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German Pages 163 [164] Year 1933
DAS PROBLEM DBS AUFSTIEGES GESELLSCHAFTSPHILOSOPHISCHE UNTERSUCHUNG VON
Dr. IMRE VIDA
M Ü N C H E N UND BERLIN 1933
VERLAG VON R.OLDENBOURG
Alle Redite, einschließlich des Übersetzungsrechtes, vorbehalten.
Drudt von R. Oldenbourg, München
Vorwort. Dieses Buch will sich mit dem „Problem des Aufstieges" im Hinblick auf den Einzelmenschen befassen. In einer weiteren Arbeit gedenke ich dem Aufstieg der Gesellschaftsschichten und der Stände nachzuforschen. Endlich möchte ich mich zur Vervollständigung meiner Untersuchungen noch mit dem Aufstieg der Nationen und Kulturen auseinandersetzen. Es war mein Ziel, auf Strukturzusammenhänge hinzuweisen, die ich für wichtig erachte und die ich teilweise als neu erforscht ansehen darf. Ich bediene mich oft einer sehr schlichten Sprache, und im Laufe der Arbeit kommt vieles ,, Selbstverständliche'' vor. In der Tat ist es nicht ein schmuckhafter Stil, worauf es mir ankommt, sondern vielmehr, das R i c h t i g e zu treffen. Was die „Selbst-Verständlichkeiten" betrifft, so ist das, was sich „von selbst versteht", offenbar richtig, anderseits versteht man nicht immer „von selbst", was man als „selbstverständlich" wähnt. Schlagworte und große Termini war ich bestrebt zu vermeiden. Wenn die meisten Lobsprüche durch solche veranlaßt werden, so ist für mich sogar der Tadel derer, die mich recht verstehen, wichtiger als die Lobsprüche derer wären, die mich nicht verständen. Vielleicht wird man mißbilligen, daß ich allgemeine Kategorien anwende und wissenschaftliche Forschungen unternehme an Gegenständen, die zu sehr zu den „grauesten Alltäglichkeiten" gehören. Aber eben darauf kommt es hier an: Jene Prinzip- und Problemlosigkeit, welche mit den Worten „grau" und „Alltäglichkeit" ausgedrückt ist, soll womöglich aufgehoben werden, aus der Überzeugung heraus, daß ohne Heranziehung dieser „selbstverständlichsten" Elemente eine wirkliche Gesellschaftsphilosophie sich nicht V i d a , Aufstieg.
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— IV — betreiben läßt. (Wobei noch zu bemerken ist, daß alle neuen Probleme erst da anfangen, wo die „Selbstverständlichkeiten" aufhören, solche zu sein.) Der Wagemut zu diesen Alltäglichkeiten und der Umstand, daß diese Arbeit in ihrer Art ein erster Versuch ist, möge die notwendigerweise vorkommenden Mängel entschuldigen. Im Sinne Sprangers wollte ich eine Art geisteswissenschaftlicher Psychologie betreiben. Dabei habe ich vorausgesetzt, daß einerseits ein allgemeiner ständiger Sinnzusammenhang zwischen den Komponenten der „Vieleinheit" unseres Seelenlebens und ihren Erscheinungen, anderseits eine Verständnisfähigkeit in uns für diese Sinnzusammenhänge besteht. Hinter den individuellen, einmaligen Offenbarungen der Seele suchte ich immer die sich kreuzenden allgemeinen Gesetze zu rekonstruieren. Meine Arbeit widme ich mit Dankbarkeit Herrn Professor Ed. Spranger, durch dessen Werke wie auch durch dessen Ratschläge ich manche wertvolle Anregung erhalten habe.
I. V.
I. Kapitel.
Die Sehnsucht nadh Aufstieg. Es ist eine Naturgegebenheit, daß jeder Mensch, vielleicht richtiger jedes Lebewesen, zum Wachstum geboren ist. Er ist so geschaffen, daß er den Kern und den Keim der Entwicklung in sich trägt. Er verfügt über gewisse Potenzen des Weiteren, Entwickelteren, des „Mehr-Werdens" und (wie man annimmt) des „Wertvolleren". Und eben dieses Entwickeln, das „Mehr-" und „Wertvoller-Werden" bilden die menschlichen Ziele und geben dem menschlichen Handeln einen Inhalt und Bedeutimg. Was wäre denn auch der ohne die Hoffnung und Möglichkeit einer wertvolleren Phase Geschaffene, wohin würde das nicht zur Änderung Bestimmte führen ? Das sich nicht Verändernde ist auch in dem Grade, wie es sich nicht verändert, leblos. Das Leben ist die Veränderung selbst, — und alle Veränderungen können allein dort einen Selbstzweck haben, wo sie Entwicklung und Aufstieg bedeuten, sonst ist der Akt der Änderung nichts anderes als bloßes Spiel. Schwer und groß ist das Problem, ob die Phänomene der Entwicklung und die des Wachstums, vom Gesichtspunkt der „Absolutheit" aus gesehen, ihren Begriffen entsprechende Tatsächlichkeiten seien. — Gibt es ein tatsächliches Wachsen, ein tatsächliches Vorwärtskommen? Dieses offene Problem vertieft sich, — wie alle großen Probleme — mit den Antworten, wird aber nicht gelöst. Auf der einen Seite der Antinomie von Entwicklung und Aufstieg steht, daß wir in unserer äußeren sinnlichen Welt ein in tatsächlichem Sinne genommenes Wachstum (Entwicklung, Gestaltung, vollkommenere Ergebnisse) zu erfahren meinen. — Auf der anderen Seite der Antinomie läßt 1*
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sich die Absolutheit des „Wachsens" jedoch stark bezweifeln, a) Diskursiv betrachtet: Nach unseren (— hauptsächlich auf Wahrscheinlichkeiten gestützten, aber durchaus nicht bewiesenen —) physikalischen Dogmen bleibt der Stoff des Weltalls in seiner Summe (nach Einstein nur gemeinsam mit den Summen von Energien des Weltalls) immer gleich. Nun aber verlangt ein universelles absolutes Wachstum ein qualitatives (wenn es sich um ein Fortschreiten handelt), aber mindestens ein quantitatives Wachsen und damit eine quantitative Veränderung. Wie wäre das aber mit der völligen summenhaften Gleichheit des Stoffes des Weltalls zu vereinbaren ? b) Vom Praktischen her gesehen liegt auf der Hand der Einwand gegenüber dem Wachsen, nämlich: die Tatsache des Abstiegs und Vergehens. Zur gleichen Zeit, da wir von einer Seite her ein Wachstum sehen, können wir auf der anderen Seite Verfall und Vernichtung beobachten. — Demnach scheint die Frage durchaus berechtigt, ob wir von einem tatsächlichen Aufstieg sprechen dürfen und nicht vielmehr von einem großartigen Spiel der sich verändernden unermeßlichen Kräfte. — Mag es sein wie auch immer, uns quält nicht der Ehrgeiz, vielleicht das größte Problem des menschlichen Seins zu lösen. Wir wollen etwas anderes mit dem von uns aufgeworfenen Problem erreichen. Wenn die Existenz auch nur ein Spiel ist und wenn auch nichts anderes als die bloße Mechanik der Zusammensetzung und Auflösung — so ungefähr sieht es z. B. Spencer1) — so ist es doch unzweifelhaft, daß wir ebenso wie mit einer Teilauflösung auch mit der Zusammensetzung und dem Wachstum rechnen müssen. Es gibt zusammensetzendes, wachsendes Existierendes, und alle uns bekannten irdischen Lebewesen sind ebenso zum Vergehen verurteilt, wie auch durch ihre Geburt, durch ihr Auf-die-Weltkommen zur Entfaltung bestimmt. Sehen wir nur die „Krone der Schöpfung" an. Der Mensch wächst und verändert sich. Der Säugling wächst zum „Erwachsenen" heran, seine körperlichen Möglichkeiten der l
) Besonders scharf und entschieden drückt er sich aus in dem Vorwort, das er zu Collins F. Howards Werk: „Epitome der synthetischen Philosophie Herbert Spencers" (deutsche Ausgabe, Verlag C. G. Naumann, Leipzig) geschrieben hat.
Entfaltung verwirklichen sich. Es ist ein bekannter physiologischer Prozeß. Der Körper ist, wie auch der Geist, zu gewissem Wachstum, zur Entwicklung bestimmt. Er kann sich aber nur bis zu einem gewissen Lebensalter entwickeln. Sein Wachstum hört auf, seine gereiften Fähigkeiten offenbaren sich. Er erreicht ein Alter, das aber kein Abschluß ist, sondern ein Alter, mit welchem sich für ihn sozusagen das „Leben" öffnet. Hier bin ich, jetzt fängt für mich das Leben an! Und was ist nun dieses Leben ? Was ist das, was vor uns steht, und was ist das Ziel ? Ohne Zweifel ist es in gewissem Sinne das Wachstum (das Weitere, das Höhere, das Entsprechendere, das Bessere), der Aufstieg. Die wirtschaftliche Forderung des Lebens ist, daß der Mensch für seinen Aufstieg sorge. Der Mensch fügt sich in die Maschinerie der Gesellschaft ein, um sich die für seinen Unterhalt nötigen Güter und eine möglichst glückliche und fruchtbare Position in der Gesellschaft zu sichern. Er wählt einen Beruf, bzw. er will in den gewählten Beruf gelangen. Er sehnt sich nach der Gründung einer Familie und nach einem ruhigen Heim usw. Aber was ist der sich entwickelnde Mensch dem gegenüber, der einen Beruf gewählt, und was ist der Wählende dem gegenüber, der einen Beruf gefunden hat und darin aufsteigt, was ist dieser verglichen mit dem noch weiter Aufsteigenden ? Eine niedrigere Stufe bzw. ein Weiterkommen, eine weitere Verwirklichung. Der Mensch ist stets in einer Art auf das Wachstum, auf den Fortschritt angewiesen. Und seine Sehnsucht nachwachsen und Fortschreiten ist eins mit dem Wunsch nach SichOffenbaren und nach möglichst vollkommenem Erleben des Seins. Seit Aristoteles ist die Feststellung ein unverlierbarer Schatz der Menschheit, daß ihr Ziel das möglichst vollkommene Zurgeltungbringen ihrer Fähigkeiten und Werte ist. Dieses Ziel ist keine Erfindimg des Aristoteles, sondern eine immer bestehende Forderung und Gabe der Natur. Wir können es bewußt oder unbewußt überall finden, in verschiedener Stärke ausgedrückt, wo wir von menschlicher Geschichte wissen. Der Mensch wünscht von jeher aufzusteigen, höher zu
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gelangen. Dieser Wunsch ist eine Gegebenheit, und diese hat nach unserer Meinung ihren vollkommen erklärbaren Sinn. Es ist natürlich, daß jeder Mensch das Bessere ersehnt. Was ist der Grund und worin liegt die Erklärung dafür? Darin, daß das Bessere eben mehr ist als das Gute, und gut ist, was in gewissem Sinne für uns Wert besitzt. „Jeder Mensch ersehnt das Bessere" heißt: Er hat in sich den Willen zum gesteigerten Sein, zur Entwicklung. Das „Bessere" ist dem Guten gegenüber immer Entwicklung, wenn es wirklich besser ist. Das Bessere ist nach der verschiedenen Natur der Erfordernisse in der qualitativen und quantitativen Veränderung verborgen. Wir können die aristotelische Behauptung auch so ausdrücken: Das Ziel jedes Menschen ist die für ihn mögliche, vollkommene Entwicklung. Oder: das Ziel jedes Menschen ist in einem gewissen Sinne ein Aufstieg. Je geistiger die Gegenstände unserer Sehnsucht sind oder je weiter der Mensch über die grobe Materie hinausgeht, desto reichere und wertvollere Gebiete öffnen sich ihm. Die Erklärung, die Begründung ist verhältnismäßig einfach. Die Materie ist uns gemeinsam mit dem Tier und mit dem Leblosen. Was das Tier über das Leblose und den Menschen über das Tier hebt, ist nicht die Materie, sondern das über der Materie Stehende, das Geistige. Unser höchstes geistiges Verlangen, unsere auf das höchste Gut gerichteten Ideale sind die höchsten Werte, zu denen zu gelangen wir wünschen können. Je mehr bedeutende Werte wir in uns haben und je größer unser tatbereites Selbstvertrauen ist, desto höher sind unsere Ideale. Ein fiktiver Mensch, der keine Ideale hätte, dessen einziger Wunsch es wäre, satt zu sein und seinen Körper zu befriedigen, der stünde kaum über dem Tier. Die Höherwertigkeit des menschlichen Seins bestimmt die Höherwertigkeit seiner Ziele und der Wertmaßstab der menschlichen Ziele ist in dem Streben nach dieser verborgen. Jeder Mensch strebt, wünscht nach oben zu schreiten, möglichst hoch zu gelangen. Was aber die Höhe und die Tatsächlichkeit der Werte anbelangt, sind die Maßstäbe und Auffassungen äußerst verschieden. Jeder Mensch er-
strebt entsprechend seiner Ideologie, seinen Neigungen, Fähigkeiten in verschiedener Form — das Beste1).
Über den Aufstieg meint Machiavelli: „ D e r E i n e s t e i g t , d e r Andre sinket, hieraus entsteht . . . der Wechsel aller irdischen D i n g e " Ges. W. ( J . Ziegler V I I . S. 236.) L. v. Stein schreibt: „ I n jedem einzelnen lebt ein unbesiegbarer Drang nach einer vollendeten Herrschaft über das äußere Dasein, nach dem höchsten Besitz aller geistigen und sachlichen Güter; es mag gleichgültig sein wie man diesen Drang nennt; aber wir finden ihn wieder auf dem Grunde jeder Mühe, jeder Hoffnung, j a fast jedes Schmerzes; er i s t i d e n t i s c h m i t dem L e b e n , d e n n er i s t seine V o r a u s s e t z u n g u n d sein Z i e l . (Von mir gesperrt.) Gesch. d. sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis in unsere Tage, München 1921 Dreimasken-Verlag, Bd. I. S. 13.
II. Kapitel.
Die Gestaltungsfaktoren der Ideologie des Aufstiegs. Wir sagten am Anfang unserer Arbeit, daß jeder Mensch, wie auch vielleicht jedes Lebewesen, vorwärts strebe und sich nach „Besserem" sehne. Zwar sucht dieses Emporstreben den geradesten Weg nach oben, nach dem Besseren und Wertvolleren, doch ist dieser „geradeste" Weg verschieden, je nach dem ideologischen Standort, der durch die verschiedensten geschichtlichen Zeitpunkte und durch die verschiedensten Lebensumstände und Richtungen beeinflußt und teilweise bestimmt ist. Was hier für den Einen bedeutend und wertvoll ist, das kann für einen in einem anderen Ideenkreis durch andere wirtschaftliche und politische Umstände erzogenen Menschen als unbedeutend und wertlos erscheinen; vielleicht sieht man infolge eines gewissen gesellschaftlichen Ressentiments von vornherein das als unrichtig an, was ein Anderer für das Bedeutendste und Wertvollste hält. Die Ideologien gehen aus unerforschbaren seelischen Gründen hervor und haben so abweichende Voraussetzungen und Wertmaßstäbe, daß sie ein gänzliches Verständnis von vornherein ausschließen. Der über eine Ideologie Verfügende kann eigentlich erst dann beginnen, die andere Ideologie zu verstehen, wenn er selbst schon etwas davon angenommen hat. Was die Sprache ausdrücken, was der Mensch irgendwie mitteilen kann, was in den Diskussionen als „bezeichnend" für die eigenartige Ideologie des Anderen betrachtet wird, das bewegt sich alles in viel engeren Grenzen als das unerforschbare, nie wiedergebbare verborgene Wesen der Ideologien. Wer über Ideologien schreiben will, muß erst vorausschicken: das, was wir hier zu geben fähig sind, nähert sich regulativ dem Gegenstand, kann ihn aber nie vollkommen erreichen.
Als Gestaltungsfaktoren unserer Ideologie können wir alle bewußten Momente unseres Lebens bezeichnen. Die Bildung der Ideologien geschieht durch den unerbittlichen Imperativ des objektiven Geistes der Geschichte; zwar arbeiten und formen wir alle an ihm, aber er zwingt uns dann desto mächtiger in sein Joch. Die wirtschaftlichen und politischen Geschehnisse, sowie die Kultur und die Zivilisation mit ihren vielen Verknüpfungen bestimmen unsere Stellung und determinieren weitgehend die Bildbarkeit unserer seelischen Einstellung. Unser Kapitel hat nicht die Absicht, die allgemeinen objektiven Faktoren der Ideologie auseinanderzusetzen, sondern wir wollen zunächst die allgemeinen subjektiven Gründe der jene empfangenden seelischen Einstellung in einigen Zügen, soweit sie für unsere Arbeit unerläßlich sind, skizzieren. So wollen wir uns vor allem mit dem uns am wichtigsten erscheinenden Faktor der Nachahmung — und in Verbindung damit mit der Mode — und dem damit untrennbar zusammenhängenden sozialen Instinkt befassen. Von den objektiven Bestimmungsfaktoren werden wir die Rolle des unmittelbarsten und mächtigsten, nämlich die Rolle der richtunggebenden Umgebung prüfen. a) N a c h a h m u n g (Mode). Der einzelne Mensch, der Mensch als Individuum, ist in seiner abgesonderten Körperlichkeit in gewisser Hinsicht in einer nie überbrückbaren Weise „auf sich gestellt". Er ist mit seinen Pflichten, seiner Verantwortung letzten Endes völlig allein1). x) Hegel spricht davon, daß ebenso, wie jemand für den anderen nicht essen und trinken, auch nicht für ihn denken kann (Encyc. § 23); dieses „Auf-sich-Gestellt-sein" wird desto größer und bedeutender, je mehr es sich auf f r e i e , vom Willen des eigentlichen Ichs allein abhängige Tätigkeit bezieht. Im Denken ist auch viel Motorisches, Automatisches enthalten (ob man. will oder nicht, man muß denken), aber im ethischen Entschluß, in der T a t , in dem Willen ist man in einem viel primäreren Sinne auf seinen freien Selbstentschluß angewiesen. Hier trifft nicht zu, ob man will oder nicht — man m u ß ; wenn jemand etwas will, so muß das aus s i c h s e l b e r und allein aus sich selber hervorgehen. Das Individuum hat unübertragbare Aufgaben und Pflichten, denen es nur a l l e i n Genüge leisten kann.
Es ist aber eine a-priorische Grundtendenz der menschlichen Existenz, danach zu trachten, ihr Alleinstehen zu überwinden und ihr körperliches Auf-sich-allein-Angewiesensein zu überbrücken. Der Einzelne ist selbst und kann doch nicht nur selbst sein. Ein Mensch ohne Mitmenschen, — denken wir hier an einen von allen Menschen und allem menschlichen Schaffen vollkommen Isolierten — würde, wie es in der Tat vorgekommene Beispiele beweisen, seelisch zusammenbrechen. (Der menschenhassende Eremit lebt auch nicht ohne Verbindung mit Menschen, weil der vorgenommene Wille, die Menschen zu negieren, auch gewisse seelische Verbundenheit voraussetzt. Aber auch die Eremiten müssen nach längerer Zeit seelisch erkranken, falls sie nicht schon durch einen krankhaften Zustand in die Einsamkeit hinausgetrieben wurden1). Der Mensch kann in seinen nach oben trachtenden Kulturzielen, Erkenntnis- und Forschungssehnsüchten, die durch ihre geistigen und seelischen Gegebenheiten hervorgerufen sind, nur gemeinsam mit anderen Menschen zu genügenden Ergebnissen gelangen. Seine Probleme sind so weit verzweigt, daß eine annähernd befriedigende Lösung nur in Zusammenarbeit mit einer größeren Gruppe seiner Mitmenschen zu denken ist. Der Einzelne ist zur Offenbarung seines höheren Wesens ohne seine Mitmenschen unfähig. Paradox können wir auch so sagen, daß dem Menschen ohne die Anderen sein Selbst fehlt. Wie der Mensch sich nach Höherem sehnt, sehnt er sich auch nach anderen Menschen. In seinem sozusagen ohne sich selbst seienden und doch auf sich selbst beruhenden Alleinstehen, in seiner physischen Isoliertheit ist ohne Zweifel sein Grundgefühl — wie darauf Martin Heidegger in einem anderen Zusammenhang hingewiesen hat — die Angst2). Vor dem Menschen steht eine *) Defoes Robinson ist in der Tat eine psychologische Unmöglichkeit. Das Wahrscheinliche ist, daß ein in ähnliche Umstände Geratener nach Jahren als ein aller Menschlichkeit entkleidetes Halbtier mit schweren seelischen und geistigen Defekten auf das ihn auffindende Schiff käme, wenn er nicht vorher durch Verhungern, durch Selbstmord aus Verzweiflung oder durch Raubtiere zugrunde geht. a ) Wir teilen durchaus nicht die weitere Heideggersche Ansicht, daß in der Angst das Nichts sich offenbare; im Gegenteil, da offenbart sich vor
unendliche Fülle von Rätseln, und es ist ganz verständlich, daß das sich nach selbstbewußter Tat sehnende, weitblickende Geisteswesen in seiner durch die Isolierung von den Andern sich ergebenden Lahmheit, in seinem ohnmächtigen Ausgeliefertsein sich fürchtet. Der Mensch flüchtet aus seinem Grundzustand Angst zu dem Verkehr mit seinen Mitmenschen ; auf sie ist er angewiesen; ihnen muß er sich anpassen. Neben dem seelischen Grund, mit Anderen in Verkehr zu treten, gibt es eine ebenso primäre biologische Notwendigkeit. Der Mensch kommt als unbeholfener, empfindender biologischer Organismus zur Welt und steht fast auf der Stufe des niedrigsten Instinkttieres. Stufenweise kommt er in den Besitz des Verstandes, des „göttlichen Funkens". Nach diesem allmählichen Wege löst er sich auch nicht vollkommen los von dem biologischen und wirtschaftlichen Angewiesensein auf die anderen Menschen. Diese Angewiesenheit bleibt in seinem ganzen Leben bestehen, und er kann sich nie davon befreien. Dem zu seinem „Verstand kommenden" Kinde wird in einem gewissen, unbemerkbaren Übergang das Mehr- und Besserwissen der es umgebenden Erwachsenen langsam natürlich und es erfährt, daß es selbst erlernen und übernehmen kann, was die anderen wissen. Dieser Selbstverständlichkeit geht voraus ein dunkles primitives Wissen der Kausalitätsordnung1), nämlich, daß mit ähnlichem Verfahren ein ähnuns als Gegenstand die Totalität des abstrakten Begriffes des Bösen. Es ist durchaus nicht soviel wie N i c h t s , weil das Böse nicht ein bloßer Mangel am Seienden ist — wie gewisse Scholastiker es meinen —, sondern ein E n t s t e l l e n des Seienden. In der Angst steht vor uns die Totalität alles Seienden, aber in einer völlig entstellten Form. In dieser anderen, völlig verkehrten Totalität empfinden wir aber nicht das „Nichts". In der Abstraktion des Bösen haben wir es mit einer empfundenen anderen Seinstotalität zu tun, wie auch in unseren gesteigerten Freudegefühlen. *) Vielleicht wird jemand, um Widersprüche aufzuzeigen, bemerken, daß wir, wenn wir bei dem kleinen Kind in der Nachahmung ein gewisses dunkles logisches Verständnis voraussetzen, dann auch mit demselben Recht das Gleiche bei den nachahmenden Angehörigen der Tierwelt (Affen, Bären, Seehunden usw.) tun könnten. Darauf antworten wir dies: Nicht nur die Nachahmung, sondern auch vieles andere, was bei den Menschen, bei der „Krone der Schöpfung" ein Verstandesergreifen ist und durch bewußte oder weniger bewußte Tätigkeit der logischen Überlegung vorkommt, ist
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liches Resultat zu erzielen sei. Wenn es erlernt, dasselbe zu tun, kann es mit dieser Tätigkeit dieselben Folgen erreichen. So muß als elementare Notwendigkeit die Nachahmung kommen, ohne welche es auch im ferneren Leben nicht auskommen wird. Der Mensch will höherkommen, und dazu ahmt er die schon Höherstehenden nach. Diejenigen, die auf dem höherführenden Weg schon zu einem — größeren — Ergebnis gelangt sind, haben die Sache schon einmal r i c h t i g e r f a ß t , und der betreffende Emporwollende hat auch das Bestreben, die Sache richtig zu erfassen. Die Neigung zum Nachahmen ist beim Menschen so sehr entwickelt, daß er, auch wenn niemand vor ihm steht, den er nachahmen könnte, wenn er also auf einem solchen Wege geht, den vorher noch niemand betrat, dann auf diesem Weg so schreitet, wie nach seiner Meinung der ginge, der auf diesem Weg schon Ergebnisse erreicht hat. Er würde sich in seiner Vorstellung jemanden konstruieren, um ihn nachzuahmen; ständig, ob man es weiß oder nicht, ahmt man nach. Wenn niemand nachzuahmen ist, dann verfährt man so, wie der allgemeine Geist der Nachahmungen es vorschreibt1). Wenn wir auch noch so kurz das Phänomen der Nachahmung streifen, scheint es doch für unseren Zusammenhang naheliegend, uns mit den Fehlern und Übertreibungen der Nachahmung zu befassen. Die Gesamtheit ahmt den Einzelnen und der Einzelne die Gesamtheit in vielen solchen Dingen nach, wo kein sinn- und zielgemäßer Grund vorhanden zu sein scheint. So scheint es völlig unzielgemäß, daß dem Spiel der Mode diejenigen nachgehen, denen es bloß schwere bei den Tieren ebenso auffindbar, aber als blinder Instinkt. Es gibt eine Art Seidenwurm, die, den zielgemäßen Anforderungen am besten entsprechend, die Baumblätter mit einer komplizierten Linie überschneidet. Diese zielgemäße Linie kann selbst der Mensch nur nach schweren höheren mathematischen Berechnungen finden. Wenn ein Mensch diese komplizierte Linie ausgerechnet hat, werden wir ebensowenig an Instinkt denken, wie man bei dem Seidenwurm kaum voraussetzen wird, daß er in einer naturwissenschaftlichen Fakultät zehn Semester höhere Mathematik studiert hat. Das über Vernunft verfügende Kind ahmt nicht aus bloßem Instinkt nach, sondern in gewissem Grade durch sein Denken geführt. *) Tarde spricht in dem Falle von „Beispielstrahlungen" (Lois de l'imitation).
— 11 — materielle Belastung und damit überflüssig erscheinende Mehrarbeit, Anstrengung und Mühe bedeutet. Ohne auf die Gründe und den Sinn der Mode einzugehen, wollen wir hier nur auf eine ihrer Bedeutungen hinweisen. Wer mit der vorhandenen Lage vollkommen zufrieden ist, sehnt sich nicht nach Abweichendem. Die Konservativen gehen hervor aus den Zufriedenen, und bei ihnen ist am schwersten mit Modeänderungen zu rechnen. In den zufriedenen geschichtlichen Epochen sind weniger Modeänderungen anzutreffen, als bei den unzufriedenen. (So z. B., um in der Gegenwart zu bleiben: Das reiche und konservative England hat Jahrhunderte alte Moden bis heute behalten und in der von ihm diktierten Herrenmode sind keine größeren Änderungen zu finden. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Im allgemeinen ist das Bleiben der Gewohnheiten ein Zeugnis der Zufriedenheit.) Wem das Vorhandene nicht genügt und wer dessen überdrüssig ist1) und Interessanteres, Besseres und Neueres wünscht, der allein wird für sich etwas Neues schaffen wollen. Es erscheint als eine Selbstverständlichkeit, die wir jedoch zu erwähnen nötig halten, daß in den revolutionären Epochen sich Mode, Sitte usw. außerordentlich ändern. In den Komparativen „interessanter, besser, neuer" will der Mensch eine Wertmehrung finden. Die Sehnsucht nach diesen höheren Werten ist die Sehnsucht nach E m p o r s t e i g e n , nach Mehr und W e r t v o l l e r e m . Wir können uns auch so ausdrücken, daß man in dem Suchen nach Neuem irgendwie dasMehr, das W e r t v o l l e r e , das Höhere ersehnt. Das vollkommen modelose, vollkommen zufriedene Volk wäre notwendigerweise auch vollkommen ohne seelische Kultur. Das seelische Wellenspiel des unzufriedenen, weiterwollenden Menschen, welches Schöpfer der Mode ist, ist auch Schöpfer alles Aufstiegs und Höhergelangens. Ohne dieses ist nicht nur keine Mode, sondern auch kein höherwertiges Menschentum mögüch. „ . . . Die Reize sind nicht mehr befriedigt, sondern abgestumpft — schreibt Mercier — und an Stelle einer pikanten Abwechslung treten bizarre Aufwendungen, die nur den dégoût mit sich führen; das ist der Grund, warum alles wechselt, die Mode, die Trachten, die Tradition." (Tableau de Paris» zitiert aus Sombart: Luxus und Kapitalismus, S. 75.)
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b) Der s o z i a l e I n s t i n k t . Wir kommen jetzt auf den sozialen Instinkt zu sprechen Jeder Mensch legt Gewicht auf die Urteile seiner Mitmenschen. Wenn wir nur ein einziges Mal mit jemandem zusammenkommen und wissen, daß wir nie mehr voneinander hören werden, so wird es doch für uns von Bedeutung sein, was er von uns hält. Irgendwie ist es ein leitendes Motiv in allem unserem Tun, daß wir den Andern damit gefallen1). Auch wenn wir jemandem gegenüber hart und beleidigend verfahren, bleibt oft ein Motiv, dem Beleidigten zu gefallen: „ E r soll sehen, mit wem er es zu tun hat"; „ich will zeigen, daß er mich nicht betören, überlisten kann". Man will ständig den Anderen und möglichst Vielen imponieren. Um einer möglichst großen Anzahl von Menschen gefallen zu können, haben die Menschen fast allgemein eine — oft geheime — Sehnsucht, der ganzen Gesellschaft, „jedermann" bekannt zu werden. Dieser Wunsch (den Anderen zu gefallen) strahlt überall in unser Handeln und in unsere Entschlüsse aus und hat eine übermächtige Kraft. — Die Antwort auf die Frage ist schwer, w e s h a l b der Wille besteht, was die Ursache ist, daß wir unbedingt den Anderen gefallen und imponieren wollen und was für eine innere Wertbegründung es hat. Eine Antwort ist: Wir wollen deshalb das Gefallen der Anderen gewinnen, weil wir durch die Anderen uns selbst gefallen und imponieren wollen. Völlige Selbstberuhigung Nach A d a m Smith ist im Menschen die soziale Anlage so stark, daß der Mensch auch bei seinem Reflektieren über sich selbst und auch bei seinen Gewissensbissen, d. h. bei den ganz primär subjektiven Akten, nach dem Urteil der Anderen verfährt. Max Scheler meint Smith gegenober (M.Scheler, „Wesen und Form der Sympathie", 2. Aufl., 1923), wenn es so wäre, dann müßte sich der „ungerecht Verurteilte, den alle Welt für schuldig hält", „auch schuldig fühlen". Diese Entgegnung ist keinesfalls richtig, weil nicht die von uns sicher gewußten Irrtümer und Unwerte der uns umgebenden Menschen der Maßstab sind, nach dem wir uns richten, sondern ihre von uns als „sicher" genommenen Werte und Kenntnisse. Der unschuldig Verurteilte wird, falls kein pathologischer Grund vorhanden ist, keine Gewissensbisse haben, weil er weiß, daß nach der Meinung der Menschen das, was er wirklich gemacht hat, keine Sünde ist, und er wird Qualen eben deshalb haben, weil ihm eine Ungerechtigkeit geschieht eben gemäß den Werturteilen der Anderen und die Anderen sich ein falsches Bild von ihm machen.
— 13 — findet man nur dann, wenn sie auf dem Gefallen und auf dem Gutheißen der Anderen beruht. Der Egoist legt besonders großes Gewicht dem Gefallen Anderer bei, weil ihm vor allem wichtig ist, daß er sich selbst gefällt und sich selbst beruhigt. Ohne Zweifel: nicht diejenigen kümmern sich wenig um das Gefallen und um die Auffassung der Anderen, die Egoisten und dünkelhaft sind, sondern — sozusagen ihr Gegenteil — diejenigen leichtsinnigen und schwachen Vagabundennaturen, bei denen der Stolz und das Schamgefühl wenig ausgebildet sind. Der selbstliebende Mensch hält viel von sich und man ist im allgemeinen selbstliebend und hält viel von sich, obwohl in verschiedenen Graden. Aus dem Viel-von-sichHalten entspringt das Gefühl des Stolzes und des Hochmuts und mit ihm der Umstand, daß wir zu allem unserem Tun sozusagen einen außer uns stehenden, „absoluten" Wertmesser und eine Wertanerkennung zu finden suchen. In der Auffassung der Anderen finden wir diesen außer uns stehenden Wertmaßstab. Schon an sich sind der — auch nicht gezeigte — Stolz und das Hochmutsgefühl primäre, an andere gerichtete Attitüden. Sie sind aber weitergehend ein auf uns selbst gerichteter Beruhigungswunsch in einer Haltung, mit der man das Gefallen der anderen hervorrufen will. Der Hochmut bedeutet nicht, daß wir die Meinung der Anderen gering achten, sondern daß wir sehr viel auf sie halten. Der „englische Gentleman", der auch in der afrikanischen Wüste, wenn er ganz allein ist, zum Abendessen allein zu seiner eigenen Ehre den Smoking anlegt, ist keineswegs eine sich nur um sich kümmernde Natur, sondern eben ein innerer Sklave, der sich von den äußeren Bedingungen, der Gesellschaft zu gefallen, nie frei machen kann. Er besitzt nur sein eigenes Gefallen und Gutheißen in der Weise, daß er dem vermittelnden Weg (dem Gefallen der Anderen) wenigstens in seinen äußeren Bedingungen Genüge leistet. Dieses Bewußtsein, daß er jetzt so gehandelt hat, daß die Anderen, wenn sie es gesehen, ihm Anerkennung gezollt hätten, ist ein Mittel dazu, um sich selbst Anerkennung zu zollen. Der Mensch kann nie so sehr allein sein, daß ihn in seinem Tun nicht das nicht ganz bewußte Motiv leiten würde: „Was würde der Andere sagen,
— 14 — was dächte der Andere, wenn er es gesehen hätte?"; oder er stellt sich vor, wie die anderen sagen würden: „Der ist aber ein geschickter Mensch", „der hat einen Kopf", „der verfügt über Humor und Selbstdisziplin", „der kann schon was" usw. Das Ich findet sein t i e f s t e s und e i g e n t l i c h s t e s Wesen in Anderen; so ist denn der selbstgefällige, egozentrische Mensch im weitesten Sinne ein Gefangener der Gesellschaft. Solch ein Gefangener ist jener notorische Kapitalist, der weder Familie, noch irgendeinen ihm Zugehörigen hat und ein ganzes Leben hindurch sein Geld häuft und zum Sammeln der Reserven seine Bequemlichkeit und Gesundheit, seine schönsten Jahre opfert; er kämpft um ein gesellschaftliches Ideal, um den materiellen Reichtum, wofür die ganze kapitalistische Weltordnung kämpft. Darin kommt er zum Ziel, worin jedermann ein Ziel sucht, und eben in dem Erreichen der von allen anderen beneideten und ersehnten Güter besteht seine Genugtuung und nicht darin, was die erreichten Güter an Wert haben und ihm unmittelbar bedeuten1). Der Sieg hat nur dadurch eine unbedingte Bedeutung, daß um ihn die ganze Gesellschaftsordnimg kämpft. Ohne Mitbewerber hätte man überhaupt weder Sehnsucht noch Ansporn zum Sieg. Der Sieg ist nicht durch das wichtig, was man damit erobert hat (besonders, wenn man das überhaupt nicht ausnutzen kann), sondern durch das, was man damit besiegt hat. (Auch mit der Schadenverursachung will man sozusagen die Anerkennung und die Achtung der Anderen erreichen.) Wenn nur ein einziger Mensch auf der Welt wäre, und sagen wir, dies wäre John Davison Rockefeller, und ihm könnten durch Kampf und Geschicklichkeit unendlicher Reichtum und unendliche Reservehaufen von Gütern zuteil werden, so wäre es ganz gewiß, daß er ohne die ihn bewundernden Mitl ) Man hat — nach Wieser — einen Trieb, seine Kraft und seine Fähigkeit auszuleben, unabhängig von deren Werten; dieser Trieb ist „in den starken Führernaturen kaum zu unterdrücken". „Das Gesetz der Macht" (Wien 1926) S. 90. Mir scheint, daß dieses „Ausleben" oft viel weniger ein Bedürfnis sei, gemäß seiner Kraft zu wirken, sondern vielmehr zu zeigen, für jedermann Bescheid zu geben, was für außerordentliche Fähigkeiten man habe.
— 15 — menschen sich nicht anstrengte, diese zu besitzen — sondern sich mit einem mittleren Einkommen begnügte. Das erreichte hohe Ergebnis hat nicht darin seinen hohen Wert, daß man es erreicht hat, sondern daß die anderen Millionen Mitmenschen vergebens darum kämpfen. Nicht was ich habe, sondern die Proportion und Beziehung, wie mein Erobertes sich zu dem Besitz der anderen verhält, macht seine kapitalistische Bedeutung aus; und der Sieg bedeutet etwas Höheres, als was vorher war. Der egoistische Mensch will von jedermann Anerkennung, Achtung und Huldigung und, um diese von Anderen zu bekommen, muß er sie sich auch selbst geben. Daß wir von Anderen anerkannt werden, dazu ist zum ersten nötig, daß wir den Anerkennenden zum Anerkennen anerkennen. Diesen unseren Behauptungen, daß der Mensch die Anerkennung seines Mitmenschen haben will, auch wenn er mit ihm nur ein einziges Mal zusammenkommt, scheint zu widersprechen, daß es viele Leute gibt, die scheinbar dem Beifall anderer keine Bedeutung beimessen. Wir sehen oft, wie sogar viele sozusagen danach jagen, bei anderen Entrüstung hervorzurufen. Es gibt „Sonderlinge", die gegenüber der ganzen Gesellschaft ein solches Bestreben zeigen. Aber man soll keineswegs glauben, daß für diese kein maßgebender Kreis vorhanden wäre. Sie wollen eben dadurch Gefallen finden, daß andere Leute sich mit ihnen beschäftigen und sich über sie wundern. Sie finden schon darin eine Wertanerkennung für sich, daß man sich mit ihnen überhaupt beschäftigt. Diese Leute gehen hervor aus der Zahl derer, die glauben, daß viele ihrer Werte ohne Anerkennung und Geltung geblieben sind1). *) Der S e l b s t m o r d aus R a c h e — der sogar ein sehr häufiger Fall ist —, d. h. der Selbstmord zu dem Zwecke, denen, die mit uns böse oder ungerecht verfahren sind, Gewissensbisse zu verursachen, ist ein deutlicher Beweis, daß der Mensch bereit ist, selbst sein eigenes Leben zu opfern, um auf die Anderen große Wirkung auszuüben. Noch mehr gehören hierher jene Selbstmorde, welche aus dem Grunde geschehen, daß die Gesellschaft sich darauf besinne, was für eine große Ungerechtigkeit dem herabgesetzten Werte geschehen sei (so z. B. bei dem Dichter Kleist). Die oft geschehenen Selbstmorde der „nicht verstandenen Genies" — die in den allerseltensten Fällen den erwarteten Erfolg, die rasche Entdeckung, haben — bezeugen auch deutlich die menschliche Sklavenbeziehung dem sozialen Instinkt gegenüber.
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Ganz verständlich ist es demnach, daß sie auch das allerkleinste Zeichen irgendeines Sich-um-sie-Kümmerns und irgendeiner Anerkennung mit Freude annehmen. Wieder andere, die über äußerst wenige Werte verfügen und die bewegt sind von der starken Sehnsucht, in ihrem Werte anerkannt zu sein, wollen durch Besonderheiten und Entrüstimg erreichen, daß man sich mit ihnen beschäftige. Schon das äußere formelle Akzidenz bei der Anerkennung gibt ihnen in gewissem Grade Befriedigung1). *) Die große Sehnsucht nach Anerkennung bei dem Fall eigener Unzulänglichkeit schildert in hervorragender Weise Dostojewski: ,,Es gibt in der T a t nichts Unangenehmeres, als aus anständiger Familie, von gutem Äußern, nicht dumm, vielleicht sogar gutherzig zu sein und dabei kein besonderes Talent, keine besondere Fähigkeit, keinen eigenen Gedanken, nicht einmal besondere Schrullen zu haben, sondern in allem den anderen zu gleichen. Man besitzt ein gewisses Kapital, ist aber kein Rothschild; die Familie ist durchaus ehrenwert, aber niemals ist ihr Name mit Auszeichnung genannt; die äußere Erscheinung läßt nichts zu wünschen übrig, ist aber dabei nichtssagend; Bildung ist vorhanden, man versteht aber nicht, sie zu verwerten; a n Verstand fehlt es gleichfalls nicht, aber leider entspringen ihm keine eigenen Gedanken; Herz ist da, aber es fehlt die Herzensgröße; und so ist es auch i n jeder anderen Beziehung. Solcher Menschen gibt es eine Unmenge, weit mehr als m a n gewöhnlich annimmt. Man k a n n sie wie alle Menschen, in zwei Klassen einteilen: in die Beschränkten und die Gescheidten. Die ersteren sind entschieden die glücklicheren. Einem beschränkten Durchschnittsmenschen fällt nichts leichter, als sich f ü r einen ungewöhnlichen, eigenartigen Menschen zu halten und sich durch diesen Glauben ohne Gewissensbisse das Leben zu versüßen. Genügt es doch mancher Dame, sich die Haare kurz abzuschneiden, eine blaue Brille auf die Hase zu setzen und sich Nihilistin zu nennen, um sogleich überzeugt zu sein, d a ß sie dadurch sofort zu eigenen Überzeugungen komme. Manch anderer braucht n u r ein Fünkchen menschenfreundlichen Gefühls in seinem Herzen zu verspüren, und er ist ohne weiteres der unerschütterlichen Ansicht: er sei allen in der Entwicklung weit voraus. F ü r wieviele reicht es aus, in irgendeinem Buche mitten heraus einen Abschnitt zu lesen, u m sich einzubilden, die gelesenen Gedanken seien im eigenen Kopfe entstanden. Diese dreiste Unbefangenheit ist oft geradezu wunderbar; aber so unwahrscheinlich sie auch sein mag, sie ist und bleibt Tatsache." I n dem weiteren stellt Dostojewski einen Schablonen-Menschen d a r , der unbedingt emporzusteigen wünscht, der aber keine über d e m Durchschnitt stehenden Fähigkeiten und auch keine besondere Böswilligkeit h a t , die i h n über die anderen erheben könnte. „Von den Personen unseres Romans gehört G. A. J . zur zweiten Klasse der gewöhnlichen Menschen: den bedeutend gescheiteren. Sein ganzes Streben ging deshalb darauf aus, Eigenart zu besitzen. Leider sind die
— 17 — Wir ersehnen im Grunde Wertanerkennung von jedem, aber bei dem gleichen Ersehnen tauchen große Schwierigkeiten auf, die unsere Einstellung sich nicht völlig auswirken lassen. Verschiedene soziale Gemeinschaften haben voneinander völlig abweichende Auffassungen. Was die Angehörigen gewisser Gruppen als richtig und zweckmäßig betrachten, wird Menschen dieser Klasse sehr viel schlimmer dran als die der eisten. Der gescheite gewöhnliche Mensch hat nämlich, wenngleich er sich vorübergehend oder auch sein ganzes Leben lang für den geistreichsten und eigenartigsten Menschen hält, nichtsdestoweniger in seinem Herzen den Warm des Zweifels sitzen, der ihn bisweilen zur Verzweiflung bringt. Hier fibertreiben wir ein wenig; denn gewöhnlich ist es um diese gescheiteren Leute nicht so schlimm bestellt. Sie werden schließlich höchstens leberleidend — mehr oder weniger je nachdem — das ist alles. Doch halten sie immerhin ungeheuer zäh an ihren Einbildungen fest. Oft genug beginnen sie damit schon in ihrer ersten Jugend und gehen selbst im höchsten Alter nicht von ihren Einbildungen ab, so stark ist ihr Verlangen, eigenartig zu sein. Ja, es gibt sogar recht eigentümliche Fälle. Manch grundehrlicher Mensch ist aus Sucht nach Eigenart sogar zu einer gemeinen Handlungsweise bereit; ein anderer ist nicht nur ehrlich, sondern auch herzensgut und die Vorsehung seiner Familie, er erhält mit seiner Hände Arbeit die Seinen und sogar fremde Leute, und doch kommt er sein ganzes Leben lang nicht zu einer wirklichen inneren Ruhe. Dieser Gedanke, daß er seine Pflichten allseitig erfüllt, tröstet ihn nicht im mindesten; er regt ihn nur auf und peinigt ihn. „Seht, wofür ich mein Leben verschwenden muß, was mich an Händen und Füßen fesselt, mich hindert, das Pulver zu erfinden! Wenn das nicht gewesen wäre, ich hätte unbedingt etwas Wichtiges erfunden oder entdeckt, ob das Schießpulver oder Amerika, das weiß ich nicht genau; aber etwas Großes wäre es gewesen I' Im Wesen dieser Menschen liegt es, daß sie tatsächlich bis zum Grabe hin nicht wissen, was sie eigentlich erfunden oder entdeckt hätten, wenn — oder was zu entdecken sie ihr Leben lang bereit waren. Doch die Seelenqualen und die Sehnsucht nach der Erfindung oder Entdeckung hätten selbst für einen Galilei oder Kolumbus ausgereicht." Diesem wenig Fähigkeiten Besitzenden, um allen Preis Vorwärtsschnellen-Wollenden gegenüber gibt Dostojewsky eine interessante Zeichnung des mit seiner Unbedeutendheit zufriedenen, glficklichen Philisters. G. A. J., der emporstrebende Dutzendmensch, macht dem mit seiner Lage zufriedenen Dutzendmenschen, einem jungen Wucherer, bittere Vorwürfe. „G. A. J. war in diesem Punkte noch ein Anfänger. .Wenn Du ein Wucherer bist, sei es ganz; presse den Leuten den letzten Saft aus, sei doch ein bedeutender Geldmann, werde König der Juden 1' Der bescheidene, stille P. antwortete auf solche Ausfälle gewöhnlich nur mit einem Lächeln. Nur ein einziges Mal hielt er es für nötig, sich über diesen Punkt auszusprechen, und t a t es ernst und mit einer gewissen Würde. Vor allem suchte er G. zu beweisen, daß er nichts Unredliches tue und G. ihn mit Unrecht einen ManiV i d a , Aufstieg»
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von anderen als völlig wertlos und unrichtig gestempelt. Diese verschiedenen Auffassungen und Wertideologien differenzieren sich nach der Rolle, Bedeutung und politischen Haltung der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und nach ihren wirtschaftlichen Gütern und Traditionen. c) Die richtunggebende Umgebung. Die verschiedenen Interessen und die verschiedene Lage rufen notwendige gegensätzliche Differenzierungen hervor und lassen die ursprünglich allgemeine AnerkennungsSehnsucht nur von einer partikularen Richtung her gelten. Da kommen wir an die richtunggebenden und die Ideologie bestimmenden Umgebungen heran. Im Folgenden wollen wir diese äußerst wichtige richtunggebende Umgebung näher prüfen. Dazu, daß die Anerkennung seitens eines anderen für den einen ein wirklicher, ihn selbst beruhigender Wert sein soll, muß er, wie wir eben erwähnten, den ihn Anerkennenden erst selbst anerkennen. Wenn keine Wahl möglich ist, wird man notwendigerweise und mit voller Beruhigimg jene einzige mit ihm in Beziehung stehende unmittelbare Gesellschaftsklasse als maßgebend annehmen. Wo man nicht über die Grenze gewisser Kreise kommt, da wird notwendigerweise dieser Kreis den Wertmaßstab geben. Oder wir können, um die Sache von der negativen Seite aus zu betrachten, so sagen: chäer nenne; er könne nichts dafür, wenn bares Geld jeden Tag im Preise steige; er handle durchaus offen und ehrlich und sei schließlich nur Agent in Geldgeschäften; dank seiner Zuverlässigkeit sei er in gewissen Kreisen gern gesehen, und sein Bekanntenkreis sowie seine Einnahmen vergrößerten sich deshalb ständig. .Ein Rothschild werde ich nie und will es auch gar nicht', sagte er lachend. .Aber Hausbesitzer werde ich zuguterletzt noch. Vielleicht bringe ich es bis zu zwei Häusern, und das genügt für mich.' Bei sich dachte er: .Vielleicht werden es drei', sprach aber diesen Gedanken nicht aus. Das Schicksal liebt solche Menschen und erfüllt ihre Wünsche; es gibt ihnen nicht nur drei, sondern vier Häuser zur Belohnung dafür, weil sie schon von Kindheit wissen, daß sie nie so reich wie Rothschild weiden. Doch über vier Häuser geht das Schicksal niemals hinaus; weiter bringen es solche Menschen nicht." („Der Idiot", Bruns Verlag, Minden, Bd. II 186—90. Übersetzt v. Frz. Scharfenberg.)
