Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform: Der Rechtsgrund bei Straftaten im Ausland nach §§ 5 und 6 StGB [1 ed.] 9783428440016, 9783428040018


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German Pages 186 Year 1977

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Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform: Der Rechtsgrund bei Straftaten im Ausland nach §§ 5 und 6 StGB [1 ed.]
 9783428440016, 9783428040018

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WOLFGANG ZIEBER

Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform

Schriften zum Strafrecht Band 27

Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform Der Rechtsgrund bei Straftaten im Ausland nach den §§ 5 und 6 StGB

Von

Dr. Wolfgang Zieher

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

D 21 Alle Rechte vorbehalten @ 1977 Duncker & Humblot, Berl1n 41 Gedruckt 1977 bei Buchdruckerei Richard Schröter, Berl1n 81 Printed in Germany ISBN 3 428 04001 5

Vorwort Diese Abhandlung stellt meine Dissertation dar, die dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Tübingen im Wintersemester 1975/76 vorgelegen hat. Ich habe mich bemüht, Rechtsprechung und Schrifttum bis April 1977 einzuarbeiten, wobei mir freilich keine Vollständigkeit mehr gelungen ist. Mein besonderer Dank gilt zunächst Herrn Professor Dr. Horst Schröder, der die vorliegende Arbeit angeregt hat und dem Verfasser stets gerne seinen freundlichen Rat zuteil werden ließ. Er gilt aber auch den Herren Professoren Dr. Theodor Lenck:ner und Dr. Albin Eser, beide Tübingen, die nach dem allzu frühen Tod von Herrn Professor Dr. Horst Schröder trotz bestehender Arbeitsüberlastung bereitwillig die weitere Betreuung der Arbeit übernommen und sie in stets großzügiger Weise gefördert haben. Wolfgang ZieheT

Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................ § 1. Der Regelungsgegenstand der §§ 3 bis 7 stGB -

19

eine Vorbemerkung ............................................................

21

1. Der Regelungsinhalt der §§ 3 ff. StGB ........................

21

1. Die §§ 3 ff. StGB als Rechtsfolgenregelung ................

21

2. Die geltungsrelevanten Faktoren - die Geltungsvoraussetzungen .................................................. 23 3. Der Regelungsgegenstand 11. Erste Abgrenzung zu anderen Rechtsmaterien ................

23 24

1. Das Völkerstrafrecht

24

2. Das Rechtshilferecht

25

III. Erste Begriffsklärung ........................................ § 2. Die §§ 3 ff. stGB: Strafgewaltsregelungen? Rechtsanwendungsrecht?

Kollisionsrecht? .................................................. 1. Meinungsstand

25 27 27

1. Die §§ 3 ff. als Strafrechtsanwendungsrecht ................

27

2. Die §§ 3 ff. als Kollisionsnormen ..........................

27

3. Die §§ 3 ff. als Strafgewaltsregelungen ....................

28

II. Stellungnahme 1. Die §§ 3 ff. als Regelung des Geltungsanspruchs des staatli-

28

chen Strafrechts ..........................................

28

2. Geltungsanspruch und staatliche Strafgewalt ..............

29

3. Die sog. internationalstrafrechtliche Zuständigkeit ..........

32

4. Keine Ausgestaltung der §§ 3 ff. StGB als internationales Kollisionsrecht ............................................ 33 § 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB ......................

35

1. Das Geltungsbereichsrecht in den §§ 3 bis 7 StGB und seine Zuordnung zum materiellen Recht ............................ 35 1. Die begrenzte Sozialfunktion des deutschen Strafrechts ....

35

2. Der beschränkte Bewertungsanspruch des deutschen Strafrechts .................................................... 37

8

Inhaltsverzeichnis 3. Das Geltungsbereichsrecht der §§ 3 bis 7 StGB als Sondergebiet des materiellen Rechts .............................. 43 H. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat ................

45

1. Der sog. Garantietatbestand und das IStR . . . . . . . . . . . . . . . . ..

46

2. Der gesetzliche Tatbestand und das Geltungsbereichsrecht in den §§ 3 bis 7 StGB ...................................... 47 a) In der Literatur vertretene Lösungsansätze ............ 47 b) Stellungnahme ........................................ 47 3. Eigene Lösung ............................................ a) Deliktstypenneutrale und tatverhaltensbeschreibungsneutrale Geltungsfaktoren ................................ b) Unrechtsneutralität trotz formaler Deliktstypenbezugnahme ................................................ c) Keine Deliktstypenneutralität bei der übernahme von Tatbestandsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Weitere Geltungsbereichsbestimmungen ................ e) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

49

§ 4. Die §§ 3 bis 7 StGB als allgemeines sarhlirhes Geltungsbereirhsrecht

56

I. Der terminologische Streit der Literatur ....................

56

H. Kritik und eigener Vorschlag ................................

56

1. Der "internationale" Geltungsbereich? ....................

56

2. Der "räumliche" oder "örtliche" Geltungsbereich? ..........

57

3. Der "persönliche" Geltungsbereich?

57

50 50 51 52 53

4. Die §§ 3 bis 7 StGB als Regelung des allgemeinen sachlichen Geltungsbereichsrechts .................................... 58 § 5. Die Kompetenz des Staates zur Regelung des sachlichen Geltungsbereichs der Strafgesetze und ihre Grenzen ...................... I. Die Kompetenz-Kompetenz für das sachliche Geltungsbereichs-

recht ........................................................

1. Die Auffassung von der Kompetenz-Kompetenz des souverä-

nen Staates

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 61

2. Die Auffassung von der Kompetenz-Kompetenz des Völkerrechts .................................................... 61 3. Die "Spielraumtheorie" ....................................

62

4. Stellungnahme ............................................

62

H. Die Grenzen der Regelungsbefugnis im Hinblick auf das sachliche Geltungsbereichsrecht .................................. 64 1. Völkerrechtliche Grenzen ..................................

a) Unsicherheitsfaktoren bei der Schrankenziehung ........

64 64

Inhaltsverzeichnis

9

b) Die identische Tatortnorm .............................. c) Die völkerrechtliche Bedeutung der Kollision widerstreitender Pflichten aus verschiedenen Rechtsordnungen .. d) Das Hoheitsgebiet als Grenze der sachlichen Geltung der Strafgesetze? .......................................... e) Die allgemeine Schranke des Rechtsmißbrauchs ........

65

2. Staatsrechtliche Schranken ................................ a) Aus Art. 23 GG? ...................................... b) Aus dem Verhältnis der Staatsgewalt zum Einzelnen? .. aa) Die Theorie von Germann .......................... bb) Die Unkenntnis von der Geltung des Strafgesetzes und der Strafbarkeit .............................. ce) Die staatsrechtliche Bedeutung der Kollision widerstreitender Pflichten aus verschiedenen Rechtsordnungen ............................................ dd) Das Erledigungsprinzip ............................ ee) Das Anrechnungsprinzip . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. ff) Das Opportunitätsprinzip ..........................

68 68 68 68

§ 6. Die Legitimation zur geltungsbereichsrechtIichen Erfassung von

Taten

..........................................................

I. Vorbemerkungen H. Die Legitimationsaspekte der sog. Prinzipien ................ 1. Das

Territorialitätsprinzip

65 66 67

69 70 72 74 74 75 75 75 75

2. Das Personalprinzip ..................................... . a) Das aktive Personalitätsprinzip ....................... . b) Das passive Personalitätsprinzip ..................... .

77

76 77

3. Das Schutzprinzip ....................................... .

78

4. Das Weltrechtsprinzip ................................... .

79

5. Das Flaggenprinzip ..................................... .

84

6. Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege ..... .

85

7. Der Ergreifungsort ..................................... .

86

8. Der Wohnsitz des Täters und die völkervertragliche KompetenzverteiIung ....................................... .

86

IH. Das allgemeine sachliche Geltungsbereichsrecht und der Schutz verschiedener Interessensphären ........................... . 88 1. Die verschiedenen Auffassungen ....................... .

a) Die monistische Theorie Maurachs ..................... . b) Die dualistische Theorie ............................... . c) Die individualisierende Betrachtungsweise 2. Stellungnahme und Kritik ............................... .

89 89 89 90 90

10

Inhaltsverzeichnis 3. Versuch einer eigenen Theorie des allgemeinen sachlichen Geltungsbereichsrechts .. . . . . .. . .. .. . . ....... . . . .. .. ... .. a) Der Bereich des unmittelbar eigenen Interesses des Staates .............................................. aal Inlandstaten iwS .................................. bb) Auslandstaten .................................... b) Der Bereich internationaler Solidarität ................ aal Inlandstaten ...................................... bb) Auslandstaten .................................... (1) Abstrakte internationale Solidarität . . . . . . . . .. (2) Konkrete internationale Solidarität ............

92 92 92 93 93 94 94 94

IV. Zusammenfassung zu § 6 ....................................

95

§ 7. Das allgemeine sachliche Geltungsbereichsrecht im geschichtlichen

91

Vberblick ........................................................

97

I. Allgemeiner überblick ......................................

97

H. Das allgemeine sachliche Geltungsbereichsrecht der Bundesrepublik Deutschland vor dem Inkrafttreten des 2. StrRG .... 100 IH. Das allgemeine sachliche Geltungsbereichsrecht der Bundesrepublik Deutschland seit dem Inkrafttreten des 2. StrRG 101 § 8. Der Schutz inländischer Rechtsgüter nach § 5 StGB .............. 103

I. Die Gegenüberstellung von Inlandstat und Auslandstat ...... 103 II. Die Regelung des sachlichen Geltungsbereichs der Staatsschutzdelikte iwS in § 5 Nr. 1 bis 5 StGB .......................... 104 1. Die Legitimation zur geltungsbereichsrechtlichen Erfassung

der Staatsschutzdelikte iwS .............................. 104

2. Übersicht über die in § 5 Nr. 1 bis 5 StGB erfaßten Tatbestände .................................................. 105 3. Die Systematik der geltungsbereichsrechtlichen Erfassung von Staatsschutzdelikten iwS im Ausland ................ a) Rechtsgutorientierte Geltungsregelungen? ............ aal § 5 Nr. 1 StGB .................................... bb) § 5 Nr. 2 bis 4 StGB .............................. cc) § 5 Nr.5 StGB .................................... b) Geltungsrelevante Umstände tatsächlicher Art ........ aal Die Typizität der Angriffsrichtung "von innen - von außen" .......................................... bb) Politische Opportunität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Die geringen Ermittlungs- und Ergreifungsmöglichkeiten im Ausland ................................ dd) Die mangelnde Identifikationsbasis c) Die weiteren geltungsbereichsrelevanten Faktoren in den Nummern 3 a und 5 b ................................

108 108 108 109 111 112 112 113 113 114 114

Inhaltsverzeichnis

11

4. Die Regelung des sachlichen Geltungsbereichs der Staatsschutzdelikte iwS vor dem 2. StrRG und die durch das 2. StrRG herbeigeführten Änderungen .................. 116 III. Die Regelung des sachlichen Geltungsbereichs für die Aussagedelikte im Ausland (§ 5 Nr. 10) .............................. 118 1. Regelungsbedürfnis und sachliche Legitimation .......... 119

2. Die Schutzobjekte des § 5 Nr. 10

120

3. Der sachliche Geltungsbereich der Aussagedelikte im einzelnen .................................................. 120 4. Änderungen durch das 2. StrRG .......................... 121 IV. Die Regelung des sachlichen Geltungsbereichs für Auslandstaten von und gegen nationale Amtsträger (§ 5 Nr. 11 bis 13) .. 122 1. Taten von nationalen Amtsträgern im Ausland (§ 5 Nr. 11 und 12) .................................................. 122

2. Taten gegen nationale Amtsträger im Ausland (§ 5 Nr. 13) 125 3. Fazit .................................................... 126 V. Der sachliche Geltungsbereich für Taten nach § 234 a und § 241 a (§ 5 Nr.6) ............................................ 126 1. Der Schutzbereich der §§ 234 a und 241 a .................. 126

2. Der Rechtsgrund der geltungsbereichsrechtIichen Regelung 127 3. Die Geltung des deutschen Strafrechts unabhängig vom Tatortrecht .............................................. 129 4. Die spezielle sachliche Geltungsbereichsregelung in § 234 a 130 5. Änderungen des sachlichen Geltungsbereichs durch das 2. StrRG im Hinblick auf § 241 a ........................ 130 VI. Die Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 5 Nr. 7) ...................................................... 131 1. Rechtsgrund der Regelung

131

2. Die Voraussetzungen der Auslandsgeltung nach § 5 Nr. 7 .. 132 3. Der Geltungsumfang

133

VII. Die Regelung des sachlichen Geltungsbereichs für bestimmte Sexualdelikte (§ 5 Nr. 8) .................................... 134 1. Rechtsgrund der Regelung

134

2. Rechtszustand vor dem 2. StrRG ........ . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 VIII. Die sachliche Geltungsbereichsregelung für einen Abbruch einer Schwangerschaft (§ 218) im Ausland (§ 5 Nr. 9) ........ 136 1. Rechtsgrund der Regelung

136

2. Rechtszustand vor dem 2. StrRG ........................ 139

12

Inhaltsverzeichnis IX. Der Schutz "inländischer Rechtsgüter" durch § 5

139

X. Die Geltung des deutschen Strafrechts nach § 5 als Geltung unabhängig vom Tatortrecht ................................ 140 § 9. Der Strafgrund bei Auslandstaten nach § 6 StGB ................ 142

I. Einführender überblick

142

II. Die geltungsbereichsrechtliche Erfassung des Völkermords im Ausland (§ 6 Nr. 1) .......................................... 142 1. Bisheriger Rechtszustand ................................ 142

2. Die völkerrechtliche Rechtslage .......................... 143 3. Die sachliche Rechtfertigung ............................ 144 III. Kernenergie- und Strahlungsverbrechen im Ausland (§ 6 Nr. 2) 146 1. Die Regelung des sachlichen Geltungsbereichs früher und

heute .................................................... 147

2. Die sachliche Rechtfertigung

147

3. Der Umfang der geltungsbereichsrechtlichen Erfassung .... 148 IV. Angriffe auf den Luftverkehr (§ 316 c) im Ausland (§ 6 Nr.3) 149 1. Die völkerrechtliche Rechtslage .......................... 149

2. Die sachliche Rechtfertigung

151

3. Die Erfassung von Vorformen der eigentlichen Verletzungshandlungen .............................................. 152 V. Prostitutionsförderung und Menschenhandel (§ 6 Nr. 4) ...... 153 1. Bisheriger Rechtszustand und sachliche Änderungen durch

das 2. StrRG ............................................ 153

2. Die völkerrechtliche Rechtslage .......................... 153 3. Die sachliche Rechtfertigung ............................ 155 VI. Unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln (§ 6 Nr. 5) ...... 155 1. Die völkerrechtliche Rechtslage .......................... 155

2. Die sachliche Rechtfertigung .............................. 156 3. Der Umfang der geltungsbereichsrechtlichen Erfassung .. 157 VII. Die Verbreitung pornographischer Schriften in den Fällen des § 184 Abs. 3 (§ 6 Nr. 6) ...................................... 158 1. übersicht über die Gesetzeslage .......................... 158

2. Die völkerrechtliche Rechtslage .......................... 159 3. Die sachliche Rechtfertigung .............................. 159 VIII. Geld- und Wertpapierfälschung (§ 6 Nr. 7) .................. 163 1. Die völkerrechtliche Rechtslage .......................... 163

Inhaltsverzeichnis

13

2. Die sachliche Legitimation ................................ 163 3. Der Umfang der geltungsbereichsrechtlichen Erfassung .... 164 IX. Die "Verfolgungspflicht" auf Grund eines Abkommens (§ 6 Nr. 8) ...................................................... 165 1. Die Geltungsvoraussetzungen des deutschen Strafrechts nach § 6 Nr.8 ............................................ 165

2. Die Normfunktionen des § 6 Nr. 8 ........................ a) Regelung des sachlichen Geltungsbereichs des nationalen Strafrechts ........................................ b) Erfüllung völkervertraglicher Pflichten ................ c) Hinweisfunktion ...................................... d) Keine Tatbestandsfunktion der Nr. 8 .................. e) § 6 Nr. 8 als Blankettnorm ..........................

166 166 167 167 168 168

3. § 6 Nr. 8 und die sog. Prinzipien ........................ 169 4. Die verfassungsrechtliche Problematik .................... 170 5. Anwendungsfälle des § 6 Nr. 8 .......................... 171 X. Auslandstaten gegen "international geschützte" Rechtsgüter

172

§ 10. Zusammenfassung zu den §§ 8 und 9 und Schlußbetrachtung .... 174

Schrifttumsverzeidmis ................................................ 178

Abkürzungen aA,AA aaO and. Abg. Abs. AE aF Anm. Art.

asGBR AT Aufl. BetmG BGBl. BGH BGHSt. BRD BT BT-Drs. BuVerfG BuVerfGE bzw. ders., deTs. DDR d.h. Diss. DRiZ E E62 EG EGStGB Einl. f.

ff. FS G

GA GB gbGBR

Anderer Ansicht Am angegebenen Ort Anders Abgeordnete, -r Absatz Alternativentwurf Alte Fassung Anmerkung Artikel Allgemeines sachliches Geltungsbereichsrecht Allgemeiner Teil Auflage Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln. Vom 10. l. 1972 (BGBl. I 2) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundesrepublik Deutschland Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Beziehungsweise Derselbe Deutsche Demokratische Republik Das heißt Dissertation Deutsche Richterzeitung Entwurf Entwurf eines Strafgesetzbuches (1962) mit Begründung, Bundesrats-Drucksache 200/62 Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Strafgesetz. Vom 2. März 1974 (BGBl. 1469)

Einleitung Folgender Folgende Festschrift Gesetz Goltdammer's Archiv für Strafrecht Geltungsbereich GeltungsbereichsGeltungsbereichsrecht

16 GG hM idF idR ieS insbes. Int. IntRuD

IPR iS iSd IStR iwS JA JuS JZ LB LM MDR m.E. m.w.Nachw. nF Nr. Nrn. NJW OLG Östzöfffi

pp

Rspr.

S.

SA SchwZStR sGB sGBR sog. StÄG steno STIG StGB StPO StrRG TP u.a. u.U. vgl. Vhdlg. Vorbem. WRP

Abkürzungen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) Herrschende Meinung In der Fassung In der Regel Im eigentlichen Sinne Insbesondere International Internationales Recht und Diplomatie, Zeitschrift herausgegeben von Rudolf Laun Internationales Privatrecht Im Sinne Im Sinne der, des Internationales Strafrecht Im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Juristische Schulung Juristenzeitung Lehrbuch Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring Monatszeitschrift für Deutsches Recht Meines Erachtens Mit weiteren Nachweisen Neue Fassung Nummer Nummern Neue Juristische Wochenschrift Oberlandesgericht Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht Personalitätsprinzip Rechtsprechung Seite Sonderausschuß des Deutschen Bundestags für die Strafrechtsreform Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht - Revue Penale Suisse Sachlicher Geltungsbereich Sachliches Geltungsbereichsrecht Sogenanrtt,-e,-er Strafrechtsänderungsgesetz Stenographisch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafrechtsreformgesetz Territorialitätsprinzip Unter anderem Unter Umständen Vergleiche Verhandlungen Vorbemerkung Weltrech tsprinzip

Abkürzungen

z.B.

Ziff. zit. ZStW

2 Zieher

Zum Beispiel Ziffer Zitiert Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

17

Einleitung Die Neufassung des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches durch das Zweite Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 1 zwingt auch im Bereich des sog. Internationalen Strafrechts zu einer Neuorientierung. Während das früher geltende Recht in seinen §§ 3 bis 6 im Rahmen des sog. Internationalen Strafrechts grundsätzlich auf der Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern, also auf Nationalitätszugehörigkeiten aufbaute, unterscheidet die am 1. Januar 1975 in Kraft getretene neue Fassung in den §§ 3 bis 7 grundsätzlich danach, ob sich der Tatort im Inland oder im Ausland befindet. Auf den ersten Blick scheint es, als habe sich der Strafgesetzgeber mit dieser Rückkehr zum Territorialitätsprinzip 2 einer weisen Zurückhaltung befleißigt. Betrachtet man die §§ 5 bis 7 StGB jedoch näher, so drängt sich der Gedanke auf, die Ausnahme sei zum zweiten Prinzip erhoben worden3 • Der bunte Katalog der Fallgruppen in den §§ 5 und 6 StGB deutet angesichts weiterer Geltungsregelungen in den §§ 4, 7 und 9 StGB jedenfalls nicht auf einen vorschnellen Geltungsverzicht des deutschen Strafrechts in wichtigen Angelegenheiten. Was der Gesetzgeber nun bei der Schaffung der §§ 5 und 6 StGB zu erreichen suchte, vor allem aber, ob, und wenn ja, welche Gesichtspunkte die in den §§ 5 und 6 im einzelnen enthaltenen Bestimmungen geltungsbereichsrechtlich zu legitimieren geeignet sind, ist Gegenstand dieser Arbeit. Dabei wird zum einen bewußt auf die detaillierte Untersuchung der §§ 4 und 7 StGB verzichtet. § 4 StGB war erst kürzlich Thema einer umfangreichen Berliner Dissertation4 • § 7 StGB weist Geltungsfaktoren auf, die - weil rechtsgutneutral - gänzlich anders strukturiert sind als die der §§ 5 und 6. Zum anderen wird bewußt auf die Klärung von nach wie vor so umstrittenen Begriffen wie "Inland - Ausland - räumlicher Geltungs1 BGBl. I 717, geändert durch das EG StGB vom 2.3.1974, BGBl. I 469. Paragraphen ohne weitere Benennung sind solche des Strafgesetzbuches in dieser Fassung. Z Vgl. dazu unten § 6 I! 1, § 7 II!. a Ähnlich Schultz, GA 1966, S. 196. 4 Wille, Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, Berlin 1974.

20

Einleitung

bereich dieses Gesetzes" verzichtet5 • Eine solche ist für den Rechtsgrund der geltungsbereichsrechtlichen Erfassung durch die §§ 5 und 6 auch nicht erforderlich. Vor allem aber ist die politische Neuorientierung, die endlich zur Ablösung der Hypotheken des Zweiten Weltkrieges führen kann, noch nicht abgeschlossen. Der Warschauer Vertrag mit Polen vom 7.12.1970 6 und der Grundlagenvertrag mit der DDR vom 21. 12. 19727 lassen vielmehr hoffen, daß die darin vor allem liegende politische Problematik auch einer politischen Lösung zugeführt wird. Die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung sind, wie gerade auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag 8 zeigt, nur bedingt zur Lösung derartiger Problemsituationen in der Lage9 • Vor der Untersuchung der §§ 5 und 6 StGB im einzelnen (unten §§ 8 und 9) will die Arbeit in einer Art Allgemeinem Teil zunächst auf den Regelungsgegenstand und die Rechtsnatur des sog. Internationalen Strafrechts (unten §§ 1 bis 4) und die Fragen der Regelungskompetenz (unten §§ 5 und 6) eingehen. Ein kurzer geschichtlicher Überblick (unten § 7) leitet zum Besonderen Teil über, dem sich in § 10 eine Zusammenfassung zu den §§ 8 und 9, verbunden mit einer kurzen Schlußbetrachtung anschließen wird.

5 VgI. dazu zuletzt Roggemann, Recht in Ost und West 1974, S. 185 ff., Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. 25 ff. vor § 3. G BGBI. 1972 II 361. 7 BGBl. 1973 II 421. 8 BVerfGE 36, 1 ff.

t VgI. dazu auch den schriftlichen Bericht des Bundestags-Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. 7/1261, S. 4.

§ 1. Der Regelungsgegenstand der §§ 3 bis 7 StGB - eine Vorbemerkung I. Der Regelungsinhalt der §§ 3 ff. StGB 1. Die §§ 3 ff. StGB als Rechtsfolgenregelung

Die jeweils ersten vier Wörter der §§ 3 bis 7 StGB beinhalten die Feststellung einer Rechtsfolge. "Das deutsche Strafrecht gilt" besagt zunächst allgemein, daß es sich selbst jene gesteigerte Bedeutung beimißt, die seine Verhaltensmuster und Rechtsfolgen aus dem Bereich der unverbindlichen Behauptung, Meinung oder überzeugung herausheben und der Disposition des Einzelnen entziehen. Es bedeutet bei allem Hoffen auf den Konsens mit dem Einzelnen eine Toleranzbereitschaft nur bis zu der vom Strafrecht selbst markierten Grenze, einen Verzicht auf die Billigung des Einzelnen gerade im Konfliktfalle. Geltung in diesem Sinne ist immer zugleich die Aufforderung an den Einzelnen zu normgerechtem Verhalten. Der darin steckende Bewertungsanspruch des Staates1 als dem heutigen Strafgesetzgeber ist, obgleich zweifellos Ausfluß der staatlichen Macht und Autorität, nicht an den räumlichen Bereich und damit an die Grenzen des Hoheitsgebietes gebunden2 • Anders als die Geltung der sekundären Rechtsnormen3 , die u. a. festlegen, wann und wie der Geltung des Strafrechts als einer primären Rechtsnorm präventiv· oder auch nach dem Konflikt in der Form der Straftat" Geltung zu verschaffen ist", d. h., wann reale staatliche Machtmittel zur Behauptung des vorrangigen staatlichen Bewertungsanspruchs eingesetzt werden sollen, beschränkt sich die Geltung des Strafrechts im Sinne der §§ 3 ff. StGB (nicht der Macht, dieses durchzusetzen!) nicht auf das Hoheitsgebiet des Staates5 • Denknotwendige Grenzen kennt dieser Geltungsanspruch ohnedies nichtS. Als Verhaltensappell zum Schutze elementarer Rechtsgüter kann er, Dazu unten § 3 I 2. Vgl. Schönke / Schröder, Vorbem. 1 vor § 3. aZur Aufteilung in primäre und sekundäre Rechtsnormen vgl. auch unten §5IIld. 4 z. B. im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr. 6 Max Ernst Mayer, AT, S. 69, Schroeder, NJW 1969, S. 83. e Hier liegt der Ansatzpunkt für die Sicht der nationalen Strafgesetze als "Weltgesetze", dazu unten § 3 I 2. 1

Z

22

§ 1. Der Regelungsgegenstand der §§ 3 bis 7 StGB-Vorbemerkung

ohne seiner Aufgabe nicht VOn vorneherein schon nicht gewachsen zu sein, von Staatsgrenzen ebensowenig in die Schranken gewiesen werden wie VOn Nationalitäten, obgleich eine gewisse Zäsur an jeder Staatsgrenze nicht zu übersehen ist. Dabei setzt Geltung in diesem Sinne immer das Inkraftsein des Gesetzes voraus 7 • Der Satz VOn der Geltung des deutschen Strafrechts entscheidet aber auch die Frage, anhand welches Strafgesetzes die Bewertungen im Bewertungsbereich des StGB und seiner Nebengesetze getroffen werden, welcher Staat die Regelungen geschaffen haben darf, die der deutsche Strafrichter als Adressat ergänzender sekundärer Normen strafrechtlichen Inhalts und idealtypischer ex-post-Betrachter strafrechtlich relevanter Konfliktsituation nach dem Konflikt letztlich anwendet. Das wechselvolle Schicksal der Anwendung fremden Strafrechts in Deutschlands hat mit der Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6. Mai 1940 9 einen gesetzlichen Abschluß gefunden. Die ausschließliche unmittelbare Anwendung des eigenen Strafrechts, VOn Binding 10 zum Postulat eigenstaatlicher Souveränität erhoben, ist damit für Deutschlandl l in den Bereich der Rechtspolitik verwiesen worden. Indes kennt auch das heutige deutsche Strafrecht im Rahmen der stellvertretenden Strafrechtspflege des § 7 StGB eine Bindung an ausländisches Strafrecht, ohne allerdings seine eigene unmittelbare Geltung je in Frage zu stellen. Schließt § 7 in bestimmten Fällen die Geltung ausländischen Strafrechts nicht aus, sondern setzt sie geradezu voraus, so gilt darüberhinaus allgemein, daß die bloße Geltung des deutschen Strafrechts keine Ausschlußwirkung bezüglich anderer nationaler Strafgesetze haben kann12 • Die Geltung mehrerer Strafgesetze im Hinblick auf einen Lebenssachverhalt ist keine logische Unmöglichkeit, allenfalls ein Problem der theoretischen oder praktischen Konkordanz.

