Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Neuzeit 3702904883, 3486578618, 9783702904883


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Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Neuzeit
 3702904883, 3486578618, 9783702904883

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Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie

Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsband 48

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R. Oldenbourg Verlag Wien München

Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie Akten des internationalen Kongresses zum 15 0-j ährigen Bestehen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung Wien, 22.-25. September 2004 Herausgegeben von Marlene Kurz, Martin Scheutz, Karl Vocelka und Thomas Winkelbauer

R. Oldenbourg Verlag Wien München 2005

Publikation gefördert durch: Amt der Kärntner Landesregierung (Abteilung 5 - Kultur), Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Abteilung Kultur und Wissenschaft), Amt der Oberösterreichischen Landesregierung (Landeskulturdirektion / Institut für Kunst und Volkskultur), Amt der Vorarlberger Landesregierung (Wissenschaft und Weiterbildung), Magistrat der Stadt Wien (MA 7 - Referat Wissenschafts- und Forschungsförderung).

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 R. Oldenbourg Verlag Ges.m.b.H., Wien Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Herstellung: Grasl Druck & Neue Medien, A-2540 Bad Vöslau ISBN 3-7029-0488-3 R. Oldenbourg Verlag Wien ISBN 3-486-57861-8 Oldenbourg Wissenschaftsverlag München

Inhalt Siglenverzeichnis

9

Vorwort

11

Marlene KURZ, Martin SCHEUTZ, Karl VOCELKA und Thomas Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie The Ottoman Empire and the Habsburg Monarchy

WINKELBAUER

13 24

(1) Kontakte und Konflikte Holger Th. GRAF, „Erbfeind der Christenheit" oder potentieller Bündnispartner? Das Osmanenreich im europäischen Mächtesystem des 16. und 17. Jahrhunderts - gegenwartspolitisch betrachtet

37

Marlene

53

KURZ,

Österreich in der osmanischen Historiographie

Claire NORTON, „The Lutheran is the Turks' luck": Imagining Religious Identity, Alliance and Conflict on the Habsburg-Ottoman Marches in an Account of the Sieges of Nagykanizsa 1600 and 1601

67

Antal Andras DEAK, Zur Geschichte der Grenzabmarkung nach dem Friedensvertrag von Karlowitz

83

Andrea PÜHRINGER, „Christen contra Heiden?" Die Darstellung von Gewalt in den Türkenkriegen

97

Barbara HAIDER-WILSON, Das Kultusprotektorat der Habsburgermonarchie im Osmanischen Reich. Zu seinen Rechtsgrundlagen und seiner Instrumentalisierung im 19. Jahrhundert (unter besonderer Berücksichtigung Jerusalems)

121

Arno STROHMEYER, Das Osmanische Reich - ein Teil des europäischen Staatensystems der Frühen Neuzeit?

149

(2) Türkenbilder und Türkenpropaganda Franz BOSBACH, Imperium Turcorum oder Christianorum Monarchia - Die Osmanen in der heilsgeschichtlichen Deutung Mercurino Gattinaras

167

Antje NIEDERBERGER, Das Bild der Türken im deutschen Humanismus am Beispiel der Werke Sebastian Brants (1456-1521)

181

6

Inhalt

Jan Paul NIEDERKORN, Argumentationsstrategien für Bündnisse gegen die Osmanen in Gesandtenberichten

205

Christine M. GIGLER, „Gaistliche Kriegsrüstung". Die Türkenpredigten des Gurker Bischofs Urban Sagstetter (1566/67)

213

Iskra SCHWARCZ, Konfliktverhältnisse auf dem Balkan und die kaiserliche Propaganda in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

229

(3) Gesandte und Gesandtschaftswesen Ralf C. M Ü L L E R , Der umworbene „Erbfeind": Habsburgische Diplomatie an der Hohen Pforte vom Regierungsantritt Maximilians I. bis zum „Langen Türkenkrieg" - ein Entwurf

251

Bart SEVERI, Representation and Self-Consciousness in Diplomacy in the Ottoman Empire

281

16 TH

Century Habsburg

Harriet RUDOLPH, Türkische Gesandtschaften ins Reich am Beginn der Neuzeit — Herrschaftsinszenierung, Fremdheitserfahrung und Erinnerungskultur. Die Gesandtschaft des Ibrahim Bey von 1562 295 Christoph AUGUSTYNOWICZ, Tatarische Gesandtschaften am Kaiserhof des 17. Jahrhunderts - Protokoll und Alltag

315

Mounir FENDRI, Die Habsburgermonarchie und die „Barbaresken". Die Gesandtschaft des Jussuf Khodscha in Wien (1732/33) als Nachspiel des ersten österreichisch-tunesischen Friedensvertrages von 1725

341

(4) Reiseberichte Hemma STAGL, Das Leben der nichtmuslimischen Bevölkerung im Osmanischen Reich im Spiegel von Reisebeschreibungen

359

Pervin TONGAY, Die europäische Sicht auf den Fremden in den Berichten des 16. Jahrhunderts. Das Bild der Türken und Azteken im Vergleich

393

Christof JEGGLE, Die fremde Welt des Feindes? Hans Dernschwams Bericht einer Reise nach Konstantinopel und Kleinasien 1553—1556

413

Almut BUES, die umschnupferten unsere wagen - Alltagskontakte des Handelsgesellen Martin Gruneweg im Spannungsfeld zwischen Orient und Okzident

427

Michael GREIL, den ohne grosse gedult ist nit müglich, durch die Turggey zu kommen. Die Beschreibung der rayß(1587-1591) des Hans Christoph von Teufel . . .

449

Hans-Peter LAQUEUR, Das Osmanische Reich und seine Bewohner aus der Sicht eines Südtiroler Bäckermeisters (1851/52)

461

(5) Dolmetscher und Dragomane Alexander H. DE GROOT, Die Dragomane kulturellen Funktion

1700-1869.

Zum Verlust ihrer inter473

Inhalt

7

Ernst Dieter PETRITSCH, Erziehung in guten Sitten, Andacht und Gehorsam. Die 1754 gegründete Orientalische Akademie in Wien

491

Michaela WOLF, „Diplomatenlehrbuben" oder angehende „Dragomane"? Zur Rekonstruktion des sozialen „Dolmetschfeldes" in der Habsburgermonarchie . .

503

Sibylle WENTKER, Hammer-Purgstall als Homo Politicus im Spiegel seiner „Erinnerungen aus meinem Leben"

515

Thomas WALLNIG, Die Geschichtsforschung der uomini mediocrr. Pietro Bettio und Francesco Rossi im Lichte ihres Briefwechsels mit Josef von Hammer-Purgstall

525

(6) Südosteuropa, die Habsburger und die Osmanen Ivan PARVEV, „ D U , glückliches Osterreich, verhandle". Militär versus Diplomatie in der habsburgischen Südosteuropa-Politik, 1739-1878

539

Natasa STEFANEC, Demographie Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia(c. 1570-1640)

551

Stefan SPEVAK, Undepotentia Turcorum pulsi, bonis universis amissis - Die Emigration der Familie de Vuko et Branko aus dem Osmanischen Reich nach Ungarn (1688-1828)

579

Isa BLUMI, Austrian Strategies in Ottoman Albania: The School and the Fall of Sectarian Politics

597

Wladimir FISCHER, „Schlafend träumte ich, daß ich Pluderhosen anhätte". Dositej Obradovic und die serbische Geistesgeschichte als „Creolite"

615

Miranda JAKISA, Literatur als Archiv und Ort des Kulturtransfers: Die Habsburgermonarchie und die Osmanen bei Ivo Andric

637

Adressen der Autorinnen und Autoren

649

Siglenverzeichnis Abh. ADB AfK AHP Annales AÖG ARG ASRSP BlldtLG BZ CIL DACL DBF DBI DDC DHEE DHGE DThC EC El EHR FRA FSI HHStA GG HJb HRG HVjS HZ JAC JbLKNÖ JbOÖMV JbVGStW JÖB JÖBG JWCI KHM LCI

Abhandlung(en) (allgemein) Allgemeine Deutsche Biographie Archiv für Kulturgeschichte Archivum Historiae Pontificiae Annales Economies, Sociétés, Civilisations Archiv fiir Österreichiche Geschichte (bis Bd. 33: fur Kunde österreichischer Geschichts- Quellen) Archiv fiir Reformationsgeschichte Archivio della Società Romana di Storia Patria Blätter fiir deutsche Landesgeschichte Byzantinische Zeitschrift Corpus Inscriptionum Latinarum Dictionnaire d'Archéologie Chrétienne et de Liturgie Dictionnaire de Biographie Française Dizionario Biografico degli Italiani Dictionnaire de Droit Canonique Diccionario de Historia Eclesiástica de España Dictionnaire d'Histoire et de Géographie Ecclésiastiques Dictionnaire de Théologie Catholique Enciclopedia Cattolica Enciclopedia Italiana English Historical Review Fontes Rerum Austriacarum Fonti per la Storia d'Italia Haus-, Hof- und Staatsarchiv Geschichte und Gesellschaft Historisches Jahrbuch Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Historische Vierteljahrschrift Historische Zeitschrift Jahrbuch fur Antike und Christentum Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins — Gesellschaftfur Landeskunele Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik (ab 1968: s. JÖBG) Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistischen Gesellschaft {bis 1968: s .JÖB) Journal ofthe Warburg und Courtauld Institutes Kunsthistorisches Museum Lexikon der Christlichen Ikonographie

10

LMA LThK MGH MGSL MLÖG (MÖIG)

MÖOLA MÖStA MStLA NA NDB NOLA ÖAW ÖBL ÖNB PG PL QFIAB RAC RE RGA RH RHE RHF RHM RömQua RSI RStCh SB SC StT TRE UH VIÖG Vi} VSWG VuF WURZBACH

WZGN ZBLG ZfG ZHF ZHVSt ZKG ZNR ZRG Germ. Abt. Kan. Abt. Rom. Abt.

Siglenverzeichnis Lexikon des Mittelalters Lexikon für Theologie und Kirche (Auflage jeweils hochgestellt angeben) Monumenta Germaniae Histórica Mitteilungen der Gesellschaftfür Salzburger Landeskunde Mitteilungen des Instituts fiir Österreichische Geschichtsforschung (19231942: des Österreichischen Institutsfür Geschichtsforschung, 1944: des Instituts für Geschichtsforschung und Archivwissenschaft in Wien) Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Mitteilungen des Steiermärkischen Landesarchivs Neues Archiv der Gesellschaftfür ältere deutsche Geschichtskunde Neue Deutsche Biographie Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv Österreichische Akademie der Wissenschaften Österreichisches Biographisches Lexikon 1815—1950 Österreichische Nationalbibliothek M I G N E , Patrología Graeca M I G N E , Patrología Latina Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Reallexikon für Antike und Christentum Paulys Realencycbpädie der classischen Altertumswissenschaft Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Revue Historique Revue d'Histoire Ecclésiastique Recueil des Historiens des Gaules et de la France Römische Historische Mitteilungen Römische Quartalschriftfür christliche Altertumskunde und (fiir) Kirchengeschichte Rivista Storica Italiana Rivista di Storia della Chiesa in Italia Sitzungsberichte (allgemein) Sources Chrétiennes Studi e Testi Theologische Realenzyklopädie Unsere Heimat. Zeitschrift fiir Landeskunde von Niederösterreich Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon (2. Auflage) Vierteljahrschriftfür Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vorträge und Forschungen Constant von W U R Z B A C H , Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Wien 1856-1891 Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit Zeitschrift fiir bayerische Landesgeschichte Zeitschrift fiir Geschichtswissenschaft Zeitschrift fiir historische Forschung Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftungfur Rechtsgeschichte, Germanistische Kanonistische Romanistische Abteilung

Vorwort Im Oktober 1854 hat Franz Joseph I. die Gründung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung zur Kenntnis genommen, sechs Stipendien bewilligt und damit dessen erste rechtliche und - leider längst nicht ausreichende - finanzielle Grundlage geschaffen. Obwohl der leichte Mißmut des kaiserlichen Handschreibens das Institut stets begleitet zu haben scheint, besteht es nun seit 150 Jahren — und es hat sich ganz anders entwickelt, als es sich seine Initiatoren vorstellten. Daß wir zu dieser Entwicklung stehen und daß sie weitergehen soll, haben wir im Jubiläumsjahr 2004 gezeigt. Neben der oft stillen, erst mittelfristig sichtbar werdenden alltäglichen Forschungsarbeit und den mühevollen Planungen und Verhandlungen, um dem Institut und der von ihm angebotenen Ausbildung den Platz in einem veränderten akademischen Umfeld zu sichern, sollte das Jubiläum auch mit Veranstaltungen begangen werden, die sich an eine engere wissenschaftliche wie auch an eine breitere Öffentlichkeit wandten. Den Auftakt und den Abschluß bildeten öffentliche Vorträge im Rahmen der großzügig kooperierenden „Wiener Vorlesungen", einer Einrichtung der Stadt Wien. Dazwischen lagen zwei internationale Fachtagungen, deren Referate als Ergebnis der Arbeit des Jubiläumsjahres nun gedruckt vorliegen, und die in ihrer Problembezogenheit ein bleibendes Signal setzen sollen, wie es die Publikationen zum glanzvoller zelebrierten 100Jahr-Jubiläum 1954 in ihrer Art taten. Mit diesen Tagungsbänden wollen wir also einerseits auf unsere bleibenden Traditionen und Grundlagen, andererseits auf ihre vollzogenen und zu vollziehenden Erweiterungen und Adaptierungen hinweisen. So wird die ungebrochene Bedeutung der Mediävistik für das Institut - und umgekehrt - demonstriert, doch kommt auch zum Ausdruck, daß es längst nicht mehr durchwegs mediävistisch bestimmt ist. Diese schon länger wirksame als zur Kenntnis genommene Profilierung wurde mit einer Tagung über das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, aber auch in der Konzeption der Tagung „Vom Nutzen des Edierens", deren Beiträge mittlerweile vorliegen, unter Beweis gestellt. Das Institut zeigte sich damit als Gastgeber, dessen Einladung weithin - bei den hervorragend besuchten Tagungen weit über den Kreis der Beitragenden hinaus — angenommen wurde, als Ort der Verknüpfung institutioneller und personeller Netze und der Kommunikation im internationalen Rahmen. Um unseren Gästen das Wort überlassen zu können und dennoch nicht auf eine Selbstpräsentation im Jubiläumsjahr zu verzichten, sind im Jahresband der MIÖG 112 (2004) ausschließlich Beiträge der im Institut Tätigen publiziert worden, die unsere Forschungstätigkeit und Interessen widerspiegeln. In wie viele Publikationen darüber hinaus am Institut erworbene Kompetenz und geleistete Arbeit einfließen und sie ermöglichen, ohne seinen Namen auf ihre Titelblätter zu bringen, soll darüber nicht vergessen werden.

12

Siglenverzeichnis

Das Tagungsthema „Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie in der Neuzeit" (22.-25. September 2004), das die konfliktreichen Beziehungen wie auch den Kulturtransfer von Ost nach West bzw. von West nach Ost in den Mittelpunkt stellt, ist sicherlich keines der unmittelbaren Kernthemen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, doch bietet sich gerade dieses von der Österreichischen Geschichtsforschung vielfach nur auf den Kampf gegen den Erbfeind reduzierte Thema für eine Neuperspektivierung vor geändertem methodischen Hintergrund geradezu an. Der Austausch von Informationen und Gütern, das Berichten über den anderen oder die Diplomatie standen deshalb im Mittelpunkt dieser Tagung und der vorliegenden Kongreßakten, die durch die in Aussicht gestellten Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union ein gewisses Maß an Aktualität beanspruchen dürfen. Gerade die historische Perspektive zeigt hier aber, unabhängig von ideologiegeleiteten Diskussionen, daß das Osmanische Reich schon in der Frühen Neuzeit fest in das europäische politische und diplomatische System integriert gewesen ist. Nach dem Voraus- noch einmal der Rückblick auf die Tagung und der Einblick in das vorliegende Buch: Dank gilt allen Beitragenden des Bandes, allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung, allen Kooperierenden außerhalb des Instituts, in erster Linie aber allen am Institut für Österreichische Geschichtsforschung Tätigen, die sich den Verzicht auf eigene Beiträge zumuten ließen, die Tagung und ihre Organisatorinnen und Organisatoren stets unterstützten und die Veranstaltung tatsächlich zu einer d e s I n s t i t u t s machten. Wien, im September 2005

Karl Brunner

Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie Marlene Kurz - Martin Scheutz - Karl Vocelka - Thomas Winkelbauer Der Termin fiir die Tagung hätte besser nicht gewählt werden können — in den letzten Septembertagen des Jahres 2004 diskutierte man in ganz Europa kontroversiell allerorts eine brennend aktuelle politische Frage: Sollen mit der Türkei Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union aufgenommen werden oder nicht? Gehört die Türkei zu Europa oder nicht? Implizit und meist unwissend griffen vor allem die Gegner des Türkei-Beitritts in dieser aktuellen politischen Debatte auf viele der in der Frühen Neuzeit entwickelten Klischeebilder und Argumentationslinien zurück, deren Wurzeln weit in der Vergangenheit liegen und die sich diese Tagung zu analysieren bzw. zu veranschaulichen vorgenommen hatte. Wie sehr diese Themen mit der tagespolitischen Auseinandersetzung verbunden sein würden, konnten die Organisatorinnen am Beginn ihrer Planung unmöglich ahnen. Doch die Tatsache, daß es bis weit hinein in die 1980er Jahre - ja in manchen Ausläufern bis heute - vielen Westeuropäern geläufige Feindbilder über „die" Türken gab bzw. gibt, war mit ein Anlaß, dieses Thema aufzugreifen. Diese Tagung stellte aber auch den Versuch einer Bilanz der österreichischen Geschichtsforschung der letzten 20 bis 30 Jahre dar und diente auch der Verdeutlichung eines Perspektivenwechsels der Forschung, weg von der Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzung und hin zu einer stärker kulturwissenschaftlich verorteten Aufarbeitung dieses brisanten Themas. Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie verband zweifellos eine jahrhundertelange Feindschaft und eine gemeinsame konfliktreiche Geschichte. Trotz dieser unbestreitbaren Gegnerschaft nahmen sich diese beiden, organisatorisch höchst unterschiedlich strukturierten Staatsgebilde bzw. deren Untertanen gegenseitig intensiv „wahr", reagierten aufeinander, betrieben miteinander Handel, rezipierten unterschiedliche Konfessionsvorstellungen und wurden in der jeweiligen Propaganda mit dem Bild des „Anderen" konfrontiert. Der Aspekt des Konfliktverhältnisses bzw. der Aufarbeitung der gemeinsamen Kriegsgeschichte wurde von der österreichischen Geschichtsforschung bisher stark betont, während die Kulturtransferleistungen, die Kontakte neben den Konflikten in der Neuzeit (gemeint ist damit die Zeit vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert) in dieser Tagung näher beleuchtet und, deutlicher als dies bisher geschah, in den Mittelpunkt gestellt wurden. Ein weiteres Anliegen der Tagung war es auch, eine Vernetzung von Forschungen von Osmanistlnnen, Historikerinnen und Vertreterinnen anderer Disziplinen (beispielsweise Literaturwissenschaftlerlnnen und Kunsthistorikerinnen) herzustellen und damit den Forderungen nach mehr Interdisziplinarität, die - zumindest als Lippenbe-

14

Marlene Kurz - Martin Scheutz - Karl Vocelka - Thomas Winkelbauer

kenntnis - immer wieder gestellt werden, auf diesem speziellen Feld besser gerecht zu werden. Zusätzlich zu den Vorträgen der Tagung 1 konnten noch weitere Beiträge für den vorliegenden Sammelband eingeworben werden, die das Thema der Tagung in mehrfacher Weise ergänzen und bereichern. Kontakte und Konflikte Die Tagung begann mit einer Reihe von Beiträgen zum zentralen Themenbereich „Kontakte und Konflikte". Bei dieser Schwerpunktsetzung bewegten wir uns in einem Feld, das die längste Tradition auf dem Gebiet der Beschäftigung mit den osmanischhabsburgischen Beziehungen aufweist, doch zeigte sich sehr klar an den Beiträgen, daß es hier zu einem deutlichen Paradigmenwechsel gekommen ist, daß „alte" Themen auch neu gelesen werden können und damit durchaus bereichernd für die Diskussion des Gesamtkomplexes des Verhältnisses zwischen den beiden Reichen wirken können. Der bei der Tagung heftig diskutierte Eröffnungsvortrag von H o l g e r T h . G r ä f stellte die Frage nach der Position des Osmanischen Reiches in der Frühen Neuzeit Erbfeind oder potentieller Bündnispartner? - in einen gegenwartspolitischen Kontext. Gräf ging von der Diskussion um die EU-Beitrittsverhandlungen aus und endete wieder bei ihr. Die Kernfrage damals wie heute war und ist: Gehört die Türkei überhaupt zu Europa? - eine Diskussion, die nicht geographisch zu lösen ist, sondern in einer differenzierteren Betrachtungsweise unter Einbeziehung der laufenden Diskurse um den Europa-Begriff geführt werden muß. Ausgehend von einer allegorischen Darstellung des Reiches unter Karl V. zeigt Gräf, daß die Osmanen nicht immer als „Erbfeind der Christenheit" betrachtet wurden, sondern daß man ihnen durchaus einen eigenen Platz im internationalen System des entstehenden europäischen Staatengeflechtes der Neuzeit zubilligte. Der Wandel in der Beurteilung des Osmanischen Reiches wird von Gräf vor allem historiographiegeschichtlich verankert. Er streicht dabei die historiographische Wende in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts besonders heraus und betont die Rolle der Propaganda für die Perzeption des Osmanischen Reiches durch die Historikerinnen Mittel- und Westeuropas. Ein weiterer Argumentationsstrang seiner Ausführungen ist ein diplomatiegeschichtlicher, wobei er die These vertritt, daß sich das europäische diplomatische Instrumentarium (Gesandtschaften, Diplomatie etc.) vor allem im Austausch mit dem Osmanischen Reich entwickelte, wobei Istanbul die Rolle eines zentralen Schauplatzes europäischer Mächtepolitik zukam. So kommt Gräf zu dem Schluß, daß „das säkulare Mächteeuropa [...] nicht nur im Kampf der Konfessions- und später Nationalstaaten untereinander, sondern auch in der Auseinandersetzung mit dem nicht-christlichen Osmanenreich" entstand. Mit dem Beitrag von M a r l e n e K u r z ist ein anderer Perspektivenwechsel verbunden. Nicht die Perspektive der methodischen Betrachtungsweise wechselt, sondern die Blickrichtung. Der Beitrag zielt auf die Einschätzungen der osmanischen Geschichtsschreibung ab und stellt - stark zentriert auf eine Fallstudie zum Beginn des offenen Konfliktes, also die erste Wiener Türkenbelagerung 1529 und den ebenfalls erfolglosen zweiten Versuch 1532, der vor der Festung Güns (Köszeg) endete - die Frage, 1 Siehe den Bericht über diese Tagung http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/ id=654 (23. Mai 2005).

Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie

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wie man von osmanischer Seite Österreich gesehen hat. Eine Reihe von Werken von Historikern - von Zeitgenossen wie Celalzade Mustafa bis zu dem erst 1917 gestorbenen Mehmed Murad - wird in diesem Beitrag analysiert und in Beziehung zum Wandel des Selbstbildes der islamischen Welt vom 16. bis zum 20. Jahrhundert gesetzt. C i a i r e N o r t o n verdeutlicht in ihren Betrachtungen zunächst, daß häufig Geschichtsbilder und Anschauungen der Gegenwart in die Vergangenheit projiziert werden; dadurch entsteht das Bild, an der Grenze wären auf der einen Seite nur christliche Soldaten und auf der anderen nur muslimische Türken miteinander konfrontiert gewesen. Andere Quellen — nicht die offiziellen des Staates - zeigen, daß es ein viel differenzierteres Spektrum von Identitäten gibt. Die Grenze ist, stellt die Autorin fest, heterodox und pluralistisch. Die These wird vor allem an einer Fallstudie der Belagerungen von Nagykanisza im Jahre 1600/01 untersucht. Vor allem auf Grund osmanischer Quellen wird in diesem Beitrag klar gezeigt, daß es neben der konfessionell-ideologischen Abgrenzung (man bezeichnete sich gegenseitig als „ungläubig") auch viele Bereiche der Uberschneidung, ja der Arbeit für den „Gegner" oder zumindest Sympathie für ihn gab. Aus osmanischer Sicht waren auch speziell die Lutheraner wichtig, denn sie spalteten die Macht des Gegners; in der bearbeiteten Handschrift geht das so weit, daß - fiktional ein eigener König der Lutheraner unter Mitwirkung der Osmanen gekrönt wird. Ciaire Nortons Ausfuhrungen schließen also mit der Umkehrung des oft zitierten Satzes „Der Türck ist der Lutheraner Glück", indem sie zeigt, daß auch umgekehrt Luther der Türken Glück war. Am Beispiel der gemeinsam von einer osmanischen und einer österreichischen Kommission vorgenommenen Grenzziehung nach dem Frieden von Karlowitz 1699 kann A n t a l A n d r a s D e a k verdeutlichen, daß mit Hilfe der großangelegten Kartenwerke bzw. mit den im Zuge der Kartierung entstandenen Begleittexten nicht nur Informationen militärischer und politischer Natur vermittelt wurden, sondern auch detaillierte und empirisch fundierte Nachrichten aus Geschichte, Geographie oder etwa Volkskunde von der Peripherie ins Zentrum der Habsburgermonarchie transportiert und so einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Der Beitrag von A n d r e a P ü h r i n g e r , der sich mit der Darstellung der Gewalt in den Türkenkriegen auseinandersetzt, hat wiederum ein anderes Quellenmaterial oder Medium der Vermittlung von Klischees zum Gegenstand. Nach einer ausführlichen Diskussion des Begriffes Gewalt und seiner Funktion bei der Stilisierung des Gegners wendet sich Andrea Pühringer den Werken der bildenden Kunst zu, wobei sie zwischen den gemalten (häufig repräsentativen) Schlachtendarstellungen und der Druckgraphik unterscheidet. Dabei zeigt sich deutlich, daß die Schlachtenmalerei keine besonders feindseligen Bilder des Gegners entwirft, während in der Graphik diese Elemente der Darstellung häufiger zu finden sind. Das völkerrechtliche Phänomen des Kultusprotektorats, das den Bürgern europäischer Mächte aufgrund der „Kapitulationen" eine privilegierte Stellung im Osmanischen Reich einräumte und gleichzeitig die Hoheitsrechte des Osmanischen Reiches einschränkte, wurde im 19. Jahrhundert zu einem Spiegelbild des europäischen Kräfteverhältnisses, wie B a r b a r a H a i d e r - W i l s o n an einem Vergleich vor allem der Handhabung des Kultusprotektorats seitens Frankreichs und der Habsburgermonarchie im „Heiligen Land" zeigen kann. Der „Schutz der Christen" im Osmanischen Reich wurde zu einem gleichermaßen von Nationalismus wie auch Imperialismus geprägten Feld. Die einander argwöhnisch beobachtenden Konsularbehörden der verschiedenen

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Marlene Kurz - Martin Scheutz - Karl Vocelka - Thomas Winkelbauer

Mächte vor Ort suchten die Rechtsansprüche ihrer Untertanen wie auch der katholischen osmanischen Staatsangehörigen gegenüber dem Osmanischen Reich durchzusetzen und verknüpften somit geschickt politische mit kirchlichen Interessen. Einer ähnlichen Fragestellung wie Holger Th. Gräf geht der - erst nachträglich eingeworbene - Beitrag von A r n o S t r o h m e y e r nach, der die Frage aufwirft, ob das Osmanische Reich wirklich ein Teil des europäischen Staatensystems der Frühen Neuzeit war. Der Autor hebt zwar die Verschiedenheit der beiden politischen Systeme deutlich hervor, zeigt aber, daß man schon recht früh — vor allem von Seiten Frankreichs - die Osmanen in die internationalen Beziehungen einbezogen hat. In drei Feldern zeichnet Strohmeyer die Rolle des Osmanischen Reiches in Europa nach: auf dem der Diplomatie, auf dem der Idee vom Gleichgewicht der Kräfte und auf dem des Völkerrechts. In der Diplomatiegeschichte ist der Umstand, daß das Osmanische Reich bis zum Ende der Frühen Neuzeit keine ständigen Botschaften einrichtete, charakteristisch. Bezüglich der Gleichgewichtspolitik war der Umstand maßgebend, daß die Türken als Muslime und Erbfeinde keine Bündnispartner wie andere auch waren, so daß sie erst sehr spät — gegen Ende des 17. Jahrhunderts - vorsichtig in dieses Konzept miteinbezogen wurden. Auch auf dem Gebiet des Völkerrechts (die Friedensverhandlungen und Waffenstillstände betreffend) hatte das Osmanische Reich andere Gepflogenheiten als die christliche Staatenwelt, auch auf diesem Gebiet setzte der Anpassungsprozeß an die europäischen Gepflogenheiten relativ spät ein. Auch Strohmeyers Analyse endet mit der differenzierten Diskussion des aktuellen Problems des EU-Beitritts der modernen Türkei, wobei er deutlich darauf verweist, welche bedeutende Rolle in einem solchen Prozeß der Geschichte als Wissenschaft zukommen könnte.

Türkenbilder und Türkenpropaganda Der „Türke" als das böse, grausame Tier, das immer aufs neue Böses gebiert, als Antichrist, als größter aller möglichen Feinde, als Erbfeind und so fort — so wird das Osmanische Reich in der frühneuzeidichen Habsburgermonarchie stereotyp skizziert. Die Genese bzw. Instrumentalisierung dieses „Feindbildes" wurde in der zweiten Sektion an Beispielen in verschiedenen Textsorten exemplifiziert. Einen für die Frühe Neuzeit nicht wegzudenkenden Aspekt des Themas der Auseinandersetzung mit den Osmanen schneidet F r a n z B o s b a c h an, dessen Vortrag sich mit der heilsgeschichtlichen Deutung der Osmanen durch Mercurino Gattinara beschäftigte. Dabei wird klar herausgearbeitet, daß die Osmanen keineswegs Feinde wie andere auch waren, sondern von vielen im Zusammenhang mit der Eschatologie als eines der Zeichen für ein bevorstehendes Weltende angesehen wurden. Die Bekämpfung dieser Gefahr war daher auf zwei Ebenen notwendig, einerseits real mit kreuzzugsähnlichen Unternehmungen und andererseits auch religiös, vor allem durch Buße und Besserung. Prophezeiungen spielten in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle und beeinflußten auch die politischen Schriften Gattinaras, des späteren Großkanzlers Kaiser Karls V., der auf unterschiedlichen Ebenen den Kampf der Universalmonarchie des christlichen Kaisers mit dem weltlichen Gegner Osmanisches Reich, aber auch mit dem religiös als apokalyptisches Ungeheuer uminterpretierten Osmanischen Reich darstellt. Das Bild der Türken bei einer weithin bekannten literarischen Größe des deutschen Humanismus, bei Sebastian Brant, der die Rolle Maximilians I. für einen Kreuzzug gegen die Osmanen besonders betonte, untersucht A n t j e N i e d e r b e r g e r . Religiöse

Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie

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und machtpolitische Kalküle stehen dabei - typisch für den Umgang mit dem Osmanischen Reich - unvermittelt nebeneinander, doch das Bild der Osmanen war vorwiegend religiös geprägt und voller Klischees, die sich lange hielten. Die Türken werden als weibisch und böse beschrieben, als ein Volk, das ständig Greueltaten begeht. Der Beitrag zeigt vor allem die literarische Konstruktion dieser Vorstellungen mit dem Rückgriff auf ältere Texte, vor allem (Pseudo-)Offenbarungen wie etwa den Pseudo-Methodius. Mit antiosmanischen Argumentationsstrategien in Propaganda und Diplomatie, wie sie in und zwischen den christlichen Staaten Europas am Ende des 15. und im 16. Jahrhundert gepflegt wurden, setzt sich J a n P a u l N i e d e r k o r n auseinander. Während in der breiten Bevölkerung die Türkenfurcht erfolgreich geschürt wurde, indem man in Predigten und Flugschriften vor allem die Greueltaten der „Türggen" ausmalte, betonten Diplomaten und Staatsmänner vor allem die Notwendigkeit der Solidarität der christlichen Staaten. Die Osmanen ließen sich durch Friedensverträge nicht binden, daher könne jeder schnell Opfer ihrer Aggressionen werden, und wer dies vermeiden wolle, tue gut daran, die angegriffenen Nachbarn zu unterstützen. Mögliche territoriale Gewinne auf Kosten der Osmanen spielten in der Argumentation dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Ein weiteres wichtiges, von der Forschung der letzten Zeit stark vernachlässigtes Medium der Propaganda und Feindbildstilisierung wird in dem Beitrag von C h r i s t i n e G i g l e r an einem Beispiel untersucht. Predigten waren ein weithin zugängliches Medium der Propaganda, die dann durch die Drucklegung auch noch weitere Verbreitung in den Kreisen der qualitativ-repräsentativen Öffentlichkeit des ständischen Adels und der Geistlichkeit fanden. Am Beispiel der 1566/67 gedruckten Türkenpredigten des Gurker Bischofs Urban Sagstetter arbeitet Christine Gigler vor dem biographischen und ereignisgeschichtlichen Hintergrund (Türkenkrieg 1565/66) die Grundzüge der „geistlichen Kriegführung" in der Frühen Neuzeit heraus. Die Propaganda und die Instrumentalisierung der „Türkenfurcht" stehen auch im Zentrum des Beitrages von I s k r a S c h w a r c z , die den Konflikt auf dem Balkan auf der Basis schriftlicher und bildlicher Quellen (vor allem Medaillen) interpretiert und ein Bild der vielschichtigen Propagandamechanismen des kaiserlichen Hofes vermittelt. Auch Iskra Schwarcz stellt in ihrer Analyse der Konfliktverhältnisse auf dem Balkan einen Gegenwartsbezug her, sie spannt einen weiten Bogen vom frühen Mittelalter bis zu den nach 1990 aufflackernden Kämpfen in dieser Region, die sie in einen Zusammenhang mit der Entwicklung in der Frühen Neuzeit setzt. Im Mittelpunkt der Studie steht der Große Türkenkrieg Leopolds I. von 1683 bis 1699, dessen Spiegelung in den Medien der Zeit die Autorin untersucht. Die Flugblattpublizistik, die damals schon existierenden Tageszeitungen und die Medaillen als elitäres, aber sehr wirksames Propagandainstrument werden als Ausgangspunkt der Analyse genommen, wobei Iskra Schwarcz zu Recht vor einer Uberschätzung des kaiserlichen Einflusses auf diese propagandistischen Medien warnt. Gesandte und Gesandtschaftswesen Die in der dritten Sektion im Zentrum stehenden Botschafter bzw. Teilnehmer an Gesandtschaften waren die wohl wichtigsten Träger des Kulturtransfers; ihre Berichte und Briefe stellen zwar den jeweiligen Herrscher an der Pforte in den Mittelpunkt, doch vermitteln sie auch ein Fülle an weiteren Informationen aus den verschiedenen ihnen

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Marlene Kurz - Martin Scheutz - Karl Vocelka - Thomas Winkelbauer

zugänglichen Lebensbereichen. Der Beitrag von R a l f C . M ü l l e r beschäftigt sich mit der habsburgischen Diplomatie an der Hohen Pforte am Ende des 15. und während des 16. Jahrhunderts. Im Interesse der eigenen Macht- und Existenzsicherung waren die Habsburger schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts gezwungen - parallel zu immer wieder aufflackernden militärischen Auseinandersetzungen einen diplomatischen Ausgleich mit den Osmanen zu suchen. Dieses Ansinnen wurde durch die grundlegende Neuorientierung der osmanischen Politik nach 1536 erleichtert: Der Sultan konzentrierte sich fortan auf die Konsolidierung des Reiches in den bestehenden Grenzen und betonte dessen islamisch-orientalischen Charakter, wurde also mit auf Europa gerichteten Ambitionen deutlich zurückhaltender. Wesentlich getragen wurde diese Herstellung einer balance of power nicht nur von offiziellen Diplomaten, sondern auch von geheimen Agenten, so daß die habsburgisch-osmanischen diplomatischen Kontakte während des 16. Jahrhunderts, die von Müller ausführlich beleuchtet werden, eine wichtige Rolle bei der Herausbildung der modernen Diplomatie und Geheimdiplomatie spielten. Mit dem Aufbau diplomatischer Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich im 16. Jahrhundert und vor allem mit der langsamen Herausbildung der Repräsentation der habsburgischen Gesandten in Konstantinopel beschäftigt sich B a r t S e v e r i . Den Gesandten als „privilegierten Spionen" kam nicht nur die Aufgabe der Informationsbeschaffung, sondern auch jene der Repräsentation ihres Auftraggebers via Geschenken oder der Austragung von Rangkonflikten mit anderen Botschaftern bzw. bei Hof zu. Die habsburgischen Diplomaten an der Pforte avancierten zu den wichtigsten Darstellern der herrschaftlichen Repräsentation, als „Widerspiegelung" ihres Landesfürsten. Die in „Gefangenschaft" gehaltenen habsburgischen Botschafter mußten allerdings, um Verhandlungen mit der Gegenseite überhaupt zu ermöglichen, auch bestimmte Eigenheiten des Zeremoniells bzw. der Verhandlungsführung an der Pforte übernehmen. Das medial breit rezipierte Auftreten der Gesandtschaft des Ibrahim Bey bei der Krönung von Maximilian II. 1562 in Frankfurt bildet das Thema des Beitrages von H a r r i e t R u d o l p h . Sowohl Kaiser als auch Sultan nutzten die sich daraus ergebenden Inszenierungsmöglichkeiten vor der Öffentlichkeit des Reiches für ihre eigenen Zwecke und ihre Herrschaftsrepräsentation. In den Beschreibungen der Krönungsfeierlichkeiten fügten sich die osmanische Gesandtschaft und der ausgehandelte Friedensvertrag nahtlos in das Bild des „starken" neuen Königs ein, der die osmanische Gesandtschaft mit seiner prächtigen Krönung tief zu beeindrucken sucht (so etwa Busbeck). Angst vor den Osmanen wie auch Bewunderung für deren hochstehende Kultur (etwa deren Teppiche, Kleidung, Pferdegeschirre usw.) standen bruchlos in den vielen Berichten über diese Gesandtschaft nebeneinander, doch überwog zeitgenössisch die Furcht vor den „kindermordenden Türken" deutlich. Am Beispiel der in Wien diplomatisch nicht allzu hoch bewerteten Tatarengesandtschaften, die im 17. Jahrhundert (bis 1682) mehrmals die Residenzstadt besuchten, unterstreicht Christoph Augustynowicz die Rolle des Zeremonielles als feingliedriges Mittel der Rangabstufung vor einer höfischen Öffentlichkeit. Dennoch wird die Bedeutung der tatarischen Gesandtschaften, gelesen als kulturelle Begegnung, für den Austausch zwischen Ost und West deutlich. Neben den Gewändern wurden Gestik und „Handlungen" in den Wiener Zeremonialprotokollen exakt aufgezeichnet, auch die verschiedenen Geschenktraditionen (Pferde für den Kaiser, „Schlafhosen" für die „Kaiserin"; Ringe für den Gesandten oder auch Uhren für den Hof des Chans) lassen sich gut verfolgen.

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Am Rand des Hauptinteresses am Wiener Hof war auch die Gesandtschaft von Jussuf Khodscha 1732/33, ein Nachspiel des österreichisch-tunesischen Friedensvertrages von 1725, angesiedelt, in der es um die österreichisch-tunesischen Beziehungen vor dem Hintergrund der durch die Korsaren gefährdeten Mittelmeerschiffahrt in dem seit dem Rastätter Frieden zur Monarchie gehörigen Hafenplatz Neapel ging. Gerade die Begegnung des Wiener Hofes mit den Emissären der „Barbaresken" zeigt die kulturellen Unterschiede, wie der tunesische Germanist M o u n i r F e n d r i herausstreicht, aber auch, wie man auf die Forderungen der tunesischen Gesandtschaft nicht nur inhaltlich einging, sondern die Gesandtschaft auch in zeremoniellen Fragen sichtbar abqualifizierte. Reiseberichte Die vierte Sektion wandte sich den insgesamt systematisch noch wenig erforschten Orientreiseberichten der (Frühen) Neuzeit zu, einer zentralen Quellengattung, die dem Leser ein Bild des „Anderen" vermittelt und das „Eigene" deutlich hervortreten läßt. Die Reise, als „rite de passage" verstanden, wirft den Reisenden auf seine eigene kulturelle Identität zurück, zwingt ihn aber zu Reflexionen, die allerdings paradoxerweise, wie die folgenden Beiträge aufzeigen, häufig sogar Stereotype noch verfestigten. Einen wichtigen Beitrag zur Verbreiterung des Quellenkorpus der frühneuzeitlichen Orientreisen und eine exemplarische Auswertung dieser Quellengattung unternimmt H e m m a S t a g l in ihrem Aufsatz, der vor allem die Religion und die nichtmuslimischen Bevölkerungsteile im Osmanischen Reich untersucht. Gerade die Religionsfreiheit im Osmanischen Reich ermöglichte, anders als in der Habsburgermonarchie, das Bestehen vieler christlicher Konfessionen, etwa der Christen in Bosnien oder der Griechen in Konstantinopel. Die Konversion zum Islam war bei weitem nicht die einzige Möglichkeit, zu Ansehen und Wohlstand zu gelangen, auch Sklaven, sogar Galeerensklaven, konnten nach den untersuchten Reiseberichten ihre Religion ausüben, andererseits wurden den Reisenden auch immer wieder Angebote zur Konversion unterbreitet. Einen originellen, bislang noch kaum erforschten interkulturellen und interregionalen Vergleich zwischen Azteken und Osmanen, zwischen den Kämpfern gegen den Erbfeind und den „Hidalgos", stellt P e r v i n T o n g a y in ihrem Beitrag an. Am Beispiel von Busbeck und Dernschwam sowie Cortés und Díaz de Castillo werden sowohl Unterschiede in der Religion als auch hinsichtlich von Begriffen wie „barbarisch" und „tyrannisch" in den Reiseberichten herausgearbeitet. Die Begegnung mit den .Anderen" führte dabei in allen Berichten dazu, daß die eigene Kultur in ihrer Dominanz und in ihrem Herrschaftsanspruch bestätigt wird. Sowohl die „Wilden" als auch die „Erbfeinde" wurden an den eigenen Normen und Werten gemessen. Der berühmte Bericht von Hans Dernschwam über seine Reise nach Konstantinopel und Kleinasien in den Jahren 1553 bis 1556 hat zwar schon, wie C h r i s t o f J e g g le erläutert, einige Bearbeiter gefunden, doch läßt sich zeigen, wie Dernschwam in humanistischer Manier Konstantinopel als zentralen Ort der humanistischen Tradition beschreibt. Die implizite Ordnungsvorstellung Dernschwams und sein Gebrauch der Topoi im zeitgenössischen Diskurs werden angesprochen, neben den klassischen Pilgerbericht tritt eine differenzierte, aus eigener Anschauung gewonnene Beschreibung der osmanischen Gesellschaft.

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Ein aus Danzig stammender Handelsgeselle namens Martin Gruneweg und dessen umfangreicher Bericht über seine sechs Reisen nach Konstantinopel in den 1580er Jahren bilden das Thema des diese Quelle ausführlich vorstellenden Beitrages von A l m u t B u e s . Neben einer Schilderung dieses konvertierten und sogar zum katholischen Priester aufgestiegenen Handelsgesellen vermittelt der unter anderem mit Skizzen illustrierte Bericht vor allem auch Einblicke in die Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte des Osmanischen Reiches, wobei der Kaufmann Gruneweg der osmanischen Welt aufgeschlossen gegenübertrat und seine Umwelt, von Feindbildern wenig geleitet, beschrieb. Der niederösterreichische Adelige Hans Christoph Freiherr von Teufel unternahm zwischen 1587 und 1591 eine als Pilgerreise angelegte Reise ins Osmanische Reich. Sein unter anderem durch die Einbeziehung Persiens interessanter, noch wenig erforschter Reisebericht wird von M i c h a e l G r e i l vorgestellt. Er zeigt einerseits, wie stark der Reisende zwischen den verschiedenen Ethnien (also etwa Kurden, Griechen, Juden) unterschied, zum anderen, wie soziale Herkunft und Ausbildung die Rezeption des „Fremden" prägen. Hans Christoph Teufel bringt in seinem Bericht, gestützt auf einen Studienaufenthalt in Padua, etwa kontinuierlich Hinweise auf Pflanzen und Tiere an, geschichtliche Fragestellungen interessierten ihn besonders, die Wahrnehmung von „Fremdheit" spielt in seinem Reisebericht nur eine geringe Rolle. Der aus Bruneck in Südtirol stammende Gastwirt und Bäckermeister Johann Georg Hilber, später von seiner Umgebung „Jerusalembäck" genannt, machte sich 1851 zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land auf, wie H a n s - P e t e r L a q u e u r in seinem Beitrag darlegt. Der Bäcker rezipierte die Osmanen auf dieser Pilgerreise mit Genugtuung als besiegten Erbfeind Österreichs und der Christenheit, seine Reise eröffnete dem wagemutigen Reisenden vor dem Hintergrund eingefahrener stereotyper Sichtweisen keine neuen Horizonte, sondern bestätigte die Vorurteile seiner Zeit. Dolmetscher und Dragomane Die fünfte Sektion des Kongresses beschäftigte sich mit den „Dolmetschern und Dragomanen", die einen nicht wegzudenkenden Faktor in der Vermittlung der beiden Welten ausmachten. Dabei handelt es sich nicht bloß um ein auf die Sprache reduziertes Phänomen, sondern auch um die „Ubersetzung" von kulturellen Vorstellungen und um Kulturtransfer, der von dieser Menschengruppe betrieben und monopolisiert wurde. Der grundlegende und in die Problematik einführende Beitrag von A l e x a n d e r H . d e G r o o t hebt die polyglotte Struktur des Osmanischen Reiches hervor, die den Einsatz von Dragomanen (von einem arabischen Wort für Dolmetscher abgeleitet) auch innerhalb des Reiches notwendig machte. Diese Dragomane waren zunächst meist NichtMuslime, aber Untertanen des Sultans. Ab dem 17. Jahrhundert haben auch die ausländischen Mächte eigene Dragomane ausgebildet und in ihren Dienst genommen, so daß sich die Dragomane des Serail (meist Phanarioten, also Griechen) und die der Botschafter (meist „Lateiner", also Katholiken) gegenüberstanden. Alle diese Gruppen hatten spezifische Privilegien und Rechte, zeigen aber auch deutlich die national und konfessionell komplexe Situation dieses Territoriums auf. Die komplizierte Situation, die de Groot zunächst allgemein darlegt, wird dann an einem Beispiel, dem der levantinischen Dragomanen aus der Familie Testa, die eine österreichische und eine holländische Linie hatten, exemplifiziert.

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Mehr an den Quellen orientiert beschäftigt sich E r n s t D i e t e r P e t r i t s c h mit einer ähnlichen Frage, aber von Seiten der Habsburgermonarchie, der Erziehung der Sprachknaben in der Orientalischen Akademie, wobei er von dem Memorandum des Jesuitenpaters Josef Franz ausgeht, das den Anstoß zur Gründung dieser Anstalt gab. Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob man die Ausbildung wie bisher in Konstantinopel (Istanbul) oder aber in Wien durchfuhren solle, steht im Mittelpunkt der Gründungsgeschichte. Die weiteren Ausführungen beschäftigen sich mit den Lehrplänen und den Lehrenden in der frühen Phase der Orientalischen Akademie. M i c h a e l a W o 1 f nähert sich dieser Frage von einem sozialwissenschaftlichen Standpunkt aus, und sie macht die soziale und kulturelle Kompetenz (im Sinne der Kultursoziologie von Bourdieu) zu ihrem Thema. Statistisch untersucht sie die soziale Herkunft der Zöglinge, deren symbolisches Kapital nicht zuletzt an der Stellung der Väter zu messen war; das kulturelle Kapital wird vor allem durch die Aufnahmekriterien und die Lehrpläne der Anstalt definiert. Die letzten beiden Beiträge dieser Sektion stellen die bedeutendste Persönlichkeit, die aus dieser Akademie hervorgegangen ist, in den Mittelpunkt: Josef von HammerPurgstall, dem auf vielen Gebieten große Bedeutung zukommt; er war - das paßt gut zum Thema dieser Sektion - in vieler Hinsicht ein „Übersetzer" orientalischer Kultur für den Westen Europas, in Bezug auf die Dichtkunst ebenso wie in seiner monumentalen Geschichte des Osmanischen Reiches. S y b i l l e W e n t k e r stellt eine der vielen Identitäten Hammers in den Vordergrund ihres Beitrages, die des politischen Menschen Hammer-Purgstall. Dabei stützt sie sich auf eine von ihm selbst stammende Quelle, die bisher aufgrund ihres großen Umfanges nur gekürzt edierten „Erinnerungen aus meinem Leben". Die Quelle erlaubt interessante Einblicke in das Leben des großen Gelehrten, das sich vor allem im Widerstand gegen die Mißachtung durch die österreichischen Behörden, speziell durch Metternich, entfaltete. Der Aufsatz von T h o m a s W a 11 n i g geht ebenfalls von einer bisher wenig zur Kenntnis genommenen Quelle, die bisher weitgehend unveröffentlicht war, aus: den etwa 4 . 5 0 0 (!) erhaltenen Briefen an Hammer-Purgstall im Steiermärkischen Landesarchiv. Als exemplarisches Beispiel aus der Fülle der Briefkontakte wählt er die Briefwechsel mit Francesco Rossi, dem Bibliothekar der Brera in Mailand, und Pietro Bettio, dem Bibliothekar der Marciana in Venedig, aus und zeigt damit eine andere - weniger auf den Orient ausgerichtete - Facette der Identität des großen Orientalisten auf. Südosteuropa, die Habsburger und die Osmanen Im Brennpunkt der Konfrontation zwischen Habsburgern und Osmanen standen die Gebiete Südosteuropas, die im letzten Abschnitt des Tagungsbandes behandelt werden. Die Beiträge zeigen militärische und nicht-militärische Aktivitäten der beiden Großreiche auf dem Balkan, vor allem aber auch das Bemühen der lokalen Bevölkerung, sich gegenüber diesen Einflüssen zu behaupten, wofür gegebenenfalls auch beide Seiten gegeneinander ausgespielt wurden. I v a n P a r v e v beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem Ubergang der Habsburger von einer vorwiegend militärisch zu einer überwiegend diplomatisch geprägten Südosteuropapolitik zwischen 1739 und 1878. In diesem Zeitraum avancierte Rußland zu einem gefährlichen Gegner nicht nur der Osmanen, sondern auch der Habsburger im Ringen um die Vorherrschaft auf dem Balkan. Aufgrund eines Mangels an qualifizierten militärischen Führungskräften und einer unklu-

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gen Politik gegenüber Rußland konnte nach Parvevs Einschätzung Österreich seinen Einfluß in Südosteuropa nicht in optimaler Weise ausbauen. Wäre die Geschichte anders verlaufen, so vermutet Parvev, hätte der Balkan vielleicht mehr Ähnlichkeit mit dem Habsburgerreich und die Donaumonarchie größere Stabilität gehabt. Das bislang noch wenig erforschte Alltagsleben in den Festungsstädten an der kroatischen und slawonischen Militärgrenze im 16. und 17. Jahrhundert wird in dem Beitrag von N a t a s a S t e f a n e c beleuchtet. Auf der Grundlage von erhaltenen Musterlisten (1577, 1630) und mittels dialektologischer Untersuchungen des darin enthaltenen Namenmaterials gelingt es der Autorin, bei aller Quellenproblematik des vorstatistischen Zeitalters, die ethnische Zusammensetzung der Grenztruppen näher zu beleuchten. Vor allem deutschsprachige Adelige wurden demnach mit Führungspositionen betraut, die Grazer und Wiener Zentralbehörden scheinen gezielt Personen aus deutschsprachigen Gebieten gefördert zu haben. Erst im 17. Jahrhundert läßt sich ein stärkerer Anteil von Adeligen aus Kroatien und Slawonien unter den Soldaten feststellen. Außerdem läßt sich die Durchlässigkeit der Militärgrenze in beide Richtungen verdeutlichen. Nachhaltig geprägt von den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Habsburgern und Osmanen wurde auch das Schicksal der bulgarischen Familie der Vuko et Branko, mit der sich S t e f a n S p e v a k in seinem Beitrag auseinandersetzt. Der 1688 mitsamt seiner Nachkommenschaft von Kaiser Leopold I. in den ungarischen Adelsstand erhobene Bogdan Vuko-Brankovic emigrierte zu etwa dieser Zeit mit seiner Familie in die Walachei, sehr wahrscheinlich, um sich dort vor osmanischer Verfolgung in Sicherheit zu bringen. Die sich in den folgenden Jahrzehnten ereignenden politisch-militärischen Veränderungen im Verhältnis von Osmanen und Habsburgern veranlaßten die Familie in diesen Jahren zur Umsiedlung nach Siebenbürgen, von dort zurück in die Walachei und schließlich nach den kaiserlichen Niederlagen von 1738 in die Batschka und das Banat. Spevak fragt nach der Herkunft der Familie, den Gründen für ihre Nobilitierung, dem Verlauf ihrer Migration und ihrer sozialen und rechtlichen Stellung in der neuen Heimat. Wie in Nordalbanien Ende des 19. Jahrhunderts Italiener, Österreicher und Osmanen miteinander darum konkurrierten, durch das Erziehungssystem Einfluß auf die lokale Bevölkerung zu gewinnen, zeigt I s a B1 u m i in seinem Beitrag. Der Autor fragt in diesem Zusammenhang, wie die Albaner die Interessen der Großmächte für ihre eigenen Zwecke instrumentalisierten. Nachdem die Italiener ihre Schulen in Nordalbanien auch für Orthodoxe und Muslime geöffnet hatten, sahen sich die Österreicher, um ihren Einfluß wahren zu können, schließlich gezwungen, ebenfalls Erziehungsreformen einzuleiten und die albanische Sprache in Schulen und Kirchen zuzulassen. Diese Sprachpolitik förderte über die Konfessionen hinweg ein protonationales Bewußtsein, wodurch wiederum die Rolle der Osmanen in der Region in Frage gestellt wurde. Die Aktivitäten der Österreicher und der Osmanen in der Region wurden also in hohem Maße durch die Ansprüche der lokalen Bevölkerung geformt. Die heute noch spürbaren Folgen der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan, aber auch die Veranschaulichung des nationalen Erwachens zeigt W l a d i m i r F i s c h e r an der Person und dem Werk von Dositej Obradovic. Gerade am Beispiel dieses Literaten zeigt sich, wie vielfältig man sein Werk interpretieren und instrumentalisieren konnte. Bei dieser Darstellung stehen — ähnlich wie beim Aufsatz von Ciaire Norton - die Komplexität und die Vielfalt der Phänomene im Mittelpunkt, wobei Fischer wesentliche Anstöße zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit diesem Thema vermittelt.

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Inhaltlich abgerundet wird der Band durch den literaturwissenschaftlichen Beitrag M i r a n d a J a k i s a s, die sich mit der Darstellung der Osmanen und der Habsburgermonarchie in Ivo Andrics Romanen befaßt. Bosnien als Schauplatz der Romane Wesire und Konsuln und Die Brücke über die Drina ist die kulturelle Kon taktzone von „Orient" und „Okzident", deren Einwirkungen Bosnien zwar nicht unberührt lassen, die aber dort auch nicht zu einer harmonischen Synthese verschmelzen, so daß eine doppelte Gerichtetheit zum Merkmal der bosnischen Kultur wird. Andric stattet die „Kolonisatoren" Bosniens mit klischeehaften „orientalischen" bzw. „okzidentalischen" Eigenschaften aus, jedoch nicht, um die „Zerrissenheit" Bosniens in der Fremdwahrnehmung zu bekräftigen, sondern um hinter diesen und durch diese Zuschreibungen das unsichtbare, unveränderliche Bosnien hervortreten zu lassen. Die wesentlich von Osmanen und Österreichern gestalteten historischen Geschehnisse, konkreten politischen Ereignisse und Konfrontationslinien verlieren gegenüber dem von diesem Wechsel unberührt gelassenen, konstanten Wesen des bosnischen Lebens an Bedeutung und werden zu Akzidenzien reduziert: „Und so fuhrt Bosniens Strom an Österreich und den Osmanen vorbei."

The Ottoman Empire and the Habsburg Monarchy Marlene Kurz - Martin Scheutz - Karl Vocelka - Thomas Winkelbauer The date for this symposium could not have been better chosen: during the final days of September 2004, all of Europe was involved in controversial discussion of an urgently current political question: should the European Union initiate accession negotiations with Turkey? Does Turkey belong or not belong to Europe? Implicitly, and for the most part unconsciously, the opponents of Turkish accession colored this recent political debate with many of the clichés and lines of argumentation originally developed during the early modern period — ideas, rooted in the distant past, the analysis and illustration of which were an object of this symposium. As the organizers began planning the event, they could not have possibly known just how strongly the simultaneous political discourse was to be marked by these themes. Yet one of the very reasons for choosing this topic was the fact that far up into the 1980s — in some cases, to this very day — many western Europeans indeed retain(ed) typical prejudices with regard to „the Turks". Another objective of this symposium was to review Austrian historical research on the topic from the past 20 to 30 years, as well as to illustrate the shift of perspective that has occurred in research — away from the history of bellicose conflicts and towards a more culturally oriented approach to this sensitive topic. The Ottoman Empire and the Habsburg Monarchy doubtlessly shared centuries of animosity and a mutual history of conflict. In spite of this undeniable antagonism, the two states - the organizational structures of which could hardly have been more different — and their respective satellites paid close attention to one another, reacting to one another, conducting trade, receiving various confessional ideas and being confronted with the image of the „other" in their respective propagandas. This relationship of conflict, and/or the study of mutual military history, has up to now been the main thrust of Austrian historical research; the present symposium, on the other hand, was staged to take a closer look at - and, more pointedly than up to now, to place at its center - cultural transfer activities and the contacts that ran alongside the conflicts during the period between the late middle ages and the 19th century. A further objective of this symposium was to network the research of Ottomanists, historians and representatives of other disciplines (e.g. historians of literature and art), thus doing better justice in this special field to the frequent - but often only perfunctory - calls for more interdisciplinary work. In addition to the lectures presented at the symposium, additional relevant contributions have been acquired to expand and further enrich the present collection.

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Contacts and Conflicts The symposium began with a series of lectures on the central topic of „Contacts and Conflicts". This emphasis belongs to the area of research with the longest tradition in the historiography of Ottoman-Habsburg relations, but the contributions clearly showed that a paradigm shift has occurred, allowing „old" topics to be interpreted anew, which has in turn enriched the overall discussion of relations between the two realms. The opening lecture b y H o l g e r T h . G r a f , which was the object of intense discussion by symposium participants, posed the question as to the status of the Ottoman Empire in the early modern period — hereditary foe or potential ally? — in a present-day political context. Graf began and concluded his talk by referring to the discussion concerning E U accession negotiations. The core question, then as now, is: does Turkey belong to Europe at all? This is a discussion which cannot be resolved geographically, but must rather be conducted taking into account complex factors and the running discourse regarding the term „Europe". Starting from an allegorical depiction of the Empire under Charles V, Graf shows that the Ottomans were not always viewed as the „arch-enemies of Christendom", but were rather accorded a definite place in the nascent international system of early modern European states. Graf sees the transformation in the evaluation of the Ottoman Empire primarily in terms of the development of historiography. He pays particular attention to the historiographic turn which took place during the 1970s and 1980s, stressing the role of propaganda in the perception of the Ottoman Empire by historians of central and Western Europe. A further line of Graf's argumentation has to do with diplomatic history: here, he takes the view that the development of Europe's diplomatic tools (delegations, diplomacy, etc.) was decisively influenced by exchange with the Ottoman Empire, with Istanbul acting as a central venue of European power politics. Thus, Graf concludes that „the secular Europe of powers ... came to be not just via the struggle between confessional — and later national — states, but also via interaction with the non-Christian Ottoman Empire." The contribution b y M a r l e n e K u r z has to do with another change of perspective. More precisely, it is not the perspective of the methodical view, but rather its direction that changes. The paper looks at evaluations of Ottoman historiography and - with a strong focus on the beginning of open conflict, i.e. the first Turkish siege of Vienna in 1529 and the likewise unsuccessful second attempt in 1532, which ended at the fortress of Guns (Koszeg) - poses the question of how the Ottoman side viewed Austria. A number of works by historians - from contemporaries like Celalzade Mustafa up to Mehmed Murad, who lived until 1917 - are analyzed in this paper and put into the context of the Islamic worlds changing self-image from the 16 th to the 20 century. In her paper, C l a i r e N o r t o n first makes clear that historical images and views of the present day are very often projected into the past, in this case giving rise to the idea that the conflict pitted exclusively Christian soldiers on the one side against Muslim Turks on the other. Other sources - not official state documents - show that the spectrum of identities represented was, in fact, far more differentiated. The border, concludes the author, was heterodox and pluralistic. She tests this theory based above all on a case study of the siege of Nagykanisza in 1600/01. Making use largely of Ottoman sources, this contribution shows clearly that alongside the confessional-ideological distinction (each side referred to the other as „unbelievers"), there were also many overlaps,

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cases of working for the „enemy", or at least holding sympathy for him. From the Ottoman perspective, the Lutherans were particularly important, for they split up the power of the opponent; the examined manuscript goes so far as to postulate a separate Lutheran king crowned with the sponsorship of the Ottomans. Claire Norton's analysis concludes, therefore, with the reversal of the oft-quoted saying „The Turk is the Lutherans' Luck", since the Lutherans in fact were also a stroke of luck for the Turks. Using the example of a Turkish-Austrian bilateral commission's drawing of borders following the Peace of Karlowitz i n l 6 9 9 , A n t a l A n d r á s D e á k i s able to show that, with the help of elaborate mapmaking activities and texts written to accompany maps, the communication of military and political information was accompanied by detailed and empirically grounded information on history, geography and folk life, which was thus transported from the periphery to the center of the Habsburg Lands and introduced to a broader public. A n d r e a P i i h r i n g e r ' s contribution, which deals with the depiction of violence in the Turkish wars, takes on a different source material or medium by which clichés were communicated. Following a thorough discussion of the term „violence" and its function in stylizing the enemy, Piihringer examines works of visual art, distinguishing between painted (and often representative) battle depictions and printed graphics. It becomes clear that battle paintings produced no particularly hostile images of the enemy, while the prints contain such depictive elements more often. The international legal phenomenon of the religious protectorate, which conceded to the citizens of European powers byway of „capitulations" a privileged position within the Ottoman Empire while also limiting the authority of the Ottoman Empire over the corresponding regions, came to mirror the European balance of power in the 19 th century, a s B a r b a r a H a i d e r - W i l s o n shows by comparison of the pursuit of the religious protectorate by France and the Habsburg Monarchy in the „Holy Land" respectively. The „protection of the Christians" in the Ottoman Empire became a field marked by both nationalism and imperialism. The local consular authorities of the various powers, which observed one another with suspicion, aimed to promote the legal claims of their subjects - as well as of the Catholic Ottoman citizens - with regard to their treatment by Ottoman Empire, thereby cleverly linking political and ecclesiastic interests. A question similar to that posed by Holger Th. Graf appears in the paper by A r n o S t r o h m e y e r — contributed after the symposium - which poses the question as to whether the Ottoman Empire really was part of the system of European states in the early modern period. The author does make clear the differences between the two political systems, but also shows that very early on - particularly on the initiative of France - the Ottomans were integrated into international relations. In three areas, Strohmeyer traces the role of the Ottoman Empire in Europe: in diplomacy, with regard to the idea of the balance of powers, and with regard to international law. In diplomatic history, the fact that the Ottoman Empire did not establish permanent embassies until the end of the early modern period is characteristic. With regard to balance-ofpower issues, it was decisive that the Turks, as Muslims and hereditary foes, were not simply allies like anyone else, so that only very late - around the end of the 17 th century — were they carefully integrated into this concept. In terms of international law (on the issues of peace negotiations and ceasefires), as well, the Ottoman Empire had different habits than the Christian states, and adaptation to European customs likewise happened relatively late. Strohmeyer's analysis, as well, ends with an in-depth discussion of

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the current issue of present-day Turkey's accession to the E U , in which he makes clear reference to the important role that the discipline of history might be called on to play in such a process. Images of „the" Turks and Anti-Turkish Propaganda „The Turk" as the evil, horrible monster who always creates evil anew, as the Antichrist, as the greatest of all possible enemies, as a hereditary foe and so on - this is how the Ottoman Empire was stereotypically portrayed in the early modern Habsburg Monarchy. The genesis and instrumentalization of this „hostile image" has been exemplified in the second section via examples of various sorts of text. An aspect of relations with the Ottomans typical of the early modern period is touched on by F r a n z B o s b a c h , whose lecture dealt with the eschatological interpretation of the Ottomans by Mercurino Gattinara. Bosbach shows clearly that the Ottomans were by no means enemies like any other, rather being viewed by many — in the sense of eschatology — as one of the signs of the world's impending end. Therefore, it was necessary to combat this danger on two levels: both in real life with crusade-like efforts, and religiously, particularly via penance and reform. Prophecies played a significant role in this respect, and also influenced the political writings of Gattinara, the future Grand Chancellor of Emperor Charles V, who depicts on various levels the battle of the Christian Emperor's universal monarchy against the Ottoman Empire both as a worldly foe and - reinterpreted religiously as an apocalyptic monster. The view of the Turks held by a widely known literary figure of German Humanism, Sebastian Brant, who particularly stressed the role of Maximilian I. for a crusade against the Ottomans, is examined by A n t j e N i e d e r b e r g e r . Religious and power-political calculations stood immediately alongside one another, as was typical of interactions with the Ottoman Empire, but his view of the Ottomans was dominated by religious considerations and was full of cliches which proved quite durable. The Turks are characterized as effeminate and evil, as a people who constantly commit atrocities. Above all, this contribution traces the literary construction of these ideas through reference to older texts, particularly (apocryphal) Revelations such as Pseudo-Methodius. J a n P a u l N i e d e r k o r n writes about anti-Ottoman strategies of argumentation in propaganda and diplomacy, as they were implemented within and between the Christian states of Europe in the late 15 th and 16 th centuries. While the broad public was successfully made to fear „the" Turks - particularly via sermons and pamphlets which described the atrocities of the „Tiirggen" - diplomats and statesmen stressed above all the necessity of solidarity among the Christian states. The Ottomans were said to not feel bound by peace treaties, meaning that anyone could quickly fall victim to their aggressions, and those who wanted to avoid this fate would do well to support neighbours under attack. The opportunity for territorial gains at the cost of the Ottomans played only a secondary role in such argumentation. A further important medium of propaganda and and of constructing the enemy's image, largely neglected in recent research, is examined by C h r i s t i n e G i g 1 e r via an example. Sermons were a widely available propaganda medium, which furthermore experienced distribution in printed form among a broad cross-section of the „public", i.e. the estate nobility and clergy. Taking as her example the „Turk Sermons" published in 1566/67 by Urban Sagstetter, Bishop of Gurk, Christine Gigler distills the basic charac-

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teristics of „intellectual warfare" in the early modern period against his biographical and contemporary historical backdrop (i.e. the Austro-Turkish War of 1565/66). Propaganda and the instrumentalization of „fear of the Turks" are also taken on by I s k r a S c h w a r c z , who interprets the conflict in the Balkans based on written and pictoral sources (particularly medals) and also provides an impression of the imperial court's multi-layered propaganda mechanisms. Schwarcz, as well, connects her analysis of the Balkan conflicts to the present, drawing a long arc from the early medieval period up to the hostilities which flared up in 1990, which she relates to early modern developments. At the center of her study stands the Great Austro-Turkish War of Leopold I from 1683 to 1699, which she researches as it was reflected in contemporary media. Pamphlet publishing, contemporary daily newspapers and medals (this last an elitist, but very effective propaganda instrument) were taken as the starting point for her analysis - although Schwarcz quite rightly warns against overestimating imperial influence over these propagandistic media. Ambassadors and Delegations Ambassadors or members of diplomatic delegations, at the center of Section Three, were certainly the most important agents of cultural transfer; their reports and letters were centered mainly on the current ruler at the Sublime Porte, but they also communicate a considerable amount of additional information from the various areas of local life to which they had access. The paper b y R a l f C . M i i l l e r deals with Habsburg diplomacy at the Ottoman court in the late 15 th and 16th centuries. In the interest of ensuring their own power and existence, the Habsburgs were forced as early as the 16 th century — parallel to the constantly recurring military conflicts — to seek diplomatic compromise with the Ottomans. Efforts to this effect were helped along by the fundamental reorientation of Ottoman politics following 1536: the Sultan began concentrating on the consolidation of his realm within its existing borders, stressing its Islamic-oriental character - and thereby demonstrating greater reserve in terms of European ambitions. This nascent balance of power was given essential support not just by official diplomats, but even more importantly by secret agents - meaning that the Habsburg-Ottoman diplomatic contacts during the 16 th century, which Miiller extensively investigates, played an important role in the development of both modern and covert diplomacy. B a r t S e v e r i writes on the establishment of diplomatic relations between the Habsburg Monarchy and the Ottoman Empire in the 16 th century, in particular about the slow development of the Habsburg emissaries' representational activities in Constantinople. As „privileged spies", diplomats were responsible not only for collecting information, but also for the representation of their respective lords via gifts and the conduct of rank conflicts with other diplomats and/or at court. The Habsburg diplomats at the Sublime Porte advanced to become the most important actors of lordly representation, as a „reflection" of their prince. Being held in „captivity", however, they were forced to assume certain characteristics of local ceremony and negotiating style, in order to make negotiations with the other side possible at all. The appearance of the Turkish delegation led by Ibrahim Bey at the Frankfurt coronation of Maximilian II in 1562, widely noted in the media, is the theme of the contribution by H a r r i e t R u d o l p h . Both the Emperor and the Sultan used the opportunities for representation before the Empire's public offered by this event for their own

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purposes and representation of rulership. In the descriptions of the coronation celebration, the Ottoman emissaries and the negotiated peace treaty were blended perfectly into the image of the new, „strong" king, who (according to Busbeck) attempted to deeply impress the Ottoman delegation with his magnificent coronation. Fear of the Ottomans and admiration for their highly developed culture (such as for their carpets, clothing, equestrian gear, etc.) stand shoulder to shoulder in the many reports on this delegation; at the time, however, fear of the „child-murdering Turks" was clearly dominant. Taking as his example the Tatar delegations which visited the imperial capital several times during the 17 th century (up to 1682) - and were not all that highly regarded in diplomatic circles - , C h r i s t o p h A u g u s t y n o w i c z underlines the role of ceremony as a finely wrought means of displaying distinctions of rank before a courtly public. Read as a cultural encounter, however, the Tatar delegations were indeed significant in terms of cultural exchange between the East and the West. Alongside their clothing, the delegates' gestures and „doings" were noted down quite precisely in the ceremonial protocols of the Viennese court, and the various traditions of giving gifts (horses for the Emperor, „sleeping pants" for the „Empress"; rings for the emissaries, and even clocks for the court of the Khans) can be easily observed. A diplomatic sideshow at the Viennese Court was offered up by the visit of a delegation of Jussuf Khodscha in 1732/33, a postlude to the Austrian-Tunesian peace treaty of 1725 which took place to deal with Austrian-Tunesian relations against the backdrop of the corsairs' endangerment of Mediterranean shipping to the port of Naples, a port which had belonged to the Monarchy since the Peace of Rastatt. The encounter of the Viennese Court with these emissaries of the „barbaresque" revealed cultural differences, as the Tunesian Germanist M o u n i r F e n d r i emphasizes, along with the Imperial Court's reaction to the demands of the Tunesian delegation and their visible humiliation of the delegation via ceremonial means. Travelogues Section Four turns to the travelogues of early modern travelers to the Orient, pieces of writing which, as a group, have seen little systematic research but are a central source genre which give the reader an image of the „other" and clearly underline the author's „own" characteristics. Travel, understood as a „rite of passage", makes the traveler conscious of his own cultural identity, but also forces him to reflect, an activity which paradoxically, as the following contributions show - often serves to only reinforce preexisting stereotypes. An important contribution to the dissemination of the sources on early modern journeys to the Orient — as well as an exemplary evaluation of this source genre as a whole - has been undertaken b y H e m m a S t a g l in her paper, where she takes a particularly close look at religion and the non-Muslim populace of the Ottoman Empire. In sharp contrast to the Habsburg Monarchy, the religious freedom afforded by the Ottoman Empire made possible the existence of many Christian confessions, such as in Bosnia or, in the case of the Greeks, in Constantinople. Conversion to Islam was certainly not the only way to achieve esteem and wealth; and, according to the reports examined, slaves - even galley-slaves - were allowed to practice their respective religions. Travelers, on the other hand, were frequently presented with opportunities to convert. P e r v i n T o n g a y draws an original interregional comparison between the Aztecs and the Ottomans, between the fighters against the hereditary foe and the „Hidalgos",