— 19 — Über die Richtigkeit der Wertung kann nur dann ein Zweifel auftauchen, wenn wir zwischen verschiedenen Gesellschaftsklassen wählen können, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, daß unsere Werte nach verschiedenen Maßstäben geprüft werden. Wenn der zu der niederen Klasse Gehörige nach seinem Maß den Höherstehenden beurteilt, dann tut er es natürlich von dem Gesichtspunkt seiner Klasse aus und in der Weise, daß es der ihm seinen Maßstab abgebenden Umgebung einleuchtend ist. Infolgedessen wird, da die beurteilte höhere Klasse weiter entfernt ist, der Wertmaßstab dieser Schichten völlig entstellt. Z. B.: das einfache Volk des Dorfes liest von Königen und Kaisern und hat auch einen großen, gaffenden Respekt für sie und blickt auf sie hin wie auf Märchengestalten, aber eben wie auf Märchengestalten. So groß ist die Entfernung zwischen ihnen, daß es überhaupt nicht daran denkt, sich in seinem Handeln nach der Vorstellung ihrer Wertmaßstäbe und ihrem respektierten, höheren Verfahren zu richten. Aber wenn man auch nicht so weit geht: der Landarbeiter aus dem Dorfe urteilt, solange er eng mit seinem Kreise lebt, auch nicht nach der vorgestellten oder erfahrenen Wertung und den Maßstäben des Gutsbesitzers, weil auf diese Weise seine eigenen Werte für ihn selbst nicht zu entsprechender Anerkennung, zu genügend günstiger Beleuchtung kämen. Man ist stets bereit, sein Verfahren und seine Lage so darzulegen, und seine Logik womöglich so zu dressieren, daß das eigene Verfahren als das richtigste und günstigste erscheint. Wenn der Landarbeiter auch die Werturteile des Gutsbesitzers in der Tiefe seiner Seele höher achtete als seine eigenen, so würde er doch infolge des segensreichen Trostes des Ressentiments so urteilen, daß er volle Beruhigung findet. Außerordentlich mächtig ist bei jedem die Wirkung der richtunggebenden Umwelt. Ihre Wertung wird die Wertung schlechthin, ihr Urteil das höchste Urteil sein. Ihre Gedankenwelt und Beurteilung wird für den Betreffenden seine Gedankenwelt und seine Beurteilung werden. Nach ihnen urteilt er über Kleines und Großes, über Niedriger- oder Höherstehende. Mit sicherem Fuß auf dem Boden der Auffassung seiner Schicht stehend bezeichnet solcherweise der einfache 2*
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Arbeiter die Aristokraten als „albern" oder die Mittelklasse als „beschränkte Konsumenten". So betrachten die Anhänger der verschiedenen Religionen (deren Ahnen eventuell durch einen bloßen Zufall — cuius regio, eius religio — oder durch materielle Vorteile eben diese Religion angenommen haben) von vornherein die Lehren anderer Bekenntnisse als Torheit und deren Anhänger als Beschränkte. So betrachtet überhaupt die eine Gemeinschaft die Auffassungen anderer Gemeinschaften als offenkundige Unrichtigkeiten. Man folgt dem Urteil seines Kreises. Schon bei der Ausführung der Handlung gefällt es dem und beruhigt es den Betreffenden, in schicklicher Weise nach dem Gefallen seines Kreises gehandelt zu haben. Der zu Schändlichkeiten und Diebereien abgerichtete Zigeunerjunge, der überall in seiner Umgebung nur niedrige Handlungen sieht, betrachtet die Benachteiligung anderer als ebenso natürlich und erlaubt wie der Gutsbesitzer die Rehjagd; er sieht in dem Gendarmen oder Richter ein ebensolches Unglück, wie die ehrlichen Leute in der spanischen Influenza oder in den Pocken. Wenn es nun für jeden Menschen eine maßgebende Gesellschaftsklasse gibt, nach deren Beurteilungsweise er etwas richtig und günstig erledigen will, so bedeutet das durchaus nicht, daß die ethischen Auffassungen dieser Klasse mit den schon seit seiner Geburt vorhandenen eigenen, ethischen Gegebenheiten übereinstimmen; sondern es ist offenbar, daß die ethischen Gegebenheiten sich nach dem gestalten, was in dem richtunggebenden Kreise Geltung hat. Der in einer Umgebung von Missetätern selbst zum Missetäter gewordene Mensch, der das aus Räuberei stammende Geld gewissenhaft und bis auf den letzten Pfennig mit seinem mitschuldigen Genossen teilt — wie er es versprochen hat —, könnte bei einer andersartigen Gestaltung der Umstände gewiß ein würdiges Glied der Gesellschaft sein. Jener Bankdirektor, der jede nicht kontrollierbare Summe und Vertrauensausgabe seiner Aktiengesellschaft entzieht, steht ethisch gewiß niedriger als der vorgenannte Missetäter, auch dann, wenn er zufällig Wirklicher Geheimer Hofrat und Ehrendoktor ist und soviel hohe Orden zählt, wie der andere Jahre im Zucht-
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haus zugebracht hat. Die ethischen Gegebenheiten haben nichts damit zu tun, was für Ideale sich infolge des Einflusses der Umgebung entwickelten. Unzweifelhaft hängen die geistigen und seelischen Werte nicht völlig damit zusammen, wie der Kreis beschaffen ist, der für jemand richtunggebend wird. Der Mensch sehnt sich nach der Geltung seiner Werte, und die Gestaltung der umgebenden Umstände bringt fast gesetzmäßig die Annahme der Urteile und der Ideenwelt irgendeines Gesellschaftskreises als richtunggebend mit. Irgendein Kreis kann auch dann richtunggebend sein, wenn eventuell irgendetwas aus seinem Urteil und seiner Grundeinstellung der Gesinnung in der Tiefe unserer Seele widerspricht. Wie viele törichte Menschen nehmen als richtunggebend einen Kreis an, der von erhabensten ethischen Ideen durchdrungen ist. Man denke nur an die törichten Schwärmer in der Anhängerschaft großer Priester1). Wie viele weise Männer wiederum gingen törichten Ideen der anderen nach und handelten so, daß sie damit dem Gefallen und dem Werturteile der Törichten entsprachen. Aber wir wollen zu den ethischen Gegebenheiten zurückkehren. Es gibt gute Menschen, die das Gefallen und die Anerkennung ethisch Niedrigstehender als ihr höchstes Maß betrachten, und umgekehrt. — Nun sind unzweifelhaft für die Beurteilung des Guten und Schlechten verschiedene Maßstäbe vorhanden. Die richtunggebenden Kreise gestalten die ethischen Gegebenheiten nach sich um. Der englische Offizier z. B., der in seinen Handlungen zu Hause in England ein edelfühlender, ehrenhafter Gentleman mit sauberen Händen ist, verfährt dem Buren gegenüber oder, um in der Jetztzeit zu bleiben, gegenüber den indischen Interessen durchaus niederträchtig und böswillig. Beträgt er sich nicht so, dann wird er zurückgerufen als ein Unnützer, der von „Politik" nichts versteht. Wenn er auch nur ein wenig wünscht, daß seine Werte in dem für ihn maßgebenden Kreise zur Geltung kommen — und das will jeder Mensch —, so wird er zu schlimmen Handlungsweisen gezwungen. Er braucht deshalb durchaus nicht ein böser, noch weniger ein schwacher Mensch zu sein. *) Wir sagen damit nicht, daß die Begeisterung für einen großen Priester eine Torheit sei.
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Der eigentliche umformende Kampf der Ideologien — wie wir es schon vorher streiften — fängt erst da an, wo irgendein Glied der Gemeinschaft mit einer anderen in nähere Berührung kommt. Obwohl jeder Mensch sich nach — Höherem sehnt, so wird doch das Höhere für ihn erst dann ein starker Ansporn, wenn er näher mit ihm bekannt wird. Wenn der arme Erdarbeiter einen Roman über Grafen und Fürsten, über großen Wohlstand und Reichtum liest, so werden ihm die Helden des Romans gefallen, das erklärt sich aus der Psychologie des Mitfühlens beim Lesen, und er wird vielleicht Sehnsucht nach ihrer Welt haben. Aus Wertauffassungen dieser höheren Schichten saugt er mit gierigem Durst ein, was der Roman davon wiedergab. Vielleicht wird sich auch in einzelnen Bemerkungen die gelesene bewunderte Ideologie der höheren Gesellschaftsklasse offenbaren. Aber die Zeit schreitet vor, der Arbeiter kommt zu anderen Büchern, die „gräfliche" Welt liegt in weiter Ferne, er erlebt Freude in seinem Kreise und er kehrt nun zu der Ideologie seiner Umgebung zurück, bevor er sich tatsächlich davon abgewandt hätte; —und dann weiter, der tausendfache gleiche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zwang des Lebens formt seine Geisteswelt zusammen mit der ihn umgebenden. Das ist nicht in gleicher Weise der Fall in folgendem Beispiel: In dem kleinen Dörfchen sieht sich die Tochter des Schultheiß oder des Gendarmen als dem führenden Kreise angehörig an und mit Recht betrachtet sie die Meinung ihrer immittelbaren Umgebung als richtunggebend. Nun aber kommt sie als Dienstbote zu städtischen Herrschaften und langsam ändert sich ihre Anschauung. Anfangs beanstandet sie alles, indem sie den Maßstab ihres Dorfkreises anlegt: „Was zum Teufel soll der seidene Schirm, der das Licht wegnimmt und der zerreißt, wenn man ihn richtig anfaßt!" Mit der Zeit aber verändert sich alles. Sie erkennt ihre untergeordnete Stellung. Die anderen gehören einer höheren Klasse an, und sie selbst sehnt sich auch dahin.1) Je enger sie mit ihrer x ) Für diese Sehnsucht bei den untergeordneten historischen Schichten gibt vorzügliche Belege Hans Naumann, der beweist, daß die deutsche Volkskunst bis zum Volkslied herabgesunkene Herrenkunst, die deutschen Volkstrachten herabgesunkene Herrentrachten sind. (Hans Naumann:
— 23 — niedrigen Lage verbunden ist und je mehr sie ihre Eltern und ihr Dorf liebt, mit um so größerem und erbitterterem, trotzigerem „Haß" wendet sie sich gegen sie. (Das ist der Haß der von den äußeren Umständen beleidigten Liebe.) Sie will alles nach den Werten der städtischen Herrschaft betrachten und es tut ihr leid, diese Wertung bei den Ihrigen nicht zu finden. Wenn sie nach Hause geht in ihr Dörflein, so schaut sie herab auf das frische, zu Hause gebackene Brot, findet das aus dem Kalender herausgeschnittene Bild geschmacklos und mißachtet die sonstigen Dinge, an denen sie früher ihre Freude hatte. Sehr große Wirkung hat das Sich-gegenüber-finden gegenüber der Geringschätzung einer anderen Klasse. Der Kampf der Ideologien gewinnt dadurch eine größere Geschwindigkeit und stärkeres Leben. Aus der Geringschätzung kann sich eine zweifache Folge ergeben und meistens beGrandzüge der deutschen Volkskunde. Quelle und Meyer, Leipzig 1922. Wissenschaft und Bildung, Nr. 181.) — G. Tarde schreibt: „Wenn der Plebejer zwischen zwei Beispielen blindlings dasjenige des Patriziers wählt, der Bauer das des Städters, der Provinziale das des Parisers (. . . Absprung . . . der Nachahmung von oben nach unten . . . ) , so ist die Nachahmung . . . von der Einbildung bestimmt worden, daß das Beispiel des sozial Höherstehenden das Bessere sei." (Die sozialen Gesetze, S. 33 cf. Lit. II.) Diese Behauptung hält aber nur dann stand, wenn dem „Höherstehenden" gegenüber ein untergeordnetes Verhältnis oder ein untergeordneter Verkehr besteht. In dem Falle z. B., daß der Bauer sich von der Stadt unabhängig machen kann, wird er deren Werte herabschätzen und verkleinern, damit er seine eigenen desto mehr schätzen könne. — Wenn auch Hans Naumann recht hat und der Ursprung der Volkstracht die Nachahmung des Herren ist, so stammt das aus der Zeit, in der das „Volk" meist in der Leibeigenschaft der Herren war, also ein untergeordnetes Verhältnis bestand. Unzweifelhaft prägte sich bei ihnen in späteren Zeiten, als der Ursprung der Trachten schon dunkel geworden war (wie in letzter Zeit) die Volkstracht als eine Verharrung aus, als ein stolzes Gegenüberstehen des „Bäuerischen", des „Völkischen" dem „Herrischen" gegenüber, das man als weniger wertvoll ansah. Eine gewisse Rückkehr von dieser zu der früheren Bewertung können wir eben heute sehen, wo infolge der schnellen Verkehrsmöglichkeiten der dörfische Mann in stärkerer Berührung mit der mehr Möglichkeiten bietenden Stadt kommt; weil er nicht von den Städtern auf sich herabsehen lassen will, ist er bestrebt, seine alten Sitten und Moden aufzugeben und sich dem Städtischen anzupassen. — Vgl. auch über die Nachahmung seitens der „Beherrschten" den Herrschenden gegenüber die Ausführungen bei Vaerting, Soziologie und Psych, der Macht B d . I.
— 24 — kommt jede von beiden ihre Rolle. In dem einen Falle schmiegt sich die beleidigte Wertschätzung des Menschen seiner Umgebung stärker an und er tritt ihr näher. Besonders stark wird das Bewußtsein der Klassenzugehörigkeit, wenn man deshalb Unterdrückung oder gar irgendein Martyrium erleiden muß. — Anderseits aber wird die Sehnsucht stark (vielmals geschieht es fast unbewußt), zu der anderen zu gehören, welche mehr Gutes bieten kann. Der Neid spricht aus ihm oder die von Ressentiment affizierte Gedankenwelt, wenn der Mensch die Höheren, wohin er auch sich selbst sehnt, aber von welchen er weit entfernt ist, schmäht, und der Wunsch, sich selbst zu beruhigen, wenn er in seinen Handlungen auf ihre Wertungen herabschaut und zu den Wertungen seiner Klasse flüchtet. Wenn der von einer höheren Klasse Geringgeschätzte zu seiner Klasse flüchtet, ohne ihr doch wirklich nahe zu kommen und die rechte Wertung bei ihr zu finden, so wird ihm auf einmal die bisher verschleierte Sehnsucht nach der Zugehörigkeit zu den anderen bewußt. E s ist durchaüs kein Sich-Wandeln nach den bloßen Interessen, sondern meist eine erschütternde Entdeckung dessen, was gewisse Gefühle und äußere Umstände verdeckt hatten. Bei diesen sind die Gefühle, die sich auf verschiedene Klassen richten, in ständigem Kampf, und jeder Sieg wird auch einen tief schneidenden Schmerz verursachen, weil der Besiegte auch ein Teil des eigenen inneren Selbst ist. Bei den aus niedrigem Stand in die Höhe Kommenden sehen wir oft die Wahrheit des biblischen „nemo propheta in patria" 1 ). In diesen Fällen wird die Sehnsucht, höher zu stürmen, angefeuert durch den Umstand, daß sie in ihrer Klasse wirkliche Anerkennung nicht gefunden haben. Ihre Begierde nach richtiger Wertung führt sie immer höher, um volle Rechtfertigung vor sich selbst und Wertanerkennimg bei den anderen zu finden. Wer auch bei der höheren Klasse Wertanerkennimg nicht findet und wem seine Begabimg, seine Willenskraft oder andere Umstände es nicht ermöglichen, noch höher zu steigen, der sucht jetzt zu der niedrigeren herabzusteigen, weil seine Seele doch irgend*) Math. 13, 57; Luc. 4, 24; Joh. 4, 44.
— 25 — wo eine Wertanerkennung sucht. Hier kann er aber nicht immer volle Befriedigung finden, denn die Tendenz des sich Höhersehnens kann sich da vielfach nicht sättigen. Es wird nur ein Ersatz sein neben einem schmerzlichen Beigeschmack. Gleichfalls steigen in eine niedrigere Klasse herab die Angehörigen der höchsten Klasse, wenn sie in Gesinnungsgegensatz zu ihrer eigenen Klasse kommen. Wir brauchen wohl kaum zu betonen, daß wir zur Feststellung der höheren und niederen Klassen keine imbedingt sicheren Maßstäbe haben. Es ist zwar wahr, daß wirtschaftliche und politische Macht oder die höhere Bildung im allgemeinen denen gegenüber, die daran weniger oder keinen Teil haben, als höher betrachtet werden, aber die Klassenhöhe und das Tieferstehen ist stark beeinflußt durch die Skala der unerforschbaren, subjektiven seelischen Bewertungen und durch die Ressentiments gewisser Ideologien. Zu der Bewertung einzelner Klassen haben wir die verschiedensten Skalen, aber nirgends einen sicheren Maßstab, um festzustellen, welche davon die richtige ist.
III. Kapitel. Die Regeln der Zugehörigkeit zu Gesellschaftsklassen. In diesem Kapitel wollen wir uns mit den Bedingungen der Zugehörigkeit zu einzelnen Gesellschaftsklassen befassen. In den verschiedenen Zeitaltern und Kulturgemeinschaften waren die Bedingungen der Zugehörigkeit zu sozialen Gemeinschaften sehr verschieden. Einerseits scheint es schwer zu sein, uns nicht in die Partikularität einzelner, spezieller Zustände zu verirren und falschen Schlüssen zu unterliegen. Andererseits kann uns die große Zahl der Verschiedenheiten und Abweichungen leicht bedenklich machen, ob wir überhaupt bei unserem Gegenstand von Gesetzlichkeit sprechen dürfen. Ist nicht unser Gegenstand ein rein idiographischer ? Die verschiedenen Zeitalter und Gesellschaftsklassen verfügen über eine eigene Individualität. Dürfen wir nun um jeden Preis allgemeine Gesetzmäßigkeiten gewaltsam herausstellen und laufen wir nicht Gefahr, bloße Theorien aufzubauen? Es wird unsere Aufgabe sein, unseren Gegenstand aus der Hülle des Scheins der vollkommenen Spezialität zu befreien und allgemeine Gesetze zu suchen, falls wir die Möglichkeit wissenschaftlicher Forschungen für ihn nicht völlig ausschließen wollen. Bei unseren Forschungen müssen wir uns bemühen, aus der riesigen Zahl der Probleme in erster Linie diejenigen Elemente zu erfassen, die dem Problem unserer Abhandlung am nächsten stehen. Wir wollen zunächst Einiges über die bedeutendsten gegenwärtigen Klassentheorien ganz kurz ins Auge fassen. Die Feststellung der Tatsache, daß Gliederungen in Gesellschaftsklassen notwendigerweise bestehen, findet im allgemeinen keinen Widerspruch. Die Natur hat die Menschen verschieden, mit voneinander abweichenden Fähigkeiten, Neigungen und Auffassungen ausgestattet. Die Men-
— 27 — sehen sind durch ihre verschiedenen Fähigkeiten notwendigerweise in den Besitz verschiedener gesellschaftlicher Güter und Macht gekommen. In der menschlichen Natur liegt von vornherein verborgen die natürliche „ursprüngliche Akkumulation" der verschiedenen gesellschaftlichen Güter und Machtpositionen, die im Laufe der Generationen infolge der mit der Zivilisation notwendigerweise hervorgekommenen, sich immer weiter verzweigenden Arbeitsverteilung eine allmähliche Klassenaufteilung hervorgebracht haben. Die Staaten und Gesellschaften mit höherer Zivilisation sind keineswegs ohne Gesellschaftsklassen vorzustellen. Knabenhans zeigt, daß auch sogar bei den primitiven Austrainegern Klassenunterschiede vorhanden sind. (K.: Die politische Organisation bei den Austrainegern, Studien zur Ethnologie und Soziologie, Heft II, Berlin 1919.) Von den Anhängern der Doktrin der Notwendigkeiten der Klassengliederung möchten wir nur einige wenige, heute geltende Autoritäten erwähnen: Georg Jellinek, Lorenz v. Stein, Leopold v. Wiese, Georg Simmel, Max Scheler (vgl. Lit. zu III). Dem gegenüber stehen die Vertreter der ,,Gewalttheorie", die die N o t w e n d i g k e i t der durch die ganze Geschichte sich durchziehenden Klassenunterschiede gesellschaftlicher Mannigfaltigkeiten in Zweifel ziehen und deren Behauptung als „Kinderfibel" bezeichnen. Von ihnen möchten wir drei bedeutende Namen hervorheben: Marx, Oppenheimer, Dühring (vgl. Lit. zu III). Marx sieht die Entstehung der Klassen als das Werk der Gewalt an. Die ausschließlichen Aneignungen gewisser wirtschaftlicher Güter (besonders Produktionsmittel) rufen die Knechtschaft der anderen hervor. Eine ursprüngliche Akkumulation der von vornherein vorhandenen Fähigkeiten und Anlagen zu Vermögen und Macht besteht nach ihm nicht. Die Mächtigen sind nicht besser und würdiger als diejenigen, die von der Macht und dem Reichtum ausgeschlossen sind. Die Staaten sind die politischen Organisationen der Mächtigen und die Staatsapparaturen sind Garantien der Ungerechtigkeiten. Damit die Ungerechtigkeiten aufhören, müssen in erster Reihe die Klassenherrschaften aufhören und die Produktionsmittel gemeinsam werden. Die Staatsapparaturen müssen die gleichen Rechte und den wirtschaftlichen Wohlstand der arbeitenden Masse und aller Schichten sichern. Oppenheimer verwirft ähnlich das Prinzip der durch verschiedene Fähigkeit bestehenden „ursprünglichen Akkumulation" und sieht allein in der groben politischen Macht den Grund der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verschiedenheiten. Der Staat ist eine Anstalt der durch Macht und Grundbesitz herrschenden Klasse, die mit dessen Hilfe ihre Macht stabilisiert. Die großen Massen wurden aus den wirtschaftlichen Gütern solcherweise herausgedrängt, daß der für ihren Lebensunterhalt das erste Bedürfnis bedeutende Boden der Besitz einer „Klasse" wurde und alle diejenigen, die an der Produktion des Bodens teilhaben wollten, von ihr in Abhängigkeit gekommen sind. So entstanden die zwei mächtigen Klassen: die herrschende und in Gütern schwelgende und die arbeitende und nichts besitzende. Diese Klassen sind im Laufe der Zeit differenzierter geworden. Um die schreienden gesellschaftlichen Klassenunterschiede zu beseitigen, muß es primäre Bedingung sein, den Lebensunterhalt bietenden Boden vom
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Privateigentum zu befreien. Dadurch würde jede größere Vermögensakkumulation und damit Unterdrückung unmöglich. Er sieht eine besonders wichtige Aufgabe des Staates außer dem Grenz- und Rechtsschutz in der Garantie der allgemeinen Wohlfahrt seiner Einwohner. Der auf gerechter Grundlage stehende Staat kann nicht mehr „Klassenstaat" sein. Dühring meint, nicht in dem Kapital noch in dem in Besitz genommenen Boden, sondern in den zu diesem noch hinzukommenden egoistischen, antisozialen Neigungen liege der Grund für die gesellschaftlichen Gegensätze. Besonders hebt er die Rolle der Gewalt und die der tierischen Triebe des Menschen hervor. Diese im Zaume zu halten und in Einklang zu bringen mit den Interessen der Gemeinschaft, wünscht er eine gesteigerte Teilnahme des Staates. Der Einzelne kann besitzen und über Eigentum verfügen bis zu dem Grad, wo die Lebensinteressen anderer damit nicht verletzt werden. Unsere kurze grundsätzliche Bemerkung zu dem obigen ist: Gegenüber den Gesetzen der Geschichte kann keine Gewalt bestehen und der Sieg der Starken und Mächtigen ist eine Notwendigkeit. Der Egoismus und die Triebe der Menschen können mit keinerlei Theorien verändert werden. Ohne „Unterdrückung" — auf die wir teilweise noch zurückkommen werden — wäre jeglicher Kampf und jegliches Vordringen unmöglich. Die Gewalt und ihre jeweilige Anwendung sind auch selbst Früchte geschichtlicher Notwendigkeiten. Die Theorien vom „Imzaumhalten" der Menschen können keine völlige Neuordnung unmittelbar verwirklichen. Aber wenn sie durch geschichtliche Notwendigkeiten ein geschichtlicher Wirkungsfaktor werden, dann können sie im langsamen Übergang zu gewisser kompromißhafter Verwirklichung kommen. Der Inhalt solcher Kompromisse kann aber nirgends im Gegensatz zu den elementaren Gesetzen der menschlichen Natur stehen. W i r gehen an unseren eigentlichen Gegenstand heran. W a s bestimmt einzelne Gesellschaftsschichten ? — E s scheinen zunächst zu den bestimmenden F a k t o r e n zu gehören die gleiche oder ähnliche wirtschaftliche und politische Macht und Interessen, ferner eine gewisse räumliche N ä h e 1 ) . Die Unter Klasse verstehen die verschiedenen staats- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen etwas äußerst Verschiedenes. Sogar wo der Inhalt des Begriffes vermutlich identisch ist, sehen die Verfasser abweichende bestimmende Kriterien. Sie versuchen auf sehr abweichendem Wege ihren Gegenstand zu ergreifen. (Vgl. Mombert: „Zum Wesen der sozialen Klasse." Lit. III.) Als Beispiel weisen wir auf Pesch (Lehrbuch II, 774) wie auch Philipovich (Grundr. der politischen Ökonomie, Bd. I, X I . Aufl., S. 117) hin, die in dem auf eine Gruppe sich beziehenden gemeinsamen Prestige das Klassenkriterium sehen. Oppenheimer schreibt: „Unter Klasse wollen wir verstehen erbliche, einander über- und untergeordnete Dauergruppen,... im weiteren Sinne die Kasten, Stände und Klassen im engeren Begriff." Was die Kasten und die geschichtlichen Stände betrifft, können wir in der T a t von Erblichkeit sprechen, aber das trifft nicht immer zu bei den im engeren
— 29 — gleiche wirtschaftliche Lage und die Gemeinsamkeit der Interessen können gemeinsame oder ähnliche Bestrebungen und Ideale hervorrufen und damit in den Auffassungen gewisse Übereinstimmungen erzielen. Die durch das Interesse der einzelnen Menschen bestimmte Ähnlichkeit wird mit den zu einer gesellschaftlichen Schicht verschmelzenden Beziehungen von vornherein zu einer Tatsache, welche über spezielle Regeln und Bestimmungen verfügt. — Die räumliche Nähe ist die Voraussetzung für eine Anpassung und für ein tatsächliches Zusammenwirken. Die Presse z. B. kann nie die in verschiedenen Gebieten lebenden Menschenmassen zu einer Gemeinschaft binden. Die Leser der Presseprodukte stehen nicht miteinander, sondern mit einem gemeinsamen Organ in Verbindung, dem gegenüber sie in vieler Hinsicht in einer passiven Lage sind. Das Blatt spricht und das ist lesbar, aber die Einzelnen können nichts dazu sagen, wie zu den Mitgliedern der räumlich nahen Gesellschaft. Infolge der fehlenden räumlichen Nähe können auch die verschiedenen Herrscherfamilien nicht eine Gesellschaftsklasse bilden. Sie stehen zwar in einem gesellschaftlichen Rang, sie sind aber keine Klasse. Die Gesellschaftsklassen sind entweder durch Machtverordnungen und Vorteile (negative und positive Privilegien, Weber) bestimmt, oder sie entstehen frei. In die ersteren gehören die Kasten und Sklaven, bzw. die privilegierten, schon von Geburt an mit besonderen Titeln und Vorteilen ausgestatteten Aristokraten. Zu den sich frei bildenden Gesellschaftsklassen gehören diejenigen, die durch ihre freie und ähnliche wirtschaftliche Lage oder die durch ihre frei gewählten Berufe eine Klasse bilden. Die beiden Klassen, —die durch Machtbefugnisse bestimmte und die frei gebildete — zeigen Sinne genommenen Gesellschaftsklassen. (Z. B. die Zagehörigkeit zur Beamtenklasse erwirbt man doch nicht auf erblichem Weg, nur die nicht erwachsenen Mitglieder der Beamtenfamilie sind ein undifferenzierter Teil dessen, was der Vater im ganzen vertritt. Dasselbe ist der Fall bei den nicht historischen Standesbenennungen, wie „Gelehrtenstand".) Wir fanden bei keinem Verfasser die Kriterien der Gesellschaftsklassen für ausreichend und hoffen mit unseren weiteren Ausführungen zur Klärung beitragen zu können.
— 30 — sich nicht in voller Reinheit, sondern sie sind nur vermischt anzutreffen1). So konnten die Sklaven befreit werden nnd die Yogis können sich aus ihrer Kaste lösen und Privilegien können verloren gehen oder wertlos werden. Andererseits sind die Gesellschaftsschichten der Timokratie und die der Berufe wirtschaftlichen wie den durch die Staatsmacht bestimmten Gesetzen dauernd unterworfen. Die statische Form und die Wandlungen der dynamischen Elemente zeigen gewisse bestimmte Bewegungen, ein Fluten in dem inneren Wesen der Gesellschaftsklasse. Aus den einzelnen Gesellschaftsklassen heben sich Einzelne heraus und kommen in höhere, andere sinken in die niedrigeren ab. Die durch Gewalt geregelten und frei gebildeten Klassen waren ebenso wie das Fluten zwischen den verschiedenen Klassen in verschiedenen Zeiten sehr voneinander abweichend. Im Urzustand können wir sicher in erster Linie von frei gebildeten Klassen sprechen, obwohl aller Wahrscheinlichkeit nach die „Gewalt" der größeren Körperkräfte bei der freien Bildung entscheidend war. Mit der Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens wurden die gebundenen Gesellschaftsklassen immer ausgeprägter. Ihr erster eigentlicher Ursprung war irgendein belohntes Verdienst oder eine Gunst bzw. eine begangene Sünde, oder Besiegtwerden durch einen Stärkeren. Die zur Demokratie neigende Gesellschaft unserer Zeit strebt nach dem Verschwinden der gebundenen Klassen und nach der freien, vollkommenen Gültigkeit der persönlichen Verdienste. Aber das konnte bis heute nicht durchgeführt werden und wird auch in Zukunft kaum zu erreichen sein. Nach der Lehre der Geschichte scheinen hier grundlegende Gesetze vorhanden zu sein.
Fassen wir jetzt die gebundenen und die freien Klassen näher ins Auge. Wir können im engeren und weiteren Sinn von gebundenen Klassen sprechen. Wo irgendwelche ausgesprochenen Gesetze der Staatsmacht eine Klasse bestimmen, da können wir im engeren, wo die Gewohnheiten oder andere, nicht gesetzliche Mächte befehlen, da können wir im weiteren Sinne von gebundenen Klassen sprechen. Bei den gebundenen Klassen sprechen wir, wenn die zu ihnen gehörenden gesteigerten Dienstleistungen ausgesprochene Vorteile ergeben, von begünstigten und wenn sie in einen gewissen minderrechtlichen Zustand gezwungen werden, von belasteten Klassen. Die Privilegien und die Lasten können bedeutend und weniger bedeutend sein. x ) Wo sich diese Klassen vollkommen rein zeigen würden, dort wäre das gesellschaftliche Werden, der gesellschaftliche Lebensprozeß stehen geblieben. Da würden wir uns einem nicht mehr lebenden Wesen gegenüberfinden.
— 31 — Ausgesprochene Ausnahmegesetze lasten heute auf keiner Klasse mehr. In den meisten Staaten, auch in den Kolonien, kann sich jeder seinen Beruf, für den er Ausbildung finden kann, frei wählen, und wenn er seinen Mann steht im Kampf um den Beruf, dann kann er ihn auch erreichen. Die durch Gesetze privilegierten Klassen — Herrscherfamilien, Aristokraten und Adelige — verlieren immer mehr an Bedeutimg. In weiterem Sinne wird die Entwicklung der Gesellschaftsklassen durch die Familienverbindungen begünstigt. Hier ist zu erwähnen der in der Laufbahn oder im Beruf erreichte große Ruf und das Ansehen des Vaters. So verfügen z. B. in der diplomatischen und Beamtenlaufbahn die Aristokraten und Nachkommen weniger Beamtenfamilien über besondere Chancen. Die Familie, die etymologisch eigentlich Sklavenschaft (famulatus), Gebundenheit bedeutet hat, ist heute eine Gebundenheit, miteinander zusammenzuhalten und zu helfen. Den Familienbeziehungen sind ähnlich die verschiedenen gesellschaftlichen Gebilde (Vereine, Berufskammer, soziale Einrichtungen) und Gemeinschaften, die auch — wie wir darauf noch zurückkommen werden —der Familie ähnliche Begünstigungen bedeuten können. Im weiteren Sinne lastet auf der Entwicklung gewisser Gesellschaftsklassen der Mangel an materiellen Mitteln für den Aufstieg, die Verachtung anderer Gesellschaftsklassen ihnen gegenüber und die Ablehnung durch diese. So gibt es überall arme Bauern- und Bergmannsdörfer, wo die Arbeit des sich entwickelnden Kindes nötig ist, damit die Eltern in der Lage sind, das Kind selbst mit Nahrung und Kleidung zu versehen. Die Wohltätigkeitseinrichtungen und Freiplätze machen nur für einen Teil der besonders Begabten das Weiterkommen möglich. Eine ähnliche Last kann sein der Mangel an politischen Rechten und noch mehr der Mangel an Bildung, sodaß man sowohl die politischen wie wirtschaftlichen und sozialen Umstände nur ungenügend durchschauen und mit ihnen walten kann und dazu verdammt wird, unter geistiger Versklavung meistens wenig gewissenhafter politischer Führer wirtschaftlichen Unternehmertums und freierer Gesellschaftsschichten zu stehen. — Die Vorbestraften, die Unehelichen und sogar gewisse Kranke (die Aussätzigen, die Taub-
— 32 — stummen und Krüppel in ihren besonderen Anstalten und Heimen) können wegen der ihnen gegenüber bestehenden Mißachtung bzw. Absonderung als belastete Gesellschaftsklassen aufgefaßt werden. An erster Stelle können wir die Gesellschaftsklasse der Berufe als freie bezeichnen, die nur an offenbare Begabungen und Fähigkeiten gebunden sind1). Hier bindet allein die Begabung. Das sind die Laufbahnen, die nur den Auserwählten offenstehen: den Künstlern, Erfindern, Feldherren, Gelehrten, politischen Führern, Schriftstellern usw. Ihre Gesellschaftsschichten sind ihrer Entstehung nach die freiesten. Weitere freie Berufe sind die, die zwar spezielle Fähigkeiten verlangen, die aber qualitativ anders und nicht so eindeutig wie bei der vorerwähnten Gruppe sich ausweisen. Das sind die zu einer führendenPosition Berufenen, ihren Mann im wirtschaftlichen Kampf besonders Stellenden (Fabrikunternehmer,Trust-Direktoren, die Förderer großer Handelsunternehmungen, Organisatoren), die durch ihre Begabimg an die Spitze gekommenen Beamten, über spezielle Fähigkeiten verfügende Gewerbetreibende und Facharbeiter. Ferner können wir als frei gebildet die Berufe und Stellungen bezeichnen, die der durch seine Fähigkeiten Würdige ohne unbefugten Einfluß gewinnt, und wo es diesen möglich ist, ihre Werte vollkommen zu entfalten. So nennen wir als freie Berufe, in denen die Tauglichen mehr erreichen können, diejenigen, die dasVorhandensein bestimmter Erfordernisse, das Absolvieren eines gewisse Fähigkeiten verlangenden Studiums usw. nötig machen, gegenüber z. B. der Beamtenlaufbahn im allgemeinen, wo der Aufstieg durch diskretioneile Ernennung vor sich geht. Je mehr der Beruf an Begabung und Tauglichkeit gebunden und allein davon irgendeine Laufbahn abhängig gemacht ist, desto mehr dürfen wir ihn frei und unabhängig nennen. (Natürlich sind von anderen Gesichtspunkten aus betrachtet auch diese Laufbahnen als gebundene anzusehen.) *) Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerken wir, daß wir Klasse und Berufe nicht etwa gleichsetzen wollen, aber wir halten (wie wir darauf noch zurückkommen werden) das Näherstehen der Berufsfunktionen für eine bedeutende Komponente bei der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsklasse.
— 33 — Der gemeinsame Beruf, der gleiche Rang, die gleichen Rechte und Interessen können Menschen zu einer Gesellschaftsklasse vereinigen1). Aber die gekennzeichneten Umstände sind für einzelne Gesellschaftsklassen nur äußerliche und formelbestimmend. Täglich können wir formal in einen bestimmten Rang und in bestimmte Klassen Gehörende sehen, die in Wirklichkeit nach den Gedankengängen, nach der Ideologie und nach der Weltanschauung ganz anderer Gesellschaftsklassen denken und urteilen. Man trifft Gelehrte, die in ihrer Seele Bauern geblieben sind und Aristokraten, die zwischen mittleren Beamten und Spießbürgern leben, mit deren Verstand denken und die sich in ihrer standesgemäßen Gesellschaft gezwungen fühlen. Unzweifelhaft ist, daß die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf oder Rang, daß gemeinsame Rechte und Interessen weitaus nicht das durchaus Bestimmende der Gesellschaftsschichten sind, noch weniger die nur wirtschaftlichen Güter. Auch in Amerika nicht, wo es aber das höchste Ideal der verschiedenen Berufe und Bestrebungen ist, zu möglichst vielen wirtschaftlichen Gütern zu gelangen. Wir müssen tiefer greifen, um die Gesetze der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Gesellschaftsklasse festzustellen. Wenn wir diese prüfen und über die Natur ihrer Regeln nachMax Weber spricht von Besitz- und Berufsklassen und gebraucht eine sich weit verzweigende Aufteilung in seinem nachgelassenen Werk „Wirtschaft und Gesellschaft" S. 6 3 1 ff. (vgl. L i t . III). Bei ihm sind die „ K l a s s e n " primär ökonomisch bedingt, solange die „ S t ä n d e " durch gewisse besondere Ehre und Lebensführung bestimmt sind. Diesen sehr eingehenden, die Verhältnisse verschiedenster Zeiten und — für die wissenschaftliche Forschung schwer erreichbarer — Völker einbeziehenden Auseinandersetzungen können wir mit kurzen Gegenargumenten kaum gerecht werden. Doch wollen wir bemerken, daß wir die enge Abgrenzung zwischen Klasse und Stand nicht für zutreffend halten. Bei der Entstehung einer Klasse spielt das Würdegefühl ebenso eine Rolle wie bei dem Stand das ökonomische Moment. Wir verstehen unter „ S t a n d " jene gesellschaftliche Gliederung, deren Rolle gegenüber der Klasse im gesellschaftlichen Ganzen eine schärfer bestimmbare ist. Das spezielle Würdegefühl ist nur bei den über eine besondere geschichtliche Vergangenheit verfügenden Ständen vorhanden. Wie würde z. B . Weber mit seinen erwähnten Einteilungen dem Stand der „nouveaux richges", die ohne Zweifel keine Klasse, sondern Stand sind, gerecht ? V i d a , Aufstieg.
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— 34 — denken, dann müssen wir zu dem Ergebnis kommen, daß außer den formellen, äußerlichen gewisse innere, seelische Bedingungen bestehen. Das Bewußtsein der Zugehörigkeit oder besser ausgedrückt, das Gefühl der Zugehörigkeit, bestimmt viel eher für jemand die Gesellschaftsklasse als rein äußerliche Umstände. Wir nennen also das Gefühl der Zugehörigkeit als bestimmend. Eine weitere Frage bleibt für uns die, wodurch das Gefühl der Zugehörigkeit bestimmt wird. Was ist dieses Bestimmende? Die Antwort ist äußerst schwer. Nach unserer Auffassung bedeuten alle bewußten Momente unseres Lebens eine bestimmende Macht. Schon im Vorherigen versuchten wir aufzuzeigen, daß sich jeder Mensch nach der Anerkennung seiner Werte sehnt. So wird für ihn die Ideologie eines gewissen, gesellschaftlichen Kreises, das Gefallen oder Nichtgefallen das wichtigste Maß und das höchste Bestimmende sein. Zwei Fragen fallen im großen und ganzen zusammen: Wie wird irgendein Kreis für jemand richtunggebend und wie bildet sich bei einem der Wunsch aus, irgendeiner gesellschaftlichen Klasse anzugehören? An einem Beispiel seien unsere Ausführungen erläutert. Wir erwähnten schon, daß jeder Mensch sich danach sehne, seine Werte von jedem einzelnen mit ihm zusammenkommenden Menschen anerkannt zu sehen. Wenn dieser Mensch auch noch so niedriggestellt ist und noch so wenig Einfluß hat, wenn wir auch in unserem Leben nie mehr mit ihm zusammenkommen werden, so mißt unser Gesellschaftsgefühl auch dieser Anerkennung unserer Werte eine Bedeutung bei: „Was denkt er über mich?" und „Gewiß sieht er meinVerhalten als sehr passend an ? " ; diese Gefühle sind immerwährende Begleiter unserer Handlungen. Weil in ihnen bis zu einem gewissen Grade die Urteile aller anderen Menschen eine Rolle spielen, so hat, in gewissem Grade, jeder Mensch zu den Gesellschaftsklassen aller ihm bekannten anderen Menschen eine gewisse Beziehung. Die Sucht nach Anerkennung aller mit uns verkehrenden Menschen gibt die Erklärung dafür, daß die Umgebung eine riesige Macht bei der Ausbildung unserer maßgebenden Gesellschaftsklasse, der wir uns zugehörig betrachten, bedeutet. Derjenige, der immer in der Umgebung der gleichen Gesellschaftsklasse lebt und der
— 35 — nie der Wirkung einer anderen ausgesetzt war, betrachtet sie naturgemäß als die maßgebende. Meistens ändert sich aber für uns alle die Umgebung. Wir verlassen das Elternhaus, wir finden uns mitten unter fremden Menschen und den Vertretern verschiedener Gesellschaftsschichten gegenüber. Wessen Wirkung wird nun die herrschende bleiben? Für viele die Umgebung, in der sie am längsten geweilt haben, wo sie die besten Freunde, die ihnen am nächsten stehenden Herzen gewinnen konnten. Aber es ist nicht nötig, wieder besondere Beispiele zu gebrauchen, wir wissen es wohl, daß das Verweilen in irgendeiner Umgebung für eine längere Zeit als in einer anderen, nicht unbedingt allein bestimmend ist. Die Wirkung welcher Umgebung wird also die herrschende bleiben ? Die, die wir aus irgendeinem Grund — er kann bewußt oder weniger bewußt, von subjektiver oder von ganz objektiver Natur sein — für wertvoller halten. Ein Philosoph wird die Gesellschaftsschicht als richtunggebend bewerten und als maßgebend ansehen, in der er nach seiner Meinung die tiefsten Geister und die größten Denker fand — und so wird es weiter für die meisten die Klasse ihrer eigenen seelischen Einstellung und Berufe sein. Doch können infolge unabsehbar vieler Ursachen und Einflüsse ganz andere Klassen und Gemeinschaften richtunggebend werden. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Menschen betrachtet seinen Beruf als den idealen und ihr Wunsch nach dem Aufstieg zeigt ihnen zumeist ganz andere Perspektiven als Traumbilder. Die verschiedensten Ursachen spielen bei der Anerkennung derer, die für uns am wertvollsten und in erster Linie richtunggebend sind, eine Rolle. Doch geben wir ein Beispiel, damit unsere Ausführungen klarer zu erkennen sind. Jener Zigeunerbursche, der seine Kindheit in einer Räuberumgebimg verbrachte, nachher in eine Besserungsanstalt oder ins Gefängnis kam, später mit ehrlichen Bürgern zusammenkommt, mit Menschen, die ihm wohlgesinnt sind und ihm ernsthaft zureden, und der trotzdem zum Räuber wird und sich nach den Zigeunern zurücksehnt, erachtet infolge seiner subjektiven Seelenverfassung die 3*
— 36 — Ideologie seiner Stammesangehörigen und deren Gefallen und Nichtgefallen als das Wertvollste. Er entscheidet weder nach seinem Gewissen, noch nach seiner Vernunft, sondern nach einer gewissen gefühlsmäßigen Wertung. Diese gefühlsmäßige Wertung spielt bei uns allen eine große Rolle und es dient uns zur besonderen moralischen Beruhigung, wenn die gefühlsmäßige und die vernunftmäßige Wertung zusammenfallen. Wir dürfen aber ja nicht denken, daß der Zigeunerbursche, der wieder Raubtaten ausführen wird, deswegen schwere Gewissensbisse erleidet oder daß seine Vernunft dagegen spricht. Seine maßgebende Umgebimg kann ihn vollends beruhigen. Deren Gefallen und Auffassung bleibt der unverwerfliche Maßstab und, um diesem zu entsprechen, ist er gegebenenfalls auch zu heroischen Taten bereit. Was ist in diesen krassen Fällen, die — wie es den Kriminalpsychologen bekannt ist — gar nicht selten sind, der Grund dafür, daß die Ideologie, die Weltanschauung der unmoralischen Umgebimg durchweg maßgebend bleibt ? Viele würden mit Sokrates behaupten, daß in diesen Fällen das Wesen und die Richtigkeit der Moral und der Ehrlichkeit nicht wirklich erfaßt wurden und deshalb das Unmoralische wertvoller blieb. Wir glauben das nicht. Viele verstehen sehr wohl und klar, was Moral und Ehrlichkeit sind und handeln doch wider sie. Denken wir aber nicht, daß in diesen Fällen immer eine angeborene Neigung zur Sünde ihr Wesen treibt. Mit der Neigung zur Sünde können ehrliche Menschen genau so als maßgebende gesellschaftliche Umgebung angenommen werden, wie man oft mit einer im Grunde ehrlichen Seele die Umgebung von Sündern als richtunggebend betrachtet. Es kann einer ein Verbrecher sein und die Gesellschaft der ehrlichen Menschen als die wertvollste und ihre Auffassung als die richtigste betrachten und sich selbst mit Verachtung anblicken. Es ist bekannt, daß mancher Sünder sehr religiös und seine maßgebende Umgebung ehrlich ist und er selbst es nicht bleiben kann. — Ebenso wird der Zigeunerbursche, wenn er auch keine angeborene Neigung zur Sünde hat, aber doch einen ehrlosen gesellschaftlichen Kreis als maßgebend anerkennt, im Sinne des Maßstabes seines richtunggebenden Kreises vorgehen und sündigen. Wenn er auch im Grunde
— 37 — genommen gutmütig und brav ist, wird er doch den Wanderer, der seinen Weg kreuzt, ohne Zögern ausrauben, genau so, wie der Fleischer das Kälblein schlachtet, das sich mit flehenden Augen schmeichelnd an ihn schmiegt. Beide handeln nach dem Maßstab ihrer bestimmenden Umgebung. Weshalb nimmt aber der im Grunde ehrliche Mensch die Auffassung des niedrig denkenden Gesellschaftskreises als maßgebend an ? Und wieso kann dies bei Menschen von ehrlicher Seele so stark sein, daß es ein ganzes Leben lang bestehen bleibt? Weshalb? Eine gewisse subjektive Wertung spielt hierbei eine Rolle, die auf unanalysierbare Ursachen zurückgeht. Oft würde es der Sünder als unehrlich betrachten, sein richtunggebendes Milieu zu verleugnen. Es scheint ihm dies mehr unehrlich, als die Weiterführung seiner sündhaften Lebensweise. Was ist es denn, was das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsklasse bestimmt ? Eine gewisse Wertung, die auch aus einem kühlen, rein geistigen Erwägen erstehen kann, doch zumeist ein Gemisch von Vernunft- und Gefühlswertungen ist. Und nicht bloß einmal leitet sie, in voller Verhöhnimg der Vernunft, zu dem unerforschbaren Labyrinth der Gefühlswertung. Es scheint vielleicht unangebracht, von Wertung zu sprechen, wo die Wahl nicht nach dem Wert getroffen wird. Doch dürfen wir nicht vergessen, daß die Wertmesser verschieden sind. Es steht wohl außer Zweifel, daß derjenige, der eine Gesellschaftsklasse für sich als maßgebend anerkennt, jene Klasse wählt, die ihm infolge bestimmter Gründe als die entsprechendste und wertvollste erscheint. Die Stufenleitern werden sehr oft auf Grund eines pretium affectionis aufgestellt. Zusammenfassend können wir sagen, daß neben den äußeren Bedingungen der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsklasse auch gewisse innere Elemente von entscheidender Gewalt bestehen. Besonders wichtig ist das Gefühl der Zugehörigkeit. Doch hängt die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsklasse nicht bloß von uns ab, die geneigt wären, ihr anzu-
— 38 — gehören und sie in der Tiefe unserer Seele als maßgebend anzuerkennen, sondern auch von der betreffenden Gesellschaftsklasse, ob sie gewillt ist, jene, die sie gewählt haben, aufzunehmen. Die Gesellschaftsklassen betrachten sehr viele, die infolge ihrer Berufe oder ihrer Wirtschaftslage über die äußeren Bedingungen der Zugehörigkeit verfügen und jenen Gesellschaftskreis eventuell als ihr richtunggebendes Ideal betrachten, als Fremde und nicht zu ihnen Gehörige. Eine weitere Bedingung der Zugehörigkeit zu der Gesellschaft ist die Teilnahme an ihrer Arbeit, an ihrer wirtschaftlichen und sozialen Betätigung, besonders aber die Zusammenkunft, die Fühlungnahme mit den Mitgliedern der Gesellschaft, was übrigens mit der bereits erwähnten Forderung der räumlichen Nähe zusammenhängt. Mitglied der Gesellschaftsklasse ist nur derjenige, der mit ihr zusammen lebt und wirkt, als von ihr anerkannte ranggleiche Persönlichkeit. Die Abweisung kann, wie auch die Aufnahme, allgemeine gesellschaftliche und spezielle persönliche Ursachen haben. Meistenteils spielen beide ihre Rolle. Um uns schematisch zu verständigen, wir sehen in der Zugehörigkeit zur Gesellschaftsklasse gleichzeitig bestehende (in keinem eigentlichen Unter- und Überbauverhältnis stehende) äußere und innere Umstände, die in folgender Weise sich verzweigen. Zugehörigkeit zur Gesellschaftsklasse Äußere Umstände
Wirt- Poli- Nähe Zusammen- Verwirken (ähn- kehr schaft- tische liehe Berufeliehe Lage funktion) Lage
Innere Umstände
/
Gefühlsgrundlage
I
\
Überein- Anerkennung Angenomstimmen- einer rieh- mensein de Ideo- tung gebenseitens logie den Klasse einerKlasse
— 39 — Zur Klarlegung der allgemeinen gesellschaftlichen Ursachen müßte man das Verhältnis der einzelnen Gesellschaftsklassen zueinander betrachten. Dies mit Anspruch auf Vollständigkeit zu unternehmen, ist hier nicht der Ort; wir begnügen uns hier mit einer Skizzierung. Zwischen den einzelnen Gesellschaftsklassen bestehen stufenweise Höhenunterschiede. Der Höherstehende kann zumeist ohne weiteres zum Tieferstehenden herabsteigen, wo er gerne gesehen wird. Dem Tieferstehenden wird erst durch mehr oder minder schweren Kampf der Aufstieg in eine höhere Gesellschaftsklasse möglich. Die Herabsteigenden werden gern gesehen, sind aber im allgemeinen sehr selten, da sie naturgemäß noch höher und nicht abwärts streben. Die von unten Kommenden werden weniger herzlich empfangen. Genau so müssen die einer niedrigeren Klasse Entstammenden, die um die Aufnahme in die höhere ersuchen, zumeist besondere persönliche Verdienste haben, wie es besonderer persönlicher Unzulänglichkeit der zu einer höheren Klasse Gehörenden bedarf, um in eine tiefere Gesellschaftsklasse nicht aufgenommen zu werden. Die Kinder der verachteten Gesellschaftsklassen — eventuell der Minderheiten und Religionen — bedürfen besonderer Verdienste, um in die sie verachtenden höheren Klassen aufgenommen zu werden. Hierbei handelt es sich oft nur teilweise um eine Aufnahme. Nur ein kleiner Teil der aufnehmenden Gesellschaftsklasse betrachtet diese als seiner würdig, der andere große Teil ist gegen sie. Selbst jener kleine Teil, der sie aufnimmt, beurteilt sie mit strengerem Maß und ist mehr oder minder zum Wiederzurückweisen bereit. — Die einander gegenseitig hassenden Klassen hegen füreinander eine größere Autoritätsanerkennung, als jene Klassen, die ihrerseits nur hassen und von seiten der Gehaßten mit Neid geschätzt werden. Derjenige, der sich dessen bewußt ist, daß er Haß antrifft, sehnt sich, von dem Wunsche geleitet, seine Werte anerkannt zu sehen, nach besonderer Anerkennung und Wertschätzung von Seiten der Hassenden. Dieses Moment ist bei jenen Klassen, die andere nur ihrerseits verachten, in Beziehimg auf jene anderen weniger schwerwiegend. Demzufolge nehmen die einander gegenseitig hassenden Gesellschafts-
— 40 — Massen viel mehr Rücksicht aufeinander, als die einseitig hassenden, die seitens der Gehaßten geachtet werden. Zwischen den einander gleichgültigen Gesellschaftsklassen hängt die Aufnahme zumeist von persönlichen Ursachen und Interessen ab, in dieser Beziehung ist die frühere Zugehörigkeit zu der anderen Klasse weit weniger ausschlaggebend. Im Sinne der oben skizzierten Bedingungen ist es wohl möglich, daß eine Person Mitglied zweier Klassen wird, wenn sie den Anforderungen der gleichen wirtschaftlichen Interessen der Zusammengehörigkeit, des Zusammenwirkens in beiden Klassen entspricht. Die Gesellschaftsklassen, denen man gleichzeitig angehören kann, stehen einander meistens nahe. Manchmal kann aber jemand zu gleicher Zeit zweien, einander fernstehenden Gesellschaftsklassen angehören. Wesentlich anders steht es aber mit den einander hassenden Klassen. Hier ist die offene Zugehörigkeit zu zwei Klassen meist unmöglich. Die Zugehörigkeit zu zwei Klassen geschieht zumeist auf Grund der Beibehaltung der angestammten Klasse und des Erlangens eines neuen Berufes. Der Mann von niedriger Abstämmling gelangt vermittels seines Diploms oder seiner kaufmännischen Tüchtigkeit oder durch Heirat in eine höhere Gesellschaftsklasse; doch fühlt er daneben mit seiner alten Klasse, denkt in ihrer Weise und kommt mit ihr zusammen. Er verschweigt keine Klasse vor der anderen und fühlt sich in beiden heimisch. Die häufigsten Fälle der idealen Zugehörigkeit zu zwei Klassen sah Verfasser bei Familien von katholischen Geistlichen. Es gibt sehr viel Geistliche, die die Zeit, die ihnen ihre Amtstätigkeit übrig läßt, glücklich zwischen ihren Ackerbau oder Gewerbe treibenden Eltern und hochstehenden geistlichen oder weltlichen Persönlichkeiten teilen. — Zumeist steht es aber anders mit den weltlichen Berufen. Wenn die angestammte Klasse tiefer steht als jene, in der der Betreffende auf Grund seines Berufes Aufnahme fand, so schämt er sich zumeist dieser tieferstehenden Klasse und verheimlicht sie vor der höheren. Dies zeugt nicht unbedingt von Selbstsucht oder Schlechtigkeit. Gerade die große Liebe, die einer für seine Mutter oder für die Verwandtschaft hegt, gestattet nicht, daß er sie der offenen oder auch nur im Gedanken heim-
— 41 — liehen Geringschätzung der Freunde und Kollegen preisgibt Gerade bei jenen, die die größte Anhänglichkeit an ihre Verwandtschaft fühlen, spielt dieses Motiv am häufigsten eine Rolle. Einigermaßen anders ist es, wenn jemand in eine tieferstehende Klasse kommt, als seine angeborene. In diesen Fällen schließt ihn die Verachtung und die Scham seiner Verwandten aus seiner Klasse aus. Auch hier handelt es sich nicht unbedingt um das Motiv der Gemeinheit oder des Hasses. Derjenige, welcher zu zwei Klassen gehört, kann nur selten beiden Klassen ganz und gar angehören. Zumeist ist er in Wirklichkeit nur der einen von beiden zugetan. Was dividiert wird, wird auf Grund der mathematischen Gesetze weniger. — Doch verliert diese mathematische Feststellung bei manchen Gefühlen ihre Richtigkeit. Im Gegenteil: Durch die Teilung des Gefühls zwischen mehreren gewinnt es an Intensität. Es gibt doch Menschen, die an der Arbeit beider Klassen teilnehmen, von beiden Klassen aufgenommen werden und faktisch auch beiden ganz angehören. Diese Menschen wirken am besten für die Annäherung der verschiedenen Gesellschaftsklassen, für die Verminderung der sozialen Gegensätze und damit für das Gemeinschaftsgefühl der Ganzheit der Gesellschaft. Leider ist ihre Zahl sehr gering. Viele gehören anstatt zwei Klassen keiner mehr an. Sie bleiben außerhalb der Gesellschaftsklassen. In ihrer angestammten Klasse verüeren diese Leute, vielleicht eben der vermeintlich angenommenen neuen Klasse wegen, ihren Boden und in die neue Klasse gewinnen sie keinen Einlaß. Hochmütig wenden sie sich von der tieferstehenden Klasse, der sie von Geburt oder infolge ihres Berufes angehören ab (der zweite Fall ist jedenfalls seltener), doch die von Geburt oder beruflich höherstehende Klasse betrachtet sie nicht als gleichwertige Mitglieder. Oft betrachtet sich jemand nicht als Mitglied der einen Klasse, die andere Klasse betrachtet ihn wieder nicht als den ihren. Möglich ist es auch, daß keine der beiden Klassen ihn für den ihrigen hält (vielleicht aber betrachten ihn beide als zur anderen Klasse gehörig), doch er wähnt beide für die seinen. Oder aber, es sind beide Klassen bereit, ihn aufzunehmen und betrachten ihn als ihnen nahestehend, doch er hält es mit keiner der beiden.