7 8

Schmidhäuser, AT, S. 97. Eingehend dazu Staub ach, S. 43 ff.

BGBl. I 754. Handbuch I, S. 397. 11 Eine unmittelbare Anwendung ausländischen Strafrechts findet sich dagegen in den Art. 5 und 6 des schweizerischen Strafgesetzbuches, weitere Nachweise bei Staub ach, aaO, S. 120 ff., der allerdings zu Unrecht zwischen der Begrenzung der Inlandsstrafdrohung und der unmittelbaren Anwendung ausländischen Strafrechts keinen wesentlichen sachlichen Unterschied sieht. 12 Schönke I Schröder lEser, Vorbem. 1 vor § 3, Jescheck, Maurach-FS, S.582. t

10

I. Der Regelungsinhalt der §§ 3 ff. StGB

23

2. Die geltungsrelevanten Faktoren - die Geltungsvoraussetzungen

Die Kriterien für die Geltung des deutschen Strafrechts sind in ihrer Vielfalt und Differenziertheit bemerkenswert. Die Anknüpfung einerseits allein an den Begehungsortl3 , andererseits an besondere persönliche Merkmale des Täters, Eigenschaften des Tatorts, die Begehung einer bestimmten Tat oder andere Kriterienl 4, verbietet es, globalen Legitimationsbegründungen allzu vorschnell zu huldigen. Es soll hier deshalb im Hinblick auf die §§ 5 und 6 StGB der Versuch unternommen werden, die geltungskonstitutiven Merkmale im einzelnen auf ihre diesbezügliche Geeignetheit zu überprüfen l5 • 3. Der Regelungsgegenstand

Ohne den Regelungsgegenstand der §§ 3 ff. StGB bereits endgültig bestimmen zu wollen l6 , ist bereits jetzt ersichtlich, daß die Fixierung geltungskonstitutiver Merkmale und deren Verknüpfung mit der Rechtsfolge der Geltung des Strafrechts die eigentliche Aufgabe der §§ 3 ff. StGB ist. Neben pauschalen Geltungsanordnungen für das gesamte Strafrechtt 7 stehen Geltungsnormierungen für einzelne Tatbestände oder Tatbestandsgruppenl8 , aber auch Umschreibungen, die eine Art GB-Tatbestand darstellen, dessen Umfang im einzelnen erst durch Auslegung zu ermitteln ist l9 , so daß sich der Öffnungsbereich der Geltungsbereichnormen als keineswegs einheitlich erweist20• Die übliche Umschreibung des Gegenstands der §§ 3 ff. als die Gesamtheit der Sachverhalte, die durch ihren Täter, ihren Tatort oder das verletzte Rechtsgut einen Bezug zum Ausland aufweisen2!, verkürzt den Gegenstandsbereich bereits insoweit, als sie keine Erklärung für die Geltung des nationalen Strafrechts für eine Inlandstat eines Deutschen gegen einen Deutschen oder ein national geschütztes Rechtsgut bietet. Sie beruht vor allem auf der Bezeichnung dieser Materie als Internationales Strafrecht22 • Wie 13 14 15

IS 17 18 19 20

§§ 3 und 4. §§ 5, 6 und 7. Dazu unten §§ 8 und 9. Dazu unten § 2 I!, § 3. §§ 3 und 4 StGB. z. B. § 6 Nr. 1 bis 4 StGB. z. B. § 5 Nr. 7, § 6 Nr. 5, aber auch § 6 Nr. 7 StGB. Im einzelnen dazu unten §§ 8 und 9.

So der schriftliche Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. 711261, S. 4, Schönke / Schröder, Vorbem. 1 vor § 3, Tröndle in LK, Vorbem. 1 vor § 3, ähnlich Jescheck, AT, S. 127, derselbe in MaurachFS, S. 579. 22 Vgl. dazu unten II!. 21

24

§ 1. Der Regelungsgegenstand der §§ 3 bis 7 StGB-Vorbemerkung

selbstverständlich wird dabei davon ausgegangen, daß jedenfalls alle Taten der Bewertung des Strafrechts unterliegen, auf "dessen" Territorium sie begangen werden23. Dabei handelt es sich jedoch um keine naturgegebene Selbstverständlichkeit, sondern um eine "vernünftige" Regel24 . Nach altem wie nach neuem deutschen Recht ist sie positiv im Gesetz verankert; bisher konstruierbar aus den §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 1 StGB a. F., nunmehr in § 3 StGB als der Grundnorm des sog. IStR25. Damit sind auch Taten ohne jegliche Auslandsbeziehung Gegenstand der §§ 3 ff. StGB. Diese Materie regelt somit ganz allgemein den Kreis der Taten und der Täter, für die das deutsche Strafrecht Anwendung finden so1l28.

ll. Erste Abgrenzung zu anderen Rechtsmaterien Diese Definition des sog. IStR erlaubt eine erste Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsmaterien. 1. Das Völkerstratrecht

Während das sog. IStR die Voraussetzungen und den Umfang des Bestehens einer staatlichen Strafgewalt regelt, umschreibt das Völkerstrafrecht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Sachverhalte, die schon kraft Völkerrechts ohne Zuhilfenahme einzelstaatlicher Gesetze!7 völkerrechtliches Unrecht darstellen28. Der einzelne 29 , staatliche Organe oder auch Staaten selbst werden durch das Völkerrecht ohne das Medium des staatlichen Rechts zu unmittelbaren Adressaten einer völkerU So ausdrücklich Krey, S. 86, der den § 3 ff., soweit sie die Inlandsgeltung des Strafrechts regeln, rein deklaratorische Bedeutung beimißt. M. E. zeigt aber bereits die Sonderstellung Berlins, daß von einer unbeschränkten Inlandsgeltung des deutschen Strafrechts nicht die Rede sein kann. Vgl. dazu auch Langrock, S. 130 ff. tC Daß es doch nicht so ganz selbstverständlich ist, beweist auch die allerdings zusehends in ihrer Bedeutung schwindende Problematik der Strafbarkeit von Handlungen auf dem Gebiet der DDR. Vgl. dazu Krey, aaO, Tröndle LK, Vorbem. 75 vor § 3, Makarov in Kern-FS, S. 258, Schönke I Schröder lEser, Vorbem. 25 ff. vor § 3, Roggemann, Recht in Ost und West, S. 186 ff. U Jescheck in IntRuD 1956, S. 78 ff., Schönke I Schröder lEser, § 3 Anm. 1. !I Ähnlich Maurach, AT, S. 118, Vogler, in Maurach-FS, S. 602. !7 Zum Verhältnis des Völkerrechts zum Landesrecht vgl. Guggenheim, in Stropp I Schlochauer, Bd. 3, S. 651 f. 18 Ähnlich Triffterer, S. 34 m. zahlreichen Nachweisen (S. 25 ff.), Oehler, IStR, S. 4 zieht dagegen die Bezeichnung materielles internationales Strafrecht vor, um klarzustellen, daß es sich nicht um überall geltendes Strafrecht handele. te Hofmann, S. 30 ff., 44, Jescheck, AT, S. 93, 96, Triffterer, S. 31,155.

11. Erste Abgrenzung zu anderen Rechtsmaterien

25

rechtlichen Strafrechtsnorm30 • Allerdings ist die Möglichkeit, daß ein Staat völkerstrafrechtswidrige Sachverhalte in sein Strafgesetzbuch aufnimmt, nicht ausgeschlossen. Völker- und innerstaatliche Strafrechtswidrigkeit können durchaus nebeneinander bestehen31 • So hat z. B. der deutsche Strafgesetzgeber in den §§ 80, 80 a, 102 ff. und 220 a StGB völkerstrafrechtlich relevante Verhalten in einem bestimmten Umfang unter eine nationale Strafdrohung gestellt32 • 2. Das Rechtshilferecht

Das internationale Rechtshilferecht enthält die zwischenstaatlichen Regelungen, die Strafverfolgungsmaßnahmen im weitesten Sinne über das eigene Territorium hinaus erst ermöglichen. Die Auslieferung flüchtiger Täter, die Beschaffung von Beweismitteln bis hin zu den Formen der stellvertretenden Strafvollstreckung durch andere Staaten als den Urteilsstaat, sind dieser Materie zuzuordnen, der gerade im zusammenwachsenden Europa eine stets wachsende Bedeutung zukommt. So sind die hier einschlägigen internationalen Abkommen, z. B. das Europäische Auslieferungsabkommen vom 13.12.195733 und das Europäische übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4. 1959 34, bedeutsame Mittel der internationalen KriminalpolitikS5 , die zugleich die enge Verbindung dieser Materie zu den §§ 3 ff. verdeutlichen38• Dies zeigt nicht zuletzt ein Blick auf § 6 Nr. 8 StGB, einer Norm, die hart an der Schwelle zur reinen Rechtshilferegelung angesiedelt ist37 •

ID. Erste Begriffsklärung Die Erkenntnis, daß die Bezeichnung als Internationales Strafrecht im Hinblick auf die Regelungen der §§ 3 ff. StGB verfehlt ist38, ist eine 30

Zur Bedeutung und Problematik des Völkerstrafrechts allgemein vgl.

Jescheck in Strupp / Schlochauer, Bd. 3, S. 781 f., Glaser, Gesetzlichkeit, S. 516 ff. 31 Vgl. Hofmann, S. 29, WengIer, Band I, S. 639 ff., Triffterer, S. 30, 199. 3J Nicht unumstritten. Zur Problematik Hofmann, S. 30 ff., Triffterer,

S. 158 ff. m. w. Nachw. J3 BGBl. 1964 II 1369. u BGBl. 1964 II 1369. 3G Zu den aktuellen Fragen der internationalen Rechtshilfe und weiteren internationalen Vereinbarungen vgl. Markees, SchwZfStR Band 89, S. 230 ff. a8 Oehler, IStR, S. 5, ferner Jescheck, Maurach-FS, S. 584 ff. 37 Dazu unten § 9 IX. 18 Maurach, AT, S. 118, Mezger / Blei, AT, S. 36, Schmidhäuser, AT, S. 104, Rosswog, S. 24 Anm. 1, Vogler, Maurach-FS, S. 596 Anm. 9, Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. 1 vor § 3, Tröndle LK, Vorbem. 2 vor § 3.

26

§ 1. Der Regelungsgegenstand der §§ 3 bis 7 StGB-Vorbemerkung

strafrechtliche Binsenweisheit39 • Während es sich bei dem Völkerstrafrecht und dem internationalen Rechtshilferecht um echtes internationales Recht handelt, allenfalls mit der Maßgabe, daß sich beim Völkerstrafrecht sogar die Bezeichnung als übernationales Recht anbietet, handelt es sich bei dem sog. IStR um internes nationales Recht der einzelnen Staaten40 • Einzelne Stimmen, die darin eine Aufgabe, die eigentlich dem Völkerrecht gestellt ist41 oder die Lösung staatsrechtlicher und völkerrechtliche Probleme erkennen42 , täuschen nicht darüber hinweg, daß die §§ 3 ff. StGB kein Bestandteil des Völkerrechts sind, sondern ausschließlich nationales Recht, auch wenn sie mannigfache Bezüge zum Völkerrecht aufweisen 43 • Die Versuche, das Völkerstrafrecht, das supra-nationale Strafrecht, das internationale Rechtshilferecht und die Regelungen der §§ 3 ff. StGB unter dem einheitlichen Oberbegriff des IStR zusammenzufassen 4 4, vermögen deshalb nicht zu überzeugen. Schließlich wird damit nur ein bislang schon fehldeutiger Begriff erweitert, ohne daß er dadurch in seinem Bedeutungsgehalt einleuchtender würde.

Anders noch v. RohLand, S. 2. Dahm, Völkerrecht Band I, S. 254, SchLochauer, S. 42, Triffterer, S. 199, Maurach, AT, S. 118, Jescheck, in Strupp I Schlochauer, Band 3, S. 396, ders. in Maurach-FS, S. 580, OehLer, in Grützner-FS, S. 115, Baumann, AT, S. 74, Schönke I Schröder lEser, Vorbem. 2 vor § 3, TröndLe LK, Vorbem. 2 vor § 3. 41 Zweifelnd SchuUz GA 1966, S. 193. 42 HeHmut Mayer, JZ 1952, S. 609, ders., AT, S. 39. 43 Dazu unten § 5. " Makarov, in Kern-FS, S. 253, OehLer, IStR, S. 1. 39

40

§ 2. Die §§ 3 H. StGß: Strafgewaltsregelungen ? Rechtsanwendungsrecht ? Kollisionsrecht ? I. Meinungsstand Die bisherigen Versuche, Inhalt und Technik des sog. IStR sachlich und terminologisch zu fixieren, haben noch zu keinem einheitlichen Ergebnis geführt. 1. Die §§ 3 ff. als Strafrechtsanwendungsrecht

Nach wohl herrschender Auffassung l ist das sog. IStR (Straf-)Rechtsanwendungsrecht, ein Rechtsgebiet, das die Anwendungsvoraussetzungen des Strafrechts festlegt. Schröder und Maurach weisen in diesem Zusammenhang insbesondere darauf hin, daß es nicht Aufgabe des Strafanwendungsrechts sei, darüber zu entscheiden, wann bei internationalen Anknüpfungsmöglichkeiten materielles ausländisches und wann materielles deutsches Recht anzuwenden sei. Der deutsche Strafrichter entscheide - nach Maurach grundsätzlich 2 und nach Schröder ausschließlich3 - nach deutschem Recht, während Baumann4 als einziger innerhalb dieser Auffassung eine Ähnlichkeit des sog. IStR als Gesetzesanwendungsrecht zum IPR betont. 2. Die §§ 3 ff. als Kollisionsnormen

Nach anderer Ansicht sind die Bestimmungen des IStR Kollisionsnormen5 , gewissermaßen ein Gegenstück6 , eine Parallele zum IPR. Der Konflikt liege darin, daß zur Regelung derselben sozialen Situation gleichzeitig auf zwei verschiedene Normen zurückgegriffen werden könne7 • Diese Kollision wolle das IStR nach Möglichkeit beheben8 • 1 Schönke I Schröder, Vorbem. 1 vor § 3, Baumann, AT, S. 74, Maurach, AT, S. 118, Schmidhäuser, AT, S. 104, Mezger I Blei, AT, S. 37, Oehler, IStR, S. 1, Bockelmann, AT, S. 23, Reschke, S. 31. 2 Maurach AT, S. 118. a Schönke I Schröder, Vorbem. 1 vor § 3. 4 Baumann, AT, S. 74. & Schultz, in v. Weber-FS, S. 317, ders., in GA 1966, S. 193, Kielwein, GA 1954, S. 213, Nuvolone, ZStW Band 66, S. 545, Makarov, Kern-FS, S. 253, 257, Lackner, Vorbem. 1 vor § 3, zurückhaltender Staub ach, S. 195. 8 Makarov, Kern-FS, S. 257. 7 Nuvolone, ZStW Band 66, S. 545. 8 Schultz, GA 1966, S. 195.

28

§

2. Strafgewaltsregelungen? Rechtsanwendungs-? Kollisionsrecht?

Ebenso wie das internationale Privatrecht kenne auch das IStR einseitige und zweiseitige Kollisionsnormen. Aus der Tatsache daß die zweiseitigen Kollisionsnormen des Strafrechts gegenwärtig in der Regel nicht in der Gestalt auftreten, die den zweiseitigen Normen des IPR entspreche, könne man nun aber nicht schließen, daß es auch keine einseitigen Kollisionsnormen des IStR gebe9 • Die Normen des IStR seien deshalb Kollisionsnormen und zwar einseitige10 mit der Folge, daß wie im Zivilrecht - allein der Anwendungsbereich des inländischen Rechts festgesetzt werdel l . 3. Die §§ 3 ff. als Strafgewaltsregelungen

Nach einer im Vordringen befindlichen Meinung12 bestimmen die Regeln des IStR nicht den Anwendungsbereich des eigenen materiellen Strafrechts, sondern klären das dieser Frage noch vorgelagerte Problem des Umfangs der staatlichen StrafgewaJt13, deren Bestehen sich auch in der Verweisung auf ein anderes Recht ausdrücken könne. Nur weil das geltende IStR von der ausschließlichen Anwendbarkeit des deutschen materiellen Rechts ausgehe 14, habe diese Unterscheidung wenig praktische Bedeutung15 • Die geläufige Bezeichnung Strafrechts anwendungsrecht sei deshalb zwar mißverständlich, aber unschädlich16 • 11. Stellungnahme 1. Die §§ 3 ff. als Regelung des Geltungsanspruchs des staatlichen Strafrechts

Will ein nationales Strafrecht sich nicht dem Vorwurf der grenzenlosen überheblichkeit aussetzen, so bedarf es einer Regelung seines eigenen Geltungsbereichs 17 • Dabei bestehen theoretisch zwei Ansatzmöglichkeiten. Entweder es geht zunächst von einer Universalgeltung aus, die für bestimmte Personen-, Tat- oder Handlungsgruppen abbedungen wird, oder aber es beschränkt sich von vornherein auf mehr Makarov, Kern-FS, S. 257 f. Makarov, Kern-FS, S. 258, Lackner, Vorbem. 1 vor § 3. 11 Makarov, Kern-FS, S. 257 f. 12 Jescheck, AT, S. 127 f., ders., in Maurach-FS, S. 579 f., Vogler, in Maurach-FS, S. 595, ders., in Grützner-FS, S. 154, Tröndle LK, Vorbem. 2 vor § 3, Roggemann, Recht in Ost und West, 1974, S. 185. 13 Jescheck, AT, S. 128. 14 Tröndle LK, Vorbem. 2 vor § 3. 16 Vogler, Maurach-FS, S. 595. 11 Vogler, in Maurach-FS, S. 595. 17 Vgl. auch Vogler, Grützner-FS, S. 150. 8

10

H. Stellungnahme

29

oder weniger abstrakt umschriebene, jedoch abschließend aufgezählte Anwendungsfälle. Je nachdem bewirkt jede Geltungsanspruchsregelung eine Einschränkung oder aber erst das Entstehen des Geltungsanspruchs des staatlichen Strafrechts. 2. Geltungsanspruch und staatliche Strafgewalt

Wer den Geltungsanspruch des staatlichen Strafrechts in diesem Zusammenhang als die staatliche Strafgewalt bezeichnet, die auch durch die Anwendung eines fremden Strafrechts ausgeübt werden kann, muß dem klärende Konkretisierungen hinzufügen. Strafgewalt in diesem Sinne ist zum einen nicht gleichbedeutend mit der realen Möglichkeit, eine strafrechtliche Rechtsfolge auch zu vollstrecken18• Diese besteht in aller Regel nur im eigenen Machtbereich. Strafgewalt in diesem Sinne hängt aber auch nicht von der Möglichkeit eines Staates zur konkreten, rechtsverbindlichen Bewertung eines Verhaltens und der konkreten Anwendbarkeit im Sinne der Zulässigkeit eines Sanktionsanspruchs ab. Strafgewalt in dem hier relevanten Sinne bedeutet vielmehr allein die an sich bestehende rechtliche Möglichkeit eines Staates, ein bestimmtes Verhalten einer Person an einem bestimmten Ort einer strafrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Reale Sanktionshemmnisse oder in der Person des Täters begründete materiell-rechtliche oder prozessuale Strafausschließungsgründe rühren an einer solchen An-sichStrafgewalt des Staates nicht. Ausschlußgründe der letzteren Art sind der Ausschluß von der deutschen Gerichtsbarkeit nach den §§ 18, 19 und 21 GVG, unabhängig davon, ob man darin eine rein prozessuale Befreiung vom deutschen Gerichtszwang19 oder eine prozessual und materiell, also doppelwirkende Norm20 sieht. Dies deshalb, weil in materieller Hinsicht damit allenfalls ein Strafausschließungsgrund21, nicht aber ein Ausschluß im Bereich der Tatbestandsmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit gegeben ist. Dadurch wird ein an sich bestehender Bewertungsanspruch des deutschen Strafrechts nicht beeinträchtigt. 18 Gleichwohl erinnert dieser Terminus noch an die alte Auffassung von der "Herrschaft der Strafgesetze über die Personen", vgl. dazu Berner, S. 80 ff. lU So RGSt 52, 167, Binding, Handbuch I, S. 685, Jescheck, AT, S. 144, Baumann, AT, S. 71 ff., Tröndle LK, Vorbem. 3 vor § 3. 20 So Schönke I Schröder, Vorbem. 43 vor § 3, Maurach, AT, S. 130. 11 Schönke I Schröder, Vorbem. 21 vor § 3.

30

§

2. Strafgewaltsregelungen? Rechtsanwendungs-? Kollisionsrecht?

Dasselbe gilt für sonstige Befreiungen von der deutschen Gerichtsbarkeit22, für Immunitäten23 oder Indemnitäten24, gleich welcher Provenienz, aber auch für alle lediglich die Schuld oder die Strafbarkeit eines Täters ausschließende Rechtsinstitute 25 • Sie befreien keinesfalls von der Geltung des deutschen Strafrechts. Die Rechtswidrigkeit einer Tat wird dadurch ebensowenig tangiert wie deren Strafbedrohung, so daß jederzeit Notwehr26 gegen die Tat geübt werden kann und an ihr eine strafbare Teilnahme21 möglich ist28 • TheoretisCh kann nun die Regelung des Geltungsanspruchs eines Strafrechts sehr wohl in eine solche über das Ob der Zuständigkeit der staatlichen Strafgewalt an sich und in eine solche über die Anwendung des eigenen materiellen Strafrechts aufgespalten werden. Dabei ist allerdings sogleich darauf hinzuweisen, daß die Frage nach der Strafgewalt bereits eine erste Herausforderung des eigenen Strafrechts beinhaltet, weil die Antwort darauf eben nur im eigenen materiellen Strafrecht zu finden ist. Ein weiteres Problem besteht darin, daß eine absolute Trennung von Strafgewalt und Geltung des eigenen Strafrechts nur dann möglich ist, wenn ohne den Rückgriff auf die sonstigen materiellen Strafnormen des Staates und ohne in die weitere Prüfung eintreten zu müssen, ob der Vorgang auch den strafrechtlichen Verbots- und Gebotsnormen zuwiderläuft, die Strafgewalt im Hinblick auf den konkreten Einzelfall abstrakt festgestellt werden kann. Eine in dieser Weise exakte Trennung ist dann vollziehbar, wenn das Bestehen der Strafgewalt an sich, losgelöst von der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit der Handlung, festgestellt werden kann, wenn also tatbestandsfremde Kriterien wie die Zugehörigkeit des Täters oder des Opfers zum Staatsvolk oder des Tatorts zum Staatsgebiet, die Ergreifung des Täters im Inland oder sein dortiger Wohnsitz allein die Strafgewalt des Staates begründen. Bedingen sich dagegen Tatbestandsmäßigkeit und Strafgewalt des Staates gegenseitig, so werden sie von der Konstruktion her zu einheitlichen Entstehungsvoraussetzungen des staatlichen Strafanspruchs. 22 Vgl. z. B. Art. VII des Nato-Truppenstatuts v. 19. 6. 1951 (BGBl. 1961 II, 1190) und Art. 19 des Zusatzabkommens dazu (BGBl. 1961 II, 1218), das seit dem 1. 7. 1963 in der BRD in Kraft ist (BGBl. 1963 I, 745). 23 z. B. Art. 46 II - IV GG, 60 IV GG, Art. 31 ff. des Wiener übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961, II 957; 1965 II, 147). 24 z. B. Art. 46 I GG. 25 z. B. §§ 17, 19,20,24,35 StGB. 28 § 32 StGB. 27 §§ 26, 27 StGB. 28 Vgl. Jescheck, AT, S. 143, Maunz, in Maunz / Dürig / Herzog, Art. 46 Anm.22.