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Marlene Kurz - Martin Scheutz - Karl Vocelka - Thomas Winkelbauer

which has previously seen almost no research. Taking the examples of Busbeck and Dernschwam, as well as of Cortés and Díaz de Castillo, Tongay discerns differences in the travelogues with respect both to religion and to terms such as „barbaric" and „tyrannical". In all reports, the encounter with the „other" led the authors to affirm their own cultures in terms of their claims to dominance and rule. Both the „savages" and the „hereditary foes" are judged according to the authors' own norms and values. A s C h r i s t o f J e g g l e states, Hans Dernschwam's famous report on his journey to Constantinople and Asia Minor from 1553 to 1556 has already been repeatedly examined, but it can be shown how Dernschwam, every bit the humanist, went about describing Constantinople as a central location of humanist tradition. Dernschwam's implicit ideas about order and his use of popular contemporary topoi are discussed, and alongside the work's quality as a classic pilgrim's report, we see a differentiated description of Ottoman society derived from the author's own personal views. In her contribution, A l m u t B u e s provides a thorough introduction of trade journeyman and Danzig native Martin Gruneweg and his extensive report on his journeys to Constantinople in the 1580s. Alongside a portrayal of this trade journeyman, who had convertet to Catholicism, and even went on to become a catholic priest, the report with illustrations including sketches -delivers insights into the history of the Ottoman Empire's economics and general mentalities; in these writings, the businessman Gruneweg approached the Islamic world with an open mind and, with few hostilities to cloud the picture, simply described his environment. Between 1587 and 1591, the Lower Austrian nobleman Hans Christoph Freiherr von Teufel undertook a journey, planned as a pilgrimage, to the Ottoman Empire. His interesting, up to now little-noted travelogue — which even includes Persia — is introduced by M i c h a e l G r e i l . l t shows both how strongly the traveler distinguished between the various ethnicities (such as Kurds, Greeks and Jews) and how social origins and education influenced reception of the „foreign". In his report, Hans Christoph Teufel — who had spent time studying in Padua - constantly makes reference to plants and animals, and shows particular interest in historical issues. His perception of „foreignness" plays only a minor role. The innkeeper and master baker Johann Georg Hilber from the South Tirolean town of Bruneck - later nicknamed „Jerusalemback" by his neighbors - set off on a pilgrimage to the Holy Land in 1851, as H a n s - P e t e r L a q u e u r describes in his paper. On his journey, the baker took self-satisfied note of the Ottomans as the vanquished hereditary foe of Austria and of Christendom; this daring traveler returned having discovered no new horizons, as his background of established, stereotypical views brought him merely to confirm the prejudices of his day. Translators and Dragomans Section Five of this symposium dealt with the „translators and dragomans", who together represented an indispensable factor in communication between the two worlds. The importance of their role als transmittors cannot simply be reduced to the field of language, but also encompasses the „translation" of cultural ideas and the culture transfer conducted and monopolized by this group of people. The thorough introductory contribution by A l e x a n d e r H . d e G r o o t emphasizes the polyglot structure of the Ottoman Empire, which made the use of dragomans (a word derived from an

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Arabian term for „translator") necessary even within the Empire. These dragomans were mostly non-Muslims, but subjects of the Sultan. From the 17 th century, the foreign powers began training and employing their own dragomans, which meant that the dragomans of the Seraglio (mostly „Phanariotes", i.e. Greeks) were confronted by those of the ambassadors (mostly „Latins", i.e. Catholics). All these groups had specific privileges and rights, and a look at them serves to show clearly the nationally and religiously complex situation of this territory. This situation, of which de Groot first provides a general outline, is then illustrated with an example: that of the Levantine dragomans from the Testa family, which had both an Austrian and a Dutch line. Basing his writing more on the sources themselves, E r n s t D i e t e r P e t r i t s c h deals with a similar question, but seen from the perspective of the Habsburg Monarchy: the education of „Sprachknaben" (language boys) at the „Orientalische Akademie" (Oriental Academy), based on the memorandum of Jesuit father Josef Franz, which gave the impetus for the founding of this institution. The history of the Academy's founding was centered on the question as to whether this training was to take place in Constantinople (Istanbul) or Vienna. Petritsch dedicates further analysis to curricula and instructors during the early phase of the Oriental Academy. This same issue is approached by M i c h a e 1 a W o 1 f from a social science standpoint, taking up the theme of social and cultural competence (in the sense of Bourdieus cultural sociology). She presents statistics on the social origins of the pupils - whose symbolic capital was, not least, indicated by the position of their respective fathers. Cultural capital was defined primarily via the admission requirements and the curricula of the institution. The final two contributions in this section focus on the most important personality to graduate from the Oriental Academy: Josef von Hammer-Purgstall, an important figure in many fields. In many respects - and this goes well with the theme of this section he was a „translator" of oriental culture for western Europe, with respect to poetry as well as in his monumental history of the Ottoman Empire. In her contribution, S y b i l 1 e W e n t k e r brings out one of his many identities: that of the political HammerPurgstall. She does so using a source by Hammer-Purgstall himself, the „Erinnerungen aus meinem Leben" (Memoirs from my Life), which - due to its great size - has so far only been available in an abridged edition. This source affords the reader interesting insights into the life of the great academic, who was in his element when it came to resisting the neglect of the Austrian authorities, particularly under Metternich. The essay by T h o m a s Wa 11 n i g likewise takes on a much-ignored source, which up to now has also remained mostly unpublished: Hammer-Purgstall's letters, around 4,500 (!) of which have survived and are held in the archives of the Province of Styria. Wallnig selects, as examples from this plethora of written contacts, correspondence with Francesco Rossi, the librarian of the Brera Academy in Milan, and Pietro Bettio, the librarian of the Marciana Library in Venice, thereby showing yet another - less Orient-related - facet of this great orientalist's identity. Southeastern Europe, the Habsburgs and the Ottomans At the center of the confrontation between the Habsburgs and the Ottomans were the various areas of Southeastern Europe, which are examined in the final section of this volume. The contributions relate military and non-military activities of the two great powers in the Balkans, while also paying particular attention to local populations' resis-

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Marlene Kurz - Martin Scheutz - Karl Vocelka - Thomas Winkelbauer

tance to these influences, including efforts to play one side against the other. In his contribution, I v a n P a r v e v deals with the Habsburgs' transition from militarism to diplomacy as their primary means of conducting Southeast European policy between 1739 and 1878. During this period, Russia came to pose a considerable threat not just to the Ottomans, but also to the Habsburgs, in the match for supremacy in the Balkans. In Parvev's opinion, Austria - due to a lack of qualified military leaders and unwise policies toward Russia - was unable to secure its influence in Southeastern Europe in the best possible way. If history had run differently, Parvev suspects, the Balkans would have ended up being more similar to the Habsburg lands, thereby lending the Danube Monarchy more stability. Everyday life during the 16 th and 17 th centuries in the fortresses and fortified cities on the Croatian and Slavonian military border, which has been little researched thus far, is illuminated in the contribution by N a t a s a S t e f a n e c . On the basis of extant conscription lists (from 1577 and 1630) and via dialectological examination of the names contained within, the author succeeds — even considering the problematic nature of sources from before the age of statistics — in shedding light on the ethnic composition of the border troops. Leadership posts were given primarily to German-speaking nobles, as the central authorities in Graz and Vienna seem to have placed particular importance on promoting members from German-speaking areas; only in the 17 th century can one discern greater representation of nobles from Croatia and Slavonia among the soldiers. Furthermore, the permeability of the military border in both directions is made clear. The fate of the Bulgarian family Vuko et Branko, with which S t e f a n S p e v a k deals in his contribution, was likewise determined by the military conflicts between the Habsburgs and the Ottomans. Bogdan Vuko-Brankovic, made a member of the Hungarian nobility in 1688 along with his heirs by Emperor Leopold I, immigrated with his family to Walachia around this time, most probably in order to escape Ottoman persecution. The changes in political and military Ottoman-Habsburg relations which occurred over the following decades caused the family to move first to Transylvania, then back to Walachia and, finally - following the Imperial defeats of 1738 - to Batschka and the Banat. Spevak investigates the family's origins, the reasons for its ennoblement, the progress of its migration and its social and legal status in its new home(s). In his contribution, Is a B l u m i shows how, in late-19 th -century Northern Albania, Italians, Austrians and Ottomans competed with one another to gain influence over the local populace via the education system. In this context, the author looks at how the Albanians instrumentalized the interests of the great powers for their own purposes. After the Italians had opened their North Albanian schools to Orthodox and Muslim pupils, the Austrians saw themselves forced to likewise institute educational reforms - as well as to permit use of the Albanian language in schools and churches — in order to preserve their influence. This language policy facilitated the development of a protonational consciousness across the confessions, which in turn called into question the role of the Ottomans in the region. The activities of the Austrians and the Ottomans in this region were also influenced to a great extent by the demands of the local population. W l a d i m i r F i s c h e r illustrates the consequences of Ottoman rule in the Balkans still visible today, as well as the awakening of nationalism, in his paper on the person and activities of Dositej Obradovic. A look at this literary figure shows how diversely his own works could be interpreted and put to use. In this portrayal - much like in the essay by

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Claire Norton - the phenomena's complexity and diversity take center stage, whereby Fischer provides significant impulses for a theoretical handling of this topic. The content of this volume is rounded off by the contribution of literary historian M i r a n d a J a k i s a , which deals with the portrayal of the Ottoman and Habsburg Empires in Ivo Andric's novels. Bosnia, the scene of „The Days of the Consuls (Bosnian Chronicle)" and „The Bridge on the Drina", is the cultural contact zone between the „Orient" and the „Occident", which do indeed affect Bosnia, but do not melt together to a harmonic synthesis - making double-orientation a characteristic of Bosnian culture. Andric equips the „colonizers" of Bosnia with cliché-like „oriental" and „occidental" characteristics - not in order to stress the „disunity" of Bosnia as seen from the outside, but rather to allow the invisible, unchanging Bosnia to appear behind and through these attributes. In the face of this constant and resistant phenomenon of Bosnian life, the historical events, concrete political episodes and lines of conflict, effected mainly by Ottomans and Austrians, lose their significance, becoming mere accidentals: „And thus does the current of Bosnia flow past Austria and the Ottomans." (Translation: Christopher Roth, Vienna)

„Erbfeind der Christenheit" oder potentieller Bündnispartner? Das Osmanenreich im europäischen Mächtesystem des 16. und 17. Jahrhunderts gegenwartspolitisch betrachtet Holger Th. Graf Angesichts der gegenwärtig sicher nötigen und sinnvollen Debatte um einen EUBeitritt der Türkei bzw. darum, ob man überhaupt Beitrittsverhandlungen aufnehmen solle, noch mehr aber angesichts der teilweise populistischen Instrumentalisierung dieses Themas durch einige Parteien im Europa-Wahlkampf 2004 mag der folgende Beitrag zeitgeistig anmuten. Indes drängt sich jedoch meines Erachtens besonders dem Frühneuzeit-Historiker die Frage nach dem Osmanischen Reich und seiner „Teilhabe an der europäischen Geschichte" 1 geradezu auf, nicht zuletzt, um tagespolitischer Aufgeregtheit mit Hilfe der längerfristigen, entwicklungsgeschichtlichen Perspektive entgegenzutreten. Im Folgenden kann und soll daher nicht die gemeinsame christlich-europäische und osmanische Ereignisgeschichte - die in der Tat durch Kriege und Eroberungen gekennzeichnet ist — referiert werden. Ausgehend von bestimmten historiographischen Positionen wird vielmehr anhand einiger Beispiele in einem ersten Schritt gezeigt werden, wie stark das gegenwärtige Bild der osmanischen Geschichte, vor allem die Beziehungsgeschichte zwischen dem Osmanischen Reich und dem christlichen Europa einerseits von Konjunkturen abhängt und wie andererseits immer wieder mit alten Stereotypen operiert worden ist. Im zweiten Teil wird dann anhand eines konkreten Beispiels aus der Diplomatiegeschichte dargelegt werden, daß das Osmanische Reich nicht nur von Anfang an ein Teil des entstehenden neuzeitlichen Mächteeuropa war, sondern als solches von vielen Zeitgenossen durchaus auch begriffen und gleichsam mitgedacht worden ist 2 . Im Hintergrund schwingt dabei natürlich auch ein Spannungsverhältnis um die Frage mit, ob denn das Osmanische Reich bzw. die Türkei nach Europa gehört bzw. ein Teil Europas war, ist oder sein kann? Vorweg sei daher festgestellt, daß im Folgenden selbstverständlich nicht die geographische Zugehörigkeit zum Kontinent, sondern jene

1 Heinz SCHILLING, Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten. 1250 bis 1750 (Siedler Geschichte Europas 3, Berlin 1999) 47. 2 Vgl. die Studie von Arno STROHMEYER, Il lungo percorso della Turchia verso l'Europa: l'integrazione del Regno Ottomano nelle teorie dell'equilibrio europeo delle forze, in: Oriente e Occidente tra Medioevo ed Età Moderna 2, Studi in onore di Geo PISTARINO, hg. von Laura BALLETTO (Collana di fonti e studi/Università degli Studi di Genova, Sede di Acqui Terme, Genova 1997) 1145-1165.

Holger Th. Graf

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zur europäischen Völkergemeinschaft und vor allem zu einer gemeinsamen europäischen Geschichte erörtert werden soll. Dabei wird weder von einem feststehenden Europabegriff noch von über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte feststehenden Grenzen dieser Völkerfamilie und dieses Geschichtsraumes ausgegangen. „Europa" oder besser die europäische Geschichte kennt also kein Zeit-Raum-Kontinuum, wie man angesichts von Aufbau und Inhalt der meisten einschlägigen Publikationen nach wie vor erwarten würde. Vielmehr können staatlich-politische Gemeinwesen nach Europa hinein- wie herauswachsen. Ein Prozeß, der im übrigen keineswegs Generationen beanspruchen muß. Bis 1945 hätte zum Beispiel niemand ernsthaft gefragt: „Liegt Polen noch in Europa?"3 Eine Frage, die sich indes im Wintersemester 1959/60 namhafte Osteuropa-Experten der Universität Gießen stellten. Diese Erörterungen fanden durchaus nicht im sprichwörtlichen Elfenbeinturm statt, sondern orientierten sich durchaus an der damals aktuellen öffentlichen Diskussion. Und, wie allgemein bekannt, seit dem 1. Mai 2004 gehört Polen bekanntlich zur Europäischen Union!

I Als optische Ouvertüre mag die Darstellung Allegorie auf das Reich unter Karl V. dienen. Dabei handelt es sich um ein anonymes, nach 1556, wahrscheinlich um 1600 in den Spanischen Niederlanden entstandenes Ölgemälde, das sich heute im Besitz des Deutschen Historischen Museums in Berlin befindet 4 . Als Vorlage dürfte ein Stich nach der Zeichnung Marten van Heemskercks von 1555 gedient haben. Das 101 X 141 cm große, auf Holz gemalte Bild zeigt Kaiser Karl V. mit seinen besiegten Feinden. Nur auf einen für unsere Argumentation zentralen Aspekt sei hier hingewiesen: Der Kaiser, im Gewand eines antiken Imperators, sitzt auf einem Thron. Zu seinen Füßen auf dem Thronpodest befindet sich, als Symbol für das Reich, ein Adler. In seinem Schnabel läuft ein Band zusammen, das die fünf bezwungenen christlichen Gegner Karls umfaßt: Papst Clemens VII., König Franz I. von Frankreich, Herzog Wilhelm von Kleve, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen. Der osmanische Sultan Süleyman der Prächtige, ganz links, wird von diesem Band hingegen nicht umwunden, sondern hat die „Flucht ergriffen" wie es in der französischen Bildunterschrift heißt. Wie dieses Band nun zu interpretieren ist, ob als Lehnsband, das Karl als Oberherrn des Imperiums darstellt, oder als Band der Christenheit, sei dahingestellt. Für die erste Sicht spräche die Adlerfigur, für die zweite die deutliche Hinwendung der (ehemaligen) christlichen Feinde zum Kaiser, während sich der Sultan vom Kaiser wie von der Gruppe der christlichen Potentaten insgesamt abgewendet hat. Entscheidend ist aber der Aspekt, daß Süleyman nicht als externe Bedrohung der Christenheit insgesamt dargestellt wird, sondern gewissermaßen als einer unter anderen Gegnern des Kaisers und mit diesen buchstäblich in Augenhöhe auftritt. Er ist zwar mit eindeutigen Attributen gekennzeichnet, aber keineswegs als der blutrünstige mahumetische Hund, der in der zeitgenössischen Flugschriftenliteratur die Leser erschrecken sollte. Im Gegensatz zu den drei Reichsfürsten, die - abgesehen von dem Wappenschild des sächsischen Kurfürsten - keine Herr-

Liegt Polen noch in Europa?, hg. von Herbert L U D A T (Gießen 3 1 9 6 0 ) . D H M , Inv.-Nr. 9 6 0 0 2 7 6 6 . Ich danke Frau Dr. Elisabeth Klotz, Deutsches Historisches Museum, ftir ihre unkomplizierte und rasche Bereitstellung der einschlägigen Informationen zu dem Gemälde. 4

„Erbfeind der Christenheit" oder potentieller Bündnispartner?

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Abb. 1: Anonym: Allegorie auf das Reich unter Karl V., Deutsches Historisches Museum, Berlin

schaftsinsignien aufweisen, zeigt der Sultan wie seine beiden .souveränen Kollegen' Flagge: kurzum, er gehört einfach dazu! Die Behauptung, das Osmanische Reich sei spätestens mit dem 16. Jahrhundert integraler Bestandteil des entstehenden europäischen Mächtesystems und sei auch, zumindest teilweise, so gesehen und verstanden worden, mag zunächst verwundern. Von völkerrechtlicher wie historischer Seite wird vielfach die Annahme des Reziprozitätsprinzips im Gesandtenaustausch gegen Ende des 18. Jahrhunderts oder erst des Pariser Friedens vom 30. März 1856 gleichsam als Aufnahmedatum des Osmanischen Reiches in den Kreis der (europäischen) Völkerrechtsgemeinschaft angenommen 5 . Selbst das mag einem der Größten des Faches, Leopold von Ranke, schon zu weitgehend gewesen sein, und er stand damit keineswegs alleine. Aufgrund des Verhaftetseins in der Religion sei es im Osmanischen Reich nie „zu einer freien E n t w i c k l u n g des Geistes gekommen" und die Osmanen „sind [daher] immer Barbaren geblieben" 6 , schrieb er bereits 1827 in seiner Geschichte der „Fürsten und Völker von Südeuropa". Vor allem hätten sie, die Osmanen, aber die Entfaltung neuzeitlicher Machtstaatlichkeit in einem wichtigen Aspekt nicht mitvollzogen, nämlich die moderne Wehrverfassung:

5 Hugh MACKINNON WOOD, T h e Treaty of Paris and Turkey's Status in International Law. American Journal ofInternational Law 37 (1943) 2 6 2 - 2 7 4 . 6 Leopold von RANKE, Fürsten und Völker von Süd-Europa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert: Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschafts-Berichten (Hamburg 1827), zit. nach Die Osmanen und die Spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert (4. erw. Aufl. der 2. Gesamtausgabe, Bd. 35/36, Leipzig 1877) 82.

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„Denn worauf beruht allenthalben die Entwicklung der Macht, als auf der systematischen Heranziehung der unteren Volksklassen zum Waffendienst? Unter den Osmanen ist eine solche durch Verfassung und Religion verboten. Dem Vordringen der Ideen der westlichen Welt haben sie noch immer einen unbesiegbaren Widerstand entgegengesetzt. Der Widerstreit der aus der Tiefe der Jahrhunderte hervorgegangenen nationalen und religiösen Gegensätze im Orient und ihr Verhältnis zum Okzident bildet das größte historisch-politische Problem, das ein Jahrzehnt dem anderen ungelöst überliefert 7 ." Im Grunde formulierte Ranke damit zugespitzt die Pathogenese des „Kranken Mannes am Bosporus". Eine Sicht, die sich nicht zuletzt die westlich orientierten Jungtürken zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu eigen machten, mit den langfristigen Konsequenzen, daß sich das türkische Militär bis heute einerseits gleichsam als Bollwerk gegen den Islamismus und andererseits die Türkei als getreuer militärischer Bündnispartner des Westens hat profilieren können. Diese Betonung des Faktors .Religion' als Ursache für die fehlende Modernisierung des Osmanenreiches im Inneren findet sich bis in die Gegenwart auch als zentraler Aspekt in der Betrachtung der christlich-osmanischen Beziehungen, die daher in Konsequenz immer als Konfliktgeschichte aufgefaßt werden. Für den bedeutenden österreichischen Osmanisten und Diplomaten Richard F. Kreutel traten die Türken als ein orientalisches Kulturvolk in erster Linie als „Träger des muslimischen Glaubenskampfes gegen die Christenheit" 8 auf 9 . In den 1970er und 1980er Jahren gingen dann viele Historiker von einer Annäherung, gleichsam einem Hineinwachsen des Osmanischen Reiches bzw. der Türkei in die europäische Völkergemeinschaft und von einer gemeinsamen europäischen Geschichte aus. Besonders hervorgehoben wurde nun, nach Überwindung der nationalstaatlichen Betrachtungsweise der Geschichte, der Charakter des übernationalen Vielvölkerstaates und besonders dessen erhebliches Maß an Toleranz gegenüber religiösen wie ethnischen Minderheiten. Der „Glaubenskampf' zwischen islamischer Welt und christlichem Abendland trat dagegen deutlich in den Hintergrund. In der zwar populärwissenschaftlich angelegten, aber immer noch durchaus lesenswerten Darstellung des deutschen Diplomaten Ekkehard Eickhoff über „Venedig, Wien und die Osmanen" aus dem Jahre 1970 heißt es etwa im Ausblick: „Die den Türken eigene starke politische Begabung brachte es zuwege, das Osmanenreich als Vielvölkerstaat mit zahlreichen andersgläubigen Minderheiten vielfältig zu erneuern und bis tief in das Zeitalter des europäischen Nationalismus hinein zu erhalten. [...] an die Stelle des Osmanischen [Reiches ist] ein moder-

7 RANKE, Fürsten (wie Anm. 6) 83. Die gleichzeitige Diskussion ist hervorragend dokumentiert in: Zur Geschichte der orientalischen Frage: Briefe aus dem Nachlasse Friedrichs von Gentz ( 1 8 2 3 - 1 8 2 9 ) , hg. von Anton von PROKESCH-OSTEN (Wien 1877, Microfiche-Ausgabe 1991); zur türkischen Debatte vgl. jetzt Tobias HEINZELMANN, Heiliger K a m p f oder Landesverteidigung. Die Diskussion der allgemeinen Wehrpflicht im Osmanischen Reich 1 8 2 6 - 1 8 5 6 (Heidelberger Studien zur Geschichte und Kultur des modernen Vorderen Orients 32, Frankfurt am Main u. a. 2 0 0 4 ) . 8 Kara Mustafa vor Wien. 1683 aus der Sicht türkischer Quellen, ed. Richard F. KREUTEL (Osmanische Geschichtschreiber 1, Graz 1955) Vorwort. 9 Ich verzichte auf das Referat der völkisch-rassistisch gefärbten Arbeiten bis in die 1940er Jahre, vgl. etwa nur Reinhold LORENZ, Das Türkenjahr 1683. Das Reich im K a m p f um den Ostraum (Wien 1933, 2 1 9 3 4 und 3 1 9 4 4 ) , das der Verfasser „Heinrich Ritter von Srbik als Baustein für eine gesamtdeutsche Geschichtsauffassung gewidmet" hat.

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ner türkischer Staat getreten, der politisch, geistig und wirtschaftlich tief nach Europa hineinreicht und im Freundeskreis alter Kulturnationen seine gewichtige Rolle spielt." 10 Jörg Fisch hob sodann in seiner voluminösen Heidelberger Dissertation von 1976 hervor, daß die „Türkei schon im 16. Jahrhundert zu einem wichtigen Mitglied des europäischen Konzerts geworden [war]" 11 . Damit setzte er einen bedeutenden Akzent für eine neuere, an systemtheoretischen Entwürfen orientierte politikgeschichtliche Perspektive. Insofern nämlich, als die Osmanen nicht als Systemumwelt definiert wurden, die quasi nur von außen auf das geschlossene europäische Mächtesystem wirkten, sondern als ein Akteur unter anderen innerhalb dieses Systems gesehen wurden 12 . Grete Klingenstein und Gernot Heiß, die Herausgeber des Sammelbandes „Das Osmanische Reich und Europa 1683 bis 1789", konstatierten in vergleichender Betrachtung der Hauptkonkurrenten auf dem Balkan beträchtliche Parallelen und betonten, daß die Habsburgermonarchie wie das Osmanenreich „gegen den Geist der Neuzeit, gegen das Prinzip des modernen Nationalstaates bis in unser Jahrhundert" innere Heterogenität mit Stabilität der Herrschaft verbanden. Sie plädierten daher entschieden dafür, in komparatistischer Perspektive Erklärungen für diesen Erfolg zu suchen, „die uns heute plausibler erscheinen als jene, die die Feindbilder der Vergangenheit überliefern" 13 . Eine weitere Wiener Produktion zum Türkenjubiläum 1983, der von Andreas Tietze herausgegebene Tagungsband über die habsburgisch-osmanischen Beziehungen, verzichtet leider auf ein konzeptionelles Vorwort 14 . Trotz des deutlichen Schwerpunktes auf der militärischen und machtpolitischen Konfliktgeschichte werden aber auch hier die traditionellen Betrachtungsweisen teilweise aufgegeben und relativierende bzw. vergleichende Perspektiven eingenommen 15 . Die Voraussetzungen für diese neuen, hier nur grob skizzierten Sichtweisen wurden freilich viel früher geschaffen. Der erste und nach meinem Dafürhalten entscheidende Schritt wurde damit getan, die traditionellen Feindbilder überhaupt erst einmal als solche zu diagnostizieren und zu kontextualisieren, das heißt in ihrer jeweiligen propagandistischen Funktion im gegebenen historischen Zusammenhang zu untersuchen. Wegweisend war hier wohl der Aufsatz „Türkenfurcht und Türkenhoffnung im 15./16. Jahrhundert" von Hans Joachim Kißling aus dem Jahre 1964, der damit die „Geschichte eines ,Komplexes'" schreiben wollte 16 . Winfried Schulze untersuchte dann 10

Ekkehard EICKHOFF, Venedig, W i e n und die O s m a n e n . U m b r u c h in Südosteuropa 1 6 4 5 - 1 7 0 0

(München 1970, 2 1 9 7 3 ) 4 4 0 . 11

J ö r g FISCH, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über

Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses (Sprache und Geschichte 3 , Stuttgart 1 9 7 9 ) 5 4 0 . 12

Holger T h . GRAF, Konfession und internationales System. D i e Außenpolitik Hessen-Kassels im

konfessionellen Zeitalter (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 9 4 , Darmstadt—Marburg 1 9 9 3 ) 3—15, 27—35- A m Beispiel des „Langen Türkenkrieges" fuhrt dies überzeugend vor: Jan Paul NIEDERKORN, D i e europäischen M ä c h t e und der „Lange T ü r k e n k r i e g " Kaiser Rudolfs II.

(1593-1606)

( A Ö G 135, Wien 1993). 13

D a s O s m a n i s c h e Reich und Europa 1 6 8 3 bis 1 7 8 9 : Konflikt, Entspannung und Austausch, hg.

von G e r n o t H E i s s - G r e t e KLINGENSTEIN ( W i e n e r Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 10, W i e n 1 9 8 3 ) . 14

Habsburgisch-osmanische Beziehungen - Relations H a b s b o u r g - O t t o m a n e s . W i e n 2 6 . - 3 0 . Sep-

tember 1 9 8 3 . C o l l o q u e sous le patronage du C o m i t é international des études pré-ottomanes et ottomanes, hg. von Andreas TIETZE (Beih. zur W i e n e r Zeitschrift für die K u n d e des Morgenlandes 13, W i e n 1 9 8 5 ) . 15

Vor allem in den Beiträgen von Maximilian GROTHAUS, Z u m T ü r k e n b i l d in der Kultur der

Habsburgermonarchie zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, 67—89, und Walter LEITSCH, Père Joseph und die Pläne einer Türkenliga in den Jahren 1 6 1 6 - 1 6 2 5 , 16

161-169.

Hans J o a c h i m KISSLING, T ü r k e n f u r c h t und T ü r k e n h o f f n u n g i m 1 5 . / 1 6 . Jahrhundert. Z u r G e -

schichte eines Komplexes.

Südost-Forschungen

23 (1964) 1-18.

42

Holger T h . Graf

Mitte der 1970er Jahre „Das Erbfeindsyndrom und die Feindbilder" sowie deren Einfluß auf und Funktion für die politische Entscheidungsfindung im Reich 17 . In seinem außerordentlich materialreichen Werk über die „Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert", zu dem er rund 2500 zeitgenössische Türkendrucke auswertete, führte Carl Göllner Ende der 1970er Jahre unter anderem den Nachweis, daß sich die Propagandapressen in den europäischen Druckzentren immer dann besonders schnell drehten, wenn man sich im Krieg mit den Osmanen befand und gemeinchristliche Interessen gefährdet sah bzw. gemeinchristliche Solidarität einforderte. So geschehen etwa nach dem Fall von Rhodos 1522, der Schlacht bei Mohäcs 1526, der ersten Belagerung Wiens 1529, der Seeschlacht bei Lepanto 1571 usw. 18 . Die Ausprägung des Türkenbildes ist demnach als eine wichtige Facette der Kommunikationsrevolution durch die Erfindung des Buchdruckes zu sehen. Neben Reformation und Bauernkrieg müssen vor allem die Türkenkriege als „die" Medienereignisse des 16. Jahrhunderts gelten. So erschienen alleine im unmittelbaren zeitlichen Umfeld von Lepanto rund 360 Türkendrucke. Die Texte und mehr noch die darin enthaltenen Illustrationen generierten die Vorstellung des grausamen und blutrünstigen osmanischen Glaubenskriegers, die eine feste Verankerung im kollektiven Bildergedächtnis fand 1 9 . Die hier erwähnten Forschungen entlarvten die „Türkengefahr" und die daraus resultierende, tief im kollektiven Bewußtsein verankerte „Türkenangst" zu einem Gutteil als Produkte gezielter Propaganda der europäischen Mächte. Päpste, Kaiser, Könige und Fürsten nutzten die Türkenpolemik für ihre Herrschaftslegitimation, zur Disziplinierung der eigenen Untertanen und für ihre jeweiligen machtstaatlichen Interessen. Am Exempel der politischen Propaganda Rudolfs II. führte zum Beispiel Karl Vocelka vor, wie sich im „Langen Türkenkrieg" eine sich gegenseitig stimulierende Spirale zwischen „Türkenfurchtpropaganda" und Verherrlichung der kaiserlichen Siege entwickelte, „die in keinem Verhältnis zu den wirklichen Erfolgen stand" 2 0 . Lassen sich die Rhythmen in der Intensität der kaiserlichen Propaganda mit der zunehmenden Schizophrenie Rudolfs erklären, so blieben ihre Inhalte aber eben über den Tod des Kaisers hinaus ein Stück weit auch Teil der habsburgischen Kontinuitätsideologie wie der Reichspublizistik der zweiten Frühneuzeithälfte 21 . Bei den Untertanen im Reich wurde gelegentlich ein dringend abzuschaffender Mangel an „Türkenfurcht" konstatiert, der sie über die Türkensteuern klagen und sogar über ein Leben unter

17 Winfried SCHULZE, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung (München 1978) 5 2 - 2 2 2 . 1 8 Carl GÖLLNER, Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert (Turcica 3, Bibliotheca Bibliographica Aureliana 70, Bucuresti-Baden-Baden 1978) 18f. 1 9 Vgl. den Beitrag von Andrea PÜHRINGER in diesem Band. 2 0 Karl VOCELKA, Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II. ( 1 5 7 2 - 1 6 1 2 ) (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs 9, Wien 1981) 219fif.; zum realhistorischen Hintergrund umfassend NIEDERKORN, Die europäischen Mächte (wie Anm. 12). 2 1 Vgl. Martin WREDE, Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg (Diss. Osnabrück 2001); Karl Otmar von ARETIN, Die Türkenkriege als Traditionselement des katholischen Europa, in: Tradition, N o r m , Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung, hg. von Wilfried BARNER (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 15, München 1989) 1 9 29, hier 21 und 28, sowie den Essay Mathieu LEPETIT, Die Türken vor Wien, in: Deutsche Erinnerungsorte, hg. von Etienne FRAN^ois-Hagen SCHULZE (München 2 0 0 1 ) 3 9 3 - 4 0 6 .

.Erbfeind der Christenheit" oder potentieller Bündnispartner?

43

dem mahumetischen bluthundt nachdenken ließe 22 . Dem Adel hingegen machten Flugschriften deutlich, daß unter dem Sultan der gantz adelstande der Christen vom türcken ausgetilget würde 23 . Die für das „Christenheitseuropa" als Gesamtheit wohl wichtigste Funktion hatten die Osmanen indes als negatives Integrationsmoment. Die gemeinsame Bedrohung durch und die Gegnerschaft zu den Osmanen waren im konfessionell gespaltenen Europa mit seinen sich ihrer zunehmend säkular begriffenen Machtinteressen bewußt werdenden „Nationalstaaten" gewissermaßen der kleinste gemeinsame Nenner bzw. sollten es sein 24 . Auf territorialer, nationaler aber eben auch auf europäischer Ebene wurde die Eintracht, concordia, als Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung der Türkengefahr propagiert bzw. das Fehlen der concordia als Ursache für die Bedrohung beklagt. Bereits vor der Reformation, spätestens seit der Eroberung Konstantinopels 1453, vielleicht schon seit dem Sieg bei Nikopolis (Nikopol) über das Heer Sigismunds III., mußten die Rhetorik der Türkengefahr und der Kreuzzugsgedanke immer wieder für Versuche herhalten, die Führungsposition des Kaisers im christlichen Europa zu unterstreichen bzw. die Machtegoismen und Eigeninteressen der Fürstenstaaten entweder zu überbrücken oder zu verschleiern. Meist ging dies mit einer entsprechenden Diffamierung der jeweiligen Gegner einher 25 . Auch diese Rhetorik und ihre Wirksamkeit waren den zeitgenössischen politischen Akteuren selbstverständlich bewußt und wurden entsprechend eingesetzt. Die Beispiele sind Legion: So wurde schon 1475 Karl der Kühne zum Turcken von Burgund26. Der venezianische Pöbel empfing 1509 den Markgrafen Francesco II. Gonzaga ob seiner Verbindungen zum Sultan als turcopreso, als gefangenen Türken 2 7 . Am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges propagierte Père Joseph in seinen Kreuzzugsplänen, mit einem gemeinsamen Feldzug gegen die Osmanen den Frieden der christlichen Herrscher untereinander zu stabilisieren und vor allem die bellizistische Disposition des eigenen Adels sinnvoll zu kanalisieren28. Um mit dem bekanntesten Beispiel zu schließen, Ludwig XIV. wurde zum allerchristlichsten Großtürken, die Verheerung der Pfalz durch seinen Feldmarschall Mélac im Jahre 1689 zu mehr als einer türkischen Mordbrenneref^, womit er gleichsam die Quittung für Jahrhunderte tatsächlicher,

22

Salomon GESSNER, Funffcehen Predigten vom T ü r k e n , gehalten in der Schlosskirche zu W i t t e n -

berg (Wittenberg 1 5 9 7 ) , zit. nach SCHULZE, Reich (wie A n m . 17) 5 9 . 23

Georg SCHERER, Ein trewhertzige Vermanung, daß die Christen dem Türcken nicht huldigen

[ . . . ] ( W i e n 1 5 9 5 ) , zit. nach SCHULZE, Reich (wie A n m . 17) 6 0 . 24

Vgl. zu den unterschiedlichen Argumentationsmustern die Beiträge von Franz BOSBACH und

Ciaire NORTON in diesem Band. 25

Vgl. die Beiträge in: Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter, hg. von

Franz-Reiner ERKENS ( Z H F Beih. 2 0 , Berlin 1 9 9 7 ) sowie Dieter M E R T E N S ,

Claromontani passagii

exem-

plum. Papst Urban II. und der erste Kreuzzug in der Türkenkriegspropaganda des Renaissance-Humanismus, in: Europa und die T ü r k e n in der Renaissance, hg. von B o d o GUTHMÜLLER-Wilhelm KÜHLMANN (Frühe Neuzeit 5 4 , T ü b i n g e n 2 0 0 0 ) 6 5 - 7 8 . 26

Claudius SIEBER-LEHMANN, D e r türkische Sultan M e h m e d II. und Karl der Kühne, der „Türk

im O c c i d e n t " , in: Europa, hg. von ERKENS (wie A n m . 2 5 ) 1 3 - 3 8 , hier 14 A n m . 2. 27

Hans J o a c h i m KISSLING, Sultan Bâjezîd's II. Beziehungen zu Markgraf Francesco II. von G o n -

zaga ( M ü n c h n e r Universitäts-Schriften, Reihe der Philosophischen Fakultät 1, M ü n c h e n 1 9 6 5 ) 1 0 7 . 28

Gustave FAGNIEZ, Le père Joseph et Richelieu, 2 Bde. (Paris 1 8 9 4 ) 4 7 9 ; LEITSCH, Père Joseph

(wie A n m . 15) 1 6 5 . 25

Themistius ARISTONICUS, Das widerrechtlich von Frankreich gebrochene zwantzigjährige Armi-

stitium (s. 1. 1 6 8 9 ) .

44

Holger T h . G r a f

aber mehr noch unterstellter französischer Zusammenarbeit und Bündnispolitik mit den Osmanen erhielt30. Es dürfte also nicht übertrieben sein, wenn man die breite Selbstfindung und -definition der europäischen Christenheit oder besser des christlich-abendländischen Europa wesentlich von der Auseinandersetzung mit dem expansiven islamischen Osmanenreich im 15. Jahrhundert gefördert sieht31. Nicht zufällig wurden Versuche, das als hergebracht verstandene Machtgefüge innerhalb des christlichen Europa militärisch zu verändern, propagandistisch rasch mit der türkischen Tyrannei verglichen. Dies galt bereits um 1470 für Karl den Kühnen nicht anders als für Ludwig XIV. im ausgehenden 17. Jahrhundert32. II Bisher wurde auf der Ebene von Geschichtsschreibung, Propaganda und Rhetorik und deren Funktionen für die Perzeption der Osmanen einerseits und der europäischen Mächtepolitik andererseits argumentiert. Mit dem Schritt auf das Parkett der Diplomatie soll nun die politische Praxis in den Blick genommen werden. Dies heißt selbstverständlich nicht, daß die Propaganda und die historisch-politische Sprache nicht auch Teile der politischen Praxis wären. Indes gilt es, sich von den daraus evozierten Stereotypen und Perzeptionen zu lösen und die zeitgenössische Politik gleichsam im Vollzug zu betrachten, um das Mächtesystem in seiner Entwicklung und Qualität tiefergehend zu verstehen. Meine These lautet hier: Diplomatie und Gesandtschaftswesen, jenes Institut und jene Praxis, die wesentlich an der Hervorbringung und am Funktionieren des frühneuzeitlichen europäischen Mächtesystems beteiligt waren, wurden wesentlich im Austausch mit dem Osmanischen Reich entwickelt und erprobt. Die Vertragsfähigkeit von Nichtchristen — im Verkehr mit Mauren und Sarazenen bereits in der Zeit der Kreuzzüge, der Reconquista und dann ab dem 15. Jahrhundert mit den Osmanen eingeübt33 —

3 0 Vgl. Michael HOCHEDLINGER, Die französisch-osmanische .Freundschaft' 1 5 2 5 - 1 7 9 2 . Elemente antihabsburgischer Politik, Gleichgewichtsinstrument, Prestigeunternehmung - Aufriß eines Problems. MIÖG 102 ( 1 9 9 4 ) 1 0 8 - 1 6 4 , mit umfassendem bibliographischem Essay; Jean B^RENGER, Les vicissitudes de l'alliance militaire Franco-Turque (1520—1800). Revue internationale d'histoire militaire 6 8 ( 1 9 8 7 ) 7 - 5 0 und D e Lamar JENSEN, T h e Ottoman Türks in Sixteenth Century French Diplomacy. The Sixteenth Century Journal\G ( 1 9 8 5 ) 4 5 1 ^ 7 0 . Erst jüngst wurde auch die osmanisch-französische Konkurrenz genauer mit in den Blick genommen: Faruk BILICI, XIV. Louis ve Istanbul'u fetih Tasarisi. Louis X I V et son projet de conquete d'Istanbul (Türk Tarih Kurumu Yayinlari [Türkische Historische Gesellschaft] X I . dizi-sayi 11, Ankara 2 0 0 4 ) hier besonders 1 9 - 2 2 . 3 1 Vgl. das einleitende Kapitel „Did Europe exist before 1 4 5 3 ? " in: Wolfgang SCHMALE, Geschichte Europas ( W i e n - K ö l n - W e i m a r 2 0 0 0 ) 1 1 - 1 7 und M E R T E N S , Claromontani (wie Anm. 2 5 ) 65f. mit Anm. 1. 32

HOCHEDLINGER, F r e u n d s c h a f t ( w i e A n m . 3 0 ) .

Rainer Christoph SCHWINGES, Kreuzzugsideologie und Toleranz: Studien zu Wilhelm von Tyrus (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 15, Stuttgart 1 9 7 7 ) hier besonders 2 l 4 f f . und 2 8 2 f . Vgl. jetzt auch Raphaela AVERKORN, Kastilien als europäische Großmacht im Spätmittelalter. Grundprobleme der auswärtigen Beziehungen der kastilischen Könige vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), hg. von Dieter BERG et al. (Europa in der Geschichte 6, Bochum 2 0 0 2 ) 3 1 5 - 3 4 6 , hier 3 2 2 f - Der Säkularisation des „Staates", deren ersten Schub Ernst-Wolfgang Böckenförde in die Zeit des Investiturstreites verlegt, wäre damit ein Säkularisierungsschub der „auswärtigen Beziehungen" im Kreuzzugszeitalter zur Seite zu stellen; vgl. Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkulari33

.Erbfeind der Christenheit" oder potentieller Bündnispartner?

45

machte es den Völkerrechtlern des 17. Jahrhunderts zweifellos einfacher, säkulare Friedensordnungen zu entwerfen und in die Tat umzusetzen, wobei vor allem die Diplomatie und das Gesandtschaftsrecht von der Konfessionsfrage weitestgehend frei zu halten waren 3 4 . D e r Deutlichkeit halber sei betont, daß hier mit „säkularen Friedensordnungen" konkurrierende machtpolitische Ordnungskonzepte gemeint sind und nicht der ontologische Zustand des „Friedens" 3 5 . An welchem Beispiel ließe sich das eindrucksvoller zeigen, als im Gesandtenmilieu in Konstantinopel selbst und an der Bündnispolitik zwischen den Osmanen und den Mächten des christlichen Europa? Die Gesandten der europäischen Mächte waren an der Hohen Pforte ebenso zu finden wie an den anderen Höfen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, wenngleich vielleicht nicht in der gleichen Dichte 3 6 . Dies lag indes weniger am politischen Interesse aneinander als vielmehr an der Tatsache, daß bestimmte Gesandtschaftstypen, etwa zur Anbahnung bzw. zum Abschluß dynastischer Ehebündnisse, zur Huldigung bzw. Gratulation eines neuen Herrschers oder zur Bestätigung lehnsrechtlicher Verbindungen von vornherein entfielen 3 7 . Vielmehr spielten hier zwei Aspekte eine hervorgehobene Rolle, die diese diplomatischen Beziehungen im Grunde „neuzeitlicher" erscheinen lassen als jene innerhalb des Systems der feudalen dynastischen Fürstenstaaten: Wirtschafts- und Handelsinteressen sowie macht- und militärpolitische Inhalte waren in den christlich-europäisch-osmanischen Verbindungen ganz selbstverständlich von besonderer Bedeutung. Ein weiterer Aspekt, der das diplomatische Alltagsgeschäft in Konstantinopel als neuzeitlicher erscheinen läßt, ist das hohe M a ß an „Professionalität", das die Gesandten bzw. ihr Personal auszeichnete. Achtete man im innereuropäischen Austausch mehr auf Status- und Rangfragen, so legte man bei der Auswahl der Gesandten nach Konstantinopel gesteigerten Wert auf Sprach- und

sation und Utopie. Festschrift für Ernst FORSTHOFF, hg. von Sergius BUVE (Stuttgart 1967) 75-95, hier 77-82. 3 4 Zu den philosophiegeschichtlichen sowie staats- und politiktheoretischen Hintergründen vgl. immer noch Paul HONIGSHEIM, Türkenkrieg, Türkenbündnis und Türkengleichberechtigung in Renaissance und Absolutismus. Friedenswarte 55 (1959/60) 239-259. Vgl. Martin VAN GELDEREN, Vitoria, Grotius and Human Rights. The Early Experience of Colonialism in Spanish and Dutch Political Thought, in: Human Rights and Cultural Diversity. Europe — Arabic-Islamic World - Africa — China, hg. von Wolfgang SCHMALE (Goldbach 1993) 215-235; aufschlußreich war hierzu der Vortrag von Peer SCHMIDT (Erfurt), Krieg und Recht an den Grenzen der Christianitas: der Zweifrontenkrieg des spanischen Imperiums gegen Muslime und Indios im 16. Jahrhundert, in der Sektion 5 Krieg und Recht in in-

terkulturellen Auseinandersetzungen zwischen Christen, Muslimen und Indianern: Mittelmeer und Atlantischer Raum in der Frühen Neuzeit auf der 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit in Berlin im September 2003. 3 5 Vgl. Wilhelm JANSSEN, Art. Friede. Geschichtliche Grundbegriffe 2 (1975) 543-591, hier 5 6 3 567. 3 6 Vgl. zu den kaiserlichen Gesandtschaften an der Pforte in der zweiten Hälfte des 16. und dem frühen 17. Jahrhundert etwa die Zusammenstellung bei Stefan EHRENPREIS, Die Rolle des Kaiserhofes in der Reichsverfassungskrise und im europäischen Mächtesystem vor dem Dreißigjährigen Krieg, in: Friedliche Intentionen - Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?, hg. von Winfried SCHULZE (Studien zur neueren Geschichte 1, St. Katharinen 2002) 71-106, hier 90 Anm. 65. 37 Vgl. den Überblick bei Holger Th. GRAF, Die Entstehung des neuzeitlichen Gesandtschaftswesens aus dem Geiste der Curiositas - das Diarium des Johann Sebastian Müller als diplomatiegeschichtliche Quelle, in: Einmal Weimar-Wien und retour. Johann Sebastian Müller und sein Wienbericht aus dem Jahr 1660, hg. von Katrin KELLER-Martin ScHEUTZ-Harald TERSCH (VIÖG 42,Wien-München 2005) 179-191.

46

Holger Th. Graf

Sachkompetenz. Es waren auch weniger die Angehörigen des Hochadels, die als alter ego ihres Souveräns an das Goldene Horn reisten, sondern oft Bürgerliche oder Angehörige des niederen Adels, die sich durch ihr Studium und auf Reisen erworbene Kenntnisse von Land und Leuten als Geschäftsträger empfahlen38. In seiner leider ungedruckt gebliebenen Kölner Habilitationsschrift hat Josef Engel bereits 1958 den Nachweis geführt, daß es der diplomatische Austausch der italienischen Seestädte mit den muslimischen Mittelmeermächten war, der im Spätmittelalter den auf „Nützlichkeitsgesichtspunkten" (Janssen) beruhenden zwischenstaatlichen Austausch erprobte, der schließlich in der europäischen Staatenanarchie des 16. und 17. Jahrhunderts das neuzeitliche Gesandtschaftswesen mit seiner völkerrechtlichen Absicherung hervorbrachte39. Vor allem aber waren es die Diplomaten und die oft in ihrem Gefolge mitreisenden Künstler, Gelehrten und Schriftsteller, die mit ihren Berichten dazu beitrugen, „daß das Osmanische Reich als berechenbare Größe in die Normalität des europäischen Staatensystems integriert und die Kultur der Türken als gleichwertig, von manchen sogar als überlegen erkannt und gewürdigt wurde"40. Bereits Mitte der 1950er Jahre wies Anton Ernstberger nach, daß an der Hohen Pforte Anfang des 17. Jahrhunderts europäische Mächtepolitik betrieben wurde 41 . Für den hier behandelten Zusammenhang von entscheidender Bedeutung ist dabei, daß Konstantinopel nicht bloßer Schauplatz christlich-europäischer Konkurrenzkämpfe war, sondern der Sultan bzw. das Osmanische Reich als einer unter anderen Akteuren innerhalb des Mächtespiels zu verstehen ist und vor allem von den Zeitgenossen als solcher gesehen wurde. Gegenstand von Ernstbergers Untersuchung war „Europas Widerstand gegen Hollands erste Gesandtschaft bei der Pforte" im Jahre 1612 4 2 . Diesem Vorgang ist in unterschiedlicher Hinsicht bereits damals hohe Beachtung beigemessen worden, er 3 8 Vgl. etwa Benedict Curipeschitz, Itinerarium oder Wegrayß Küniglich Mayestät pottschaft gen Constantinopel zu dem groß Türckischen Keiser Soleyman. Anno 1530, ed. Gerhard N E W E K L O W S K Y (Österreichisch-bosnische Beziehungen 2, Klagenfurt 1997) 9 - 2 2 . Es dürfte auch kein Zufall sein, daß die gezielte und planvolle Ausbildung des diplomatischen Nachwuchses im Habsburgerreich mit der Gründung der „Orientalischen Akademie" im Jahre 1754 ihren Anfang nahm, vgl. den Beitrag von Ernst D. PETRITSCH in diesem Band. 3 9 Josef ENGEL, Kongreß und Staatensystem I: Zur Vorgeschichte der europäischen Völkerrechtsordnung. Lateinisches Abendland und sarazenische Welt: maschschr. Ms 1958. Dazu Wilhelm JANSSEN, Die Anfänge des modernen Völkerrechts und der neuzeitlichen Diplomatie. Ein Forschungsbericht (Stuttgart 1965) 49f. und 77f., sowie das Handbuch der Europäischen Geschichte 3, hg. von Josef ENGEL (Stuttgart 1971) 381f. 4 0 Folker REICHERT, Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter (Stuttgart 2001) 136. Vgl. vor allem auch Almut HÖFERT, Den Feind beschreiben. „Türkengefahr" und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1 4 5 0 - 1 6 0 0 (Campus historische Studien 35, Frankfurt 2004). Sie zeigt, wie die zunächst unterlegenen europäischen Mächte nach dem Schock des Falls von Konstantinopel 1453 aus ihrer Unterlegenheit heraus begannen, ein ethnographisches Beschreibungsmuster des Osmanischen Reiches zu entwickeln, mit dessen Hilfe sie „sich der feindlichen und lange siegreichen Gesellschaft epistemologisch zu bemächtigen" (319) suchten. Diese ethnographische Perspektive hatte eine nachhaltige Bedeutung für die Wahrnehmung der Religion, insofern die rein theologische Sicht auf die Türken als teuflische Häretiker und mahumetische Sekte stillschweigend unterlaufen und die Relativierung des Christentums gegenüber Islam und auch Judentum in der Aufklärungszeit vorbereitet wurde. 4 1 Anton ERNSTBERGER, Europas Widerstand gegen Hollands erste Gesandtschaft bei der Pforte (1612) (Bayerische Akademie der Wissenschaften SB der phil.-hist. Kl. 1956, Heft 7, München 1956). 4 2 Nach wie vor die umfassendste Darstellung ist Alexander H. DE GROOT, The Ottoman Empire and the Dutch Republic: A history of the earliest diplomatic relations 1 6 1 0 - 1 6 3 0 (Uitgaven van het Nederlands Historisch-Archaeologisch Instituut te Istanbul 43, Leiden-Istanbul 1978).

.Erbfeind der Christenheit" oder potentieller Bündnispartner?

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verdient aber auch die Aufmerksamkeit des Historikers. In Westeuropa waren 1598 bzw. 1604 die jahrzehntelangen Kriege zwischen Spanien und Frankreich bzw. England beendet worden. 1609 unterbrach schließlich ein 12jähriger Waffenstillstand den bereits länger als eine Generation andauernden Aufstand der nordniederländischen sieben Provinzen gegen die Herrschaft der spanischen Habsburger. Sofort gingen die Generalstaaten, also die junge Republik der Vereinigten Niederlande, daran, ihre prekäre und noch unbestimmte Position im „Theatrum Europaeum" der Fürstenstaaten zu konsolidieren 43 . Mit ihrem Agenten Pieter Cornelisz van Brederode waren die Niederlande zwar bereits seit 1602 dauerhaft im Reich vertreten, international unterhielten sie allerdings noch keine regelrechten Gesandtschaften 44 . Mit der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit dem Sultan konnten die Generalstaaten damals gleichsam zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen unterstrichen sie mit dem Auftritt an einer gleichermaßen prominenten wie sensiblen Stelle der internationalen diplomatischen Bühne, wie der Hohen Pforte, unmißverständlich ihren Willen zu staatlicher Unabhängigkeit. Diese Demonstration galt nicht allein gegenüber Spanien, sondern auch gegenüber ihren ehemaligen Verbündeten Frankreich und England, von denen sich die Niederländer nach deren „Separatfriedensschlüssen" 1598 und 1604 einigermaßen im Stich gelassen fühlten und die beide bereits seit längerem Gesandtschaften in Konstantinopel unterhielten 45 . Zum anderen verfolgte das Amsterdamer Regentenpatriziat, die ökonomisch wie politisch führende Gruppe in der Republik, massive Handelsinteressen in der Levante: Die Route nach Ostindien entlang der afrikanischen Küste und um das Kap blieb gerade in Kriegszeiten mit Spanien und Portugal außerordentlich gefährlich, und vor allem hoffte man, im Osmanischen Reich Absatzmärkte für niederländische Textilprodukte zu erschließen 46 . Darüber hinaus bedeutete die Installation einer niederländischen Gesandtschaft in Konstantinopel aber auch einen demonstrativen diplomatischen Sieg über Spanien, das es im Gegensatz zu den deutschen Habsburgern bisher nicht geschafft hatte, einen Gesandten an der Pforte durchzusetzen. Die ersten informellen Kontakte zur Vorbereitung der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen liefen, nicht weiter überraschend, über niederländische und venezianische Kaufleute. Bereits im Sommer 1610 luden die Osmanen direkt Bevollmächtigte der Generalstaaten ein, um, so zumindest die offizielle Sprachregelung, über den Austausch von Kriegsgefangenen zu verhandeln. Dabei ging es um Niederländer, die von 4 3 Wim P. BLOCKMANS, Republiek tussen vorsten. Oranje, opstand, vrijheid, geloof (Zutphen 1984) und Holger T h . GRAF, Die Außenpolitik der Republik im werdenden Mächteeuropa. Mittel und Wege zu staatlicher Unabhängigkeit und Friedenswahrung, in: Krieg und Kultur. Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederländischen Republik und im Deutschen Reich 1568—1648 — Ein Vergleich, hg. von Horst LADEMACHER-Simon GROENVELD (Münster 1998) 481—492, hier 485f. 4 4 Vgl. Uwe SIBETH, Gesandter einer aufständischen Macht. Die ersten Jahre der Mission von Dr. Pieter Cornelisz. Brederode im Reich (1602-09). ZHF50 (2003) 19-52. Lediglich in Frankreich mit François van Aerssen und in England mit Noël de Caron verfugten sie seit 1598 bzw. 1594 über Agenten. Als Ambassadeur wurde van Aerssen 1609 in Paris und Caron 1598 in London akkreditiert. Vgl. die einschlägigen Einträge in Otto SCHUTTE, Repertorium der Nederlandse vertegenwoordigers, residerende in het buitenland: 1 5 8 4 - 1 8 1 0 (s-Gravenhage 1976). 4 5 Jan HERINGA, De Eer en Hoogheid van de Staat. Over de Plaats der Verenigde Nederlanden in het diplomatieke leven van de 17de eeuw (Groningen 1961) 2 3 1 - 3 1 8 , und besonders 3 2 2 - 3 2 4 . Algemene Geschiedenis der Nederlanden, Bd. VI, hg. von Jan A. VAN HOUTTE (Utrecht 1953) 108-116.

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Holger Th. Graf

den Osmanen von eroberten spanischen Schiffen „befreit" worden waren, und umgekehrt um Türken, die die Holländer von gekaperten spanischen Schiffen geholt hatten. Binnen weniger Wochen Beratungszeit entschied man sich in Den Haag, den 32jährigen Cornelis Haga (1578-1654) als Orator nach Konstantinopel zu schicken. Der promovierte Jurist hatte bereits Jahre zuvor die Türkei und den östlichen Mittelmeerraum bereist und pflegte gute Kontakte zu „vornehmen Türken" 47 . Für die Osmanen waren die Niederländer wiederum als Seemacht interessant, sie hofften durch ein näheres Zusammengehen ihren wichtigsten Gegner im Mittelmeerraum - eben Spanien - wo nicht direkt zu schädigen, so doch zumindest zu bedrohen: Lepanto war nicht vergessen. Als Haga im März 1612 in Konstantinopel eintraf, empfing ihn erwartungsgemäß eine geschlossene Front der Gesandten aller bereits an der Pforte vertretenen Mächte. Vordergründig folgten sie durchgängig und geschlossen der Argumentation des kaiserlichen Gesandten Michael Starzer, der in der Mission Hagas nur den Versuch der Kalvinischen Bestia, also der niederländischen Republik, sehen konnte, sich mit dem Sultan gegen die abendländische Christenheit zu verbünden. Hinter verschlossenen Türen in Venedig und London war man sich indes einig, daß die eigenen Handelsinteressen und Spanien von der niederländisch-osmanischen Annäherung sehr wohl bedroht seien, nicht aber das übrige Europa. Die französische Diplomatie reagierte indes am heftigsten. Denn aufgrund der von Den Haag angestrebten Handelsverträge mit der Pforte mußten die niederländischen Schiffe in der Levante nicht mehr unter französischer Flagge segeln. Dies bedeutete neben dem Prestigeverlust Frankreichs als Schutzmacht der Christen im Osmanischen Reich vor allem eine bedeutende finanzielle Einbuße 48 . Die Aufregungen um die Verhandlungen Hagas 1612 waren jedoch nicht der sprichwörtliche Sturm im Wasserglas, sondern vielmehr der Auftakt jahrzehntelanger diplomatischer Aktivitäten im Zusammenhang mit der europäischen Mächte- und Bündnispolitik vor und während des Dreißigjährigen Krieges. Dies legte Ende der 1960er Jahre der spätere Wiener Neogräzist Gunnar Hering in seiner Arbeit über das „Ökumenische Patriarchat und die Europäische Politik" dar. Haga hatte Kyrillos Lukaris (1572— 1638), der ab 1620 als ökumenischer Patriarch in Konstantinopel Oberhaupt der im Osmanischen Reich lebenden orthodoxen Christen war, bereits während seines ersten Aufenthaltes im Orient im Jahre 1602 kennengelernt 49 . Sofort nach Hagas Ankunft in Konstantinopel traten die beiden wieder in engen Kontakt. Die Wahl von Lukaris zum Patriarchen wurde von Haga gegenüber dem Sultan wohl auch stark gefördert und fand schließlich sogar im Quartier der niederländischen Gesandtschaft statt. Haga wurde eine Art politischer Berater des Patriarchen, während Lukaris Berichte über innen- und außenpolitische Angelegenheiten des Osmanischen Reiches an Haga sandte. Lukaris unterhielt bereits als Patriarch in Alexandria eine rege Korrespondenz mit zahlreichen pro-

4 7 ERNSTBERGER, Widerstand (wie Anm. 41 ) 10. Sein Stellvertreter Lambert Verhaer hatte als Goldschmied längere Zeit in Konstantinopel gelebt und galt als sprach- und weltgewandter Kenner des Orients. 4 8 Klaas HEERINGA, De eerste Nederlandsche gezant bij de Verheven Porte (Oosthoek's historische bibliotheek, Utrecht 1917) 3 6 - 5 3 ; DERS., Bronnen tot de geschiedenis van den Levantschen handel 1 ( 1 5 9 0 - 1 6 6 0 ) (Rijksgeschiedkundige publicatiën 9/10, 's Gravenhage Den Haag 1910) lff. 4 9 Das Folgende nach Gunnar HERING, Ökumenisches Patriarchat und Europäische Politik, 1 6 2 0 1638 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 45, Wiesbaden 1968) 34—59, zur Kurzinformation vgl. DERS., Art. Lukaris. Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 5 (1993) 4 0 4 ^ 0 8 .

.Erbfeind der Christenheit" oder potentieller Bündnispartner?

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testantischen Theologen und machte sich zunehmend calvinische Lehren zu eigen. Intern versuchte er in diesem reformiert-protestantischen Sinne, die orthodoxe Kirche von katholischen Glaubensinhalten zu reinigen. Außenpolitisch verfolgte er darüber hinaus einen breit angelegten Plan zur Zurückdrängung des römischen Katholizismus in Ostund Südosteuropa, hintertrieb die Union der Ukrainer mit Rom, auch und besonders mit Hilfe des Sultans. Dabei agierte er entlang einer alten, aus der Kreuzzugszeit stammenden Traditionslinie in der orthodoxen Kirche, nach der man im Grunde unter muslimischer Herrschaft besser leben konnte als unter den „Lateinern". Sein großes außenpolitisches Projekt, das er mit Unterstützung Hagas vorantrieb, war daher ab 1621 ein osmanisch-russisches Bündnis gegen Polen. In diesem Zusammenhang knüpfte er 1629 nicht nur Kontakte zu Siebenbürgen und Schweden, sondern er förderte auch Aufstandspläne der orthodoxen Litauer gegen die polnische Krone. Selbst die Schweizer Eidgenossen und die Venezianer wurden in seine Bündnisbemühungen miteinbezogen. Durch seine kirchenreformerischen Aktivitäten hatte sich Lukaris allerdings zahlreiche Feinde im eigenen Lager geschaffen, die ihrerseits vom kaiserlichen und vom französischen Gesandten unterstützt wurden und beim Sultan die Absetzung Lukaris betrieben — zwar mit wiederholtem, aber jeweils vergeblichem Erfolg, denn Lukaris erreichte immer wieder seine Rehabilitation bzw. Wiederwahl. Erst 1638 konnte sein Gegner und Nachfolger, Kyrillos II. Kontares, den Sultan und den Großwesir überzeugen, daß Lukaris nichts anderes als Landesverrat betreibe, was zu dessen rascher Gefangennahme und Hinrichtung führte. Diese hier nur knapp geschilderten Vorgänge sind nicht allein deshalb besonders aufschlußreich, weil darin gleichsam quer zu den drei westlichen Konfessionsfronten „internationale" Bündnispolitik betrieben wurde. Vielmehr zeigt sich darin einmal mehr in aller Deutlichkeit, daß die „Erbfeind-Propaganda" gegen das Osmanenreich eben nur Propaganda war und daß im Grunde alle Beteiligten an diesem diplomatischen Mächtespiel - Katholiken, Reformierte, Lutheraner, Orthodoxe und Muslims, Franzosen, Habsburger, Venezianer, Niederländer, Schweizer, Schweden, Siebenbürger, Polen, Litauer, Ukrainer, Moskowiter und Osmanen - zwar durchaus das konfessionelle bzw. Glaubenskampf-Argument ausspielten und für ihre Interessen zu nutzen suchten, in ihrem alltäglichen Agieren sich indes ihre Handlungsspielräume davon in keiner Weise einschränken ließen 50 . III In der einleitenden Vorbemerkung wurde, ausgehend von der momentanen tagespolitischen Diskussion, auch auf eine zunehmende populistische Stimmungsmache gegen einen EU-Beitritt der Türkei verwiesen. Angesichts der anschließend geschilderten historiographischen Entwicklung könnte man unterstellen, damit den sprichwörtlichen „Türken" aufgebaut zu haben. Dem ist jedoch nicht so! In jüngster Vergangenheit - so ist zumindest mein Eindruck — ist in populären wie in wissenschaftlichen Fachpublikationen eine Rückkehr zu den alten Feindbildern und Vorurteilen festzustellen. Ein Beispiel ist etwa der 2003 erschienene Band von Robert Davis über „Christian Slaves and

5 0 Vgl. etwa auch das Angebot Papst Leos X. an den „heidnischen" Fürsten der Tataren zu einem Bündnis gegen die Türken; vgl. Leo von PASTOR, Geschichte der Päpste IV/2 (Freiburg 1907) 715f.

Holger Th. Graf

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Muslim Masters" 51 , der eine geradezu erschreckende Resonanz gefunden hat, nicht nur im extrem rechten Internet-Organ „National Journal", sondern auch im deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel"52. Die Versklavung wird hier unter anderem als ein Instrument breitgetreten, mit dem „weißhäutige Christensklaven" 53 den Genpool der nordafrikanischen Bevölkerung aufhellen sollten. Grundsätzlich fehlt jede historische Einordnung des Instituts der Sklaverei in das vormoderne mediterrane Wirtschaftssystem auch auf christlicher Seite, nicht alleine als Galeerensklaven, sondern etwa auch in der venezianischen Latifundienwirtschaft auf Kreta 54 . Diese einseitige Sichtweise, in der Christen nur als Opfer gesehen werden, gipfelt in der moralisierenden Feststellung, daß die Sklavenbagnos in Algier im Grunde nichts anderes als KZs gewesen seien, die indes von der Geschichte vergessen worden seien55. Es ist zu hoffen, daß dieses Buch keine paradigmatische Bedeutung für die christlich-islamische Beziehungsgeschichtsschreibung nach dem 11. September erlangt. Überspitzt formuliert, wird hier eine geradezu eschatologische Schwarz-Weiß-Malerei betrieben, die auf der einen Seite den Okzident und auf der anderen den Orient - und eben die Nazis - sieht. Ohne einem seicht-romantischen Multikulturalismus zu folgen, muß hier eindeutig die Gefahr konstatiert werden, daß der „clash of civilisations" (Samuel P. Huntington) förmlich herbeigeschrieben und in wissenschaftlich unhaltbarer Weise historisch unterfüttert wird. Ich hoffe, der zentrale Punkt meiner Ausführungen ist deutlich geworden: Soll „Europa" nicht zu einem Kampfbegriff verkommen, sondern auch als zukunftstaugliches Konzept dienen, so ist es als das zu begreifen, was es im Grunde schon immer gewesen ist: ein langfristiger staatlich-politischer Handlungszusammenhang im westlichen Teil Eurasiens — oder der Alten Welt — und ganz sicher keine christlich-abendländische „Schicksalsgemeinschaft"56. Selbstverständlich ist „Europa" damit weit mehr als ein rein 51

Robert Charles DAVIS, Christian Slaves and Muslim Masters. White slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and Italy, 1500-1800 (Basingstoke 2003, Taschenbuchausgabe 2 2004). 52 Der Spiegelet. 19 (2004) 216-219. 53 Günter STOCKINGER, See der Angst. National Journal (http://globalfire.trv/nj/04de/multikultur/ sklaven.htm, Stand: 20. August 2004). 54 Vgl. knapp Franco CARDINI, Europa und der Islam. Geschichte eines Missverständnisses (Beck'sche Reihe 1589, München 2004) 216-223. Christian WINDLER widerlegte in seinem Vortrag „Verrechtlichte Gewalt zwischen Muslimen und Christen: ein Vergleich der französisch-maghrebinischen und spanisch-maghrebinischen Beziehungen (17./18. Jahrhundert)" in der Sektion 5 Krieg und Recht in interkulturellen Auseinandersetzungen zwischen Christen, Muslimen und Indianern: Mittelmeer und Atlantischer Raum in der Frühen Neuzeit auf der 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit in Berlin im September 2003 das Stereotyp der jenseits allen Rechts handelnden Barbareskenpiraten und machte das relativ hohe Maß an „Rechtssicherheit" in den christlich-muslimischen Beziehungen bis in die Zeit des beginnenden Imperialismus um 1800 deutlich. Vgl. auch den Beitrag von Mounir FENDRI in diesem Band. 55

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DAVIS, Slaves ( w i e A n m . 5 1 ) 1 3 5 .