— 42 — Zu den Klassenlosen gehört auch ein Teil der Sonderlinge, die nicht die Gedanken und die Auffassung ihrer Klasse teilen, nicht mit ihr fühlen, es jedoch nicht für notwendig erachten, eine andere Klasse zu suchen. Solcher Art sind jene Unverstandenen und Menschenhasser, die, wenn sie einander finden könnten, vielleicht zusammenwirkend eine kleinere Klasse für sich bilden würden. Doch scheint dies sehr unwahrscheinlich und diese Klasse würde auch ohne jegliches Gleichgewicht sein. — Hierzu gehören weiterhin jene, die an der gemeinsamen Arbeit einer Gesellschaftsschicht nicht teilnehmen, die durch ihre ganz und gar abweichenden Berufe aus einer Klasse herausgekommen sind, ohne in eine andere zu gelangen. (So z. B. der Henker; unter Umständen die isoliert lebende, vornehmere Kokotte und ebenfalls der vornehmere männliche Prostituierte). Möglich ist auch die partielle Zugehörigkeit zu einzelnen Klassen. In diesem Falle wird der Betreffende zwar nicht als vollwertiges Mitglied der Klasse, doch als Angehöriger derselben gerechnet. Und in der gleichen Weise sieht sich der Betreffende weder als ganz zur Klasse gehörig, noch als außenstehend an. Dieser Zustand kann die Folge der Abweichung von dem geistigen Stand, oder von den wirtschaftlichen Gütern auf Grund eines anderen Berufes oder des Mangels an breiteren bzw. genügenden Kenntnissen, infolge schneller Bereicherung oder Verarmung sein. Auf eine Darstellung dieser feineren Schattierungen müssen wir an dieser Stelle technischer Gründe wegen verzichten. Manchmal lassen sich Fälle antreffen, in denen jemand Mitglied von mehr als zwei Gesellschaftsklassen ist. Allein schon wegen der Schwierigkeit, allen diesen Klassen entsprechende Berufe zu haben, ist die vollständige Zugehörigkeit zu allen nicht wahrscheinlich. So gehört z. B. jener Staatsbeamter, der wissenschaftliche Arbeit leistet und reich heiratet, in die Klassen der Beamten, der Wissenschaftler, der Geldleute und nicht minder in jene Klasse weiterhin, aus der er stammt. Die Zahl der ähnlichen Fälle ist einerseits nicht groß, anderseits dürfte kaum von einer ausgeprägten Zugehörigkeit zu allen die Rede sein. Leicht kann es vor-
— 43 — kommen, daß jemand auf diese Weise außerhalb aller Klassen bleibt. Sofern aber diese Menschen tatsächlich allen fraglichen Klassen angehören, könnten sie besonders geeignete Vermittler der Annäherung der Gesellschaftsklassen werden. (Leider kommt das eben infolge ihrer kleinen Zahl kaum in Frage.) Gegensätze finden sich aber: gerade jene, die sich als Angehörige von vielen Klassen dünken, trifft das Nichthinzugehören zu den Gesellschaftsklassen am ehesten. Die Möglichkeit der Zugehörigkeit zu mehreren Klassen wird erleichtert durch die Demokratisierung, die mit der technisch-quantitativen Entwicklung Schritt hält, und durch den Ausgleich der sozialen Gegensätze. Derselbe bahnt auch den Übergang von einer Klasse zur anderen an. Die Zugehörigkeit zu mehreren Klassen wird durch jene Differenzierung erschwert, die die allgemeine Entwicklung der Menschheit mit sich bringt, ferner das Gründlicherwerden der Berufe. Es wird immer weniger möglich, in bezug auf die Berufe gleichzeitig mehreren Herren zu dienen. Es liegt im Interesse sowohl der Gesellschaftsklassen, als auch der Gesamtheit der Gesellschaft, daß bei der Aufnahme in die einzelnen Klassen eine Auswahl und Siebung getroffen wird und daß unter den Aufwärtsstrebenden der Unwürdige und Ungeeignete nicht den Weg der Geeigneten erschwert. Äußerst notwendig ist es, daß zwischen den Gesellschaftsklassen gewisse Trennungsmauern immer bestehen bleiben. Diese Notwendigkeit liegt in der tiefsten, innersten Natur der Dinge. Die einzelnen Theorien und Richtungen können vielleicht der Menschheit eine Erleichterung der Auswahl- und Trennungsbedingungen bringen, doch niemals ein vollständiges Ausmerzen der Gegensätze. Die wunderbarsten Phänomene der Natur, die wechselvolle Beweglichkeit des reichen Lebens entstehen gerade durch die Verschiedenheiten der Werte. Wären die Werte nicht verschieden, so wären sowohl ethischer Wert, wie auch verantwortliche menschliche Handlung unmöglich.
IV. Kapitel.
Allgemeine Regeln des Aufstieges. Obwohl wir die Typisierungen allgemein nicht gutheißen, weil sie die Fülle des Reichtums des zu untersuchenden Objektes durch mehr oder minder oberflächliche Zusammenziehungen vereinfachen, um unbedingt eine Lösung zu finden, können wir es dennoch nicht vermeiden, von dem Gesichtspunkte des Aufstiegs aus Typisierungen als methodische Hilfsmittel anzuwenden. Man darf bei unserer „Typisierung" nicht vergessen, daß diese eben nur zur Erleichterung unserer Untersuchung angenommen ist. Jede der beiden von uns aufgestellten Arten enthält auch gewisse Elemente von der anderen, keine von den beiden ist also völlig rein. Die eine Art ist die des unendlich Emporstrebenden, NieZufriedenen, Unersättlichen, der niemals im Besitze einer solchen Macht und eines solchen Ansehens und Vermögens sein kann, daß er nicht noch höher stürmt. Ist er Finanzmann, so trachtet er nach unendlichem materiellen Reichtum ; ist er Künstler, sehnt er sich nach größerem Ruhm; selbst als Kaiser geboren, wird er doch unzufrieden sein und die ganze Welt zu erobern wünschen. Die andere Gruppe ist die der ruhig Verdauenden, derjenigen, die vernünftig stehen bleiben können, wenn ihr friedliches Leben gesichert ist, die sich in die Gesellschaft wie eine Schraube einfügen und nach fünfunddreißig bis vierzig Jahren Dienst in den Ruhestand treten und, wenn ihre Stunde geschlagen hat, ohne Auflehnung sterben. Das ist der Typ der Philister, die haltmachen können. Diese beiden Gruppen bilden die bedeutungsvollsten Unterscheidungen, mit denen in der Gesellschaftsphilosophie unbedingt zu rechnen ist.
— 45 — In Wirklichkeit ist in jedem Menschen etwas von beiden Typen zu finden; doch bei jedem ist ein entscheidendes Übergewicht des einen von beiden, eine ausgesprochen leicht stehenbleibende oder eine endlos kämpfende, vorwärtsstürmende Seelenverfassung festzustellen. Wir haben vorhin auseinandergesetzt, daß jeder Mensch danach strebt, seine Werte zur Geltung zu bringen. Beim geistig wahrhaft wertvollen Menschen, der Sieg und Vorwärtskommen verdient, ist die Zugehörigkeit zum emporstrebenden Typ äußerst wünschenswert; um so weniger bei denen, die solche Talente vermissen lassen. Diese sind ja die bloßen „Streber". Jene Gattung, die zu siegen, vorwärtszustreben, unaufhaltsam emporzusteigen wünscht, ist der Vertreter desjenigen Willens, der die Entwicklung der Menschheit am wirksamsten unterstützt. Als ein Vertreter dieser Gattimg tritt in seinem dichterischen Schaffen der sehr pathologische Nietzsche hervor. Ein typisches Beispiel aus unserer Zeit ist Kaiser Wilhelm II., der, wenn sich das Räderwerk der Weltgeschichte nur ein klein wenig anders gedreht hätte, der am meisten angebetete und bewunderte Mensch unserer Zeit geworden wäre. Ein genau so kräftiges Beispiel bietet die überragende Persönlichkeit Benito Mussolinis. Als Arbeiter ist er zum Sozialistenführer geworden, und als er im Besitze der sozialistischen Macht war, wurde er mit ihr unzufrieden und baute gegenüber dem Sozialismus seinen Faschismus aus. Als er seinen Faschistenstaat verwirklicht hatte, trachtete er wieder weiterzukommen: Säbelklirren erklingt und unendliche, unersättliche Imperatorensehnsucht lodert in allen seinen Reden1). Das Leben der Männer des nüchternen Mittelmaßes, die ruhig in der flutenden Masse einherschreiten können, der vielen braven Beamten, ist zwar weniger mit Emotionen geladen, doch für die Gemeinschaft fast ebenso wertvoll wie das der Emporstrebenden. Weh! wenn sich die Philisterseele auch nach Machtbesitz sehnte, wenn im Teig nur Hefe wäre und kein Mehl! Es ist von mir noch im Jahre 1929 geschrieben worden. Seitdem ist Mussolini allerdings behutsamer geworden in seinen Reden.
— 46 — Ganz verschieden sind das Vorwärtsstreben und die Geltungssucht der ersten und zweiten Gruppe, ganz abweichend voneinander die Äußerungen ihres Emporstrebens. Die Art, wie man emporkommen möchte, zeigt sich bereits bei der Berufswahl. Die zur ersten Gruppe Gehörenden geizen nicht mit großen Zielen. Sie ersehnen für sich, was ihnen als das Größte, das Wertvollste erscheint. Die anderen wünschen das, was ihnen ein gutes Leben zu sichern vermag und kümmern sich nicht um die maximalen Möglichkeiten. Die ersteren sehen als Kinder — um dieses naive Beispiel zu gebrauchen — das beneidenswerteste Wesen im Kaiser, die anderen im Zuckerbäcker. In den Entwicklungsjahren wählt sich derjenige, der sich nach Emporkommen sehnt, denjenigen Beruf, der ihm als der höchste und wertvollste erscheint; derjenige, der materielle Wünsche hegt, sehnt sich nach unermeßlichem Reichtum. Die andere Art, vom nüchternen Mittelmaß, wünscht sich nur selbständigen Erwerb, von dem sie gut leben kann. Dies befriedigt sie vollständig. Wir können von drei Arten der Emporstürmenden sprechen : von denen mit materiellem Ehrgeiz, die mit sachlichem Ehrgeiz und denen mit ideeller Einstellung. Die materiell Eingestellten wünschen die materiellen Güter, Reichtum, Macht, Ruhm an sich, dafür arbeiten sie und von ihrer bloßen Anhäufung erwarten sie Beruhigung und Befriedigimg. Hierher gehören die nach unermeßlichem Reichtum strebenden Finanzleute, die möglichst hohe Macht ersehnenden Beamten und Soldaten und die nach Ruhm und immer größerem Ruhm stürmenden Gelehrten1). Bei diesen sind die Anhäufimg, das Oberflächliche, die quantitativen materiellen Güter das, wodurch sie Aufstieg erwarten. Von ihnen sind die Übertreibenden bereit, innere Werte und Reichtümer aller Art, auch sogar Moral und Ehre aufzuopfern, um die materiellen Güter in möglichst hohem Grade zu vermehren. Die zweite Art hat den Ehrgeiz, sachliche Ergebnisse in ihrem Fache zu gewinnen. Sie wollen in möglichst wertvoller So z. B. hat bei diesen Gelehrten nicht die Wahrheit fflr sich den Wert, sondern jene „Herrlichkeit" des „ I c h (1) k a m d a r a u f " , und das Urteil und die Bewunderung der anderen. Da wird der Altruismus eingespannt in den Triumphwagen des Egoismus.
— 47 — Weise ihre Laufbahn nach ihrer Bestimmung erfüllen. Natürlich in der eigentlichen materiellen Laufbahn, wie in der des Kaufmanns, kann diese Haltung nur sehr wenig in Betracht kommen. Hier fallen die sachliche Einstellung und der materielle Selbstzweck zusammen. Eben das Geld und die Materialität, das Sammeln der materiellen Güter bilden hier das Sachgemäße. — Sachliche Einstellung und sachlicher Ehrgeiz als leitendes Prinzip ist um so eher möglich, je produktiver die Aufgabe und je größer die Bedeutung einer Beschäftigung im allgemeinen ist1). Der höchste Grad des Aufstieges ist der, wenn die materiellen Güter und Sachergebnisse, ja sogar auch das individuelle Vorwärtsstreben aufhören als Ziel eine Rolle zu spielen, sondern Mittel werden im Dienste höherer Ideale. Hier gibt es kein Vorwärtsschnellen mehr, hier ist ein ganz uneigennütziger Kampf um Ideale. Das Ziel ist hier Wohlstand des Landes, Erforschung der Wahrheit, das Höherheben der Menschheit usw. Hier geht das Individuum und das Ziel der Einzelnen verloren, um im Dienste eines universal gültigen Ideals sich offenbarend, Teil zu haben an der höchsten Befriedigung, am vollkommensten Glück und Aufstieg. Wir brauchen kaum zu sagen, daß die Menschen mit wirklich idealem Ehrgeiz nur in recht kleiner Zahl zu finden sind. Innerhalb der ersten Gruppe sind auch noch Nebenklassen aufzustellen; so a) die Habsucht und Anhäufung des Geldes und primär materieller Güter; ß) die Anhäufung der materiellen, momentanen Lebensfreuden; y) die Anhäufung der Machtgüter, und am Ende S) die Anhäufung des Ruhmes. Die erste ist die niedrigste, hier wird für das Reservesammeln alles andere geopfert. In gesteigerten Stufen bedeutet diese Anhäufung nichts anderes als Entziehung der Güter von denjenigen, die schwächer und unfähiger sind, sie zu besorgen. Allein das wäre noch keine Sünde, sondern nur eine Tatsache des Naturkampfes, aber es wird in der Elephantiasis der Kapitalanhäufung eine Entziehung, wo wir anderen etwas wegnehmen, ohne daß damit etwas für uns gegeben wäre. Über eine gewisse Grenze bei der Vermögensanhäufung bedeutet das Mehr nicht wirklich eine Mehr u n g . Sie kann nicht mehr besser ausgenutzt werden und da wird die Anhäufung eine bloße Idee, ein Spiel — eine Manie. x
) Die Sehnsucht und den Wunsch der von Sachehrgeiz Besessenen drückt der Satz Nietzsches aus: „Strebe ich denn nach meinem G l ü c k e ? Nein ich strebe nach meinem W e r k e . " Hier ist auch der starke Gegensatz zu finden, welcher zwischen der ersten und der zweiten Gruppe besteht.
— 48 — Teilweise stehen den obigen diejenigen nahe, die leibliche Genüsse, Wollüste häufen, die alles in deren Dienst zu stellen suchen. Diese müssen f ü r jene Anhäufung mit ihrer Lebenskraft, Jugend und Frische viel bezahlen. Sie ordnen das Höhere dem Niedrigen unter, sie machen den Geist zum Sklaven des Leibes, wobei d a n n über eine Grenze hinaus sehr starke Reaktionen kommen müssen. Diese Leute stehen doch nach unserer Ansicht höher als die ersteren. Wenn auch übertriebene und materielle Lebensbegierde in ihnen lebt, — aber wenigstens L e b e n s - B e g i e r d e ist es, und sie gehen L e b e n s g ü t e r n und nicht toten Gütern und Freuden nach. I n dieser Lebensfreude ist mehr Geistigkeit als bei den toten wirtschaftlichen Gütern-. (So schätzen wir, um ein drastisches Beispiel zu gebrauchen, den ständig sich m i t sexuellen Freuden abgebenden Offizier höher als den endlos nach Geld strebenden K a u f m a n n — wenn sie überhaupt als ,,Anhäufer" in eine Ebene zu bringen sind.) — Die lüsterne Leichtsinnigkeit ist zwar o f t bloß ein Zeichen der Schwäche, aber auch, wie das meistens der Fall ist, eine Offenbarung v o n gewissem vitalem Reichtum: das Furcht und Damm nicht kennende, überschäumende Leben ruiniert sich selber in einer gewissen überlebensgroßen, übertriebenen Lebensbejahung. 1 ) Über den Anhäufern bloß materieller Güter stehen die Anhäufer von Machtgütern. Die Macht verfügt schon über mehr Selbstwert als die bloße Materie. Die Macht ist mehr mit Leben gefüllt und geistiger. Natürlich kann auch die Macht selbst sehr verschieden sein und selbst im Sammeln von materiellen Gütern kann man gewisse Machtziele finden. Aber bei dem wirklich materiellen Menschen ist nicht das Auf-Macht-Umwechseln das richtunggebende Motiv, sondern in erster Linie das S a m m e l n , die A n h ä u f u n g , das quantitative Prinzip a n sich. Wo das Höherstreben auf die Vergrößerung der Macht selbst gerichtet ist, dort findet man einen höheren W e r t und in d e r T a t geringeren Mittelwert. Jedoch das materielle Prinzip bleibt weiterhin vorhanden. Der R u h m gehört ganz ins Geistesreich hinein. Er sollte sich offenbaren als Begleiter des große moralische Werte besitzenden Tuns (gegenüber der Berüchtigtheit), und als solcher gebührt er i n erster Linie für das Verdienst den „sachlich" und ideal Eingestellten. Aber auch die, die sich allein nach Ruhmsteigerung sehnen, sind m i t höherer geistiger Ambition erfüllt. Sie sehnen sich n a c h größerem, bedeutenderem Wert. Die Anhäufer des R u h m s häufen größere Werte an. Weil aber bei diesen das Akzidenz das Ziel und d a s Wesen ist, so sind sie auch materiell eingestellt und sie stürmen nach Materie, aber mit geistesgefüllterer u n d wertvollerer Materie.
Nun betrachten wir die Erscheinungen, in denen sich der Aufstieg des Philisters und der emporstürmenden Typen offenbart. J ) Die Geizigen sind meistens ebenso Egoisten wie die Leichtsinnigen. Der eine ist so Egoist, daß er sich alles v e r s a g t , der andere so, daß er sich nichts e n t s a g t . Daß der Leichtsinnige auch anderen gibt, das ändert ebenso wenig an der Tatsache des Egoismus, wie d a ß der Geizige nicht nur anderen, sondern auch sich selbst die Güter entzieht.
— 49 — Sobald die Tendenz des unbedingten Höherstürmens sichtbar wird, begegnet sie der Mißbilligung sowohl der friedlichen Philister, als auch der anderen Streber. Beide haben ihre sehr tiefen psychologischen Gründe, die wir hier der Reihe nach betrachten wollen. Der Mensch will seine Werte anerkannt sehen und gesteht seine Minderwertigkeit auch sich selbst nicht gerne ein. Wenn sich also einer vor ihn hinstellt, seine eigenen Werte aufdeckt und zeigt: siehe, ich bin klüger, edelfühlender, schöner, besser als du, — so sieht er darin nicht die größeren Werte des Betreffenden, sondern die kleineren seiner selbst ausgedrückt1): die Unterlegenheit an Klugheit, Tüchtigkeit, Schönheit usw. Das sind aber die Überlegenheiten, die die Philister bei den Vertretern des Emporstrebens ausgeprägt finden. Man muß sich also bei der Vorzeigung dieser Eigenschaften zurückhalten und sie auf eine solche Weise in Erscheinung treten lassen, als wären sie um gar nichts mehr als jene, über die auch der andere verfügt. Der Philister sieht in dem Streber die Verspottung seiner ruhigen Natur und seines statischen Lebensideals. Es ist leicht zu begreifen, daß ihm das sehr nahe geht und ihn aufs schmerzlichste berührt. Wer aber dem anderen Schmerz verursacht, soll auf dessen Mißbilligung und Antipathie gefaßt sein: ist dies doch eine natürliche, menschliche Reaktion. Die anderen Streber, die auf demselben Gebiet weiterzukommen trachten, sehen in ihm die Konkurrenz. Wenn jeder dahin gelangt, wohin wir zu kommen trachten, so bedeutet unser Aufstieg keinen Aufstieg, kein Emporkommen. Und letzten Endes gibt es nur eine beschränkte Anzahl von hohen Gipfeln. Nicht ein jeder kann sie ersteigen, sondern nur die allerwenigsten. Je mehr nach ihnen streben, um so schwerer ist das Hinaufgelangen. Der Fall liegt offenbar so, daß entweder mein Unternehmen gelingt, oder das meines Konkurrenten. Wenn dieser Konkurrent geschickt und begabt ist, so ist es klar, daß es zu einem Kampfe kommt und es ist leicht x ) Die Neider sind in zwei Arten zu gruppieren: in die unersättlichen, habgierigen und in die rechthaberischen Neider. Die Unersättlichen quält nicht das in erster Linie, daß sie etwas entbehren, sondern daß die andern es besitzen. Die Rechthaberischen sind nicht deshalb böse, weil der andere etwas besitzt, sondern weil sie es selbst entbehren.
Vi da, Aufstieg.
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— 50 — möglich, daß er mich überholt. Jedwede Anerkennung der Konkurrenten wird nur unsere eigenen Kampfaussichten schwächen und einen Kampf mit nicht gleichwertigen Mitteln herbeiführen, da ja jeder Mensch von Natur aus gegen alle jene ist, die mittelbar wider die Interessen seines Weiterkommens vorwärtsschreiten. Hier drängt sich in unseren Gegenstand ein Element ein, das wir als sadistisches Prinzip im Aufstieg bezeichnen können. Dieses Prinzip ist das „andere nicht leben lassen", das Unterdrücken, das Hinter-Sich-lassen-wollen. Von wie niedriger Art es auch zu sein scheint, so ist es doch ebenso allgemein und notwendig. Wodurch der Große sich über die anderen heraushebt, ist das Kleiner-Sein der anderen; wodurch der Emporgestiegene höher steht, ist das Niedriger-Sein des anderen. So besteht für den Sich-herausheben-Wollenden, höher Stürmenden ein Interesse, die anderen niedriger und hinter sich zu wissen. Nur da gibt eigenartigerweise der Aufstieg eine wirkliche Genugtuung, wo gleichzeitig jemand andere Wetteifernde hinter sich gelassen hat1). Dieses „Überflügeln" ist das, warum der nach Geld Gierige auch dann, wenn er schon weiß, daß die weitere materielle Zunahme kein Mehr für ihn bedeuten kann, doch nach dem Geld-Anhäufen jagt. Das Überflügeln, der Sieg hat seinen Reiz. Dasselbe ausgesprochen sadistische Prinzip ist aber — zwar in verschiedenem Grade — bei jedem Aufstiegswunsch zu finden. Wenn wir wetteifern, so wollen wir die anderen hinter uns lassen, niedriger als wir sind, wissen, also arbeiten wir eben nicht zu deren Vorteil. Das Prinzip des Sadismus ist eine elementare Notwendigkeit, ohne das die selbstbewußten, höherstürmenden Kämpfe unmöglich wären. Daß der wirklich emporstürmende Typ eben mit denjenigen in den Kampf ziehen will, deren Meinungen und Wertungen er für die wichtigsten hält und die ihm imponieren, die er hochschätzt, enthält in sich ebenso keinen *) „Ein jeder schätzet höher, hoffet mehr zu steigen, wenn er bald diesen unterdrückt, bald jenen, als durch irgendeine seine eigene Tugend" — sagt Macchiavelli (wobei er voraussetzt, daß die Unterdrückung, trotzdem sie allgemein zu der Natur gehören soll, in ihrer geschickten Durchführung keine Tugend sei).
— 51 — Widerspruch, wie, daß der Lustmörder eben die mordet, die er am meisten liebt, oder daß die sich überaus liebenden „nazistischen" Naturen Lust-Selbstmord begehen. (Die Masochisten im allgemeinen sind sich selbst zu sehr liebende Naturen, bei denen der Gegenstand ihres sadistischen Verlangens sie selbst sind.) Dieselbe Tendenz der Unterdrückung, die Geschätzten für uns zu opfern, kann man übrigens allgemein in der Liebe sehen1). Das geliebte, passive Weib ist in einem gewissen Sinne die „Beute" der Liebe des liebenden Mannes. Vorwärtsstreben heißt Kampf. Wer emporsteigen will, muß kämpfen. Wer sich sehnt emporzukommen, aber nicht kämpfen will, wird meistens von den Kampfbereiten genau so besiegt, wie das kampfunfähige Heer vom starken. In diesen Kämpfen können sich Verbündete sowohl für uns, als auch gegen uns ergeben. Diese Bündnisse kommen auf Grund von Interessen und Gefühlen zustande. Freundschaft, Verwandtschaft, gemeinschaftliche Zusammengehörigkeit (Stadt, Provinz, Kirche usw.), Dankbarkeit, gesellschaftliche Nähe einerseits, Feindseligkeit, Verdacht, Verdruß andererseits, liefern die Gefühlsgrundlage. Der Mitaufstieg, die materiellen und moralischen Vorteile sind von seiten des Interesses zu beachten. Der Sieg wirbt im allgemeinen immer Freunde, die Niederlage aber schafft Feinde. Der Sieg macht den weiteren Fortschritt — wenn auch nicht in allen Fällen — wahrscheinlich, die verlorenen Schlachten aber auch das weitere Zurückbleiben. All dies hat seine natürlichen psychologischen Gründe. Die Zuschauer denken nach einem Siege, daß der Betreffende auch Es gibt keinen -wirklich verliebten Mann, der sagen wird: „Der andere Mann, der dich liebt, kann heißer lieben, ist schöner, jünger, würdiger als ich, also sollst du den lieben, nicht mich." Vielmehr wird er sagen: „Ich verzichte nicht auf dich, selbst nicht vor den Göttern, so sehr liebe ich dich." Diese Liebe sieht an erster Stelle auf ihr eigenes Interesse und nicht auf das des Geliebten. Wilde meint etwas Richtiges, wenn er singt: „Sie töten wir, die lieben wir, Das Leugnen hat kein Wert, Der Feige tötet mit dem Kuß Der Tapfre mit dem Schwert." (Ballade vom Raedinger Zuchthaus.)
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— 52 — weitere Siege ernten wird und ihnen vielleicht noch behilflich werden kann. Außerdem zeigt der Sieg eine gewisse Kraft, ein gewisses Glück-haben, und die Menschen greifen lieber die Schwachen und Kraftlosen an als die Starken und Mächtigen. Der Sieg beseitigt die Zweifel an den Fähigkeiten oder verringert sie. Andererseits aber erscheint der Sieger auch als ein gefährlicherer Rivale und deshalb wird ihm gegenüber oft energischer und rücksichtsloser gehandelt. Einerseits strebt man, den besiegten Stürmer vollkommen unschädlich zu machen; irgendwie sind wir gegen den schwachen Feind empfindlicher1) und grausamer; wir lassen uns mehr von unseren Leidenschaften leiten. Dem Besiegten gegenüber wächst das Mißtrauen. Andererseits aber erscheint der Besiegte weniger gefährlich, gewissermaßen als ein philisterähnlicher Außenseiter, der nicht mehr zu fürchten ist und der in dem Rennen kaum mehr beachtet wird, was er unter Umständen sehr gut für sich ausnützen kann. Die Niederlage, das Zurückbleiben kann dem begabten Streber mittelbar zum Aufstieg verhelfen. Auch wer philisterhafte Neigungen hat, kann durch Niederlage zum Willen nach Vorwärtsstreben und zur ausdauernden Arbeit angespornt werden, was dann unter Umständen zum Erfolg führt. Dagegen kann mancher, der auf jede Weise vorwärts strebte, durch frühen Erfolg und schnell erlangte ruhige Position zum gesetzten Philister werden. Diese in jungen Jahren erlangte Position kann einen für das ganze Leben befriedigen und das Streben nach Aufstieg dämpfen. Wer aber Niederlage und Demütigung erleiden mußte, erhebt seine Sehnsucht immer höher und trachtet danach, immer mehr zu erreichen. Auch dies hat seine Erklärung, und zwar darin, daß derjenige, der Niederlage und Demütigung erlitten hatte, auch wenn er später genau so viel erreicht hat wie der Andere, der keine Niederlage erleiden mußte, durch die Verzögerung des Erreichens und durch die Niederlage immer noch ins Hintertreffen geriet, und nur dadurch, daß er die Anderen überholt, die Scharte x
) Man ist empört, wenn man die eigenen Fehler bei anderen entdeckt. So verhält es sich z. B. mit der grenzenlosen Entrüstung des Unbescheidenen den anderen Unbescheidenen gegenüber. Wie kommen eigentlich auch die anderen dazu ?
— 53 — gänzlich auswetzen und den Wettkampf nachträglich noch gewinnen kann. Das größte Hindernis jedweden Fortschritts und Aufstiegs ist die volle Zufriedenheit mit den herrschenden Umständen und das Fehlen der Sehnsucht, aus diesen herauszukommen. Umgekehrt ist die Grundlage jeden Aufstiegs die Sehnsucht nach Mehr, der Wunsch, höher zu kommen. Im allgemeinen ist die Sehnsucht nach Mehr, der Wunsch nach Besserem (wie wir hierüber schon im Kapitel I gesprochen haben) in jedem Menschen vorhanden. Die vollkommene Wunschlosigkeit und Anspruchslosigkeit tritt nur mit dem Tode ein. Das Fehlen der Sehnsucht, höher zu gelangen und des Willens, fortzuschreiten, sind Zeichen der Degenerierung und des Verfalls. Die Natur hat die Menschen auf eine wunderbare Art mit Rekompensation versorgt. Wer stets weiterstreben will und weiterkommt, ist zumeist niemals zufrieden. Aber der anspruchslose Philister, der ilie nach Erfolg gestrebt hat und dem der Erfolg auch niemals zuteil ward, kann wahrhaft „zufrieden" werden1). Doch vollkommenes Zufriedensein gibt es ebensowenig wie vollkommene Wunschlosigkeit. Jede Tat ist sozusagen Kampf und wir können behaupten, daß jeder Kampf unmittelbar oder mittelbar dem Aufstieg dient. Auf diese Weise hängen alle unsere Taten mit dem Problem des Aufstiegs zusammen. Die durch den Freund geleistete Hilfe, Liebe, Protektion sind meist nicht frei von Egoismus. Dabei kann man sogar einen Kampf um den eigenen Aufstieg beobachten. Statt materieller Interessen spielt hier die Eitelkeit ihre Rolle. Zum Interesse kann die selbstloseste „Freundschaft" durch den Umstand werden, daß man weiß, wie allgemein von dem einen Freund auf den anderen geschlossen wird. Die echte Freundschaft bedeutet nämlich ein gewisses geistiges und seelisches Näherstehen und ein gewisses gleiches Niveau. Deshalb sagt man mit solchem Stolze von den großen Männern: „Der ist doch mein alter Freund, ich war eben vor1 ) „Ein jeder sieht, wie glücklich der ist, der dumm geboren und alles glaubt, Ehrgeiz stachelt ihn nicht." Macchiavelli in „Mandragora", Ende des II. Aufzuges.
— 54 — g e s t e r n mit ihm zusammen", womit man auch sagen will: „Seht ihr, was für große Männer mich hochschätzen, welchen großen Geistern ich nahe stehe." Ähnliches ist auch zu beobachten bei den Lobsprüchen über noch nicht aufgestiegene Freunde. „Ein ganz außergewöhnlicher, genialer Mann" und ähnliche Lobesworte, und die allervorteilhaftesten, idealsten Darstellungen sagen meistens nichts anderes, als die Betreffenden h ä t t e n es gerne, wenn ein so großer oder so ein ganz vollkommener Mann ihr Freund wäre, oder noch mehr, daß sie für diesen Großen Chef, Meister oder Lehrer waren. (Das letztere spielt oft eine Rolle bei den Universitätsdozenten, die wenige Schüler oder Anhänger haben, und daher ist ihre Sehnsucht groß, solche in allergrößtem Eminenz-Umfang zu besitzen.) In diesen Fällen ist auch das enthalten: „Seht ihr, was für ein ausgezeichneter Mensch ich bin, der solche vorzüglichen Leute erziehen konnte"; oder „Ich habe aber gute Augen gehabt, ich habe gleich gesehen, was noch aus ihm zu machen ist", womit auch das gesagt ist, daß, wer so gut weiß, was Genialität und Wert ist, auch selbst nicht so weit davon entfernt sein kann. Hierin ist auch die Erklärung für das Verhalten derjenigen „selbstlosen" Menschen, die ohne Interesse in großer Schar den großen Menschen umringen. — Solange die über Erfolg Verfügenden viele Freunde aus der Vergangenheit haben, strebt man bei den Erfolgslosen, alle Beziehungen als etwas ganz Unbedeutendes und Äußerliches verblassen zu lassen. Die Eitelkeit in der Freundschaft zeigt treffend dieser Umstand, daß viele nur deshalb nie verzeihende, grausame Feinde des großen Mannes werden, weil sie nicht seine Freunde werden konnten1). Deshalb die niederträchtige Feindschaft, weil die „wahre", „reine" Freundschaft nicht angenommen wurde. Natürlich, das erkennen die Feinde nicht für sich an, sondern sie deuten durch ein Ressentiment die Sache so um, daß der Betreffende nicht wert war, ihr Freund zu sein2). *) Per analogiam: „Und willst du nicht mein Bruder sein, So schlag' ich dir den Schädel ein." s ) In der Rasse-Eitelkeit ist auch das egoistische Moment enthalten: „Seht ihr, so sind wir mal." (Das ist das, was von K. Dunkmarm als „Wir —
— 55 — Auch bei der Kampfverbindung und der weitgehenden Hilfe zwischen den Familienmitgliedern kann der Beweggrund der Egoismus sein. Bei der Erhöhung des Familiennamens oder bei dem „Zum-Ruhme-Kommen" eines Verwandten wird aus diesen Erfolgen auch Glanz auf den Helfenden zurückstrahlen. („Wenn die Rose selbst sich schmückt / Schmückt sie auch den Garten." Hier bekommt auch das „Wir — ich" [vgl. K. Dunkmann, Lit. IV]), wobei nicht so sehr das „Wir", als das „Ich" das Entscheidende ist —eine Rolle.) Man wird allgemein nach den Familien und Verwandten auch selbst beurteilt und weil die gemeinschaftliche, verallgemeinerte Beurteilung in der Gesellschaft allgemein vorhanden ist, wird es in unserem Interesse sein, uns dem anzupassen und neben den Verwandten (und anderen Gemeinschaftsmitgliedern) als Verbündete zu stehen. Eventuell ist das Motiv mittelbar zusammengeknüpfter Familieninteressen gegeben. (Z. B. bei den mit dem Familiennamen in Beziehung stehenden Kreditinteressen und bei den auch an die Seitenlinie fallenden Arten von Fideikommissen.) Kaum müssen wir besonders hervorheben, daß es sich bei dem Schutz der Ehre des anderen bei den Rasse- und Gemeinschaftsmitgliedern oft eminent um eigene Interessen handeln kann. (Wenn z. B. ein Neger in Europa einen anderen Neger verteidigt, so kann ihn dazu mindestens ebensogut ein egoistischer, wie ein altruistischer Hang leiten.) Wenn auch bei den Phänomenen des Aufstieges der Egoismus dort, wo man bloß uneigennützige Liebe oder Sympathie voraussetzt, eine noch so große Rolle spielt, so bleibt doch andererseits auch eine überaus große Rolle für die Liebe und Sympathie beim Aufstieg übrig. Wir wollen uns hier ich" bezeichnet wird). Charakteristisch ist dafür das Pronomen possessivum bei den Franzosen und Schweizern, das sie ihren großen Männern gegenüber anwenden. So z. B. sagen sie: „Notre grand philosophe Bergson" oder „unser Piccard" womit auch quasi gesagt ist, daß sie auch einen Teil von deren Eminenz haben. (Es ist überflüssig zu bemerken, daß sie bei ihren großen Verbrechern und berüchtigten Abenteurern ebenso selbstverständlich das Pronomen possessivum weglassen, wie sie es bei den großen Männern gebrauchen. Nur die ganz eminenten Menschen sind ihr eigen, ihre Verbrecher werden großherzig der gesamten Menschheit geschenkt.)
— 56 — nur mit Einigem davon beschäftigen, was eben für unsere Untersuchung besonders wichtig ist 1 ). Wir wollen besonders die beispiellose Wichtigkeit der anspornenden Liebesbewunderung und der Liebesvergötterung beim Kampf der Aufstiegssehnsucht und des Aufstieges betonen. Irgendwie liegt die Erklärung hierzu in der zum Wesen der Liebe gehörenden Ergänzungssehnsucht, wonach die liebenden Menschen Vollkommenheiten, wunderbare Ausgeglichenheiten und Ideale am Gegenstand ihrer Liebe sehen zu können glauben. Nun gibt dem geliebten Wesen diese Bewunderung den Antrieb, die seelischen Flügel zum Höhersteigen. Die großen Männer wünschen besonders in ihren Frauen ihre Bewunderinnen zu finden; sie haben nämlich, weil sie von ihren Werten wissen, ein besonders großes Bedürfnis nach Anerkennimg und in deren Überkompensation nach Bewunderung. (Vielleicht hängt mit diesem Umstand die Tatsache zusammen, warum hervorragende Männer oft so exaltierte und beschränkte Frauen haben; offenbar darum, weil nur diese imstande sind, jene maximale Bewunderung hervorzubringen, nach der sich der Empordrängende unbedingt sehnt. Meistens ist es so, daß die anbetende Bewunderung dem gilt, was man nur halb oder überhaupt nicht versteht. Das Schema der Bewunderung ist das folgende: Jeder Mensch ist mit seiner Vernunftsanlage völlig zufrieden2) und so meint die beschränkte Frau: „Wenn schon nicht einmal ich verstehen kann, was dieser Mann sagt, wenn es schon über meinen (!) Verstand geht, dann muß es schon wirklich etwas sehr Großes und Wunderbares sein" — und so lobt *) Über die Beziehungen zwischen Aufstieg und Heiraten sprechen wir am Ende des V. Kapitels. *) Der Grund ist der, daß er bei sich selbst in nächster Nähe das volle Wunderbare der menschlichen Seele und des Geistes erblicken kann. Man kann zu jedem Aber einem stehenden Werte nur durch sich selbst gelangen und jeden menschlichen Geisteswert kann man nur dadurch begreifen, daB man auch selber etwas davon inne hat. Ist es vielleicht nicht verständlich, daß die einzelne menschliche Seele, ein Wassertropfen, der in sich die unendlichen Wasserfälle und ewigen Ozeane weiß, eine winzige Feuerzunge, die die Gesetze der Vulkane birgt, sich für mehr hält als einen bloßen Wassertropfen oder ein Feuerzfinglein ? (Vgl. die Ausführungen Hobbes, Leviathan, Kap. X I I I Anfang.)
— 57 — und betet sie das Nicht- oder nur halb Verstandene an1). Mit der so entstandenen Bewunderung kann sie eben die eminenten Männer für sich gewinnen.) In der Liebe sucht man einerseits eine eigene Wertvermehrung, andererseits eine Ergänzung von einem anderen zur Vollkommenheit. Während bei dem philiströs Eingestellten hauptsächlich der Ergänzungswunsch eine Rolle spielt, der unbedingt zum Emporkommen Drängende (wenn er nach seinem Herzen wählt) wird zu dem Wesen sich hingezogen fühlen, bei dem er möglichst große Wertanerkennung und Bewunderung findet. Wenn die Anerkennung und Bewunderung durch die Frau eine große Rolle spielt bei dem Höherstürmen und Höherkommen, so hat das B e s t r e b e n , die Anerkennung und Bewunderung des geliebten Wesens zu gewinnen, eine mindestens ebenso große animierende Wirkung. Man will den Frauen zeigen, was man kann2). Die verliebten Männer tun oft ihre großen Arbeiten, ihre imponierenden Taten hauptsächlich, um die Wertung und Bewunderung des geliebten Wesens zu erringen. Ebenso wie bei denen, die einst in den ritterlichen Turnieren siegen wollten, kann es bei den Taten der Erfinder, Dichter, Künstler, Feldherren, Organisatoren das tiefste Motiv sein, das geliebte Wesen für sich zu gewinnen. Ähnliche Bedeutung wie die Liebe haben die nicht sexuell eingestellten Sympathieempfindungen. Viele große Männer *) Diese nur halbverstandene Wahrheit hat viel größere Anziehungskraft als die ganz verstandene. In der völligen, ganzen ist irgend etwas Natflrliches und Einfaches. Simplex sigillum veri. Bei dem Halbverstandenen ist das „Halbe" genügend, um Werte sehen zu lassen, die andere Hälfte gibt noch magische, bezaubernde Interessantheit und Großartigkeit dazu. Die halbverstandene Wahrheit ist, wie alles, was richtig aus etwas W a h rem erkannt worden ist, auch ganz, und indem man eben in dem Verstandenen diese Ganzheit fühlt und dazu noch das nicht Verstandene als ein noch Höherwertigeres nimmt, meint man etwas monumental, außerordentlich Bedeutendes zu haben. So sagt Nietzsche: „Wir werden nie verstanden — und daher unsere Autorität." (Götzendämmerung IV, Werke VIII, S. 15.) *) Nach Michels waren angeblich in der Französischen Revolution die Straßenkämpfe, wenn auch Frauen dabei waren, viel grausamer, weil die Männer durch ihre Greueltaten den Frauen imponieren wollten.
— 58 — umgeben sich mit bewundernden Freunden und Anhängern und sie benötigen diese, weil sie ohne ihr Lob und ihre kraftgebende Ermunterung nicht hätten aufsteigen können. Deren Bewunderung und Anerkennimg ist im großen und ganzen ein ähnlicher Ansporn des Sich-selbst-besser-Findens, wie die Bewunderung durch die verliebte Frau. Für die mittelmäßigen und beschränkten Männer ist es eine Freude, daß sie mit großen Männern freundliche Beziehungen unterhalten können, um sich emanative selber für größer halten zu dürfen (vgl. oben); andererseits kann für diese Großen die Bewunderung des Freundes ein sehr hochsteigendes Selbstbewußtsein bedeuten. Ein wichtiges Motiv zum Aufstieg kann auch sein, gewisse hochgeschätzte Menschen von unseren vorzüglichen Werten zu überzeugen. Dem Professor, dem Meister, dem Chef, dem Freunde zu zeigen, „was man eigentlich sei". Auch zeigt sich oft das überkompensative Gefühl der Unterdrückten: „man soll sehen und sich wundern, wie hervorragend ich bin". Wir erwähnten, daß die philiströsen und emporstürmenden Neigungen gemischt bei den Menschen vorhanden sind. Die Sehnsucht, nach oben zu kommen, kann die Liebe bzw. die Sympathie sehr erheben oder erst hervorbringen. Wir müssen es kaum erwähnen, daß die Sympathie und Liebe auch für den blinden Titanismus der Unbegabten und Unfähigen einen Raum läßt und bei dem sich nach der ihm nicht gebührenden Stelle sehnenden Menschen kann das oft für Tragödie und inneren Zusammenfall die Ursache sein. Wir erwähnten oben, daß die großen Männer sich gerne mit beschränkten Leuten umgeben. Zu diesem Vorteil der Beschränkten gehört noch ein anderer eigenartiger Aufstiegsvorteil, den die Unfähigen, Dummen, Schwachen und Wertlosen gegenüber den Begabten, Klugen und Kräftigen besitzen. Die nach Herrschaft und Macht sich sehnenden Emporstürmenden bevorzugen beim Höherkommen und lassen oft näher zu sich diejenigen, die ihnen keine Konkurrenz bedeuten, von denen nicht zu fürchten ist, daß sie ihren Glanz und Ruhm verdunkeln. So haben oft, ohne sich selber dessen bewußt zu sein, die Hochstehenden die Tendenz, die Dummen
— 59 — und Unfähigen den Würdigen gegenüber in den Vordergrund zu rücken1). Um zur unbedingten Geltung zu gelangen, muß man über die wichtigen Erfordernisse des Mutes und des Selbstvertrauens verfügen. Wer bei dem Kampf um den Sieg über unverzagtes Selbstvertrauen und über Mut verfügt, hat schon den halben Sieg errungen. Selbstverständlich ist der Mut nicht als irgendeine potentiale Gefühlsneigung zu verstehen, sondern als tatsächliches aktives Handeln: als jener Mut, der vor keiner Gefahr zurückweicht und sich den drohenden Übeln widersetzt. Von gleich Starken, wenn sich der eine stark, der andere schwach fühlt, ist der erstere in Wirklichkeit stärker. Das Selbstvertrauen macht auf autosuggestivem Wege das ruhige volle Entfalten seiner Kräfte möglich. Dagegen kann der sich schwach Wähnende, der kein Selbstvertrauen hat, nur einen kleinen Teil seiner Kräfte mobilisieren. Wer sich stark fühlt und Selbstvertrauen besitzt, hat vor allem den Vorteil des ruhigen Überblicks der Situation, weiterhin den der besseren Willenskonzentration und des Ausdauerns. Das Leben ist unser aller Schuldner, doch ein schlechter Schuldner, der nur demjenigen zahlt, der stark genug ist, diese Zahlung zu erzwingen. Dem Schwachen, dem Pessimisten (diese beiden Begriffe gebrauchen wir nicht als Synonyma) bezahlt es seine Schuld nicht, und wer mit unsicherer Stimme und schwach seine Forderung geltend zu machen trachtet, dem wird es noch dazu energisch entgegentreten. Viele betrachten dies als eine quälende Ungerechtigkeit des Schicksals, doch haben sie nicht im mindesten recht. Die Freiheit und der ethische Wert des Lebens würde aufhören, wenn ihr Zusammenhang mit unserer eigenen Kraft und unserem Mute zum Handeln nicht bestände. Natürlich bedeuten Selbstvertrauen und Mut noch nicht unbedingten und sofortigen Sieg. Wenn dies der Fall wäre, würde der Mut seinen ethischen Wert und seine Bedeutung einbüßen. Einen halben Sieg nannten wir ihn, da er größere Aussicht auf Sieg mit sich bringt, doch gleichzeitig ermöglicht So kann die Dummheit eis Segen sein und das beste Gegengift gegen den Auistieg-hemmenden Neid der Anderen.