11. Stellungnahme

31

Eine durchgängige Trennung von Strafgewalt und materiellrechtlicher Erfassung eines Lebenssachverhalts ist nach altem wie nach neuem deutschem Strafrecht nicht möglich. Zwar erlauben die §§ 3, 4, 7 und die Nummern 11 bis 13 des § 5 eine solche Trennung. In § 629 und den Nummer 1 bis 10 des § 5 ist die Frage der Strafgewalt der Tatbestandsmäßigkeit jedoch logisch nachgeordnet. Es ist z. B. zuerst zu klären, ob der Täter den Tatbestand des § 234 a StGB erfüllt hat, bevor nach § 5 Nr. 6 das Bestehen der Strafgewalt festgestellt werden kann. Eine Parallele hierzu ist in § 7 Abs. 1 und Abs. 2, 1. Alternative erkennbar, mit dem allerdings insoweit bedeutsamen Unterschied, daß die deutsche Strafgewalt nicht einer Tatbestandsmäßigkeit nach deutschem Recht, sondern einer Strafbedrohung am Tatort logisch nachgeordnet ist. Es gibt somit eine ganze Reihe geltungsbereichsrechtlicher Vorschriften, die zugleich strafgewalts- und anwendundsbereichsregelnd sind30, wobei mitunter sogar der abstrakten Tatbestandssubsumtion ein logischer Vorrang vor der Strafgewaltsregelung eingeräumt ist. Dies zwingt zur Korrektur der Auffassung, die in den §§ 3 ff. nur eine Regelung der Strafgewalt des Staates sieht, dahingehend, daß gedanklich den §§ 3 ff. zwar immer auch die Regelung der Strafgewalt des Staates innewohnt, diese Bedeutung jedoch im konstruktiven Sinne mitunter völlig in der Problematik der Anwendbarkeit der Strafgesetze aufgeht. Die in der Theorie richtige Unterscheidung von Strafgewalt und Anwendbarkeit der einzelnen Straftatbestände kommt im Interesse einer abgestimmten Geltungsabgrenzung bei der gesetzgeberischen Praxis eben nur zum Teil zum Tragen. Man wird deshalb die übergreifende Bedeutung der §§ 3 ff. in der Regelung des Strafrechtsanwendungsbereichs allgemein sehen müssen31 , wohl wissend, daß darin stets auch die gedanklich eigenständige Frage der Strafgewaltsregelung enthalten ist, die aber nur zum Teil eine auch praktisch eigenständige Bedeutung gewinnt. Schließlich zeigt die den §§ 3 ff. einheitlich vorangestellte Formulierung "Das deutsche Strafrecht gilt"32 die verengende Sicht einer Auffassung, die darin allein eine strafgewaltskonstitutive Regelung sieht. Dies deshalb, weil letztlich nicht die Strafgewalt als solche, sondern die konkrete Normverletzung im demokratischen Rechtsstaat den Staat 28 Vgl. OehleT, Territorialitätsprinzip, S. 51 f., Schönke / SchTödeT / EseT, Vorbem. 1 vor § 3. 30 Vgl. z. B. § 5 Nr. 6. 31 Ähnlich Schönke / SchTödeT / EseT, Vorbem. 1 vor § 3. 32 Diese Formulierung ist im Hinblick auf § 5 Nr. 1 bis 10 und auf § 6 sicherlich zu weit, da in diesen Fällen jedenfalls gerade nicht alle Tatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches gelten sollen.

32

§

2. Strafgewaltsregelungen? Rechtsanwendungs-? Kollisionsrecht?

zum realen Eingrüf ermächtigt33• Überspitzt wäre zu formulieren, daß trotz § 3 der Gesetzgeber der Frage nach der Strafgewalt stets nur inzident - im Rahmen der konkreten Fragestellung: Sollen wir bestimmte Rechtsgüter gegen bestimmte Angrüfe strafrechtlich schützen?, Sollen wir strafen oder nicht?, Bedeutung beigemessen hat. Das Schwergewicht der §§ 3 ff. liegt somit in der Regelung des Strafrechtsanwendungsbereichs und nicht in der Schaffung einer abstrakten Strafgewalt. Die geläufige Bezeichnung der Materie als Strafrechtsanwendungsrecht erscheint demnach trotz des unterschiedlichen Öffnungsbereichs der §§ 3 ff. nicht nur als nicht falsch, sondern als Generalbezeichnung durchaus zutreffend. 3. Die sog. internationalstrafredltlicbe Zuständigkeit

Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang noch, daß im Hinblick auf die §§ 3 ff. auch gelegentlich von einer international-strafrechtlichen Zuständigkeit34 die Rede ist. Darunter wird die Befugnis eines Staates verstanden, einen bestimmten Lebenssachverhalt seiner Strafgewalt zu unterstellen. Zuständigkeit im Sinne des sog. IStR und Strafgewalt sind somit zwei Begriffe für dasselbe Phänomen, nur daß der Begrüf Strafgewalt mehr den dahintersteckenden tatsächlichen Machtanspruch eines Staates umschreibt, während Zuständigkeit mehr als die Beschreibung einer nach bestimmten Regeln zugeteilten Befugnis zur Strafgewalt zu verstehen ist. Darüber hinaus zwischen materiellen Strafrechtshoheiten mit einer dem Strafrecht vorausgehenden rechtlichen (?) Beziehung zwischen dem möglichen Angeschuldigten und dem strafenden Staat bzw. einer Notwendigkeit zur Sicherung der Geltung der eigenen Rechtsordnung und (schlichten) Zuständigkeiten zur Durchführung der Strafverfolgung ohne eine solche Beziehung zu unterscheiden36, hieße, den einheitlichen Regelungsgehalt aller Vorschrüten des sog. IStR zugunsten einer an den Anknüpfungsmerkmalen und Motiven ausgerichteten Betrachtungsweise zurückzudrängen. Es würde zudem unberücksichtigt bleiben, daß auch im Bereich der sog. Strafrechtshoheiten der Staat schließlich die Strafgewalt nur aufgrund einer positiven strafgesetzlichen Regelung erlangt, nicht aufgrund sonstiger dem Strafrecht vorausgehender rechtlicher Beziehungen31 • aa Maurach, AT, S. 3, weist zu Recht darauf hin, daß staatliche Strafgewalt immer von einem Unrechtssachverhalt abhängig ist. a& So Schultz, v. Weber-FS, S. 310, ders., GA 1966, S. 195, Vogler, in Maurach-FS, S. 608. 36 So Schultz, in v. Weber-FS, S. 311 ff. IS Vgl. Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. 2 vor § 3.

II. Stellungnahme

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4. Keine Ausgestaltung der §§ 3 ff. StGB als internationales Kollisionsrecht

Mit dem Einleitungssatz "Das deutsche Strafrecht gilt" und der tatbestandsorientierten Geltungsverknüpfung in den §§ 5 und 6 ist für das deutsche Strafrecht auch eine Entscheidung gegen eine kollisionsrechtliche Lösung des sog. IStR gefallen. Während in den Fällen der abstrakten Feststellbarkeit der Strafgewalt die Frage, welches Strafrecht Anwendung findet, zunächst noch nicht durch die Strafgewaltsevokation selbst entschieden ist, ist dann, wenn das IStR auf eine Tatbestandsmäßigkeit Bezug nimmt, eine (Teil-)Anwendung des eigenen materiellen Rechts bereits erfolgt. Die §§ 3 ff. insgesamt als Kollisionsnormen zu deuten, versagt sich demnach von selbst. Eine solche Betrachtungsweise scheidet aber auch deshalb aus, weil der Zweck des deutschen Strafrechts auf die vorbeugende Einwirkung. auf den potentiellen Täter bzw. im Deliktsfall auf die strafrechtliche Reaktion, nicht aber so recht eigentlich auf die Regelung internationaler Konflikte im Zusammenhang mit international relevanten Deliktsverwirklichungen gerichtet ist37• Die §§ 3 ff. stellen somit keine Parallele zum IPR dar 38 • Bei den Vertretern der kollisionsrechtlichen Auffassung ist auch eine gewisse überschießende Konfliktlösungseuphorie nicht zu übersehen, zumal bei jeder einseitig nationalen Regelung der Konflikt in Wirklichkeit weiterbesteht39• Die von ihnen unterstellte Aufgabe des IStR, Konflikte bei der Ausübung der Strafgewalt durch verschiedene Staaten zu verhindern bzw. zu lösen4o, wird vom Gesetz bei weitem nicht mit der Vehemenz verfolgt, wie es der Ausdruck "Kollisionsrecht" nahelegt41 • Es soll allerdings mit aller Deutlichkeit festgestellt werden, daß die Ablehnung einer kollisionsrechtlichen Lösung des sog. IStR nur Geltung 37 Oehler, Grützner-FS, S. 125, weist denn auch auf die Gefahr der kollisionsrechtlichen Lösung hin, die darin bestehe, daß sich der Richter bei der Anwendung fremden Rechts so vergreife, daß er weder eigenes noch fremdes, sondern selbst erdachtes Recht anwende. 38 Jescheck, AT, S. 129 Anm. 6. 39 Nuvolone, ZStW Band 66, S. 545. Deshalb ist auch die Auffassung von Mayer, JZ 1952, S. 609, das IStR löse "in der Form der nationalen Gesetzgebung staatsrechtliche und völkerrechtliche Probleme", etwas optimistisch. 40 Vgl. Schultz, GA 1966, S. 193. U Selbst die meist sehr internationalistischen Entschließungen internationaler Kongresse zum IStR gehen nicht davon aus, daß es Ziel internationaler Bemühungen sein könne, jede Straftat nur durch ein Land für strafbar zu erklären, vgl. dazu Staub ach, S. 102 ff. und die Entschließung der Sektion IV des VIII. Internationalen Kongresses für Strafrecht in Lissabon, siehe dazu ZStW Band 74 (1962), S. 1965.

3 Zieher

34

§ 2. Strafgewaltsregelungen? Rechtsanwendungs-? Kollisionsrecht?

für das Strafrecht der BRD beansprucht. Die Technik der Regelung des IStR ist keinem Staat bereits aufgrund des zu regelnden Sachverhalts vorgeschrieben. Andere Staaten mögen andere Wege gehen42 • Das deutsche Strafrecht aber geht heute43 davon aus, daß durch deutsche Gerichte unmittelbar nur deutsches Strafrecht anzuwenden ist44 • Die mittelbare Anwendung ausländischen Strafrechts bzw. die Berücksichtigung ausländischer Wertungen45 stellt nur eine Korrektur des nationalen Rechts im Einzelfall dar, bei der auf eine unmittelbare und ausschließliche Anwendung des nationalen Rechts jedoch gleichfalls nicht verzichtet wird46 •

42 So z. B. Art. 5 und 6 des schweizerischen Strafgesetzbuches, weitere Nachweise bei Staub ach, 120 ff. 43 Die bis 1940 gültige Fassung des § 4 II Nr. 3 StGB sah für die sog. Neubürger die Anwendung ausländischen Strafrechts durch den inländischen Richter dann vor, wenn dies milder war. 44 Vogler, in Maurach-FS, S. 595, Jescheck, AT, S. 128, M. E. Mayer, S. 69 hält dies gar für ein elementares Prinzip. Vgl. auch Wegner in Festgabe für Frank, Band I, S. 130, a. A. Staub ach, aaO, S. 195, Schultz, GA 1966, S. 194. 45 Vgl. § 7 StGB. 46 Zum nationalen Strafanspruch als Voraussetzung der Strafverfolgung vgl. unten § 3 I 3.

§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 his 7 StGB Die generelle Einstufung der §§ 3 ff. f..s Strafrechtsanwendungsrechtl klärt deren Rechtsnatur indes noch keineswegs hinreichend. Insbesondere steht damit noch nicht fest, ob diese Bestimmungen dem Prozeßrecht oder dem materiellen Recht zuzuordnen sind, und, sollte letzteres der Fall sein, wie sich ihr Verhältnis zum Unrechtstatbestand darstellt. I. Das Geltungsbereichsrecht in den §§ 3 bis 7 StGB und seine Zuordnung zum materiellen Strafrecht Ob das GBR der §§ 3 ff. dem materiellen Recht oder dem Prozeßrecht zuzuordnen ist, ergibt sich nicht bereits aus der Tatsache, daß es im StGB geregelt ist. Das vor allem im StGB geregelte Strafantragsrecht2 zeigt, daß das StGB, allerdings nur ausnahmsweise, auch rein prozessuale Bestimmungen enthält3 • Der gesetzestechnische Standort ist somit allenfalls ein gewisses Indiz für den materiell-rechtlichen Charakter dieser Normen; die Entscheidung selbst ist nur aus ihrer Funktion im Gesamtbereich der Strafrechtsnormen abzuleiten, die ihrerseits von der Funktion des Strafrechts im Staatswesen bestimmt wird. 1. Die begrenzte Sozialfunktion des deutschen Strafrechts

Das Strafrecht dient, wie andere Rechtsmaterien auch, der Schaffung und Aufrechterhaltung eines geregelten Zusammenlebens im Staate4 • Dabei erfährt es eine Reihe grundsätzlicher Ausrichtungen. Als Schutzund Friedensrecht bestimmt sich sein Aufgabenbereich nach dem Schutzbedürfnis der vom Staat umschlossenen Gesamtheit5• Als RechtslOben § 2 II 1. 2 z. B. §§ 123 Abs. 2, 194, 205 StGB; siehe aber ergänzend die §§ 158, 470 StPO. 3 Nach hM hat der Strafantrag ausschließlich prozessualen Charakter, vgl. RGSt 75, 311, BGHSt. 6, 155, Schönke I Schröder, § 61 Anm. 8, Schäfer, in Löwe I Rosenberg, Band 1, S. 124, jeweils m. w. Nachw., Baumann, AT, S. 35. , Maurach, AT, S. 26, Lenckner, Handbuch, S. 5 f., Baumann, AT, S. 7; vgl. auch Hesse, S. 10. S Vgl. Maurach, AT, S. 26, Rudolphi, Honig-FS, S. 165, Th. Würtenberger, Peters-FS, S. 212, 216 ff., der zutreffend auf eine dreifache Friedensfunktion des staatlichen Strafrechts hinweist: Schutz der Rechtssicherheit des Einzelnen, Schutz der öffentlichen (vom Staat getragenen) Ordnung und Schutz des Gemeinschaftsfriedens als dem "in erster Linie für das menschliche Zusammenleben fundamentalen Gemeinschaftswert(en)", der "einen vor- und überstaatlichen Rang" besitzt.

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§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

güterschutzrecht6 erscheint die Anwendung des Strafrechts nur insoweit legitim, als die Verhinderung gewisser Angriffe für den Bestand und das Funktionieren der sozialen Ordnung des Einzelstaates unerläßlich ist7, als ein Verbrechen sich gerade für den Einzelstaat als eine "dysfunktionale soziale Erscheinung"8 äußert. Dabei soll die strafrechtliche Reaktion unter anderem auch der Gefahr begegnen, daß die Rechtstreue und der Rechtsgehorsam der Rechtsgenossen erschüttert wird 9 und die ungeahndete Straftat ein für die zu befriedende Rechtsgemeinschaft unerträgliches Beispiel setzt10 • Jegliches staatliche Strafrecht ist somit in vielfacher Weise zweckgebundenl l • Ist danach schon prima facie nicht einzusehen, weshalb das deutsche Strafrecht als nationale Rechtsmaterie grundsätzlich jeden Diebstahl oder jede Körperverletzung von oder durch Ausländer an Ausländern im Ausland seiner Bewertung unterziehen können sollte, so läßt die Erkenntnis, daß die strafrechtlich sanktionierten Verhaltensbefehle gesetzgeberische Wertentscheidungen enthalten, die auf einer höchst subjektiv-relativen Wertebasis beruhen, den Gedanken an eine Allzuständigkeit des deutschen Strafrechts und eine Weltgeltung seiner Normen als nicht gerade bescheiden erscheinen. Jede Norm ist abhängig von den Wertvorstellungen des sie schaffenden Gesetzgebers 1!. Diese orientieren sich am Schutzbedürfnis, den konkreten Interessen und Wertvorstellungen einer bestimmten Gemeinschaft13 in einer konkreten historischen Situation14 • Nationale, kulturelle und gesellschaftspolitische Verschiedenheiten sind durch und durch mit ihnen verwoben15 • Besonderheiten anderer Rechtsgemeinschaften bleiben - aufgabenbedingt unberücksichtigt1 8 • e Schönke / SchTödeT, Vorbem. 1 vor § 13, MauTach, AT, S. 213, Hellmut MayeT, AT, S. 52, LenckneT, Handbuch, S. 6, Baumann, AT, S. 9,16. 7 Gallas, Gründe, S. 13, LenckneT, Handbuch, S. 6, VogleT, in Maurach-FS,

S.598. 8 Begriff von Th. WÜTtenbeTgeT, Peters-FS, S. 213. 8 Gallas, Gründe, S. 14, Th. WÜTtenbeTgeT, aaO, S. 212, Baumann, AT, S.16. 10 Hellmut MayeT, AT, S. 54. 11 OehleT, in Grützner-FS, S. 112. 12 Vgl. ATmin Kaufmann, Lebendiges, S. 97 f., LenckneT, Handbuch, S. 6. 13 Vgl. Gallas, Gründe, S. 9: "... , der Umfang des strafrechtlichen Schutzes (wächst) regelmäßig mit dem Interesse ... , das die Allgemeinheit an der Erhaltung und Respektierung des fraglichen Rechtsguts hat". 14 LenckneT, Handbuch, S. 6, Hesse, S. 10. 15 Vgl. auch ATmin Kaufmann, Lebendiges, S. 98. 18 OehleT, IStR, S. 450, stellt fest, "daß die Gesetze häufig nicht auf Auslandstaten passen". Das gilt heute trotz des fortschreitenden Prozesses der Rechtsangleichung auch noch im Bereich der Europäischen Gemeinschaft. Heute bereits ein sog. gemeinschaftsrechtliches Territorialprinzip zu befürworten (Johannes, ZStW Band 83, 557, Jescheck, in Maurach-FS, S. 593),

I. Die §§ 3 bis 7 StGB und das materielle Strafrecht

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Weder der Kernbestand an Verbrechenstypen, der bei allen Völkern zu finden ist, noch die Funktion nationaler Strafgesetze, unter anderem auch fundamentale Gemeinschaftswerte, die ein menschliches Zusammenleben erst gewährleisten, universal und allgemein zu schützen17, dürfen den Blick auf die grundsätzlich relative Befriedungsfunktion der nationalen Strafgesetze trüben18 • Dabei zeigt der Geltungsverzicht des deutschen Strafrechts in § 3 Abs. 2 aF, der dann eingreifen sollte, "wenn die Tat wegen der besonderen Verhältnisse am Tatort kein strafwürdiges Unrecht ist", daß der deutsche Gesetzgeber schon vor dem 2. StrRG seinem Strafrecht zumindest keine absolute Befriedungsfunktion zugedacht hatte19 • Indem er nun durch die Voranstellung des § 3 grundsätzlich von einer Inlandsgeltung des deutschen Strafrechts ausgeht, stellt er jetzt die dem nationalen Strafrecht inhärente relative Sozialfunktion deutlicher als bisher heraus. 2. Der besdlränkte Bewertungsanspruch des deutschen Strafrechts

Aus der relativen Befriedungsfunktion des deutschen Strafrechts und seiner engen Verbundenheit zur gewachsenen subjektiven Wertewelt des deutschen Gesetzgebers folgt zugleich sein beschränkter Bewertungsanspruch. Kein Staat kann sich berechtigterweise die Aufgabe stellen, alle Ereignisse des Erdballs seiner strafrechtlichen Bewertung zu unterwerfen und das Verhalten jedes Erdbewohners an jedem Ort durch strafrechtliche Verhaltenssätze bestimmen zu wollen20 • Die begrenzte Ordnungsfunktion der Einzelstaaten und die Notwendigkeit eines gedeihlichen Zusammenlebens der einzelnen Strafgewaltsträger begrenzt den Bestimmungs- als auch den Bewertungseinzugsbereich staatlicher Strafrechtsnormen21 • Das StGB bezeugt dies durch die abschließende Aufzählung aller Sachverhalte, in denen das deutsche Strafrecht gilt. Diese Situationen dürfte verfrüht sein, da die nationalen Tatbestände gerade in weltanschaulich relevanten Fragen (z. B. der Abtreibungsdiskussion) noch zu sehr differenzieren, eine im wesentlichen übereinstimmende materielle Rechtslage aber unabdingbare Voraussetzung einer solchen Vergemeinschaftung ist. 17 Vgl. Th. Würtenberger, in Peters-FS, S. 217. 18 Rudolphi, Honig-FS, S. 164, weist zu Recht auf die funktionale Ausrichtung der Rechtsgüter auf die Verfassung hin. 18 Vgl. Armin Kaufmann, Lebendiges, S. 5. zo Dies ist auch ein Problem der Strafökonomie, vgl. dazu - in einem anderen Zusammenhang - Lenckner, Handbuch, S. 6 f. - Zur Doppelfunktion des Strafrechts als Bewertungs- und Bestimmungsnorm, Lenckner, Notstand, S. 21, 34 Anm. 104. 21 Ähnlich Vogler, Grützner-FS, S. 155, anders Schröder, ZStW Band 61, S.87.

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§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

bewertet es, andere hingegen nicht 22 • Erst die Subsumierbarkeit unter die §§ 3 ff. zieht einen Lebenssachverhalt in den Bewertungseinzugsbereich des deutschen Strafrechts und versucht die Adressaten zu bestimmen, ihr Verhalten an diesem Verhaltensappell auszurichten. Andere Sachverhalte, die nicht dem Katalog der sachlichen Geltungsbereichsregelungen unterfallen, werden vom deutschen Strafrecht eben strafrechtlich nicht gewürdigt oder eingestuft, zumal es in diesen Fällen nicht selten ohnedies versagen müßte23 • Nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber fremden Rechtsgütern24 , sondern aus der Einsicht in die begrenzte Befriedungsfunktion des nationalen Strafrechts, weist es durch die §§ 3 bis 7 StGB seinem Strafrecht einen begrenzten Bestimmungs- und Bewertungsbereich zu. Damit ist kein duldendes oder sonstwie positiv deutbares ethischsittliches Werturteil über alle nicht vom deutschen Strafrecht erfaßten Verhaltensweisen verbunden. Es ist lediglich die Einsicht in die relative Friedensfunktion jedes nationalen Strafrechts, die den Gesetzgeber, unabhängig von seinen ethisch-sittlichen Maximen, zu der gebotenen Zurückhaltung in der Frage des Obs der strafrechtlichen Bewertung nach deutschem Recht führt. Dabei muß sogleich einem möglichen Irrtum vorgebeugt werden. Der so vom deutschen Strafrecht angesprochene Bereich ist keineswegs gering. Eher das Gegenteil ist der Fa1l25 • Dies folgt vor allem aus der Geltung des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege und des passiven PP in § 7 StGB sowie der Ubiquitätstheorie in § 9, wodurch sich das deutsche Strafrecht - sei es zum Teil auch nur stellvertretend - einen weiteren Bewertungsbereich vorbehält .. In den §§ 3 ff. aber eine bloße Umfangsbeschreibung der staatlichen Strafkompetenz bei einer an sich universellen Bewertung aller menschlichen Verhaltensweisen zu sehen26 , erscheint heutzutage, da die Geltungsbereichsregelungen selbst handlungsumschreibende Merkmale enthalten27, nicht mehr angängig 28 • Eine solche Sicht würde die begrenzte Aufgabenstellung nationaler Strafrechte außer Acht lassen. 22 Ähnlich Oehler, Grützner-FS, S. 116, der darauf hinweist, daß man sich "von der irrigen Vorstellung freimachen (müsse), daß die Tat als solche für sich schon strafbar sei, das Strafanwendungsrecht des Staates die Verfolgung nur an sich ziehe". 23 Baumann, Einschränkungen, S. 334 ff. 24 Anders Schröder, ZStW Band 61, S. 89. 25 So auch Baumann, Einschränkungen, S. 334 f., Schultz, GA 1966, S. 196, ders., in Grützner-FS, S. 138 f., Vogler, Grützner-FS, S. 155, ders., in Maurach-FS, S. 598. 28 So Schröder, ZStW Band 61, S. 96, der sich jedoch genötigt sieht, Fälle auszuscheiden, "in denen das deutsche Unwerturteil keinen totalen Charakter besitzt" (S. 96 ff., 110). 27 Vgl. dazu unten § 3 II 3c, e.

I. Die §§ 3 bis 7 StGB und das materielle Strafrecht

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Damit findet auch die Auffassung von der Weltgeltung der Strafgesetze29 , nach der das deutsche Strafrecht wegen der meist unbeschränkten Formulierung der meisten Tatbestände jedes beliebige Verhalten seiner Bewertung unterziehen können soll (obwohl es nach der gesetzlichen Geltungsbereichsregelung in den §§ 3 bis 7 StGB doch gerade nicht gelten soll!), m. E. in den §§ 3 ff. keine Stütze30• Der neue § 9 Abs. 2 Satz 2 StGB, wonach für die Inlandsteilnahme an einer Auslandstat das deutsche Strafrecht gilt, hat vielmehr gerade die Funktion, jene Klippe des Akzessorietätsprinzips zu umgehen, die unter Umständen entsteht, wenn für die Haupttat das deutsche Strafrecht weder unmittelbar noch mittelbar über eine - fehlende! - Tatortstrafdrohung Geltung erlangt31 • Die Bedeutung der unterschiedlichen Auffassungen ist aber auch sonst nicht nur rein theoretischer Natur. Zwar ist ein Auslandsverhalten, das von den materiellen GB-Regelungen des deutschen Strafrechts schon nicht erfaßt wird, nach beiden Auffassungen letztlich nicht strafbar. Während es m. E. jedoch mangels Geltung des deutschen Strafrechts nicht mit dem Stempel des nach deutschem Recht strafbaren Unrechts versehen ist, kommen die Vertreter der Weltgeltung der Strafgesetze zwangsläufig aber zu der Auffassung, daß es zwar nach deutschem Recht nicht strafbar, aber eben an sich auch nach deutschem Recht strafwürdiges Unrecht sei. Die Problematik dieser Auffassung mag die Frage verdeutlichen, ob das deutsche Strafrecht wirklich auch das sexuelle Verhalten von eingeborenen Stammesangehörigen in sogenannten unterentwickelten Ländern mit abweichenden Sexualverhalten als Verstoß gegen die §§ 173 ff. StGB und somit grundsätzlich als Unrecht bewerten will. Soll 28 Zwar verkennt Schröder die Unterschiedlichkeiten der verschiedenen Wertordnungen und damit auch der Strafrechtskodifikationen keineswegs (vgl. ZStW Band 61, S. 98), jedoch berücksichtigt sein Lösungsansatz über eine ausnahmsweise fehlende Indizierung der Rechtswidrigkeit der Tatbestandserfüllung im Ausland (ZStW 61, S. 108) die beschränkte Sozialfunktion des deutschen Strafrechts nicht ausreichend. 29 Max Ernst Mayer, AT, S. 77 ff., Schröder, ZStW Band 61, S. 95, einschränkend ders., in Schönke / Schröder, Vorbem. 9 ff. vor § 3, anders Vogler, in Grützner-FS, S. 150 ff., Glatzel, S. 26. 30 Von einer gewissen Weltgeltung des deutschen Strafrechts könnte nur dort gesprochen werden, wo § 7 die Geltung für Tatorte ohne Strafgewalt festlegt. Indes besteht hier gerade eine positive gesetzliche Geltungsregelung, so daß von einer an sich bereits bestehenden Weltgeltung der Tatbestände auch nicht die Rede sein kann. Ähnlich bereits Meili, LB, S. 14. 31 Die früher hM (RG JW 1936, 2655, BGHSt. 4, 335, Wegner, Frank-FS Band I, S. 145, Schröder, ZStW Band 61, S. 81 ff., 93) ist indes bedenklicherweise auch bereits vor Inkrafttreten des 2. StrRG zu § 9 Abs. 2 nF entsprechenden Ergebnissen gekommen. Der gesetzlich normierte Verzicht auf die konsequente Anwendung des Akzessorietätsgedankens schafft insoweit nunmehr eine begrüßenswerte Klarstellung.

