Gleichwohl sie das für moralisch befundene Verhalten gar nicht erwirken kann oder will, nährte sie durch die Normierung eines – erst durch einen Ausnahmetatbestand aufgezehrten – Straftatbestandes den vordergründigen Eindruck, das wünschenswerte Verhalten zu befördern, sodass bestimmte gesellschaftliche Gruppierungen die begehrte Bekräftigung ihrer moralischen Haltung erlangten und / oder für andere Normadressaten ein Anreiz geschaffen wäre, einem vermeintlichen gesetzlichen Appell Folge zu leisten.

haltigen Zerrüttung“ des Rechtsbewusstseins als Gefahren einer übertrieben verwendeten symbolischen Gesetzgebung s. außerdem Kindermann, in: Voigt, Symbole, 257 (270); Neves, a. a. O., 41. 178  Siehe dazu Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 267; Ungeheuer, Einf. Kommunikationstheorie3, 76 ff. 179  Siehe oben Seite  789–792 [II. 1.].



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B. Die Symbolik der §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 1 und Abs. 2 StGB Aus einer Divergenz von manifester und latenter Funktion entspringen nach Ansicht vorliegender Untersuchung auch die Wertungswidersprüche, die den strafgesetzlichen Lebensschutz prägen und vorliegend in den Kapiteln 4 bis 6 aufgezeigt worden sind. Während die Systematik der Abtreibungsgesetzgebung deren manifesten Zweck hervorkehrt, das postnidative ungeborene Leben als tatbestandlich verbürgtes Rechtsgut regelmäßig zu schützen, und seinen Schutz nur ausnahmsweise auf den der Tatbestandsmäßigkeit nachfolgenden Wertungsebenen zurücknimmt, verkehrt eine wertungswidersprüchliche Ausgestaltung und Anwendung ihrer Ausnahmetatbestände das demonstrierte Rechtsgüterverhältnis in sein Gegenteil. So vermögen die §§ 218 ff. StGB zwar weniger einen effektiven Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens, wohl aber verschiedene latente Zielsetzungen zu befördern: Durch ihre Systematik bekräftigen sie die Wertigkeit des individuellen menschlichen Lebens im Allgemeinen, demonstrieren eine vermeintliche Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers und leisten den Wert- und Unrechtsvorstellungen der Abtreibungsgegner Vorschub. In einem Atemzug bestätigt die weite Fassung und Anwendung ihrer Ausnahmetatbestände sodann die widerstreitenden Vorstellungen der Abtreibungsbefürworter und kaschiert das tatsächliche Defizit an gesetzgeberischer Bewirkungspotenz. Wertungswidersprüche erweisen sich – im Strafgesetzbuch und fortgesetzt im Schwangerschaftskonfliktgesetz – als Instrument, um mannigfaltige Bedürfnisse unmittelbar und gleichzeitig zu befriedigen. I. Der manifeste Zweck des Rechtsgüterschutzes oder: Das systematische Verhältnis von § 218 Abs. 1 StGB und seinen Ausnahmetatbeständen In diesen Zusammenhang spiegelt das systematische Verhältnis, in dem der Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB einerseits und die in § 218a StGB nachfolgenden Ausnahmetatbestände andererseits stehen, zunächst den verlautbarten manifesten Zweck der Abtreibungsgesetzgebung wider, das postnidative ungeborene Leben zum schutzwürdigen Rechtsgut zu erheben und einem solchen Schutz vor Tötung zu unterstellen, der nur ausnahmsweise unter den in staatlicher Verantwortung festgestellten Voraussetzungen einer rechtfertigenden Indikationenlage (§ 218a Abs. 2 StGB) oder aber im Rahmen eines dem Beratungskonzept dienenden Verfahrens (§ 218a Abs. 1 StGB) aufgehoben wird. Jenes Rechtsgüterverhältnis, für das Ratio und Systematik der Abtreibungsgesetzgebung vordergründig streiten, hat vorliegende Untersuchung

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bereits einleitend im zweiten Abschnitt ihres vierten Kapitels vorläufig festgehalten: Demnach bildet das postnidative ungeborene Leben das tatbestandliche Schutzgut des § 218 Abs. 1 StGB180, während Gesundheit, Leben und Freiheit der Schwangeren, sich für ein Austragen der Schwangerschaft zu entscheiden, augenscheinlich nur begleitend mitgeschützt werden. Nach den Regelbeispielen des § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB181 finden die Rechtsgüter der Frau erst wieder auf der Ebene der Ausnahmetatbestände Erwähnung. Integriert in den medizinisch-sozialen Indikationentatbestand, präsentieren sich Leben und Gesundheit der Schwangeren in § 218a Abs. 2 StGB als Teil eines Rechtfertigungsgrundes, innerhalb dessen das primär geschützte Rechtsgut des postnidativen ungeborenen Lebens nur im Einzelfall zu weichen hat182. Ebenso nimmt das Gesetz erst in dem in § 218a Abs. 1 StGB normierten Tatbestandsausschluss Rücksicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und belegt deren Entscheidung gegen eine Schwangerschaft überdies mit dem Urteil der Rechtswidrigkeit183. Wenigstens die Systematik der Abtreibungsgesetzgebung ist mithin bemüht, dasjenige Rechtsgüterverhältnis wiederzugeben, das die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen des BVerfG postuliert haben und das nach dessen Verlautbarung nicht nur die grundrechtlichen Garantien der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG achten, sondern auch die positiv-generalpräventiv motivierte Vermittlung eines Ungeborenenschutzes fördern soll: ein Rechtsgüterverhältnis, in dem der mit einem menschlichen individuellen Leben identifizierte Embryo oder Fetus regelmäßig zu schützen ist und den Rechtsgütern der Schwangeren allenfalls ausnahmsweise auf den der Tat­ bestandsmäßigkeit nachfolgenden Wertungsebenen zu weichen hat184. II. Latente Zwecke Demgegenüber hat vorliegende Untersuchung der Formulierung und Anwendung der Ausnahmetatbestände entnehmen können, wie sie das beschriebene systematische Rechtsgüterverhältnis im Wege des Wertungswiderspruchs in sein Gegenteil verkehren185. Während das postnidative ungeborene Leben an seinem Schutz, dessen ihn die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese und im Anschluss hieran die Systematik des Strafge180  Siehe

dazu oben Kap. 4, Seite  257 [Abschn.  2, A. I.]. oben Kap. 4, Seite  264 f. [Abschn.  2, B. I. 2.] zu § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StGB u. Seite  268 f. [C.] zu § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB. 182  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  267 f. [Abschn.  2, B. II.]. 183  Siehe dazu oben Kap. 4, Seite  268 f. [Abschn.  2, C.]. 184  So erstmals bereits festgestellt in Kap. 4, Seite  269 f. [Abschn.  2, D.]. 185  Siehe dazu zsfd. oben Kap. 5, Seite  531 ff. [Abschn.  4, A.], u. Kap. 6, Seite  667 ff. [Abschn.  3]. 181  Siehe



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setzes für würdig befunden haben, einbüßt, erfahren die Rechtsgüter der Schwangeren – Leben, Gesundheit und Selbstbestimmungsrecht eines geborenen Menschen – durch die Ausnahmetatbestände des § 218a StGB eine Überschätzung, die ihnen nach allgemeinen Grundsätzen kein Verfassungsrecht und mithin auch kein die Wertungen des Verfassungsrechts transportierendes Strafgesetz gewähren könnte. Während der dadurch entstehende Widerspruch den manifesten Zweck des Schutzes des postnidativen ungeborenen Lebens unterläuft, weiß er die latenten Zielsetzungen einer symbolischen Abtreibungsgesetzgebung zu fördern: nämlich den Wert des menschlichen Individuums symbolisch zu bekräftigen, die Bewirkungspotenz des Gesetzgebers gegenüber der Massenerscheinung Abtreibung vorzuspiegeln und schließlich dessen Bewirkungswillen einer kompromisshaften Darstellung zuzuführen, wenn die gesetzliche Systematik einen solchen Willen im Sinne der Gegner des Schwangerschaftsabbruchs bestätigt, während ihn die nähere Ausgestaltung der Ausnahmetatbestände im Sinne der Befürworter der Abtreibung gleichzeitig in Frage zu stellen weiß. 1. Die symbolische Bekräftigung der Wertigkeit des menschlichen Individuums

Wendet man sich zunächst der Bekräftigung der Wertigkeit des menschlichen Individuums zu, so kommt man nicht umhin zu konstatieren, dass es weniger der postulierte Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens (als ein für gleichwertig zum Leben des geborenen Menschen anerkanntes Rechtsgut) ist, den § 218 Abs. 1 StGB in seinem Zusammenwirken mit den in § 218a StGB normierten Ausnahmetatbeständen zu bedienen vermag. Dies wird man nicht nur für einen solchen postnidativen Lebensschutz zu konstatieren haben, der – wie im Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB manifestiert186 – einen normativ wirksamen und effektiven Rechtsgüterschutz anstrebte, sondern auch für einen solchen, der den vermeintlichen Wert des postnidativen ungeborenen Lebens nur symbolisch zu bekräftigen suchte. a) Pränatale Entwicklungsstadien und die mangelnde Eignung zur erzieherischen Bewusstseinsbildung Diesbezüglich könnte zwar noch diejenige „Kohäsionsgeste“ nachvollzogen werden, die eine symbolische Gesetzgebung für die Gesellschaft als Ganzes entfalten wollte, indem sie deren scheinbare Identifizierung mit der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese vortäuschte. Die damit unvermeidbar Hand in Hand gehenden „Differenzierungs- und Kohäsionsges186  Siehe

oben Seite  805  [I.].

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ten“ für die verschiedenen (in die Diskussion um die Abtreibung verwickelten) gesellschaftlichen Gruppierungen müssten sich in der Diskussion um die Abtreibung jedoch als kontraproduktiv erweisen187: Weder kann der Rechtsordnung daran gelegen sein, die Streitparteien und deren unterschiedliche Positionen zu differenzieren – nämlich die Gegner der Abtreibung durch die symbolische Bekräftigung der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese in ihren Werten weiter zu bestätigen, die Befürworter der Abtreibung hingegen in ihrer Wertehaltung abzulehnen –, noch förderte es ihr Anliegen nach Beilegung einer gesellschaftlichen Uneinigkeit, wenn sie den Zusammenhalt innerhalb der jeweiligen (die Abtreibung ablehnenden oder befürwortenden) Streitpartei durch ihre Stellungnahme weiter stärkte. Die Diskussion um den Wert des postnidativen ungeborenen Lebens im Allgemeinen und das Verbot der Abtreibung im Besonderen erführe durch eine Differenzierung des Verhältnisses der beiden Streitparteien, ebenso wie durch eine Stärkung des Zusammenhalts innerhalb der einzelnen Parteien, nur eine weitere Zuspitzung, keinesfalls aber diejenige Erleichterung, nach der die Rechtsordnung in einer pluralistischen Gesellschaft zu streben hat, wenn sich die Vertreter widerstreitender gesellschaftlicher Ansichten gleichermaßen in ihr wiederfinden und mit ihr identifizieren können sollen188. Dies vermochte auch kein erzieherischer Appell aufzuwiegen, den man zunächst geneigt sein mag, einer symbolischen Bekräftigung des Werts vom postnidativen ungeborenen Leben zuzusprechen. Denn insofern darf die Wirkweise strafgesetzlicher Vorschriften nicht überschätzt werden, die sich – entgegen manch irreführender Wortwahl – darauf beschränkt, das gesellschaftliche Bewusstsein abzubilden statt zu bilden, d. h. neu zu prägen. Irreführend war insoweit zunächst noch die Wortwahl des BVerfG in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen, wenn seine Ausführungen eine positiv-generalpräventive Wirkung der Abtreibungsgesetzgebung implizierten, die „rechtsbewußtseinsbildend“ statt nur abbildend wirken soll und die dem Gesetzgeber auch bei geschwundenem gesellschaftlichem Bewusstsein vom Wert des ungeborenen Lebens kein „Recht zu Resignation“ lasse189. Auf diese Weise hat das Gericht der Abtreibungsgesetzgebung einen mani187  Zu den verschiedenen „Differenzierungs-“ und „Einheitsgesten“ einer auf die Bekräftigung sozialer Werte ausgerichteten symbolischen Gesetzgebung s. oben Seite  792 f. [A. II. 2. a)]. 188  Vgl. bereits oben Seite  798 f. [A. II. 2. c)] zum dilatorischen Formelkompromiss. 189  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (66). Ähnl. die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung, nach der die Abtreibungsgesetzgebung „den rechtlichen Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein“ nicht nur „erhalten“, sondern auch „beleben“ sollte; vgl. vorstehende Zitate in BVerfGE 88, 203 (204 m. LS 10 u. 261).



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festen Zweck des Rechtsgüterschutzes zuweisen können, der wenigstens durch eine bewusstseinsbildende Wirkung der Strafvorschriften befördert würde; dem Gesetzgeber unterstellte es so seine gute Absicht, nur solche Bestimmungen zu normieren, die wenigstens künftig ihre Verwirklichung finden sollen, und baute auf die erzieherische Funktion der symbolischen Vorschriften190. In eine sehr anschauliche Metapher hat Loewenstein diese Haltung zum Recht und seinen nicht verwirklichten Werten gefasst, wenn er eine sog. nominalistische Verfassung – d. h. eine solche Verfassung, die Vorschriften zur Machtbeschränkung und -kontrolle zwar kennt, in ihrer Umsetzung jedoch politisch blockiert ist191 – mit einem „Anzug“ verglich, der „zur Zeit noch im Schrank [hängt]; er soll aber getragen werden, wenn die Figur der Nation in ihn hineingewachsen ist“192. Jedenfalls was die Strafgesetze betrifft, waren es jedoch die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen selbst, die jene – vom BVerfG verbalisierte – bewusstseinsbildende Wirkung im nächsten Atemzug wieder relativierten, als sie die postulierte Bewusstseinsbildung auf solche Inhalte beschränkten, die von vornherein „auch vom allgemeinen Rechtsbewußtsein getragen“ und „im Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit weder als ungerecht noch als unsozial empfunden“ werden193. In diesem Sinne eingeschränkt auf eine doch nur abbildende Wirkung, meint man auch verschiedenen theoretischen Konzepten der positiven Generalprävention entsprechende Beschränkungen der Reichweite einer positiv-generalpräventiven Wirkung zu entnehmen. So kommt der Strafe nach Durkheim die Aufgabe zu, auf die Verletzung „tief eingeprägt[er]“194 Überzeugungen und Gefühle des Kollektivbewussteins zu reagieren, um die verletzen Überzeugungen und Gefühle durch eine über die Verletzung empörte und sie ausgrenzende Reaktion wiederherzustellen, aufrechtzuerhalten oder zu stärken. Die Intensität und mithin das Vorhandensein der verletzten Überzeugung präsentiert sich als Bedingung der folgenden Reaktion, ebenso wie es um die Erhaltung und Bestätigung bereits vorhandener Überzeugungen geht, nicht aber um die Kreation von Überzeugungen, die noch gar nicht vorhanden sind195. Dem folgend hat Durkheim die Existenz einer Strafregel, der die emotive Grundlage fehlt, auch ausdrücklich für illegitim erklärt: Eine solche Strafregel könnte unmöglich in190  Vgl. zur erzieherischen Funktion nominalistischer Verfassungen Loewenstein, Verfassungslehre3, 153. 191  Siehe dazu Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 90 f. 192  Loewenstein, Verfassungslehre3, 153; im Anschluss hieran Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 91 f. 193  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (66). 194  Durkheim, Arbeitsteilung, 126. 195  Vgl. oben Kap. 3, Seite  193 [Abschn.  3, B. I.].

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tegrativ wirken196. Entsprechend siedelt auch die funktionale Vergeltungstheorie die Funktion des Strafrechts darin an, bestehende normative Erwartungen an die Nichtverletzung eines schützenswerten Rechtsguts bzw. an das Unterlassen einer Unrecht begründenden Verhaltensweise zu erhalten. Durch die Ablehnung abweichenden Täterverhaltens soll ein kognitiver Lernprozess von dessen Normalität vermieden werden und stattdessen die verletzte normative Erwartung als kontrafaktische Erwartungshaltung erhalten bleiben. Soweit in der Gesellschaft nun aber Uneinigkeit über den Wert eines Rechtsguts bzw. das Unrecht eines Verhaltens herrscht, hat sich die Gesellschaft bezüglich des Gegenstands ihrer Uneinigkeit bereits in den besagten kognitiven Lernprozess von der Normalität des Täterverhaltens begeben und entzieht sich einer strafgesetzlichen Einflussnahme, wie sie die funktionale Vergeltungstheorie formuliert197. Eine nur bewusstseinsabbildende statt -bildende Wirkung positiv-generalpräventiv ausgerichteter Strafgesetze findet schließlich ebenfalls Bestätigung, wenn man den Blick von den theoretischen Konzepten positiver Generalprävention auf die kommunikativen Mechanismen entsprechender Gesetze lenkt198. Zwar lassen es diese Mechanismen in einem ersten Schritt noch denkbar erscheinen, dass den Normadressaten auch ein Verständnis solcher (jedoch wertungswiderspruchsfrei formulierter199) Wert- und Unrechtsvorstellungen vermittelt werden kann, die zuvor noch nicht vorhanden waren: Zu diesem Zweck verböte der Gesetzgeber eine Verhaltensweise, an deren Beispiel er die zu vermittelnden Wert- und Unrechtsvorstellungen verdeutlichen möchte, unter Strafandrohung. Jene gesetzgeberische Stellungnahme, dass das benannte Verhalten nunmehr einen bestimmten Unrechtsgehalt verwirkliche, weil es ein bestimmtes, nunmehr für schutzwürdig befundenes Rechtsgut verletze, könnte die Allgemeinheit, der das gesetzgeberische Wert- und Unrechtsurteil durch konkrete Strafanwendung wie abstrakte Strafandrohung kommuniziert würde, nachvollziehen. Um die positivgeneralpräventiv erstrebte Einsicht des Adressaten hervorzurufen (zu bilden) und mithin den übergeordneten Kommunikationszweck bzw. Lernerfolg zu verwirklichen, müsste die Allgemeinheit das derart Verstandene in einem zweiten Schritt jedoch noch in ihr eigenes Wert- und Unrechtsbewusstsein adaptieren. Dies wird sich nun ungleich schwieriger darstellen, wenn das Verstandene im bereits vorhandenen Bewusstsein der Normadressaten keine Entsprechung findet: Während derjenige Adressat, der die fraglichen Wert196  Durkheim, Arbeitsteilung, 158 m. Fn. 45; Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 169 f. m. Fn. 101. 197  Vgl. oben Kap. 3, Seite  200 f. [Abschn.  3, B. II. 3.]. 198  Zu jenen Mechanismen s. oben Kap. 3, Seite  212–223 [Abschn.  3, C. I.]. 199  Zur Wertungswiderspruchsfreiheit als positiv-generalpräventive Wirksamkeitsvoraussetzung s. oben Kap. 3, Seite  237–245 [Abschn.  3, D. II.].



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und Unrechtsvorstellungen bereits verinnerlicht hat, das Verstandene nur als Bestätigung des bereits von ihm Erkannten begreift und als solches anzunehmen bereit sein wird, wird der Adressat, für den diese Vorstellungen neu sind, eher geneigt sein, sie zu hinterfragen, und wird der Überzeugung bedürfen, um sie zu adaptieren. Das Recht selbst aber kann ihm als Überzeugungshilfe nur die spärlichen Informationen vermitteln, die aus der abstrakten Strafandrohung oder auch konkreten Strafanwendung hervorgehen: Eine bestimmte Verhaltensweise ist Unrecht, weil sie ein bestimmtes Rechtsgut verletzt und dieses Rechtsgut für schutzwürdig befunden wird. Darüber hinausgehende Erörterungen der Schutzwürdigkeit bzw. des Unrechtsgehalts vermittelt es nicht200. Für eine Bewusstseinsbildung in dem Sinne, dass noch nicht vorhandene Vorstellungen als verbindlich übernommen werden sollen, dürfte dies zu wenig der Information sein201. Jedenfalls dem positiv-generalpräventiv ausgerichteten Strafrecht kommt so gerade nicht die Aufgabe zu, „avantgardistisch Änderungen der Wertvorstellungen der Bevölkerung ein[zu]leiten“, sondern vielmehr die, auf bereits vorhandene Wertvorstellungen zu reagieren und selbige im Wege strafrechtlichen Schutzes zu bestätigen202. In den Worten Kaufmanns: „Das Strafrecht ist nicht dazu da und es taugt auch nicht dafür, das Terrain, das Theologen, Moralphilosophen, Standesethiker verloren haben, wieder zurückzugewin­ nen“203. Eine Bewusstseinsbildung, die noch nicht vorhandene Vorstellungen prägen und gegebenenfalls gar gegenläufige Wert- und Unrechtsvorstellungen überwinden will, liegt von vornherein nicht im Wirkungsbereich des Strafgesetzgebers, sodass ein gewisses „Recht zur Resignation“204 entgegen der Protestatio des BVerfG sehr wohl besteht. 200  Zu den eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten für eine direkte Kommunikation zwischen Recht und Allgemeinheit, die um eine weitergeleitete Kommunikation durch informelle Sozialisationsinstanzen ergänzt sein muss, vgl. oben Kap. 3, Seite  216–223 [Abschn.  3, C. I. 2.]. 201  Demgegenüber ist der Strafzweck der negativen Generalprävention nicht auf die Anerkennung („Einsicht“) seiner Adressaten angewiesen, sondern kann sich mit deren „Furcht“ begnügen, die keiner weiteren Überzeugung als die der Strafandrohung bedarf. Das Mittel der Strafandrohung kann so mit jedem beliebigen Verhalten gekoppelt werden, um im Wege nachzuahmender strafender Reaktion, klassisch konditionierter oder rational nachvollzogener „Furcht“ eine potenzielle Verhaltensneigung zu unterbinden und mithin einen so vorab noch nicht gezeigten Verhaltensverzicht herbeizuführen (zu „bilden“); vgl. dazu oben Kap. 3, Seite  223–233 [Abschn.  3, C. II.]. 202  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Günther, in: ders. / Keller, Fortpflanzungsmedizin2, 137 (140); in diesem Sinne auch Böckenförde-Wunderlich, PID, 233 f.; Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 119. 203  Zitat entnommen aus Kaufmann, in: Flöhl, Genforschung, 259 (266). 204  BVerfGE 39, 1 (66).

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b) Postnatale Entwicklungsstadien und die Eignung zur bestätigenden Bewusstseinsabbildung Demgegenüber wird man den §§ 218 ff. StGB im Anschluss an die Inhalte der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen durchaus die latente Zielsetzung zuschreiben können, den Wert des geborenen Menschen – der im allgemeinen Rechtsbewusstsein allgemein anerkannt ist – zu bekräftigen205. Denn liest man den Grundtatbestand des § 218 Abs. 1 StGB im Lichte der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese, erkennt man, wie sich der Gesetzgeber mittelbar auch gegen eine Relativierung der Schutzwürdigkeit des geborenen Menschen verwehrt, indem er das postnidative ungeborene Leben zum tatbestandlich geschützten Rechtsgut erhebt. Es ist eben jene Gefahr, die die Väter des Grundgesetzes seinerzeit zur ausdrücklichen Formulierung einer grundrechtlichen Garantie des Lebensrechts und der Menschenwürde motiviert hat: Niemals sollte sich eine Differenzierung von mehr oder weniger lebenswertem Leben, wie sie die deutsche Geschichte unter dem nationalsozialistischen Regime geprägt hat, neuerlich vollziehen können206. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die wiederholte Bezugnahme der Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen auf die jüngere deutsche Geschichte, der das BVerfG den Inhalt der auszulegenden grundrechtlichen Garantien entnimmt: „Dem Grundgesetz liegen Prinzipien der Staatsgestaltung zugrunde, sie [sic] sich nur aus der geschichtlichen Erfahrung und der geistig-sittlichen Auseinandersetzung mit dem vorangegangenen System des Nationalsozialismus erklären lassen. Gegenüber der Allmacht des totalitären Staates, der schrankenlose Herrschaft über alle Bereiche des sozialen Lebens für sich beanspruchte und dem bei der Verfolgung seiner Staatsziele die Rücksicht auch auf das Leben des Einzelnen grundsätzlich nichts bedeutete, hat das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet, die den einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt aller seiner Regelungen stellt. Dem liegt, wie das Bundesverfassungsgericht bereits früh ausgesprochen hat […], die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt, der die unbedingte Achtung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen, 205  Vgl. Leisner in NLpB, Recht auf Leben, 9 (51): „die Entscheidung für den Wert des ungeborenen Lebens [ist] ein Bekenntnis zu den elementaren Wertstrukturen unserer Verfassung überhaupt“; vgl. auch schon Ritter v. Liszt, Fruchtabtreibung / I, 88 m. § 36, der das Unrechtsurteil über die „Fruchtabtreibung“ bereits im Jahre 1910 nicht um der „Frucht“ willen formuliert sah, sondern mit „jener Rücksicht“ begründete, die „dem menschlichen Leben im allgemeinen“ gebührt. 206  Zur geschichtlichen Erfahrung Deutschlands als Ursprung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vgl. bereits oben Kap. 2, Seite  78 f. [Abschn.  1, B. I. 1. b) aa) (1)], 119 f. [Abschn.  1, C. III. 1.] u. 130 f. [Abschn.  2, C.]; entsprechend für Art. 1 Abs. 1 GG s. oben Kap. 2, Seite  114 f. [Abschn.  1, B. II. 2.].



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auch dem scheinbar sozial ‚wertlosen‘, unabdingbar fordert und der es deshalb ausschließt, solches Leben ohne rechtfertigenden Grund zu vernichten“207. Jene Geschichte ist es mithin, der das Gericht die Gleichwertigkeit eines jeden individuellen menschlichen Lebens entnimmt und die dafür streiten soll, eine den Grundrechtsstatus begründende Individualisierung spätestens mit der Einnistung in die mütterliche Gebärmutterschleimhaut, womöglich aber gar noch früher, anzunehmen. Weder Alter noch sonstige persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten sollen zum Anlass genommen werden können, um über das „Wie“ oder weitergehend gar über das „Ob“ einer Teilhabe am Schutz der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG zu entscheiden. Stattdessen soll jedes individuelle menschliche Leben – ungeachtet seiner Eigenschaften und Fähigkeiten – auf der Ebene der Verfassung wie des (in der Pflicht des Art. 1 Abs. 3 GG stehenden) einfachen Gesetzes einen gleichwertigen Schutz erfahren: Die Schutzwürdigkeit eines Menschen soll bereits seiner Existenz, nicht aber der Definition des Gesetzes folgen208. Mit dem Verhältnis von § 218 Abs. 1 StGB zu seinen Ausnahmetatbeständen vermag das Strafgesetzbuch nun wenigstens systematisch nach außen zu kehren, wie die Rechtsordnung „noch nicht einmal“ denjenigen Lebensschutz negiert, der sich vor der Geburt im Mutterleib vollzieht. Durch die Normierung eines Straftatbestandes des Schwangerschaftsabbruchs erkennt sie selbst dasjenige individuelle menschliche Leben als schutzwürdiges Rechtsgut an, das ohne Hilfsmittel nach außen hin noch gar nicht sichtbar und zumindest vor der 20. Woche p. c. jenseits seiner symbiotischen Verbindung mit der Schwangeren auch noch gar nicht lebensfähig ist. Systematisch zollt sie ihm grundsätzlich so diejenige Achtung, die das Grundgesetz dem Jedermann i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und dem Menschen i. S. d. Art. 1 Abs. 1 GG zuerkennt, und verlautbart an weiterer Stelle des Gesetzes, nunmehr symbolisch, wie sie zu einer Relativierung des absoluten Lebensschutzes nicht bereit ist: noch nicht einmal diesseits und erst recht nicht jenseits einer Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“209. Damit korrespondiert, dass das BVerfG die Frage nach der subjektiven Grundrechtsträgerschaft 207  BVerfGE 39, 1 (67); Fehler der zitierten Textstelle mit [sic] gekennzeichnet. Siehe auch BVerfGE 2, 1 (12). 208  Siehe oben Kap. 2, Seite  117 [Abschn.  1, B. III.] u. 119 f. [Abschn.  1, C. III. 1.]. 209  Auf den spezifischen Einfluss der jüngeren deutschen Geschichte ist auch in anderem Zusammenhang – anlässlich eines Verbots der Forschung mit embryonalen Stammzellen durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) sowie einer zurückhaltenden Regelung des Imports embryonaler Stammzellen durch das Stammzellgesetz (StZG) – hingewiesen worden, so etwa durch den israelischen Gynäkologen Itskovitz, der nach eigenem Bekunden „aufgrund der deutschen Geschichte Verständnis für das strenge Verfahren“ hat; Goldmann, SBZ v. Weihnachten 2002, 4.

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des Ungeborenen seinerzeit offen gelassen und seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen allein dessen Teilhabe am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG zugrunde gelegt hat210. Entgegen ihrer Verlautbarung ist es nicht der individuelle Schutz des jeweiligen Embryos oder Fetus, der die Rechtsordnung tatsächlich beschäftigt und den sie in der Folge auch durch die Anerkennung einer subjektiven Grundrechtsträgerschaft abzusichern suchte. Gefördert werden soll stattdessen ein Bewusstsein vom hohen Wert des menschlichen Lebens an sich, das die Gesellschaft von den §§ 218 ff. StGB auf den Schutz des geborenen Menschen transferieren kann und dessen Herstellung einer subjektiven Grundrechtsträgerschaft des Embryos oder Fetus nicht bedarf211. 2. Das Alibi von der „Ausnahme“ in den Absätzen 1 und 2 des § 218a StGB

In der Intention, den Anschein einer unterschiedlichen Wertigkeit des individuellen menschlichen Lebens zu vermeiden, bezieht die Verfassungsrechtsprechung also auch die pränatale Phase des menschlichen Lebens in den objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG ein – wohl wissend, dass sich eine einfachgesetzliche Umsetzung dieser postulierten Schutzwürdigkeit jedenfalls auf dem Gebiet der Abtreibungsgesetzgebung nicht vollständig wird realisieren lassen. Eine gleichwertige Teilhabe des postnidativen ungeborenen Lebens an Lebensrecht und Menschenwürdegarantie, die sich auch in der Kollision mit Rechten der Frau behaupten kann – dies erfuhr in der Gesellschaft noch nie einhellige Anerkennung und vermochte der Gesetzgeber nie zu bewirken, wie die Geschichte der Abtreibungsgesetzgebung eindrucksvoll dokumentiert hat: „Auch unterschiedliche Formen eines weitgreifenden strafrechtlichen Schutzes für das ungeborene Leben auf der normativen Ebene – sei es die strenge Abtreibungsregelung des § 218 StGB 1871, unter der die Rechtsprechung nur eine enge medizinische Indikation anerkannte, sei es die differenzierte Indikationenregelung seit 1976 – haben nicht zu verhindern vermocht, daß Abtreibung eine Massenerscheinung gewesen und geblieben ist“212. Angesichts 39, 1 (41 f.); s. dazu auch Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 136. 211  Vgl. Merkel, der eine Solidaritätspflicht gegenüber dem Embryo nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch zur Wahrung der „wesentlichen Konturen unseres Menschenbildes“ anerkennt; Merkel, ZfL 2008, 38 (42). 212  BVerfGE 88, 203 (265). Zur Ubiquität des Schwangerschaftsabbruchs in verschiedenen Gesellschaften s. Augsberg, in: Weilert, Spätabbruch, 271 (281); weitergehend Boltanski, Soziologie der Abtreibung, 35–42. Zur Geschichte der Schwangerschaftsabbruchsvorschriften: v. Behren, Geschichte des § 218; Böckenförde‑Wunderlich, PID, 231 f.; Henking, Wertungswidersprüche, 113–124; Wirth, Spätabtrei210  BVerfGE



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dessen hatte sich das BVerfG schon anlässlich seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung vorhalten lassen müssen, dass eine „vollständige Verwirklichung des Schutzes des werdenden Lebens an die Grenzen des rechtlich Durchsetzbaren [stieße]“213. Die „soziale Wirklichkeit“ sei „von den Rechtsnormen so weit entfernt […], daß diese kaum noch eine Wirkung ausüben können“214. Sucht der Gesetzgeber den Wert des geborenen Menschen gleichwohl auch jenseits der §§ 211 ff., 222 StGB durch die Abtreibungsgesetzgebung zu bekräftigen, muss seine diesbezügliche Zielsetzung also verschiedentlich durch eine Alibigesetzgebung ergänzt werden, die über das Defizit an gesetzgeberischer Bewirkungspotenz hinwegzutäuschen vermag. In diesem Sinne erhebt der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs das postnidative ungeborene Leben – im Anschluss an die Gleichwertigkeitsthese – zum schutzwürdigen Rechtsgut und demonstriert eine diesbezügliche Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers, während die nachfolgenden Ausnahmetatbestände des § 218a StGB aber unterschiedlich so formuliert sind, dass der grundsätzlich verbotene Schwangerschaftsabbruch zur Regel werden kann215. Dabei hat sich diese Kluft zwischen „sozialer Wirklichkeit“ und einer – insbesondere der jüngeren deutschen Geschichte geschuldeten – verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese sicherlich besonders eindringlich in den Sachverhalten des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs aufgetan, in denen Frauen für sich beanspruchen, eine ungewollte Schwangerschaft auch dann beenden zu dürfen, wenn sie sich gerade nicht auf die Gefahren einer medizinisch-sozialen oder kriminologischen Indikationenlage berufen können und über die Verantwortbarkeit ihrer Beweggründe selbst befinden wollen statt sie in staatlicher Verantwortung überprüft zu wissen. Eine Tötung individuellen menschlichen Lebens, deren Gründe nicht hinterfragt werden dürfen, soll sich dem Strafvorwurf der Rechtsordnung entziehen. Tiefer könnte eine Kluft nicht sein, die sich zwischen einer „sozialen Wirklichkeit“ einerseits und dem postulierten absoluten Lebensschutz andererseits auftut, und ähnlich weit reicht sodann auch der „Spagat“, den die geltende Rechtsordnung mit der eigentümlichen Figur des Tatbestandsausschlusses, ihrem gleichzeitigen Festhalten am Rechtswidrigkeitsurteil und dem Entwurf eines Beratungskonzeptes unternehmen muss, um jene Kluft bung, 6–9; ausführl. Spieker, Kirche und Abtreibung2, 15–105; speziell zur Gesetzgebung von 1870 bis 1945: Koch, Schwangerschaftsabbruch. 213  So die Begr. des Antrags auf verfassungsrechtliche Überprüfung des § 218a StGB in der Fassung des 5.  StrRG; zsfd. BVerfGE 39, 1 (21). 214  So die Vorbem. vor § 105 AE 1970; Baumann et al., AE StGB, BesT / 1, 25; zsfd. BVerfGE 39, 1 (10). 215  Siehe dazu zsfd. oben Kap. 5, Seite  531 ff. [Abschn.  4, A.], u. Kap. 6, Seite  667 ff. [Abschn.  3].

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

zu kaschieren und über die Grenzen der eigenen Handlungsfähigkeit hinwegzutäuschen. Weniger weit muss ihr „Spagat“ reichen, wenn die einen Abbruch begehrende Frau von einer medizinisch-sozialen oder gar genuin medizinischen Indikationenlage betroffen ist und die rechtfertigende Gefahrenprognose überdies einem Dritten überlässt, der sie in staatlicher Verantwortung formuliert. Denn ist nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Frau nach deren höchstpersönlicher Einschätzung durch die ungewollte Schwangerschaft gefährdet, sondern stehen nach dem Urteil eines Dritten ihr Leben oder schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen in Frage, unterliegen die Rechtsgüter der Frau dem postnidativen ungeborenen Leben zumindest nicht wesentlich und können ihm prima facie in einem Rechtfertigungsgrund gegenübergestellt werden. Das systematische Verhältnis der §§ 218 Abs. 1 und 218a Abs. 2 StGB vermag so in Anlehnung an das Verhältnis der §§ 212 Abs. 1 und 34 StGB formuliert werden: Dem postnidativen ungeborenen Leben scheint die Rechtsordnung ihren vorrangigen (tatbestandlichen) Schutz zu gewähren und nimmt ihn vorgeblich nur dann zurück, wenn rechtfertigende Merkmale dies ausnahmsweise erlauben216. Dergestalt durch eine Verwandtschaft mit § 34 StGB kaschiert, vermag § 218a Abs. 2 StGB die Tötung eines an der Gefahrentstehung unbeteiligten217 (ungeborenen) Eingriffsadressaten sodann ihrer Rechtfertigung zuzuführen, dies überdies in einer vertatbestandlichten Art und Weise218 und zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die rechtfertigende Indikationenlage noch nicht zu einer gegenwärtigen Gefahr verdichtet hat219. Während sie nach außen hin den Anschein einer nur ausnahmsweisen Rechtfertigung wahrt, mutet es die Rechtsordnung einer Frau tatsächlich nicht zu, ob der Schwangerschaft ihr eigenes Leben auf das Spiel zu setzen oder wenigstens eine schwere Gesundheitsbeeinträchtigung hinzunehmen – ein Ansinnen, das unter Umständen ihre Bewirkungspotenz überstiege, wenn sich betroffene Frauen anderweitig einen Weg aus ihrer Konfliktlage suchten, indem sie den gefahrbegründenden Zustand der Schwangerschaft etwa im Ausland oder, schlimmer noch, im Schatten der Illegalität beendeten.