Dieser Begriff wird etwa von Wolfgang SCHÄUBLE (vgl. www.wolfgang-schaeuble.de/reden/pdf/ schicksalsgemeinschaft.pdf, Stand 22. 08. 2004) benutzt und findet sich ebenso als SchlüsselbegrifF im FPÖ-Parteiprogramm (Kapitel VI: Schicksalsgemeinschaft Europa, www.fpoe-ooe.at/parteiprogramm.html, Stand: 24. 08. 2004). Ohne Bezüge zu Publikationen der 1920er Jahre - etwa: Friedrich IMMANUEL, Schicksalsgemeinschaft: Zur Geschichte Österreich-Ungarns und Deutschlands aus der Zeit vor, in und nach dem Weltkriege (München 1928) oder Hermann SCHNEIDER, Schicksalsgemeinschaft Europa: Leben und Nahrung aus der europäischen Scholle (Breslau 1941) — herstellen zu wollen, evoziert dieser Begriff aber grundsätzlich eine gegebene geschichtliche Unentrinnbarkeit, die einerseits Gegenargumente per se nicht zuläßt und andererseits eine offene, mach- bzw. formbare Zukunft jenseits der eigenen definitorischen Hoheiten nicht zuläßt. Damit wird das Handeln des Politikers an sich in Frage ge-

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geographischer Begriff. Er ist aber nicht — zumindest nicht nur — als religiös-christlichkulturell begründet aufzufassen 5 7 . Angesichts der bereits tatsächlich vorhandenen religiös-weltanschaulichen G e m e n g e l a g e würden die exkludierenden Kräfte einer solchen A u f f a s s u n g die inkludierenden in gefährlicher Weise überwiegen 5 8 . W i e könnten sich J u d e n , O r t h o d o x e , M o s l e m s u n d nicht zuletzt die Atheisten in einem solchermaßen definierten E u r o p a wiederfinden? „ [ . . . ] die E U rechtlich in einen christlichen C l u b ' zu verwandeln, würde [also] nicht nur Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung wie die T ü r k e i ausschließen, sondern auch die Bevölkerung der Mitgliedsstaaten mit unterschiedlicher Religion und anderem G l a u b e n brüskieren 5 9 ." D a s E u r o p a des 2 1 . Jahrhunderts, dies ist eine mögliche und sinnvolle Lehre aus der Betrachtung der frühneuzeitlichen Geschichte, ist also unbedingt als überkonfessioneller und transkultureller H a n d l u n g s z u s a m m e n h a n g aufzufassen, zu d e m das O s m a n i s c h e Reich in entscheidender Weise beigetragen hat. D a s säkulare M ä c h t e e u r o p a entstand eben nicht nur i m K a m p f der Konfessions- u n d später Nationalstaaten untereinander, sondern auch in der Auseinandersetzung mit d e m nicht-christlichen Osmanenreich. Ziel m u ß es daher sein, eine an mittel- und langfristigen struktur- u n d systemgeschichtlichen Fragestellungen orientierte Beziehungsgeschichte zu erarbeiten und keine Konfliktgeschichte (neu) zu schreiben, wie dies für eine europäische Geschichte insgesamt gefordert wurde 6 0 .

stellt und vor allem die analytische, sezierende (Neu-) Interpretation des Historikers von vorneherein unmöglich gemacht. Dieser Ansatz ist daher als politik- und geschichtswissenschaftliche Kategorie denkbar ungeeignet. 57 Mit Gerald STOURZH, Statt eines Vorworts: Europa, aber wo liegt es?, in: Annäherungen an eine europäische Geschichtsschreibung, hg. von Gerald STOURZH (AÖG137, Wien 2002) IX-XX, ist also auf jeden Fall für einen „weiten" Europabegriff zu plädieren. Es „ist mehr als der Westen, [...] mehr als die ,latinitas', mehr als das Abendland." (S. XIX) Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf Peter Claus HARTMANN, Katholische, protestantische, orthodoxe sowie jüdische und muslimische Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts, und vor allem auf Hermann KANDLER, „Attila, Türke oder Muselmann — vom islamischen Glaubenskämpfer zum neuen Europäer". Gedanken zur islamisch-osmanischen Kultur des Islam in Südosteuropa im 17. und 18. Jahrhundert, in: Religion und Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts, hg. von Peter Claus HARTMANN (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 12, Frankfurt am Main u. a. 2004). 58 Vgl. Almut HÖFERT, Ist das Böse schmutzig? Das Osmanische Reich in den Augen europäischer Reisender des 15. und 16. Jahrhunderts. Historische Anthropologie 11 (2003) 176-192, hier 176-178 und 192. Ihr dient der nicht zuletzt durch seine Wortwahl umstrittene Artikel von Hans-Ulrich WEHLER, Das Türkenproblem. Der Westen braucht die Türkei - etwa als Frontstaat gegen den Irak. Aber in die EU darf das muslimische Land niemals. Die Zeit 38 (2002), als Aufhänger. Vgl. vor allem auch Ute SCHNEIDER, Von Juden und Türken. Zum gegenwärtigen Diskurs über Religion, kollektive Identität und Modernisierung. ZßS 52 (2004) 426-440, hier 426f. und 439 mit der Forderung an die Historiker, den Faktor „Religion" wieder grundsätzlich in ihre kritisch-wissenschaftlichen Betrachtungen mit einzubeziehen. 59 Mesut YILMAZ, Die Türkei und EU. Die Suche nach einer ehrlichen Partnerschaft (Berlin 2004) 35. 6 0 Heinz DUCHHARDT, Bilanz und Anstoß. Ein Kommentar zum Europa-Symposion, in: Annäherungen an eine europäische Geschichtsschreibung (wie Anm. 57) 141-146. In seiner Rezension dieses Bandes sieht Winfried SCHULZE. HZ 278 (2004) 689-691 in den Diskussionen um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei „auch wichtige Anregungen für eine europäische Geschichtsschreibung" (691).

Österreich in der osmanischen Historiographie Marlene Kurz In der Schlacht von Mohäcs 1526 war der ungarische König Ludwig II. ums Leben gekommen. Um seine Nachfolge entbrannte ein Streit zwischen Erzherzog Ferdinand von Österreich, dem Schwager des Verstorbenen, und dem Woiwoden von Siebenbürgen, Jänos (Johann) Szapolyai, dem vom osmanischen Sultan Süleyman I. (1520-1566) die ungarische Königskrone versprochen worden war. Als daraufhin Ferdinand das unter osmanischer Protektion stehende ungarische Gebiet angriff und Szapolyai aus Ofen (Buda) vertrieb, unternahm Süleyman 1529 einen Feldzug nach Ungarn und Osterreich, der in der Belagerung Wiens gipfelte. Die Stadt wurde allerdings nicht erobert, und am 17. Oktober brach Süleyman mit seinen Truppen zum Rückzug nach Istanbul auf. Nach weiteren Ubergriffen Ferdinands auf Szapolyais Herrschaftsgebiet in den folgenden Jahren entschloß sich Süleyman 1532 zu einem weiteren Feldzug Richtung Österreich. Eine möglicherweise auch diesmal geplante Belagerung Wiens scheiterte daran, daß schon die Belagerung der Festung Güns (Köszeg) übermäßig lange dauerte, so daß nicht mehr ausreichend Zeit für einen Vorstoß gegen Wien blieb. Süleyman gab sich mit einem zweiwöchigen Beutezug durch die Steiermark zufrieden. Diese beiden insgesamt wenig erfolgreichen Feldzüge in den äußersten Nordwesten des Osmanischen Reiches ereigneten sich zu einer Zeit, als sich das Osmanische Reich sowohl nach Auffassung der Zeitgenossen als auch in den Augen späterer Generationen auf einem bisher nicht gekannten Gipfelpunkt seiner Macht und seines Glanzes befand. Süleyman beanspruchte, der mächtigste und erfolgreichste Herrscher der Welt zu sein. Dennoch mußte er sich damit abfinden, sein Herrschaftsgebiet nicht erfolgreich nach „Österreich" ausdehnen zu können. Wie haben nun die osmanischen Historiker verschiedener Jahrhunderte diese nicht unbedingt rühmliche Begegnung Süleymans mit „Österreich" verarbeitet? Der erste Historiograph, der hier als Beispiel herangezogen werden soll, lebte vollständig in der Atmosphäre des imperialen Selbstbewußtseins, das die osmanische Oberschicht in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausgezeichnet haben muß: der aus Tosya in Anatolien stammende Celalzade Mustafa (1490/91-1567), genannt Koca Nifanci. Ihm gelang es, in Istanbul in der staatlichen Verwaltung Karriere zu machen. Nachdem er mehrere Jahre lang verschiedene hohe Sekretärsposten innegehabt hatte, wurde er 1534 zum ni$anci (Bewahrer des sultanischen Siegels) ernannt und behielt diesen Posten für die nächsten 23 Jahre. Sein Amt brachte ihn in engen Kontakt mit den wichtigsten Staatsmännern seiner Zeit und ermöglichte ihm den Zugang zu Informationen aus erster Hand. Als Angehöriger der osmanischen Oberschicht hat sich Celalzade

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Marlene Kurz

offensichtlich vollständig mit seiner Karriere und seinen Ämtern - und das heißt letztlich mit dem osmanischen Staat - identifiziert. Demgemäß ist sein zeitgeschichtliches Werk über Siileymans Herrschaft in den Jahren 1520 bis 1555, die Tabakat ül-memalik ve derecat ül-mesalik („Die Klassen der Reiche und die Grade der Heerstraßen"), entsprechend seinem „unbefangenen osmanischen Selbstwertgefuhl"1 geschrieben. Celalzade, der seine Tabakat aus eigenem Antrieb und nicht als ein Auftragswerk des Sultans verfaßt hat 2 , „beschreibt seine Epoche [...] als die glanzvollste aller Regierungen und Süleyman als den unübertroffenen Herrscher seiner Zeit". Diesem Urteil, so meint Celalzade, müßten sich angesichts von Süleymans großartigen Erfolgen auch die Araber, Perser und Franken anschließen 3 . Zu einer direkten Konfrontation kam es nach Celalzades Darstellung aufgrund der Gier des ungläubigen Ferdinand nach den Ländern Ungarns, die Süleyman eigentlich dem Woiwoden von Siebenbürgen, Jänos Szapolyai, überlassen hatte. Da Jänos nicht fähig war, sich gegen Ferdinand zur Wehr zu setzen, gelang diesem die Eroberung großer Teile Ungarns. Aufgrund dieser Erfolge befürchtete man in Istanbul sogar, Ferdinand könnte zu einer ernsthaften Gefahr für die behüteten Länder des Sultans werden, was Süleyman schließlich veranlaßte, einen großherrlichen Feldzug zu unternehmen, mit der Absicht gegen Wien zu ziehen, das der Unglück verheißende Thronsitz jenes Böses wissenden Verfluchten, d. h. Ferdinands, war 4 . Das Überschreiten der Grenze von Ungarn nach Österreich wird von Celalzade als besonderer Augenblick vermerkt, denn es ist die Grenze zum glaubenslosen Deutschland. Seit dem Beginn des Erscheinens der wahren Religion bis zu diesem Augenblick haben diese Länder das Gesicht nicht vor den Hufen der Pferde der Muslime gebeugt, ihre Erde ist unrein, ihr Boden ist überall unrein durch die Strahlen der Fackel des Unglaubens. Als aber das islamische Heer in diese Länder vordrang, erzitterten die Ungläubigen und baten um Gnade 5 . Die militärischen Aspekte der Belagerung Wiens werden ausführlich geschildert. Schließlich heißt es, die Einwohner der Stadt hätten sich infolge der osmanischen Angriffe in ziemlicher Bedrängnis befunden und am 13. Safer 936/17. Oktober 1529 sei ein Ungläubiger aus der Festung gekommen, habe den Padischah um Gnade gebeten und angeboten, die muslimischen Gefangenen freizulassen. Daraufhin habe Süleyman auch die von den Osmanen gefangenen Ungläubigen herausgegeben, und da inzwischen der Winter hereingebrochen war, sei er am gleichen Tag mit seinem Heer von Wien aufgebrochen 6 . Grund für eine Analyse oder gar Entschuldigung des Abbruchs der Belagerung sieht Celalzade nicht. Den Anlaß zum nächsten Feldzug gab wieder der Landesfürst von Osterreich: Süleymans Ernennung von Jänos zum König von Ungarn habe die Begs von Kafiristan (die Fürsten des „Landes der Ungläubigen") in wilde Aufregung versetzt, so daß Ferdinand schließlich ein Heer zusammenstellte und wieder nach Ungarn zog. Da sich nun unter den Osmanen das Gerücht verbreitete, unter den christlichen Fürsten bestünde Einig1

Petra KAPPERT, Geschichte Sultan Süleyman Kanunis von 1520 bis 1557 (Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland, Supplementband 21, Wiesbaden 1981) 8. 2 Ebd. 12. 3 Ebd. 16. 4 Ebd. fol. 183*-183 b . 5 Ebd. fol. 189a. 6 Ebd. fol. 192a—192b.

Österreich in der osmanischen Historiographie

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keit darüber, daß das Heer gegen die Länder der Muslime ziehen sollte, rüstete auch Süleyman zu einem neuen Feldzug7. Inzwischen ernannte Karl, der Oberbefehlshaber der christlichen Sultane, seinen Bruder Ferdinand zu seinem Stellvertreter, und beide machten sich daran, den schon lange geplanten Anschlag gegen die Muslime in die Tat umzusetzen. Die mit ihnen verbündeten ungläubigen Fürsten spendeten hierfür Geld oder stellten ihnen tapfere Krieger zur Verfugung. Als Süleyman von diesen Kriegsvorbereitungen erfuhr, ließ er als Zeichen seiner Kampfbereitschaft die Kesselpauken ertönen, d. h. die gefiirchtete Elitetruppe des Sultans, die Janitscharen, rüsteten sich für einen weiteren Feldzug. Prompt wurden die Herzen der Ungläubigen von Furcht und Zweifel erfaßt. Sie schickten dem Sultan listige Gesandte entgegen, die das drohende Unheil abwenden sollten8. Obwohl man davon ausgehen darf, daß die Diplomatie einen großen Teil der amtlichen Tätigkeit Celalzades ausmachte, interessiert sie ihn in seinem Geschichtswerk nicht. Statt auf die Botschaft der Gesandten Karls und Ferdinands näher einzugehen, nimmt er ihren Auftritt zum Anlaß einer großartigen Heerschau und der ausführlichen Darstellung der Pracht, die anläßlich des Empfanges der Gesandten um den Sultan, der das Angebot allerdings ablehnte, entfaltet wurde9 - ein gezieltes Imponiergehabe, das an Freund und Feind adressiert ist. Süleyman setzte seinen begonnenen Feldzug also fort. Nach einem erfolgreichen Marsch durch Ungarn wurde das osmanische Heer schließlich bei der Festung Güns, die den Belagerern heftigen Widerstand leistete, längere Zeit aufgehalten. Die Kapitulation von Güns nach dreiwöchiger Belagerung wurde mit großen Festlichkeiten zelebriert. Danach zogen die Osmanen weiter in Richtung Neusiedler See. Der Sultan hatte eigentlich damit gerechnet, daß ihm Karl oder Ferdinand in offener Feldschlacht entgegentreten würde. Sein überwältigender Ruhm jedoch hatte die Soldaten der Ungläubigen so sehr in Angst und Schrecken versetzt, daß sich ihre Heere in wilder Panik aufgelöst hatten, ehe die Osmanen überhaupt Österreich erreicht hatten. Mangels würdiger Gegner zog es Süleyman nun vor, mit seinem Heer Richtung Steiermark zu ziehen10. Ganz unbeeindruckt waren die Osmanen offensichtlich nicht von den blühenden und kultivierten Landschaften, die sie in den Regionen, die sie durchstreiften, vorfanden. Allerdings verstand es Celalzade, diese Schönheit in den richtigen Kontext zu setzen. Der Anblick von Odenburg (Sopron) z. B. veranlaßte ihn zu folgenden Versen: Die gewaltige Stadt, die der mit der Säule gleicht, mit reichem Schmuck der Stolz des Landes, rings um die Mauern Weinberge und Felder, Rosen- und Gemüsegärten und liebliche Dörfer". Bei der hier genannten Stadt mit der Säule handelt es sich um die im Koran erwähnte Stadt Iram, deren Bewohner aufsässig gegen Gott waren und viel Unheil anrichteten und die daher von Gott gestraft wurden: Hast du nicht gesehen, wie dein Herr mit den Ad verfahren ist, (mit) Iram, der (Stadt) mit der Säule [...] Dein Herr ließ die Geißel einer

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Ebd. fol. 207 a -207 b . Ebd. fol. 209 b -210 a . 9 Ebd. fol. 210 b -215 a . 10 Ebd. fol. 229 a -230 b . 11 Ebd. fol. 229 a . 8

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(schrecklichen) Strafe auf sie herabsausen12. - Ebenso sollte der Anblick der von Strömen und Flüssen durchschnittenen Landschaft mit ihren Burgen, Schlössern, Städten, Dörfern, Feldern, Wäldern und Gärten, der sich den Osmanen vom Kamm eines Berges aus darbot, eingedenk des arabischen Spruches Das Diesseits ist ein Gefängnis für die Gläubigen, jedoch ein Paradies für die Ungläubigen betrachtet werden 13 . Der Krieg mit den Österreichern wird von Celalzade also als Fortsetzung des Kampfes gewertet, den schon der Prophet Muhammad im Namen Gottes gegen die Ungläubigen führte. Darauf deuten bereits die Attribute hin, die Celalzade zur Charakterisierung der Habsburger und ihrer Verbündeten verwendet. Sie sind Irregeleitete, Verfluchte, die Satan gehorchen und deren Bestimmung Feuer und Hölle sind 14 . Dies sind die typischen Eigenschaften, die den ungläubigen Feinden Gottes und den Feinden der jungen islamischen Gemeinde im Koran beigelegt werden. Gott aber straft die Ungläubigen entweder durch verheerende Naturkatastrophen oder indem er sich Muhammads als Werkzeug bedient 15 . Auch in der nachprophetischen Zeit ist Gott nach islamischem Verständnis das movens der Geschichte. Sein Wille manifestiert sich bevorzugt in den Angehörigen der gesellschaftlichen Elite, also zum Beispiel Herrschern oder militärischen Befehlshabern 16 . Aus dieser Perspektive betrachtet ist auch Süleyman ein Werkzeug Gottes, ein Träger der islamischen Heilsgeschichte bzw. gemäß seiner imperialen Titulatur der Schatten Gottes auf Erden und als Schwert des Islams und der Muslime und als Töter der Ungläubigen und Polytheisten17 Beschützer der islamischen Gemeinde. Wie Celalzade ja mehrfach deutlich gemacht hatte, waren Aggressionen von Seiten Karls und Ferdinands gegenüber den Muslimen der Grund für die Feldzüge Süleymans gewesen, die osmanischen Aktionen gegen die Österreicher waren nach islamischem Verständnis also völlig gerechtfertigt 18 , und es war ebenso legitim, daß Süleyman zum Abschluß seines Feldzuges zwei Wochen plündernd durch die Steiermark zog und das Land verwüstet zurückließ 19 . Im Gegensatz zu Celalzades sorgfältig komponierter Kunstprosa steht das Geschichtswerk Ibrahim Pe^evis, Tarih-i Pegevi, ganz in der Tradition der Werke Afikpajazades und Ne§ris, die die historischen Ereignisse in einfacher, volkstümlicher Sprache und mit Anekdoten angereichert erzählen 20 . Ibrahim Pegevi21 (1574-ca. 1650) stammte aus Fünfkirchen (Pees) im osmanischen Teil Ungarns. Seine Vorfahren väterlicherseits

12 13

Koran, Sure 89, Verse 6 - 7 , 13. KAPPERT, Sultan Süleyman (wie Anm. 1) fol. 230 a .

14

Vgl. z. B. KAPPERT, Sultan Süleyman (wie A n m . 1) fol. 209 B .

15

Tilman NAGEL, Der Koran. Einführung, Texte, Erläuterungen (München 1983) 99-113; Rudi PARET, Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten (StuttgartBerlin-Köln

7

1991) 94-96,

109.

16

Chase E ROBINSON, Islamic Historiography (Cambridge 2003) 129f. 17 KAPPERT, Sultan Süleyman (wie Anm. 1) fol. 5 b . 18 Vgl. Koran, Sure 22, Vers 39: Denjenigen die [gegen die Ungläubigen] kämpfen [andere Lesart: die bekämpft werden], ist die Erlaubnis [zum Kämpfen] erteilt worden, weil ihnen [vorher] Unrecht geschehen ist. Gott hat die Macht, ihnen zu helfen. 19

20

KAPPERT, Sultan Süleyman (wie A n m . 1) fol. 230 A -232 B .

Pegevi selbst betont in den einleitenden Worten des ersten Bandes seines Geschichtswerkes, daß er auf Reimprosa und komplizierte Ausdrücke verzichten und sich lieber der Umgangssprache bedienen wolle. Ibrahim PE

BS Basar in Edirne Oktober 1582, fol. 971.

Von Berufs wegen kannte sich der Kaufgeselle am besten auf dem Textil- und Stoffmarkt aus; da hatten die Seidenweber ihre Buden, es gab Leinwände zu kaufen, Schnittwarenhändler boten ihre Waren feil, Schuhmacher stellten ihre Lederwaren zur Schau. Für seine Einkäufe nahm Gruneweg die Dienste von Lastenträgern in Anspruch, deren Tragevorrichtung er bis ins kleinste Detail beschrieb80. Nach erledigtem Einkauf stärkte er sich in den Garküchen des Bazars, wo er das Essen nicht allein kostete, ja es schmeckte ihm vorzüglich. Er lobte die geschickten Köche, die es fertig brachten, jedem seine heimischen Lieblingsspeisen vorzusetzen; hier könnte man, so Gruneweg, auch einen König bewirten 81 . Kostenlose Unterhaltung gab es bei den Garküchen durch Spielleute, Gaukler, Künstler und Wahrsager, mit denen, so Gruneweg, hattder Teuwel, welcher sich gerne allen dingen nachschlepfit, auch seinen kram 82 . Neben den verschiedenen Abteilungen für die Lebensmittel setzten den Mitteleuropäer die Apotheken in Erstaunen, welche man niergendts grösser und schöner, auch folkömlicher ersiet. Er bemerkte die zahlreichen Wasserträger und stellte voller Verwunderung fest, daß alle Flüssigkeiten in Lederbeuteln getragen wurden 83 . Hier auf dem Markt trafen sich verschiedenste Ethnien, und auch das beeindruckte Gruneweg: Man findet hie allerley nacionfölcker, die mögen ohne alles verlachen in ihres landes kleydunge ausgehen. Sinti und Roma, Farbige, Armenier, Griechen, Juden kleideten sich jedoch meist in türkischer Tracht 84 . Die Tzigener, die, wiewol halb schwartz, doch ein schön folk seien, waren meist Spielleute, Fiedler, Gaukler: die treiben ihr hantwerk auf den gössen untter kleinen getzeltlein: untter welchen sie auch samt weib und kinde woenen. Unter den Moeren (gemeinlichgrose kaufleutte) fanden sich, laut Gruneweg, selten wolgestaltte, sondern

wohl einen Sldavenmarkt als auch einen Frauenmarkt. Vgl. die Beschreibung des Marktes bei LUBENAU, Reisen (wie Anm. 9) 118f. 80 Dieser Sattel bringt den Hamallen solche bequemicheit, das sie grausame schwere sachen one grosse mue tragen. Dan sie lassen auf sich weltzen eine grosse packe tebicht, gewant, ein fas fol messen welches sie noch die hoegen stiegen auftragen, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 972f. 81 Sie sein auch in ihrem handtwercke so gelert, das sie einer jederen natzion, was er nun begert, seiner landart nach wiessen tzutzurichten: unde das gar geschwinde, datzu über die mase sauber, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 973. 82 Etlicheprophetzeyen mit dem siebe, etliche mit dem buche, etliche mitt boenen, mitt steinlein, mit feedern: die andern im Spiegel, oder heisen einen wiederkommen und hören, was ihnen der schlaef gesagt hatt, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 974. 83 Er berichtete von Brunnen, tzu dennen sein kerrels verordent, die schenckenn das wasser fein rehnlich aus: iderman umb Gottes willen. Wasser und milch oder sonstfliessendedinge tragen sie alles meyst in leederem geschiere: auch ofte in gantzen heutten datzu bereitt, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 972. 84 „ [...] anjetzo von Griechen / Walachen / Armeniern / Türcken vnnd Juden (deren über die 16.000 allda), welche Nationes fast ins gemein grosse Kauffmannschafft treiben / bewohnt", WENNER, Reysebuch (wie Anm. 61) 42.

die umschnupferten unsere wagen

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alle mitt ihrem windichtem haere, grossen äugen, breitter naese und hengenden kpftzen. Die Armenier arbeiteten meistenteils als Goldschmiede oder Maurer, von ihnen wußte Gruneweg zu berichten, daß sie da ihre öffentliche kirchen haben, in welchen sie alles nach ihrer Chriestlichen Ordnung verbringen, nur das sie nicht dörwen kreutze daraufsetzen und tzur kirchen leutten. Die Griechen verdienten neben dem Handel ihr Brot als Kürschner oder Schneider. Die christlichen Nachbarn waren, so Gruneweg, und das im Gegensatz zu vielen anderen Berichten85, akzeptiert, sie hatten im Osmanischen Reich Klöster mitt muenchen undnonnen: welche in ihres Ordens kleide ohne gros aufiehn aufgehen, wenn sie wollen. Juden waren in Polen bekannt, er beschrieb sie nicht näher, nur der Kleidung nach 86 . Uber die Armenier ließ sich Gruneweg nicht sehr ausführlich aus, das war seine tägliche Umgebung, über sie hatte er schon früher im Text umfassend berichtet. In diesem Kontext war ihm nur ihre ungestörte Religionsausübung wichtig zu erwähnen. Das gleiche galt auch für die Griechen; beide christlichen Völker konnten im Osmanischen Reich ihrem Glauben nachgehen; an keiner Stelle weist Gruneweg auf irgendeine Art von Schwierigkeiten hin. Die Griechen hatten teilweise sogar schon türkische Gepflogenheiten angenommen, wie Gruneweg bemerkte: solche narrische geberde nehmen da die Kristen von den HeyderF. Sinti und Roma waren dem Danziger wohl bekannt. Hier beschrieb er sie sachlich, obwohl man sie während der Reise mehrmals erwischte, als sie die Karawane bestehlen wollten: Mit Selbstjustiz half man sich 88 . Juden wurde mehrmals mit Vorurteilen begegnet, das mag einer gewissen Danziger Tradition entsprochen haben 89 . Für die Armenier waren die jüdischen Händler nur bedingt Konkurrenten, da sie weit weniger den Handel mit Luxusgütern verfolgten. Sie arbeiteten bei ihnen wie Chaim, der immer wieder als alter, frommer Jude erwähnt wurde90. Juden und Türken wiederum konnten gemeinsam ihre Freizeit verbringen. Den Zollhof in Adrianopel hatten zur Zeit von Grunewegs Handelsfahrten Juden gepachtet. Sie waren auf alle Fälle sprachbegabt, und durch das Deutsche und Polnische kam Gruneweg leicht in Kontakt mit ihnen. Ein Mal luderte sich ein verfluchter Jude zu ihm, der ihn verraten - und das heißt verkaufen - wollte91, was aber ein Einzelfall blieb. Während der Reise waren sich die Kaufleute jedenfalls sehr genau bewußt, welche Ethnie in welchem Ort wohnte, was minuziös angemerkt wurde: sie fuhren durch ein fein Turckisch dörf sie futterten bey einem Tatterschen dörffe, zur Linken war ein schön gros Serwisch dorf, man passierte ein grichisch dörf.

8 5 „Leyden warlich grossen gezwang vnd not / vonn des Christenlichen glaubens wegen / von den Türcken [...], dem wuetenden vnd tyrannischen hund", KURIPESCHITZ, Itinerarium (wie Anm. 73) 51 f. 8 6 GERLACH, Tage=Buch (wie Anm. 5) 511, hielt zum Beispiel nur Griechen, Türken und Juden in Adrianopel fiir erwähnenswert. DERNSCHWAM, Tagebuch (wie Anm. 4) 106-117, widmete den Juden breiten Raum. 8 7 Gruneweg, Reisetagebuch, fbl. 1399. 8 8 Man fuerte den dieb in einer kette am hales hinder dem wagen bis jehn Stephanowce auf die futterunge, da wart er ein wenig geschlagen und los gelassen, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1400, 1056. Auch an dieser Stelle ist nichts Moralisierendes zu bemerken wie z. B. SCHWEIGGER, Reyßbeschreibung (wie Anm. 6) 40, nach einem Diebstahl kommentiert: „da hatt das siebend Gebot ein end." 8 9 Im Königlichen Preußen stammten schon aus der Deutschordensritterzeit und der Hanse zahlreiche Verbote gegen den Handel der Juden, welche die Landtage im 16. Jahrhundert immer wiederholten, was deren weitgehende Unwirksamkeit zeigte. Vgl. Zenon H. NOWAK, A brief history of the Jews in Royal Prussia before 1772. Polin 7 (1992) 3 - 1 1 . 9 0 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1301. 91 Ebd. fol. 1023-1026

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In enge persönliche Kontakte kam Gruneweg natürlich mit den Mitreisenden in der Karawane. Die Armenier behandelten ihn als einen der Ihren und waren ihm wohl gesonnen, seine Kollegen trieben gutmütigen Schabernack mit ihm92. Hier konnte er sich geborgen fühlen, auch wenn ab und zu das Heimweh durchbrach. Diese Gemeinschaft, die Gruneweg mit einem Kloster verglich, war ausgezeichnet organisiert, jeder wußte um seinen Platz93. Zu seinem Herrn hatte er ein korrektes Verhältnis, insgesamt eine bevorzugte Stellung94. Sein Herr handelte auch erbar und geduldig, als ihm Geld gestohlen wurde. Gruneweg konnte sich gar bei ihm für zwei deutsche Goldschmiede verwenden, so daß diese kostenlos in der Karawane nach Konstantinopel mitziehen durften. Das Gesinde bestand größtenteils aus Katholiken, deren Glauben die armenischen Karawanenführer respektierten, sie legten ihretwegen beispielsweise am (römisch-katholischen) Osterfeste eine zusätzliche Rast ein95. Von Interesse erscheint nun, welche Kontakte sich in Ausnahmesituationen entwikkeln konnten. Als man ihn in Todesgefahr fragte, welchen Beichtvater Gruneweg wünschte, wählte er, da kein Lutheraner, Zwinglianer oder Calvinist in der Nähe war, zwischen Italienern, Griechen oder Armeniern den letzteren, der ihm die Kommunion gab96. Nur ein einziges Mal ist von Ressentiments zwischen Gruneweg und den Armeniern zu hören, die ihn verdächtigten, am Tode eines der Ihrigen Schuld zu sein. Und hierbei kamen nationale Vorurteile und Stereotype zu Tage97. Der armenische Geistliche vermittelte aber sogleich in diesem Konflikt.

92 Da ich aber hörte, das es so voerneme kaufleutte weren, das sie ihr gesinde so wol haltten, das sie in so weite lender reysen [...] wendte ich mein gemuete gantz tzu ihnen, Gruneweg, Reisetagebuch, fbl. 837. Dem schlafenden Gruneweg legte man einmal eine große Schildkröte in Form eines Brotes hinzu, so daß er erschrak, als er aufwachte und sich „das Brot" zu bewegen begann, fol. 985f. An anderer Stelle tröstete man ihn beim Heimweh: Damitt mir aber meine geselschaft, welche mier alk gunstig waren, von der traurigkeitt haelffen, blieben ihrer viere bey mir, fol. 1019. 93 Wen die Armenier auff diese reyze wegfertig sein, fasten sie etliche tage auch einegantze woche vor dem außtzuege: beichten, comunitzieren gleich goltte es ihnen tzum thotte. Alle mein tage habe ich auch erbarer, fromere, tzuchttigere geselschaft weder gehört noch gesehn, als sie nur auf diesem wege fueren: sowol untter den jungen als altten. Da hört man oder sieht man nichts wildes, nichtes unfletigs. Ich habe kein einiges mal tzorn oder tzwitracht in der geselschaft gesehn. Bin niemals gewar worden, das man eins spotte oder imandts verachtte. Keine drunckenheitt, keine betriegereye, kein falschen hinderlist im kauftchlagen, warlich ein recht ordentlich wesen: gleich wers im kloster. Außgenomen das fuergesinde, welche Polen oder Reussen sein: die steygen mitt ihrerr grossen tasche und haben sonst nichts gleisende, nur die ringe am gurttel. Dennoch schmucken sie sich auch den andren gleich, mit einer seidnen binde, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 915- Vgl. dazu SCHWEIGGER, Reyßbeschreibung (wie Anm. 6) 40, der von Zwietracht in der eigenen Reisegruppe berichtete: „daselbst etliche vom Adel / von feuchtigkeit deß Weins ueberwunden / einander aufif die Meuler schlugen / hat wenig gefehlt / sie hetten zum Saebeln griffen / weil die Türcken vns zu frieden liessen." 94 Als Schreiber aß er aus der Herren schuessel, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 945. 95 Zu Oszanlia setzten wir den Karowan hinder dem dörffe: das dem gesinde tzu gefallen, welchs meist Catholisch war, da Ostern gefeirt worden, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1040. 96 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1313f. 97 In deme kam noch das gantze Armenische getrecke weinende, mich vorn deutzen hund scheidende, ferfluchende, und sprachen, ich hette den Bedrus mitt meiner deutzen list aufgeftesen. Wiesen auch auf mich, als hette ich mit ihm so gespielt, das ich selbst war krank worden. Da es meine ere antraf, setzte ich sie, in warheit aus tzorne ab, und sprach: Ich habe ewren Bedrus nicht gefressen, den wiewolein deutzer, dennoch kein hund, sonderen habe ich den Turkschen hunden tzu fressenn laessen, welcher solfuerer sein jhrer, desen schwantz ir in eurer kirche kuesset. Unde das ich itzt krank bin, des ist Bedrus eine Ursache, dennoch nicht durch solch spielen als ihr meinet, den die Deutzen verstehn sich nicht auf ewr türkisch spielen wie ihr, die cla vor den deutzen neger Sodoma erzogen sein, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1309f.

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Trotz der, wie es scheint, gar nicht so schlechten hygienischen Bedingungen, es wird oft von Sauberkeit gesprochen, hatte Gruneweg nicht nur Flöhe, sondern wurde mehrmals schwer krank. Gleich beim ersten Überqueren der Donau begannen ihm vom Donauwasser die Füße anzuschwellen. Da versuchten ihm alle Mitreisenden zu helfen98; in Adrianopel wurde er sogleich von einem Arzt versorgt, und ein Barbier heilte ihn schnell". Nachdem sich Gruneweg mit der Pest infiziert hatte, erhielt er trotz der ansteckenden Krankheit von jedermann, den mitreisenden Armeniern sowie den Türken, Hilfe. Viele Behandlungsmethoden der türkischen Ärzte - Arzneien, Klistier, Aderlaß kannte Gruneweg aber nicht und wollte sie deswegen auch nicht annehmen. Übrigens wußte er im nachhinein die Hilfe der türkischen Ärzte, einer wollte ihn gar zu sich nach Hause nehmen, besonders zu schätzen100. Auch im griechischen Lazarett auf der Insel, wohin man ihn letztlich gebracht hatte, konnte er sich über die liebevolle Zuwendung von Mitreisenden und Einheimischen nicht beklagen101. Hier wie überall auf dem Wege stieß er auf große Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Bewohner. Nur wollten ihm einige manchmal zu nahe auf den Leib rücken. Obwohl kein Bildnis von Martin Gruneweg überliefert ist, hat man sich ihn wohl als blonden Jüngling mit blauen Augen vorzustellen. Allein dadurch erregte er bei den dunkelhäutigen Orientalen Aufmerksamkeit. Wohin er kam, stand er im Mittelpunkt des Interesses. Dies ist natürlich immer der Fall bei einer Selbstbiographie; hier muß man daher mit Vorsicht interpretieren. Inwieweit alle die zahlreichen von ihm geschilderten Versuche einer homosexuellen Begegnung der Wahrheit entsprachen, können wir nicht nachprüfen. Nacktheit und Sexualität waren für Bruder Wenzel ein Schrecken; insofern ist genau abzuwägen, was an diesen Stellen an den Berichten später überarbeitet wurde. Es gehörte sich ja nicht, daß der Kleriker Gruneweg Jugendsünden, falls sie passiert sein sollten, schriftlich fixierte. Schon bald erkannte Gruneweg die untzuchttige possen, welche sich die Türken voer ein fein ding schetzenwl. Seine Reisen wurden deshalb - nach seinen Aufzeichnungen streckenweise zu einem Spießrutenlaufen. Immer wieder entstand in dieser Sache Streit mit den Einheimischen. In Europa, so die Christen, gewöhne man nicht die jugent tzur tzertlicheit, sonderen tzur arbeit, worauf der Türke geantwortet haben soll: so ists schade,

98 Mein Herre hefte gros mitleiden mitt mir, aber mitt seiner ertzneye als ein unbewuester docter, an statt der gesuntheitt, tribe er mir mer krankheitt ihn. Ich wueste mir auch selbst keinen raht tzu geben, nur was alle riethen, das thate ich, besserunge hoffende, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 950. 99 Ein anderes Mal, als ihm unwohl war, aß er vier schwarze Rettiche und warn strax so gesundt als were mir nichtes gewesen, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1053f. Auf einer weiteren Handelsreise fuhr in der Karawane ein deutscher Barbier aus Kamieniec Podolski mit, der Erste Hilfe leisten konnte. 100 Gar frue man der doctor, mich tzu besuchen und redte mich dae dies, da jehns ein, den die leutte schikten mir alles gnueg und unsäglich fiele, sowol bekante als auch unbekante [...] Da wollte er mir wieder mitt gewalt einne kristier geben, von welcher ich noch mein tage nicht gehört hette. Wie sie mich nun begunten entblösen und sagen, wie es worde tzugehnn, bat ich durch Gott, das man mir solches nicht thaete, den ich wollte lieber sterben. [... ] Und solches kam mir aus unmessiger schäm [...]. Warlich ist sich tzu wundem des trewen diensts des heidensen docters, da doch kein Welscher noch Judischer tzu mir wollte, wie ser man sie batt, auch wiewol man ihnen tzu tzalen gebebte. Und dieser, eine vermögenere perschon, kam nicht schlecht tzu mir, sondern brachte groese tzeitt bey mir tzu und woltte mich tzu sich nehmen, aber ich wollte nichtt, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1315f., 1356. 101 Man ölte ihn mit Ochsensehnen, gab ihm ein neues Hemd, speiste ihn etc., Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1340f. 102 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 951.

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euch Hunden solche knaben tzu fiteren103. Während Gruneweg hier zuerst einen moralisierenden Ton anschlug, wurde seine Wortwahl bei den letzten Reisen eindeutig schärfer. Nun sprach er von unreinikeit und schentlicher lust, über sodomittische bößwichter, und verband, wie einige Stellen in der Bibel, Homosexualität mit Gottlosigkeit 104 . Bei einer Beinahe-Vergewaltigung half ihm Gott in höchsten Nöten von dieser bösen tuecke und schenkte ihm sozusagen ein neues, reines (gesundes) Leben 105 . Im nachhinein interpretierte der Kleriker Gruneweg diese Anfechtungen als eine Versuchung Gottes 106 . Wegen seiner Keuschheit, nach seiner Aussage betrat er nie ein Hurenhaus, hielt man ihn gar für einen Schwarzkünstler107. Hatte sich Gruneweg vollkommen unvoreingenommen in das Osmanische Reich begeben, so führten eigentlich allein die sexuellen Versuchungen dazu, daß er sich in eine gewisse Besessenheit und Angst vor jedem Türken hineinsteigerte. Deutlich tragen die späteren Überarbeitungen des Bruders Wenzel eine schärfere Sprache, da wurden dann in historischem Zusammenhang etwa die verflucheten heyden erwähnt oder Sultan Mehmet III. als der 15. lesterrer Gottes präsentiert108. Es verwundert sehr, daß ein Mensch, der aus persönlicher Erfahrung so viel Gutes über die Menschen im Osmanischen Reich zu berichten wußte, wieder in seine mitteleuropäische Umgebung zurückgekehrt, sich solcher Propagandasprache bediente. Grunewegs Ängste betrafen keineswegs die Frauen im Osmanischen Reich. Von Begegnungen mit ihnen berichtete er an mehreren Stellen. Den Damen der höheren Gesellschaftsschichten war es wohl nicht leicht möglich, sich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen 109 , so beschrieb er sie vom Hörensagen 110 . Die Frauen, mit denen Gruneweg zu tun hatte, stammten aus dem Handelsmilieu, wo sie sich zuweilen selbst betätigten111, und sie waren keineswegs von der Außenwelt abgeschlossen. So hatte er etwa mit des Herrn Nurbeks Frau matschopf, das heißt Geschäfte, und kaufte für sie Waren auf dem Markt in Adrianopel ein 112 . Daß eine Mutter in Büyük (^ekmece ihre Tochter mit dem Jüngling aus Danzig vermählen wollte, so er konvertieren würde, ist wohl glaubhaft, denn in diesem Hofe ging er ein und aus und handelte mit der Dame des Hauses 113 . Auf der Krankeninsel besuchten zwei Frauen gemeinsam mit einem Mann ihre kranken Verwandten. Als Gruneweg sich vom Barbier nicht zur Ader lassen wollte, kam

1 0 3 Ebd. fol. 988. Die Türken wurden auch in anderen Tagebüchern als rechte Sodomiten dargestellt, z. B. WENNER, Reysebuch (wie Anm. 61) 77. 1 0 4 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1012, Paulus, Römer 1, 2 4 - 2 7 , fol. 1340. 1 0 5 Ebd. fol. 1342f.

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Wiewol ich in ehr und tugent bestendig blieb, dennoch mus ich bekennen, das da meiner der Teuwell was tzu lachen hette unde mich schier im triumphe gefuert, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1305. 107 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1345f., 1341. Dan fiele wunderten sich meines keuschen lebens unnde meinten, ich thaetsgedachter kunst tzugefalen, fol. 1335. Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1007. Ebd. fol. 967. GERLACH, Tage=Buch (wie Anm. 5) 513, berichtete von einer Türkin, die zum habsburgischen Botschafter kam, um eine von ihr freigelassene Ungarin mit ihm in deren Heimat ziehen zu lassen. 1 1 0 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 978f. 1 1 ' Dazu Suraiya FAROQHI, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich. Vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts (München 1995) 130f. 1 1 2 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1053. 108

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113 Ebd. fol. 995, [.. •] da Bewerte ich der Turkinne, was ich ihr eingekauft hatte: welchs alles nach ihrem grossen gefallen war, fol. 1028.

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ihm eine von ihnen zu Hilfe. Sie kümmerte sich sehr intensiv um den fremden Kranken und spendete ihm Trost, was ihre Begleiter verstimmte114. Auch an anderer Stelle bemühten sich Damen um den Kranken; eine erbare, vernunfiige matrone untersuchte sein Geschwür, ließ ihr Gesinde Gruneweg waschen und Speisen zubereiten, gleich were ich ihnen der allernegste im bluttex 15. Ein abenteuerlicheres Zusammentreffen mit einer Frau hatte der gesunde Gruneweg in Büyük (^ekmece. Die Karawane hielt zufällig vor dem Hofe eines Edelmannes. Den speisenden Gruneweg beobachtete eine, nach den Worten Grunewegs, kluege, erhare, schöne jungfrawe, die ihm zugerufen haben soll: Christe, worumb drinkstu wasser. Sie ließ ihm §erbet reichen, die Sprachverständigung an der Tür gelang durch eine alte Frau aus Podolien. Eine Magd, welche die drei sah, benachrichtigte den Bruder der jungen Frau und der kam, wie man sich leicht vorstellen kann, in Hejftigem grimme mit der schebel. Aber die junge Dame zog Gruneweg in ihr Gemach und verleugnete den Gauer bei sich, der wiederum die Gelegenheit zur Flucht wahrnahm und aus dem Fenster sprang116. Vergleichen wir das Manuskript des Martin Gruneweg mit anderen Reiseberichten, so fällt sein unbefangener Umgang mit den eigenen Erfahrungen während der Reisen auf (mit Ausnahme von Nacktheit und Sexualität). Er reiste in den europäischen Teil des Osmanischen Reiches ohne ein kulturelles Überlegenheitsgefühl, schon seine Schulbildung in Danzig hatte ihn mit einer humanistischen Gedankenwelt in Berührung gebracht. So war er gewohnt, das Andersartige aufzunehmen, ohne es sogleich abschätzig zu werten. Ein Kaufmann, dessen Kapital das Aufbauen von Vertrauen in fernen Ländern bildete, konnte es sich nicht erlauben, das Gegenüber als nicht ebenbürtig anzusehen und damit die gewonnene Geschäftsbasis zu verspielen. Es erwies sich für ihn als unermeßlicher Vorteil, bei der nächsten Reise wieder in dieses Netzwerk vor Ort eingebunden zu werden117. Sehen wir den Donauübergang als Eintritt in die neue Welt, so faszinierten Gruneweg als erstes technische Details, er beschrieb den Bau einer „$ayka" im Vergleich zum Weichselkahn. Auf der anderen Seite angekommen, da steigt man aus der tzeuken strax auf den Basar, das ist marktx 18. Ganz anders empfand etwa der britische Reisende James Fräser im Jahre 1836 den Donauübergang: „it was like quitting the living for the dead"119. Gruneweg, der keine journalistischen Finessen einbauen mußte, berichtete meist nur Erlebtes, er benötigte keine füllenden Nachrichten oder Geschichten aus zweiter Hand. So finden sich bei ihm viele der üblichen Gemeinplätze nicht. Erst bei den späteren Reisen begann er, die ursprünglichen Texte „historisch" zu überarbeiten, wodurch sie viel von ihrer Ursprünglichkeit verloren.

114 Dan dis weib, welche nicht aus den geringsten was, da sie meine uberaus groesse förchte merkte, uberschrauete sie die kerb so lange, das sie mich musten tzufriede lassen. Sie fiierte mich in ¿ien schatten, machete mich da wiederr liegende, setzte sich tzu mir, beklagte mich, tröste mich, dies alles verdroes ihrenn beßreundten und heften ein argwon von ihr, welches ein gros geschrey von scheiden undfluchen machte, Gruneweg, Reise-

tagebuch, fol. 1356f. 115 Sie blieb die ganze Nacht bei ihm und fuhr erst am nächsten Morgen weiter, Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 1384. 116 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 993f. 117 Zu den Netzwerken der Kaufleute siehe FAROQHI, Alltag (wie Anm. 111) 86f. 118 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 947f. 119 James B. FRÄSER, A Winters Journey from Constantinople to Tehran (London 1838) 1, 70.

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Seine Beschreibungen spiegeln eine gewisse Gelassenheit wider. Er klammerte sich nicht an weithin gebräuchliche Schemata und Denkweisen wie etwa die im 16. Jahrhundert in Mitteleuropa weit verbreitete Neigung zu einer allgemeinen Türkenhysterie. In vielem ähnelte ihm die aufgeschlossene Lady Wortley Montagu, die ihrer Korrespondentin im Jahre 1717 schrieb: „You will perhaps be surprised at an account so different from what you have been entertained with by the common voyage writers, who are very fond of speaking of what they don't know" 120 . Im Gegensatz zu Busbeck oder Gerlach, welche die fast feindliche Neugier der Türken beklagten, betonte Lady Montagu deren ausgesprochene Diskretion und Höflichkeit 121 . Wie allen Autoren fiel Gruneweg die Bekleidung der Türken auf. Systematisch beschrieb und illustrierte er deswegen Kleidung und Kopfbedeckung der Männer und Frauen. Die für alle deutschsprachigen Reisenden fremdartigen Kopfbedeckungen konnten aber auf die eine oder andere Art und Weise dem Leser in der Heimat nahe gebracht werden. Gruneweg bezeichnete die Turbane als was sonderlichs und beschrieb eine Seite lang die unterschiedlichen Formen, wie man sie wusch und band und welche Bedeutung sie trugen: verstehe, das der binden art keine tzael ist und igliche baltte ihres herren hant oder hertze weiset. Auch Busbeck bemerkte an der türkischen Kopfbedeckung etwas „wundersams [...], welche gantz abscheulich vnnd vnbekannt gewesen [...] vnd ist der eintrag von Garn / gantz widerwertiger Figur vnd entgegen den Hueten / wie sie tragen vnsere Dorff Weiber". Dieses kleine Beispiel zeigt deutlich die unterschiedliche Herangehensweise an ein und dasselbe Phänomen 122 . Von Mitteleuropa abweichende Bräuche überlieferte Gruneweg vollkommen sachlich: die Turkenn haben sonst keinen tisch zum essen nur den taptzan: da steyen sie auf, flteigen diefitessefein under sich, sitzen, essen als, rechnen oder haltten gespreche.123 Bei anderen Berichterstattern des 16. Jahrhunderts hörte sich das etwa so an: „und ist doch [kein] unflattiger volk in der werlt als sie, die also sewisch und hunttisch fressen, auff der Erden, ane tischtuch [,..]" 124 . Spätere Reisende störten sich nicht nur an der „sofra", sondern bemerkten wie Simpertus Niggel um 1700: „Es wäre curios anzusehen / wie wir ohne Fazilet / Deller / Messer und Gabel / tranchirten / und die Speisen genossen" 125 . Zu Ende des 18. Jahrhunderts hielt man das Essen „using the implements provided by Nature" 126 , also die Finger, für noch unkultivierter, wobei die Berichterstatter nur zu leicht vergaßen, daß auch im Westen Europas erst seit kurzem mit der Gabel gespeist wurde. Westeuropäer konnten und wollten nicht die rituelle Bedeutung des gemeinsamen Essengebens im Orient erkennen 127 . Eine andere Sichtweise brachte wiederum der Kaffee mit der Zeit hervor. Alle mitteleuropäischen Berichterstatter vor 1600 einschließ120

MONTAGU, Letters (wie A n m . 48) 85.

121

„I was in my travelling habit, which is a riding dress, and certainly appeared very extraordinary to them. Yet there was not one of them that showed the least surprise or impertinent curiosity, but received me with all the obliging civility possible"; MONTAGU, Letters (wie Anm. 48) 58. 122 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 976f., BUSBEQ, Reysen (wie Anm. 73) 39f. 123 Ebd. fol. 934f. 124

DERNSCHWAM, T a g e b u c h (wie A n m . 4) 129; vgl. SCHWEIGGER, R e y ß b e s c h r e i b u n g (wie A n m . 6)

125

NIGGEL, D i a r i u m (wie A n m . 27) 117.

207. 126

George F. ABBOTT, Under the Turk in Constantinople. A Record of Sir John Finch's Embassy 1674-1681 (London 1920) 142. 127 Bozidar JESERNIK, Wild Europe. The Balkans in the Gaze of Western Travellers (London 2004) 51.

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lieh Gruneweg hielten ihn für eine bittere Medizin, die nicht sehr mundete. Erst das 18. Jahrhundert mit seinen exotischen Geschmacksnerven verhalf dem Kaffee zum Siegeszug in Mitteleuropa128. Natürlich sollte man die Aufzeichnungen des Kaufgesellen Gruneweg nicht überbewerten. Vieles blieb ihm trotz Augenschein unklar und er verwechselte manches. Ein Beispiel dafür sind die Bulgaren, die er einführte als die gedachten Serben [...], ein fein bescheiden folk: welches die Windische spräche redt. Damme können sich die Poelen, tzumale die Reussen, mitt ihnen bereden. Er differenzierte hier nicht näher unter den Südslaven und ihren Sprachen, für ihn blieb die gut funktionierende Verständigung das wichtigste Faktum129. Während in vielen Reiseberichten von der Unterdrückung der Christen im Osmanischen Reich zu lesen ist, verlor Gruneweg kein Wort darüber. Er verglich auch nicht die Türken als Gottes „Ruthen / Geisel / Stecken oder Axt / vnd als ein Besen des Verderbens / damit er die Sünd auskehrt", wie es beispielsweise Salomon Schweigger zu Papier brachte130. Das Fremde zeigte sich Gruneweg weder als Vorbild noch als Feindbild, es war einfach da — man umschnupferte sich eben gegenseitig. Das Religiöse muß den Danziger Kaufmannsgesellen jedoch innerlich stark beschäftigt haben, denn der 24jährige Lutheraner beschloß, im armenischen Umfeld während eines Aufenthaltes in einem muslimischen Land zum Katholizismus zu konvertieren, aber das ist eine eigene Geschichte.

Konstantinopel Oktober 1582, fol. 1009.

128 Vgl. Piero CAMPORESI, Der feine Geschmack. Luxus und Moden im 18. Jahrhundert (Frankfurt am M a i n - N e w York 1992) 132f. 1 2 9 Gruneweg, Reisetagebuch, fol. 955. 130

SCHWEIGGER, R e y ß b e s c h r e i b u n g ( w i e A N M . 6 ) 1 5 5 - 1 5 9 , h i e r 1 5 6 .

den ohne grosse gedult ist nit müglich, durch die Turggey zu kommen. Die Beschreibung der rayß(1587-1591) des Hans Christoph von Teufel Michael Greil Der niederösterreichische Adelige Hans Christoph Freiherr von Teufel brach nach einem mehrjährigen Studienaufenthalt im norditalienischen Padua 1587 von Venedig auf, um sich - laut Eigendefinition — als Pilger auf die hierosolymitanische rayß, die Reise nach Jerusalem, zu begeben1. Daß sich das Unternehmen zeitlich wie geographisch ausdehnen und Teufel fast drei Jahre lang das Osmanische Reich und Persien bereisen würde, bevor er 1590 einen Fuß auf den Boden des Heiligen Landes setzen konnte, war ihm zum Zeitpunkt seines Aufbruchs nicht bewußt; erst im Frühjahr 1591 kehrte er nach Venedig zurück. Uber diese Reise verfaßte Teufel einen Bericht, dessen Existenz schon vor geraumer Zeit von der Wissenschaft wahrgenommen wurde, jedoch beschränkte sich die Auseinandersetzung auf vereinzelte Erwähnungen und oberflächliche Analysen des in drei Versionen überlieferten Textes2. Seit langem bedauert die historische Forschung das Fehlen einer textkritischen Edition des Teufeischen Reiseberichts; diese wird derzeit im Rahmen einer Diplomarbeit des Verfassers vorbereitet. Das Corpus der edierten frühneuzeitlichen Reiseberichte über den Orient wird so um ein gleichermaßen originelles wie auch typisches Beispiel erweitert werden. Typisch erscheint die Beschreibung der rayß wegen ihrer hohen Textsortengebundenheit, originell wegen der Einbeziehung Persiens in den Bericht und dank der ungewöhnlichen Ausstattung mit Illustrationen.

1 Wien, Fürstlich Liechtensteinische Bibliothek, N-L-22: Hans Christoph Teufel, Beschreibung der rayß, so ich den neundten Septembris im 1587. jar von Venedig auß nach Constantinopel und von dannen gegen aufgang vorgenommen und mit Gottes hilf den 13. Martii im 91. jar glücklichen geendet, da ich bemelten tag zu Venedig mit guettem windt wider ankommen, fol. 103v (im folgenden zitiert mit: Teufel, Beschreibung der rayß). 2 Gottfried Edmund FRIESS, Die Reise des Hans Christoph Freiherrn von Teufel in das Morgenland, 1588—1590. XXXII. Programm des k. k. Ober-Gymnasiums der Benedictiner zu Seitenstetten (Linz 1898) 5-45; Oskar von MITIS, Die Orientreise des Hans Christoph Freiherrn von Teufel 1587-1591. Monatsblatt des Vereines fiir Landeskunde von Niederösterreich 22 (1907) 1-3; Christa AMSTLER, Die Reise in den Orient unter besonderer Berücksichtigung der Reise Hans Christoph Teufels 1587—1591 (Diplomarbeit Wien 1995); Martina LEHNER, Reise ans Ende der Welt (1588-1593). Studie zur Mentalitätengeschichte und Reisekultur der frühen Neuzeit anhand des Reisetagebuches von Georg Christoph Fernberger von Egenberg (Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs 13, Wien-Frankfurt a. Main

u. a. 2 0 0 1 ) .

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Überlieferung - die materielle Dimension Der Reisebericht Hans Christoph Teufels ist in drei Versionen überliefert: Im Archiv des Stiftes Seitenstetten in Niederösterreich befindet sich die älteste erhaltene, aber leider unvollständige Version3. Es liegt durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen, daß es sich hier um ein von Teufel selbst geschriebenes Manuskript handelt. Das Papier ist in Lagen von je 16 Blatt gefaltet, von denen sieben (2—8) erhalten sind. Von der ersten Lage sind nur mehr 13 Folien erhalten, die ersten drei Blätter fehlen. Auch die letzte Lage ist verloren, sie endet mit dem Anfang des 29. Kapitels und bricht nach der Beschreibung der zweiten Kapelle des Heiligen Grabes in Jerusalem mitten im Wort auferstehung ab. Mit großer lateinischer Majuskel wurden die Lagen am linken unteren Rand numeriert. Auf jeder Seite sind horizontale Linien mit Graphit gezogen, die Zeilenzahl variiert zwischen 20 und 22. Die Folien (20 cm X 16 cm) weisen auf jeder Seite einen zwei Zentimeter breiten Rand auf, auf dem Datums- und Ortsangaben sowie Quellenverweise angeführt sind. Im Seitenstettener Text wird die Reise nicht immer chronologisch linear erzählt, da die Narration durch zahlreiche Sprünge und Verweise auf spätere Ereignisse durchbrochen wird. Deshalb ist anzunehmen, daß es sich bei diesem Text um eine redigierte, ältere, nicht erhaltene Textfassung in Tagebuchform handelt. In der Fürstlich Liechtensteinischen Bibliothek in Wien befindet sich die illuminierte Reinschrift des Reiseberichts mit dem Titel: Beschreibung der rayß, so ich, Hans Christoph Teufel, freyherr zu Günderßdorfetc., den neundten Septembris im 1587. jar von Venedig auß nach Constantinopel und von dannen gegen aufgang vorgenommen und mit Gottes hilf den 13. Martii im 91. jar glücklichen geendet, da ich bemelten tag zu Venedig mit guettem wind wider ankhomen. Sie umfaßt 107 Folien im Format 37,2 X 26 cm, durchschnittlich 22 Zeilen pro Blatt, und weicht - was den Text selbst betrifft — nur geringfügig von der Seitenstettener Fassung ab. In der Textorganisation unterscheidet sich diese Version von den beiden anderen dadurch, daß eine Kapiteleinteilung vollkommen fehlt. Diese Version bildet die Grundlage der textkritischen Edition. Der Text ist auf Deutsch verfaßt, längere Textpassagen finden sich aber auch auf Latein, Italienisch und Griechisch. Die Handschrift zeichnet sich insbesondere durch textliche Vollständigkeit und durch eine Ausstattung mit 29 gemalten Illustrationen aus, die den Kategorien Tierwelt, Szenen aus dem Bereich vita et mores, profane und religiöse Sehenswürdigkeiten sowie Ansichten von Städten zugeordnet werden können. Manche der Abbildungen, vor allem die Stadtansichten, sind ganzseitig, andere sind kleinformatig und wurden zwischen den Schriftblöcken plaziert. Hier eindeutige Vorbilder oder Vorlagen zu identifizieren ist schwierig, da sich ähnliche Illustrationen in einer Reihe von Reiseberichten des 16. Jahrhunderts finden. Eine dritte Version von Teufels Reisebericht ist die gedruckte italienische Ubersetzung mit dem Titel II viaggio del molto illustre signor Giovanni Christophoro Taifel, Barono in GunderstorffAustriaco, fatto di Constantinopoli verso Levantevon der die Österreichische Nationalbibliothek ein Exemplar besitzt5. Sie wurde 1598 in Wien in der Offizin 3 Seitenstetten, Stiftsarchiv, Codex 57 Z6: Reise des Freiherrn Hans Christoph von Teufel in das Morgenland 1588-1590. 4 Giovanni Christophoro T A I F E L [i. e. Hans Christoph T E U F E L ] , II viaggio del molto illustre signor Giovanni Christophoro Taifel, Barone in Gunderstorff Austriaco, fatto di Constantinopoli verso Levante (Vienna 1598). 5 ÖNB, Sign. 48.E.35. Ein weiteres Exemplar dieser Druckausgabe könnte sich noch in der herzoglich Anhalt'schen Behörden-Bibliothek in Dessau befinden, wohin es im Zuge der Emigration des letzten

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des in der Lilienburse ansässigen Universitätsbuchdruckers Franz Kolb gedruckt. Strukturell folgt diese Version der Kapiteleinteilung des Seitenstettener Konzepts in 3 3 Kapitel. D e r Druck ist qualitativ hochwertig und rein. Auch typographisch ist das Werk schön ausgestattet, es befinden sich Kopfleisten auf dem Titelblatt, den Dedikationsblättern und am Beginn der Kapitel. Jede Seite weist durchschnittlich 3 0 bis 3 2 Zeilen Text auf 6 . Illustrationen fehlen in dieser Ausgabe vollständig, in der Vorrede widmet Teufel das Buch seinem Schwiegervater, dem Freiherrn Conrad von Thannhausen. Es liegt nahe anzunehmen, daß dem Ubersetzer der gedruckten italienischen Ausgabe das Liechtensteinische Manuskript vorlag. Die Tatsache, daß der Teufeische Bericht gedruckt wurde, ist bemerkenswert und spricht für das große Interesse, das ihm entgegengebracht wurde. Andere Reiseberichte, wie zum Beispiel der auf Latein verfaßte Text von Georg Christoph Fernberger und die Darstellung seines Neffen Christoph Carl, blieben zu Lebzeiten der Verfasser ungedruckt. Die Manuskripte dieser Texte dürften aber, wie es für literarische Werke zu dieser Zeit üblich war, sehr wohl in Adelskreisen zirkuliert haben 7 .

Zur Edition des Texts Als Grundlage für die Edition wurde die Handschrift aus der Fürstlich Liechtensteinischen Bibliothek transkribiert und sowohl mit dem Konzept als auch der Druckausgabe kollationiert. Dabei wurde der Text der Edition vom Bearbeiter analog zu den beiden anderen Versionen in Kapiteln organisiert. Die Regesten stehen am Beginn jedes Kapitels, wurden nach thematischen Gesichtspunkten numeriert und orientieren sich an der sachlichen Gliederung des Texts. Im textkritischen Anmerkungsapparat finden sich Hinweise auf Textvarianten, sofern sie Merkmale einer selbständigen Textgestaltung besitzen und inhaltlich signifikant sind. Die Ortsnamen wurden identifiziert, die Bezeichnungen gegebenenfalls in mehreren Sprachen in ihrer zeitgenössischen und modernen Variante angeführt, um der vielsprachigen Realität des Nahen Ostens gerecht zu werden; schließlich wurde vermerkt, auf welchem Staatsgebiet diese Orte heute liegen 8 . Zur leichteren Benutzbarkeit wurde ein Ortsregister erstellt; sämtliche italienischen, lateinischen und griechischen Textpassagen wurden ins Deutsche übersetzt.

sich der Zwangskatholisierung widersetzenden Vertreters der Familie Teufel nach Sachsen gelangt sein dürfte. Es k o n n t e aber bisher nicht in Erfahrung gebracht werden, o b sich die Ausgabe n o c h dort befindet, da die Bibliothek durch Krieg stark beschädigt wurde und einen großen Verlust an B ü c h e r n zu verzeichnen hatte. 6

Vgl. A n t o n MAYER, W i e n s Buchdruckergeschichte 1 4 8 2 - 1 8 8 2 , Bd. 1: 1 4 8 2 - 1 6 8 2 ( W i e n 1 8 8 3 )

188-190. 7

Vgl. Wolfgang NEUBER, Adeliges Landleben in Österreich und die Literatur im 16. u n d 17. Jahr-

hundert, in: Adel i m Wandel. Politik - Kultur - Konfession 1 5 0 0 - 1 7 0 0 . Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung a u f der Rosenburg 1 9 9 0 , hg. von Herbert KNITTLER (Katalog des N Ö Landesmuseums N . F. 2 5 1 , W i e n 1 9 9 0 ) 5 4 3 - 5 5 3 , hier 5 4 5 . 8

V g l . Stéphane YÉRASIMOS, Les voyageurs dans l'empire o t t o m a n ( X I V - X V T siècles). Bibliogra-

phie, itinéraires et inventaire des lieux habités (Publications de la Société Turque d'Histoire, Série 7 / 1 1 7 , Ankara 1 9 9 1 ) .

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Biographische Notiz zu Hans Christoph Teufel (1567-1624) Der Verfasser der Beschreibung der rayß stammte aus der 1566 in den Freiherrenstand erhobenen, protestantischen Familie Teufel, die in dem nahe Wiener Neustadt gelegenen Schloß Katzelsdorf ansässig war. Sein Vater Christoph hatte im Jahre 1547 Susanna von Weispriach geheiratet, die als Erbin des wohlhabenden Kärntner Geschlechts eine reiche Mitgift in die Ehe einbrachte. Beide waren engagierte Protestanten, entzogen den Franziskanern das Kloster Katzelsdorf, in dessen Räumlichkeiten sie später eine protestantische Landschaftsschule einrichteten. Die Teufel gehörten zu den am meisten begüterten Familien im Erzherzogtum Österreich unter der Enns, waren sie doch in der Lage, Ferdinand I. Darlehen in der Höhe von 30.000 Gulden zu gewähren. Nach dem Tod von Christoph Teufel 1570 führte Susanna Teufel die wirtschaftlichen Angelegenheiten, konnte Vermögen und Besitzstand erhalten und ermöglichte so auch ihren Söhnen eine gute Erziehung und Ausbildung - beides ganz im protestantischen Geist. Zu dieser Ausbildung gehörten auch mehrjährige Studienaufenthalte an italienischen Universitäten, die auch Hans Christoph Teufel nach Padua führten, wo er bis 1587 an der juridischen Fakultät studierte. Während seiner Studienzeit unternahm er auch Reisen nach Bologna, Siena, Rom und Neapel 9 . 1586 wurde Hans Christoph Teufel zum consiliarius der deutschen Nation an der Universität Padua ernannt. In dieser Funktion hatte er zwischen den städtischen Behörden und den Studenten seiner „Nation" zu vermitteln. Neben diesen praktischen politischen Erfahrungen eignete sich Teufel bestimmt einen großen Teil seiner humanistischen Bildung während seines Italienaufenthalts an. Wichtig war in dieser Zeit auch der Kontakt zu den adeligen Standesgenossen. Auch auf den Lebensstil, das Selbstverständnis und den künstlerischen Geschmack des österreichischen Landadels um 1600 hatten diese Auslandsaufenthalte starken Einfluß. Unmittelbar nach seinem Studienaufenthalt in Italien brach Hans Christoph Teufel zu seiner Orientreise auf. Nach der Rückkehr 1591 mußte er sofort den Besitz der Familie übernehmen, da seine Mutter und ein Bruder während der Zeit seiner Abwesenheit verstorben waren. Für einige Jahre war Teufel mit der Verwaltung und Festigung seines Eigentums beschäftigt, 1603 trat er als wirklicher Kämmerer Rudolfs II. in kaiserliche Dienste und verblieb in dieser Position auch unter Kaiser Matthias. 1604 sandte man ihn als kaiserlichen Kommissar nach Ofen, um den Friedensschluß mit dem Osmanischen Reich zu ratifizieren. In dieser Zeit trat Teufel — wie sehr viele seiner Standesund Glaubensgenossen - aus karriererelevanten Überlegungen zum Katholizismus über. 1607 wurde Teufel kurz als kaiserlicher Orator nach Konstantinopel geschickt, die Erfolge dieser Mission lassen sich leider nicht rekonstruieren. Er wurde in der Folge in mehreren Kommissionen verwendet, zum Hofkammerrat und zuletzt zum Burghauptmann in Wiener Neustadt ernannt und starb 1624 10 .

9 Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Stiftung Weimarer Klassik, Stammbuch des Hans Christoph Teufel, Stb 169. 10 Vgl. Mathias GLATZL, Die Freiherrn von Teufel in ihrer staats- u n d kirchenpolitischen Stellung zur Zeit der Reformation u n d Restauration (Diss. Wien 1950).

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Kontext und Prägung Teufels Einbindung in die Lebenswelt des österreichischen Adels läßt Rückschlüsse auf seinen geistigen und kulturellen Hintergrund zu. Wie er hatten einige humanistisch geprägte Landadelige des 16. Jahrhunderts ihre Bildung auf peregrinationes academicae in Italien erworben oder vertieft. Zu den Aufgaben des Adels zählten mehr und mehr auch die Förderung und Pflege von Kunst und Wissenschaften. Diese Adeligen hatten am politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Leben aktiv Anteil, sie waren Sammler, Förderer und Mäzene und partizipierten natürlich am allgemeinen geistig-kulturellen Aufschwung, der die Zeit in den österreichischen Erbländen vor der Intensivierung gegenreformatorischer Maßnahmen prägte 11 . Die geistigen Interessen umfaßten alle wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Bereiche, das Weltbild veränderte sich zunehmend durch Reisen und Berichte, die darüber verfaßt wurden. Es entwickelte sich eine adelige Kultur, deren geistige Potenz, soziales Prestige und kulturelles Interesse sich in Denkmälern, Grabbauten, Kirchen, Palästen, Plastik und Malerei manifestierten. Auch die Reise wurde als wichtiger Teil der Bildung gesehen: Orientaufenthalte konnten 1551 Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (Zypern, Palästina, Ägypten) und 1561 Barthlmä Khevenhüller (Syrien, Palästina) verzeichnen; diese sind in ihren Ausmaßen aber nicht zu vergleichen mit den großen Reisen Fernbergers oder Teufels. Das Bildungsniveau des Adels stieg, auch fremdsprachliche Kompetenzen wurden in zunehmender Weise fester Bestandteil des adeligen männlichen Bildungskanons 12 . Die Beschreibung der rayßwzi nicht Teufels einziger literarischer Versuch, er verfaßte eine Reihe von kleineren Gedichten und ein in 1.200 Paarreimen abgefaßtes Lehrgedicht über den Tod (Die Reyß-Uhr), mit dem er seine Schwester Susanne von Teuffenbach zum Katholizismus bekehren wollte. Es ist auch dieses Werk ein Dokument der Gelehrsamkeit und Belesenheit und zeigt den geistigen Horizont eines humanistisch gebildeten österreichischen Landadeligen um 1600. So finden sich darin Verweise auf Autoritäten der klassischen und christlichen Antike (wie Aristoteles, Plato, Cicero und Augustinus), aber auch auf arabische Schriftsteller (zum Beispiel Avicenna)13. Inhalt der Beschreibung der rayß Der primäre Gegenstand der Darstellung ist der Verlauf der Reise in 33 Kapiteln 14 , wodurch sich eine diaristische Struktur ergibt, die als Ordnungsprinzip den Inhalt des gesamten Textes dominiert. Erzähltechnisch finden sich aber sehr wohl Rückblicke auf Vergangenes und Verweise auf Zukünftiges. Der chronologische Aufbau ist mit deskriptiven Passagen durchsetzt, viel Wissen über Tiere, Pflanzen und Geschichte durchzieht

' 1 Renate ZEDINGER, Sammeln, Forschen, Fördern - Aspekte adeliger Lebensgestaltung im konfessionellen Zeitalter, in: Adel im Wandel (wie Anm. 7) 4 6 1 - 4 6 8 , hier 463. 12 Ebd. 463. 13 Hans Christoph TEUFFEL, Die Reyßuhr. Darinnen die Ursachen begriffen, warumb er das luthert h u m b verlassen u n d den alten catholischen glauben angenommen (Ingolstatt 1620) ( Ö N B , Sign. 107.790-A.Alt). 14 Ich möchte hier den Reiseverlauf n u r kurz skizzieren, für einen allgemeinen Überblick über Reiserouten im Osmanischen Reich und in Persien empfiehlt es sich, das Werk von YERASIMOS, Les voyageurs (wie Anm. 8) zu konsultieren.