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§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

diese Personen tatsächlich der Verhaltensappell des deutschen Strafrechts treffen? Relevant wird der Unterschied der Auffassungen auch dann, wenn gegen am ausländischen Tatort nicht rechtswidrige Handlungen, die den Tatbeständen des StGB zuwiderlaufen und für die das deutsche Strafrecht nach den §§ 3 ff. nicht gilt, "Notwehr" geübt wird. Nimmt beispielsweise ein Ausländer gegen eine nach dem Tatortrecht nicht rechtswidrige Abtreibung im Ausland an einer Ausländerin, die um den Eingriff gebeten hat, aus ethischen Gründen eine "Verteidigungshandlung" in Form einer auch am Tatort an sich strafbaren Körperverletzung vor, so entscheidet sich die Strafbarkeit des " Verteidigers " wegen Körperverletzung nach deutschem Recht danach, ob die Abtreibung als solche einen rechtswidrigen Angriff darstellt. Gemäß § 5 Nr. 9 gilt für eine solche im Sinne des § 218 an sich tatbestandsmäßige Abtreibung das deutsche Strafrecht nicht. Für die Körperverletzung des "Verteidigers" gilt das deutsche Strafrecht jedoch nach § 7 Absatz 2 StGB, wenn er im Inland betroffen und nicht ausgeliefert wird, da seine Auslieferung nach dem Auslieferungsgesetz zulässig und Körperverletzung auch am Tatort strafbar ist. Für die Vertreter der Weltgeltung der Strafgesetze läge nun zweifellos ein rechtswidriger Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB vor, so daß die Handlung des Verteidigers gerechtfertigt wäre, obwohl für die Angriffshandlung selbst das deutsche Strafrecht nicht gelten soll. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß der Bewertungsanspruch des deutschen Strafrechts nach dem Gesetz beschränkt ist. Entsprechend dem Recht des Tatorts steht deshalb dem vermeintlichen Verteidiger auch nach deutschem Recht kein Rechtfertigungsgrund zur Seite32 , so daß er nach § 223 StGB bestraft werden könnte. Das Verfahren könnte jedoch - und würde es wohl auch nach § 153 c Abs. 1 Satz 1 StPO eingestellt werden, nicht zuletzt mit der Begründung, daß die Tat, in Deutschland begangen, schon gar nicht rechtswidrig gewesen wäre, und daß deshalb kein Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Strafverfolgung vorhanden ist. 3! RechtfertigungsgTÜnde sonstiger deutscher Rechtsmaterien, die von der sachlichen Geltung des deutschen Strafrechts unabhängig sind und somit also trotz der Nichtgeltung des StGB eingreifen könnten, sind nicht ersichtlich. Dies könnten jedoch nicht solche prozessualer Art sein. Im Falle eines am ausländischen Tatort tatbestandlich handelnden Deutschen hat das OLG Köln, MDR 1973, 688, diesem einen aus dem deutschen Strafprozeßrecht abgeleiteten Rechtfertigungsgrund, den das ausländische Tatortrecht nicht kannte, gegen eine geringfügige, aber rechtswidrige Handlung eines Ausländers unter Berufung auf § 3 Abs. 1 StGB aF zugestanden. Es geht dabei zunächst zwar zu Recht davon aus, daß die Geltung des deutschen Strafrechts auch die Anwendbarkeit des AT des StGB bedeutet (dazu oben § 11 3), verkennt dann aber, daß damit noch nicht der räumliche GB des deutschen Strafprozeßrechts auf das Ausland erstreckt wird. Ähnlich ablehnend auch die Anm. von Blei, JA 1973 StR, S. 170.

I. Die §§ 3 bis 7 StGB und das materielle Strafrecht

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Diese Beispiele beweisen m. E., daß nur in den konsequent eingehaltenen Grenzen seines durch das Geltungsbereichsrecht abgesteckten Bewertungseinzugsbereichs der Bewertungsanspruch des deutschen Staates bestehen kann. Die weltweite Anwendung deutscher Strafrechtsnormen führt zu der rechtsgrundlosen Inzidenzbeurteilung gewisser Verhalten als rechtswidrig, obwohl das deutsche Strafrecht sich gerade nicht kompetent fühlt, eine solche Wertung vorzunehmen. Dabei liegt auf der Hand, daß die Problematik vor allem im Bereich elementarer gesellschaftspolitischer Wertungsunterschiede zwischen einzelnen Staaten aufbrechen wird. Bei Wertungsübereinstimmungen zwischen dem Tatort- und dem verfolgenden Staat garantiert ohnedies § 7 StGB eine gerechte Bestrafung. Führen aber die Wertungsunterschiede dazu, daß ein vom deutschen Gesetzgeber als überaus unmenschlich angesehenes Verhalten im Ausland nicht mit Strafe bedroht ist, so gilt das deutsche Strafrecht meist über § 6 StGB auch unabhängig von der Tatortstrafdrohung. Letztlich führen damit nur Wertungsdifferenzen höchst subjektiven Ursprungs zu vermeintlichen Bewertungslücken. Damit finden auch Andeutungen für eine nur auf Individualrechtsgüter beschränkte Weltgeltung des StGB33, so sie als absolutes Faktum und nicht als durch die sachliche Geltung des deutschen Strafrechts zusätzlich begrenzte Erscheinung dargestellt werden34, im Gesetz keine Stütze35 . Wegen der weitreichenden Regelung in den §§ 3 ff., insbesondere in § 7 StGB, beinhaltet die Theorie von der Weltgeltung der deutschen Strafgesetze lediglich einen verkappten Bewertungsanspruch des deutschen Gesetzgebers für "kritische Fälle" und eine lautlose Einmischung in fremde Wertentscheidungen. An dieser Erkenntnis sollte man auch nicht mit Hilfe einer interpolierten Interessenwertung vorbeigehen, soweit sie den Geltungsbereich des Strafrechts über die §§ 3 ff. hinaus zu erweitern sucht, wie es die Zweiteilung der Rechtsgüter in (nur) "inländische" und "universal geschützte"36 anzudeuten scheint, wenn diese nicht ausdrücklich als bloßes Problem des Tatbestandsumfanges gekennzeichnet wird37 . Dabei 3S So Oehler, IStR, S. 450, BayObLG NJW 1972, 1722, Schönke f Schröder, Vorbem. 9 vor § 3 m. w. Nachw. U So einschränkend Vogler, Grutzner-FS, S. 153. 35 Im Ergebnis ebenso Krey, S. 85 f., der allerdings m. E. zu Unrecht den §§ 3 ff. nur insoweit konstitutive Bedeutung beimißt, als es sich um Auslandstaten handelt. Er verkennt damit, daß § 3 immer noch die - ebenfalls geltungskonstitutive - Bedeutung der reinen Strafgewaltsregelung zukommt. Vgl. dazu oben § 2 II 2. a. Vgl. dazu insbes. Reschke, S. 21 ff. 37 So zutreffend Jescheck, Maurach-FS, S. 583, Johannes, ZStW Band 83, S. 558, Tröndle LK, Vorbem. 19 ff. vor § 3, Reschke, S. 31; - anders Schröder,

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§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

soll keineswegs geleugnet werden, daß die §§ 3 ff. StGB das Ergebnis einer Interessenwertung sind38 , wie sie in ähnlicher Weise auch der Tatbestandsfassung vorausgeht. Nur ist diese eben durch den Spruch des Gesetzgebers zu einem allgemeinverbindlichen Abschluß gekommen, so daß für eine eigenständige geltungserweiternde richterliche Interessenwertung kein Raum mehr vorhanden ist. Beruhen die Regelungen der §§ 3 ff. somit auf der unausgesprochenen Feststellung, daß zwischen einem bestimmten vorgestellten bzw. realisierten Verhalten und der Wertebasis des deutschen Strafrechts ein ausreichend enger Bezug vorhanden ist, der es erlaubt, aus deutscher Sicht ein gerechtes Strafwürdigkeitsurteil über ein Verhalten abzugeben39, so berücksichtigen sie bei Auslandstaten außerdem, inwieweit ein Verhalten, bezogen auf die Ordnungsaufgabe des deutschen Strafrechts40 , als strafwürdig erscheint. Dies äußert sich zum einen in den prozessualen GB-Faktoren des § 741 , zum anderen aber auch in der materiellen Abschichtung der geltungsbereichsrechtlich erfaßten von den nicht erfaßten Sachverhalten. Das deutsche Strafrecht will nicht in allen Fällen übereinstimmender Wertgrundlagen Anwendung finden. Die beschränkte, d. h. relative Friedens- und Sozialfunktion des deutschen Strafrechts zieht diesem vielmehr weitere Grenzen der strafrechtlichen Zuständigkeit. Dabei liegt es in der Natur der Sache, daß der aus der Ordnungsaufgabe eines Staates abzuleitende Strafbedürftigkeitsbereich keiner exakten Feststellung zugänglich ist. Die weitgehend politische und weltanschauliche Argumentationsebene weist deshalb in dieser Frage dem Gesetzgeber einen weiten Bereich des gestalterischen Ermessens ZU42 • Seine Ergebnisse in Gesetzesform müssen es sich jedoch gefallen lassen, zum einen auf die Zwecktauglichkeit, zum anderen auf eine innere Systematik und Stimmigkeit hin überprüft zu werden. Dies wird neben der Frage, ob der deutsche Gesetzgeber in der Präzisierung seines subjektiven Wertverständnisses überhaupt von einer weltweiten Wertübereinstimmung ausgehen kann und, wenn ja, ob die gesellschaftliche zstw Band 61, S. 91 ff. - Mißverständlich Kielwein, GA 1954, S. 214, Nowakowski, JZ 1971, S. 634, Schröder, NJW 1968, S. 284, Schönke f Schröder, Vorbem. 8 ff. vor § 3, OLG Saarbrücken, NJW 1975, 506 ff., BayObLG NJW 72, 1772. Vgl. dazu auch v. Weber, in Festgabe für Frank Band II, S. 269 ff. 38 So zutreffend Schröder, ZStW Band 61, S. 58, Anm. 2. 39 Vgl. dazu auch Armin Kaufmann, Lebendiges, S. 97 f., der zu Recht die

stillschweigenden Voraussetzungen jedes strafgesetzlichen Werturteils betont. 40 So im Ausgangspunkt zu Recht OLG Saarbrücken, NJW 1975, 506, vgl. auch Stratenwerth, ZStW Band 71, S. 572. 41 Dazu unten § 3 I 3. 42 Vgl. Rosswog, S. 23 ff.

I. Die §§ 3 bis 7 StGB und das materielle Strafrecht

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Funktion des Strafrechts auch eine Bewertung einzelner ausländischer Lebenssachverhalte, eine Bestimmung der beteiligten Personen nach deutschem Recht und eine deutsche Strafrechtsfolgenandrohung erheischt, unten (§§ 8 und 9) im einzelnen im Hinblick auf die §§ 5 und 6 StGB zu untersuchen sein. Nur wenn jede einzelne dieser geltungsbereichsrechtlichen Regelungen für Auslandstaten beide Merkmale erfüllt, kann sie für sich eine innere Legitimation in Anspruch nehmen. 3. Das Geltungsbereichsrecht der §§ 3 bis 7 StGB als Sondergebiet des materiellen Rechts

Beschreibt so das Geltungsbereichrecht der §§ 3 bis 7 StGB den Bereich, für den sich das nationale Strafrecht einen Bewertungsanspruch zulegt, so liegt seine Zuordnung zum materiellen Recht auf der Hand. Innerhalb des Gesamtbereichs strafrechtlicher Normen legt das materielle Strafrecht die Merkmale der strafbaren Handlung fest und droht die Rechtsfolgen an, die an eine Tatbegehung geknüpft sind'8. Das Strafprozeßrecht dient in Ergänzung hierzu" der rechtsstaatlichen Durchsetzung des materiellen Strafrechts45, indem es, zum Schutze des Unschuldigen und des Schuldiggewordenen, die Voraussetzungen eines justizförmigen Verfahrens bestimmt4s • Gesetzesvorschriften, die entscheiden, ob ein bestimmter Sachverhalt vom deutschen Strafrecht überhaupt in seinen Bewertungsbereich einbezogen werden kann, sind selbst zwangsläufig dem materiellen Recht zuzuordnen'7. Anders als bei den §§ 153 ff. StPO, wo auf der Basis einer als bestehend vorausgesetzten Bewertungszuständigkeit die prozessuale Problematik des Verfolgungszwanges durch staatliche Organe geregelt wird, enthalten die §§ 3 ff. eine Aussage über die Entstehung des deutschen Strafanspruches und nicht nur über seine praktische Durchsetzbarkeit48, über die Notwendigkeit, Sachverhalte nach nationalem Straf43 Vgl. Lenckner, Handbuch, S. 3, Bemmann, S. 26. " Kern / Roxin, S. 1. 45 Schäfer, in Löwe / Rosenberg Band 1, S. 45, Baumann, AT, S. 34 f .• Bemmann, S. 26. 48 Kern / Roxin, S. 1 f. 47 Mendelssohn-Bartholdy, in Festgabe für Kohlers, S. 68 f., umreißt dies

plastisch so: "Den Gedanken, daß die Staaten sich Verbrechern und verbrecherischen Handlungen gegenübergestellt sähen und nun erst ihre Strafgesetze und Strafverfolgungsanstalten wie Netze zum Fang dieser Verbrecher auswürfen, wobei dann das Fischen im fremden Gewässer nur eine völkerrechtlich-politische, keine strafrechtliche Streitfrage bilden könnte, diesen Gedanken lehne ich völlig ab." Vgl. dazu auch Stratenwerth, ZStW Band 71, S. 572 f . 48 Schröder, ZStW Band 61, S. 86.

§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

recht zu bewerten und damit über die materiell-rechtliche Einordnung bestimmter Verhaltensweisen4D • Demnach sind die §§ 3 bis 7 StGB als Bewertungseinzugsbereichsregelungen grundsätzlich ein Sondergebiet des materiellen Strafrechts50 • Nur dort, wo sie auf einzelne Faktoren zurückgreifen, die nicht über das Ob der Bewertung entscheiden, sondern den realen Anlaß für ein Tätigwerden umschreiben, bedient sich das Strafrechtsanwendungsrecht einiger Merkmale prozessualer Art, die nicht dem materiellen Recht zugehören. Solche Merkmale sind z. B. die Ergreifung des Täters nach der Tat im Inland 5!, seine Nichtauslieferung, obwohl das Auslieferungsgesetz diese nach der Art der Tat zuließe 52 , aber auch denkbare analoge Bestimmungen in nach § 6 Nr. 8 geltungsbereichs- und strafverfolgungsregelnden Verträgen. Von derartigen Faktoren hängt die eigentliche Legitimation zur Bewertung durch das deutsche Strafrecht nicht ab 53 • So richtet sich die materielle Bewertungslegitimation des deutschen Strafrechts in den Fällen stellvertretender Strafrechtspflege allein danach, ob die Tat auch am Tatort mit Strafe bedroht war. Die Ergreifung etc. werden zum bloßen Anlaß zur neuerlichen Bewertung durch den Ergreifungsstaat, der die Legitimation dazu aus der Primär-Bewertung durch den Tatortstaat bezieht. Jener ordnet er sich unterM. Das sog. IStR verleiht immer primär eine Legitimation zur strafrechtlichen Bewertung und zur Strafrechtsanwendung, nicht nur eine schlichte Befugnis zur Strafverfolgung. Letztere fließt vielmehr automatisch aus der strafrechtlichen Bewertungszuständigkeit55, soweit nicht besondere Hinderungsgründe entgegenstehen58 • Dies gilt auch für § 6 Nr. 8 StGB. Obwohl die gesetzliche Fassung insoweit auf eine rein 48 Anders Reschke, S. 31, 46 f., der die notwendige gegenseitige Ergänzung von Strafrechtsanwendungsrecht und Rechtsgüterschutzbestimmungen zwar sieht, daraus dann, m. E. zu Unrecht, gleichwohl eine Gegensätzlichkeit folgert und deshalb das IStR als nicht dem materiellen Strafrecht zugehörig bezeichnet, obgleich er wiederum das materielle Strafrecht als einen "integrierenden Bestandteil des internationalen Strafrechts" (S. 46 f.) sieht. 60 BGHSt. 20, 25, Meili, LB, S. 9, Binding, Handbuch I, S. 591, Schröder, ZStW Band 61, S. 86, Jescheck, IntRuD 1956, S. 76, Rosswog, S. 24, Tröndle, LK § 2 Anm. 40, Schäfer, in Löwe / Rosenberg, Band 1, S. 96, Krey, S. 84 ff. 51 § 7 Abs. 2 Nr. 2. 52 § 7 Abs. 2 Nr. 2. 53 Im einzelnen dazu unten § 6 II 6. M Das gilt auch für ein früher notwendiges Antragserfordernis des Tatortstaates bei der Geltung des deutschen Strafrechts für sog. Neubürger, vgl. dazu BGHSt. 20, 26 f. 66 §§ 152 Abs. 2, 153 StPO. 58 Vgl. dazu Schäfer, in Löwe / Rosenberg, Band 1, S. 78, Kleinknecht, Einl. 6 C a, Kern / Roxin, S. 95 ff.

II. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat

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prozessuale Strafverfolgungszuständigkeit hinzudeuten scheint, erhält auch diese Bestimmung ihre eigentliche Bedeutung aus dem Einleitungssatz "Das deutsche Strafrecht gilt" und hat somit ebenfalls eine primär strafrechtsgeltungskonstitutive Bedeutung, auch wenn einzelne internationale Verträge den Geltungsumfang von § 6 Nr. 8 StGB sicherlich nicht voll ausnützen werden57, 58. An diese Düferenzierung knüpfen sich auch praktische Konsequenzen. So wird ein Sachverhalt, der bereits nicht vom Bewertungsanspruch des deutschen Strafrechts erfaßt wird, im Falle der erfolgten Anklage zum Freispruch und nicht nur zur Einstellung führen59• Beruht der Mangel dagegen auf dem Fehlen eines prozessualen geltungsbereichsrechtlichen Ergänzungsfaktors, so führt dies zur Einstellung80 wegen eines Verfahrshindernisses81 • Die Entscheidungsfindung erfolgt im ersteren Falle im Wege des sog. Strengbeweises und nicht im Wege des für Prozeßvoraussetzungen zulässigen einfachen Freibeweises82 ; sie ist im ersteren Falle überdies der uneinschränkbaren Rechtskraft fähig 63 •

11. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat Mit der Einsicht, daß die §§ 3 ff. den strafrechtlichen Bewertungsanspruch des Staates festlegen und damit ein Sondergebiet des materiellen Rechts darstellen64 , ist ihr Verhältnis zu Tatbestand und Unrecht gleichwohl noch unbestimmt. Dies zu präzisieren soll hier der Versuch unternommen werden, wobei auf die Kontroversen zwischen den einzelnen Tatbestandslehren65 und auf die Verwirrung innerhalb der einVgl. im einzelnen dazu unten § 9 IX 2 a. Strafverfolgungszuständigkeiten sind jedoch, wie § 10 des Deutschen Auslieferungsgesetzes vom 23. 12. 1929 (RGBl. I, S. 239) zeigt, nicht ausschließlich auf die Fälle der Geltung des eigenen materiellen Strafrechts beschränkt, sondern auch im Interesse der internationalen Rechtshilfe möglich. &8 Bestritten, so aber m. E. zu Recht Jescheck, AT, S. 422 (indirekt), Bemmann, S. 27; auch Schäfer, in Löse I Rosenberg, Band 1, S. 92 f., scheint dahin zu tendieren; vgl. auch den Hinweis auf das angelsächsische Recht bei Mayer, JZ 1952, S. 610, wonach bei einer Tat, die in einem englischen Strafverfahren verfolgt wird, für die aber keine geltungsbereichsrechtliche Anknüpfung besteht, auf "not guilty" plädiert werde. Vgl. ferner Oehler, Grutzner-FS, S. 116. 80 So aber generell Baumann, AT, S. 75, OLG Saarbrücken, NJW 1975, S. 509; vgl. auch Kleinknecht, Einl. 6 B c. 81 §§ 206a, 260 Abs. 2 StPO. 82 Kleinknecht, Einl. 6 G, Schmidhäuser, ZStW Band 71, S. 559. es Vgl. Kleinknecht, Einl. 6 H, Schmidhäuser, ZStW Band 71, S. 559. 84 Vgl. oben § 3 I 3. 85 Vgl. GaUas, Stand, S. 32, der feststellt, daß "was man unter ,Tatbestand' zu verstehen (habe) ... , heute umstrittener denn je" sei. 51

&8

46

§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

zeInen Tatbestandsbegriffe66 nur im Rahmen des Notwendigsten eingegangen werden so1l61. 1. Der sog. Garantietatbestand und das IStR

Als Garantietatbestand wird die Gesamtheit aller Voraussetzungen verstanden, die gegeben sein müssen, damit eine bestimmte Bestrafung möglich ist68, oder genauer, die gesamte sachlich-gegenständliche Beschreibung des strafrechtlich verbotenen Verhaltens 69 , die sog. Verbotsmaterie10. Als Zweckkonstruktion greift er alle die Umstände heraus, auf die sich der Satz "nulla poena sine lege" bezieht71 , die weder durch Analogie noch durch Gewohnheitsrecht zuungunsten des Täters geändert werden können12. Dazu gehören auch außerhalb des Unrechts liegende Umstände, so z. B. die sog. objektiven Bedingungen der Strafbarkeit13. Die Regeln über die Geltung des nationalen Strafrechts und das Ausmaß seiner Anwendbarkeit sind, soweit sie den Bewertungseinzugsbereich und nicht nur die prozessuale Durchsetzung des Strafrechts berühren, als materiellrechtliche Voraussetzungen der Strafbarkeit auch Teil des Garantietatbestandes. Normen, die den Bewertungsanspruch des Strafrechts begründen, sind gleichsam die Basis des Verhaltensappells, die Grundvoraussetzung der Strafbarkeit und als solche eine strafrechtsfolgenrelevante Eingrenzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des einzelnen14, die zwangsläufig in ihrem Umfang vom Gesetzgeber mitgarantiert wird. Bestimmt der deutsche Gesetzgeber heute die generelle Weltgeltung seiner Strafrechtsnormen, so ist - die Rechtswirksamkeit der neuen Geltungsbereichsregelung unterstellt eine gestern verwirklichte Tat, die zwar von einem Deliktstypus aber nicht vom bisherigen sachlichen Geltungsbereichsrecht erfaßt wurde, wegen der verfassungsrechtlich verankerten "nulla-poena-sine-IegeGarantie"15 nicht strafbar16. ee Roxin, Offene Tatbestände, S. 106, 110 spricht von einer "zunehmenden unheilvollen Verwirrung". 87 Zur Entwicklung des Tatbestandes seit Beling vgl. Roxin, Offene Tatbestände, S. 35 ff., Maurach, AT, S. 232 f., WeLzeL, Neues Bild, S. 19 ff. e8 Schönke / Schröder, Vorbem. 39 vor § 1, Jescheck, AT, S. 186, 107. ea WeLzeL, Neues Bild, S. 15 f., Roxin, Offene Tatbestände, S. 107, Hirsch, Lehre, S. 311 Anm. 129. 70 Roxin, Offene Tatbestände, S. 107. 71 Schönke / Schröder, Vorbem. 39 vor § 1. 72 WelzeL, Neues Bild, S. 15. 73 Stree, JuS 1965, S. 465 ff., 474. 74 Art. 2 Abs. 1 GG. 75 Art. 103 Abs. 2 GG. 78 Germann, S. 239.

II. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat

47

2. Der gesetzliche Tatbestand und das GeItungsbereichsrecht in den §§ 3 bis 7 StGB

Ungleich bedeutsamer ist dagegen, ob das IStR Teil der Umstände ist, die das eigentliche Unrecht der Tat konstituieren77 , ob die §§ 3 ff. StGB zum sog. gesetzlichen Tatbestand im Sinne des § 16 StGB gehören: Die Folge wäre unter anderem, daß eine Unkenntnis des Täters bezüglich dieser Merkmale den Tatvorsatz ausschließen würde78, also allenfalls eine fahrlässige Deliktsbegehung vorliegen könnte. a) In der Literatur vertretene Lösungsansätze

Nowakowski meint79, beim internationalen Strafrecht liege es nahe, die Geltungsbereiche von der "eigentlichen" Rechtsbedingung, vom Deliktstypus, zu trennen. Er sieht in den Geltungsbereichen Eigenschaften der Rechtsbedingungen im Gegensatz zu Rechtsinhalten8o • Armin Kaufmann81 unterscheidet generell, ohne allerdings ausdrücklich auf die §§ 3 bis 3 StGB Bezug zu nehmen, zwischen Merkmalen der Norm, die die Handlung und den Handelnden umschreiben, und solchen Voraussetzungen im Sinne von "Bedingungen", unter denen sich die Norm als abstraktes Sollurteil zu einer in jeder Beziehung genau bestimmten Rechtspflicht konkretisiert. Nach Jescheck82 ist das Gegebensein der deutschen Strafgewalt nach den §§ 3 ff. StGB eine allgemeine, nicht an einen bestimmten Tatbestand gebundene Bedingung der Strafbarkeit, eine objektive Strafbarkeitsbedingung wiederum nach Schönke / Schröder83 • b) Stellungnahme

Welche Umstände das eigentliche Unrecht einer Tat umschreiben und somit, soweit sie objektiver Art sind84 , zum gesetzlichen Tatbestand im Sinne des § 16 Abs. 1 gehören, ist jedenfalls kein offenes Geheimnis, 77

Schänke / Schräder, § 59 Anm. 3, Lenckner, Handbuch, S. 37 f., Jescheck,

78

Dreher, § 16 Anm. 2 B.

AT, S.185. 79 80

östZöffR 1955, S. 19.

Nowakowski, ÖstZöffR Band 6, S. 12.

Lebendiges, S. 96, 138 ff. IntRuD 1956, S. 93, ders., AT, S. 422; ähnlich Trändle, LK Vorbem. 60 vor § 3. 83 Schänke / Schräder / Eser, Vorbem. 64 vor § 3. M Subjektive Tatmerkmale sind keine geeigneten Bezugsobjekte des Vorsatzes und damit nicht Teil des gesetzlichen Tatbestandes im Sinne des § 16 Abs. 1 StGB, Welzel, NJW 1953, S. 329 Anm. 14, ders., AT, S. 72, Hirsch, Lehre, S. 311 Anm. 129, Roxin, S. 109, Schroeder, LK § 59 Anm. 18, Lackner, § 15 Anm. II 1 d. 81

82

48

§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

bedenkt man, daß diese Merkmale "am besten durch den Ausschluß nicht darunter fallender Merkmale" bestimmbar sein sollen85 . Zunächst ist festzustellen, daß die §§ 3 bis 7 StGB sicherlich weder in ihrer Gesamtheit das eigentliche Unrecht einer Straftat mitbestimmen, noch als völlig unrechtsneutral86 bezeichnet werden können. Die reine Strafgewaltsregelung des § 3 StGB einerseits und die präzise Geltungsregelung für Eidesdelikte im Ausland in § 5 Nr. 7 StGB andererseits sind jeweils Beispiele dafür. Die Regelungen der §§ 3 ff. StGB können auch nicht einfach als bloße objektive Bedingungen der Strafbarkeit bezeichnet werden. Die von der hM87 den objektiven Bedingungen der Strafbarkeit zugedachte Funktion eines vom Unrecht der Tat losgelösten, auf Strafbedürftigkeitserwägungen und nicht auf Strafwürdigkeitserwägungen beruhenden Normteils88, wird zumindest von einem Teil dieser Bestimmungen überschritten. So werden in § 5 Nr. 9 StGB eben nur jene Auslandsabtreibungen vom deutschen Strafrecht als Unrecht bewertet, die von einem Deutschen begangen werden, der seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich des StGB hat. Sonstige Auslandsabtreibungen, zumindest solche durch Ausländer 89, sind nicht nur nicht strafbedürftig, sondern werden gar nicht bewertet und damit jedenfalls auch als nicht strafwürdig angesehen. Auch die nähere Bezeichnung der Verfahren in § 5 Nr. 10 StGB dient nicht nur zur Abgrenzung innerhalb eines weiteren, bereits bestehenden Bereichs des Unrechts nach dem Maß der Strafbedürftigkeit. Es zeigt sich deshalb, daß die Verschiedenartigkeit der Geltungsfaktoren diesen offensichtlich unterschiedliche Rechtsgehalte zuweist, die zumindest teilweise über die einer unrechtsneutralen Umschreibung hinausgehen. Sich einfach damit zu begnügen, sie als objektive oder allgemeine Bedingungen der Strafbarkeit zu bezeichnen, würde einmal mehr den Verdacht Armin Kaufmanns bestätigen, daß die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit zum Sammelbegriff für Merkmale geworden sind, deren richtige Eingruppierung zweifelhaft ist". So Schroeder, LK § 59 Anm. 19. So aber Dreher, § 3 Anm. 7, Tröndle, LK, Vorbem. 60 vor § 3; zurückhaltend Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. 64 vor § 3. 87 Schmidhäuser, ZStW Bd. 71, S. 547, Stratenwerth, ZStW Bd. 71, S. 565, Schönke / Schröder, Vorbem. 101 vor § 51, HelZmut Mayer, AT, S. 165, Baumann, AT, S. 399, Bemmann, GA, S. 55 f., Armin Kaufmann, Lebendiges, 85

8e

S. 212 ff., Arthur Kaufmann, S. 249 f. 68 So insbes. Stratenwerth, zstw Bd. 71, S. 567, Schönke / Schröder, Vorbem. 101 vor § 51. 89 Vgl. dazu unten § 8 VIII I. 90 Armin Kaufmann, Lebendiges, S. 213.

II. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat

49

Es geht aber auch nicht an, sie insgesamt als sog. Rechtspflichtmerkmale91 zu verstehen. Weder im Sinne Welzels, der darunter nicht der Tatbeschreibung dienende, vorsatzunabhängige Merkmale der Rechtswidrigkeit sieht, deren Fehlen die Rechtswidrigkeit der Tat ausschließe92 , noch im Sinne Roxins, der den Rechtspflichtmerkmalen einen die Rechtswidrigkeit umschließenden, je nachdem unrechtsbegründenden oder unrechtsausschließenden Charakter zuweist 93, aus der sich in der Regel unmittelbar eine Rechtspflicht erkennen lasse94 . Die §§ 3 ff. StGB sind teilweise tatbeschreibungsneutral, vor allem aber haben sie eben auch eine dem Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsbereich vorgehende Bedeutung, die es verbietet, sie insgesamt als Konkretisierungen bereits umfassend gültiger Verhaltensappelle zu sehen. Die Geltung des deutschen Strafrechts ist auch kein Problem der Konkretisierung sog. offener Tatbestände95, sondern eine Problematik eigenständiger Art. Die Rechtsnatur der §§ 3 ff. StGB ist deshalb nur im Hinblick: auf die Regelungsfunktion der einzelnen GB-Normen und die jeweils zugrundeliegenden geltungsrelevanten Faktoren zu bestimmen. 3. Eigene Lösung

Die Auslese des strafwürdigen Unrechts erfolgt durch die Aufstellung sog. Typen verbrecherischen Verhaltens96 . Diejenigen gesetzlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen, die den eigentlichen Deliktscharakter einer Tat bestimmen, sind Deliktstypenfaktoren. Sie individualisieren das Verbrechen97 und gehören zum gesetzlichen Tatbestand im Sinne des § 16 Abs. 1 StGB98. Der Deliktstypus ist somit im Tatbestand verkörpert99 . Das heißt nun aber nicht, daß dieser Tatbestand nur von den Normen des Besonderen Teils des StGB geprägt wird, die §§ 3 ff. StGB 81 Generell (m. E. zu Recht) ablehnend Schönke / Schröder, § 59 Anm. 111 m. w. Nachw., Bemmann, S. 16, Baumann, S. 399 f. 8Z Welzel, AT, S. 82, 326 f. 83 Roxin, S. 86, 188. " Roxin, S. 81. 86 Jeder Tatbestand wäre sonst als völlig offen zu bezeichnen. Zur Problematik der offenen Tatbestände vgl. Welzel, Neues Bild, S. 16, ders., AT, S. 24 f., Roxin, Offene Tatbestände, insbes. S. 44, Schönke / Schröder, § 59 Anm.111. 88 Gallas, Stand, S. 33. 97 Vgl. dazu Gallas, Stand, S. 32. 98 Gallas, Stand, S. 36. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob neben dem gesetzlichen Tatbestand auch noch ein sog. Systemtatbestand besteht, so insbes. Welzel, NJW 1953, S. 329 Anm. 14, Gallas, Stand, S. 32 ff., zweifelnd Roxin, Offene Tatbestände, S. 108 ff., 166 ff., 187 (S. 109: die Identität von Systemtatbestand und Irrtumstatbestand sei sehr "fragwürdig" geworden), ablehnend Hirsch, Lehre, S. 311 Anm. 129, Schönke / Schröder, Vorbem. 44 vor § 1 ("nur systematische Bedeutung"). U9 Gallas, Stand, S. 33.

4 Zieher

§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

50

also niemals Teil des Tatbestandes s€in können, sondern zwingt umgekehrt dazu, diese Normen auf eine eventuelle Tatbestandsqualität hin zu überprüfen.

a) Deliktstypenneutrale und tatverhaUensbeschreibungsneutrale Geltungsfaktoren Bei dieser Untersuchung fallen zunächst €ine Reihe von Faktoren auf, die ganz offensichtlich keinen Bezug zu Tatverhaltensumschreibungen und damit auch nicht zu Deliktstypisierungen100 haben. Zu nennen sind hi€r die Merkmale der §§ 3 und 4 StGB. Faktoren wie Inland, deutsches Schiff oder Luftfahrzeug sind, für sich gestellt, verhaltensbeschreibungsneutral und unrechtstypenneutral. Die allein durch sie geprägten Geltungsbereichsregelungen sind damit nicht Teil des gesetzlichen Tatbestandes 101 , sondern Strafgewaltsmanifestationen, ein Teil hoheitlicher Realität. Sie sind keine Beschreibungen von Wert- oder Unwertrealisierungen und nehmen nicht zu menschlichen Verhaltensweisen Stellung. Sie informieren nicht darüber, was pönalisiert wird102 • Daß auch die in § 7 Abs. 2 StGB erwähnte Ergreüung des Täters im Inland und s€ine Nichtauslieferung unwertneutrale Faktoren sind, folgt zwangsläufig bereits aus ihrer Einordnung als prozessuale Ergänzungsfaktoren103 • Aber auch die in § 7 StGB vorausgesetzte Tatortstrafdrohung104 bzw. die Strafgewaltsfreiheit des Tatorts, die deutsche Staatsangehörigkeit des Opfers oder des Täters erweisen sich als Umstände, die weder eine deliktsspezifische Prägung erkennen lassen noch eine Tatverhaltensumschreibung beinhalt€n. Das gilt gerade auch für das Bestehen einer Tatortstrafdrohung. Diese Fremdrechtsbezugnahme knüpft ausschließlich an das Subsumtionsergebnis des Tatortrechts an, ohne damit selbst bereits eine Aussage über den Unrechtscharakter bestimmter Verhaltensweisen nach d€utschem Recht treffen zu wollen105 • b) Unrechtsneutralität trotz formaler Deliktstypenbezugnahme

Offensichtlich keine absolute Deliktstypenneutralität ist dag€gen dann gegeben, wenn generell der räumliche Geltungsbereich einzelner

Tiedemann, Peters-FS, S. 205. Es sei denn, solche Faktoren sind, wie bei § 234 a StGB, als Merkmale der Tatbeschreibung in den Tatbestand einbezogen. 102 Vgl. dazu Hassemer, S. 150 f. 103 Oben § 3 I 3. 104 Binding, Handbuch I, S. 589, 591 sieht darin allerdings eine neben dem Verbrechen - zweite (materielle) Bedingung des deutschen Strafrechts. 105 Die vom Tatortrecht geschaffenen Typen verbrecherischen Verhaltens sind ein aliud zu den Typen des deutschen Strafrechts und rechtfertigen es m. E. nicht, in der Bezugnahme auf das Tatortrecht einen deliktsbeschreibenden Umstand zu sehen. 100 101

H. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat

51

Tatbestände oder Tatbestandsgruppen über das Inland hinaus unabhängig vom jeweiligen Tatortrecht auf das Ausland erweitert wird106 • Denn hier wird die An-sich-Tatbestandsmäßigkeit zur Bedingung der Strafrechtsgeltung. Wegen der pauschalen Bezugnahme auf das in den Einzeltatbeständen umschriebene Unrechtsverhalten bleibt indes auch hier die Geltungsbereichsnorm unrechtsneutral. Die Bezugnahme weist insoweit lediglich den tatbestandlich erfaßten Verhaltensweisen rechtstechnisch eine Doppelfunktion zu. Die Tatbestandserfüllung begründet zugleich das eigentliche Unrecht der Tat und die allgemeine Geltung des deutschen Strafrechts, wobei der Funktionsteil "Geltungsnorm" als solcher gleichwohl unrechtsneutral bleibt. c) Keine DeZiktstypenneutraZität bei der Vbernahme von Tatbestandsjunktionen

Eine nicht ausschließlich formale Bezugnahme auf andernorts verkörperte Deliktstypen ist dagegen bei § 5 in den Nummern 7, 10, 11, 12 und 13 erkennbar. Die darin enthaltenen Geltungs- und Anwendungsvoraussetzungen des deutschen Strafrechts zielen zwar möglicherweise auf die Beschreibung des Bewertungseinzugsbereichs des deutschen Strafrechts und damit nur auf Geltungsbereichsabgrenzungen. Gleichwohl wird dieses Ziel nur durch eine vertypende Umschreibung gewisser Verhaltensweisen erreicht, die nicht nur eine relative Geltung des deutschen Strafrechts bewirken, sondern auch eine gewisse Unrechtsabschichtung, indem sie bestimmte Unrechtshandlungen beschreiben und damit in eine Tatbestandsfunktion107 hineinwachsen. So liegt eben darin, daß das deutsche Strafrecht für einen schlichten Diebstahl von Eigentum deutscher Staatsangehöriger nicht unabhängig vom Tatortrecht gilt, derselbe Tatbestand aber Anwendung finden soll, wenn dadurch ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis eines im räumlichen Geltungsbereich des StGB ansässigen Betriebes verletzt wird108, eine Unrechtsauslese. Das Geltungsbereichmerkmal ist hier zugleich zum deliktsverhaltensumschreibenden Merkmal geworden. Eine ähnlich deliktstypisierende und damit über den Bereich einer reinen Geltungsbestimmung hinausreichende Bedeutung besitzt auch § 5 Nr. 10 StGB, wo bestimmte materielle Voraussetzungen für die Geltung des deutschen Strafrechts für Aussagedelikte im Ausland aufgestellt sind. Auch die Nummern 11 bis 13 des § 5 werden schließlich geprägt durch eine nur zunächst pauschale Bezugnahme auf die Deliktstypen des 108 107 108

••

Vgl. § 5 Nr. 1, 2, 3 b, 4, 5 a und § 6 Nr. 1 bis 7 StGB. Vgl. Tiedemann, in Peters-FS, S. 205. § 5 Nr. 7 StGB .

62

§

3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

deutschen Strafrechts ("Taten"), die jedoch sogleich durch besondere Auslesekriterien109 einem spezialisierten Interessenschutz untergeordnet werden. Die darin liegende Unrechtsauslese zeigt sich besonders deutlich, wenn man bedenkt, daß diese Umschreibungen quasi den Charakter einer Blankettstrafnorm aufweisen, auch wenn sie auf die Androhung von bestimmten Rechtsfolgen verzichten. In allen diesen Fällen werden Geltungsbereichsnormen partiell zu tatbestandsergänzenden Bestimmungen, weil sie nicht nur das zu bewertende vom nicht zu bewertenden Verhalten abschichten, sondern zugleich auch Faktoren beinhalten, die die weitere Frage, nämlich ob es sich im Einzelfall um Unrecht handelt oder nicht, mit beeinflussen. Derartige Faktoren werden damit von selbst zu Tatbestandsmerkmalen, selbst wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich beabsichtigt hatte. Merkmale, die das Unrecht der Tat mitumschreiben, können nicht durch eine Art Etikettenschwindel dem gesetzlichen Tatbestand entzogen werdenllO • d) Weitere Geltungsbereichsbestimmungen

Für die neben der schlichten Tatbestandsbezugnahme durch eine besondere Täter- und/oder Opferstellung gekennzeichneten Geltungsregelungen in den Nununern 3 a, 5 b, 6, 8 und 9 des § 5 StGB bleibt schließlich noch zu klären, ob auch diesen Faktoren eine tatbestandsergänzende Funktion zukommt. Die Einsicht in den beschränkten Bewertungsanspruch des deutschen Strafrechts zeigt zunächst einmal, daß diese Faktoren im Zusammenhang mit der Bezugnahme auf konkrete Unrechtstypen eine Bewertungsgrenzenfunktion haben. Damit unterbleibt z. B. bereits die Bewertung sexueller Handlungen von Ausländern im Ausland, auch soweit sie an sich die Voraussetzungen der §§ 174 ff. StGB erfüllen würden. Da nicht Bewertetes aber auch nicht als Unrecht angesehen werden kann, folgt daraus zugleich auch, daß das Nicht-Vorliegen dieser Faktoren im Einzelfall nicht nur die Nicht-Geltung des deutschen Strafrechts bewirkt, sondern auch das Nicht-Vorliegen von Unrecht, abgeleitet aus eben diesem Recht. Durch diese primär geltungsregelnden Normen wird gleichzeitig ein gegenüber dem Inland quasi modifizierter Unrechtstypus für Auslandstaten geschaffen1ll . 10U Bei Nr. 11 und 12 sind dies den Täterkreis beschreibende, bei Nr. 13 den Opferkreis beschreibende Merkmale. 110 Schmidhäuser, zstW Band 71, S. 562. 111 Zu beachten ist jedoch insoweit stets auch noch § 7 StGB. Soweit das deutsche Strafrecht gemäß § 7 StGB gilt, und damit in aller Regel von der Tatortstrafdrohung abhängt, könnte man (mit Vorsicht) auch von einem vom Tatortrecht beeinflußten variablen deutschen Deliktstypus für Auslandstaten sprechen.

II. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat

53

e) Folgerungen

Die Geltungsbereichsregelungen der §§ 3 ff. StGB sind demnach als Bewertungseinzugsbereichsregelungen ein Sondergebiet des materiellen Rechts, das die Grenzen des vom deutschen Strafrecht zu Bewertenden absteckt112 • Gleichwohl haben einzelne geltungsrelevante Faktoren jedoch ausschließlich prozessuale Bedeutung, d. h. sie berühren den Bewertungseinzugsbereich als solchen nicht, sondern sind lediglich Voraussetzungen für die Durchführung eines Strafverfahrens 113 • Mit Jescheck ist die Geltung des deutschen Strafrechts zunächst als eine allgemeine Bedingung der Strafbarkeit114 zu verstehen115 , und zwar insoweit, als das Gesetz strafrechtsgeltungsbedürftige Sachverhalte formuliert 116 und, zum Schutze der Rechtsordnung, die Geltung der staatlichen Strafgewalt anordnet117 • In dieser ihrer primären, eigentlichen Funktion sind die §§ 3 ff. StGB unrechtsneutral aber gleichwohl strafrechtskonstitutiv118, sind sie objektive Bedingungen der Strafbarkeit119 • Stratenwerth hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit sich nicht in jedem Falle als Modalitäten oder Folgen der Tat darstellen müssen120, sondern daß sie im allgemeinen zulässig sind, soweit die Strafbarkeit nur von solchen Umständen abhängig gemacht wird, "unter denen das strafwürdige Verhalten eine manifeste Störung der Rechtsordnung bildet und deshalb die Strafe auch erfordert"121. Dem ist aber hinzuzufügen, daß Teile der §§ 3 ff. dazuhin auch eine tatbestands- oder tatbestands ergänzende Funktion besitzen, und zwar dort, wo die §§ 3 ff. selbst unrechtsbeschreibend gefaßt sind122. Insoweit Oben § 3 I 2, 3. Oben § 3 I 3. 114 Jescheck, AT, S. 422. 116 Das stimmt überein mit der Definition von Schmidhäuser, ZStW Band 71, S. 558: "Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist derjenige für die Festsetzung einer Strafrechts folge vorausgesetzte Umstand, der - außerhalb der deliktstypischen Momente von Unrecht und Schuld liegend - derart an die unrechte Tat gebunden ist, daß sein Fehlen schon im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat endgültig die Straflosigkeit des Täters zur Folge hat." 11& Vgl. Stratenwerth, ZStW Band 71, S. 568 ff. 117 Vgl. Stratenwerth, ZStW Band 71, S. 572. 118 Vgl. Stree, JuS 1965, S. 466, Stratenwerth, ZStW Band 71, S. 569. Hier liegen - entgegen der Auffassung von Arthur Kaufmann, S. 250 f. Umstände vor, die auf die Bewertung der Tat einen Einfluß haben, gleichwohl aber in dieser Funktion den Unrechtscharakter einer Tat nicht formen. 119 Vgl. auch Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. 64 vor § 3. 120 ZStW Band 71, S. 574. 121 ZstW Band 71, S. 578. 122 Oben c) und d). 112

113

54

§ 3. Die weitere Rechtsnatur der §§ 3 bis 7 StGB

besteht eine Doppelrelevanz 123 geltungsrelevanter Faktoren; einzelne GB-Regelungen treten damit aus dem Bereich der delikts- und verhaltensbeschreibungsneutralen Faktoren heraus und werden zu echten Teilen des gesetzlichen Tatbestandes124 • Als allgemeine Bedingung der Strafbarkeit ist die Geltung als solche unabhängig von den Kenntnissen, Einsichten und Vorstellungen des Täters wie auch des Opfers 125 • Die Geltung des Strafrechts wird allein von der Subsumierbarkeit des Einzelfalles unter die Geltungsbereichsregelungen der §§ 3 ff. StGB bestimmt1 26 , wobei bei bloß versuchter Tatbegehung 127 das deutsche Strafrecht bereits dann Anwendung findet, wenn es im Falle des planmäßigen Tatabschlusses zur Anwendung gekommen wäre. Anderes gilt aber dort, wo die §§ 3 ff. außerdem Tatbestandsfunktionen haben. Im Hinblick auf diese - ihre zweite Funktion - gelten auch für die in den §§ 3 ff. angesiedelten Tatbestandsmerkmale die allgemeinen Regeln, d. h. u. a., die Strafbarkeit aus einem Vorsatzdelikt hängt im konkreten Einzelfall von der Kenntnis des Täters um das Vorliegen solcher Umstände ab128 • 123 Ähnlich bereits Armin Kaufman, Lebendiges, S. 96, der im Hinblick auf die "Rechtsbedingungen ("Geltungsbereiche Nowakowskis (vgl. dazu oben II 2 a) feststellt, daß einzelne gleichzeitig Bestandteile des "Geltungsinhalts" der Norm sind. Kielwein, GA 1954, S. 221, verweist zu Recht, wenn auch etwas unscharf, in diesem Zusammenhang auf "die Abhängigkeit" der Geltung des Gesetzes vom materiellen Unrecht". Schröder, ZStW Band 61, S. 87, ging zwar damals von einer geltungsunabhängigen Unrechtsbestimmbarkeit aus, jedoch ist der Norminhalt der §§ 3 ff. insoweit heute erheblich vielschichtiger geworden. m Vgl. § 16 Abs. 1 StGB. 125 Vgl. Jescheck, AT, S. 139, Schönke I Schröder lEser, Vorbem. 64 vor § 3, ferner Dreher, § 3 Anm. 13, Tröndle, LK, Vorbem. 60 vor § 3 und BGH (Urteil vom 20.10.1976 in NJW 1977, S. 508). Die Geltungsunkenntnis kann allenfalls noch eine Bedeutung im Rahmen eines Verbotsirrtums gewinnen, wenn der Täter aufgrund der Geltungsunkenntnis auch über das Verbotensein einer Handlung irrte. 128 z. B. gilt das deutsche Strafrecht unmittelbar nach § 4 StGB dann, wenn der Täter auf einem Schiff einen Mord begeht, ohne daß er auch nur die geringste Ahnung davon hat, daß es sich um ein deutsches Schiff handelt. Das gilt entsprechend für § 3 StGB, wenn der Täter z. B. im Grenzgebiet unbewußt seine Tat auf deutschen Gebiet begeht. In keinem der beiden Fälle gilt das deutsche Strafrecht über § 7 StGB. § 7 StGB gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut nur für Auslandstaten und kann nicht etwa als Auffangnorm für unbewußt im Inland begangene Taten Anwendung finden. 127 Zum Problem der mitbestraften Nachtat im IStR, vgl. Schnorr von Carolsfeld, Heinitz-FS, S. 765 ff. 128 Insoweit bleiben die Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 20.10.1976 (NJW 1977, S. 508) unklar. Zur Vorsatzproblematik im allgemeinen vgl. Schönke I Schröder, § 59 Anm. 19 ff., Lenckner, Handbuch, S. 52 f. Das Wollenselement des Vorsatzes (vgl. dazu Schönke I Schröder, § 59 Anm. 47 ff.) kann sich logischerweise nur auf Handlungs- und Erfolgselemente, nicht aber auf Tätermerkmale beziehen, vgl. dazu Armin Kaufmann, Lebendiges, S. 153. U

U)

H. Die §§ 3 bis 7 StGB und das Unrecht der Tat

55

Beide Funktionen lassen sich in der Theorie gut unterscheiden. Stellt man aber konkret die Frage nach der Legitimität der geltungsbereichsrechtlichen Erfassung und danach nach dem Grund für die tatbestandliche Umgrenzung, so verwischen sich die Konturen zusehends. Jede tatbestandsergänzende GB-Norm muß sich die Überprüfung auf die Strafwürdigkeit des darin umschriebenen Verhaltens gefallen lassen. Als GB-Regelung bedarf sie darüber hinaus, wie alle anderen GB-Faktoren auch, einer Regelungslegitimation, d. h. der zu regelnde Sachverhalt muß einen ausreichend engen Bezug zur Wertestruktur des deutschen Gesetzgebers aufweisen und es muß, gerade im Hinblick darauf, ein Bewertungs-, Bestimmungs- und Strafbedürfnis des deutschen Strafrechts anzuerkennen sein129•

120 Dazu oben § 3 I 2. Schmidhäuser, ZStW Band 71, S. 561 f. weist in einem anderen Zusammenhang darauf hin, daß objektive Bedingungen der Strafbarkeit auch aus kriminalpolitischen Gründen oder solchen der Prozeßökonomie und darüber hinaus allgemein soweit vorstellbar sind, als dies überhaupt (noch) mit den Zwecken des staatlichen Strafens vereinbar sei. Insoweit schließt sich bei den Normen, die den Bewertungsanspruch des staatlichen Strafrechts abstecken, der Kreis: Die Aufgabe des Strafrechts ist auch hier Legitimation und Begrenzung zugleich. Ähnlich Stratenwerth, ZStW Band 71, S. 572 ff.