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er eine schwerere Niederlage. Wer über den halben Sieg verfügt und trotzdem eine Niederlage erleidet, hat mehr verloren und sich größeren Schmerz verursacht, als derjenige, der noch nichts vom Siege in den Händen hatte. So erleiden die Utopisten und die Romantiker eine größere Niederlage als die Gleichgültigen. Andererseits sind zwar Mut und Selbstvertrauen große Mächte, doch oft führen sie zu Unvorsichtigkeit und Übermut. Die Feigen und Schwachen überlegen ihre Schritte oft besser und sind vorsichtiger. Im allgemeinen hat aber ängstliche Vorsicht nicht jene große Bedeutung wie Mut und Tatkraft. Je mehr man für den Aufstieg zu kämpfen hat, eine um so wichtigere Rolle erhält der Mut. Je statischer und unbeweglicher unser gesellschaftliches Tatfeld ist, auf dem wir vorwärts zu kommen trachten, um so bedeutungsloser werden Mut und Kampfbereitschaft und um so mehr können ihre Schattenseiten zum Vorschein kommen. Das „Statische" im gesellschaftlichen Tätigkeitsfeld hängt eben kausal damit zusammen, daß die Aufstiegsmöglichkeiten geringer geworden sind. Da hilft viel mehr das vorsichtige, langsame Vorwärtsdringen als das Stürmen. Über die Sympathie- bzw. antipathieerweckende Wirkung des Mutes, d. h. des „halben Sieges", gilt im allgemeinen in geringerem Maße das über den Sieg Gesagte. Wie erwähnt, bringt der Mut als Erscheinung der Kampfbereitschaft und des Willens, sich den Gefahren zu widersetzen, sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich. Die eigentlich wertvolle Grundlage des Mutes treffen wir dort an, wo hinter ihm ein festes Gemütsgepräge, ein Charakter steht. Das Wort Charakter ist sehr gebräuchlich und sein Begriff wird sehr oft mißbraucht. Wir treffen es oft und in vielen Bedeutungen an. Sehr wenige nennen wir charakterfest, doch halten wir bei weitem nicht alle, die wir nicht mit dem Ausdruck „ein Charakter" bezeichnen, für charakterlos. Charakter bedeutet ungefähr ein konsequentes, zuverlässiges Wesen, das gewisse feste ethische Prinzipien hat. Doch kämen wir in große Verlegenheit, wollten wir die Begriffe „feste ethische Prinzipien", oder „konsequent" und „zuverlässig" umgrenzen.
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(Die weitere Untersuchung der begrifflichen Vieldeutigkeit liegt nicht in unserer Absicht, doch erachteten wir ihre Erwähnung zur Vermeidung etwaiger hierauf bezüglicher Gegenargumente für notwendig.) *
Der Charakter ist einer der wichtigsten Faktoren der Aufstiegsmöglichkeiten. Allein durch ihn sind die Begriffe des seelischen Aufstiegs und des inneren Erlebens des Aufstiegs verständlich. Es ist nämlich möglich, daß jemand die schwindelndste Höhe ersteigt und im tiefsten Innern seines Seins, in seinem allein aufstiegsfähigen Seelenwerte nicht aufstieg, sondern herabsank. Neben seiner Rolle in den Phänomenen des seelischen Aufstiegs, dessen Fragen wir übrigens im folgenden eingehend untersuchen wollen, hat der Charakter auch in den verschiedenen Fragen des materiellen und gesellschaftlichen Aufstiegs eine wichtige Bedeutung. Eine merkwürdige Erscheinung der menschlichen Moral ist es, daß man einem schwachen Charakter, der Ruchlosigkeit und Schlechtigkeit gegenüber, wie vom Wunsche des Vergeltens geleitet, auch selbst grausam und rücksichtslos wird und zu den radikalsten Ungerechtigkeiten geneigt ist. Es gibt Menschen die von ihrer Schwachheit und ihrem unsteten Charakter so begleitet werden, wie von einem vorgeworfenen Schatten, und die dann überall ungerechte und unwürdige Behandlungsweise und Demütigung hervorrufen. Es gibt wieder andere Persönlichkeiten, die für ihr ganzes Leben, für alle ihre Kämpfe, für jeden Schritt nach aufwärts fast nur eine einzige Waffe besitzen: ihr sichtbares, allgemein imponierendes, geradezu weit schreiendes, charaktervolles Auftreten. Diese Menschen sind wirkliche Charaktere und das offene Zurschautragen dieser Charakterfestigkeit gehört zu ihrem ganzen Wesen. Sie haben keine „Aufstiegstaktik" *) Gustav Ichheiser spricht in einer, dem Gegenstaad unserer Arbeit sehr nahestehenden Abhandlung (vgl. Literatur) von der „Selbstverschleierung" des Erfolges als von einem allgemein gültigen soziologischen Gesetze. Bei ihm ist das Erreichen des Erfolges sozusagen gleichbedeutend mit der Geschicklichkeit des nichterwischten rechts- und moralverletzenden Menschen. So nennt er das Verfahren eines Arztes, der seine Namensähnlichkeit mit einem berühmten Fachgenossen zum Betrug benutzt, „Erfolgstüchtig-
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Sie wollen mit ihrem Charakter nicht prahlen, aber eine gewisse Charakterfestigkeit ist so stark in ihr ganzes Wesen geschrieben wie auf die Träger des Sträflingsanzuges die begangene schwere Sünde. Diese charaktervollen Menschen brauchen viel weniger Verdienste zum Aufstieg, sie finden überall Billigkeit, Wohlwollen, Nachsicht. Für sie sind die Gesetze des Aufstiegs wesentlich milder, als für andere Sterbliche. Diese Menschen, die durch ihr ethisches Wesen vorwärts gebracht werden, denen dadurch schon ein unbedingter Aufstieg bestimmt ist, gibt es nur in kleiner Zahl. Wenn auch ihre anderen Verdienste kleiner sind, als jene derer, die sie überholt haben, so entrüsten sich die Menschen doch nicht. Dagegen hat man nur wenig Mitleid für jene Charakterlosen übrig, die im Kampfe des Lebens Unrecht erlitten haben. Der Charakter ist ein großer Wert und die Menschen geben mit seiner Ehrung ihrer tieferen ethischen Gesinnung Ausdruck. Es gibt verhältnismäßig wenige, deren ganzem Wesen ihr Charakter oder ihre Charakterlosigkeit deutlich aufgeprägt ist und die dadurch in eine sehr vorteilhafte bzw. ungünstige Lage geraten. Der größte Teil der Menschen und unter ihnen gerade die mit dem zusammengesetztesten und reichhaltigsten Gemüte, bleiben ständige Rätsel. Ihr Charakter bleibt ein Rätsel, selbst wenn er sich noch so bestimmt offenbart. Wir können über sie die verschiedensten Folgerungen aufstellen und diese als berechtigt betrachten. Diese Menschen keit" (S. 17) und sieht die „Unanständigkeit" als eine Bedingung der Leistungstüchtigkeit an. „Wollen wir als anständig g e l t e n und leistungstüchtig, dann müssen wir unanständig sein und eriolgsgeschäftig" (S. 45). E r spricht über den Macchiavellismus der Einzelperson (mit viel mehr Recht hätte er sich auf de Mandeville beziehen können), d. h. von der Übertretung der Moral- und Rechtsgesetze aus eigenem Interesse. Das ist aber mit weniger wissenschaftlichem Ausdruck als Betrug und Delikt zu bezeichnen. Natürlich, wenn der „Erfolg" gleichbedeutend ist mit dem nichterwischten Betrug, so hat der Erfolgstüchtige das starke Interesse, die Art und Weise seines Emporkommens zu verschleiern und sich nicht zu kompromittieren. Nach unserer Meinung ist die Auffassung Ichheisers — trotz mancher sehr treffenden Feststellungen — übertrieben und einseitig. E s gibt noch Erfolg ohne „Unanständigkeit" und Aufstieg ohne Hochstapelei; und wenn wir die einfachsten ethischen Umgrenzungen anwenden, dann können wir nur in diesen Fällen von eigentlichem Erfolg sprechen, wie von eigentlichem Glück nur da, wo kein „corriger la fortune" mitspielt.
— 63 — müssen, um den Lohn des festen Charakters zu genießen, zuerst ihre Charakterfestigkeit auf geeignete Art beweisen. Andererseits erleiden die Charakterlosen infolge ihrer Charakterlosigkeit nur dann Nachteile, wenn dieser Umstand erkannt wurde. Die Charaktervollen wollen ihren geraden Charakter beweisen, die Charakterlosen ihre Charakterlosigkeit verbergen und den Anschein des geraden Charakters vortäuschen. Das Aufweisen eines festen Charakters spielt in jeder Phase des Lebens eine große Rolle und immer und überall steht das Interesse, sich charaktervoll zu erweisen, mit dem Aufstieg in Zusammenhang. Ein großer Teil der Menschheit spielt andauernd Theater und will einen solchen Charakter zeigen, mit dem er die Sympathie und das Wohlwollen anderer erwerben kann. Das dauernde Bemühen, Charakter zu zeigen und das Streben nach Anerkennung können wir alle Tage beobachten. Es gibt aber tüchtige, brave Menschen von ausgezeichnetem Charakter und gerader Seele, die überall Argwohn, Unrecht, Unbilligkeit hervorrufen und deren beste Taten eine verborgene Absicht, ein unerlaubtes Ziel zu bergen scheinen. Sie können nie so charaktervoll sein, daß sie nicht charakterlos erscheinen und können nie solche Seelenstärke aufweisen, daß sie trotzdem nicht als schwach gewertet werden. Aus diesen rekrutieren sich die Invaliden des Lebens. Oft würden sie über große Werte und auch über den notwendigen Mut und über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, doch sie rufen bei allen Menschen nur Unrecht gegen sich hervor und, erlangen sie auch noch so hohe Positionen, ist ihr Erfolg nur ein Bruchteil dessen, was sie erreicht hätten, wenn der böse Schein nicht gegen sie gewirkt hätte. Diesen gegenüber stehen jene, die immer charaktervoller und tüchtiger erscheinen, als sie in der Tat sind. Viele unter ihnen können das Zutrauen der Leute selbst nach den verschiedensten Mißbräuchen sich erhalten. Sie füllen ihr ganzes Leben mit geglückter Schauspielerei. Aus ihnen rekrutiert sich die größte Zahl der Hochstapler und der intellektuellen Verbrecher. Diese Art von Menschen findet immer „verständnisvolle Mitmenschen" und wenn ihre Taten den geraden Weg zu verlassen scheinen, finden dafür die Menschen die weit-
— 64 — liegendste und komplizierteste Erklärung, um sie am Ende doch als Charaktere betrachten zu können. Die Schauspieler der Charakterstärke, die sich selbst durch schlaue Griffe als wertvoll zeigen wollen, gehören in erster Linie dem Typ der haltlos Emporstrebenden an. Für die Philister, die nicht nach großen Höhen streben und auch in den obwaltenden Verhältnissen ihre volle Zufriedenheit finden können, ist das Vorgaukeln der Charakterstärke von viel minderem Interesse und viel kleinerer Bedeutung als für die beachtenswerte Zahl jener Leute, die nie hoch genug gelangen können, um sich nicht noch weiter nach oben zu sehnen. Der größte Teil der Menschen steht — wie schon angedeutet — im dauernden Kampf des Erkannt- oder Nichterkanntwerdens, des Zurgeltungkommens und der Ungerechtigkeit. Ihrem Wesen ist weder Charakter noch Charakterlosigkeit aufgeschrieben, bzw. einmal scheint die eine, ein anderes Mal die andere vorzuherrschen. Sie machen oft einen guten, oft aber auch einen schlechten Eindruck. Sie stehen mitten drin im grausamen Kampfe für den Aufstieg, in dem endlos viele Komponenten den Aufstieg oder den Fall bestimmen. Viele werden vielleicht den oben im Zusammenhang mit dem Charakter angestellten Ausführungen entgegenhalten, daß nicht bloß der Charakter, sondern die Ganzheit der seelischen Werte die Anerkennung und die Sympathie hervorruft und den Kampf des Aufstiegs erleichtert. Diesen gegenüber müssen wir feststellen, daß aus dem seelischen Wesen und Werte des Menschen gerade jene Eigenschaften als wertvoll oder wertlos betrachtet werden können, die mit einem festen ethischen Gehalt zusammenhängen. Das künstlerische oder anderweitige Talent eines Menschen kann an sich von seinem Charakter gänzlich abstrahiert werden und höchstens auf Wertung, nicht aber auf Hochschätzung in ethischer Hinsicht Anspruch erheben. Nach der Beschreibimg einiger allgemeiner Elemente des Kampfes um den Aufstieg betrachten wir einen der wichtigsten, zentralen Faktoren des Aufstieges: den Kampf außerhalb des Kampfes. Wie gesagt, wird für den Aufstieg ein steter
— 65 — Kampf geführt. Dabei müssen wir auf die Zweideutigkeit des Wortes „Kampf" hinweisen. Es bedeutet einerseits und im weiteren Sinne das Aufeinandergerichtetsein und Gegenüberwirken ohne Bezug auf die Quantität und Intensität der gegenüberwirkenden Kräfte. In diesem Sinne kann man vom „steten" Kampf des Aufstiegs oder vom steten Kampf des Lebens sprechen. Andererseits aber bedeutet das Wort i. e. S. etwas anderes. Da ist der Kampf ein Akt bedeutenderen und größeren Kraftringens. Wenn wir dem Begriff diese Bedeutung nehmen, so ist in den obigen Aussagen der Sinn nicht mehr stichhaltig. Der Akt des Kampfes im primären Sinne vollzieht sich nicht stetig. Auch im Kriege kämpfen die Gegner nur einige Stunden, dann aber ruhen sie und sammeln neue Kraft. Genau so im Kampfe um den Aufstieg. In dem Kampfe messen sich die Kräfte der Gegner. Wer sich in dem Akte des Kampfes als stärker erweist, trägt zumeist den Sieg davon. Hier im Kampfesakte entscheidet die Kraft. Die größere Kraft besiegt die mindere. Doch in den Kämpfen, besonders in den intellektuellen des Aufstiegs triumphiert nicht unbedingt der „Sieger". Er kann wohl seinen Gegner schlagen und trotzdem bleibt er der eigentlich Besiegte. Nicht allein das Verhältnis der im Kampfe einander gegenüberstehenden rohen Kräfte wirkt entscheidend. Nehmen wir einen Fall: Der Kampf des Anstiegs dauert an. Für gewisse letzte Ziele wird gekämpft. Gewisse Handlungen, Schachzüge, bilden den Akt des Kampfes. In der Zwischenzeit der Entfaltung der Handlungen entscheidet sich dann im großen und ganzen der Kampf. Die beiden Beteiligten stehen im Kriegszustand, aber außerhalb des Kampfes. Stellen wir uns nun folgendes vor: A., der kräftigere und verdientere, hat bei jeder lebhafteren Handlung Herzklopfen, Nervosität und Aufregung zu bekämpfen; gründliche Überlegung und gewissenhafte Prüfung gehen seinen Handlungen voran. Der andere, B., ist schwächer und unwürdiger, er betrachtet den Ausgang mit ernstloser Gleichgültigkeit. Er überlegt seine Schritte schlau, doch lösen diese in ihm keine große Aufregung und noch weniger psychische Emotion aus. Die Handlungen von A. sind bedeutender, verdienter, geschickter und doch wird oft B. gewinnen. Die Zeit außerhalb V i d a , Auistieg.
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des Kampfes entscheidet über den Kampfzustand, und der Kampf außerhalb des Kampfes gibt dem Siege oder der Niederlage den eigenen Charakter. Puskin beschreibt vorzüglich in „Onegin" die beiden Duellanten, den blasierten Eugen und den jungen Dichter. Schon der Zustand vor dem Kampfe läßt das Ergebnis ahnen. Hindenburg sagte in einer Rede am Anfang des Krieges, daß diejenige Partei den Krieg gewinnen wird, die mit den Nerven besser durchhalten kann. Doch betonen wir, daß nicht nur die psychischen Elemente vor dem Kampfe von wichtiger Bedeutung für den Ablauf des Kampfes sind. Wir wollen damit nicht nur besagen, daß die sich entfaltenden körperlichen Kräfte ihre psychischen Grundlagen haben, sondern daß selbst die körperliche Kraft, der Ablauf des Kampfes, ihren nachträglichen Wert in seelischen Momenten finden. Wir behaupten nicht, daß dieser Kampf außerhalb des Kampfes immer bedeutungsvoller ist, als der „Kampf im Kampfe", doch kommt ihm in einer Beziehung die größere Bedeutung als diesem zu. Man kann bei dem Kampfe im Kampfe viel besser mit den eigentlichen Kraftverhältnissen rechnen, sie bilden etwas weitaus Handgreiflicheres und Positiveres, als der Kampf außerhalb des Kampfes. Hier kommt es viel mehr auf Vorsicht, Berechnung, Geschicktheit an, als bei jenem. Es ist ja keine große Kunst, wenn der Stärkere den Schwächeren besiegt; viel mehr ist es, wenn der Schwache den Starken überwältigt. Die berechenbare, meßbare Kraft ist viel geringer, als die unberechenbare und unmeßbare. Sowohl die Kraft im Kampfe, als auch die außerhalb des Kampfes besteht aus zahllosen Komponenten und hat zahlreiche, voneinander trennbare, physische und psychische Hauptbestandteile, deren detaillierte Untersuchung den hier verfügbaren Rahmen übersteigen würde. Wir wollen zur Prüfimg der allgemeinen Regeln des Aufstiegs skizzenhaft noch gewisse Faktoren herausheben. Diese werden in den weiteren Kapiteln teilweise noch eingehender auseinandergesetzt. Diejenigen Faktoren, auf die wir im weiteren nicht zurückkommen, werden wir relativ erschöpfend untersuchen.
— 67 — Unter den Faktoren des Aufstieges spielt eine bedeutende Rolle die Familie. Deren soziale Umstände sind der erste Pfad, an welchen der sich nach oben Aufmachende gebunden ist. Solange sie (die Familie) bei den gebundenen und niedrigeren gesellschaftlichen Klassen ein Hindernis ist, bedeutet sie bei den mittleren Klassen freie Möglichkeiten, eventuell hie und da kleinere Verbindungen oder Nachteile; bei den oberen, sich in begünstigterer Lage befindenden Klassen bedeutet sie im besten Falle eine für das ganze Leben sichere Versorgung und Möglichkeit zur Wertentwicklung. Bei dem Kaufmann, Gewerbetreibenden, Unternehmer hilft das alte Gründungsjähr, dto. Familientraditionen, bei dem Arzt, Rechtsanwalt, Gelehrten, Politiker die RuhmPatina des Familiennamens durch viele Schwierigkeiten. Die Familie und Herkunft sind auch in vielem bestimmend für die Möglichkeiten des „In-die-Gesellschaft-Kommens" und Verbindungen-Werbens. Das „In-die-Gesellschaft-hinein-Kommen" ist besonders bei der Beamtenlaufbahn von Wichtigkeit, obwohl es fast bei jeder Laufbahn eine ziemlich große Bedeutung hat. Das Verbindung-Werben hat besonders dort eine Bedeutung, wo von den Gleichbegabten oder — wir können es besser so sagen — unter den Gleichwürdigen nur ein Teil zur Geltung kommen kann. Da wird die Protektion zu besonders großer Rolle gelangen. Neben den Familien- und gesellschaftlichen Beziehungen bekommt eine große Wichtigkeit das„In-die-Nähe-Kommen", die Anknüpfimg. Die Berührung mit Macht- und Erfolg verteilenden „großen" Persönlichkeiten ist eine Gelegenheit, gewisse besondere Fähigkeiten und Werte zeigen und anerkennen lassen zu können. In den wirtschaftlichen wie allgemein in den höheren, geistigen Berufen spielen die Anknüpfungen eine große Rolle. Die „Schulen" und „Kreise", die gewisse große Politiker und Gelehrte umgeben, sind oft weniger ein Zeichen ihrer Bedeutung, als ihres Entgegenkommens und ihrer unmittelbaren Freundschaftlichkeit. Diese Kreise und Schulen können ebenso den Aufstiegsinteressen der Führenden dienen, wie denen, die sich an sie anknüpfen. Die Hineingekommenen helfen gemeinsam einander, die ein5*
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zelnen Feinde können sie leichter unschädlich machen und ihre Verbindungen gemeinsam, um einander zu helfen, ausnutzen. Aber auch die einzelnen Anknüpfungen an die Professoren, Politiker usw. können von sehr großer Wichtigkeit sein und sind bei den gelehrten Berufen sozusagen fast unvermeidlich. Ihr Nachteil gegenüber den „Schulen" ist der, daß sie ihren Anhängern nicht mit solchem Nachdruck weiterhelfen können wie deren Angehörige; ihr Vorteil ist, daß hier der Betreffende um eine Person in eine Aktion tritt. Hier zeigt der Sieg meistens ein gewisses völligeres, selbständigeres, ethisch wertvolleres Ergebnis, als bei den Angehörigen der Schulen. Ein ähnliches, doch meistens weniger intimes Gepräge als der Kreis und die Anhängerschaft hat die Zugehörigkeit zu Vereinen und Clubs. Die Vereine können sehr verschiedenen Zielen dienen und ihre Wichtigkeit kann auch sehr verschieden sein. Ihre Mitglieder können als zu einer engeren Gemeinschaft gehörend leichter mit und voneinander Verbindung, Protektion und Hilfe finden; besonders bei den nur über kleine Mitgliederzahl verfügenden, aber doch bedeutenderen Vereinen ist das der Fall. Außerdem kann die Teilnahme am Vereinsleben Gelegenheit geben, gewisse organisatorische und administrative Fähigkeiten zu beweisen und durch das Vereinsleben aufzusteigen. Dieser Aufstieg kann eine Leiter werden zu weiteren Verbindungen und durch die öffentliche Tätigkeit und durch die Fähigkeitsbeweise zu weiterem, sehr verschiedenartigem Aufstieg. Die Kameradschaftsneigungen, Liebenswürdigkeit und das „Gut-auskommen-können" können ebenso in den Vereinen wie in den Gesellschaften Freunde und Beziehungen werben und besonders groß ist ihre Bedeutung bei den Clubs und Studentenverbindungen1), wo für die freundschaftlichen und im engeren Sinne genommenen Privatverbindungen mehr Raum gelassen ist. *) So hat z. B. vor dem. Krieg bei der Beförderung zum preußischen Richter die bundesbrüderliche Beziehung zum Kösener hohen SeniorenKonvent eine nicht kleine Rolle gespielt. (Vgl. Gruneberg: „Das Religionsbekenntnis der Beamten in Preußen.")
— 69 — Eine von den Vereinen in vielem abweichende Rolle spielt die Tätigkeit in Geheimverbänden. Ihr Vorteil ist die viel nähere Beziehung der Mitglieder untereinander und das wirkliche Einander-Helfen. In solche Verbände treten viele nur allein mit dem Ziele ein, Verbindungen zu finden und aufzusteigen. (So z. B. bei den Freimaurern, Ku-Klux-Klan und der Kamelia). Bei einzelnen solchen Verbänden ist schon durch das Hineinkommen das Vorwärtskommen gesichert. Um solche Männer in diesen Vereinen, die über große Macht verfügen, bildet sich durch die engere Verbindung eine Protektionsarmee, eine „Mamelukenschar", deren Vorteilsnutznießungen mindestens als unmoralisch gegenüber ihren außerhalb des Vereins stehenden Wettgenossen zu bezeichnen sind. Der Nachteil der Geheimverbände ist, daß die Mitglieder infolge der Heimlichkeit als Verbindungsleute keine öffentliche Rolle spielen und nicht durch diese Rolle zur Geltung kommen können. Ähnliche Aufstiegsmöglichkeiten bietet das Parteileben, welches eben heute für besonders viele, Gelegenheit schafft, ihre Fähigkeiten vor sehr vielen Leuten ins Licht zu stellen und Verbindungen zu finden. Die Korruption des Parteilebens ist heute schon so weit gekommen, daß viele fast sozusagen alleine vom Anknüpfen an eine Partei und von dem Parteileben ihr Zur-Geltung-kommen erwarten; und die Machtdynamik der Parteiverhältnisse bringt viele ohne oder entgegen ihrer Überzeugung („Bonzentum") und Empfindimg zum Eintreten in gewisse politische Parteien. Viele kleine Existenzen hängen in ihrem Bestehen oder Verfallen davon ab, welches politische Bekenntnis sie ablegen. Bei den Parteien geben die Rednergabe und die Fähigkeit, den Massen zu imponieren und auf sie einzuwirken, besondere Chancen zu dem Zur-Geltung-kommen. Bei den Vereins- und Parteiverknüpfungen sind zu erwähnen die Pressebeziehungen, die fast bei allen Laufbahnen zum Helfer des Aufstieges werden können. Die Vereine und Parteien können in vielem ihre Macht ihrer Presse (bzw. der mit ihnen in Beziehung stehenden Presse) verdanken; und sie geben für diejenigen Mitglieder, die mit der Feder umgehen können, durch die Vereins- und Parteipresse eine Geltungsmöglichkeit.
— 70 — Zum Aufstieg bei den intellektuellen Berufen kann der Buchverleger mit seinem Reklameapparat und seinen Verbindungen auch eine sehr wichtige Rolle spielen. Die Verbindung mit einem vorzüglichen Verleger kann für einen Gelehrten oder Schriftsteller eine für ein ganzes Leben hinreichende Laufbahnsicherung werden (natürlich vorausgesetzt die nötige Begabung). Dasselbe Werk, welches durch einen unbedeutenden Buchverleger oder im Selbstverlag herausgebracht, nicht einmal zur Kenntnis genommen wird, findet bei einem vornehmen Verleger eine allgemeine Stellungnahme und Annahme als ein zu beachtender Faktor. Der bedeutende Verleger hilft in außerordentlich großem Maß seinen Leuten zum Ruhme. Fast dieselbe Wichtigkeit hat für die darstellenden Künstler der gute Impressario, der gute Manager und für die schaffenden Künstler der Kunsthändler und Kunstverlag. Die Manager und Kunsthändler gaben in vielen Fällen die Grundlage für Anerkennung und Weltruhm. Bei der Presse und bei den verschiedenen Arten der Verleger bildet ein wichtiges Element die Reklame und die Fähigkeit, gewisse Werturteile und Auffassungen der öffentlichen Meinimg den breitesten Volksschichten aufzwingen zu können. Die Reklame und die „Propaganda", die gesellschaftliche und Vereinsreklame, die Stellungsnahme der Presse — deren Grenzlinie der Reklame gegenüber sehr schwer zu ziehen ist — spielen, außer beim Landgutsbesitz und bei einigen, monopolistisches Gepräge tragenden Unternehmungen, fast bei allen Arten der Berufsaufstiege eine große Rolle. Die auffallende, bezahlte Reklame hat bei den Massenwaren und bei den „Markenartikeln" eine große Bedeutung. Wir wollen noch die Bedeutung der Gemeinden für den Aufstieg erwähnen. Die Zugehörigkeit zu diesen weicht insofern von den Vereinen ab, als man hierher meistens nicht mit selbständigem Willen gehört, sondern hineingeboren ist. Die Angehörigen eines Staates, einer Provinz, einer Stadt, einer Kirche fühlen sich enger zueinander gehörig und helfen einander vor den „Fremden" und geben ihren großen Männern Ruhm und Bedeutung. Sie sind auf sie stolz und helfen ihnen und heben sie. Sie sind immer bereit, sie zu bevorzugen, eher
— 71 — ihnen zum Aufstieg zu helfen als denen, die außerhalb dieser Gemeinde stehen. Oft bekommt aber auch die Fremdheit eine Bedeutung. Der Fremde erregt stärker die Aufmerksamkeit für sich; vieles wirkt bei ihm neuartiger, interessanter und bedeutender. Die Angehörigen der nachahmenden, nachäffenden, sekundären Kulturstaaten bevorzugen oft das Fremde, das aus den primären Kulturstaaten kommt, gegenüber ihren eigenen Leuten. (Das „nemo propheta in patria" hat ohne Zweifel auch mit diesem Umstand zu tun.) Ihre Andersartigkeit hat die Wirkung der Neuartigkeit und Originalität, und das bringt sie oft vorwärts bei den fremden Gemeinden wie auch in Gesellschaft, Vereinen und im öffentlichen, allgemeinen Bewußtsein der neuen Umgebimg. Nachdem wir einzelne allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Erscheinung des Aufstiegs skizziert haben, betrachten wir den Ablauf des Aufstiegs in den verschiedenen Berufen und Gesellschaftsklassen. Haben wir uns in dem oben Gesagten mit allgemeinen Gesetzmäßigkeiten beschäftigt, deren Geltung durch die sozialen Einrichtungen der einzelnen Kulturen und Zivilisationen kaum geändert worden ist, so beachten wir im folgenden in erster Linie die sozialen Verhältnisse der europäisch-amerikanischen Kultur im heutigen Mitteleuropa, doch unter Beachtung jener allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, die über die Bedingtheit einzelner Einrichtungen hinaus bestehen.
V. Kapitel. Der Aufstieg bei verschiedenen Berufen. Wir wollen in diesem Kapitel den Aufstieg in verschiedenen Beschäftigungen und Berufen ins Auge fassen. Unsere Untersuchung bezieht sich fast ausschließlich auf die heutige Lage, aus der wir die allgemeinen mitteleuropäischen, besonders aber die speziellen deutschen Verhältnisse prüfen wollen. Wir streben jedoch nach Möglichkeit auch danach, hier und da die von der Zeit und gewissen kulturellen Eigentümlichkeiten unabhängigen, allgemein gültigen Aufstiegsregeln zu unterstreichen, wobei wir aber das Bestehen gewisser Achsen unserer heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung doch vorausgesetzt haben, wie es z. B. die vaterrechtlichen und kapitalistischen Einrichtungen sind. In unseren Untersuchungen wollen wir von den materiellen zu den geistigen Berufen fortschreiten. 1. Materielle Berufe. a) Handelsberuf. Als die eigentlichste materielle Beschäftigung wollen wir die kaufmännische herausgreifen, wobei wir vor allem die Unternehmer ins Auge fassen wollen, in deren Beruf die kaufmännische Tätigkeit auf ihrer heutigen Entwicklungsstufe die schärfste Ausprägung findet. In der Beschäftigung des Kaufmannes sehen wir die unmittelbarste materielle Tätigkeit des Gütersammelns, nämlich ohne eigene Produktion die Produkte anderer mit möglichst viel Gewinn weiterzugeben. — Der unter Ausschaltung der Produktion im eigentlichen Sinne vor sich gehende materielle Gelderwerb würde auf den ersten
— 73 — Blick von Habgier besessene und meistens emporstürmende Typen bei den Kaufleuten ahnen lassen. In der Tat ist das aber nicht der Fall. Die kaufmännische Laufbahn wird sehr oft, und bei den Philistern überwiegend, aus gesellschaftlichen und aus elementaren Zweckmäßigkeitsgründen gewählt, und keineswegs aus Habsucht. In erster Linie ist das bei denen, die den Beruf erben, der Fall. Für den einen Sohn des Kaufmanns oder des Unternehmers ist meistens schon von vornherein die Tätigkeit des Vaters als Beruf bestimmt, und zwar deshalb, weil die „Firma" nur bei der unmittelbaren Übernahme ihren vollen Wert behält. Die sich gut rentierende, zuverlässige Firma, ebenso wie ihr ständig steigendes Bestehungsalter, ihr Ruf, ihre etwaige Tradition erwecken Vertrauen und bewahren vor vielen Schwierigkeiten. Auch der vergesellschaftende Umbau bedroht die Interessen der ursprünglichen Besitzerfamilie, wenn sich nicht irgendein Familienmitglied unter den aktiven Führern der Handelsgesellschaft befindet. So ist also wenigstens für einen der Söhne des Kaufmanns das Weiterführen des Unternehmens eine Sache der elementaren Zweckmäßigkeit. Wenn der Kaufmann mehrere Kinder hat, so werden diese, je mehr sie zu den Philisternaturen gehören, desto eher das unmittelbar Gegebene ergreifen und in das Geschäft eintreten. Je weniger groß und ausgebreitet ein Handelsunternehmen ist und je mehr Erben dort zusammen Platz finden wollen, desto sicherer können wir auf ihre Philistereinstellung schließen. (Es ist jedoch in Betracht zu ziehen, daß auch die Auszahlung der Gebrüder und Miterben mit fast unvermeidlichen Verlusten verbunden ist.) Interessanterweise ist der Aufstiegsehrgeiz eines in großer Wohlhabenheit aufgewachsenen Sohnes eines Kaufmanns oder Unternehmers meistens nicht auf die kaufmännische, sondern mehr auf andere Laufbahnen gerichtet, wo er nach dem Muster des Vaters selbst seinen Aufstieg begründen will. Für den in großer Wohlhabenheit und großem Reichtum Aufgewachsenen hat das Geld oft wenig Reiz. Er kann es sich daher „leisten", in einer edleren Laufbahn seinen Aufstieg zu suchen. Die überaus vielen Künstler und Gelehrten aus den zweiten und weiteren Generationen
— 74 — der reichen Unternehmer bieten genug Belege hierfür1). Wer wirklich aufsteigen will, wird sich mit dem schon Erhaltenen, für ihn völlig Sicheren nie begnügen. Seine Aufstiegsgier ist gerichtet auf das „Mehr" bzw. auf das „Wertvollere". Bei den sorglos Aufgewachsenen ist die Entwicklung des Aufstiegsstrebens überhaupt viel ungünstiger als bei denjenigen, die mehr in den Kampf des Lebens hineingestoßen sind. Viele kommen ohne eine besondere Sucht nach dem Materiellen infolge eines Zufalles oder oftmals infolge einer günstig scheinenden, momentanen Gelegenheit (günstige Lehrbedingungen, Verwandtschaft, Freundschaft, nicht selten Liebe oder Einheirat) in die Kaufmannslaufbahn. Andere erwarten eine ruhige Existenz und finden vielleicht, belehrt durch Erfahrungen in der Familie, den Kaufmannsberuf günstiger als andere Laufbahnen. (Die Kleinhändler sind in großer Zahl spät „umgesattelte", nach ruhigem Leben sich sehnende, ausgesprochene Philister, die für dag Weiterkommen nicht mehr kämpfen wollen. Mit Mitteln, die sie aus Erbschaft, Abfindung, Versicherungssumme, Lotteriegewinn empfangen haben, gründen sie ihre Geschäfte; der Krämerladen bedeutet ihnen dieselbe ruhige Glückseligkeit, wie dem pensionierten Philister seine Lage)2. Der Philistertyp tritt im allgemeinen ohne größere Sucht nach materiellen Gütern in die kaufmännische Laufbahn ein. Er hält es für eine übliche, solide Art, sich in das Leben einzuordnen, die dann dem fleißigen Menschen einen ruhigen, friedlichen Unterhalt sichert. Er paßt sich den un*) Nach den statistischen Erhebungen von Eulenburg über den Akademischen Dozentennachwuchs (Leipzig 1908) weisen die Söhne von Kaufleuten und Fabrikanten den größten Prozentsatz (fast 30%) auf. — Nach den statistischen Untersuchungen des Bayer. Statist. Landesamtes (Zahn) in dem Werk „Sozialer Auf- und Abstieg im deutschen Volk", München 1930. Verlag J . Lindauer (im weiteren zitiert bloß: „Statist. Soz. Auf- u. Abst.") über die führenden Zeitgenossen (in Anlehnung an das Werk Degener, „Unsere Zeitgenossen, Wer ist's wer") stellt sich heraus, daß 2 2 , 7 % der intellektuellen Oberschicht aus der wirtschaftlichen Oberschicht kamen und 2 7 , 3 % der berühmtesten Künstler entstammten ebenfalls derselben Schicht. 2 ) Nach einer Kölner Erhebung (Julius Hirsch: Der moderne Handel, 2. Auflage 1925) aus dem Jahre 1906 stammen etwa 7 5 % der LebensmittelKleinhändler aus anderen Berufen.
— 75 — bedingten Erfordernissen des Berufes an und erwartet von der Zukunft das gute Glück. Bei großen Unternehmungen und Wettbewerben wird er nie zurückgedrängt, weil er sich nicht darum bewirbt. Das Leben wird ihn nicht niederdrücken, weil er sich nach Möglichkeit nicht mit ihm im Kampfe messen wird. Der emporstürmende Typ wünscht, wenn er die kaufmännische Laufbahn einschlägt, unermeßlichen Reichtum zu erlangen. Er will Großkaufmann, Großunternehmer, evtl. Bankier oder Fabrikbesitzer werden; er drängt nach dem Besitz einer unendlichen Menge materieller Güter. Vor allem strebt er nach der Stelle, die die meisten Möglichkeiten bietet, z u m M i t t e l p u n k t , zur e r s t e n Quelle. Wenn er nicht in der mehr Möglichkeiten bietenden Großstadt wohnt, so strebt er dahin. Das erste zu besiegende Hemmnis tritt oft schon während der Erziehungszeit den Eltern gegenüber hervor. Der Wille des nie zu befriedigenden Aufstiegsmenschen stimmt selten mit der von den Eltern vertretenen Erziehungsrichtung überein. Die Eltern sind nämlich als Eltern, obwohl sie für ihre Kinder den denkbar größten Aufstieg wünschen, was die Zukunftspläne ihrer Kinder anbelangt, doch immer Philister. Nur auf ruhigen, friedlichen Wegen wollen sie ihre Kinder wissen und fürchten jegliches Risiko. — Die Sehnsucht der Eltern, ihr Kind möge möglichst hoch kommen, ist meistens eine Art „Warten auf Wunder". Die elterliche Erziehimg dressiert eben das Kind zum Philister1). Das Philistertum der Eltern ist in vielem die Erklärung dafür, warum sie eben in der philisterhaftesten Laufbahn, in der des Beamten, f ü r ihre Kinder, das meiste in Angriff nehmen können. So wie in dem Kampf zwischen dem Philister und dem Vorwärtsdringenden dieser Vorwärtsdringende, der zum Kampfe von der Natur aus mehr befähigt ist, siegen wird, so bleibt auch der vorwärtsdringende Sohntyp dem Willen der Eltern gegenüber siegreich. „Welche zärtlich liebende Mutter -wird nicht erschrecken und vor Angst vielleicht erkranken, wenn ihr Sohn und ihre Tochter auch nur einen Schritt vom g e w ö h n l i c h e n Wege abweichen. Mag er lieber glücklich sein und ohne Eigenart in Zufriedenheit und Wohlstand leben" (Dostojewskij: „Idiot", Bruns Verlag, Bd. II, S. 30.
— 76 — Der Kaufmann vom vorwärtsdringenden Typ glaubt meistens an sich und wagt Versuche. Wenn er schon von Haus aus über etwas Vermögen verfügt, dann setzt er sich über die ersten elementaren Schwierigkeiten hinweg. Wenn er völlig unbemittelt ist, dann bedarf er noch größerer Ausdauer ; nachdem er aber ein kleines Vermögen erreicht hat, wird sich die Möglichkeit zu weiterem progressiv steigern. Sehr interessant, oft äußerst plastisch werden diese beiden Typen i m bekannten Roman Gust. Freytags „Soll und H a b e n " gezeichnet. Der Held des Romans, Anton Wohlfahrt, ist ein Mann des nüchternen Mittelmaßes, ein ausgesprochener Philister. E r verfügt über keine besondere Fähigkeit, über kein höheres Verlangen. Sein einziger Wunsch, den er an das Leben stellt, ist ein Auskommen in der kaufmännischen L a u f b a h n ; er h a t die bescheidene Sehnsucht der guten Epigonen-Kinder, vor dem Andenken der Eltern sich nicht schämen zu müssen. Diesen Mann des nüchternen Mittelmaßes versieht die Fürsorge des Schriftstellers m i t Ehrlichkeit, Opferwilligkeit und Gutherzigkeit. Er stellt ihn in eine Gruppe von anderen mittelmäßigen Leuten, einfachen, alltäglichen Angestellten, in deren Kreis er sich durch sein noch alltäglicheres Wesen bald auszeichnet. Der eine Angestellte wünschte als Missionar in ferne Lande zu gelangen, doch h a t er nicht die K r a f t gehabt, über das Träumen hinaus etwas dafür zu unternehmen. Der andere machte den grauen Alltag durch mutige Lügen bunt, ein dritter fand sein besonderes Gefallen an Wortgefechten mit einem Kollegen. Der Held der Handlung stand all diesen Dingen fern. E r arbeitete wie eine in die Maschine gesetzte Schraube. Der gütige Autor, der die Apotheose dieses Philistertyps geschrieben h a t , hob ihn für seine nüchterne Mittelmäßigkeit immer höher, bis ihm am Ende die H a n d der Schwester des Eigentümers der reichen Handelsfirma angeboten wurde. E r selbst h ä t t e nämlich niemals den Mut aufgebracht, um eine so hochstehende Persönlichkeit zu werben. Das vernünftige Mittelmaß h a t triumphiert. Ihm gegenüber finden wir den besonders unsympathisch gezeichneten jüdischen Typ des Unersättlichen, der um jeden Preis und zu jeder Zeit Geschäfte machen will. Wegen seines unersättlichen Geldhungers sinkt er immer tiefer in Sünden, verwickelt sich bald in eine Mordangelegenheit, wofür ihn der Autor mit dem Tode bestraft. Nun, so geht es einem, der immer höher strebt I In Wirklichkeit ist es überhaupt nicht notwendig, daß jeder strebsame Kaufmann ein Schuft sei, genau so, wie bekanntlich auch die Philister nicht unbedingt ehrlich sind. Ein Aufstieg in materiellen Gütern ist bestimmt auch ohne Durchtriebenheit und unberechenbares, zufälliges Glück sehr wohl möglich, allerdings eher für die Begabten als für die NüchternMittelmäßigen. Der Ursprung der Milliardenvermögen ist auch o f t ausdauernde Sparsamkeit und rühriges, zähes Unternehmen.
Die Grundlage der Handelslaufbahn ist kurz, die möglichst billige Einkaufsquelle und der möglichst teuere und
— 77 — breite Verkaufsmarkt. Um eine billige Einkaufsquelle zu haben, wird der Kaufmann versuchen, auf die Preise der Einkaufsquelle einen Einfluß zu bekommen; er wird sie nach Möglichkeit zu diktieren suchen, um sich schließlich eine monopole Lage zu schaffen. Solange der Kaufmann die billige Einkaufsquelle womöglich für sich reserviert, schafft er für seine Waren einen möglichst breiten und einträglichen Markt. Hier ist Reklame, geschickte Verbreitung und Vordringen ohne Opportunitätsrücksichten in seinem Interesse. Daneben ist das Niederdrücken und das In-den-Hintergrundschieben der Konkurrenz sein Bestreben. Letzten Endes will er den Markt allein besitzen. — Das Werk, welches unmittelbar mit den Arbeitermassen in Verbindung steht, bestrebt sich, deren Löhne möglichst niederzudrücken. Hier wird der Grenzlohn das Lebensminimum. Für dieses Ziel arbeiten die die Arbeiternachfrage regelnden Kartelle. Deren Bedeutung ist aber heute bei der riesigen Macht der Gewerkschaften, — die als Gegenkartelle aufzufassen sind, — äußerst gering. Zu der billigen Einkaufsquelle und der teueren Verkaufsmöglichkeit kommt bei den industriellen Unternehmungen noch die sachgemäße gewerbliche Arbeit. Obwohl hier das Bestreben vorhanden ist, möglichst billig über möglichst teuer verkaufbare Waren zu verfügen, wird aus dieser Absicht das Unternehmerinteresse: Möglichst billig möglichst Gutes zu bieten. Der ohne Rücksicht vor sich gehende, immerwährende materielle Konkurrenzkampf verlangt eine ständige, wachsame Arbeit, Härte und Festigkeit. Allmählich wird bei dem vorwärtsdringenden, erfolgreichen Kaufmann und industriellen Unternehmer alles nur Mittel zum alleinigen Ziel, Geldvorräte anzuhäufen. Bei manchen von ihnen entwickelt sich eine ausgesprochene Gelderwerbsaskese, bei deren Ausübung für sie in der ständigen Hetze nach Geld keine Zeit bleibt, stehenzubleiben, die nicht an die materiellen Seiten des Lebens gebundenen Beziehungen, die Schönheiten und das Wertvolle zu sehen und zu genießen, ihr Inneres für seelische und geistige Güter von höherem Wert zu eröffnen.
— 78 — Sowohl bei dem Großkaufmann, wie bei dem industriellen Großunternehmer muß eine den Dimensionen der Unternehmung entsprechende sehr gute Menschenkenntnis vorhanden sein. Das ist eine eminente Forderung. Die Leitung der großen Unternehmungen — wie allgemein die Organisation aller großen Gruppen — besteht nämlich darin, daß man sie in wenige, zusammenfaßbare Gruppen auflöst. Solche sind bei den großen Unternehmungen Kalkulation, Einkauf, Entwurf (mit ihren technischen Untergruppen, Versuchslaboratorien), Werk, Buchhaltung, Verkauf, Ablieferung, Kasse, Nachkalkulation, die meistens je einen Direktor an der Spitze haben, mit dessen Hilfe der Unternehmer seine Tätigkeit ausübt. Die Aufgabe der Unternehmer ist sozusagen nur die Zusammenfassung und die Zuteilung von Richtlinien und evtl. neuen Entschlüssen. Alles weitere müssen die mit ihm allein in unmittelbarer Verbindung stehenden Ressortleiter (meist Direktoren) erledigen. Nun ist es nicht genügend, daß der Unternehmer selbst begabt und geschickt ist; auch die von ihm Ausgewählten müssen diese Eigenschaften haben. Es ist sogar nicht genügend, daß diese Leiter für sich in richtiger Weise tätig sind, sondern es ist ebenso notwendig, daß diese wiederum für die unmittelbar unter ihnen Stehenden auch die Geeignetsten auszuwählen imstande sind usw., manchmal vier bis sechs Stufen hindurch. Die Auswahl der Stellvertreter ist heute bei den Großkaufleuten und Großunternehmern solch ein hervorstechendes Erfordernis, daß es in seiner Wichtigkeit noch über die selbständige Initiative und das Schaffenkönnen zu stellen ist. Der Betrieb des unbegabten Unternehmers kann, wenn er mit vorzüglichen Kräften arbeitet, ausgezeichnet funktionieren und auch weiter entwickelt werden; doch kann ein noch so begabter Großunternehmer ohne entsprechende Unterleiter unmöglich eine größere Unternehmimg in der Hand halten. Von einem Menschen allein kann nur eine für ihn selbst überblickbare Gruppe geführt werden. Das Schicksal der Großunternehmungen hängt vielfach von der Auswahl der Stellvertreter ab. Nie haben die Riesenunternehmer — für die die indu-
— 79 — strielle Produktion immer weitere Bereicherungsmöglichkeiten aufgeschlossen hat, — größere Macht gehabt als eben in den letzten Jahrzehnten, in der Glanzzeit des Kapitalismus. Sie sind im Besitz einer unverhältnismäßig großen Fülle materieller Güter und bilden eine de-facto-Aristokratie. Zwar sind sie größtenteils ohne aristokratische Titel, verfügen aber in Wahrheit über eine derartige materielle Macht, daß nicht einmal die mächtigsten Despoten aus den Jahrhunderten des goldenen Zeitalters der Aristokratie in ihre Spuren treten können1). Sie verleihen ihr Geld an Staaten, erhalten Konzessionen, schaffen Monopole und beeinflussen entscheidend die wirtschaftlichen Verhältnisse von Millionen. Dadurch, daß der Großunternehmer im Konkurrenzkampf ungeheure Akkumulations-Chancen hat, wie infolge der Riesenzahl der von ihm beschäftigten Angestellten, scheint beim Aufstieg der Kaufleute und Unternehmer eine immer mehr bemerkliche Veränderung Platz zu greifen. Während vorher der Kaufmann klein anfangen und immer mehr sein Geschäft ausbreiten und durch geschickte Erweiterungen aufsteigen konnte, ist heute seitens der kleinen Handelsunternehmungen auch das ein Zeichen größerer Geschicklichkeit und Lebensfähigkeit, wenn sie überhaupt prosperieren können und von den Großbetrieben nicht verschlungen werden. Für eine allmähliche Ausbreitung sind die Aussichten sehr ungünstig. Deshalb nähern sich die Anwärter neuerdings immer mehr den Unternehmerzielen durch die Anstellung in großen Unternehmungen. Hier gewinnen sie die nötige Blickweite und Kenntnis nach verschiedenen Anstellungsstationen als Betriebsleiter, Direktoren, Abteilungschefs, und Übrigens scheuen sie auch nicht vor den im wörtlichen Sinn genommenen Gewalttätigkeiten der Raubritter zurfick. So z. B. J. D. Rockefeiler, „Der bestgehaßte Mann der Vereinigten Staaten": „Die politischen Machthaber der mittelamerikanischen Staaten waren im wesentlichen davon abhängig, wie sie mit dem Rockefeller-Trust standen. Gaben sie freiwillig oder — wie etwa der mexikanische General Huerta — gegen ein Douceur von etlichen Millionen Dollar . . . die Petroleumkonzessionen, dann war alles in Ordnung. Machten sie aber viel Federlesens, so wurde halt mit Rockefellers Geld eine kleine Revolution inszeniert, zu der sich noch immer ein ehrgeiziger Oberst und ein Regiment Soldaten fanden." (Morus: „Wie sie groß und reich wurden." Ullstein 1917.)