216  Siehe oben Kap. 5, Seite  531–533 [Abschn.  4, A.]; vgl. auch Wetz, in: Kettner, Biomedizin, 221 (222), wenn er ausführt, wie auf dem Gebiet von Bioethik und Biopolitik „das ‚kategorische Nein, weil …‘ in ein ‚gemäßigtes Ja, aber …‘ verwandel[t]“ wird. 217  Siehe oben Kap. 5, Seite  503 [Abschn.  3, B. I. 4.]. 218  Siehe oben Kap. 5, Seite  340 f. [Abschn.  2, A. IV.] u. 436–442 [C.]. 219  Siehe oben Kap. 5, Seite  445–461 [Abschn.  3, A. I.].



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3. Dilatorische Formelkompromisse jenseits der genuin medizinischen Indikation

Aber nicht nur die Kluft zwischen „sozialer Wirklichkeit“ und dem Anspruch an einen absoluten Lebensschutz hat ein Gesetzgeber zu überwinden, der den Wert des geborenen Menschen unterstützend durch die Abtreibungsgesetzgebung zu bekräftigen sucht. Wenigstens jenseits der genuin medizinischen Indikation, die „spätestens seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 11.  März 1927 (RGSt 61, 242)“220 in allen Gesetzesfassungen Anerkennung erfahren hat, sieht sich der Gesetzgeber auf dem Gebiet des Ungeborenenschutzes überdies mit einer andauernden Diskussion um die Wertigkeit des ungeborenen Lebens und das durch dessen Tötung verwirklichte Unrecht konfrontiert, in der sich diametral gegensätzliche Positionen begegnen und zu verhärten drohen. Soweit diese Diskussion den Ungeborenenschutz in vivo (im Mutterleib) und mit ihm die Rechtmäßigkeit der Abtreibung betrifft, bilden die Sachverhalte des nach heutigem Recht nicht in­ dizierten Schwangerschaftsabbruchs das Zentrum besagter Streitigkeiten: Angefangen mit der Frauenbewegung der 1970er Jahre ist höchst unterschiedlich beurteilt worden, ob und inwiefern auch in solchen Sachverhalten auf einen Strafvorwurf – oder weitergehend gar auf den Vorwurf der Rechtswidrigkeit – verzichtet werden soll, in denen die Frau (anstelle eines in staatlicher Verantwortung handelnden Dritten) nur eine Beeinträchtigung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die ungewollte Schwangerschaft geltend macht. a) In der Tatbestandslösung nach § 218a Abs. 1 StGB und den §§ 219 StGB, 5 SchKG In Reaktion auf diese divergenten Ansichten zum Schwangerschaftsabbruch jenseits einer verdichteten Gefahrenlage formuliert § 218a Abs. 1 StGB so nicht nur das referierte „Alibi“ des Gesetzgebers, sondern ist zusätzlich noch mit dem „Stempel des Kompromisses“221 versehen: Innerhalb eines Konzeptes, das die symbolische Gesetzgebung nicht nur auf normativ 220  BVerfGE

39, 1 (6). nach Schulz, StV 1994, 38 (38). Zum „kompromisshaften Charakter“ des § 218a StGB s. etwa auch Duttge / Bernau, ZfL 2009, 42 (46); Maurach / Schroe­ der / Maiwald, BesT / 110, § 5, Rn. 22; ähnl. Hermes / Walther, NJW 1993, 2337 (2337); Schroeder, ZRP 1992, 409 (410); Seibel, Probleme, 20; vgl. auch Heitzmann, Rechtsbewusstsein, 247, zu einer Rechtswidrigkeitsklausel, die „[i]n der rechtskritischen Öffentlichkeit […] vor allem als eine Kompromisslösung für die politisch sehr strittige Gesetzgebung angesehen [wird]“. Den Begriff des „Formelkompromisses“ verwendet explizit Dreier, ZRP 2002, 377 (380); bereits auf die Notlagenindikation früheren Rechts hat ihn Frommel, ZRP 1990, 351 (354), bezogen. 221  Begriff

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unwirksame Regelungen beschränkt, sondern auch ineffektive Vorschriften in ihren Anwendungsbereich einbezieht222, findet sich dort geradezu lehrbuchhaft ein dilatorischer Formelkompromiss formuliert, der die Entscheidung des Streits um die nicht indizierte Abtreibung auf unbestimmte Zeit verschiebt, mithin Abtreibungsgegnern wie ‑befürwortern gerecht zu werden sucht und die divergenten politischen Gruppen als eine vermeintlich kohärente Gruppierung darstellt. Den Wert- und Unrechtsvorstellungen der Abtreibungsgegner, die sich bereits durch die Verlautbarung der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese bestätigt fühlen können, leistet der Gesetzgeber dabei Genüge, indem er in § 218 Abs. 1 StGB ein grundsätzliches Verbot der postnidativen Ungeborenentötung normiert und das postnidative ungeborene Leben zum primär geschützten Rechtsgut erhebt223. Soweit er dieses Verbot mit der Figur des Tatbestandsausschlusses in § 218a Abs. 1 StGB sogleich wieder weitgehend außer Kraft setzt224, sucht er dies unter Hinweis auf ein Beratungskonzept zu erklären, das vorgibt, in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis einen wirksamen Ungeborenenschutz durch „Hilfe statt Strafe“ verwirklichen zu wollen225. So lautet jedenfalls die Protestatio, die die Tatbestandslösung als sachlich begründete Ungleichbehandlung des postnidativen ungeborenen Lebens ausweist. Tatsächlich aber vermag das zur sachlichen Begründung bemühte Beratungskonzept bereits diejenigen Voraussetzungen nicht zu erfüllen, die die Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen für seine Eignung, einen wirksamen Ungeborenenschutz zu verwirklichen, formuliert hatten: Weder im Strafgesetzbuch noch in Gesamtrechtsordnung, Statistik und Rechtsprechung findet sich ein Hinweis auf eine angeblich fortbestehende Rechtswidrigkeit des nicht indizierten Abbruchs, die ein lebensschützendes Unrechtsbewusstsein befördern könnte226. Ebenso wenig ist die Konfliktberatung nach den sie bestimmenden gesetzlichen Vorgaben und ihrer konkreten Umsetzung in der Praxis auch nur darauf ausgerichtet, den ihr zugeschriebenen Zweck des Ungeborenenschutzes zu verwirklichen227. Was letztlich – bar der sachlichen Begründung und stattdessen getragen vom persönlichen Grund einer gesteigerten Geringschätzung des postnidativen ungeborenen Lebens in den ersten zwölf Wochen nach der 222  Siehe

oben Seite  789–792 [A. II. 1.]. Seibel, Probleme, 20. 224  Siehe dazu ausführl. Kap. 6, Seite  559–562 [Abschn.  1, C. III.]. 225  Siehe oben Seite  763 f. [Abschn.  1, A. I. 3.] u. ausführl. Kap. 6, Seite 565–573 [Abschn.  2, A.]. 226  Siehe oben Seite  763 f. [Abschn.  1, A. I. 3.] u. ausführl. Kap. 6, Seite  619 f. [Abschn.  2, B. I. 5.], 656 f. (ebda., B. III.] u. 664–666 [ebda., D.]. 227  Siehe oben Seite  763 f. [Abschn.  1, A. I. 3.] u. ausführl. Kap. 6, Seite 623–656 [Abschn.  2, B. II.], 656 f. (ebda., B. III.] u. 664–666 [ebda., D.]. 223  Vgl.



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Empfängnis – bleibt, ist eine gesetzliche Regelung, die dem Abbruchsverlangen der Frau in § 218a Abs. 1 StGB die Kraft einer tatbestandlichen Unerheblichkeitserklärung zumisst und das Unrecht des Schwangerschaftsabbruchs im Ergebnis so unter eine auflösende Wollensbedingung stellt228. Befürworter der Abtreibung können sich hierdurch in solchen – in einen Widerspruch zur verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese tretenden  – Wert- und Unrechtsvorstellungen bestätigt sehen, nach denen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau der Vorrang vor dem postnidativen ungeborenen Leben gebührt229. Wenn man in diesem Zusammenhang von einem „Etikettenschwindel“230 spricht, der die Regelung des nicht indizierten Abbruchs prägt, bildet eine angebliche Wertschätzung des postnidativen ungeborenen Lebens und das dieser Wertschätzung folgende postulierte Unrechtsurteil also das „Etikett“, mit dem die Rechtsordnung den nicht indizierten Abbruch versieht, um im Streit um die nicht indizierte Abtreibung dem Werte- und Unrechtsbewusstsein ihrer Gegner zu entsprechen. Tatsächlich aber ist mit jenem „Etikett“ eine Regelung versehen, die in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis die Rechtsgüter der Frau anstelle des postnidativen ungeborenen Lebens garantiert und die nicht indizierte Abtreibung mithin in einem Umfang zulässt, wie ihn die Befürworter der Abtreibung für rechtens empfinden. In der Folge verwundert es auch nicht, dass der Gesetzgeber diesen „Etikettenschwindel“ in den §§ 219 StGB und 5 SchKG fortgesetzt hat: Während das Hauptgesetz in § 219 StGB solche abstrakt-generellen Vorgaben an die Konfliktberatung richtet, die dem postulierten Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens dienen sollen, formuliert der Gesetzgeber im Schwangerschaftskonfliktgesetz solche Vorschriften, die diese lebensschützende Ausrichtung sogleich wieder relativieren und ihren Fokus an deren Stelle auf die Selbstbestimmung der beratenen Frau verlagern. Jene Kombination von „Etikett“ und „Schwindel“ ist es, die Gegner wie Befürworter des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs unter einem gemeinsamen, durch die §§ 218 Abs. 1 und 218a Abs. 1 StGB wie durch die §§ 219 StGB und 5 SchKG formulierten Dach zu vereinigen sucht. Dabei war von Anfang an wissenschaftlich wie rechtspolitisch umstritten, ob das in § 218a Abs. 1 StGB normierte Beratungskonzept seine Schutzwirkung würde entfalten können231. Auch im Hinblick darauf hatte das BVerfG 228  Vgl. Tröndle, NJW 1995, 3009 (3010), u. oben Kap. 6, Seite  559–562 [Abschn.  1, C. III.]. 229  In diesem Sinne auch Seibel, Probleme, 20 f.; vgl. außerdem oben Kap. 6, Seite  667–669 [Abschn.  3]. 230  Dreier, ZRP 2002, 377 (380). 231  BVerfGE 88, 203 (269).

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den Gesetzgeber dazu verpflichtet, die Auswirkungen seines neu erwählten Schutzkonzeptes im Auge zu behalten und auf die Beseitigung etwaiger Mängel durch die Änderung oder Ergänzung bestehender Vorschriften hinzuwirken: Sollte sich „nach hinreichender Beobachtungszeit heraus[stellen], daß das Gesetz das von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht zu gewährleisten vermag“, sei „der Gesetzgeber verpflichtet, durch Änderung oder Ergänzung der bestehenden Vorschriften auf die Beseitigung der Mängel und die Sicherstellung eines dem Untermaßverbot genügenden Schutzes hinzuwirken (Korrektur- oder Nachbesserungspflicht)“232. Diese Verpflichtung folge auch daraus, „daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen grundsätzlich gehalten ist, die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes sobald als möglich zu beseitigen“233, so unter anderem, wenn „sich die beim Erlaß des Gesetzes verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung seiner künftigen Wirkungen später als ganz oder teilweise falsch erweist“234. Die Mängel der Tatbestandslösung sind im vorangegangenen sechsten Kapitel nun ausführlich dargelegt worden; ebenfalls ist darauf hingewiesen worden, wie jene sich statistisch in andauernd hohen Abtreibungszahlen niederschlagen, nach denen insbesondere der nicht indizierte Schwangerschaftsabbruch rund 97 % aller registrierten Abbrüche ausmacht235. Gleichwohl die Versuche des Gesetzgebers, dem nach heutiger Rechtslage nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch (§ 218a Abs. 1 StGB) Herr zu werden, mithin fruchtlos geblieben sind, ist eine Nachbesserung bis heute unterblieben236. Auch dies bestätigt die vorliegend getroffene Einschätzung, dass es dem Gesetzgeber in § 218a Abs. 1 StGB vor allem anderen um die Beschwichtigung gegensätzlicher Wertvorstellungen durch die Formulierung eines dilatorischen Formelkompromisses geht: Denn dessen Wirkung ist gar nicht darauf angewiesen, empirisch nachvollziehbare Folgen für den Rechtsgüterschutz des 232  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 88, 203 (309); weitergehend zu einer „Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht“ ebda., 269 sowie 310 f.; s. außerdem Hillenkamp, in: Müller et  al., FS-Eisenberg, 301 (306 f. u. 312 f.). 233  BVerfGE 88, 203 (309); vgl. auch BVerfGE 15, 337 (351). 234  BVerfGE 88, 203 (310); vgl. auch BVerfGE 50, 290 (335 u. 352); 56, 54 (78 f.); 73, 40 (94). 235  Siehe oben Kap. 6, Seite  615 [Abschn.  2, B. I. 3.]. 236  Siehe dazu bereits oben Kap. 6, Seite  666 [Abschn.  2, D.] u. Stat. Bundesamt, Schwangerschaftsabbrüche 2012, 10; abweichende Einschätzung bei Hillenkamp, in: Müller et  al., FS-Eisenberg, 301 (318 f.), der sich diesbzgl. augenscheinlich mit „Nachfragen, Antworten und Vorschlägen“ zufrieden geben kann und in der neu entflammten Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik – der zwischenzeitlich in die Normierung des § 2a SchKG gemündet ist – eine echte Nachbesserung erkennen will (anders als vorliegende Untersuchung, die hierdurch nur den Etikettenschwindel der §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 1 StGB innerhalb der Indikationenlösung fortgesetzt sieht; dazu sogleich auf Seite  821–825 [b)]); ähnl. Rohrer, Menschenwürde, 292.



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Embryos oder Fetus zu entfalten, sodass es auch diesbezüglicher Nachbesserungen nicht bedarf. b) In der eher sozialen („embryopathischen“) Indikation nach den §§ 218a Abs. 2 StGB, 2a SchKG In neuerer Zeit sind entsprechende Uneinigkeiten wieder aufgekommen, als zunächst eine Neuregelung der Sachverhalte des Spätabbruchs, sodann eine Reform des – ehemals „embryopathisch“ indizierten – Schwangerschaftsabbruchs versucht wurde. Mit dem Spätabbruch hatte sich die Diskussion zunächst bezüglicher solcher Sachverhalte entfacht, in denen sich der Schwangerschaftsabbruch gegen einen abstrakt extrakorporal lebensfähigen Fetus richtet237. Ihr fortschreitender Verlauf offenbarte jedoch einen weitergehenden Regelungsbedarf, den man zwar nach eigenem Bekunden ausdrücklich nicht für die gesamte Abtreibungsgesetzgebung bejahen wollte: „Die Schlachten der 80er- und 90er-Jahre müssen Gott sei Dank nicht erneut geführt werden; denn niemand, der einen der Gesetzentwürfe unterstützt, will den erreichten Kompromiss zum § 218 StGB in irgendeiner Form infrage stellen“238. Man zeigte sich jedoch bereit, an dem „erreichten Kompromiss“ insofern zu rühren, als ein Regelungsbedarf für diejenigen Schwangerschaftsabbrüche anerkannt wurde, die gemäß § 218a Abs. 2 StGB wegen einer pränatal diagnostizierten Schädigung des Ungeborenen und mithin zur Lösung eines prospektiven Konflikts aus dem Leben mit einem behinderten geborenen Kind vorgenommen werden; dies ungeachtet des Entwicklungsstadiums, in dem sich der betroffene Fetus befindet239. So 237  Siehe dazu Wiebe, ZfL 2008, 83 m. verschied. Nw. aus der Tagespresse; s. außerdem etwa Hebel, Koalitionszoff, Spiegel-Online v. 24.11.2008. Zur Übersicht über die Diskussion s. ferner Schreiber, in: Görgen et  al., FS-Kreuzer / 22, 747 (750–758); Spieker, in: Büchner / Kaminski, Lebensschutz, 86 (97–102). Zur abstrakten extrakorporalen Lebensfähigkeit s. bereits oben Kap. 4, Seite  280 f. [Abschn.  3, A. II. 1. c)] m. w. N. Zu weiteren Vorschlägen aus den früheren Jahren, die Erscheinung des Spätabbruchs einzudämmen, s. bereits oben Kap. 5, Seite  335 f. [Abschn.  2, A. II. 2. a)]; ebda., Seite  454–460 [Abschn.  3, A. I. 2. d) bb)]; ebda., Seite  536 f. [Abschn.  4, B.]. 238  Exemplarisch – und begleitet von einem fraktionsübergreifenden Beifall bei der SPD, der CDU / CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN – Renate Schmidt (SPD), BT-PlenProt 16 / 221, 24208 D. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Frommel, KritV 2009, 181 (186), wenn sie von „liberale[n] Zwischenlösungen“ spricht, „mit denen jeder leben kann“, und abschließend feststellt: „Nur auf Nebenschauplätzen wird noch gestritten“. 239  Vgl. BT-PlenProt 16 / 221, 24193 A ff.; Kreienberg / Ludwig, 125 Jahre DGGG, 23. Zur eher sozialen, ehemals „embryopathisch“ genannten Indikation des § 218a Abs. 2 StGB s. oben Kap. 5, Seite  313–316 [Abschn.  1, A.] u. Seite  394–409 [Abschn.  2, B. III.].

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mündete die Diskussion schließlich am 26.08.2009 – nachdem verschiedenen anderen Versuchen von Bundestag und Bundesregierung kein Erfolg beschieden gewesen war240 – in ein Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKGÄndG)241. Seit seinem Inkrafttreten am 01.01.2010242 normiert § 2a Abs. 1 SchKG nun das Angebot einer besonderen, freiwilligen und ergebnisoffenen Beratung, wenn „nach den Ergebnissen von pränataldiagnostischen Maßnahmen dringende Gründe für die Annahme [sprechen], dass die körperliche oder geistige Gesundheit des Kindes geschädigt ist“. Zu dessen Wahrnehmung sind die betroffenen Frauen jedoch nicht verpflichtet, wie in § 2a Abs. 3 SchKG erkennbar hervortritt, wenn die Vorschrift ebenda eine schriftliche Bestätigung der Schwangeren über den „Verzicht“ auf Beratung erwähnt. Konfrontiert mit Sachverhalten, in denen neuerlich keine Verdichtung zu einer genuin medizinischen Indikationenlage eingetreten ist (stattdessen eine pränatal diagnostizierte Auffälligkeit des Fetus die seelische Gesundheit der Frau gefährden soll243), hat die Diskussion wohl nicht zufällig in der Normierung einer Beratungspflicht – wie sie ähnlich auch für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch formuliert worden ist – ihr (vorläufiges) Ende gefunden. Insofern treten die Parallelen zum Beratungskonzept des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs (§ 218a Abs. 1 StGB) nicht nur in einem behaupteten entsprechenden Beratungsbedürfnis zu Tage, wenn der Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218a Abs. 1 StGB zur Lösung prospektiver sozialer und psychischer Konfliktlagen aus dem späteren Leben mit einem ungewollten Kind, derjenige nach Pränataldiagnostik gemäß § 218a Abs. 2 StGB zur Lösung prospektiver Konflikte aus dem späteren Leben mit einem behinderten Kind vorgenommen wird244. Vielmehr ist man in den §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 1 und 219 StGB, ebenso wie in den §§ 218 Abs. 1, 218a Abs. 2 StGB mit einer im Hauptgesetz normierten symbolischen Botschaft konfrontiert, die das Nebengesetz – nämlich in § 5 SchKG einerseits, § 2a SchKG andererseits – eilfertig wieder relativiert. Für den nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch nach der Tatbestandslösung: Während das Hauptgesetz zur Regelung des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs in § 218 Abs. 1 StGB ein Verbot der Tötung des Ungeborenen statuiert sowie für § 218a Abs. 1 StGB ein Rechtswidrigkeitsverdikt und eine strenge Ausrichtung der Pflichtberatung am Ungeborenenschutz (§ 219 StGB) ver240  Vgl.

dazu etwa BT-Drs. 13 / 5364; 14 / 1045; 14 / 9030; 15 / 3948; 15 / 4148. Nr. 58 v. 14.09.2009, 2990. 242  Art. 2 des SchKGÄndG. 243  Siehe oben Kap. 5, Seite  313–316 [Abschn.  1, A.]. 244  In diesem Sinne sieht sich auch Wiebe, ZfL 2008, 83 (83), durch eine Pflichtberatung vor Spätabtreibungen an die Beratungsregelung des § 218a Abs. 1 StGB erinnert. 241  BGBl. I,



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lautbart, normiert § 5 SchKG im Nebengesetz solche Vorgaben an die Beratung, die deren Ausrichtung am Ungeborenenschutz durch die Hervorhebung von Ergebnisoffenheit und Freiwilligkeit der Beratung sogleich wieder relativieren245. Entsprechend lässt das Strafgesetzbuch den pränataldiagnostisch motivierten Abbruch am tatbestandlichen Verbot des § 218 Abs. 1 StGB teilhaben und nimmt das hierdurch indizierte Rechtswidrigkeitsurteil vermeintlich nur in Ausnahmefällen zurück, wenn nämlich die pränatal diagnostizierte fetale Auffälligkeit eine medizinisch-soziale (eher soziale, ehemals „embryopathisch“ genannte) Indikationenlage i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB herbeiführt. Jene symbolisch nur ausnahmsweise gewährte Rechtfertigung wird nun nicht nur durch die vertatbestandlichte Formulierung der rechtfertigenden Merkmale des § 218a Abs. 2 StGB in ihr Gegenteil verkehrt. Mit der Einführung des § 2a in das SchKG, der für einen so motivierten Abbruch nunmehr ausdrücklich eine (freiwillige und ergebnisoffene) Beratung regelt, sieht sich die medizinisch-soziale Indikation bei auffälligem Befund der Pränataldiagnostik durch das Nebengesetz fast schon ausdrücklich zur „Selbstindikation“ degradiert. Denn insofern knüpft § 2a SchKG nicht etwa an einen nach ärztlicher Erkenntnis bereits anderweitig für indiziert erklärten Abbruch an und will der Schwangeren nur eine umfassende Entscheidungsgrundlage für ihre Einwilligung bereiten, was sachlich mit den Grundsätzen der aufgedrängten Nothilfe erklärt werden könnte246. Vielmehr soll der Schwangeren eine informierte Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob sie aus dem in Aussicht getretenen Leben mit einem behinderten Kind überhaupt die Gefahr einer schwer wiegenden Beeinträchtigung für ihren Gesundheitszustand besorgt. Damit gelangt schließlich zum Ausdruck, wie nicht erst die Einwilligung in einen indizierten Abbruch, sondern bereits das Urteil über die Voraussetzungen einer rechtfertigenden Indikationenlage der Selbstbestimmung der betroffenen Frau überantwortet sein soll247. In vergleichender Gegenüberstellung mit § 5 SchKG wird die Ergebnisoffenheit der Beratung dabei noch nicht einmal einer widerstreitenden Vorgabe des Ungeborenenschutzes gegenüber gestellt248; stattdessen fokussiert sich die Formulierung des § 2a SchKG ganz darauf, den Bedürfnissen der beratenen Frau gerecht zu werden. Dass § 2a SchKG das Selbst245  Siehe

oben Kap. 6, Seite  624–635 [Abschn.  2, B. II. 1.]. dass die von § 218a Abs. 2 StGB vorausgesetzte Schwangereneinwilligung nach den Grundsätzen zur aufgedrängten Nothilfe sachlich begründet werden kann, s. oben Kap. 5, Seite  316–329 [Abschn.  1, B.]. 247  In diesem Sinne auch Büchner, ZfL 2009, 38 (41 f.); Zustimmung erfährt eine solche – nach der verfassungsgerichtlichen Postulatio überhöhte – Rücksichtnahme auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau durch Reich, BdiP 2011, 103 (111). 248  Anders § 5 SchKG in Abs. 1 S. 1 (Ergebnisoffenheit) und S. 4 (Zielorientierung am Ungeborenenschutz); s.  oben Kap. 6, Seite  626 f. [Abschn.  2, B. II. 1. b)]. 246  Dazu,

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bestimmungsrecht der Schwangeren in diesem Sinne dem Lebensschutz des Fetus überordnet, kehrt auch ausdrücklich in den Äußerungen der in den Gesetzgebungsprozess involvierten Bundestagsabgeordneten wieder. Zielsetzung der diskutierten Beratung sei, „dass die betroffenen Frauen eine Entscheidung fällen können, mit der sie später leben können“249. Eine „Freiheitsvorsorge“ soll betrieben werden: „Die Frauen können dadurch von ihrer Freiheit, von ihrem unantastbaren Selbstbestimmungsrecht besser Gebrauch machen, weil sie informierter sind“250. Nicht im Hauptgesetz, aber im Nebengesetz wird jetzt so kundgetan, wie die Rechtsordnung ein Recht der Schwangeren anerkennt, einem Leben mit einem behinderten Kind durch dessen Tötung zu entkommen, sofern die zur Tötung führende Einwirkung nur pränatal erfolgt; eine Botschaft, über die das Gesetz durch die (formale) Abschaffung der embryopathischen Indikationen zunächst ein verbales Schweigen gebreitet hatte, das es aus aktuellem Anlass zur Beschwichtigung einer neu entfachten Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch aber im Nebengesetz bricht251. Gegner wie Befürworter eines pränataldiagnostisch motivierten Abbruchs können sich durch diese neuerliche Art eines „Etikettenschwindels“ gleichermaßen befriedigt sehen: dessen Gegner, indem sie sich darauf berufen, wie ein solcher Abbruch systematisch nur in Ausnahme von der Regel des § 218 Abs. 1 StGB erfolgen kann; dessen Befürworter, indem sie zum einen die vertatbestandlichte Fassung des § 218a Abs. 2 StGB, zum anderen die in § 2a SchKG zutage tretende „Selbstindikation“ bemühen. Dass es § 2a SchKG mehr um die Schlichtung eines Streits denn um den Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens geht, tritt schließlich auch darin zutage, dass der Gesetzgeber für eine mögliche Beobachtung und Nachbesserung seines Gesetzes noch nicht einmal Vorsorge getroffen, sondern es im Gegenteil abgelehnt hat, die statistischen Erhebungsmerkmale für die Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen zu erweitern bzw. zu präzisieren252. Pointiert am 13.05.2009 in einer Sitzung des Deutschen Bundestages auf den Punkt gebracht: „Wir sind allerdings kritisch, was den Statistikteil des Gesetzent249  Kerstin

Griese (SPD); BT-PlenProt 16 / 221, 24197 A. Schmidt (SPD); BT-PlenProt 16 / 221, 24209 B. Zu einem Überblick über die verschiedenen Äußerungen im Bundestag s. Büchner, ZfL 2009, 38 (41). 251  Insoweit krit.: Czerner, ZRP 2009, 233 (236). 252  Büchner, ZfL 2009, 38 (42); Kreienberg / Ludwig, 125 Jahre DGGG, 23; krit. zum Vorbringen anderer Bedenken gegen eine erweiterte statistische Erfassung: Dolderer, Spätabbruch, 222 f. Man beachte jedoch die zwischenzeitliche Änderung des Formulars für die Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche, die aufgrund der Initiative der DGGG und BÄK mit Unterstützung des Bundesfamilienministeriums erfolgt ist; dazu Kentenich et al. (DGGG) v. 20.01.2010; Klinkhammer, Dt. ÄrzteBl. 2010, A-416. 250  Renate



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wurfs angeht, zumindest in Teilen. Wir wollen nämlich nicht, dass hier eine Plattform für weitere Diskussionen aufgemacht wird“253. III. Ein Seitenblick auf das Embryonenschutzgesetz Auf eine ähnliche Begründung des (mehr symbolischen) Schutzes des ungeborenen Lebens trifft man schließlich auch in vitro, wenn man die Vorschriften des am 01.01.1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetzes254 (ESchG) mit dessen verlautbarter Ratio, dem pränidativen Embryo in vitro Schutz zu gewähren, zu vereinbaren sucht. Mit dessen Erlass reagierte der Gesetzgeber auf die Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik in den späten 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, im Zuge derer extrakorporal erzeugte Embryonen erstmals zum Objekt medizinischer und wissenschaftlicher Tätigkeit wurden255. Während die grundsätzliche Zulässigkeit der In-vitro-Fertilisation bereits zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses allgemeine Zustimmung fand, sodass der Gesetzgeber des Embryonenschutzgesetzes diesbezüglich unschwer seine implizite Erlaubnis normieren konnte, hatte sich der Gesetzgeber im Übrigen erneut – nunmehr nicht für das ungeborene Leben im Mutterleib (in vivo), sondern für dasjenige im Reagenzglas (in vitro) – den andauernden und augenscheinlich nicht auflösbaren Dissensen über den Beginn schutzwürdigen menschlichen Lebens zu stellen256. Folgt man zunächst dem Titel des Gesetzes, scheint der Schutz des Embryos in vitro das zentrale Regelungsanliegen des Embryonenschutzgesetzes zu bilden. Jener erste Eindruck setzt sich fort, wenn man die Begründungen von Gesetzesentwurf wie Diskussionsentwurf hinzuzieht, die kundtun, dass „den objektiven Wertentscheidungen des Grundgesetzes zugunsten der Menschenwürde und des menschlichen Lebens in Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch für dieses [pränidative] Stadium schon Bedeutung“ zugemessen wird257. Ebenda manifestiert sich also selbst für pränidative Embryonen, sofern sie sich nur in vitro statt in vivo befinden, eine Verlautbarung des In253  Sibylle Laurischk (FDP); BT-PlenProt 16 / 221, 24203 D. Siehe dazu auch Büchner, ZfL 2009, 38 (42). 254  Gesetz zum Schutz von Embryonen v. 13.12.1990, BGBl. I, Nr. 69 v. 19.12.1990, 2746. Zum Inkrafttreten s.  § 13 ESchG. 255  Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, Vor § 1 Rn. 1; Taupitz, ebda., Einf. B Rn. 1. 256  Taupitz, in: Günther / Taupitz / Kaiser, ESchG, Einf. B Rn. 3 f. 257  Zitat entnommen aus der Begr. zum DE des ESchG v. 29.04.1986; nachzulesen in Günther / Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin2, Anhang I, 349 (352); [Klammerzusatz] nicht im Original. Vgl. weiterhin Begr. zum Entwurf des ESchG durch die BuReg v. 25.10.1989, BT-Drs. 11 / 5460; nachzulesen auch in Günther / Keller (Hrsg.), a. a. O., Anhang II, 363 (368).

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halts, dass sie in ihrem Leben wie in ihrer Würde den Schutz des Gesetzes erfahren sollen. Ob und wie diese Verlautbarung mit dem gesetzgeberischen Verzicht auf ein Verbot der Nidationsverhütung vereinbart werden kann, das für die pränidativen Entwicklungsstadien jenseits des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB eine gegenteilige Stellungnahme des Gesetzgebers transportiert258, ist nun eine Fragestellung, die vorliegende Untersuchung in ihrer Beschränkung auf den Ungeborenenschutz in vivo nicht leisten kann und will. Ihr genügt, wie die hier verwendete Überschrift zu erkennen gibt, stattdessen ein „Seitenblick“ auf das Embryonenschutzgesetz, der einen flüchtigen Eindruck davon vermitteln soll, wie sich auch in vitro eine Kluft zwischen den postulierten Zielsetzungen und tatsächlichen Wirkungen des Ungeborenenschutzes auftut. Denn insofern mutet nicht nur die Verlautbarung vom Zweck eines Lebensund Würdeschutzes bekannt an. Wie schon das Strafgesetzbuch, scheint vielmehr auch das Embryonenschutzgesetz in seinen einzelnen Vorschriften verschiedentlich gegen die eigene Verlautbarung zu verstoßen. So normiert es zwar diverse Schutzvorschriften, wie etwa ein Verbot der Erzeugung und Verwendung von Embryonen zu fremdnützigen Zwecken gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 6, Abs. 2 und § 2 ESchG. Zugleich verzichtet es jedoch auf die Normierung expliziter Tötungsverbote, ja mehr noch, verlangt es seinen Adressaten in Teilen gar die Tötung des angeblich für schutzwürdig erkannten Embryos ab259: So verbietet § 6 Abs. 2 ESchG etwa den Transfer eines verbotswidrig erzeugten Klons in den Mutterleib260, gleichwohl ein durch das Abspalten einer totipotenten Zelle erzeugter Klon unstreitig261, der durch Zellkerntransfer entstandene Klon weit überwiegend, als Embryo i. S. d. § 8 Abs. 1 ESchG anerkannt ist262. Eine entsprechende indirekte Tötungspflicht findet sich in § 7 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ESchG formuliert, soweit die Vorschrift eine Übertragung intraspezifischer (menschlicher) Chimären verbietet263. An258  Siehe

dazu ausführl. oben Kap. 7 (Seite  670–754). auch Frommel, KritV 2000, 341 (341 m. Fn. 2 u. 342 f.); Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (185); Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 127; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 7, Rn. 4; Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (556). 260  Darauf weisen etwa hin: Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 6 Rn. 22; Kutzer, MedR 2002, 24 (25); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 7, Rn. 4; Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (556); Taupitz, ebda., Einf. B Rn. 20. 261  Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, Einf. B Rn. 99; ders., ebda., § 2 Rn. 55. 262  Taupitz, in: Günther / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 8 Rn. 50 f. m. w. N.; krit. zur diesbzgl. weiten Auslegung des § 8 Abs. 1 ESchG etwa Advena-Regnery et al., ZmE 2012, 217 (223). 263  Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 7 Rn. 32; Maurach / Schroeder /  Maiwald, BesT / 110, § 7, Rn. 4. Soweit das Verbot hingegen die Übertragung von 259  Krit.



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gesichts dessen verwundert es dann auch nicht, wenn man im Embryonenschutzgesetz ein Verbot der Vernichtung pränidativer Embryonen in vitro vermisst: Jedenfalls für das passive Absterbenlassen der Embryonen formuliert das Gesetz keine Strafandrohung264, aber auch das aktive265 Wegschütten kann nach herrschender Meinung nicht unter die Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 ESchG subsumiert werden266. Ebenso hält das Gesetz zwar zur Vermeidung der Erzeugung sog. überzähliger Embryonen an267, verzichtet aber darauf, zu deren Lebenserhaltung – im Rahmen einer Embryonenadoption268 oder im Wege der Kryokonservierung269 – zu verpflichten. Unter Berücksichtigung all dessen wird vermehrt darauf hingewiesen, wie nicht etwa der verlautbarte Schutz des Embryos in vitro den Mittelpunkt des Embryonenschutzgesetzes bildet. An seine Stelle tritt das primäre Anliegen, befürchteten Missbräuchen im Bereich der Reproduktionsmedizin und Humangenetik vorzusorgen270, welches verschiedentlich ergänzt wird, etwa um einen Mensch-Tier-Mischwesen erfasst, vermag es sich aus deren fehlender Identität mit einem Embryo i. S. d. § 8 Abs. 1 ESchG erklären lassen; vgl. dazu Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 2 Rn. 15; Taupitz, a. a. O., § 8 Rn. 36; weiterführend Cullen, ZfL 2012, 76. 264  Gegen eine Verwirklichung des § 2 Abs. 1 ESchG durch Unterlassen etwa Giwer, PID, 40; Henking, Wertungswidersprüche, 84–86; Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 86 f. u. 108; Langer-Rock, Schutz, 143–145; Middel, PID, 49; Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (553 f.). 265  Unter Abstellung auf den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit (statt auf das äußere Erscheinungsbild) qualifiziert Schroth, NStZ 2009, 233 (236 f.), das Wegschütten jedoch als Unterlassen (statt positives Tun). 266  Langer-Rock, Schutz, 138 f., krit. a. a. O., 141 f. u. 165 f.; Middel, PID, 48; Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (556); aA Böckenförde-Wunderlich, PID, 137, relativierend a. a. O., 139 m. Fn. 132; Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 2 Rn. 30 u. 49. 267  § 1 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5, Abs. 2 ESchG; s. dazu etwa Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rn. 1 u. § 1 Abs. 2 Rn. 4; Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 80 f. (zu § 1 Abs. 1 Nr. 5). 268  Begr. zum Entwurf des ESchG durch die BuReg, BT-Drs. 11 / 5460, 8 f.; Antwort der BuReg auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 11 / 8925; Dt. Bundestag, Zur Sache 1 / 2002, 110 f.; Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 107 f.; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 508 f.; Taupitz, in: Günther / Taupitz / Kaiser, § 1 Abs. 1 Nr. 6 Rn. 6; Günther, ebda., § 2 Rn. 44. 269  Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 2 Rn. 45; Taupitz, ebda., Einf. B Rn. 78. 270  Rohrer, Menschenwürde, 222; Taupitz, in: Günther / Taupitz / Kaiser, ESchG, Einf. B Rn. 20 f.; vgl. auch Frommel, KritV 2000, 341 (341); Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (184); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 7, Rn. 3 u. 4; schließlich Merkel, Forschungsobjekt, 113, nach dem das ESchG darauf ausgerichtet ist, die „Würde der Menschheit als Spezies“ und das „normativsymbolische Bild der Menschen von sich selbst“ zu schützen; ähnl. ders., a. a. O., 146.