§ 4. Die §§ 3 bis 7 StGB als allgemeines sachliches Geltungsbereichsrecht I. Der terminologische Streit der Literatur Während die Regelungen des sog. IStR allgemein als solche des strafrechtlichen Geltungsbereichs angesehen werden1, ist heftig umstritten, wie dieser Geltungsbereich näher zu erklären ist. So wird das sog. IStR völlig uneinheitlich entweder als die Regelung des räumlichen!, des örtlichen3 , des sachlichen4, des persönlich-sächlichen5 , des persönlichen' oder des internationalen Geltungsbereichs 7 empfunden, wobei allgemein dieser von der zeitlichen Geltung eines Gesetzes oder dessen Inkraftsein8 , selbstverständlichen Voraussetzungen jeder Gesetzesgeltung, deutlich unterschieden wird9 •

n.

Kritik und eigener Vorschlag

Alle aufgezeigten konkretisierenden Bezeichnungen leiden m. E. an einer gewissen Einseitigkeit und vernachlässigen die gesetzlichen Differenzierungen in den §§ 3 ff. 1. Der "internationale" Geltungsbereich?

Soweit der in den §§ 3 ff. geregelte Geltungsbereich als "internationaler" bezeichnet wird, begegnen dem dies€lben Bedenken, die sich schon 1 Vgl. nur Schönke I Schröder, Vorbem. 1 vor § 3, Dreher, § 3 Anm. 1, Lackner, Vorbem. 1 vor § 3, Trändle LK, Vorbem. 1 vor § 3. 2 Schmidhäuser, AT, S. 62, 97, Schroeder, GA 1968, S. 353, Germann. SchwZstR Band 69 (1954), S. 237, Maurach, AT, S. 117 und Nachtrag, S. 8f., wohl auch Schultz, in v. Weber-FS, S. 307 ff., ders., GA 1966, S. 193. a Mezger I Blei, AT, S. 35 f. , Binding, Handbuch I, S. 371. 5 Baumann, AT, S. 74 ff., v. Rohland, S. 2. e Nowakowski, ÖstZöffR 1955, S. 142. 7 Jescheck, AT, S. 127 ff. 8 Geregelt in § 2 StGB. • Der Versuch von Schroeder, GA 1968, S. 253, und Schmidhäuser, AT, S. 97, im Anschluß an Nawiasky (S. 13 f., 99 ff.) die Unterschiedlichkeiten des

räumlichen und des zeitlichen Geltungsbegriffs allein aus dem Unterschied von primärer und sekundärer Norm herzuleiten, vermag nicht so recht zu überzeugen. Es wird dabei vergessen, daß sich die Vorschriften des IStR letztlich auch nicht immer direkt an die Rechtsgenossen wenden. Sie stellen eher eine Art von Organisationsnormen des materiellen Strafrechts dar.

H. Kritik und eigener Vorschlag

57

gegen die Bezeichnung des Geltungsbereichsrechts allgemein als "internationales Strafrecht" gerichtet haben10. Darüber hinaus scheint er ignorieren zu wollen, daß durch § 3 StGB gerade auch die Geltung des deutschen Strafrechts im Inland positiv geregelt ist und die meisten Straftaten, die vor deutschen Gerichten zur Aburteilung anstehen, auch im Inland begangen worden sind, nationale Strafgewalt also vor allem im Inland Bedeutung gewinnt. 2. Der "räumliche" oder "örtliche" GeItungsbereich?

Der Ausdruck "räumlicher" oder "örtlicher" Geltungsbereich impliziert gewissermaßen rein örtliche, in Quadratmetern faßbare Abgrenzungen. Dies zu Unrecht, weil der Geltungsanspruch des Strafrechts, anders als die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit, eben nicht abschließend räumlich fixierbar istl1 • Damit wird der Begriff seiner Verdeutlichungsfunktion nicht gerecht, zumal das StGB in den §§ 84 Abs. 1, 85 Abs. 1, 86 Abs. 1, 86 a Abs. 1, 87 Abs. 1, 88, 91, 100 Abs. 1, 109 f., 234 a Abs. 1 unter dem räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes unzweifelhaft einen flächenmäßig begrenzten Raum versteht12 . Die bloße Feststellung, in diesem Zusammenhang werde eben vom "räumlichen Geltungsbereich" gesprochen 13 , vermag allein nicht zu überzeugen. 3. Der "persönliche" Geltungsbereich?

Ungeeignet, weil ebenfalls nur einen Teil der Regelungskriterien der §§ 3 ff. StGB aufgreifend, ist auch die Bezeichnung als "persönlicher Geltungsbereich"14. Zudem wird darunter üblicherweise und durchaus anschaulich die persönliche Verfolgbarkeit einer an sich tatbestandsmäßig handelnden Person verstanden, also die Frage, ob trotz der Geltung des StGB im Sinne der §§ 3 ff. StGB völker- oder staatsrechtliche Rechtsinstitute die Strafbarkeit oder die Strafverfolgung des Täters im Einzelfall ausschließen16, der Täter also letztlich von der Anwendung des deutschen Strafrechts bewahrt bleibt.

Oben § 1 IH, Baumann, AT, S. 74. Gleichfalls ablehnend Nowakowski, ÖstZöffR 1955, S. 19, Vogler, in Maurach-FS, S. 595, Roggemann, Recht in Ost und West 1974, S. 186, ähnlich Bemmann, AT, S. 74. 12 Langrock, S. 39 ff., Schönke I Schröder, Vorbem. 12 a vor § 80, Dreher, Vorbem. 2 vor § 80. 13 So Schmidhäuser, AT, S. 97. 1f So auch Nowakowski, ÖstZöffR 1955, S. 19. 15 Dazu oben § 2 H 2; vgl. auch Jescheck, AT, S. 142 ff. 10 11

58

§ 4. Allgemeines sachliches Geltungsbereichsrecht

4. Die §§ 3 bis 7 StGB als Regelung des allgemeinen sachlichen GeItungsbereichsrechts

Alle diese Termini scheinen ihre Entstehung einer mehr oder weniger starken Anlehnung an eines der sog. Prinzipien des IStR zu verdanken l6 • Dabei werden jeweils ein oder mehrere Anknüpfungsmomente in einer Weise hervorgehoben, die die Vielfalt der Anknüpfungsaspekte in den §§ 3 ff. StGB verwischt und zu Unrecht in den Hintergrund treten läßt. Der richtige Ausgangspunkt scheint mir zu sein, daß das sog. IStR primär die gesetzlichen Regelungen enthält, die mehr oder weniger allgemein festlegen, wann ein bestimmtes Verhalten eines bestimmten Täters am konkreten Ort Bewertungsobjekt des deutschen Strafrechts ist. Auf der gedachten Leiter, auf deren oberster Sprosse der Ausspruch über die strafrechtliche Reaktion des Staates steht, ist die Frage der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts gleichsam die erste Sprosse der Entscheidungsreihel7 • Auf dieser Stufe wird über die Einbeziehung des Verhaltens in den Bewertungsbereich des deutschen Strafrechts entschieden und damit eine erste Weiche über das Ob der Strafbarkeit gestellt. Dabei verwendet das Gesetz Kriterien persönlicher, räumlicher und tatbestandsspezifischer Art18 • Diese weisen Parallelen auf zu Formulierungen wie "räumlicher Geltungsbereich dieses Gesetzes" in den §§ 84 Abs. 1, 85 Abs. 1, 86 Abs. 1, 86 a Abs. 1, 87 Abs. 1, 88, 91, 100 Abs. 1, 109 f., 234 a Abs. 1, zu der Formulierung "als Deutscher" in § 100 StGB aber auch zu den Handlungssubjekts - bzw. Handlungsobjektsumschreibungen der §§ 331 ff. Am eindeutigsten tritt eine Parallele dort zutage, wo eine Norm, wie bei § 91, ausdrücklich als rechtsanwendungsrechtliche Regelung geschaffen wurde l9 • Nur die ausschließliche Beschränkung auf ein rein 18 Ähnlich Nowakowski, aaO, S. 19; zu den sog. Prinzipien des IStR vgl. unten § 6. 17 Ähnlich Vogler, Grützner-FS, S. 150, vgl. auch Mendelssohn-Bartholdy, Festgabe für Kohlers, S. 68 f.: "Zuerst die Bestimmung des Herrschaftsgebiets der Gesetze; dann erst die Bewertung der Handlungen als rechtmäßiger, widerrechtlicher, schuldhafter, deliktischer Handlungen, und zuletzt der Rechtsschutz und die Strafverfolgung, das ist die richtige Folge." Wenn Schönke I Schröder, Vorbem. 8 vor § 3, und Nowakowski, JZ 1971, S. 634, der Tatbestandsprüfung den logischen Vorrang einräumen, so erheben sich dagegen zwei Bedenken: Zum einen wird damit die abstrakte Feststellbarkeit der Strafgewalt geleugnet (vgl. dazu oben § 2 II, aber auch Schönke I Schröder lEser, Vorbem. 1 vor § 3), zum anderen aber auch die gegenseitige Bedingtheit von Geltung und Tatbestandsmäßigkeit (oben aaO und Schönke I Schröder lEser, Vorbem. 1 f. vor § 3). 18 Nowakowski, östzöffR 1955, S. 19, hält zu Recht die verschiedenen Merkmale für "zumindest logisch gleich wesentlich und gleichwertig". 111 Protokolle des SA, S. 1734 f., 1919 ff., Langrock, S. 9.

Ir. Kritik und eigener Vorschlag

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flächenmäßig faßbares Kriterium und der Standort im Besonderen Teil des StGB unterscheidet § 91 StGB von den sonstigen Regelungen des IStR20. Der Weg der Einordnung des Regelungsgehalts des § 91 aF eine Bestimmung, die ihre Entstehung letztlich den Schwierigkeiten des Strafrechts mit dem Inlandsbegriff und der krampfhaften Scheu, die Dinge im gesamtdeutschen Bereich beim Namen zu nennen2t, verdankt - in die §§ 3 ff. StGB schien dem Gesetzgeber bei dessen Schaffung aus zeitlichen Gründen nicht gangbar 22 . Er suchte eine sofortige Lösung der Probleme, die sich aus der Teilung Deutschlands in strafrechtlicher Hinsicht ergeben hatten und wollte nicht erst die umfassende Novellierung des AT durch das 2. StrRG abwarten. Die Reform der Staatsschutzdelikte durch das 8. StÄG vom 25'. 6. 196823 wurde so zum Anlaß einer geltungsbereichsrechtlichen Teilreform genommen, die allerdings gesetzessystematisch durch das zu dieser Zeit noch als Leitprinzip vorangestellte Personalprinzip erschwert war. Sie hat insoweit einen Präzedenzfall für eine spezielle Anwendungsbereichsregelung für einzelne Tatbestandsgruppen geschaffen. Es scheint sich mir nun anzubieten, das Rechtsanwendungsrecht der §§ 3 ff. StGB als Regelung des allgemeinen sachlichen Geltungsbereichsrechts zu bezeichnen. Diese Bezeichnung wird den verschiedenartigen Anknüpfungskriterien des Gesetzes am ehesten gerecht. Dem wären Bestimmungen wie die §§ 91 und 234 a 24 , ferner einzelne Merkmale in Einzeltatbeständen25 als Regelungen des besonderen sachlichen Geltungsbereichsrechts gegenüberzustellen. Beide Rechtsfiguren sind gegeneinander austauschbar. Schließlich wäre es nicht undenkbar aber höchst unpraktisch, den Geltungsbereich jedes einzelnen Gesetzes im unmittelbaren Zusammenhang mit der tatbestandsregelnden Norm zu bestimmen28• Dies scheint mir die Nachteile der spezielleren Bezeichnungen zu vermeiden, vor allem aber dem Rechnung zu tragen, daß vom Gesetz unterschiedliche sachliche Kriterien bei der Bestimmung des Geltungsbereichs der Strafnormen und des Strafrechts überhaupt berücksichtigt 20

Langrock, S. 9 f., vgl. auch Schönke / Schröder, § 91 Anm. 1, Dreher, § 91

Anm.l.

Schroeder, GA 1968, 353. Dazu, inwieweit § 91 aF neben den Regelungen in den Tatbeständen der §§ 84 ff. überhaupt noch sachlich notwendig war, siehe Langrock, S. 9,17. 21

22

BGBl. I, S. 74l. § 234 a StGB enthält an sich bereits eine komplette Geltungsregelung. Dazu unten § 8 V 4. 25 So in den §§ 80 a, 84, 85, 86 a, 100, 109. 28 Dazu oben § 6 IIr 2, § 8 V. 28 24

60

§ 4. Allgemeines sachliches Geltungsbereichsrecht

werden. Diese Bezeichnungen sollen deshalb meinen weiteren Ausführungen zugrunde gelegt werden. Von einem "räumlichen Geltungsbereich" soll in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Sprachgebrauch nur noch dann die Rede sein, wenn rein örtliche Grenzen gesteckt werden sollen. Auch wenn es sich im übrigen bei den zuvor erwähnten räumlichen Geltungsbereichen um echte Tatbestandsmerkmale handeln mag27 , so wirkt das nicht störend. Sind doch nicht nur Ähnlichkeiten, sondern sogar Funktionsidentitäten zwischen geltungsregelnden Normteilen und Tatbestandsmerkmalen einerseits 28 , sowie Doppelfunktionen geltungsregelnder Merkmale 29 andererseits nachzuweisen. Der Zweck des Strafrechts, die Sicherung und Gewährleistung des friedlichen Zusammenlebens der Rechtsgenossen, ist eben nur im Zusammenspiel von geltungsumfangs- und tatbestandsbeschreibenden Normen erreichbarso, wobei mitunter unterschiedliche Kombinationen zu ähnlichen Ergebnissen führen können.

Z7 Zu Formulierungen aus dem Bereich der §§ 84 ff. 8tGB vgl. Langrock, 8.11 ff. 28 Auf die Regelung rechtsanwendungsrechtlicher Fragen im Tatbestand verweist auch Herrmann, 8. 22. 20 Oben § 3 II 3 c, e. 10 Vgl. Binding, Handbuch 1,8.374.

§ 5. Die Kompetenz des Staates zur Regelung des sachlichen Geltungshereichs der Strafgesetze und ihre Grenzen I. Die Kompetenz-Kompetenz für das sachliche Geltungsbereichsrecht

Die Frage, welcher Rechtsordnung ein Staat seinen Strafanspruch verdankt, hat heutzutage stark an Bedeutung verloren. Wenn sie hier, konkretisiert auf die Problematik der Kompetenz-Kompetenz für das sachliche GBR eines Strafrechts, aufgegriffen werden soll, so deshalb, weil daraus - jedenfalls vom theoretischen Ansatz her - Konsequenzen für die Legitimität der staatlichen strafrechtlichen Bewertung von Taten im In- und Ausland gezogen werden können. Leitet ein Strafrecht die Kompetenz für die Regelung des sGBR vom Völkerrecht ab, so kann es von diesem weit eher in die Schranken verwiesen werden, als wenn es sie originär eigenen Rechtspositionen entnimmt. 1. Die Auffassung von der Kompetenz-Kompetenz des souveränen staates

Nach der älteren, vor allem von Binding 1 vertretenen Auffassung von der absoluten Souveränität der Staaten, bestimmt jeder souveräne Staat seinen Straf anspruch "souverän". Jeder Staat besitze "allein ... die Kompetenz-Kompetenz, trotz allen Protesten des Naturrechts"2, wobei völkerrechtliche Konflikte in Kauf genommen werden. 2. Die Auffassung von der Kompetenz-Kompetenz des Völkerrechts

Andere Autoren gehen demgegenüber von der Kompetenz-Kompetenz des Völkerrechts aus 3, wobei man sich aber zum Teil noch im selben Atemzug darum bemüht, festzustellen, daß das Völkerrecht die ihm zustehende Kompetenz-Kompetenz nicht beansprucht habe und somit jeder Landesgesetzgeber sich deshalb darüber auszusprechen habe, "welche Gesetzgebungshoheit er sich in Strafsachen zulegt und welche im In- und Ausland ausgeführten Handlungen er durch seine Behörden Binding, Handbuch I, Binding, Handbuch I, a Wegner, in Festgabe S. 194, Rosswog, S. 37. 1

2

S. 372, 374. S. 374. für Frank, Band I, S. 101 f., 136, Schultz, GA 1966,

62

§ 5. Die Kompetenz des Staates und ihre Grenzen

daraufhin prüfen lassen will, ob sie kriminalrechtliche Sanktionen nach sich ziehen sollen"4. Auch Rosswog will in ganz ähnlicher Weise "die ganz andere ... Frage", ... "ob im geltenden Völkerrecht schon Normen vorhanden sind, die den Geltungsbereich der einzelnen Strafgesetze gegeneinander abgrenzen", säuberlich davon unterscheiden5 • 3. Die "Spielraumtheorie"

Herrschend ist heute die "Spielraumtheorie"6, nach der der staatliche Gesetzgeber auch auf diesem Gebiet grundsätzlich souverän entscheidet, jedoch gewisse völkerrechtliche Regeln zu beachten hat7. 4. Stellungnahme

Der Auffassung Bindings ist zwar zuzugeben, daß kein Staat einen Strafanspruch hat, den er sich nicht nimmt. Eine solche machthungrig anmutende Betonung der Souveränität der Staaten entspricht jedoch in ihrer Zuspitzung dem nationalstaatlichen Denken des vorigen Jahrhunderts, nicllt aber einer der rechtlichen Autarkie entrissenen völkerrechtlich geprägten Staatengemeinschaft der Gegenwarts. Die Auffassung von der Kompetenz-Kompetenz des Völkerrechts retiriert mit dem Eingeständnis der derzeitigen Nichtinanspruchnahme durch das Völkerrecht zwar sogleich auf eine rechtsphilosophische Argumentationsebene. Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß sie nur auf der Anerkennung einer "eigentlichen" Aufgabe des Völkerrechts beruhen kann, "Kompetenzkonflikte" auch im Bereich des Strafrechts abschließend zu regelnD. Sie versetzt sich damit von selbst in eine Konfliktlösungseuphorie, die die nie zu vermeidende Möglichkeit mehr, Schultz, GA 1966, S. 194. - Wesentlich weiter ging die Rechtsansicht des französischen Staates im sog. Lotusstreit. Frankreich verlangte, daß die türkischen Gerichte zum Beweis ihrer Zuständigkeit einen Titel vorweisen, den das internationale Recht zugunsten der Türkei anerkenne. Vgl. dazu Wegner, Festgabe für Frank, Band I, S. 103, Rosswog, S. 77, Schlochauer, S. 48 ff. mit deutscher übersetzung des Urteils auf S. 71 ff. S Rosswog, S. 37. o Als ein Unterfall dieser Theorie kann auch die Auffassung von Glatzel gewertet werden, der von einem völkerrechtlichen "non liquet" ausgeht und lediglich partiell das Prinzip der identischen Norm für Auslandstaten heranziehen will, S. 143, 156. 7 So u. a. Jescheck, AT, S. 128, ders., Maurach-FS, S. 580, Maurach, AT, S. 118, Oehler, Grützner-FS, S. 110, ders., IStR, S. 128, Tröndle LK Vorbem. 12 vor § 3, Herrmann, S. 93, Wille, S. 18, Schönke / Schröder / Es er, Vorbem. 3 vor § 3; wohl auch Mayer, JZ 1952, S. 609 und BGH (Urteil vom 20.10.1976, NJW 1977, S. 507). 8 So auch Oehler, Grützner-FS, S. 110, ders., IStR, S. 128. • Vgl. Schultz, GA 1966, S. 194.

1. Die Kompetenz-Kompetenz für das sachliche Geltungsbereichsrecht

63

facher Interessenbeeinträchtigungen durch einen einzigen Handlungsablauf10 zugunsten einer theoretisierenden Kollisionslösung durch das Völkerrecht leugnet. Eine solche ist jedoch weder in den materiellen Regelungen des Völkerrechts noch in denen des innerstaatlichen Rechts auch nur in Ansätzen verwirklicht. So hat auch der STIG im Lotus-Fall entgegen der französischen Rechtsansicht erkannt, daß den Staaten vom internationalen Recht eine große Freiheit gelassen wird, ihre Gesetze auf Personen, Vermögen und Handlungen außerhalb ihres Staates anzuwenden, solange sie nur die Grenzen nicht überschritten, die das internationale Recht ihrer Zuständigkeit ziehe l l ; innerhalb dieser Grenzen finde sich die Grundlage dagegen in ihrer Souveränität1 2 • Diese ausdrücklich auf das Recht der damaligen Zeit bezogene Erkenntnis von der Schrankenfunktion des Völkerrechts hat indes nichts von ihrer Aktualität verloren13 • Das Völkerrecht hat weder seine grundsätzlichen Schranken für die Beanspruchung des Straf anspruches durch die Einzelstaaten neu formuliert oder gar zu einem zuteilenden System erweitert14, noch ist in einer Zeit der - als solche durchschauten Machtpolitik eine Hinwendung zum Völkerrecht im Sinne einer umfassend kompetenzverteilenden Rechtsmaterie zu erkennen15 • Auch die zahlreichen Entschließungen, Vorschläge und Empfehlungen internationaler Strafrechtskongresse16 blieben insoweit weithin im Bereich des Unverbindlichen. Bindende internationale Vereinbarungen wurden jedenfalls nur für Teilbereiche getroffen, die keine allgemeinen Schlüsse auf eine Kompetenz-Kompetenz des Völkerrechts im Bereich der sachlichen Geltung des Strafrechts erlauben. Jescheck, Maurach-FS, S. 582, Rosswog, S. 100 ff. Vgl. dazu Rosswog, S. 87 f. - Die Position des STIG ist als die einer generellen Erlaubnis des Völkerrechts mit speziellen Verboten zu bezeichnen und beruht damit, trotz der Weite der einzelstaatlichen Freiheiten, nicht auf der Selbstberechtigung der Staaten, sondern auf dem Völkerrecht. Dazu Granitza, S. 121 ff. Jedoch bedeutet dies wiederum auch nicht die Anerkennung einer eigentlichen Aufgabe des Völkerrechts zur Verteilung strafrechtlicher Kompetenzen. 12 Gegen eine solche Sicht der "Souveränität" als Rechtsinhaltsbegriff und nicht als bloße Realität in der geschichtlichen Wirklichkeit, die nicht Sitz oder Ursprung immanenter Rechtspositionen sein könne, Rosswog, S. 93 ff., m. w. Nachw. zum Verhältnis staatlicher Souveränität - Völkerrecht. 13 Vgl. Rosswog, S. 100 ff. 14 Vgl. GlatzeI, S. 119 f., 126. 15 Eher Gegenteiliges ergibt sich aus dem Verallgemeinerungsverbot in Art. 3 Abs. 3 des Abkommens über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14.9.1963 (BGBl. 1963 II 122). 18 Vgl. im einzelnen dazu Oehler, IStR, und Jescheck, Maurach-FS, S. 582. 10

11

64

§ 5. Die Kompetenz des Staates und ihre Grenzen

Ob man dabei vom theoretischen Ansatz her von einer aus dem Völkerrecht oder aber einer originär aus der Funktion des Staates abgeleiteten Rechtspositionen ausgeht17, mag in diesem Zusammenhang dann letztlich doch offenbleiben, da beide Auffassung eher theoretisierenden Modellen gleichen und jeweils grundsätzliche Schranken der staatlichen Strafrechtsanwendung18 anerkennen. Diese können nach Lage der Dinge dem Völkerrecht oder dem nationalen Staats- und Verfassungsrecht zu entnehmen sein 19• Wo sie aber, sei es im Grundsatz oder im Detail, anzusiedeln sind, ist bis heute Gegenstand zahlloser Kontroversen, wobei nicht selten rechtspolitische Zielvorstellungen zu Sätzen des geltenden Rechts emporstilisiert werden20 • 11. Die Grenzen der Regelungsbefugnis im Hinblick auf das sachliche Geltungsbereichsrecht 1. Völkerreclltliclle Grenzen a) Unsicherheitsfaktoren bei der Schrankenziehung

Schon die Suche nach völkerrechtlichen Verbotsnormen erweist sich als äußerst schwierig 21 • Das ist nicht verwunderlich auf einem Rechtsgebiet wie dem Völkerrecht, das seiner Struktur nach zu den primitiven Rechten zu zählen ist, weil es sich weitgehend auf gewohnheitsrechtliche und damit unsichere Rechtsgrundlagen gestellt sieht22 • "Bloß aus der Souveränität, aus der eigenen als Berechtigung und aus fremder als Schranke, lassen sich kaum konkrete Einzelsätze ableiten23 ." Verallgemeinerungsfähige völkerrechtliche Verträge, denen generell bedeutsame und eindeutige Schranken des sachlichen GB entnommen werden könnten, fehlen nach wie vor 24 • Auch das Völkergewohnheitsrecht kann als weitere völkerrechtliche Rechtsquelle bei der recht unterschiedlichen Gesetzgebungspraxis der einzelnen Staaten, deren einzige gemeinsame Überzeugung darin besteht, ihre meist geschichtlich gewachsenen unterschiedlichen sGBR-Regelungen für völkerrechtsgemäß zu halten, keine eindeutigen Grenzen zu setzen. 17 Dazu Wengler, Völkerrecht Band H, S. 935, Granitza, S. 121 ff. m. w. Nachw. 18 Wengler, aaO, S. 935 ff., Granitza, aaO, S. 121 ff. 18 Germann, aaO, S. 237 ff. 20 Schroeder, NJW 1969, S. 83. 21 Vgl. Schultz, GA 1966, S. 194, Schiffer, S. 281; ähnlich BGH (Urteil v. 20. 10. 1976, NJW 1977, S. 507). !2 Kunz, in strupp-Schlochauer, 3. Band, aaO, .S 612. !3 Granitza, aaO, S. 126, vgl. auch Schlochauer, S. 39. Z4 Siehe Oehler, IStR, S. 12 ff.