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nur nach Erwerb größerer Kenntnisse, Verbindungen und nach längeren Erfolgen machen sie sich selbständig und das auch in vergesellschafteter Unternehmungsform. Die Schwierigkeit liegt aber darin, daß die höhere Anstellung, der Aufstieg in den Unternehmungen immer unsicherer wird. Je mehr der, der emporkommen will, gezwungen ist, in eine Großunternehmung einzutreten, desto mehr droht ihm die Gefahr, völlig verschlungen zu werden und nicht hochkommen zu können. Die Riesenbetriebe binden und standardisieren das Schicksal der Angestelltenmassen, ihren Bewegungs- und Tätigkeitskreis, verdammen sie immer mehr zu einer Teilrolle und machen ihnen irgendeine eigene Initiative oder den Erweis besonderer Fähigkeiten unmöglich. Der den Verkauf der unter einen bestimmten Buchstaben gehörenden Firma verbuchende oder kontrollierende Buchhalter oder der einen bestimmten Stoff einkaufende Angestellte, der zu einer gewissen Teilarbeit bestellte Ingenieur, Zeichner usw. ist an die zugeteilte Maschinenrolle meistens streng gebunden, und nur sehr schwer kann man von hier aus höherkommen. Wenn sie keine Verbindungen haben oder der Zufall ihnen nicht zu Hilfe kommt, so ist für sie der Aufstieg völlig aussichtslos. Je mehr das Weiterkommen unmöglich gemacht wird und der Aufstieg bürokratisch festgelegt ist, je mehr die eigene besondere Fähigkeit und das eigene Bestreben von ihrer Rolle verlieren, desto weniger wertvolle Arbeit werden die Angestellten leisten, desto gezwungener werden sie arbeiten und ihre Tätigkeit wird sich nur auf das unbedingt Nötige beschränken, (Das trifft natürlich an erster Stelle auf die empordrängenden Typen zu.) Die eine Teilrolle verlangenden Anstellungsposten sind allein den ruhigen Philisternaturen günstig. Manche Großunternehmer — so auch Henry Ford — haben es eingesehen, daß gesteigerte besondere Leistungen nur von denjenigen zu erwarten sind, für die eine Aufstiegsmöglichkeit gegeben ist. Deshalb waren sie bestrebt, künstlich Aufstiegsmöglichkeiten für die Angestellten und sogar für die Arbeiter auszubauen. Diejenigen Empordrängenden, die von den Aufstiegsmöglichkeiten ausgeschlossen sind, werden in den Unter-
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nehmungen das revolutionäre Element vertreten. Sie werden die erbitterten Sprecher und Förderer der Angestelltenbewegung und der Gewerkschaft sein. Sie sind für die extremsten Parteien tätig. Mit einem eigenartigen Ressentiment verlangen sie deshalb, weil sie für ihre eigene Person nicht höherkommen konnten, für alle die gleichen Rechte, d. h. daß auch die andern nicht höherkommen sollen. Dann brauchen sie nämlich nicht das beschämende Bewußtsein des Zurückgebliebenseins zu haben, wenn auch die anderen nicht hochkommen können. Anders ausgedrückt: wodurch sie unzufrieden geworden sind, ist ihre Gebundenheit an ein Massenschicksal und das veranlaßt sie, mit Eifer dafür zu arbeiten, daß man noch mehr und einheitlicher an ein Massenschicksal gebunden sein soll. Die Ordnung und Sicherheit des Staates und der Gesellschaft wird viel weniger von den schlecht untergebrachten Philistern, als von den im Empordrängen Aufgehaltenen, die nicht noch höher kommen können, gefährdet. Man kann sie schwer in enge Schranken hineinzwingen und die zusammengedrängten Aufstiegssehnsüchte tragen ständig die Gefahr einer Explosion in sich. Bei den industriellen Großunternehmungen sind allgemein die Aufstiegsmöglichkeiten viel ungünstiger als bei den Handelsunternehmungen infolge des Umstandes, daß jene durch die Produktionsarbeit („Werk") mit bedeutend erweiterter Organisation und mit viel mehr Angestellten arbeiten als diese1). Für die emporstürmenden Kaufleute und Unternehmer werden die Traumbilder vom Ziel und von unermeßlichem Sehr charakteristisch für den Gemütszustand der im Aufstieg gehemmten, erbitterten Großindustrie-Angestellten ist das folgende „Werkslied": ,,Wer nie bei Siemens-Schuckert war, Da biste nischt, da wirste nischt Bei AEG. und Boisig, Bis an dein Lebensende Der kennt des Lebens Elend nicht, Und willste was, so gibt man dir Der hat das Traumbild vor sich. 'Ne schöne Titelspende. Und wenn du mal auch dabei bist. Da sitzte denn und schwitzte denn, Schlimmres kanns nischt mehr geben Bis dir der Magen kluckert. Da triffst du eenen großen Mist So ist's bei Siemens, AEG., Und erniedrigtes Leben. Bei Borsig und bei Schuckert." V i d a , Aufstieg.
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Reichtum vorgezeichnet in den überlieferungsreichen, zeremoniellen und in feste Formen gebundenen Handelsstädten. So in Hamburg, Bremen, Hannover, Lübeck. Da hat sich eine Handelsaristokratie entwickelt, die in Straffheit und in stolzem Selbstbewußtsein in der Abhebung von anderen Klassen selbst die wirklichen Aristokraten überflügelt. Diese Handelsstädte haben einen ungeheueren Handelsehrgeiz hervorgerufen und die Begabtesten der Aufstrebenden der Stadt schlugen ebenso in großer Zahl die Handelslaufbahn ein, wie die Begabten der ein geistiges Zentrum bildenden Städte in den intellektuellen Berufen ihre Lorbeeren suchen wollen. Bei den vorwärtsstrebenden selbständigen Kaufleuten können wir von zwei Nebenarten sprechen: von den Hasardeurnaturen, die in verschiedenartige, auch in große, glücksspielartige Unternehmungen mit viel Wagemut hineingehen, und von denjenigen, die vorher alles bestimmt zu berechnen wünschen. Aus den ersteren kommen die rasch und für eine kurze Zeit reich Gewordenen, während die anderen ihre Position meistens fester halten. Der behutsam rechnende und langsam, aber sicher, vorwärts kommende Kaufmann wird sich in der Regel, gleichzeitig mit seinem Aufstieg, auch den Forderungen der „höheren" Gesellschaftsschicht mehr anpassen. Er bildet sich, sein Geist bekommt Kultur, er gelangt zu Takt und Verständnis und er erzieht seine Kinder den Anforderungen der neuen Schicht entsprechend. Langsam assimiliert er sich auch, und mehr oder weniger wird sein Aufstieg den Eindruck eines verdienten machen. Die Lage des schnell Reichgewordenen ist in vieler Hinsicht anders. Unerwartet kommt er in die neue Lage, deren Vorteile er ganz erraffen möchte. Er wünscht, seine höhere Gesellschaftsposition unbedingt zu zeigen. Alle äußerlichen Zeichen der höheren Gesellschaftsschicht, die mit Geld zu erlangen sind, kauft er an. Er sehnt sich nach dem Prunk und Glanz; und während er äußerlich Herr sein will, wird er der Sklave seines neuen Gesellschaftsranges. Sehr viel Intelligenz, Takt und Einsicht sind dazu nötig, um den schnell Reichgewordenen nicht zum Parvenü werden zu lassen. Das erste und sympathischste Erfordernis dazu ist, daß er seine Vergangenheit nicht verleugnet und sich ihrer
— 83 — keineswegs schämt. Weiterhin sind Bescheidenheit, Weiterbildung, kluges Vermeiden allen Scheins des Erraffens und des Schnell-Ausnützen-Wollens nötig. Die schnell Reichgewordenen sind sehr selten ohne den unangenehmen Beigeschmack des Neureichtums zu finden. Mit dem plötzlich Emporgestiegenen werden wir uns noch im weiteren besonders beschäftigen. Sehen wir nun, wie die Gesellschaft den Kaufmann aufnimmt, und welche Haltung sie dem rasch Reichgewordenen gegenüber zeigt. Die Aristokraten unserer Vorkriegsgesellschaft sahen mit ausgesprochener Antipathie und Geringschätzung auf die kaufmännischen Beschäftigungen. Die durch die Macht ihres Vermögens den Rang eines Adeligen oder gar Freiherrn erreichten, wurden von der Aristokratie der einstmaligen kriegerischen und politischen Verdienste nicht als ihresgleichen anerkannt. Durch den Krieg hat die allgemeine Lage der Aristokratie und ihre Beziehung zu den materiellen Berufen bedeutende Änderungen erfahren. Es ist aber ohne Zweifel so, daß die Aristokratie bis auf den heutigen Tag mit einer gewissen Geringschätzung auf die Vertreter der nur kaufmännischen Beschäftigungen herabblickt. Trotzdem immer mehr Aristokraten sich ausgesprochen kaufmännischer Betätigung zuwenden, ist die Spannung noch immer, wenn auch in einem geringeren Maße, vorhanden. Die Vertreter der geistigen Berufe, die Gelehrten, Künstler, Akademiker blicken im allgemeinen mit viel weniger Geringschätzung auf die Kaufleute als die erwähnte Klasse. Es besteht ein ziemlicher Unterschied in der Stellungnahme der Gesellschaft gegenüber den Großunternehmern und den anderen „Kaufleuten und Unternehmern". In der Tat sind diese Großunternehmer neue Großmächte, die sich sogar über die Staaten erheben und deren Macht Tag für Tag wächst; ein großer Teil von denen, die mit ihnen in gesellschaftliche Verbindung treten, ist an ihnen interessiert. Ihre ungeheure Macht ruft bei den meisten Schichten der Gesellschaft bewundernde Anerkennung hervor. Gleichzeitig weckt sie aber einen geheimen Haß. Der Politiker 6*
— 84 — sieht auf ihre immer mehr steigende Macht in der Politik mit Verdruß und die alten Aristokraten blicken auf sie mit einer unsagbaren Verachtung als auf etwas Unwürdiges herab. Der Gelehrte belächelt diese materiellen Förderer seines geistigen Strebens (die zu seinem Wissensfach so wenig Beziehung haben, daß sie oft nicht einmal seinen Namen richtig aussprechen können1). Die anderen immer weniger besitzenden Klassen blicken mit Gehässigkeit und Widerwillen auf diese Großkapitalisten, bei denen in unverhältnismäßiger Weise sich die Wirtschaftsgüter akkumulieren. Diese Großkapitalisten bilden keine eigentliche Gesellschaftsklasse. Zwar haben sie vielerorts Eingang, doch sind sie in keiner Schicht wirklich zu Hause. Aus dem schon erwähnten Umstände, daß die meisten, die mit ihnen verkehren, auch in Interessenverbindung mit ihnen stehen, erklärt es sich, daß sie sich ständig verehrenden Masken gegenüber sehen. Aber diese ex officio guten Menschenkenner sehen gut genug, daß sie es mit Masken zu tun haben. Der nächste gesellschaftliche Verkehr ist noch untereinander möglich, und in dieser Hinsicht haben sie die günstigste Lage (in Deutschland) in den Handelsstädten mit alter Überlieferung. Die allgemeine Tendenz unseres Zeitalters, die Amerikanisierung, läßt die Geringschätzung der materiellen Berufe immer mehr verschwinden und die Macht der Geldmaterialität immer siegreicher Weg zu und Anerkennung bei den verschiedensten Gesellschaftsschichten finden. Amerika ist die Welt der sprichwörtlichen Materialität. Da die amerikanische und die europäische Kultur sich immer mehr nähern, d. h. die europäische Kultur sich amerikanisiert und umgekehrt, ist es wahrscheinlich, daß sich in Amerika die Schätzung des Materiellen vermindert und in Europa sich noch mehr hebt, so daß nach einer gewissen Zeit fast ein Ausgleich stattfinden wird. *) Sie sind auch keine echten Mäzene; ihre Hilfe entspringt bloß aas Laune und Mode, um auch als Wohltäter der Wissenschaft berühmt zu werden. Ethisch kann man unmöglich diese Liebesgabe bewerten, wo zwar die Gabe ungeheuer groß ist, aber die Liebe gänzlich fehlt oder schlechthin eine Selbstliebe ist, um Ruhm und Volkstümlichkeit zu gewinnen.
— 85 — Bevor wir weiter gehen, betrachten wir die Grenzen, die den kaufmännischen Beruf von anderen Berufen trennen. Jede mit Gelderwerb verbundene Beschäftigung kann, auch wenn sie ihrem Wesen nach als intellektueller oder gar als idealer Beruf (s. später) bestimmt ist, leicht ins Kaufmännische entarten. Alle jene Berufe, zu deren Ausübung das Motiv der Gewinn, die „Bereicherung an sich" ist, sind in der Tat ins Kaufmännische gewandelte Berufe. Zwar wird der „Kaufmann" in diesem übertragenen Sinne oft auch selber produktive Tätigkeiten ausüben, aber ihm wird stets der Handel Hauptfaktor sein. Der Gesichtspunkt, von dem aus alles gesehen wird, ist das möglichst gute Geschäft. Diese Leute erniedrigen alles zum Geschäft. Besonders oft wird in Amerika und in England auch bei den die edelsten Motive verlangenden Berufen der Grund des „business", der möglichst große Gewinn sein. Aber auch bei uns ist bei den verschiedensten Berufen die Möglichkeit (und oft die positive Tatsache) vorhanden, daß sie zur Handelsbeschäftigung werden. So sehen wir z. B. Ärzteprofessoren, die ihre gründliche wissenschaftliche Ausbildung nur als eine Kapitalsanlage betrachten, als ein Mittel, das vorzügliche Aussichten zur Kapitalanhäufimg bietet. Die „Menschenliebe" und die „Fachbegeisterung" an sich betrachten sie als solche Phrasen, von denen bei Jubiläen und bei der Annahme ihrer Auszeichnungen zu reden üblich ist und deren Erwähnung meistens sehr wirkungsvoll klingt. Wir erwähnten schon oben, daß für den eigentlichen Sachehrgeiz und für idealere Motive wenig Raum bei den Handelsbeschäftigungen ist. Jedoch treffen wir sie hier und da. Sie sind besondere Ausnahmen und für alle Fälle recht wenig charakteristisch für ihre Zunft. Oft ist die vermeintliche „kaufmännische Idealität" nichts anderes als verkappte Philisterei und faule Selbstberuhigung. Für den von Sachehrgeiz getriebenen Kaufmann finden wir Beispiele in dem obengenannten Roman von Gustav Freytag, wo Anton Wohlfahrt in Verbindung mit weiten, weiten Ländern, in der Beschaffung der Produkte aus der Ferne usw., die kaufmännische Tätigkeit als zauberhaft interessant ansieht und, von Sachehrgeiz getrieben, in diese Laufbahn eintritt.
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Ideal Eingestellte finden sich auch unter den Großunternehmern. Aber sie sind nie „Großunternehmer" oder gar „Kaufleute" im eigentlichen Sinne genommen. Bei ihnen ist die kaufmännische Unternehmertätigkeit, auch wenn sie alle ihre Fähigkeiten ihr widmen, etwas Sekundäres. Denken wir an Ernst Abbe, der deshalb gehandelt hatte und Vermögen sammelte, um möglichst viel an andere verteilen zu können. Kaum könnte man von ihm sagen, daß er ein schlechter Kaufmann, ebensowenig daß er kein Idealist im echten Sinne gewesen wäre. Aber bei ihm waren die kaufmännischen und unternehmerischen Begabungen nur bloße Fähigkeiten, die er zwar nicht brach hegen ließ, aber deren Früchte er für seine persönlichen Zwecke nicht anzuhäufen wünschte. Deshalb gab er sein Unternehmen aus seinem Besitz und gründete davon eine Wohltätigkeitsstiftung: eine Bestätigung dessen, daß man über unternehmerische Fähigkeiten verfügen kann ohne unternehmerische Habsucht. b) Gewerbeberufe. Mit dem kaufmännischen Beruf steht in enger Verwandtschaft der gewerbliche und industrielle. Mit den industriellen Unternehmern beschäftigten wir uns aus diesem Grunde schon im vorigen Abschnitt. Der Gewerbetreibende beschäftigt sich hauptsächlich mit Handarbeit und stellt in kleinen Mengen Gebrauchsartikel her, bzw. übt er verschiedene gelernte Handfertigkeiten aus. Er verkauft seine hergestellte Ware, bzw. stellt seine Arbeitskraft zur Verfügung. Während der Industrieunternehmer hauptsächlich geschäftliche Tätigkeit ausübt, leistet der Gewerbetreibende primär gewerbliche Arbeit und viel weniger Verkaufs- und Handelstätigkeiten. Der Industrie-Unternehmer erschwert immer mehr das Bestehen des selbständigen Kleingewerbes mit Ausnahme einiger unmittelbar mit den Einzelkunden in speziellen Umständen näher verbundener Gewerbe, wie beispielsweise der Gärtner, Steinmetz, Weißbinder, Friseur, Masseur, und die Reparaturwerkstätte es sind, obwohl er seit kurzem teilweise auch hierhin seine Fühler streckt. (Reparaturwerkstätte, Friseursalon der Großwarenhäuser usw.) So reduziert sich der Kreis der Gewerbe immer mehr auf jene kleinen
— 87 — Rollen, die durch den Großunternehmer infolge der Gebundenheit spezieller Umstände nicht zu übernehmen sind. — Statt der Gewerbetreibenden kommt das laufende Band des Großbetriebes mit angelernten Arbeitern, von denen der größte Teil das Gewerbe außer einer Teilrolle im Gewerbefache nicht erlernt hat. Bei den Gewerben ist zum Vorwärtskommen neben der kaufmännischen Begabung die Geschicklichkeit der Hand sehr wichtig. Bei einigen bestimmten Gewerbefächern sind noch ganz spezielle Fähigkeiten und Begabungen nötig, so bei dem Anstreicher, Kunstgärtner, Uhrmacher und Feinmechaniker. Mit dem Sieg der Maschine in den Kleingewerben müssen die Gewerbetreibenden immer mehr technisches Gefühl besitzen. Weil das Gewerbe fachgemäße, produktive Arbeit fordert, ist auch für den Gewerbetreibenden viel mehr Möglichkeit zu „sachlichem" Aufstieg gegeben. Für einen Teil der Gewerbetreibenden, besonders für die, die über vorzügliche Geschicklichkeit und „Fachgriffe" verfügen, bedeutet Freude und Beruhigung ein edles Bewußtsein ihrer Fachtätigkeit. Sie wollen möglichst hervorragende und vollkommene Arbeit leisten und ihr Aufstiegsehrgeiz ist auf die Anerkennimg oder gar den Ruhm gerichtet. Zum Aufstieg durch sachgemäße, mögüchst hervorragende Produktion, durch Qualitätsware, ist das erste Erfordernis das gründliche Erlernen des Faches. Aber, um sich hervorzuheben, genügt nicht das bloße Erlernen, sondern hierzu ist auch eine besondere Begabung nötig. Für den gewerblichen Aufstieg bekommen die weiterbildenden Zeitschriften und die Fachliteratur eine immer größere Bedeutung. Eben infolge der Wichtigkeit der Ausbildung zum gewerblichen, sachlichen Aufstieg ist der Wert der zur Verfügung stehenden Ausbildungsstätten bei der Wahl der gewerblichen Berufe besonders zu prüfen. Man wird nur in recht kleiner Zahl solche Leute finden können, die als Idealisten des Gewerbes zu bezeichnen wären, bei denen wirtschaftlicher Aufstieg, wie auch persönliche Anerkennung und sogar die Freude an der Arbeit zurück-
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treten hinter dem Ziel, mit möglichst vollkommenen gewerblichen Ergebnissen oder Erfindungen selbst dem Wohl der ganzen menschlichen Gesellschaft zu dienen oder dem Lande oder irgendeiner Gemeinschaft Ruhm zu verschaffen. Meistens kann auch schon infolge der unbedeutenden Rolle des einzelnen Gewerbetreibenden solch ein Streben nicht in Betracht kommen, oder es ist hinter solch einem Streben eine Überspanntheit oder Pseudogroßmütigkeit zu finden. Obwohl der Großindustrielle einen vornehmeren Glanz hat, als der ebenso mächtige Großkaufmann, ist der Kleingewerbetreibende weniger geschätzt und bildet eine etwas niedrigere Schicht, als der unter gleichen Verhältnissen lebende Kleinkaufmann. c) A r b e i t e r . Dem Gewerbetreibenden stehen vielleicht die Schwerarbeiter, Taglöhner und Dienstboten am nächsten. Diese Nähe sehen wir nicht in der gleichen Gesinnung, sondern in ihrer Beziehung zum Materiellen und zum Wirtschaftlichen. Ebenso wie der Gewerbetreibende verdient der nicht gewerbetreibende Arbeiter die zu seinem Lebensunterhalt nötigen Güter durch Handarbeit. Seine Arbeit aber ist viel einfacher und bietet wenig Verwendungsmöglichkeiten für besondere Fähigkeiten oder besonderes Verständnis. So kann z. B. die Arbeit des den Stein zerstückelnden Erdarbeiters, des Kutschers, des Kohlenschauflers jeder Mann mit normaler Gesundheit und Kraft erledigen. Das sind die geringste Werte verlangenden, elementarsten Beschäftigungen. Aber auch bei diesen „ungelernten", bzw. „angelernten" Arbeiten können wir eine gewisse Wertskala aufstellen. So gehört z. B. zu der Tätigkeit des Kutschers eine größere Geschicklichkeit als zu der des Steinzerstücklers. In diesen Beschäftigungszweigen scheint kaum ein Aufstieg möglich zu sein. Der Erd- oder Minenarbeiter verfügt meistens nicht über einen das Lebensminimum übersteigenden Lohn. Man kann hier sehr wenig darauf rechnen, durch Sparsamkeit in eine bessere Lage zu kommen. Die einzige Möglichkeit des Aufstiegs ist meistens das Erreichen anderer Berufe. Über denen, die zu einer höheren Tätigkeit keinen besonderen Beruf haben oder keine Sehnsucht nach ihr fühlen, steht
— 89 — als alleinige Möglichkeit das gute Glück, das Reichwerden durch Zufall. Der arme Bergmann kauft ein Lotterielos, das Stubenmädchen wartet auf den reichen Gatten, aber alle warten auf das Bessere, auf den Aufstieg. Der allerphilisterhafteste, minderwertige Arbeiter und selbst der, der zum Vorwärtskommen, zum Hervortreten unter den anderen auch nicht die geringste Aussicht hat, sehnt sich und wartet darauf, aufzusteigen. Bei diesen Menschen, die die niedrigsten Arbeiten bei schlechter Entlohnung erledigen, können wir jedoch auch in großer Zahl die Besessenen, ja fast die Idealisten der Arbeit finden. Manch ein Bergarbeiter, manch ein Dienstbote besorgt seine Arbeit besonders froh und glücklich. Für viele bedeutet ihre minderwertige Arbeit die selbstverständliche, sozusagen die „gottgewollte" Lebensform und die Freude der Tätigkeit, der Tat schlechthin. Sie sind mit sich und mit ihrer Arbeit zufrieden, nur wünschen sie sich mehr Bedeutung, eine größere Anerkennung und bessere wirtschaftliche Lage. Die Menschen in den niedrigsten Beschäftigungen sind nur teilweise durch die Minderwertigkeit ihrer Fähigkeiten auf sie angewiesen. Ein Teil des Gewerbes erfordert so wenig besondere Fähigkeiten, daß jeder normale Mensch sie sich aneignen kann. Vielen sind jedoch die Möglichkeiten, gewerbliche Beschäftigungen zu ergreifen, von vornherein verschlossen. Diese Berufe erfordern immer irgendeine Ausbildung und diese kostet Geld. Wenn auch vielleicht ein besonderes Lehrgeld nicht berechnet wird, so kann doch oft der Verdienstausfall in den Lehrjahren bei denen, die in sehr engen Verhältnissen sind, sehr in Betracht kommen. Viele sind an die Notlage in den kleinen Dörfern und an den unmittelbar sich ergebenden, scheinbar einzigen Broterwerb gebunden. Für den fünfzehnjährigen Sohn des Bergarbeiters ist er das Bergwerk. Der Bergarbeiter, der ohne alle materiellen Reserven ist, der sein Kind selbst mit den ärmsten, notdürftigsten Kleidungsstücken nur schwer versehen kann, denkt nicht daran, mit seinem Kind in die Stadt zu gehen und es zu einem Gewerbetreibenden in die Lehre zu geben. Vielleicht könnten die Eltern es oft tun, aber infolge ihrer
— 90 — Unwissenheit oder Kurzsichtigkeit unterlassen sie es1). Übrigens ist auch bei den gewerblichen Berufen immer stärker die Konkurrenz zu spüren. Für die Menschen der niedrigsten Berufe aber, die nur durch äußere Umstände zu ihrer Tätigkeit gekommen sind, die aber unbedingt höher wollen, dazu berufen sind und davon auch wissen, für die gibt es verschiedenartige Kämpfe um den Aufstieg. Mit den Möglichkeiten der Laufbahn, für die sie berufen scheinen, hängt dann die Möglichkeit des Aufstieges zusammen. Diese Menschen streben nach einer gewissen finanziellen Ungebundenheit, sie versuchen, sich nachträglich selbst zu bilden und mit möglichst großen Schritten das einzuholen, was sie versäumten. Der Umstand, daß sie wenig erreicht haben, und das Bewußtsein ihres Zurückgebhebenseins treibt bei ihnen oft die Ansprüche besonders hoch. Sie begnügen sich nicht damit, die anderen einzuholen, die noch durch den rechtzeitigen Beginn im Vorteil sind, sondern sie wollen sich „überkompensieren", noch weiter kommen als diese. Auf diese, die spät anfingen, warten in vieler Beziehung andere Kämpfe, als auf diejenigen, die in der üblichen Zeit begannen. Meistens sind sie dazu noch ungeduldiger und reizbarer. Zum Lernen und Überwinden der ersten Anfangsschwierigkeiten haben sie nicht genug Ruhe und Ausdauer. Die Gesellschaft sieht meistens diese Neuanfangenden nicht mit guten Augen an, nur wenn sie ganz besondere Fähigkeiten bei ihnen zu finden glaubt. Für alle Fälle erwartet die Gesellschaft, und mit Recht, von ihnen mehr als vom mittleren Durchschnitt, der die Arbeit rechtzeitig begonnen hat. Viel bedeutet ihnen die helfende, lenkende Hand der Gönner, — die aber nur ein sehr kleiner Teil findet. Wenn auch ihr Weg schwer und unangenehm ist, so wird die Gesellschaft ihre schon bedeutenden Erfolge mehr oder weniger als größere Erfolge buchen, Die niedersten Schichten werden oft, wenn sie mit ihrer Lage gewissermaßen zufrieden sind, von einer gewissen Apathie betreffs des Aufstieges ergriffen. Schlechter kann es nicht werden, nur besser. Durch Änderung kann nur ein günstigerer Zustand kommen. Diese schauen sozusagen aus der Loge ihrer Armut in das Leben, welches ihnen nur geben, aber nichts mehr wegnehmen kann.
— 91 — als sie in der Tat sind. Wie der spät anfangende, biedere Mittelmäßige durch ein Verkleinerungsglas gesehen wird, ebenso wird die Leistung der Überdurchschnittlichen — infolge gewisser, nach gerechtem Ausgleich strebender gesellschaftlicher Neigung — mit großer Vorliebe vergrößert. Je weniger Ausbildung eine Laufbahn verlangt, desto weniger Kampf und Schwierigkeiten bringt sie natürlich, auch für die spät „Umgesattelten". Demgegenüber stößt ein Streben nach einer höheren Laufbahn oft auf unüberbrückbare Schwierigkeiten. In der letzten Zeit hat man in den intellektuellen und akademischen Laufbahnen für die spät Eintretenden viele Erleichterungen geschaffen. Es ist sehr leicht möglich, daß weitere Erleichterungen für andere Laufbahnen in besonderem Ausmaß für die späten Anwärter gegeben werden. Bei den neueren gesellschaftlichen Richtungen hat mehr als eine die Parole ausgegeben: Freie Bahn dem Tüchtigen! Die, die in höherem Alter neue Beschäftigungen wählen, haben in Amerika eine unvergleichlich günstigere Lage als in Europa. Die allgemeine Amerikanisierung läßt darauf schließen, daß auch bei uns noch große Erleichterungen in dieser Hinsicht kommen werden. Viele wurden aus den niedrigsten Berufen durch die Politik hochgehoben. Das sich auf eine Volksvertretung gründende, parlamentarische System hat fast für jedermann die politische Laufbahn möglich gemacht. Diejenigen, die aus den niedrigsten Beschäftigungen heraus die politische Laufbahn betreten, vertreten meistens den Oppositionsgeist. Die Selbstbildung halten sie für weniger wichtig, ihr Wissen bleibt meistens unausgeglichen, unbestimmt, oberflächlich. Der unmittelbare Zwang zur Weiterbildung offenbart sich für sie nicht genügend in der politischen Laufbahn. Die aus den niedrigen Klassen stammenden Politiker1) werden durch l ) Nach statistischen Erhebungen (in Soz. Auf- u. Abst. S. 63) stammen mehr als 70% der bedeutenden heutigen Politiker aus mittleren und unteren Schichten und rd. y s aus Arbeiter- und Handwerkerschichten. — Für den Parteiaufstieg des Arbeiters sind ziemlich viele statistische Ergebnisse vorhanden. Von diesen erwähnen wir als bezeichnend, daß jeder vierte Ortskrankenkassenführer einfacher Arbeiter war (a. a. O. S. 102).
— 92 — ihre politische Tätigkeit herausgehoben aus dem Kreis ihrer vorherigen Berufe und ihre neuen Beziehungen ermöglichen es ihnen oft, eine höhere Stellung zu bekommen. Für viele wird die Politik selbst zum Lebensunterhalt und damit verschwindet die politische Unabhängigkeit und die Möglichkeit des Idealismus. Andere wollen sich aus ihren niedrigen Beschäftigungen durch einen abenteuerlichen Weg befreien. Ohne rechte Begabimg als „Künstler" (Schriftsteller, Dichter, Schauspieler, Kunstmaler usw.) versuchen sie, in die Höhe zu kommen. In den letzten Jahren gab es eine große Zahl von Leuten, die sich ohne Mittel auf eine Weltreise begeben haben. Andere dagegen werden Opfer des aus weiten Ländern kommenden, verlockenden, gemeinen Arbeiteragentenschwindels. Manche treten, um aus ihrem Kreise herauszukommen, um die Möglichkeit zu haben, die Welt zu sehen, um als interessante Menschen, die vieles durchgemacht haben, ihrer Umgebung und sich selbst zu imponieren und in dieser Weise aufzurücken, in die Fremdenlegion ein. Diese sind bereit, für den Traum des Aufstiegs eher zu sterben, als ohne ihn ihr vegetatives minderwertiges Leben weiterzuführen. Die abenteuerliche Sehnsucht steht der Sehnsucht des Künstlers nahe. Die künstlerische Sehnsucht richtet sich immer auf höhere Vollkommenheiten und auf das Herausheben aus den unmittelbaren menschlichen Grenzen. Schrecklich ist aber die Lage derer, die eine künstlerische Sehnsucht ohne künstlerische Begabung haben. Bei den niedrigeren Schichten entsteht aus diesen Menschen die Last der Gesellschaft: nichtarbeitende Vagabunden, Bettler, Zuhälter und in sehr großer Zahl Verbrecher. Das sind die, denen das Schicksal Träume gegeben hat, aber zuviel Schwäche und Untauglichkeit, sie zu verwirklichen. Das sind die Träumenden, für die das Leben seine unwürdigste Hölle bereit hält. Viele sind in ihrem Herzen „Engel", aber in ihren Taten Erbitterte lind Herzlose. Vielleicht noch niedriger als die Abenteurer und Verbrecher stehen die begabten Kraftlosen. Diese sinken eben durch ihre Kraftlosigkeit zu den untersten Berufen ab. Sie verbringen ihr Leben in den geringwertigsten Tätigkeiten.
— 93 — Sie fühlen eine hohe Berufung und in der Tat verfügen sie auch oftmals über Begabung, aber zum Kampf und Durchdringen sind sie unfähig. Sie könnten ihre Träume verwirklichen, aber sie sind zu faul oder ihr Wille ist zu schwach. Manchmal hebt ein großer Zufall sie einmal hinauf. Aber schon bei dem kleinsten Aufstiegskampf ziehen sie sich zurück. Sie sind die am schwersten Aufsteigenden, vor jedem Nebenbuhler treten sie in den Hintergrund.' Nur in dem ihnen unmittelbar gegebenen, niedrigen, friedlichen Dasein oder Arbeitskreis und bei den hier vorkommenden, unwesentlichen Kämpfen können sie ihre Tätigkeit ausüben. Sie sind noch größere Sünder als die, die aus Abenteuerlust sündigen, weil sie durch ihre Feigheit ihre ganze Innenwelt töten und sich ihrer Begabungen und Fähigkeiten unwürdig erweisen. d) Bauer. Im weiteren kommen wir jetzt zum Beruf des Landmannes und des Gutsbesitzers. Von etlichen nationalökonomischen Richtungen, so von den „Physiokraten", werden diese als die allein produktiven Berufe bezeichnet. Zwischen dem Bauern und dem Arbeiter scheint, weil beide elementare, einfache Handarbeit verrichten, eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen. Aber neben dieser Ähnlichkeit treffen wir bei ihnen doch auch beträchtliche Abweichungen. Der Bauer bringt die unmittelbaren, wichtigsten Güter des Alltags hervor. Er ist der Arbeiter an der Produktionskraft der Erde. Ihm macht die Arbeit in der unendlich-mächtigen Natur große Freude und bringt ihm Selbstzufriedenheit. Große Flächen der Erde geben durch seine Arbeit Brot. Die Bauern fühlen sich mit der Natur in näherer Verbindung. Die Ernte, das Wachsen der Pflanze erfüllt sie mit großer Zufriedenheit und Freude. Diese Arbeit kann in sich, gegenüber dem bloßen Gelderwerb, einen das ganze Leben ausfüllenden Inhalt geben. Der Bauer jeder Nation ist von einem gewissen, eigenartigen Stolze erfüllt und in vielen Ländern sieht der Bauer auf alle anderen Gesellschaftsschichten herab. Die arbeitenden oder nahrunggebenden Tiere stammen meistens aus der eigenen Zucht. Der Bauer erinnert sich sogar noch an ihre Geburt und an ihre Krankheiten, die er mit ihnen
— 94 — „mitgemacht" hat. Der einfache Bauer sieht irgendwie instinktiv einen Wert in jedem Leben als solchem. Die Arbeit selbst übt eine eigenartige, umwandelnde Wirkung auf den Bauern aus. Bei ihm ist ein besonders großer Idealismus zu finden. Und dieser Idealismus ist dann bestimmend für seine Aufstiegssehnsucht. Ein Bauer von Geblüt, der noch nicht von der Stadt angekränkelt und geblendet ist, will Bauer bleiben. Das Leben und die Arbeit werden dem Bauern zum Selbstzweck. Schon als Schuljunge sehnt er sich auf die Wiese zur Arbeit, als aufwachsender Jüngling nach einer tüchtigen, schönen Geliebten, dann nach der fröhlichen Heirat 1 ), und als Ehegatte nach einem glücklichen Bauernleben für sich und seine Kinder; und sehnt sich vor allem und immer nach einer günstigen Ernte. Seine eigentlichen Pläne dehnen sich immer auf ein Ernte-Jahr aus. Seine Wünsche richten sich nicht unbedingt auf das Sammeln finanzieller Reserven, auf möglichst mehr wirtschaftliche Güter. Wenigstens Hegt nicht hier die imbedingte Betonung. Natürlich muß der Bauer nach ökonomischer, zweckmäßiger Arbeit streben und muß materielle Güter erlangen, aber das wird nie das alleinige, niedrige Ziel sein und die Arbeit nie zum unangenehmen Mittel machen. In der Ernte, im Gottessegen, spürt er das sich ausbreitende, sprechende Leben, die Frucht der Arbeit, das freudige Gefühl der Nützlichkeit, die ihm allesamt sein erworbenes Verdienst, das stolze Wertbewußtsein geben. Der mit nüchterner Berechnung lebende Bauer erlangt meistens ein kleines Vermögen. Größere Aufstiegswünsche plagen ihn nicht. Ein echter Bauer ist immer Philister. Der Bauer findet bei der höheren Gesellschaftsschicht von jeher Geringschätzung. Das Wort „Bauer" hat einen gewissen geringschätzenden Beigeschmack. Nach dieser Auffassung ist der Bauer der an der Erde haftengebliebene, kulturlose Mensch. Diese unrichtige Bedeutung trägt vielleicht auch dazu bei, daß der Bauer mit Fremdheit und Unverständnis auf die anderen Klassen blickt. Der sich nach einer anderen Klasse sehnende Bauer bezeichnet sich nicht Nach statistischen Erhebungen nimmt der Bauer in 84,2% der Fälle seine Frau aus Bauemkreisen (Soz. Auf- u. Abst. S. 89).
— 95 — gern als einen solchen, und die Nachkommen, die nicht mehr Bauern sind, weisen auf die Bauernvorfahren nur ungern mit diesem Worte hin. Dem Aufstieg des Bauern in eine höhere Klasse und der Aufnahme durch Heirat steht oft der niedrige Sinn des Wortes „Bauer" im Wege. Man sieht die einfache, elementare Arbeit an der Erde als eine niedriger stehende, zurückgebliebene an. Diese Herabsetzung gewinnt ihre Erklärung durch die geschichtliche Tradition. Der größte Teil der Bauern war noch vor anderthalb Jahrhunderten in ganz Europa das völlige Eigentum des Grundbesitzers, die Bauern waren Leibeigene. Anders ausgedrückt: der Begriff „Bauer" zeigt auf ein gebundenes, niedrigeres Stadium, dessen Bedeutung teilweise noch blieb, als schon der Gegenstand des Begriffes bedeutende Änderungen durchgemacht hatte. Die demokratische Tendenz unseres Zeitalters und die Amerikanisierung lassen vermuten, daß das unbegründete Vorurteil gegenüber dem Bauern vollkommen verschwinden wird. Wenn die Nebenbedeutung des Begriffes „Bauer" aber nicht mehr besteht, dann wird der Bauernstand infolge seiner sicheren Grundlage allgemein über dem Gewerbetreibenden stehen und ungefähr eine den Kaufleuten gleiche Anerkennimg finden. e) Gutsbesitzer. Sehr abweichend von der des Bauern ist die ganze Seelenstruktur des Gutsbesitzers oder Gutsherrn, — ebenso auch seine gesellschaftliche Anerkennung. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand, wenn wir daran denken, daß viele Jahrhunderte lang diese Klasse im weitgehendsten Sinne Herr war, und man kann sagen, Besitzer der Bauern. Die vornehme Stellung des Gutsbesitzers findet sofort ihre Erklärung, wenn wir bedenken, daß, beim Kaiser und den Prinzen angefangen, die gesamte Aristokratie, der Klerus und alle größeren Potentaten der Länder Jahrhunderte hindurch Gutsbesitzer waren. Der nichtaristokratische Gutsbesitzer erfreute sich auch bis zu einem gewissen Grade einer aristokratischen Würdigung. Ein Teil der Gutsbesitzer verwaltet sein Gut nicht selber oder nur sehr mittelbar. Hier sprechen wir nur über die
— 96 — zweite, größere Gruppe, über die, die ihre Güter selber verwalten. Die Freude des tatsächlichen Anbaues in dem ersten, ursprünglichen Sinn kann sich diesem Gutsbesitzer offenbaren. Ein besonders erhebendes Gefühl ist es, Herr über die Natur zu sein. Weil der Gutsbesitzer der Herr seines Bodens ist und mit der treibenden, schaffenden Natur zusammenarbeitet, so fühlt er sich auch bis zu einem gewissen Grade als Herr der Natur. Dieses Gefühl ist mehr oder weniger bewußt, aber es erklärt, warum unter denen, die ihre Güter selbst verwalten, so viele für ihren Beruf überaus begeisterte, leidenschaftliche Landwirte sind. Gogol zeichnet klassisch in den „Toten Seelen" einen idealen Gutsbesitzer namens Kostlanglow. Dieser Mann ist im eigentlichen Sinne des Wortes ein Bauer, ein Produzent. In den Spuren seiner Arbeit zeigt sich reiche Ernte und bald blühen in der Umgebung Wohlstand und Zufriedenheit. Seine Arbeit bringt ihm Segen und schafft aktives Leben weit und breit. Aktives Leben ist so zu verstehen, daß sich in der Folge seiner Tätigkeit das intensive Gefühl des Lebens vermehrt. Pflichtbewußte, zufriedene Menschen gibt es überall als eine Frucht seiner Arbeit. Ein Mensch und doch ein Tropfen Vorsehimg. Wenn die aristotelische Formulierung richtig ist, daß das letzte Ideal und das Ziel des Menschen die höchste Vollkommenheit, Gott, ist, dann ist die Lage des wahren Gutsbesitzers, der anbaut und über seine Leute mit gewisser Vorsehung verfügt, bis zu einem gewissen Grade als der idealste menschliche Beruf zu bezeichnen. Dagegen könnte jemand einwenden, daß bis zu einem gewissen Grad fast jeder Hochgestellte ein Tropfen Vorsehung ist, aber bei all diesen fehlt die unmittelbare Zusammenarbeit mit der Natur, und das mit edler Freude erfüllende Bewußtsein des Lenkens der Natur. Der nach Aufstieg strebende Gutsbesitzer wünscht meistens seine Arbeit zu vervollkommnen, und sein Streben, vorwärts zu kommen, ist sehr oft nur mittelbar materieller Natur. Seine bestimmte Macht, als „Vorsehung" zu walten, wird selbstverständlich mit seiner materiellen Macht wachsen. Je größer das Gut ist, das er besitzt, je mehr er über die
— 97 — wirtschaftlichen Vorteile des Großgrundbesitzes verfügt, desto mehr kann er diesen idealen Beruf des Grundbesitzers erfüllen. Aber es gibt auch viele, bei denen die materielle Macht das Hauptziel ist, und die Betätigung als Gutsbesitzer nur ein Mittel dazu. Das sind keine Gutsbesitzer von Geblüt. Wenn sich für sie eine bessere Geschäftsmöglichkeit zeigt, dann brechen sie leichten Herzens mit dem Beruf, an den sie nicht besonders fest gebunden waren. Bei ihnen ist der Grundbesitz nur ein Geschäft, der Anbau ein Requisit des Geschäftes. Sie sind bereit, alle geschäftsüblichen Mittel anzuwenden, um ihre wirtschaftliche Macht zu heben. Damit verhöhnen sie die höheren Ideale des Grundbesitzertums. Die liebevolle Patriarchalität ist mit wirtschaftlicher Weltbetrachtung und Einstellung wenig zu vereinbaren. Ganz anders ist der Typ des Philistergrundbesitzers. Er gibt sich der Freude des Wirtschaftens und Anbauens hin, er steckt ganz im Alltag, der ihn befriedigt, und wartet auf den Aufschwung. Diese Grundbesitzer weichen nur darin von dem Bauern ab, daß sie eine größere Bodenfläche besitzen, sie selbst nur führende Tätigkeit ausüben und über andere gesellschaftliche Verbindungen, evtl. Traditionen verfügen; aber, was das Niveau ihrer geistigen Einstellung betrifft, können wir kaum von erheblicher Abweichung sprechen. Zwischen der grundbesitzenden Aristokratie und dem Adel gibt es eine Menge verschiedener Rangschattierungen, die sich fortsetzen bis zu dem gewöhnlichen bürgerlichen Gutsherrn. Bedeutende gesellschaftliche Trennungswände bestanden und bestehen, und so können die vielen Gruppen nie eine Gesellschaftsklasse bilden. Bestimmend sind für ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit der neben dem Grundbesitz bestehende Adelsrang, Titel, Stellungen im öffentlichen Leben und Familientraditionen. Wir wollen jetzt noch von denjenigen sprechen, die sich nach dem Grundbesitzerberuf sehnen und, nachdem sie andere Laufbahnen aufgegeben haben, diesen zu erreichen wünschen: Reichgewordene, Ruhe wünschende Kaufleute, Einheiratende oder solche, die eine Erbschaft gemacht haben, Kapitalisten, die sich zurückziehen. Diese werden, wenn V i d a , Aufstieg.