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den gesamten Text. Die intertextuelle Verfaßtheit des Textes ist offensichtlich, bleibt aber meist implizit. Der prinzipiell auf Deutsch gehaltene Reisebericht wird von lateinischen, italienischen und griechischen Textpassagen durchbrochen. Am 9. September 1587 nutzte Hans Christoph Teufel, nachdem er seine mehrjährigen Studien in Padua beendet hatte, die Gelegenheit, mit einer Gesandtschaft per Schiff von Venedig im Auftrag des Dogen nach Konstantinopel zu reisen. Der Weg führte durch die Adria bis Dubrovnik (Ragusa) und von dort auf dem Landweg in die osmanische Metropole. Teufels Plan, unverzüglich nach Jerusalem weiterzureisen, wurde durch verschiedene Gründe (villerley hindernussen15) verzögert und konnte erst ein knappes Jahr später verwirklicht werden. Worum es sich bei diesen hindernussen gehandelt haben könnte, darüber gibt Teufel keine Auskunft; das einzige, was der Leser über seinen zehnmonatigen Aufenthalt in Konstantinopel erfährt, ist: das ich wider mein verhoffen zehen monath zu Constantinopel müeste zuebringen, in welcher zeit ich mehr als ainmal den jeczt regierenden türggischen kaiser, Sultan Murat, gesehen, ime auch zwier den ermbling gekäst16. Teufel besichtigte auch die Umgebung von Konstantinopel und begab sich mit mehreren „Insassen" des Nem^i Han, des Botschaftsgebäudes des Heiligen Römischen Reichs, in dem auch Teufel residierte, auf eine Tour durch Bithynien. Er lernte in Konstantinopel den Freiherrn Georg Christoph Fernberger von Eggenberg kennen, der aus dem Erzherzogtum Osterreich ob der Enns stammte; gemeinsam traten sie die Reise nach Jerusalem an, wozu sie sich auf die Passage nach Alexandria begaben. Der Aufenthalt in Ägypten umfaßt immerhin sieben Kapitel des Reiseberichts (Kapitel 3 bis 9), das Programm beinhaltete die Städte Alexandria und Kairo; primär war der Besuch von heiligen Orten und Reliquien, aber auch die Pyramiden von Giza und Saqqara wurden besichtigt. Aufmerksamkeit erregte in Ägypten abseits dieses klassischen Programms die Präsenz von Tieren (Krokodil, Rhinozeros, Gazelle, Strauß, Flußpferd) und Pflanzen (Bananen, Cassia etc.). In Kairo wurde auch die Weiterreise zum Berg Sinai und zum Katharinenkloster organisiert, wohin sich die beiden Reisenden im Anschluß daran begaben. Nach diesem Programmpunkt kehrten sie nach Kairo zurück. Von Kairo zogen sie nach Dimyat, wo sie an Bord eines Schiffes nach Jaffa gingen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Zypern gerieten Teufel und Fernberger in einen gewaltigen Sturm, der in seiner Dramatik in extenso beschrieben wird, und sie erreichten das rettende Land gerade am 24. Dezember 1588 in Payas, in der Nähe der heutigen türkischen Stadt Iskenderun. Es folgte nun die Reise durch das damalige Syrien. Teufel schildert die Karawansereien und bewundert die türkische Zweckarchitektur im allgemeinen. Am 3. Jänner 1589 erreichten sie den Verkehrsknotenpunkt Aleppo, von wo sie gemäß ihres Plans nach Jerusalem zu reisen vorhatten. Allein die Tatsache, daß sich zwei italienische Nonnen der Karawane anschließen wollten, ließ Teufel kurzerhand sämtliche Pläne über Bord werfen, und die beiden Reisenden beschlossen ihren bisherigen Aufenthaltsstatus als Pilger aufzugeben und nach Bagdad weiterzureisen17: Obwol wir fluchs nach besichtigung der statt Alepo gehen Hierusalem zu raisen Vorhabens, aber mit uns außEgypten alher 15 16 17

Teufel, Beschreibung der rayß (wie Anm. 1) fol. 2 r . Ebd. fol. 2\ Ebd. fol. 32".

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zwo wälsche nunnen von Neapolis bürtig ankhommen, welche auch das Heilige Landt zu sehen Vorhabens, raiffet ich mir ain schandt, daß ein weib im raisen mir gleichgezogen war. Trib mich derhalben dise ire reiß, ein fernere flirzunemen und als ich sähe die schöne gelegenheit vor lengsten von mir gewünscht nach Babilonia zu raisen, dieselbe nambhafte statt zu besehen, auch herr Fernberger, mein raißgesell, gleiches Verlangens war, entschlossen wir uns, miteinander mit Gottes hilf dorthin fortzuraisen. Zu diesem Zweck bestiegen sie in Birecik ein Schiff, das sie auf dem Euphrat nach Bagdad bringen sollte. Auf diesem Reiseabschnitt begegneten sie einem arabischen Fürsten, der seine Unabhängigkeit gegen das Osmanische Reich verteidigen konnte und dessen Lebensweise Teufel voll Bewunderung beschreibt. Bei Bagdad besichtigten die beiden Reisenden den vermeintlichen Turm von Babel, danach reisten sie auf dem Tigris nach Basra weiter. Uber den Schatt-al-arab, den Zusammenfluß von Euphrat und Tigris, gelangten sie in den Persischen Golf, von wo sie die Fahrt nach Hormuz, der von Portugiesen besetzten Insel, die der persischen Küste vorgelagert ist, fortsetzten. In Hormuz trennten sich die Wege Teufels und Fernbergers, wiederum entschied man über die Destination der Reise kurzfristig; Fernberger beschloß, nach Indien weiterzureisen, während Teufel aus Geldmangel nach Aleppo zurückreisen mußte. Teufel entschloß sich aber, dieses Mal den Weg durch Persien, das sich damals mit dem Osmanischen Reich im Kriegszustand befand, zu nehmen 18 : Alßich alhier die gewünschte gelegenheit in die weit berüembten, abgelegnen, nambhaften Indien auch zu den antipotibus zu raisen gesehen, macheten mir die verhindernußdiser meiner raißden schmerczen grösser, indem ich sach, daß der hiesige capitan aine fusta vortschikhte, welche man in zwölf tagen gewiß in India zu sein, und zur statt Goa, wo der vicere oder khunigliche spanische stathalter hofhelt, anzukommen schäczte. Mit diserfusta für mein gesell, herr Fernberger,forth. Indem ich aber betrachtete, daß auß etlichen Ursachen ich weniger nit thuen khönthe, benüeget ich mich gleich, daß ich des türggischen khaisers länder durchraiset, ein ferne heidenschafi durchzogen und zu haißen widerumb in die Christenheit gelanget, dann die insel Ormes, weil sy von den Christen regirt, billich also genennt mag werden, und weil ich doch widerumb zuruckhziehen müessen, wolt ich gleich die vorgethone reiß nit abermal thuen, sondern ob mir wol vil widerriethen, nam ich mein raiß durch Persien, dasselbige landt zu besehen, dieweil ich doch in Indien auß beweglichen Ursachen nit raisen hab khönnen. Teufel setzte von Hormuz auf persisches Festland über; seine Reise führte ihn durch das von Persien noch unabhängige Königreich Lar, in die Städte Schiraz, Isfahan, Kashan, Qom und Saveh. In Qazvin, der damaligen Residenz der Safawiden, versuchte Teufel, bei Schah Abbas I. in Audienz empfangen zu werden, was ihm aber nicht gestattet wurde. Er konnte allerdings den Schah bei verschiedenen Anlässen (u. a. beim Sport) beobachten. Auffallend an der Beschreibung des Reiseabschnitts durch Persien erscheint, daß Teufel hier sein Bild, das er von diesem Reich hatte, durch eine Reihe von Beobachtungen und Erlebnissen revidieren mußte. Im Gegensatz zur Darstellung des Osmanischen Reichs schildert er sehr genau die natürlichen Gegebenheiten, die Landwirtschaft, die Lebensweise der Menschen, die politische Lage und die Machtverhältnisse in Persien und kann seine Enttäuschung über die vorgefundenen Verhältnisse nicht verbergen, indem er relativierend feststellt: Und deüchtet mich, das Persien in unsern ¡andern gar zu beschrieren sy und schier eines so grossen beruefi nit würdig, dieweil es ein un-

18

Ebd. fol. 46v.

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fruchtbares, sehr von kalen, felsigen pergen gepürgiges landt und nach Arabia deserta undpetrea ich kain so häßliches landt gesehen. Teufel hatte auf seiner Reise durch Persien eine Reihe von unliebsamen Erlebnissen zu verzeichnen, als beispielsweise sein Diener verstarb, der ihn von Konstantinopel bis dorthin begleitet hatte 19 . Er reiste weiter in sehr großen Karawanen, aber auf Grund von Geldproblemen mußte er seinen Weg teilweise zu Fuß fortsetzen, war auf sich allein gestellt und hatte auch oft Begegnungen mit Räubern und Betrügern. Doch wurde ihm auch von verschiedener Seite engagierte Hilfe zuteil, unter anderem auch von einem armenischen Kaufmann, der ihn schließlich bis AJeppo begleitete und finanzierte. Bei Sarah überschritt Teufel die Grenze zum Osmanischen Reich. Seine Befürchtungen, er könnte wegen seines Aufenthalts im Land des Kriegsgegners Persien Probleme bekommen, erwiesen sich als unbegründet 20 : Ist dise die leczte, so der künig außPersien gegen der Türggey hat und endet sich alhier sein landt und fahet sich deß türggischen kaisers an, in welches ich mit grossen ängsten zog, fiirchtendt, das die türggen mit ainer kundtschafi von mir argwehneten und mich, was ich in Persia zu thun gehabt, examinireten. Gott aber, dem alczeit sey lob, hat solches alles verhüettet. Die Reise führte Teufel weiter über das osmanisch besetzte Täbriz, durch armenisches und kurdisches Siedlungsgebiet entlang des Araxes, vorbei am Berg Ararat nach Van. Von dort reiste er über Bitlis und Diyarbakir nach Urfa. Am 8. Juli 1590 kam er in Aleppo an, wo er längere Zeit zubrachte, da er auf Wechsel aus Konstantinopel warten mußte. Nach einem nochmaligen Besuch im Lager des schon beim ersten Besuch in Aleppo erwähnten arabischen Fürsten reiste er von Aleppo am 27. September 1590 über Damaskus nach Jerusalem weiter, wo er am 20. Oktober 1590 auch endlich eintraf. Teufel wurde von nun an wieder zum Pilger, der Bericht über Palästina erstreckt sich über immerhin sechs Kapitel (Kapitel 24 bis 29), wo er alle nur erdenklichen Pilgerstätten in einem knappen Monat besuchte, was in extenso im Bericht Niederschlag findet. Kaum hatte er seine Pilgerpflichten erfüllt, nahm Teufel die Heimreise in Angriff. Über Ramiah und Damaskus reiste er nach Tripolis. Von dort unternahm er noch einen Ausflug zum Berg Libanon. Nachdem er sich noch zwei Chamäleons als Reiseandenken besorgt hatte, die er in einem hohlen Kürbis mit sich führte, verließ er am 29. Dezember 1590 Tripolis und reiste über Zypern nach Ragusa/Dubrovnik (1. März 1591), und am 13. März 1591 verzeichnet er seine Ankunft in Venedig. Zum Problem der Fremd(?)-Wahrnehmung Eine Frage, die in der Auseinandersetzung mit Reiseberichten immer wieder aufgeworfen wird, ist jene nach der Alteritätserfahrung und der Fremdwahrnehmung. In der Reiseliteratur konstituiert sich diese Fremderfahrung allerdings graduell unterschiedlich. Gerade im 15. und 16. Jahrhundert - in Bezug auf die „Türken" und das Osmanische Reich - kann man, wie zu zeigen sein wird, diese Alteritätserfahrung relativieren. Grundsätzlich muß an dieser Stelle angemerkt werden, daß für die Analyse des Blicks von westlichen Individuen und Gesellschaften auf den „Orient" die von Edward Said 19

In der Schloßkapelle von Pitten ließ Teufel später einen Gedenkstein errichten, auf dem sich ein Gedicht als Hommage an seinen treuen Diener befindet. 20 Teufel, Beschreibung der rayß (wie Anm. 1) fol. 60 v -61 r .

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formulierte Theorie des „orientalism" wichtige Grundlagen liefert. Sie besagt, daß der Westen mit dem Autoritätsanspruch der überlegenen Kultur ein Bild des „Anderen" entwirft. Auf dichotomischer Vergleichsbasis und mit Hilfe einer heterogenen Stereotypik konstruiert er ein quasi-mythisches Bild vom Osten, das diesem eine Disposition zu bestimmten Gegenständen und Thematiken unterstellt und letztendlich der kolonialen Kontrolle dient. Dieser Diskurs ist aber für das 15. und 16. Jahrhundert nicht nachweisbar; der orientalisierte, exotisierte Diskurs über den Orient entsteht erst im 18. Jahrhundert in England und Frankreich und kann somit nicht auf den Blick der Zeitgenossenschaft Teufels angewandt werden 21 . Das Problem der Alteritätserfahrung und der Fremdwahrnehmung kann anhand von Teufels Reisebericht exemplifiziert werden. Meine Ausgangshypothese nährt sich aus der Tatsache, daß im gesamten Teufeischen Reisebericht die Darstellung von Fremderfahrung insgesamt gering ist. Indem Christa Amstler Teufel in diesem Zusammenhang Desinteresse und Geringschätzung der Realitäten des Osmanischen Reichs attestiert und dies auf das in Österreich vorherrschende negative Türkenbild zurückfuhrt, greift sie allerdings in ihrer Argumentation zu kurz 22 . Wolfgang Neuber verweist auf die Problematik, die durch die Zuschreibung von exotischer Alterität auf die „Türken" und das Osmanische Reich im 15. und 16. Jahrhundert produziert wird, da dafür seiner Meinung nach sehr oft ein moderner, emphatischer Kulturbegriff als Alteritätskategorie herangezogen wird und eine Projektion desselben auf die Frühe Neuzeit keine Gültigkeit haben kann. Prinzipiell diagnostiziert Neuber in den Reiseberichten des 15. und 16. Jahrhunderts eine „geringe Alteritätsleistung" und argumentiert, daß die „Türken" in den Augen westlicher Reisender höchstens punktuell fremd sein konnten, da sie Fremde in einem bekannten Raum waren und auch der Glaube eine sekundäre Alteritätskategorie war 23 . Eine Verortung des Osmanischen Reichs in einem europäischen Machtgefiige, in einer „Greater Western World", konstatiert Daniel Goffman hinsichtlich der politischen Verhältnisse und Beziehungen. Er zeigt auf, daß das Osmanische Reich im 15. und 16. Jahrhundert - vor allem auch durch sein Engagement im Mittelmeerraum - von den „westlichen" Staaten als „europäische" Macht wahrgenommen wurde 24 : „Ottoman brides and concubines often came from European states and dynasties, the polity's bureaucracy and administration owed much to Byzantine sources, and its commercial and economic policies were built upon Genoese and Venetian models. If an early fifteenth Century concept of Europe as a civilizational entity had existed, this State surely would have had a place in it." Trotz kriegerischer Auseinandersetzungen waren die Beziehungen zwischen dem frühneuzeitlichen Europa und dem Osmanischen Reich eher symbiotischen Charakters und geprägt von wechselseitigem Einfluß 25 . Wegen der intensiven diplomatischen und 2 1 Edward SAID, Orientalism. Western conceptions of the Orient (New York-London-Toronto 1978, Nachdr. London 1995). 22

AMSTLER, D i e R e i s e ( w i e A N M . 2 )

131.

Wolfgang NEUBER, Grade der Fremdheit. Alteritätskonstruktion und experientia-Argumentation in deutschen Turcica der Renaissance, in: Europa und die Türken in der Renaissance, hg. von Bodo GUTHMÜLLER-Wilhelm KÜHLMANN (Frühe Neuzeit 54, Tübingen 2 0 0 0 ) 2 4 9 - 2 6 6 , hier 254f. 2 4 Daniel GOFFMAN, T h e Ottoman Empire and early modern Europe (New approaches to European history 24, Cambridge 2 0 0 2 ) 228. 2 5 Ebd. 9. 23

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ökonomischen Beziehungen ist die Annahme einer völligen Fremdheit der beiden Welten nicht länger zu perpetuieren. Es sei in diesem Zusammenhang auf die massive Präsenz von Europäern in Gesandtschaften und Handelsniederlassungen im Osmanischen Reich verwiesen, wobei es hier zu beachten gilt, daß das Verhältnis von einem gewissen Ungleichgewicht gekennzeichnet war und somit nur für das „europäische" Wissen über die Realitäten im Osmanischen Reich Geltung haben kann. Auf osmanischer Seite wurde dieses Phänomen bis zum 18. Jahrhundert kaum erwidert, wenn man von dem muslimisch-osmanischen Fondaco in Venedig absieht, der im 16. Jahrhundert gegründet wurde. Sehr wohl konnten sich aber christliche und jüdische Untertanen aus dem Osmanischen Reich in ganz Europa frei bewegen, und sie bestritten infolgedessen auch den Großteil des Handels 26 . Wie manifestiert sich nun im Teufeischen Text Fremdheitserfahrung konkret? Rückschlüsse darauf läßt unter anderem der Lebens- und Bildungshintergrund Teufels zu. Rekonstruiert man seinen „mentalen und geographischen Horizont" 27 auf Grund seines Bildungsstandes, kann angenommen werden, daß sich Teufel abseits negativer Türkenpropaganda Wissen über die „Türken" und das Osmanische Reich angeeignet hatte. Dieser Wissensvorrat speist sich aus verschiedenen Quellen: Offensichtlich und typisch ist die laufende (implizite wie explizite) Bezugnahme auf Reiseberichte von Vorgängern, die die diskursiv stark determinierte Textsorte Reisebericht speziell in der Frühen Neuzeit generell auszeichnet. Prinzipiell ist zu beobachten, daß Reiseberichte über die „Türken" und das Osmanische Reich in der Frühen Neuzeit wenig Feindbilder produzieren, wie es auch Goffman formuliert: „those western Europeans who experienced the Ottoman Empire first-hand often regarded it with respect, albeit with some apprehension" 28 . Auch die Tatsache, daß sich Teufel zwei Jahre zu Studienzwecken in Padua aufgehalten hatte und in seiner politischen Funktion als consiliarius laufend mit venezianischen Behörden zu tun hatte, schließlich auch im Gefolge einer Gesandtschaft der Republik Venedig nach Konstantinopel reiste, legt die Vermutung nahe, daß er auch in diesem Zusammenhang Wissen über die politische Praxis des Osmanischen Reichs und die sozialen Realitäten der äußerst heterogenen osmanischen Gesellschaft sammeln konnte. Ich verweise hier auf die Existenz der Textsorte der so genannten relazioni, die die venezianischen Botschafter im Osmanischen Reich nach Beendigung ihrer Mission vor dem Senat der Stadt zu verlesen hatten und die - obwohl ursprünglich keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmt - in der venezianischen Gesellschaft in Form von Manuskripten zirkulierten29. Inhalte waren dabei auch die physische Erscheinung des Sultans und mächtiger Personen in seinem Umkreis. Diese relazioni stellten wichtiges Grundlagenwissen in der Ausbildung der künftigen venezianischen Gesandten dar. Im Hinblick auf die Reisepraxis kann laut Suraiya Faroqhi von der Tatsache ausgegangen werden, daß Reisende, vor allem wenn sie als Pilger im Osmanischen Reich unEbd. 229. Friederike HASSAUER, Volkssprachliche Reiseliteratur. Faszination des Reisens und räumlicher ordo, in: La littérature historiographique des origins à 1500, hg. von Hans Ulrich GuMBRECHT-Ursula LiNK-HEER-Peter-Michael SPANGENBERG (Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters 11, Heidelberg 1986) 2 5 9 - 2 8 3 , hier 268f. 2 8 GOFFMAN, O t t o m a n Empire (wie Anm. 24) 6. 2 9 YERASIMOS, Les Voyageurs (wie Anm. 8) 18; Suraiya FAROQHI, Approaching O t t o m a n History. An Introduction to the sources (Cambridge 1999) 114. 26 27

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terwegs waren, mit osmanischer Realität und osmanischen Untertanen nur wenig Kontakt hatten, was sich durch die spezifische, einerseits kontrollierte, andererseits geschützte Praxis des Reisens erklären läßt 30 . Sehr wohl erwähnt Teufel immer wieder die Präsenz von militärischem Begleitschutz wie Serdare und Janitscharen; wie intensiv diese Kontakte allerdings waren, ist dem Text nicht zu entnehmen. Auch Teufel bediente sich der engmaschigen Infrastruktur der venezianischen Botschaften, Konsulate und Handelsniederlassungen, die das gesamte Osmanische Reich mit einem dichten Netz überzogen. So wurde er im gesamten Verlauf seiner Reise mit Empfehlungsschreiben ausgestattet und von Station zu Station weitergereicht. Auch Suraiya Faroqhi weist auf die Bedeutung Venedigs im Zusammenhang mit der Organisation und Durchfuhrung von Pilgerreisen hin, da die Republik bis in die 1570er Jahre das Monopol besaß, Pilgerreisen nach Palästina zu organisieren und auch nach Verlust dieses Vorrechts in der Abwicklung von Pilgerreisen ihre dominante Stellung behaupten konnte31. Auch Klöster erfüllten als Herbergen eine wichtige Funktion; waren diese Arten der Unterkunft nicht verfügbar, wurde in Karawansereien übernachtet. Im Falle Teufels war dies häufig notwendig, da eine „christliche" Infrastruktur auf mehreren Etappen seiner Reise nicht existent war. Es kann also davon ausgegangen werden, daß Reisende sehr häufig den Bereich des „Eigenen" kaum verlassen mußten und so die Begegnungen mit „autochthonen" Individuen und damit mögliche Fremdheitserfahrungen minimiert wurden. Auch die Rolle der Dolmetscher, die ja gewissermaßen als „Puffer" fungierten, sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, auf deren Dienste konnte Teufel, wie er schreibt, während seiner gesamten Reise zurückgreifen. Es stimmt, daß Teufel über die „Türken" und ihre Lebensbedingungen nicht viel berichtet, er expliziert es nur in wenigen Passagen seines Reiseberichts, sehr augenscheinlich wird dies in seiner Gegenüberstellung von Persien und dem Osmanischen Reich. Dem gesamten Teufeischen Reisebericht inhärent ist eine binnendifferenzierende Wahrnehmung und Beschreibung der ethnisch und religiös heterogenen Realitäten des Osmanischen Reichs. Osmanische Untertanen waren eben nicht nur „Türken", sondern auch arabische Christen und Muslime, Kurden, Griechen, Armenier, Juden und eine Vielzahl nichtmuslimischer Untertanen, die durch die Expansion des Osmanischen Reiches in den osmanischen Herrschaftsbereich integriert worden waren. Schluß Die Ausfuhrungen zu Fremdwahrnehmung und Alteritätserfahrung sind nur ein Beispiel für Fragestellungen, die an den Reisebericht herangetragen werden können. Mit der Erweiterung des Corpus der frühneuzeitlichen Reiseberichte durch die textkritische Edition der Beschreibung der rayß eröffnet sich für Vertreter der verschiedenen kulturwissenschaftlichen Disziplinen die Möglichkeit, durch das verfugbar gemachte Quellenmaterial je nach Interessenschwerpunkt neue Fragestellungen zu formulieren und Analysefelder zu erschließen. Die germanistisch-literaturwissenschaftliche Forschung kann im Vergleich mit etwa zeitgleich entstandenen Reiseberichten neue Aspekte der diskursiven Gebundenheit der Textsorte Reisebericht und seine Orientie30 31

FAROQHI, Ottoman history (wie Anm. 29) 1 l4f. Ebd. Il4f.

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Michael Greil

rung an der apodemischen Literatur zum Untersuchungsgegenstand machen. Mentalitätsgeschichtliche Ansätze können Antworten auf die Frage geben, welche Rückschlüsse der Reisebericht Teufels (gemeinsam mit anderen) auf die Herkunft des Verfassers, auf Bildung und Kultur eines niederösterreichischen Adeligen der Frühen Neuzeit zuläßt. Ein weiteres Desiderat stellt auch eine tiefergehende kunsthistorische Auseinandersetzung mit den Illustrationen dar.

Das Osmanische Reich und seine Bewohner aus der Sicht eines Südtiroler Bäckermeisters (1851/52) Hans-Peter Laqueur Mit dem Aufkommen von maschinengetriebenen Verkehrsmitteln — mit den Dampfschiffen seit der Wende zum 19. Jahrhundert und mit der Eisenbahn wenige Jahrzehnte später - wurden Fernreisen planbar. Ein schöner Beweis für die Faszination, die die damit verbundenen Möglichkeiten auf die wohlhabende Oberschicht Europas ausübten, ist Jules Vernes 1873 erschienener Roman „In achtzig Tagen um die Welt", die Geschichte einer Reise um des Reisens willen. Aber nicht nur für reiche Vergnügungsreisende erschlossen diese modernen Verkehrsmittel neue Möglichkeiten, auch weniger Begüterte konnten mit ihnen schneller, weniger gefahrvoll und zu geringeren Kosten ihre Reiseziele erreichen. Dies betraf auch all diejenigen, deren Reiseanlaß einer der ältesten überhaupt war, die Pilger. Seit der Frühzeit des Christentums hatten seine Gläubigen das Bedürfnis gehabt, die Stätten des Lebens und Leidens Jesu Christi im Heiligen Land zu besuchen und an den Orten seines Wirkens und Sterbens zu beten. Einer von ihnen war der Gastwirt und Bäckermeister Johann Georg Hilber aus Bruneck im Pustertal, der sich 1851 als Vierzigjähriger seinen Jugendtraum erfüllte und am 17. November mit einem Begleiter zur Pilgerreise nach Jerusalem aufbrach, von wo die beiden Mitte Mai des folgenden Jahres in ihre Heimat zurückkehrten. Ein wichtiger Faktor hatte damals bereits seit einigen Jahren dem Reisen in den Orient viel von seiner früheren Gefährlichkeit genommen. Das Jahr 1845 war das erste seit wenigstens eineinhalb Jahrhunderten, in dem im gesamten Gebiet des Osmanischen Reichs keine Fälle von Pest aufgetreten waren, und so blieb es auch in den folgenden Jahren 1 . Von den Maßnahmen, die zur Eindämmung dieser Seuche ergriffen worden waren, blieb unser Reisender jedoch nicht verschont: Auf dem Rückweg wurden er und sein Begleiter bei der Zwischenlandung in Rhodos „als Verpestete behandelt und durften nicht an Land", in Smyrna mußten sie für vier Tage in die Quarantäne, und auf der Insel Syra nochmals für 24 Stunden 2 .

Daniel PANZAC, Osmanli Imparatorlugunda Veba ( 1 7 0 0 - 1 8 5 0 ) (Istanbul 1997) 268. Johann HILBER, Pilgerreise in das Heilige Land in den Jahren 1851/52 (Bruneck 1853) 108-110. Ein vergleichbarer Bericht wäre: Des Pinzgauer Bauers Johann Eder vom Ebengute in [Maria] Alm. Pilgerreise nach Jerusalem und Rom im Jahr 1856 und Wallfahrt nach Maria Zell im Jahre 1857 (Salzburg 1862). 1

2

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Hans-Peter Laqueur

Ebenso wie sich die alten Seuchenbekämpfungsmaßnahmen noch auf den Reisefortschritt hemmend auswirken, so kamen auch die Vorteile der neuen, schnellen Verkehrsmittel fiir Hilber nur eingeschränkt zum Tragen. Reisen war für ihn nicht ein Vergnügen, sondern eine lästige Notwendigkeit, um das Ziel zu erreichen. Deshalb sind die Schilderungen der Reise von Bruneck nach Haifa und von Jaffa nach Bruneck auch nur ein marginaler Bestandteil seines Berichts. Die rund fünfzig Kilometer von Conegliano über Treviso nach Venedig, die er teilweise zu Fuß, überwiegend auf einem Fuhrwerk mitgenommen und ab Treviso per Bahn zurückgelegt hatte, sind Hilber nur etwa zehn Zeilen wert, in denen er vor allem den Fehler beklagt „6 bis 7 Zwanziger per Kopf" 3 für die Bahnfahrt gezahlt zu haben, statt weitere 8 bis 9 Stunden von Treviso nach Venedig gelaufen zu sein. Seume hingegen, der Spaziergänger nach Syrakus, Reisender um des Reisens willen, hatte sich fünfzig Jahre früher auf dem Weg von „Conegliano bis Treviso [...] auf einem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten" und ließ sich von einem Kutscher nach Mestre bringen 4 , von wo er per Boot nach Venedig übersetzte. Diesem kurzen Abschnitt seiner Reise widmete er allein drei Druckseiten. Hilber verließ am 12. Dezember 1851 auf dem Seeweg Konstantinopel 5 und ging am 27. in Haifa an Land 6 ; obwohl er bis Beirut per Dampfschiff unterwegs gewesen war, benötigte er für diese Reise gut zwei Wochen, also fast so lang wie 270 Jahre vor ihm Salomon Schweigger für eine etwas längere Passage: Dieser verließ am 3. März 1581 Konstantinopel zu Schiff und erreichte am 23., also nach 20 Tagen, Alexandria7. Hilber war ein äußerst penibler Beobachter und akkurater Schilderer all dessen, was ihn interessierte, also vor allem von Dingen, die mit seinem römisch-katholischen christlichen Glauben in Zusammenhang standen oder seinen diesbezüglichen Uberzeugungen zuwiderliefen. Wie exakt seine Beschreibungen sind, zeigt sich sehr deutlich am Beispiel der Grabeskirche in Jerusalem: Auch heute noch können sie für den Besucher ein gutes Reisehandbuch nicht nur ersetzen, sie übertreffen es an Detailreichtum bei weitem! Seinen kritischen Blick für alle Angelegenheiten der Religion beweist Hilber bereits in Venedig, wo gerade eine Prozession von der Markuskirche nach Santa Maria Salute stattfindet: „Es betrübte mich aber, den schlecht katholischen Geist des Volkes wahrnehmen zu müssen; denn während die Priesterschaft bei der Prozession die Allerheiligen-Litanei singend betete, gingen solche, wahrscheinlich sich weise dünkende Herren vor, neben und hinter den Priestern, den Hut auf dem Kopfe und die Pfeife im Munde, einher, gerade als wenn sie es weit unter ihrer Würde hielten, ein christliches Zeichen von sich zu geben; nur zwei oder drei würdigten sich, den Hut in der Hand zu tragen und zu beten" 8 . Ganz anders hingegen der Eindruck, den er vom Gottesdienst bei den französischen Patres in St. Benoit in Galata mitnimmt: „Der Gottesdienst, der da gehalten wurde, ge3

HILBER, Pilgerreise (wie A n m . 2) 5-

4

Johann Gottfried

5

HILBER, Pilgerreise (wie A n m . 2) 10.

SEUME,

Prosaschriften. Mit einer Einleitung von Werner

KRAFT

(Köln

1962)

245. 6

Ebd. 25. Salomon Schweigger, Ein newe Reyßbeschreibung auß Teutschland Nach Constantinopel und Jerusalem, hg. von Rudolf N E C K (Nürnberg 1608, Nachdr.: Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten 3, Graz 1964) 236, 251. 7

8

HILBER, Pilgerreise (wie A n m . 2) 6 .

Das Osmanische Reich und seine Bewohner

463

fiel mir der großen Andacht wegen, die ich bemerkte. Besonders schien mir die Schuljugend, welche gerade anwesend war, von obgenannten Patres ordentlich in der Zucht gehalten zu werden; denn es war erbauend zu sehen, mit welchem Anstände sie sich benahm" 9 . Daß für Hilber, der die Strapazen der Reise aus frommer Motivation auf sich genommen hatte, bei der Beurteilung dessen, was er sieht und hört, religiöse Aspekte im Vordergrund stehen, liegt nahe. Ein weiteres Motiv durchzieht seinen Bericht, es ist das Bild vom Türken als darniederliegendem Erbfeind Österreichs und der Christenheit. Ein Schlüsselerlebnis scheint für ihn der Seesieg der Briten und Franzosen über die Osmanen bei Navarino gewesen zu sein, der sich 1827, als er selbst 16 Jahre alt war, ereignet hatte. In seiner ziemlich knappen Schilderung der Schiffsreise von Triest nach Smyrna erwähnt er, daß sie an der Stadt „Navarin vorbeiführte, wo beinahe die ganze Seemacht der Türken aufgerieben wurde" 1 0 . Knapp zwei Wochen später, in Konstantinopel, wo Hilber und sein Gefährte die ersten fünf Tage ihres Aufenthaltes mit dem Besuch der römisch-katholischen Kirchen von Pera und Galata verbracht hatten, wagen sich die beiden am letzten Tag über „den Kanal [also das Goldene Horn] auf Stambul, die eigentliche Türkenstadt." Dabei sehen sie „die bereits demolirte Schiffsflotte, die die Schlacht bei Navarin mitgemacht hatte, und nun längs dem Ufer, gleich als wie zur Parade, aufgestellt ist". Wie der in nautischen Dingen bestimmt nicht sonderlich bewanderte Hilber zu dieser Identifikation kommt, teilt er nicht mit, aber alle Wahrscheinlichkeit spricht dagegen, immerhin lag die Schlacht bereits 25 Jahre zurück! Er faßt den Eindruck zusammen in dem Satz: „Ein treues Bild des dem Untergang nahen türkischen Reiches!" 11 Der Gesamteindruck von der Stadt Konstantinopel, den Hilber vermittelt, wird von vielen Reisenden vor und nach ihm geteilt. Er schreibt: „Die Stadt kann von keinem Punkte aus ganz gesehen werden; zu diesem Zwecke muß man sich einen Tag auf dem Meere von einem Ende bis zum andern herumfuhren lassen. So schön es aber auch von Außen anzusehen ist, einen eben so widerlichen Eindruck macht es von Innen; denn der angehäufte Schmutz und Koth, besonders zur Regenzeit, ist so ekelerregend, daß es nöthig wäre, will man nicht bis auf die Knie voll Koth werden, über die Schuhe Stiefeln anzulegen, was die Einheimischen auch meistens thun. Die Frauenzimmer haben Schuhe mit hohen hölzernen Sohlen oder Doppelschuhe. Vielfältig sieht man auch hölzerne Häuser und elende Hütten. Die Straßen sind meistens schlecht gepflastert" 12 . Zu einem sehr ähnlichen Urteil kam ein Autor, der 18 Jahre nach Hilber aus anderen Gründen die Levante bereiste, der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, der 1888 als Friedrich III. deutscher Kaiser war. Bei ihm heißt es 13 : „Wenn es einem vergönnt ist, hier in Beschaulichkeit und Ruhe das Auge die Herrlichkeiten genießen zu lassen, welche der Bosporus darbietet, dann ist die Landschaft von Constantinopel von der Einfahrt an der Serail-Spitze bis zum Ausfluß in das Schwarze Meer eins der großartigsten Bilder, die man wohl auf der Erde finden kann. Sobald man aber das Innere der Ebd. 14. Ebd. 10. " Ebd. 15. 1 2 Ebd. 13. 13 Tagebuch meiner Reise nach dem Morgenlande 1869. Bericht des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm über seine Reise zur Einweihung des Suez-Kanals, hg. von Hans ROTHFELS (Frankfurt—Berlin-Wien 1971) 2 3 - 2 4 . 9

10

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Stadt betritt, und nur ein wenig an das bunte orientalische Gewirr sich gewöhnt hat, dann verliert sich der Zauber nur allzu schnell. Die engen, schmutzigen Gassen, deren Pflaster nur mit einem ausgetrockneten Flußbett zu vergleichen ist, sind geradezu widerwärtig, die Gerüche abscheulich, die Häuser mehr wie unansehnlich, weil sie, mit Ausnahme der Staats-Gebäude, fast nur von Holz erbaut sind." Hilber war ein Pilger, kein Bildungsreisender. Die politischen Verhältnisse in dem Staat, zu dem sein Ziel gehörte, interessierten ihn nicht. Als geistiges Reisegepäck hierzu führte er die Klischees und Vorurteile mit, die damals in Mitteleuropa über das Osmanische Reich gängig waren. Betrachtet man seinen Satz über das dem Untergang nahe Türkische Reich nur für sich, so beschreibt er die Situation aus europäischer Sicht ziemlich präzise: Serbien und Griechenland hatten ihre Unabhängigkeit errungen, auch der Vizekönig von Ägypten war de facto sein eigener Herr, das Osmanenreich, das erst 170 Jahre zuvor Wien in ärgste Bedrängnis gebracht hatte, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Stellt man den Satz jedoch in Verbindung mit anderen Äußerungen unseres Autors, so entdeckt man ein Bild aus dem mitteleuropäischen Wunschdenken, wie es sich in zahlreichen Reiseberichten und Stadtbeschreibungen jener Zeit findet, meist im Zusammenhang mit der Schilderung des großen Friedhofs von Skutari. Robert Walsh 1 4 und Jane Pardoe 15 verwenden dafür ähnliche Worte wie Moltke, der in seinem Brief vom Januar 1837 die Beliebtheit des Begräbnisplatzes jenseits des Bosporus mit folgenden Worten erklärt 16 : „Die Türken fühlen, daß sie in Europa nicht zu Hause sind, ihre Prophezeiungen und Ahnungen sagen ihnen, daß das römische Reich ihnen nicht immer gehören werde, und wer die Mittel dazu hat, läßt seine Asche auf die asiatische Seite des Bosporus nach Skutari bringen". Entsprechende Prophezeiungen und Ahnungen sind meines Wissens aus osmanischen Quellen nicht belegbar, und die Vorstellung vom Bosporus als Grenze zwischen Europa und Asien ist eine rein europäische, den Türken jener Zeit unbekannte. Die Bedeutung des Friedhofs von Karaca Ahmet lag und liegt für sie lediglich darin, daß er sich auf der gleichen Landmasse befindet wie die heiligsten Stätten des Islam, Mekka, Medina und Jerusalem. Solche oder ähnliche apokalyptische Visionen über das bevorstehende Ende des Osmanischen Reichs waren Hilber offenbar bekannt, denn er schreibt über die Hauptstadt: „Wahrlich, wenn man die Fahrlässigkeit, mit der Alles dem Ruin überlassen wird, betrachtet, so wird man unwillkürlich zu dem Gedanken hingerissen, warum denn die göttliche Vorsehung eine Stadt, die eine so schöne und zu allem Überfluß Gelegenheit bietende Lage hat, in die Hand einer solchen Regierung legen wollte, die Alles verwahrlost. Es stellt sich wirklich als wahr heraus, daß der Türke das große, das Andere aufgeführt, und er zu rauben bekam, nur so lange benützt und bestehen läßt, als es ohne Reparatur von selbst bestehen kann, ohne daß er sich bemüht, es dem gänzlichen Verfalle zu entreißen, oder auch nur versucht, selbst etwas Großes herzustellen" 17 .

14

Robert WALSH, Konstantinopel und seine U m g e b u n g e n malerisch und geschichtlich dargestellt

(Leipzig 1 8 4 4 ) 8 7 . 15

[Jane] PARDOE, T h e Beauties o f the Bosphorus ( L o n d o n o. J . [ca. 1 8 5 5 ] ) 5 0 .

16

H e l m u t h von MOLTKE, Briefe über Zustände und Begebenheiten in der T ü r k e i aus den Jahren

1 8 3 5 bis 1 8 3 9 . Eine Auswahl (Köln 1 9 6 8 ) 1 2 2 . 17

HILBER, Pilgerreise (wie A n m . 2 ) 14.

D a s Osmanische Reich und seine Bewohner

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Dieses Zitat ist entlarvend, denn es zeigt, daß Hilber in entsprechendem Kontext nicht seine eigenen Beobachtungen gelten läßt, sondern die vom Zeitgeist vorgegebenen Bewertungen übernimmt. Immerhin war Konstantinopel zum Zeitpunkt seines Besuches seit 398 Jahren in osmanischer Hand, nimmt man sein Urteil als Maßstab, so hätte es 1851 längst in Schutt und Asche liegen müssen. In seiner Beschreibung der Sehenswürdigkeiten der Türkenstadt 1 8 , die etwas mehr als eine Druckseite umfaßt (während er zwei volle Seiten den römisch-katholischen Kirchen von Pera und Galata widmet), widerspricht er teilweise seinem pauschalen Urteil über die Unfähigkeit der Türken, Erworbenes zu erhalten und Neues zu schaffen. Sein Weg durch Stambul läßt sich ziemlich genau rekonstruieren, obwohl er einige falsche Ortsbezeichnungen verwendet. Über eine seit nicht langer Zeit bestehende „ungefähr eine Viertelstunde lange, hölzerne Brücke", die 1845 errichtete, ca. 500 Meter lange erste GalataBrücke 1 9 , überquert er den Kanal, also das Goldene Horn, und wendet sich zunächst auf die Anlage des Topkapi Saray zu. Dort sieht er einen „Thiergarten, in dem wir aber nur Hirsche sahen", den heutigen Gülhane Park, in dem sich bis in neueste Zeit ein kleiner Zoo befand. Weiter geht es zur Sophien-Moschee, der Hagia Sophia, die er ebenso wie die gegenüber liegende Sultan Ahmed-Moschee oder Blaue Moschee nur von außen „betrachtet, da ein Ferman, der ihn zum Eintreten berechtigt hätte, 2 0 0 0 Piaster kostet. Von der Hagia Sophia meint er „nur den oberen Theil aus einem später gebauten Zugebäude hervorragen" zu sehen, vermutlich sind es die überwiegend aus byzantinischen Zeiten datierenden Stützpfeiler 20 , die ihm den Blick nehmen. Überraschend sind seine Kenntnisse der Innenausstattung, über die er schreibt, daß „die Wände mit Mosaikarbeit belegt sein" sollen. Erst wenige Jahre vorher waren diese Mosaiken erstmals seit der Umwandlung in eine Moschee teilweise freigelegt, aber dann wieder verputzt worden 2 1 . Sodann wendet er sich dem Hippodrom zu, berichtet über den ägyptischen Obelisken, der nicht ganz so hoch sei wie der auf dem Petersplatz, über eine „alte Colonne (Säule), die aber dem Umstürze nahe ist [wohl der gemauerte Obelisk] und über die sogenannte Trojanssäule, welche ebenfalls in der Nähe sich befindet [und] nur durch eine Menge eiserner Ringe zusammengehalten" werde 2 2 . Zweifellos handelt es sich dabei um die etwa 500 Meter vom Hippodrom entfernte „Verbrannte Säule" ((^emberlitaj), die byzantinische Konstantinssäule 2 3 . Bezüglich ihres Namens ist Hilber wohl ebenso Opfer einer Fehlinformation durch einen vermeintlich Ortskundigen geworden wie bei der Sultan Ahmed-Moschee, die er als die „Muhameds- oder, wie sie Einige nannten, die Selims-Moschee" bezeichnet, und von der er berichtet, daß sie „an äußerer Schönheit die Sophien-Moschee" übertreffe 24 . Ganz allgemein über die Moscheen der Türkenstadt berichtet er, daß sie „von außen alle schön und meistens von Marmor, und daß sie der Sophien-Moschee nachgeahmt" 2 5 seien. Mit diesen Äußerungen über die Haghia So-

Ebd. 1 5 - 1 6 . Gülsün T A N Y E L I - Y e g a n KAHYA, Art. Galata Köpriileri. Dütiden Bugüne Istanbul Ansikbpedisi 3 (1994) 357. 2 0 Wolfgang MÜLLER-WIENER, Bildlexikon zur Topographie Istanbuls: Byzantion - Konstantinupolis - Istanbul bis m m Beginn des 17. Jahrhunderts (Tübingen 1977) 87, 91. 18

19

21

MÜLLER-WIENER, B i l d l e x i k o n ( w i e A n m . 2 0 ) 9 3 .

22

HILBER, P i l g e r r e i s e ( w i e A n m . 2 ) 1 5 .

23

MÜLLER-WIENER, B i l d l e x i k o n ( w i e A n m . 2 0 ) 2 5 5 - 2 5 7 .

24

HILBER, Pilgerreise (wie A n m . 2) 1 5 - 1 6 . Ebd. 16.

25

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phia ebenso wie über türkische Bauwerke in der Stadt widerlegt Hilber selbst seine Behauptung, die Türken seien unfähig, Vorgefundenes zu erhalten oder selbst Großes herzustellen. Zweck von Hilbers Reise war die Pilgerfahrt ins Heilige Land, entsprechend umfaßt von den 107 Druckseiten seines Berichts die Beschreibung der Anreise bis zu seiner Ankunft dort 17 Seiten, die der Rückreise nur knapp fünf Seiten; der mit 85 Seiten weitaus größte Teil des Textes ist dem l4wöchigen Aufenthalt dort zwischen der Landung in Haifa Ende Dezember 1851 und der Abreise von Jerusalem am Ostermontag, den 12. April 1852, gewidmet. Hilber ist auf seiner Reise im Osmanischen Reich Menschen unterschiedlichster Nation und Religion begegnet. Über einige hat er dezidierte Urteile gefällt, über andere nicht. Zur besseren Gliederung seiner Meinungsäußerungen soll die Religion als Ordnungskriterium dienen. Da sind zunächst die Muslime, die Mehrheit der Bevölkerung im Osmanischen Reich. Für Hilber ist der Begriff „Türke" bedeutungsgleich mit „Muslim", und so kommt es zu Formulierungen wie „ein arabischer Türke" 2 6 . Grundsätzlich begegnet unser Autor den Türken mit Mißtrauen und Angst, wie schon aus seinem Programm der Besichtigung der Hauptstadt deutlich wird: Fünf Tage beschränkt er sich auf die levantinisch-europäisch-katholische Umgebung von Pera und Galata, ehe er sich für wenige Stunden auf die andere Seite des Goldenen Horns in die Türkenstadt wagt. Hilber hat die Begegnung mit Türken nicht gesucht, sie findet da statt, wo sie unvermeidlich ist, mit Vertretern der Behörden, wie beim Zoll und in der Quarantäne von Smyrna auf der Rückreise, mit Quartiergebern während seiner Exkursionen durch das Heilige Land, und — am unwillkommensten — mit Beduinen während der Rückkehr von Nazareth nach Jerusalem 27 . Er hat schon gehört von Überfällen, von Raub und Totschlag an Pilgern, und jetzt droht ihm selbst diese Gefahr. Ob die Beduinen, die sich für die kleine Gruppe interessieren, dies tatsächlich in räuberischer Absicht tun, ist nicht gewiß, wenn auch wahrscheinlich. Hilber hat dafür nur das Wort des einheimischen Führers, der ihnen schildert, wie er die Beduinen von der Ausübung ihres Planes abgehalten habe. Das kann natürlich so gestimmt haben, kann aber auch nur zum Zweck eines höheren Bakschisch erfunden sein. Obwohl er nicht versteht, was ihm der Türke sagt, fühlt er sich auch auf der Spitze des Ölbergs bedroht, als er einem bettelnden Kind kein Bakschisch (bei ihm „Packsching") geben mag: „Sie ist mit einigen Häusern, welche von lauter Türken bewohnt sind, umgeben, weßwegen man hier allein hinaufgehend schon etwas in Gefahr ist. Denn als ich [ . . . ] einmal allein war, so begegnete es mir, daß Türkenkinder mich um ein Packsching anbettelten: da ich es verweigerte, redete mich ein erwachsener Türke drohend und höhnisch an, was ich aus seinen Gebehrden bemerkte, obwohl ich ihn nicht verstand. Ich fand es für gut, mich aus dem Staube zu machen, und schätzte mich glücklich, mit heiler Haut davon gekommen zu sein; denn diese Türken halten die Franken, wofür sie jeden Europäer ansehen, insgesammt für reiche Leute" 28 . Während alle Muslime als Türken bezeichnet werden, ist der Begriff Araber bei Hilber nicht religiös belegt. Er berichtet von den Arabern, die in Zeiten des Druckes von 26 27 28

Ebd. 25. Ebd. 8 7 - 8 8 . Ebd. 6 7 - 6 8 .

Das Osmanische Reich und seine Bewohner

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Seiten der Regierung Zuflucht im Konvent der Geburtskirche in Bethlehem suchen 29 , sowie von „katholischen arabischen Knaben in Ministranten-Kleidung" 30 bei den Prozessionen der Karwoche in Jerusalem. Mit Arabern machen Hilber und sein Begleiter auch schlechte Erfahrungen, als sie mit vielen anderen Pilgern von Jerusalem nach Jaffa reiten, um sich dort in Richtung Heimat einzuschiffen: „In einer Entfernung von 10 Schritten standen überall arabische Knaben oder Mädchen in schmutzigem Anzüge, welche den Vorübergehenden Wasser [...] gegen einen gehofften guten Packschings anboten. Mein Reisegefährte, welcher öfter trank, gab einmal anstatt des Geldes, weil die gewöhnlichen kleinsten Münzen ungefähr 3 Kr(euzer) C(onventions)-M(ünze) in unserem Gelde sind, um leichter und wohlfeiler davonzukommen, für einen Trunk Wasser eine Pomeranze hin. Sogleich warf sie ihm derjenige, dem er sie gegeben hatte, zum Kopfe, und ließ es nicht einmal bei diesem bewenden, sondern erfrechte sich sogar, noch Steine aufzunehmen und sie ihm nachzuwerfen [.. .]" 31 . Er versteht nicht, daß für die Kinder Apfelsinen, die in ihren heimischen Gärten im Uberfluß gedeihen, kein adäquater Ersatz für ein Trinkgeld sind, und deutet ihr Verhalten anders: „Daraus kann man auf den Gelddurst dieser Nation schließen". Die Türken finden aber auch ihre Würdigung: Zur katholischen Karfreitagsprozession in Jerusalem bildet das türkische Militär ein Spalier, um „nöthigenfalls gegen die Neckereien der Griechen einzuschreiten, welche sich manches Mal solche erlauben". Hilber kommt zu dem Schluß: „Welche Schande, daß Türken nöthig sind, um unter Christen Ordnung zu erhalten!" Seine Würdigung setzt er fort mit der Beobachtung: „Der Anstand, mit welchem sich das türkische Militär benimmt, verdient allerdings Anerkennung; denn nicht einen sah ich sich ungebührlich oder spöttisch benehmen. Zur Begründung hat er erfahren, daß „sie vor dem Gottesdienste der Katholiken Respekt haben, wogegen sie vom Gottesdienste der Griechen nur verächtlich sprechen" sollen32." Die Griechen sind die Gruppe, die in Hilbers Bericht am schlechtesten wegkommt: „Aufdringlich" 33 , „neidisch"34, „falsch"35 und „räuberisch" 36 sind nur einige der Attribute, mit denen er sie belegt. Den griechischen Teil der Geburtskirche in Bethlehem bezeichnet er als „Tummelplatz der Griechen" 37 , bei ihren Prozessionen in der Karwoche sieht er zwar „sehr großen Reichtum an Gold und Silber, aber es herrschte nicht jene gesetzte Ordnung der Katholiken, und man bemerkte wenig Andacht dabei" 38 . Er macht sich lustig über das Ritual der griechischen Osterfeier und schreibt über die dazu versammelte Gemeinde: „Es ist gar nicht zu beschreiben, was fiir einen Skandal das Volk trieb" 39 . Was Hilber wie ein Skandal vorkommt, beschrieb siebzig Jahre früher der evangelische Pfarrer von Smyrna als „eine Art von gottesdienstlichem Tanz" 40 . 29

Ebd. 37. Ebd. 94. 31 Ebd. 106. 32 Ebd. 99. 33 Ebd. 10. 34 Ebd. 51. 35 Ebd. 99. 36 Ebd. 110. 37 Ebd. 37. 38 Ebd. 94. 39 Ebd. 102. 40 Christoph Wilhelm LÜDECKE, Beschreibung des Türkischen Reiches nach seiner Religions- und Staatsverfassung in der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts (Leipzig 1771) 157. 30

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Von fast jeder nicht römisch-katholischen Kirche meint Hilber zu wissen, daß diese früher den Katholiken gehört habe, aber von den Griechen „auf ihre gewohnte Weise geraubt" 41 worden sei, oder daß sie sie „wie mehrere andere heiligen Stellen durch ihr an die Türken gespendetes Geld den Katholiken entrissen" 42 hätten. Selbst von der Kathedrale St. Jakob, der Kirche des armenischen Patriarchen und seit dem 12. Jahrhundert in armenischem Besitz, meint er, „sie gehörte einstens den Katholiken, sie wurde ihnen aber von den Griechen entrissen" 43 . Diese Beispiele zeigen wohl deutlich genug, wie tief die Abneigung Hilbers gegen die Griechen verwurzelt war. Warum gerade die Griechen? Sie waren für ihn fremdartig, aber bestimmt nicht mehr als etwa Türken und Araber, über die er sich nicht annähernd so oft und so heftig abfällig äußert. Der Grund dürfte in einem weiteren Attribut liegen, mit dem er sie mehrfach nennt: „Schismatische Griechen" 44 . Die Türken - also die Muslime — und die Juden hatten nie den für ihn einzig wahren, den römisch-katholischen Glauben kennengelernt, sie wußten es also nicht besser, und verdienten allenfalls Mitleid. Die Griechen dagegen hatten nach seiner Sicht mit dem Schisma den Schoß der römischen Kirche böswillig verlassen, eine absolut verwerfliche Handlungsweise. Hilbers Sicht der Juden ist vielschichtig und nicht frei von Widersprüchlichkeiten. Als Pilger, dem die Bibel - mit der er sehr gut vertraut gewesen sein muß, auch mit dem Alten Testament - der Reiseführer war, identifiziert er alle biblischen Stätten an seinem Reiseweg. Wenn es sich um die Orte alttestamentarischer Ereignisse handelt, berichtet er wertfrei, verwendet aber in der Regel an Stelle des Wortes „Juden" das Wort „Israeliten". Er ist sich der Tradition von Adam und Moses über Abraham zu Jesus sehr wohl bewußt. Nur in einem Fall weicht er von dieser Haltung ab, als er den in kanaanitischen Moloch-Kult mit seiner Verbrennung von Kindern (nach den mosaischen Gesetzen bei Todesstrafe verboten 45 ) den Juden zuschreibt 46 . Die Sichtweise des Autors ändert sich, wenn es sich um neutestamentliche Stätten handelt. Hier gebraucht er im Zusammenhang mit den Juden Attribute wie „boshaft" 47 und „grausam" 48 . Ganz im Geist seiner Zeit sieht er die Juden als die Christus-Mörder. Schließlich sind da die Juden, denen Hilber begegnet, und die er mit einer Mischung aus Neugierde und ängstlichem Schaudern betrachtet. Zunächst einmal stellt er fest, daß das jüdische das schmutzigste unter den Vierteln Jerusalems sei, „so oft ich dort durchzugehen kam, konnte ich mich des Ekels nicht erwehren; voller Koth waren die Straßen, todte Tiere lagen herum, und ein Gestank kam mir entgegen, daß ich eilige Schritte machte, um hier wieder bald hinaus zu kommen" 49 . Diese Schilderung dürfte auf Tatsachen beruhen, der bereits zitierte preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm empfand die ganze Stadt als „schmutzig und dumpfig" 50 . Der besonders erbärmliche Zustand des jüdischen Viertels hatte seinen Grund nicht nur in der Enge, in der nach

41

42 43 44 45 46

47 48 49 50

Pilgerreise (wie Anm. 2) 49. 54. 53. 73, 84. Beispiel 3. Mose 18, 21; 20, 2-5. H I L B E R , Pilgerreise (wie Anm. 2) 59. Ebd. 58. Ebd. 98. Ebd. 69-70. Tagebuch des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (wie Anm. 13) 41. HILBER,

Ebd. Ebd. Ebd. Zum

D a s Osmanische Reich und seine Bewohner

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Hilbers Angaben 4000 Menschen, also fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Stadt, hausten 51 , sondern auch in der sozialen Struktur dieser Gruppe. Neben denen, die ihre Tage mit Lernen, mit dem Studium der Schriften verbrachten, waren es vor allem Menschen, die - wie Hilber zutreffend bemerkt - „auf ihre alten Tage, ja sogar von allen Welttheilen, nach Jerusalem reisen, um dort zu sterben und begraben zu werden" 5 2 . Es ist sehr wahrscheinlich, daß Hilber in Palästina zum ersten Mal in seinem Leben Juden begegnet ist. Seine Neugier, zu sehen, was das für Menschen sind, die er vor allem als die Mörder seines Heilands kannte, zu erfahren, wie sie ihre Religion ausübten, war groß: „Ich wünschte nämlich eine Sinagoge der Juden in Jerusalem zu sehen, wo einstens der Hauptsitz ihrer Religion war, und erreichte auch einmal mein Ziel auf folgende Weise: Ich sah einen Juden mit einem Buche über die Gasse gehen; den fragte ich, ob in der Nähe eine Sinagoge sei, und ob man sie sehen könnte. Auf dessen Bejahung ging ich hinein; sie war reinlich und nett. Als ich aber Einen der Juden um etwas fragte, wurde ich ersucht, mich wieder zu entfernen; ich glaube, die Ursache war, daß ich ihrem Heiligthum zu wenig Ehrfurcht bezeigt haben mag" 5 3 . Diese Unternehmung bezeichnet er selber als „Vorwitz von meiner Seite"; noch mehr von Scheu ist eine weitere Beobachtung jüdischer Religionsausübung geprägt. Am Nachmittag des Karfreitags besuchte er die Klagemauer: „Ich sah dort einige Juden und mehrere Frauen der Juden auf dem Boden vor der Mauer sitzen, sie lasen in Büchern, jeder für sich. Sie schienen es zu merken, warum ich hier sei; allein ich that, als wollte ich die großen Quadern in der Mauer abmeßen, und ging bald davon, weil ich sie nicht beleidigen wollte" 54 . Mit diesen letzten Worten erweist Hilber der jüdischen Religionsausübung sehr viel mehr Respekt als der der griechisch-orthodoxen Christen, die er verspottet. Nicht nur die formale Religion interessiert Hilber, er hat auch über jüdisches Brauchtum Vorkenntnisse, deren Wahrheitsgehalt er zu überprüfen sucht: „In der Höhe des Grabmals [Absaloms] ist eine Oeffnung, durch die man sieht, daß es mit Steinen angefüllt ist; auch auf der Erde liegen dabei eine Menge Steine; es geht die Sage, jeder vorbeikommende Jude werfe einen Stein hinein. Als ich mich einstmals ganz allein da befand, kamen gerade 2 Juden des Weges; ich beobachtete sie deßwegen, sah aber nicht, daß sie einen Stein hinein geworfen hätten" 5 5 . In diesem Fall hat er das Pech, daß gerade seine zwei Gewährsleute sich nicht an diesen Brauch halten, denn das Werfen von Steinen in dieses Grab war unter Juden jedenfalls bis in das ausgehende 19. Jahrhundert noch üblich 56 . Türken, Griechen, Juden, das sind die Bevölkerungsgruppen, mit denen Hilber am häufigsten zu tun hatte und über die er ausführlich berichtet. Die Türken, also die Muslime, betrachtet er mit leisem Triumph als den darniederliegenden Erbfeind, den er aber HILBER, Pilgerreise (wie Anm. 2) 69. Ebd. 58; siehe auch Usiel O . SCHMELZ, Some Demographic Pecularities o f the Jews o f Jerusalem in the Nineteenth Century, in: Studies on Palestine During the Ottoman Period, hg. von Moshe MA'OZ (Jerusalem 1975) 1 1 9 - 1 4 1 , hier 1 2 1 - 1 2 6 . 5 3 HILBER, Pilgerreise (wie Anm. 2) 70. 5 4 Ebd. 70. 5 5 Ebd. 58. 5 6 Jacob M . LANDAU, Abdul-Hamid's Palestine. Rare century-old photographs from the private collection o f the O t t o m a n sultan now published for the first time (London 1979) 50. 51

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Hans-Peter Laqueur

noch immer fürchtet. Zu Gute hält er ihnen, daß sie angeblich die Katholiken mehr respektieren als die Griechen. Die Juden sind für ihn zwar - wie er es von Kindesbeinen an gelernt hat und wie er es alljährlich in der Karfreitagsliturgie hört - die „Gottesmörder", sie sind aber auch die Vertreter der Religion, aus der sein Christentum hervorgegangen ist, mit schüchterner Neugierde sucht er mehr über sie zu erfahren. Die Griechen schließlich, die ihm in ihrem Verhalten und in ihren religiösen Gebräuchen kaum weniger fremdartig erscheinen als die Muslime und die Juden, lehnt er als „Schismatiker" aus tiefster Seele ab. Hilber hat gesehen, was er sehen wollte, und das in doppeltem Sinn: Er hat das Ziel seiner beschwerlichen Reise gesehen, die Orte des Lebens und Leidens Jesu Christi, dazu noch viele andere biblische Stätten, aber er hat auch den von ihm bereisten Staat, das Osmanische Reich, so gesehen, wie er es sehen sollte, oder so, wie man es ihm schon vorab vermittelt hatte: Er hatte sein reichlich geschnürtes Bündel an Vorurteilen, für die er Bestätigung suchte und fand - wenn es sein mußte mit Gewalt, wie bei der Interpretation einiger osmanischer Schiffe in Konstantinopel als Reste der geschlagenen Flotte von Navarino. Mit dieser Sichtweise unterscheidet sich Hilber nicht von Hunderten oder sogar Tausenden seiner Zeitgenossen, die ebenfalls als Pilger in das Heilige Land reisten. Was ihn unterscheidet, ist, daß er sich nach seiner Rückkehr hinsetzte und seine Erinnerungen aufschrieb, obwohl das Schreiben eigentlich nicht seine Sache war. In seiner Heimatstadt Bruneck war er „die Sensation": Bis zu seinem frühen Tod 1863 im Alter von 52 Jahren war er dort bekannt als der „Jerusalembäck". Nach Skizzen, die er in der Umgebung von Bethlehem gemacht hatte, baute er für seine Kirche eine authentische orientalische Weihnachtskrippe. Johann Hilber hat der Menschheit keine neuen Erkenntnisse vermittelt, seiner kleinen Welt im Pustertal dagegen schon. Er hat gewagt, wovon viele nur träumten, und er hat seine Mitmenschen durch seinen Bericht an seinem Erleben teilhaben lassen.

Die Dragomane 1700-1869. Zum Verlust ihrer interkulturellen Funktion Alexander H. de Groot Das Osmanische Reich war eine multikulturelle, polyglotte Gesellschaft, verbunden durch eine islamisch geprägte gesetzliche Zentralgewalt. Es gab kein osmanisches Volk, sondern lediglich ein Vielfalt von Gruppen osmanischer Untertanen, die sich in religiös unterschiedliche Gemeinschaften aufgliederten 1 . Die islamische Nation bildete die staatstragende Gruppe. Die „griechische" Nation umfaßte alle orthodoxen Christen, also griechisch-, rumänisch-, serbisch-, albanisch- und arabischsprachige Untertanen. Die „armenische" Nation umfaßte neben den Armenisch-Orthodoxen (den Gregorianern) auch die anderen monophysitischen Kirchengemeinschaften wie die SyrischOrthodoxen, die Nestorianer und die Kopten. Die jüdische Nation umfaßte sowohl die Sefarden, meist spanischsprachige „Ladinos", als auch die Aschkenazim aus Mitteleuropa und die Karai'ten. Es gab auch die (bis ins 19. Jahrhundert nicht offiziell anerkannte) Nation der Römischen Katholiken in der Levante, die sogenannten „Lateiner". Im 19. Jahrhundert wurde auch die Gemeinschaft der Protestanten anerkannt. Später kamen noch unterschiedliche Formen von Protestanten, meist Mitglieder ausländischer Missionsgesellschaften, dazu. Die Amtssprache der osmanischen Verwaltung war im ganzen Reich das Türkische, aber in den betreffenden Gebiete stand das Arabische auch offiziell in Gebrauch. Die unterschiedlichen Gemeinschaften besaßen alle kulturelle Autonomie und verwendeten ihre eigenen Idiome. Eine linguistische Vielfalt von Sprachen war also üblich: Arabisch, Armenisch, Balkan-Spanisch, Griechisch, Italienisch, ein Anzahl slawischer Sprachen sowie nicht-nationale Kultursprachen wie Persisch und die sogenannte lingua franca das Französische - entwickelte sich zu der am häufigsten angewandten Fremdsprache im 19. Jahrhundert. Um den Verkehr untereinander aufrecht zu erhalten, gab es also die zwingende Notwendigkeit des Einsatzes von polyglotten Mittlerpersonen. Das waren in der Levante die

Den Herren Jonkheer Dr. André und Jonkheer Mr. Patrick Testa danke ich für ihre freundliche Unterstützung meiner Untersuchungen und für die Überlassung von Materialien bezüglich der Geschichte und Genealogie der Familie Testa. Ebenfalls bedanke ich mich bei Freiherrn Dr. Gerhard Klezl von Norberg für die Genealogie der Familie Testa betreffende Schriftstücke, die er mir auf freundlichste Weise kopiert und zugeschickt hat. 1 Christians and Jews in the Ottoman Empire. T h e Function of a Plural Society. Bd. 1, hg. von Benjamin BRAUDE-Bernard LEWIS (New York 1982).

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Alexander H. de Groot

sogenannten Dragomane. Die Etymologie stammt aus dem Arabischem und steht für Dolmetscher, daher italienisch Dragomanno, französisch Truchement oder Drogman und türkisch/persisch Tercüman. Ein Dragoman war aber nicht nur ein Übersetzer und Dolmetscher, sondern auch ein juristisch und kulturell Sachkundiger im sozio-ökonomischen Verkehr im Inland sowie ein unentbehrlicher Vermittler im Bereich der diplomatischen Beziehungen der Hohen Pforte mit den westeuropäischen Botschaften in Istanbul. Außerdem kamen die Dragomane auch in den Konsulaten zum Einsatz, die in den „Schaalen der Levante" (türkisch iskele, italienisch scalo, französisch échelle, englisch factory, niederländisch schaal), also in den Häfen und Handelsplätzen in den osmanischen Ländern, etabliert waren. Der rechtliche Status der Dragomanen macht sie überaus interessant. Sie sind meistens keine Ausländer, sondern Untertanen des Sultans, die aber als Nicht-Muslime nicht zur staatsbildenden Schicht gehören. Es sind „Levantiner", Angehörige des römisch-katholischen, orthodoxen oder jüdischen Glaubens. Als Bedienstete fremder Vertretungen genossen sie den diplomatischen Schutz ihrer Vorgesetzten, der Botschafter, aber nur mit Genehmigung des Staatsoberhauptes, des Großherren und seiner Regierung. Zum Beweis dafür erhielten sie auf Gesuch eines Botschafters ein Dragomanpatent, ein berat (einen schriftlichen Sultansbefehl mit finanziellem oder fiskalischem Inhalt). Der berat ist eine besondere Gattung einer Sultansurkunde, des sogenannten ferman. Die Dragomane wurden daher im levantinischen Usus als Barattairs bezeichnet: Barattair leitet sich ab vom türkischen beratli, das heißt soviel wie „mit Berat Versehener". In vieler Hinsicht waren die Dragomane somit gesetzlich und fiskalisch in beschränktem Ausmaß ausländischen, „fränkischen", also westeuropäischen Untertanen, die im Osmanischem Reich seßhaft waren, gleichgestellt. Diese Barattairs waren also privilegierte Untertanen des Sultans und standen zugleich im Genuß des diplomatischen Schutzes der westlichen Botschaften. Dies war vom 15. bis ins 20. Jahrhundert die osmanische Rechtspraxis. Als im Laufe des 17. Jahrhunderts westliche Mächte wie Venedig, Frankreich und „Osterreich" (die Habsburgermonarchie) begannen, Dragomane aus den Reihen ihrer eigenen Untertanen auszubilden und einzustellen, wurden die Dragomane zu einer Mischung aus eingeborenen osmanischen Untertanen und Ausländern. Sie lebten tatsächlich an der Grenze von Ost und West, zwischen dem Islam und der „Christenheit" oder besser gesagt, sie wurden zu ambivalenten Vermittlern, oft sogar zu Doppelagenten. Ihre Unentbehrlichkeit rührte daher, daß die Hohe Pforte bis ins späte 19. Jahrhundert, was ihre Diplomatie und Verwaltung anbelangt, nicht über eigenes Personal mit ausreichenden Fremdsprachenkenntnissen verfügte. Im Gegenzug verwendeten westliche Vertretungen in Istanbul und anderswo nur wenige Diplomaten, die über eine ausreichende Kenntnis des Türkischen oder Arabischen verfügten, um mit den osmanischen Behörden direkt verhandeln zu können. Es galt das Dictum eines erfahrenen französischen Botschafters des Ancien Regime: „Der Botschafter ist bestenfalls der erste Sekretär seines ersten Dragomans"2. Die Dragomane waren die Ohren und Augen des Botschafters. Ritter Carlo Ruzzini, ein erfahrener venezianischer Diplomat (später war er von 1732 bis seinem Tod im Jahre 1735 Doge der Serenissima República und zuvor mehrmals Be2 Alexander H. DE GROOT, The Dragomans of the Embassies in Istanbul 1 7 8 5 - 1 8 3 4 , in: Eastwardbound. Dutch Ventures and Adventures in the Middle East, hg. von Geert J. VAN GELDER-E. DE MOOR (Orientations 2, Amsterdam 1994) 1 3 0 - 1 5 8 .

Die Dragomane 1700-1869. Zum Verlust ihrer interkulturellen Funktion

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vollmächtigter bei Verhandlungen mit der Pforte), definierte das Amt des Dragomans

wie folgt: Grande, dijßcile e pregno e l'uffizio del Dragomanno: la lingua che parla, l'orecchio che ascolta, l'occhio che vede, la mano che dona, l'anima che agisce e da cui puo dipendere la vita e l'eccidio d'ogni negozio. Ein in der alten Levante geläufiges Volkslied formulierte es gröber: A Pera ci sono tre malanni: peste, fuoco e dragomanni, also: „In Pera gibt es drei Plagen: Pest, Feuer und Dragomane". Die levantinischen Dragomane arbeiteten auf verschiedenen Ebenen des sozialen und ökonomischen Lebens. Wir beschäftigen uns in diesem Beitrag lediglich mit der Oberschicht dieser Berufsgruppe. Ihr Arbeitsfeld lag im Bereich der Regierungsgeschäfte und bezog sich auf die diplomatischen Beziehungen und den täglichen Umgang mit den Amtsträgern der Hohen Pforte. Diese Dragomane in den Botschaften konnten aber auch in besonderen Missionen fortgeschickt werden, etwa in die Provinzen des Reiches im Nahen Osten oder nach Nordafrika. Mitunter waren sie auch an der Seite der bevollmächtigten Unterhändler bei Friedensverhandlungen an den Landesgrenzen des Osmanischen Reiches tätig. Auch kam es vor, daß sie als Briefträger wichtige Schreiben und diplomatische Akten an die Regierung in den Heimatländern weiterzuleiten hatten. Zur bilateralen Verständigung gab es in Istanbul zwei einander gegenüberstehende Gruppen von Dragomanen: Die eine war direkt an der Hohen Pforte beschäftigt, die andere stand im Sold der diplomatischen Vertreter der westeuropäischen Staaten. Im Dienst der Pforte standen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die sogenannten „Phanarioten", das sind die der Oberschicht angehörenden orthodoxen, griechischen Familien, die dem ökumenischen Patriarchen als hochrangige Laien und Amtsträger dienten. Diese griechische Aristokratie wohnte in der unmittelbaren Nachbarschaft der Patriarchenresidenz in dem „Phanar" (türkisch Fener) genannten Stadtviertel in AltIstanbul. Die Prominentesten unter ihnen waren diejenigen, die vom Sultan gelegentlich zu Tributarfiirsten der Moldau und der Walachei ernannt wurden, die sogenannten Despoten, Hospodaren oder Woiwoden der Donaufurstentümer. Dies ging so lange, bis sich diese Länder 1856 von der osmanischen Oberhoheit lossagten. Mitunter hatten die Phanarioten davor auch das Amt des Dragomans der Flotte inne (in der osmanischen Admiralität), und jenes des Großdragomans der Hohen Pforte (sie fungierten als Europaexperten des Großwesirs, des eigentlichen Leiters der osmanischen Regierung). Ihre akademische Ausbildung erhielten diese Phanarioten häufig an italienischen Universitäten, zum Beispiel in Padua, oder in anderen großen Handelszentren des Westens. Berühmte und zum Teil noch bestehende Phanarioten-Dynastien sind etwa die Argyropoulos, Callimacchi, Cantacuzino, Ghica, Handjeri, Karadja, Maurocordato (Mavrogordatos), Mavroyeni, Murouzi, Musurus, Soutzo und Ypsilanti. Seit dem 17. Jahrhundert arbeiteten im Dienst der westlichen Botschafter meist „Lateiner", also osmanische, italienischsprechende Untertanen römisch-katholischen Glaubens, oder Angehörige der armenisch-gregorianischen Kirche beziehungsweise Untertanen jüdischer Konfession. Seit dem 15. Jahrhundert waren - in chronologischer Folge ihrer diplomatischen Anerkennung und Zulassung an der Pforte - folgende „fränkische" Staaten bzw. deren Repräsentanten in Istanbul vertreten: Venedig, Frankreich, England, die Republik der Vereinigten Niederlande3, Polen, die Habsburgermonarchie, Schweden, Preußen, Dänemark, das Königreich beider Sizilien (Neapel), Spanien und 3

150.

Alexander H.

D E GROOT,

The Dutch Nation in Istanbul 1600-1985.