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

Schutz der betroffenen Persönlichkeitsrechte (der Gametenspender wie der den Embryo austragenden Frau)271 ebenso wie um einen Schutz des Lebens und der Gesundheit der austragenden Frau272 und des prospektiven Kindeswohls273. Der Schutz des ungeborenen Lebens wird mithin nicht nur in vivo, sondern auch in vitro mehr postuliert denn verwirklicht, während die einschlägigen Vorschriften tatsächlich den verschiedenen Rechtsgütern der geborenen Menschen verpflichtet sind.

C. Conclusio: Die Funktionalisierung eines gesetzlichen Missstandes So führen die Ausführungen dieses zweiten Abschnitts also zu einer zweiten Schlussfolgerung der vorliegenden Untersuchung, die die vorangehenden Feststellungen zwar nicht hinfällig macht, in ihrer praktischen Bedeutung aber doch relativiert. So bleibt der gesetzliche Missstand, der sich auftut, wenn Wertungswidersprüche im strafgesetzlichen Ungeborenenschutz gegen einen durch die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese ausgefüllten Gleichheitssatz verstoßen und die den §§ 218 ff. StGB zugeschriebene positiv-generalpräventive Wirkung unterlaufen, aus verfassungsrechtlicher wie strafzwecktheoretischer Sicht zwar forthin abhilfebedürftig. Zugleich offenbart sich aber seine Funktionalisierung durch Verfassungsrechtsprechung wie Gesetzgebung, wenn Wertungswidersprüche – kaschiert durch den verfassungsrechtlichen Segen – den latenten Zielsetzungen einer symbolischen Gesetzgebung den Weg ebnen. Insofern mag ein umfassender Lebensschutz, der jedem (individuellen) menschlichen Leben zukommt, ein Ideal bilden, dem sich die Bundesrepublik Deutschland unter dem Eindruck ihrer jüngeren Geschichte besonders verpflichtet fühlt. In der Psyche unserer Gesellschaft und Rechtsordnung reicht dieses Ideal so weit, dass menschliches Leben grundsätzlich auch zur 271  Vgl. nur die in § 4 ESchG normierten Verbote der eigenmächtigen Befruchtung sowie Embryoübertragung, ferner der künstlichen Befruchtung mit dem Samen eines Verstorbenen; dazu Taupitz, in: Günther / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 4 Rn. 3 u. 16. 272  Vgl. nur das in § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG normierte Verbot der einzeitigen Übertragung von mehr als drei Embryonen, das höhergradige Mehrlingsschwangerschaften vermeiden soll; Taupitz, in: Günther / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Rn. 20 f. 273  Vgl. nur das durch § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 6, Nr. 7 ESchG garantierte Verbot einer gespaltenen Mutterschaft; Begr. zum Entwurf des ESchG durch die BuReg v. 25.10.1989, BT-Drs. 11 / 5460, 7 f.; Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rn. 5; Taupitz, ebda., § 1 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 5, § 1 Abs. 1 Nr. 6 Rn. 4 u. § 1 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 10.



Abschn. 2: Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs

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Gefahrenabwehr nicht getötet werden darf, es sei denn, es hat zur Gefahr­ entstehung (vorwerfbar) beigetragen. Jener Grundsatz des Lebensschutzes gilt absolut, d. h., er erfährt weder in quantitativer Hinsicht Einschränkungen, wenn eine höhere Anzahl zu rettender Leben in Frage steht, noch lässt er qualitative Differenzierungen zu, wenn man nach einer unterschiedlichen Wertigkeit, voraussichtlichen Lebensdauer oder ähnlichem differenzieren wollte. All dies sind ehrenwerte Motive, die – soweit sei eine persönliche Randnotiz erlaubt – auch die Verfasserin der vorliegenden Untersuchung einschränkungslos bejahen möchte. Gleichwohl, wenigstens wenn sich die Rechtsordnung auf das Terrain des Ungeborenenschutzes begibt, muss sich ihr Ideal mit seiner Realität konfrontieren lassen: einer Abtreibungsrealität, in der keine Rechtsordnung den Sachverhalten einer medizinischen Indikation jemals ihre Anerkennung hat versagen können und in der verschiedene Gesetzesfassungen vergeblich versucht haben, dem nicht indizierten Abbruch wenn schon nicht Einhalt zu gebieten, so doch wenigstens entgegenzuwirken. Augenscheinlich hat die Realität das postulierte Ideal wenigstens diesseits einer Zäsur der strafgesetzlichen „Menschwerdung“ überholt, mehr noch wird man richtigerweise eingestehen müssen, wie das Ideal die Realität niemals hat erreichen können, sondern ihr von Anfang an unterlegen war. Wenigstens für einen Teil der Strafgesetzgebung realisiert sich mithin das, was Arnold gemeint hat, für das gesamte Recht feststellen zu können: „It is part of the function of ‚Law‘ to give recognition to ideals representing the exact opposite of established conduct“274. Zugleich hat Arnold auf die hieraus erwachsende Problemlage hingewiesen: „Most of its complications arise from the necessity of pretending to do one thing while actually doing another“275. Aus jenem Dilemma, das sich für jede Rechtsordnung auftun muss, die ungeachtet der Realität an ihrem postulierten Ideal meint festhalten zu müssen – Arnold spricht bezeichnenderweise von „an elaborate dream world 274  Arnold, Symbols, 34; s. dazu u. in dt. Übersetzung bei Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 30: „[Z]ur Funktion des ‚Rechts‘ gehört, Ideale anzuerkennen, die das genaue Gegenteil von dem etablierten Verhalten darstellen“. 275  Arnold, Symbols, 34; frei ins Dt. übertragen: „Der überwiegende Teil seiner Komplikationen [der des Rechts] erwächst aus der Notwendigkeit, vorzutäuschen, wie das Recht einem Anliegen nachgeht, während es tatsächlich ein anderes verfolgt“. Zu „Scheinlösungen“ auf dem Gebiet von Bioethik und Biopolitik, „die über schwere Widersprüche hinwegtäuschen“, vgl. auch Wetz, in: Kettner, Biomedizin, 221 (221): „So bekennen sie sich zwar weiterhin zum absoluten Wert menschlichen Lebens, verteidigen den unbedingten Lebensschutz aber lediglich auf dem Papier. Im Grunde wollen sie die neuen biotechnischen Möglichkeiten ausschöpfen, die allerdings mit hohen Grundwerten unserer Gesellschaft unvereinbar zu sein scheinen. Was liegt da näher, als sie dem Schein nach daran anzupassen?“; Zitat ebda., 221 (222).

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

where logic creates justice“276 –, weiß der in eine symbolische Strafgesetzgebung eingebettete Wertungswiderspruch nun einen Weg zu weisen: Unter seiner Verwendung vermag eine Rechtsordnung ihr Ideal symbolisch in den Vordergrund zu stellen, kann tatsächlich aber – im Hintergrund bzw. in einem Ausnahmetatbestand – andere, an die Realität angepasste Zielsetzungen walten lassen, sodass im Ergebnis nicht das postnidative ungeborene Leben, sondern Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung der Frau (eines geborenen Menschen) den Rückhalt und die Wertschätzung des Gesetzes erfahren. „Die meisten Menschen ertragen es leichter, daß man ihnen zuwider handelt, als daß man ihnen zuwider spricht“277, steht in den Aphorismen der Marie v.  Ebner‑Eschenbach geschrieben. Augenscheinlich lässt sich unsere Rechtsordnung von einer ähnlichen Erkenntnis leiten, wenn sie zu beurteilen hat, was die grundrechtlichen Garantien von Leben und Würde eher zu „ertragen“ wissen: In diesem Sinne scheint man ihnen nicht zumuten zu wollen, eine einschränkende Auslegung ihres eigenen Schutzgehaltes hinzunehmen, indem das BVerfG von seiner postulierten Gleichwertigkeitsthese abrückte. Wohl aber sollen sie solche (quantitative wie qualitative) Einschränkungen erdulden können, die erst in den einfachen (wenngleich verfassungsgerichtlich abgesegneten) Gesetzen Gestalt annehmen. Auf diese Weise können auch ideale Vorstellungen in einer abweichenden Realität überleben: indem man nur vortäuscht, an ihnen festzuhalten, und sich das geneigte Gegenüber willig zeigt, jene Täuschung im Wege selektiver Rezeption mitzutragen. Abschnitt 3

Die Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs – Seine überdauernde Schädlichkeit – „Auch eine schädliche Wahrheit ist nützlich […]“. (Johann Wolfgang v. Goethe278)

Soweit vermag eine symbolische Gesetzgebung, die ihren Rückhalt in einer symbolischen Verfassungskonkretisierung findet, also von unmittelbarem Nutzen für eine Rechtsordnung zu sein: Unter Funktionalisierung statt 276  „Einer ausgefeilten Traumwelt, in der die Logik Gerechtigkeit schafft“; Arnold, Symbols, 34; darauf hinweisend auch Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 30. 277  v. Ebner-Eschenbach, Aphorismen, 39. 278  v. Goethe, in: Kellner, Briefe an Charlotte v.  Stein, 567 (568 f.).



Abschn. 3: Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs

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Abhilfe des Wertungswiderspruchs ermöglicht sie es einer Rechtsordnung, an ihren postulierten Idealen festzuhalten, deren Wert zu bekräftigen, ihre diesbezügliche Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und gegensätzliche Positionen durch kompromisshafte Formeln zu beschwichtigen – all dies in einer „soziale[n] Wirklichkeit“279, die den postulierten Idealen von vornherein niemals hat gerecht werden können. Was aber nun der Preis ist, den eine Rechtsordnung für diesen – im Wege der Täuschung erschlichenen – unmittelbaren Nutzen zu zahlen hat, soll im letzten Abschnitt dieses achten Kapitels – der zugleich den abschließenden Abschnitt der vorliegenden Untersuchung bildet – ermittelt werden: für eine wertungswidersprüchliche Rechtsordnung im Allgemeinen und einen wertungswidersprüchlichen strafgesetzlichen Ungeborenenschutz im Besonderen.

A. Der Verlust der Autopoiesis Man wird jenen Preis zunächst und vor allem in dem Umstand anzusiedeln haben, dass eine symbolische Gesetzgebung die Distanz zu ihrem zu regulierenden Gegenstand aufgibt, wenn sie den Wertungswiderspruch im dargestellten Sinne funktionalisiert. Jene Distanz ist zunächst den Rechtswissenschaften wesenstypisch vorausgesetzt, deren wissenschaftlicher Charakter nur dann gewahrt bleibt, wenn sie eigene, autonom definierte Ziele und Methoden verfolgen. Eine entsprechende Erwartung, sich von bisweilen beliebig wechselnden politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen und gesellschaftlichen Nützlichkeitserwägungen zu distanzieren, richtet sich in einem materiellen Rechtsstaat aber auch an die Gesetzgebung, die den Gegenstand der Rechtswissenschaften erst produziert. I. Äquidistanz und Autopoiesis In diesem Zusammenhang befindet es Hassemer für das „Proprium“ – die Eigenheit – der Strafrechtswissenschaft, dass sie einen gleich großen Abstand (eine sog. „Äquidistanz“) zu den zu regelnden Gegebenheiten wahrt280. Eingebettet ist jene „Äquidistanz“ in ein Spannungsverhältnis, das Hassemer mit den Begriffen der „Freiheit“ und „Verbindlichkeit“ umschreibt281: In Übereinstimmung mit der Definition der in Art. 5 Abs. 3 GG grundrechtlich garantierten Wissenschaftsfreiheit hat sich die Strafrechtswissenschaft nach ihren eigenen Gesetzen zu entwickeln, ihre Ziele und Methoden autonom zu 279  Vorbem. vor § 105 AE 1970; Baumann et al., AE StGB, BesT / 1, 25; hierauf Bezug nehmend BVerfGE 39, 1  (10). 280  Siehe dazu u. vorstehende Zitate aus Hassemer, Strafrecht, 35 u. 38 f. 281  Hassemer, Strafrecht, 24.

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

definieren und sich dabei insbesondere keinen von außen formulierten Anforderungen – den Bedürfnissen der Praxis – zu beugen282. Gänzlich ignorieren kann sie die an sie herangetragenen Erwartungen jedoch gleichermaßen nicht, bleibt sie als „praktische Wissenschaft“283 doch ihrem Gegenstand verpflichtet und darf die Anbindung an ihre Normadressaten nicht verlieren284. Während die Strafrechtswissenschaft also ihr wissenschaftliches Element verfehlte, wenn sie sich „gesellschaftliche[n] Nützlichkeits- und politische[n] Zweckmäßigkeitsvorstellungen“285 unvermittelt anpasste, unterliefe ihre diesbezügliche Verweigerung – jedenfalls dann, wenn sie vollständig stattfände – das praktische Element, das ihr gleichermaßen eigen ist286. Aus dem so skizzierten Spannungsfeld soll ihr die referierte Äquidistanz nun einen Weg weisen: Äußeren Einflussnahmen wird so weder unvermittelt Genüge geleistet noch werden sie ignoriert. Wohl aber tritt die Strafrechtswissenschaft, bildlich gesprochen, einen Schritt zurück und nimmt zu jedem Einfluss, der von außen an sie herangetragen wird, einen gleich großen Abstand ein, indem sie ihn stets nach demselben Prozedere auf seine Vereinbarkeit mit den eigenen Gesetzmäßigkeiten, ihren autonom entwickelten Zielen und Methoden überprüft. So soll sie nicht zum bloßen Handlanger ihres praktischen Gegenstandes werden, sondern „das Heft wissenschaftlicher Prüfung und Entscheidung“287 in ihrer Hand behalten. Was Hassemer hier für die Strafrechtswissenschaft mit dem Begriff der Äquidistanz umschrieben hat, wird anderenorts unter den Begriff der Autopoiesis288 gefasst: Seinen Ursprung in der biologischen Theorie von Maturana und Varela nehmend289 und durch Luhmann in die Sozialwissenschaften eingeführt290, kennzeichnet der Begriff 282  Classen,

Wissenschaftsfreiheit, 81 f.; Hassemer, Strafrecht, 24 f. Strafrecht, 26. Zur Kritik am Wissenschaftscharakter der (Interessen-)Jurisprudenz s. die Ausführungen und Nw. bei Canaris, Systemdenken2, 14 f., u. vgl. Oertmanns Rede von einem „gewissen Gefüh[l] wissenschaftlicher Verzweiflung“; Oertmann, Interesse u. Begriff, 40; dazu Canaris, a. a. O., 36. 284  Hassemer, Strafrecht, 25 f. Zu einem Konzept der „Folgenorientierung“, innerhalb dessen die Strafrechtswissenschaft auch der eigenen Vereinbarkeit mit außerstrafrechtlichen Instrumenten der sozialen Kontrolle verpflichtet ist und ihre Folgen für die Strafrechtspolitik zu beachten hat, s. ders., a. a. O., 34 f. 285  Hassemer, Strafrecht, 25. 286  Hassemer, Strafrecht, 25 u. 35. 287  Hassemer, Strafrecht, 32. 288  Von griech. autós (selbst) u. poiesis (das Schaffen, Produzieren); Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 314; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 107. 289  Maturana / Varela, Autopoiesis, XVII; s. dazu Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 314; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 107, u. Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (28). 290  Luhmann, Soziale Systeme, 60; s. dazu auch Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 312 ff.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 107. 283  Hassemer,



Abschn. 3: Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs

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ein selbstreferenzielles System, das „die Elemente, aus denen es besteht, als Funktionseinheiten selbst konstituiert und in allen Beziehungen zwischen diesen Elementen eine Verweisung auf diese Selbstkonstitution mitlaufen läßt, auf diese Weise die Selbstkonstitution also laufend reproduziert“291. Dabei soll seine Verwendung nicht etwa eine solche Art der Abgeschlossenheit implizieren, nach der ein autopoietisches System umweltlos existierte292. Ihren Einfluss sollen äußere Faktoren aber nur gefiltert entfalten können, d. h. erst dann Eingang in das autopoietische System finden, wenn sie eine Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit dessen systeminternen Kriterien durchlaufen (und bestanden) haben293. Was für die Strafrechtswissenschaft in ihrem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Verbindlichkeit gilt, muss innerhalb ihres praktischen Gegenstandes nun seine Fortsetzung finden. Auch die Strafgesetzgebung selbst, die den Gegenstand der Strafrechtswissenschaft erst produziert, bleibt ihrerseits an systeminterne Kriterien gebunden, die nach dem hierarchischen Aufbau der Rechtsordnung in der Verfassung ihren Ursprung nehmen: „Die interne Hierarchisierung ‚Verfassungsrecht / Gesetzesrecht‘ fungiert als Bedingung der autopoietischen Reproduktion des modernen Rechts, sie dient also dessen operativer, normativer Geschlossenheit“294. Einem autopoietischen Strafgesetz als systeminterne Kriterien vorausgesetzt sind damit auch diejenigen verschiedenen Verfassungsgrundsätze, die eingangs – im zweiten Abschnitt des dritten Kapitels – Verwendung gefunden haben, um die Formel von der Einheit der Rechtsordnung verfassungsrechtlich zu konkretisieren: Normenklarheit, Verhältnismäßigkeit, Vereinbarkeit mit den Grundrechten und Achtung des allgemeinen Gleichheitssatzes tragen insofern nicht nur als „identische Wertgesichtspunkte“295 zur Widerspruchsfreiheit bei. Sie setzen überdies äußeren, die Rechtsordnung bedrängenden Einflüssen eine Barriere, die es zu überwinden gilt, bevor sie Eingang in einen Gesetzesinhalt finden: Denn Beachtung dürfen solche Einflüsse nur insoweit finden, als sie den Gesetzgeber nicht zu einem Verstoß gegen die genannten Grundsätze anstiften, denen er in einem (materiellen) Rechtsstaat verpflichtet ist. „Auf diese Weise wird jeder gesetzgeberische Eingriff des politischen Sys291  Luhmann, Soziale Systeme, 59; Maturana / Varela, Autopoiesis, 79 u. 135; s. dazu Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 107 u. 109, u. Schmidt, in: ders., Vielfalt des Rechts, 9 (28). 292  Luhmann, Einheit, 129 (133); ähnl. ders., Recht der Gesellschaft, 43; s. dazu Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 109 u. 112 ff. 293  Krallmann / Ziemann, GK Kommunikationswissenschaft, 314 f.; Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 63, 108, 113 u. 120 f.; weiterführend Luhmann, Einheit, 129 (133 f.). 294  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 64. 295  Engisch, Einheit, 35 u. ähnl. 33.

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

tems in das Rechtssystem durch die Verfassungsnormen mediatisiert“296. Einheit und Unabhängigkeit der Rechtsordnung gegenüber gesellschaftlichen wie politischen Erwartungshaltungen gehen so Hand in Hand: Wird die eine nicht verwirklicht, wird auch die andere scheitern müssen297. So bleibt es zwar weiterhin zutreffend, dass eine Rechtsnorm nicht nur tatsächliche Sachverhalte reguliert, sondern von jener Realität, der diese Sachverhalte entnommen werden, auch ihrerseits beeinflusst wird. Diese wechselseitige Einflussnahme nimmt bereits an der Spitze der Normenhierarchie in der Auslegung der Verfassung ihren Anfang, wenn hierin „potentiell alle Staatsorgane, alle öffentlichen Potenzen, alle Bürger und Gruppen eingeschaltet“298 sind und mithin die „pluralistische Öffentlichkeit“ selbst Einfluss auf die durch die Verfassung normierten Grenzen nimmt299. Die widerstreitenden Interessen, die im Prozess der Verfassungskonkretisierung so zum Tragen kommen, sollen jenen Einfluss jedoch nicht ungefiltert entfalten, sondern in den verfassungskonkretisierenden Entscheidungen der Gerichte ihre Überprüfung auf eine Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen finden300. In diesem Sinne beansprucht das BVerfG etwa für sich, die verfassungsrechtliche Relevanz der divergenten Positionen zum Beginn des schutzwürdigen menschlichen Lebens in seinen Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen herausgearbeitet zu haben: In einem fast schon ausufernden Streit um das Verhältnis von Mensch und Person, um Nicht-Äquivalenz- und Äquivalenz-Doktrin, um aktualisierte, potenzielle und generalisierte Lebensinteressen, um Kontinuität oder Diskontinuität der pränatalen menschlichen Entwicklung und eine etwaige normative Relevanz der Spezieszugehörigkeit hat sich das Gericht entschlossen, die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens nach dessen Individualität zu bestimmen und den Erwerb jener Individualität jedenfalls auf den 14. Tag nach der Empfängnis zu datieren, wenn sich der Embryo nach dem Dafürhalten des Gerichts in der Gebärmutterschleimhaut eingenistet und seine Fähigkeit zur Mehrlingsbildung verloren hat. Die Verfassung hat das Gericht in diesen 296  Neves,

Symbolische Konstitutionalisierung, 64 m. w. N. Canaris, Systemdenken2, 13 f., wenn er hervorhebt, dass die „inner[e] Ordnung und Sinneinheit des Rechts“ Voraussetzung einer als Wissenschaft betriebenen Jurisprudenz ist; ebenso ders., a. a. O., 155, wenn er „Ordnung und Einheit“ als „unerläßliche Voraussetzungen einer sich als Wissenschaft verstehenden Jurisprudenz“ bezeichnet. 298  Häberle, in: ders., Verfassung des Pluralismus, 79 (80); Hervorhebung aus dem Orig. nicht übernommen. 299  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Häberle, in: ders., Verfassung des Pluralismus, 79 (90). Zsfd. zum Vorstehenden: Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 76. 300  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 79. 297  Vgl.



Abschn. 3: Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs

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Entscheidungen dergestalt konkretisiert, zugleich die widerstreitenden Ansichten der pluralistischen Öffentlichkeit dergestalt selektiert, dass jedenfalls das postnidative ungeborene Leben gleichwertig am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG teilhaben soll. Dies ist eine Wertung, die das BVerfG in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen als das Ergebnis einer autopoietischen Rechtsordnung präsentiert, die an ihre systeminternen verfassungsrechtlichen Kriterien gebunden ist. In der Folge sieht es den Gesetzgeber verpflichtet, einen zum geborenen Menschen i. S. d. Strafrechts gleichwertigen Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens zu verwirklichen, und präsentiert seine Auslegung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG als eine durch die Verfassung gezeichnete Grenze, die den Gesetzgeber gegenüber anderweitigen Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit immunisieren soll. Eben jenen Anspruch findet man in der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung des BVerfG ausdrücklich formuliert, wenn das Gericht die Wertordnung des Grundgesetzes – einschließlich der „unbedingte[n] Achtung vor dem Leben jedes einzelnen Menschen“ – als eine „Grundentscheidung“ bezeichnet, die „Gestaltung und Auslegung der gesamten Rechtsordnung [bestimmt]. Auch der Gesetzgeber ist ihr gegenüber nicht frei; gesellschaftspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen, ja staatspolitische Notwendigkeiten können diese verfassungsrechtliche Schranke nicht überwinden […]. Auch ein allgemeiner Wandel der hierüber in der Bevölkerung herrschenden Anschauungen – falls er überhaupt festzustellen wäre – würde daran nichts ändern können. Das Bundesverfassungsgericht, dem von der Verfassung aufgetragen ist, die Beachtung ihrer grundlegenden Prinzipien durch alle Staatsorgane zu überwachen und gegebenenfalls durchzusetzen, kann seine Entscheidungen nur an diesen Prinzipien orientieren, zu deren Entfaltung es selbst in seiner Rechtsprechung entscheidend beigetragen hat“301. Eine „systeminterne Grenze für die Lernfähigkeit“302 ist es mithin, die die Verfassung zunächst der Verfassungskonkretisierung und im Anschluss hieran dem einfachen Recht setzen soll: Systemfremde Faktoren, wie sie verschiedenen gesellschaftlichen, politischen und / oder wirtschaftlichen Interessen entstammen, sollen nur insoweit Einfluss nehmen dürfen, als dies die Verfassung zulässt und als die Autonomie eines selbstreferenziellen Systems, wie es die Rechtsordnung zu sein beansprucht, hierdurch nicht tangiert wird. Nur so bleibt auch gewährleistet, dass der Gesetzgeber „nicht nur das Ziel im Auge“ hat, „sei es auch noch so erstrebenswert; er muß beachten, daß auch jeder Schritt auf dem Wege dahin sich vor der Verfassung und ihren unverzichtbaren Postulaten zu rechtfertigen hat“. Denn „[d]as Gesetz 301  Vorstehende 302  Neves,

Zitate aus BVerfGE 39, 1 (67). Symbolische Konstitutionalisierung, 65.

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

ist nicht nur Instrument zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse nach soziologischen Erkenntnissen und Prognosen, es ist auch bleibender Ausdruck sozialethischer und – ihr folgend – rechtlicher Bewertung menschlicher Handlungen; es soll sagen, was für den Einzelnen Recht und Unrecht ist“303. II. Kaschierte Allopoiesis Eine symbolische Strafgesetzgebung, die den Wertungswiderspruch im dargestellten Sinne – getragen von einer symbolischen Verfassungskonkretisierung – funktionalisiert, bricht nun aber mit diesem autopoietischen Anspruch und verkehrt ihn zweckorientiert in sein Gegenteil. Latente Zielsetzungen wie die Bekräftigung sozialer Werte, Formulierung einer Alibigesetzgebung oder eines dilatorischen Formelkompromisses offenbaren, wie der Gesetzgeber die ihn bedrängenden Einflüsse in diesen Fällen gerade nicht – in einem autopoietischen Sinne – nach systeminternen Kriterien zu selektieren sucht, sondern sie – in einem allopoietischen Sinne304 – ungefiltert übernimmt: Auf die Initiative einer Gruppierung, die nach gesellschaftlicher Anerkennung strebt und jene durch die legislative Bestätigung ihrer moralischen Haltung zu erfahren sucht, reagiert er, indem er die Dominanz der entsprechenden Werte durch eine Kohäsionsgeste unterstreicht (Fälle sozialer Wertbekräftigung). Konfrontiert mit einem „Großproblem“, das die Bevölkerung von ihm zu lösen verlangt, das tatsächlich aber seine Bewirkungspotenz übersteigt, greift er zum Mittel des Normerlasses, um wenigstens den Anschein seiner Handlungsfähigkeit zu erwecken und die besorgte Öffentlichkeit zu beruhigen (Fälle der Alibigesetzgebung). Angesichts eines vermeintlich unauflöslichen gesellschaftlichen Dissenses über einen regelungsbedürftigen Sachverhalt ist er bemüht, eine mehrdeutige Formulierung zu finden, in der sich ob ihres kompromisshaften Charakters alle beteiligten Streitparteien wiederfinden können (Fälle des dilatorischen Formelkompromisses). Verschiedene an ihn herangetragene Bedürfnisse bildet er so unverändert ab, um aus einer Gesetzgebung, die wie auf Bestellung ihrer Normadressaten funktioniert, seinen unmittelbaren Nutzen zu ziehen: Aufgerührte gesellschaftliche Gruppierungen vermag er in ihrer moralischen Haltung zu bekräftigen, in ihrer Unsicherheit zu beruhigen oder in ihrem Streit zu beschwichtigen. Der Strafrechtswissenschaft kommt sodann die Aufgabe zu, die Unstimmigkeiten, die solch täuschenden wie kompromisshaften gesetzlichen Lö303  Vorstehende Zitate aus BVerfGE 39, 1 (59); vgl. die Einbettung dess. Zitats in Kap. 6, Seite  664 [Abschn.  2, C. III.]. 304  Von griech. állos (anderer, fremd) und poiesis (das Schaffen, Produzieren); Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 117.



Abschn. 3: Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs

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sungen entspringen, einer vermeintlich sachlichen Erklärung zuzuführen; anders gesprochen obliegt es ihr, „Widersprüche und Irrationalität dadurch zu verdecken, daß sie sie rhetorisch als eine nach der Vernunft regierte, widerspruchslose Welt darstelle“305. Wenn § 218a Abs. 1 StGB etwa einen Tatbestandsausschluss formuliert, hat die Wissenschaft dessen Vereinbarkeit mit dem an die Gesamtrechtsordnung gerichteten Rechtswidrigkeitsverdikt zu begründen, ebenso wie sie nachfolgend zu beantworten hat, weshalb eine für rechtswidrig befundene Tathandlung Gegenstand eines wirksamen Vertrages, nicht aber einer Nothilfe soll sein können – dies gleichwohl ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten gemäß den §§ 134, 138 BGB die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts hindert und der Rechtmäßigkeit der Nothilfe gemäß § 32 Abs. 2 StGB ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff vorausgesetzt ist. Gleichermaßen obliegt es ihr, gewichtige sachliche Gründe für die Abweichungen des medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes von den Merkmalen des § 34 StGB zu (er‑)finden, damit § 218a Abs. 2 StGB fortwährend als eine spezialgesetzliche Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes verstanden werden kann: Das zugunsten der Rechtsgüter der Frau abstrakt-generell vorweggenommene Abwägungsergebnis soll so vorgeblich nur das antizipieren, was auch eine konkret-individuell offen gehaltene Interessenabwägung erwarten ließe, wie sie in § 34 S. 1 StGB formuliert und in § 34 S. 2 StGB um ein Regulativ ergänzt ist. Der Indikationentatbestand soll nur solche Umstände von ihrer Berücksichtigung ausschließen, die auch nach allgemeinen Grundsätzen ihre Abwägungsrelevanz einbüßen müssten, ebenso wie er nur deshalb eine Tötung ihrer Rechtfertigung zuführen soll, weil eine Verantwortlichkeit des ungeborenen Eingriffsadressaten – oder alternativ ein besonderes Unterlassensmoment des Abbruchsdeliktes – auch nach allgemeinen Grundsätzen eine Verschiebung des in § 34 S. 1 StGB normierten Proportionalitätsmaßstabes indizierte. Die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB und Indikationenlösung des § 218a Abs. 2 StGB werden so als gesetzliche Lösungen ausgewiesen, die vermeintlich den internen Kriterien eines autopoietischen Systems folgen, während sie tatsächlich – kaschiert durch den Wertungswiderspruch – aber nur eine gegenläufige „soziale Wirklichkeit“ in einem allopoietischen Sinne abbilden. 305  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 30 f.; weiterführend Arnold, Symbols, 56: „the effort to construct a logical heaven behind the courts, wherein contradictory ideals are made to seem consistent“, und a. a. O., 58: „the shining, but unfulfilled dream of a world governed by reason“. Vgl. auch Hoerster, JZ 2008, 295 (297), zu „der Politik zu Diensten stehenden Rechtswissenschaftler[n]“; ferner Jerouschek, JZ 1989, 279 (279), nach dem bereits nach der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung „mit fast schon fataler Zwangsläufigkeit abzusehen“ war, dass „die argumentative Stringenz ins Hintertreffen geraten könnte, wenn nicht sogar die wissenschaftliche Redlichkeit auf der Strecke bleiben würde“.

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Wenn eingangs also die Frage nach dem Preis formuliert worden ist, den eine Rechtsordnung zu zahlen hat, die durch eine Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs latente statt manifeste Zielsetzungen zu verwirklichen sucht, so wird man ihn zuvorderst in einer Preisgabe ihrer selbstbestimmten Identität anzusiedeln haben. Konstituierend für diese Identität ist das hierarchische Verhältnis der unterschiedlichen Normebenen, innerhalb derer die Verfassung den einfachen Gesetzen vorangestellt ist. In ihrer Bindung an die Verfassung garantieren die einfachen Gesetze, dass sie die zu regulierenden Sachverhalte unterschiedslos nach solchen Kriterien entscheiden, die der Rechtsordnung selbst entnommen sind und nicht etwa blindlings den wandelnden Interessenlagen der in den jeweiligen Sachverhalt involvierten Parteien folgen: Selbstbestimmt statt fremdbestimmt beansprucht die Rechtsordnung mithin zu sein. Präsentiert sie ihren autopoietisch formulierten, manifesten Zweck des Rechtsgüterschutzes in einer symbolischen Gesetzgebung nun aber nur zum Schein, während sie sich tatsächlich von latenten, allopoieisch gewonnenen Zielsetzungen leiten lässt, büßt sie an dieser Stelle ihre Identität ein. Ihre systeminternen Kriterien verrät sie gezielt, wenn sie den Wertungswiderspruch – der ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist – funktionalisiert, um zu kaschieren, wie der Gesetzgeber zur Verwirklichung des manifesten Zweckes tatsächlich außerstande ist, oder um auch divergente gesellschaftliche Ansichten durch ihr jeweiliges Gesetz auffangen zu können. Jener Verlust an selbstbestimmter Identität setzt sich auf der den einfachen Gesetzen übergeordneten Normen­ ebene fort, wenn sich die Verfassungskonkretisierung – mit Blick auf den unmittelbaren Nutzen, den die Verwirklichung latenter Zielsetzungen verspricht – bemüßigt fühlt, die Strafgesetzgebung in ihrer Symbolik zu unterstützen, ebenso wie sie in der Strafrechtswissenschaft ihre Fortsetzung findet, wenn diese bereitwillig vorgibt, dass sich ihren Gesetzmäßigkeiten sachliche Gründe für Ungleichbehandlungen des wesentlich Gleichen entnehmen ließen. III. „Weiterfresser“ Wertungswiderspruch Wenn die Rechtsordnung in diesem Sinne ihre selbstbestimmte Identität aufgibt, so kann dies überdies unmöglich auf das Gebiet des Schwangerschaftsabbruchs beschränkt bleiben. In einer Rechtsordnung, die ihre „Einheit“ nicht nur formelhaft beschwört, sondern im Bewusstsein ihrer in Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG normierten Verpflichtung306 auch zu verwirklichen sucht, ist zu befürchten – und verschiedentlich auch zu beobachten –, dass sich die wertungswidersprüchliche Regelung der §§ 218 ff. StGB in an306  Siehe

ausführl. dazu oben Kap. 3, Seite  162–178 [Abschn.  2, E.].