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— 98 — sie Menschen aus der Stadt sind und erst in vorgeschrittenem Alter mit dem Dorf und dem Leben eines Landwirts Bekanntschaft machen, den Beruf kaum ganz verstehen und in den meisten Fällen kann man sie auch nicht als echte Grundbesitzer betrachten. Mit dem Beruf des Grundbesitzers ist eine gewisse, vornehme Neigung verbunden. Der wahrhafte Grundbesitzer, der Herr über mächtigen Ackerbesitz, wird immer in seiner Seele ein Aristokrat sein. Diese Aristokratie ist das repräsentative, selbstzufriedene Bewußtsein der vornehmen, mit der Natur zusammenarbeitenden Macht. Stolz nimmt er Kenntnis von den Unterschieden, mit denen die Natur ihre Schöpfungen versehen hat und wobei ihm eine über den anderen stehende Macht zuteil geworden ist. Die wahre Aristokratie bedeutet Kraft- und Machtbewußtsein und ist in der Tat ein Dankgefühl der Natur gegenüber. Infolge des Einflusses der materialistischen Ideen, die durch den technisch-quantitativen Fortschritt in der letzten Zeit besonders stark geworden sind, ist es üblich geworden, den aristokratischen Gedanken geringzuschätzen und statt dessen bedingungslos die Dogmen der Gleichheit anzunehmen. Es kann weder unser Ziel noch unsere mittelbare Absicht sein, an dieser Stelle den aristokratischen Gedanken zu verteidigen. Wir wollen jedoch das Folgende feststellen: Die Übertriebenheit des Sozialismus kann den Menschen die gleichen Güter und die gleiche Bezahlung, aber sie kann ihnen nie die gleichen Verdienste und Fähigkeiten geben. Wenn nun aber der über wenig Verdienste Verfügende eine ebensolche Bezahlung erhält wie der, der über große Verdienste verfügt, so verliert das Ethische in dem Verdienst und die Erhabenheit der verantwortlichen, selbständigen, menschlichen Tätigkeit ihre Bedeutung. Wenn der weniger Verdienstvolle ebenso belohnt wird wie der Würdige, dann geschieht nicht dem niedriger Stehenden Gutes, sondern der höher Stehende wird geschädigt. (Wie M. Scheler sagt, die sozialdemokratische Gleichmachung sei eine „Spekulation iL la baisse".) Das intensive Bewußtsein und der Stolz des Höhergestelltseins leben im Gutsbesitzer. Hier sind die Gründe zu
— 99 — finden, weshalb der Grundbesitzer nur in der Weise in eine höhere Klasse zu kommen wünscht, daß er gleichzeitig auch seinen Grundbesitz behalten kann. In Vorkriegszeiten war es der höchste Ehrgeiz des nichtaristokratischen Grundbesitzers, und er ist es teilweise noch heute, mit den aristokratischen Grundbesitzern in nähere Verbindung zu kommen. Solange in Deutschland die Möglichkeit hierzu bestand, war es sein höchster Aufstiegstraum, selber adelig oder hochadelig zu werden. Das Adelsprädikat gehört zur Tradition des Grundbesitzes und zur gesellschaftlichen Vollständigkeit des Berufes, trotzdem schon am Anfang des Krieges mehr als drei Viertel der deutschen Grundbesitzer nicht adelig waren. — Nun hat irgendwie die ehrgeizige Sehnsucht der bürgerlichen Grundbesitzer nach der Aristokratie — und besonders bei den Großgrundbesitzern — eine solche Lebenseinstellung und Denkart hervorgerufen, die in ihrer „aristokratischen Art" in vielem die Aristokraten selbst übertraf. Der Außenstehende kann nämlich das Charakteristische viel mehr erfassen als der, bei dem die Elemente des „Charakteristischen" eine selbst kaum bemerkte Selbstverständlichkeit sind. Neben den Äußerlichkeiten des Aristokratismus werden auch gewisse ethische Tiefen und edle besondere Werte von den nicht aristokratischen Grundbesitzern an ihren Aristokratismus gesetzt. Die ersehnte Verbindung mit der Aristokratie bedeutete in der Regel große Enttäuschung und Ernüchterung, wie es im allgemeinen der Fall ist, wenn Mythos und Wirklichkeit, die oft eine Parodie des Mythos ist, zusammentreffen. Heute sind die bürgerlichen Grundbesitzer und besonders die jüngere Generation in der aristokratischen Umgebung allgemein zu Hause, aber sie bilden mit ihr durchaus nicht eine Klasse. Sie sehen oft mit Erbitterung, daß im geheimen Widerwille und Geringschätzung in den geschlossenen aristokratischen Kreisen ihnen gegenüber vorhanden sind, ein taktvoll verborgenes Gefühl des Nicht-zu-ihnen-Gehörens. Die hochadeligen Grundbesitzer, die noch vor anderthalb Jahrhunderten mit solch einer Gleichgültigkeit auf Art und Auffassungen ihrer nichtaristokratischen, bürgerlichen Nachbarn hingesehen hatten, wie der Mond den ihn anbellen7*
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den Hund anblickt, mußten deren immer mehr wachsende politische und gesellschaftliche Macht bitter wahrnehmen. Das Standesbewußtsein des Adels ist gezwungen worden, sich sozusagen ins Geheime zurückzuziehen. Jedoch ist dieses Bewußtsein bei denen vom Landadel auch heute noch so sehr vorhanden, daß sie eine gewisse Unterscheidung nicht nur nach dem Rang, sondern auch nach dem Alter ihrer Familien und ihrer Güter machen. — (Natürlich kann man dort, wo einzelne Aristokraten zerstreut unter der bürgerlichen Gesellschaft leben, meistens diesen Standesstolz recht wenig bemerken.) Wenn der Gutsbesitzer in die Gesellschaftsschichten der Unternehmer, Fabrikanten und Kaufleute übertreten will, dann findet er hier großes Entgegenkommen, auch wenn er wirtschaftlich etwas niedriger gestellt ist als sie. Der Grundbesitzer aber betrachtet sich als über den obengenannten Klassen stehend und empfindet gegenüber den ausgesprochenen Handelsbeschäftigungen eine gewisse Antipathie. So steht ihm noch der Fabrikant näher als der Kaufmann. Mit Staatsbeamten und Offizieren hält der Gutsbesitzer gern gesellschaftliche Verbindungen aufrecht und zwischen ihnen bestehen auch kaum beträchtliche gesellschaftliche Gegensätze. Viel schwerer ist die nähere gesellschaftliche Verbindung mit den Akademikern und Gelehrten infolge ihrer abweichenden Ausbildung und des verschiedenen Horizontes ihrer Interessen, was aber die gegenseitige gesellschaftliche Achtung nicht ausschließt. Interessanterweise besteht auch zwischen dem „Diplomlandwirt"-Gutsbesitzer und dem Akademiker weiterhin solch ein Abstand. Die in der Nachkriegszeit besonders stark gewordene Materialisierung führt dahin, daß die eigentlichen Grundbesitzer an Zahl immer geringer werden; statt ihrer kommen Unternehmer und kühle Geschäftsleute. Der materielle Geist hat auf die seelische Struktur der Grundbesitzer stark zerstörend gewirkt, obwohl gerade in diesem Beruf das Selbstbewußtsein der über dem Materialismus stehenden „Aristokratie" besonders groß und bedeutend war. Einen Wert bedeutete sie auch deshalb, weil der in der Natur dieses Berufes liegende patriarchalische Imperativ den Grundbesitzer für viele Landarbeiter zum Herrn machte, der über dem do ut
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facias steht. Wo an dessen Stelle die Vertragsbeziehung der kühlen Materialität mit genau bestimmten Diensten und festgelegter Arbeitszeit trat, da tötete die Industrialisierung den eigentlichen Geist und die Seele des landwirtschaftlichen Berufes. Wir halten es für wahrscheinlich, daß mit der allgemeinen Besserung der wirtschaftlichen Lage notwendig eine antimaterialistische, idealistische Geistesströmung kommt. Wir sind überzeugt, daß sie in erster Linie in der Gesellschaftsklasse der Gutsbesitzer zum Durchbruch gelangen wird. Statt des um jeden Preis nach Gewinn strebenden Kaufmanns wird der idealistische, aristokratische Grundbesitzer kommen, der alle Schönheiten seines Berufes erleben kann, sich bei seiner Beschäftigung in der freien Natur mit dem Lenken dessen, was die erst-wichtigen Güter des Lebens bedeutet, als der Mitarbeiter Gottes fühlt. Natürlich wird sich in diesem Fall das stolze Klassenbewußtsein des Grundbesitzers heben, das Streben nach betont materiellen Beschäftigungen wird aufhören und das Hinwenden zu ausgesprochen aristokratischen Berufen wird wieder eintreten. 2. Beamten» und Militärdienstlaufbahn, a) Beamten. In der Reihe der Beschäftigungen sind wir — in der Richtung von den materiellen zu den spirituellen — nunmehr bei der Beamtenlaufbahn angelangt. Unter dem Ausdruck „Beamter" versteht man im allgemeinen den öffentlichen Beamten. Die Beamten der Privatunternehmungen stehen in freier geschäftlicher Verbindung mit ihren Arbeitgebern, die sie nach Belieben gestalten können. Bei ihnen bestehen je nach der Leistimgsfähigkeit und den Ambitionen des Einzelnen recht mannigfaltige Veränderungen und Möglichkeiten. Die öffentliche Beamtenlaufbahn weicht davon in vieler Hinsicht ab. Der Diener der Öffentlichkeit steht der Gesamtheit gegenüber und ist, wenn auch in noch so geringem Grade, der Vertreter der ganzen Gemeinschaft. Den im öffentlichen Dienst Stehenden kann das Gefühl der Ergebenheit in seinem Amt erfassen, da er sozusagen
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der Angestellte eines jeden Mitgliedes der Gemeinschaft ist und jeder Einzelne, zur öffentlichen Gesamtheit Gehörende mittelbar sein Brotherr ist. Anderseits ist er aber der Vertreter der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen und ist von der Gesamtheit beauftragt, die Geschäfte für den Einzelnen zu erledigen. Welcher von den „einerseits" und „anderseits" erwähnten Umständen der mehr maßgebende ist und seine Wirkung in der Praxis ausübt, das ist nicht schwer zu erraten. Wir wissen gut, daß es die letztere Art ist. Der Beamte als der Bevollmächtigte der Gesamtheit, fühlt sich dem Einzelnen übergeordnet. Tolstoi weist in „Auferstehung" darauf hin, daß die Menschen sich notwendig solche Meinungen bilden, die ihre ständige Lage günstig erscheinen lassen. Mit anderen Worten, es war für die Entstehung des Ideals des Beamtenberufes notwendig, daß der aufwärts strebende Mensch in ihm etwas Höherstehendes, Bedeutendes, Mächtiges, Imponierendes sehe. Wir wissen wohl, daß auch der Beamte in der kleinsten Stellung ein Despot in seinem kleinen Kreise ist. Das Beamtenideal faßt die Stellung im öffentlichen Dienst als überaus wichtig und hochstehend auf. Dazu kommt noch, daß der Einzelne, ob er will oder nicht, auf die öffentlichen Beamten angewiesen ist. Die einzelne Person wird in eine Staatsordnung, in den großen Leviathan und dessen mannigfaltige munizipielle Nebenzweige, hineingeboren und ist gezwungen, sich dessen rechtlichem und konstitutionellem Organismus anzupassen. Zu dem Finanzbeamten, dem Polizeibeamten, dem Matrikelbeamten und anderen steht der Einzelne in einem erzwungenen Verhältnis. Unter den Kaufleuten kann der Einzelne sich den auswählen und bei dem kaufen, der seiner Eitelkeit am meisten schmeichelt, sein Gefallen oder sein Vertrauen im größten Maße gewinnen konnte; aber beim öffentlichen Amt kann er nicht wählen. Die evtl. erzwungene Wahl bedeutet für den Beamten keinerlei unmittelbare Interessenverletzung. Eine bekannte Anekdote ist die, daß der Bauer dem ihn zurechtweisenden Bahnbeamten erwidert: „Belehren Sie mich nicht so viel, junger Mann, sonst verlasse ich Ihr Geschäft sofort und gehe auf einen anderen Bahnhof!" Die Wahl trifft den öffentlichen Beamten überhaupt nicht,
— 103 — da er als solcher über eine gewisse monopolistische Lage verfügt; wie alle öffentlichen Ämter bis zu einem gewissen Grade als Monopole aufzufassen sind, als Monopole der Gemeinschaft als einer abstrakten Einheit. Hier kann der Beamte — obwohl der Einzelne für Grobheit oder größeren Mißbrauch im amtlichen Verkehr Genugtuung erlangen kann — zwischen den Grenzen unbedingter Höflichkeit und anzeigbarer Unachtsamkeit in Unhöflichkeit mit Kühlheit, Nichtbekümmern und mit einem großen Grade von Egoismus verfahren. Besonders bei solchen Ämtern ist das der Fall, wo nicht jede Sache an den unmittelbar kontrollierenden Vorgesetzten kommt. Die mechanische Art der Arbeit und das Unbekümmertsein der Beamten, gesteigert durch ihre Teilrolle, ergibt deren Haltung. Sie selbst erledigen nur einen sehr kleinen Teil und das Ganze verliert sich in den unübersehbaren Einteilungen des „heiligen Bürokratius". Wer hat noch nichts erfahren von den Mißgriffen des Bürokratismus, von dessen fehlerhaftem und unzweckmäßigem Vorgehen ? Zum Ideal des Beamten gehört das Bewußtsein der Macht und der Vertretung der ganzen Gemeinschaft dem Einzelnen gegenüber. Eben deshalb wünschen viele nach Macht und Überlegenheit suchende Menschen diese Laufbahn. Bei dem größten Teil der Beamtenlaufbahnen spielt für den Aufstieg die eigene Initiative und die besondere Begabung keine Rolle, höchstens das Fehlen der Durchschnittsfähigkeit. Es ist eine bestimmte Dienstpragmatik festgelegt, in deren Ordnung man vorwärts kommt. Und die Jahre tragen den Beamten weiter auf der Rangleiter, vulgo „Ochsentour". Für den sich nach Ruhe sehnenden Philister ist das ein sehr erfreulicher Zustand. Er braucht nicht zu kämpfen, zu stürmen, nicht Streber zu sein und nachzugrübeln, wie man vorwärts kommt. Alles ist sicher, alles ist von vornherein festgelegt. Das innerste Empfinden des einzelnen Philisters beruhigt der Umstand außerordentlich, daß aus der maßgebenden Gesellschaftsklasse sehr viele ebenso auf dem laufenden Band ihrer Laufbahn leben wie er. Der Philister kann hier glücklich leben mit dem alles befriedigenden Freudebewußtsein des sicheren Brotes.
— 104 — Es sind unter den Beamten in großer Zahl auch unbedingt vorwärtsstrebende Naturen. Diese lassen, wenn sie durch die Möglichkeit der „Ochsentour", durch Gewinnen der Vorgesetzten oder durch besondere Leistung nicht schnell vorwärtskommen können, entweder ihre Laufbahn im Stich oder versuchen noch auf anderen Gebieten zur Geltung zu kommen. Im Handel, in der Industrie, in der Politik usw. versuchen sie, sich Geltung zu verschaffen, möglichst weit zu gelangen und etwas Sicheres zu erreichen, und dafür sind die Aufstiegsmöglichkeiten dieser Gesellschaftsklassen maßgebend. Bei den unbedingt vorwärtsdringenden Naturen finden wir in der vollständig gebundenen, besondere Initiative und Fähigkeiten nicht erfordernden Beamtenstellung in großer Zahl solche, die in zwei oder mehr Gesellschaftsklassen hineingehören. Bei solchen Beamten, die ein materielles Vorwärtskommen um jeden Preis erstreben und für die dazu Gelegenheiten nicht vorhanden sind, liegt die Gefahr der Bestechung und anderer Mißbräuche nahe. Unzweifelhaft ist es viel weniger im Interesse des Amtes, diejenigen, die nach Nebenbeschäftigung in anderweitigen Berufen und nach unbedingter Geltung streben, zu beschäftigen als die, die mit ihrem Los vollständig zufrieden sind. Infolgedessen haben die Ämter mehr das Interesse, für ihre an die „Ochsentour" gebundenen Beschäftigungen Philisterseelen zu finden. Übrigens hegt diese Laufbahn auch im Interesse der Naturen, die Ruhe und keinerlei Kampf wünschen. Aber bei einem Teil der Ämter spielt auch die persönliche Fähigkeit und Initiative eine große Rolle. Über das Vorwärtskommen entscheidet bei diesen Beamtenstellungen die vorgesetzte Behörde durch ihr diskretionelles Recht. Der Chef des Amtes schlägt vor und das Ministerium oder ein anderes höheres Zentralorgan ernennt. Die Ernennung ist immer einem persönlichen Gutdünken überlassen — wie es ja auch anders nicht möglich ist —, weil es für die individuellen Fähigkeiten und Werte keine unbedingt objektiven Maßstäbe gibt, die schon an sich die zur Ernennung würdige Person bestimmen könnten. (Übrigens müßten durch diese Maßstäbe auch Charakter, Fleiß und die bisherigen
— 105 — Verdienste meßbar werden.) Dadurch, daß die Entscheidung dem Gutdünken einzelner überlassen ist, ist viel Voreingenommenheit und Mißbrauch möglich. Die Familien- und die gesellschaftlichen Verbindungen, ebenso die Freundschaften können hier eine große Rolle spielen. Für die Kinder einzelner höherer Beamter oder der am öffentlichen Leben Beteiligten ist die Beamtenkarriere fast völlig gesichert1). Der „Seifmade man" muß sich seinen Weg unter Umständen durch Verdienste, durch Schmeichelei, durch erworbene Verbindungen oder durch das Interesse anderer für ihn, selbst ebnen. Gute Erscheinung, gewandtes gesellschaftliches Benehmen können vorzügliche Mittel zum Weiterkommen sein. Der stürmende, imbedingt vorwärtsstrebende Beamte sucht oft sowohl durch Arbeit als auch durch Verbindungen und Beziehungen weiterzukommen. Je höher eine Beamtenstellung ist, eine um so größere Rolle spielt die persönliche Fähigkeit und die Protektionswirtschaft. Die Beamten gehören natürlich zu sehr verschiedenen Gesellschaftsschichten. Bei den eine ganz geringe Bildung verlangenden Stufen des öffentlichen Dienstes können wir nicht eigentlich von Beamten sprechen. Unterbeamte, Bürodiener, Bahnwärter usw. gehören hierher, die sich aber höher stehend fühlen, als die auf der gleichen Stufe stehenden Privatangestellten, wegen ihrer im „Interesse der öffentlichx ) Nach den Erhebungen des Bayerischen Statistischen Landesamtes haben die Väter der führenden höheren Beamten zu mehr als y 3 auch höhere staatliche (bzw. kirchliche) Anstellung gehabt und stammten zu */, aus akademischen Kreisen (Soz. Auf- u. Abst. S. 130 f.). — Nach den Erhebungen von Host („Zur Wirtschafts- und Sozialstatistik höherer Beamter in Preußen", Leipzig 1916) waren die Väter der höheren Staatsbeamten (allerdings dehnten sich die Erhebungen nur auf den Regierungsbezirk Düsseldorf aus) zu 22%, die Großväter zu 1 4 % auch in der Beamtenlaufbahn (wobei wir auch die mittleren .und unteren Beamten elterlicherseits zugerechnet haben). Nach den Erhebungen von Mombert („Zur Frage der Klassenbildung", Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaften, Jahrg. i, Heft 2) waren von mittleren Eisenbahn- und Postbeamten die Väter zu 12%, die Großväter zu 9,3% auch in dieser Laufbahn. Zu diesen Erhebungen lag ziemlich wenig Material vor, jedoch ist die Tendenz erkennbar: Je höher die Anstellung ist, desto mehr „erbliches" Gepräge besitzt sie.
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keit" zu leistenden Dienste. Dem Einzelnen gegenüber erfüllt auch sie das stolze Bewußtsein eines Vertreters der Gemeinschaft. Gehen wir eine Stufe höher, so sehen wir, daß die öffentliche Stellung den Beamten eine gewisse Überlegenheit über die Berufe gibt, die ähnliche Ausbildung, Bedeutung und Einkommen besitzen. Der wohlhabende Kaufmann nimmt gern den auch noch im Anfang seiner Laufbahn stehenden Beamten in seine Familie auf, und von den Gewerbetreibenden steht nur der ausgesprochene Reiche mit dem höheren Beamten auf einer Stufe. Der festangestellte, höhere Beamte wird in allen Schichten der Mittelklasse gern gesehen. Und endlich stehen dem Beamten in einer führenden Stellung fast alle Gesellschaftsklassen offen. Ein Staatssekretär wird z. B. im Kreise der Aristokraten und Grundbesitzer als standesgemäß betrachtet. Er hat dem zehnmal so viel verdienenden Großkaufmann gegenüber den Vorrang, und er kann ohne den Charakter einer gesellschaftlichen Mesalliance aus den Kreisen der reichsten Aristokratie heiraten. (Vielleicht paßt das oben Gesagte nicht auf die führenden Beamten der kleinen deutschen Staaten, weil diese nur eine auf kleinere Gebiete sich beziehende, relative Höhe haben.) Mancher Aristokrat, der in diplomatischen Diensten steht, gibt einen beträchtlichen Teil seines Vermögens aus, um einen seines Amtes würdigen gesellschaftlichen Standard halten zu können und nicht hinter den anderen ebenfalls sehr viel opfernden Vornehmen zurückstehen zu müssen. Einen wunderbaren gesellschaftlichen Zauber für die hohe Staatsbeamtenschaft haben noch die Höfe der Herrscher. Für gewisse hohe Staatsbeamte sind die „Auszeichnungen", die besonderen Titel und vor allen Dingen eine höfische Rolle geradezu obligatorisch. In den europäischen Staaten hat sich entgegen der besonderen Schätzung und dem Kult der Beamtenschaft unmittelbar nach dem Kriege eine materialistische Gegenströmung geltend gemacht, die den Maßstab für die Einschätzung der Beamten nicht in Rang, Titel und Wirkungskreis, sondern in der Höhe der Einkünfte zu finden trachtete.
— 107 — Zur höheren Schätzung der Staatsbeamten trugen die neu gegründeten, staatlichen Krankenkassen und die anderen Institutionen bei, die viele Beamte mit hohen Qualifikationen angestellt haben. Allmählich wurde in gewissen höher qualifizierten Akademikerkreisen (z. B. bei Ärzten) das Amt zu jener gesellschaftlichen Form, neben der man die Berufstätigkeit, wenn man eben diese Qualifikation hat, zu erledigen pflegt. Es drängt sich nun die Frage auf: kann man bei dem Beamtenberuf nicht genau so von einem gewissen selbstwertigen Idealismus reden, der ihm Gehalt und Sinn verleiht, wie wir es z. B. bei dem Gutsbesitzer gesehen haben ? Sofern das Amt nur eine maschinelle Arbeit erfordert und jedweder Selbständigkeit und Initiative entbehrt, kann man nur vom Philisterideal des ruhigen Mechanismus reden. Doch bei jenen Beamten, die freie Gelegenheit haben, ihre Selbständigkeit, Geist und geistige Werte zu offenbaren, steht die Sache natürlich anders. Doch sind diese Laufbahnen nicht mehr die eigentlichen Beamtenlaufbahnen. Sie erfordern zumeist besondere Qualifikationen und haben auch nach diesen ihren Namen. Der Universitätsprofessor, der Richter, der Kassenarzt, der Geistliche stehen ebenso wie der Diplomat oder der Minister außerhalb der charakteristischen, eigentlichen Beamtenrolle. Über diese sprechen wir noch an anderer Stelle. Man wird vielleicht gegenüber diesen Ausführungen an die Laufbahn eines kleineren Beamten, die ebenfalls individuelle Initiative zuläßt, erinnern. Indes sind diese Stellungen keineswegs charakteristisch. Wir haben naturgemäß aus methodologischen Gründen bloß die durchschnittlichen Umstände ins Auge gefaßt. b) Offiziere. Viele mit der Laufbahn der Beamten gemeinsame Züge zeigt die der Soldaten, besonders der Offiziere. Über sie herrschen sehr geteilte Ansichten. Nach der einen Ansicht: Diese sich steif bewegenden Seelen der prunkhaften Uniformen kommen sozusagen noch im Kindesalter zum Militär. Sie sehnen sich nach leichtem Leben, nach herrischen Allüren, nach Glanz und Pomp. Von der Kadettenschule an bilden
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die Äußerlichkeiten und Formalitäten ihre einzige Sorge. Ihr Brot ist gesichert und im Sinne der Dienstpragmatik erreichen sie, wenn sie nicht irgendeinen großen Bock schießen, nach einer gewissen Zeit die Charge eines Obersten oder Generals. Als Menschen der Äußerlichkeiten und des Pompes stellen sie im Kriege oft viel weniger ihren Mann, als die in den Kämpfen des Lebens abgehärteten Reserveoffiziere1). Diesen Typ des Offiziers sieht die verintellektualisierte Gesellschaft vor sich. Offizier werden bedeutet demnach keine großen Ansprüche. Doch trotz dieser Geringschätzung sind Offiziere in fast jeder Gesellschaftsschicht gern gesehen. Man trifft sogar neben der Geringschätzung auch gleichzeitig eine geradezu zwangsläufige Hochschätzung an. Die oben dargelegte Auffassimg war, wenn auch nicht in vollem Maße, doch in vielen Zügen durchaus stichhaltig. Überall, wo das Militär zur bürokratischen Soldatenorganisation wurde, lagen die Dinge ähnlich. Und die langen Friedensjahre boten immer viel Gelegenheit zur Entartimg des Offiziersberufes. Der neue Geist der Nachkriegszeit brachte vielerorts große periodische Änderungen. Das an Zahl beschränkte Heer der besiegten Länder vereinigt in sich viele von gerade denkenden, unbiegsamen Patrioten, die von ihrem Berufe tief erfüllt sind, von „ideal gesinnten", mutigen Männern, die bereit sind, für ihr Vaterland Heroisches zu leisten. Und nicht zuletzt sind sie bereit, auch das rohe Hohngelächter der antimilitaristisch gesinnten, jedes vaterländische Ideal verspottenden Schichten zu erdulden. Im Kreise des Nachkriegsmilitärs — wie immer bei dem aus behaglicher Enervierung durch große Ereignisse aufgerüttelten Militär — ist eine durchgreifende Änderung festzustellen: Der Einfluß der immer mehr zur Geltung gelangen*) Wie -wenig die aktiven Offiziere in der Tat umstellungsfähig und zum Kampf des Alltags stark genug waren, zeigt uns kraß die Statistik über die Berufsverhältnisse der nach dem Kriege abgebauten aktiven Offiziere. Von den nachgeprüften Fällen von 9232 Offizieren konnten bis zum Jahre 1927 nicht weniger als 42,4 v.H. noch in keinem Beruf unterkommen (bzw. kein Beruf war bei ihnen durch die statistischen Erhebungen feststellbar). Diese Zahl wächst bei den norddeutschen Offizieren auf 49,1 v.H. (Soz. Auf- u. Abst., S. 68).
— 109 — den demokratischen, antibürokratischen und antidogmatischen Strömung. In den letzten Jahrzehnten war das Ideal der Disziplin die maschinelle Ordnung. Die Individualität mußte Verschwinden! Der einzelne Offizier und der einzelne Soldat mußte die bekommenen Befehle ausführen, nicht mehr und nicht weniger als das, was ihm befohlen wurde. Wenn er dem Befehle mechanisch Genüge leistete, blieb er in der großen Maschine. Wenn er mehr oder weniger tat, wurde er hinausgedrängt. Die imbedingte Zucht, das Sichunterordnen unter die höheren Chargen war das Ideal. Auf diese Weise bestand das Militär aus Menschen, die unter der Leitung der militärischen Führer zur völligen Preisgabe ihrer Unabhängigkeit verurteilt waren. Die begabten, über eigene Initiative verfügenden, freie Pläne, originelle Ideen hervorbringenden Offiziere hat das Militär ungern gesehen. Die Begabten wurden, wenn sie nicht durch einen Zufall zum Generalstab kamen, zurückgedrängt. Selbständige Ideen, lebensvolle, neuartige Gedanken waren mit dem Geist des Militärs, der den Militarismus zur wahren Maschine erniedrigte, nicht zu vereinen. — Um das Militär unserer Tage steht es wieder anders. Jedwedes Talent und alle geistigen Werte, sofern sie sich für militärische Zwecke verwerten lassen, finden womöglich eine gewisse Anerkennung. Die Militärschulen fordern eine weitaus gründlichere Allgemeinbildung und ein vertiefteres Wissen als vor dem Kriege. Die Nachkriegszeit hat in den besiegten Ländern sehr viel zur ethischen Hebung des militärischen und besonders des Offiziersberufes beigetragen. Die schwierigen politischen Zustände und die sich stets höher auftürmenden außenpolitischen Verwicklungen und Gefahren geben lebhafte Winke für die ethischen Pflichten des Militärs. Das verstärkte Zusammengehörigkeitsgefühl und nicht in letzter Linie die übertriebene antimilitaristische Strömung haben das Ihrige dazu beigetragen, um statt dem Teufel der Bürokratie mehr dem zielbewußten unabhängigen Geist zur Geltung zu verhelfen. Der weit gesündere, unabhängige Geist des Militärs wird dazu führen, daß an Stelle der pazifistischen Wahnideen, die die politischen Ungerechtigkeiten für ewige Zeiten sank-
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tionieren und steigern würden, ein klareres und richtigeres Bild von der politischen Macht und vom Militär entstehen wird. Selbstverständlich kann eine militärische Organisation, wenn sie ein Menschenalter ohne Kämpfe besteht, wiederum leicht zu einem heteronomen Mechanismus werden und die Soldaten zu leichtlebigen Abenteurern machen. Die größte Gefahr für den richtigen, zielbewußten Geist des aktiven Militärs ist der Zustand langen Friedens. Das aktive Militär genießt einen Kredit, zu dessen Rückzahlung es im Kriege Gelegenheit erhält. Wer aber Kredit aufnimmt in der Hoffnung, daß es niemals zu einer Rückzahlung kommt, oder wer auf Grund der Erfahrungen von Jahrzehnten oder Menschenaltern gewohnt ist, Kredit zu erhalten, ohne denselben jemals zurückzahlen zu müssen, steht moralisch tief, oder er ist der starken Gefahr der Demoralisierung ausgesetzt. Nach unserer Auffassung kann von dem eigentlichen hohen militärischen Ideal nur da die Rede sein, wo die Wahrscheinlichkeit der nahen siegreichen Befriedigung besteht. Ein schweizerischer Offizier kann z. B. niemals das Ideal des Offiziers tatsächlich vertreten. Das Offiziersideal selbst ist aber überaus wertvoll und bedeutend und erhält einen ganz besonderen Wert durch den Umstand, daß diejenigen, in deren Herzen es lebt, zu jeder Zeit bereit sind, sich für ihr Vaterland zu opfern und sich als die ersten Beschützer der Interessen und der Ehre ihres Vaterlandes fühlen. Das ideale Selbstbewußtsein finden wir natürlich auch bei Soldaten einer absolut ruhigen Friedenszeit. Und dies soweit mit Berechtigung, als ihre statische Einordnung in den Staatsorganismus zu Friedenszeiten ebenfalls den politischen Machtinteressen dient. Selbst die Bereitschaft des Militärs ist eine Sicherung der Staatsgewalt. Doch ist diese Begeisterung in vieler Hinsicht bloß passiv und wird zu einem schönen Spiel der begeisterungsbereiten Schöngeister. Das zu Friedenszeiten verdammte Militär ist in vieler Hinsicht dem unfruchtbaren Weibe ähnlich. Jenes Militär, das das Vorwärtskommen allein von den zeitlichen Bedingungen der Pragmatik abhängig macht, erfordert in der Tat Philisterseelen. Wer um jeden Preis
— Ili — vorwärtsstreben, zur Geltung gelangen will, hat hier kaum genügend Raum. Die Sehnsucht nach unbedingter Geltung sucht also in der sinnlichen Befriedigung, im Weiberverführen, in Abenteuern Raum. Edler Gesinnte erwarten vom Sport oder von technisch-taktischen Forschungen Erfolge. Naturgemäß ist das letztere nur für besonders Fachgebildete und Begabte möglich. Zur Kriegszeit kann der Aufstrebende durch die echten Soldatentugenden, die Tugenden des Heroismus, der Kampfbereitschaft, des Mutes, der Ausdauer, zur Geltung gelangen. Der Offizier ist in fast allen Gesellschaftsschichten gerne gesehen und, falls er adeliger Abstammung ist, kann er selbst zu fürstlichen Häusern Beziehungen pflegen. 3. Akademiker« und Politikerberufe.
Im folgenden wollen wir die Akademikerberufe der Reihe nach vornehmen. Hierzu gehören in erster Linie jene, die an den vier Fakultäten der Universität und an der Technischen Hochschule ausgebildet werden: der Geistliche, der Studienrat, der Arzt, der Richter, der Rechtsanwalt, der Ingenieur, im weiteren Sinne auch jene, die andere Hochschulen absolviert haben. Die Akademiker sind die führenden Elemente der Gesellschaft, die „Crème", die „Elite". Sie bilden in der Tat jene Schicht, die die höchste Stütze des Staates darstellen muß. Sehen wir nun im einzelnen die akademischen Berufe an. a) Katholischer Priester. Die aus dem Mittelalter überlieferten, in katholischen Staaten noch heute geltenden Auffassungen sahen in den katholischen Priestern solche ideale Personen, die sich für den Dienst Gottes opfern und der Freude des Lebens und allen Eitelkeiten fernstehen müssen. Es ist auch nicht zweifelhaft, daß zum großen Teil die Anwärter von „idealen" Motiven geführt in diesen Beruf gehen. — Eine Ausnahme bildet vielleicht nur die ärmste gesellschaftliche Schicht, wo für den begabten Sohn als einzige Aufstiegsmöglichkeit, deren unmittelbarer Weg ihr bekannt ist, der priesterliche Beruf
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dasteht ). Es ist aber offenbar sehr fraglich, ob diejenigen, die begabt sind, auch über priesterliche, besser gesagt über katholisch-priesterliche Neigungen verfügen. Aus je höheren Gesellschaftsklassen demzufolge die katholischen Priester kommen, desto wahrscheinlicher ist ihre ideale Einstellung. Aber gleichzeitig ist, weil sie einer geringeren Siebung ausgesetzt sind, auch weniger Garantie betreffs ihrer Begabung vorhanden. Anderseits kann man wieder bei den Söhnen, die aus Familien mit hoher gesellschaftlicher Stellung und guten Verbindungen stammen, desto weniger ideale Beweggründe zu dieser Laufbahn voraussetzen, je mehr diese für sie Aussicht zum sicheren Vorwärtskommen bietet. Die Verwandtschaft und die Verbindungen mit Erzbischöfen, Bischöfen und hohen Geistüchen bleiben nicht ohne Wirkimg bei der Wahl der priesterlichen Laufbahn. Die bischöfliche Mitra, verbunden mit außergewöhnlich großem Ansehen und großer Macht, bleibt trotz der Opfer, die in diesem Berufe verlangt werden, immerhin sehr anziehend. Nun aber dürfen wir, wenn auch die Söhne aus höheren gesellschaftlichen Schichten mit weniger Kampf und Siebung sich in der Priesterlaufbahn obenhalten können, doch nicht vergessen, daß — wenn auch nicht immer — höhere gesellschaftliche Schicht und großer Reichtum auf eine gewisse Begabung hinweist, welche auf die erwerbenden Ahnen sich bezieht, die in einem gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Kampf besser ihren Mann stellen konnten. Nach diesem Gesichtspunkte dürfte man mit mehr Wahrscheinlichkeit bei ihnen mit Begabung rechnen als bei den niedrigeren Klassen2). x ) Nach den Erhebungen von E v a Jansen kamen die katholischen Theologie-Studenten in den Semestern 1913/14 bis 1924/25 zu 7 5 % aus den niederen gesellschaftlichen Schichten (Zeitschrift des Bayr. Statistischen Landesamts 1927, Heft 4). Ähnliche Resultate zeigen die Erhebungen von Hartmann über die katholischen Geistlichen der Diözese Augsburg in der Zeit von 1804 bis 1917. 2 ) Vgl. das Buch: Niceforo: „Anthropologie der nichts besitzenden Klassen." Verl. Maas & Suchtelen, Amsterdam-Leipzig 1910. Übers, von Michels und Köster. Zwar ist es sehr gefährlich, aus dem Buche N.-s Schlußfolgerungen zu ziehen, es zeigt jedoch deutlich einen gewissen Lagerungsvorsprung in der
— 113 — Der katholische Geistliche nimmt infolge seines Berufes eine Haltung ein, die ihn gewissermaßen außerhalb der Gesellschaft stellt. Er ist in gewisser Art in der katholischen Gesellschaft überall zu Hause. Aber er hat eine Rolle, die als eine ganz andere, eigenartige Qualität aufgefaßt wird, wie die der anderen Angehörigen der Gesellschaft. Eine Ausnahmerolle. Er verfügt über eine gewisse allgemeine Priorität. Aber gleichzeitig mit dem Hinzugehören zu allen Klassen steht er auch außerhalb aller Klassen. Noch am nächsten stehen ihm die katholischen Akademiker und natürlich auch vor diesen die Priesterkollegen bzw. die Mitbrüder. Hier, in der priesterlichen Gesellschaft als Hierarchie, besitzt er die eigentliche g e s e l l s c h a f t l i c h e Position und Wertschätzung. Von einer priesterlichen Gesellschaft kann man aber nur dort sprechen, wo die Geistlichkeit stärker vertreten ist, oder wo Klöster vorhanden sind. Im allgemeinen stehen die Geistlichen, wenn sie zu den Akademikern keine Beziehungen anknüpften, den Vornehmen der katholischen Gemeinden (Staat, Stadt usw.) am nächsten. Da sie sozusagen zwischen den verschiedenen Schichten frei wählen dürfen, entscheiden sie sich zumeist für die höhere. Bei den Vornehmen des Landes und der Stadt sind die Geistlichen zu Hause und, obwohl sie auch (besonders die Mönche) mit den Armen in naher Verbindung stehen, sehnen sie sich außerhalb ihrer seelsorgerischen Tätigkeit nach den Höherstehenden. Und das ist auch so angemessen: Jeder idealer Denkende muß sich eben dem Höchsten nähern und immer weiterzukommen trachten. (Selbstverständlich würde das Höchste, das „Aristokratische" in erster Linie in geistiger Beziehung zu verstehen sein.) Der echte Priester muß das Vorwärtsstreben in der möglichst erfolgreichen Seelsorgertätigkeit sehen. Doch zum Erfolg gehört ein möglichst großer und breiter Wirkungskreis. Je mehr ein Geistlicher vorwärtsstrebt, einen um so größeren Wirkungskreis ersehnt er sich. In dieser Hinsicht ist die Entwicklung ursprünglicher Begabung in den höheren Klassen den niedrigeren gegenüber. V i d a , Anistieg.
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— 114 — •wissenschaftliche Arbeit, die politische Betätigung und das Bekanntwerden bei den vorgesetzten Behörden von aus* schlaggebender Bedeutung1). b) Protestantischer Geistlicher. Die Lage der protestantischen Priester ist in vielem anders als die der katholischen. Sie sind dort Priester, wo wesentlich jedermann Priester ist. Sie sind bloß da, damit die Austeilung der Sakramente in einzelnen bestimmten Händen bleibe und damit diese (die Sakramente) ihren Ernst und ihre Würde behalten sollen, weiterhin, um einen authentischen Religionsunterricht zu sichern. Sie weichen kaum von den höheren Beamten mit akademischer Vorbildung in ihrer Lage und Rolle ab2). Im Vorwärtskommen spielen größtenteils bei den protestantischen Geistlichen der gute Eindruck der Persönlichkeit, die wissenschaftliche Arbeit und auch die Politik eine Rolle. Sie leben viel mehr inmitten des täglichen Kampfes ') Leider hat die politische Tätigkeit als Sprungbrett zum Vorwärtskommen bei den Geistlichen sehr überhand genommen. Hier ist eine Gegenaktion des gegenwärtigen Papstes Pius X I . recht einleuchtend. Der Heilige Vater sieht wohl, daß die geistliche Würde weit von dem Unrat der Tagespolitik zu halten sei; nur jenen ist also die Teilnahme an der Politik zu gestatten, bei denen eine Garantie vorhanden ist, daß sie sich nicht beflecken werden, sondern den Geist der reinen Denkweise und des Idealismus verbreiten, nicht zerstören, sondern bauen und die Kirche gegen alle Angriffe verteidigen werden. In letzter Zeit sind in der katholischen Kirche Bestrebungen entstanden, daß als Grundlage zum Aufstieg n u r die wertvolle Seelsorgetätigkeit dienen soll, daß nicht die Streber gehoben werden sollen, sondern jene, die bescheiden nicht nach Aufstieg, sondern nach wertvoller seelsorgerischer Tätigkeit sich sehnen. In Anerkennung der richtigen Momente dieser Auffassung möchten wir bemerken, daß wir die ruhigen, zufriedenen Philisterseelen viel weniger für die bedeutende, tatkräftige und erfolgreiche kirchliche Arbeit geeignet finden, als jene Priesterseelen, die um jeden Preis vorwärtskommen und sich neuen Raum schaffen wollen. Mit dem Zurückdrängen des Vorwärtsstrebenden wird eine Auslese der Minderwertigen geschaffen. *) Schon Treitschke sagt.: „ . . . d i e protestantische Geistlichkeit [ist] heute für nicht etwas anderes anzusehen, als für einen einfachen BerufeStand, der sich aus dem Bürgertum ergänzt und mit diesem gemeinsame soziale Interessen hat." (Treitschke, Politik, herausgegeben vom Cornicelius, S. 303, Verl. Hirzel, Leipzig.)
— 115 — als die katholischen. In ihrem Vorwärtsstreben sehen wir in vielem ähnliche Kämpfe wie bei den Lehrern und Wissenschaftlern. c) S t u d i e n r ä t e . Die Studienräte (bzw. Professoren der höheren Schulen) sind die Stiefkinder des akademischen Berufes. Die bei diesem Berufe erforderliche Selbständigkeit und Freiheit ist bei ihrer Tätigkeit am allerwenigsten belassen. Sie sind angestellt für das Lehren genau umschriebener Studienpläne und für die durch Gewohnheiten und Bestimmungen fast ebenso bestimmte erzieherische Tätigkeit. Die Eltern sehen in ihnen sozusagen nur höher qualifizierte Bedienstete. Besonders ist das der Fall bei den konfessionellen und städtischen höheren Schulen. Die Eltern betrachten sich in den Problemen der Erziehung als Sachverständige und die erz i e h e r i s c h e Tätigkeit des Studienrates sehen sie als eine solche an, die notgedrungen auch sie selbst erledigen könnten. Während man den Geistlichen, Rechtsanwälten, Ärzten in ihren Fachproblemen unbedingte Autorität zuerkennt und die außerhalb dieser Fächer Stehenden sich nicht einbilden, Sachverständige zu sein, betrachten sich die Eltern in jeglichen Fragen und Feinheiten der Erziehung von vornherein als Fachleute, als ob sie selbst mit dem Zurweltkommen ihres Kindes zu unfehlbaren Gelehrten in allen Erziehungsproblemen geworden wären. In der ganzen Gesellschaft wird der Studienrat gegenüber den anderen Akademikern (Priester, Arzt, Rechtsanwalt) gleichsam als eine niedrigere Schicht betrachtet. In der Tat gehört zum A und O des Verständnisses des Studienratsberufes eine fast naiv zu nennende, auf sich vertrauende Denkart. Ihre eigenen schönen Pläne, ersehnte Ideale, stehen so vor ihnen wie in die Wirklichkeit leicht überpflanzbare Gewißheiten. Wenn die Anwärter auch mit noch so vielen enttäuschten, verletzten Studienräten zusammenkommen, sie werden sich doch nicht abweisen lassen von ihrem Traumbild. Betreffs des Aufstieges der Studienräte wollen wir drei Gruppen unterscheiden: a) Studienräte von philiströser Einstellung sind nicht in großer Zahl zu finden. Meistens sind sie Söhne von Schul8*
— 116 — meistern, niedrigeren Landwirtsschichten und es bedeutet für sie der Studienratsberuf einen außerordentlichen Aufstieg, außerdem eine gewisse Befriedigung für ihre Machtlust. Sie fühlen sich in der Schulklasse als Herren und Befehlshaber und das erfüllt sie mit einer überaus angenehmen Empfindung. Sie bemerken wenig die Geringschätzung ihres gesellschaftlichen Standes und das bedeutet für sie recht wenig Sorge. Im großen und ganzen gilt für sie alles, was wir über die Beamten sagten, wie sie sich auch kaum über die mittelmäßigen Beamten erheben. Sie geben ihr Stundenpensum, korrigieren die Aufgabenhefte und leben und sterben ohne Auflehnung. ^
ß ) Ein guter Teil der aufwärtsstrebenden Studienräte betrachtet seine Laufbahn als Übergangsstadium. Sie wollen in der wissenschaftlichen Laufbahn emporkommen. Der Universitätslehrstuhl ist ihre häufigste Sehnsucht. Die meisten Studienräte, deren philosophische Doktordissertation gelobt wurde, fühlen sich als auserwählte Kandidaten zur Universitätsprofessur. Aber für die Universitätsprofessur kann man sich ebenso wenig sicher vorbereiten, wie etwa für die Ministerschaft. Nur für einen sehr kleinen Teil derer, die sich nach einem Lehrstuhl sehnen, wird das Ziel ihrer Sehnsucht wirklich erreichbar 1 ). Die anderen müssen zurückbleiben und sind ihr ganzes Leben hindurch verbitterte Menschen mit vergifteter Seele. So ist es bei einem ganz beträchtlichen Teil der Studienräte. — Daß die Erzieher der höheren geistigen Schicht, der späteren Akademiker, in großer Zahl aus unzufriedenen, verbitterten Menschen bestehen, muß natürlich seine sehr schwere Wirkung sowohl auf die erzogene gesellschaftliche Elite, als auch durch diese auf die gesamte Gesellschaft haben. In den empfindsamen Schülerjahren kommen diese gekränkten, traurigen Menschen entweder den Kinderseelen nicht nah, l ) Übrigens ist bemerkenswert, daß die Sehnsucht der Studienrate nach Universitätslehrstühlen selbst bei ihren Nachkömmlingen sehr schwer zur Verwirklichung gelangt. So sind die Kinder der Ärzte und Priester nach den Erhebungen von Eulenburg (Soz. Auf- u. Abst. S. 52) in viel größerer Zahl unter den Universitätsdozenten zu finden als die der Studienräte.
— 117 — oder wenn doch, dann werden sie den Keim der Unzufriedenheit in sie einpflanzen. Wir haben hier keinen Raum, auseinanderzusetzen, was für gefährliche Erscheinungen die unzufriedenen, zum Aufstieg wenig Möglichkeit besitzenden Studienräte für die ganze Gesellschaft sind. Die verbitterten Menschen sind gefährliche Freunde und unangenehme Vorgesetzte. Aus den in ihrem Aufstiegswunsch enttäuschten Studienräten kommt eine beträchtliche Zahl von freudlosen Sonderlingen und Einzelgängern. y) Bei einem anderen Teil der Studienräte, die empordrängen wollen, zeigt die Aufstiegsrichtung nach pädagogischen und wissenschaftlichen Fachergebnissen. Sie wollen als Lehrer der höheren Schulen besondere Ergebnisse erreichen, nämlich vorzüglich gebildete Schüler. Sie versuchen eigene pädagogische Reformen. Mit der Methode „möglichst" erfolgreichen Unterrichts machen sie Versuche. Diese Studienräte geraten — wenn sie nicht besonders gebildete und weitblickende Direktoren und Vorgesetzte haben — meistens, indem sie „Mehr" und Originelleres bieten wollen, als die Vorschrift erfordert, mit ihren Behörden in Kollision oder finden zum mindesten von ihrer Seite ein skeptisches Nichtverständnis. Auf diese Weise drückt ihr Schicksal ebenso wie das der vorher gezeigten Gruppe. Die Aufwärtsstürmenden werden in den Universitätsstädten meistens mit ihren Universitätsfachprofessoren oder mit den Vertretern verwandter akademischer Fächer (Chemielehrer mit dem chemischen Ingenieur; Mathematiklehrer mit Versicherungsmathematiker) in Verbindung treten. Aber von den Universitätsprofessoren werden sie durchaus nicht als gesellschaftlich gleichwertig betrachtet und haben auch zu ihnen keine wirkliche nähere Zugehörigkeit. Im allgemeinen besitzen die Studienräte eine gesellschaftliche Achtung wie die Beamten mit höherer Schulbildung. Dagegen sind sie aber erfüllt von der Sehnsucht, in die führenden Klassen hineinzugehören. Die Studienräte von heute sind — dem banalen Gleichnis entsprechend — in der Tat Ikarusmenschen, die sich nach der Sonne sehnen und untergehen in dem Meer der Grausamkeit des Alltags.
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d) Der Arzt. Der Arzt verfügt in der Gesellschaft über allgemeine Achtung und Anerkennung. E r ist der „Heiler der Kranken" und „Wächter der Gesundheit", dessen Aufgabe es ist, das Schicksal seiner kranken Mitmenschen zu erleichtern. Der erste Grund seines Ansehens fußt auf der elementaren Lebensliebe des Lebewesens bzw. auf seiner Angst vor Tod und Leiden. Diese Momente offenbaren sich in der intimen, kein Geheimnis duldenden Verbindung, die den Kranken an ärztliches Wissen und Intelligenz bindet. Vor dem in die ärztliche Laufbahn Tretenden liegen verschiedene Wege und Möglichkeiten. Diese Wege und Möglichkeiten sind in unseren Tagen — wie bei den meisten Berufen — immer schwerer und umständlicher geworden. Selbst die allgemein ärztliche Ausbildung beansprucht eine sehr lange Zeit und die Spezialistenausbildung in vielen Fällen noch weiter eine so lange, daß nur die besonders gut Situierten damit rechnen können. Für die Ärzte, die aufwärts streben wollen, ist die eine Möglichkeit die, eine Praxis auszubauen bzw. eine Vereinsanstellung oder auch die Zulassung zur Krankenkasse zu gewinnen; die andere, als Gelehrte ihr Fach weiter zu fördern. In diesem Falle ist ihre Lage von vornherein günstiger als die der höheren Lehrer. Erreichen sie irgendeinen Universitätsgrad, so kann das sie auch sehr wesentlich bei ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage fördern: Ihr Patientenkreis wird leichter zu erweitern sein, sie können mit größeren Honoraransprüchen auftreten und auch die Gesellschaft sieht sie als in höherer und vornehmerer Stellung befindlich an. Wenn sie auch nicht einmal einen weiteren Universitätsgrad erreichen können, so geraten sie doch nicht in die unangenehme, verbitternde Situation der Studienräte (die völlige Erfolglosigkeit), weil sie auch mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten und durch das Bekanntwerden ihres Namens, unter entsprechender geschickter Ausnutzung dieser Umstände, für sich eine ständig günstigere Praxis und damit eine bessere wirtschaftliche Lage ausbauen können. Für diejenigen, die in der Gelehrtenlaufbahn aufwärtskommen
— 119 — wollen, besteht noch die Möglichkeit, durch medizinische und pharmazeutische Erfindungen und durch eigene Heilmethoden emporzukommen. In der letzten Zeit hat sich die Zahl der beamteten Ärzte infolge der Überfüllung des Faches und durch die Entwicklung der sozialen Organisationen sehr vermehrt 1 ). Einerseits ist diese Entwicklung vom Standpunkt der sozialen Organisationen aus sehr erfreulich, anderseits finden wir es schädlich vom Gesichtspunkt der ärztlichen Unabhängigkeit aus gesehen. Bei den akademischen Berufen ist die Unabhängigkeit eine eminente Forderung; besonders für den Arzt mit seiner verantwortlichen Tätigkeit ist sie wichtig. Der Arzt als Angestellter einer Organisation, die möglichst gute Geschäfte machen will, kann oft beim Ausüben seines verantwortlichen Amtes schädlich gehemmt werden. So z. B . verbieten die Krankenkassen den Ärzten, teure Arzneien und kostspielige Heilverfahren zu verordnen, weil sie sonst nicht entsprechend günstig auf ihre Rechnung kommen. Dagegen ist es aber klar, daß die Möglichkeit des Arztes, das Beste zu bieten, nicht von den Geschäftsrechnungen der Kassen abhängen darf.
Die wirtschaftliche Lage der deutschen Ärzte und ihre Anstellung bei den Krankenkassen und Vereinen hat sich in den letzten Zeiten sehr verschlechtert2). Zu ihrer unmittelbaren Gesellschaftsklasse gehören ihre Kollegen und die anderen akademischen Berufe. In der Unternehmer- und Kaufmannsgesellschaft sind sie ebenfalls sehr gern gesehen. In der letzten Zeit stehen ihnen auch die Aristokratenkreise immer mehr offen, wie den Akademikern — die Lehrer und Ingenieure in niederen Stellungen ausgenommen — überhaupt. e) Richter und Rechtsanwälte. Man betrachtet im allgemeinen den Beruf des Richters als sehr ehrenvoll, obwohl man in dem Gedanken, daß ein Mensch sich berufen fühlt, über die Schwächen seiner Mitmenschen zu urteilen, eine gewisse Anmaßung erblicken zu können glaubt. Der richterliche Beruf wird auch als der des Rechtswissenschaftlers, als Entscheidung von Rechtsfragen, x
) Nach der Berufsstatistik von 1925 waren rd. 30V.H. der praktizierenden Ärzte nicht selbständig (Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 408, S. 301). 2 ) So hat die Zentralorganisation der deutschen Ärzte, der Hartmannsbund, sich entschlossen, daß für das Anstellungsinteresse derjenigen, die trotz der Überfüllung und Warnung nach 1924 noch in die ärztliche Fakultät treten, nichts in Angriff genommen werden soll.