Anatolica 14

(1987) 131—

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Alexander H. de Groot

in beschränkter Anerkennung - die nicht vollständig souveränen Republiken Genua und Ragusa (Dubrovnik), wobei letztere eigentlich einen dem Großherrn tributpflichtigen, also nicht unabhängigen Staat darstellte. Seit dem 17. Jahrhundert wurde die Dragomanszene Istanbuls vom Levantinertum beherrscht, von „Süßwasserfranken", wie sie die Osmanen herablassend zu nennen beliebten. Dies waren die vor Ort seit vielen Generationen angesiedelten, eingeborenen Untertanen des Sultans, Lateiner, mit Rom unierte Griechen und Armenier. Ihre gemeinsame Sprache war zunächst das Italienische, im 19. Jahrhundert das Französische. Es waren polyglotte Personen, denen Griechisch, Armenisch, selbstverständlich Türkisch und Arabisch geläufig war. Die fuhrende Schicht bildete die Levantiner, die Lateiner. Dabei handelte es sich um eine beschränkte Anzahl altansäßiger Kaufmannsgeschlechter von überwiegend italienischer Herkunft, aus Genua, Venedig und den ehemaligen Handelskolonien oder Besitzungen dieser Stadtstaaten im Bereich des griechischen Archipels (besonders Scio, Naxos und Kreta) und des Balkans oder des Schwarzmeerraums (Caffa auf der Krim). Die Bürger der tributpflichtigen Republik Ragusa schlössen sich ihren Reihen an. Die Levantiner Istanbuls wohnten in Galata, der ehemaligen genuesischen Kolonie, und in Pera, dem anschließenden, hügelaufwärts gelegenen Stadtviertel. Sie bildeten eine selbstverwaltete Korporation, die Magnifica Communitä diPera, die sich 1453 nach der Eroberung Konstantinopels bedingungslos dem Sultan ergeben hatte. Sultan Mehmed II. der Eroberer verlieh der genuesischen Gemeinschaft einen beschränkt autonomen Status mittels einer sogenannten Kapitulation (türkisch ahdname), einer Art Schutzbrief oder Privileg, das — und dies ist hier von Interesse — sowohl die angesiedelten Genuesen, die Bürger Galatas als auch die dort anwesenden Kaufleute aus Genua, also fremde Untertanen, umfaßte4. Der Inhalt dieser Kapitulation ist vergleichbar mit jener, die vom Vater des Eroberers, Sultan Murad II. (1421-1451), an die Ragusaner verliehen worden war und die Mehmed II. im Jahr 1458 bestätigt hatte. Die Republik Ragusa geriet damit in eine Abhängigkeitsbeziehung zur Hohen Pforte. Die Ragusaner wurden zu osmanischen Untertanen, sie behielten aber gleichzeitig wichtige Privilegien im osmanischen Staatssystem und konnten ihre lokale Autonomie behaupten. Dieses Oszillieren zwischen Fremdheit und osmanischer Obrigkeit blieb bis zum politischen Ende der Republik von Sankt Blasius im Jahre 1808 bestehen. Die Genuesen von Galata bildeten den Kern der lateinischen Gemeinschaft im Osmanischen Reich. Die Levantiner werden auch als „Frango-Peroten" bezeichnet; dieser Ausdruck betont deutlich die Ambivalenz von Franken, das heißt Westeuropäern, und eingeborenen Bewohnern Peras. Es sei an dieser Stelle kurz vermerkt, daß Galata allmählich mit dem Gartenviertel Pera, das oberhalb der Mauern auf der Anhöhe lag und jetzt zusammen mit ihm den Stadtteil Beyoglu5 bildet, zusammenwuchs. Dieser Stadtteil un4 Eugenio DALLEGGIO D'ALESSIO, Trattato tra i Genovesi di Galata e Maometto II. Il Veltro XXIII (1979) 103-118; Charles Aaron FRAZEE, Catholics and Sultans. The Church and the Ottoman Empire 1453-1923 (Cambridge 1983) 224; Halil INALCIK, Ottoman Galata 1453-1553, in: Première Rencontre Internationale sur l'Empire Ottoman et la Turquie Moderne. Recherches sur la ville ottomane: le cas du quartier de Galata, hg. von Edhem ELDEM (Istanbul-Paris 1991) 17-116. 5 Beyoglu, bedeutet türkisch Sohn des Bey, d. h. des Herrn. Dieser Name verweist auf den Ort, wo damals (im 16. Jahrhundert) das Haus mit Park des berühmten politischen Beraters des Sultan Süleiman I. stand, des venezianischen Renegaten Alvise Gritti (gest. 1534), eines natürlichen Sohnes des venezianischen Gesandten Andrea Gritti, der später von 1523 bis zu seinem Tode im Jahre 1538 Doge von

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terschied sich wegen seines grundsätzlich westlichen und „europäischen" Charakters in soziokultureller Hinsicht immer noch von Alt-Istanbul. Obwohl die lateinische Gemeinschaft von Beyoglu nur den Status privilegierter osmanischer Untertanen innehatte, wurden die Bewohner im Alltag mit Ausländern gleichgestellt, weil sie tatsächlich kollektiv eine Kapitulation erhalten hatten und damit wichtige finanzielle und ökonomische Vorrechte gegenüber den einheimischen Christen und Muslimen besaßen. Die Analogie zu den fränkischen „Nationen", den Ausländergemeinschaften, allen voran den Venezianern im Jahr 1454, die sich unter anderem auch in Galata und Pera niederließen, ist frappant. Der Begriff „Nation" (türkisch millet) traf im Sprachgebrauch der osmanischen Verwaltung auf beide Gruppen zu. Wir sehen hier, wie Begriffe wie etwa „Untertan", „Einheimischer", „Ausländer", „Orientale", „Abendländer", „Privilegierter" oder „Protégé" inhaltlich verschwammen. Eine moderne Definition der Nationalität ist hier nicht anwendbar. Vor allem die religiöse, besser gesagt die kirchliche Angehörigkeit war ausschlaggebend. Ein Franke konnte kein Grieche sein! Die Lateiner oder Levantiner wurden mit „Franken", das heißt westlichen (sowohl römisch-katholischen als auch protestantischen) Christen gleichgestellt, während jeder Grieche (der türkische Terminus lautete rum und heißt Römer!) als Orientale galt, ganz gleich, ob er osmanischer Untertan war oder nicht. Neben den juristischen Schwierigkeiten einer Definition von Nationalität ergaben sich auch Schwierigkeiten bei der Statusdefinition als Folge der sozialen Vermischungen, die aus den Mischehen zwischen fränkischen Männern, Kaufleuten und Diplomaten mit einheimischen, lateinischen oder „griechischen" (also orthodoxen) Frauen resultierten. Eine solche Ehe brachte den sofortigen Eintritt in die osmanische Staatsangehörigkeit mit sich. Das Problem von Mischehen mit osmanischen Christinnen trat als Folge der römisch-katholischen, seit dem 19. Jahrhundert auch der protestantischen Missionstätigkeit gehäuft auf. Neben den mit Rom unierten Christen des Ostens (den armenisch-katholischen, syrisch-katholischen, chaldäischen und uniert-koptischen Kirchen) gab es auch armenisch-protestantische und griechisch-protestantische Gemeinschaften6. Die vorherrschenden sozialen und kulturellen Mischungsverhältnisse wurden noch durch den Umstand verstärkt, daß die Elite der Levantiner sowohl durch Religion als auch durch Bildung bereits mit westlichen politischen und kulturellen Institutionen vertraut war, weil ihre Mitglieder als Dragomane und als diplomatisches Personal der Botschaften beziehungsweise der Konsulate in fremde („fränkische") Staatsdienste traten. Die Möglichkeit einer derartigen Anwerbung von Personal ergab sich aus den jeweiligen den Westmächten verliehenen Kapitulationen7. Der osmanische Untertan gewann so gewissermaßen einen exterritorialen Status im eigenen Land. Damit waren er und seine direkt abhängigen Familienmitglieder schon indirekt auf dem Weg ins Ausland! Das Institut der Kapitulationen bildete im Osmanischen Reich vom späten Mittelalter de jure bis zum Ende des Sultanstaates in den Jahren 1918 bis 1924 die rechtliche Basis fur dau-

Venedig war: Marie VIALLON, Venise et la Porte Ottomane (1453-1566) (Campagnes & strategies 16, Paris 1 9 9 5 ) 1 8 7 - 1 9 2 , 2 1 9 - 2 2 2 . 6

Livio Amedeo MISSIR, Églises et État en Turquie et au Proche Orient (Bruxelles 1973) 37—43,

103-120. 7 Mustafa HAMID BEY, Das Fremdenrecht in der Türkei mit einer geschichtlichen Darstellung über das türkische Recht und die Kapitulationen. Die Welt des Islams 7 (1919) 1-96.

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erhafte, direkte ökonomische, politische und kulturelle Beziehungen zwischen dem islamischen Osmanenstaat und den westlichen Staaten. Im islamischen Recht galt, daß Nicht-Muslime von außerhalb des „Hauses des Islam" (des islamischen Hoheitsgebietes) nur mit friedlichem Ziel zum Heil der islamischen Gemeinde einreisen und höchstens ein Jahr unter dem Schutz des islamischen Rechts verbleiben durften. Andernfalls galten sie als Feinde des Islams und wurden genötigt, sich der Sultansmacht als (wohlgemerkt: christlicher) Untertan zu unterwerfen. Diese Rechtsform wurde von den osmanischen Rechtsgelehrten im Auftrag der Pforte unter stillschweigender Zustimmung der islamischen Schriftgelehrten (türkisch ulema, „Mullas"), der offiziell ernannten Vertreter der autonomen Autorität des heiligen Gesetzes des Islams, weiterentwickelt. Gemäß dem pragmatischen Sinn der osmanischen Staatsführung wurde der Begriff des zeitweiligen Schutzes der nicht-muslimischen Passanten auf europäische Ausländer, Franken, die auf längere Zeit im Osmanischen Reich als Kaufleute, technische Spezialisten oder Diplomaten wohnten, ausgedehnt. Diese dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung (ohne die Konsequenz einer Untertanenschaft) wurde als dem Wohl des Staates und des Islams dienend im Rahmen eines Freundschaftsbandes verstanden. Diese staatsrechtliche Formulierung bildete das Fundament des Systems der Kapitulationen und der diplomatischen Beziehungen des Osmanenreichs mit den europäischen Mächten. Die Levantiner — also Untertanen des Sultans, denen gestattet wurde, während ihres Arbeitsverhältnisses als Personal einer fremder Botschaft ausländische Protektion zu genießen — gerieten in eine rechtliche Position, die derjenigen von Ausländern stark ähnelte. Der ambivalente Status der Dragomane in den westlichen Vertretungen im Osmanischem Reich wurde noch durch die Personalpolitik einiger Staaten wie Frankreich und Venedig verstärkt. Sowohl die Serenissima (die von 1454 bis zum Ende ihres politischen Daseins im Jahre 1797 bei der Pforte diplomatisch vertreten war) als auch Frankreich bevorzugten es seit der Mitte des 16. Jahrhunderts, „rein nationale", das heißt von zwei venezianischen bzw. französischen Elternteilen (entweder im Mutterland oder in der Levante) geborene Untertanen, für die Dragomanlaufbahn auszubilden. Sowohl in Venedig (1551 und nach einem Reform neuerlich im Jahre 1699) als auch in Paris (1669, wiedererrichtet 1795 vom Nationalkonvent) wurden zu diesem Zweck Sprachschulen, sogenannte „orientalische Akademien", errichtet8. Diesem Vorbild folgte man später in Wien 1754 während der Regierungszeit Maria Theresias, woraus die „Orientalische (später: Konsular-) Akademie" entstand, eine ebenso erfolgreiche wissenschaftliches Ausbildungsstätte für Orientalisten wie die Pariser École des Langues Orientales Vivantes (das heutige INALCO-Institut). Die neue Kategorie der sogenannten „nationalen" Dragomanen, die als loyaler und vertrauenswürdiger als die Levantiner erachtet wurden, entwickelte sich aber nie zur dominierenden Schicht in der Levante. Die benötigte Zahl der daheim im Mutterland oder wenigstens unter strenger Kontrolle der westlichen Autoritäten in der Levante aus8 Isabella PALUMBO FOSSATI CASA, L'École vénitienne des „Giovani di Lingua", in: Istanbul et les langues orientales. Actes du colloque organisé par l'IFEA et l ' I N A L C O à l'occasion du bicentenaire de l'École des Langues Orientales. Istanbul 2 9 - 3 1 Mai 1995, hg. von Frédéric HITZEL (Paris-Istanbul 1997) 1 0 9 - 1 2 2 ; Livio Amedeo MISSIR, Une aristocratie „inclassable": les drogmans (Reflexions sur nations et dynasties au sein de l'Empire Ottoman), in: Istanbul, HITZEL (wie oben) 1 5 3 - 1 5 9 ; Dominique SÉRAPHIM-VINCENT, DU drogman barataire au drogman français ( 1 6 6 9 - 1 7 9 3 ) , in: Istanbul, HITZEL (wie oben) 1 4 1 - 1 5 2 .

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gebildeten „Sprachknaben" (Jeunes de Langue, Giovani di Lingua) wurde niemals in ausreichendem Maße erreicht, sodaß sie die lokal ausgebildeten „Levantiner" nicht ersetzen konnten9. In der Praxis vermischten sich die beiden Kategorien, es galt, zusammen zu arbeiten und zusammen zu leben. Die einsamen, fremden und jungen Dragomanlehrlinge wollten nicht allein bleiben, sondern vermählten sich mit den Töchtern oder Schwestern ihrer eigenen levantinischen Kollegen oder der Kollegen im Dienste anderer Botschaften. Das Levantinertum wurde auf diese Weise durch frisches Blut bereichert anstatt ersetzt zu werden. Wir sehen hier den Ansatz einer Netzwerkbildung, der charakteristisch für die historische Entwicklung des Dragomanentums war. Dieses Botschaftspersonal mit seinen Familienangehörigen entwickelte sich zu einem sozial integrierten Gemeinwesen auf lokaler Ebene, das der großen, kosmopolitischen levantinischen Gesellschaft in Pera im ausgehendem 19. Jahrhundert, dem Fin de Steele der osmanischen Metropole, voranging10. Die kosmopolitische und polyglotte Hauptstadt des Osmanischen Reiches bildete einen fast idealen Nährboden fur die Entwicklung einer sowohl transnationalen als auch interkulturellen Elite. Deren Angehörige lebten im Genuß der Vorrechte der Kapitulationen, die ihnen fur bestimmter Zeit von der Hohen Pforte zugestanden wurden. Der Status dieser privilegierten Untertanen sowie jener ihrer ausländischen Verwandten wurde kollektiv von den fremden Botschaften der osmanischen Regierung gegenüber behauptet11. Diese gemessen am Bevölkerungsanteil kleine Elite, die uns hier interessiert und zu der die Dragomane meist gehörten, hatte andere Möglichkeiten zur Erlangung einer rechtlichen und fiskalischen Sonderstellung, die sich fast zu einem exterritorialen Status steigern konnte. Hierunter verstehe ich die Wahl einer fremden (also immer einer westlichen, „europäischen") diplomatischen Protektion. Der osmanische, von einer ausländischen Macht protegierte Untertan (der protégé oder der „privilegierte Untertan", wie er seit der Einschränkung des Systems nach der osmanischen Neureglementierung von 1863 hieß) genoß aufgrund des Systems der Kapitulationen von alters her eine juristische, fiskalisch und ökonomisch stark begünstigte Stellung im Vergleich zum durchschnittlichen Osmanen, sei er nun Muslim oder nicht. Für zielstrebige, aktive und erfolgreiche Nicht-Muslime aber wurde es, obwohl sie sich im Besitz eines Sonderstatus befanden, gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich klar, daß sich die von der osmanischen Obrigkeit mit den Reformdekreten von 1839 und 1856, den sogenannten Tanzimat, gesetzlich garantierte Gleichstellung von Muslimen mit Nicht-Muslimen nicht in eine die Karriere fördernde Politik umsetzen ließ. Zum Beispiel erhielten Nicht-Muslime weder erstklassige Positionen in der Zentralverwaltung noch erstrangige Stellen in den Provinzen. Karriereaussichten im diplomatischen Dienst gab es wohl, aber sie waren nicht allzu häufig. Um einer derartigen Diskriminierung zu entkommen, stand lediglich der Weg in einen fremden Staatsdienst, besonders über den Weg der Diplomatie und des Konsularwesens, offen. Für kommerzielle Laufbahnen war die Emigration von den „Schaalen" der Levante in die HandelsMarie TESTA-Antoine GAUTIER, Les drogmans au service de la France au Levant. Revue d'histoire 1 9 9 1 ( 1 9 9 1 ) 7 - 1 0 1 ; Franz BABINGER, Die türkischen Studien in Europa bis zum Auftreten Joseph von Hammer-Purgstalls. Die Welt des Islams 7 ( 1 9 1 9 ) 1 0 3 - 1 2 9 . 10 Allan CUNNINGHAM, The Dragomans of the British Embassy at Constantinople, in: Eastern Questions in the Nineteenth Century. Collected Essays Vol. 2, hg. von Edward INGRAM-Allan CUNNINGHAM (London 1 9 9 3 ) 1 - 2 2 . 11 Istanbul, HITZEL (wie ANM. 8) 2 - 5 4 2 . 9

diplomatique

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Zentren des westlichen Mittelmeergebietes und auf den europäischen Kontinent schon immer recht leicht. Im 19. Jahrhundert verlor das Osmanische Reich auf diese Weise einen Teil seines potentiellen Großbürgertums. Die diesbezügliche Elite wanderte aus, indem der meist erfolgreichste Teil der privilegierten Untertanen (die protégés) aus Istanbul und aus anderen Teilen des Reiches allmählich in ihre neuen Wahlheimaten zu ihren Arbeitgebern emigrierten. Das Angebot der osmanischen Nationalität - 1869 gesetzlich zur Förderung eines nationalen Einheitsgefuhls im modernen Sinne eingeführt - war für diese Kategorie der Untertanen des Sultans nicht mehr attraktiv. Für die Levantiner lag es nicht mehr in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Familien, sich an der Modernisierung der sozioökonomischen Struktur des Osmanenstaats, die ihnen bis dahin einen sicheren Verbleib geschaffen hatte, zu beteiligen. Das Verstehen der osmanisch-islamischen Kultur und Gesellschaft führte für die Dragomanfamilien der Levante letzten Endes nicht zu einer bleibenden interkulturellen Integration und einer Auflösung der sozialen Barrieren. Ihre Vermittlerrolle funktionierte nicht mehr, war auch nicht mehr gefragt. Die Levantiner hatten sich nach und nach ihrer islamisch-osmanischen Umgebung immer mehr entfremdet. Sie hatten sich zu sehr verwestlicht, sich zu viele fremde Interessen zu eigen gemacht, um noch eine unentbehrliche Rolle in der interkulturellen Kommunikation spielen zu können, die folglich seither viel an Qualität einbüßte. Zur Illustration der erörterten Materie folgt hier ein Fallbeispiel von „Schicksalen" einer ausgewählten Dragomandynastie Istanbuls. Dieses Beispiel verdeutlicht die allmähliche Entfremdung dieser besonderen Kategorie osmanischer Untertanen, die Jahrhunderte lang Inhaber eines Sonderstatus waren. Die Testa Ein gutes Beispiel bildet die Dynastie der levantinischen Dragomanen aus der Familie Testa. Die Testa blühten fünf Jahrhunderte lang in Istanbul. Die frühesten Belege deuten an, daß die Testa, damals Kaufleute, schon vor der osmanischen Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 eine prominente Rolle in der genuesischen Kolonie Galata spielten. Sie übten verschiedene Amter im Rahmen der bereits in byzantinischer Zeit bestehenden Selbstverwaltung von Galata und Pera aus. Ihre Bedeutung dauerte im osmanischen Zeitalter an, als den Genuesen von Galata vom Sultan ein Kapitulationsstatus zugestanden wurde. Die lateinische Gemeinschaft bildete die Magnifica Communità di Pera, die bis ins 17. Jahrhundert ihre Autonomie bewahren konnte 1 2 . Das authentische Exemplar der Kapitulation, der ursprünglich griechisch abgefaßte berat des Sultans Mehmed des Eroberers, wurde von Mitgliedern der Familie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts aufbewahrt. Als Wahrzeichen ihrer christlichen (römisch-katholischen) Fröm-

1 2 Andrei PIPPIDI, D r o g m a n s et enfants de langue: la France de Constantinople au X V I I e siècle, in: Istanbul, HITZEL (wie A n m . 8) 1 3 1 - 1 4 0 : Erwähnt werden die N a m e n der Familien „in pretensione di nobiltà di sangue": Perotti, Grilli, Perone, Negri, Draperis, U s a m a (?), Testa, weiters: Fornetti, Olivieri, Borisi, Brutti, Salvago, Fortis, T i m o n i , Tarsia und Coletti. Dies bezieht sich auf die Zeit zwischen 1641 und 1682. Marie TESTA-Antoine GAUTIER, Deux grandes dynasties de drogmans: les Fonton et les Testa, in: Istanbul, HITZEL (wie A n m . 8) 1 7 5 - 1 9 6 .

Die Dragomane 1700-1869. Z u m Verlust ihrer interkulturellen Funktion

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migkeit bewahrte die Familie Testa die hochheilige Reliquie der Dornenkrone Jesu Christi, die sogenannte Sacra Spina (la sainte épine) a u f 1 3 . Seit dem 17. Jahrhundert dienten Mitglieder der Familie Testa als D r a g o m a n e für eine Vielzahl von ausländischen Botschaften und Konsulaten im Osmanischen Reich. Die Testa sind ein vorzügliches Exempel für das internationale Leben, das damals in der Levante üblich war. Die Mitglieder dieser ursprünglich genuesischen Kaufmannsfamilie waren der Auffassung, daß nationale Zugehörigkeit nicht unbedingt notwendig sei. Sie arbeiteten als Angehörige des diplomatischen Personals mehrerer fremder Staaten und ließen sich nicht auf eine einzige Nationalität beschränken. Im 18. und 19. Jahrhundert schließlich standen die Testa als Dragomane oder als Kanzleivorsteher im Dienste folgender Mächte, die bei der Hohen Pforte vertreten waren: Venedig, Frankreich, die Habsburgermonarchie („Österreich" bzw. „Österreich-Ungarn"), die Republik der Vereinigten Provinzen („die Niederlande"), Polen, Dänemark, Schweden, Preußen, Rußland und Toskana. Diese Testa sprachen und schrieben dabei mindestens f ü n f Sprachen (darunter aber weder holländisch noch deutsch!) 1 4 . Ein Beobachter mit moderner Mentalität formulierte es sinngemäß so: Sie besaßen die Sprachen von f ü n f Völkern, hatten aber nicht die Seele eines einzigen 1 5 . Die österreichische Linie Bartolomeo Testa ( 1 7 2 3 - 1 8 0 9 ) diente den kaiserlichen Botschaftern (deren richtiger Titel für Istanbul lautete „Internuntius") durch mehr als 6 0 Jahre als Dragoman. Er kann als der Gründer des österreichischen Zweiges der Familie angesehen werden, der bis ins 19. Jahrhundert D r a g o m a n e und danach Karrierediplomaten lieferte. Er war der Sohn des Gasparo Testa (Dragoman zuerst der russischen Vertretung, danach der niederländischen Botschaft) und der Maria de Negris. Er wurde am 23. September 1723 in Belgrad, einem D o r f im Waldgebiet nördlich von Istanbul, das als Sommerfrische beliebt war, geboren. Seine Frau war Therese Fonton, Tochter des Pierre Fonton, eines Dragomanen der französischen Botschaft und Mitglieds einer großen, ursprünglich französisch-levantinischen Dragomandynastie, die als Folge des Wiederhalls der Französischen Revolution in Istanbul in die Protektion Rußlands überging. Er war aktives Mitglied der levantinischen Gesellschaft in Galata und Pera, ein Bruder der Communità di Sancta Anna, deren Mitglieder die führende Schicht der lokalen römisch-katholischen Gemeinschaft, der Lateiner, bildeten. Bartolomeo Testas erste erwähnte diplomatische Aktivität als „Sprachknabe" (Dragomananwärter) war eine Mission nach Algier, angeführt von seinem Schwager Gaspard Mommartz, dem Syndikus des italienischen Franziskaner-Konventes in Pera/Istanbul und ersten Dragomanen der kaiserlichen Internuntiatur. Im Jahr 1754 wurde er zum D r a g o m a n befördert, womit seine Karriere im kaiserlichen Dienst begann. Im Jahr 1771 erfolgte die Ernennung zum Ersten D r a g o m a n und kurz nachher zum k. k. Sekretär, also zu einem wirklichen

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INALCIK, O t t o m a n G a l a t a ( w i e A n m . 4 )

17-27.

Bronnen tot de Geschiedenis der Levantschen Handel. Vierde Deel: 1 7 5 6 - 1 8 2 6 , hg. von J . G. NANNINGA ('s-Gravenhage 1964-1966), Teilband I, 65f., Teilband II, 47f., 59, 572. ' 5 Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser. 1878 (Gotha, 1877) 8 3 9 844; Alexander H. DE GROOT, Protection and Nationality. The Decline of the Dragomans, in: Istanbul, 14

HITZEL (wie A n m . 8) 2 3 5 - 2 5 5 .

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Karriereposten. Es folgte noch die Rangerhöhung zum „k. k. Rat" und Hofrat. Er erfüllte neben dem Dragomanamt auch mehrmals die Funktion eines geschäftsführenden Botschafters. Erst diese diplomatische Ernennung öffnete für den osmanischen Untertan, der er noch immer war, den Weg in die österreichischen Staatsangehörigkeit. 1783 wurde er in den österreichischen Ritterstand erhoben. Im Februar 1788 wurde ihm vom Internuntius Baron Philipp Herbert-Rathkeal (zwischen 1785 und 1802 in Istanbul) aufgetragen, der Hohen Pforte, das heißt dem Großdragoman der osmanischen Regierung Prinz Alexander Callimachi die österreichische Kriegserklärung zu überbringen. Dieses Ereignis verlief in einer ganz zivilisierten und sogar höflichen Weise. Das Resultat war die sofortige Ausreise des gesamten Personals der Botschaft. Erst 1790 konnte Bartolomeo nach Istanbul zurückkehren, und zwar in der Funktion eines geschäftsführenden Botschafters, solange sein Chef, Baron HerbertRathkeal, noch nicht anwesend war. Er blieb noch zehn Jahren im aktiven Dienst. Als Achtzigjähriger wurde er in die Ruhestand versetzt (1802) und von Kaiser Franz II. im Jahre 1807 als k. k. Hofrat und ehemaliger Erster Dolmetscher bei der kaiserlichen Internuntiatur zu Istanbul in den österreichischen Freiherrenstand erhoben. Sein Nachfolger als Dragoman wurde sein Vetter Charles Testa, ehemals Zweiter Dragoman der französischen Botschaft und seit den Revolutionsjahren Dragoman in schwedischen Diensten. Auf diese Weise schaffte dieser Familienzweig den Ubergang vom Orient in den Okzident und naturalisierte sich zum Osterreichertum in einem modernen, nationalen Sinn. Sein Bruder Franz war Arzt in Istanbul. Er war der Retter der Sacra Spina, des bereits erwähnten Heiligen Doms aus der Dornenkrone Christi. Er rettete diese Reliquie aus dem Feuer des Minoritenklosters von Galata. Diese Reliquie ist — mit päpstlicher Genehmigung - bis zum heutigen Tag im Besitz der Familie Testa, und zwar der holländischen Linie in Amsterdam. Carl (1753-1820), der Sohn des Franz, wurde nach Ausbildung am Collège Louis le Grand in Paris Dolmetscher bei der französischen Botschaft und wechselte dann in den schwedischen und schließlich in den österreichischen Dienst in Istanbul. Der Bruder des Bartolomeo, Jacob (Jacques/Giacomo), Dragoman in niederländischen Diensten, wurde zum Gründer der holländischen Linie der Testas (siehe weiter unten). Der Sohn des Bartolomeo Testa, [Johann/Jean] Anton/Antoine (1768-1839) studierte in Wien an der Theresianischen Ritterakademie und an der Universität. Er wurde zum k. k. Rat und Kanzler an der kaiserlichen Internuntiatur und der großherzoglichen toskanischen Gesandschaft in Istanbul. Er heiratete nacheinander Lateinerinnen aus der Elite von Pera: zuerst Lucrezia Beneveni (1777-1812) und im Jahre 1813 Lucie de Chirico (17901874). Seine Söhne und Töchter demonstrieren mit ihren unterschiedlichen Lebensläufen den Übergang der Familie von Ost nach West. Der erste Sohn, Bartholomäus Jean Pantaleon (Sohn der Lucrezia Beneveni), 1804 geboren in der Sommervilla der Familie in Büyükdere am Bosporus, heiratete im Jahr 1853 in Florenz und starb 1859 in Wien. Der zweite Sohn Heinrich (1807-1876) war k. u. k. Geheimer Rat und außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister. Die Schwester Theresia (geb. 1816) verheiratete sich im Jahr 1833 mit Eduard Freiherrn Klezl von Norberg (1805-1874), der damals im Rang eines Legationsrats tätig war. Er war der zweite Mann bei der Internuntiatur in Istanbul. Die österreichische Familie Klezl lieferte seit Beginn des 19. Jahrhunderts am Theresianum in Wien geschulte Dragomane. Eben wegen dieser Tätigkeit in der Levante wurde der Familie 1826 der Adel-

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stand verliehen, der Freiherrentitel folgte im Jahr 1874 16 . Der dritte Sohn der Lucrezia Beneveni, Ignaz (Ignace de) Freiherr von Testa, wurde am 6. Juni 1812 in Istanbul geboren und starb ebenda am 29. Juni 1873 17 . Er war ein Patenkind seines Onkels, des Internuntius Freiherr Ignaz von Stürmer (dessen Frau war die Tante Elisabeth, geborene Testa [1769-1846]). Im Jahr 1822 ging er nach Wien, um dort an der Theresianischen Akademie zu studieren. Er war bereits der siebente Testa, der dort ausgebildet wurde. Nach seiner Rückkehr nach Istanbul (1834) gab es für ihn keine Beschäftigung bei der Internuntiatur, wohl aber im habsburgischen Dienst, und zwar bei der neu eröffneten Gesandtschaft des Großherzogs von Toskana. Bis dahin hatte der Kanzler der kaiserlichen Internuntiatur die Interessen des Großherzogs wahrgenommen. In diesem Fall war das der Vater, [Jean-]Antoine de Testa. Ignace wurde Adjunkt-Kanzler der Gesandtschaft. 1845 stieß sein jüngerer Bruder Théophile als Dragoman dazu. Das soziale und internationale Netzwerk der Testa war noch vollständig intakt: Man bedenke, daß sein Cousin, Barthélémy von Stürmer, Internuntius war, er selbst war ein Großneffe des niederländischen chargé d'affaires, Gaspard Testa, Vetter des chargé d'âffaires Rußlands in Wien, Felix Antoine de Fonton, und des Nicolas Antonowich de Fonton, russischer Botschafter in Lissabon und Bukarest. Er verheiratete sich mit der Nichte seines Chefs, Sophie Darabet, der Tochter eines italienischen (venezianischen) Arztes in Istanbul. Das Paar hatte drei Söhne, Alfred (geb. 1843), Ernest (geb. 1845) und Leopold (geb. 1847). Ignace von Testa wurde 1845 ehrenhalber zum großherzoglich-toskanischen Kammerherrn ernannt. Er entwickelte sich in dieser Zeit zum Historiker und beschäftigte sich, gemeinsam mit seinem Vetter François de Testa, Gesandter in Berlin, mit der Familiengeschichte. Im Jahr 1847 wurde er neben seiner Anstellung als Kanzler der Gesandtschaft zum geschäftsfuhrenden Botschafter der Toskana ernannt. Infolge der politischen Wirren der Jahren 1848/49 verlor Ignace von Testa seine Position an der toskanischen Gesandtschaft. Seine diplomatische Karriere als großherzoglich toskanischer Kammerherr und Gesandtschaftskanzler in Istanbul fand im Jahre 1849 ein Ende. Er machte sich einen Namen als Herausgeber des historischen Standardwerkes, des Monuments par excellence der untergegangenen Dragomanwelt, des Recueil des traités de la Porte ottomane avec les puissances étrangères depuis 1536. Der erste Teil erschien in Paris 1864, der letzte, elfte Teil, herausgegeben von ihm und seinen Söhnen Alfred (Pera 1843 - Paris 1932) und Leopold, 1911. Ignace de Testa, Witwer geworden, heiratete eine Smyrniotin arabisch-katholischer Herkunft, Marie Fatalla Vekilzade. Sie war die Witwe des Guillaume Chabert von Ostland (1800-1846), eines österreichischen Diplomaten, der als Dragoman in Istanbul begonnen hatte und danach als Konsul tätig war, zuletzt in Izmir. Diese Ehe war mit fünf Kindern gesegnet (drei Söhne und zwei Töchter). Als er seine Frau durch Tod verlor, heiratete Ignace Testa zum dritten Mal. Seine Frau wurde die jüngere Schwester der Verstorbenen, Rosalie Fatalla (1820-1896). Seine Söhne Alfred und Leopold (1847-1899) heirateten beide Töchter aus der lateinischen Levante; sie verließen aber die Levante. 16 M. und A. GAUTIER[-TESTA], Le baron Bartolomeo Testa (1723-1809), drogman de l'Autriche à Constantinople et sa famille. Le Bulletin. Mai 2 0 0 3 (INALCO, 2 0 0 3 ) 5 - 2 9 ; Joseph de HAMMER, Histoire de l'Empire Ottoman, 17 Bde. (Paris 1835-1843), hier Bd. 15, 291, 385, und Bd. 16, 201-208. 17 M. und A. GAUTIER-H. de TESTA, Le baron de Testa et le recueil des traités de la Porte Ottomane avec les puissances étrangères. Le Bulletin. Novembre 2 0 0 0 (INALCO 2 0 0 0 ) 6 4 — 8 8 .

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Sie wanderten 1873 nach Frankreich aus; auch der jüngste Sohn, Frédéric (1878), wurde ein Franzose. Eine interessante Ausnahme von der Emigration dieser Linie der Testa aus der Levante ist Théophile de Testa (1820-1873), der vierte Bruder des Ignace, der als Untertan des Sultans in Istanbul blieb und zum Privatsekretär des berühmten osmanischen Staatsmanns des Reformzeitalters, des Großwesirs [Mustafa] Reschid Pascha (1800-1858), aufstieg. Danach war er Dragoman bei der toskanischen Gesandtschaft und ab 1859 Dragoman und Sekretär bei der Internuntiatur. Er ging also völlig in der österreichischen Beamtenlaufbahn auf. Tragisch war der Rest seines Lebens: Er erkrankte, fuhr, in der Hoffnung auf Heilung, vergeblich nach Berlin und Wien. Im Jahr 1864 erblindete er. Er lebte weiter in Pera und war sogar noch preußischer Kommissar der Internationalen Gesundheits-Kommission in Istanbul. Im Jahr 1871 „irrsinnig" geworden, übersiedelte er nach Wien, wo er starb. Die Söhne von Bartholomäus, des ersten Freiherrn, waren alle kaiserliche Dragomane: Heinrich (Henri) (1763-1789) begann als Sprachknabe bei der Internuntiatur. Er machte den sozialen „Fehler", entgegen der alten Tradition der Lateiner eine „griechische" (also griechisch-orthodoxe) Frau namens Catharina Matarelli zu heiraten (1787) und wurde deshalb vom Vater enterbt. Heinrich von Testa stand von 1763 bis 1789 als Kriegsdolmetscher in der k. u. k. Armee an der Reichsgrenze im Dienst. Er starb in Semlin (gegenüber Belgrad). Seine Nachkommen dienten alle im österreichischen Staatsdienst: Heinrichs Sohn Bartholomäus (1788—1849) diente ebenfalls in der Armee. Er war zunächst „k. k. Feldkriegsconcipist" und dann orientalischer Dolmetscher beim k. k. Generalkommando in Slawonien. Dort heiratete er die Baronin Amelie Bersina von Siegenthal. Beide Söhne wurden Offiziere in kaiserlichen Diensten. Dieser Zweig der Familie (die spätere Hauptlinie) war seit damals nicht mehr mit ihrem osmanischen Heimatland verbunden. Bartholomäus' Sohn Gaspard war von 1777 bis 1814 als Sprachknabe („Dragomananwärter") und als Dragoman tätig, dessen Sohn Barthélémy war anfangs Dragoman und später Gesandtschaftsrat in Florenz. Bartholomäus' Bruder Henri diente in den Jahren 1870 bis 1876 zuerst als Dragoman, dann als Minister-Resident in Hamburg und als Gesandter in Athen. Die Holländische Linie Man kann sagen, daß der holländische Zweig der Familie Testa von Giacomo (alias Jacques) Testa (1725-1804), dem jüngeren Bruder des erwähnten Bartholomäus (des ersten Freiherrn), gegründet wurde. Er war wohl nicht der erste in holländischem Dienst stehende Dragoman seiner Familie, ist aber der Vorfahr aller späteren „holländischen" Testa. Den Grundstein seiner Karriere bildete ein Studium der Medizin an der Universität von Padua. Er nahm in erster Ehe eine Lucie (= Adèle?) Fonton zur Frau. Diese war eine gebürtige Französin und entstammte einer bekannten Dragomandynastie. Nach ihrem Tode heiratete er eine echte Levantinerin: Seine zweite Frau war seit 1768 Maria Cingria, eine geborene Levantinerin aus Istanbul. Er war zweiter Dragoman der Niederlande in Istanbul in den Jahren 1766 bis 1791. Seine Söhne François (Francesco) (17651829) und Gaspard (Gasparo) (1770-1847) wurden beide seine Dragomane, in Nebenfunktionen Kanzler und auch Schatzmeister der Botschaft. Überdies wurden sowohl François als auch Gaspard auch einige Malen zum chargé d'affaires ernannt (Francesco

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von 1803 bis 1807, Gasparo erstmals von 1808 bis 1810). Eine derartige Ernennung ist bezeichnend für levantinische Dragomane, die osmanische Untertanen waren, denn sie bedeutete die Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit, das heißt für die beiden das Entrée in die niederländische Karriere als regulärer Diplomat und die Übergang zur niederländischen Staatsangehörigkeit. Die Brüder Testa hatten sich dies gewissermaßen durch ihre Loyalität zum alten Brotherrn der Familie verdient. Denn im Jahre 1813 ergriffen sie ohne jede Ordre aus Den Haag im Namen des neu proklamierten Souveräns der Niederlande, Wilhelms I. von Oranien, die Initiative, die nationale rot-weiß-blaue Fahne auf dem alten Botschaftspalais in Pera zu hissen und damit die Botschaft wieder zu eröffnen. Man muß bedenken, daß mit der Einverleibung Hollands in das französischen Kaiserreich 1810 dessen Botschaft geschlossen und vom französischen Botschafter usurpiert wurde. Francesco (François) Testas holländische Laufbahn begann 1766. Als Sohn des Zweiten Dragomans der Botschaft wurde er zur Berufsausbildung, besonders zur Erlernung der niederländischen Sprache, nach Holland geschickt. Der Botschafter der Generalstaaten der Sieben Vereinigten Provinzen der Niederlande nahm ihn in festen Dienst als junior Dragoman, obwohl er über keinerlei niederländischen Sprachkenntnisse verfügte. Dieser Testa wurde 1793 nebenbei auch zum Kanzler der Botschaft ernannt. In dieser Funktion war er mit archivalischen Untersuchungen im Staatsarchiv der Hohen Pforte beschäftigt, um aktenmäßig politische oder geschäftliche Ansprüche der Niederländer im Osmanischen Reich zu belegen. 1796 wurde er zum Ersten Dragoman der Botschaft befördert. 1799 befand sich der (1795 zur Batavischen Republik umbenannte) Staat im Kriegszustand mit einem anti-französischen Bündnis (gebildet aus Großbritannien und Rußland). Als Konsequenz wurde die niederländische Botschaft an der Hohen Pforte bis 1802 geschlossen. Während dieser Periode standen die Mitglieder des Botschaftspersonals unter der Protektion Preußens. So konnten sie ihre Dragomanaufgaben weiterführen. 1803 wurde Francesco Testa zum geschäftsführenden Botschafter {chargéd'affaires) anstelle des Botschafters Baron Frederik Gysbert van Dedem tot de Gelder (in Istanbul: 1785-1793, 1796-1799, 1802-1803 und 1807-1808), der die osmanische Residenzstadt zwar verlassen hatte, sich aber im Einvernehmen mit der Hohen Pforte nach Bukarest (also noch im Territorium des Großherrn!) zurückziehen durfte. Mit diesem Rang erreichte Francesco Testa erstmals den Status eines vollwertigen holländischen Diplomaten und mutierte damit vom osmanischen zum niederländischen Untertan. Dies war wohl der Anfang vom Ende des levantinischen Interkulturalismus der Dragomandynastie Testa. Nach dem Eintreffen der Nachricht von der Wiederherstellung der niederländischen Unabhängigkeit 1813 übernahmen Francesco und sein Bruder Gasparo die Initiative zur Wiederöffnung einer eigenen Botschaft. Dies geschah selbstverständlich mit Genehmigung der Hohen Pforte. Diese niederländisch-patriotische Aktion veranlagte die Regierung in Den Haag, Francesco die Stelle eines geschäftsfiihrenden Botschafters {chargé d'affaires sur pied) anzubieten. Der alternde Mann lehnte ab und überließ diese Ehre seinem jüngeren Bruder Gaspard, der auf diese Weise auch den Weg aus der osmanischen Obrigkeit zu einer ausländischen, westlichen (nämlich niederländischen) Staatsbürgerschaft eingeschlagen hatte. Gaspard Testas Karriere begann schon 1776, im Alter von zehn Jahren als Sprachknabe mit einem Salär von 100 Löwentalern. 1790 wurde er für Dolmetscherarbeiten zum niederländischen außerordentlichen Gesandten am Wiener Kaiserhof, Reinier Ba-

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ron van Haaften (der von 1778 bis 1784 Botschafter zu Istanbul gewesen war), geschickt. Dieser Diplomat war von den Generalstaaten beauftragt worden, an den Mediationsaktivitäten zwischen dem Kaiser und dem Sultan beim Friedenskongreß zu Sistowa (1791) teilzunehmen. Gaspard wurde anschließend zum Vizekanzler, 1793 zum Zweiten Dragoman und 1798 zum Kanzler befördert. 1799 begleitete er den Botschafter Baron van Dedem auf seinem zeitweiligen Exil nach Bukarest, wo die beiden bis 1802 blieben. 1804 folgte die Ernennung zum Botschaftssekretär, das heißt seine Aufnahme in das holländische diplomatische Karriereschema. Damit wurde eine Heirat möglich, zu seiner Frau nahm er Catharina Marini, Tochter des Botschafters beider Sizilien bei der Pforte, Graf Marini (der seinerseits ein Schwiegersohn des kaiserlichen Staatskanzler Franz von Thugut [1736-1818] war). Von 1808 bis 1810 war Gaspard chargé d'affaires. Von 1810 bis 1814 arbeitete er weiter im Interesse der Niederlande in der Kanzlei zusammen mit drei Dragomanen und einem Sprachknaben unter den Autorität des französischen Botschafters an der Pforte. Von 1814 bis 1825, wieder in der Rolle eines Geschäftsführers, war er erfolgreich im Einvernehmen mit dem Reisefendi (also de facto dem osmanischen Außenminister) bei der Wiederöffnung der niederländischen Botschaft und erwirkte die Erneuerung der Kapitulationen seines Landes. Von 1814 bis 1819 beschäftigte sich Gaspard Testa mit der heiklen Frage der Anerkennung des Königstitels von Wilhelm I. von Oranien durch die Pforte. Der osmanische Traditionalismus hatte offenbar Mühe, diese Wandlung des altbekannten Statthaltertums der Oranier zu verstehen. Gute diplomatische Arbeit leistete er auch, als er dem Königreich der Niederlande Zugang zum Schwarzen Meer verschaffte. Während der Zeit des griechischen Aufstands (1821—1829) erlebte die niederländische Botschaft an der Hohen Pforte noch einmal eine große Zeit. Die Interessen der kriegführenden Staaten Großbritannien, Frankreich und Rußland wurden damals von Holland vertreten, und so spielten die Niederlande wieder die Rolle einer Großmacht. Der neu ernannte Botschafter Hugo Baron van Zuylen (in Istanbul von 1825 bis 1834) erkannte aber bald, daß der Levantiner Testa für die Abwicklung der Botschaftsgeschäfte unentbehrlich war. Nach 1834 war Testa wieder auf seinem alten Posten. Im Jahr 1843 wurde er zum Minister-Residenten der Niederlande bei der Pforte befördert. Er hatte also den dritthöchsten diplomatischen Rang im neuen System des Wiener Kongresses inne. Sein ererbtes Netz von levantinischen Verwandten erstrahlte noch bis etwa 1850 im alten Glanz. Gaspard Testa krönte seine Laufbahn im Westen im Jahr 1847 durch die von König Wilhelm I. ausgesprochene Aufnahme in den niederländischen erblichen Adelsstand als Baron (nur Erstgeborene führten diesen Titel). Er lag damals auf dem Sterbebett, aber seine Nachkommen waren auf dieser Weise de jure alle zu Holländern geworden. Gaspard hatte neun Söhne. Diese (in Holland mit dem Prädikat „Jonkheer" versehenen) Testa - François (1806-1882), Dominique (1811-1860) und Émile (18211896) - standen alle als Dragomane und Karrierediplomaten in holländischem Dienst, aber sie dienten nicht mehr in der Levante. François war Minister-Resident in Stockholm und Brüssel, danach Gesandter in Washington. Dominique war Sprachknabe, Zweiter Dragoman und Kanzler an der niederländischen Botschaft in Istanbul. Antoine (1813-1879) wurde zur Erziehung 1822 nach Marseille geschickt und nach fünf Jahren weiter nach Holland, um dort Niederländisch zu lernen - eine Ausbildung zum „richtigen" Holländer, die vorher schon sein älterer Bruder François am damals renommierten Jesuiteninternat in Katwijk bei Leiden, wo er von 1827 bis 1831 blieb, erhal-

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ten hatte. Später in Istanbul widmete er sich dem traditionellen Beruf der Testa, dem Kaufmannsstand. Der jüngste Bruder firmle wurde ebenfalls zur Ausbildung außer Haus geschickt, zuerst nach Genf, dann zur Vervollständigung seiner akademischen Studien nach Holland, wo er an der Universität Leiden Doctor Juris wurde und somit in das Außenministerium in Den Haag eintreten konnte, fimile Testa wurde zum General-Konsul der Niederlande in Tripolis und Tunis (ca. 1855 und ca. 1877 bis 1892). Zwischen seinen beiden Amtszeiten in Nordafrika diente er auch als Konsul in Mannheim (ca. 1875). Ein weiterer Sohn Paul (1808-1870) blieb als Kaufmann in Istanbul. Seine Firma machte 1840 bankrott. Interessanterweise wurde er von der osmanischen Regierung dann zum Konsul in Brüssel ernannt, er konnte somit, wenn auch nicht mehr als Dragoman, noch eine Vermittlerrolle für seine Adoptivkultur - oder war es eine Rückkehr in die osmanische „Protektion" anstelle der niederländischen Protektion? - spielen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwanden die Testa allmählich von den diplomatischen Bildfläche im Osmanischen Reich. Sie waren fast alle zu „normalen" Österreichern, Preußen, Niederländer oder Franzosen mutiert. Sie dienten ihren neuen Heimatländern als Diplomaten und Konsule überall in der Welt. Im Hinblick auf das Familieninteresse schien ein Dienst in der Levante nicht mehr attraktiv. Ihr angestammter levantinischer wurde zu einem europäischen Kosmopolitanismus. Ein Beispiel: Hannibal de Testa (1858-1910) traf bei der internationalen Konferenz von Algeciras (1906) seinen Vetter aus der preußischen Linie Carl Testa (1849-1911), den Sohn des Gründers dieses Zweigs der Familie, Constantin (1799-1875), und der Sophie, Baronin Hübsch von Großthal (d. h. aus einer alten levantinischen Familie von Bankiers und Dragomanen in dänischen und preußischen Diensten). Die beiden traten als bevollmächtigte Gesandte ihrer damaligen Heimatländer, der Niederlande und des Deutschen Reiches, auf. Resümee Im Jahre 1869 wurde von der Hohen Pforte das Gesetz über die osmanische Nationalität publiziert. Paradoxerweise beschleunigte dies die Transformierung der alten levantinischen Dragomandynastien. Das alte System der fremden Protektion mittels der Anstellung von Beratern seitens der Pforte wurde jetzt zahlenmäßig stark reduziert. Die alten Privilegien des Systems der Kapitulationen verschwanden damit. Das alte diplomatische Instrument der Westmächte in den Ländern des Sultans, die Protektion der sogenannten Barattairs oder, wie sie seit 1863 offiziell hießen, „privilegierten Untertanen" (sie waren also immer noch osmanische Staatsangehörige), war zahlenmäßig dermaßen angewachsen, daß es für beide Parteien immer mehr zur Last wurde. Die Protektionsrechte wurden in gegenseitigem Einvernehmen auf die Nachkommen der altetablierten Schützlinge beschränkt. Die Wahl einer „fremden" Staatsangehörigkeit des traditionellen Arbeitgebers lag nun auf der Hand. 1867 war laut dem Almanach de Gotha kein einziger Testa mehr im Dienste einer Botschaft oder eines Konsulates irgendeiner der Westmächte in der Levante tätig. Die Entfremdung, Verwestlichung und schließlich Aussiedlung der elitären Levantiner Dragomandynastien wurde also beschleunigt. Als Resultat verloren die alten Dragomane ihre interkulturelle Vermittlerrolle, ihren intermediären Status zwischen dem islamischen Osmanenreich und dem Westen zur Gänze.

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Die Aufzählung dieser vielen, historisch nicht gleichermaßen wichtigen Namen sollte dazu dienen, die obige Skizze des Unterganges einer interkulturellen, polyglotten, transnationalen Gemeinschaft der sogenannten Levantiner vor dem Hintergrund ihrer Familiengeschichte in den Kontext der Geschichte des Osmanischen Reiches zu stellen. Anhand dieses Fallbeispiels, angesiedelt im Kontaktgebiet der Kulturzonen des Westens und des Ostens, läßt sich der tatsächliche Spielraum der Möglichkeiten des interkulturellen Verkehrs und dessen Begrenzung besser verstehbar machen. Das Beispiel der osmanischen Levante in der Frühen Neuzeit zeigt, daß auch damals ein sehr hoher, individuell völlig gelungener Grad der Verwestlichung für eine beschränkte Elite im Bereich des „internationalen Verkehrs", der diplomatischen, kommerziellen und interkulturellen Beziehungen zwar ein erfolgreiches Dasein mit Erwerbung großer materieller Wohlfahrt für eine Person, deren Familie und Generationen von Nachkommen erbringen konnte, daß aber dieser private Entwicklungsprozeß dem Gemeinwesen, Land, Staat und Gesellschaft, zu denen die betreffende Person gehörte, auf Dauer nichts nützte, ja daß diese wertvollen Einwohner aufgrund der wachsenden sozialen und ökonomischen Entfremdung ihrer ursprünglichen Heimat im Orient verloren gingen und in den Westen auswanderten.

Stammbaum der Dragomanenfamilie Testa Die österreichischen und die holländischen Linien (in gekürzter Form) Osterreich [Austria = A] IV Gaspard Testa, 1684-1758, h. I 1715 Maria de Negris Aus dieser Ehe: u. a. 1. Bartolomeo folgt AVa 2. Francesco/Franz, 1717-1787, h. 1751 Anna Fornetti, 1727-1799 Aus dieser Ehe: Carl, 1753-1820 3. Lucia, 1722-1745, h. Gaspar Mommartz, 1696-1761 AVa Bartolomeo Testa, 1723-1809. Freiherr von Testa d. d. 19. 3. 1807, h. Theresia Fonton, 1743-1798. Aus dieser Ehe: 1. Anton folgt A Via 2. Enrico, 1763-1789, folgt AVIb 3. Gaspar, 1777-1814 4. Elisabetta, 1769-1846, h. Ignaz Stürmer, 1752-1829 AVIa Anton Testa, 1768-1839, h. I 1797 Lucrezia Beneveni,1776-1812; h. II 1813 Lucia de Chirico, 1790-1874 Aus I: u. a. 3. Bartolomeo, 1804-1859 (Gesandtschaftsrat) 4. Henri/Heinrich, 1807-1876 (Dragoman, Gesandter) 5. Ignace folgt Vllb Aus II: u. a. 6. Theresa, 1816-1885, h. 1833 Eduard Klezl 7. Theophil, 1820-1873 (Sekretär des Großvezirs, Dragoman von Toskane u. Preussen) 8. Carlo Valentin, 1823 - unbekannt

Die D r a g o m a n e 1 7 0 0 - 1 8 6 9 . Z u m Verlust ihrer interkulturellen F u n k t i o n

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AVIIb Ignace de Testa, 1812-1873, h. 11841 Sophie Darabet f l 8 4 8 ; II 1850 Marie Fatalla Vekilzade (Witwe Guillaume Chabert von Ostland, 1800-1846) f l 8 6 0 ; III 1862 Rosine Fatalla Vekilzade, 1820-1896 Aus I: u. a. 1. Alfred folgt AVIIIb 2. Leopold, 1847-1924, h. 1875 Marie von Jaba, 1852-1899 AVIIIb Alfred de Testa, 1843-1932, h. 1875 Ariane Fabrizzi, 1853-1930 Aus dieser Ehe: u. a. 1. Viktor, 1877- unbekannt 2. Henri, 1880-1964 (französischer Offizier), h. 1914 Juliette Picquet Pellorce Aus dieser Ehe gibt es Nachkommen (Generationen IX u. X) AVIb Enrico/Heinrich Testa, 1783-1789, h. 1787 Caterina Matarelli, f l 8 4 3 Aus diese Ehe: Bartolomeo, 1788-1849, h. 1820 Amelia Bersina von Siegenthal, 1802-1879 Aus dieser Ehe: u. a. 1. Henri folgt AVIIIc 2. Charles folgt AVIIId AVIIIc Heinrich von Testa, 1821-1866 (Königgrätz!), h. Marie Hirsch, 1 8 3 0 1892 Aus dieser Ehe gibt es Nachkommen (Generationen IX u. X). AVIIId Charles de Testa, 1840-1921, h. Antoinette Roussy-Jossilon Aus dieser Ehe: Émile de Testa, 1878-1936 (?) N.B. Die Ostereichische Linie ist heute ausgestorben. NIEDERLANDE [HOLLAND = H ]

IV Gaspar(d) Testa, 1684-1758, h. I 1715 Maria de Negris. Aus dieser Ehe: u. a. 1. Bartolomeo Testa, siehe Va 2. Jacques/Giacomo folgt HVb HVb Jacques Testa, 1725-1804, h. I 1762 Lucie Fonton. Aus dieser Ehe: u. a. 1. François/Francesco, 11829 2. Gaspard folgt HVI HVI Gaspard/Gasparo, seit 1847 (im Königreich der Niederlanden) Baron Testa, 1770-1847, h. I 1804 Catherina Contessa de Marini, 1789-1824; h. II 1829 Carolina Dantan, 1795-1888 Aus I: u. a. 1. Antoine folgt HVIIa 2. François Baron Testa, 1806-1882, niederländischer Gesandter zu Brüssel u. Stockholm. 3. Paul, 1808-1870 4. Dominique, 1811-1860 5. Émile folgt HVIIb

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HVIIa Jonkheer Antoine Vincent Jean Chrysostome Testa, 1813-1879, h. Carolina Meglia Aus dieser Ehe: Fortuné folgt HVIII HVIII Jhr. Fortuné Erasme François Jean Testa, 1852-1909, h. 1888 Maria GiuseppinaMarengo, 1866-1928 Aus der Ehe: u. a. 3. Théodore Baron Testa folgt HIXa HIXa Mr. Théodore Marie Erasme Baron Testa, 1900 (Istanbul)-1972 (Den Haag), h. 1932 Mr. Hermine Marie Ignata Everard, 1904-1987 Aus der Ehe: 1. Caspar Ludovicus Paulus Maria Baron Testa, geb. 1933 (der heutige Chef der Familie in Holland) 2. Oscar, geb. 1943 3. Théodore, geb. 1937 4. Jhr. Andreas Testa, geb. 1942 5. Jhr. Patrick Testa, geb. 1945 Es gibt Nachkommen von 2., 3. und 5. (d. h. Generation XI). HVIIb Jhr. Mr. Émile François Heliodore Testa, 1821-1896, h. 1849 (?) Emilia Euphrosina Contessa Rossoni di San Giovanni della Venna, 1823-1872 Aus dieser Ehe u. a.: 1. Jhr. Gaspard Marie Raban Testa, 1861-1934 2. Jhr. Franz Émile Sebastien Testa, 1863-1942, h. I 1882 Louise Angèle Madeleine Carpena, 1867-1932 Aus dieser Ehe: u. a. Jhr. Gaspard Franz Felix Carmel Testa, 1901-1981, h. 1921 Noëlle Mulle, 1899-1979 Aus dieser Ehe stammt die heutige Holländisch-Französische Linie (Generation X) Jhr. Rudolph Émile Jules Testa, 1883-1969 (Tanger), h. 1913 Elna Theresia Wilhelmina Maria Pelgrom von Motz, 1889-1982 (Rabat) Aus dieser Ehe: u. a. Jhr. Rudolf Hannibal Josephus Maria Testa, geb. 1921 (Tanger) (Gesandtschaftsattaché bei der niederländischen Botschaft zu Rabat) N.B. Der Titel eines „Baron im Königreich der Niederlanden" wurde von König Wilhelm I. nur in der Primogenitur verliehen. Deshalb gibt es in jeder Generation des holländischen Zweiges der Testa nur einen Baron Testa. Die jüngeren Brüder tragen das Prädikat „Jonkheer" [Jhr.]. Die Töchter der Familie tragen das Prädikat „Jonkvrouw".

Erziehung in guten Sitten, Andacht und Gehorsam. Die 1754 gegründete Orientalische Akademie in Wien Ernst Dieter Petritsch Zu Beginn des Monats April 1753 überreichte der Jesuitenpater Josef Franz Kaiserin Maria Theresia eine Alleruntertänigste Anmerkung über die Auferziehung deren Türkischen Sprachknaberr, ein zweites, etwas ausfuhrlicheres Memorandum folgte Anfang Juni. In beiden äußerte der Pater massive Vorbehalte bezüglich der angeblich mangelhaften Ausbildung der so genannten Sprachknaben1. Es ging um die Ausbildung von Dolmetschern und Diplomaten, wie sie etwa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts an der kaiserlichen Gesandtschaft in Konstantinopel praktiziert wurde. Dort konnten die Sprachknaben an Ort und Stelle nicht nur praxisnah die fremde Sprache erlernen, sondern auch erste Erfahrungen im Umgang mit Menschen einer fremden Kultur sammeln und sowohl die Mentalität der Türken als auch die islamische Kultur kennenlernen. Gleichzeitig dienten sie in der Kanzlei der kaiserlichen Internuntiatur relativ kostengünstig als Schreibkräfte. Sie erhielten ein Gehalt von jährlich 600 Gulden, wovon sie die Hälfte dem Residenten, der den Titel Internuntius führte, für Kost und Quartier zu entrichten hatten; die andere Hälfte wurde für Kleidung und Bücher sowie für die Entlohnung der türkischen Sprachlehrer aufgewendet. Nach mehrjähriger Ausbildung wurden die besten von ihnen zunächst zu einfachen Dolmetscherdiensten herangezogen, danach lernten sie in Begleitung der regulär angestellten Dolmetscher die höhere Staatspolitik an der Pforte kennen2. In den diplomatischen Beziehungen spielte die Kenntnis der osmanisch-türkischen Sprache eine nicht unwesentliche Rolle, sodaß der Beschäftigung mit dem Türkischen in Österreich stets eine nicht zu unterschätzende politische Komponente zukam. Die Habsburger waren bereits seit dem Jahre 1547 durch ständige Residenten an der Pforte vertreten. Anfangs zogen die Residenten für diesen Dienst meist in Konstantinopel ansässige Christen heran, denen jedoch keine besondere Zuverlässigkeit nachgesagt wurde.

1 Allerunterthänigste Anmerckung über die Auferziehung deren Türckischen Sprach-Knaben, Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (künftig: HHStA), Staatskanzlei (StK) Interiora 55, Konv. 1753, fol. 1-10. 2 Vgl. dazu auch: Ernst Dieter PETRITSCH, Die Anfänge der Orientalischen Akademie, in: 250 Jahre. Von der Orientalischen zur Diplomatischen Akademie in Wien, hg. von Oliver RATHKOLB (Inns-

bruck 2004) 4 7 - 6 4 .

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Am Wiener Hof ist übrigens bereits seit dem Jahr 1541 der Posten eines Türkisch-Dolmetschers (Tulmatsch) nachweisbar3. In der Ausbildungspraxis der erwähnten Sprachknaben an der kaiserlichen Internuntiatur in Konstantinopel war es im Laufe der Zeit jedoch zu Unzulänglichkeiten gekommen, denen der Jesuitenpater nicht länger zusehen konnte und wollte: Gegen die Sprachausbildung habe er zwar nichts einzuwenden, Die Sprachmeister sind zahlreich und die Übung in der Landessprach' ist zu Konstantinopel täglich, aber es mangle an der nötigen geziemenden Fürsorg durch den Internuntius in Konstantinopel. Diesen persönlich träfe daran wenig Schuld, seien doch seine zahlreichen Amtspflichten mit dem Schulmeister-Amt nicht leicht zu vereinigen. Die jungen Männer, so der Jesuitenpater, sollen sich jedoch mehr den gesellschaftlichen Vergnügungen als den Sprachstudien gewidmet haben, außerdem würden sie den heimatlichen Sitten entfremdet: Den angeblichen Ausschweifungen anläßlich großer Tafeln, Besuchen bei Botschaftern etc., die weder zur Erlernung und Übung der Sprache noch zur Erhaltung oder Verbesserung deren Sitten etwas ersprießliches beitragen, auch für die Jugend viel zu bedenklich und gefahrlich seien, konnte Pater Franz wenig abgewinnen. In seiner Alleruntertänigsten Anmerkung macht er den Internuntien schließlich sogar unterschwellig den Vorwurf, sie hätten sich an der hohen großmütig begnadigten Besoldung von jährlich 600 fl. insofern bereichert, als sich die ursprüngliche Anzahl von sechs Sprachknaben im Laufe der Zeit verdoppelt habe. Überdies seien auch völlig ungeeignete Sprachknaben zehn Jahre, in manchen Fällen sogar bis zu 16 Jahre lang ausgebildet - und somit auch ausgehalten - worden. Es sei kein Wunder, daß manche dieser Sprachknaben nach vielen Lehrjahren wegen offenkundiger Unfähigkeit entlassen werden mußten. Zum Inhalt eines Gutachtens des Hofkriegsrates, die Sprachknaben könnten auch der Obsorge des Trinitarier-Ordens in Konstantinopel-Pera übergeben werden, konterte Pater Franz, die Patres wären damit glatt überfordert, außerdem stünden sie unter dem Schutz - und damit dem Einfluß - des Internuntius. Nach dieser ausführlichen Einleitung machte Pater Josef Franz Maria Theresia den Vorschlag, eine Sprachanstalt in Wien, wo die Höchste Anwesenheit des Hofs denen Lernenden einen besonderen Trieb beilegt, einzurichten. Die türkische Sprache könne genauso gut außerhalb Konstantinopels (wie auch die französische außerhalb von Paris) erlernt werden. Er kannte Maria Theresia nur allzu gut, war er doch einer der Erzieher ihres Sohnes Joseph, des nachmaligen Kaisers Joseph II. Und er wußte, wie er sie für seine Pläne gewinnen konnte: Die gemeinsame Unterbringung in einem Seminario, die Beobachtung einer genauen Haus-Zucht werde zur Verfuhrung gar keine Gelegenheit geben und den Sprachknaben keine Gelegenheit zur Vermischung mit dem ungleichen Geschlecht oder vieler anderer Jugend bieten, sie sollen ehrsame Kleidung tragen und ausreichend Nahrung erhalten. Ein weltlicher Vorsteher solle sich um die von ihm, Pater Franz, anzuordnende Tag- und Haus-Ordnung, die Andacht, die Frömmigkeit, die Sitten, die Sauberkeit und den Fleiß kümmern bzw. dies alles überwachen 4 .

3 Ernst Dieter PETRITSCH, Die Wiener Turkologie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: GermanoTurcica. Zur Geschichte des Türkisch-Lernens in den deutschsprachigen Ländern, hg. von Klaus KREISER (Schriften der Universitätsbibliothek Bamberg 4, Bamberg 1987) 25-40. 4 Allerunterthänigste Anmerkung (wie Anm. 1) und Allerunterth. ohnmaßgeblicher Fürschlag Josephi Franz Soc. Jesu, wie die Erziehung und Belehrung deren Türckischen Sprach-Knaben zu Wienn flirzunehmen wäre, HHStA, StK Interiora 55, Konv. 1753, fol. 12-21.

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Sein zweites Argument sprach die bekannte Sparsamkeit von Maria Theresia an: Die Ausbildung von acht auszubildenden Sprachknaben in Wien werde das Hohe Ärar alles in allem jährlich nur mit 3.000 Gulden belasten, die Ausbildung derselben Anzahl käme in Konstantinopel hingegen um 1.800 Gulden teurer! Diesen Argumenten konnte sich die gleichermaßen fromme wie auch sparsame Maria Theresia wohl nicht verschließen. Josef Franz (1704-1776) 5 war Jesuitenpriester und Astronom. Als Sekretär des Großbotschafters (1740/41) Anton Corfiz Graf Ulfeid6 hatte er Türkisch gelernt und diplomatische Erfahrungen gesammelt. An der Wiener (Jesuiten-) Universität lehrte er seit 1743 Mathematik, Astronomie und Experimentalphysik, überdies erteilte er Erzherzog Joseph, dem nachmaligen Kaiser Joseph II., Philosophieunterricht; im Auftrag Maria Theresias hat er später das Bergwesen sowie die Einfuhrung einheitlicher Maße und Gewichte in der Monarchie überwacht. Er selber wolle sich gar nicht anmaßen, Sprachunterricht zu erteilen, obwohl er selbst eine kurz gefaßte Methode der Türckischen Grammatical-Gründen herausgegeben habe. Deshalb schlägt er als Sprachlehrer einen in Wien lebenden Armenier namens Joseph vor, der an Sprachkundigkeit denen Sprachmeistern zu Constantinopelgleich oder überlegen sei, außerdem habe er von dem Orientalischen Unwesen nichts Übriges als die fremde Kleidungs-Art. Seine Sitten, sein christlicher Wandel und sein Seelen-Eifer haben etwas Besonderes1. Weniger Erfolg war hingegen der Argumentation des kaiserlichen Internuntius in Konstantinopel, Penckler, beschieden. Heinrich von Penckler (1700-1774) 8 war 1719 mit dem kaiserlichen Großbotschafter Damian Graf Virmont nach Konstantinopel gekommen, 1726 zum Dolmetsch und 1745 zum Internuntius ernannt worden. 1747 wurde er nach der Erneuerung des Friedens von Belgrad schließlich in den Freiherrenstand erhoben. Vergeblich wies Penckler auf die Praxisnähe der Sprachausbildung im Ausland hin. Die türkische Sprache, so Penckler in seiner Replik wörtlich, sei wohl auch aus Büchern zu lernen, sie werde aber nur durch die Praxis bei der Nation perfectioniret. So müßten die Türkische Staats-Maximen und Gesetze, auch der Humor und modus tractandi negotia in loco studiret werden, indem man öfters mit einem Wort mehr oder weniger alles verderbe9. Der Tonfall der in Konstantinopel verwendeten türkischen Sprache und der korrekte Umgang mit den Würdenträgern der Pforte könne überdies nur durch geborene, in Konstantinopel ansässige Türken einwandfrei unterrichtet werden. In der Vergangenheit seien zwar Fehler gemacht worden, indem gelegentlich völlig ungeeignete Personen durch Protektion einflußreicher Persönlichkeiten als Sprachknaben aufgenommen werden mußten, doch wäre bei regelmäßiger Überprüfung ihrer Fortschritte dieses Problem durchaus zu bewältigen gewesen. Penckler gibt zu bedenken: Als Ersatz für jene Sprachknaben, die bisher in Diensten der kaiserlichen Internuntiatur in Konstantinopel standen, müßten künftig zusätzliche Dolmetscher und Sekretäre angestellt werden, überdies würden mit dem Wegfall des Kostgelds für die Sprachknaben der kaiserlichen Internuntiatur finanzielle Mittel fehlen,

5 6

WURZBACH 4 (1858) 342f. WURZBACH 4 8 (1883) 2 9 0 - 2 9 2 .

7

Allerunterth.

8

Fürschlag (wie Anm. 4).

WURZBACH 21 (1870) 4 5 2 - 4 5 4 . 9 Bericht Pencklers an Maria Theresia, Pera bei Konstantinopel, 1. Juni 1753, H H S t A , Türkei II 25, Konv. Berichte 1753 I V - V I I I , fol. 1 0 2 - 1 0 6 .

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was negative Auswirkungen auf das diplomatische Renommee der kaiserlichen Internuntiatur haben könnte. Überdies wären nach seiner Ansicht mindestens zwei türkische Sprachlehrer nach Wien zu berufen, was zusätzlich enorme Summen verschlingen werde. Schließlich mußte auch Pater Franz einräumen, daß ein Praktikum in Konstantinopel für die künftigen Dolmetscher äußerst nützlich und sogar unbedingt notwendig wäre: Nach Beendigung ihrer Sprachausbildung sollten die zwei besten der acht Sprachknaben nach Konstantinopel entsandt werden, um in Begleitung des k. k. Dolmetschers auch die türkische Landesart, das Hofoeremoniell und die allda gewöhnlichen Höflichkeitsund Besuchungs-Gebräuche begreifen zu können 10 . Diesem Vorschlag konnte sich auch Staatskanzler Kaunitz anschließen: Die derzeit in Konstantinopel anwesenden Sprachknaben sollten nicht, wie er noch am 9. Juni 1753 Maria Theresia empfohlen hatte 11 , nach Wien zurückberufen werden. Hingegen wären die in denen Orientalischen Sprachen bereits etwas geübten Knaben zur Vertiefung ihrer Kenntnisse nach Konstantinopel zu entsenden, wobei sie gleichzeitig einen guten Grund Christ-katholischer Religion und reiner Sitten aus dem Seminario mit sich in die Türkei brächten12. Künftig sollten die Absolventen der Akademie tatsächlich der Internuntiatur in Konstantinopel zur Dienstleistung zugeteilt werden. Offiziell wurden sie hinfort Dolmetschgehilfen genannt, wenn auch die alte Bezeichnung Sprachknaben noch lange in Gebrauch war. Auf Anraten Kaunitz' nahm Maria Theresia die am 20. April 1753 an Penckler ergangene Weisung 13 , sämtliche Sprachknaben im Sommer desselben Jahres nach Wien zu entlassen, bereits zwei Monate später wieder zurück: Da wir aber Unseren höchstem Dienst gemäss finden, es diesfalls etwas anders zu halten, so tragen Wir dir nunmehr mildest auf, mit der Heraussendung dieser Unserer Sprach-Knaben in so lange noch zuzuwarten, bis Wir dir hierüber Unsere gnädigste Willensmeinung näher werden eröffnet haben14. Freiherr von Penckler wurde übrigens bereits 1754 durch den Hofkriegsrats- und Orientalischen Sekretär Josef von Schwachheim abgelöst — ob die Abberufung mit seiner Haltung in der Frage der Sprachknaben in unmittelbarem Zusammenhang stand, läßt sich leider nicht mehr feststellen. Von 1762 bis 1766 kehrte Penckler jedoch nochmals auf den Posten eines Internuntius an der Pforte zurück 15 . Nachdem Staatskanzler Wenzel Graf Kaunitz-Rietberg die bereits erwähnten Vorschläge des Paters Franz befürwortend vorgelegt hatte, bewilligte Maria Theresia eine Vorauszahlung der jährlichen Dotation von 3.000 Gulden 16 . Am 22. Oktober 1753 schlug Josef Franz der Regentin aus einer Anzahl von Kandidaten für den ersten Jahrgang der neu zu errichtenden Akademie acht junge Männer vor. Als Auswahlkriterium

10 Wie und wann die übrigen sechs Zöglinge solche Erfahrungen sammeln sollten, darüber äußert sich Pater Franz freilich nicht: Allerunterth. Fürschlag (wie Anm. 4). 11 HHStA, StK Vorträge 72, Konv. 1753 VI, fol. 27f. 12 HHStA, StK Interiora 55, Konv. alt 67a/B, fol. 3 3 - 4 0 . 13 HHStA, Türkei II 25, Konv. Weisungen 1753, fol. 37f.; Auszug daraus: HHStA, StK Interiora 55, Konv. alt 67a/B, fol. 11. 14 HHStA, Türkei II 25, Konv. Weisungen 1753, fol. 7 0 - 7 3 . 15 Erwin MATSCH, Der auswärtige Dienst von Österreich(-Ungarn) 1720-1920 (Wien-Köln-Graz

1986) 109. 16 Vortrag des Staatskanzlers Wenzel Anton Graf Kaunitz-Rietberg vom 9. Juni 1753, HHStA, StK Vorträge 72, Konv. 1753 VI, fol. 27f.