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dere Regelungskomplexe ausbreitet und im Zuge dessen auch jenseits des Strafgesetzbuches ihre Nachahmung findet307. In diesem Sinne hat die Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Präimplantationsdiagnostik an pluripotenten embryonalen Stammzellen etwa den Vergleich mit der in den §§ 218a Abs. 2 StGB und 2a SchKG normierten Indikation bemüht und die vorgebliche Verwandtschaft mit Sachverhalten der rechtmäßigen Pränataldiagnostik zum Anstoß für eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes genommen: Seit dem Ende des Jahres 2011 normiert § 3a Abs. 2 ESchG nun ausdrücklich die (eingeschränkte) Rechtmäßigkeit der Präimplantationsdiagnostik an pluripotenten308 embryonalen Zellen, wenn „das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ (§ 3a Abs. 2 S. 1) oder die „Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos […], die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führt“ (§ 3a Abs. 2 S. 2), in Frage steht. Dabei werden unter dem Begriff der Präimplantationsdiagnostik (PID) solche zytologischen und molekulargenetischen Untersuchungen zusammengefasst, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Aufschluss über bestimmte Erbkrankheiten und Chromosomenbesonderheiten eines durch In-vitro-Fertilisation erzeugten Embryos zu geben vermögen. Ihr Befund soll einer Entscheidung über den Transfer (oder alternativ über das „Verwerfen“) des Embryos als Grundlage dienen309. Soweit sie an totipotenten Zellen durchgeführt werden, die ihrerseits dem Begriff des Embryos i. S. d. § 8 Abs. 1 ESchG 307  Vgl. nur die Kritik von Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 121–127, an verschiedenen Strafandrohungen des ESchG, die er deshalb in Frage stellt, weil sie seiner Einschätzung nach in „einen Wertungswiderspruch zur weitgehenden Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs“ treten (Zitat a. a. O., 121); vgl. ebenso Hülsmann, Mehrlinge, 125 f., der zur Kritik der in § 1 Abs. 1 Nr. 3 u. Nr. 4 ESchG normierten Unternehmensdelikte den Vergleich mit den in § 218a StGB der Rechtfertigung zugeführten Indikationen bemüht. Ein potenzieller „Weiterfresser“ jenseits der Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“ tritt bei Ladiges, ZIS 2008, 129 (136 u. 137), zutage, wenn er eine strafgesetzliche Rechtfertigung der Tötung in Sachverhalten des § 14 Abs. 3 LuftSiG, die sich aus der Rettung einer Mehrzahl mensch­ licher Leben speiste, deshalb in Erwägung zieht, weil auch der Indikationentatbestand des § 218a Abs. 2 StGB eine Abwägung von Leben gegen Leben zuließe. 308  Weitergehend noch Frommel, JZ 2013, 488, die für eine „teleologische und verfassungskonforme Restriktion“ des in § 3a Abs. 1 ESchG normierten Verbots der genetischen Untersuchung eintritt: Tatbestandsmäßig und nach § 3a Abs. 2 ESchG rechtfertigungsbedürftig soll nach ihrem Dafürhalten die Biopsie an in dubio pluripotenten Blastomeren sein, während eine Biopsie an sicher pluripotenten Trophektodermzellen bereits den Tatbestand des § 3a Abs. 1 ESchG nicht erfüllen soll; dies., a. a. O., 488 (490 u. zsfd. 493). 309  So der DE der BÄK zu einer RL zur PID aus dem Jahre 2000; s. BÄK, Dt. ÄrzteBl. 2000, A-525 (A-525 u. A-526). Siehe ferner Böckenförde-Wunderlich, PID, 14; Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 32; Kaiser, in: Günther / Taupitz / Kaiser, ESchG, Einf. A Rn. 197; ausführl. dazu Böckenförde-Wunderlich, PID, 21–31; Giwer, PID, 27–32.

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unterfallen, hat sie das ESchG in seinen §§ 2 Abs. 1 und 6 Abs. 1 ESchG nach allgemeiner Ansicht seit jeher für verboten erkannt310. Demgegenüber herrschte über die Rechtmäßigkeit der Präimplantationsdiagnostik an (in dubio pro reo311) pluripotenten embryonalen Zellen lange Zeit Uneinigkeit. Insofern konnte man sich einzig darauf verständigen, dass die Abspaltung einer nur pluripotenten Zelle das Klonverbot des § 6 ESchG nicht verletzt, gilt eine solche – anders als die totipotente Zelle – doch nicht als Embryo i. S. d. § 8 Abs. 1 ESchG312. Raum für Streitigkeiten bot hingegen die Fragestellung, ob ein mit der Präimplantationsdiagnostik befasster Reproduktionsmediziner Embryonen nur zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt oder auch andere (diagnostische) Zwecke verfolgt, was Anlass für einen Strafvorwurf nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG gäbe313. Gleichermaßen uneinheitlich wurde sodann beurteilt, ob der betroffene Embryo i. S. d. § 2 Abs. 1 ESchG zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck verwendet wird, wenn man ihm zum Zwecke einer genetischen Diagnostik Zellen entnimmt314 und ihn im Falle eines positiven Befundes anschließend verwirft315. Das Urteil des BGH vom 06.07.2010 negierte diese in Erwägung gezogenen Strafvorwürfe letztlich und legte die §§ 1 Abs. 1 Nr. 2 und 2 Abs. 1 ESchG dahingehend aus, dass ihnen kein Verbot der Präimplantationsdiagnostik an pluripotenten embryonalen Zellen entspringt316. Der gerichtliche Appell an 310  Böckenförde-Wunderlich, PID, 136 f. (zu § 2 Abs. 1) u. 140 (zu § 6 Abs. 1); Giwer, PID, 34 f.; Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, Einf. B Rn. 99 u. § 2 Rn. 55; Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 85 (zu § 2 Abs. 1) u. 93 (zu § 6 Abs. 1); Kutzer, MedR 2002, 24 (24); Langer-Rock, Schutz, 112 f. (zu § 2 Abs. 1); Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 7, Rn. 5; Middel, PID, 36 f.; Schroth, JZ 2002, 170 (172). 311  Zur Entscheidung tatsächlicher Zweifel über den Differenzierungsgrad der entnommenen Zellen nach dem Grundsatz in dubio pro reo s. Frommel, JRE 2004, 104 (107); anders Henking, Wertungswidersprüche, 72 f. 312  Vgl. Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 2 Rn. 56. 313  Vgl. etwa die verschied. Beurteilungen durch Böckenförde-Wunderlich, PID, 124 f.; Giwer, PID, 37 f.; Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rn. 21; Henking, Wertungswidersprüche, 82 f.; Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 7, Rn. 5 a. E.; Middel, PID, 45; Mildenberger, MedR 2002, 293 (296); Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (547 f.); ders., JZ 2002, 170 (173 f.); ausführl. Diskussion bei Schroth, NStZ 2009, 233 (233–235). 314  Zust. Böckenförde-Wunderlich, PID, 133–136; abl. Henking, Wertungswidersprüche, 70; Middel, PID, 47 f. m. w. N. zur diesbzgl. Diskussion; Schroth, NStZ 2009, 233 (237); ders., JZ 2002, 170 (175). 315  Siehe dazu Günther, in: ders. / Taupitz / Kaiser, ESchG, § 2 Rn. 56; diff. Henking, Wertungswidersprüche, 74; abl.  etwa Schroth, NStZ 2009, 233 (236 f.); ders., JZ 2002, 170 (175). 316  BGH ZfL 2010, 87 = MedR 2010, 844 m. Anm. Schumann, 848; anders noch KG Berlin NStZ 2009, 293; ausführl. Bespr. bei Lee, PID und Stammzellforschung, 39 ff., m. Kritik a. a. O., 51 ff. u. 63 f.



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den Gesetzgeber, das Embryonenschutzgesetz um eine klarstellende Regelung zu ergänzen317, fand alsbald im Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) vom 21.11.2011318 Gehör, das die eingangs zitierte Vorschrift des § 3a in das Embryonenschutzgesetz eingeführt hat. Dabei hatte maßgeblichen Einfluss auf die diesbezügliche Diskussion, dass ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik in einen Wertungswiderspruch zur rechtlichen Behandlung der Pränataldiagnostik treten könnte, deren positiver Befund nach geltendem Recht Anlass für einen gemäß § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch bietet319. Gar eine analoge Anwendung des medizinisch-sozialen Indikationentatbestandes ist aus diesem Grunde für Sachverhalte der Präimplantationsdiagnostik in Erwägung gezogen worden320. Wenn es das Strafgesetzbuch für rechtens befindet, dass einer Frau „probeweise“ ein Embryo implantiert wird, der im Falle einer pränataldiagnostisch festgestellten Auffälligkeit immer noch gemäß § 218a Abs. 2 StGB gerechtfertigt abgetrieben werden kann, könnte sich das Embryonenschutzgesetz nicht gegen eine Präimplantationsdiagnostik wenden, ohne sich hierdurch in einen Wertungswiderspruch zum Strafgesetzbuch zu setzen321 – so lautet das Argument, dessen sich 317  BGH ZfL 2010, 87 (91); ebenso appellierend: Dederer, MedR 2010, 819 (822); Schumann, MedR 2010, 848  (849). 318  Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik; BGBl. I, Nr. 58 v. 24.11.2011, 2228. Zu den vorangegangenen Gesetzesentwürfen s. BT-Drs. 17 / 5450; 17 / 5451; 17 / 5452; zsfd. Spieker, in: ders. / Hillgruber / Gärditz, Würde des Embryos, 9 (33–36). 319  Ausführl. darauf eingehend noch LG Berlin ZfL 2009, 93 (96 f.); ferner dazu Faßbender, NJW 2001, 2745 (2747 u. 2753); Frommel, JRE 2004, 104 (106 u. 110); Ipsen, JZ 2001, 989 (995); Leopoldina / acatech / BBAW, Stellungnahme PID, 19; vgl. ferner Dederer, AöR 2002, 1 (21 f.); Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin, 33 u. 125 m. w. N.; Kreß, Universitas 2011 / Nr. 785, 31 (34); Kutzer, MedR 2002, 24 (25); Middel, PID, 171–174; Reich, BdiP 2011, 103 (108 u. 111); Scheffer, ZfL 2011, 9; Schroth, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (550). Krit. dazu DäublerGmelin, Faz.net v. 22.05.2001 („eine merkwürdige Art zu denken“); Gropp, in: Schumann, Konfliktlösungen, 19 (27); Henking, Wertungswidersprüche, 244 f. u. 260; Hillgruber, in: Spieker / Hillgruber / Gärditz, Würde des Embryos, 57 (68 f.); Lee, PID und Stammzellforschung, 61 f.; Maio, Mittelpunkt Mensch, 233; ders., Universitas 2011 / Nr. 785, 40 (46 f. u. 49); Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 555 f.; Spieker, ebda., 9 (46–48). 320  Für eine (hilfsweise) Analogie zu § 218a Abs. 2 StGB s. Frommel, JRE 2004, 104 (110 f.), u. Schroth, NStZ 2009, 233 (238); ders., in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 530 (557 f.); abl. Böckenförde-Wunderlich, PID, 144 f.; Henking, Wertungswidersprüche, 236–242. Vgl. auch den DE der BÄK zu einer RL zur PID aus dem Jahre 2000, der für die Einführung einer dem § 218a Abs. 2 StGB angenäherten Indikation in das Gesetz votierte; BÄK, Dt. ÄrzteBl. 2000, A-525 (A-526). 321  Frommel, JRE 2004, 104 (106, 109 u. insb. 110); dies., JZ 2013, 488 (489); Schroth, NStZ 2009, 233 (235 f.); ders., JZ 2002, 170 (177). Motiviert von diesem

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grundsätzlich sowohl die Befürworter als auch die Gegner einer auf die pränidativen Entwicklungsstadien erstreckten Gleichwertigkeitsthese bedienen können. Denn verneint man die Teilhabe der pränidativen Embryonen am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG – wie vorliegend vorgebracht, um den Verzicht auf ein Verbot der Nidationsverhütung widerspruchsfrei in das Strafgesetzbuch einzubetten322 –, stellt sich die Frage, weshalb zwar die postnidativen, grundrechtlich geschützten Entwicklungsstadien eine Pränataldiagnostik und den gegebenenfalls nachfolgenden Schwangerschaftsabbruch erdulden müssen, die für weniger schutzwürdig erkannten pränidativen Entwicklungsstadien aber Nutznießer eines durch das Embryonenschutzgesetz formulierten Verbots sein sollen. Bejaht man demgegenüber die Teilhabe der pränidativen Embryonen am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1 Abs. 1 GG – wie es die Gesetzesmaterialien zum ESchG verlauten lassen323 – stellt sich die ähnlich gelagerte Frage, weshalb man postnidative und pränidative Entwicklungsstadien zwar für wesentlich gleich befindet, aber nur pränidativ ein Verbot der Diagnostik möglicher Erbkrankheiten und Chromosomenbesonderheiten in Erwägung zieht, deren Befund zum Anlass für eine Selektion des ungeborenen Lebens genommen werden kann. Soweit wäre zunächst noch nur der berechtigte Hinweis auf eine Ungleichbehandlung im menschlichen Lebensschutz formuliert, die es ihrer sachlichen Begründung zuzuführen oder aber zu beseitigen gälte. Soweit man die Präimplantationsdiagnostik aber gerade in Anlehnung an die §§ 218a Abs. 2 StGB und 2a SchKG geregelt wissen will, hat die Diskussion um ihre Rechtmäßigkeit pointiert zutage gefördert, wie die Abtreibungsgesetzgebung anderenorts „in den Rang eines Rechtsarguments“324 erhoben wird, nach dem sich andere gesetzliche Vorschriften zu richten haben sollen. Ungefiltert und vorschnell wird die Bedeutung der Abtreibungsgesetzgebung so nicht nur aus der Perspektive einer auf die pränidativen Entwicklungsstadien erstreckten Gleichwertigkeitsthese überhöht, die die Art. 2 Abs. 2 Anliegen, entsprechende Wertungswidersprüche zu vermeiden, strebt Frommel auch nach Inkrafttreten des § 3a ESchG eine Auslegungsmethode „des hypothetischen Fallvergleichs“ an, nach der über die Rechtfertigung nach § 3a Abs. 2 ESchG in Orientierung an den Fallgruppen des § 218a Abs. 2 StGB zu entscheiden ist; s. dazu u. vorstehendes Zitate aus Frommel, JZ  2013, 488 (491). 322  Siehe dazu oben Kap. 7, Seite  686 f. [Abschn.  1, C.], 748 [Abschn.  2, E.] u. 750–754 [Abschn.  3]. 323  Siehe oben Seite  825–828 [Abschn.  2, B. III.] u. Begr. zum DE des ESchG v. 29.04.1986; nachzulesen in Günther / Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin2, Anhang I, 349 (352). Ähnl. die Begr. zum Entwurf des ESchG durch die BuReg v.  25.10.1989, BT-Drs. 11 / 5460; nachzulesen auch in Günther / Keller (Hrsg.), a. a. O., Anhang II, 363 (368). 324  Scheffer, ZfL 2011, 9 (15).



Abschn. 3: Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs

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S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG auch auf den Embryo in vitro zur Anwendung bringen will. Diesbezüglich ist bereits im dritten Kapitel ausgeführt worden, wie eine Orientierung an anderen einfachgesetzlichen Inhalten fehlgeht, wenn für den zu regelnden Sachverhalt eine übergeordnete grundrechtliche Wertung existiert bzw. durch gesetzgeberische Entscheidung wenigstens für maßgeblich anerkannt wird325. In diesem Sinne hat es etwa Hillgruber ausdrücklich für „verfehlt“ erkannt, „wenn nicht wenige bei Betrachtung der Rechtslage die vorgreifliche Verfassungslage ausblenden und stattdessen die – zudem noch höchst fragwürdig interpretierte – gegenwärtig geltende, gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zum archimedischen Punkt in der Debatte um die Zulassung oder ein Verbot der PID machen wollen“326. Wie in diesem Zitat zutage tritt, ist es aber nicht nur die Missachtung des Vorrangs der Verfassung, die einem nach dem Vorbild der Abtreibungsgesetzgebung erlassenen Gesetz angelastet werden könnte. Auch Gegner einer auf die pränidativen Entwicklungsstadien erstreckten Gleichwertigkeitsthese, die die Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG nicht auf die Präimplantationsdiagnostik zur Anwendung bringen wollen, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit den §§ 218a Abs. 2 StGB und 2a SchKG eine „höchst fragwürdig“327 ausgestaltete wie interpretierte gesetz­ liche Regelung zum Maßstab rechtspolitischer Forderungen erheben. Insofern hat vorliegende Untersuchung die einschlägigen Vorschriften als das Produkt einer symbolischen Gesetzgebung identifiziert, die unter Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs vordringlich unmittelbare Vorteile zu erzielen sucht, dabei aber die systeminternen Kriterien eines autopoietischen Rechtssystems verletzt und an deren Stelle eine kaschierte, allopoietische Abbildung der gesellschaftlichen Erwartungshaltungen setzt. Wer sich die Abtreibungsgesetzgebung zum Vorbild nimmt, erhebt damit unvermeidlich eine ihrerseits angreifbare Regelung zum Leitprinzip der weiteren gesetzgeberischen Tätigkeit und trägt dafür Vorsorge, dass deren Inkonsistenzen in der Rechtsordnung ihre (neuerlich ungefilterte) Fortsetzung finden328. Der 325  Siehe oben Kap. 3, Seite  156 [Abschn.  2, D. III.] zur Normenpyramide u. Seite  167 f. [Abschn.  2, E. I. 1. c)] zum Gleichheitssatz. 326  Hillgruber, ZfL 2011, 47; ebenso ders., in: Spieker / Hillgruber / Gärditz, Würde des Embryos, 57 (58). Vgl. auch Scheffer, ZfL 2011, 9 (15), der kritisiert, wie „die laxe gesellschaftliche Haltung gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch als Argument für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in Stellung gebracht“ wird. 327  In Anlehnung an das Zitat von Hillgruber, ZfL 2011, 47; s. dazu die vorangegangene Fn. 328  Vgl. in diesen Zusammenhang die Kritik von Böckenförde-Wunderlich, PID, 230, nach der dies bedeutete, „daß man eine Konsequenz in der Inkonsequenz zu erreichen versucht und folglich etwaige Fehlentwicklungen nicht mehr hinterfragt, sondern hinnimmt“; a. a. O. auch der Hinweis auf Mieth, Ethik Med 1999, 77 (83),

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

funktionalisierte Wertungswiderspruch entwickelt sich auf diese Weise zu einem „Weiterfresser“329, wenn er als das vorgebliche Ergebnis einer autopoietischen Rechtsordnung akzeptiert wird, das es im Bestreben um deren „Einheit“ fortzuführen gelte.

B. Beschwichtigung, Beruhigung, Blockierung Eine Preisgabe der selbstbestimmten Identität, die die Grenzen der §§ 218 ff. StGB überschreitet und wenigstens auch in den durch das Embryonenschutzgesetz gewährten Ungeborenenschutz vordringt – bereits dies sollte einer Rechtsordnung vor Augen führen, auf welch selbstzerstörerischen Weg sie sich begibt, wenn sie sich unter Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs einer symbolischen Gesetzgebung meint bedienen zu können, um etwa aus einer Beschwichtigung und Beruhigung ihrer Normadressaten Kapital zu schlagen: Jene unmittelbaren Vorteile vermögen unmöglich aufzuwiegen, dass sie ihr „Proprium“, als selbstreferenzielles System zu wirken, zur Disposition stellt. Endgültig ad absurdum geführt wird ihre diesbezügliche Strategie von Beschwichtigung und Beruhigung aber dann, wenn sich die dergestalt erschlichenen Vorteile in ihr Gegenteil verkehren oder wenigstens ihrerseits „Nebenwirkungen“ entfalten, die der Rechtsordnung nur von Schaden sein können. I. Blockierung statt Beschwichtigung Davon, dass sich ein unmittelbarer Nutzen der symbolischen Gesetzgebung in sein Gegenteil verkehrt, wird man maßgeblich dann sprechen müssen, wenn ein dilatorischer Formelkompromiss zwar vorgeblich divergente gesellschaftliche Positionen in einem Gesetz zusammenzuführen mag, selbige im Anschluss an diesen unmittelbar vorteilhaften Eindruck aber nur weiter verhärtet. Insofern ist im vorangegangenen Abschnitt ausgeführt worden, dass es der Rechtsordnung gerade nicht an einer Bekräftigung des Werts vom postnidativen ungeborenen Leben (statt des Werts vom geborenen Menschen) gelegen sein kann, wenn sie die Uneinigkeiten zwischen den Gegnern und Befürwortern der Abtreibung beizulegen sucht. Stattdessen muss sie es gerade vermeiden, das Verhältnis der beiden Streitparteien zu differenzieren und deren jeweiligen (gruppeninternen) Zusammenhalt weiter nach dem die Bezugnahme auf einen vorangegangenen Ausgangspunkt nur dann Geltungskraft für sich beanspruchen kann, wenn dieser Ausgangspunkt „vorbehaltlos akzeptiert“ wird. 329  Zur Verwendung des Begriffs vom „weiterfressenden Mangel“ im besonderen Schuldrecht vgl. Brox / Walker, Bes. SchuldR37, § 4, Rn. 102, u. § 45, Rn. 6.



Abschn. 3: Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs

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zu stärken330. So unterscheidet den Formelkompromiss von der „Wertbekräftigung“ im eigentlichen Sinne dann auch, dass er sich gerade keiner „Differenzierungsgeste“ bedient: Er sucht eine gesellschaftliche Gruppierung gerade nicht dadurch in ihren Wert- und Unrechtsvorstellungen zu bestätigen, dass er gegenteilige Vorstellungen negiert. Im Gegenteil sucht er durch seine Formulierung verschiedenen Ansichten gleichzeitig zu genügen: In einem Streit um den Wert des ungeborenen Lebens und um das Unrecht, das dessen Tötung verwirklicht, steht die Rechtsordnung den Abtreibungsgegnern zur Seite, indem sie ganz in ihrem Sinne eine verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese formuliert, im Anschluss hieran die Systematik der §§ 218 ff. StGB wählt und zutage tretende Unstimmigkeiten ihrer scheinbaren sachlichen Begründung zuführt, wenn etwa der medizinischsoziale Indikationentatbestand nur eine spezialgesetzliche Regelung des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes sein soll und die Tatbestandslösung des § 218a Abs. 1 StGB noch eine das Untermaßverbot wahrende Alternative zur Verwirklichung eines effektiven Ungeborenenschutz darstellen soll. Zugleich steht sie den Befürwortern der Abtreibung zur Seite, wenn jene auf die wertungswidersprüchliche, gewollt ineffektive und durch das Verfassungsgericht abgesegnete Ausgestaltung der besagten Vorschriften verweisen können, um die Protestatio von der Gleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens und vom durch dessen Tötung verwirklichten Unrecht als unerheblich abzutun. Ein mehrdeutig formuliertes wie angewendetes Gesetz soll den widerstreitenden gesellschaftlichen Ansichten so gleichermaßen die Identifikation ermöglichen, während sich das Gesetz tatsächlich seiner Stellungnahme entzieht. So weit, so gut, so lautet die theoretische Vorstellung – tatsächlich bildet es aber einen Trugschluss, wenn der Gesetzgeber meint, die Divergenz der verschiedenen Positionen durch seine doppelzüngige Rede nicht weiter zu stärken: Im Gegenteil gibt er jeder der beteiligten Parteien fortlaufend Gelegenheit, sich auf ihre individuelle selektive Lesart des Gesetzes zu berufen, um eine (vermeintlich in Gesetzesform oder -realität gegossene) Dominanz der eigenen Vorstellungen zu unterstreichen. Der Status quo einschließlich des von ihm inkludierten Streits wird so nur konserviert, die diesbezüglichen Uneinigkeiten können – getragen vom jeweiligen Rückhalt eines individuell ausgelegten Gesetzes – beim nächsten Anlass wieder entbrennen, was in der Gesetzesgeschichte auch fortlaufend in Erscheinung getreten ist, wenn im Kontext des Schwangerschaftsabbruchs Änderungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes331 oder im Kontext des Ungeborenenschutzes in 330  So

bereits oben Seite  807 f. [Abschn.  2, B. II. 1. a)]. oben Seite  838–844 [A. III.] zur Regelung der PID in § 3a ESchG und die ihr vorangegangene Diskussion. 331  Siehe

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vitro Änderungen des Embryonenschutzgesetzes332 zu diskutieren waren. Stets zurückgeworfen auf dieselbe, durch Verfassungskonkretisierung und Gesetzgebung nur symbolisch entschiedene Fragestellung nach dem Wert des ungeborenen Lebens und dem Unrecht seiner Tötung, sollte es nicht verwundern, dass der diesbezügliche Streit ewig anzudauern scheint333: Denn solange die in ihn involvierten Parteien alle gleichermaßen – ungefiltert und allopoietisch statt autopoietisch – die Bestätigung des Gesetzgebers zu erfahren scheinen, mögen sie temporär zur Ruhe kommen, werden einander im Übrigen aber unverändert in ihren althergebrachten Stellungsgräben begegnen334. II. Blockierung durch Beruhigung Ähnlich muss sich eine sog. „Alibigesetzgebung“ nicht nur den Vorwurf der Täuschung gefallen lassen, wenn sie vorgibt, den manifesten Zweck des Rechtsgüterschutzes fördern zu können. Darüber hinaus sieht sich ihre latente Zielsetzung, die Normadressaten zu beruhigen – nämlich in ihrer Erfahrung eines handlungsfähigen Gesetzgebers zu bestätigen und in ihrem Sicherheitsgefühl zu erstarken –, um gewichtige „Nebenwirkungen“ ergänzt: Konfrontiert mit dem gesellschaftlichen Bedürfnis, dass man für bestimmte regelungsbedürftige Konfliktlagen eine effektive Lösungsstrategie formulieren und auf die jeweiligen Sachverhalte zur Anwendung bringen möge, gibt der Gesetzgeber durch seinen Normerlass vor, jenes Bedürfnis befriedigen zu können. Weil seine diesbezügliche Bewirkungspotenz tatsächlich aber geschmälert ist, bleiben die tangierten Problemlagen zwar nicht länger ungeregelt, wohl aber ungelöst. Mehr noch bildet sein symbolischer Normerlass gar ein zusätzliches Hindernis auf dem Weg zu einer effektiven Konfliktlösung: Damit konfrontiert, dass der Staat „auf reale Probleme der Gesellschaft eine normative Antwort gibt“335, wird ein Eindruck des Inhalts erweckt, dass man das jeweilige Problem seiner tatsächlichen Lösung hat zuführen können. Dass eine solche Konfliktlösung aber mehr als des Norm­ 332  Siehe oben Seite  825–828 [Abschn.  2, B. III.] zur postulierten und tatsächlichen Schutzwirkung des ESchG. 333  Vgl. die Einschätzung Merkels, nach dem das Problem des Schwangerschaftsabbruchs ein „Ewigkeitsthema der Menschheit“ bildet und dies auch mit „einer profunden Ungewissheit über den moralischen Status des ungeborenen menschlichen Lebens“ begründet ist; Merkel, in: Roxin / Schroth, Medizinstrafrecht4, 295 (303). 334  Vgl. bereits nach der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung die entsprechende Einschätzung von Jerouschek, JZ 1989, 279 (279), „die Fronten hätten sich in dieser ‚Schicksalsfrage‘ der Nation eher verhärtet denn ausgesöhnt“. 335  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 41.



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erlasses, etwa einer grundlegenden Änderung der gesellschaftlichen Bedingungen (oder, wie zu zeigen sein wird, auch einer Fortentwicklung der Rechtsordnung selbst) bedürfte, tritt nicht länger erkennbar hervor, sondern wird durch die Existenz einer gesetzlichen Regelung nur kaschiert336. So mag das Gesetz die in ihrem Sicherheitsgefühl erschütterten Normadressaten beruhigen; es ist aber eben jener beruhigende Effekt, der gleichzeitig „die Wege zur Veränderung der Gesellschaft verstellt“, indem er „das System gegen andere Alternativen immunisiert“337. Ähnlich hat auch das BVerfG in seiner ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung auf einen möglichen Kausalzusammenhang hingewiesen, der zwischen dem generellen Verbot der Abtreibung und dem Umstand, „daß der Staat es unterlassen hat, andere ausreichende Maßnahmen zum Schutze des werdenden Lebens zu ergreifen“, besteht338.

C. Eine Schlussbemerkung: Die überfällige Wiederherstellung der Autopoiesis Soweit also die Kritik, die die vorliegende Untersuchung am Ungeborenenschutz der aktuellen Rechtsordnung übt: Beginnend auf der Ebene der Verfassungskonkretisierung und fortgesetzt in den einfachen Gesetzen präsentiert sich ein Schutzkonzept, das nur vorgibt, dem postnidativen ungeborenen Leben dienen zu wollen. Tatsächlich aber treten an die Stelle des manifesten Zwecks des Ungeborenenschutzes verschiedene andere latente Zielsetzungen, die von einer Bekräftigung der dem menschlichen Leben an sich gezollten Hochachtung über die Beschwichtigung der Divergenzen zwischen Abtreibungsgegnern und -befürwortern bis zum Beweis der gesetzgeberischen Bewirkungspotenz in einer abweichenden sozialen Wirklichkeit reichen. Unter Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs wird der Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens so zu einem (vornehmlich tatbestandlichen) Symbol degradiert, das abweichende (vornehmlich auf der Ebene der Ausnahmetatbestände in Erscheinung tretende) Tendenzen nur kaschiert; zugleich lässt sich die Rechtsordnung nur noch vermeintlich von den eigenen systeminternen Kriterien leiten, während sie tatsächlich nur verschiedene gesellschaftliche Vorstellungen in einem allopoietischen Sinne ungefiltert in sich vereinigt. 336  Siehe dazu Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 40 f. m. w. N.; vgl. auch Kindermann, in: Grimm / Maihofer, Gesetzgebungstheorie, 222 (235); Noll, ZSR 1981, 347 (364). 337  Vgl. dazu u. vorstehende Zitate aus Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 85; ebenso ders., a. a. O., 41. 338  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus BVerfGE 39, 1 (52).

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Durch jene Flucht in den Wertungswiderspruch hat die Rechtsordnung auf dem Gebiet des Ungeborenenschutzes für sich mithin einen Weg gewählt, der ihre Identität als ein selbstreferenzielles System zur Disposition stellt. Dabei bärge eine ehrliche Konfrontation mit der „sozialen Wirklichkeit“, den widerstreitenden gesellschaftlichen Ansichten und nicht zuletzt mit der eigenen (abbildenden und ergo eingeschränkten) Funktionsweise die Chance in sich, dass die Rechtsordnung ihre verlustig gegangene Identität neu definierte, namentlich die an die Spitze der Normenhierarchie gestellten Grundrechtsgarantien einschränkend auslegte, um sich so unter Anwendung dynamisch angepasster, systeminterner Kriterien im Einklang mit ihrem Regelungsgegenstand weiterentwickeln zu können. I. Identitätsbestimmung: Die Neudefinition systeminterner Kriterien Indem die vorliegende Untersuchung die Rechtsordnung so zur partiellen Neudefinition ihrer systeminternen Kriterien, namentlich zur offen verlautbarten Abkehr von der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese, ermutigt, will sie ihr eben dasjenige „Recht zur Resignation“339 zugestehen, das dem Gesetzgeber in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen noch ausdrücklich versagt worden ist. Denn unwidersprochen würde die Rechtsordnung buchstäblich „re-signieren“340, nämlich ihre bisherige Unterschrift (lat. signum341) unter dem postnidativen Ungeborenenschutz zurückziehen, wenn sie nicht nur erkannte, sondern auch bekannte, dass die in den Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen formulierte Gleichwertigkeitsthese den einfachen Gesetzen von vornherein nicht hat übergeordnet werden können. Gleich einer „Unterschrift“ kennzeichnet die verfassungsgerichtliche Gleichwertigkeitsthese die Rechtsordnung als das Werk solch eines Ausstellers, der die gleichwertige Teilhabe des postnidativen ungeborenen Lebens am objektiven Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG anerkennt. Seine diesbezügliche Anerkennung soll nicht nur das Produkt einer entsprechenden Zielsetzung bilden, sondern gar einer Verpflichtung entspringen, die dem Gesetzgeber durch seine Bindung an die Grundrechte – die vertikal in der Normenpyramide und horizontal im allgemeinen Gleichheitssatz zum Tragen kommt – aufgegeben ist. Getreu der Erwar339  BVerfGE

39, 1 (66). Unterschrift zurückziehen. Von lat. re-: zurück- (Pons-Lat.2, 870) u. lat. signare: mit einem Zeichen, Siegel, Stempel o. ä. versehen (a. a. O., 957). Vgl. lat. resignare: entsiegeln, ungültig machen, vernichten, zurückgeben; Pons-Lat.2, 898 f. 341  Lat. signum: Kennzeichen, Siegel, verkürzte Unterschrift; Pons-Lat.2, 957 f. 340  Eine



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tungshaltung, dass der Gesetzgeber jener Verpflichtung in einem autopoietischen Sinne nachzukommen sucht, rechnete man in der Folge mit einem strafgesetzlichen Abtreibungsverbot, das für die postnidative Ungeborenentötung weder einen vertatbestandlichten Indikationentatbestand noch einen Tatbestandsausschluss kannte. Tatsächlich ist es aber bei der Formulierung von Ziel und Verpflichtung geblieben, ohne dass deren Verwirklichung auch nur ernsthaft angemahnt worden wäre: Konfrontiert mit einer sozialen Wirklichkeit, innerhalb derer Abtreibung eine Massen- statt Ausnahmeerscheinung ist und sich deren Befürworter wie Gegner unversöhnlich gegenüberstehen, stand ein solch weit reichendes Verbot niemals zur Disposition. Entschlossen, gleichwohl an dem formulierten Ziel ebenso wie an der postulierten Verpflichtung verbal festzuhalten, hat sich die Gesetzgebung stattdessen zur Normierung eines strafgesetzlichen Lebensschutzes entschlossen, der die angemahnte Wertschätzung des postnidativen ungeborenen Lebens – begleitet vom verfassungsgerichtlichen Segen – nur äußerlich (systematisch) transportiert. Jenseits der Systematik aber erhebt er Embryonen und Feten zum Objekt sachlich nicht begründeter Ungleichbehandlungen, über die auch die juristischen Verrenkungen, die Gesetzgeber und Strafrechtswissenschaft zu deren Camouflage unternehmen, nicht hinwegtäuschen können: Ein Bruch mit den systeminternen Kriterien der Rechtsordnung wird unter Berufung auf eine notstandsähnliche Unzumutbarkeit (wie sie in § 218a Abs. 2 StGB normiert sein soll) oder auf die übergeordnete Idee eines Beratungskonzeptes (wie sie § 218a Abs. 1 StGB zu verwirklichen beansprucht) nicht vermieden, sondern allenfalls (unzulänglich) kaschiert. Ihrer konstituierenden Eigenschaft so verlustig gegangen, als ein selbstreferenzielles System zu wirken, müsste es das vordringlichste Ziel der Rechtsordnung bilden, ihre Autopoiesis wiederzuerlangen, indem sie sich auch verbal von der Gleichwertigkeitsthese distanzierte, d. h. sich von derjenigen postulierten Zielsetzung und „Unterschrift“ abwandte, die sie in der sozialen Wirklichkeit gar nicht umsetzen kann, ohne die eigenen, systeminternen Kriterien zu verletzen342. „Erkenne dich“ – jene an einer Säule der Vorhalle des Apollontempels in Delphi geschriebene Forderung343 möchte 342  Vgl. auch die Forderung Merkels in ZfL 2008, 38 (43), der für eine Beendigung „der kollektiven Selbsttäuschung“ eintritt, d. h. „der offenen Unehrlichkeit, der Embryo genieße in Deutschland den Schutz des Lebensgrundrechts und der Menschenwürde“, ausdrücklich seine Absage erteilt. Anders als vorliegende Untersuchung, meint Merkel diese Zielsetzung aber bereits durch eine an der einfachgesetzlichen Abtreibungsgesetzgebung orientierte Auslegung der grundrechtlichen Garantien verwirklichen zu können; dagegen die vorangegangenen Ausführungen in Kap. 3, Seite  158 f. [Abschn.  2, D. IV. vor 1.]. 343  Ausführl. dazu Tränkle, WJA / NF, 1985 / 11, 19–31; zur räumlichen Platzierung des Spruchs s. ebda., 21 f.