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betrachtet. Die Teilnehmer der Diskussion sind einerseits der Staatsanwalt und der Kläger, anderseits der Rechtsanwalt und der Angeklagte. Wir brauchen aber kaum zu betonen, daß die Aufgabe des Richters doch mehr umfaßt als bloß die Entscheidung von Rechtsfragen. Für die Ausübung des Richterberufes ist es von besonderer Wichtigkeit, daß unter Ausschaltung jeglichen unzuständigen Einflusses allein die sachlichen Verdienste als Grund des Aufstieges dienen sollen. Wenn auch die „Unversetzbarkeit" eine gewisse Garantie ist für ihre unparteiische Stellung, so ist sie doch durchaus keine völlige. In der Tat bestehen bei den Richtern im großen und ganzen dieselben Erfordernisse zum Aufstiege wie bei den Beamten im allgemeinen. Besonders wichtig ist bei ihnen das „Sich-beliebtmachen" bei den Vorgesetzten und Fachgenossen; große Bedeutung besitzt für sie auch die juristisch wissenschaftliche Tätigkeit. Bei dem Rechtsanwalt erkennt die Gesellschaft den Idealismus nur in einem verschwindend kleinen Maße an. Und mit Recht! Allgemein sagt schon der Volksmund den Rechtsanwälten nach, sie seien schlau, würden um Geld lügen, seien mit jedem Wasser gewaschen und in der Tat kann man kaum ernsthaft behaupten, der Rechtsanwalt sei der „Sucher der Gerechtigkeit". Wie ganz anders ist diese Gerechtigkeit als die Wahrheit der Philosophen! Diese suchen die Wahrheit an sich; jenen liegt im eigenen Interesse daran, daß die Wahrheit eine bestimmte Form annimmt. Dies ist aber dann keine Wahrheit mehr. Die Wahrheit und Gerechtigkeit ist einmalig und unveränderlich. Im Gegensatz zu dem an sich zweckhaften Forschen der Philosophen suchen die Rechtsanwälte die Wahrheit zu Gunsten ihres Auftraggebers. Sie gehören zu einer Partei, und zwar nicht auf Grund einer eigenen Überzeugung, sondern auf Grund dessen, von welcher Partei sie gewählt werden1). Da es aber keine einander widersprechenden Wahrheiten gibt, ist ihre Wahrheit eine Wahrheit, die man nach J ) Daß der Angeklagte und die unmittelbar interessierten Parteien auch nur ihre eigene Gerechtigkeit verfechten, ist eine wesentlich andere Sache.
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bestimmten Interessen umzuformen sucht: die Verspottung der Wahrheit! Der Rechtsanwalt forscht, wenn er die Wahrheit seiner Partei sucht, nicht nach der Wahrheit selbst, sondern nur nach deren Schein. (Gandhi, der Idealist, hat nach Romain Rolland nur jene Fälle übernommen, bei denen er von dem Rechte seines Klienten überzeugt war, und behielt sich vor, von der Parteinahme für das Unrecht zurückzutreten, falls er aus den Erwiderungen der Gegenpartei die Überzeugung gewinnen würde, daß sein Klient im Unrecht sei. Wovon würden die Rechtsanwälte leben, wenn sie alle so vorgingen?) Der Ruhm und die Anerkennung der Rechtsanwälte steigt desto mehr, je mehr sie dem Gegenteil dessen zum Siege verhelfen können, was die nüchterne, allgemeine Auffassung für „wahr" hält. Eine Einseitigkeit von vornherein, parteüsche Einstellung sind elementare Forderungen. Da das Ziel der Schein der Wahrheit ist und nicht die Wahrheit selbst, sind Schein und formelle Mittel von großem Belang. Der „gute" Rechtsanwalt muß auch guter Schauspieler sein, der die Glasur des Eindruckes von Ehrlichkeit und den Anschein der moralischen Persönlichkeit an sich trägt, damit er den Richter vergessen lassen kann, daß er seine Rolle bloß „spiele" und gegebenenfalls mit eben der gleichen Hingebung für den Gegner spielen würde. Bei den „routinierten" Rechtsanwälten darf nie die „Routiniertheit" ins Auge fallen, wie auch die große rhetorische Pathetik und die große „Gelehrsamkeit" bei den Richtern Widerwillen hervorruft. Bei der „Routiniertheit" und Pathetik fühlt der Richter, daß man ihn täuschen, blenden will, und das läßt sich niemand gerne gefallen. Die „Gelehrsamkeit" erweckt den Eindruck der Überlegenheit und das sieht man auch nicht gern. Der „lungenkräftige und auf die Spitze gestellte Zeitungsstil" (M. Rumpf s. Lit. V) als eine Fähigkeit, den noch so nüchternen Richter mit sich zu reißen, und die Gabe des Beeinflussens und des „Überredens" sind sehr wichtig bei ihrem Vorwärtskommen. Rechtsanwalt und Richter verfügen, wenn auch nicht imbedingt über die gleiche Sympathie und wirkliche Achtung wie der Arzt, so doch über das gleiche gesellschaftliche An-
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sehen. Der Rechtsanwalt ist im allgemeinen in die gleichen Gesellschaftsschichten aufgenommen, wo wir schon den Arzt gesehen haben. Die unmittelbarste Schicht, in die er hineingehört, ist die der Juristen. Weil die juristische Ausbildung zu verschiedenen Beamtenlaufbahnen berechtigt, so steht er meistens in einer näheren gesellschaftlichen Beziehung zu den Beamten als der Arzt. f) Der Ingenieur. Der Beruf des Ingenieurs war lange Zeit von der Gesellschaft sehr wenig geschätzt. Die anderen akademischen Berufe betrachteten den Ingenieur nicht als völlig gleichgestellt. Die Beschäftigung mit der Technik betrachtete man im ursprünglichen Sinne des Wortes als Geschicklichkeit (Künstelei), aber keineswegs als eine echte Wissenschaft. Aber obwohl sich die Lage durch das ungeheuere Vordringen und den Sieg der Technik sehr verändert hat, bilden sie bis heute nicht dieselbe Klasse wie etwa die Ärzte und die Juristen. Die Ingenieure stehen der Klasse der höheren Beamten oder, wenn sie gleichzeitig Unternehmer sind, diesen nahe. Unter Umständen haben sie als Gelehrte Verbindung mit den Lehrern der Mathematik oder der Naturwissenschaften. Es gibt heute ein ausgesprochenes Ingenieurproletariat. Ingenieure mit geringeren Fähigkeiten oder solche, die sich nicht emporkämpfen können, betätigen sich in großer Zahl wie gebildetere Arbeiter, wie Arbeiter, die eben eine höhere Ausbildung besitzen. Die vorwärtsstrebenden, begabten Ingenieure können durch Erfindungen, Unternehmungen vorwärtskommen. Die Ingenieure, die Erfinder von Maschinenkolossen, sind trotz ihrer mangelnden Anerkennung die wahren Söhne unseres Zeitalters. Wenn sie auch als Akademiker über wenig Ansehen verfügen (und über noch weniger verfügten), so haben sie ein ebenso großes als Unternehmer und Erfinder. Diese Anerkennung ist qualitativ eine andere und dieses „Andere" wurde in der Vergangenheit als etwas Niedrigeres angesehen als die „akademische" Anerkennimg. In unserer Zeit ist ein gewisser Ausgleich zu ihr hin (zu diesem An-
— 123 — deren) entstanden; und sie wird, wie die Tendenz zeigt, in der Zukunft sogar als ein „Mehr" gelten. Den Ingenieuren gehört die allernächste Zukunft. Der einzelne Mensch und selbst die Gesellschaft, wenn sie sich auch noch so sehr gegen die technische Zivilisation sträuben, bleiben doch Gefangene, Besiegte der Technik. Die siegreiche Technik verändert die Ordnung unseres ganzen Lebens, unsere Sitte und Moral: alles biegt sie um. Auch die Geisteswissenschaftler nehmen die durch die neue, technische Ordnung beeinflußte Weltbetrachtung an. Die Technik dringt gewaltig vor und sowohl unsere Zivilisation als auch unsere Kultur stehen in ihrem Zeichen. g) D e r G e l e h r t e . Zum Abschluß der Besprechung der akademischen Berufe wollen wir über die Gelehrten und Politiker sprechen. Die Beschäftigung mit der Wissenschaft ist als Beruf eine sehr kümmerliche „Laufbahn" und in sehr vieler Hinsicht wird über das Vorwärtskommen hier in sehr ungerechter Weise entschieden. Diesen Gegenstand hat Max Weber in seinem Werk „Wissenschaft als Beruf" mit sehr dunklen Farben, aber in vielem besonders treffend gemalt. Die entscheidende Anerkennung des Gelehrten ist danach von einem zufälligen Gefallen oder Mißfallen bei den Nichtgelehrten abhängig1). In der Tat ist der Zustand sehr ungünstig. Die Gelehrten sehen ihre Anerkennung im Universitätsgrad. Irgendwie ist der Gelehrte, der nur Privatgelehrter bleibt und sich mit diesem Zustand zufrieden gibt, in der gleichen Lage wie das nicht zur Gattin genommene Mädchen, das ihr Mädchentum für einen idealeren Zustand hält als den Beruf einer Frau und Mutter. Jener Gelehrte, der für sich Raum im Leben der Gesellschaft will und der seine Meinung nach l ) Iii Wirklichkeit ist es nicht nur bei den Gelehrten der Fall, sondern die Lage ist in fast allen Phasen des gesellschaftlichen Lebens und der Fachgeltung so, daß in einem gewissen Grade die Anerkennung der V i e l e n , der von der Sache nichts Verstehenden, Entfernteren entscheidend -wird. Treffend sagt Nietzsche: „Nicht, was der Heilige ist, sondern das, was er in den Augen der Nichtheiligen bedeutet, gibt ihm seinen welthistorischen Wert." (Menschliches, Allzumenschliches, I Aph., 143.)
— 124 — seinem Kreise und nach dem Gefallen und der Anerkennung der Gesellschaft bildet, sehnt sich gewiß nach der Universität. Aber die Zahl der Universitätslehrstühle ist sehr beschränkt. Die Zahl der Privatdozenten ist zwar nicht beschränkt, aber diese Stellung bietet keine wirkliche Basis für einen Lebenserwerb oder einen Beruf; es ist ebenso nur ein Titel wie der eines außerordentlichen Professors ohne Lehrauftrag. Die Gesellschaft ehrt und wertet den Universitätsdozenten, fast alle Teile der Gesellschaft nehmen ihn gern auf. Unmittelbare gesellschaftliche Beziehung hält er meistens mit seinen Kollegen und den hohen Beamten. Der „nur Arzt", „nur Rechtsanwalt", „nur Lehrer" wird, wenn er auch mit ihnen verkehrt, doch nicht als gleichgestellt genommen. Der Universitätsprofessor ist der Vertreter der geistigen Berufe par excellence, und damit ist die allgemeine Anerkennung, die sein Rang findet, erklärt. Weil die Zahl der Lehrstühle sehr beschränkt ist, gibt es um diese einen immerwährenden, erbitterten Kampf, in dem — auch bei den ersten Universitäten ist dies der Fall — nicht selten Großtuerei, politische Verbindungen, Väterwirtschaft1), rücksichtsloses Durchsetzen zu besseren Ergebnissen führen als die vertiefende, wissenschaftliche Tätigkeit. h) P o l i t i k e r , Diplomat. Politiker und Diplomaten pflegt man — ebenso wie die Rechtsanwälte — als Lügner ex officio und als schwache Charaktere zu bezeichnen. Diese Ansicht enthält, wenn auch nicht in dieser Form, doch etwas Richtiges und Wahres. In der Tat „lügen" sie ex officio, aber sie müssen nicht ex officio schlechte Charaktere sein. Es ist hier in Betracht zu ziehen, daß die Politiker und Diplomaten sich dessen bewußt sind, daß sie gegenseitig voneinander belogen werden; eben dadurch hebt sich auch das Betrügerische in ihrem Ver1 ) Nach den statistischen Erhebungen von Eulenburg über den akademischen Nachwuchs (Leipzig 1908) waren in den durch ihn geprüften mehr als 1000 Fällen die Väter der Universitätsdozenten zu */» auch Universitätsprofessoren. Wenn man in Betracht zieht, daß die Universitätsdozentenschaft nicht einmal V11000 der Gesamtbevölkerung ausmacht, dann ergibt sich, daß Dozentensöhne 1222 mal über ihren Bevölkerungszahlverhältnissen zu dieser Laufbahn kommen.
— 125 — halten auf und es wird eine von der Zweckmäßigkeit hervorgebrachte konventionelle Form. Die Sache verhält sich so, daß die Machtstellung der Staaten entscheidend ist und nicht die verfaßten Gesetze. Die Geltung der Machtzustände ist ein natürliches, notwendiges Naturgesetz und die Naturgesetze sind nicht durch ein geschaffenes, neues, geschriebenes Gesetz zu ändern. Hier, zwischen diesen, ist notwendigerweise ein unüberbrückbarer Gegensatz immer geblieben1). Das Machtinteresse, die Anpassung an die natürlichen Gesetze einerseits und die gemachten Gesetze und die für den Verkehr nötige Form der Opportunität anderseits müssen durch die Tätigkeit des Politikers und die des Diplomaten überbrückt werden. Das nicht aufrichtige Verfahren des Politikers ist, obwohl es in sich nicht erlaubt ist, eine ebensolche Notwendigkeit wie der Mord im Kriege. Obwohl die Politik, besonders die Außenpolitik, viele solche Handlungen verlangt, die man im bürgerlichen Leben in derselben Form als moralische Richtungsprinzipien nicht anerkennen kann, so ist doch ihre Notwendigkeit unzweifelhaft. Ihre Moral nimmt sie aus einem anderen Gesichtspunkte. — Der Politiker mit höherem Rang, die Mitglieder der Regierung, die Gesandten usw. gehören zu den höchsten Kreisen der Gesellschaft und verkehren mit deren Elite. Eine Anzahl von ihnen genießt Volkstümlichkeit und Anerkennung breiter Schichten. Hier können die Philister kaum zu einer wirklich erfolgreichen Rolle kommen. Die Vorwärtsstrebenden müssen hier begabt und geschickt sein, außerdem müssen sie sich gut anpassen können. Die echten Gelehrten und Politiker stehen dann auf der Höhe ihrer Berufe, wenn sie in die kleine Gruppe der im folgenden gekennzeichneten idealen Geister gehören. i) „ I d e a l e " B e r u f e . Um zur Krone der verschiedenen Beschäftigungen zu kommen, sprechen wir jetzt über diejenigen Menschen, *) Treffend sagt Spengler: „ . . . Die Weltgeschichte . . . hat die Menschen und Völker zum Tode verurteilt, denen die Wahrheit wichtiger war als Taten und Gerechtigkeit wesentlicher als Macht." (Untergang des Abendlandes II, S. 635.)
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deren Tätigkeit über dem im eigentlichen Sinne materialistischen Begriff der Beschäftigung steht, über die, die von den höchsten Idealen und wertvollsten, geistigen Beweggründen geleitet sind. Ihre Zahl ist ja so klein und sie sind so zerstreut, daß sie in der Tat keine eigene gesellschaftliche Schicht bilden. Sie opfern ihr Leben für die schöpferische Verwirklichung großer Ziele, für die sie selbst nur Mittel sind. Unpersönlicher Erfolg ist ebenfalls nur ein Mittel und ihr Ziel ist, den großen Idealen zu dienen. In der schöpferischen Tätigkeit suchen diese Menschen keinen Ruhm, sie kümmern sich wenig um ihn und um irgendeine Anerkennimg. Ihre ideellen Ziele haben keine subjektiven Momente. Hier also verliert dann die oben angewandte Art des Typisierens ihre Bedeutung und wird unzureichend. Diese Menschen sind gewiß keine Philister, weil sie nicht Männer der Ruhe und noch weniger der egoistischen Zufriedenheit sind. Aber sie sind auch nicht tun jeden Preis Vorwärtsstürmende in dem Sinne, wie wir es bei den Vorherigen sahen. Bei jenen kam das Vorwärtsdringen aus der Gesetzlichkeit des Geltungsstrebens. Hier dagegen müssen wir von einem andersartigen, sublimierten Vorwärtsdringen sprechen, von der Entfaltung der persönlichen Werte als Mittel zu hohen Idealen. Hier ist die Wertentfaltung nur ein Teil des universellen Ideals, aber nie der Selbstzweck der bloßen Geltungssucht. Hierher gehören die Propheten, die großen Priester, die ideal gesinnten Gelehrten und Künstler, die echten Nationalhelden und die großen Politiker. Hier können wir nicht von Klassen, sondern nur von ethischen Persönlichkeiten sprechen und damit wird die Darstellung äußerst schwer. Aufstieg und Anerkennung sind bei ihnen sehr verschieden. Bei den meisten sind ihre Gönner die persönliche Bescheidenheit und die von der Sehnsucht nach großen Zielen angefeuerte Ausdauer. In der Tat gehört hierher nur ein sehr kleiner Teil von Gelehrten, Erfindern, Politikern und Künstlern. Aber eben das sind diejenigen, die eigentlich dieses Namens würdig sind, so die Politiker, deren Laufbahn kein Erwerb oder Sprungbrett zum Vorwärtsdringen ist, sondern ein wirkliches Ideal, wie z. B. bei Washington, Kossuth, Bismarck, Ghandi.
— 127 — Bei diesen ist der eigentliche Aufstieg nicht wichtig, ist eigentlich gar keiner. Der wirkliche Aufstieg ist der Sieg der Ideale. In der Tat ist es bei ihnen sehr schwer, die soziologische Prüfung des Aufstieges vorzunehmen. Dazu müßten wir uns erst mit der Soziologie des Durchdringens der Ideale beschäftigen. Die Männer der großen Ideale sind diejenigen, durch deren Persönlichkeit wir uns großen Ideen nähern können, und deren Verehrung kein leerer Persönlichkeitskult ist, sondern die Huldigung vor den edelsten, menschlichen Werten, ein Streben nach dem wertvollsten, inneren, seelischen Sein, nach dem Offenbaren selbstloser Idealität, ein Streben, das aber nur selten zum Siege führt. Aber wenn auch nicht jeder in diese Höhe gelangen kann, auf der sie stehen, so steigen wir doch schon durch ihr Beispiel, durch die Beschäftigung mit ihnen, und werden irgendwie reiner und erhabener durch sie. ANHANG. «) Die neu H o c h g e k o m m e n e n . Im weiteren werden wir noch über die sprechen, die rasch durch ein bestimmtes, großes, materielles oder Liebesglück emporgekommen sind. Bei diesen können wir nicht im unmittelbaren Sinne des Wortes von einem Aufstieg sprechen, der in ständigen, allgemeinen Gesetzen, oder in einer bestimmten gesellschaftlichen Tätigkeit seine unbedingten Gründe hätte. Losgewinn, Erbschaft Geschenke, mit denen man vorher nicht rechnen konnte, oder die durch einen Freund plötzüch erreichte hohe Position und Wohlhabenheit: all dieses ruht in unberechenbaren Gründen oder entsteht aus solchen Gründen, die nicht unbedingte Ursachen für die Folgerungen sind. Lotteriegewinne, Geschenke bleiben naturgemäß nur in der Hand derjenigen, die den nötigen Geschäftsgeist haben und die für günstige Investierung sorgen können. Die Gesellschaft sieht meist mit sehr wenig Achtung auf die schnell Reichgewordenen. Wenn der Glückliche sympa-
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thisch ist, dann freut man sich, daß er in eine bessere Lage gekommen ist, aber man ist nicht geneigt, ihn ebenso anzuerkennen wie den langsam Vorwärtsgekommenen. Die plötzlich über materiellen Reichtum Verfügenden finden meistens bei den weniger als sie selbst gebildeten Kaufleuten oder bei ebenso plötzlich Reichgewordenen ihre engeren Gesellschaftsverbindungen. Der neue, „standesgemäße" Kreis, zu dem man sich erhoben hat, anerkennt die neuen, materiell Gleichgestellten nicht und mit dem alten wollen sie nichts mehr zu tun haben. Eine satirische Literatur hat sich über die Emporkömmlinge gebildet, die um jeden Preis mit den hochgestellten Persönlichkeiten Verbindung suchen und die Vornehmen sofort zu sich einladen. Die Neureichen finden kaum Aufnahme, wenn sie sich nicht besonders geschickt anpassen und dabei bescheiden und aufrichtig sind. Diese Anerkennung ist erst bei der zweiten — und vor Jahrhunderten, war sie erst bei der dritten oder vierten — Generation vollständig zu erreichen. Wenn der plötzlich Reichgewordene über eine besonders gute Ausbildung verfügt oder über eine adelige oder aristokratische Abstammung, dann blickt man allmählich so auf ihn wie auf einen wieder Zurückgekommenen. Man anerkennt ihn gern als standesgemäß, obwohl seiner vorherigen, niedrigeren Lage wegen noch lange ein unangenehmer, spöttischer Beigeschmack bleibt. Die plötzlich Reichgewordenen, die vorwärtsdringen wollen, werden meistens übermütig, wenn sie ihr Glück sehen, und maßlos in ihren Unternehmungen. Hier ist die einfache Erklärung dafür, daß die plötzlich Reichgewordenen in großer Zahl so rasch wieder arm werden. Gleichzeitig mit dem Streben nach noch größerem Reichtum bringen sie große Opfer im Interesse ihrer gesellschaftlichen Anerkennung. Sie können aber nicht verstehen, daß das Prahlen mit ihrem Neureichtum (Protzen), ihnen viel weniger Freunde gewinnen kann als die bescheidene, offene Annäherung. Die Aufnahme in die Gesellschaft hängt meistens von einzelnen, maßgebenden Persönlichkeiten oder von einflußreichen Familien ab. Wenn diese mit dem Neureichen zusammenkommen, mit ihm in Verbindung treten, dann ist auch für die anderen das Eis gebrochen.
— 129 — Aber oh weh, wenn der plötzlich Reichgewordene rasch wieder arm wird, dann muß er das Sichabwenden der Neugewonnenen in der ganzen Strenge sehen. Diese sind fast auf sich selbst böse, daß sie mit jenem so schnell Beziehungen angeknüpft haben. Natürlich ist die Lage des Aristokraten oder des besonders Gebildeten, wenn sie ihr Vermögen verloren haben, günstiger und vorteilhafter. Wenn die plötzlich Reichgewordenen Philisternaturen sind, die ihren Reichtum froh nehmen, äußerst zufrieden damit sind und nicht noch weiter zu kommen wünschen, so ist die Lage eine wesentlich andere. Sie finden irgendwie mehr Sympathie als die Vorwärtsstrebenden. Wenn diese Philisternaturen ihr Geld glücklich investieren und ihr Vermögen sichern, können sie dem neuen, gesellschaftlichen Kreis allmählich viel näher kommen als die Vorwärtsdringenden. Die begabten, strebenden Aufsteigenden sind der Gesellschaft viel unsympathischer als die nicht begabten Philister. Die Menschen sehen von Natur aus die als ihre Feinde an, und hassen jene, gegen die sie kämpfen müssen. Auf die Ungefährlichen brauchen sie nicht von vornherein böse zu sein. Anderseits können aber die Philisterneureichen, die im Interesse der Investierung ihrer Gelder keine weitere Spekulation anfangen und die sich nicht so viel mit Geldangelegenheiten beschäftigen, bei den unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen viel schneller wieder verarmen als die Vorwärtsdringenden. Sie finden, wenn sie wieder arm werden, unvergleichlich mehr Mitleid und Verständnis als die Vorwärtsdringenden. Auf die Vorwärtsdringenden sieht man, wenn sie fallen, mit Schadenfreude. Und in dieser Schadenfreude ist etwas von Siegesbewußtsein verborgen. In der Anerkennung der Neureichen scheint die allgemeine Amerikanisierung, die immer fortschreitende Verwischung der amerikanisch-europäischen Unterschiede, große Änderungen zu bringen. Eine sehr bedeutende Schicht der amerikanischen Gesellschaft besteht aus schnell Reichgewordenen und rasch Armgewordenen. Hier besteht einerseits die demokratische Neigung, auch Ärmeren oder Armen, wenn sie sonst sympathisch sind, in die eigene Gesellschaftsschicht — wenn auch nicht als vollwertig — aufzunehmen. V i d a , Aufstieg.
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— 130 — Anderseits hat man sich schon daran gewöhnt, die oft sich ändernde, materielle Standeszugehörigkeit und die gesellschaftliche Zugehörigkeit nach den oft wechselnden Beziehungen von heut auf morgen zu verändern. Hier hat das Ausscheiden aus einer gesellschaftlichen Schicht keine demütigende oder erniedrigende Bedeutung; es ist allein eine schlechte Spekulation, die durch eine gute wieder auszugleichen ist. Diejenigen, die von heut auf morgen aristokratischen Rang oder Adel gewinnen („nuova gente"), werden auch nicht so anerkannt wie etwa die seit Jahrhunderten adeligen Familien. Hier gibt es große Unterschiede auch darin, über welche Bildung oder höheres Wissen die verfügen, die heraufkommen, oder aber, in welcher materiellen Lage sie sich befinden. Wenn ihre Lage in beiden Hinsichten günstig ist, sind Anerkennung und Aufnahme leicht zu erreichen. Wenn sie nur reich sind, aber nicht über eine besondere Bildung verfügen, suchen sie mit der Schicht noch reicherer Großkaufleute und mit Industriellen in Beziehung zu kommen, denen der neue Rang ihrerseits imponiert. Sie gehören eine Zeitlang ebenso in keine Gesellschaftsschicht wie die plötzlich Reichgewordenen. Ebenso ist die Lage derer, die unter Vermeidung der üblichen Beamtenstufenfolge durch ihre guten Protektionsverbindungen oder durch die Politik plötzlich in eine hohe Stellung hineinkommen. Die langsam Aufgestiegenen sind nicht bereit, deren Überlegenheit anzuerkennen und treten nach Möglichkeit geschlossen gegen sie auf. Ihre Lage ist in vielem der der beiden obenerwähnten Gruppen ähnlich. Aber auch hier kann die besondere Ausbildung, weiterhin die Begabung, zur vollen Anerkennung und Aufnahme seitens der Übelwollenden und Abweisenden führen. ß) Die spezielle Lage der Frau beim Aufstieg. Als wir uns in dem Bisherigen mit den Problemen des Aufstiegs in den verschiedenen Berufen beschäftigten, haben wir in erster Linie den Aufstieg des Mannes vor Augen gehabt. Im Folgenden wollen wifdie speziellen Beziehungen des Frauenaufstiegs in den verschiedenen Berufen ins Auge fassen. Für
— 131 — die Frau wurde in unserer vaterrechtlichen Kultur als der von der Natur bestimmte „gottgewollte" Beruf der der Lebensgefährtin an der Seite des Mannes und der Mutter betrachtet. (Das Weib — nach Rickert — in der Versorgung der momentanen Güter des Lebens, der Mann, in dem ewigen Streben nach Totalität, ergänzen einander beiderseitig.) Für die Frau war in dem Sinne wie für den Mann überhaupt keine eigene soziale Aufstiegsmöglichkeit vorhanden, — nur durch den Mann. Die Frau ist in ihrem Beruf zum Ziele gelangt, indem sie das Gefallen eines Mannes so erworben hat, daß sie von ihm zur Frau genommen wurde. Mit der Heirat ist die Frau als Anhängsel mit dem Berufsschicksal des Mannes auf- und abgestiegen. Weil für die „allein ziemenden" mütterlichen und hausfraulichen Tätigkeiten viel weniger Ausbildung nötig war, hat die Frau durch viele Jahrhunderte über viel geringere und Tinbedeutendere Ausbildung verfügt als der Mann. Die Wirkung dieses Umstandes hat man nachher mit der Ursache verwechselt. Die Uberlieferung belegend, hat man es so aufgefaßt, daß betreffs des Wissenshorizontes und der Tragweite das Weib unbedingt hinter dem Manne zurückbleibt. Wenn sie auch in der einseitigen vaterrechtlichen Herrschaft zeit- und teilweise in einer angenehmeren und verschonteren Lage war als der Mann, so war sie dennoch unterdrückt. Aus der vaterrechtlichen Erziehung heraus ist im Laufe der Zeit die allgemeine Meinung über eine gewisse niedere Geistigkeit und Inferiorität der Frau entstanden. Diese Meinung herrschte bis in die letzten Jahrzehnte1) und auch heute läßt sie ihre Wirkung noch immer fühlen. In den letzten Jahrzehnten hat dann aber eine mächtige Veränderung stattgefunden, die ganze Legionen von Berufen den Frauen geöffnet hat. Wenn sie auch bei manchen Berufen konstitutioneller und physiologischer Gründe wegen nicht ihren Mann stellen konnten, haben sie bei anderen eben aus diesen Gründen heraus die Männer überflügelt. In den geistigen Berufen haben sie (wenn das auch noch nicht in So z. B. stand auch Nietzsche, der in vielem weiter als sein Zeitalter gesehen hat, so sehr unter diesem Einfluß, daß er gegen die Gymnasialbildung der Frauen Stellung genommen hat.
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— 132 — der Statistik zum Ausdruck kommt) die fast völlige Gleichberechtigung mit dem Manne erreicht1). Heute besteht denn auch eine eigenartige Dualität betreffs der Frauenberufe und des Frauenaufstiegs und unter dem Gewicht dieser Dualität wird heute oft die physiologisch und psychologisch zartere Frau zermalmt. Wir stecken ja immer noch trotz der vielen Reformen in der einseitigen vaterrechtlichen Gesellschaft und Eheordnung. Die alte Überlieferung über den alten Beruf und die alte Aufgabe ist noch heute erhalten. Das nicht zur Ehefrau genommene Weib wird in einer gewissen Weise von oben herunter bemitleidet und als nicht zum Ziel und zur Funktion gelangt betrachtet. Diese spöttische Bemitleidung könnte man als ein Herabsehen betrachten, durch das quasi zum Ausdruck gebracht werden soll: „Seht ihr, dieses Weib wollte niemand als Frau haben." Noch heute ist es die höchste Sehnsucht und Ambition der Eltern und natürlich der Töchter selbst, einen Mann zu finden. Darum dreht sich alles2). Eben deshalb sind sie auch zu einem gewissen Herabsteigen bereit, nur um in einer anderen Hinsicht, zu der gesellschaftlichen Würdigung als Frau, aufzusteigen3). Die heutige Frau geht in den meisten Fällen mit folgenden Vorbehalten in ihre Laufbahn: „Im In der Tat aber kommen die sich in intellektuellen Berufen befindenden Frauen größtenteils aus der Oberschicht. Der Grund hierfür ist der, daß die niedrigeren Klassen es nicht als rentabel empfinden, ihre Töchter lange Zeit hindurch ausbilden zu lassen, da sie letzthin als Ehefrauen gedacht sind. Von den zu den geistigen Führern gehörenden Frauen stammen 90,5% aus der geistigen und wirtschaftlichen Oberschicht (Soz. Auf- u. Abst., S. 132—3). Allerdings muß man berücksichtigen, daß die Gesamtzahl der nach sozialer Herkunft geprüften Führerfrauen nur 53 war. 2 ) Eben das Gegenteil ist der Fall bei etlichen mutterrechtlichen Gesellschaften, wo sich die Frau einen Lebensgefährten wählt. Bei den .Loango-Negern bestellt die Frau für sich Männer als Gatten und schickt sie wieder weg. Bei den Pueblo-Indianern ist der Mann ganz der Laune seiner Frau ausgeliefert. Wenn die Frau seiner überdrüssig geworden ist, so schickt sie ihn einfach zu seiner Mutter zurück und nimmt einen anderen Mann (cf. Pechuel-Lösche: ,,Aus dem Leben der Loango-Neger" und „Volkskunde von Loango" und Turnwalds Buch, Lit. IV). 3
) Mit naiver Offenherzigkeit sagt ein ungarisches Volkslied: „Wie gut wär's, wenn ein Bursch mich heiraten würd', Macht nichts, wenn er mich täglich verprügeln würd', 'Nur mein Titel ,Die junge Frau' heißen würd'."
— 133 — schlimmsten Falle, wenn ich nicht geheiratet werde", dann wird diese Laufbahn mir gut bekommen, oder „wenn ich im Berufe stehe, finde ich eher einen Mann",, ,man wird mich eher nehmen, wenn ich auch selber etwas verdienen kann" 1 ). Um das Geheiratetwerden dreht sich noch immer das primäre Moment und die Laufbahn ist im allgemeinen sekundär. (Wenn die Frau zu unschön ist oder einen körperlichen Defekt hat und darum nicht auf Heirat hoffen kann, dann ist erst die Voraussetzung da, sich völlig dem Beruf zu widmen.) Die heutige, noch in der Tradition lebende Frau ersehnt — wie gesagt — in den meisten Fällen ihren Beruf als Übergangszustand und auch die sie Anstellenden betrachten die Anstellung als solche. Bei den Frauen kann man mit einer — bei den Männern üblichen — jahrzehntelangen Berufstätigkeit nur rechnen, wenn sie nicht heiraten. Die über weniger weibliche Schönheit Verfügenden, die viel geringere Heiratsaussichten haben als ihre schöneren Schwestern, werden schon von vornherein als ständigere und ernstere Elemente angesehen. Für die Frau im Beruf ist noch immer die Gefahr da, — besonders in kleineren Ortschaften, — daß in ihr nur die Frau gesehen wird und sie nicht ernst und beruflich weniger gern genommen wird2). Die Ämter hätten es für ungerecht gehalten, eine Frau über den Mann zu stellen, der über gleiche Qualifikation wie sie verfügt. Die Frauen, die nur einen vorübergehenden *) Die Statistik zeigt in der Tat, soweit es durch sie erfaßt •werden kann, daß die berufstätigen Frauen in Deutschland viel günstiger heiraten, als die im elterlichen Haushalt ohne besonderen Beruf Lebenden. So ist das selbst bei den Oberschichten der Fall, wo doch günstigere Mitgiftverhältnisse sind. So werden z. B. die erwerbstätigen Frauen aus der Oberschicht in 69,1% der Fälle von einem zur Oberschicht gehörenden Manne geheiratet. Dagegen wird die nicht erwerbstätige Frau der Oberschicht nur zu 4 5 % vom Manne aus der Oberschicht geheiratet (Soz. Auf- u. Abst., S. 75). 2) Ein älterer, schwerkranker Bauer im Dorf I-n in Oberhessen ließ die von einer weit entfernten Stadt zu ihm geholte Ärztin damit zurückschicken: „Von dieser S c h ö n h e i t s k ö n i g i n laß ich mich nicht untersuchen, vielleicht, wenn ich jünger wäre." Woraus kraß genug ersichtlich ist, wie in ihr nur das Geschlecht und nicht die Vertreterin ihres Berufes gesehen wurde.
— 134 — Beruf suchen, oder mindestens die, die durch das Geheiratetwerden von irgendeinem Mann zum „Ziel" kommen können, die in ihrer Aufstiegsmöglichkeit eng an einen Mann gebunden sind, können nicht über den Mann gestellt werden, ohne daß dies als eine arge Beschämung des Mannes aufgefaßt würde. In den Frauenberufen ist heute im allgemeinen noch irgend etwas von dem Übergangsgepräge vorhanden und die traurige Dualität läuft zwischen diesem Übergangsgepräge und doch „der Dauer für das ganze Leben" ab. Sie erleiden die Nachteile ihrer Übergangseinstellung und genießen in Wirklichkeit nicht die Vorzüge des bloßen Übergangs, indem sie in großer Zahl doch nicht geheiratet werden. Die Frau hat einerseits ein leichteres Schicksal, insofern sie mit der Heirat ihren Aufstieg und ihre Karriere machen kann, und anderseits ein schwereres, weil die Möglichkeiten zur Heirat immer illusorischer werden und sie diesen potentiell bestehenden, aber nicht genossenen Vorteil teuer bezahlen muß. Wir haben in der obigen Ausführung die Frau im Amt als Paradigma genommen, aber im ganzen gestaltet sich bei allen Berufen das Schicksal der Frau ähnlich. (Sogar bei den selbständigen Unternehmern und den akademischen Berufen.) Auch bei dem nach der Heirat oder sogar nach der Geburt ihrer Kinder weitergeführten Beruf bleiben für die Frau verschiedene Nachteile vorhanden. In ihrem neuen Namen wie auch in ihrer gesellschaftlichen Beurteilung bleibt sie von dem Manne abhängig und ist in ihrer Tätigkeit dem selbständiger und freier sich bewegenden Mann gegenüber im Nachteil. Der einzige Beruf, wo zwischen der Geltung des Mannes und der Frau fast kein Unterschied vorhanden ist, ist der künstlerische. Natürlich betrachtet z. B. die nicht zur Frau genommene Schauspielerin sich auch als eine weniger Aufgestiegene als die verheiratete. Der Aufstieg der Frau ist neben den Berufen — wo sie überall in einer gewissen nachteiligen Lage ist — primär auf die Heirat basiert. Je höheren Ehrgeiz die Frau besitzt, einen desto klügeren, reicheren, mächtigeren Mann will sie als Ehegatten haben, und den Aufstieg will sie in diesem Falle so haben, daß nicht sie selbst dafür kämpft,
— 135 — sondern daß sie, indem sie geheiratet wird, von dem darüber Verfügenden ihn zugeteilt bekommt. Wenn die Frau verheiratet ist, so wird ihr Aufstiegswunsch sich in Anregung und Antreiben zum Weiterkämpfen auswirken; und in der Tat ist neben einer aufwärts strebenden Frau das Schicksal eines philisterhaften Mannes ebenso qualvoll, wie Ansporn und Bekräftigung der hochstrebenden Frau für den hochstrebenden Mann günstig und heilsam sein kann. y) Aufstieg durch Heirat. Ein umfangreiches Buch aber könnte über den gesellschaftlichen Aufstieg durch Heirat geschrieben werden. Die Sehnsucht der Liebenden, das Verlangen, ein Leben hindurch einander zu gehören, kennt keine Schranken, Schichtoder Rangunterschiede. Im eigentlichen Wesen der Liebe liegt jenes instinktive Gefühl, daß bei keinem anderen Wesen das zu finden ist, was bei diesem Geliebten angetroffen wird. Durch alle Zeiten wird es gut sein, mit ihm zusammenzuleben. Das Gefühl der Liebe hebt den Liebenden über seinen maßgebenden Gesellschaftskreis hinaus; hebt ihn noch mehr hinaus über alle künstlichen, gesellschaftlichen Schablonen, über das „Man" (um mit Heidegger zu sprechen), wo die Anpassimg aneinander in der Masse den Liebenden vorher geführt hat. Das elementarste, natürliche Gefühl der Liebe steht höher als das bedingte Gefühl zu „Man", steht über den Konventionen und strebt nach unbedingter Geltung. Die Form der vollkommenen, dauernden Lebensgemeinschaft ist aber nur in der moralischen und rechtlichen Einrichtung einer Art „Ehe" möglich. Derjenige, der eine Liebesheirat schließt und der den anderen Teil aus niedrigerer Abstammung zu sich heraufhebt, ihn teilhaben läßt an seinem Vermögen, evtl. an seinem Rang, erkennt ihn natürlich vollkommen an. Nicht nur, daß er mit ihm zu einer Gesellschaftsschicht gehören will, sondern auch — nach den Worten der Kirche — „Fleisch aus seinem Fleische, Blut aus seinem Blute" sein will, er sehnt sich danach, in gegenseitiger Liebe und in gegenseitigem Verständnis mit dem anderen völlig eins zu werden. Durch die Eheschließung erkennt der Liebende also den aus der niedrigeren Klasse
— 136 — Stammenden an. Aber die Familienangehörigen bleiben in der von gesellschaftlichen Vorurteilen gefangen gehaltenen Gemeinschaft, in dem „Man". Noch mehr ist in den Vorurteilen des „Man" diejenige Schicht befangen, in die der eine Mesalliance Schließende hineingehört. Hier ist für die gesellschaftliche Anerkennung und die allgemeine Würdigung des sozial niedriger Stehenden die Beziehung zwischen den beiden gesellschaftlichen Schichten ausschlaggebend. Die Familie nimmt vielleicht noch aus Liebe zu dem Angehörigen den gesellschaftlich tiefer Stehenden auf und erkennt ihn an. Die Gesellschaft tut das allerdings nur dann, wenn der Klassenunterschied nicht allzu groß ist. Aber auch die Familie ist gegenüber dem Aufgenommenen kritischer und sympathisiert meist wenig mit ihm. Bei irgendeinem fehlerhaften, unrichtigen Vorgehen ist sie schnell bereit, ihn auszustoßen, und gereizte, gehaßte Leute machen leicht Fehler. Dieses Ausstoßen kann noch leichter in der Schicht der höherstehenden Gesellschaft vorkommen, vorausgesetzt, daß der Ehegatte überhaupt aufgenommen wurde. Die feindliche Gesinnung der Familie und der Gesellschaft wirkt mit der Zeit meistens auch auf das Ehepaar ein. Weil doch für das Gefallen oder Nichtgefallen, für das Tim und Lassen jedes Menschen die anderen richtunggebend sind, vor allem aber die maßgebende Gesellschaftschicht, so ist dann der, der eine Mesalliance geschlossen hat, leicht geneigt, gegen seinen Ehegatten ungerecht und ungeduldig zu sein, das Eheleben zu trüben und sich evtl. scheiden zu lassen. Bei dem ruhigen, guten „Philister" ist diese Ungerechtigkeit in der Liebesehe noch regelmäßiger als bei denen, die mehr ihren eigenen Weg gehen. Aber sehr oft bleibt der aus einer niedrigeren Schicht stammende Ehegatte maßgebend selbst gegenüber den Meinungen der Familie und der Gesellschaftsschicht, und seine Meinung, sein Gefallen oder Nichtgefallen bleibt für den anderen Teil das entscheidende Moment. In der Tat wird bei der wirklichen Liebe der Gegenstand der Liebe maßgebend, sein Gefallen oder Nichtgefallen bleiben höchste Werte. In der Ehe ist es natürlich äußerst wichtig, daß die Liebe beiderseitig ist. In jedem Falle können wir in Ehen mit großen Klassenunterschieden bei dem gesellschaftlich
— 137 — Höherstehenden unbedingt Liebe voraussetzen. Dagegen können bei den niedriger Stehenden gerade wegen der Interessenumstände mit Recht Zweifel gegenüber seiner Liebe auftauchen. Natürlich kann der eine Interessenheirat Schließende auch Liebe und Güte für den Ehegatten haben und kann nach den verbrachten Jahren, um mit Kierkegaard zu sprechen, „die Einzigkeit" seines seelischen Wesens kennenlernen. Gewiß haben die eine Interessenheirat schließenden, sich anpassenden, ehrlichen Menschen öfter eine glücklichere Ehe, als es bei den im schnellen Rausch geschlossenen Liebesheiraten der Fall ist. Es ist noch zu bemerken, daß Interessenheiraten auch ohne materiellen und ausgesprochen gesellschaftlichen Aufstieg möglich sind, besonders bei Frauen. In der Tat ist ja auch heute noch die Lediggebliebene und die nicht zum Weib genommene Frau dem gesellschaftlichen Spott ausgeliefert. Um sich von diesem Spott und dem Altjungfernzustand zu befreien, ist die Frau auch zu ungünstigen, liebelosen Heiraten geneigt, nur um heiraten zu können1). Dieser Umstand ist noch stärker geworden durch das Sterben der Männer im Kriege und durch die wirtschaftliche Lage, die einen großen Teil der Männer von einer Familiengründung fernhält. Diese Interessenheirat ist die Erklärung dafür, daß die Frau dem Manne gegenüber oft so dasteht wie, um mit Hermann Löns zu sprechen: „der Arbeiter dem Arbeitgeber gegenüber". 1 ) Die Statistik zeigt, daß die Frau sich in größerer Zahl unter ihrem Stand verheiratet als der Mann. So z. B. sind — um einige charakteristische Zahlen zu nennen — während im Jahre 1929 in Bayern die selbständige Unternehmungen besitzenden Frauen in 1082 Fällen von Gewerbearbeitem geheiratet worden sind, Gewerbearbeiterinnen in der gleichen Zeit von selbständigen Gewerbeunternehmern nur in 329 Fällen geehelicht worden. Oder: während die selbständigen Frauen von Handel und Verkehr in 168 Fällen von Gewerbearbeitern geheiratet worden sind, war die Zahl umgekehrt nur 29 usw. Allerdings scheint ein anderes Verhältnis bei den Landarbeiterinnen der Fall zu sein, die in sehr großer Zahl von selbständigen Bauern (bzw. Fischern und Forstwirten) geheiratet werden. Aber es handelt sich hier um selbständige Kleinbauernkreise, wo der Sohn erbt bzw. von dem Grundbesitz einen Teil zugeteilt bekommt und infolgedessen selbständig ist, und die Tochter bei der Heirat „ausgezahlt" wird und bis in die Ehe unselbständige Arbeiterin oder „mithelfende Angehörige" ist. (Nach der amtlichen Bayr. Berufsstatistik.)
— 138 — Obwohl der Heiratsaufstieg oft nichts anderes ist als Rücksichtslosigkeit und seelisches Sinken, so kann er doch für den ehrlichen, sich anpassenden Menschen ein Geschenk des Schicksals sein, das zu höheren Glücksmöglichkeiten und zu einer ergebnisvolleren Entfaltung der Fähigkeiten führen kann, im Interesse der ganzen Gesellschaft. In diesem Sinne können wir von wirklichem Heiratsaufstieg sprechen. Sonst ist der Heiratsaufstieg ein in den gesellschaftlichen, erlaubten Formen geschehender Gelddiebstahl und eine Ranganmaßung, für die die Gesetze keine Strafe geben können.
VI. K a p i t e l .
Der seelische Aufstieg. yityoLlo 'V av ixaytvg, ei XCCTU rrjv ünoxet.fifyrjy vkrjv SiaoatptjifeCr]' 10 yäci axoißk; s% ouoüo; ir anaai rois Xoyou; knt^rjfTi^tioyt wo.ifo oi)S' ¿y Tot? Srjfiiov(>yovfi4yois. Aristoteles Eth. Nie. 1094. b 11—14.
In diesem Kapitel wollen wir uns mit der Prüfung des Problems des,.seelischen" Aufstiegs beschäftigen. Zuerst müssen wir den Begriff näher erörtern. Unter „seelischem Aufstieg" verstehen wir die mit dem sozialen Aufstieg parallel gehende Bereicherung im qualitativen Werte der Seele und des Geistes. Genauer genommen darf man nicht von der Parallelität des sozialen Aufstieges sprechen, weil der seelische Aufstieg den eigentlichen I n h a l t des sozialen Aufstiegs bedeutet. Der seelische Aufstieg ist auch keine Selbstbestätigung des sozialen, weil das Bestätigen nämlich hinweist auf ein vorhandenes Vorhergehendes, auf das B e s t ä t i g e n d e , an das sich die Bestätigung knüpft: sondern es ist eben der erste Kern und das Wesen jeglichen Aufstieges. Der soziale ist in dieser Weise ein Sekundäres neben dem seelischen Aufstieg. Deshalb schiene es auf den ersten Blick richtig und zweckmäßig, wenn wir erst das Wesen und den inneren Kern (den seelischen Aufstieg) und dann nachher die äußere Hülle prüften. In der Tat aber geschieht die wissenschaftliche Erkenntnis nicht in der Reihenfolge der Wichtigkeit. Die Oberfläche können wir mehr oder weniger gut wahrnehmen, aber das metaphysische Wesen bleibt ewig eine regulative Idee. Um auf das metaphysische Wesen irgendwelchen Schluß ziehen zu können, müssen wir bereits im Besitz des Äußeren, Erkennbaren sein, weil unser Erkenntnisweg immer in langsamer Stufe ein Schluß vom Äußeren zum Inneren, von dem weniger Wichtigen zu dem Wichtigeren ist. Be-
— 140 — sonders besteht dieser Weg bei solchen Untersuchungen von mehr praktischer Natur, wie sie durch den Gegenstand der Gesellschaftsphilosophie und das — oft bis ins Übertriebene gesteigerte — „soziologische" Gewohnheitsrecht bestimmt sind. Allein betreffs des gesellschaftlichen Problemes des Aufstiegs scheint die metaphysische Wurzel wohl in vielem unwichtig zu sein, weil die Untersuchung des in der Gesellschaft geschehenen Aufstiegs schon an und für sich viel mehr auf ein äußeres Phänomen gerichtet ist. Wenn wir aber das Gesellschaftliche klarer sehen und erkennen und die tieferen Gründe hierfür erforschen wollen, so müssen wir notwendigerweise zu gewissen metaphysischen Untersuchungen gelangen. In diesem Falle ist es der seelische Aufstieg. Der seelische Aufstieg ist ein eigenartiges Moment, welches zu allen angenommenen Aufstiegsphänomenen aus uns selbst heraus als ein gewisses seelisches Noumenon hinzugegeben wird. Dieses Hinzuzugebende hängt mit unserer ganzen Haltung und Stellungnahme zusammen, die wir dem Aufstiegsgegenstand gegenüber einnehmen. Der Grund allen Aufstiegs hängt von unseren, zum Aufstieg die Möglichkeit bietenden seelischen Qualitäten ab. Fassen wir nun zuerst den Aufstieg im Sammeln materieller Güter von dem Gesichtspunkt dieses Seelischen her ins Auge. Jemand verfügt über ein gewisses Vermögen; ein anderer hat ein Drittel soviel. Wenn der erste weniger fähig ist, sein Vermögen anzuwenden oder zu genießen, der andere dagegen hierzu überaus geeignet ist; wenn der eine an das Phänomen des Vermögens solche Ansprüche stellt, daß ihm daneben sein Vermögen noch immer viel zu gering bleibt, der andere dagegen nur solche Ansprüche hat, daß er sich neben dem ersteren reich fühlt: dann wird bei dem primär quantitativen Charakter tragenden materiellen Aufstieg die quantitative Verhältnismäßigkeit — was allgemein als selbstverständlich betrachtet wird — sehr fraglich. Zu dem Vermögensreichtum und Vermögensaufstieg müssen eben noch seelische Werte hinzukommen. Im wirklichen Sinn ist Eigentum damit noch nicht gegeben, daß jemand nach dem Recht als Eigentümer von etwas
— 141 — bezeichnet wird. Schon das römische Recht hat neben dem Vorhandensein der zur Besitzanwendung nötigen körperlichen Nähe auch noch den Benutzungswillen (apprehensio) vorausgesetzt. In der Tat aber bedeutet Willensneigung hier noch zu wenig. Jemand kann vorhaben, sein weniges Vermögen zu genießen, mit niedrigen Ansprüchen sich zu begnügen und mit dem Wenigen zufrieden zu sein: Aber der Wille allein wird nicht genügen. Der Wille selbst wird nur zur Sehnsucht und kommt nicht zur Erfüllung, wenn der Betreffende anders gejätet ist als seine Willensrichtung. Mit dem Willen können höchstens seelische Einstellungen unterdrückt, aber nicht vernichtet werden. Es steht selbst nicht in der Macht des reinen Willens, neue seelische Werte zu schaffen: mit keinerlei Willensalchimie kann seelischer Reichtum, der die unzweifelhafte Voraussetzung des materiellen ist, hervorgezaubert werden. Oft malt der nach einem gewissen Reichtum sich Sehnende, Aufwärtsdrängende sich aus, wie gut und schön es nach dem Erreichen sein wird, mit welcher Zufriedenheit er das Erreichte wird genießen können. Es ist seine Sehnsucht und sein Wille. Aber wenn er es erreicht hat, befriedigt ihn das Erreichte nicht, sondern er sehnt sich nach Mehr. Er will noch mehr haben, um sich zu beruhigen. Der Besitz hat eine ganze Reihe von Abstufungen. Die wichtigsten Lebensbedürfnisse, wie Speise und Wohnung, gehören bei einem gewissen niedrigen Geistesniveau dem Kreise des Trieblebens an. So führt der Hungerinstinkt schon das Tier zur Nahrung und Nahrungsaufspeicherung und der Verteidigungs- und Sicherungsinstinkt zur Schaffung einer Wohnstätte. Wir brauchen aber kaum zu sagen, daß dieser Besitz nicht derselbe ist wie bei einem vernünftigen Wesen, das sich im Besitz von Wohnung und Nahrung befindet. Dieser Unterschied ist nicht so zu verstehen, daß der Mensch etwas Anderes als Nahrung und Wohnung wählt. Wenn wir um eines Vergleiches willen annähmen, daß Mensch und Tier über gleiche Speisen und gleiche Wohnung verfügten, dann wird deshalb noch nicht der eine ebenso Eigentümer der Sache wie der andere. Das Wesen des Eigentums hängt zusammen mit einer Fülle von Neigungen und Fertigkeiten, mit denen wir den zum Eigentum genommenen Gegenständen gegenüberstehen
— 142 — können. Wenn ein Affe ein kostbares Miniaturbild stiehlt, so •wird er damit noch nicht sein tatsächlicher Eigentümer in dem Sinne wie z. B. ein Kunstsammler. Das Beispiel mit dem Tier haben wir um der schärferen Hervorhebung willen gewählt1). Aber die Abstufungen bestehen, wenn auch in anderem Grade, auch zwischen den Menschen. Ein reicher Börsianer, der nichts von Kunstwerken versteht, kauft unbesehen ein wertvolles Gemälde. Er sieht es an, verwahrt es, schreibt es in das Verzeichnis seiner Mobiliargüter; nach einiger Zeit läßt er es wieder schätzen und notiert den Gewinn. Den zu ihm kommenden hohen Gästen zeigt er es bei jeder Gelegenheit und freut sich seines Eigentums, das eine ausgezeichnete Kapitalsanlage darstellt. Er ist nicht in der gleichen Weise Eigentümer wie z. B. eine verständige, hochgebildete Seele, die bei jenem Kunstwerk die Phantasie, den Reichtum der Farbenmischungen, die tiefgesehene und hervorgehobene Anmut, die Geschicktheit der stark gezeichneten Dynamik in der Bewegung, die weitgreifende Wiedergabe der Phänomene des seelischen Lebens sieht. Sie bewundert darin die architektonische Schönheit und Einteilung; sie sieht und kennt alle darin liegenden Werte. Dieser kunstverständige Besitzer des Gemäldes ist in der Tat ein ganz anderer Eigentümer des Kunstobjekts als der oben dargestellte Börsianer. Mit diesen vielleicht zu scharfen Beispielen wollten wir die großen Verschiedenheiten zum Ausdruck bringen. In der Tat aber sind nicht nur in solchen großen Zügen, sondern sozusagen bei der Besitzausübung jedes einzelnen Menschen individuelle Verschiedenheiten vorhanden. Wir stehen mit individueller Differenziertheit unseren materiellen Besitztümern gegenüber. Eben deshalb zeigen sich jedesmal beim seelischen Aufstieg große Abweichungen. Um falsche Schlüsse zu vermeiden, weisen wir darauf hin, daß das durch den Besitz entstandene Befriedigungs- und Fröhlichkeitsbewußtsein ebenso wie ein Zeichen von seelischem Tiefsinnig sind die Bibelworte: „Eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen" (Matth. VII, 6). Das Schwein will eben keine völlig unfreßbaren Diamanten, sondern genießbaren Mais haben. Der Diamant ist für das Schwein zu abstrakt.