H. Die Grenzen der Regelungsbefugnis

66

b) Die identische Tatortnorm

Die Inanspruchnahme eigener Strafgewalt für Auslandstaten ohne Bindung an eine Tatortnorm wegen eines souveränitätsbeschränkenden Eingriffs in die Freiheiten des Tatorts generell als völkerrechtswidrig zu erachten25 , scheitert bereits an der offensichtlich möglichen Interessendivergenz der jeweils beteiligten Staaten. Will ein Staat seine Existenz nicht selbst gefährden, so muß er sich eben vor allem selbst gegen staatsgefährdende Handlungen strafrechtlich schützen und zwar unabhängig davon, wo die Tat begangen wird26 • Die existentielle Bedeutung dieser Legitimation berechtigt zum Verzicht auf die Berücksichtigung des Tatortrechts, das in der Regel auch lediglich auf den Schutz der eigenen Institutionen und des eigenen Staates zugeschnitten ist27 und einen Fremdstaatenschutz nicht selten gänzlich vermissen läßt28 • Die Forderung nach der unbeschränkten Anwendung des Prinzips der identischen Norm verbietet sich deshalb von selbst. Nur der materielle Gehalt des jeweiligen geltungsbereichsrechtlichen Ansatzpunktes kann zeigen, wann eine Normidentität im Einzelfall zu fordern ist29 • c) Die völkerrechtliche Bedeutung der Kollision widerstreitender Pflichten aus verschiedenen Rechtsordnungen

Der strafrechtsanwendungsbereichsbegrenzend gedachte Verstoß Jeschecks, das Verhalten eines Staates als völkerrechtswidrig zu bezeichnen, "der seinen Angehörigen unter Strafdrohung ein Verhalten anbefiehlt, das im Gegensatz zu den Geboten steht, deren Beachtung der ausländische Staat auf seinem Hoheitsgebiet verlangt"30, setzt in Wahrheit nicht an der den sGB regelnden Norm, sondern an dem tatbestandlichen Verhaltsappell an. Hier wäre es zugegebenermaßen die vorrangige Aufgabe des Völkerrechts, zu klären, welches Recht in seinen Geboten und Verboten den Anforderungen des Völkerrechts entspricht31 • Erst wenn beide Verhaltensappelle an sich dem Völkerrecht entsprechen, kann einem Strafrechtsanwendungsverbot für den nicht den Tatort beherbergenden Staat aus völkerrechtlichen Gründen das Wort geredet werden. Verlangt beispielsweise der Staat A von seinem Staatsangehörigen, daß er So im Hinblick auf das Auslieferungsrecht Mörsberger, S. 20. Jescheck,IntRuD 1956, S. 86, Vogler, Grützner-FS, S. 155. !7 Germann, S. 245. 28 Auch dies ein Beispiel für die begrenzte Regelungsintention des staatlichen Strafrechts, dazu oben § 3 11,2; ferner Vogler, Grützner-FS, S. 155. 29 Dazu unten § 6. ao Jescheck, IntRuD 1956, S. 84. 31 Vgl. Mayer, JZ 1952, S. 609. 25

28

5 Zieher

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§ 5. Die Kompetenz des Staates und ihre Grenzen

auch im Ausland keine Staatsgeheimnisse preisgibt, und der Staat B, auf dessen Territorium sich der Bürger des Staates A vorübergehend befindet, von ihm die Preisgabe, so wäre zunächst zu klären, welche der beiden Aufforderungen dem Völkerrecht entspricht. Nur wenn beide völkerrechtsgemäß sind, ist festzustellen, daß es das Völkerrecht jedenfalls nicht zulassen sollte, daß sich eine Person in einem Land wegen sich widersprechender staatlicher Verhaltensappelle jedenfalls immer strafbar macht. Der Staat A hätte dann das Territorium des Staates B von der sachlichen Geltung des Verbots, Staatsgeheimnisse preiszugeben, auszuschließen32, ohne daß er dazu allerdings gegenüber anderen Staaten mit nicht konträren Verhaltensappellen völkerrechtlich verpflichtet wäre - ein Ergebnis, das nur bedingt auch durch innerstaatliche Ausschlußregelungen zu erreichen ist33, von dem aber nicht verschwiegen werden soll, daß es in der völkerrechtlichen Praxis bislang keine Bestätigung gefunden hat. d) Das Hoheitsgebiet als Grenze der sachlichen Geltung der Strafgesetze?

Das Hoheitsgebiet des Staates als der unmittelbare Wirkungsraum der staatlichen Rechtsordnung stellt nach heute allgemeiner kontinentaler Rechtsauffassung keine völkerrechtliche Grenze des sGB des staatlichen Strafrechts dar34 • Selbst im anglo-amerikanischen Rechtskreis wird die Territorialitätsbezogenheit des Strafrechts heute nicht mehr als unumstößliches Dogma gesehen35 • Das Hoheitsgebiet des Staates steckt zwar die Grenzen der unmittelbaren staatlichen Machtausübungsbefugnis, nicht aber den GB seiner Gesetze ab 36 • Lediglich die sekundäre, an die staatlichen Vollzugsorgane gerichtete Norm unterliegt diesen Grenzen, während die primäre, an den Einzelnen gerichtete Norm, durchaus in der Lage ist, Auslandssachverhalte in ihren Bewertungshorizont einzubeziehen37, auch wenn dadurch zweifellos ein gewisses Hineinwirken auf das Gebiet anderer Staaten erfolgt38 • Dies gilt gerade auch für das Strafrecht, obwohl es 32 Immer unter der Bedingung, daß der materielle Verhaltensbefehl als solcher völkerrechtsgemäß ist! 33 Das folgt aus deren andersartiger Interessenausrichtung, dazu unten § 5 II 2 b, cc. 34 Dahm, VöR, Band I, S. 256, Wengler, Völkerrecht, Band II, S. 939, Rosswog, S. 100 ff. bedenklich deshalb Oehler, Territorialitätsprinzip, S. 54: "Das TP schließt im Grunde andere Prinzipien des internationalen Strafrechts bezüglich derselben Tat - von Ausnahmen abgesehen - aus." 35 Wagner, S. 94 ff. 3B Dahm, VöR, aaO. 37 Rosswog, aaO, Dahm, aaO, Schroeder, NJW 1969, S. 81. 38 Schroeder, NJW 1969, S. 81.

Ir. Die Grenzen der Regelungsbefugnis

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als Prototyp staatlicher Selbstverwirklichung an sich keine Befugnis zur realen Strafrechtspflege im Sinne eines hoheitlichen Strafnormenvollzugs auf fremdem Gebiet besitzt39• e) Die allgemeine Schranke des Rechtsmißbrauchs

Was als völkerrechtliche Schranke des strafrechtlichen Anwendungsbereichs noch verbleibt, ist das allgemeine Verbot des Rechtsmißbrauchs40. Seine Konkretisierungen bleiben bezeichnenderweise allerdings sehr vage. Danach sollen "irgendwelche, nicht zu fern liegende Beziehungen der ausländischen Tatbestände zu der eigenen Ordnung"4!, "ein vernünftiger Anknüpfungsgrund"42 oder auch nur "Beziehungen der ausländischen Tatbestände zum Inland"43 oder ein bestimmtes sachliches Interesse, eine hinreichende Legitimation zu einer strafrechtsgeltungsbegründenden Norm verschaffen, also insoweit einen Rechtsmißbrauch ausschließen. Aus dem Rechtsmißbrauchsgedanken allerdings, wie Granitza4 4, "einen von allen Staaten zu respektierenden, ... schon aus der Natur der Sache" sich ergebenden völkerrechtlichen Rechtssatz herzuleiten, daß die "Anknüpfungspunkte des Strafrechts ... in einem gewissen Rang- und Ordnungsverhältnis" stehen, so daß "der nur einen minderrangigen Anknüpfungspunkt vertretende Staat sich nicht mit dem "höherrangigen" Staat in Widerspruch setzen darf", weil er sonst "die natürliche Ordnung der Anknüpfungspunkte" stört44, erscheint m. E. denn doch zu kühn. Die Feststellung von Schultz45 , "es würde außerordentliche Mühe bereiten, nachzuweisen, daß eine bestimmte landesrechtliche Regelung völkerrechtlich eindeutig unzulässig oder gar geboten ist", bleibt vielmehr auch insoweit gültig, d. h. derartige Konstruktionen sind mehr Wunsch als Wirklichkeit. Das entpflichtet allerdings nicht von der Aufgabe, die einzelnen Regelungen des sachlichen GBR daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht im konkreten, von besonderen Zuordnungen geprägten Einzelfall jene "äußerste Grenze für 39 40

Schroeder, NJW 1969, S. 81. Jescheck, AT, S. 128, ders., in Strupp I Schlochauer, Band 3, S. 397, Dahm,

VöR, Band 1, S. 256. 41 Dahm, VöR, Band 1, S. 256. vom 20.10. 1976, NJW 1977, S. 507). 42 Jescheck, in Strupp I Schlochauer, Band 3, S. 397, ähnlich BGH (Urteil vom 20. 10. 1976, NJW 1977 S. 507). 43 Verdross, VöR, 1964, S. 319. U Granitza, S. 128 f. 45 GA 1966, S. 194, zustimmend Schroeder, NJW 1969, S. 82; ähnlich BGH (Urteil vom 20. 10. 1976, NJW 1977, S. 507).

68

§

5. Die Kompetenz des Staates und ihre Grenzen

das staatliche Strafanwendungsrecht"46 überschreiten, die durch das Völkerrecht ihnen gezogen ist47 • 2. staatsrechtliche Schranken a) Aus Art. 23 GG?

Der Versuch von Bockenförde, staatsrechtliche Schranken für die staatliche Strafbefugnis unmittelbar aus Art. 23 GG abzuleiten48 , beruht m. E. auf einer Überdehnung des - staatsrechtliche Zuordnungen regelnden - Art. 23 GG. Diese erklärt sich aus einer mangelnden Differenzierung zwischen primären und sekundären Normen49 • Genausowenig wie Art. 23 GG eine steuerrechtliche oder vermögensrechtliche Anknüpfung an Auslandssachverhalte verbieten will50, ist darin eine Abkehr von der nicht erst in der Weimarer Zeit erkannten und ergriffenen Möglichkeit einer innerstaatlichen strafrechtlichen Reaktion auf Auslandssachverhalte unter bestimmten Umständen zu sehen. b) Aus dem Verhältnis der Staatsgewalt zum Einzelnen?

Zur Lösung der Problematik des sog. Überfalls auf den Täter mit einem fremden Strafgesetz und seiner Unterwerfung unter einen doppelten Gehorsamsanspruch sind mitunter aus dem Verhältnis der Staatsgewalt zum Einzelnen staatsrechtliche Schranken des sachlichen Geltungsbereichsrechts entwickelt worden. aal Die Theorie von Germann Germann51 hat versucht, die zeitlichen Grenzen des Strafgesetzes52 auf den Raum zu übertragen, "weil das Bewußtsein von Recht und Unrecht und insbesondere des strafbaren Unrechts in erster Linie von der Umwelt abhängt, in welcher man lebt", Umwelt aber heute "nicht mehr in erster Linie personal, sondern räumlich-territorial" bestimmt seis3 • Nach dem Durchbruch des Schuldprinzips führt dies m. E. jedoch allenfalls zu der grundsätzlichen Erkenntnis, daß das TerritorialitätsOehler, IStR, S. 128. Ähnlich Rosswog, aaO, S. 112; wohl auch BGH (Urteil vom 20.10.1976, NJW 1977, S. 507). 48 Böckenjörde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 96. 48 Schroeder, NJW 1969, S. 83. Zu der Unterscheidung in primäre und sekundäre Normen, oben 1 d. 50 Zum Regelungsgehalt des Art. 23 GG siehe Maunz, in Maunz / Dürig / Herzog, Art. 23 GG, insbes. Anm. 10 ff. 46

47

51 52

tIS

Germann, S. 240. Vgl. Art. 103 Abs. 2 GG, § 2 StGB. Germann, S. 240.

II. Die Grenzen der Regelungsbefugnis

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prinzip die beste Gewähr gegen eine die Freiheit und die Rechtssicherheit des Einzelnen in Frage stellende, als Willkür empfundene Strafgewalt ist54, nicht aber zu besonderen rechtsstaatlichen Schranken für Auslandstaten55 • Der ausländische Täter ist damit lediglich dem inländischen gleichgestellt. bb) Die Unkenntnis von der Geltung des Strafgesetzes und der Strafbarkeit Ausländische wie inländische Täter schützt weder die Unkenntnis von der Geltung des deutschen Strafgesetzes noch die Unkenntnis von der Strafbarkeit als solcher56 vor Strafe, soweit beim Täter nicht das Bewußtsein fehlt, daß die Handlung möglicherweise gegen irgendwelche, wenn auch im einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen verstößt57 • D. h. beim Täter muß lediglich eine generelle Einsicht in die Gemeinschaftswertwidrigkeit seines Verhaltens bestehen58, ohne daß er insoweit einen konkreten gedanklichen Bezug zum deutschen Strafrecht, seiner Geltung und zu dessen Unwerturteil über sein Verhalten haben muß. Es genügt, wenn der Täter erkennt, daß sein Handeln von der Norm eines sich oder andere schützenden Staates erfaßt wird59 • Das Wissen des Täters um abweichende Wertentscheidungen anderer Gesetzgeber muß deshalb keineswegs das Fehlen eines Unrechtsbewußtseins beim Täter bewirken. Das ist nur dann der Fall, wenn der Täter daraus den falschen Schluß auf eine nicht nur relative, sondern umfassend anerkannte Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zieht60 • Ansonsten ist ein nur auf einzelne Rechtsordnungen bezogenes und damit partielles Unrechts bewußtsein durchaus vorstellbar. So wird in aller Regel die Ahndung einer nur nach deutschem, nicht aber nach dem Germann, S. 240. Schroeder, NJW 1969, S. 84. 58 Schönke/ Schröder, § 59 Anm. 117ff., Welzel, AT, S. 157, 171, Schroeder, NJW 1969, S. 84, ders., (kritisch) LK, § 59 Anm. 117. 67 RGSt. 70, 142, BGHSt. (GS) 11, 266, Schönke / Schröder, § 59 Anm. 117; vgl. auch Schönke / Schröder / Es er, Vorbem. 64 vor § 3. 58 Schönke / Schröder, § 59 Anm. 118. 50 Oehler, IStR, S. 384, ders., Grützner-FS, S. 116 f., der allerdings die 54

55

Unterschiede zwischen der Geltung als solcher und der Strafbarkeit im konkreten Einzelfall zu verwischen scheint (vgl. IStR, S. 384); enger Germann, S. 248: Bei Auslandstaten von Ausländern sei Voraussetzung, daß der Täter sich offenbar bewußt gewesen sei, daß er Interessen des aburteilenden Staates schädigt oder gefährdet. 80 Wegner, Festgabe für Frank, Band I, S. 148, will demgegenüber bei Auslandstaten, für die es am Tatort keine verbietende Norm gab, im Inland freisprechen, weil insoweit eine Vermutung für einen Geltungsirrtum und gegen eine Schuld spreche.

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§ 5. Die Kompetenz des Staates und ihre Grenzen

Tatortrecht strafbaren Abtreibung im Ausland, nicht an der Unkenntnis des deutschen Täters61 von der Auslandsgeltung des § 218 StGB in bestimmten Fällen scheitern. Soweit der Täter keine Kenntnis von der Geltung des deutschen Strafrechts besitzt und ihm diese Unkenntins nicht vorzuwerfen ist, so ist die Folge dieser Unkenntnis nie die Beschränkung des sachlichen Geltungsbereichs des deutschen Strafrechts im Einzelfall62 , sondern allenfalls die Straffreiheit des Täters mangels Schuld. In diesem rechtsstaatlichen Verzicht auf die Strafbarkeit im Einzelfall nach einer durchgängigen Bewertung des Sachverhalts manifestiert sich gerade kein Verzicht auf den Normappell oder die Geltung des Strafrechts, sondern ein Verzicht auf die Anwendung der strafrechtlichen Rechtsfolgen einer Tat. Streng davon zu trennen ist schließlich die Unkenntnis des Täters von einem Umstand, der nicht nur eine geltungsbereichsregelnde, sondern auch tatbestandsergänzende Funktion besitzt63 • Eine solche Unkenntnis führt in jedem Falle zu einem nach § 16 Abs. 1 StGB vorsatzausschließenden Irrtum, mag auch ein - eventuell zusätzlich vorliegender - Geltungsirrtum die Schuld des Täter nicht völlig ausschließen. ce) Die staatsrechtliche Bedeutung der Kollision widerstreitender Pflichten aus verschiedenen Rechtsordnungen Normwidersprüche zwischen verschiedenen Rechtsordnungen und damit sich widersprechende Verhaltensappelle zwischen Tatort- und Aburteilungsstaat können den einzelnen Bürger mitunter in erhebliche Pflichtenkollisionen führen. Vor allem dann, wenn zwei oder mehr Rechtsordnungen von der selben Person gleichzeitig ein diametral entgegengesetzes Verhalten verlangen. Das Beispiel einer über einen weiten Befehlverweigerungstatbestand erreichten Handlungspflicht des Tatortstaates, der die durch eine Landesverratsbestimmung strafrechtlich sanktionierte Pflicht des Heimatstaates gegenübersteht, derartigen Pflichten gerade nicht nachzukommen, mag die Problematik andeuten. Innerstaatliche gesetzliche Notstandsregelungen sind nur bedingt geeignet, die internationale Problematik in ihrem Bedeutungsgehalt richtig zu erfassen64 , weil sie als nationale Ausschlußregelungen eben § 5 Nr. 9 StGB; unten § 8 VIII. Dazu oben § 3 II 3 e. Sehr mißverständlich Glatzel, S. 26, der dem Gesetz insoweit die "Geltung" abspricht, damit aber eine "empirische Geltung" meint. 83 Oben § 3 II 3 c, e. U Zu Lücken "praeter legern", vgl. Germann, S. 248. 81 82

II. Die Grenzen der Regelungsbefugnis

71

nur für Problemfälle in der eigenen, einheitlichen Rechtsordnung85 hin konzipiert sind66 . Eine solche Basis einer als gedanklichen Einheit erkennbaren rechtlichen Interessenübereinstimmung, oder zumindest der Interessengleichrichtbarkeit, ist in Fällen der mit Strafrechtsdrohungen verbrämten real zutagetretenden staatlichen Machtgegensätze nicht einmal im theoretischen Ansatz zu erreichen67 . Generelle nationale gesetzliche Regelungen sind deshalb nicht zu erwarten und auch nicht angebracht. Nur das Völkerrecht könnte an sich durch die Schaffung einer übergeordneten allgemeinen Friedensordnung hinreichende Schranken für staatliche Machtansprüche schaffen, was es bislang allerdings noch keineswegs getan hat. Die damit wegen der Primitivität des Völkerrechts für den Täter unter Umständen real entstehende Zwangslage kann innerstaatlich wohl nur unter Heranziehung des Gedankens der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens angemessen aufgelöst werden. Der vom BGH in einem anderen Zusammenhang postulierte Satz: "Wer in einer Gemeinschaft lebt, muß das Recht, das in ihr gilt auch gegen sich gelten lassen"68, deutet die Lösung der Kollision zwischen deutschem und ausländischem Strafrecht bei Auslands- wie bei Inlandstaten an. In Fällen, in denen für den Auslandstäter am Tatort "eine Zwangssituation ähnlicher Stärke besteht, wie sie in § 35 StGB als schuldausschließend anerkannt wird"69, kann für den Täter ein normgemäßes Verhalten im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände unzumutbar sein7o • Dort, wo die Rechtsunsicherheit bereits durch andere Rechtsordnungen geschaffen wurde, können die, wegen der befürchteten Rechtsunsicherheit erhobenen Bedenken der herrschenden Meinung gegen eine generelle Anerkennung dieses übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes71 , jedenfalls nicht geteilt werden. Wenn das deutsche Strafrecht schon auf seine Geltung nicht verzichten kann, so kann es dem Täter zumindest keinen Schuldvorwurf machen72 , wenn er nur auf eine - nach deutschem Strafrecht rechtswidrige Weise - einer 65

Zum Prinzip der Einheit der Rechtsordnung vgl. Engisch, aaO, Hesse,

S.l1.

8ft Das gilt auch für die §§ 34 und 35 StGB, vgl. dazu Schönke / Schröder / Lenckner, Vorbem. 28 vor § 32. - Zur Pflichtenkollision innerhalb eines staatlichen Rechtskreises vgl. Otto, S. 38, 44. 67 Vgl. Nowakowski, JZ 1971, S. 636. 68 BGHSt. 4, 3. 19 Baumann, AT, S. 476 f. 70 Baumann, AT, S. 475 ff., Schönke / Schröder / Lenckner, Vorbem. 110, 111 vor § 32. 71 Nachweise bei Baumann, AT, S. 475 ff., Lenckner, Handbuch, S. 44, 68 f., 74 ff., WesseIs, S. 79. 72 Wegner, Festgabe für Frank, Band I, S. 151, ist de$halb für KQl1isions-

fälle zuzustimmen.

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§ 5. Die Kompetenz des Staates und ihre Grenzen

Strafbarkeit am Tatort entgehen kann73 . Der Verweis des Täters auf den Widerstand gegenüber dem seine Macht mißbrauchenden Staat74 oder seine totale Auslieferung an den Machtstreit sich bekämpfender Pflichtenkreise75, wäre menschlich überaus dürftig, auch wenn Gründe der Staatsräson nicht selten andere Lösungen verhindert haben. dd) Das Erledigungsprinzip Das sog. Erledigungsprinzip im Zusammenhang mit den Schranken des sGBR zu erwähnen, könnte zu Mißdeutungen Anlaß geben, erscheint aber von der Sache her geboten. Nach diesem Prinzip sollen Taten, auf die nach dem jeweiligen sachlichen GBR mehrerer Staaten an sich mehrere Strafgesetze Anwendung finden, nur von einem Staat bestraft und damit letztlich auch nur von einem Strafrecht abschließend bewertet werden. Wegen der jedenfalls zunächst bestehenden Geltung mehrerer Strafgesetze geht es nicht an, es als echte, ursprüngliche Schranke des sGB der Strafgesetze zu bezeichnen. Es bringt vielmehr die Geltung des staatlichen Strafrechts im Nachhinein wieder in WegfalF6. Indes ist seine Anwendung nach deutschem Recht nur im Rahmen besonderer gesetzlicher Regelungen gesichert77. Das für den nationalen Bereich aus der materiellen Gerechtigkeit78 abgeleitete verfassungsrechtliche Gebot des "ne bis in idem"79 erstreckt sich nicht auf die Strafrechtspflege im internationalen Maßstab, sondern ist auf Verfahren vor Gerichten der Bundesrepublik Deutschland beschränkt80 • Die nochmalige Aburteilung gerade auch von Deutschen im Inland wegen einer im Ausland begangenen und dort abgeurteilten Straftat verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen die Menschenrechtskonvention81 • Der deutsche Strafanspruch erlischt nur, wenn ein deutsches 73 Vgl. auch Oehler, IStR, S. 383, der allerdings das ganze Instrumentarium nationaler Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe in bedenklicher Weise auf Fälle mit internationalem Einschlag übertragen will. 7' Schroeder, NJW 1969, S. 84. 75 Otto, S. 38. 78 Ein durchgeführtes Strafverfahren im Ausland ist, soweit das Erledigungsprinzip gilt, ein Verfahrenshindernis, Oehler, IStR, S. 459, DüTig, in Maunz / Dürig / Herzog, Art. 103 Anm. 123. Das führt zur Einstellung des Verfahrens. 77 Zu völkerrechtlichen Bemühungen und zur Rechtslage in anderen europäischen Staaten vgl. Grützner, Anerkennung, S. 346. 78 DüTig, aaO, Anm. 124. 78 Art. 103 Abs. 3 GG. 80 BVerfG NJW 1961, 868, BayVerfG, GA 1963, 250, BGHSt. 6, 177, NJW 1969, 1542, Schönke / Schröder, § 60 Anm. 29, Dreher, § 60 Anm. 16, Tröndle LK, § 60 Anm. 59. 81 BGH bei Herlan, GA 1971, S. 39, Dreher, § 60 Anm. 15.