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man an dieser Stelle auch an die mit dem Ungeborenenschutz befasste Rechtsordnung richten. Sie hält zu einer Einsicht in die eigenen, im Vergleich mit den Göttern eingeschränkten Möglichkeiten des Menschen an; seiner Grenzen soll der Mensch gewahr sein und nicht der Gefahr erliegen, sich selbst zu überschätzen344. Entsprechend wird auch eine Rechtsordnung nur dann ihre Identität als ein selbstreferenzielles System wahren können, wenn sie ihre eigene Funktionsweise und deren Grenzen zutreffend bestimmt hat und sich in der Folge darauf beschränkt, innerhalb ihrer so bestimmten Grenzen tätig zu werden. Insofern ist vorliegend bereits ausgeführt worden, wie zumindest positiv-generalpräventiv ausgerichtete Strafgesetze keine der verfassungsgerichtlichen Gleichwertigkeitsthese entsprechende Einsicht vermitteln können, beschränken sich Strafgesetze nach zutreffender Ansicht doch darauf, ein bereits vorhandenes Bewusstsein durch seine Abbildung zu bestätigen345. Tatsächlich beschränkt sich dieser abbildende Charakter aber nicht nur auf Strafgesetze, die eine positiv-generalpräventive Wirkung entfalten sollen. Stattdessen sieht sich jede Norm in ein Spannungsverhältnis eingebettet346: Mit der Regulierung von Sachverhalten der Praxis befasst, obliegt es Verfassungsnormen und Strafgesetzen gleichermaßen, ihre Anbindung an den praktischen Gegenstand nicht zu verfehlen. Die Gesellschaft bildet so nicht etwa ein beliebig formbares Material, das die Rechtsordnung zu prägen übernommen hat. Im Gegenteil sind es die Norminhalte, die den gesellschaftlichen Verhältnissen nachfolgen, indem sie sie reflektieren. In diesem Sinne hat ein vorliegend bereits erwähntes Rechtsgutachten eines EU‑Expertennetzwerks347 – anlässlich des Weigerungsrechts des mit der Abtreibung befassten medizinischen Personals – erst in jüngerer Zeit den Versuch unternommen, die den Menschenrechten gewidmeten Texte „dynamisch, d. h. im Sinne eines vermeintlichen oder wirklichen gesellschaftlichen Wertewandels auszulegen“: In einem positivistischen Sinne würde die Auslegung unbestimmter Grundrechtsgarantien so durch die sich verändernde öffentliche Meinung bestimmt348. Soweit diese dynamische, das allgemeine Rechtsbewusstsein reflektierende statt formende Auslegung Kritik erfahren hat349, kann dem mit dem 344  Tränkle,

WJA / NF 1985 / 11, 19 (22 f. m. w. N.). dazu oben Seite  807–811 [Abschn.  2, B. II. 1. a)]. 346  Zur Einbettung von Strafrechtswissenschaft wie Strafgesetzgebung in ein Spannungsverhältnis vgl. oben Seite  831–836 [A. I.]. 347  EU Network of Independent Experts on Fundamental Rights, Opinion 4 / 2005; s. dazu bereits oben Kap. 5, Seite 537 [Abschn. 4, B.] u. Cornides, ZfL 2007, 2. 348  Siehe dazu Cornides, ZfL 2007, 2 (11 f.); vorstehende Zitate ebda., 2 (11), entnommen. 349  Krit. zum soeben in Fn. 347 zit. Rechtsgutachten: Cornides, ZfL 2007, 2; vgl. in anderem Zusammenhang Hoerster, ZfL 2006, 45. 345  Siehe



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Hinweis begegnet werden, dass sich eine solche Reflexion in einer auto­ poietischen Rechtsordnung freilich nicht ungefiltert vollziehen darf. In diesem Zusammenhang muss ein autopoietisches System, wie es die Rechtsordnung zu sein beansprucht, einerseits über Variablen verfügen, in die das allgemeine Rechtsbewusstsein Eingang findet und die auf diese Weise die Anbindung an die zu regulierende Praxis garantieren. Andererseits muss es aber auch Konstanten kennen, die gewährleisten, dass das zu reflektierende Bewusstsein seine notwendige Filterung erfährt und die Rechtsordnung nicht zur beliebig steuerbaren Marionette wandelnder Mehrheitsverhältnisse degradiert wird. Insofern wird man in der Verfassung absolute und relative Konstanten ausmachen können: Zu den absoluten Konstanten, die auch durch eine verfassungsändernde Mehrheit nicht angetastet werden können, zählen die in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG aufgezählten Verfassungsgrundsätze, denen neben der bundesstaatlichen Ordnung auch die in Art. 20 und Art. 1 GG normierten Grundsätze angehören. Gleich wie das allgemeine Rechtsbewusstsein gestaltet wäre, dürfte es mithin nicht daran rühren, dass der Gesetzgeber gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist; ebenso dürfte es weder die in Art. 1 Abs. 1 GG normierte Menschenwürdegarantie noch den Wesensgehalt des in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG normierten Lebensrechts in Frage stellen350. Jenseits dieses Kernbereichs bilden die Einzelgrundrechte der Art. 2 bis 19 GG immerhin noch relative Konstanten, auf die Mehrheitsverhältnisse zwar nicht ohne Weiteres, aber – vorbehaltlich einer qualifizierten Mehrheit nach Art. 79 Abs. 2 GG – durch ein verfassungsänderndes Gesetz Einfluss nehmen können351. Davon unbenommen bleibt – und insofern wäre man dann bei den Variablen des Verfassungssystems angelangt – eine sich wandelnde Auslegung des Schutzgehalts der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG, solange dadurch nur nicht die grundrechtlichen Garantien an sich zur Disposition gestellt werden. Nicht nur die Möglichkeit von Verfassungsänderungen, sondern explizit auch diejenige eines Wandels der vorliegend zur Veränderung aufgerufenen Verfassungskonkretisierung offenbart mithin, dass die durch die Verfassung gesetzten „Grenze[n] für die Lernfähigkeit“ selbst lernfähig sind352. Wenn Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schreibt, dass „jeder“ ein Recht auf 350  Zur Reichweite der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG s. Degenhart, Staatsrecht / I28, Rn. 232. 351  Zu den formellen Voraussetzungen einer Verfassungsänderung s. Degenhart, Staatsrecht / I28, Rn. 231. 352  Siehe dazu u. vorstehendes Zitat aus Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 65. Für eine noch weitergehende – nach vorliegend vertretener Ansicht aber den Vorrang der Verfassung missachtende – „Lernfähigkeit“ plädiert Merkel, wenn er aus der sozialen Unwirksamkeit einer Rechtsnorm (auch einer Grundrechtsnorm) ohne Weiteres auf deren rechtliche Unwirksamkeit folgert, mithin der vielfach bemühten Rechtswirklichkeit eine derogative Wirkung zuerkennt, ohne dem aber die

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Leben hat, und Art. 1 Abs. 1 GG die Unantastbarkeit der Würde des „Menschen“ verbürgt, lassen jene grammatikalisch unbestimmt gehaltenen Merkmale der Grundrechtsgarantien nicht zufällig Raum für ihre Auslegung353, die – wie der Streit um den Beginn schutzwürdigen menschlichen Lebens eindrücklich offenbart354 – zu gänzlich verschiedenen Ergebnissen führen kann: Indem das BVerfG die Teilhabe an den Grundrechtsgarantien jedem individuellen menschlichen Leben vorbehalten hat, hat es etwa die Individualität zum Grund der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens erhoben – eine konstituierende Voraussetzung, deren Erwerb (wie die diesbezüglichen Ausführungen des zweiten Kapitels dargelegt haben) wiederum ganz unterschiedlich datiert werden könnte355. Dass sich das BVerfG dabei entschlossen hat, den Beginn des individuellen menschlichen Lebens spätestens auf den Zeitpunkt zu datieren, zu dem sich das ungeborene Leben in die Gebärmutterschleimhaut eingenistet hat, liegt – wie bereits ausgeführt worden ist – maßgeblich in einem historischen Bewusstsein begründet, das anmahnt, den Lebens- und Würdeschutz nicht nur „qua definitionem“ zuzubilligen356. Eine weniger historisch begründete Auslegung könnte ihren Fokus demgegenüber auch auf die grundlegende Ratio der Rechtsordnung legen, als ein effektives Instrument zur Steuerung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu wirken: Insofern gebremst durch die soziale Wirklichkeit, die die Abtreibung als Massen- statt Ausnahmeerscheinung beinhaltet und innerhalb derer ein Konsens über die Gleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens zum geborenen Menschen unbekannt ist, könnte sich eine Auslegung der grundrechtlichen Garantien so mit Fug und Recht auch darauf verschlagen, den schutzbegründenden Individualitätserwerb des menschlichen Lebens erst auf einen späteren Zeitpunkt – etwa auf den der Geburt – zu datieren, über den sich ein allgemeines Rechtsbewusstsein bereits hat herausbilden können. Dabei böte die ZugehöNotwendigkeit einschlägiger gesetzlicher Veränderungen und gerichtlicher Entscheidungen vorzuschalten; dazu Merkel, ZfL 2008, 38 (40); krit. Hillgruber / Goos, ZfL 2008, 43 (46 f.). 353  Zur grammatikalischen und systematischen Unbestimmtheit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG s. bereits oben Kap. 2, Seite  66 [Abschn.  1, B. I.]. 354  Zu den verschiedenen möglichen Anfangspunkten einer Schutzwürdigkeit nach den Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 1  Abs. 1 GG s. ausführlich oben Kap. 2, Seite 65–117 [Abschn.  1, B.]. 355  Zur schutzbegründenden menschlichen Individualität vgl. etwa BVerfGE 88, 203 (251 f.) u. oben Kap. 2, Seite  87 f. [Abschn.  1, B. I. 1. b) bb) (2)] u. Seite 102 f. [Abschn.  1, B. I. 3.]. 356  Zur historisch begründeten Motivation des BVerfG s. einführend oben Kap. 2, Seite  78 f. [Abschn.  1, B. I. 1. b) aa) (1)] u. Seite  96–99 [ebda., B. I. 1. c)] anlässlich des Potenzialitätsarguments sowie Seite  112 [ebda., B. II. 1.] u. 114 f. [ebda., B. II. 2.] anlässlich des Schutzes nach Art. 1 Abs. 1 GG.



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rigkeit auch früherer Entwicklungsstadien zur menschlichen Gattung ebenso wie deren Potenzialität und Identität mit dem späteren, für schutzwürdig erkannten menschlichen Individuum hinreichend Grund, ihnen den Schutz der Rechtsordnung nicht gänzlich zu versagen; mangels eigenen Individualitätserwerbs bliebe es aber eine abgestufte und nicht in den Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Schutzwürdigkeit357. Ob nun bereits das postnidative ungeborene Leben (gleichwertig) am Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG teilhat oder erst spätere Entwicklungsstadien diese Wertschätzung erfahren: Gleichwertigkeits- wie Ungleichwertigkeitsthese liegen gleichermaßen im Rahmen der vertretbaren Auslegungsmöglichkeiten. Jedoch weiß nur eine von ihnen die soziale Wirklichkeit zu reflektieren und wird mithin der Funktionsweise der Rechtsordnung gerecht, die eine Gesellschaft unterstützend, d. h. abbildend, begleiten, nicht aber neu formen kann. Die „systeminterne Grenze für die Lernfähigkeit“358, die die Verfassung in den Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG und den sie konkretisierenden Entscheidungen zeichnet, ist demzufolge nicht unveränderlich, sondern birgt das Potenzial in sich, eine dem gesellschaftlichen Bewusstsein folgende Entwicklung zu nehmen. Davon eingeschlossen ist das Potenzial, vom Postulat eines absoluten Lebens- und Würdeschutzes Abstand zu nehmen, wenigstens aber das Potenzial, jenes Postulat nicht durch solch einen postnidativen Ungeborenenschutz unterstreichen zu wollen, der die Negation einer Differenzierung von Lebenswert und Würdeanspruch bereits im Mut357  Zu solch einer Entkoppelung des einfachgesetzlichen und verfassungsrecht­ lichen Lebensschutzes vgl. auch Hoerster, Ethik, 110–112; ders., JuS 2003, 529 (530); zsfd. Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 159. Ähnl. auch Merkel, der das ungeborene Leben weder an den in den Grundrechtsgarantien normierten Abwehrrechten noch an den dazugehörigen Schutzpflichten teilhaben lassen will, jedoch eine um das Prinzip des Normenschutzes ergänzte Solidaritätspflicht gegenüber dem Umgeborenen anerkennt, die er auch als „objektivrechtliches Derivat“ der Grundrechtsgarantien bezeichnet; dazu Merkel, Forschungsobjekt, 39–41, 142–145 u. 268; ders., ZfL 2008, 38 (42); zsfd. Müller-Terpitz, a. a. O., 162 f., m. Kritik a. a. O., 168; vgl. auch Wendtland, Forschung, 142; für einen Überblick über strafgesetzlich wirkende Drittinteressen am Schutz des Ungeborenen s. Zimmermann, Rettungstötungen, 440–443. Freilich müsste sich eine solche Entkoppelung dem von Müller-Terpitz formulierten Einwand stellen, dass die Zielsetzung eines verfassungsrechtlich nicht fundierten pränatalen Lebensschutzes keine Eingriffe in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte zu rechtfertigen wüsste; s. dazu Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, 169 f. Dem wüsste aber bereits – d. h., ohne dass es einer grundgesetzlichen Einkleidung bedürfte – die Integration eines Grundsatzes der pränatalen Gattungssolidarität in das Grundgesetz Abhilfe zu leisten; zur insofern großzügigen Anerkennung kollisionsfähiger Verfassungsgüter durch die Verfassungslehre vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte28, Rn. 328. 358  Neves, Symbolische Konstitutionalisierung, 65.

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terleib symbolisch hervorkehren soll. Hand in Hand damit ginge die nicht nur zeitliche Distanzierung von der eigenen Geschichte: Nachdem das postwie pränatal Geltung beanspruchende Postulat vom absoluten Lebens- und Würdeschutz noch unverkennbar ein Produkt der Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Regime ist, hat sich die Gesellschaft seither nicht nur zeitlich von diesem Kapitel ihrer jüngeren Geschichte entfernt, sondern hat sich verschiedentlich auch damit konfrontieren müssen, wie sie Lebensschutz und Würdegarantie sehr wohl relativiert, dies jedenfalls dann, wenn ihre Rechtsordnung mit der Regulierung solcher Sachverhalte befasst ist, die das menschliche Leben vor dem Beginn seiner Geburt betreffen. Vielleicht wäre es nunmehr an der Zeit, dass der Gesetzgeber die diesbezüglichen Einschränkungen seiner eigenen Handlungsfähigkeit offen bekannte, und die an ihn gerichtete Erwartungshaltung, einen „absoluten“ Lebens- wie Würdeschutz positiv-generalpräventiv wirksam zu transportieren, zurückwiese, anstatt dass er sie weiterhin vergeblich – oder besser noch, nur angeblich – zu erfüllen suchte. II. Identitätsentwicklung: Die Umstrukturierung einfacher Gesetze und verfassungsgerichtlicher Thesen Der Gleichwertigkeitsthese so abgewandt, einer nur abgestuften Schutzwürdigkeit der postnidativen Entwicklungsstadien zugewandt, könnte die Rechtsordnung Embryonen und Feten forthin anders als den geborenen Menschen behandeln, ohne dass sie für die betreffenden Ungleichbehandlungen einen gewichtigen sachlichen Grund müsste anführen können. Der voneinander abweichende Schutz der verschiedenen Entwicklungsstadien erklärte sich bereits aus deren fehlender wesentlicher Gleichheit; insofern durch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht unter Rechtfertigungszwang gestellt, geriete die Rechtsordnung nicht länger in Verlegenheit, vermeintlich sachliche Gründe (er‑)finden zu müssen. Dies gälte zunächst für die einfache Gesetzgebung, die der Notwendigkeit enthoben wäre, die Rechtfertigung der medizinisch-sozial indizierten Ungeborenentötung in das Gewand einer notstandsähnlichen Unzumutbarkeit zu kleiden und die Straflosigkeit der nicht indizierten Ungeborenentötung mit der übergeordneten Idee eines Beratungskonzeptes zu erklären. Ebenso sähe sich die Verfassungsrechtsprechung entlastet, die die einschlägigen Ausnahmetatbestände nicht länger als verfassungsmäßig auszuweisen hätte, und könnte die Strafrechtswissenschaft wieder den eigenen allgemeinen Grundsätzen folgen, nach denen die Tötung eines an der Gefahrentstehung unbeteiligten Eingriffsadressaten nicht ausnahmsweise und schon gar nicht regelmäßig gerechtfertigt werden kann und nach denen die Rettung vieler menschlicher Individuen keinen Anlass für die straflose Tötung auch nur eines einzigen individuellen menschlichen



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Lebens bilden darf. Dergestalt wieder zurückgeführt auf systeminterne Kriterien, die einheitlich zur Anwendung kommen können, könnten auch Diskussionen um den Ungeborenenschutz jenseits des Strafgesetzbuches endlich einer autopoietischen Entscheidung zugeführt werden: Denn erlebte die Abtreibungsgesetzgebung selbst eine grundlegende Revision und Reform, entfiele die Gefahr, dass sich der Gesetzgeber forthin an einer allopoietisch geformten Regelung orientierte, deren Wertungswidersprüche sich – gleich einem „Weiterfresser“ – auf die Gesamtheit der Rechtsordnung auszubreiten drohen. Dabei darf der vorliegend formulierte Appell jedoch nicht missverstanden werden: Die vorliegende Untersuchung wirbt nicht etwa dafür, die Grundrechtsgarantien der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG unter Zuhilfenahme der einfachen Gesetze auszulegen, die in Reaktion auf die soziale Wirklichkeit zu erkennen geben, wie dem postnidativen ungeborenen Leben wenigstens ein geringerer Wert als dem geborenen Menschen zugemessen wird. Denn wer § 218a Abs. 2 und § 218a Abs. 1 StGB ein abgestuftes Lebensrecht oder auch nur einen abgestuften Lebensschutz des Ungeborenen zu entnehmen sucht oder aber die einschlägigen Gesetze zum Anlass nimmt, um Embryonen und Feten das Grundrecht auf Leben gänzlich abzusprechen359, stellt die einfachgesetzliche Wertung vor die der verfassungsgerichtlichen Konkretisierung der Art. 2 Abs 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG; dies gleichwohl der Grundsatz der Normenpyramide ebenso wie der allgemeine Gleichheitssatz eine subsidiäre Bindung an einfaches Recht solange untersagen, wie der Schutzbereich einer übergeordneten grundrechtlichen Wertung eröffnet ist360. Darüber weiß auch nicht hinwegzutäuschen, dass das BVerfG die geltende strafgesetzliche Kombination von Tatbestands- und Indikationenlösung als verfassungsmäßig bestätigt hat. Denn insofern hat die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung zum Ausdruck gebracht, wie der verfassungsgerichtliche Entwurf einer vorgeblich verfassungsmäßigen Abtreibungsgesetzgebung die gleichzeitig postulierte Gleichwertigkeitsthese nur in einfachgesetzliche Form hat gießen sollen361. Insoweit die §§ 218 ff. StGB stattdessen als vertikal und horizontal wertungswidersprüchlich identifiziert worden sind, manifestiert sich mithin nur das Misslingen jenes vorgeblichen Versuchs, präsentiert sich aber keine gleichwertige Alternative der Verfassungskonkretisierung, die die ausdrücklich verlautbarte Gleichwertigkeitsthese in Frage stellen dürfte. Insofern kann jeder Mensch 359  Krit. dazu bereits oben Kap. 3, Seite  158 f. [Abschn.  2, D. IV. vor 1.] m. w. N. 360  Insofern zum Grundsatz der Normenpyramide s. oben Kap. 3, Seite  156 [Abschn.  2, D. III.] u. 157–159 [ebda., D. IV. vor 1.]; insofern zum allgemeinen Gleichheitssatz s. oben Kap. 3, Seite  167 f. [Abschn.  2, E. I. 1. c)]. 361  Siehe dazu erstmals oben Kap. 2, Seite  56 f. [Abschn.  1, vor A.].

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erwarten, muss es aber auch ertragen können, dass man ihn beim Worte nimmt; was für den Menschen gilt, kann auch für das BVerfG nicht anders beurteilt werden. Aber nicht nur der hierarchische Aufbau der Rechtsordnung würde missachtet, ließe man einfachgesetzliche Normen anstelle der verfassungsgerichtlichen Postulatio über die Auslegung der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG entscheiden. Indem man die Normen nur anders auslegte, sie im Übrigen aber unverändert ließe, lebten vertikale wie horizontale Wertungswidersprüche fort und wüssten latenten Zielsetzungen durch ihre Funktionalisierung unvermindert als Nahrung zu dienen: Nur einer individuellen Lesart der forthin mehrdeutigen §§ 218 ff. StGB würde die Ungleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens entnommen, während die Rechtsordnung ob der unveränderten Systematik von Tatbestand und Ausnahmetatbestand und der nicht revidierten Gleichwertigkeitsthese des BVerfG weiterhin hinreichend Anhaltspunkte für die Gegenansicht beinhaltete, die aus ihrer abweichenden Lesart auf eine rechtliche Bestätigung der Gleichwertigkeitsthese und eine begleitende Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers schlussfolgern könnte. Ein Appell, die Reichweite der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung der einfachgesetzlichen Ungleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens auszulegen, beschränkte sich mithin darauf hinzuweisen, dass die Gesetzesadressaten über die Möglichkeit zur selektiven Rezeption der ihnen präsentierten Normen verfügen, wirkte damit aber allenfalls symptomatisch, während er die Wertungswidersprüche als Produkt und Quelle eines allopoietischen Rechts fortbestehen ließe. Der Appell, der in vorliegender Untersuchung formuliert werden soll, muss mithin weiter reichen und weist auf einen Weg, der gleichermaßen Courage erforderte wie unbequem wäre und den die Rechtsordnung in der Folge wohl leider auch nur unwahrscheinlich beschreiten wird. Es wäre ein Weg, der erneut in die „Schlachten der 80er- und 90er-Jahre“ führte, von denen verlautbart wird, man müsse sie „Gott sei Dank nicht erneut“ bestreiten362: in Schlachten, die nicht geschlagen sein wollen, weil „die Parlamentarier aller Fraktionen […] wohl eine grundsätzliche Debatte über den § 218 StGB und eine Aufkündigung des 1993 / 1995 so mühsam errungenen gesellschaftlichen Kompromisses [fürchten]“363. Will man aber die Auopoiesis der Rechtsordnung wiederherstellen, sind diese Schlachten unumgänglich und ist es gerade der kompromisshafte Charakter der Abtreibungsgesetzgebung, 362  Vorstehende Zitate entnommen aus dem Redebeitrag von Renate Schmidt (SPD) anlässlich der Diskussion um die Einführung des § 2a SchKG, s. dazu bereits oben Kap. 1, Seite  43 [vor Abschn.  1], ebenso Kap. 8, Seite  821 [Abschn.  2, B. II. 3. b)] u. BT-PlenProt 16 / 221, 24208 D. 363  Kreienberg / Ludwig, 125 Jahre DGGG, 24.



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der mit all seinen Wertungswidersprüchen aufgekündigt werden muss. Angefangen mit den Strafgesetzen, gälte es, eine einfachgesetzliche Regelung zu normieren, die nicht länger einen Rechtsgüterschutz markierte, den sie zu verwirklichen weder willens noch fähig ist. Stattdessen könnte in Anknüpfung an die Ergebnisse der Kapitel 5 und 6 zunächst in Erwägung gezogen werden, das Verhältnis der Rechtsgüter der Schwangeren und des postnidativen ungeborenen Lebens auch systematisch umzukehren, indem auf der Ebene des Tatbestandes nicht länger das postnidative ungeborene Leben, sondern das Recht der Frau verbürgt würde, eine Schwangerschaft abzubrechen, vorbehaltlich dessen, dass sie das gesetzlich bestimmte Verfahren gewahrt hat: „Wer eine Frau hindert, ihre Schwangerschaft nach dem Verfahren des § 218a StGB abzubrechen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu x Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“. Im Anschluss hieran wären die geltenden Ausnahmetatbestände des § 218a StGB sodann als den Tatbestand des § 218 StGB ergänzende Verfahrensvorschriften zu formulieren. In diesem Sinne hat die Conclusio des fünften Kapitels zusammengefasst, wie die generell-abstrakt entschiedene Interessenabwägung des § 218a Abs. 2 StGB dem Leben und der körperlichen wie seelischen Gesundheit der Schwangeren für den Fall drohender schwerwiegender Beeinträchtigung einen quasi „vertatbestandlichten“ Schutz zukommen lässt, der dem Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens für den Anwendungsbereich der Indikation sogar vorangestellt ist364. Mit jenem „vertatbestandlichten“ Schutz geht insofern ein Recht der Frau auf Abtreibung, d. h. auf Tötung des postnidativen Ungeborenen, einher, als er sie nicht ausnahmsweise, sondern regelmäßig vor etwaigen Rettungsmaßnahmen Dritter abschirmt: Versteckt auf der Rechtfertigungsebene, sieht sich in Indikationenlagen so ein „Recht auf das Nichteinschreiten Dritter“ verwirklicht, das in den in § 12 SchKG normierten Grenzen gar als Anspruchsrecht der Schwangeren zu wirken vermag365. Weitergehend noch stellt § 218a Abs. 1 StGB den Verbotstatbestand des Schwangerschaftsabbruchs unter eine auflösende Potestativbedingung und überantwortet die Reichweite des in § 218 Abs. 1 StGB normierten Straftatbestandes zwar nicht systematisch, aber effektiv dem (für vorrangig erkannten) Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. Insofern hat das sechste Kapitel also feststellen müssen, wie das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs auch jenseits einer Indikationenlage in seiner tatbestandlichen Wirkung einbüßt und wie an seine Stelle das regelmäßige Verbot tritt, eine das Verfahren des § 218a Abs. 1 StGB wahrende Frau wegen des Schwangerschaftsabbruchs strafrechtlich zu belangen366. Soweit also bildete eine Rege364  Siehe

oben Kap. 5, Seite  531–533 [Abschn.  4, A.]. oben Kap. 5, Seite  534–539 [Abschn.  4, B.]. 366  Siehe oben Kap. 6, Seite  667–669 [Abschn.  3]. 365  Siehe

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lung wie die vorgeschlagene, die das Recht der Schwangeren zur verfahrensmäßigen Tötung anstelle des vorgeblichen Lebensrechts des Ungeborenen tatbestandlich verbürgte, dasjenige umgekehrte Rechtsgüterverhältnis ab, das die Merkmale des § 218a im geltenden Strafgesetz tatsächlich transportieren. Sie bärge jedoch zwei Nachteile in sich, ob derer weiter nach einer alternativen Regelung gefragt werden muss: Zum einen brachte sie zum Ausdruck, dass das Recht der Frau zur Abtreibung regelmäßig bestände und nur in Ausnahmefällen negiert werden könnte. Dies mag innerhalb der ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis für den nach geltendem Recht nicht indizierten Schwangerschaftsabbruch zutreffen, für den eine Frau der Gründe nicht bedarf, sodass ihr seine ungestörte Durchführung bereits dann gewährleistet ist, wenn sie nur das Angebot einer Konfliktberatung wahrgenommen hat. Jenseits der zwölften Woche nach der Empfängnis aber darf sie wenigstens nicht grundlos töten, sondern muss im Anwendungsbereich des geltenden § 218a Abs. 2 StGB nach ärztlicher Erkenntnis in ihrem Leben gefährdet sein oder der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes erliegen. Nur innerhalb des so bestimmten Gefahrenbereichs wird der Abbruch einer Schwangerschaft dann regelmäßig („vertatbestandlicht“) zugelassen – ein Umstand, den die tatbestandliche Verbürgung eines Rechts auf verfahrensmäßige Tötung, wie vorgeschlagen, nicht zu verdeutlichen wüsste. Schwerer aber noch wiegt letztlich der Umstand, dass eine solche Regelung kaum mehr kenntlich machte, dass durch einen Schwangerschaftsabbruch wenn schon kein am Schutzgehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG teilhabendes Individuum, so doch immer noch ein menschliches Leben in seiner Existenz zerstört würde, das sich in seinem „Durchgangsstadium“ zum Individualitätserwerb wenigstens ob seiner Spezieszugehörigkeit, Potenzialität und Identität als (abgestuft) schutzwürdig erwiese. Dessen nach der geltenden Gesetzeslage bereits zurückgenommener Schutz würde weiter minimiert, wenn keine Strafandrohung die Schwangere an das in § 218a Abs. 2 und Abs. 1 StGB normierte Erkenntnisoder Beratungsverfahren bände, sondern sie das Verfahren nunmehr allein aus eigenem Interesse betriebe, um sich ihres Rechts auf ein Nichteinschreiten Dritter zu vergewissern. In allen Fällen, in denen kein Dritter Anstoß an ihrem Abbruchsvorhaben nähme, bliebe ihr Verfahrensverstoß aber folgenlos. Insbesondere mit Blick auf die augenscheinlichen Bemühungen der Rechtsordnung, der jüngeren deutschen Geschichte mit ihrer besonderen Wertschätzung des menschlichen Lebens zu begegnen und dies im Bewusstsein der Bevölkerung gegenwärtig zu halten, scheint es stattdessen vorzugswürdig, die Anerkennung des ungeborenen Lebens als schutzwürdiges Rechtsgut nur insoweit zurückzunehmen, als dadurch ein Einklang mit der abzubildenden sozialen Wirklichkeit erreicht werden kann und Wertungswi-



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dersprüche vermieden werden. Dem dürfte eine solche Regelung gerecht werden, die das embryonale und fetale Leben zwar forthin zum tatbestandlich geschützten Rechtsgut erhöbe, jedoch nicht länger die Tötung an sich unter Strafandrohung verböte, sondern sich allein gegen die nicht verfahrensmäßige Tötung wandte367, etwa in der Art: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, ohne das in § 218a normierte Verfahren erfüllt zu haben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“. Besser noch, um den Gefahren einer neutralisierenden – das Tatobjekt nicht nennenden und die Tathandlung nicht als Tötung qualifizierenden368 – Gesetzessprache vorzubeugen: „Wer ungeborenes menschliches Leben nach Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter tötet, ohne das in § 218a normierte Verfahren erfüllt zu haben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“. Unter Strafandrohung verboten würde so immer noch ein Verhalten, das sich gegen das postnidative ungeborene Leben als tatbestandlich verbürgtes Rechtsgut richtete; der Fokus des Gesetzes bliebe auf das Ungeborene gerichtet und überhöhte nicht unnötig die Rechtsgüter der Frau. Gleichzeitig unterschiede sich seine Schutzwürdigkeit erkennbar von der des geborenen Menschen, der in den §§ 211 ff., 222 StGB vor seiner Tötung geschützt wird, während dem Embryo und Fetus nur die Wahrung eines Verfahrens garantiert wird: In den Fällen der geltenden Tatbestandslösung ist dies die verpflichtende Wahrnehmung eines Beratungsangebots, das die Schwangere zwar nicht zur Offenlegung ihrer Gründe anhält, ihr aber Alternativen zur Ungeborenentötung vor Augen führen soll; in den Fällen des medizinisch-sozial indizierten Schwangerschaftsabbruchs ist dies der positive Ausgang eines zwingenden medizinischen Verfahrens, an dessen Ende die ärztliche Erkenntnis einer Lebensgefährdung oder Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der betroffenen Frau gestellt sein muss. Soweit den Gegenstand des medizinischen Verfahrens der eher sozial indizierte, ehemals „embryopathisch“ genannte Schwangerschaftsabbruch bildet, wird es seit der Einführung des § 2a SchKG überdies um die optionale Wahrnehmung eines Beratungsangebots ergänzt, das der betroffenen Frau im Anschluss an einen positiven pränataldiagnostischen Befund zur Seite stehen und im Zuge dessen auch die Option des Lebens mit einem behinderten Kind darlegen kann. 367  Diese Einschätzung von einem Verbot nur des nicht verfahrensgemäß durchgeführten Schwangerschaftsabbruchs teilen für das Zusammenspiel von § 218 Abs. 1 StGB und § 218a Abs. 1 StGB u. a. Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 1 u. Rn. 2 a. E.; s. dazu auch bereits oben Seite  668 [Kap. 6, Abschn.  3] m. Fn. 479 u. weiteren Nw. Weniger weitreichend als vorliegend vertreten, weisen Maurach / Schroeder / Maiwald, BesT / 110, § 6, Rn. 3, im Anschluss an diese Einschätzung aber nur auf eine irreführende Formulierung der Überschrift des § 218 hin. 368  Zur Neutralisierung der aktuell in § 218 StGB verwendeten Gesetzessprache s. oben Seite  771–783 [Abschn.  1, B. II.].

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Zutage träte so – nunmehr auf der Tatbestandsebene und in den damit verknüpften Verfahrensvorschriften offen kundgetan – eine pränatale Schutzwürdigkeit, nach der sich das postnidative ungeborene Leben nicht als gleichwertig zum geborenen Menschen (einem menschlichen Individuum) präsentierte, in seinen früheren Entwicklungsstadien, die gleichzeitig „Durchgangsstadien“ zum Individualitätserwerb bilden, aber einen anderweitigen, zeitlich abgestuften Schutz erführe. Seine repressiven Mittel brachte das Strafgesetz nur noch eingeschränkt zur Anwendung, indem es in späteren Entwicklungsstadien die Tötung jenseits einer ärztlich diagnostizierten Gefahrenlage unter Strafandrohung verböte und in früheren Entwicklungsstadien unter Strafandrohung nur zur Wahrnehmung eines im Übrigen präventiv wirkenden Beratungsangebots verpflichtete. Soweit also bildet eine Neustrukturierung der gesetzlichen Regelungen, durch die offen zutage träte, wie die Rechtsordnung dem pränatalen menschlichen Leben nur einen abgestuften Wert zuerkennt, das Anliegen der vorliegenden Untersuchung, die auf eine wertungswiderspruchslose Fassung des strafgesetzlichen Lebensschutzes drängt. Dabei kann die grobe Skizze eines alternativen Verhältnisses von Tatbestand und Verfahrensvorschriften, wie sie soeben versucht worden ist, buchstäblich nur als Anstoß dienen; die Einzelheiten und weitergehende Fragen, die sich aus den in der vorliegenden Untersuchung herausgearbeiteten Kritikpunkten ergeben369, können und sollen an dieser Stelle gar nicht aufgelöst werden. Dass sie in den vorangegangenen Kapiteln Erwähnung gefunden haben, soll genügen, um ein Bewusstsein von dem Handlungsbedarf zu schaffen, mit dem sich ein seiner Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlender Gesetzgeber konfrontiert sähe. Dabei wäre die Umstrukturierung der einfachen Gesetze der initiierende Part, auf den auch das BVerfG – vorbehaltlich seiner Anrufung etwa im Rahmen eines abstrakten Normenkontrollverfahrens – reagieren könnte: Befasst mit einer gesetzlichen Regelung, die nicht nur die soziale Wirklichkeit abbildete, sondern auch das tatsächlich in den §§ 218, 218a StGB zur Anwendung kommende Rechtsgüterverhältnis in Worte fasste, erlangte das Gericht die Chance, seine eigenen Aussagen zu korrigieren und die ehemals postulierte Gleichwertigkeitsthese zurückzunehmen, die es bereits in seiner zweiten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung nur symbolisch hatte ver369  Von dieser weitergehenden Kritik erfasst sieht sich beispielsweise der aktuell praktizierte und gesetzlich legitimierte Automatismus zwischen einem positiven pränataldiagnostischen Befund und der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren (s. dazu oben Kap. 5, Seite  315 f. [Abschn.  1, A.]) ebenso wie die gesetzliche Regelung und tatsächliche Durchführung der Schwangerschaftskonfliktberatung, die nur vorgeblich versucht, ihrer Ausrichtung am Ungeborenenschutz gerecht zu werden (s. dazu oben Kap. 6, Seite  654 f. [Abschn.  2, B. II. 3.]).



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lautbaren können, wie sein Entwurf einer angeblich verfassungsmäßigen, den Lebensschutz des Ungeborenen tatsächlich aber nur abstufenden Abtreibungsgesetzgebung bereits seinerzeit zu erkennen gegeben hat. Erst dann wären die Dreh- und Angelpunkte der einschlägigen Wertungswidersprüche in der geltenden Rechtsordnung aufgehoben: Weder eine postulierte Gleichwertigkeitsthese des BVerfG noch eine täuschende Systematik des einfachen Gesetzes suchte länger den Anschein zu erwecken, das postnidative ungeborene Leben für gleichwertig zum geborenen Menschen zu befinden, während die Rechtsordnung es tatsächlich doch verschiedentlich den Interessen der Schwangeren unterordnet oder sogar zu deren Disposition stellt. Wenn die Rechtsordnung das postnidative ungeborene Leben stattdessen unverhohlen als ungleichwertig kennzeichnete, stellte dies nicht etwa eine rechtsschöpfende Tat dar, die dem Ungeborenen einen vormals gewährleisteten Schutz entzöge, sondern erschöpfte sich in klarstellenden Worten, die nur das bereits Vorhandene nicht länger leugneten und eine lang währende Verwirrung ihrem überfälligen Ende zuführten. III. Der neuen Identität erwachsende Perspektiven Zugleich wäre damit nicht zwingend eine abschließende Aussage über den Wert des postnidativen ungeborenen Lebens getroffen, die von nun an und für alle Zeiten den strafgesetzlichen Lebensschutz prägen müsste. Es ist dies ja gerade der Reiz und die Chance einer Rechtsordnung, die Werte nicht autoritär bestimmt, sondern in ihren Werten der Gesellschaft folgt, dass sie für verschiedene Entwicklungen offen sein kann. So wäre niemand gehindert, seine ablehnende Haltung kundzutun, mit der er einer Abkehr von der Gleichwertigkeitsthese begegnet, und wäre noch weniger gehindert, seinerseits eine Art der Bewusstseinsbildung zu betreiben, indem er durch Demonstrationen, Informationsmaterialien oder andere Arten des legalen Protestes auf die Gesellschaft einzuwirken suchte. Dem Recht im Allgemeinen und den Strafgesetzen im Besonderen ist es verwehrt, neues Bewusstsein zu prägen – den „Theologen, Moralphilosophen, Standesethiker[n]“370 und jedem anderweitig engagierten Menschen bleibt dies aber unbenommen. Mündete deren Bestreben in einen Erfolg und bewegte die Menschen zu einem erkennbaren Konsens über die Gleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens, wüssten deren veränderte Wert- und Unrechtsvorstellungen unschwer Eingang in eine abbildende Rechtsordnung zu finden. Es wäre dies nunmehr aber eine Rechtsordnung, die der Gesellschaft folgte, wenn sie die Gleichwertigkeit des postnidativen ungeborenen Lebens behauptete. Insofern müssten latente 370  Zitat entnommen aus Kaufmann, in: Flöhl, Genforschung, 259 (266); vgl. oben bereits oben Kap. 8, Seite  811 [a. E. von Abschn.  2, B. II. 1. a)].