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spielte neben dem bisherigen Schulerfolg und Fleiß auch das Herkommen eine gewisse Rolle17: Kandidaten, deren Väter die k. k. Dienste längere Jahre getreu versehen oder vormals hiemit beschäftigt waren, deren Herkommen oder Standeswürde ehrlicher und die an Zahl der Kinder von Gott gesegneter seien, wurden bevorzugt; die folgenden Kriterien hielt Pater Franz ausdrücklich fest18: Bernhard Jenisch {Jurista im 1. Jahr): Sein verstorbener Vater war Hofkriegsrats-Sekretär und hinterließ 7 Kinder; Franz de Paula Thugut (Absolutus Philosophus) spricht Italienisch, Französisch, Spanisch, Altgriechisch und war in allen Schulen beständig unter den Besten: Sein Vater ist k. k. Kriegskassa-Verwalter in Linz und hat im letzten Krieg die Militär- und CameralKassa von Linz nach Wien mit seiner großen Gefahr salviert, Franz Zechner von Thalhofen (Rhetor): Sein Vater ist k. k. Hofrat beim Münz- und Bergwesen und hat sich große Verdienste um nützliche Bergbau-Einrichtungen in Ungarn erworben, er hat vier oder fünf [!] Kinder; Franz Anton Woller (Logicus): Sein Vater ist niederösterreichischer Landschafts-Sekretär und hat 12 Kinder in Leberr, Antonius de Salazar (Logicus)-. Der Vater ist k. k. Rat und war vormals Geheimer Kammer-Zahlmeister bei der verstorbenen Kaiserin Elisabeth, er hat sieben Kinder; Josef Racher {Logicus)-. Sein verstorbener Vater war bei Kaiser Karl VI. Kontrollor über das Gestütwesen und hatte besondere verheißene Gnaden zu erwarten, wenn Gott ferneres Leben gewährt hätte; er hinterließ sechs Kinder; Thomas Herbert (Rhetor) hat im vergangenen Jahr das allererste Praemium aus der fünften Schule an der Universität Wien erhalten; er kann Italienisch, Griechisch, mittelmäßig Französisch und hat sich schon lange im Türkischen geübt. Der vor sechs Jahren verstorbene Vater war geborener Engländer und von gutem Adel, verließ aber England wegen der katholischen Religion und derwegen zugestandenen Verfolgungen, er hinterließ sechs unversorgte Kinder; Franz von Stegern (Poeta) spricht Französisch, ein wenig von der böhmischen Sprach und besitzt eine ungemeine Fähigkeit zu allen Wissenschaften: Der Vater ist k. k. TitularKommerzienrat und Vizedirektor der Orientalischen Kompanie, er hat sieben Kinder. Unter den weiteren, namentlich genannten Kandidaten (Josef Friedrich Großbauer, Thomas und Johannes Schlegelhofer, Maximilian von Lebern, Franz Xaver Zell, Johann Nepomuk Kohn, Martin Wistorff und Franz de Paula Glezl) wurde anstelle des noch zu jungen Franz de Stegern ausdrücklich empfohlen: Franz de Paula Glezl (recte: Klezl, Logicus) hat in allen Schulen wegen seiner Studien, guten Sitten und Aujfuhrung größtes Lob erhalten: Sein Vater ist Kaufmann in Wien und hat zehn Kinder. Wie vorgeschlagen, gehörten dem ersten Jahrgang der exakt am 1. Jänner 1754 eröffneten Akademie der Orientalischen Sprachen Bernhard Jenisch, Franz de Paula Thugut, Franz Zechner von Thalhofen, Ignaz (!) von Woller, Antonius de Salazar, Josef Racher und Thomas Herbert an, weiters der ersatzweise empfohlene Franz de Paula Klezl. Antonius de Salazar wurde jedoch bald wegen eines Mangels in den Augen aus der Akade17

Zur Frage des Herkommens der Akademiker vgl. auch den Beitrag von Michaela Wolf in diesem

Band. 18

Ailerunterthänigster

ohnmaßgeblicher

Fürtrag der Allergnädigst zu benennenden

[...], HHStA, Konsularakademie 52, Mappe Studienwesen teriora 55, Konv. 1753, fol. 22-26.

undLehrpersonale;ebenso

8 Sprachknaben

in HHStA, StK In-

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mie entlassen und zur Miliz [!] befördert, an seine Stelle trat im März 1754 der erst I4jährige Franz von Stegern19. Von 1754 bis 1770 war die Akademie der Orientalischen Sprachen in der Philosophischen Stube des Jesuiten-Kollegiums der Wiener Universität untergebracht. Ihr erster Direktor war von 1754 bis 1769 Pater Josef Franz. Am 1. April 1754 legte er der Regentin eine Allerunterthänigste Viertel-Jährige Information [...] über das Verhalten der acht Knaben in der K. K. Academia der Orientalischen Sprachen [.. .] 20 vor. Die Reihenfolge der Aufgaben, denen sich der Direktor gerne unterzog, unterstreicht die Bedeutung, die er ihnen zugemessen hat: Gemäß der Allerhöchsten Gesinnung soll die hier angestellte Jugend in guten Sitten, in der Furcht Gottes und zu den allerschuldigsten Diensten, Liebe und Treue gegen Eure Majestät erzogen werden. Sie soll alle Wissenschaften erlernen, wozu die lateinischen — sowohl untere als höhere Schulen — die Einleitung oder Weiterbildung liefern sollten. Erst weiters erstrecke sich die Aufgabe der Akademie auf die türkische Sprachkundigkeit [...]. Große Sorge legte Pater Franz hingegen darauf, daß die mir Allergnädigst anvertraute Jugend die von verschiedener Erziehung anklebenden Mängel ablege, Standes-, Alters- und berufsmäßige Sitten annehme oder bewahre und ihre Schuldigkeit gegen Gott und Eure Majestät erkenne und befolge. In einer Tabelle wurden die Natürliche Fähigkeit und Leichtigkeit im Lernen, Fleiß, Fortgang in den lateinischen Studien, Fortgang in der Türkischen Sprach, die Handschrift und nicht zuletzt Sitten, Andacht und Gehorsam, bei einzelnen Zöglingen auch der Fortgang in anderen Sprachen und der Fortgang in Studio Geographiae und Historiae beurteilt. Der Türkisch-Unterricht scheint also nach einer ganzheitlichen Methode erfolgt zu sein. Arabisch und Persisch wurden anfangs noch nicht gelehrt; der Grund dafür ist wohl darin zu suchen, daß der (oder die) Sprachlehrer diese beiden Sprachen, deren Kenntnis für das volle Verständnis der osmanisch-türkischen Sprache aber Voraussetzung ist, selber nicht beherrschte(n). Wer tatsächlich den Unterricht in Türkisch erteilte - der Armenier namens Joseph oder ein anderer - , wird in dem Vierteljahresbericht und in den folgenden Berichten allerdings verschwiegen. Jedenfalls hatten die Zöglinge in drei Monaten bereits einige türkische Sprichwörter gelernt, die sie samt lateinischer Übersetzung — vermutlich — bloß abzuschreiben vermochten, wie die dem Vierteljahresbericht beiliegenden Schriftproben der acht Zöglinge beweisen21. An Hand der lateinischen Transkription türkischer Sprichwörter lernten die Zöglinge die zweifache Aussprachs-Art, die Asiatische und die Constantinopolitanische, also Unterschiede des in der Hauptstadt bzw. in Anatolien gebräuchlichen Tonfalls — von Dialekten zu sprechen wäre etwas übertrieben 22 . Wesentlicher Bestandteil des Sprachunterrichts war aber, wie bereits erwähnt, die lateinische und zunehmend auch die französische Sprache. Direktor Franz selbst verfaßte Theaterstücke, etwa die Tragödie Godefroi de Bouillon, die in französischer und türkischer Sprache mehrmals vor Maria Theresia und ihrer Familie aufgeführt wurde 23 . 19 Erster Vierteljahresbericht vom 1. April 1754, HHStA, StK Interiora 55, Konv. alt 67a/B, fol. 47-50. 20 HHStA, StK Interiora 55, Konv. alt 67a/B, fol. 47-50. 21 Türckische Handschriften der acht Knaben, HHStA, StK Interiora 55, Konv. 1753, fol. 50-66. 22 Zweyfache Aussprachs-Art, die Asiatische und die Constantinopolitanische, worzu die Knaben angeleitet werden, HHStA, StK Interiora 55, Konv. 1753, fol. 68-72. 23 Der Text ist handschriftlich zweifach erhalten geblieben: HHStA, Orientalische Handschriften der ehemaligen Konsularakademie, n. 590.

Erziehung in guten Sitten, Andacht und Gehorsam

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In der Orientalischen Akademie wurde an sechs Wochentagen Unterricht erteilt. Die Ferien — im Ausmaß von drei bis vier Wochen - verbrachten die Zöglinge in einem Landhaus in Weidling bei Klosterneuburg, das Maria Theresia der Anstalt eigens zu diesem Zweck geschenkt hatte. Die Regentin kümmerte sich persönlich um den Fortgang der durch sie gegründeten Akademie und bekundete ihr Interesse durch zahlreiche Besuche. Bernhard von Jenisch (1734-1807) 24 kam bereits 1755 - zur Perfektion seiner Kenntnisse - nach Konstantinopel, war anschließend Grenzdolmetsch, dann Hofsekretär in der Staatskanzlei und 1772 interimistischer Geschäftsträger bei der Pforte. Jenisch wurde 1791 zum Hofrat in der Staatskanzlei ernannt und 1803 als Nachfolger Gottfried van Swietens Präfekt der Hofbibliothek. Etliche der allerersten Zöglinge der Orientalischen Akademie machten im Staatsdienst Karriere, vor allem Franz de Paula Freiherr von Thugut (1736-1818) 25 , der von 1769 bis 1776 die Stelle eines kaiserlichen Internuntius in Konstantinopel bekleidete und von 1793 bis 1800 als Minister der auswärtigen Geschäfte die österreichische Außenpolitik leitete. Nach seinem Rücktritt widmete er sich bis zu seinem Tod im Mai 1818 vor allem Studien der persischen Literatur. Zum Nachfolger des Paters Josef Franz wurde 1770 der bisherige Präfekt und Professor Pater Johann Nekrep (1738-1784) 2 6 ernannt. Im selben Jahr, im Juni 1770, verfaßte Johann B. Anton GrafPergen (1725-1814) 2 7 eine Instruction für die Orientalische Akademie in Wien als ein allgemeiner Plan für öffentliche Erziehungs- und Schul-Anstalten1%. Darin wurde erstmals das Amt eines Protektors der Akademie definiert, der die völlige Gewalt in die ganze Verwaltung der Stiftung innehatte, entweder durch den Augenschein oder durch Abforderung schriftlicher oder mündlicher Berichte. Als Protektoren wurden nach Staatskanzler Fürst Kaunitz-Rietberg Friedrich Freiherr von Binder-Kriegelstein (1708-1782) 29 , der Hof- und Staats-Vizekanzler Johann Philipp Graf Cobenzl (1741—1810)30 und der Staats- und Konferenz-Minister Franz Graf Colloredo stets mit größter Hochachtung genannt. Daneben wurden die Aufgaben des Direktors, der für Erziehung und Unterweisung und damit für den Grund des künftigen Glücks oder Unglücks der ihm anvertrauten Jünglinge verantwortlich war, sowie des Akademie-Präfekten und sämtlicher Lehrer detailliert angeführt und beschrieben. Nach Pergens Plan sollten alle Ordensgeistlichen aus den Lehrämtern entfernt werden, insbesondere von der Leitung öffentlicher Lehranstalten, doch erklärte der von Maria Theresia eingerichtete Staatsrat seine Pläne mangels einer ausreichenden Zahl weltlicher Lehrer für undurchführbar. Offensichtlich als Reaktion auf die erwähnte Instruktion verfaßte Direktor Nekrep 1773 erstmals Satzungen der k. k. Akademie der Orientalischen Sprachen. Einleitend erinnert er daran, daß die Akademie seit ihrer Errichtung bestrebt war, die Zöglinge neben der sprachlichen und wissenschaftlichen Ausbildung vor allem auf eine besondere Art in der Frömmigkeit und Gottesfurcht wohl erziehen und in mehr anderen Tugenden gleichsam 24 25 26 27 28 29 30

WURZBACH 10 (1863) 163f. Ebd. Bd. 45 (1882) 1 - 6 . Ebd. Bd. 20 (1869) 168. Ebd. Bd. 22 (1870) 1 - 5 . HHStA, StK Interiora 55, Konv. alt 67a/C, fol. 1 - 2 6 8 . WURZBACH 1 (1856) 399. WURZBACH 2 (1857) 391 f.

498

Ernst Dieter Petritsch

erhärten zu wollen - wie sich Allerhöchst Ihre k. k. Ap. Majestät mehrmalen deutlich selbst auszudrücken allermildest geruhet haben*1. Neun Paragraphen umfassen die Satzungen der Obern, 13 Paragraphen die Satzungen der Untergebenen. Während die Satzungen der Obern Anleitungen für den Umgang mit Jugendlichen enthalten, entsprechen die Satzungen der Untergebenen eher einer gründlichen Hausordnung. Die Reihenfolge der einzelnen Punkte ist freilich bemerkenswert: § 1. Von den Schuldigkeiten derjungen Leute gegen ihre Vorgesetzten — § 2. Von der Religion, von dem Gottesdienst und den geistlichen Dingen — § 3. Vom Aufitehen — § 4. Von der Tafel — § 5. Vom Schlafengehen - § 6. Von dem Umgange mit Auswärtigen — § 7. Von dem häuslichen Umgange mit ihren Mitgespähnen § 8. Vom Ausgehen — § 9. Von Ergötzungen — §10. Von der Aufbewahrung der Kleider, Bücher und anderer Fahrnisse, wie auch von dem Gebrauche des Geldes — § 11. Von der Sauberkeit und Wohlanständigkeit in Gebärden - § 12. Von orientalischen und anderen Sprachen — § 13. Von den Bedienten. Die Unterweisung in der Religion besteht darin, dass sie alle Hauptstücke der christlichen Lehrefleißiglernen und genau verstehen, dass sie einen unversöhnlichen Hass wider die Sünde immer in ihren Herzen ernähren und täglich dem Gottesdienst mit äußerlicher Ehrerbietigkeit und möglichster Andacht beiwohnen*2. Auch der zeitliche Ablauf des Tages war genau geregelt, an Schultagen etwa in folgender Weise - wobei zu bemerken ist, daß es keinen einzigen gänzlich unterrichtsfreien Wochentag gab: Um 6steht man auf, wäscht sich, verrichtet mit lauter Stimme das Morgengebet. Um halber 7 geht man zur hl. Messe; nach dieser betet man die Lauretanische Litanei samt einigen Gebeten. Darauf folgt das Frühstück, welches in einer Suppe besteht, dann bereitet man sich für die Schule bis 8 Uhr. Von 8 Uhr bis 10 Uhr Schule für die Humanisten zu Hause. Von den Juristen geht ein Teil von 8 bis 9 Uhr, der andere von 9 bis 10 Uhr in ihr Collegium an der Universität. Von einem Viertel auf 11 bis halber 12 Uhr Erlernung der französischen Sprache mit dem Sprachmeister. Von halber 12 bis halber 2 Uhr die Tafel, und die darauf folgende Ergötzungsstunde. Von halber 2 bis 3 Uhr türkische Sprache. Von 3 bis 5 Uhr wie Vormittag Schule für die Humanisten. Von den Juristen geht abermal ein Teil von 3 bis 4 Uhr, der andere von 4 bis 5 in die Universität, unterdessen repetiert der Correpetitor Juris mit einem Teil von 3 bis 4 Uhr, mit dem anderen von 4 bis 5 Uhr. Von 5 bis halber 6 Uhr Ergötzungszeit. Von halber 6 Uhr bis halber 7 Uhr türkische Sprache am Mittwoch, Montag und Freitag [...]. Von halber 7 bis 8 Uhr die Tafel und die darauffolgende Ergötzung. Von 8 Uhr bis ein Viertel auf9 Uhr die geistliche Lesung. Darauf verfüget man sich nach der alten Gewohnheit des Hauses auf den Chor, das hochwürdige Altarsgeheimnis anzubeten. Man verrichtet ein kurzes Gebet, geht in die Zimmer zurück und betet mit lauter Stimme für die Allerhöchsten Majestäten den Rosenkranz samt einigen Gebeten, macht die Gewissenserforschung und begibt sich in größter Stille gegen 9 Uhr in die Ruhe. Seit dem Jahr 1770 war aufAnordnung des Hof- und Staats-Vizekanzlers Johann Philipp Graf von Cobenzl ein einjähriger Präparandenkurs eingeführt worden. Josef Hammer (1774-1856) 33 , der als Freiherr von Hammer-Purgstall berühmt gewordene österreichische Orientalist, absolvierte diesen Kurs im Jahre 1788/89. In seinen Lebenserinnerungen 31

HHStA, Konsularakademie 52, Mappe Studien und Lehrpersonale. Satzungen der k. k. Akademie der Orientalischen Sprachen (Anm. 31) § 2. 33 Hans-Jürgen KORNRUMPF, Hammer-Purgstall, in: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas 2 (Südosteuropäische Arbeiten 75/2, München 1976) 119f. 32

Erziehung in guten Sitten, Andacht und Gehorsam

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schilderte er den Tagesablauf folgendermaßen: Um sieben Uhr Messe, dann Frühstück und fort ins Barbarastift, wo die Schule der Theresianischen Stipendiaten war, am anderen Ende der Stadt. Um zehn Uhr endeten die Lehrstunden im Barbarastift, um elf Uhr begannen die des Türkischen in der Vorbereitungsklasse der orientalischen Akademie, so blieb eine Stunde übrig, die mit einer Messe bei den hart am Barbarastift gelegenen Dominikanern und mit vorbereitender Lesung in der orientalischen Akademie ausgefüllt wurde. Von da zum Mittagessen nach St. Anna, von zwei bis fünf die Stunden im Theresianum, von fünf bis sechs die Vorbereitungsklasse, dann nach Hause, wo derAbend zum Wiederholen undVorlernen verwendet ward. Lnein Theater kam ich nie, ich genoß auch keine anderen gesellschaftlichen Unterhaltungen 34. An die Unterrichtstage in der Akademie erinnerte sich Hammer-Purgstall ebenso: Um sechs Uhr ward aufgestanden und sogleich im Studiersaale das Morgengebet gemeinschaftlich verrichtet. Nach diesem hergeplapperten Gebete ward sogleich zu den Dominikanern auf den Chor gegangen. Die Stunde von sieben bis acht war zur Vorbereitung zu den um acht beginnenden Lehrstunden bestimmt. Von acht bis neun war der philosophische oder juridische Vortrag, von neun bis zehn Zeichenstunde, namentlich Situationszeichnen und Zivil- und Militärarchitektur. Von zehn bis elf orientalische Lehrstunde, von elf bis zwölf französische, von zwölf bis eins dreimal die Woche Schreibstunde, die anderen dreimal der Tanzmeister und für Erwachsenen die Reitschule. Um eins das Mittagmahl [...], davon freilich nicht alles eßbar. Die Stunde von zwei bis drei war frei und konnte zu musikalischem Unterricht verwendet werden. Von drei bis vier Lehrstunde der Philosophie, nämlich Mathematik, Logik, Physik oder des juridischen Kurses, von vier bis fünf Geographie oder Geschichte, von fünf bis sechs orientalische Sprachen, von sechs bis sieben Privatstunden des Orientalischen, von sieben bis acht Wiederholung der Geographie und Geschichte, von acht bis neun Erholungsstunde, um neun das Nachtmahl, dann der Rosenkranz und das Nachtgebet^. Im Anhang zu den oben erwähnten Satzungen führte Pater Nekrep an, welche Gegenstände tatsächlich unterrichtet wurden beziehungsweise auf welche Fähigkeiten Wert gelegt wurde 36 : Erstens auf eine gute Handschrift sowie Orthographie, eine perfekte Beherrschung der lateinischen Sprache und eine dem Alter der Zöglinge angemessene Moral. Unterrichtet wurden Türkisch, Persisch und Arabisch, Französisch, Latein, Italienisch, die reine deutsche Sprache und fakultativ Neugriechisch; weiters Arithmetik und Geometrie, die Messkunst, Sphärenlehre und Erdbeschreibung; Zeitrechnung; Anfangsgründe der Wappenkunst; Naturlehre, Naturhistorie und Anatomie; Vernunftlehre, Metaphysik, Kenntnis der allgemeinen Künste und Handwerke, bürgerliche Baukunst und Kriegsbaukunst, Stück- und Pulverlehre, allgemeine Weltgeschichte, osmanische Geschichte, schöne Literatur; die Rechte und nicht zuletzt der gesamte Katechismus. Außerdem wurde Tanzen, Fechten und Zeichnen gelehrt. In den Satzungen führte Nekrep auch an, mit welchen Methoden die Sprachstudien unterstützt werden sollten, nämlich unter anderem durch Nacherzählen von Geschichten in verschiedenen Sprachen und Aufführungen von italienischen und französischen Komödien 37 . Im jährlichen Bericht über die k. k. Akademie der orientalischen Sprachen wurden der Fleiß über-

34

Josef Freiherr von HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben 1774-1852, hg. von

R e i n h a r t BACHOFEN VON ECHT ( F R A 11/70, W i e n - L e i p z i g 1 9 4 9 ) 2 1 . 35 36 37

Ebd. 22f. HHStA, Konsularakademie 52, Mappe Studien und Lehrpersonale. A g e n o r GOLUCHOWSKI VON GOLUCHOWO, D i e k. u. k. K o n s u l a r - A k a d e m i e von 1754 bis 1904.

Festschrift (Wien 1904) 8.

500

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haupt, der Fortgang im Türkischen, Lateinischen, Französischen, Italienischen, Griechischen sowie in der Geographie und die Handschrift beurteilt; kommentiert wurden auch anderes Wissen, die Sitten und das Talent; in der letzten Spalte wurde schließlich festgehalten, weswegen die Zöglinge besonders gelobt oder getadelt zu werden verdienten 38 . Johann Nekrep soll ein vorzüglicher Orientalist gewesen sein. In seine Direktionszeit fiel die zweifellos bedeutendste wissenschaftliche Leistung der noch jungen Orientalischen Akademie, die völlige Neubearbeitung des türkisch-arabisch-persischen Lexikons, das der kaiserliche Hofdolmetsch Franz von Mesgnien Meninski etwa hundert Jahre zuvor erstmals herausgegeben hatte. Der gebürtige Lothringer Franz de Mesgnien/Meninski (1623-1698) war zuerst in den diplomatischen Dienst Polens eingetreten, wurde 1653 nach Konstantinopel gesandt, lernte dort zwei Jahre lang Türkisch und war anschließend bei der polnischen Gesandtschaft als Dolmetsch tätig. Von diesem Posten wurde er durch Kaiser Leopold I. regelrecht abgeworben, nach Wien berufen und 1662 zum Hofdolmetsch ernannt. Meninskis fünfbändiges Hauptwerk Thesaurus linguarum orientalium enthält sowohl ein Lexicon turcico-arabico-persicum wie auch eine türkische, arabische und persische Grammatik und einen Index. Der erste Band war 1680 erschienen, die weitere Edition verzögerte sich jedoch bis 1690, da die eigens dafür eingerichtete Druckerei in der Wiener Vorstadt Roßau während der Türkenbelagerung 1683 zerstört wurde. Da dieses unentbehrliche Werk seit längerem total vergriffen war, stellte Direktor Nekrep 1778 den Antrag, das Wörterbuch unter Heranziehung von Akademiezöglingen neu zu bearbeiten und herauszugeben. Unter Aufsicht eines der ersten Absolventen, Bernhard von Jenisch, erschien bereits 1780 unter dem Titel Francisci a Mesgnien Meninski Lexicon arabico-persico-turcicum der erste von insgesamt vier Bänden. Während der 15jährigen Direktionszeit des Paters Nekrep wechselte die Orientalische Akademie mehrmals ihre Unterkunft: Bald nach seiner Ernennung übersiedelte die Anstalt 1770 aus der Philosophischen Stube der Wiener Universität in das Konvikt von St. Barbara. Bereits 1775 wurde sie im ehemaligen Profeßhaus der Jesuiten (Noviziathaus) von St. Anna untergebracht. Als Johann Nekrep, durch Maria Theresia noch zum infulierten Abt von Teg ernannt, im Jahr 1784 starb, wurde Abt Franz Höck (1749— 1835) 39 , in Preßburg geboren und - wie seine beiden Vorgänger - ursprünglich Mitglied des Jesuitenordens, zum Nachfolger ernannt. Im Jahre 1777 war er als Präfekt in die Akademie eingetreten; 47 Jahre lang (1785-1832) sollte er der Akademie vorstehen, bis er aus Rücksicht auf sein hohes Alter von 83 Jahren mit dem Titel eines Hofrates in den Ruhestand versetzt wurde. Im ersten Jahr seiner Direktionszeit bezog die Akademie den Jakoberhof, einen Teil des vormaligen Klosters St. Jakob, der wegen seinerfreien Aussicht über die Bastei immer die frischeste Luft hat*0; dort war sie beinahe hundert Jahre lang (1785-1883) untergebracht. Franz Höck selbst unterrichtete die Grundkurse in Türkisch, Arabisch und Persisch, vermochte freilich - laut Hammer - kein Wort gehörig auszusprechen, wogegen Thomas Chabert (1766 in Konstantinopel geboren, 1779 in die Orientalische Akademie eingetreten), der hier von 1785 bis 1817 die orientalischen Sprachen für Fortgeschrittene 38 39 40

HHStA, StK Interiora 55, Konv. B. WURZBACH 9 (1863) 9 1 - 9 3 . GOLUCHOWSKI VON G O L U C H O W O , F e s t s c h r i f t ( w i e A n m . 3 7 ) 8 .

Erziehung in guten Sitten, Andacht und Gehorsam

501

lehrte, nicht nur Türkisch und Persisch, sondern auch Italienisch und Französisch perfekt beherrschte41. Der Besuch des osmanischen Gesandten Ebubekir Ratib Efendi, der im Jahre 1792 die Ratifikation des Friedens von Sistowa (Svistov, 4. August 1791) am Wiener Kaiserhof überbrachte, in der Orientalischen Akademie stellte einen Höhepunkt im sonst eintönigen Lehrbetrieb der Akademie dar, hatten die Zöglinge dabei doch erstmals Gelegenheit, im Umgange mit gebornen Türken die Sprachen zu sprechen, die sie bisher nur aus Büchern kannten'1. Der junge Zögling Josef Hammer war während des Besuches des osmanischen Sondergesandten Ebubekir Ratib Efendi in der Orientalischen Akademie dazu ausersehen, eine Reihe physikalischer Versuche vorzuführen und in türkischer Sprache zu erläutern. Der Gesandte lobte ihn und schloß mit den Worten: Du wirst ein großer Mann werden — eine leider nicht in Erftillunggegangene Vorhersagung^, wie Hammer in unechter Bescheidenheit kommentierte. Am 2. Februar 1804 feierte die k. k. Akademie der morgenländischen Sprachen ihr fünfzigjähriges Bestandsjubiläum, wobei der damals älteste Zögling Bartholomäus von Stürmer (1787-1863) 4 4 , der später (1832-1850) österreichischer Internuntius in Konstantinopel war, die Festansprache hielt, in der er seine Uberzeugung ausdrückte, daß die Akademie den hohen Erwartungen ihrer Stifterin voll entsprochen habe45. Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung hatte sich die Orientalische Akademie als anerkannte Ausbildungsstätte etabliert und bewährt; sie hatte mit der Neu-Herausgabe des Lexikons von Meninski eine beachtliche wissenschaftliche Leistung erbringen können und hatte an der Blüte der österreichischen Orientalistik im 19. Jahrhundert ganz entscheidenden Anteil.

41

HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen (wie A n m . 3 4 ) 2 3 .

42

V i c t o r WEISS VON STARKENFELS, D i e kaiserlich-königliche orientalische Akademie zu W i e n , ihre

G r ü n d u n g , Fortbildung und gegenwärtige Einrichtung ( W i e n 1 8 3 9 ) 17. 43

HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen (wie A n m . 3 4 ) 2 6 .

44

WURZBACH 4 0 ( 1 8 8 0 ) 1 7 5 - 1 7 8 .

45

WEISS VON STARKENFELS, Orientalische Akademie (wie A n m . 4 2 ) 1 8 - 2 1 .

Diplomatenlehrbuben" oder angehende „Dragomane"? Zur Rekonstruktion des sozialen „Dolmetschfeldes" in der Habsburgermonarchie Michaela Wolf Die Praxis des Übersetzens und Dolmetschens spielte in multiethnischen Gesellschaften wie in denen der Habsburgermonarchie oder des Osmanischen Reichs eine bedeutende und oft unterschätzte Rolle — im Zusammenspiel internationaler Kräfte (und gerade zwischen diesen beiden Reichen) wurde sie zur brisanten Handlung, die höchstes diplomatisches Geschick erforderte. Dementsprechend mußte der „Dragoman" nicht nur über beste Sprachkenntnisse und einschlägiges kulturelles Wissen, sondern auch über ausgezeichnete diplomatische Fähigkeiten verfügen. Mein Beitrag geht der Frage nach, inwieweit die 1754 in Wien gegründete „Orientalische Akademie" diesen Anforderungen gerecht werden konnte, um kompetente Träger des Kulturtransfers zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich auszubilden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die sozialen und kulturellen Kompetenzen der Zöglinge gelegt, die vor dem Hintergrund von Pierre Bourdieus Kultursoziologie näher analysiert werden. Im folgenden wird zunächst ein historischer Überblick über die Entwicklung der Ausbildung zum Dragomanen bzw. sprachkundigen Diplomaten geliefert, wobei auch auf die Bemühungen der Orientalischen Akademie um eine adäquate Ausbildung eingegangen wird; anschließend werden unter Anwendung bourdieuscher Kategorien die sich wandelnden sozialen und kulturellen Kompetenzen der Zöglinge analysiert, bevor schließlich relevante Fragen aufgeworfen werden, die das „habsburgisch-osmanische Dolmetschfeld" als wesentliche Grundlage fiir die Rekonstruktion der Beziehungen zwischen den beiden Reichen zu skizzieren versuchen. Vom „jeune de langues" zum ,Akademieabsolventen" Wird die Übersetzungs- und Dolmetschtätigkeit in der Habsburgermonarchie als konstitutives Merkmal fiir das Funktionieren des Staates gesehen, so stellt sich die Frage, inwieweit diesem wichtigen Medium durch die Ausbildung kompetenter Sprachmittler Rechnung getragen wurde. Die einzige nachweisbare Ausbildungsstätte, die so genannte „Orientalische Akademie", bezog sich vorrangig auf die Vermittlungsaktivitäten im diplomatischen Dienst mit dem Osmanischen Reich. Die Notwendigkeit sprachkundiger Beamter fiir diesen Raum war schon lange vor der im Jahr 1754 erfolgten Gründung der

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Michaela W o l f

Orientalischen Akademie erkannt worden. Zunächst hatte man für die zu versehenden Dolmetschdienste auf die in Pera, dem Botschaftsviertel von Istanbul, lebenden „Griechen, Levantiner und Italiener" zurückgegriffen, die als Christen den kaiserlichen Diplomaten auch sozial näher standen als ihren osmanischen Herren. Einige dieser Dolmetscher fanden so zeitweise in osmanischen und kaiserlichen Diensten zugleich Verwendung 1 . Nicht zuletzt war es das mangelnde Vertrauen, das ihnen aufgrund ihres Dienstes gegenüber zwei Herren entgegen gebracht wurde, das den R u f nach „eingeborenen Landeskindern" auslöste, wie der Orientalist Victor Weiß von Starkenfels 1 8 3 9 in seiner Denkschrift zur Orientalischen Akademie verlautet 2 . W i e etwa zur gleichen Zeit Paris, entsandte auch W i e n bereits seit 1 6 7 4 „Sprachknaben" („jeunes de langues") nach Istanbul, damit diese dort im jungen Alter unter der Aufsicht des jeweiligen diplomatischen Missionschefs, der von der Hofkammer für die Unterbringung und Verköstigung der Zöglinge entschädigt wurde, Türkisch, Persisch und auch Arabisch erlernten 3 . Die Sprachknaben wurden von einheimischen Lehrern unterrichtet und erhielten die Anregung, durch regen Austausch mit der einheimischen Bevölkerung, durch den Besuch von Märkten, Gerichtshöfen und anderen Plätzen die erforderlichen sprachlichen Fertigkeiten zu erwerben 4 ; auch beschränkte sich die Ausbildung in Istanbul nicht auf die Sprache, sondern umfaßte, wie überliefert ist, „die türkischen Staatsmaximen und Gesetze", den „Humor und modus tractandi negotia" der Osmanen 5 . Die Bezeichnung „Sprachknabe" weist auf das zarte Alter hin, in dem die Kinder oder Jugendlichen bereits entsandt wurden. Auch Venedig schickte im 17. und 18. Jahrhundert „giovini di lingua" an die Hohe Pforte, die dann zu Dragomanen herangebildet wurden, ebenso wie die Republik von Dubrovnik (Ragusa), deren Dragomane im Ausbildungsstadium „mladici od jezika" genannt wurden 6 . Vor allem aus dem 18. Jahrhundert sind die Tätigkeiten zahlreicher junger österreichischer Dolmetscher dokumentiert, wie etwa jene des Joseph von Penkler (1700—

1

Klaus MÜLLER, D a s kaiserliche Gesandtschaftswesen im Jahrhundert nach dem Westfälischen

Frieden ( 1 6 4 8 - 1 7 4 0 ) ( B o n n e r historische Forschungen 4 2 , B o n n 1 9 7 6 ) 2 5 8 ; siehe auch Maurits H . VAN DEN BOOGERT, European Patronage in the O t t o m a n Empire: A n g l o - D u t c h Conflicts o f Interests in Aleppo ( 1 7 0 3 - 1 7 5 5 ) , in: Friends and Rivals in the East. Studies in A n g l o - D u t c h Relations in the Levant from the Seventeenth to the Early Nineteenth Century, hg. von Alastair HAMILTON-Alexander H . DE GROOT-Maurits H . VAN DEN BOOGERT (Sir T h o m a s Browne Instituut N S 14, L e i d e n - B o s t o n - K ö l n 2 0 0 0 ) 187f. 2

V i c t o r WEISS VON STARKENFELS, D i e kaiserlich-königliche orientalische Akademie zu W i e n , ihre

G r ü n d u n g , Fortbildung und gegenwärtige Einrichtung ( W i e n 1 8 3 9 ) 2f. 3

MÜLLER, Gesandtschaftswesen ( w i e A n m . 1) 2 4 3 f .

4

D i e k. und k. Konsular-Akademie von 1 7 5 4 bis 1 9 0 4 . Festschrift zur Feier des hundertfünfzigjäh-

rigen Bestandes der Akademie u n d der Eröffnung ihres neues Gebäudes, hg. von Agenor von G o t u CHOWSKI VON GOLUCHOWO ( W i e n 1 9 0 4 ) 4 . 5

Diese Aussage s t a m m t von Kaunitz über Penkler; vgl. MÜLLER, Gesandtschaftswesen

(wie

A n m . 1) 2 4 4 . 6

Ivan PEDERIN, G e s c h i c h t e des D o l m e t s c h e n s im Westen bis zur Aufklärung. TextConText

12/2

( 1 9 9 8 ) 9 8 . In W i e n griff m a n zu dieser Zeit für Dolmetschdienste a u f „hiesige Levantiner" zurück; vgl. dazu Arthur BREYCHA-VAUTHIER, „Einst war's die Orientalische A k a d e m i e . . . " . Jahrbuch schen Akademie

der

Diplomati-

Wien 16/17 ( 1 9 8 0 - 1 9 8 2 ) 7 0 . Auch in Preußen und anderen deutschen Staaten bediente

m a n sich im auswärtigen D i e n s t zunächst „ehrenwerter M ä n n e r aus einheimischen Familien" der Levante; J o s e f KREINER, Z u r 1 0 0 . W i e d e r k e h r der G r ü n d u n g des Seminars für Orientalische Sprachen, Berlin—Bonn. Orientierungen

1 ( 1 9 8 9 ) 1.

.Diplomatenlehrbuben" oder angehende „Dragomane"?

505

1774), der 1719 als Sprachknabe zur Erlernung der orientalischen Sprachen nach Istanbul geschickt wurde u n d sich durch seine Leistungen so auszeichnete, d a ß er bereits 1726 z u m Dolmetscher bei der H o h e n Pforte ernannt u n d nach acht Jahren Dienst in Istanbul als kaiserlicher Hofdolmetscher nach W i e n berufen wurde. 1745 wurde er zum Internuntius erhoben u n d übte diese prestigebehaftete Tätigkeit über zwei Jahrzehnte aus, was ihm schließlich, wie Wurzbach zu e n t n e h m e n ist, „aus eigener Bewegniß" der Kaiserin den Freiherrenstand verschaffte 7 . M i t zunehmender Bedeutung der diplomatischen u n d handelspolitischen Beziehungen mit dem Osmanischen Reich wurde erkannt, d a ß die Ausbildung der Sprachmittler auf eine professionelle Basis gestellt werden m ü ß t e , wozu auch der Ruf nach einer fachlichen u n d den gesellschaftlichen Ansprüchen der Tätigkeit entsprechenden Ausbildung beitrug. A m Pariser Kollegium Louis le Grand war bereits 1669/70 eine „Pflanzschule" f ü r angehende Dolmetscher eingerichtet worden 8 , während die erste Schule dieser Art schon 1622 in Polen gegründet worden war, u n d zwar in Choszim (heute Chotin, Ukraine) 9 . Mittlerweile waren im R a h m e n der Einrichtung des „Sprachknabeninstituts" in Istanbul zahlreiche Probleme aufgetaucht, die unter anderem auf den Mangel an entsprechender Aufsicht durch den Residenten u n d daraus entstehende vorrangig disziplinäre Konflikte zurückzufuhren waren 1 0 . Heinrich Alfred Barb, der in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Orientalische Akademie leitete u n d selbst als gerichtlich beeideter Dolmetscher „für orientalische Sprachen" tätig w a r 1 s p r i c h t rückblickend - im Z u s a m m e n h a n g mit diesen Dolmetschern gar von „einer Schar levantinischer Abenteurer [...], welche nicht bloß die Rolle der Vermittler übernahmen sondern nahezu als die eigentlichen Vertreter derselben fungierten" 1 2 . Neuere Forschungen gehen davon aus, daß es sich bei diesen vor allem in der diplomatischen Korrespondenz dokumentierten Beurteilungen u m keine objektive Kritik handelt, sondern d a ß sich darin lediglich die einseitige (eurozentrische) Erwartungshaltung der Europäer widerspiegelt. Die Bedeutung dieser Dragomane u n d ihre M a c h t würden vielfach unterschätzt, verfugten sie doch neben ihrer sprachlichen Kompetenz über eine ausgeprägte Kulturkompetenz, die den Diplomaten an der Pforte wertvolle Ratschläge über das osmanische Protokoll, über Handelsbedingungen, Rechtspraxis u n d lokale Bräuche erteil-

7 WURZBACH Bd. 21 (1870) 452f. Vgl. auch Brigitta SPILLER, Joseph Freiherr von Penkler ( 1 7 5 1 1830) (phil. Diss. Wien 1966). Zu Penkler siehe auch den Beitrag von M o u n i r Fendri. 8 Heinrich PFUSTERSCHMID-HARDTENSTEIN, Von der Orientalischen Akademie zur k. u. k. Konsularakademie. Eine Maria-Theresianische Institution und ihre Bedeutung fiir den auswärtigen Dienst der österreichisch-ungarischen Monarchie. In: Die Habsburgermonarchie 1 8 4 8 - 1 9 1 8 , Bd. VI/1: Die Habsburgermonarchie im System der Internationalen Beziehungen, hg. von Adam WANDRUSZKA—Peter UR-

BANITSCH ( W i e n 1 9 8 9 ) 1 3 7 . 9

10

WEISS VON STARKENFELS, O r i e n t a l i s c h e A k a d e m i e ( w i e A n m . 2 ) 3 .

Auch im Bailato, d e m Sirz des venezianischen Botschafters an der H o h e n Pforte, herrschte gegenüber den venezianischen Dolmetschern aufgrund ihrer Lebensumstände in Istanbul Mißtrauen; Francesca LUCCHETTA, Un progetto per una scuola di lingue orientali a Venezia nel Settecento. Quaderni di Studi Arabi 1 (1983) 1. 1 ' Niederösterreichischer Amtskalender (Wien 1882) 381. 12 Heinrich Alfred BARB, Über die Zwecke der k. u. k. Orientalischen Akademie (Wien 1876) 9. 13 Vgl. Maurits H . VAN DEN BOOGERT, European Patronage (wie A n m . 1) 2 1 0 - 2 1 2 . Den G r u n d fiir diese Haltung des Mißverstehens sieht Alexander H . DE GROOT in der nationalistisch ausgerichteten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die den „multinational, or rather, cosmopolitan, ,prenational'

506

Michaela Wolf

So erfolgte 1754 auf Vorschlag von Staatskanzler Kaunitz, der kurz davor von einem Botschaftsdienst in Paris zurückgekehrt war und dort offensichtlich von der Einrichtung der „École des Langues Orientales" inspiriert worden war, durch Maria Theresia die Gründung der „Orientalischen Akademie", die in einer ersten Phase auch „k. k. Akademie der morgenländischen Sprachen" genannt wurde. Obwohl sie als Fachschule zur Vorbereitung auf den „Dragomanatsdienst" im Osmanischen Reich konzipiert war, wiesen die im Rahmen der Ausbildung vermittelten Kenntnisse von Anfang an nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß die meisten Zöglinge zur Zeit der Aufnahme das Gymnasium noch nicht zur Gänze absolviert hatten, weit über die Sprachausbildung hinaus und umschlossen juristische, wirtschaftliche und kommerzielle Fächer. Dies sollte die Grundlage für den Dienst künftiger Vertreter der Monarchie im Orient sein. Im Durchschnitt wurden sieben Sprachen gelehrt, und zwar Deutsch als Amtssprache, Französisch als Sprache der Diplomatie, Italienisch als Sprache des Seerechts und Handels im Mittelmeer, ferner Türkisch, Arabisch und Persisch für den Dienst in der Levante, und schließlich Neugriechisch. Die methodischen Mittel zur Spracherlernung waren vielfältig und reichten vom Nacherzählen vorgelesener Erzählungen über die Abhaltung französischer Spiele bis zur Aufführung italienischer Komödien durch die Zöglinge. Die veränderten wirtschaftlichen und politischen Umstände - der Einfluß des Osmanischen Reiches war sukzessive im Sinken begriffen, internationale Beziehungen hatten sich verstärkt, und die diplomatischen Missionen expandierten in Richtung Wirtschaftsangelegenheiten - führten zu einer radikalen Umstrukturierung der Orientalischen Akademie, die 1898 schließlich in die Schaffung der „k. u. k. Konsularakademie" mündete. Diese Reorganisation brachte eine Verstärkung der wirtschaftlichen Vorbildung und die Aufgliederung in zwei Studienzweige mit sich, wodurch der Sprung von einer vorrangig sprachmittlerisch orientierten Ausbildungsstätte für Dolmetscher zu einem sprachlich orientierten Ausbildungsprogramm für Diplomaten vollzogen wurde. Die „Westländische Abteilung" erhöhte die Englischstunden und reduzierte drastisch den Unterricht in Italienisch, während Türkisch, Persisch und Arabisch völlig gestrichen wurden; ebenso war Ungarisch für Nichtungarn und Deutsch für „Nichtdeutsche" verpflichtend. In der „Orientalischen Sektion" wurden die Stunden in letzteren Sprachen zur Gänze beibehalten, Englisch jedoch völlig eliminiert und Italienisch stark reduziert 14 .

character" der levantinischen Dragomane vernachlässigte. Vgl. Alexander H. DE GROOT, Dragomans' Careers: The Change of Status in Some Families Connected with the British and Durch Embassies at I s t a n b u l , 1 7 8 5 - 1 8 2 9 . I n : HAMILTON-DE GROOT-VAN DEN BOOGERT, F r i e n d s a n d R i v a l s ( w i e A N M . 1) 245. 14

PFUSTERSCHMID-HARDTENSTEIN, Von der Orientalischen Akademie (wie Anm. 8) 194f. Im Berliner „Seminar für Orientalische Sprachen" hingegen, das 1887 auf Initiative von Bismarck gegründet wurde, hatten fast ausschließlich jene Sprachen Vorrang, die in Ländern mit engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Deutschen Reich gesprochen wurden. Industrielle Verbände sorgten dafür, daß junge Geschäftsleute das Seminar besuchten, um die Grundlage für die Erweiterung der Absatzgebiete gewährleisten zu können. Unter den 114 Studierenden des ersten Studienjahres befanden sich immerhin 30 Geschäftsleute, weiters 44 Juristen und 40 Philologen. Vgl. Wolfram WILSS, Das Seminar fiir Orientalische Sprachen Berlin. Lebende SpracbenXlN12 (2000) 60f. So wies etwa das Fach Chinesisch im Wintersemester 1887/88 eine Hörerzahl von 28 auf (gegenüber Türkisch 17, Persisch 5 oder Suaheli 6), während im Sommersemester 1914 Chinesisch 51 Hörer verzeichnete und Suaheli gar auf 36 Hörer angestiegen war. Vgl. Kurt FORSTREUTER, Das Seminar für orientalische Sprachen in Berlin 1887-1936. Wirkungen des Preußenlandes. Vierzig Beiträge, hg. von Kurt FORSTREUTER (Köln-Berlin 1981) 198.

,Diplomatenlehrbuben" oder angehende „Dragomane"?

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Es stellt sich nun die Frage, welche sozialen und kulturellen Kompetenzen die Zöglinge aufweisen mußten bzw. auf welche dieser Kompetenzen in der Ausbildung besonderer Wert gelegt wurde, um den schwierigen und vielfältigen Ansprüchen des zukünftigen Arbeitseinsatzes gerecht zu werden. Zu diesem Zweck wird auf einige der wichtigsten Kategorien des französischen Kultursoziologen Pierre Bourdieu zurückgegriffen. Die kulturellen und sozialen Kompetenzen der Zöglinge Bourdieu begreift die Gesellschaft als das Zusammenwirken verschiedener sozialer Felder, die jeweils eigengesetzlich organisiert und von Machtverhältnissen bestimmt sind. In den einzelnen Feldern agieren Akteure und Akteurinnen, die auf der Grundlage des Einsatzes ihrer Kapitalien und ihres Habitus die Dynamik des Feldes wesentlich bestimmen. Im Detail sollen die verschiedenen Kapitalarten untersucht werden, die für das komplexe Zusammenspiel der im „Dolmetschfeld" an den Schnittstellen zwischen der osmanischen und der habsburgischen Monarchie tätigen Kräfte verantwortlich waren. Zum einen geht es um das (im weitesten Sinn wie von Marx verstandene) ökonomische Kapital, dann um das kulturelle Kapital, das durch Bildung und Erziehung erworben wird und sich durch Titel oder Zertifikate manifestiert; weiters nennt Bourdieu das soziale Kapital, das als Gesamtheit der Ressourcen bezeichnet wird, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens verbunden sind 1 5 , und das symbolische Kapital, das sich durch Prestige, Anerkennung oder Reputation äußert und sich zumeist aus dem Zusammenspiel der zuvor genannten Kapitalformen ergibt. Die einzelnen Akteure und Akteurinnen im Feld verfügen über die genannten Kapitalarten in unterschiedlichem Ausmaß. Von Bedeutung ist für die Erklärung der Funktionsmechanismen eines sozialen Feldes weiters die bourdieusche Kategorie des Habitus. Der Habitus wird von Bourdieu als Produkt der Geschichte angesehen, das „individuelle und kollektive Praktiken [produziert] [...]; er gewährleistet die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen [,..]" 1 6 . Am Beispiel eines so genannten „Grenzdolmetschers" an der habsburgisch-osmanischen Militärgrenze aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts können die vielfältigen Aufgaben und die mit ihnen verbundenen bourdieuschen Kapitalarten illustriert werden. Der 1758 in Wien geborene Franz von Dombay absolvierte die Orientalische Akademie und wurde nach einem längeren Aufenthalt als Lexikograph und Dialektforscher im marokkanischen Tanger 1792 als „Grenzdolmetscher" in das Militärkommando von Zagreb (Agram) entsandt 17 . Sein hauptsächliches Aufgabengebiet war die Mitarbeit an der Implementierung des 1791 zwischen den Habsburgern und den Osmanen abgeschlossenen Friedens von Sistova. Dombays Teilnahme an der Grenzkommission im 1 5 Pierre BOURDIEU, Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik & Kultur 1. Aus d e m Französischen von Jürgen Bolder unter Mitarbeit von Ulrike N o r d m a n n u. a. ( H a m b u r g 1997) 63. 1 6 Pierre BOURDIEU, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Übersetzt von Günter Seib (Frankfurt am Main 1983) 101. 1 7 Ian SCHMIDT, Franz von Dombay, D r a g o m a n on the Bosnian Border, 1 7 9 2 - 1 8 0 0 . In: Acta Viennensia Ottomanica. Akten des 13. C I E P O - S y m p o s i u m s vom 21. bis 25. September 1998 in Wien, hg. von Markus KöHBACH-Gisela PROCHÄZKA-EiSL-Claudia RÖMER (Wien 1999) 319f.

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Rahmen dieses Friedensschlusses erforderte neben Sprach- und Translationskompetenz nicht nur diplomatisches Geschick, sondern auch detaillierte Kenntnisse über die Hintergründe des Friedensschlusses. Seine insgesamt neunjährige Tätigkeit in Zagreb bewies, daß seine Tätigkeit erfolgreich war. Damit ist neben dem symbolischen Kapital, das er mit Sicherheit in seine Kommissionsarbeit einbrachte und dort auch - nicht zuletzt durch seine Teilnahme an zahlreichen Empfängen, bei denen er Kontakte mit hochrangigen osmanischen Beamten pflegte - vermehrte, der Einsatz von kulturellem Kapital in Form von historischen und translatorischen Kenntnissen nachzuweisen. Das kulturelle Kapital manifestiert sich schließlich auch in seiner Übersetzungstätigkeit: Dombay brachte einen großen Teil seiner Zeit mit der Übertragung von Briefen zwischen den habsburgischen und osmanischen Behörden bzw. Würdenträgern zu. Sein soziales Kapital konnte Dombay schließlich in seiner alltäglichen Arbeit als „Grenzdolmetscher" zum Einsatz bringen, wo er mit Überfällen, Versklavung von Kindern, Desertion und vielen anderen Wechselfällen konfrontiert war. Dombay wurde aufgrund seiner Verdienste 1801 zum Hofdolmetscher in Wien ernannt, wo er 1810 verstarb18. Eine einigermaßen erschöpfende Darstellung der einzelnen Kapitalien als ausschlaggebende Kräfte im „habsburgisch-osmanischen Dolmetschfeld" ist nur durch eine halbwegs lückenlose Darstellung der biographischen Daten der einzelnen Akteure im Feld möglich. Da eine solche aufgrund der schwierigen Quellenlage kaum machbar erscheint, werden in der Folge auf der Basis eines Querschnitts durch die verschiedenen Epochen der Orientalischen Akademie die einzelnen Kapitalarten ausgeleuchtet. Die einer solchen Analyse zugrunde liegenden Faktoren sind die berufsmäßige bzw. gesellschaftliche Stellung der Väter der Zöglinge, die Aufnahmekriterien in die Akademie sowie die verschiedenen Lehrpläne. Zunächst erscheint aufschlußreich, daß das ökonomische Kapital von Anfang an für die Aufnahme der Schüler in die Orientalische Akademie nicht ausschlaggebend war. Vielmehr war das Ausmaß des Anliegens von seifen des Staates, den hohen Anforderungen an Dragomane im diplomatischen Dienst Genüge zu tun, an der zunehmenden sozialen Öffnung der Akademie zu erkennen: Vorrangig war nicht die ökonomische bzw. (oft daraus resultierend) die soziale Stellung der Familie des Zöglings, sondern dessen sprachliches Talent und seine Lernfähigkeiten. Aus diesem Grund wurde dem eventuellen Mangel an finanziellen Mitteln von Beginn an durch Zusatzfinanzierungen der Stiftsplätze abgeholfen19. Diese Vorgangsweise hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Tradition, war doch schon im Jahr 1644 von Graf Hermann Czernin im Vorfeld seiner Gesandtschaftsreise nach Istanbul in seiner „Spezifikation, was für eine Großbotschaft nötig" sei, die Forderung ausgesprochen worden, „vier junge Knaben, armer Leute Kinder, mitzunehmen, damit diese ex fundamento Arabisch [...] erlernen [...] könnten" 20 . Die Betonung auf „armer Leute Kinder" könnte auf die Möglichkeit verweisen, dadurch „unabhängige", keinen bestimmten Herren bevorzugende Dragomane auszubilden21, womit eindeutig und bewußt - über Verzicht auf ökonomisches Kapital einerseits und SCHMIDT, Franz von Dombay (wie Anm. 17) 321. PFUSTERSCHMID-HARDTENSTEIN, Von der Orientalischen Akademie 2 0 Zitiert nach Karl TEPLY, Kaiserliche Gesandtschaften ans Goldene [Hervorhebung von mir]. 2 1 Erich SCHLÖSS, Zur Geschichte der Diplomatischen Akademie des .Sprachknaben' zu den Internationalen Experten. Diplomatische Akademie 18

19

2000) 317.

(wie Anm. 8) 129f. Horn (Stuttgart 1968) 64 16. Jahrhunderts. Von den Wien: Jahrbuch 35 (1999—

„Diplomatenlehrbuben" oder angehende „Dragomane"?

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soziales Kapital, also die aus gesellschaftlich relevanten Familienkontakten eines Zöglings erwachsenden sozialen Beziehungen andererseits - zugunsten des symbolischen Kapitals, in diesem Fall des Ausbaus von prestigehaftem Verhalten gegenüber den Osmanen, entschieden wird. Dazu war freilich, gleichsam als „Grundstock", soziales Kapital vonnöten. Diese Entwicklung, die sich, wie zu zeigen sein wird, hauptsächlich in den Zulassungsbedingungen zur Orientalischen Akademie manifestiert, ist durchaus mit den Anliegen des modernen Verwaltungsstaates im Europa des 18. Jahrhunderts in Verbindung zu setzen, der die Rekrutierung des Berufsbeamten nicht mehr nach Kriterien der sozialen Herkunft und des geburtsbedingten Status, sondern durch Qualifizierung über Ausbildung und Wissensstand betrieb 22 . Das symbolische Kapital der zukünftigen Dragomane ist in erster Linie an der gesellschaftlichen Stellung ihrer Väter festzumachen. Die Verbindung ist nicht linear herzustellen, da ja die soziale Stellung der Zöglingsväter über den Faktor ihrer daraus resultierenden erhofften Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Zwängen erst zu Prestige und Ansehen — freilich auch auf der Basis von kulturellem Kapital, wie noch zu sehen sein wird - verhelfen kann. Eine Auswertung der Jahresberichte der Orientalischen Akademie von 1754 bzw. zwischen 1772 und 1777 2 3 zeigt, daß von insgesamt 29 Schülern, die in diesen Jahren die Akademie besuchten, 21 Väter (das sind 72 %) in kaiserlichen Diensten standen. Ein Blick auf die Gesamtzahl der Absolventen (142) in den Jahren 1754 bis 1805 läßt erkennen, daß 73,2 % der Zöglinge dem Adel entstammten und 26,8 % bürgerlich waren 24 . Diese hochgestellte soziale Herkunft der Mehrheit der Familien ist jedoch mit den hier untersuchten Berufen der Zöglingsväter nicht vollständig in Einklang zu bringen: Die meisten waren als „Rat bei der Hofkammer", „Offizier des Hofpostamtes" oder „Hofrat beim Bergwerks-Kollegium" dem mittleren, wenige dem niederen Beamtenstand zuzurechnen. In vier Fällen lebten die Eltern des Zöglings „von eigenen Mitteln", waren also offenbar Grundbesitzer oder Privatiers, auch sind zwei Wirtschaftstreibende zu verzeichnen sowie ein Arzt und ein „Kontroleur [sie] der Pferdezuchtanstalten in Ungarn". Sieben der Väter, also rund ein Viertel, waren bereits vor dem Eintritt ihrer Söhne in die Orientalische Akademie verstorben. Es ist in jedem Fall festzustellen, daß Söhne von in kaiserlichen Diensten stehenden Vätern bevorzugt aufgenommen wurden, auch scheint der Herkunftsort Wien (17 der 29 Familien waren in Wien ansässig, zwei in Linz, je eine in Bregenz, Gmunden, Tirol, Mailand, Ungarn und Istanbul, von vier Familien ist der Wohnort unbekannt) auf die Aufnahme in die Akademie einen positiven Einfluß ausgeübt zu haben. Es dürfte sich somit bei keinem der Schüler um „armer Leute Kinder" (im engeren Sinn) gehandelt haben, doch kamen die Beamten durchwegs nicht aus den höchsten Rängen mit hohem sozialen Kapital, obwohl, wie vermerkt, der kaiserliche Dienst der Väter für die Aufnahme von Vorteil war. Familiengeschichten mit Vätern, die „einschlägig" berufstätig waren, wie „Internuntius in Konstantinopel" (der Vater war allerdings vor dem Eintritt des Schülers in die Akademie verstorben) oder „Direktor der Orientalischen Handelskompagnie" bildeten die 2 2 Gernot STIMMER, Die Konsularakademie im Spannungsfeld zwischen Leistungs- und Gesinnungselite. In: 2 5 0 Jahre. Von der Orientalischen zur Diplomatischen Akademie in Wien, hg. von Oliver RATHKOLB (Innsbruck 2 0 0 4 ) 105. 2 3 Katja Maria KNOLL, Neue Eliten im Staatsdienst: Die Sprachknaben der Orientalischen Akademie von 1753/54 bis 1777 (phil. Diplomarbeit Graz 1999) 6 2 - 7 3 . 2 4 STIMMER, Konsularakademie (wie Anm. 22) 107. Zur Verläßlichkeit dieser Daten siehe die Ausfuhrungen im weiteren Verlauf.

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Ausnahme; über die weitere Karriere der beiden Söhne dieser Väter ist übrigens nichts bekannt, jedenfalls scheinen sie nicht in den Dolmetsch- bzw. Gesandtschaftsdienst eingetreten zu sein. Aus diesen Angaben ist ersichtlich, daß die Politik der Akademie in ihrer ersten Phase, die gemäß den neuen Anforderungen an das Berufsbeamtentum erfolgte und die darin bestand, sprachliche Kompetenzen und die Lernfähigkeit der Zöglinge vor ihre soziale Stellung zu reihen, zumindest in Ansätzen durchgeführt wurde. Der Schlußfolgerung Gernot Stimmers, der die Orientalische Akademie „im Spannungsfeld zwischen Leistungs- und Gesinnungselite" untersucht hat und folgert, daß sie sich bis 1849 trotz ihrer leistungsorientierten Ausbildungsmaximen als „standesgemäße Erziehungsanstalt" erweise25, ist somit nur bedingt zuzustimmen. Diesbezügliche weitere Erkenntnisse können jedoch nur durch detaillierte biographische Studien der einzelnen Absolventen erfolgen, um schließlich die einzelnen Faktoren, die die erfolgte oder nicht erfolgte Karriere der Akademieabgänger bedingten, in schlüssigen Zusammenhang bringen zu können. Da die Quellen zur Eruierung der Lebenskarrieren nach Abschluß der Ausbildung an der Orientalischen Akademie, wie erwähnt, nur in eingeschränktem Maß vorliegen und daher ihre Eingliederung in die verschiedenen Rangebenen des Beamtenstaates bzw. in das sonstige Arbeitsleben schwer zu rekonstruieren ist, ist eine repräsentative Darstellung der beruflichen Daten der Akademieabgänger nicht möglich. Wenn Stimmer für den Zeitraum zwischen 1780 und 1918 von einem Sample von 49 Absolventen (von insgesamt etwa 450) ausgeht und davon 90 % dem Adel und 10 % dem Bürgertum zuschreibt26, so sind diese Zahlen insofern in Zweifel zu ziehen, als sie vorrangig aus den Daten der Einzelbiographien in Wurzbachs Biographische[m] Lexikon des Kaiserthums Oesterreich erhoben wurden - also bereits einer Selektion unterworfen wurden, die für die gesellschaftliche Verortung der Absolventen wiederum nur bedingt repräsentativ ist. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, daß spätestens durch die ab 1849 einsetzende Verwaltungsreform der Zugang zu öffentlichen Ämtern und durch die damit einhergehende Objektivierung der Anforderungsprofile für den Staatsdienst die Bedeutung der sozialen Herkunft der Zöglinge der Orientalischen Akademie relativiert und sukzessive in den Hintergrund gedrängt wurden, ohne daß die gesellschaftliche Provenienz für die berufliche Laufbahn der Absolventen jedoch völlig an Bedeutung verlor. Das symbolische Kapital als Kristallisationselement anderer Kapitalarten wie soziales und kulturelles Kapital in ihren verschiedenen Ausformungen ist somit weiterhin für die Zöglinge bzw. Absolventen der Orientalischen Akademie vorhanden; was sich ändert, sind die Verflechtungsmechanismen, die zu seiner Entstehung und letztendlich zu seiner Wirkung im Feld führen. Das kulturelle Kapital als zweite wichtige Komponente in der Ausbildung der Dragomane ist sowohl an den Aufnahmekriterien als auch an den verschiedenen Lehrplänen der Orientalischen Akademie festzumachen. Im Jahr 1833 wurde eine Teilung des akademischen Lehrplans in juristisch-diplomatische Studien und Sprachstudien vorgenommen. Damit schienen zum ersten Mal Fächer auf, die sich direkt mit dem Ubersetzen befaßten, und zwar „Übersetzung aus dem Türkischen" sowie „Lesen und Ubersetzen türkischer Geschäftsbriefe" ab dem ersten Jahrgang und „Ubersetzen aus dem Arabi-

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STIMMER, Konsularakademie ( w i e A n m . 2 2 ) 1 0 7 .

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Ebd. 116.

„ D i p l o m a t e n l e h r b u b e n " oder angehende „ D r a g o m a n e " ?

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sehen" bzw. „Übersetzen aus dem Persischen" ab dem dritten bzw. fünften Jahrgang 2 7 . In diesem Jahr wurden erstmals Aufnahmeprüfungen eingeführt, die die Abfassung eines Essays in lateinischer Sprache und je eines Aufsatzes in deutscher Sprache zur österreichischen Geschichte und zu einem Thema der Religionslehre sowie eine Ubersetzung aus dem Französischen ins Deutsche umfaßten 2 8 . Ab 1852 wurden die Aufnahmebedingungen dahingehend geändert, daß das Augenmerk auf Ubersetzungen gelegt wurde (und zwar aus dem Lateinischen ins Deutsche, aus dem Französischen ins Deutsche und aus dem Deutschen ins Französische) und eine schriftliche Prüfung zur Staatengeschichte der Habsburgermonarchie abgelegt werden mußte. Kulturelles Kapital wurde also zunehmend zu einer wichtigen Voraussetzung für die Aufnahme in die Orientalische Akademie, was auch an der sukzessiven Fokussierung auf die translatorischen Kompetenzen erkennbar ist. Die Lehrpläne der Akademie unterstreichen diese Tendenz: Im Laufe der Jahre wurde nicht nur die Palette an Fächern um juristische, historisch-politische und staatswissenschaftlich-kommerzielle Stunden erweitert, sondern auch die Zahl der zu erlernenden Sprachen ausgebaut. Bourdieu betont in seinen Werken, daß sich die Art bzw. die Charakteristika des jeweiligen Kapitals je nach Zusammensetzung des Feldes und je nach räumlicher und zeitlicher Konstellation ändern. Ein solcher Wandel ist am Beispiel des kulturellen Kapitals in der Orientalischen Akademie klar erkennbar: Die im Jahr 1898 in Folge geänderter Rahmenbedingungen erfolgte Umstrukturierung der Akademie in die „K. u. k. Konsularakademie" brachte, wie erwähnt, eine akzentuierte Verschiebung von der Sprachausbildung auf wirtschaftliche Kompetenzen. Damit waren der Einsatz und auch die weitere Ausformung von kulturellem Kapital verbunden, die diesen neuen Anforderungen gerecht werden konnten. Besonders im Vergleich zu den Anforderungen an die jungen, bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nach Istanbul geschickten Sprachknaben vor der Gründung der Akademie ist der Wandel des kulturellen Kapitals - hier im engeren Sinn als „Vermittlung von Kulturkompetenz" und nicht lediglich als Wissen im Allgemeinen verstanden — klar erkennbar: Die „jeunes de langues" waren, wie erwähnt, angehalten worden, durch den Besuch von Märkten, Gerichtshöfen und anderen Orten des osmanischen Alltagslebens ihre kulturelle Kompetenz zu entfalten. Von solchen Ansprüchen war in der Orientalischen Akademie keine Rede mehr. Zwar wurde gerade im Zuge der erwähnten Umstrukturierung von 1898 das didaktische Konzept der Fremdsprachenvermittlung stark verbessert, doch war darin eine kulturmittlerische Dimension weiterhin nicht zu erkennen. Funktionell gesehen trat mit 1898 eine Förderung bzw. Ausbildung kulturmittlerischer Fähigkeiten hinter die Ausbildung wirtschaftlicher Fachkompetenz weiterhin zurück. Der notwendige Zusammenhang zwischen diesen beiden Komponenten für die praktische Arbeit eines Gesandten wurde trotz redlicher Bemühungen um eine adäquate Ausbildung der Eleven nicht erkannt - ganz im Gegenteil zum Deutschen Reich, wo man sich im „Seminar für Orientalische Sprachen" von Berlin zum einen der Bedeutung der kulturellen Kompetenz angehender Dolmetscher bewußt war, der durch so genannten „Realienunterricht" Rechnung getragen wurde 29 ; zum anderen wurde dort in der Ausbildung auf die Spezifik verschiedener Textsorten be-

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WEISS VON STARKENFELS, Orientalische Akademie (wie A n m . 2) 4 1 .

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Ebd. 117.

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Eduard SACHAU, Denkschrift über das Seminar für Orientalische Sprachen an der Königlichen

Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin von 1 8 8 7 bis 1 9 1 2 (Berlin 1 9 1 2 ) 19f.

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sonderes Augenmerk gelegt, die die Beschäftigung mit Verfassungsurkunden, Gesetzestexten, Urkunden des Wirtschaftslebens etc. mit sich brachte30. Zu diesem Zweck wurden auch Lehrveranstaltungen wie etwa „Übungen im Erklären und Abfassen von öffentlichen und privaten Urkunden" angeboten31. In der Orientalischen Akademie wurde weder auf kulturelle Kompetenz im engeren Sinn noch auf texttypologische Differenzierung in der Textproduktion Wert gelegt. Vor allem in der Spätphase der Orientalischen Akademie trat die Problematik der Frage nach dem symbolischen Kapital in den Vordergrund. Zunächst ist jedoch darauf hinzuweisen, daß zahlreiche Beispiele erfolgreicher Absolventen der Akademie das Prestige dieser Einrichtung erhöhten - es sei nur an Franz Maria Thugut (1736—1818) erinnert, der 20 Jahre lang Internuntius in Istanbul war, bevor er 1794 Außenminister wurde 32 , oder an den bekannten Orientalisten Josef von Hammer-Purgstall (17741856), ebenso wie an seinen Namensvetter Anton von Hammer-Nemesbäny (18091889), der nach einer Vielzahl von erfolgreichen Vermittlungstätigkeiten Hofdolmetscher in Wien wurde33; genauso interessant erscheint die Person von Anton von SteindlPlessenet (1811-1864), von dem eine glänzende Karriere als Internuntiaturdolmetscher dokumentiert ist, bevor er 1854 zum Generalkonsul in Smyrna avancierte34. Doch können diese Beispiele nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Beruf des Dolmetschers von Prestigeproblemen begleitet war, die nicht zuletzt durch den möglichen Aufstieg in die Gesandtschaftskarriere ausgeglichen wurden: Daß es sich bei der Ausbildung nicht um eine solche für niedere Beamte oder Dolmetscher handelte, bestätigten auch die Außenstehenden, wenn die Studiosi der Jurisprudenz der Wiener Universität ihre Kollegen der Akademie als „Diplomatenlehrbuben" bezeichneten35. Die Konkurrenz mit der Universität trat mehrfach zutage, und zwar nicht nur aus Kostengründen, sondern auch aufgrund des Selbstverständnisses der Universität, eine wissenschaftlich fundierte und durch die Öffentlichkeit kontrollierte Ausbildungsstätte

3 0 Heidemarie SALEVSKY, 1 8 9 4 - 1 9 9 4 : Reminiszenzen. In: Dolmetscher- und Übersetzerausbildung gestern, heute und morgen. Berliner Beiträge zur Translationswissenschaft, hg. von DIES. (Frankfurt am Main u. a. 1996) 22f. 31 SACHAU, Denkschrift (wie Anm. 29) 58. 3 2 Z u T h u g u t vgl. vor allem Helga TSCHUGGUEL, Österreichische Handelskompagnien im 18. Jahrhundert und die Gründung der Orientalischen Akademie als ein Beitrag zur Belebung des Handels mit dem Orient (phil. Diss. Wien 1996) 117f. 3 3 Heinrich SRBIK, Aus den Erinnerungen eines alten österreichischen Beamten. AÖG117/1 (1944) 46. 3 4 A d a m W\NDRUSZKA, Anton Steindl Ritter von Plessenet. Ein österreichischer Diplomat in der Levante. MÖStA 25 (1972) 452f. 35 PFUSTERSCHMID-HARDTENSTEIN, Von der Orientalischen Akademie (wie Anm. 8) 141 [Hervorhebung von mir]. Auch im „Seminar für Orientalische Sprachen" in Berlin scheint die Statusfrage eine große Rolle gespielt zu haben. Die Bezeichnung „Dragoman" wurde 1894 vom Direktor des Seminars, Eduard Sachau, als problematisch bezeichnet, da sie levantinischer Herkunft sei und daher als subaltern angesehen werde; vorgeschlagen wurde die Bezeichnung „Sekretär-Interpreten"; WILSS, Seminar für Orientalische Sprachen (wie Anm. 14) 61. D a ß die Bezeichnung „ D r a g o m a n " sich nicht ausschließlich auf den Tätigkeitsbereich im diplomatischen Dienst bezog, beweist ein Bericht, in dem die Tochter des ehemaligen Chefs der österreichischen „Levante-Post" in Istanbul von einem Dragomanen spricht, der dem Vater als „persönlicher Bürodiener" zu sprachmittlerischen Zwecken während seiner Tätigkeit in Istanbul zugeteilt war; Lorle SCHINNERER-KAMLER, Liebe war u m uns, Toleranz und über allem der Glaube an Gott. In: „Es war eine Welt der G e b o r g e n h e i t . . . " . Bürgerliche Kindheit in Monarchie und Republik, hg. von Andrea ScHNÖLLER-Hannes STEKL (Damit es nicht verlorengeht 12, W i e n - K ö l n 1987) 117.