— 143 — Reichtum auch — und bei dem Philistertyp ist dies besonders der Fall — ein solches der seelischen Armut sein kann. Zufriedenheit und Freude kann auch durch Primitivität und seelische Leere hervorgerufen werden. Bei dem, auch mit seinem wenigen Vermögen frohen und sich damit begnügenden Menschen ist die eine Möglichkeit die, daß er das Wenige durch seinen seelischen Reichtum zu einem „Viel" oder zu einem „Genügend" machen kann; die zweite Möglichkeit ist die, daß er seelisch so arm ist, daß, an dieser Armut als Maßstab gemessen, auch das Wenige viel wird. Blicken wir nun auf den seelischen Aufstiegsinhalt beim Machtaufstieg. Macht bedeutet den Besitz eines gewissen Verfügungsrechtes, ebenso wie das Besitztum immer als eine gewisse Macht aufzufassen ist, nämlich über das Besitztum nach seiner Bestimmung innerhalb gewisser Rechtsregeln zu verfügen. Bei dem Besitz der Macht entsteht eigentlich gar kein neues Element, nur ein Wechsel im Verhältnis der Elemente des Besitzes. Die Macht verlangt noch mehr individuelle Eignung und individuelles Verständnis, um über sie richtig zu verfügen, als der eigentliche Besitz. Demgemäß ist die Macht unser Besitztum, insofern wir sie richtig auszuüben fähig sind. Das Bewußtsein der Macht und ihre tatsächliche Intensität hängt ebenso von unseren seelischen Werten und dem zu dem Machtphänomen hinzuzugebenden Noumenon ab, wie wir das beim Besitztum sahen. Ähnliches ist der Fall beim Ruhmaufstieg, worauf wir noch zurückkommen werden. In dem Bisherigen versuchten wir, das in verschiedenen Arten von Aufstieg vorhandene primär seelische Moment fühlen zu lassen, welches das Wesen des Aufstieges bildet. Über das Fühlenlassen dieser Dinge hinaus können wir nie kommen. Die Zahl der verschiedenen Abstufungen sowie ihre qualitativen Werte sind sehr abweichend. Im weiteren wollen wir auf gewisse Komponenten des seelischen Aufstiegs zu sprechen kommen, ohne den seelischen Aufstieg auch nur in seinen Konturen zu erschöpfen. Zu den Faktoren des seelischen Aufstiegs gehört — wie es schon aus dem soeben Vorgebrachten folgt — ein Erfordernis, das wir auch seine praktische Seite nennen dürfen, die
— 144 — Fähigkeit, der gewonnenen Stellung rein äußerlich entsprechen zu können. Beim Reichen besteht diese darin, sein Vermögen verwalten und kontrollieren zu können; bei amtlicher Macht ist es die Fähigkeit äußerlicher Natur, die mit ihr verbundenen Handlungen ausüben zu können. Wer nicht in der Lage ist, diesem Erfordernis zu entsprechen, der kann schon nicht mehr im Besitze seiner Aufstiegsstellung sein. Vermögen, Macht, Rang usw. werdep in diesen Fällen nur Worte für nicht oder nur teilweise passende Begriffe. Die nächsthöheren Erfordernisse sind schon mehr seelischer Art. Es sind Herzensbildung und Intelligenz: Das bedeutet seelischen Überblick und Verständnis der Aufstiegsstellung und ein undefinierbares Taktgefühl, die verschiedensten Situationen ergreifen und zu „höheren" Zweckmäßigkeiten eine gewisse Einsicht aufbringen zu können. Die Neigung zu „Herzenseinsicht" kann natürlich weder durch gesellschaftliche Findigkeit, noch durch Amtsprotektion oder allgemeines Vertrauen erworben werden. Sie ist nicht zu lehren, wenigstens genügt das „Lehren" allein nicht. Sie ist nicht lehr- und lernbar — wie auch keine echte Tugend lehrbar ist — sondern nur aufweckbar dort, wo sie schlummert, wo sie verdeckt war oder aus irgendwelchen Gründen nicht ans Tageslicht kommen konnte. Zu der Herzensbildung gesellt sich als drittes Erfordernis die Forderung des seelischen Gleichgewichts beim Aufstieg. Dieses spielt besonders bei den bescheidenen Philisternaturen eine beträchtliche Rolle. Die erreichte Höhe kann von schwindelerregender, betäubender, aller Sicherheit beraubender Wirkung sein. Das seelische Gleichgewichts-„Labyrinth" des Menschen sagt in solchen Fällen seine Dienste auf. Der Aufgestiegene, sich in seiner Macht wissend und oft wissend und fühlend, daß er seine Stellung auszufüllen fähig ist, wird durch Minderwertigkeitskomplexe in seinem Gleichgewicht erschüttert und kann vor dem Bück der auf ihn Emporsehenden nicht bestehen und trotz des Bewußtseins seines Sachverständnisses und seiner Eignung wird er auf einmal ungeschickt und unsicher. Das Bewußtsein seiner Macht hält ihn hypnotisiert und verblendet und macht für ihn jegliche freie Bewegung unmöglich.
— 145 — Wenn auch solche Gleichgewichtslose überwiegend bei den Philistern aufzufinden sind, tritt uns doch auch bei den Emporstürmenden oft ein ähnliches Phänomen entgegen. Einzelne Personen verfolgen mit aller Kraft ihren Weg, um ihren Traum, das mit vielen Farben ausgemalte Ziel, zu erreichen, und wenn sie es erreichen, dann stehen sie ohnmächtig und handlungsunfähig vor demselben. Sie haben so große Sehnsucht, so überlebensgroße Sehnsucht empfunden, daß ihre Erfüllung und das Bewußtsein des Erfolges sie befangen hält und kraftlos macht. Sie schmachten nach Erfolg, nach Aufstieg, der dann als schwere Last auf sie drückt, unter dessen Gewicht sie zusammenbrechen. Bei dem Reichgewordenen ruft sein Reichtum seelische Bedrängnis hervor; der Mächtige wird zu einer in der Bewegimg gehemmten Figur. Dem, der den Ruhm erreicht hat, verursacht das Bewußtsein seines Ruhmes Lampenfieber; in allen seinen Gliedern fühlt er schwere Gewichte; der Umstand, daß man viel von ihm erwartet, übt auf ihn eine erschreckende Wirkung aus; seine Angst ruft Vorstellungen des Mißerfolges hervor, die dann ideomotorischer Weise wirklich zu Mißerfolgen führen, ähnlich wie z. B. der, der in der Liebeserfüllung einen Aufstieg will, der das geliebte Wesen gewinnen will, ebenfalls von der Angstvorstellung beunruhigt, daß er den Gegenstand seiner Liebe verliert, der Gefangene der Angstvorstellungen werden kann, die ihn überwältigen und Wirklichkeiten werden. Freud (s. Lit. VI) weist auf die Erscheinung hin, daß oft die in skrupellosem und unbarmherzigem Kampf Aufgestiegenen, wenn sie schon aufgestiegen sind, infolge des Druckes ihres Gewissens nicht ihren Aufstieg genießen können. Dem fügen wir noch hinzu, daß in diesen Fällen nach aller Wahrscheinlichkeit außer der mit dem Erreichen des Zieles hervortretenden Unbefriedigtheit jenes Unterbewußtsein schwer auf ihnen lastet, daß sie anderen vergebens geschadet haben, ohne sich selbst damit zu nützen: Das macht dann ihre Lage zur Gewissenshölle und sie selbst kraftlos und handlungsunfähig. Wenn auch das Gewissen beim seelischen Aufstieg eine bedeutende Rolle spielt, so haben wir es doch in den charakteristischen Fällen der Aufstiegsschwindeligkeit und Hemmung V i d a , Aulstieg.
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— 146 — nicht mit Gewissensbissen zu tun. Hier ist eben das Charakteristische, daß wir es mit grundlosen Angstsuggestionen und durch die Erfolgshöhe hervorgerufener Schwindeligkeit zu tun haben. Die Aufwärtsstürmenden rührt diese Schwindeligkeit deshalb weniger als die Philister, weil sie, wenn sie auch noch so hoch aufgestiegen sind, indem sie in die Höhe gelangten, sich wieder niedrig fühlen und die weiter noch nicht erreichten Gipfel als hohe betrachten, während der Philister da sich in einer außerordentlichen Höhe fühlt und die unter ihm sich ausbreitenden Stufen als Schrecken erregende Wirbel Zwangsvorstellungen hervorrufen, die seinen Willen fesseln und zu ideomotorischen Verwirklichungen führen. Es gibt Menschen, die gleichsam mit einer instinktmäßigen, aus dem Unbewußten sich nährenden Empfindung schon vorher wissen, daß der Aufstieg sie schwindelig machen wird und die so lange einerseits bewußt für ihren Aufstieg arbeiten, andererseits unbewußt sich selbst Hindernisse in den Weg rollen. Sie erklären sich z. B., daß es aus Gesundheitsoder Zweckmäßigkeitsgründen besser sei, zu warten oder daß es richtiger sein würde, erst dies und das zu erledigen, bevor sie die Sache in Angriff nähmen, daß es erwünscht sei, noch mit gewissen Umständen besser ins Klare zu kommen; und wenn schon keinerlei Ausrede zur eigenen Beruhigung mehr vorhanden ist, dann kommt der weitere Trost „noch werde ich Zeit dazu haben; es ist kein so großes Unglück, daß ich jetzt nicht an die Sache herangegangen bin": Diese Menschen durchfürchten schon in der Peripherie ihrer Empfindungen solche Angstvorstellungen, die das Ergebnis vernichten, die dann ideomotorisch zur Wirklichkeit werden können, und die Vertagung und immer weitere Hinausschiebung sind nur ein natürlicher Selbstschutz gegen die befürchtete Erfolglosigkeit. Je längere Zeit hindurch aber diese Hinausschiebung währt, desto beängstigender und schwindelerregender wird einerseits das volle Ergebnis und desto weniger tatsächliches Ergebnis bedeutet es andererseits. Vielleicht kommt erst dann der Wagemut, wenn wir die Sache schon nicht mehr als bedeutend und noch weniger als wertvoll ansehen. Z. B. ein Mann, der in der Liebe aufsteigen will und eine schöne Frau zu erobern strebt, der aber die Zeit der eigentlichen
— 147 — Liebescourtoisie ständig hinausschiebt und nur dann anfängt, wenn die Frau schon für ihn ihren fesselnden, lähmenden Zauber und damit die anziehende Macht verloren hat, der wird dann nur noch, um seinen einstmaligen Ehrgeiz zu beruhigen, eine Eroberung machen und wohl nur das erreichen, dessen eigentlicher Wert für ihn schon aufgehört hat. Da wird der Aufstieg rein äußerlich. Und wahrlich bedeutet sein Hineinfinden in die Lage und der dadurch langsam hervorkommende Wagemut nichts anderes als (um es mit einem materiellen Gleichnis auszudrücken) das Einkassieren der in gewissem Grade entwerteten, einmal mit hohem Kurs notierten Sehnsucht. Bis der Wagemut kommt, um das Wertvolle zu gewinnen, hat das Wertvolle schon seinen Wert verloren. Also um sich zu beruhigen, verzichten diese gehemmten Menschen auf die echten Werte und begnügen sich mit äußerem Schein1). Bei den Faktoren des seelischen Aufstieges sprachen wir bisher i . über das Erfüllenkönnen der Aufstiegsstellung, 2. über das innere Taktgefühl, die Herzensbildung, 3. über die Gleichgewichtsfähigkeit, die erstiegene Höhe ertragen zu können. In der Tat bilden noch alle diese Faktoren die weniger wesentlichen Elemente, fast sozusagen solche, die von unserem Gesichtspunkte aus nur von praktischer und äußerer Natur sind. Ein häufiger—vielleicht sogar überwiegender — Fall ist der, daß die Menschen, die über entsprechende praktische Eignung, Herzensbildung, Gleichgewichtsgefühl verfügen, um die Erfordernisse ihres Vermögens, Ranges, Amtes oder irgendeines anderen Aufstiegsphänomens zu erfüllen, in ihrem Berufe Hierher gehört auch jener Fall der oft vorkommenden optischen Täuschung, daß der durch Hemmungen Zurückgehaltene, wenn schon alles zu spät ist, sich einbildet, daB er die damals hindernden Umstände, wenn es nochmals möglich wäre, mit Leichtigkeit überwinden könnte, und erst jetzt weiß, was er eigentlich machen müßte. Auf solch einer optischen Täuschung beruht der Aphorismus eines wenig bekannten ungarischen Schriftstellers: „Bis du erlernst, daß du schreien mußt, damit man dich hören soll, hast du längst deine Stimme verloren." Oder hierher gehören die Vermutungen der häßlich gewordenen, ausgelebten alten Frauen und Männer: „Wenn ich noch einmal jung werden könnte, dann aber wüßte ich schon, wie man es machen soll." Sicher würden sie wieder nicht mehr erreichen können als damals.
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— 148 — auch genug tun, ohne daß dies alles jedoch für sie Befriedigung, Beruhigung oder volles Ausfüllen der Seele bedeuten würde. Gerade wegen ihrer höheren Herzensbildung sehen sie das Unbefriedigende um so stärker, je mehr ersehnte Güter sie erreicht haben, ohne sie trotz der zielgemäßen, geschickten Anwendung wirklich zu besitzen. Natürlich ist das in erster Linie der Fall bei denen, die von der Sehnsucht, um jeden Preis höher zu drängen, angeeifert sind. Sie erleiden das Übel und die Mühe des Kämpfens, d. h. die Nachteile des Aufstieges, sind jedoch unfähig, irgendeinmal dessen Freude und Ruhm wirklich und mit vollen Zügen zu erleben. („Nichts hat man; alles Lüge / Gelingt der Wunsch und fehlt doch die Genüge", lautet es in Shakespeares „Macbeth".) Sehen wir nun die Aufstiegsarten unter dem Gesichtspunkte der völligen seelischen Befriedigung näher an. Die Emporstürmenden, die sich nach Ruhm sehnen, finden größtenteils nie Beruhigung darin. Deshalb nicht, weil für sie die Bedeutung und Schätzung des Ruhmes schon aufhört, wenn sie die Technik des Ruhms und die damit zusammenhängenden vielen, zufälligen, gekünstelten, erzwungenen Dinge erfahren. Wenn ein Berühmter einen Kreis anderer, ähnlich Berühmter näher kennen lernt, hält sich der Betreffende schon nicht mehr tatsächlich für herausgehoben und höher gelangt. Bei dem um Ruhm Kämpfenden ist auch das der Fall, daß er für ihn nur so lange schön ist, als er darum kämpft. Wenn er den Ruhm erlangt hat, hat er schon jenen Grad überwunden, der ihm noch Freude machen könnte. Wie wir sagten, ist der Ruhm nur so lange schön, als man darum kämpft und man ihn nicht erreicht hat. Da aber der Nachruhm (d. h. der Ruhm nach dem Tode) das ganze Leben hindurch nicht erreicht wird, kann er ein ganzes Leben hindurch mit Glück bestrahlen. Das ist aber nur ein auf Einbildung beruhendes und dabei auch ein ziemlich resigniertes Glücksempfinden, welches auf den Tod hinweist. Bei dem Nachruhm finden wir ein ausdrücklich paradoxes Phänomen. „Berühmtheit zu genießen" ist für den, der nicht mehr existiert, eine offenkundige logische Absurdität. Nur der, der existiert, kann genießen; und der nicht mehr ist, an den dürfen wir nicht solche Prädikate knüpfen, die nur dem Exi-
— 149 — stierenden zukommen. Wer nicht mehr lebt, für den bedeuten Ruhmesglanz und Zentenarien ebenso wenig wie für die nicht existierenden Helden der Märchen ihr halbes Königreich. Allein es ist nur eine Selbsttäuschung, daß der Durst dann gelöscht wird, wenn schon in der Tat kein Durst mehr vorhanden ist. Aber dieses zum Positivum gezauberte Traumbewußtsein des in einer nicht existierenden Zeit Befriedigens gibt einen Vorschuß für ein Guthaben, das wir eigentlich nie bekommen können. Das Guthaben trifft dann in unserem Nicht-mehr-Existieren, in dem für uns gebliebenen Namen eine völlig gleichgültige bloße Abstraktion1). Die vom quantitativen Ehrgeiz nach materiellem Reichtum Angeeiferten können in sich noch nicht zu völliger Beruhigung und Befriedigung gelangen, weil es nie eine solche Quantitätsstufe gibt, über der nicht noch größere Quantitäten ständen. Die Zahlenreihe ist eben unendlich. Nie kann man so viel verdienen, daß das Noch-Mehr nicht mehr zöge, und oft kann sogar keine größere Summe ausgegeben werden, ohne daß damit die Sehnsucht nach möglichst großem Reichtum verletzt würde. Für diese wird — wie wir schon erwähnten — das Mittel, das nur eingelöst, angewendet einen Wert besitzt, zum Ziel. *) Die Tätigkeit a m R u h m und Ruhmesglanz als Ziel oder gar u m den R u h m bei der Nachwelt ist nichts anderes als eine Schwärmerei, die nie zum tatsächlichen Ergebnis werden k a n n und u m so unnützer und hinfälliger, weil eine große Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden ist, d a ß die N a m e n derer, die für den Nachruhm am würdigsten sind, völlig vergessen werden, wenn nicht irgendein Nebenumstand, der auf den Ruhm keinen Rechtsanspruch gibt (Liebespikanterie usw.), sie erhält. Die größten Ungerechtigkeiten bestehen da. Die Ideen derjenigen nämlich, die die größten Wirkungen ausüben, werden „sich von selbst ergebende" Selbstverständlichkeiten sein, solche Selbstverständlichkeiten, daß man überhaupt nicht versteht, wie deren Aussage einmal bewundert und gelobt werden konnte. ,,Das sieht doch schon jedes Kind ein", sagt man als Beweis gegen sie. — Die Großen aus verschiedenen Zeiten, deren einmaligen, von alten Schriftstellern bekanntgegebenen R u h m und deren Größe heute niemand verstehen kann, sind vorzügliche Beispiele hierfür. Aber noch bessere Beispiele bieten wahrscheinlich diejenigen, deren Namen überhaupt nicht mehr bestehen, weil sie, — da ihre Ideen schnell in das allgemeine Bewußtsein gedrungen und Selbstverständlichkeiten geworden sind, — schon von älteren Zeiten selektiert worden sind und ihr Weg f ü r die kommenden Zeitalter abgeschnitten wurde.
— 150 — Wenn aber'die möglichst gute Anwendung das Ziel der Gelderwerbsambitionen ist, dann können wir weniger von einer Sehnsucht nach Reichtum, als von einer nach Lebensfreude sprechen. Dieses Streben gipfelt dann in der Sehnsucht nach möglichst großer Wollust. In der Tat aber sind die Leute, die von unendlicher Gelderwerbssucht beseelt sind, nie identisch mit den Naturen, die nach möglichst gründlichem Auskosten vieler Lebensfreuden trachten. Trotz gewisser Übereinstimmungen haben wir es mit zwei völlig verschiedenen Arten zu tun. Dieser Umstand ist sehr wichtig deshalb, weil wir aus ihm ersehen können, daß diejenigen/die um allen Preis durch das Geldsammeln aufsteigen wollen, gewissermaßen von vornherein die Gegensätze von denen sind, die dieses Geld möglichst gut ausnützen, anwenden können. Es ergibt sich hieraus auch, wie sehr der Aufstieg im Geldansammeln nur bloßes Spiel ist. Der Unterschied, den wir im weiteren mit einigen Linien zu skizzieren wünschen, zeigt die nicht zu befriedigenden, absurden Tendenzen zweier verschiedener Aufstiegsarten. Die eine sammelt unendliche Güter, und ihr fehlt der Lebenswunsch, sie zu verzehren; die andere ist von unendlicher Lebenssehnsucht erfüllt, und bei dieser fehlt fast immer die Neigung, Güter zu sammeln und noch mehr die, sie zusammenzuhalten. (Beide jagen nach materiellen Freuden, aber in verschiedener Richtung. Die geldgierige Sammlernatur ist keineswegs von der Art des Wollüstlings, des Frauenverfahrers und des nach nächtlichen Unterhaltungen Jagenden. Der Geizhalstyp schläft in der Nacht, vor dem Dunkel hat er Angst; in der Nacht sieht er alles in düsterer Farbe und neigt mehr zum Guten. Er achtet auf seine Gesundheit und schläft soviel, wie für ihn vom Gesichtspunkt der guten Gesundheit aus ratsam ist. Für den leichtblütigen Menschen ist der Tag langweilig, grau, reizlos. Die Nacht bedeutet Interessantheit, Anziehung, Wollust und gehört ebenso zu seinem Leben wie das Reizen seiner Nerven und Sinne und kostspielige Passionen. Der zu der ersten Art Gehörende sündigt hauptsächlich tagsüber und in der Nacht bedauert er. Die andere Art bedauert tagsüber und begeht in der Nacht doch wieder ihre Sünden. Welcher von ihnen ehrlicher ist, das stellen die Kritisierenden danach fest, ob sie selbst der täglichen oder nächtlichen Einstellung näherstehen. Die dazwischenfallenden materiellen Naturen, d. h. die, welche hier in der Nacht, da am Tag, oder sowohl in der Nacht als auch tagsüber ein bißchen sündigen, sind die Leute des goldenen Mittelwegs oder, wie die Anhänger der Extreme sie nennen, ,,Weder-Fisch-noch-Fleisch-Menschen".)
— 151 — Die Aufstiegssehnsucht nach Anhäufen möglichst großer Lebensfreuden kann übrigens noch weniger Beruhigung geben als die nach Reichtum. Hier tritt das Hemmnis schon eher hervor; schon das Anhäufen ist nicht so ohne weiteres möglich. In dem Organismus des Menschen ist für das Erleben der Freude ein Maximum gegeben, über das kein Wollüstling hinaussteigen kann, und das ebenso bestimmt ist bei den Armen, wie bei den über unendliches Vermögen Verfügenden. Wer hier das „Mittelmaß" übertreten will, bei dem zeigen sich traurige Rückwirkungen, die ihn körperlich wie auch seelisch ruinieren können und normalen Freuden gegenüber unempfindlich machen, sodaß am Ende die Sehnsucht nach mögüchst großen Genüssen als ausgesprochenes Gift bei ihm Zerstörungen hervorruft. Ähnlich ist — mit entsprechenden Abstrichen — die Lage beim „Machtaufstieg", der auch meistens keine völlige Befriedigung bieten kann. Die, welche auf die Dankbarkeit anderer „reflektieren" — und das gibt für sie Hoffnung und Ziel, und da suchen sie auf ihre Art Aufstiegsbefriedigung, sie sind die Protektor-, Mäzennaturen, — sie müssen auch schwere und bittere Enttäuschungen erleiden. Das Dankgefühl des Menschen ist äußerst klein. Wenn man jemand neunundneunzig Wünsche erfüllt und den hundertsten ablehnt, dann werden alle neunundneunzig vergessen sein, und der Betreffende sieht nur das, daß jener, der hundertste Wunsch, nicht erfüllt wurde. Alle Dankbarkeit für die neunundneunzig verschwindet, aber für jenen einen wird Zorn oder sogar Rache auflodern. Diejenigen, die auf Dankbarkeit reflektieren, werden auch schon deshalb sich täuschen müssen, weil der, der Wohltaten und Gefälligkeiten geleistet hat und auf Dankbarkeit wartet, das, was er gibt, alles für viel größer ansieht als der, der es empfängt. Und andererseits schätzt der, der „Dankbarkeit erweist", seine Rückgabe bzw. sein Tun höher als der, der sie empfängt. (Wie auch allgemein der Einkaufende anders wertet als der Verkaufende.) Wer sozusagen aus geschäftlicher Berechnung „Wohltätigkeit ausübt" und auf Dankbarkeit wartet, der hat nach der größeren Wahrscheinlichkeit ein schlechtes Geschäft gemacht.
— 152 — Die bisherigen Prüfungen der verschiedenen Aufstiegsrichtungen haben erwiesen, daß nicht nur die äußeren Erfordernisse des sozialen Aufstiegs, sondern sozusagen alle greifbaren Momente des seelischen Aufstieges selbst nicht unbedingt genügen für den — seelischen Aufstieg. In der Tat finden wir hier eine ganz eigenartige, vielleicht alleinstehende Lage, wobei jegliche konstitutiv-mathematische Gesetzlichkeit und Folgerung ihre Geltung verliert. Für den seelischen Aufstieg sind nämlich — und das ist etwas recht Paradoxes — alle hierher gerichteten und von sich hiernach trachtenden Momente schon von vorneherein ungenügend und erst über die direkten Momente, in der eigentlich nicht auf Aufstieg gerichteten Attitüde, wird der „seelische Aufstieg" möglich. Der seelische Aufstieg fängt erst dort an, wo der Aufstieg aufhört, ein Ziel zu bedeuten. Die sich allein auf die kämpfende Person selbst beziehenden Aufstiegsergebnisse sind eigentlich nur materieller Natur 1 ). Wer z. B. in dem Erreichen von Ruhm seelischen Aufstieg an sich erleben will, der kann das nie finden, weil er eigentlich nicht um wirklichen seelischen, sondern um materiellen Aufstieg kämpft. Dasselbe ist der Fall bei Macht usw. F ü r den, dem das A u f s t e i g e n an sich den A u f s t i e g s i n h a l t b e d e u t e t , w i r d , wenn er a u f g e s t i e g e n ist, der A u f s t i e g auf einmal i n h a l t s los. Die selbstzwecksuchenden Momente des seelischen Aufstieges können ihn nie ganz erreichen, weil es keinen seelischen Aufstieg gibt, der primär Selbstzweck besitzen würde. Der echte seelische Aufstieg und die damit zusammengehende Freude und Beruhigung fängt erst dann an, wenn der Aufstieg uneigennützig nur das Accidenz für ein „Ideal" wird. Der tatsächlich seelische Aufstieg ist immer nur Accidenz. Wer nicht um persönliche Belohnung, Ruhm, Macht kämpft, sondern für gewisse Ideale und uneigennützige Ziele und Sachergebnisse an sich (cf. S. 46 f.) seine Kräfte einsetzt und neben dem Ergebnisse den Ruhm, die Macht usw. als Accidentien erreicht, der bekommt immer ein Plus: etwas Wirkliches und Tatsächliches. Der echte seelische Aufstieg weist über J ) Wer dem Hungernden deshalb Brot gibt, um im Himmel günstigere Chancen zu erwerben, der übt keine Wohltätigkeit, sondern macht nur ein Geschäft.
— 153 — seine äußeren Komponenten hinaus auf die metaphysischen Wertregionen der Ideale hin. In dem Obigen wird der Gebrauch der Termini „materiell" und „seelisch" nicht ohne alle Bedenken sein, jedoch stehen sie dem Auszudrückenden noch am nächsten. Wir haben sie benützt, weil wir vermeiden wollten, erschwerende besondere Termini einzuführen. Wir wollen betreffs des seelischen Aufstiegs, um klarer zu sein, Beispiele anführen, wenn wir uns auch deren Gefährlichkeit völlig bewußt sind. (Nämlich die letzten lenkenden seelischen Motive können wir nie mit Sicherheit erfassen, und es sind hier wohl Irrtümer möglich.) Einen um die Befriedigung seiner krankhaften Ruhmsucht kämpfenden Kapoleon kann, wenn er siegt oder verliert, nur Verlust treffen. Wenn er stürzt, wird ihn das mit tragischem Schmerz erfüllen; wenn er Erfolg hat, fehlt die wirkliche Freude. Anders ist der Fall bei dem sich um den Aufstieg seines Vaterlandes aufopfernden Cavour, oder bei Bismarck, vorausgesetzt, daß sie wirklich sich aufopfernde Naturen gewesen sind. Um in der Jetztzeit zu bleiben, so sehen wir, daß den seine eigene Person völlig vergessenden Idealisten Gandhi k e i n S c h a d e n t r e f f e n k a n n . Man kann ihn sogar unmöglich strafen; weder mit Gefängnis, noch mit dem Tod kann man auf ihn einwirken. Er ist bereit, dies alles für seine Ideale auf sich zu nehmen. Wenn er aber ein Ergebnis erreicht, so wird das eine sein ganzes Wesen ausfüllende edle Freude sein.
Der, für den das Schenken eine aus der Seele quellende Bereicherung und Beruhigung bedeutet; der, der schafft, aber nicht für den Ruhm, sondern für die Freude der Tat und Verdienstlichkeit; die um die Ideale kämpfen, ohne sich darum zu kümmern, ob für sie selbst damit Anerkennimg, Macht, Reichtum zu erwerben ist: die sind allein Teilhaber der Aufstiegsfreude, der Anerkennung und des Reichtums. Aber nur diese. Die, die nicht gewartet und nicht darauf spekuliert haben, können sie mit vollenZügen ganz als Geschenk genießen. Diese Menschen betrachten die Werte, mit denen sie ausgestattet sind, und ihr Leben als Geschenk und wollen vielfach dafür bezahlen1). Diese Menschen fühlen sich in ihrer eigenen Person als unbedeutend neben ihren großen Idealen. Diesen wollen sie sich unterordnen und nie umgekehrt ihre Ideale vor einen „Siegeswagen" spannen. Der Dienst für metaphysische Ideale gibt für sie Beruhigung, Ruhm, Reichtum, Glückseligkeit und vielfache Zurückzahlung für ihr Verdienst. x
) Cf. z. B . Albert Schweitzers B u c h ; , , Aus meinem Leben und Denken", Felix Meiner, Leipzig, 1932.
— 154 — Nach dem Bisherigen taucht die Frage auf: Wie ist es — ist der Aufstieg etwas objektiv Tatsächliches, wenn weder Reichtum noch Macht, noch Ruhm an sich tatsächlicher Aufstieg sind, oder ist er etwa bloß eine Abstraktion, ein mit der Wirklichkeit nicht rechnender, gereizter Seelenzustand ? Können wir von Aufstieg als von etwas Wirklichem sprechen, wenn der tatsächliche Aufstieg nur in einer über unserer praktischen Welt stehenden metaphysischen Welt besteht? Ob für die Güter des Aufstieges die Zufriedenheit und das Glücksgefühl die Maßstäbe sind, oder ob vielmehr die Aufstiegsgüter an sich ihre Werte haben ? In der Tat ist es so, daß wir alle Güter wegen der mit ihnen verbundenen Werte ersehnen, und wenn ihr Besitz den ersehnten Wert nicht bietet, dann können wir von einem objektiven Mangel sprechen, falls wir unser seelisches Leben, als Gegenstand unserer Forschung genommen, ein o b j e k t i v e s nennen dürfen. Und das ist doch recht klar. Was wir in unserer Seele nicht bewerten können, was weder Freude noch irgendwelche Zufriedenheit bietet, ist für uns wirklich ohne Wert. Der Inhalt unserer Gefühle und unseres Wertbewußtseins ist ein tatsächlicheres Wertpositivum als irgendein, durch unsere Gefühle und unser Wertbewußtsein nicht erfaßter, für uns nicht geschaffener Selbst wert. Natürlich hängt es nicht von unserem Willen ab, ob wir etwas als Wert betrachten oder nicht, sondern unser ganzes seelisches Leben, unsere ganze Einstellung bestimmt es für uns. Wenn also die erreichten Güter in unseren Seelen kein Freudebewußtsein des Besitzes hervorrufen, dann haben wir sie eben auch nicht wirklich erreicht. In der Tat könnte ein etwaiger Zweifel über das tatsächliche Existieren des Aufstieges in unserer Seele nur auf Versehen beruhen, weil das seelische Wesen unseres Aufstieges notwendigerweise von seelischer und nicht von materieller Natur ist. Aber es ist durchaus nicht in unserer Seele enthalten, sondern eine besondere metaphysische Welt besitzt es, weil die Gültigkeit, der Wert und die Richtigkeit der Ideale, wofür der Mensch kämpft, völlig unabhängig sind und außerhalb derer stehen, die um sie kämpfen1). i) Klassisch schön hat das Nikolai Hartmann in seiner ,.Ethik" gezeigt. W. de Gruyter, Berlin-Leipzig 1926.
— 155 — Allein diejenigen, die für die Ideale kämpfen, können zu dem Besitz der vollständigen seelischen Beruhigung gelangen, und zwar in dem Maße, in dem sie tatsächlich den Idealen untergeordnet sind. Sie sind glücklich, obwohl die Ideale nie völlig erreichbar sind, man sich ihnen nur annähern kann, d. h. gewisse Normen aus ihnen zu erreichen sind2). Wirklicher Aufstieg weist auf die Ideale hin. Die Ideale machen aber absolutes Zielerreichen nicht möglich. Dem, der die letzte Analysis des Aufstieges sucht, muß die Frage Beunruhigung bedeuten: Worin besteht der Aufstieg, wenn man weder in sich selbst noch über sich zur absoluten Erfüllung und zum Ziel kommen kann ? Warum können wir nicht das Ziel unseres Aufstiegsstrebens erreichen ? — Wenn wir auch wohl wissen, daß man auf diese — vielleicht die größte Frage des Menschen — nie eine endgültige, lösende Antwort geben kann, so äußern wir uns doch in folgendem dazu: Wenn die menschliche Existenz all ihr Ziel und ihre Sehnsucht erreichen würde, dann wäre ihr Existieren notwendigerweise ziellos und damit wertlos. Der ewige Kampf um das Weiterbestehen und doch nie zum-Ziele-Gelangen ist das, was dem Existieren seinen Sinn und damit gleichzeitig seine nie lösbare Mystik gibt. — Wenn Alles da wäre, dann gäbe es kein Mehr; wenn alles erreicht würde, gäbe es keinen Aufstieg. Aber wenn kein Aufstieg da wäre, dann wäre noch nicht alles da, sondern vielleicht würde von dem Allen eben das Meiste fehlen, die wollende, pulsierende Bewegung des Lebens; das absolut Ziellose ist auch absolut leblos. *) Windelband und noch manche Erkenntnistheoretiker setzen auch die Normen in die Unendlichkeit hin als nie erreichbar. (Windelband, Präludien: Normen und Naturgesetze.) In der Tat aber kann eine weitergehende Überlegung des Begriffes „Norm" uns überzeugen, daß es eben nicht notwendig ist. Das für uns Erreichbare, Richtige, ZielgemäOe ist eben das, was wir Normen nennen.
Literatur. (In dem hier folgenden Verzeichnis erwähnen wir nur die wichtigste und nur diejenige Literatur, die im Text noch nicht angeführt worden ist, und diejenigen Werke, bei denen wir im Text ausdrücklich hierher verwiesen haben. Dieser Hinweis erfolgt mit der Abkürzung „ L i t . " und mit der entsprechenden römischen Zahl des Kapitels.) Allgemeine Literatur. C a r l y l e , Th., Über Helden und Heldenverehrung. E i n s t e i n , N., Erfolg. Ein Beitrag zur Frage der Vergesellschaftung. Frankfurt am Main 1915. Rütten & Loening. E m e r s o n , Repräsentanten des Menschengeschlechtes. Deutsch ersch. in Reclam-Univ. Bibl. Leipzig. E u l e n b u r g , Der soziale Aufstieg. Im Bd. Petersens „Der Aufstieg der Begabten", 1916. Teubner, Leipzig-Berlin. G a l t o n , Genie und Vererbung (The Hereditary Genius). Philos.-soziol. Bücherei Bd. X I X . Übersetzt v. O. Neurath u. A. Saphire Neurath. Leipzig 1910, Verl. Werner Klinkhardt. I c h h e i s e r , Kritik des Erfolges. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1930. Bund der Forschungen für Völkerpsychologie und Soziologie. O s t w a l d , W., Große Männer. Leipzig 1909. S p r a n g e r , E., Das Problem des Aufstieges. Im Bande der „Kultur und Erziehung". Quelle & Meyer, Leipzig, de S e c h e l l e s , H., Theorie de l'Ambition. Übersetzt von K . W . Körner. 1929 Zürich, mit dem Titel „Theorie des Ehrgeizes". Z i l s e l , E., Die Geniereligion. Ein kritischer Versuch über das moderne Persönlichkeitsideal. Bd. I, W. Braumüller, Wien-Leipzig 1918. Z i l s e l , E., Die Entstehung des Geniebegriffes. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des antiken und Frühkapitalismus. Verl. J . C. B . Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1926. Z u K a p i t e l II. B e c k , P „ Die Nachahmungen und ihre Bedeutung für Psych, und Völkerkunde. J a s p e r s , K . , Psychologie der Weltanschauungen. Jul. Springer. K i e r k e g a a r d , S., Stadien auf dem Lebensweg. Diederichs, Jena 1922. M i c h e l s , Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. II. Aufl. Leipzig 1925. S c h e l e r , M., Ressentiment im Aufbau der Moralen. Im Bde. „Vom Umsturz der Werte I I " . Cohen, Bonn. T a r d , G., Die sozialen Gesetze. Skizze zu einer Soziologie. Übersetz. H. Hemmer, Leipzig 1908. Verl. Klinkhardt. Philosophisch-soziologische Bücherei, Bd. IV.
— 157 — Zu K a p i t e l III. D n p r a t , Soziale Typen oder soziale Klassen. Jahrbuch f. Soz. Bd. I, 1925D ü h r i n g , Waffen, Kapital, Arbeit. 2. Aufl. 1906. F a h l b e c k , Die Klassen und die Gesellschaft. 1922, Jena. F i s c h e r , A., Psychologie der Gesellschaft. Handbuch d. vergl. Psychologie, Bd. II, S. 337—456G e i g e r , Zur Theorie des Klassenbegriffs. Schmollers Jahrbuch 1930. G e r h a r d , A., Die sozialen Klassen. 1926, Wiss. u. Bildung Nr. 225, Quelle & Meyer, Leipzig. J e l l i n e k , Georg, Allgemeine Staatslehre. II. Aufl. Berlin 1905. L e d e r e r - M a r s c h a k , Die Klassen a. d. Arbeitsmarkt und ihre Organisation. Tübingen 1927. M a r x , K., Kapital. Zur Kritik der politischen Oeconomie. 1848. M o m b e r t , Zum Wesen der soz. Klassen. Erinnerungsgabe f. M. Weber. Bd. II. München, Duncker & Humblot. O p p e n h e i m e r , F., System der Soziologie, Bd. II. Der Staat. Jena, G. Fischer 1926. S i m m e l , G., Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung. 1908. S o l m s , Bau und Gliederung der Menschengruppe. v. S t e i n , Gesch. der sozialen Bewegung von 1789 bis auf unsere Tage. Neuausgabe III Bände. München 1921. V i e r k a n d t , Der Klassencharakter des Staates und die Gesellschaft („Staat und Gesellschaft in der Gegenwart", S. 56—70). W e b e r , M., Stände und Klassen S. 177—180; Klasse, Stand, Parteien S. 631—641 in Bd. Wirtschaft und Gesellschaft III. Abt. aus dem Grundriß der Sozialökonomik. Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1922, Tübingen. Zu K a p i t e l IV. D u n k m a n n , K., Die Kritik der sozialen Vernunft. Berlin 1924. K a m m e r e r , Das Gesetz der Serie. Eine Lehre von den Wiederholungen im Lebens- und Weltgeschehen. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart nnd Berlin 1919. S c h w e y e r , Politische Geheimverbände. Herder, Freiburg i. Bi. 1925. T h u r n w a l d , R., Werden, Wandel und Gestaltung von Familie, Verwandtschaft und Bünden im Lichte der Völkerforschung (II. Bd. von „Die menschliche Gesellschaft in ihren ethnosoziologischen Grundlagen). W. de Gruyter, Berlin 1932. V a e r t i n g , M., Soziologie und Psychologie der Macht. Bd. I. W e b e r , M., Wirtschaft und Gesellschaft. Zweiter Teil, Kapitel 2. Zu K a p i t e l V. S o z i a l e r A u f - u n d A b s t i e g i m d e u t s c h e n Volk. Statist. Methoden n. Ergebnisse des Statist. Landesamtes München 1930. Verl. Lindauer Schöpping.
— 158 — S c h w a r z , Philipp, Der Beruf in der Statistik der Bevölkerungsbewegung. Allg. Statist. Arch. Bd. X V . S t a t i s t . J a h r b u c h f ü r d a s D e u t s c h e R e i c h 1930. Verl. Hobbmg, Berlin. v . d. G a b l e n t z und M e n n i c k e , Deutsche Berufskunde. Leipzig 1930, Bibliograph. Institut. H a n d b u c h d e r B e r u f e . I I I Bde, I.Teil: Berufe mit Volks-, Mittel-oder Höherer Schulbildung. 2. Teil: Akademische Berufe. Bearbeitet vom Landesarbeitsamt Sachsen-Anhalt u. d. Hauptstelle v. d. Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits Versicherung. Selbstverlag und Verlag Quelle & Meyer, Leipzig. 1927—30. Bei jedem Berufsfach erwähnen wir zwei Werke aus der sich darauf beziehenden riesigen Literatur. P a s s o w , R., Betrieb, Unternehmung, Konzern. Jena 1925. W i e d e n f e l d , K., Das Persönliche im modernen Unternehmertum. München-Leipzig 1920. W o l d t , Die Lebenswelt des Industriearbeiters. Quelle & Meyer, Leipzig 1926. W i l d b r a n d t , Die moderne Industriearbeiterschaft. Eine Einführung in die Grundfragen der Sozialreform. H i r s c h , Julius, Der moderne Handel, seine Organisation und Formen und die staatliche Binnenhandelspolitik. H e l f r i c h , P., Industrie, Handel und Handwerk. Denkschrift Aber die Abgrenzung von Handwerk und Nichthandwerk. München 1927. B a r t e l s , A., Der Bauer. Diederichs, Jena 1924. H i l m e r , F., Die Organisation der Landwirtschaft. 1920. A r e t i n , Fideikommiß und Großgrundbesitz. München. C o u d e n h o v e - K a l e r g h i , Adel. Leipzig 1922. M ü l l e r , K . , Der Angestelltenstand in der deutschen Wirtschaft. Berlin 1925. K r a k a u e r , Die Angestellten. 1930. K ö t t g e n , Das deutsche Berufsbeamtentum und die parlamentarische Demokratie. W . de Gruyter, Berlin-Leipzig 1928. W i e d e n f e l d , K., Kapitalismus und Beamtentum. W . de Gruyter, BerlinLeipzig 1932. D e m e t e r , K., Das deutsche Offizierskorps. Verl. Reimar Hobbing, Berlin. H e s s e , Von der neuen Aera der jungen Armee. R e i t e r , J., Der katholische Priester. 1925 München. V a n d e r V e l d e n , Priester und Mission. 1927. B ö l k e , Das deutsche evangelische Pfarrhaus in seiner Bedeutung für das deutsche Volk. Halle 1925. W e r d e r m a n n , Der evangelische Pfarrer in Geschichte und Gegenwart. Leipzig 1925.
— 159 — L i e c k , Der Arzt und seine Sendung. 1923. Meyer, E., Die Krisis des deutschen Arztestandes. B e r a r d t , M., Der deutsche Richter. 1930 Rütten u. Loening, Frankfurt a.M. S t a m m l e r , Der Richter. Donauwörth 1924. R u m p f , M., Anwalt und Anwaltsstand. Eine rechtswissenschaftliche und rechtssoziologische Untersuchung. Deutscher Anwaltsverein Druckschriften Nr. 8, Leipzig 1926. Wreschner, L., Der Rechtsanwalt. Berlin 1920. B r a m e s f e l d , E., Ingenieurberuf. Leipzig 1925. B ü t t n e r , W., Ingenieur, Volk und Welt. Leipzig 1927. Clemens, Der Beruf der Diplomaten. Berlin 1926. Weber, Max, Politik als Beruf. Manchen 1926, Duncker & Humblot. R e i c k e , Der Gelehrte. Jena, Diederichs. 1924. Weber, Max, Wissenschaft als Beruf. München. Weber, Marianne, Frauenfragen und Frauengedanken. Gesammelte Aufsätze. Tübingen. Verl. J . C. B . Mohr (Siebeck). 1919. Z a h n - H a r n a c k , Agnes von, Die arbeitende Frau. Verl. Ferd. Hirt, Breslau 1924, Jedermanns Bücherei. Zu K a p i t e l VI. Carnegie, Das Evangelium des Reichtums und andere Zeit- und Streitfragen. Aut. Ubers, v. Dr. Heubners, Verlag. J . von Schelsche-Ehrenfeld. F r e u d , S., Die am Erfolge scheitern. Arbeiten zur Anwendung der Psychoanalyse. Ges. Schriften Bd. X (S. 293—312). Hirsch, Julian, Die Genesis des Ruhmes. 1914, Verl. Teubner. R e i k , Th.. Erfolg und unbewußte Gewissensangst. Eine analytische Schicksalforschung. Die psychoanal. Bewegung Jahrg. I.
Inhalt. Vorwort
Seite
III
I. K a p . Die Sehnsucht nach Aufstieg II. K a p . Die Gestaltungsfaktoren zur Ideologie des A u f stieges
i 6
I I I . K a p . Die Regeln der Zugehörigkeit zu Gesellschaftsklassen I V . K a p . Allgemeine Regeln des Aufstieges V . K a p . Der Aufstieg bei verschiedenen B e r u f e n . . . . 1. M a t e r i e l l e B e r u f e a) Handelsberuf (S. 72). b) Gewerbeberufe (S. 86). c) Arbeiter (S. 88). d) Bauer (S. 93). e) Gutsbesitzer (S- 95). 2. B e a m t e n - u n d M i l i t ä r d i e n s t l a u f b a h n . . . . a) Beamte (S. 101). b) Offiziere (S. 107). 3. A k a d e m i k e r - u n d P o l i t i k e r b e r u f e a) Katholischer Priester (S. I i i ) , b) Protestantischer Geistlicher (S. 114). c) Studienräte (S. 115). d) Arzt (S. 118). e) Richter und Rechtsanwälte (S. 119). f) Ingenieur (S. 122). g) Gelehrter (S. 123). h) Politiker, Diplomat (S. 124). i) „Ideale" Berufe (S. 125). Anhang Ol) Die neu Hochgekommenen ß) Die spezielle Lage der Frau beim Aufstieg . . . y) Aufstieg durch Heirat
26 44 72 72
101 m
127 127 130 135
V I . K a p . Der seelische Aufstieg
139
Literatur
156