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Zielsetzungen nicht länger ihren manifesten Zweck des Rechtsgüterschutzes verdrängen und würden insbesondere nicht länger solche Wert- und Unrechtsvorstellungen demonstriert, die tatsächlich aber beständig unterlaufen werden und nur scheinbar im Aktionsraum eines handlungsfähigen Gesetzgebers liegen. Zutreffend ist, dass eine „an den Möglichkeiten und Schwächen der Menschen ausgerichtete“371 Rechtsordnung stets nur so gut sein kann, wie es die Menschen sind, die ihr schließlich nicht nur unterworfen sind, sondern die Rechtsordnung auch erst produzieren. Es stellt sich zum Abschluss der vorliegenden Untersuchung damit sicherlich die Frage, ob man – und damit sieht sich die Verfasserin selbst angesprochen – die Verantwortung für den formulierten Appell übernehmen möchte, der für eine unverhohlene Relativierung des menschlichen Lebensund Würdeschutzes streitet. In diesem Sinne offenbart sich verschiedentlich eine Befürchtung des Inhalts, dass „das Tötungsverbot auch in Bezug auf Personen aufgeweicht werden könnte“372, ja, mehr noch, dass eine (offene) Relativierung des Lebensschutzes Ungeborener gar „[u]nser gesamtes Wertsystem […] ins Wanken“373 bringen könnte. Angesichts solcher Sorgen und Ängste mag man sich versucht fühlen, auch an einer bloßen Protestatio vom Wert des ungeborenen Lebens festzuhalten: nicht etwa, weil diese Protestatio Wahrhaftigkeit für sich beanspruchen könnte, sondern weil sie der fortschreitenden Relativierung des Lebens- und Würdeschutzes wenigstens ein (verbales) Hemmnis in den Weg legen soll. In diesem Zusammenhang findet man anderenorts die Vorstellung von einem zu befürchtenden Dammbruch374, wenn ein vermeintlicher Kausalzusammenhang zwischen einer liberalen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs und einer sich ausweitenden Forderung nach aktiver Sterbehilfe in den Raum gestellt wird375. Auch die Frage, ob das Urteil des BGH v. 25.06.2010 im sog. Fuldaer Fall376 Teil entnommen aus Gropp, GA 1988, 1 (9). aus Giwert, Präimplantationsdiagnostik, 76. 373  Zitat aus Leisner in NLpB, Recht auf Leben, 9 (51); vgl. zudem bereits aus dem Jahre 1910 Ritter. v. Liszt, Fruchtabtreibung / I, 88 m. § 36, nach dem eine Missachtung der Rücksichtnahme „gegenüber dem menschlichen Leben im allgemeinen […] zu den unhaltbarsten Konsequenzen führen würde“. 374  Diesbzgl. krit. Hilgendorf, in: Gethmann / Huster, PID, 175 (186); Merkel, ZfL 2008, 38 (43); ausführl. zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Dammbruchsarguments (auch: des „Schiefe-Bahn“- oder „slippery-slope“-Arguments): ders., Forschungsobjekt, 199–209. 375  Beckmann, Abtreibung3, 9; zu entsprechenden Befürchtungen vgl. auch Böhr, Mensch, Zeit-Online v.  07.02.2008, 3 f.; Dreier, ZRP 2002, 377 (382); Geiger, Jura 1987, 60 (61); Hirsch, in: ders., Probleme, 814 (831); krit. Freudiger, Selbstbestimmung, 136. 376  BGH JZ 2011, 532; zu seiner Konkretisierung um den Beschluss des BGH v. 10.11.2010 (Kölner Fall) s.  Engländer, JZ 2011, 513 (516 u. krit. 519). 371  Zitat 372  Zitat



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einer bereits aktuellen Relativierung des Lebensschutzes am Lebensende ist, muss gestellt werden dürfen: Ebenda hat das Gericht zunächst zwar nur seinen Beitrag zur Rechtssicherheit geleistet, indem es von seiner herkömmlichen Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen im Bereich der Sterbehilfe abgerückt ist und stattdessen dazu übergegangen ist, jede sich durch einen sog. „Behandlungsabbruch“ vollziehende Sterbehilfe – ob in Gestalt des aktiven Tuns oder des passiven Unterlassens – für rechtmäßig zu befinden, sofern sie nur dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht377. Unter Fokussierung auf die Patientenautonomie ist für den Bereich der vormals passiv genannten Sterbehilfe mithin zweierlei klargestellt worden: zum einen, dass die Pflicht des Arztes zur Lebenserhaltung nicht erst dann endet, wenn der Krankheitsverlauf die unmittelbare Phase des Sterbens erreicht hat378, zum anderen, dass § 216 StGB – beschränkt auf Fallkonstellationen des Behandlungsabbruchs – einer Einwilligungslösung nicht im Wege stehen muss379. Maßnahmen der (passiven) Sterbehilfe müssen so nicht länger von einem positiven Tun in ein Unterlassen umgedeutet werden, um die Billigung der Rechtsordnung zu erfahren. Letztlich sind bzgl. ihrer zeitlichen Spannweite und ihres äußeren Erscheinungsbilds aber doch zwei Tabuisierungen der Sterbehilfe entfallen, sodass eine zunehmende „Individualisierung“ (und Relativierung) des Lebensschutzes am Lebensende wenigstens in Erwägung gezogen werden könnte und die Sorgen um einen nahenden „Dammbruch“ im Lebensschutz jedenfalls nicht zerstreut, gegebenenfalls sogar forciert worden sind. Nicht für das Lebensende, sondern für die Anfänge des postnatalen Lebens hat schließlich vor nicht allzu langer Zeit Wolfgang Böhmer, der bis 2011 Ministerpräsident von SachsenAnhalt war, solchen Befürchtungen Nahrung gegeben, als er das häufigere Auftreten von Kindstötungen in den neuen Bundesländern auf die (gleichfalls eher liberale) Abtreibungsgesetzgebung der ehemaligen DDR zurückzuführen suchte380 und in seiner diesbezüglichen Vermutung wenigstens vo377  Siehe dazu u. zu den einzelnen Voraussetzungen eines solchen Behandlungsabbruchs Engländer, JZ 2011, 513 (515 f.); zur dogmatischen Verortung der Rechtmäßigkeit in der Garantenpflicht, objektiven Zurechnung oder einem eigenständigen Rechtsfertigungsgrund s. ders., a. a. O., 513 (518). 378  So bereits im Jahre 1994 BGHSt 40, 257 (260 u. 262); s. dazu Wessels / Hettinger, BesT / 136, Rn. 38; anders hingegen noch BGHZ 154, 205 (215). 379  Krit. zur Notwendigkeit einer Einwilligung in die lebensbeendigende oder todesbeschleunigende Maßnahme (statt eines Widerrufs der Einwilligung in die andauernde Behandlung) ders., a. a. O., 513 (517). 380  Siehe dazu Beckmann, ZfL 2008, 1; Graff, „Familienplanung“, Süddeutsche. de v. 11.05.10; vgl. in diesem Zusammenhang auch zu einem erhöhten Vorkommen des Schwangerschaftsabbruchs auf dem Gebiet der (ehemaligen) DDR in den Jahren 1974–2001 (mit Annäherung in neuerer Zeit): BiB, Bevölkerung2, 31 f.; zu einer unterschiedlichen Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs in den alten und neuen

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rübergehend vorsichtige Rückendeckung durch den Kriminologen Christian Pfeiffer erfuhr381. Aber selbst wenn sich derartige Kausalzusammenhänge nachvollziehen lassen sollten, die Reichweite des Verbots der Tötung ungeborenen menschlichen Lebens mithin ihre Spuren im Schutz des postnatalen menschlichen Lebens hinterließe – sollte dies nun tatsächlich ein Täuschungsmanöver des Gesetzgebers rechtfertigen dürfen, der den Schutz des postnidativen ungeborenen Lebens vorgeblich um seiner selbst willen normiert, während ihm das Verbot der Ungeborenentötung tatsächlich aber nur als Mittel zu anderen Zwecken dient? Dem sei als Antwort ein Zitat aus einem Brief v.  Goethes entgegengebracht, den er im Juni  1787 an Charlotte v.  Stein schrieb und in dem er ihr unter anderem berichtete, welche Bedenken kirchliche Zeremonien und „alle diese Bemühungen, eine Lüge geltend zu machen“382, in ihm geweckt hatten: „Es ist nichts groß als das Wahre, und das kleinste Wahre ist groß. Ich kam neulich auf einen Gedanken, der mich jagen ließ: Auch eine schädliche Wahrheit ist nützlich, weil sie nur Augenblicke schädlich sein kann und alsdann zu andern Wahrheiten führt, die immer nützlich und sehr nützlich werden müssen, und umgekehrt ist ein nützlicher Irrtum schädlich, weil er es nur augenblicklich sein kann und in andre Irrtümer verleitet, die immer schädlicher werden“383. In diesem Sinne mag man aus einem Irrtum „Nutzen“ ziehen, wenn die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verschiedentlich – in Verfassungsnormen wie den einfachen Gesetzen – vorzuspiegeln sucht, dass sie jedem individuellen menschlichen Leben die gleiche Wertschätzung zollt und hierzu jedenfalls auch das postnidative Bundesländern: Stöbel-Richter / Brähler, ZBevW 2005, 293 (293 u. 305 f.); vgl. ferner Roloff, Materialien BiB, 113 (2004), 66, zu einer „gewisse[n] Wirkung“ der gesamtdeutschen Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch, die mit einer Annäherung des Rechtsbewusstseins in alten und neuen Bundesländern (nämlich mit einer gewissen Erhöhung der Bereitschaft zum Austragen der Schwangerschaft) identifiziert wird. 381  Siehe dazu Süddeutsche.de v. 17.05.10, Osten; zust. auch Beckmann, ZfL 2008, 1. Nur vorsichtig und vorübergehend blieb diese Rückendeckung, als Pfeiffer bereits seinerzeit auf die noch ausstehenden Ergebnisse einer umfangreichen Studie zu gerichtlich abgeschlossenen Fällen von Kindstötungen hinwies; Süddeutsche.de v. 17.05.10, Studie. Zwischenzeitlich sind deren erste Ergebnisse publiziert und zeichnen ein Zusammenspiel verschiedenster, in den individuellen Biographien der Täter und Täterinnen angelegter Bedingungen; ein fortwirkendes Überdauern der DDRAbtreibungspolitik gelangt demgegenüber nicht zur Erwähnung; s. dazu Höynck, in: Bannenberg / Jehle, Gewaltdelinquenz, 33 (51 zsfd.); dies. / Zähringer, Tötungs­delikte, zsfd. pdf-S. 7 f.; Höynck / Zähringer / Behnsen, Neonatizid, pdf-S. 62 f.; weiterführend zum Entwurf einer Tätertypologie Kroetsch, KFN-Forschungsbericht 111, zsfd. pdfS. 79 f. 382  v. Goethe, in: Kellner, Briefe an Charlotte v.  Stein, 567 (568). 383  v. Goethe, in: Kellner, Briefe an Charlotte v.  Stein, 567 (568 f.).



Abschn. 3: Folgen des funktionalisierten Wertungswiderspruchs

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ungeborene Leben zählt, während sie letzteres tatsächlich – ungeachtet seiner postulierten Anerkennung als menschliches Individuum i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG – aber ohne gewichtigen sachlichen Grund ungleich behandelt. Jener Nutzen liegt, wie im zweiten Abschnitt des vorliegenden Kapitels ausgeführt worden ist, in den verschiedenen latenten Zielsetzungen einer symbolischen Gesetzgebung verortet und erfasst als solcher die symbolische Bekräftigung des Werts des menschlichen Lebens im Allgemeinen, ebenso wie die Täuschung darüber, dass sich die Massen­ erscheinung Abtreibung der gesetzgeberischen Bewirkungspotenz hat entziehen können; im Gegenteil präsentiert sich der Gesetzgeber so nicht nur als handlungsfähig, sondern fast schon als omnipotent, wenn er sich mit dem Anschein umgibt, selbst unversöhnliche Parteien durch die Formulierung eines dilatorischen Formelkompromisses beschwichtigen zu können. Gleichwohl: Es ist nur ein „augenblicklicher“ Nutzen, der alsbald seine Schattenseiten zeigt, vor allem aber der Rechtsordnung ihre konstituierende Eigenschaft nimmt, als ein selbstreferenzielles System wirken zu können. Verstrickt in Wertungswidersprüche, weiß sie ihre systeminternen Kriterien nicht mehr zu wahren und sieht sich stattdessen angehalten, gesellschaftliche Nützlichkeitserwägungen und politische Zweckmäßigkeiten in einem allopoietischen Sinne ungefiltert abzubilden; mehr noch muss sie mit ansehen, wie ihre Scheinregelung der Abtreibung weite Kreise zieht, wenn Rechtsprechung und Gesetzgebung sie zum Vorbild nehmen, um andere Regelungsgebiete im Sinne einer missverstandenen Einheit mit den einfachgesetzlichen Merkmalen der §§ 218 ff. StGB zu harmonisieren. Demgegenüber wüsste die offen ausgesprochene „Wahrheit“, dass unsere Rechtsordnung entgegen ihrer verschiedentlich verlautbarten Postulatio durchaus bereit ist, den Wert des menschlichen Lebens zu relativieren, und dem wenigstens im Rahmen des postnidativen Ungeborenenschutzes auch Rechnung getragen hat, so manchen wohl zu erschrecken, weil sie die Demonstration eines absoluten Lebensschutzes stört, die unsere Rechtsordnung in Reaktion auf die jüngere Geschichte zu pflegen sucht. Es bliebe aber bei dem kurzfristigen Schrecken, der den Menschen gemeinhin überkommt, wenn er das in Worte fasst, das er bis dato zu verbergen versucht hat oder über das er im Einvernehmen mit seinem Gegenüber bislang wenigstens einvernehmlich den Mantel des Schweigens gehüllt hatte. Einmal überwunden, wüsste jener Schrecken, der aus Selbsterkenntnis und -bekenntnis gleichermaßen herrührt, der Rechtsordnung den Weg zu weisen, sich als dasjenige selbstreferenzielle System zu beweisen, das sie für sich zu sein beansprucht: Ausgehend von der Wahrheit, dass sie das postnidative ungeborene Leben geringer als den geborenen Menschen schätzt, würde sie ihre allgemeinen Grundsätze nicht länger strapazieren müssen, um dessen verfahrensmäßige Tötung in ihr System zu integrieren, und würde der Gesetzgeber auf neu zu erschließenden Regelungsgebieten, wie sie sich vornehmlich in vitro noch auftun,

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Kap. 8: Symbolische und allopoietische Strafgesetzgebung

nicht länger in Versuchung geführt, sich von Wertungswidersprüchen geplagte Vorschriften zum Vorbild zu nehmen. Nicht zuletzt bekannte der Gesetzgeber die Grenzen, die seiner eigenen Bewirkungspotenz auf dem Gebiet der Abtreibung gesetzt sind, und formulierte im diesbezüglichen gesellschaftlichen Streit endlich seine eigene Stellungnahme, die jenen Grenzen erwächst. All dies bärge die Chance der Weiterentwicklung in sich: für eine Rechtsordnung, die frei von Wertungswidersprüchen auch im strafgesetzlichen Ungeborenenschutz den ihr zugedachten autopoietischen Fortschritt nehmen könnte, und für eine Gesellschaft, die sich, aufgeschreckt durch das Bekenntnis der Rechtsordnung, auf die Suche nach alternativen Schutzkonzepten oder auch in den Kampf um ein ungeborenenfreundliches Wert- und Unrechtsbewusstsein begeben könnte. In jedem Fall wäre es das Ende eines unbefriedigenden Status quo, in dem sich die Rechtsordnung von ihren eigenen Wertungswidersprüchen in Fesseln hat legen lassen.

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Stichwortverzeichnis Abbruchsverlangen  542, 544–563, 569, 571, 578, 613 f., 631–634, 659 f., 660 f., 666, 668, 684, 730, 738 f., 743, 763 m. Fn. 22, 819, 861 – Dispositionen  545–548, 660, 861 – negative Tatbestandsmerkmale  557 – Nothilfe, aufgedrängte  552 f. – „Selbstindikation“  550–552, 555, 561, 613 f., 666, 738 f., 743 – Strafandrohung, Ausschluss von der  553–556 – Unerheblichkeitserklärung  544–563, 559–562, 569, 613 f., 660 – Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens  549 f., 571 – Wollensbedingung, auflösende  560 f., 562, 660 f., 819 Absicht  295 f., 299, 567 – absichtlich herbeigeführte Indikationenlage siehe dort – absichtliche Abbruchshandlungen  295 f., 299, 567 – alternative „Absichten“ siehe dort u. Tatentschluss absichtlich herbeigeführte Indikationenlage  378–383, 395 m. Fn. 245, 402–408, 421 f. – Nötigungsindikation  421 f. – schädigendes Vorverhalten  395 m. Fn. 245, 402–408 – Suiziddrohung  378–383 absolute Straftheorien  181–183, 185–188, 195–202 abstrakte extrakorporale Lebensfähigkeit  274, 280–282, 334 m. Fn. 78, 336 f., 821 abstrakte Gefährdungsdelikte  254, 255, 294 f., 401, 671 f., 685 f., 687, 694

m. Fn. 75, 725 f. m. Fn. 168, 745, 752, 765 Abwägung, abstrakt-generell vorweg­ genommene  50, 311, 329–340, 341, 348, 372 f., 386–390, 409, 410, 426, 429–433, 434, 436–442, 443 f., 461–466, 487, 490, 491, 501, 531, 533, 726, 760 f., 837, 839 m. Fn. 307 – Garantenstellung der Schwangeren  330 f., 339, 341, 348, 436–439, 443, 533, 760 f. – Gefahrverursachung durch die Schwangere  436–439 – Leben gegen Leben  372 f., 461–466, 487, 491, 839 m. Fn. 307 – Nötigungsindikation  429–433, 439–441, 761 – Suiziddrohung  386–390, 761 – Wert- und Geringschätzung  441 f. Abwehrfunktion der Grundrechte  59 f. m. Fn. 13 actio illicita in causa (a. i. i. c.)  349, 378 m. Fn. 203, 380 m. Fn. 211, 408 m. Fn. 286 actio libera in causa (a. l. i. c.)  349, 354 m. Fn. 146, 379 f., 380 m. Fn. 211, 408 m. Fn. 286 actio praecedens  343, 349 f. aktualisierte Lebensinteressen  68–76, 76 f., 77, 81, 95, 97, 98, 104, 111, 112 f., 114, 117, 564, 834 Alibigesetzgebung  792, 794–798, 800, 803 m. Fn. 176, 814–816, 817, 836, 846 – Ersatzreaktion  795 Alkoholprohibition  793 Allopoiesis  836–838 allopoietische Strafgesetzgebung  755–866



Stichwortverzeichnis

alternative „Absichten“  697–700 m. Fn. 88, 706 Amniozentese  456 f. m. Fn. 392, 458, 459 Andenaes, Johannes  204–206, 209–211, 235 Anenzephalie  77 m. Fn. 102, 100 m. Fn. 213, 259 m. Fn. 32 Angemessenheit  306–308, 339 f., 429–433, 658–664, 741 f. – Angemessenheitsklausel  339 f. – Nidationsverhütung  741 f. – Nötigungsindikation  429–433 – positive Generalprävention  306–308 – Tatbestandslösung  658–664 Antibabypille  361 m. Fn. 161, 363 f., 645, 675 f., 679 f., 703, 718 f., 732 f., 744 Antizipation eines Konflikts  52, 315, 452, 453 f., 672, 727, 728, 729–737, 737, 738, 742, 743, 749, 765 m. Fn. 33 – antizipierte Nidationsabwehr  672, 733 f., 735 f., 737, 742 – doppelte  732 f., 749, 765 m. Fn. 33 – Konfliktentstehung  315, 452, 453 f., 727, 729–732, 737, 738 – Konfliktgrundlagen  729–732 – medizinisch-soziale Indikation  315, 452, 453 f., 727, 738 – Nidationsverhütung  672, 728, 729–737, 737, 742, 743 – präventive Nidationsabwehr  733 f., 734 f., 737, 742 – Tatbestandslösung  727 antizipierte Nidationsabwehr  672, 733 f., 735 f., 737, 742 antizipierte Notwehr  735 f. Anwartschaftsrecht, Analogie  80–82 Apothekenurteil  538 Äquidistanz  831–836 Äquivalenz-Doktrin  69 m. Fn. 59, 76 f. m. Fn. 106, 102, 834 – Identitätsargument  76 f.

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– Kontinuitätsargument  102 – Potenzialitätsargument  76 f. – Speziesismus  102 Arbeiterwohlfahrt  635, 641, 642 f., 643–649 Arzt  257 f. m. Fn. 24, 263 f., 268 m. Fn. 68, 279 f., 313 m. Fn. 5, 371–375 m. Fn. 185 / 197, 376 f., 377, 378, 389, 392 f., 393, 403 f., 521 m. Fn. 577, 531, 536, 538 f., 588–612 m. Fn. 181 / 193 / 207 / 226 / 228 / 244, 614, 857 – Arztvorbehalt  263 f., 268 m. Fn. 68, 313 m. Fn. 5, 389, 531, 536, 596 – Babycaust-Beschluss  588–595 – Behandlungsvertrag siehe dort – Berufsfreiheit  538 f., 595–598 – Empfindlichkeit der Suiziddrohung  371–375 m. Fn. 185 – Garantenstellung  257 f. m. Fn. 24, 374 f. m. Fn. 197, 376, 377, 378, 393, 403 f., 521 m. Fn. 577 – Gehsteigberatung  607–610 – Gewissensfreiheit  536, 538 f. – Klarstellungsobliegenheit  601, 602 f., 603 – Prangerwirkung  598–600 m. Fn. 207, 604 f., 606, 610, 612 – Rechtswidrige-Abtreibungen-Beschluss  590 m. Fn. 181, 598–603, 603–607 m. Fn. 226 / 228, 612, 614 – Schutz von Person und Tätigkeit  595–612 – spezialisierte Abtreibungseinrichtungen  611 m. Fn. 244 – Weigerungsrecht  279 f., 374 f., 376 f., 377, 378, 392 f., 403 f., 535–539, 595 m. Fn. 193, 857 – Werbungsverbot  611 f. Asymmetrie  494–498 – Existenzhaftung, asymmetrische beidseitige  497 f. – qualitative  495 f. – Sonderzuständigkeiten siehe dort

944

Stichwortverzeichnis

– zeitliche  496 f. – Zuständigkeitsanteil siehe dort auch nidationsverhütende Mittel  679 f., 680, 682, 684 f., 700–702, 704, 710, 718, 733 aufgedrängte Nothilfe siehe Nothilfe, aufgedrängte Austragungspflicht der Schwangeren  50, 358 m. Fn. 153, 399, 520–523, 524–528, 699 – Gefahrtragungspflicht  524–528 – Handlungspflicht  520–523 automatisierte Vermeidungsreaktion  208, 219, 226 f., 227–231, 232, 234 Autopoiesis  831–844, 847–866 – Begriff  832 f. – Wiederherstellung  847–866 Babycaust-Beschluss  588–595 Bandura, Albert  220–222, 233, 776 m. Fn. 76 Behandlungsvertrag  258 m. Fn. 24, 543, 578 f., 581, 595, 619 – Garantenstellung  258 m. Fn. 24 – Wirksamkeit des  543, 578 f., 581, 595, 619 benefit of the doubt argument  109 Beobachtung und Nachahmung  231–233 Beratungsmodell  51, 247 m. Fn. 405, 248 m. Fn. 408, 336, 543, 562 f., 563–666 m. Fn. 295, 668, 669, 670, 738, 740, 741, 743, 763 m. Fn. 24, 765 m. Fn. 32, 818, 822 m. Fn. 244, 837 – Hilfe statt Strafe  51, 247 m. Fn. 405, 543, 565, 566–570, 573, 818 – Pflichtberatung  336, 623–656, 669, 822 m. Fn. 244 – Rechtswidrigkeitsverdikt  562 f., 570–572, 572, 573, 574–623, 623 m. Fn. 295, 634, 656–658, 665, 668, 670, 738, 740, 743, 763 m. Fn. 24, 822, 837

– Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen  566 f., 741 – Schutzfähigkeit des Gesetzes  566, 567–570 Beratungsschein  547, 621 f., 629–631, 632, 635, 636–638, 650 f., 654, 681 Beratungsstellen  629 m. Fn. 320, 635, 636 m. Fn. 353, 637 f., 638 f., 639–641, 641 f., 642 f., 643–649 m. Fn. 392 / 394 / 406 / 413, 649 f., 650 f., 651–654 m. Fn. 435, 655–657, 669, 686 m. Fn. 52, 773 f. m. Fn. 62 – Arbeiterwohlfahrt  635, 641, 642 f., 643–649 – Deutscher Caritasverband  635, 636 m. Fn. 353, 637 f., 638 f., 639–641, 649, 651 – Diakonie Deutschland  629 m. Fn. 320, 635, 649 f., 651–654 – donum vitae  635, 636 m. Fn. 353, 649, 650 f., 651–654 m. Fn. 435, 656 – pro familia  629, 635, 641 f., 643–649 m. Fn. 392 / 394 / 406 / 413, 653, 655–657, 669, 686 m. Fn. 52, 773 f. m. Fn. 62 – Sozialdienst katholischer Frauen  636 m. Fn. 353, 651 Beratungsverständnisse  639–641, 643–649, 651–654, 654–656 – Arbeiterwohlfahrt (Ergebnisoffenheit)  643–649 – Deutscher Caritasverband (Zielorientierung)  639–641 – Diakonie Deutschland (Ergebnisoffene Zielorientierung)  651–654 – donum vitae (Ergebnisoffene Ziel­ orientierung)  651–654 – pro familia (Ergebnisoffenheit)  643–649 – Selbst- statt Beratungsverständnis  654–656 Bergsteigerfall  482 Berufsfreiheit  538 f., 595–598 Beruhigung  844, 846 f. Beschwichtigung  820, 844–846, 847



Stichwortverzeichnis

Beulke, Werner  330 f., 412 f., 413 bewusste Wesen  68 f., 71, 71–73 Bewusstseins(ab)bildung  53, 124, 127–130, 298 f., 767 f., 783, 807–814, 850 Billigungstheorie  704 f. m. Fn. 108, 705 biogenetische Grundregel  101 Blockierung  844–847 Bombenfälle  712, 714 brain birth  83 f. m. Fn. 133 Brandstiftungsanlagenfall  712, 714 m. Fn. 143 Bremer Studie  189 m. Fn.  185, 217, 218 m. Fn. 309 Bumerang-Effekt  189 Buscopan-Urteil  284, 683 m. Fn. 46, 691 f. Cephalocentese  278 Chimären  826 Chordozentese  458, 459 Chorionzottenbiopsie  456 f. m. Fn. 392, 459 Chromosomen  86–90 m. Fn. 159 / 167, 107 m. Fn. 238, 455–458, 694, 731, 839, 842 Contergan-Prozess  301 f. m. Fn. 182, 397 f. Cressey, Donald R. 219 f. Crossing over (Crossover)  86 m. Fn. 152 culpa praecedens siehe actio praecedens Dammbruchargument  464 m. Fn. 416, 862 f. m. Fn. 374 Declaratory-Argument  189 Defensivnotstand  50, 278–280 m. Fn. 99 / 105, 311, 317 m. Fn. 24, 463 m. Fn. 412, 465 f., 467–505 m. Fn. 436 / 449 / 465 / 467 / 475 / 483 / 496 /  517 / 519 / 524, 505, 529, 530, 762 m. Fn. 20, 837 – Anwendungsbereich  468–473 m. Fn. 436 / 449

945

– distributive Gerechtigkeit, Prinzip der  473, 486 f. , 490 f. – einseitige Verpflichtung  488–494 – Gefahr  482–484 m. Fn. 483, 484 f., 503 – Kontrollverlust  471 f., 480, 481 f., 503 – kriminologische Indikation  493 f., 496 f., 503 f. – Lebensdank  498–502 m. Fn. 517 / 524 – Lebensspende  499 f. – medizinisch-soziale Indikation  484–502, 489–491, 495 f. – Proportionalitätsmaßstab  50, 474–482 m. Fn. 465 / 467 / 475, 482 f., 484, 762, 837 – Rechtskreisorganisation  470–473, 480 f. m. Fn. 475, 481, 484 f., 495–497, 503 – „schicksalhaftes So-Sein“  278 m. Fn. 99, 469, 474 f. m. Fn. 449, 475, 484 f., 485–488, 488 m. Fn. 496, 494, 496, 497 f., 504 – Tötung, Rechtfertigungsfähigkeit  279, 311, 465 f., 474, 476 f., 480–482 – Zuständigkeitsanteil  480, 494–498, 500 m. Fn. 519, 504, 505, 530, 762 Deliktsaufbau  45, 557–559 – dreistufiger  45, 558 f. – zweistufiger  557 f. Deutscher Caritasverband  635, 636 m. Fn. 353, 637 f., 638 f., 639–641, 649, 651 Diakonie Deutschland  629 m. Fn. 320, 635, 649 f., 651–654 „Diener zweier Herren“  563 m. Fn. 74, 572 m. Fn. 112, 665 m. Fn. 471 differenzielle Assoziation  219 f. siehe auch differenzielle Kontakte differenzielle Identifikation  220 siehe auch Glaser, Daniel differenzielle Kontakte  219 f. siehe auch Cressey, Donald R. u. Sutherland, Edwin H.

946

Stichwortverzeichnis

Differenzierungsgesten  793, 798, 845 dilatorischer Formelkompromiss  53, 792, 798–800, 800–803, 817–825, 836, 844, 865 Dispermie  88 Disponibilitätstheorie  318 f. m. Fn. 32 Dispositionen  52, 317–320 m. Fn. 27 / 36, 347 m. Fn. 118, 545–548, 660, 861 – Abbruchsverlangen  545–548, 660, 861 – Einwilligung  317–320 m. Fn. 27 / 36, 347 m. Fn. 118 Dissonanz, emotive  193 f., 197 f., 201, 809 f. Dissonanz, kognitive  242 m. Fn. 393, 775 f., 779, 781 f. distributive Gerechtigkeit, Prinzip der  473, 486 f. , 490 f. donum vitae  635, 636 m. Fn. 353, 649, 650 f., 651–654 m. Fn. 435, 656 Dritter, sonstiger  300–306, 308, 744 f., 746 – Erfolgsunrecht  304–306, 744 f. – Nidationsverhütung  744 f. – Regelbeispiel  303 – Scheinzweck  300–306, 308, 744 f., 746 – Schutzfähigkeit des Gesetzes  301, 301–303, 305 f. – Verhaltensunrecht  303, 744 f. – Zäsur strafgesetzlicher Menschwerdung  300–306 Drittwirkung, mittelbare  61, 64 f., 154 Durkheim, Émile  191, 192–194 m. Fn. 201 / 210, 197 f., 201, 212 f., 245, 574, 809 f. Echter Widerspruch  135–137 eher soziale Indikation  313–316, 453 f. m. Fn. 375, 821–825, 859 eigenständiger Ungeborenenschutz  117, 118, 123, 292, 318, 546, 561 m. Fn. 68, 662, 689 m. Fn. 60

Eingriffsbegriff  60 – klassischer  60 – moderner  60 Einheit der Rechtsordnung  48, 136, 144–180 m. Fn. 42 / 45 / 133, 237, 248, 250 m. Fn. 2, 376, 417, 433, 436, 474, 555, 766, 833 f. m. Fn. 297, 838, 844, 865 Einrichtungsgarantie, staatliche  536–539, 586–595, 619 einseitige Verpflichtung des Ungeborenen  488–494 „Einsicht“, Kommunikationszweck der  148 m. Fn. 57, 185, 186, 188, 192, 203, 209, 211, 212, 214–216, 237–243, 245–248, 768, 783, 789, 810 f. m. Fn. 201, 850 Einwilligung  50, 311, 312 f., 316–329 m. Fn. 27 / 36 / 40 / 59, 347 m. Fn. 118, 410, 414 f., 420 m. Fn. 313, 426, 433–435, 436, 440, 443, 542, 545, 552, 759 f. m. Fn. 9, 823 m. Fn. 246, 863 – Dispositionen  317–320 m. Fn. 27 / 36, 347 m. Fn. 118 – mutmaßliche  312, 321 m. Fn. 40, 322 f., 326–329 m. Fn. 59, 440, 552, 760, 863 – Nothilfe, aufgedrängte  50, 320–328, 328, 443, 552, 760 m. Fn. 9, 823 m. Fn. 246 – Nothilfefeindlichkeit  316, 320–328 – Nötigungsindikation  414 f., 420 m. Fn. 313, 426, 433–435, 436, 440 Einzellösung  708 f. m. Fn. 119, 719 m. Fn. 157 Embryoblast  90–93, 94, 108 f., 260 – Differenzierung vom Trophoblasten  90–92, 108 f., 260 – Differenzierung von Epiblast und Hypoblast  92 f., 94 embryonales Screening  693–695 m. Fn. 75, 699 f., 701 f., 704 m. Fn. 110, 723, 730 f. m. Fn. 180, 742



Stichwortverzeichnis

„Embryonenschädigung“  294 f. m. Fn. 159 / 162, 302, 401 m. Fn. 266, 402, 406 f., 408 siehe auch schädigendes Vorverhalten Embryonenschutzgesetz  51 f. m. Fn. 5, 107, 135, 137, 255 f., 294 f. m. Fn. 159 / 162, 400, 401 m. Fn. 266, 813 m. Fn. 209, 825–828, 838–844, 844–846 embryopathische Indikation  59, 310, 314–316 m. Fn. 16 / 19, 394–409 m. Fn. 254, 453 f. m. Fn. 375 / 379, 454–459 m. Fn. 379, 461, 536, 538, 569, 821–825, 859 – Begriff  314–316 m. Fn. 16 / 19, 453 f. m. Fn. 375 / 379 – dilatorischer Formelkompromiss  821–825 – Nothilfe, aufgedrängte  823 – schädigendes Vorverhalten  394–409 m. Fn. 254 – „Selbstindikation“  823 f. – Spätabbrüche  454–459 m. Fn. 379 emotive Dissonanz  193 f., 197 f., 201, 809 f. Empfängnisverhütung  644 f., 673, 674 f., 675, 676 f., 677 f., 678 f., 679–682, 683 f., 687, 693, 696, 697–700, 700–705, 717, 741 – Begriff  674 f. – reine  677 f., 678, 683 f. – Schwangerschaftsabbruch als Familienplanung  644 f., 673, 687 – Tatbestandslosigkeit per se  683 f. – Wirkweisen, empfängnisverhütende  676 f., 677 f., 678 f., 679–682, 693, 717, 741 Empfindlichkeit  339, 369–375 m. Fn. 185, 376, 412 f., 417 f., 433 f. – Nötigungsindikation  417 f., 433 f. – Suiziddrohung  369–375 m. Fn. 185 Empfindungsfähigkeit  71–73, 98, 564 Engisch, Karl  138, 140, 142 f., 144, 145, 155, 158, 305, 617 m. Fn. 268 Entgeltfortzahlung  543, 579 f., 581, 619