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zu gewährleisten; hinzu kam gegen Ende des Jahrhunderts der Vorwurf, den gewachsenen Anforderungen in Handelsangelegenheiten in der Ausbildung nicht genügend Rechnung zu tragen. Es muß jedoch angemerkt werden, daß die Orientalische Akademie sich zwar nicht als wissenschaftliche Forschungsstätte sah (und dies auch nicht ihr Auftrag war), dennoch gab es Bestrebungen, über das Vermitteln von Sprachkenntnissen hinaus auch wissenschaftliche Leistungen zu vollbringen wie etwa die Herausgabe orientalistischer Werke (z. B. die Anthologiapersica) oder die aufwendige Neubearbeitung des damals vergriffenen Wörterbuches der orientalischen Sprachen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Johann Franz Mesgnien von Meninski, die unter reger Mitarbeit zahlreicher Studenten zustande kam36. Hier ist somit eine Verknüpfung von symbolischem und kulturellem Kapital feststellbar. Die Dynamik des „habsburgisch-osmanischen Dolmetschfeldes" In der Zusammenschau der in den bisherigen Ausführungen analysierten Kapitalarten im Ausbildungsfeld angehender Dragomane ist ersichtlich, daß die in der Orientalischen Akademie vermittelten Kompetenzen für ihre zukünftige sprach- und kulturmittlerische Tätigkeit von wesentlicher Bedeutung waren. Wenn nun von der These ausgegangen wird, daß sich aus diesem Zusammenspiel eine Dynamik ergab, die letztendlich die Beziehungen zwischen den Osmanen und den Habsburgern in bedeutendem Ausmaß mitgestaltete, so stellt sich die Frage, welche weiteren Kräfte für das Zustandekommen dieser Dynamik verantwortlich waren. Welche Bedingungen liegen also einer Rekonstruktion des „habsburgisch-osmanischen Dolmetschfeldes" zugrunde? Dazu ist es zunächst notwendig festzustellen, welche weiteren sozialen Akteure in diesem spezifischen Feld tätig waren und über welche Kapitalien sie vorrangig verfugten. Je nach Aufgabengebiet der einzelnen Akteure und je nach der Art und Weise, wie sie diese Aufgaben bewältigten, sind der Einsatz ihres kulturellen, sozialen und symbolischen Kapitals in Verbindung mit ihrem Habitus abzulesen. Die Diskussion der Frage, welche Faktoren für einen Ruf nach Istanbul oder als „Grenzdolmetscher" ausschlaggebend waren, steht hier für den sozialen Akteur des Dolmetschers im Mittelpunkt. Schließlich wäre — anhand der eingehenden und so weit wie möglich erschöpfenden Erschließung biographischer Daten - das soziale Netz auszuleuchten, das sich der jeweilige Dolmetscher in seinem Arbeitsfeld sukzessive aufbaute. Auf diese Weise könnte — im Zusammenwirken mit den relevanten Daten anderer sozialer Akteure im Feld - die Bedeutung des Beitrages, den der Dragoman als Sprach- und Kulturmittler im jeweiligen Dolmetschfeld lieferte, herausgearbeitet werden. Damit wiederum kann das Potential freigelegt werden, das für die hier als These formulierte Behauptung, daß der Dragoman die osmanisch-habsburgischen Beziehungen wesentlich mitgestaltete, ausschlaggebend ist und das schließlich für die Strukturiertheit dieser Beziehungen eine unerläßliche Voraussetzung bildet.

Freiherr M i c h a e l von PIDOLL-QUINTENBACH, Promemoria betreffend die Reorganisation des Studienplanes der k. und k. Orientalischen Akademie. H H S t A , Archiv der Orientalischen bzw. Konsularakademie, Karton 5 3 , 4 . Vgl. zu J o h a n n Franz Mesgnien von Meninski ( 1 6 2 3 - 1 6 9 8 ) , Hofdolmetsch in W i e n : Evliyä (^ELEBI, I m Reiche des goldenen Apfels. Des türkischen W e l t e n b u m m l e r s Evliyä (¡xlebi denkwürdige Reise in das Giaurenland und in die Stadt und Festung W i e n a n n o 1 6 6 5 . Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Richard F. Kreutel ( O s m a n i s c h e Geschichtsschreiber N F 2, G r a z - W i e n - K ö l n 1957) 276f.

Hammer-Purgstall als Homo Politicus im Spiegel seiner „Erinnerungen aus meinem Leben" Sibylle Wentker

D e r N a m e J o s e f von Hammer-Purgstall erfreut sich nicht nur in Österreich großer Bekanntheit. Historikerinnen wie Orientalistinnen können mit d e m N a m e n J o s e f von H a m m e r , später Hammer-Purgstall, etwas anfangen, sofern sie m i t der Geschichte des O s m a n i s c h e n Reiches befaßt sind. Aber auch G e r m a n i s t i n n e n ist der N a m e nicht fremd, schnell findet m a n H a m m e r als denjenigen wieder, der G o e t h e zu seinem WestOstlichen D i w a n beeinflußt hat, und seine Ubersetzung der Märchen aus 1001 N ä c h ten ist wieder im Buchhandel erhältlich 1 . H a m m e r s langes u n d produktives Leben von 1 7 7 4 bis 1 8 5 6 hat zu einer Vielzahl von W ü r d i g u n g e n geführt, die hier aufzuführen nicht der Platz sein kann u n d soll. Seine größte W ü r d i g u n g hat H a m m e r als Orientalist erfahren, mit Einschränkungen zwar, aber er gilt fast schon stereotyp als Begründer der österreichischen Orientalistik 2 . D e s weiteren ist H a m m e r g e r ü h m t als einer der hauptsächlichen Betreiber der schwierigen und langwierigen G r ü n d u n g der Österreichischen A k a d e m i e der Wissenschaften, deren erster Präsident er war 3 . Weniger W ü r d i g u n g - nach heutigen Gesichtspunkten vielleicht zu Recht - erfuhr H a m m e r s lyrisches Werk 4 , ebensowenig seine politische Tätigkeit 5 .

1 Vgl. zu Hammer-Purgstalls Beziehung zu Goethe vor allem Ingeborg H. SOLBRIG, Hammer-Purgstall und Goethe. „Dem Zaubermeister sein Werkzeug" (Stanford German Studies 1, Bern-Frankfurt am Main 1973). 2 Alle zusammenfassenden Darstellungen der Geschichte der Orientalistik äußern sich darüber übereinstimmend, vgl. Johann FÜCK, Die arabischen Studien in Europa bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts (Leipzig 1955); Franz BABINGER, Die türkischen Studien in Europa bis zum Auftreten Joseph von Hammer-Purgstalls. Die Welt des Islams! (1919) 103-129; Anton Cornelius SCHAENDLINGER, Die Turkologie und Iranistik in Österreich. Bustan4l5 (1963/64) 8-11; Hermann HUNGER, Orientalistik, in: Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften 4: Geschichte und fremde Kulturen, hg. von

K a r l ACHAM ( W i e n 2 0 0 2 ) 4 6 7 - 4 7 9 . 3 Vgl. die ausführliche Darstellung von Richard Meister, die auch die Rolle Hammer-Purgstalls stark betont: Richard MEISTER, Geschichte der Akademie der Wissenschaften 1847-1947 (Denkschriften der Gesamtakademie 1, Wien 1947). 4 Sehen wir von der inzwischen wohl überholten Dissertation von Charlotte Bucher ab, teilen die mit Hammer-Purgstall befaßten Autoren diese Skepsis. Vgl. Charlotte BUCHER, Das dichterische Werk des Josef Freiherrn von Hammer-Purgstall (Diss. Wien 1949). 5 Erst in der letzten Zeit gibt es Darstellungen, die in Hammer-Purgstall zumindest einen politischen Orientalisten sehen wollen, z. B. Sabine Mangold, die den diesbezüglichen Forschungsstand zu-

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Sibylle Wentker

Man kann nach dem eben Gesagten mit Fug und Recht behaupten, daß Hammer in mehreren Identitäten lebte, in der des Wissenschaftlers (also Orientalisten und Historikers), des Dichters, des Dolmetschers und Diplomaten. In der Würdigung seiner Nachwelt scheint die Wertung dieser verschiedenen Identitäten weitgehend gelöst: Jene des immens produktiven Orientalisten steht immer im Vordergrund, wenngleich nicht unkritisch gelobt. Die dichterische Tätigkeit wird mit einem Augenzwinkern übergangen, und die politische wird ignoriert. Spätere Nachrufe auf Hammer haben jedenfalls die orientalistische Tätigkeit in den Vordergrund gestellt 6 . Meines Erachtens kann die Frage nach der Identität, die Hammer für sein eigenes Leben gewählt hätte, nicht so einfach beantwortet werden. Es gibt eine Reihe von Indizien in Hammers Leben, die zeigen, daß er sich nicht hauptsächlich als Orientalist, sondern als Diplomat und als politischer Mensch sah. Hammer wurde zum Dolmetscher für orientalische Sprachen an der Orientalischen Akademie ausgebildet. Damit war er auf ein Arbeitsleben im Staatsdienst vorbereitet. Im Staatsdienst verblieb er auch sein gesamtes Berufsleben, er wurde aber mehr und mehr seiner politischen Ämter entledigt, was wohl nicht nur dem Unwillen seiner Vorgesetzten zuzuschreiben ist, sondern vielfach an Hammers Persönlichkeit gelegen haben mag. Die Einschätzung, für den diplomatischen Dienst nicht geeignet zu sein, wurde von Hammer jedoch Zeit seines Lebens nicht geteilt und führte bei ihm zu starker Verbitterung. In diesem Beitrag soll Hammers Leben in seiner eigenen Betrachtung im Vordergrund stehen. An Hand der angesprochenen Identitäten-Problematik soll diskutiert werden, inwieweit Hammers persönliches Schicksal Einfluß darauf nahm, in welcher Weise und mit welcher Absicht sein wohl berühmtestes Werk, die „Geschichte des Osmanischen Reiches" 7 , entstanden ist. Stand nicht neben dem nicht zu leugnenden Forscherinteresse auch eine politische Intention hinter diesem Werk? Meiner These bzw. Beobachtung nach konzentrierte sich Hammer auf die historische Tätigkeit, weil er in ihr eine wissenschaftliche Expertise für politisches Handeln schaffen wollte, ein Handeln, das er selbst gerne ausgeübt hätte. Uberspitzt gesagt, bedeutet seine historische Tätigkeit eine Sublimierung der Tatsache, daß der politische Beobachter nicht zum politischen Agens werden durfte. Trotz der zahlreichen Würdigungen Hammers hat man sich bislang mit seinem Leben selbst verhältnismäßig wenig beschäftigt. Die ausführlichste Schilderung seines Lebens findet sich in dem biographischen Lexikon von Wurzbach 8 . Eine eigenständige Monographie über Hammers Leben existiert jedoch nach wie vor nicht. Dies ist um so erstaunlicher, als von ihm selbst mit seiner Autobiographie eine beeindruckende Quelle überliefert ist. Natürlich ist eine autobiographische Schrift eine schwierig einzuordnende Quelle, macht sie doch das Individuum, das sie bestimmt, zu ihrem unberechenbarsten Meßfaktor. Die Autobiographie Hammers trägt stark den Charakter einer Rechtfertigungsschrift. Hammer war der Uberzeugung, daß viele seiner Qualitäten, vor allem im politischen Bereich, nur ungenügend gewürdigt wurden. Um diesem Umstand

sammenfaßt. Vgl. Sabine MANGOLD, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft". Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert (Pallas Athene 11, Stuttgart 2004) 4 7 - 5 2 . 6 Vgl. etwa den Nachruf auf Hammer von Ferdinand WOLF, Bericht des General-Secretärs. Almanach der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (1858) 71—86. 7 Josef von HAMMER, Geschichte des Osmanischen Reiches, 10 Bde. (Pest 1 8 2 7 - 1 8 3 4 ) . 8 Vgl. Art. Hammer-Purgstall, Josef Freiherr von. WURZBACH 7 (1861, Nachdr. 2001) 2 6 7 - 2 8 9 .

Hammer-Purgstall als Homo Politicus im Spiegel seiner „Erinnerungen aus meinem Leben"

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abzuhelfen, begann er 15 Jahre vor seinem Tod die „Erinnerungen aus meinem Leben" zu schreiben. Der Zweck dieses Unternehmens war, einen von ihm autorisierten Lebensbericht zu hinterlassen. So verbrachte Hammer die Vormittage seiner Sommerfrische auf Schloß Hainfeld damit, unterstützt von seinem Tagebuch und seinem ausgezeichneten Gedächtnis, die Ereignisse seines Lebens niederzuschreiben. Als er 1852 fertig war, umfaßte die Autobiographie 2 4 3 Hefte zu je 24 halbbrüchig beschriebenen Seiten, insgesamt also an die 6 0 0 0 handschriftliche Seiten 9 . Es ist wahrscheinlich, daß Hammer eine Veröffentlichung des Textes nach seinem Tod wünschte. Er gab jedoch keine eindeutigen Anweisungen, wie dies geschehen könnte, sondern überließ die Angelegenheit seinen Nachlaßverwaltern. Ich glaube mit Sicherheit, daß Hammer davon ausging, daß jemand seine Erinnerungen für den Druck vorbereiten würde. Man zögerte jedoch nach seinem Tod, dies zu tun. Zum einen war man von dem enormen Umfang abgeschreckt, zum anderen hielt man nicht alles für mitteilenswürdig und fragte sich, ob man es wagen solle, den gesamten Text abzudrucken, oder ob man nicht viel besser „Goldkörner daraus für das Publikum fischen"10 solle. Über diesen Überlegungen schlief das Projekt ein, und es dauerte fast achtzig Jahre, bis sich jemand erneut dieser Angelegenheit annehmen wollte. 1933 wandte sich Reinhart Bachofen von Echt mit dem Ansinnen an die Historische Kommission der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, eine gekürzte Version der „Erinnerungen" veröffentlichen zu wollen, nachdem er die 6 0 0 0 Seiten der gesamten „Erinnerungen" auf 2 5 0 0 maschinenschriftlichen Seiten abgeschrieben hatte 1 1 . Der Hintergrund dieses Unternehmens ist heute nicht mehr ganz rekonstruierbar. Es hat den Anschein, daß die Historische Kommission den Gedanken nicht mit großer Begeisterung aufgenommen hat. Der großen Mühe wegen, der sich Bachofen unterzogen hatte, gestattete man jedoch 1939 die Publikation der gekürzten „Erinnerungen", die im darauffolgenden Jahr erschien 12 . Die Kürzungen, die Bachofen vorgenommen hatte, waren beträchtlich und entstellen gelegentlich den Sinnzusammenhang des gesamten Textes. Bachofen versuchte vor allem, dem Ansehen Hammers nicht zu schaden und schrieb im Vorwort: „Dem Kürzer dieser Lebenserinnerungen war daran gelegen und er erachtete es als seine Pflicht, das Bild dieses Gelehrten und Forschers ganz großen Formats unter möglichster Vermeidung aller Schatten und Verzerrungen, welche eine zu genaue Wiedergabe auf seine Wesenheit zu werfen geeignet gewesen wäre, aus seinen eigenen Erinnerungen herauszuschälen, ohne dabei der geschichtlichen Wahrheit nahe zu treten" 1 3 . Der Bearbeiter der Hammerschen Memoiren griff allerdings viel stärker in den Text ein, als er ankündigte, sodaß es sich bei jeglicher Beschäf9 Der Zugriff auf den Originaltext der Erinnerungen ist heute stark erleichtert durch die Tatsache, daß inzwischen der gesamte Nachlaß Hammer-Purgstalls im Steiermärkischen Landesarchiv in Graz aufbewahrt wird. Das betrifft neben der umfangreichen Korrespondenz auch das Originalmanuskript der Autobiographie. Seit einiger Zeit existiert eine Mikroverfilmung des Manuskripts im Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Wien). Dem Betreuer der Bestände, Stefan Sienell, sei an dieser Stelle für seine freundliche Unterstützung herzlich gedankt. 10 Josef Freiherr von HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben 1 7 7 4 - 1 8 5 2 , bearb.

v o n R e i n h a r t BACHOFEN VON E C H T ( F R A 1 1 / 7 0 , W i e n - L e i p z i g 1 9 4 0 ) , i m f o l g e n d e n zitiert als BACH-

OFEN, Erinnerungen, hier IX, zit. Georg v. Cotta, den Verleger Hammers. 11 Brief an den Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom 6. Oktober 1933; Wien, ÖAW Archiv, Hist. Kommission, Sch. 3, Fasz. Protokolle 1941. 12 Wien, ÖAW Archiv, Hist. Komm., Sch. 3, Fasz. Protokolle 1939. 1 3 BACHOFEN, Erinnerungen (wie ANM. 10) XI.

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Sibylle W e n t k e r

tigung mit Hammers „Erinnerungen" empfiehlt, das Original der Erinnerungen zu konsultieren 14 . Vor allem die Stellen, die mit der Beurteilung der politischen Situation in Österreich zu tun hatten, wurden bei Bachofen gekürzt bzw. ausgelassen. Dabei sagen gerade diese Stellen allerhand über die wissenschaftliche Motivation Hammers aus. Zur Illustration möchte ich auf die Zeit ab 1817 eingehen, eine Zeit, in der sich für Hammer herausstellte, daß er ein wesentliches Ziel in seinem Leben nicht mehr erreichen würde. Dieses bestand darin, als Diplomat in den Orient bzw. nach Konstantinopel geschickt zu werden, wo er seine in langen Jahren erworbenen Kenntnisse in politischer Arbeit hätte einsetzen können. Bereits 1806 mußte Hammer Konstantinopel nach mehrjähriger Tätigkeit als Gesandtschaftssekretär an der Internuntiatur verlassen. Es folgte ein kurzes Intermezzo als Gesandtschaftssekretär in Jassy in der Moldau. Anschließend wurde Hammer in die Staatskanzlei zurückbeordert, wo er der Tätigkeit als Hofdolmetscher nachging. Er fühlte sich in dieser Tätigkeit unterfordert und verlangte mehrfach, wiederum an die Internuntiatur geschickt zu werden. Hammer gibt die Szene, in der sich seine Hoffnungen auf einen weiteren Posten in Konstantinopel zu zerschlagen beginnen, sehr detailliert wieder. Ich zitiere aus dem Original, das sich von der gedruckten Ausgabe nur geringfügig unterscheidet. Auch Bachofen war sich der Bedeutung dieser Szene für Hammers Zukunft bewußt und beließ sie fast ungekürzt in seiner Ausgabe der Lebenserinnerungen 15 : „Ich täuschte mich damals noch mit der Möglichkeit, in dieser geraden Richtung auf der diplomatischen Bahn meinen Weg zu höherem Ziele verfolgen zu können und auf den Posten von Constantinopel bei der nächsten Erledigung desselben Anspruch machen zu dürfen; aber gar bald ward ich in meinen Hoffnungen in einer langen Unterredung, die mir der Fürst am zehnten September [1817] gewährte, enttäuscht" 16 . Metternich erwiderte auf Hammers Ersuchen: „Sie sind zu gut, gewöhnliche Kanzleinoten zu konzipieren. Sie können sich nützlicher mit literarischen Arbeiten beschäftigen und Sie werden nichts dabei verlieren, indem alle Vorteile und Auszeichnungen, welche Ihre Kollegen auf dem politischen Wege erreichen, auch Ihrem literarischen Verdienste werden sollen" 17 . Nachdem dies nicht die von Hammer gewünschte Antwort war, insistierte er: „Ich entgegnete, daß ich nicht ein Referat in der Kanzlei als Hofrat, sondern vielmehr den Posten von Constantinopel im Auge hätte, zu dem ich mich nicht nur durch meine bisherige Laufbahn als Gesandtschaftssecretär und Agent in der Moldau, und nun als Hofdolmetsch (der damalige Internuntius Stürmer 18 war auch vom Hofdolmetsch zum Internuntius befördert worden), sondern auch vorzüglich durch meine in Geschäften und auf Reisen erworbe-

14

D i e Q u e l l e n z i t a t e in d i e s e m Beitrag s t a m m e n alle aus d e r M a s c h i n e n a b s c h r i f t des O r i g i n a l m a n u -

skriptes v o n R e i n h a r t B a c h o f e n , W i e n , Ö A W Archiv, H a m m e r - P u r g s t a l l , E r i n n e r u n g e n aus m e i n e m Leben. 15

BACHOFEN, E r i n n e r u n g e n (wie A n m . 10) 2 3 5 f .

16

HAMMER-PURGSTALL, E r i n n e r u n g e n a u s m e i n e m L e b e n (wie A n m . 1 4 ) , B u c h 2 7 , H e f t 2, 2 0 .

17

Ebd. 22-24.

18

I g n a z L o r e n z Freiherr v o n S t ü r m e r ( 1 7 5 2 - 1 8 2 9 ) : U r s p r ü n g l i c h Jesuit, s t u d i e r t e er n a c h der A u f -

h e b u n g dieses O r d e n s R e c h t s w i s s e n s c h a f t e n u n d absolvierte d i e O r i e n t a l i s c h e A k a d e m i e . Z u s a m m e n m i t H e r b e r t - R a t h k e a l g i n g S t ü r m e r 1 7 8 1 n a c h K o n s t a n t i n o p e l . N a c h d e m er einige Zeit in der Staatskanzlei tätig g e w e s e n war, k a m er 1 8 0 1 als I n t e r n u n t i u s e r n e u t n a c h K o n s t a n t i n o p e l , w o er bis 1 8 1 8 in dieser F u n k t i o n blieb. V g l . d e n Art. S t ü r m e r , I g n a z L o r e n z Freiherr v o n . WURZBACH 4 0 ( 1 8 8 0 , N a c h d r . 2001) 178-180.

Hammer-Purgstall als Homo Politicus im Spiegel seiner „Erinnerungen aus meinem Leben" 519

nen Kenntnisse des Landes und der Menschen (wovon ich in dem Werke über die Staatsverfassung und Staatsverwaltung des osmanischen Reiches der Welt einen Beweis verliehen) vor anderen befähigt glaubte. Hierauf der Fürst: Solange ich Minister bin, kommen Sie nicht nach Konstantinopel. Ich kann in den von mir auf Ministerposten verwendeten Subalternen weder vorzüglichen Geist noch ausgezeichnete Kenntnisse brauchen, ich brauche nur charakterlose Maschinen" 1 9 . Nachdem Metternich Talleyrand zitiert hatte, der wie er auch niemanden mit Geist und Begeisterungsfähigkeit in seinem Stab haben wollte, und er ihm versichert hatte, daß er eher einen Esel noch Konstantinopel schicken würde als ihn, entließ er Hammer. Interessant an diesem Gespräch ist, abgesehen von der brutal vorgetragenen Ablehnung Hammers, die Erwähnung der „Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Osmanischen Reiches" als Beispiel für die Qualität seiner politischen Expertise. H a m m e r vertrat den Standpunkt, daß eine gründliche Kenntnis der Vergangenheit von eminenter Wichtigkeit für die Beurteilung der Gegenwart sei und die Grundlage fiir politisches Handeln sein müsse. Diese Haltung vermißte H a m m e r bei diversen Autoren, denen er diesen Mangel „freimütig", wie er dies immer nannte, auch mitteilte. In diesem Sinne schrieb er in der Einleitung zu seiner „Staatsverfassung und Staatsverwaltung des Osmanischen Reiches": „Ungeachtet dieses großen dem Diplomatiker und Historiker zunächst liegenden Interesses, ist bisher von europäischen Geschäftsmännern u n d Literatoren fast Nichts geleistet worden. Alle in der unten folgenden Übersicht der Literatur aufgeführten europäischen Schriften sündigen sowohl durch Unvollständigkeit als Unrichtigkeit wider die ersten Erfordernisse einer solchen Arbeit" 20 . H a m m e r wird sich mit derart geäußerter, vernichtender Kritik bei den Genannten kaum Freunde gemacht haben, der vorhergehende Absatz macht aber deutlich, daß er seine historische Arbeit weniger als Teil seiner literarischen als vielmehr seiner politischen Betätigung sah. Als solche politische Expertise wollte Hammer sein historisches Werk auch gesehen haben. Beharrlich wie er war, versuchte er noch lange, eine Verwendung in Konstantinopel zu erreichen, was angesichts seiner Chancenlosigkeit, wie in der eben geschilderten Szene gezeigt, beeindruckend ist. Was blieb H a m m e r anderes übrig, als die Zeit, die er sich als Wartezeit vorstellte, weiterhin als Hofdolmetscher zu verbringen? Die Arbeiten in der Hofkanzlei nahmen ihn nicht sehr in Anspruch. Als Hofdolmetscher hatte er alle 14 Tage die ein- und ausgehende Post nach Konstantinopel zu betreuen. Den Rest seiner Dienstzeit verbrachte er im Haus-, Hof- und Staatsarchiv, damals noch in der Hofburg mit Blick auf den Michaelerplatz untergebracht, und exzerpierte die Akten, die sich mit den türkischen Belangen beschäftigten. Als Beamter der Staatskanzlei hatte H a m m e r natürlich Zugang zum Archiv, allerdings mußte auch er um die Benutzung der Akten ansuchen bzw. sich durch Metternichs Empfehlung vermitteln lassen 21 .

19

HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben (wie Anm. 14), Buch 27, Heft 2, 22-24. Josef von HAMMER, Des osmanischen Reiches Staatsverfassung und Staatsverwaltung 1: Die Staatsverfassung (Wien 1815, Nachdr. Hildesheim 1977) XI. 21 Die Kurrentakten des HHStA in Wien geben zum Teil Einblick in die Benützer, zur Zeit Hammers leider noch nicht sehr ausführlich. Ein einziger Hinweis auf Hammers Benutzung des Archivs findet sich in dem Geschäftsprotokoll von 1823, 1. Auftrag der geheimen Hof- und Staatskanzley de dato 15. März 1823 dem k. k. Hofdolmetsch und Hofrath von Hammer die Verträge in türkischer Sprache und sonstige darauf bezughabende Schriften gegen Recipisse zuzustellen. Wien, HHStA, Geschäftsprotokoll des Haus-, Hof- und Staatsarchivs von 1742 bis 1845. - Die Notwendigkeit der Vermittlung durch Metter20

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Sibylle Wentker

1821 überlegte Hammer, mit den Arbeiten an der „Geschichte des Osmanischen Reiches" zu beginnen. „Ich wankte lange, ob ich nicht schon in diesem Jahre die Schreibung der Geschichte des osmanischen Reiches beginnen sollte, wozu ich, seitdem mich Johannes Müller 22 vor einigen und zwanzig Jahren dazu aufgefordert hatte, unablässig Materialien gesammelt hatte und sieben Jahre lang in dem Handarchive und in der Registratur der Staatskanzlei die ganze orientalische Korrespondenz von der Zeit Karls V. und Ferdinand I. an bis zum Frieden von Sistowa gelesen und ausgezogen hatte. Ich würde zweifelsohne schon in diesem Jahre die Schreibung begonnen haben, wenn mir nicht noch immer der Gedanken der Möglichkeit vorgeschwebt hätte, nach der nicht fernen Rückkehr des Grafen Lützow23 von Constantinopel den Posten des Internuntius zu erhalten, zu welchem mich nicht meine literarischen, sondern meine Sprach- und Sachkenntnisse vor allen anderen Mitbewerbern befähigten. Ich beschloß, diesen entscheidenden Zeitpunkt abzuwarten und für den Fall, daß meine Hoffnung in Erfüllung ginge, die Schreibung der Geschichte des Osmanischen Reiches in der Hauptstadt desselben zu beginnen" 24 . Bei der heutigen Lektüre der „Erinnerungen" Hammers ist es schwer nachzuvollziehen, wie lange er sich mit der Hoffnung trog, daß sein Herzenswunsch in Erfüllung gehen könnte. Hammer begründete rückblickend die Weigerung Metternichs, ihn politisch einzusetzen, mit tiefgreifenden Meinungsunterschieden in orientalischen Fragen. In den „Erinnerungen" findet man hierzu als Beispiel die Frage des griechischen Freiheitskampfes, zu dem Metternich und er gänzlich andere Ansichten vertraten25. Des weiteren unterstreicht Hammer aber auch, daß Metternichs Persönlichkeit keinen starken und eigenständigen Untergebenen vertrug. Inwieweit diese Einschätzung Hammers richtig war oder den Versuch eines alten Mannes darstellte, ein offensichtliches Versagen außerhalb der eigenen Zuständigkeit zu stellen, kann hier nicht geklärt werden. Schließlich beabsichtigte Metternich, Hammer zum Leiter eines neu zu errichtenden „Statistischen Bureaus" zu machen und schickte ihn auf eine fact finding mission nach Dresden an das dortige statistische Büro. Es scheint sich um eine reine Beschäftigungsmaßnahme Metternichs gehandelt zu haben, denn das „Statistische Bureau" wurde erst später und ohne Beteiligung Hammers realisiert.

nich geht aus einem Schreiben Hammers vom 2 2 . Oktober 1 8 2 4 hervor, in dem er Metternich bittet, ihm durch eine Note Zutritt im Archiv des Finanzministeriums zu verschaffen. Vgl. W i e n , H H S t A , T ü r kei V / 2 8 . 2 2 Johannes von Müller ( 1 7 5 2 - 1 8 0 9 ) : Historiker und Staatsmann. Sehr bekannt zu seiner Zeit wegen seiner „Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaft" in 5 Bänden, als Historiker Propagator einer wirkungsvollen Darstellung der Historiographie. Seine Haltung für Napoleon brachte ihm die Stelle des Außenministers des Königreiches Westfalens ein. Tonja S C H W E W E , Art. Müller, Johannes von. Deutsche Biographische Enzyklopädie! ( 1 9 9 8 ) 2 7 0 . Rudolph Carl Lützow ( 1 7 8 0 - 1 8 5 8 ) : Nach kurzer Militärkarriere Übertritt in den diplomatischen Dienst, in diesem auf mehreren Gesandtschaftsposten, 1 8 1 8 - 1 8 2 3 Internuntius in Konstantinopel; anschließend Botschafter in Berlin und R o m , bis er 1 8 4 8 in den Ruhestand trat. Vgl. Art. Lützow, Rudolph Carl. WURZBACH 16 ( 1 8 6 7 , Nachdr. 2 0 0 1 ) 1 4 8 - 1 5 0 .

HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben (wie Anm. 14), Buch 3 2 , Heft 1, 9f. So schreibt Hammer in einem Brief an „F. M . [Fürst Metternich; Anm. S W ] thinks so Laibach in B . Ottenfels' hands, who answers in gusting as Ottenfels himself. I grow sick by the Zit. in HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus 25

seine Freundin, die Gräfin Purgstall, am 18. Mai 1 8 2 1 : indifferently o f oriental affairs that he has given them in the Prince's name Stürmers dispaches. Now this is as diidea o f further hammering on M . for oriental business". meinem Leben (wie Anm. 14), Buch 3 2 , Heft 2, 6 .

Hammer-Purgstall als Homo Politicus im Spiegel seiner „Erinnerungen aus meinem Leben" 521

1822 kam der Moment, an dem Hammer sich nicht mehr nur durch Metternich ignoriert, sondern in bösartiger Weise übergangen fühlte. Der Moment wurde mit der Ernennung seines Erzfeindes Ottenfels 26 zum Internuntius erreicht. Mehrfach äußert sich Hammer in seinen „Erinnerungen" entsetzt und gekränkt über die in seinen Augen so schlechte Wahl des Staatskanzlers, „der einen sprachkundigen Salonwurm als Internuntius dem Verfasser des Werkes über osmanische Staatsverfassung und Staatsverwaltung vorgezogen, weil dieser besser unterrichtet als jener, aus seiner Meinung über die griechische Frage [...] keinen Hehl gehabt" 2 7 . Wie sehr Hammer bis in sein Innerstes getroffen war, zeigt auch folgende Stelle: „Der Streich, wonach mein Hintermann, der mir zu Constantinopel als Gesandtschaftssekretär meine Fußstapfen ausgetreten, der erbärmliche Kriecher, der, was seine Kenntnisse des Türkischen und des Osmanischen Reiches betrifft, nicht wert war, mir die Schuhriemen aufzulösen, mir auf so kränkende Art vorgezogen und also meine Aussicht auf den Posten von Constantinopel für immer vernichtet worden, war der empfindlichste meiner politischen Laufbahn" 2 8 . Vernichtete Hoffnung schlägt gerne um in Wut; nicht anders ist dies der Fall bei Hammer. Die Rechnung, sich mit seiner qualitätvollen Expertise für eine politische Verwendung in Konstantinopel zu empfehlen, war nicht aufgegangen. Hinzu kam, daß Hammer sich gedemütigt fühlte, daß ihm sein jüngerer, verhaßter Kollege vorgezogen worden war. Für Hammers historische Arbeiten hatte diese Zurücksetzung Konsequenzen. Waren auch die Möglichkeiten, mit seinen Kenntnissen in politischer Verwendung zu brillieren, dahin, so bot sich für ihn doch die Möglichkeit, all jene mit seinen Fachkenntnissen zu beschämen, die sich gegen seine Verwendung ausgesprochen hatten. Zunächst lieferte Hammer, gleichsam dem früheren Auftrag entsprechend, sich ohne Nachteil der „literarischen" Tätigkeit zu widmen, eine Zusammenfassung der österreichisch-osmanischen Beziehungen an Metternich ab. Diese „Geschichte der diplomatischen Verhältnisse Österreichs mit der Pforte" war nicht als historische Darstellung konzipiert, sondern als politisches Briefing der historischen Gründe für die gegenwärtigen Verhältnisse. Es handelt sich um eine Zusammenstellung aller Verträge und Verhandlungen zwischen der Habsburgermonarchie und der Pforte. Das Werk ist sehr umfangreich geworden. Es umfaßt drei dicke handgeschriebene Bände von insgesamt 738 großformatigen Seiten mit genauen Belegen aus der damals verfügbaren Literatur, Berichte und Memoires, die Hammer im Archiv gefunden hatte. Dort liegen die Bände auch heute noch in den Beständen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Abteilung Turcica 29 . Die Zusammenstellung reicht bis zum Vertrag von Sistova 1792. Die umständlichen Verhandlungen, die in 17 Unterkonferenzen endlich zu ihrem Ziel eines Friedensschlusses führten, sind sehr ausführlich dargestellt. Hammer schließt seine Gesamtdar-

2 6 Franz Freiherr von Ottenfels-Gschwind (1778-1851) begann seine Karriere als Sprachknabe in Konstantinopel, wo er auch 1802 mit Hammer zusammentraf, und war danach Dolmetscher. Der Konflikt Hammers mit Ottenfels begann bereits in der gemeinsamen Zeit in Jassy und setzte sich auch in weiterer Folge fort. Nachdem Ottenfels Internuntius in Konstantinopel gewesen war, war er in einflußreicher Position in der Staatskanzlei tätig und fungierte immer wieder als Stellvertreter Metternichs. Vgl. Arthur BREYCHA-VAUTHIER, Art. Ottenfels-Gschwind, Franz Freiherr von. ÖBL 8 (1983) 296. 2 7 HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben (wie Anm. 14), Buch 33, Heft 1, 23f. 2 8 Ebd. Heft 2, 16. 2 9 Wien, HHStA, Turcica V/28-30. An dieser Stelle darf ich mich bei dem Betreuer der türkischen Bestände des HHStA, Ernst Petritsch, sehr herzlich dafür bedanken, mich auf diese Quelle aufmerksam gemacht zu haben.

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Sibylle Wentker

Stellung mit den Worten: „So hatte Herbert 30 erst zu Ende des dritten Jahrhunderts der mit der Pforte angeknüpften und oft unterbrochenen diplomatischen Verhältnisse den ersten ewigen Frieden abgeschlossen, die feste Grundlage des freundschaftlichen Verhältnisses beyder Reiche, auf welcher dasselbe nun seit mehr als dreyssig Jahren unerschütterlich ruht" 3 1 . Dieser Optimismus Hammers bezüglich der Stabilität der Verhältnisse verbunden mit dem Gefühl, das Ende der Geschichte der diplomatischen Auseinandersetzungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich erreicht zu haben, erinnert ein wenig an die ebenso optimistischen Ausführungen des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama in Bezug auf die Vollendung der Geschichte durch die fortschreitende, unaufhaltsame Liberalisierung der Welt in seinem Buch „The End of History" 3 2 . In einem Brief an Metternich vom 22. Oktober 1824 bat Hammer um gefällige Kenntnisnahme des großen Werks 33 , vielleicht immer noch in der Hoffnung, daß Metternich womöglich doch den Wert Hammers einsehen werde. Die Reaktion Metternichs auf diese ausführliche Arbeit ist nicht bekannt 34 . Der nächste Schritt war die Realisierung der „Geschichte des Osmanischen Reiches". In seinen „Erinnerungen" bemühte Hammer den Vergleich zu dem englischen Indologen William Jones 3 5 , der zunächst ebenfalls nach Konstantinopel an die englische Gesandtschaft versetzt werden wollte, und der sich, nachdem sich seine Hoffnungen in ähnlicher Weise wie jene Hammers zerschlagen hatten, mit der indischen Literatur zu beschäftigen begann und es auf diesem Gebiet zu hohem Ansehen brachte. Für Hammer war jetzt das Schreiben der „Geschichte des Osmanischen Reiches" mehr zu einer Folge des ihm angetanen Unrechts geworden, sie wurde zu einer Rechtfertigungsschrift: „Ich hatte schon seit dreissig Jahren mich durch das Studium der vorderasiatischen Sprachen und der Quellen osmanischer Geschichte auf die Schreibung derselben vorbereitet, [...] außer diesen großen Hebeln geistiger Tätigkeit und historischer Schriftstellerei stachelte meinen wahrheitsliebenden Geist und mein durch unverdiente Zurücksetzung (ich sage nicht durch Verweigerung des Gesandtschaftspostens, wohl aber durch gänzliche NichtVerwendung in orientalischen Sachen) gekränktes Gemüt noch der Gedanke auf, daß eben eine unparteiische, historische Darstellung mit Wahrheit und Liebe des 3 0 Peter Philipp Herbert Freiherr von Rathkeal ( 1 7 3 5 - 1 8 0 2 ) : Jesuit, 1760 aus dem Orden ausgetreten, Präfekt der Orientalischen Akademie. Von 1780 bis zu seinem Tod Internuntius in Konstantinopel, dort unter anderem für die Führung der Friedensverhandlungen von Sistova verantwortlich. Vgl. Art. Herbert Freiherr von Rathkeal, Peter Philipp. WURZBACH 8 (1862) 3 5 3 - 3 5 7 . 3 1 Wien, HHStA, Turcica V/30, 738. 3 2 Francis FUKUYAMA, T h e End of History and the Last Man (Repr. New York 2002) Introduction. Der Vergleich klingt weit hergeholt, zeigt meines Erachtens aber einen ähnlichen Zugang der beiden Männer, Geschichte einerseits als linear verlaufendes politisches Experimentierfeld zu begreifen, das irgendwann eine Vollendung erreicht, die andererseits in ihrer historischen Tätigkeit meinungsbildend in die Politik eingreifen wollten und wollen. 3 3 Wien, HHStA, Turcica, V/28. 3 4 Es ist wahrscheinlich, daß Metternich gar nicht reagierte. So schreibt Hammer in dieser Zeit über einen anderen Brief, den er ihm geschickt hatte, als er aus Dresden zurückgekehrt war: „Der Brief blieb, so wie alle anderen, die ich in den nächsten fünf und zwanzig Jahren über Gegenstände des Dienstes an den Fürsten Metternich gerichtet, unbeantwortet", HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben (wie Anm. 14), Buch 32, Heft 4, 21. 3 5 William Jones ( 1 7 4 6 - 1 7 9 4 ) , englischer Orientalist; Gründer der Asiatic Society in Indien, Herausgabe persischer Texte (z. B. „The Life of Nadir Shah") und Ubersetzungen aus dem Sanskrit. Vgl. Art. William Jones. Encycbpaedia Britannica 13 (1963) 140.

Hammer-Purgstall als H o m o Politicus im Spiegel seiner „Erinnerungen aus meinem Leben"

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ganzen Wesens der Herrschaft, Diplomatie und Literatur der Osmanen in der Geschichte ihres Reiches vor der ganzen Welt der eigentliche Beglaubigungsbrief meiner Kenntnisse, die beste Widerlegung aller Sophistereien und diplomatischen Lügen sein werden, welche Metternich und Gentz durch den Beobachter zu verbreiten suchten und wider die ich durch Briefe und Reden in der Staatskanzlei und in den Gesellschaftssälen vergebens ankämpfte" 3 6 . Was ihn in der Vergangenheit besorgt hatte, sich Leute zu Feinden zu machen, indem er unpopuläre Meinungen vertrat, wich von Hammer, da er nichts mehr verlieren zu können glaubte. Selbst die Zensur, die ihn zuvor schon bis zu einem Blutsturz gereizt hatte, verzichtete auf eine Störung der Publikation. Zehn Jahre dauerte es, bis die zehn Bände seines großen Geschichtswerks erschienen waren, sie hatten jetzt sicher eine andere Form erhalten, als sie vielleicht gehabt hätten, wären sie das Werk des Internuntius in Konstantinopel gewesen.

36

HAMMER-PURGSTALL, Erinnerungen aus meinem Leben (wie Anm. 14), Buch 34, Heft 1, 2f.

Die Geschichtsforschung der uomini mediocri: Pietro Bettio und Francesco Rossi im Lichte ihres Briefwechsels mit Josef von Hammer-Purgstall. Thomas Wallnig

E morto il bibliotecario de IIa Marciana a Venezia, schrieb Francesco Rossi, Bibliothekar der Bibliothek von Brera in Mailand, am 25. Jänner 1846 in einem Postskriptum lapidar an seinen wichtigsten österreichischen Korrespondenten, den Gelehrten und Orientforscher Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall1. Rossi kannte Pietro Bettio, von

' Rossi an Hammer-Purgstall (HP), 1846 Jänner 25. Sämtliche Briefe Bettios und Rossis sind in meiner Diplomarbeit ediert und kommentiert: Thomas WALLNIG, Die italienische Korrespondenz der Freiherrn Josefvon Hammer-Purgstall. Briefe in Text und Kommentar. Ein Bei trag zur Wissenschaftsgeschichte Italiens während der Restaurationszeit (Dipl. Graz 1999). Der etwa 4.500 Stücke umfassende Briefnachlaß Hammer-Purgstalls - enthalten darin sind nur an ihn gerichtete Briefe - wurde 2004 dem Steiermärkischen Landesarchiv in Graz übergeben und kann dort nun erstmals von einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit bearbeitet werden. Die von Prof. Walter Höflechner in den vergangenen drei Jahrzehnten vorgenommenen oder angeregten Vorarbeiten, die auf die Edition des Briefkorpus abzielten, werden demnächst dem Originalbestand beigegeben, woran die Hoffnung geknüpft ist, daß auch in Zukunft Forschungen dieses Material zum Gegenstand haben werden. Bisher sind folgende Teilbereiche editorisch bearbeitet worden: Gerit KOITZ-ARKO, Zur Geistesgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts: Die Briefe Karl August Böttigers an Josef Freiherr von Hammer-Purgstall (Diss. Graz 1985); Herbert KÖNIG, Die Korrespondenz an den steirischen Orientalisten Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (Diss. Graz 1985) (Briefe von: Friedrich Bouterwek, Josef Dominik Brugger, Franz Bernhard von Buchholtz, Josef Chmel, Georg Friedrich Creuzer, Franz Josefvon Dietrichstein, Stefan Endlicher, Andreas von Ettingshausen, Franz Exner, Philipp Jakob Fallmerayer, Leopold Fitzinger, Eduard Gerhard, Theoderich Hagn, Alexander von Humboldt, Josef Franz von Jacquin, Albert Jäger, Christian Ludwig Ideler, Albrecht Krafft, Alfred von Kremer, Philipp von Lichtenthaler, Josef von Littrow, Clemens von Metternich, Julius von Mohl, Albert Muchar, Eligius Franz Münch-Bellingshausen, Karl von Nesselrode, Karl Friedrich Neumann); WALLNIG, Korrespondenz (Briefe von: Giovanni Baracco, Giuseppe Baraldi, Pietro Bettio, Cesare Cantù, Carlo Ottavio Castigioni, Bartolomeo Catena, Emmanuele Cicogna, Giulio Cordero di San Quintino, Giovanni Labus, Giuseppe Micali, Iacopo Morelli, Salvatore Morso, Ippolito Rosellini, Francesco Rossi). Zusätzlich wurden in Seminaren Höflechners folgende Korrespondenten behandelt: Georg Heinrich Bernstein, Johann Samuel Ersch, Jean-François Champollion, Johann Ludwig Deinhardstein, Franz von Dombay, Johann Gottfried Eichhorn, Christian Martin Frähn, Heinrich Leberecht Fleischer, Georg Friedrich Grotefend, Johann Gottfried Kosegarten, Franz Kurz, JosefJohann von Littrow, August Pfitzmaier, Karl Heinrich Pölitz, Püttlingen, Sylvestre de Sacy, Johann Gustav Stickel, von Stottwinsky, Moritz von Stubenrauch, Jodok Stülz, Friedrich Wilhelm Umbreit, Johann Wartinger, Beda Weber, Johann Gottfried Wetzstein und Heinrich Ferdinand Wüstenfeld. Rossis Nachlaß habe ich vergeblich im ausgelagerten Archiv der Biblioteca di Brera in Vigevano gesucht, freilich ist er dort als Bibliothekar in den Akten präsent. Zwei Briefe HammerPurgstalls an Bettio befinden sich in Venedig, Biblioteca Marciana, Cod. It. X, 278 (= 7106).

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T h o m a s Wallnig

dessen Tod er berichtet, ebensowenig wie dieser ihn gekannt hatte, obgleich die beiden ein knappes Jahrzehnt parallel die Direktion der zwei bedeutendsten Bibliotheken Oberitaliens, vielleicht - nach der Wiener Hofbibliothek - der ganzen Monarchie, innehatten: Sie kannten einander nicht persönlich, denn beide beschränkten ihre Reisen stets auf die nähere Umgebung von Mailand und Venedig 2 , sie unterhielten keinen Briefkontakt miteinander 3 ; auch die persönlichen Netzwerke der beiden Männer berühren einander kaum 4 . Dennoch soll auf den folgenden Seiten eine Gegenüberstellung dieser beiden Bibliothekare im Lichte ihrer Korrespondenz mit dem österreichischen Gelehrten unternommen werden: Zum einen, weil uns mit ihnen Hammer-Purgstalls Hauptinformanten aus dem italienischen Bereich gegenübertreten und wir durch ihre Briefe seinen persönlichen und wissenschaftlichen Informationsstand nachvollziehen können; zum anderen, weil sich in den beiden Persönlichkeiten zwei unterschiedliche Auffassungen von Gelehrsamkeit und Wissenschaft äußern, die in ihrer Spannung die weitreichenden intellektuellen Veränderungen des frühen 19. Jahrhunderts erhellen. Hammer-Purgstall, der bei den folgenden Betrachtungen selbst eher in den Hintergrund tritt, erscheint so in doppelter Weise als Teil übergeordneter historischer Phänomene: des europäischen Netzwerkes von Politik und Gelehrsamkeit zum einen, der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte mit ihrer geistigen Entwicklung zum anderen. Biographisches Unterschiede zwischen Bettio und Rossi zeigen sich bereits in der prosopographischen Literatur. Tritt uns in Bettio ein biographisch gut greifbarer Gelehrter entgegen 5 , so existiert zu Francesco Rossi lediglich ein kurzer, zudem sachlich unkorrekter, Eintrag im „Archivio biografico italiano" 6 . Wir wären auf diese Angaben sowie einige Aussagen Rossis zu sich selbst beschränkt, verfugten wir nicht auch über ein Empfehlungsschreiben Graf Ottavio Castiglionis, das dieser 1838 an Hammer-Purgstall richtete, um zu Gunsten Rossis in der Frage der Nachbesetzung des vakanten Bibliothekarspostens in

2

B e t t i o reiste 1 8 2 8 e i n m a l in die T e r r a f e r m a (Bettio an HP, 1 8 2 8 J u l i 11), sein Plan, sich e i n m a l

n a c h W i e n zu b e g e b e n , w u r d e nicht realisiert. R o s s i reiste 1 8 4 5 zur K u r n a c h A c q u i T e r m e ( R o s s i an HP, 1 8 4 5 A u g u s t 9). Interessant ist der U n m u t B e t t i o s über d i e a u s g e p r ä g t e Reisetätigkeit seines V i z e b i b l i o thekars ( u n d späteren B i b l i o t h e k a r s ) Valentinelli; vgl. M a r i n o ZORZI, L a libreria di S a n M a r c o . L i b r i , lettori, s o c i e t à nella Venezia dei D o g i ( C o l l a n a di s t u d i 1, Venezia 1 9 8 7 ) 3 8 1 . 3

B e t t i o verkehrte als B i b l i o t h e k a r (soweit d a s aus d e n Briefen a n H a m m e r - P u r g s t a l l ersichtlich ist)

a u ß e r h a l b V e n e d i g s lediglich m i t d e n B i b l i o t h e k a r e n v o n Ferrara u n d P a d u a , in R o s s i s B r i e f e n

finden

sich n u r vereinzelte B e m e r k u n g e n zu a n d e r e n B i b l i o t h e k e n ( b e s o n d e r s Pavia). 4

H a m m e r - P u r g s t a l l , z u d e m b e i d e zeitweise recht intensiven K o n t a k t p f l e g t e n (Bettio b e s o n d e r s in

d e n J a h r e n 1 8 2 6 - 1 8 3 0 , R o s s i b e s o n d e r s 1 8 3 9 - 1 8 4 0 , 1 8 4 4 u n d 1 8 4 8 ) , war w o h l der einzige b e d e u t e n dere g e m e i n s a m e A n s p r e c h p a r t n e r , sieht m a n etwa v o n Personen wie G r a f S p a u r ab, der 1 8 2 7 bis 1 8 4 0 G o u v e r n e u r in V e n e d i g , 1 8 4 1 bis 1 8 4 8 G o u v e r n e u r in M a i l a n d w a r u n d m i t d e m b e i d e in a d m i n i s t r a t i ven F r a g e n zu t u n hatten; vgl. Bettio an HP, 1 8 3 3 D e z e m b e r 10; R o s s i an HP, 1 8 4 5 M a i 18. 5

V g l . etwa G i o r g i o E . FERRARI, Bibliotecari veneti per le lettere venete nella p a r a b o l a d e l l ' O t t o -

c e n t o (Venezia 1 9 9 6 ) , aber a u c h zahlreiche N e n n u n g e n in: S t o r i a della c u l t u r a veneta, hg. v o n G i r o l a m o A R N A L D I - M a n l i o Pastore STOCCHI ( V i c e n z a 1 9 7 6 - 1 9 8 6 ) ; G i o r g i o E . FERRARI, A r t . Pietro B e t t ì o .

DB!9

(1967) 7 5 7 - 7 6 1 . 6

A r c h i v i o b i o g r a f i c o italiano II 5 2 1 , 4 6 . A n d e m E i n t r a g ist z u korrigieren, d a ß R o s s i bereits 1 8 4 4

u n d nicht erst 1 8 5 5 Erster B i b l i o t h e k a r in Brera w u r d e .

Die Geschichtsforschung der uomini mediocri

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Brera zu intervenieren 7 , in dem Werdegang und Fähigkeiten Rossis detailliert geschildert sind. Bettio ist hingegen neben zahlreichen Nekrologen eine monographische Biographie gewidmet, die sein Freund Emanuele Cicogna, der bedeutendste Epigraphiker des vormärzlichen Venedig, verfaßt hat 8 . Pietro Bettio wurde 1769 in Venedig als Sohn eines Handwerkers aus dem Cadore geboren. Aus den Briefen an Hammer-Purgstall geht hervor, daß er zwei (ledige) Schwestern und einen Bruder namens Giovanni hatte, der als Händler tätig war und im August 1826 in Konkurs ging 9 . Dies nötigte Pietro, die gesamte Familie (mit Gattin und Sohn des Bruders) zu erhalten, was ihm dank des Ertrages aus seinem immobiliaren Erbe gelang 10 . In einem Bericht des Bibliothekars Iacopo Morelli aus dem Jahre 1815 figuriert Bettio als „sacerdote secolare" und „di condizione commerciante" 1 1 . Im Falle Rossis ist das Geburtsjahr unklar. Er berichtet in einem Brief von der Beamtentradition in seiner Familie 12 , was eine Zugehörigkeit zu jener Beamtenschicht nahe legt, die sich im Zuge der Verwaltungsreformen des 18. Jahrhundert ausgebildet hatte. In dieses Bild paßt sowohl Rossis Rechtsstudium als auch seine spätere Tätigkeit als Bibliothekar. Francescos Vater, Giuseppe Rossi, hatte ein Haus besessen, in das sich Hammer-Purgstall 1844 - allerdings bei einem anderen Besitzer - einmietete 13 . Francesco Rossi selbst wohnte in Miete im Viertel um Sant'Ambrogio, ehe er als Bibliothekar in den Palast von Brera zog 1 4 . Pietro Bettio erhielt seine Ausbildung im Priesterseminar von San Cipriano auf der Insel Murano, gemeinsam unter anderem mit dem bedeutenden Dichter Ugo Foscolo, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Unklar ist, ob Bettio Recht studiert hat 1 5 . Zumal Bettio die Laufbahn eines Klerikers einschlagen wollte, schrieb er sich als Zelebrant in der venezianischen Kirche San Geminiano ein. Von Rossi ist bekannt, daß 7 Castiglioni an HP, 1 8 3 8 August 10. Der Paläograph und Numismatiker Castiglioni ( 1 7 8 5 - 1 8 4 9 ) zählte zu Rossis unmittelbarem Umfeld - er war sein Lehrer und Mentor. Nach dem Tod des Bibliothekars Robustiano Gironi 1 8 3 8 versuchte Castiglioni, Rossi zur Nachfolge zu verhelfen, wozu es aber erst im Jahre 1 8 4 4 kam. 8 Emanuele CICOGNA, Cenni biografici intorno Pietro Bettio, bibliotecario della Marciana (Venezia 1 8 4 6 ) . Emanuele Cicogna ( 1 7 8 9 - 1 8 6 8 ) erlangte besonders durch sein monumentales epigraphisches Werk: Delle iscrizioni veneziane (Venezia 1824—1853) Bedeutung. Bettio übersandte Hammer-Purgstall regelmäßig mit dem Erscheinen Teile dieses Werkes und setzte sich bei ihm sowie bei der Regierung für die Anliegen seines Freundes ein (Bettio an HP, 1 8 3 7 März 6).

Bettio an HP, 1 8 2 6 September 16. Als Bibliothekar der Marciana verdiente Bettio 1 . 2 0 0 Gulden im Jahr, was gemessen an den 1 . 6 0 0 Gulden Gehalt von Rossi wenig erscheint, aber ausreichte, da Bettio noch über eigenen Besitz verfügte; vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 3 7 2 . In der kritischen Situation 1 8 2 6 mußte Bettio jedoch den an ihn gefallenen Nachlaß seines Förderers und Vorgängers Iacopo Morelli ( 1 7 4 5 - 1 8 1 9 ) um 3 . 0 0 0 Gulden veräußern; vgl. Bettio an HP, 1 8 2 6 September 16, 1 8 2 6 Dezember 13, 1 8 2 8 März 2 8 und 1 8 3 7 März 6. 9

10

11

Vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 534.

12

Io nato in una famiglia, in cui la professione di impiegato dello stato era tradizionale, ne ho ereditato

gli antecedenti; vgl. Rossi an HP, 1 8 4 8 Mai 2 4 . Francescos Vater Giuseppe Rossi scheint 1 8 3 0 als cancellista am Mailänder Appellationstribunal auf; vgl. Almanacco Imperial-Regio per le provincie del Regno Lombardo-Veneto soggette al Governo di Milano per l'anno 1 8 3 0 (Milano 1 8 3 0 ) 4 9 5 . 1 3 Hammer-Purgstall hielt sich 1 8 4 4 im Zusammenhang mit dem sechsten Congresso degli scienziati italiani in Mailand auf; vgl. Rossi an HP, 1 8 4 4 Jänner 3. Vgl. Rossi an HP, 1 8 4 5 März 9 und 1 8 4 5 Mai 18. Eine Andeutung in einem Brief (Bettio an HP, 1 8 3 4 November 6 ) läßt darauf schließen, ein Rechtsstudium ist aber nicht bezeugt; Bettio fuhrt auch nie einen Titel. 14 15

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Thomas Wallnig

er Recht studierte u n d dann v o n Castiglioni in den orientalischen Sprachen sowie v o n Bartolomeo Catena 1 6 i m Hebräischen unterwiesen wurde. Später hat Rossi Geschichte am G y m n a s i u m v o n Cremona unterrichtet 1 7 . Es ist festzuhalten, daß Rossis Laufbahn über die Lehre in die Bibliothek führte, die er aufgrund seiner bibliographischen N e i g u n g sowie einer nichterfolgten Beförderung der lukrativeren Forschung bzw. Lehre vorzog 1 8 . A u c h die Förderung durch Castiglioni dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Bettlo dagegen kam in San G e m i n i a n o mit M o relli, d e m Bibliothekar der Marciana, zusammen, der i h m v o n da an ebenfalls z u m Förderer u n d Mentor wurde. 1 7 9 4 trat Bettio als Vizekustos in die Marciana ein, 1 7 9 7 wurde er Vizebibliothekar, 1 8 2 0 Bibliothekar, was er bis zu seinem Tod 1 8 4 6 blieb. Rossi hingegen versuchte bereits 1 8 2 5 , durch die v o n Hammer-Purgstall vermittelte Fürsprache Graf V i d o n i s in der Bibliothek Pavia u n t e r z u k o m m e n , was aber scheiterte 1 9 . So erhielt Rossi sich u n d seine Familie 2 0 mit gelegentlichem Unterricht in Geschichte, Literatur u n d Recht. 1831 trat er als Vizebibliothekar in die Bibliothek Brera ein 2 1 , 1 8 4 4 wurde er Bibliothekar, was er bis zu seinem Lebensende blieb. D e r als mite u n d ossequioso beschriebene Bettio 2 2 erscheint auch in den Briefen an Hammer-Purgstall als geduldiger Gelehrter 2 3 , w e n n i h m auch eine gewisse bürokratische Eitelkeit eigen gewesen sein m u ß 2 4 . Seine (von Hammer-Purgstall offenbar herzlich erwiderte) Sympathie 2 5 bewegte sich stets auf einer distanziert-sachlichen Ebene 2 6 . Rossi war jünger und gehörte in seiner D i k t i o n einer Generation an, die das gelehrte Pathos mit d e m romantischen mischte. Überschwengliche D e m u t u n d Bewunderung gegen16

Bartolomeo Catena (1787-1857) war Bibliothekar der Biblioteca Ambrosiana. Vgl. Castiglioni an HP, 1838 August 10. 18 Dies ist die Argumentation Castiglionis. Nicht ganz auszuschließen ist, daß Rossi, der sich 1848 - auch Hammer-Purgstall gegenüber - als italienischer Nationalist deklarierte, bereits früher Probleme mit den österreichischen Behörden bekommen hatte und - wie Cesare Cantü - aus der Lehre entlassen wurde; vgl. Rossi an HP, 1848 Jänner 23. 19 Vgl. Rossi an HP, 1838 August 25. 20 Nach Castiglioni an HP, 1838 August 10; Vater und Mutter waren zu dieser Zeit vermutlich noch am Leben, sie starben vor Jänner 1840; vgl. Rossi an HP, 1840 Jänner 25. Rossi war nicht verheiratet; vgl. Rossi an HP, 1848 Dezember 12. 21 Vgl. Rossi an HP, 1844 Jänner 3. 22 Vgl. ZORZI, Libreria (wie ANM. 2) 536. 23 Verwiesen sei hier auf die gründlichen bibliographischen Angaben in Bettios Briefen: 1826 Dezember 13; 1828 März 28; 1829 Februar 9. Auch in unerfreulichen Fragen wie der Einführung der neuen Bibliotheksordnung 1825, der langwierigen und oft sinnlosen Verhandlungen mit dem Gubernium um den Ankauf von Sammlungen oder der Gehaltsfrage etc. verlor Bettio Hammer-Purgstall gegenüber nie seinen höflichen und abwägenden Ton. 24 Dies zeigt besonders sein aufgeregtes, ungeduldiges Verhalten, als ihm ein Gerücht zu Ohren kam, er solle neuer Provinzialinspektor der Gymnasien in den venetischen Provinzen werden. Möglicherweise als Kompensation dafür, daß die Ernennung nicht erfolgte, verlieh man ihm 1838 den Orden der Eisernen Krone dritter Klasse; vgl. Bettio an HP, 1837 März 6; 1837 April 7; 1837 Oktober 23. Auch die (zweifellos berechtigten) Klagen über den allzu großen Arbeitsaufwand und die Unterbesetzung der Bibliothek wurden von Bettio durchaus selbstbewußt und unter Hinweis auf die eigenen Meriten vorgebracht. 25 Vgl. die Verse über die Markusbibliothek in: Josef von HAMMER-PURGSTALL, Italia in 101 Ständchen (Darmstadt 1830) 18-20. 26 Als Beispiel mag der Dank Bettios für Hammers Einsatz bei seiner Ernennung 1820 dienen (Bettio an HP, 1820 Jänner 12): Accolga Ii mieipiü sinceri e cordiali ringraziamentiper l'interesse ch'Ella si compiacque diprendere a mio favore; e si assicuri che non cesserd mai di riconoscermi obbligatissimo a cosi distinti favori, e di riprotestarmi per sempre a'suoi ossequiati comandi. 17

Die Geschichtsforschung der uomini mediocri

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über Hammer-Purgstall 27 äußern sich in der Unterfertigung als très humble et très obéissant serviteur et ami, die nach der persönlichen Begegnung 1844 - mit ihr einher ging ein Wechsel vom Französischen zum Italienischen — merklich herzlicher erscheint: devotissimo, obbligatissimo ed affezionatissimo amico. Als Rossi 1848 aus dem italienisch regierten Mailand an Hammer-Purgstall schreibt und in den farbigsten Worten die ungerechtfertigten Grausamkeiten der Österreicher anprangert, um gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht der Völker als gottgewolltes Prinzip anzupreisen 28 , wendet er doch ein, es sei ihm daran gelegen, stets mit Ehrenmännern 29 wie Hammer-Purgstall ein gutes und ungetrübtes Verhältnis zu bewahren. Hintergrund waren die Bemühungen Rossis um Hammer-Purgstalls Sohn, der von den Italienern mit seiner hochschwangeren Gattin gefangengehalten wurde, und umgekehrt Hammer-Purgstalls Einsatz für Filippo Manzoni, den Sohn Alessandro Manzonis, der gleichzeitig in Wien festgehalten wurde 30 . Bettio entstammte also einer mittleren Händler-, Rossi einer mittleren Beamtenfamilie; gemeinsam war ihnen, daß sie durch ihre Studien sowie durch „wissenschaftliche Patronage" eine Laufbahn zwischen Gelehrsamkeit und Bürokratie einschlagen konnten. Die folgenden Ausfuhrungen sollen nun die unterschiedlichen Arbeitsfelder erhellen, in denen die beiden Männer verwurzelt waren und aus denen heraus sie ihren Dialog mit Hammer-Purgstall führten. Bettio und Rossi als Bibliothekare und Akademiker Pietro Bettio war als Bibliothekar der Marciana nicht nur für die Bücher verantwortlich. Nachdem Napoleon 1807 die Übersiedlung der Bibliothek von der Sede Sansoviniana in den Dogenpalast veranlaßt hatte und diese 1811/1812 auch durchgeführt worden war 31 , mußte sich erst Morelli, dann Bettio um die Adaption der Räume 32 , die Aufstellung der Bücher und die Unterbringung der Antiken- und Münzsammlungen kümmern. Als nach einem Brand 1821 die verbliebenen öffentlichen Amter aus dem Palast ausgelagert wurden 33 , kam Bettio praktisch auch die Aufsicht über den Dogenpalast und seine Kunstschätze zu 34 . Diese Heterogenität der Interessenbereiche muß bedacht werden, wenn man Bettios Arbeit in der Bibliothek einschätzen will. Das, was ihm an tatsächlichen Erwerbungen für die Marciana gelang, war - wohl auch aufgrund der Knappheit der Mittel - relativ 27 Vgl. Rossi an HP, 1841 August 1 : Mais enfin faitez moi parvenir aussi des nouvelles de Vous si cela se peut sans trop Vous déranger. Choisissez au moins une vie indirecte, pour l'entremise de Mr. Molossi, pour me donner des nouvelles de votre santé, de vos études, parce que j'aime à apprendre tout ce qui peut intéresser le bonheur et Li glorie d'un homme qu 'il s'est acqui à un si haut degré mon éstime et ma reconaissance. 28 Vgl. Rossi an HP, 1848 Jänner 23; 1848 Mai 24. 29 Der italienische Terminus im Brief lautet galantuomini. 30 Vgl. Rossi an HP, 1848 Mai 24; 1848 Juni 18; 1848 Juni 21; 1848 Juni 30; 1848 Juli 15. 31 Vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 363f. 32 Sala del Consiglio Maggiore, Sala dello Scrutino, einige Räume der ehemaligen Quarantina Criminale und Quarantina Civil Vecchia. In der Stanza dell'Armamento wurde zudem eine Wohnung fLir den Bibliothekar eingerichtet (vgl. ZORZI, Libreria [wie Anm. 2] 536), wie dies auch in Brera der Fall war (vgl. Rossi an HP, 1844 Juni 23). 33 ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 371. 34 Offiziell wurde Bettio erst 1833 mit der Aufsicht beauftragt; vgl. Bettio an HP, 1833 Dezember 10.

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gering. Es glückte Bettìo kaum einmal, bei der Staatskanzlei den Kauf einer Sammlung durchzusetzen, die Verhandlungen zogen sich dabei oft über Jahre hin und blieben dennoch meist fruchtlos 35 . Hammer-Purgstall dürfte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für Bettìo verwendet haben, mitunter mußten jedoch auch hochrangigere Persönlichkeiten wie Vizekönig Erzherzog Rainer intervenieren, was die Mühseligkeit einer Bestandserweiterung durch Patronage illustriert36. Die Bibliothek war aufgrund ihrer historischen Gewachsenheit nicht systematisch strukturiert. Bezeichnend ist die Schwierigkeit, welche Bettìo die 1825 erlassene „Istruzione intorno alle imperial-regie biblioteche delle università e dei licei" bereitete. Dieses Reglement sah für alle Bibliotheken Lombardo-Venetiens eine einheitliche Numerierung und Timbrierung der Bestände, einen darüber geführten systematischen Katalog sowie die Entlehnung der Werke außer Haus vor. Bettìo protestierte, indem er den ursprünglichen und authentischen Charakter der Marciana als Sammlung ins Treffen führte, in der eben kein systematischer Katalog mit Numerus Currens vorhanden sei37. Dennoch mußte er sich fügen und veranlaßte so die Abfassung des Kataloges durch einen zusätzlich angestellten Koadjutor 38 . Eine andere Situation zeigte sich in Brera. Schon Robustiano Gironi 39 hatte dort enzyklopädische Ordnungskriterien eingeführt, und sein Nachfolger Rossi übernahm diese in seiner Monographie „Cenni storici e descrittivi intorno alla imperial-regia biblioteca di Brera"40. Es ging ihm darin um eine Bibliothekssystematik, die aber zugleich auch Wissenschaftssystematik sein sollte und an die diesbezüglichen Versuche der Frühen Neuzeit anknüpfte 41 . Rossis Bitte an Hammer-Purgstall, ihm sein Werk „Encyklopädische Übersicht der Wissenschaften des Orients" 42 zukommen zu lassen, kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die Organisation der Bibliothek entsprach ihrem Zweck, systematisch Bücher aus allen Wissensbereichen in allgemeine Kategorien einzuordnen. Separate Bestände 43 wurden als solche behandelt, der organische Charakter einer Sammlung im frühneuzeitlichen Sinn existierte in Brera nicht.

35 Vgl. etwa die Frage des Ankaufes von Teilen des Museo Tiepolo in: Bettìo an HP, 1830 Juni 19; 1830 November 11. Die Bibliotheken von Canonici und Cicognara wurden ebensowenig angekauft wie jene von Tommaso de Luca di Barca. Zu den gescheiterten und geglückten Ankäufen vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 374-379; ein positiveres Bild bei FERRARI, Bettlo (wie Anm. 5) 758. 36 Etwa bei der Erwerbung einer Edition von Cicerobriefen aus dem Jahre 1469; vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 378. 37 Vgl. Ebd. 379f. 38 G . B. Sclatelli arbeitete bis 1 8 4 0 an dem Katalog, in dem er fast 9 0 . 0 0 0 Bände erfaßte. Danach wurde er dopo tredici anni di oscura fatica gekündigt; vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 380. 39 Robustiano Gironi (1769-1838), der indirekte Vorgänger Rossis in Brera, erhielt seine Ausbildung am erzbischöflichen Seminar in Gorgonzola bei Mailand, lehrte dann Rhetorik in Gorla, ehe er 1803 an die Bibliothek von Brera kam. 1818 wurde er zum Bibliothekar ernannt. Er war Mitglied der „Accademia di Belle Arti" und Mitarbeiter an der „Biblioteca italiana"; vgl. Archivio biografico italiano I 493, 329-332 und II 286, 305-307. Deutsches Biographisches Archiv 393, 41f. 40 Francesco Rossi, Cenni storici e descrittivi intorno alla imperial-regia biblioteca di Brera (Milano 1841). 41 Vgl. Evgenij S A M U R I N , Geschichte der bibliothekarisch-bibliographischen Klassifikation (München 1977). 42 Josef von HAMMER-PURGSTALL, Encyklopädische Übersicht der Wissenschaften des Orients (Leipzig 1804). Vgl. Rossi an HP, 1841 November 20. 43 Etwa die Manzoniana; vgl. Günter NÄTHER, Bibliothekswesen in Italien. Eine Einführung (München 1990) 33.