II. Die Grenzen der Regelungsbefugnis

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Strafverfahren zum Abschluß gekommen ist. Urteile ausländischer Gerichte verbrauchen die deutsche Strafklage nicht, sofern nicht durch einen verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag anderes vereinbart ist82 • Regelungen dieser Art enthalten das Nato-Truppenstatut vom 19. Juni 1951 83 in Art. VII (9) und die beiden Europäischen Übereinkommen über die Übertragung von Strafverfahren von 197284 und über die internatinoale Gültigkeit von Strafurteilen von 197085 • Die grundsätzlich nationale Fixierung des ne-bis-in-idem-Satzes ist die logische Konsequenz der jeweils eigenständigen Strafgewalt des nach seinem eigenen sGBR strafrechtlich zuständigen Staates und der Erkenntnis, daß das asGBR der Staaten kein umfassendes Kollisionsrecht darstellt 86 , und daß nach wie vor unterschiedliche Interessen und Wertvorstellungen seitens der einzelnen Staaten die internationale Situation prägen. Die Einführung eines weltumgreifenden Erledigungsprinzips und damit die Internationalisierung des ne bis in idem87 erscheint auch kaum wünschenswert, da die ideologischen, kulturellen und politischen Gegensätze zwischen den Staaten eine ausreichend breite gemeinsame Wertgrundlage vermissen lassen. Es wäre sicherlich nicht wünschenswert, wenn z. B. ausländische Terroristen, die in Deutschland ein Massaker veranstalteten oder sonstige ausländische Schwerkriminelle nach der Rückkehr in ihr Heimatland unter Anwendung "spezifischer" Milderungsgründe von einem dortigen Gericht mit einer pro-forma Strafe belegt oder gar freigesprochen würden und deshalb in Deutschland strafrechtlich nicht mehr zu belangen wären. Gleichwohl wäre - ohne auf die Differenzierungen bestehender europäischer Verträge im einzelnen eingehen zu wollen - die gesetzliche Fixierung eines begrenzten Erledigungsprinzips aus Praktikabilitätsgründen zu begrüßen88 und der prozessualen Ermessensregelung des § 153 c Abs. 1 StPO vorzuziehen. Dies insbesondere dann, wenn das deutsche Strafrecht seinen Strafanspruch gerade im Interesse konkreter internationaler Solidarität mit anderen Staaten wahrnimmt89 • 82 Argument aus § 153 c, Abs. 1 Nr. 3 StPO, § 51 Abs. 3 StGB; vgl. Kleinknecht, Einl. 8 B, Schäfer, in Löwe I Rosenberg, Band 1, S. 97, Schönke I Schröder, § 60 Anm. 29, Dreher, § 60 Anm. 3. 83 BGBl. 1961 II 1183, 1190. 84 Fundstelle bei Oehler, IStR, S. 14 Anm. 16. 85 FundsteIle und weitere Nachweise bei Jescheck, Maurach-FS, S. 587 Anm.57. 81 Oben § 2 Ir 4. 87 Vgl. Linke, Grützner-FS, S. 87. 88 Vgl. auch Oehler, IStR, S. 458. 8. Dazu unten § 6 III 3 b, IV.

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§ 5. Die Kompetenz des Staates und ihre Grenzen

ee) Das Anrechnungsprinzip Die gegen ein allgemeines Erledigungsprinzip sprechenden Unterschiede der einzelnen Staaten und seine Mißbrauchsmöglichkeiten entfallen beim sog. Anrechnungsprinzip. Danach wird eine vollstreckte ausländische Strafe auf die spätere Bestrafung im Inland angerechnet90 . Das Anrechnungsprinzip wird getragen vom rechtsstaatlichen Gebot der materiellen Gerechtigkeit. Ein Staat, der sich bewußt die an sich seine Möglichkeiten übersteigende Aufgabe gestellt hat, "Gerechtigkeitsstaat"91 zu sein, kann die Anrechnung von im Ausland vollstreckten Strafsanktionen nicht nur als pure Gnade oder bloß billige92 Vergünstigung ansehen. Die rechtsstaatliche Erkenntnis von der "Schuld des Täters an der Tat als - in welcher Form auch immer auftretender Zumessungsfaktor der Strafsanktion"93 verbietet dem deutschen Strafrecht eine von den vollstreckten Sanktionen anderer staatlicher Strafordnungen losgelöste Strafzumessung. Als Form der Berücksichtigung ausländischer Strafvollstreckungen wäre ein Vorabzug bei der Strafzumessung ebenso denkbar wie die allerdings durchschaubarere Form des Abzugs im Urteilstenor. Die Anerkennung des Anrechnungsprinzips bedeutet allerdings keinen Verzicht auf einen eigenen nationalen Strafanspruch. Die Vorzüge des Anrechnungsprinzips gegenüber dem Erledigungsprinzip sind indes zugleich auch seine Nachteile. Erspart das Erledigungsprinzip u. U. die Durchführung eines weiteren Verfahrens im Inland, so setzt das Anrechnungsprinzip ein solches an sich geradezu voraus. ff) Das Opportunitätsprinzip Diese Nachteile werden allerdings für die Praxis in völlig zureichender Weise dadurch ausgeglichen, daß die Staatsanwaltschaft nach § 153 c Abs. 1 Nr. 3 StPO "von der Verfolgung einer Straftat absehen kann, wenn wegen der Tat im Ausland schon eine Strafe gegen den Beschuldigten vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen nicht ins Gewicht fiele". Gegen die Technik des Gesetzes, in diesen Fällen vom Legalitätsprinzip zum Opportunitätsprinzip überzugehen, dürften im Interesse einer dem Einzelfall angepaßten elastischen Regelung keine Einwendungen bestehen. 90 § 51 Abs. 3 StGB, § 60 Abs. 3 StGB, vgl. im übrigen Schönke / Schröder, § 60 Anm. 29 ff., Tröndle LK, § 60 Anm. 59 ff. U Maunz / Dürig, aaO, Art. 20 Anm. 59. 92 So aber Tröndle, LK, § 60 Anm. 59. 93 Dazu Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 255 ff.

§ 6. Die Legitimation zur geltungshereichsrechdichen Erfassung von Taten I. Vorbemerkungen Seit eh und je beschäftigt die Frage nach Sinn und Zweck des Strafrechts in erheblichem Maße Emotion und Verstand1 • Es ist das zentrale Problem strafrechtlicher Diskussion schlechthin. Obwohl Teil dieses Gesamtkomplexes, findet dabei die Frage nach der geltungsbereichsrechtlichen Legitimation eines Staates relativ wenig Beachtung2 • Aus dem Gesamtproblem der Legitimität staatlich vorgeschriebener Verhaltensmuster und deren Durchsetzung dienender Sanktionen wird häufig der Teil übergangen, der die Berechtigung zur Anwendung der Strafgesetze ausgerechnet eines speziellen Landes im Hinblick auf einen tatsächlichen Sachverhalt überprüft. Dabei leuchtet sogleich ein, daß der Bereich des geltungs bereichsrechtlich Legitimen Änderungen unterworfen sein kann3 • Der jeweilige Stand ausländischer Verbrechensbekämpfung, internationaler Zusammenarbeit oder nationaler Isolierung sind Faktoren, die auf die Legitimation staatlicher Geltungsbereichsregelungen Einfluß haben. So ist in Friedenszeiten und während der Geltung weitgehender Auslieferungsverträge das legitime Interesse eines Staates an der Einbeziehung von Sachverhalten mit ausländischen Bezugspunkten geringer als in Kriegszeiten. Zunächst soll hier der legitimierende Grund der verschiedenen sog. international-strafrechtlichen Prinzipien aufgezeigt werden (11). Daran schließt sich der Versuch einer Zuordnung der einzelnen Prinzipien zu übergeordneten Interessengesichtspunkten (111) und einer Analyse des Funktionswertes der sog. Prinzipien (IV) an. 11. Die Legitimationsaspekte der sog. Prinzipien 1. Das Territorialitätsprinzip

Nach dem Territorialitätsprinzip oder Gebietsgrundsatz darf ein Staat auf alle Handlungen, die auf seinem Territorium begangen werVgl. dazu zuletzt Plack, S. 13 ff., 293 ff. Immerhin ein Ansatz dazu ist bei Vogler, Grützner-FS, S. 154 zu erkennen, siehe auch ders., in Maurach-FS, S. 602. a Vgl. Mendelssohn-BarthoZdy, in: Reform, S. 43. t

2

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§

6. Die geltungsbereichsrechtliche Legitimation

den, sein Strafrecht unabhängig von der Nationalität des Täters oder des Opfers anwenden'. Es beruht auf der Anerkennung eines legitimen Interesses eines jeden Staates, seine und die Sicherheit der auf seinem Gebiet sich befindlichen Personen zu schützen und damit einen Zustand des relativen inneren Friedens zu gewährleisten5 • Die Tatsache, daß eine Handlung auf dem Staatsgebiet, einer der drei Säulen staatlicher Existenz, vorgenommen wird, ist zugleich LegitimationS und Verpflichtung zur Bewertung des Verhaltens. Nach außen dokumentiert ein Staat durch die Anknüpfung an das Territorium und damit an seine primäre Verantwortlichkeit für einen räumlich abgrenzbaren Bereich7 ein Stück Unabhängigkeit und SouveränitätS. Nach innen ist dem TP durch die enge Verknüpfung der Menschen und Rechtsgüter mit der sie bindenden Norm 9 ein Moment der Gerechtigkeit im Einzelfall eigen. Die in der Regel bestehende enge Verbundenheit des Täters mit den sozialen und rechtlichen Verhältnissen am Tatort bietet in materiellrechtlicher Hinsicht und die unbeschränkbare Möglichkeit der Beweisaufnahmen am Tatort aus prozessualer Sicht eine relativ sichere Basis für adäquate Wertmaßstäbe und eine gerechte rechtliche Bewertung eines Verhaltens 10 • 2. Das Personalprinzip

Das Personalprinzip l l greift die besonderen Bindungen eines Staates zu seinen Staatsangehörigen in zweierlei Hinsicht auf12 • Zum einen soll sein Verhältnis zu seinen Bürgern ihn dazu berechtigen, deren Handlungen generell den Bewertungs- und Bestimmungsnormen seines Strafrechts zu unterwerfen (aktives PP), zum anderen soll es ihn legitimieren, das Handeln anderer Personen, soweit es sich gegen seine , Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. 4 vor § 3, Tröndle LK, Vorbem. 5 vor § 3, Oehler, IStR, S. 151, ders., Das Territorialitätsprinzip, S. 50. Dabei kann allerdings der Auffassung von dem grundsätzlich ausschließenden Charakter des TP (so z. B. Oehler, IStR, S. 151, 156) m. E. nicht gefolgt werden. Die Tatsache, daß jedem Staat der Erde das TP eigen ist (Oehler, IStR, S. 151), besagt nichts über die Qualität der die anderen sog. Prinzipien tragenden Anknüpfungspunkte, auch wenn ohne Zweifel die das TP tragenden Erwägungen offensichtlich besonders gerecht erscheinen. 5 Ähnlich Vogler, in Grützner-FS, S. 155, Germann, S. 155, Oehler, IStR, S.155. 8 Vgl. auch WengIer, Völkerrecht, Band H, S. 937. 7 Vgl. Schönke / Schröder / Eser, Vorbem. 11 vor § 3, Oehler, IStR, S. 437. 8 Jescheck, AT, S. 131, Tröndle LK, Vorbem. 5 vor § 3. I Oehler, in Grützner-FS, S. 117, Germann, SchwZStR, Band 69, S. 241. 10 Vgl. auch Jescheck, AT, S. 131. 11 Oder auch Personalitätsprinzip genannt. 1% Dazu insgesamt ablehnend Jescheck, IntRuD 1956, S. 91.

H. Die Legitimationsaspekte der sog. Prinzipien

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Bürger oder ihm zugeordnete Rechtsgüter richtet, generell strafrechtlich zu würdigen (passives PP).

a) Das aktive PersonaZitätsprinzip Dabei liegt beim aktiven pp13 in abgestufter Form der Gedanke der Pflichtverletzung des Staatsangehörigen gegenüber den Normen seines Staates und die Auflehnung des "Untertanen" gegen die für ihn geltenden Ordnungsregeln zugrunde 14 • Diese Störung im Innenverhältnis Bürger-Staat wird bei Auslandstaten15 allerdings überlagert durch das Prinzip der Internationalität1 6 , wonach ein Staat im Interesse anderer Staaten berechtigt ist, seine Staatsbürger für Auslandstaten, die am Tatort gleichfalls mit Strafe bedroht sind17, zur Verantwortung zu ziehen. b) Das passive Personalitätsprinzip

Gerade entgegengesetzte überlegungen führen zum passiven PP18. Danach soll die Zugehörigkeit des zu schützenden Rechtsgutsträgers zu einem Staat die Legitimation des Rechtsgutsträgerstaates zur strafrechtlichen Bewertung in sich tragen19. Dem liegt unübersehbar ein Mißtrauen in die Strafrechtspflege anderer Staaten zugrunde20 , was zu einem teilweisen Verzicht auf eine internationale Zusammenarbeit führt. Das Individualschutzprinzip, auf das sich nach moderner Auf13

66.

Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit des aktiven PP vgl. Rosswog, S. 51 ff.,

14 Bekker, S. 175, anders Oehler, in Grützner-FS, S. 122 f., differenzierend ders., in 1StR, S. 449 f. Oehler ist durchaus zuzugeben, daß beim aktiven PP

die Gefahr der Uferlosigkeit besteht, und daß einer Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern im 1n- und Ausland keineswegs deren Treuepflicht korrespondieren muß. Gleichwohl zeigen die Differenzierungen von Oehler (1StR, S. 450), daß auch er von einem gewissen Restbestand der Treuepflichten ausgeht. Ebenso das Gesetz, das wie § 100 zeigt, in einem gewissen Umfang auch noch an spezielle Treuepflichten anknüpft. 15 Bei Inlandstaten büßt es allerdings die eigenständige Bedeutung ein, soweit das umfassende TP gilt, vgl. Vogler, in Grützner-FS, S. 155. 18 So insbesondere Schröder, JZ 1968, S. 241, Oehler, Grützner-FS, S. 123, ders., 1StR, S. 452, allerdings zwiespältig, weil zugleich (1StR, S. 451) die staatliche Souveränität als "originäre Begründung" des aktiven PP herangezogen wird. 17 Der Rückgriff auf die identische Tatortnorm folgt zwangsläufig aus der Legitimation des aktiven PP aus der internationalen Solidarität. 18 Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit vgl. Rosswog, S. 68 ff., 116. 19 Einschränkend Oehler, 1StR, S. 415. 20 Schultz, in v. Weber-FS, S. 312, der an anderer Stelle (GA 1966, S. 202) aber für einen Vorrang der Auslieferung eintritt und konsequenterweise keine Abhängigkeit des passiven PP von der Tatortstrafdrohung annimmt, auch wenn er sie, aus Gerechtigkeitsgründen, propagiert. Dazu auch Oehler, Grützner-FS, S. 119.

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§ 6. Die geltungsbereichsrechtliche Legitimation

fassung das passive pp nunmehr beschränken SOll21, sieht sich deshalb dem Vorwurf ausgesetzt, es suche Kollisionen, anstatt sie zu meiden, gar, es bringe den "rücksichtslosen U-Boot-Krieg auf dem Gebiete des IStR"22. 3. Das Schutzprinzip

Nach dem Schutz- oder Realprinzip werden bestimmte, als besonders wichtig angesehene Rechtsgüter gegen im Ausland begangene Angriffe dadurch geschützt, daß ihre Verletzung ohne Rücksicht auf das Tatortrecht zur Anwendung des Strafrechts des Staates führt, dem das Rechtsgut zugeordnet ist23 . Der Charakter als Auslandstat bewirkt dabei zweierlei. Die allumfassende Ordnungsfunktion eines Staates für Ereignisse im Inland24 weicht einer an den elementaren Sicherungsfunktionen des Staates26 ausgerichteten Betrachtungsweise. Daraus folgt eine Einschränkung im Hinblick auf die zu schützenden Rechtsgüter. Nur solche sollen diesen besonderen Schutz genießen, von denen nicht zu erwarten ist26, daß fremde Staaten zu deren Schutz in ausreichendem Maße verfolgend und strafend eintreten27, bzw. bei denen u. U. sogar zu befürchten steht, daß ihre Verletzung gerade im Interesse fremder Staaten liegen kann. Daneben folgt bei einem aus der besonderen Schutzbedürftigkeit gewisser Rechtsgüter abgeleiteten Anknüpfungspunkt, daß nach den Grundgedanken des Schutzprinzips die Nationalität des Täters ebenso unbeachtlich sein muß 28 wie das Strafrecht des Tatorts 29 • Entschließt sich ein Staat, gewisse Deliktsverwirklichungen im Ausland im unmittelbar eigenen Interesse zu verfolgen, so will er grundsätzlich jeden Täter seinem eigenen Strafrecht unterwerfen, also auch einen Angehörigen des eigenen Staates. Daß wegen der Existenz des aktiven pp das Schutzprinzip nur auf Auslandstaten 21 Jescheck, AT, S. 133, Maurach, AT, S. 126, Schönke / Schröder / Es er, Vorbem. 4 vor § 3, Roggemann, Recht in Ost und West, 1974, S. 193. Damit wird es zu einem Unterfall des allgemeinen Schutzprinzips (dazu unten 3.), so schon Mendelssohn-Bartholdy, Reform, S. 41. 22 Mendelssohn-Bartholdy, Reform, S. 41 ff., ähnlich Kohler, S. 72, 97. 23 Oehler, IStR, S. 359; einschränkend (nur zum Schutz der staatlichen Existenz und Verfassung) Mayer, JZ 1952, S. 611, Vogler, Grützner-FS, S. 155 f. Mehrfache Zuordnungen sind daher nicht auszuschließen und führen zu einer Mehrzahl international strafrechtlich zuständiger Staaten. Zum dann auftauchenden Problem der Doppelbestrafung oben § 5 11 2 b, dd, ee. 24 Vgl. Vogler, Grützner-FS, S. 155. 25 Ebenso Vogler, Grützner-FS, S. 155. 28 Vgl. Oehler, IStR, S. 374. 27 Germann, aaO, S. 245 f. 28 Maurach, AT, S. 125. 2U Oehler, IStR, S. 381.

II. Die Legitimationsaspekte der sog. Prinzipien

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von Ausländern angewendet werden soll, leuchtet nicht ein3o • Es scheint, als ob insoweit die Systematisierungspraxis des Gesetzgebers auf manche Autoren allzu prägend gewirkt habe. Dagegen bedarf es des Schutzprinzips bei Inlandstaten nichtS1 , will man nicht das Territorialitätsprinzip seiner Prägnanz berauben und lediglich zur allgemeinsten Ausformung des Schutzprinzips erklären. 4. Das Weltrechtsprinzip

Das Universalitäts-, WeItrechtspflege- oder WeItrechtsprinzip führt zur Anwendung des einheimischen Strafrechts unabhängig vom Tatort32, dem Recht des Tatorts 33 und der Nationalität des Beteiligtens4 • Bestimmte Taten werden ohne weiteres dem eigenen Strafrecht unterstellt; ein Bestrafungsersuchen eines Tatortstaates ist ebensowenig Voraussetzung wie die Feststellung, daß eine Auslieferung des Täters an einen Tatortstaat oder einen sonstigen "näher legitimierten" Staat nicht erfolgen wird. Das WRP verdankt seine Aufnahme in nationale Gesetzeswerke des 19. Jahrhunderts einer beschränkten Anerkennung gemeinsamer Verpflichtungen der Staaten im Hinblick auf eine an der Völkergemeinschaft orientierten Strafrechtspflege35• Anstöße dazu waren vor allem durch v. Mohl, Schmid, v. Martitz und Heinze 36 gekommen, deren Theorien jedoch insgesamt auf einem eher kosmopolitisch ausgerichteten Ansatz beruhten. So stellte z. B. Meili zu Beginn des 20. Jahrhunderts - allerdings nicht ohne innere Zweifel - einen Katalog der WeItrechtstaten auf 37 , der neben Verbrechen gegen die ganze Menschheit38 solche gegen den ungehinderten Völkerverkehr39 und die gemeinsamen Interessen aller 30 So aber Jescheck, AT, S. 136, Oehler, IStR, S. 386, die Auslandstaten von Inländern nicht als vom Schutzprinzip erfaßt ansehen. 31 Max Ernst Mayer, AT, S. 79, Jescheck, AT, S. 136, Maurach, AT, S. 125. 32 Baumann, AT, S. 79. Der Auffassung von Schultz, GA 1966, S. 200, es handle sich auch beim WRP um eine Form der stellvertretenden Strafrechtspflege, kann nicht zugestimmt werden. 33 Baumann, AT, S. 79. U Baumann, AT, S. 79. 35 Granitza, aaO, S. 64. 36 Nachweise bei Granitza, aaO, S. 55 f. 37 Meili, LB, S. 85 ff. (1910). 38 Anarchismus, Seeraub, Sklavenhandel, Verbreitung ansteckender Seuchen. 38 Angriffe gegen neutralisierte Kanäle, Eisenbahnen, Telegraphen- und Telefonlinien, Spitäler und Ambulanzen.

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§ 6. Die geltungsbereichsrechtliche Legitimation

Kulturstaaten40 enthielt. Demgegenüber bezeichnete Max Ernst Mayer das WRP wenig später als "Pseudoprinzip"41. Seine materielle Rechtfertigung erfährt das WRP heute im wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten. Einmal wird eine generelle Gefährlichkeit eines Täters für alle Staaten42, die nicht zuletzt aus der Begehungsart oder dem vagierenden Charakter der Tat abgeleitet wird43, zum Anlaß der Strafrechtsgeltung genommen, daneben wirkt aber auch die Lehre von den sog. "natürlichen Verbrechen"44 weiter in der von Binding45 rationalisierten und in dieser Form heute noch aktuellen Auffassung, daß Rechtsgüter, die zwar einem Staat angehören, an deren Unversehrtheit aber alle Kulturstaaten das gleiche Interesse haben, unter Weltrechtsschutz genommen werden sollten48. Gegen die völkerrechtliche Zulässigkeit des WRP bestehen heute allgemein "keine Bedenken"47, auch wenn auf die Verschiedenheit "der soziologischen Grundlagen jeder Rechtsordnung und der verschiedenen Wertmaßstäbe der einzelnen Strafrechtsordnungen48 hingewiesen wird. Erst seine unkontrollierte Anwendung schafft die Gefahr willkürlicher Rechtszustände, die zu internationalen Konflikten führen kann". Um dies zu vermeiden, wird - nicht zuletzt unter Hinweis auf andere hinreichende Prinzipien des IStR - die Forderung nach einer restriktiven Anwendung des WRP erhoben. Als eine solche erweist sich die mitunter50 behauptete Notwendigkeit zur formellen Rechtfertigung der unter Weltrechtsgesichtspunkten erfolgenden sachlichen GB-Erweiterungen. Nur die Legitimation durch Völkergewohnheitsrecht oder Vertrag könne "chaotische Rechtsverhält40 Münzdelikte, Vergehen gegen öffentliche Beglaubigungsakte und gegen die Unverfälschtheit des internationalen Warenverkehrs. ( l AT, s. 77 (1923). 42 Oehler, IStR, S. 530, Maurach, AT, S. 126. 43 Maurach, AT, S. 126, Oehler, Grützner-FS, S. 125 bezeichnet es ähnlich als "Taten, deren Täter allen zivilisierten Staaten entweder durch die Zielrichtung oder die Art der Ausführung gleichmäßig gefährlich sind". 44 R. Schmid, S. 162. 45 Binding, Handbuch I, S. 380. 48 Jescheck, IntRuD 1956, S. 88, ders., AT, S. 134, Vogler, Grützner-FS, S. 159, Germann, aaO, S. 252, Schönke I Schröder / Eser, Vorbem. 8 vor § 3, Tröndle LK, Vorbem. 10 vor § 3. 47 Jescheck, IntRuD 1956, S. 88, Oehler, IStR, S. 530, 533, Dahm, Völkerrecht, Band I, S. 257 f., Roggemann, aaO, S. 186, vgl. auch BGH (Urteil vom 20.10.1976, NJW 1977, S. 507). 48 Schönke I Schröder lEser, Vorbem. 9 vor § 3. 49 Oehler, IStR, S. 531. so Oehler, IStR, S. 529, ohne die Notwendigkeit dazu herauszustellen, geht Baumann, AT, S. 79, inzident von einer völkerrechtlichen Basis des WRPaus.

II. Die Legitimationsaspekte der sog. Prinzipien

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nisse", Eingriffe in die Gerichtsbarkeit fremder Länder, die faktische Einführung des Grundsatzes des Ergreifungsorts und vor allem das Ende der Unterscheidung der einzelnen Prinzipien des IStR verhindern51 • Die Erkenntnis von der faktischen Einführung des Ergreifungsprinzips ist nicht zu widerlegen. Allerdings darf dessen Begrenzung auf einen Kreis bestimmter Taten und Täter ebensowenig unberücksichtigt bleiben wie die Tatsache, daß damit gerade der Zweck der Regelung erreicht wird, nämlich die Anwendung des eigenen Rechts unabhängig vom Tatortrecht auf besonders gefährliche Täter immer dann, wenn ein Staat ihrer habhaft wird52• Dabei gibt, wer dem WRP formelle Voraussetzungen unterlegt, seinen Standpunkt partiell wieder preis, wenn er Völkergewohnheitsrecht in extensiver Auslegung als ausreichende formelle Voraussetzung genügen läßt53 oder darauf verzichtet, daß der Tatortstaat selbst Partner der internationalen Konvention ist54 • Der Verzicht auf die völkervertragliche Einzelbindung deutet vielmehr gerade darauf hin, daß der Vertrag als solcher nur ein Indiz für eine gewisse völkerrechtliche übereinstimmung ist. Das Sich-Begnügen mit Völkergewohnheitsrecht bedeutet, wenn man sich vor Augen hält, daß das allgemeine Völkerrecht bis heute ausschließlich Gewohnheitsrecht ist55, denn doch den praktisch unkontrollierbaren Rückzug auf eine flexible Rechtsquelle eigener Art. Die Zweifel an solchen formellen Voraussetzungen des WRp56 werden noch durch die Erkenntnis bestärkt, daß viele dieser internationalen Verträge zwar eindeutige Aussagen über die Strafwürdigkeit bestimmter Verhaltensweisen treffen, sich jedoch über den jeweils angebrachten Geltungsbereich der nationalen Strafgesetze der Vertragsstaaten gänzlich ausschweigen oder aber insoweit mehrdeutige Regelungen treffen. In all diesen Fällen bleibt die Geltungsbereichserweiterung letztlich doch ohne formelle Grundlage. Entscheidende Bedeutung dürfte deshalb der Erkenntnis zukommen, daß die meisten der völkerrechtlichen Verträge erst den Schlußpunkt Diesen Bedenkenkatalog stellt Oehler, IStR, S. 529 auf. Tröndle LK, Vorbem. 10 vor § 3. 63 So Oehler, IStR, S. 529. 64 Daraufhin deutet der Verweis auf "die am Konflikt beteiligten Staaten" und nicht auf "die Vertragsstaaten" bei Oehler, IStR, S. 533. 6S Kunz, in Strupp / Schlochauer, Band 3, S. 613. 58 Oehler, obgleich selbst Verfechter der Formalisierung des WRP, weist an anderer Stelle (Piratensender, S. 27) anschaulich darauf hin, daß es für das IStR ungewiß sei, ob ein Land nur aufgrund einer formellen Berechtigung das WRP anwenden dürfe. 61

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