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Entlassen des Geschehensablaufs  508, 717–720 m. Fn. 154 – unmittelbares Ansetzen  717–720 m. Fn. 154 – Unterlassen  508 Entscheidungsfreiheit der Schwangeren  268 f., 325, 644 m. Fn. 392, 659, 662, 664 – Mittel des Ungeborenenschutzes  659, 662, 664 – (Mit-)Schutz  268 f., 325 Epiblast  91–93, 94, 108 f., 171 – Differenzierung vom Hypoblasten  91–93, 94, 108 f. Erfahrbarkeitsbedingung  69 Erfolgsunrecht  273, 304–306, 307 f., 308 f., 672, 743–748, 749, 759 – Dritter, sonstiger  304–306, 744 f. – Nidationsverhütung  743–748 Ergebnisoffenheit  624, 626–629, 635, 640, 643–649, 651–654, 654 f., 657 f., 823 Erinnerungskriterium  70 f., 74 Erkenntnishilfe, tatbestandliche  553 f., 558 erlaubtes Risiko  353 m. Fn. 139, 359 f., 366 f., 368 ernsthafte Suiziddrohung  369, 381 f., 383–393 m. Fn. 226, 393 f., 398, 410, 437 Eröffnungswehen  239, 251, 257, 277 f. m. Fn. 96 / 98, 284–286, 286 f., 307 f., 308 f., 313, 335 m. Fn. 79, 487 Ersatzreaktion  795 Ersttrimester-Screening  455 Etikettenschwindel  541, 561 f., 634, 819 f. m. Fn. 236, 824 Eventualvorsatz  419 m. Fn. 309, 701–705 m. Fn. 96 / 108 / 110 – Billigungstheorie  704 f. m. Fn. 108, 705 – Gleichgültigkeitstheorie  703 – Möglichkeitstheorie  701 – unabgeschirmte Gefahr  703

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Stichwortverzeichnis

– Vermeidungstheorie  702 f. – Vorsatzgefahr  702 – Wahrscheinlichkeitstheorie  701 f. m. Fn. 96, 704 m. Fn. 110 Existenzhaftung  485–488, 497 f., 503 – asymmetrische beidseitige  497 f. – „schicksalhaftes So-Sein“ siehe dort Eysenck, Hans Jürgen  226, 229–231, 232 f. Fertilisation  85–90, 96, 102, 104 f., 106–109 m. Fn. 238, 171, 712 m. Fn. 137 – Imprägnation  88 – Polyspermieblock  88 – Pronukleus-, Vorkernstadium  89, 90 – Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  87, 104, 106–109 – Syngamie  89 fetopathische Indikation  314 m. Fn. 10 Fetoskopie  458 fetusgebundene Umstände  334, 335–338 Feuerbach, Paul Johann Anselm von  184, 202–204, 211, 223, 226, 231 m. Fn. 363 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)  457 f. Formelkompromiss, dilatorischer  53, 792, 798–800, 800–803, 817–825, 836, 844, 865 Freud, Sigmund  206–209, 787 – Persönlichkeitsmodell  206–209 – Traumanalyse  787 Fuldaer Fall  862 f. funktionale Vergeltungstheorie  200–202, 212 f., 810 Funktionalisierung des Wertungswiderspruchs  54, 756, 785–830, 838, 843, 844, 847, 856 „Furcht“, Lernerfolg der  184 f., 188, 203, 208 f., 211, 216, 223–233, 235, 243–245, 245–248, 768, 811 m. Fn. 201

Garantenstellung  257 m. Fn. 24, 330 f., 339, 341, 343 f., 346 f. m. Fn. 115, 348, 349, 351 f., 366 m. Fn. 174, 367, 374 f. m. Fn. 197, 376, 377, 378, 388 m. Fn. 229, 389 f. m. Fn. 234, 393, 399 m. Fn. 258, 403 f., 416, 424 f., 436–439, 443, 500 f. m. Fn. 524, 501 f., 507, 513 f., 521 m. Fn. 577, 522, 527, 533, 760 f. – Abwägungsrelevanz  330 f., 339, 341, 348, 436–439, 443, 533, 760 f. – Arzt  257 m. Fn. 24, 374 f. m. Fn. 197, 376, 377, 378, 393, 403 f., 521 m. Fn. 577 – Begriff  507 – Eheleute  366 m. Fn. 174, 416, 424 – Eltern-Kind-Verhältnis  346 m. Fn. 115, 500 f. m. Fn. 524 – Embryo / Fetus  501 f. – Erzeuger  389 f. m. Fn. 234, 399 m. Fn. 258, 424 f., 521 m. Fn. 577 – Gefahrtragungspflicht  343 f., 436–439 – Ingerenz  349, 351 f. – Lebensopferung, bewusste  513 f. – Schwangere  346 f., 367, 389 m. Fn. 234, 436–439, 443, 500 f., 521 m. Fn. 577, 522, 527, 533, 760 f. – Suizid  388 m. Fn. 229 Gastrulation  94 Gattungssolidarität  100, 114, 853 gattungsspezifische Lebensinteressen  99–101 Gebotenheit  377, 379, 479 m. Fn. 470, 576 f. m. Fn. 139, 661 f. Geburtsbeginn  239, 251, 257, 275 f., 276 f., 277 f. m. Fn. 96 / 98, 278–280 m. Fn. 103, 281, 282 f., 283–286, 286 f., 289, 307 f., 308 f., 313, 335 m. Fn. 79, 487 m. Fn. 493, 683 m. Fn. 46, 762 f. – Buscopan-Urteil  284, 683 m. Fn. 46 – Eröffnungswehen  239, 251, 257, 277 f. m. Fn. 96 / 98, 284–286, 286 f., 307 f., 308 f., 313, 335 m. Fn. 79, 487



Stichwortverzeichnis

– Perforation  278–280 m. Fn. 103 – Uterus, Öffnung des  286, 286 f. Geburtsvollendung  276–280 Gefahr  50, 380–383, 383–385, 387 m. Fn. 226, 404 f., 411, 413, 427, 444, 445–461 m. Fn. 373, 463, 482–484 m. Fn. 483, 484 f., 503, 506, 517 f., 519, 525, 529, 731, 762, 816 – Begriffe  446 f. – Defensivnotstand  482–484 m. Fn. 483, 484 f., 503 – ernsthafte Suiziddrohung  383–385, 387 m. Fn. 226 – gegenwärtige  444, 445, 446, 451 f., 453, 459 f., 463, 482–484, 517 f., 525 – konkrete  447 f., 451, 452 m. Fn. 373 – künftige  444, 445, 452, 453 f., 459, 460, 461, 731, 762, 816 – medizinisch-soziale Indikation siehe Gefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB – Nötigungsindikation  411, 413, 427 – strategische Suiziddrohung  380–383 – Unterlassen  506, 517 f., 519, 529 – Vorverlegung  445–461 Gefahr i. S. d. § 218a Abs. 2 StGB  404 f., 447–461 m. Fn. 373 – grammatische Auslegung  451 f. – konkrete Gefährdungsdelikte  447 f., 451, 452 m. Fn. 373 – systematische Auslegung  451 f. – teleologische Auslegung  453–460 – weite Auslegung  448–451 Gefährdungsdelikte  254, 255, 294 f., 401, 447 f., 451, 452 m. Fn. 373, 671 f., 685 f., 687, 694 m. Fn. 75, 725 f. m. Fn. 168, 745, 752, 765 – abstrakte  254, 255, 294 f., 401, 671 f., 685 f., 687, 694 m. Fn. 75, 725 f. m. Fn. 168, 745, 752, 765 – konkrete  447 f., 451, 452 m. Fn. 373 Gefahrtragungspflicht der Schwangeren  342 f. m. Fn. 97, 343 f., 344–348, 348–367 m. Fn. 138 / 139, 367 f., 368–394, 394–409 m. Fn. 255 / 278,

949

409 f., 436–439, 441 f., 443, 467 f., 469 f. m. Fn. 434, 470, 479 f., 485, 489 f., 491 f., 493 f., 494–498, 498–502, 504 f., 511, 514, 524–528, 533, 760 f. m. Fn. 12 – Abwägungsrelevanz  436–439 – Austragungspflicht  524–528 – Garantenstellung  343 f., 436–439 – Gefahrverursachung  348–367, 436–439, 441 f., 443, 467 f., 470, 479 f., 485, 490, 499, 502, 511, 533, 760 f. – Geschlechtsverkehr  342 m. Fn. 97, 348 f., 349–358, 358–367, 367 f., 386, 399, 409 f., 438 f., 441, 489 f., 491 f., 493 f., 494–498, 498–502, 504, 761 – persönliches Näheverhältnis  342, 344–348, 367 f., 436 f., 500–502, 504 f., 511, 514, 761 m. Fn. 12 – schädigendes Vorverhalten  394–409 – Suiziddrohung  368–394 – Zurechnungszusammenhang, objektiver  352 f. m. Fn. 138 / 139, 358–367, 398 m. Fn. 255, 406 m. Fn. 278, 438 f., 469 f. m. Fn. 434, 489 f., 491 f., 495 Gefahrverdichtung, objektive  295, 713–717, 717–721, 721 f., 723, 725, 765 – Beweisführung  721 f. Gefälle im strafgesetzlichen Lebensschutz  271, 272–274, 759 m. Fn. 3 gegenwärtige Gefahr  444, 445, 446, 451 f., 453, 459 f., 463, 482–484, 517 f., 525 Gehsteigberatung  607–610 Generalprävention siehe negative Generalprävention, positive Generalprävention genereller Ungeborenenschutz  658, 659 f. genuin medizinische Indikation  278 f., 310, 312, 313, 325, 403, 453, 459 f., 535, 538, 816, 817 genus proximum  165 m. Fn. 113

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Stichwortverzeichnis

Gesamtlösung  708 f. m. Fn. 123, 717 Gesamtrechtsordnung  126 f., 534, 536–539, 543, 575–623 m. Fn. 139 / 156 / 167 / 198, 656 f., 661, 664, 665, 667, 764, 783 f., 818, 837 – Arzt, Schutz von Person und Tätigkeit  595–612 – Behandlungsvertrag, Wirksamkeit des  543, 578 f., 581, 595, 619 – Einrichtungsgarantie, staatliche  536–539, 586–595, 619 – Entgeltfortzahlung  543, 579 f., 581, 619 – Krankenkassen, Leistungen der gesetzlichen  581–585 m. Fn. 156, 585, 586, 596 m. Fn. 198, 613, 623 – Nothilfe, Ausschluss der  534, 576 f. m. Fn. 139, 578, 581, 595, 619, 661, 664, 837 – positive Generalprävention  126 f. – Rechtswidrigkeitsverdikt  575–623 – Sozialhilfe  543, 585 f., 613, 619 – Unrechtstäterschaft und -teilnahme, staatliche  582 f., 584, 586, 587 f. m. Fn. 167, 588 Geschlechtsverkehr  342 m. Fn. 97, 348 f., 349–358, 358–367, 367 f., 386, 399, 409 f., 438 f., 441, 489 f., 491 f., 493 f., 494–498, 498–502, 504, 761 Gesundheitsbeeinträchtigung, Schwere der  333 Gewissensfreiheit  536, 538 f. Glaser, Daniel  220 Gleichgültigkeitstheorie  703 Gleichheitssatz  48, 49, 52 f., 132 m. Fn. 2, 147, 157 m. Fn. 85, 162–180 m. Fn. 98, 191, 237, 240, 241 m. Fn. 389, 250, 252, 253 f., 254 m. Fn. 16, 255, 671 m. Fn. 1, 686 f. m. Fn. 54 / 55, 755, 757, 758, 764–766 m. Fn. 35, 770, 780, 786, 828, 838, 843, 848, 854 f. – einfachgesetzliche Analyse  179 f. – Rechtfertigung  173–176 – Selbstbindung  170, 171, 254, 687, 764, 765

– tertium comparationis, grundrechtliches  48, 132 m. Fn. 2, 162 m. Fn. 98, 165 f., 170 f., 191, 252, 254 m. Fn. 16, 687 m. Fn. 55, 758, 764–766, 770, 780, 786 – tertium comparationis, naturwissenschaftliches  157 m. Fn. 85, 162 m. Fn. 98, 167–169, 171–173, 255, 687 m. Fn. 54, 766 m. Fn. 35 – Ungeborenenschutz, postnidativer  165–169, 174–176, 252, 758 – Ungeborenenschutz, pränidativer  162 m. Fn. 98, 170–173, 176 f., 241 m. Fn. 389, 253 f., 255, 671 m. Fn. 1, 686 f. m. Fn. 54 / 55, 764–766, 766 m. Fn. 35 – Wertungswiderspruchsfreiheit  177 f. gleichwertiger Ungeborenenschutz  53, 117, 119–122, 123, 125, 126 Greenpeace-Entscheidung  599 m. Fn. 207, 605 m. Fn. 226 Grundrechtsbindung  47, 133, 147, 154–162, 166 m. Fn. 116, 167, 169, 170, 172 m. Fn. 130, 177 f. m. Fn. 141, 462, 757 m. Fn. 1, 770 m. Fn. 47, 780, 843 m. Fn. 325, 848, 855 m. Fn. 360 – Normenpyramide  47, 133, 147, 155, 166 m. Fn. 116, 167, 169, 170, 172 m. Fn. 130, 177 f. m. Fn. 141, 462, 757 m. Fn. 1, 770 m. Fn. 47, 780, 843 m. Fn. 325, 848, 855 m. Fn. 360 – Stufentheorie  155 – Ungeborenenschutz, postnidativer  159–161 – Ungeborenenschutz, pränidativer  161 f. – Wertungswiderspruchsfreiheit, horizontale  156 f. – Wertungswiderspruchsfreiheit, vertikale  156 Grundrechtsträgerschaft  65 f., 813 f. Günther, Hans-Ludwig  164, 179 f. m. Fn. 144, 250, 554, 783 siehe auch Strafrechtswidrigkeit



Stichwortverzeichnis

Habermas, Jürgen  802 Haffke, Bernhard  47 m. Fn. 4, 204–206 m. Fn. 250 / 253, 206–209 m. Fn. 263, 211, 218 m. Fn. 310, 235, 796 m. Fn. 149, 797 m. Fn. 150 Hassemer, Winfried  216, 236, 797, 831 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  182 m. Fn. 155, 185 m. Fn. 169, 197–199 m. Fn. 221, 199 m. Fn. 230, 200 f., 212 f. Hilfe statt Strafe  51, 247 m. Fn. 405, 543, 565, 566–570, 573, 818 Hirnleben-Theorie (brain birth)  83 f. m. Fn. 133 Hirschi, Travis  214 f. m. Fn. 302, 218 m. Fn. 309, 224 m. Fn. 333, 242 m. Fn. 394 siehe auch Kontrolltheorien hormonelle Verhütungsmittel  361 m. Fn. 161, 363 f., 645, 675–677, 678, 679 f., 684, 703, 718 f., 732 f., 744 – Antibabypille  361 m. Fn. 161, 363 f., 645, 675 f., 679 f., 703, 718 f., 732 f., 744 Hypoblast  91–93, 94, 108 f., 171 – Differenzierung vom Epiblasten  91–93, 94, 108 f. Ich- und Zukunftsbewusstsein  74, 82–85, 98, 100, 113, 564 – Anlagen von  82–85 Identität der Rechtsordnung  847–866 – Identitätsbestimmung  848–854 – Identitätsentwicklung  854–861 – Perspektiven  861–866 Identitätsargument  70 m. Fn. 63, 76 f., 82–96, 100, 102 m. Fn. 222 – Äquivalenz-Doktrin  76 f. – Potenzialitätsargument  76, 82 – Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  87 Identitätsbeziehungen  82–96 m. Fn. 133, 104, 108 f., 109, 115, 171, 260

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– Anlagen von Ich- und Zeitbewusstsein  82–85 – Differenzierung von Embryoblast und Trophoblast  90–92, 108 f., 260 – Differenzierung von Epiblast und Hypoblast  92 f., 94, 104 – Genom  85–90, 104 – Hirnleben-Theorie (brain birth)  83 f. m. Fn. 133 – Unteilbarkeit (Individuation)  93–96, 104, 108, 109, 115, 171, 260 Imago-dei-Vorstellung  114 Imitation von Strafe  243–245 Implantation  93, 95, 104, 108, 260, 261, 693 f., 735 – Individualitätsvoraussetzung  108 – irreguläre  261 – Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  93, 95, 104, 260 – Spontanabort  693 f. Imprägnation  88 in dubio pro embryone  95, 111 in dubio pro vita  109–111 Indikation  59, 278 f., 310, 312, 313–316 m. Fn. 10 / 16 / 19, 325, 342 m. Fn. 97, 349 m. Fn. 122, 394–409 m. Fn. 254, 453 f. m. Fn. 375 / 379, 454–459, 459 f., 461, 473, 491 m. Fn. 506, 493 f., 496 f., 503 f., 524 f., 535, 536, 538, 549, 569, 780 m. Fn. 87, 816, 817, 821–825, 859 – eher soziale  313–316, 453 f. m. Fn. 375, 821–825, 859 – embryopathische  59, 310, 314–316 m. Fn. 16 / 19, 394–409 m. Fn. 254, 453 f. m. Fn. 375 / 379, 454–459, 461, 493 f., 536, 538, 569, 821–825, 859 – fetopathische  314 m. Fn. 10 – genuin medizinische  278 f., 310, 312, 313, 325, 403, 453, 459 f., 535, 538, 816, 817 – kriminologische  342 m. Fn. 97, 349 m. Fn. 122, 473, 491 m. Fn. 506, 493 f., 496 f., 503 f., 524 f., 549, 569, 780 m. Fn. 87 – medizinisch-soziale siehe dort

952

Stichwortverzeichnis

Indikationenlage – absichtlich herbeigeführte siehe dort – sonst vorwerfbar herbeigeführte siehe dort Indikationenprovokation siehe absichtlich herbeigeführte Indikationenlage Indisponibilitätstheorie  319 m. Fn. 33 Individualität  87, 105, 108 f., 170 f., 173, 177, 260, 834, 852 f., 858, 860 Individuation  93–96, 102–105, 108, 109, 111, 115, 171, 260, 563 individueller Ungeborenenschutz  119, 658–664 Ineffektivität  786, 789–792, 801, 804 informelle Sozialisationsinstanzen  205, 217–219, 223, 811 m. Fn. 200 Integrationsprävention  184 f. siehe auch Generalprävention Interessensfähigkeit  68–76, 77, 99, 112 In-vitro-Fertilisation  118 m. Fn. 284, 593, 649, 825–828, 839 Januskopf  256 m. Fn. 20, 262, 267, 317–320, 545, 546 Jedenfalls-Formel  109 Jugendstrafrecht  218, 791 m. Fn. 119, 796 Kant, Immanuel  77, 114, 182, 185 m. Fn. 169, 195 f., 197 f., 202 f. Katzenkönigsfall  663 Kausalität  301–303, 376 f., 400–402, 405–409, 418 f., 438 f. – multifaktorielles Umfeld  301–303, 400–402, 407 f., 408 f., 438 f. – Nötigung zum Abbruch  418 f. – schädigendes Vorverhalten  400–402, 405–409 – Suiziddrohung  376 f. Kindermann, Harald  792 Kindstötungen  863 f. m. Fn. 381 Klarstellungsobliegenheit  601, 602 f., 603 klassische Konditionierung  219, 226 f., 227–231 m. Fn. 345, 234 f., 243, 245

„kleineres Übel“  747 f. Klingelfälle  715 m. Fn. 145 Klon  826, 840 kognitive Dissonanz  242 m. Fn. 393, 775 f., 779, 781 f. Kohäsionsgesten  793, 798, 807 f., 836 Köhler, Michael  199 Kollisionsregeln  135, 137 m. Fn. 21 Kölner-Krankenhaus-Fall  680–682 Kombinationsansatz  706–708 kommunikative Strafgesetze  788 f. kommunikativer Lernprozess  148 m. Fn. 57, 185, 186, 188, 192, 202–204, 205, 209, 211, 212–225, 226 f., 234 f., 237–240, 240–245, 245–248, 306, 564 m. Fn. 82, 745, 767 f., 768 f. m. Fn. 43, 783, 789, 810 f. m. Fn. 201, 811 m. Fn. 200, 850 – direkte Kommunikation zw. Recht und Allgemeinheit  212–216 – informelle Sozialisationsinstanzen  205, 217–219, 223, 811 m. Fn. 200 – Kommunikationsstörung  238–240, 306, 564 m. Fn. 82, 745, 768 f. m. Fn. 43 – Kommunikationsziel der Verständigung  214–216, 219, 224 f., 234, 238, 240, 767 f. – Kommunikationszweck der „Einsicht“  148 m. Fn. 57, 185, 186, 188, 192, 203, 209, 211, 212, 214–216, 237–243, 245–248, 768, 783, 789, 810 f. m. Fn. 201, 850 – negativ-generalpräventive Wirkung  223–225, 243–245 – Paradoxie, positiv-generalpräventive  240–243 – positiv-generalpräventive Wirkung  212–223, 238–243 – rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation  202–204, 224 f., 226 f., 234 f., 243, 768 – weitergeleitete Kommunikation zw. Recht und Allgemeinheit  216–223



Stichwortverzeichnis

Konditionierung  71 m. Fn. 65, 208, 219, 225–235 m. Fn. 345, 243, 245, 768 – automatisierte Vermeidungsreaktion  208, 219, 226 f., 227–231, 232, 234 – Beobachtung und Nachahmung  231–233 – Eysenck, Hans Jürgen  226, 229–231, 232 f. – klassische  219, 226 f., 227–231 m. Fn. 345, 234 f., 243, 245 – operante  219, 226 f. – Pawlow, Iwan Petrowitsch  226, 228–231, 232 – Skinner, Burrhus Frederic  226 f. konkrete Gefahr  447 f., 451, 452 m. Fn. 373 konkrete Gefährdungsdelikte  447 f., 451, 452 m. Fn. 373 Konkurrenzen der §§ 218 ff. StGB – zu den Körperverletzungsdelikten  265–267 Konkurrenzwiderspruch  138 m. Fn. 23 Kontinuitätsargument  85, 87, 97, 102–105, 112, 115 f., 288 – Äquivalenz-Doktrin  102 – Wertkonzeptionen  115 f. kontrafaktisches normatives Erwarten  200–202, 212 f., 810 siehe auch funktionale Vergeltungstheorie Kontrolltheorien  214 f. m. Fn. 302, 218 m. Fn. 309, 224 m. Fn. 333, 242 m. Fn. 394 Kontrollverlust  471 f., 480, 481 f., 503 Koordinationsbeziehung  157, 162, 178, 770 Korrektur- und Nachbesserungspflicht  666, 784, 819–821 m. Fn. 236 Krankenkassen, Leistungen der gesetz­ lichen  581–585 m. Fn. 156, 585, 586, 596 m. Fn. 198, 613, 623 Kriminalätiologie  190, 214, 219 kriminologische Indikation  342 m. Fn. 97, 349 m. Fn. 122, 473, 491

953

m. Fn. 506, 493 f., 496 f., 503 f., 524 f., 549, 569, 780 m. Fn. 87 – Defensivnotstand  493 f., 496 f., 503 f. künftige Gefahr  444, 445, 452, 453 f., 459, 460, 461, 731, 762, 816 Latente Funktionen  53, 792–798, 798–800, 800–803 m. Fn. 176, 803 f., 807–814, 814–816, 817–825, 836, 844, 845, 846, 865 – Alibigesetzgebung  792, 794–798, 800, 803 m. Fn. 176, 814–816, 817, 836, 846 – dilatorischer Formelkompromiss  53, 792, 798–800, 800–803, 817–825, 836, 844, 865 – Wertbekräftigung, soziale  792–794, 798, 803 f., 807–814, 836, 845 Leben gegen Leben  119, 372 f., 461–466, 487, 491, 839 m. Fn. 307 Lebensdank  498–502 m. Fn. 517 / 524 Lebensfähigkeit, abstrakte extra­ korporale  274, 280–282, 334 m. Fn. 78, 336 f., 821 Lebensführung, allgemeine  294 f., 295 f. m. Fn. 163, 299, 301, 305, 307, 400 f., 406 f. m. Fn. 280, 408, 438, 567, 725 Lebensinteressen  68–101, 104, 111, 112 f., 114, 117, 564, 834 – aktualisierte  68–76, 76 f., 77, 81, 95, 97, 98, 104, 111, 112 f., 114, 117, 564, 834 – gattungsspezifische  99–101 – potenzielle  76–99 Lebensopferung, bewusste  513 f. Lebensrecht  61–63, 66 f. – grammatikalische Auslegung  66 – historische Auslegung  67 – Menschenwürdegarantie  61–63 – systematische Auslegung  66 f. – teleologische Auslegung  67 Lebensrisiko, allgemeines  353 m. Fn. 139, 359 f., 360–362, 363, 363–366, 368, 439, 489–491

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Lebensschutz  51, 53, 65–122, 123, 125, 126, 271, 272–274, 292, 318, 373, 544, 546, 561 m. Fn. 68, 573, 619, 622, 658–664, 666, 689 m. Fn. 60, 740 m. Fn. 198, 751 m. Fn. 218, 759 m. Fn. 3, 764, 829 f. – Beginn  65–117 – eigenständiger  117, 118, 123, 292, 318, 546, 561 m. Fn. 68, 662, 689 m. Fn. 60 – Gefälle  271, 272–274, 759 m. Fn. 3 – genereller  658, 659 f. – gleichwertiger  53, 117, 119–122, 123, 125, 126 – individueller  119, 658–664 – postnidativer siehe postnidativer Ungeborenenschutz – pränidativer siehe pränidativer Ungeborenenschutz – quantitativer  51, 119, 373, 544, 573, 619, 622, 661–664, 666, 740 m. Fn. 198, 751 m. Fn. 218, 764, 829 f. Lebensspende  499 f. Lebenswunsch  71, 73–76, 83, 276 Leibesfrucht, Begriff der  261 f. Leistungskonzeptionen  112 f. – Potenzialitätsargument  112 f. Liszt, Franz von  68, 184 m. Fn. 163, 187 m. Fn. 179 Locke, John  69, 70 f., 74, 98 Lockwood, Michael  83 f. Luftsicherheitsgesetz  462 f. m. Fn. 409–411 / 414, 465 f., 663 f., 839 m. Fn. 307 Lüth-Urteil  64 Manifeste Funktionen  53, 755 f., 787, 792, 805 f., 807, 838, 846, 847, 862 Matza, David  775–779 medizinisch-soziale Indikation  59, 263 f., 268 m. Fn. 68, 270, 278 f., 310–540 m. Fn. 5 / 10 / 16 / 19 / 78 / 118 /  254 / 375 / 379 / 519, 569, 596, 727, 738, 750–752, 759–763, 766,

814–816, 816, 817, 821–825, 828, 849, 857–859 – Abwägung, abstrakt-generell vorweggenommene siehe dort – Alibigesetzgebung  814–816 – Angemessenheitsklausel  339 f. – Antizipation eines Konflikts  315, 452, 453 f., 727, 738 – Arztvorbehalt  263 f., 268 m. Fn. 68, 313 m. Fn. 5, 389, 531, 536, 596 – Defensivnotstand  484–502 – dilatorischer Formelkompromiss  821–825 – Dispositionen  317–320, 347 m. Fn. 118 – eher soziale Indikation  313–316, 453 f. m. Fn. 375, 821–825, 859 – Einwilligung siehe dort – embryopathische  59, 310, 314–316 m. Fn. 16 / 19, 394–409 m. Fn. 254, 453 f. m. Fn. 375 / 379, 454–459, 461, 493 f., 536, 538, 569, 821–825, 859 – fetopathische  314 m. Fn. 10 – fetusgebundene Umstände  334, 335–338 – Gefahr siehe dort – Gefahrtragungspflicht der Schwangeren siehe dort – genuin medizinische  278 f., 310, 312, 313, 325, 403, 453, 459 f., 535, 538, 816, 817 – Gesundheitsbeeinträchtigung, Schwere der  333 – Nothilfe, aufgedrängte  324–328 – Nothilfefeindlichkeit  324–326 – Proportionalitätsmaßstab siehe dort – prospektiver Schwangerschaftskonflikt  315, 325, 327 f., 453 f., 821 f., 828 – Rechtsgüterumkehrung  531–533, 534–539, 750–752 – Schutzfähigkeit des Gesetzes  409, 438 f. – Typen  313–316



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– Unzumutbarkeit, rechtfertigende siehe dort – Unzumutbarkeit von Handlungsalternativen  331, 334 m. Fn. 78 – Vertatbestandlichung  270, 531–540, 762, 766, 816, 823, 824, 849, 857, 858 – Wertungswiderspruch  759–763 – Zuständigkeitsanteil  480, 494–498, 500 m. Fn. 519, 504, 505, 530, 762 Meiose  86, 88 f. Menschenwürdegarantie  59, 61–63, 63 f., 111–116, 118, 120, 121 m. Fn. 300, 132, 159–161, 161 f., 174–176, 176 f., 287 m. Fn. 137, 288 m. Fn. 142, 814, 851, 854 – als Auslegungsmaßstab  63 f. – Lebensrecht  61–63 – Leistungskonzeptionen  112 f. – postnidative  159–161, 174–176 – pränidative  116, 161 f., 176 f. – teleologische Auslegung  114 f. – Wertkonzeptionen  112, 113–116 Merkel, Reinhard  369, 380–382, 383–385, 391 f., 403, 461, 492 f., 535, 588 Mignonette-Fall  663 m. Fn. 467 (Mit-)Schutz  256, 262–268, 268 f., 325, 532, 539, 545 f. – Arztvorbehalt  263 f. – Entscheidungsfreiheit der Schwangeren  268 f., 325 – Gesundheit und Leben der Schwangeren  262–268, 539, 545 f. – Konkurrenzen  265–267 – Regelbeispiel  264 f. – Schutzreflex  256, 262 f., 268, 532 – selbstständiges Rechtsgut  267 f. Mittäterschaft  257, 382 f. m. Fn. 215, 520, 597 mittelbare Täterschaft  52, 700 m. Fn. 91, 708–710, 710–713, 716 f., 717–720 – Selbstschädigungsfälle  700 m. Fn. 91, 711–713, 716 f., 717–720

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– unmittelbares Ansetzen siehe dort Möglichkeitstheorie  701 multifaktorielles Umfeld  301–303, 400–402, 407 f., 408 f., 438 f. mutmaßliche Einwilligung  312, 321 m. Fn. 40, 322 f., 326–329 m. Fn. 59, 440, 552, 760, 863 Mutmaßlichkeitslösung  322 f., 326, 760 Nackentransparenztest  455 Näheverhältnis, persönliches  342, 344–348, 367 f., 436 f., 500–502, 504 f., 511, 514, 761 m. Fn. 12 Nationalsozialismus  78 f., 120, 130, 159, 589, 812 f. m. Fn. 209, 854 Naturalistischer Fehlschluss  103, 163, 168 Negation der Negation siehe Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Negative Generalprävention  184 f., 186 f., 188, 191 f., 202, 202–211 m. Fn. 250 / 253 / 263, 216, 218 m. Fn. 310, 223–233 m. Fn. 363, 234 f., 243–245, 245–248, 768, 811 m. Fn. 201 – Andenaes, Johannes  204–206, 209–211, 235 – Empirie  205 – Feuerbach, Paul Johann Anselm von  184, 202–204, 211, 223, 226, 231 m. Fn. 363 – Freud’sches Persönlichkeitsmodell  206–209 – „Furcht“, Lernerfolg der  184 f., 188, 203, 208 f., 211, 216, 223–233, 235, 243–245, 245–248, 768, 811 m. Fn. 201 – Grundkonzept siehe Feuerbach, Paul Johann Anselm von – Haffke, Bernhard  204–206 m. Fn. 250 / 253, 206–209 m. Fn. 263, 211, 218 m. Fn. 310, 235 – Imitation von Strafe  243–245 – kommunikativer Lernprozess  223–225, 243–245

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– Modifikationen, „positiv-general­ präventive“ siehe Haffke, Bernhard u. Andenaes, Johannes – positive Generalprävention  202, 234 f., 245–248 – psychologischer Zwang  184, 202–204, 224, 225–233 – rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation  202–204, 224 f., 226 f., 234 f., 243, 768 – Wirksamkeitsvoraussetzungen  243–245 negative Tatbestandsmerkmale  557 Nesthocker  74 f., 288 Neuralisation  84 f., 564 Neutralisierung  242 m. Fn. 393, 682 m. Fn. 44, 771–783, 859 m. Fn. 368 – Dissonanz, kognitive  242 m. Fn. 393, 775 f., 779, 781 f. – gesetzliche  771–775, 779–782 – Matza, David  775–779 – positiv-generalpräventive Auswirkung  782 f. – Sykes, Gresham M. 775–779 – täterliche  775–779 Neves, Marcelo  789–791 Nicht-Äquivalenz-Doktrin  68–76 m. Fn. 59, 77, 82–85, 98 f., 100, 112, 113, 276, 564, 834 – bewusste Wesen  68 f., 71–73 – Empfindungsfähigkeit  71–73, 98, 564 – Erfahrbarkeitsbedingung  69 – Erinnerungskriterium  70 f., 74 – Ich- und Zukunftsbewusstsein  74, 82–85, 98, 100, 113, 564 – Interessensfähigkeit  68–76, 77, 99, 112 – Kritik  98 f. – Lebenswunsch  71, 73–76, 83, 276 – nicht bewusste Wesen  71 – selbstbewusste Wesen  71, 73–76 nicht bewusste Wesen  71 Nidation  93, 94 f., 103, 104, 106, 108, 109, 115, 462

– Individualitätsvoraussetzung  108 – Jedenfalls-Formel  109 – Schwangerschaft i. S. d. Gesetzes  106 – Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  93, 94 f., 103, 104 Nidationsabwehr  672, 733 f., 734 f., 735 f., 737, 742 – antizipierte  672, 733 f., 735 f., 737, 742 – präventive  733 f., 734 f., 737, 742 Nidationsverhinderung siehe Nidationsverhütung Nidationsverhütung  52, 254, 255, 670–754 m. Fn. 75 / 91 / 168, 765 – abstraktes Gefährdungsdelikt  254, 255, 671 f., 685 f., 687, 694 m. Fn. 75, 725 f. m. Fn. 168, 745, 752, 765 – Angemessenheit  741 f. – Antizipation eines Konflikts  672, 728, 729–737, 742, 743 – Anwendungsbereich des § 218 Abs. 1 S. 2 StGB  673–685 – auch nidationsverhütende Mittel  679 f., 680, 682, 684 f., 700–702, 704, 710, 718, 733 – Beweisführung  721 f., 722–724, 765 – Dritter, sonstiger  744 f. – Erfolgsunrecht  743–748 – „kleineres Übel“  747 f. – Kölner-Krankenhaus-Fall  680–682 – mittelbare Täterschaft, Tötung in siehe dort – Notfallverhütung siehe dort – positive Generalprävention  745 f. – Produkt- und Vertriebsverbot  52, 254, 255, 671 f., 685 f., 687, 724, 726, 752, 765 – Rechtsgüterreduzierung  750–752, 752–754 – reguläre Verhütung siehe dort – Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen  52, 671, 688, 688 f., 689, 727 – Schutzfähigkeit des Gesetzes  671 f., 688, 689–724, 724–727



Stichwortverzeichnis

– Selbstbestimmung  737–743, 750–754 – Tatbestandslosigkeit  683 f., 684 f. – Tatbestandslösung  740–742 – Unerheblichkeitserklärung des Gesetzes  673–687, 684, 743 – Verhaltensunrecht  727–748 – versuchter Schwangerschaftsabbruch  695–722 siehe auch Versuch – vollendeter Schwangerschaftsabbruch  691–695 nominalistische Verfassungen  809 Normalitätsthese  194 normative Unwirksamkeit  789–792, 799, 801 Normbefehl, Klarheit über  149–152 Normenklarheit  140 m. Fn. 33, 147, 148, 149–152, 164 m. Fn. 107, 177, 237, 757 m. Fn. 1, 833 – im engeren Sinne  147, 148 – im weiteren Sinne  140 m. Fn. 33, 147, 149–152, 164 m. Fn. 107, 177, 237, 757 m. Fn. 1, 833 Normenpyramide  47, 133, 147, 155, 166 m. Fn. 116, 167, 169, 170, 172 m. Fn. 130, 177 f. m. Fn. 141, 462, 757 m. Fn. 1, 770 m. Fn. 47, 780, 843 m. Fn. 325, 848, 855 m. Fn. 360 Normkonflikt  134 m. Fn. 9, 139 m. Fn. 27 / 29, 140, 143 siehe auch Normwiderspruch Normwiderspruch  138 m. Fn. 23, 139 f., 140 f., 149–152 m. Fn. 63 / 65, 163, 242 f. m. Fn. 394 – unvermeidbarer  139 f., 149 m. Fn. 63, 152, 242 f. m. Fn. 394 – vermeidbarer  139 f., 150 f. m. Fn. 65, 152, 243 Notfallverhütung  673 f., 674, 679–682, 684, 705, 716–718, 729, 732 f., 747 Nothilfe, aufgedrängte  50, 320–328, 443, 552 f., 760 m. Fn. 9, 823 m. Fn. 246 – §§ 32, 34 StGB  322–324 – Abbruchsverlangen  552 f.

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– embryopathische Indikation  823 – medizinisch-sozial indizierter Abbruch  324–328 – Mutmaßlichkeitslösung  322 f., 326, 760 – nothilfefeindliche Lösung  322, 324–326 – nothilfefreundliche Lösung  322 – Willensrichtungslösung  322 f. Nothilfe, Ausschluss der  534, 576 f. m. Fn. 139, 578, 581, 595, 619, 661 f., 664, 837 – Gebotenheit  576 f. m. Fn. 139, 661 f. Nötigung zum Abbruch  369–377, 390–393, 394, 415–419, 419–425 – rechtswidrige Nötigung zum Abbruch  419–425 – Suiziddrohung der Schwangeren  369–377, 390–393, 394 Nötigungsindikation  342, 409–436 m. Fn. 313, 439–441, 443, 533, 761 – Abwägungsrelevanz  429–433, 439–441, 761 – Angemessenheit  429–433 – Definition  411–413 – Einwilligung  414 f., 420 m. Fn. 313, 426, 433–435, 436, 440 – Empfindlichkeit  417 f., 433 f. – Gefahr  411, 413, 427 – Indikationenlage, Herbeiführung der  413, 414 f., 421–425 – Nötigung zum Abbruch  415–419 – rechtswidrige Nötigung zum Abbruch  419–425 – Verlassensdrohungen  410, 414–419, 420–425, 426, 430, 433, 435, 440 Notstandsprovokation  378, 402 Notwehrprovokation  349, 359, 377, 378, 379, 402 Nozizeption  72, 73 Objektive Gefahrverdichtung   295, 713–717, 717–721, 721 f., 723, 725, 765 – Beweisführung  721 f.

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Stichwortverzeichnis

Obliegenheitsverletzung  350–358, 360, 361, 368, 387–390, 390 f., 394, 396, 399 f., 402, 437 f., 470, 472 f. m. Fn. 443, 495 – Geschlechtsverkehr  350–358, 360, 361, 368, 495 – schädigendes Vorverhalten  394, 396, 399 f., 402 – Suiziddrohung  387–390, 390 f., 437 f. Obliegenheitsverletzungszusammenhang  390, 437 f. Offenbarungsgelegenheiten  627–629, 629–631, 631–634, 730 m. Fn. 182 – Ärztliche Beratung  631–634, 730 m. Fn. 182 – Konfliktberatung  627–629, 629–631, 730 m. Fn. 182 „One Size“  119 f. operante Konditionierung  219, 226 f. O’Rahilly, Ronan  107 Papstbriefe  621, 636 Paradoxie, positiv-generalpräventive  240–243, 769, 783 „Passauer Giftfalle“  710–713, 714 m. Fn. 143, 717, 726 Pawlik, Michael  470–473, 479 f., 481, 482, 495–497 Pawlow, Iwan Petrowitsch  226, 228–231, 232 „peer-group-Effekt“  218 Perforation  278–280 m. Fn. 103, 470 m. Fn. 436, 473, 487 f., 488, 491–493, 495 f., 498 m. Fn. 517, 503, 540 Person  67, 68–76 m. Fn. 59, 76 f. m. Fn. 106, 82–85, 98 f., 100, 102, 112, 113, 276, 564, 834 – Äquivalenz-Doktrin  69 m. Fn. 59, 76 f. m. Fn. 106, 102, 834 – Nicht-Äquivalenz-Doktrin  68–76 m. Fn. 59, 77, 82–85, 98 f., 100, 112, 113, 276, 564, 834 persönliches Näheverhältnis  342, 344–348, 367 f., 436 f., 500–502, 504 f., 511, 514, 761 m. Fn. 12

Persuasion  215, 802 Pflichtberatung  336, 623–658, 669, 730 m. Fn. 182, 822 m. Fn. 244 – Beratungsstellen siehe dort – Beratungsverständnisse siehe dort – Offenbarungsgelegenheit  627–629, 629–631, 730 m. Fn. 182 Pflichtwidrigkeit  349, 351–358, 360 f., 388, 394, 396–398, 400, 439 – Geschlechtsverkehr  349, 351–358, 360 f. – schädigendes Vorverhalten  396–398, 400, 439 – Suiziddrohung  388, 394 Pflichtwidrigkeitszusammenhang  365 f., 439, 489 f. „Pille danach“  673 f., 674, 677, 679–682, 684, 685 f., 718, 734, 744 Pluripotenz  91, 839 f. Polyspermieblock  88 Portmann, Adolf  74, 75 positive Generalprävention  53, 124–131, 180–248 m. Fn. 155 / 169 / 201 / 210 /  221 / 230 / 376, 298, 306–308, 570–572, 574, 745 f., 767 f., 769, 782 f., 783, 809 f., 810 f., 812–814, 850 – absolute Straftheorien  181–183, 185–188, 195–202 – Angemessenheit  306–308 – Bewusstseins(ab)bildung  53, 124, 127–129, 298, 767, 783, 812–814, 850 – Definition  183–185 – Durkheim, Émile  191, 192–194 m. Fn. 201 / 210, 197 f., 201, 212 f., 245, 574, 809 f. – „Einsicht“, Kommunikationszweck und Lernerfolg der siehe dort – Empirie  188–191 – funktionale Vergeltungstheorie  200–202, 212 f., 810 – Gesamtrechtsordnung  126 f. – Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  182 m. Fn. 155, 185 m. Fn. 169, 197–199 m. Fn. 221, 199 m. Fn. 230, 200 f., 212 f.



Stichwortverzeichnis

– kommunikativer Lernprozess siehe dort – Mechanismen  212–235, 810 f. – Negation der Negation siehe Hegel, Georg Wilhelm Friedrich – negative Generalprävention  202–211, 218, 223–235, 245–248 – Neutralisierung  782 f. – Nidationsverhütung  745 f. – Paradoxie  240–243, 769, 783 – Rechtswidrigkeitsverdikt  570–572 – relative Straftheorien  181, 183–185, 185 f., 195, 198 f., 236 m. Fn. 376 – Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  124–131 – strafgesetzliche Vorschriften  125 f. – Vereinigungstheorie, präventive  185–188, 188 f., 245, 767 – Vergeltungstheorie  181–183, 185 m. Fn. 169, 187, 191, 195–202, 202 f., 212 f., 223, 236, 237, 245, 810 – Wirksamkeitsvoraussetzungen  235–248, 768 – Zäsur, schematisierende  306–308 Postnidativer Ungeborenenschutz  159–161, 165–169, 174–176, 252 f., 253 f., 686 f., 758–764 – Gleichheitssatz  165–169, 174–176, 252, 758 – Grundrechtsbindung  159–161 – „Mensch“ i. S. d. Strafrechts  252 f. – pränidativer Ungeborenenschutz  253 f., 686 f. – Wertungswiderspruch  758–764 Potenzialitätsargument  76 f., 77–82, 96–99, 100, 112 f. – Anwartschaftsrecht, Analogie  80–82 – Äquivalenz-Doktrin  76 f. – generisches  77, 100 – Identitätsargument  76, 82 – Kritik  97–99 – Leistungskonzeptionen  112 f. – Potenzialität menschlichen Lebens  79 f.

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– Schwangerschaftsabbruchsentscheidung, erste  78 f. – Schwangerschaftsabbruchsentscheidung, zweite  96–99, 112 potenzielle Lebensinteressen  76–99 Potestativbedingung  560 f., 562, 660 f., 819 siehe auch Wollensbedingung, auflösende Präimplantationsdiagnostik  43, 167, 169, 747, 748, 838–843 m. Fn. 307, 855 – „Weiterfresser“  838–844 m. Fn. 307, 855 Pränataldiagnostik  44 m. Fn. 2, 315, 336, 421 f., 453 f., 455–459 m. Fn. 378 / 392, 730, 747 m. Fn. 209, 820 m. Fn. 236, 822 f., 839, 841 f. – Amniozentese  456 f. m. Fn. 392, 458, 459 – Chordozentese  458, 459 – Chorionzottenbiopsie  456 f. m. Fn. 392, 459 – Ersttrimester-Screening  455 – Fetoskopie  458 – Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)  457 f. – Gefahr, künftige  453 f., 459 – Methoden  455–459 m. Fn. 378 – Nackentransparenztest  455 – Sonographie  455 – Triple-Test  455 Prangerwirkung  598–600 m. Fn. 207, 604 f., 606, 610, 612 – unwahre Tatsachenbehauptung  598–600 – wahre Tatsachenbehauptung  604 f. Pränidativer Ungeborenenschutz  105–111, 161 f. m. Fn. 98, 170–173, 176 f., 241 m. Fn. 389, 253–256, 671 m. Fn. 1, 686 f. m. Fn. 54 / 55, 748 f., 764–766, 766 m. Fn. 35 – empirisches Sachurteil  106, 106–108 – Gleichheitssatz  162 m. Fn. 98, 170–173, 176 f., 241 m. Fn. 389,

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253 f., 255 f., 671 m. Fn. 1, 686 f. m. Fn. 54 / 55, 764–766, 766 m. Fn. 35 – Grundrechtsbindung  161 f. – in dubio pro vita  109–111 – Jedenfalls-Formel  109 – normatives Werturteil  106, 108 f. – Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  105–108 – Ungeborenenschutz, postnidativer  253 f., 686 f. – Ungeborenenschutz, pränidativer, Unterschiede  255 f. – Wertungswiderspruch, potenzieller  764–766 präventive Nidationsabwehr  733 f., 734 f., 737, 742 präventive Vereinigungstheorie  185–188, 188 f., 245, 767 Präventivmaßnahmen  734, 737, 672 Primitivstreifen  94, 95 Prinzipienwiderspruch  142 f. pro familia  629, 635, 641 f., 643–649 m. Fn. 392 / 394 / 406 / 413, 653, 655–657, 669, 686 m. Fn. 52, 773 f. m. Fn. 62 Produkt- und Vertriebsverbot  52, 254, 255, 671 f., 685 f., 687, 724, 726, 752, 765 Pronukleusstadium  89, 90 Proportionalität von Tat und Strafe  187 f., 199 m. Fn. 230, 236 f. m. Fn. 374 Proportionalitätsmaßstab  50, 311, 372 f., 429, 443 f., 445, 461–466, 467, 474–482 m. Fn. 465 / 467 / 475, 482 f., 484, 487, 491, 506, 510 f., 512–517, 519, 526, 528–531, 533, 760, 762, 837, 839 m. Fn. 307 – Defensivnotstand  50, 474–482 m. Fn. 465 / 467 / 475, 482 f., 484, 762, 837 – Leben gegen Leben  372 f., 461–466, 487, 491, 839 m. Fn. 307 – medizinisch-soziale Indikation  50, 311, 429, 443 f., 445, 461–466, 467, 533, 760

– Unterlassen  506, 510 f., 512–517, 519, 526, 528–531, 762, 837 prospektiver Schwangerschaftskonflikt  315, 325, 327 f., 453 f., 821 f., 828 Provokationszusammenhang  359 psychologischer Zwang  184, 202–204, 224, 225–233 Quantitativer Lebensschutz  51, 119, 373, 544, 573, 619, 622, 661–664, 666, 740 m. Fn. 198, 751 m. Fn. 218, 764, 829 f. Rational choice  204 m. Fn. 249, 224 Rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation  202–204, 224 f., 226 f., 234 f., 243, 768 Rationalisierungen  776 Recht auf Abtreibung  534–539 m. Fn. 628 Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen  173–176, 176 f. – sachlicher Grund, gewichtiger  173 f. – Ungeborenenschutz, postnidativer  174–176 – Ungeborenenschutz, pränidativer  176 f. – Willkürfreiheit  173 f. Rechtsetzungsgleichheit  162–178 Rechtsgüterreduzierung  750–752, 752–754 Rechtsgüterschutz, manifester Zweck  53, 755 f., 787, 788 f., 792, 805 f., 807, 838, 846, 847, 862 Rechtsgüterumkehrung in § 218a Abs. 1 StGB  667–669, 750–752 Rechtsgüterumkehrung in § 218a Abs. 2 StGB  531–533, 534–539 m. Fn. 628, 750–752 – Recht auf Abtreibung  534–539 m. Fn. 628 – tatsächliches Rechtsgüterverhältnis  531–533 – verlautbartes Rechtsgüterverhältnis  531–533



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Rechtskreisorganisation  470–473, 480 f. m. Fn. 475, 481, 484 f., 495–497, 503 Rechtssicherheit  140 m. Fn. 33, 147–152, 164 m. Fn. 107, 177, 237, 242 m. Fn. 394, 757 m. Fn. 1, 833 – Normbefehl, Klarheit über  149–152 – Normenklarheit i. e. S. 147, 148 – Normenklarheit i. w. S. 140 m. Fn. 33, 147, 149–152, 164 m. Fn. 107, 177, 237, 757 m. Fn. 1, 833 – Wertungsklarheit  152, 164, 177, 242 m. Fn. 394 Rechtsstaatsprinzip  146 f. m. Fn. 52 / 55, 153, 154, 188, 199 m. Fn. 230, 236, 584, 637 Rechtswidrige-Abtreibungen-Beschluss  590 m. Fn. 181, 598–603, 603–607 m. Fn. 226 / 228, 612, 614 siehe auch Prangerwirkung Rechtswidrigkeitsverdikt  562 f., 570–572, 572, 573, 574–623 m. Fn. 295, 634, 656–658, 665, 668, 670, 738, 740, 743, 763 m. Fn. 24, 822, 837 – Gesamtrechtsordnung  575–623 – Rechtsprechung  616–619 – Statistik  615 f. – Strafgesetzbuch  574 f. Regelbeispiel  264 f., 303 – Dritter, sonstiger  303 – (Mit-)Schutz von Gesundheit und Leben der Schwangeren  264 f. reguläre Verhütung  361 m. Fn. 161, 363 f., 645, 673 f., 674 f., 675–679 m. Fn. 6, 679 f., 680, 682, 683 f., 684 f., 700–702, 703, 704, 705, 710, 716–718, 718 f., 729, 732 f., 741, 744, 747 – Antibabypille  361 m. Fn. 161, 363 f., 645, 675 f., 679 f., 703, 718 f., 732 f., 744 – auch nidationsverhütende Mittel  679 f., 680, 682, 684 f., 700–702, 704, 710, 718, 733

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– Empfängnisverhütung, reine  677 f., 678, 683 f. – hormonelle  675–677, 678, 684, 718 – Spirale  673 f., 675 m. Fn. 6, 677, 678, 679, 684, 703, 718 f. reine Empfängnisverhütung  677 f., 678, 683 f. relative Straftheorien  181, 183–185, 185 f., 195, 198 f., 236 m. Fn. 376 Roxin, Claus  356, 718 Sachlicher Grund, gewichtiger  173 f. schädigendes Vorverhalten  294 f. m. Fn. 159 / 162, 301 f., 302, 394–409 m. Fn. 245 / 266, 439, 693 f. m. Fn. 73, 761 – absichtlich herbeigeführte Indikationenlage  395 m. Fn. 245, 402–408 – „Embryonenschädigung“  294 f. m. Fn. 159 / 162, 302, 401 m. Fn. 266, 402, 406 f., 408 – Gefahr  404 f. – Gefährdungsdelikt, abstraktes  401 – Gefahrtragungspflicht der Schwangeren  394–409 – Kausalität  400–402, 405–409 – Obliegenheitsverletzung  394, 396, 399 f., 402 – Pflichtwidrigkeit  396–398, 400, 439 – sonst vorwerfbar herbeigeführte Indikationenlage  395–402 – Teratogene  301 f., 395 f., 406, 408, 693 f. m. Fn. 73 Scheinzweck  300–306, 308, 744 f., 746 „schicksalhaftes So-Sein“  278 m. Fn. 99, 469, 473 m. Fn. 449, 475, 484 f., 485–488, 488 m. Fn. 496, 494, 496, 497 f., 504 – Existenzhaftung  485–488 – Existenzhaftung, asymmetrische beidseitige  497 f. Schmerz  71–73 – bei vollem Bewusstsein  71 f. – ohne Bewusstsein  72 f.

962

Stichwortverzeichnis

Schöpfungslehre, christliche  100, 114 Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen  49, 52, 291–293 m. Fn. 158, 299, 305, 566 f. m. Fn. 88, 671, 688, 688 f., 689 m. Fn. 60, 727, 741 – Nidationsverhütung  52, 671, 688, 688 f., 689, 727 – Tatbestandslösung  566 f., 741 – Zäsur strafgesetzlicher Menschwerdung  49, 291–293 m. Fn. 158, 299, 305, 566 m. Fn. 88, 689 m. Fn. 60 Schutzfähigkeit des Gesetzes  293–296, 299, 301, 301–303, 305 f., 307, 308, 400 m. Fn. 262, 406 m. Fn. 280, 409, 438 f., 566, 567–570, 671 f., 688, 689–724, 724–727 – Beratungsmodell  566, 567–570 – Dritter, sonstiger  301, 301–303, 305 f. – medizinisch-soziale Indikation  409, 438 f. – Nidationsverhütung  671 f., 688, 689–724, 724–727 – Tatbestandslösung siehe Beratungsmodell – Zäsur strafgesetzlicher Menschwerdung  293–296, 299, 307, 308, 400 m. Fn. 262, 406 m. Fn. 280, 409, 438 f. Schutzgut der §§ 218 ff. StGB  257, 258 Schutzpflichtkonzept  58–65, 117, 154 – Dreiecksbeziehung  58 f. – Drittwirkung, mittelbare  61, 64 f., 154 – Subsidiarität  59 f. – Untermaßverbot  117 – Würdegarantie  61 f., 63 Schutzreflex  256, 262 f., 268, 532 Schutzzweckzusammenhang  390, 398 m. Fn. 255, 400 m. Fn. 259 Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  55–131 – strafzwecktheoretischer Diskurs  124–131

– verfassungsrechtlicher Diskurs  56–124 schwangerschaftsfeindliche Konstitu­ tion, Wissen um  352 m. Fn. 138, 353 m. Fn. 139, 356–358, 358–360, 362–367, 368, 439, 489–491, 761 m. Fn. 13 – allgemeines Lebensrisiko  353 m. Fn. 139, 359 f., 363–366, 368, 439, 489–491 – erlaubtes Risiko  353 m. Fn. 139, 359 f., 366 f., 368 Schwangerschaftstest  692–694 m. Fn. 67, 721 f., 723, 729 Screening, embryonales  693–695, 699 f., 701 f., 704 m. Fn. 110, 723, 730 f. m. Fn. 180, 742 Selbst- statt Beratungsverständnis  654–656 selbstbewusste Wesen  71, 73–76 Selbstbindung des Gesetzgebers  170, 171, 254, 687, 764, 765 „Selbstindikation“  550–552, 555, 561, 613 f., 666, 738, 740, 743, 823 f. Selbstschädigungsfälle  700 m. Fn. 91, 711–713, 716 f., 717–720 „Selbststand“ der Verfassung  158 f., 770 selektive Rezeption  242 m. Fn. 393, 682 m. Fn. 44, 801–803, 830, 845, 856 Sexualstraftaten  796 f. Singer, Peter  68 f., 71–76, 99 – bewusste Wesen  68 f., 71–73 – nicht bewusste Wesen  71 – selbstbewusste Wesen  71, 73–76 Skinner, Burrhus Frederic  226 f. siehe auch (operante) Konditionierung Sonderzuständigkeiten  479 f. m. Fn. 475, 494–498 siehe auch Zuständigkeitsanteil sonst vorwerfbar herbeigeführte Indikationenlage  383–393, 395–402, 422–425 – Nötigungsindikation  422–425



Stichwortverzeichnis

– schädigendes Vorverhalten  395–402 – Suiziddrohung  383–393 Sozialdienst katholischer Frauen  636 m. Fn. 353, 651 Sozialhilfe  543, 585 f., 613, 619 Sozialisationsinstanzen, informelle  205, 217–219, 223, 811 m. Fn. 200 sozial-kognitive Lerntheorie  220–222, 233, 776 m. Fn. 76 siehe auch Bandura, Albert Spätabbruch  282 m. Fn. 115, 334 m. Fn. 78, 336 f., 454–460 m. Fn. 379, 536 f., 595 m. Fn. 193, 821 m. Fn. 237, 824 spezialisierte Abtreibungseinrichtungen  611 m. Fn. 244 Spezialprävention  184 m. Fn. 164, 248 m. Fn. 408, 570 m. Fn. 104 Speziesismus  77, 97, 99–101, 102, 105, 113 f., 114 – Äquivalenz-Doktrin  102 – Gattungssolidarität  100, 114 – generisches Potenzialitätsargument  77, 100 – modifizierter  99 f., 113 – Schöpfungslehre, christliche  100, 114 – Schwangerschaftsabbruchsentscheidungen  97, 99, 100 f., 105 – Wertkonzeptionen  113 f. Spirale  673 f., 675 m. Fn. 6, 677, 678, 679, 684, 703, 718 f. – „Spirale danach“  674, 679, 684 Spontanabort  88 m. Fn. 159, 693 f., 721, 730, 736 Steckdosenfall  714 m. Fn. 143 Sterbehilfe  862 f. stern-Kampagne  544 m. Fn. 3, 546, 793 f. m. Fn. 130 / 131 Stolpe-Beschluss  590 f. m. Fn. 183, 600 f. m. Fn.  214 / 218, 618 Strafandrohung, Ausschluss von der  553–556, 558, 576 – Erkenntnishilfe, tatbestandliche  553 f., 558

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– Strafrechtswidrigkeit  554 f., 556, 576 Straftheorien  181–183, 183–185, 185–188, 195–202, 236 m. Fn. 376 – absolute  181–183, 185–188, 195–202 – relative  181, 183–185, 185 f., 195, 198 f., 236 m. Fn. 376 strategische Suiziddrohung  380–383, 383, 385, 393 f., 404, 437 f. Stufentheorie  155 subjektiver Tatplan  713–717 Subordinationsbeziehung  157, 162, 178, 770 Sühnetheorie  181–183, 183 Suiziddrohung der Schwangeren  368–394 m. Fn. 185 / 226 / 229, 398, 404, 410, 437 f., 761 – absichtlich herbeigeführte Indikationenlage  378–383 – Abwägungsrelevanz  386–390, 761 – Empfindlichkeit  369–375 m. Fn. 185 – ernsthafte  369, 381 f., 383–393 m. Fn. 226, 393 f., 398, 410, 437 – Garantenstellung  388 f. m. Fn. 229 – Gefahr  380–383, 383–385 – Indikationenprovokation siehe absichtlich herbeigeführte Indikationenlage – Kausalität des Gesetzes  376 f. – Nötigung  369–377, 390–393, 394 – Obliegenheitsverletzung  387–390, 390 f., 437 f. – Pflichtwidrigkeit  388, 394 – Rechtsmissbrauch  379 – sonst vorwerfbar herbeigeführte Indikationenlage  383–393 – strategische  380–383, 383, 385, 393 f., 404, 437 f. Sutherland, Edwin H.  219 f., 221 m. Fn. 323, 775 Sykes, Gresham M.  775–779 symbolische Strafgesetzgebung  54, 755–866 – Autopoiesis und Allopoiesis  830–866

964

Stichwortverzeichnis

– Funktionalisierung des Wertungs­ widerspruchs  54, 756, 785–830, 838, 843, 844, 847, 856 – Ineffektivität  786, 789–792, 801, 804 – latente Funktionen siehe dort – manifeste Funktionen siehe dort – normative Unwirksamkeit  789–792, 799, 801 – Wertungswiderspruchsfreiheit  757–785 Syngamie  89 Tatbestandslosigkeit per se  683 f. Tatbestandslösung  51, 119, 541–669 m. Fn. 3 / 74 / 112 / 471, 727, 738, 740–743 m. Fn. 198, 750–752 m. Fn. 218, 763 f., 793 f. m. Fn. 130 / 131, 814–816, 817–821, 861 – Abbruchsverlangen siehe dort – Alibigesetzgebung  814–816, 817 – Angemessenheit  658–664 – Antizipation eines Konflikts  727 – Beratungsmodell siehe dort – „Diener zweier Herren“  563 m. Fn. 74, 572 m. Fn. 112, 665 m. Fn. 471 – dilatorischer Formelkompromiss  817–821 – Dispositionen  545–548, 660, 861 – genereller Ungeborenenschutz  658, 659 f. – individueller Ungeborenenschutz  119, 658–664 – negative Tatbestandsmerkmale  557 – Nidationsverhütung  740–742 – Nothilfe, aufgedrängte  552 f. – quantitativer Lebensschutz  51, 119, 544, 573, 619, 622, 661–664, 666, 740 m. Fn. 198, 751 m. Fn. 218, 764 – Rechtsgüterumkehrung  667–669, 750–752 – Rechtswidrigkeitsverdikt siehe dort – Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen  566 f., 741

– Schutzfähigkeit des Gesetzes  566, 567–570 – „Selbstindikation“  550–552, 555, 561, 613 f., 666, 738, 740, 743 – stern-Kampagne  544 m. Fn. 3, 546, 793 f. m. Fn. 130 / 131 – Strafandrohung, Ausschluss von der  553–556 – Unerheblichkeitserklärung der Schwangeren  544–563, 559–562, 569, 613 f., 660 – Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens  549 f., 571 – Wertungswiderspruch  763 f. – Wollensbedingung  560 f., 562, 660 f., 819 Tatentschluss  696–706 m. Fn. 86 / 88 / 93, 710, 725 m. Fn. 167 – alternative „Absichten“  697–700 m. Fn. 88, 706 – fehlende Vorstellung  697 – Tatbestandsirrtum  697 – „Unerwünschtheit“  700–705 technischer Widerspruch  138 teleologischer Widerspruch  142 Teratogene  301 f., 395 f., 406, 408, 693 f. m. Fn. 73 tertium comparationis  48, 132 m. Fn. 2, 157 m. Fn. 85, 162 m. Fn. 98, 165 f., 167–169, 170 f., 171–173, 191, 252, 254 m. Fn. 16, 255, 687 m. Fn. 54 / 55, 758, 764–766 m. Fn. 35, 770, 780, 786 – grundrechtliches  48, 132 m. Fn. 2, 162 m. Fn. 98, 165 f., 170 f., 191, 252, 254 m. Fn. 16, 687 m. Fn. 55, 758, 764–766, 770, 780, 786 – naturwissenschaftliches  157 m. Fn. 85, 162 m. Fn. 98, 167–169, 171–173, 255, 687 m. Fn. 54, 766 m. Fn. 35 Todgeweihtheit  463 m. Fn. 414, 464 m. Fn. 416 Totipotenz  91, 826, 831 f.



Stichwortverzeichnis

Tötung  279, 298 f., 311, 462–466., 474, 476 f., 480–482 – Rechtfertigungsfähigkeit  279, 311, 462–466, 474, 476 f., 480–482 – Tötungshemmung  298 f. Trepanation  278 Triple-Test  455 Trophoblast  90–92, 108 f., 260 – Differenzierung vom Embryoblasten  90–92, 108 f., 260 tutioristische Argumentation  109, 111 Überzählige Embryonen  827 unabgeschirmte Gefahr  703 Unerheblichkeitserklärung  544–563, 569, 613 f., 660, 673–687, 743 – des Gesetzes  673–687, 684 f., 743 – der Schwangeren  544–563, 559–562, 569, 613 f., 660 Ungeheuer, Gerold  215, 238, 802, 804 unmittelbares Ansetzen  295, 706–708, 708–710. m. Fn. 119 / 123, 710–713, 713–717 m. Fn. 143, 717–721 m. Fn. 154 / 157, 721 f., 723, 725, 726, 765 – Beweisführung  721 f. – Einzellösung  708 f. m. Fn. 119, 719 m. Fn. 157 – Entlassen des Geschehensablaufs  717–720 m. Fn. 154 – Gesamtlösung  708 f. m. Fn. 123, 717 – Kombinationsansatz  706–708 – mittelbarer Täter  708–710 – objektive Gefahrverdichtung  295, 713–717, 717–721, 721 f., 723, 725, 765 – „Passauer Giftfalle“  710–713, 714 m. Fn. 143, 717, 726 – subjektiver Tatplan  713–717 Unrechtstäterschaft und -teilnahme, staatliche  582 f., 584, 586, 587 f. m. Fn. 167, 588 Unteilbarkeit (Individuation)  93–96, 104, 108, 109, 115, 171, 260

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Unterlassen  311, 505–529, 528–531, 762, 837 – § 34 StGB, Abweichungen von  510 f., 512–517, 517 f. – Austragungspflicht der Schwangeren  520–523 – Entlassen des Geschehensablaufs  508 – Gefahr  506, 517 f., 519, 529 – Proportionalitätsmaßstab  506, 510 f., 512–517, 519, 526, 528–531, 762, 837 – unechtes  506–509 – Unzumutbarkeit, rechtfertigende  311, 505 f., 506–528 unvermeidbarer Normwiderspruch  139 f., 149 m. Fn. 63, 152, 242 f. m. Fn. 394 Unzumutbarkeit, rechtfertigende  62 m. Fn. 28, 122, 311, 431, 505 f., 506–528, 849, 854 – Unterlassen  311, 505 f., 506–528 Unzumutbarkeit von Handlungsalternativen  331, 334 m. Fn. 78 Uterus, Öffnung des  286, 286 f. Vereinigungstheorie, präventive  185–188, 188 f., 245, 767 Vergeltungstheorie  181–183, 185 m. Fn. 169, 187, 191, 195–202, 202 f. 212 f., 223, 236, 237, 245, 810 – funktionale  200–202, 212 f., 810 Verhaltensunrecht  296–298, 303, 727–748 – Arzt  297 f. – Dritter, sonstiger  303, 744 f. – Nidationsverhütung  727–748 – Schwangere  296 f. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  147, 153, 174, 175, 176 f., 252, 254, 256, 306, 658, 757 m. Fn. 1 Verhütungsmethoden und -mittel  361 m. Fn. 161, 363 f., 645, 673 f., 674 f., 675–679 m. Fn. 6, 679–682, 683 f., 684 f., 685 f., 700–702, 703, 704, 705, 710, 716–718, 718 f., 729, 732 f., 734, 741, 744, 747

966

Stichwortverzeichnis

– auch nidationsverhütende Mittel  679 f., 680, 682, 684 f., 700–702, 704, 710, 718, 733 – Antibabypille  361 m. Fn. 161, 363 f., 645, 675 f., 679 f., 703, 718 f., 732 f., 744 – Empfängnisverhütung, reine  677 f., 678, 683 f. – hormonelle  675–677, 678, 684, 718 – Notfallverhütung  673 f., 674, 679–682, 684, 705, 716–718, 729, 732 f., 747 – „Pille danach“  673 f., 674, 677, 679–682, 684, 685 f., 718, 734, 744 – reguläre  673 f., 674 f., 675–679 m. Fn. 6, 679 f., 683 f., 684 f., 703, 705, 716–718, 718 f., 729, 732 f., 741, 747 – Spirale  673 f., 675 m. Fn. 6, 677, 678, 679, 684, 703, 718 f. – Tatbestandslosigkeit  683 f., 684 f. Verlassensdrohungen  410, 414–419, 420–425, 426, 430, 433, 435, 440 „Verletzungstest“  139 m. Fn. 30, 150 m. Fn. 64 vermeidbarer Normwiderspruch  139 f., 150 f. m. Fn. 65, 152, 243 Vermeidungsreaktion, automatisierte  208, 219, 226 f., 227–231, 232, 234 Vermeidungstheorie  702 f. Verständigung, Kommunikationsziel der  214–216, 219, 224 f., 234, 238, 240, 767 f. Versuch  695–722 – Tatentschluss  696–706 – unmittelbares Ansetzen  706–722 Vertatbestandlichung  270, 531–540 m. Fn. 628, 762, 766, 816, 823, 824, 849, 857, 858 – Recht auf Abtreibung  534–539 m. Fn. 628 Vorkernstadium  89, 90 Vorsatzgefahr  702 Vorverlegung des Gefahreneintritts  445–461

Wahrscheinlichkeitstheorie  701 f. m. Fn. 96, 704 m. Fn. 110 Warnschussarrest  796 Weigerungsrecht, ärztliches  279 f., 374 f., 376 f., 377, 378, 392 f., 403 f., 535–539, 595 m. Fn. 193, 857 „Weiterfresser“  838–844 m. Fn. 307, 855 Werbungsverbot  611 f. Wert- und Geringschätzung  441 f. Wertbekräftigung, soziale  792–794, 798, 803 f., 807–814, 836, 845 – Differenzierungsgesten  793, 798, 845 – Kohäsionsgesten  793, 798, 807 f., 836 Wertgleichheit  182 m. Fn. 155, 198 f. m. Fn. 230 Wertkonzeptionen  112, 113–116 – christliche Schöpfungslehre  114 – humanistisch-aufklärerische Begründung  114 – Kontinuitätsargument  115 f. – Speziesismus  113 f. Wertungsklarheit  152, 164, 177, 242 m. Fn. 394 Wertungswiderspruch  47 f., 54, 133 m. Fn. 4, 140 f., 143 f., 156 f. m. Fn. 82, 157 f., 160 f., 161 f., 162, 166 f., 179, 755, 756, 757 f., 759–763, 763 f., 764, 771, 780, 785–830, 838–844 m. Fn. 307, 847, 848, 855 f., 856 – Funktionalisierung  54, 756, 785–830, 838, 843, 844, 847, 856 – horizontaler  47 f., 133 m. Fn. 4, 156 f., 160 f., 161 f., 162, 166 f., 179, 755, 757 f., 764, 780, 786, 848, 855 f. – medizinisch-sozialer Indikationentatbestand  759–763 – Neutralisierung  771 – Tatbestandslösung  763 f. – vertikaler  133 m. Fn. 4, 156 m. Fn. 82, 157 f., 160 f., 161, 162, 167, 179, 780, 786, 848, 855 f.



Stichwortverzeichnis

– „Weiterfresser“  838–844 m. Fn. 307, 855 Wertungswiderspruchsfreiheit, Gebot der  132–248, 757–783, 848 – positiv-generalpräventive Wirksamkeitsvoraussetzung  235, 767–771 – strafzwecktheoretisch begründete  180–248, 767–783 – verfassungsrechtlich begründete  144–180, 757–766 Wessels, Johannes  330 f., 412 f., 413 Widerspruch  133–144, 135–137, 138 m. Fn. 23, 139 f., 140 f., 142 f., 149–152 m. Fn. 63 / 65, 163, 242 f. m. Fn. 394 – echter  135–137 – Konkurrenzwiderspruch  138 m. Fn. 23 – Normwiderspruch  138 m. Fn. 23, 139 f., 140 f., 149–152 m. Fn. 63 / 65, 163, 242 f. m. Fn. 394 – Prinzipienwiderspruch  142 f. – technischer  138 – teleologischer  142 – Wertungswiderspruch siehe dort Wiederherstellung der Autopoiesis  847–866 – Identitätsbestimmung  848–854 – Identitätsentwicklung  854–861 – Perspektiven  861–866 Willensrichtungslösung  322 f. Willkürfreiheit  173 f. Wollensbedingung  560 f., 562, 660 f., 819 Zäsur strafgesetzlicher „Menschwerdung“  49, 271–309 m. Fn. 158, 334 m. Fn. 78, 336 f., 400 m. Fn. 262, 406

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m. Fn. 280, 566 m. Fn. 88, 689 m. Fn. 60, 759 m. Fn. 3, 821 – Dritter, sonstiger  300–306 – Geburtsbeginn siehe dort – Geburtsvollendung  276–280 – Gefälle  271, 272–274, 759 m. Fn. 3 – Lebensfähigkeit, abstrakte extrakorporale  274, 280–282, 334 m. Fn. 78, 336 f., 821 – positive Generalprävention  306–308 – Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen  49, 291–293 m. Fn. 158, 299, 305, 566 m. Fn. 88, 689 m. Fn. 60 – Schutzfähigkeit des Gesetzes  293– 296, 299, 307, 308, 400 m. Fn. 262, 406 m. Fn. 280 – Streitentscheidung  282 f. – Tötungshemmung  298 f. – Verhaltensunrecht  296–298, 303 – Wertungswiderspruch, Ursprung  759 Zielorientierung  624–626, 639–641, 642, 646 f., 651–654, 656, 657 f., 823 m. Fn. 248 Zurechnungszusammenhang, objektiver  257, 302, 352 f. m. Fn. 138 / 139, 358–367, 390, 398 m. Fn. 255, 406 m. Fn. 278, 418 f., 438 f., 469 f. m. Fn. 434, 489 f., 491 f., 495 Zuständigkeitsanteil  480, 494–498, 500 m. Fn. 519, 503 f., 504, 505, 530, 762 – Asymmetrie, qualitative  495 f. – Asymmetrie, zeitliche  496 f. – Existenzhaftung, asymmetrische beidseitige  497 f. – kriminologische Indikation  496 f., 503 f. Zweiklang  50, 311, 443–531