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Beide Bibliothekare setzten sich im Laufe ihrer Amtszeit für die Verbesserung der Gehälter des Bibliothekspersonals ein, und sie taten dies gerade bei Hammer-Purgstall als ihrem gelehrten Ansprechpartner im Zentrum der politischen Macht 44 . Bettio wurde im Zuge einer Eingabe zum Umbau des Dogenpalastes im Jahre 1828 aktiv, wobei er für den Bibliothekarsposten jährlich 1.400 Gulden forderte und immerhin 1.200 bewilligt bekam 45 . Bewußt strengte er dabei den Vergleich mit Brera an, dessen Bibliothekar 1828 bereits 1.600 Gulden verdiente. Rossi erhob 1844 die Forderung nach einer Gehaltserhöhung, da er mit seinem Gehalt als Vizebibliothekar (700 Gulden) 46 nicht das Auslangen finden konnte. Dieser Petition, die durch Hammer-Purgstalls Fürsprache in Wien vorangetrieben wurde - er erinnerte sich wohl an die gute Aufnahme und Betreuung durch Rossi in Mailand im selben Jahr - , wurde Anfang 1848 stattgegeben, wobei Rossi bereits seit 1844 das Amt des Bibliothekars bekleidete. Nach der neuen Regelung betrug das Gehalt des Bibliothekars weiterhin 1.600 Gulden, jenes des ersten Vizebibliothekars stieg jedoch auf rund 1.100, jenes des zweiten Vizebibliothekars auf rund 950 Gulden 47 . Abzulesen ist daraus einerseits das Gewicht des Bibliothekars gegenüber den anderen Bediensteten, andererseits die Präferenz der staatlichen Geldgeber, die an dem reibungslosen Funktionieren einer systematischen Bibliothek mehr Interesse hatten als an der Pflege von musealen Büchersammlungen. Erwähnenswert ist in diesem Kontext zudem die Benützerfrequenz, die in der Marciana etwa zehn 48 , in der Braidense rund 115 Leser pro Tag 49 betrug. Im Vormärz wandten sich die österreichischen Regierungsbehörden nicht selten an Forschungseinrichtungen, wenn sie fachliche Auskünfte zu bestimmten Themen benötigten. Marino Zorzi bemerkt, daß Bettio auf jede dieser Anfragen, die zumeist historische oder kunsthistorische Fragen betrafen 50 , mit einer „kleinen Monographie" antwortete 51 . Auch die bibliographischen Anfragen Hammer-Purgstalls, die den Großteil der Korrespondenz bestimmten, wurden von Bettio stets in Form von akribischen Abhandlungen beantwortet, die oft ausfuhrliche Abschriften beinhalteten 52 .

44

Vgl. Bettio an HP, 1828 Juli 11; Rossi an HP, 1842 Juni 28, 1844 Juni 23, 1844 September (in der Edition Undatiert 2), 1844 Oktober 29, 1847 Februar 17, 1847 Juni 9, 1847 Juli 8, 1847 Juli 20, 1847 Dezember 25, 1848 Jänner 23. 45 Die Vizebibliothekare verdienten 800, die Distributoren 300 Gulden; vgl. ZORZI, Libreria (wie ANM. 2) 5 3 6 . 46

Vgl. Rossi an HP, 1844 Juni 23. Vgl. Rossi an HP, 1844 September (in der Edition Undatiert 2). Es handelt sich um ein Promemoria mit dem von Rossi gewünschten Gehaltsschema. Die gerundeten Angaben ergeben sich daraus, daß sie im Original in österreichischen Lire angeführt sind. 48 Vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 379. 49 Vgl. La Braidense. La cultura del libro e delle biblioteche nella società dell'immagine, hg. von Claudia BELTRAMO CEPPI ZEVI (Milano 1991) 34. 50 Im geschilderten Fall der Istruzione etwa verfaßte er als Rechtfertigung seines Standpunktes einen ausführlichen Bericht zur Geschichte der Bibliothek. Ahnliches ereignete sich auch hinsichtlich des Dogenpalastes (vgl. Bettio an HP, 1823 August 7; 1828 März 28; 1828 Juli 11; 1828 August 4; 1829 April 28 und 1829 Oktober 25), wobei Bettio seine Recherchen auch in die Form einer Monographie gebracht hat: Pietro BETTÌO, Del Palazzo Ducale in Venezia. Lettera discorsiva (Venezia 1837). 51 Vgl. ZORZI, Libreria (wie Anm. 2) 379. 52 Vgl. Bettìo an HP, 1819 September 26, ein Brief, der eine Abhandlung über den Transport venezianischer Schiffe aus der Adria in den Gardasee im Jahre 1439 enthält, wobei Bettio ausgewählte Stellen bei zwei Autoren abschreibt. 47

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In Mailand hingegen war das in seiner Grundform auf die napoleonische Zeit zurückgehende Istituto Lombardo di scienze, lettere ed arti wiederholt Adressat offizieller Anfragen 53 . Diese Anfragen betrafen konkrete (zumeist naturwissenschaftliche) Probleme aus den Bereichen Technik, Montan-, Agrar- und Ingenieurwesen, Vermessung etc. und wurden von eigens dazu eingesetzten Kommissionen behandelt. Rossi war seit 1844 Mitglied des Istituto und trat in diesem Rahmen mit Vorlesungen über italienische Rechtsgeschichte in Erscheinung 54 . In den Zusammenhang mit dem Istituto gehört auch Hammer-Purgstalls Briefwechsel mit dessen langjährigem Präsidenten Ottavio Castiglioni und dem Epigraphiker Giovanni Labus. Dieser korrespondierte in seiner Funktion als Institutssekretär mit Hammer-Purgstall, der 1844 in Mailand zum Ehrenmitglied ernannt wurde und in der Folge auch im Organ der Gesellschaft publizieren konnte 55 . Bereits 1840 hatte Hammer-Purgstall Interesse an den Statuten des Istituto bekundet und diese auch im Zuge der Gründung der Osterreichischen Akademie verwendet 56 . Freilich kreiste ein nicht geringer inhaltlicher Teil der Korrespondenz mit Rossi wie auch jener mit Cesare Cantü, Ottavio Castiglioni und Giovanni Labus - um Bewerbungs- und Ernennungsintrigen rund um das Istituto sowie, nach 1847, die Wiener Akademie. Analog, wenn auch in der Bedeutung hinter Mailand zurückbleibend, gestaltete sich die Situation im „Ateneo Veneto", dessen Mitglied Pietro Bettlo war und dessen korrespondierendes Mitglied Hammer-Purgstall 1828 wurde 57 . Dieser Personenkreis wurde für Hammer-Purgstall insofern wichtig, als der venezianische Akademiker Samuele Romanin die „Geschichte des Osmanischen Reiches" ins Italienische übersetzte. Mehr noch als bei Bettio scheinen in der Korrespondenz mit Rossi mitunter persönliche Themen durch. Neben dem bereits erwähnten leidenschaftlichen Ton rund um die Cinque giornate und den gegenseitigen Hilfsdiensten ist auch das Interesse bemerkenswert, das Hammer-Purgstall der Gräfin Emilia Taverna entgegenbrachte: Er hatte sie im September 1844 — seine Frau war kurz zuvor verstorben — in Mailand kennengelernt 58 und nahm noch lange nach seiner Abreise regen Anteil an ihrem Schicksal. 1845 nämlich trennte sich die Gräfin von ihrem Ehemann und ging nach Paris, was in der Mailänder Gesellschaft einigen Wirbel erregte. Den offenbar hartnäckigen und zudringlichen Fragen Hammers nach Gräfin Emilia wich Rossi konsequent aus 59 .

Die Regierung wandte sich oft und in den verschiedensten Fragen an das Istituto um wissenschaftliche Stellungnahmen zu Sachfragen, die dann von Mitgliedern ausgearbeitet wurden. Unter anderem war das Istituto mit Gutachten zur Eisenbahn Mailand—Monza (vgl. Biblioteca italiana/Giornale dell'imperial-regio istituto di scienze, lettere ed arti [Bl/G] 12 [1847] 26) oder Elektrizität (vgl. BUG 10 [1845] 36f.), befaßt. Z u m Istituto vgl. Hedwig KADLETZ-SCHÖFFEL, Metternich und die Wissenschaften (Dissertationen der Universität Wien 234, Wien 1992) 179f. 54 Francesco Rossi, Alcune idee sopra le vicende del diritto nella storia. BUG 11 (1845) 7, 10; sowie: Memorie dell'imperial-regio istituto Lombardo-Veneto III, 2 (1845) 211. Vgl. Rossi an HP, 1844 Dezember 28, 1845 Jänner 31. 55 Vgl. Rossi an HP, 1844 Dezember 4. 56 Vgl. Rossi an HP, 1840 Jänner 25. Die Erwähnung der Statuten durch Hammer-Purgstall: Josef von HAMMER-PURGSTALL, E r i n n e r u n g e n aus m e i n e m Leben, hg. von Reinhart BACHOFEN VON ECHT

(FRA 11/70, Wien-Leipzig 1940) 375. 57 Bettio an HP, 1828 März 28. 58

59

HAMMER-PURGSTALL, E r i n n e r u n g e n (wie A n m . 56) 3 5 0 .

Praktisch alle zehn Briefe Rossis an H a m m e r zwischen 1844 Oktober 29 und 1845 August 9 kreisen unter anderem um das Thema. Den letzten Versuch Hammers blockt Rossi ( 1847 Jänner 24) mit der

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Zusammenfassend läßt sich sagen, d a ß Hammer-Purgstall f ü r beide italienischen Bibliothekare in seiner Funktion als Beamter der Staatskanzlei u n d namhafter Wiener Gelehrter interessant war: M a n erhoffte sich bürokratische Fürsprache u n d Intervention für die eigene Institution u n d leistete im Gegenzug bibliographische Zuarbeit sowie Hilfsdienste aller Art 6 0 , besonders hielt man den Wiener Korrespondenten über das Tagesgeschehen in den gelehrten Kreisen auf d e m Laufenden, machte sich f ü r Freunde stark u n d verleumdete Gegner. Hammer-Purgstall selbst war durch seine Mittelsmänner in den jeweiligen wissenschaftlichen Zirkeln der betreffenden Stadt vertreten u n d hatte so - nicht nur als Privatmann - sein O h r am Geschehen. Bettio u n d Rossi als Gelehrte Das bisher gezeichnete Bild zeigt bei allen Ähnlichkeiten von H i n t e r g r u n d u n d Funktion einige Unterschiede in Selbstverständnis u n d Temperament der beiden porträtierten Männer. Diese Unterschiede werden noch deutlicher, wenn man Bettios u n d Rossis Verständnis von wissenschaftlicher Tätigkeit vergleicht. Beide traten in ihren jeweiligen Akademien durch Vortragstätigkeit hervor. Bei Bettio zeigte sich neben der starken lokalhistorischen Verbundenheit mit den reichen (privaten u n d öffentlichen, nicht selten kirchlichen) Beständen der Serenissima ein ausgeprägtes Interesse für klassische lateinische Literatur. Er befaßte sich mit d e m Griechischstudium der Römer u n d diktierte selbst Inschriften in klassischem Latein 6 1 . In seinem „Saggio sulla zoopedia presso i Greci e Romani", einer Schrift, die er im R a h m e n des „Ateneo Veneto" veröffentlichte, befaßte sich Bettio mit dem U m g a n g der „Alten" mit verschiedenen Tierarten 6 2 . Er bietet eine Zusammenstellung von k o m m e n tierten Originalzitaten 6 3 über Tiere, ihre besonderen Eigenschaften u n d den Umgang mit ihnen. Dabei behandelt er die Kategorien Fische, Vögel, Reptilien u n d Vierfüßler . Ausgehend vom Wert der antiken Literatur f ü r die Bildung solle man sich - so die M o tivation des Werkes - mit den alten Gebräuchen (antiche costumanze) vertraut machen, u m - im Kontrast zu einer vom Schein geblendeten Gegenwart - durch die Gelehrsamkeit der Alten das wahrhaft Ehrwürdige zu finden65.

Bemerkung ab, er sei ein Freund des Hauses Taverna und vermeide daher dort Fragen nach Gräfin Emilia. Zu Weihnachten 1844 schickte Hammer Emilia Taverna eine Büchse mit Rahat-Lokum; vgl. Rossi an HP, 1844 Dezember 28. 60 Rossi rezensierte zahlreiche Werke Hammer-Purgstalls: Francesco Rossi, Falknerklee, II trifoglio del falconiere. Opere tre, tradotte dal turco e dal greco in tedesco da Giuseppe Hammer-Purgstall. Biblioteca italiana97 (1840) 50-55; DERS., M a h m u d Scebisteris Rosenflor des Geheimnisses. Il Roseto dei Misteri di M a h m u d di Scebister, pubblicato in persiano ed in tedesco da Joseph Hammer-Purgstall, Pest e Lipsia. Biblioteca italiana1)?) (1839) 2 1 4 - 2 3 9 . 61 Zu den Werken Bettios: FERRARI, Bettio (wie Anm. 5) 759f. 62 Pietro BETTÌO, Sulla zoopedia presso i Greci e Romani. Esercitazioni scientifiche e letterarie dell'Ateneo Veneto 1 (1827) 145-166. 63 Die am häufigsten zitierten Autoren sind: Antigonos von Kalystos, Aristoteles, Apollonides, Atheneos, Cassius Dio, Helian, Lukian, Makrobius, Martial, Pausanias, Petrus Martyr, Plautus, Plinius, Plutarch, Properz und Sueton. 64 In dieser Kategorisierung wirken die antiken Vorstellungen nach: Der Seebär wird gemeinsam mit den Fischen behandelt; BETTÌO, Zoopedia (wie Anm. 62) 153. 65 Vgl. Ebd. 145f.

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Diese Zielsetzung mutet zwar klassizistisch an, erinnert jedoch ebenso wie die kompilatorische Methode eher an den gelehrten Späthumanismus der Frühen Neuzeit. Es geht Bettio, mißtrauisch gegenüber jeglichem Fortschrittsdenken, durchaus um historische Kritik, jedoch in Verbindung mit der Besonderheit und Spektakularität des Vorgetragenen, also als Mittel, um das unglaubhaft Scheinende als glaubwürdig zu beweisen. Er präsentiert „alcuni fatti sorprendenti, ma depurati però da ogni sospetto di favolosi"66 und zeigt etwa, daß die unglaubhaften Berichte über seiltanzende Elefanten bei Plinius, Sueton und Cassius Dio durchaus auf Wahrheit beruhen können, da die Elefanten nicht auf einem, sondern auf zwei Seilen balancierten 67 . Bettio referiert dabei auch die frühneuzeitliche Diskussion zum Thema und weist auf die Standpunkte von Reimarus, Lipsius, Spon und Borrichius hin. Ein gänzlich anderes Interessenfeld beschäftigte Francesco Rossi. Auf seine „Cenni storici e descrittivi" als Verbindung von Bibliothekswissenschaft und Wissenschaftstheorie wurde bereits hingewiesen. Im Rahmen des Istituto hielt er zahlreiche Vorträge, die allesamt um das Thema der altitalischen Rechtsgeschichte kreisten 68 . Damit nahm Rossi zwar wie Bettio ein antikes Thema auf, positionierte sich damit aber deutlich in einer Diskussion mit politischer Dimension: Tatsächlich war Rossi 1848 bereit, sich mit Hammer auf eine historische Kontroverse über die italienische Frage einzulassen69. Unsere nähere Aufmerksamkeit gilt nun Rossis zweiter Monographie „Degli studi storici"70, einem Werk zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Um der Frage nachzugehen, ob die Geschichte Wissenschaft (scienza) sei, ob also die von ihr erbrachten Erkenntnisse nicht nur einwandfrei als wahr überprüfbar, sondern auch in allgemein formulierbaren Gesetzen (leggi) zu erfassen seien, müsse der Historiker eine zweifache Kritik anwenden: die critica filologica, sie entspricht den Hilfswissenschaften, und die crìtica filosofica, die Abklärung des fondamento di ragione1 x. Nach einer Einleitung, in der Rossi die Fragestellung und die Begriffe definiert 72 , folgt ein Teil über die critica filologica, in welchem verschiedene Quellengattungen und die zugehörigen Hilfswissenschaften besprochen werden 73 . Nachdem er einen carattere generico di verità geschichtlicher Erkenntnis festgestellt hat 74 , geht Rossi im zweiten Teil der Kernfrage nach, ob Ge66

Vgl. Ebd. 147. Vgl. Ebd. 165f. 68 Beiträge über: Dell'attuale opportunità e delle condizioni d'una storia del diritto romano (1853); Intorno al diritto italico primitivo: la società etrusca; la società sabino-osca; la società latina (1854; 1857/ 58). Vgl. auch Anm. 54. 69 Rossi an HP, 1848 Juni 30 und 1848 Juli 15. Zu einer tatsächlichen Auseinandersetzung ist es aufgrund der Rückeroberung Mailands durch die Österreicher nicht gekommen. 70 Francesco Rossi, Degli studi storici (Milano 1835). 71 Vgl. ebd. 61. 72 Rossi unterscheidet in der Betrachtung der Geschichte vier Aspekte: einen ästhetischen (Geschichte als „instinktiver" Drang zum Erzählen), einen moralischen (argumentative Verknüpfung der Fakten), einen praktischen (Umgang und Erforschung der Quellen) und einen filosofico-scientifico bzw. prudenziale, eben die Frage nach der Gesetzmäßigkeit der Geschichte; vgl. Rossi, Studi (wie Anm. 70) I X. Bemerkenswert ist auch die weitgefaßte Definition von Quellen, die Rossi „Zeugen" (testimoni) nennt: „notizie che si asseriscono veritiere, di tutte le vicende passate in ogni parte dell'vivere dell'uomo", Rossi, Studi, 2. 73 Bemerkenswert ist Rossis quellenkritische Auseinandersetzung mit mündlichen und dinglichen Quellen: Capitolo VII: Dell'esistenza e veridicità delle tradizioni orali; Capitolo Vili: Dell'esistenza e veridicità dei monumenti muti. 74 Vgl. Rossi, Studi (wie Anm. 70) 61. 67

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schichte eine Wissenschaft sei, und setzt sich dabei mit verschiedenen Geschichtsphilosophen auseinander75. Am Ende des Textes hat sich für ihn erwiesen, daß der Begriff der scienza für die Geschichte unzulänglich sei, da kein „ordine legale nelle azioni" existiere76. Rossi unternimmt in seinen „Studi" den Versuch einer Mischung aus Quellenkunde und Wissenschaftstheorie. Er schrieb dieses Werk bereits an der Bibliothek von Brera, einer systematisch aufgebauten Wissenschaftsbibliothek, die sich in ihrer Struktur ebenso von dem historischen „Konglomerat" der Marciana unterschied, wie Bettios antiquarische von Rossis philosophischer Geschichtsforschung. So werfen die beiden Zeitgenossen auch zwei unterschiedliche Lichter auf ihren Wiener Korrespondenten, der nun plötzlich mit seinem Denken und Schaffem in einem wissenschaftshistorischen Spannungsfeld von späthumanistischer Gelehrsamkeit und postaufklärerischer Geschichtstheorie seinen Platz findet. Schluß Die europäische Geschichtsforschung und -Schreibung, ja die Wissenschaft als Ganzes, erweiterte sich im 18. Jahrhundert um eine Facette, durch die „sehr viele menschliche Errungenschaften philosophisch überbaut wurden"77. Dies ist eine Entwicklung, die unser historiographiegeschichtliches Bewußtsein gewohnt ist, in teleologischen Namensreihen aufbereitet zu denken: von Voltaire und Schiller zu Burckhardt, Ranke und Dilthey. Waren alle anderen Forschenden bloß passive Konsumenten dieser geistigen Entwicklung? Erteilen wir das Wort Francesco Rossi, der in seinen „Studi" schreibt: „II lettore, cui la pazienza avrà assistito sino a questo termine, giudicherà se quello che io ho fatto per indipendenza di ragione e per amore del vero sia da collocarsi piuttosto tra gli atti di temerità che non da considerarsi siccome uno di quegli avvertimenti che talvolta anche gli uomini mediocri valgono a dare per distogliere altrui da una strada che non conclude a sicura meta" 78 . Wenn man Hammer-Purgstall nur neben Goethe oder Schlegel stellt, so scheint sich die „mediokre" und damit zeitgebundene Facette seines Wesens und Schaffens im zeitlosen Abstraktum der Wissenschaftsgeschichte aufzulösen; stellt man ihn jedoch in den Kontext der ihn umgebenden Menschen — und dies geschieht am besten durch die möglichst vollständige Bearbeitung seiner Korrespondenz - , so treten deutlicher die individuellen und kollektiven Brüche einer Zeit hervor, aus deren Widersprüchen die Wissenschaft bis heute lernen kann.

Vico, Herder und Cousin widmet Rossi eigene Kapitel. Vgl. Rossi, Studi (wie Anm. 70) 154. 7 7 Vgl. Manfred 'WAGNER, Kunst und Kreativität. Rationale Überlegungen der Bewertung (Wien 1995) 2. 7 8 Vgl. Rossi, Studi (wie Anm. 70) 164 75

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„Du, glückliches Österreich, verhandle". Militär versus Diplomatie in der habsburgischen Südosteuropa-Politik 1 7 3 9 - 1 8 7 8 Ivan Parvev Vor etwas mehr als 320 Jahren, genauer gesagt, am 12. September 1683 errangen die vereinigten christlichen Armeen einen Sieg über die osmanische Belagerungsarmee und retteten damit die habsburgische Hauptstadt vor der Eroberung. Dieses denkwürdige Ereignis war der Anfang eines langwierigen Koalitionskrieges gegen den Sultan, dessen Ziel, so glaubten viele Zeitgenossen, die Vertreibung der Osmanen aus Europa und die Wiederherstellung der christlichen Herrschaft in Konstantinopel sein sollte. Diese historische Tat traute man allein den Habsburgern und keiner anderen Dynastie so zumindest wollen es einige Opinion-leader jener Epoche wissen - zu. Als im Jahre 1717 Prinz Eugen die Belgrader Festung eroberte, erschien das Ende der osmanischen Herrschaft in Südosteuropa unmittelbar bevorzustehen, den Habsburgern blieb nur mehr die Strecke von Griechisch Weißenburg (Belgrad) bis zu den Meerengen zurückzulegen. Um 1730 wurden in den politischen Journalen des Alten Reiches sogar alte Prophezeiungen veröffentlicht, wonach die Stadt Konstantins 285 Jahre nach ihrer Eroberung durch die Osmanen endlich wieder in christliche Hand kommen solle, also recht bald - rechnet man dies aus, würde das auf das Jahr 1738 fallen. Wenn irgendjemand damals zu erzählen gewagt hätte, daß während der kommenden 150 Jahre der Kaiser in Wien nicht nur nicht den Weg von Belgrad bis Konstantinopel zurücklegen, sondern dazu noch den größten Teil seiner Gebietsgewinne des Friedens von Passarowitz (Pozarevac) (1718) für immer verlieren würde, so hätte man ihn (oder sie) zumindest in der Donaumonarchie für geistesgestört erklärt. Die Ironie der Geschichte hat es jedoch so gewollt, daß diese gerade für die Habsburger nicht sonderlich angenehme Vorhersage schließlich zur Realität wurde 1 .

1 Die habsburgisch-osmanischen politischen Beziehungen sind seit dem 16. Jahrhundert immer ein wichtiges Thema für Mitteleuropa gewesen. Eine große Anzahl von wissenschaftlichen Abhandlungen widmen sich ebenfalls dieser Problematik. Hier seien nur einige der neueren Beiträge angeführt: Karl VoCELKA, Die inneren Auswirkungen der Auseinandersetzung Österreichs mit den Osmanen. Südost-Forschungen 36 (1977) 13-34; DERS., La situazione interna dell'Austria nel periodo del secondo assedio di Vienna 1683. RHM26 (1984) 347-360; Harald HEPPNER. Die Entwicklungspolitik der Habsburger in Südosteuropa infolge der Türkenkriege. Südostdeutsches Archiv 26/27 (1983/1984) 88-99; Adam WANDRUSZKA, Das Haus Österreich und die Osmanen im 17. Jahrhundert. RUM 26 (1984) 243-251; Karl

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Ivan Parvev

Als Kaiser Karl VI. beschloß, sich 1737 aktiv in den ausgebrochenen russisch-osmanischen Konflikt einzumischen, bot dafür nicht nur die Loyalität gegenüber dem Bundesgenossen in St. Petersburg das Motiv, sondern auch die Erwartung eines leichten Sieges in Südosteuropa. Noch während der ersten Kriegskampagne wurde allerdings klar, daß die Wirklichkeit etwas anders aussah. Anstatt der Flucht der osmanischen Truppen vor den vorrückenden kaiserlichen Regimentern wichen die habsburgischen Truppen schließlich zurück. Im Frühjahr und im Sommer 1739 war die herrschende Elite in Wien in Kleinmütigkeit und Resignation verfallen - die Feldmarschälle wußten keine effektiven Lösungen vorzuschlagen, die Armee schien demoralisiert. Der Kaiser selbst war seinerseits sogar bereit, die wertvollste ihm noch vom letzten Konflikt verbliebene Festung Belgrad ohne Kampf den Osmanen zu übergeben, damit dieser unglückliche Krieg möglichst bald enden möge. Der Frieden mit dem Sultan hatte letztendlich dies zur Vorbedingung, und so erstaunt es nicht, daß der Belgrader Vertrag (1739) in der Habsburgermonarchie als eine Katastrophe angesehen wurde. Am kaiserlichen Hof unternahm man alles, um Schuldige und Sündenböcke außerhalb der Hofburg für das Geschehene zu finden; die persönliche Veranewortung Karls VI. ließ sich jedoch auch vor der Öffentlichkeit kaum verbergen 2 . Auch wenn die Herrscher in Wien während der nachfolgenden 30 Jahre den Wunsch verspürt haben sollten, sich aktiv mit den südöstlichen Angelegenheiten zu befassen, oder gar an eine militärische Revanche gegen die Osmanen dachten, die Probleme mit Preußen verlangten schließlich eine andere Außenpolitik und das als Imperativ. Das Streben der preußischen Herrscher nach Eigenständigkeit war den österreichischen Habsburgern seit langem bekannt, doch kaum jemand in Wien glaubte daran, daß ein Reichsfürst unter so fadenscheinigen Gründen einen so dreisten Krieg gegen seinen Souverän wagen würde. Im Jahre 1740 rückte Friedrich II. in die habsburgischen Erbländer ein und leitete damit einen langwierigen und in mancher Hinsicht verhängnisvollen preußisch-habsburgischen Konflikt um die politische Vorherrschaft im Heiligen Römischen Reich ein. Ohne die seit Jahrzehnten betriebene Militarisierung der preußischen Gesellschaft oder die Waghalsigkeit von Friedrich II. selbst bestreiten zu wollen, der König von Preußen hätte sich schwerlich zu einem Angriff gegen die Habsburger entschlossen, wenn der Krieg gegen das Osmanische Reich 1739 anders ausgegangen wäre - etwa mit einem entscheidenden Sieg der kaiserlichen Waffen. So günstig die Situation für einen Schlag gegen Wien nach dem Tod Karls VI. im Jahr 1740 auch erschienen sein mag, unter diesen Vorbedingungen wäre das Unternehmen doch zu riskant gewesen.

A. ROIDER, Austrias Eastern Q u e s t i o n 1 7 0 0 - 1 7 9 0 (Princeton 1982); T h o m a s M . BARKER, D o u b l e Eagle and Crescent. Vienna's Second Turkish Siege and Its Historical Setting (Albany 1967); Ivan PARVEV, Habsburgs and O t t o m a n s between Vienna and Belgrade ( 1 6 8 3 - 1 7 3 9 ) (East European monographs 4 3 1 , Boulder 1995). Es gibt natürlich ältere Arbeiten, die ihren Wert immer noch besitzen, so etwa Adolf BEER, D i e orientalische Politik Österreichs seit 1774 (Prag 1883); Rudolf NECK, Österreich und die Osmanen. MÖStA 10 (1957) 4 3 4 - 4 6 8 . 2 Vgl. die interessanten Gedanken zur kaiserlichen Osmanenpolitik in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Karl O t m a r Freiherr von ARETIN, D i e Türkenkriege als Traditionselement des katholischen Europa, in: Szomszedaink között Kelet-Euröpäban. Emlekkönyv Niederhauser Emil 7 0 . születesnapjara. Szerkesztette GLATZ Ferenc (Budapest 1993) 5 5 - 6 1 .

,Du, glückliches Österreich, verhandle"

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Erst der russisch-osmanische Krieg von 1768 bis 1774 lenkte erneut die Aufmerksamkeit der Wiener Politiker auf Südosteuropa. So wie in den 1730er Jahren hatten die Habsburger auch diesmal nichts mit dem Ausbruch des Konflikts selbst zu tun. Was diesmal jedoch fehlte, war die enge und bindende Allianz mit Rußland, die drei Jahrzehnte zuvor die habsburgische Position praktisch vorherbestimmt hatte. Als offensichtlich wurde, mit welcher Leichtigkeit die russische Armee die Schlachten mit den Osmanen gewann und wie schnell die Regimenter Katharinas II. die Moldau und die Walachei einnehmen und die Donau übersetzen konnten, stellte Fürst Wenzel, Anton von Kaunitz nicht ohne einen gewissen Neid Folgendes fest: Würde Rußland seine Ziele erreichen, so der Kanzler, wäre das Gleichgewicht der Kräfte dermaßen gestört, daß niemand mehr dem reißenden russischen Strom Einhalt gebieten könne. Es erübrigt sich zu erwähnen, daß der „Kampf des Kreuzes gegen den Halbmond" oder die „Schlachten gegen den Erbfeind christlichen Namens" - allesamt bis weit in das 18. Jahrhundert bekannte Topoi in der Habsburger Monarchie — den Argumenten der Realpolitik gewichen waren. Die Religion spielte im besten Fall eine sekundäre Rolle, wenn überhaupt, und sie wurde nunmehr als ein Mittel und nicht mehr als Zweck betrachtet. Gerade in dieser besonderen Atmosphäre überlegte man in den Wiener Regierungskreisen, sich mit der politischen Zukunft Südosteuropas näher zu befassen, doch nicht allein um einer möglichen habsburgischen Eroberung willen, sondern um Gegengewichte zum erwarteten russischen Machtzuwachs in dieser Region zu schaffen. Natürlich beinhaltete eine solche Einstellung nicht unbedingt etwas völlig Neues oder Unlogisches, war doch das „balance of power"-Denken inzwischen zum festen Bestandteil der großen europäischen Diplomatie avanciert. Etwas sonderbar erscheint die Art und Weise, mit welcher man in Wien glaubte, dies verwirklichen zu können. Die Habsburger unternahmen zum ersten Mal den Versuch, sich territorial in Südosteuropa auszudehnen, jedoch nicht wie bisher durch militärisches Eingreifen, sondern mit den Mitteln der Diplomatie und der politischen Verhandlungen. Noch überraschender ist der Umstand, daß man auch bereit war, dieses Ziel über eine formelle Vereinbarung mit den Osmanen zu erreichen, und das im vollen Bewußtsein, daß dies den russischen Interessen konträr sein würde. Fürst Kaunitz schlug der Hohen Pforte vor, daß sich Wien für eine Beendigung des russisch-osmanischen Konflikts ohne territoriale Verluste für den Sultan einsetzen würde. Die Osmanen sollten die Kontrolle über die Donaufürstentümer und über die Krim zurückerhalten. Die Hohe Pforte würde im Gegenzug die guten Dienste der Habsburger durch die Rückgabe Belgrads und der Kleinen Walachei sowie durch eine Subsidienzahlung honorieren. Dadurch würde man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen - die Russen würden sich aus dem Donauraum zurückziehen und die Habsburger hätten die alten Grenzen von 1718 wieder. Es scheint, daß die Osmanen nichts dagegen hatten, militärische Unterstützung von Wien gegen die Russen zu erhalten, denn ihre Lage war prekär genug, sodaß jede Hilfe willkommen war. Die Pforte war bereit, als Gegenleistung einige Gebiete an die Habsburger abzutreten - konkret dachten die Osmanen an die Kleine Walachei, nicht jedoch an Belgrad selbst, dessen strategischen Wert beide Seiten zu gut kannten. So kam es schließlich am 6. Juli 1771 zur Unterzeichnung dieses etwas seltsamen Abkommens in der osmanischen Hauptstadt 3 . 3 Kaunitz war hocherfreut, als er die Meldung seines talentvollen Schülers Thugut aus Konstantinopel erhielt, daß der Allianzvertrag am 6. Juli 1771 abgeschlossen sei, worin sich Österreich verpflichtete,

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Im nachhinein wird jedoch klar, daß man in Wien überhaupt nicht daran dachte, gegen die Russen Krieg zu führen, um den Osmanen die sich abzeichnende politischmilitärische Niederlage zu ersparen. Einige Truppenbewegungen entlang der Grenzen zur Walachei und Moldau waren nicht unbedingt das, was die Hohe Pforte erwartet hatte. Die offizielle und öffentliche Ratifizierung der Vereinbarung durch den Kaiser stand deshalb nicht auf der Tagesordnung. Die eigentliche Idee der Hofburg war vielmehr, daß die Habsburger lediglich als den Osmanen wohlgesonnene Vermittler bei den Friedensverhandlungen auftreten sollten. Man hegte zwar in Wien die Hoffnung, daß die Russen die Donaufürstentümer nicht annektieren würden, aber das Schwert zu ziehen, um dies zu verhindern (und das in einer Zeit, wo Preußen Verbündeter von St. Petersburg war), war man keinesfalls gewillt. Schließlich wurde dieses Unterfangen von Kaunitz ganz aufgegeben, und der kaiserliche Vertreter in Konstantinopel mußte die nicht sehr angenehme Aufgabe übernehmen, den osmanischen Staatsmännern mitzuteilen, daß Wien sich an die unterzeichnete Vereinbarung nicht mehr halten würde. Im nachhinein stellte sich heraus, daß das Gleichgewicht der Kräfte sich viel leichter expansiv halten ließ, d. h. daß nicht die russischen Eroberungen in Südosteuropa rückgängig gemacht werden sollten, indem man die Osmanen unterstützte, sondern umgekehrt — daß direkt mit Katharina II. ein territorialer Zuwachs zugunsten der Habsburger ausgehandelt werden sollte. Anfang der 1770er Jahre wurden in Wien verschiedene Teilungspläne diskutiert, die direkt Südosteuropa betrafen - manche davon realitätsfern, andere hingegen durchaus rational. Im Jahre 1772 kam es zur ersten Teilung Polens, an der sich Preußen ebenfalls beteiligte. Was stand unter diesen Umständen der Möglichkeit im Weg, daß sich Wien und St. Petersburg nicht auch über südöstliche Fragen verständigen konnten 4 ? So kam es schließlich zur kaiserlichen Annexion der Bukowina 1775, welche von Rußland gebilligt wurde. Auf diese Weise gelang es einem habsburgischen Herrscher erstmals, einen Teil der politischen Sphäre der Osmanen in Südosteuropa einzunehmen, ohne vorher einen Krieg gegen den Sultan geführt zu haben. Dieser zweifellos bedeutende Erfolg von 1775 beeinflußte die Wiener Politik auf zweierlei Weise: Zum einen war dies der schlüssige Beweis dafür, daß die Monarchie sich politisch und territorial in Südosteuropa entfalten konnte, ohne daß man dafür unbedingt mit den Waffen kämpfen mußte. Andererseits würde sich jeder habsburgische Politiker mit etwas aggressiveren Neigungen die Frage stellen: „Und wie viel mehr Länder hätte die Monarchie im Südosten angliedern können, wenn sie militärisch eingegriffen hätte?" Man kann also davon ausgehen, daß das nächste Osmanen-Engagement der Habsburger die Grundrichtung der künftigen Wiener Südosteuropa-Politik bestimmen würde, entweder als „aggressive Expansion" oder als Machtentfaltung und -Sicherung mit nichtmilitärischen Mitteln. Der letzte Krieg in der Geschichte der habsburgisch-osmanischen Beziehungen begann im Jahre 1788, als Joseph II. im Konflikt zwischen Rußland und dem Osmanischen Reich die Zarin Katharina II. militärisch unterstützte. Noch Anfang der 1780er der P f o r t e z u e i n e m g ü n s t i g e n Frieden z u verhelfen, w o g e g e n Ö s t e r r e i c h d i e Walachei bis zur A l u t a erhalten solle, BEER, D i e orientalische Politik (wie A n m . 1) 2 4 . V g l . ROIDER, Austria's E a s t e r n Q u e s t i o n ( w i e A n m . 1) 124FF. 4

V g l . zur h a b s b u r g i s c h e n A u ß e n p o l i t i k i m 18. J a h r h u n d e r t C h a r l e s W. INGRAO, H a b s b u r g Strategy

a n d G e o p o l i t i c s d u r i n g the E i g h t e e n t h C e n t u r y , in: E a s t C e n t r a l S o c i e t y a n d W a r in the P r e - R e v o l u t i o n a r y E i g h t e e n t h C e n t u r y , hg. v o n G u n t h e r E . ROTHENBERG ( B r o o k l y n C o l l e g e s t u d i e s o n society in c h a n g e 11, B o u l d e r 1 9 8 2 ) 4 9 - 6 6 .

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Jahre hatten sich die beiden christlichen Reiche über die politische Zukunft Südosteuropas verständigt, die es nach dem zu erwartenden Sieg über die Osmanen neu zu gestalten galt. Dem „griechischen Projekt" gemäß fiel der größere Teil des politischen Einflusses Rußland zu, doch der habsburgische Gebietszuwachs war ebenfalls beträchtlich Bosnien, die westliche Walachei und Belgrad sollten zu den Erbländern Josephs II. geschlagen werden. Sollte zudem das Glück den Waffengang der kaiserlichen Truppen begleiten, konnte man davon ausgehen, daß die Russen wenig Einwände haben würden, wenn Nisch (Nis), Widin (Vidin), Sofia, Skopje oder gar Thessaloniki der Habsburgermonarchie angegliedert werden würden, waren doch die Grenzen des geplanten „Griechischen Reiches" noch nicht genau festgesetzt. Hierbei muß erwähnt werden, daß manche deutschsprachige politische Zeitschriften aus jener Epoche ihren Lesern nahelegten, daß die Regimenter Josephs II. unter gewissen Voraussetzungen sogar bis zu den Mauern von Konstantinopel vordringen könnten. Trotz der ernsten militärischen Vorbereitungen und der zahlreichen Truppen, die der Kaiser unter seinen Fahnen versammelt hatte, blieben die erwarteten glorreichen und vor allem schnellen Siege gegen die Osmanen aus. Die habsburgische Armee schien mehr die eigenen Grenzen zu schützen als das Feindesland anzugreifen, und so verwundert es nicht, daß durch die ausgebrochenen Epidemien viel mehr Soldaten als in den unmittelbaren Kämpfen mit den Osmanen verloren gingen. Es scheint, als ob man in der Donaumonarchie das „Post-Eugen-Syndrom" - wenn man diesen Begriff benutzen kann - noch immer nicht überwunden hatte, denn die Habsburger waren offenbar noch immer nicht imstande, einen großen Feldherrn, eine große Persönlichkeit mit eindeutigen Führungstalenten zu stellen, die allein mit ihrer Präsenz den Kampfgeist der Truppen und ihre Siegeszuversicht heben und festigen konnte. Der Versuch Josephs II., dem Beispiel Friedrichs des Großen zu folgen und seine Regimenter auf dem Weg zu „Österreichs Gloria" persönlich anzuführen, scheiterte, und der Kaiser mußte mit Bedauern feststellen, daß er nicht über das dazu notwendige Feldherrntalent verfügte, was sicherlich sein Gemüt erschütterte und zu seinem vorzeitigen Tod im Jahre 1790 ebenfalls beigetragen haben mag 5 . Erst im Herbst 1789 trugen die militärischen Anstrengungen der Habsburger Früchte und Belgrad wurde erneut Teil der Monarchie. Als erfolgreich hatten sich auch die mit den Russen gemeinsam gegen die Osmanen geführten Kämpfe in der Walachei erwiesen, was die Verlagerung der Kriegshandlungen südlich der Donau fiir die nächste Kampagne ermöglichte. Sollten die Schlachten auch weiterhin zugunsten der Alliierten enden, schien die Wahrscheinlichkeit, die angestrebten Ziele zu erreichen - sprich das „griechische Projekt" - , ziemlich groß. Die Variante jedoch, daß die Armee Josephs II. aus eigener Kraft die osmanische Hauptstadt erreichen würde, wurde von niemandem mehr ernsthaft diskutiert 6 . 5 Vgl. zum fiir die Habsburger unglücklichen Verlauf der ersten Kriegskampagne Karl VOCELKA, Österreichische Geschichte 1699-1815. Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat (Wien 2001) 176. 6 Es scheint, daß die habsburgischen Militärs in den 70er und 80er Jahren des 18. Jahrhunderts die Osmanen nicht als einen sehr ernsten Gegner angesehen haben, hatte man doch fiir einen Krieg gegen Preußen 130—140.000 als eine Mindestzahl an Soldaten angesetzt, während man gegen den Sultan mit ca. 4 0 - 5 0 . 0 0 0 Mann auszukommen glaubte. Vgl. Manfried RAUCHENSTEINER, The Development of War Theories at the End o f the Eighteenth Century, in: ROTHENBERG, East Central Society (wie Anm. 4) 78.

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Der politische Umbruch in Europa, der mit der Französischen Revolution von 1789 seinen Anfang nahm, das Ausbleiben weitreichender Erfolge der kaiserlichen Truppen gegen die Osmanen und der Tod Josephs II. haben der Habsburger Monarchie den ruhigen innen- und außenpolitischen Boden für eine aktivere Südostpolitik entzogen. Es fehlte nunmehr auch das persönliche Engagement des Herrschers in dem bereits tobenden militärischen Konflikt. All dies führte letztendlich zur Unterzeichnung des Separatfriedens von Sistova (Svistov) im August 1791, gemäß dem der neue Kaiser Leopold II. den Osmanen Belgrad und die anderen während der Kampagnen eroberten Gebiete zurückgab. Der einzige Gewinn für die Habsburger Monarchie aus diesem letzten militärischen Konflikt mit dem Sultan war lediglich eine unbedeutende Grenzkorrektur und die Angliederung einer nicht sonderlich wichtigen Donaufestung. Hätten die Wiener Politiker am Ende des 18. Jahrhunderts einen Blick zurück auf die verflossenen 6 0 - 7 0 Jahren der habsburgisch-osmanischen Beziehungen geworfen, so würden sie mit großen Bedauern Folgendes festgestellt haben: Die beiden letzten Kriege mit den Osmanen brachten als Ergebnis den Verlust der Belgrader Festung und der Kleinen Walachei, während eine einzige erfolgreiche diplomatische Initiative der Monarchie immerhin die Bukowina gesichert hatte. Unter diesen Umständen kann man sich sehr gut vorstellen, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts in W i e n die Anhänger einer „aggressiven Expansion" in Richtung Südosteuropa sicherlich nicht die Mehrheit stellten 7 . Die wichtigsten südosteuropäischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts, die unmittelbar die habsburgischen politischen Interessen auf der Balkan-Halbinsel betreffen, sind insgesamt vier: die serbischen Aufstände (1804—1815), der griechische Unabhängigkeitskampf ( 1 8 2 1 - 1 8 2 9 ) , der Krimkrieg ( 1 8 5 3 - 1 8 5 6 ) und die Orientkrise von 1875 bis 1878 8 . In der Zeit der besagten nationalen Erhebungen verhielt sich die Donaumonarchie nicht sonderlich aktiv, doch in den beiden russisch-osmanischen Kriegen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts schien die Position Wiens viel dynamischer zu sein. Trotzdem konnte Franz Joseph ( 1 8 4 8 - 1 9 1 6 ) , der Herrscher Österreichs bzw. ÖsterreichUngarns, weder im ersten noch im zweiten Krieg den Entschluß fassen, mit seinen Truppen militärisch zu intervenieren. Allein diese Tatsache reicht aus, um zu erkennen, daß die „aggressive Expansion" in Richtung Südosteuropa längst die Sphäre der aktiven Po-

7 Um 1770 hat sich Maria Theresia über die eventuelle südosteuropäische Ausweitung auf eine Art geäußert, welche als klassisch eingestuft werden kann - im Sinne der Meinungsbeeinflussung der habsburgischen Führungselite und auch als Zitat: Of all the enterprises the most hazardous and most dangerous will be the partition of the Ottoman Empire, whose consequences we have the most to fear. What can we gain from such conquests, even to the gates of Constantinople? Provinces unhealthy, depopulated, or inhabited by treacherous and ill-mentioned Greeks / Orthodox / they would not strengthen the Monarchy but weaken it. [...] Without a fatal combination of unfortunate circumstances, I will never prepare myself for the partition of the Ottoman Empire, and I hope that our descendants will never see it expelled from Europe, ROIDER, Austria's Eastern Question (wie Anm. 1) 156f.; vgl. den Beitrag von Grete KLINGENSTEIN, Institutionelle Aspekte der österreichischen Außenpolitik im 18. Jahrhundert, in: Diplomatie und Außenpolitik Österreichs. 11 Beiträge zu ihrer Geschichte, hg. von Erich ZÖLLNER (Schriften des Instituts für Österreichkunde 30, Wien 1977) 74-93. Die Autorin glaubt (91), daß Ende des 18. Jahrhunderts in der eigentlichen Institution der österreichischen Diplomatie, der Staatskanzlei, schon „schwere Abnützungserscheinungen" festzustellen sind. Die habsburgische Außenpolitik hat, wie man sieht, einige Schwierigkeiten, die Herausforderungen der napoleonischen Zeit effektiv zu bewältigen. 8 Vgl. Fritz VALJAVEC, Österreich und Russland auf dem Balkan im 19. Jahrhundert SüdosteuropaJahrbuch 2 (1958) 32-45.

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litik verlassen hatte, um ihren Raum in nostalgischen Erinnerungen und geschichtlichen Untersuchungen zu finden. Nachdem der Krimkrieg ausgebrochen war und nachdem in seinem späteren Verlauf die Truppen des Zaren Nikolaus I. die Walachei und die Moldau geräumt hatten, rückte im August 1854 die österreichische Armee ihrerseits in die Donaufiirstentümer ein. Das geschah im Einvernehmen mit den Staaten der antirussischen Koalition - im konkreten Fall zusammen mit osmanischen Truppen. Das aber soll keinesfalls heißen, daß die Habsburger nunmehr über diese Länder herrschen sollten, noch weniger bedeutet es, daß Wien jetzt die Absicht hatte, Rußland den Krieg zu erklären. Dennoch - keiner von den damals tonangebenden Politikern in Europa zweifelte daran, daß die österreichische Neutralität einen klaren russenfeindlichen Unterton besaß. In St. Petersburg hinterließ dieser Umstand sicherlich einen sehr unangenehmen Eindruck, zumal Nikolaus I. persönlich davon überzeugt war, daß er mit seiner Armee den Thron Franz Josephs während der revolutionären Wirren von 1848/49 gerettet hatte und die nunmehrige kühle Distanz des Kaisers wohl als Undankbarkeit oder gar als Verrat auszulegen war. Eins steht auf alle Fälle fest — die Habsburger hatten während des Konfliktes von 1853 bis 1856 den Versuch unternommen, durch Verhandlungen und Diplomatie und nicht durch Teilnahme an Kriegshandlungen politischen Gewinn in Südosteuropa herauszuschlagen9. Sogar die Androhung, sich gegebenenfalls aktiv in den Konflikt gegen Rußland einzumischen, sollte der neue Herrscher Alexander II. die Friedensbedingungen nicht annehmen, war mehr als ein Wunsch Wiens anzusehen, dem Krieg ein Ende zu setzen, als ein ausdrückliches Bedürfnis nach einem bewaffneten Zusammenstoß mit dem Russischen Reich. Sollte in der Hofburg die Illusion existiert haben, daß diese unzweideutige, wenn auch nichtmilitärische Frontstellung gegen Rußland territoriale Gewinne für die Monarchie bringen würde; sollte Franz Joseph oder sein Außenminister Buol-Schauenstein im Stillen gehofft haben, die Donaufiirstentümer, wenn schon nicht zu erobern, so wenigstens effektiv zu kontrollieren, so zerstreute die politische Realität diese Gedankengänge sehr schnell in alle Windrichtungen 10 . Nach 1856 mußten die österreichischen Truppen die Walachei und die Moldau verlassen; die beiden Fürstentümer beschritten den Weg ihrer staatlichen Union. Als einziger Pluspunkt für Österreich blieb der Trost, daß der russische Einfluß in Südosteuropa beträchtlich geschwächt war". Das Macht-

' Hier muß erwähnt werden, daß es in der Habsburger Monarchie während des Krimkrieges nicht an Stimmen gefehlt hat, die eine Besetzung von Territorien auf dem Balkan im Einvernehmen mit Rußland gefordert haben. So dachte z. B. der kaiserliche Internuntius in Konstantinopel, Baron Bruck, der die Allgliederung Serbiens, Bosniens und der Herzegowina für machbar hielt. Bernhard UNCKEL, Österreich und der Krimkrieg. Studien zur Politik der Donaumonarchie in den Jahren 1 8 5 2 - 1 8 5 6 (Historische Studien 4 1 0 , Lübeck-Hamburg 1 9 6 9 ) 9 8 ; vgl. zu den Differenzen zwischen Botschafter und Außenminister den Aufsatz von Paul W. SCHROEDER, Bruck versus Buol: T h e Dispute over Austrian Eastern Policy, 1 8 5 3 - 1 8 5 5 . The Journal ofModern History 4 0 / 2 ( 1 9 6 8 ) 1 9 3 - 2 1 7 . 1 0 Am Anfang des Krimkrieges gibt es in der österreichischen militärischen Führung Stimmen, die den Gürtel aus Ländern, die unter russischem Protektorat stehen, durchbrochen sehen wollen. So schreibt im Mai 1 8 5 3 General Nagy: „Wir brauchen [ . . . ] unbedingt Luft, Spielraum und unbedingte Bewegung nach jener Seite, daher es vor allem nottut, den lästigen Schlagbaum im Südosten des Reiches [ . . . ] zu beseitigen", siehe UNCKEL, Österreich und der Krimkrieg (wie Anm. 9) 8 6 .

' 1 Katharina WEIGAND, Österreich, die Westmächte und das europäische Staatensystem nach dem Krimkrieg ( 1 8 5 6 - 1 8 5 9 ) (Historische Studien 4 4 5 , Husum 1997) 3 4 1 , bewertet das Aufhalten des russi-

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potential der Donaumonarchie reichte allerdings nicht aus, um den von Rußland freigemachten Platz im Südosten einzunehmen, und so kam es schließlich dazu, daß nach etwa zehn Jahren das große Reich im Osten wieder seinen Blick auf die europäischen Länder entlang der Meerengen richten konnte. Während der Orientkrise von 1875 bis 1878 gelangte die Habsburgermonarchie nunmehr zu der Einsicht, daß territoriale Gewinne in Südosteuropa nur „zusammen" mit Rußland und nicht „gegen" die Zaren zu machen waren. Ahnlich wie zur Zeit des Krieges von 1768 bis 1774 beschloß man in Wien, dem Schatten der Sieger zu folgen und nicht selbst im Südosten zu kämpfen. So kam es schließlich zu der Vereinbarung mit dem russischen Reich, nach der die Donaumonarchie die Kontrolle über Bosnien und der Herzegowina als Gegenleistung für die wohlwollende Neutralität in dem sich abzeichnenden russisch-osmanischen Krieg erhalten sollte 12 . Unabhängig von der Tatsache, daß der Berliner Kongreß Österreich-Ungarn nicht die volle politische Macht über Bosnien und die Herzegowina übertrug, war dieser Gebietszuwachs flächenmäßig die größte habsburgische Errungenschaft, die die Wiener Politiker im Rahmen diplomatischer Verhandlungen in Südosteuropa erhalten hatten 1 3 . Vom Standpunkt der außenpolitischen Effektivität aus gesehen, ist die erhaltene Kontrolle über diese zwei osmanischen Provinzen sicherlich ein Meisterstück der Diplomatie. Im 16. Jahrhundert hat man über die Habsburger Monarchie sehr oft Folgendes zu hören bekommen: „Du, glückliches Österreich, heirate, andere sollen Kriege fuhren!" Das ist eine eindeutige Anspielung darauf gewesen, daß die Herrscher in Madrid, Prag oder Wien es oft vorzogen, durch dynastische Hochzeiten ihre Länder zu vergrößern, anstatt Kriege zu fuhren, um diese oder jene Provinz anzugliedern. Man kann mit Bestimmtheit sagen, daß sich die Habsburger nach 1791 in ihrer Südostpolitik von der Maxime leiten ließen: „Du, glückliches Österreich, v e r h a n d l e , andere sollen Kriege führen!" Wie soll man die habsburgische Südostpolitik in dieser Periode bewerten? Ist es angebracht, von einem Niedergang zu sprechen, wenn die Herrscher in Wien es doch vermocht haben, sich in den Jahren 1 7 3 9 - 1 8 7 8 auf der Balkan-Halbinsel territorial auszudehnen (Anschluß der Bukowina und de facto Herrschaft über Bosnien und die Herzegowina) und das noch dazu ohne bedeutende militärische Engagements? Könnte man nicht gerade das Gegenteil behaupten - nämlich, daß die habsburgische Außenpolitik

sehen Vordringens in Südosteuropa als einen österreichischen Erfolg — eine Ansicht, die man bei Berücksichtigung der Dauer dieses Zwischenstops für die Russen eigentlich revidieren sollte. Vgl. zur habsburgischen Politik während der Orientkrise 1 8 7 5 - 7 8 u. a. Andrija RADENIC, Die Balkanländer in der Strategie Österreich-Ungarns 1 8 6 7 - 1 8 7 8 . Balcanica 1 (1970) 1 4 7 - 1 6 3 ; Robert A. KANN, Der russisch-türkische Krieg und die Interessen der Großmächte in westlicher Sicht. Balcanica 9 (1978) 4 1 - 5 6 ; Engelbert DEUSCH, Andrassy und die Okkupation Bosnien und der Hercegovina. Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung der österr.-ungarischen Konsulatsberichte. Österreichische Osthefte 12/1 (1970) 1 8 - 3 6 ; Horst HASELSTEINER, Bosnien-Hercegovina. Orientkrise und Südslavische Frage (Buchreihe des Institutes für den Donauraum und Mitteleuropa 3, W i e n - K ö l n - W e i m a r 1996). 1 3 Manche Autoren glauben, daß Österreich-Ungarn wesentlich mehr territorialen Gewinn und politischen Einfluß in Südosteuropa während der Orientkrise bekommen hätte, wenn Graf Andrassy den russisch-englischen Gegensatz nicht überwertet hätte. Vgl. Rainer F. SCHMIDT, Die gescheiterte Allianz. Österreich-Ungarn, England und das Deutsche Reich in der Ära Andrassy (1867 bis 1 8 7 8 / 7 9 ) (Europäische Hochschulschriften I I I / 5 1 7 , Frankfurt am Main 1992) 480f.

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äußerst effektiv gewesen war, wägt man die „Investitionen" und die erzielten Ergebnisse gegeneinander ab? Diese beiden Schlußfolgerungen müssen sich nicht unbedingt widersprechen. Der vermeintliche Niedergang einer Außenpolitik - oder wenn man will „a twilight of a foreign policy" - bedeutet nicht unbedingt totale Schwäche in der großen Politik oder das Unvermögen, günstige Augenblicke auszunutzen, um territorial oder politisch punkten zu können. Im konkreten habsburgischen Fall ist etwas anderes gemeint, und das ist der Ubergang von der „aggressiven Expansion" zur „nichtmilitärischen Ausdehnung" in Südosteuropa, was sich als Prozeß während des untersuchten Zeitraumes deutlich abzeichnet. Man kann diese Tatsache deuten, wie man will - auf alle Fälle ist das ein Beleg für die stark verminderte Fähigkeit der Habsburgermonarchie, ihre eigenen Interessen auf der Halbinsel aggressiv und mit Nachdruck, notfalls mit Waffengewalt, durchzusetzen oder zu verteidigen. O b dieser veränderte Zustand damit zusammenhängt, daß die Länder im Südosten keinen sonderlich großen Stellenwert in den Augen der habsburgischen Herrscher mehr gehabt haben, oder vielleicht damit zu erklären ist, daß die zentrale europäische Lage der Monarchie notgedrungen viel mehr Feinde heraufbeschwor, oder gar mit dem leidigen preußisch-österreichischen Dualismus im Heiligen Römischen Reich, darüber kann man sicherlich lange streiten. Ich denke allerdings, daß die Länder am Unterlauf der Donau fiir die Habsburgermonarchie schon einiges an Bedeutung besaßen, war man doch bereit gewesen, als ultima ratio auch gegen Rußland zu kämpfen, um politische Einflußsphären in Südosteuropa zu erhalten bzw. auszuweiten. „A twilight of a foreign policy" als Begriff bedeutet auch eine Veränderung im Vergleich zu einem früheren Zustand der Dinge. Betrachtet man die Südostpolitik der Habsburger bis 1739, so stellt man unweigerlich fest, daß diese Dynastie Jahrzehnte lang das führende und maßgebende Element in den europäisch-osmanischen Beziehungen gewesen ist. Die Kaiser in Wien waren, will man ein Bild aus der Tierwelt bemühen, damals die „Löwen" unter den Herrschern, die die Zukunft der Balkan-Halbinsel bestimmten. Führt man sich, wenn auch nur kursorisch, die habsburgische Politik in Südosteuropa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vor Augen, so stellt man unschwer fest, daß das „ A g i e r e n als Löwe" damals längst der Vergangenheit angehörte. An seine Stelle tritt die Assoziation eines anderen Tieres, eines Tieres, welches nicht die Beute selber erlegt, sondern darauf wartet, daß der mächtige Räuber ihm etwas davon überläßt. Zugegeben, ich kenne mich in der Dschungelwelt nicht gut genug aus - es ist mir aber doch bewußt, daß nicht alle Tiere Löwen sein können, zudem ist es sicher wahr, daß Adler Aas fressen und doch mächtige und starke Raubvögel sind. Es geht hier lediglich um einen Vergleich und um eine Metapher. Um zurück auf den Gedanken zu kommen wenn es in der Geschichte der Diplomatie einen Übergang gibt von einem „Löwen" zu einem zahmeren Tier, so ist es durchaus angebracht, von einem „twilight of a foreign policy" zu sprechen. Ich möchte an dieser Stelle, um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen, Folgendes ausdrücklich betonen: Es geht hier nicht darum, die sogenannte „power policy" auf ein Podest zu stellen und ihr im Rahmen eines Kultes zu huldigen, indem man die Rolle der Diplomatie, der Verhandlungen und der Versuche, mit friedlichen Mitteln zu einer vernünftigen Lösung bei einer internationalen Krise zu kommen, verächtlich herunterspielt. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß „Krieg" und „Frieden" genauso Instrumente sein können, um politische Vorherrschaft zu erreichen bzw. auf Dauer zu halten - eine Grundeinstellung, die einen beträchtlichen Teil der funktionalen Wesensart

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aller Großmächte ausmacht. Sowohl im 18. als auch im 19. Jahrhundert hatte die Habsburgermonarchie die gleiche geopolitische Disposition gegenüber Südosteuropa. In den Jahren nach 1739 aber ist die „aggressive Expansion" nur einmal angewendet worden, während es mehrere Versuche gegeben hat, sich mit nichtmilitärischen Mitteln auszudehnen. In zwei Fällen gibt es hiervon konkrete Ergebnisse - der Anschluß der Bukowina (1775) und die Okkupation Bosniens und der Herzegowina (1878). Daß die Habsburger auf dem Balkan weniger Kriege geführt haben, heißt einfach, daß sie ein Instrument, sich um die politische Vorherrschaft in Südosteuropa zu bemühen, gegen ein anderes, erfolgversprechenderes ausgetauscht haben 1 4 . Konnten die Habsburger in der Südostpolitik außenpolitisch anders agieren? War es für Wien möglich, dem bedeutenden Machtzuwachs Rußlands auf der Balkanhalbinsel effektiv entgegenzuwirken? Mit anderen Worten - wo haben die Politiker in der Donaumonarchie Fehler bei der Planung ihrer südöstlichen Aktivitäten begangen, wenn überhaupt? Die Beantwortung dieser Fragen, wie auch die Fragestellung an sich, verläßt wahrscheinlich den festen Weg der Geschichtsschreibung, ein Umstand, der dieses Problem meines Erachtens nicht weniger interessant macht. Es ist für mich immer spannend gewesen, sich nicht nur Gedanken über die tatsächliche Geschichte zu machen, sondern sich ab und zu auch mit den Aspekten der nicht gelebten Vergangenheit auseinanderzusetzen, mit der sog. „virtual history", wenn ich diesen Begriff hier verwenden darf. Die Habsburgermonarchie verfügt selbstverständlich nicht über das große Menschen* und Länderpotential des Russischen Reiches, und bei einem direkten militärischen Zusammenstoß hätte Wien wahrscheinlich wenig Aussichten auf einen Sieg gehabt. Es ist bemerkenswert, wie die Kaiser und ihre Ratgeber im 18. Jahrhundert dieser Grundeinstellung folgte und niemals das Risiko eines bilateralen militärischen Konfliktes mit Petersburg eingingen. Sie taten genau das Gegenteil - während der meisten europäischen Konflikte waren die beiden Reiche Allianzpartner, insbesondere, wenn es um südosteuropäische oder um osmanische Probleme ging. Der Krimkrieg verdeutlicht andererseits, daß die Habsburger auch eine andere Politik gegenüber Rußland verfolgen konnten - das große Problem dabei war, daß diese mehr oder weniger eindeutig antirussische Einstellung auf Dauer keinen großen Nutzen für die Donaumonarchie in Südosteuropa brachte. Anders formuliert - die Habsburgermonarchie wäre vielleicht besser beraten gewesen, auch im 19. Jahrhundert mit Rußland auf der Balkan-Halbinsel zusammenzuarbeiten, anstatt einen Konfrontationskurs einzuschlagen. An zweiter Stelle ist anzuführen, daß die Habsburgermonarchie wohl zu früh die Politik der „aggressiven Expansion" in Südosteuropa aufgegeben hat. An sich existierten keine ernsten strategischen, militärischen oder wirtschaftlichen Gründe, die gegen eine territoriale Ausdehnung in die Länder der Balkan-Halbinsel sprechen konnten. Aber mit dem „Fall Bukowina" und mit dem für den Kaiser ergebnislosen Krieg gegen die Osmanen von 1788 bis 1791 vor Augen haben die Wiener Politiker etwas überstürzt die habsburgische Südostpolitik auf die Gleise der „nichtmilitärischen Ausdehnung" gelenkt. Die Donaumonarchie wäre auch Anfang des 19. Jahrhunderts imstande gewesen, mit

1 4 Vgl. Evelyn KOLM, D i e Ambitionen Österreich-Ungarns im Zeitalter des Hochimperialismus (Europäische Hochschulschriften III/900, Frankfurt am Main 2 0 0 1 ) 303. Die Autorin vertritt die Ansicht, daß die Frage, o b die Monarchie eine imperialistisch ausgerichtete Politik betrieben habe, bejaht werden muß.

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der eigenen Armee Serbien, Bosnien und die Herzegowina einzunehmen, ohne daß dies eine ernste Gegenreaktion von Seiten Frankreichs, Rußlands oder gar eine Unzufriedenheit der von der osmanischen Herrschaft befreiten christlichen Bevölkerung hervorgerufen hätte 1 5 . Bei der augenscheinlichen innenpolitischen Krise im Reich am Bosporus würden die Kaiserlichen a u f noch geringeren osmanischen Widerstand gestoßen sein, als es während des triumphalen Krieges von 1 7 1 6 bis 1 7 1 8 der Fall war. Darin lag meines Erachtens auch eine der ungenutzten historischen Chancen der Habsburgermonarchie nämlich beträchtliche Landstriche in Südosteuropa für sich hinzuzugewinnen, die mehrheitlich mit Südslawen bevölkert waren. Diese neuen Bewohner der Monarchie, die bis vor kurzem in dem wirtschaftlich und kulturell rückständigen (mit den Begriffen der damaligen Zeit: „unzivilisierten") Osmanischen Reich ihr Dasein gefristet hatten, wären wohl die loyalsten Untertanen der Habsburger geworden. Es ist natürlich klar, daß die nationale Idee auch ihre Anhänger und Fürsprecher inmitten der Orthodoxen in der Monarchie gefunden hätte, doch es ist mehr als wahrscheinlich, daß das sezessionistische M o m e n t kaum so stark ausgeprägt gewesen wäre, wie es fiir die nationalen Bewegungen im Osmanischen Reich so typisch gewesen ist. Die zahlreiche orthodoxe Bevölkerung hätte andererseits ein effektives Gegengewicht gegen die ungarischen Ansprüche auf mehr Einfluß in der Donaumonarchie geboten. In diesem Sinne könnte man die Vermutung anstellen, daß, wenn Osterreich die Länder im Westen des Balkan schon im 18. Jahrhundert oder zumindest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angegliedert hätte, der österreichisch-ungarische Ausgleich wahrscheinlich gar nicht zur Debatte gestanden wäre. Die südöstliche orthodoxe Komponente scheint dasjenige „missing link" zu sein, das nicht ausreichend Verwendung im modernen Aufbau der Donaumonarchie fand. Dieser Umstand hat sich später als einer der wichtigsten Faktoren erwiesen, der zur Auflösung Österreich-Ungarns im zweiten Jahrzehnt des 2 0 . Jahrhunderts gefuhrt hat. Strebte man in Wien eine einseitige, von keiner anderen Großmacht infrage gestellte Vormachtstellung auf der Balkan-Halbinsel an, so wäre dies mit Sicherheit eine Illusion gewesen, an die gleichwohl mancher Wiener Politiker in der Mitte des 19. Jahrhunderts geglaubt hat. Wären die Ziele der Habsburger maßvoller abgesteckt und auf die westlichen Teile Südosteuropas beschränkt gewesen, so wären sie durchaus zu erreichen gewesen. Denn es mag stimmen, daß das Reich der Habsburger nicht so mächtig war wie Rußland, doch die Monarchie hätte einen sehr starken „südöstlichen Machtschub" er-

1 5 Die Losung von der „Befreiung der Christen vom Joch der Ungläubigen" ist auch im 19. Jahrhundert kein absolut leeres Wort. So glaubt Nikolaus I. 1853 immer noch, an die christlichen Pflichten Franz Josephs als apostolischer Kaiser appellieren zu können, indem er verkündet: Alors je marcherai au

nom de notre saint foi à la délivrance du christianisme du joug musulman; et je fais un appel à tout ce qui est chrétien. L'Empereur apostolique resterait-il indifférent à cet appel?, UNCKEL, Österreich und der Krimkrieg (wie Anm. 9) 110. Andererseits schreibt Anfang des 19. Jahrhunderts der Anfuhrer des serbischen Auf-

standes an den Kaiser folgendes: [...] denn wir [die Serben] erkennen, daß das Glück unserer Nation immer von dem höchsten Monarchen Oesterreichs abgehangen hat, von Höchst-Dero angebornen Milde wir auch heutzutage unsere Befreiung zu erringen hoffen. /[...] /, daß wir immer gewünscht haben und wünschen, unter dem glorreichsten Scepter Oesterreichs unsere Glückseligkeit zu finden. BEER, Die orientalische Politik (wie Anm. 1) 809f. Natürlich darf man solche Zeilen nicht überbewerten, denn ähnliche Schreiben haben die christlichen Untertanen auch in Richtung Rußland abgeschickt. Doch allein die Tatsache, daß die Habsburger Monarchie auch im 19. Jahrhundert als eine mögliche Alternative zum tristen Dasein im Osmanischen Reich gerade von den orthodoxen Untertanen des Sultans angesehen wird, ist bezeichnend.

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halten, wenn sie in Serbien, Montenegro, Bosnien und der Herzegowina oder in den westbulgarischen Gebieten festen Fuß gefaßt hätte. Der historische Werdegang der Habsburger Monarchie hat, wie allen sehr wohl bekannt ist, einen anderen Weg genommen. Die orthodoxen Nationen begannen im 19. Jahrhundert mit der Wiedererrichtung ihrer alten Staaten oder gründeten sie von Anfang an neu. Wien seinerseits hat es nicht vermocht, zum Zentrum eines mächtigen und furchterregenden Großreiches aufzusteigen, es wurde aber zum Sammelbecken europäischer Kultur und Wissenschaft. Die neuen Staaten in Südosteuropa versuchten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die zivilisatorischen Errungenschaften der Donaumonarchie nachzuahmen (für viele Bewohner des Balkan war „Wien" oder „Osterreich" einfach der Inbegriff für „Europa" schlechthin), doch es gelang ihnen nicht, mit ihr gleichzuziehen. Hätten sich die Wege der Habsburger und die des Südostens dauerhafter und tiefgreifender gekreuzt, würde die Balkan-Halbinsel dem Osterreichischen Reich viel mehr ähneln, und die Monarchie an der Donau hätte eine stabilere und einflußreichere Großmacht dargestellt, als sie tatsächlich gewesen ist. Aber — um eine letzte rhetorische Frage aufzuwerfen - wäre das tatsächlich eine schönere Geschichte Mittel- und Südosteuropas?

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640) Natasa Stefanec

Map 1: Christian and Ottoman Fortresses between the Sava River and Lake Balaton in 1577 1

' The Christian side was reconstructed according to the military budget (Kriepstaat) of the Slavonian Border from 1577 (Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1577-13-2, fol. 61 v -65 v ) and the muster roll of the Slavonian Border from 1577 (Graz, Steiermarkisches Landesarchiv [StLA], Laa A. Antiquum XIV Militaría, 1577-VIII-24-Warasdin) as well as according to two military budgets of the Border between Lake Balaton and the Drava river (Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1576-12-1 & 2; 1577-7-6). The muster roll from 1577 mentions Novigrad fortress, while the budget does not. The Ottoman side

552

Natasa Stefanec

Map 2: Christian and Ottoman Fortresses between the Sava River and Lake Balaton in 1578 2

BORDER BETWEEN 1 BALATON AND .ORAVA

Christian and Ottoman Fortresses between the Sava River and the Balaton Lake In 1578

was reconstructed according to two reports of the Military Border Head Commanders to the Viennese Aulic War Council from 1577 (Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1577-6-3; 1577-6-ad 3-Litt. a; 1577-5-ad 5-Litt. a). 2 The Christian side was reconstructed according to the military budget of the Slavonian Border from 1578 (Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1578-3-1-1/2) and two military budgets of the Border between Balaton and Drava (Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1576-12-1 81 2; 1577-7-6). The Ottoman side was reconstructed according to the two reports of the Military Border Head Commanders to the Viennese Aulic War Council from 1577 (Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1577-6-3; 1577-6-ad 3-Litt. a; 1577-5-ad 5-Litt. a).

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

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Map 3: Christian and Ottoman Fortresses between Sava River and Lake Balaton in 1630 3

3 The Slavonian Border was reconstructed according to the muster roll of the Slavonian Border from 1630 (Graz, StLA, Laa A. Antiquum XIV, Militaria, 1630, No. 28). The Border between Balaton and Drava was reconstructed according to two military budgets (Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1576-12-1 & 2; 1577-7-6). The Ottoman side was reconstructed according to the Ottoman conscription from 1643 presented in Adem HANDZIC, O organizaciji krajine Bosanskog ejaleta u XVII stoljecu, in: Vojne krajine u jugoslovenskim zemljama u novom veku do Kralovackog mira 1699, ed. Vasa CUBRILOVIC (Beograd 1989) 77-91, and according to maps presented in Nenad MOACANIN, Slavonija i Srijem u razdoblju osmanske vladavine (Slavonski Brod 2001) 188-189. The position of Poljana approximately determined by Nenad Moacanin. The frontier line in Kanizsa region was drawn according to the solution offered in Hrvoje PETRIC et al., Novi Zrin. Zrinska utvrda na Muri, 1661-1664 (Zagreb 2001) 60.

554

NataSa Stefanec Introduction In o p p o s i t i o n to the early m o d e r n history o f , c i v i l C r o a t i a - S l a v o n i a ' the ,military

C r o a t i a - S l a v o n i a ' was rather extensively investigated in historiography. In fact, the hist o r y o f t h e H u n g a r i a n - C r o a t i a n - S l a v o n i a n M i l i t a r y B o r d e r w a s o n e o f t h e a r e a s o f hist o r i o g r a p h i e research that involved scholars f r o m Austria, C r o a t i a , Serbia,

Slovenia,

H u n g a r y a n d w i d e r , f o r m o r e t h a n a c e n t u r y . T h r o u g h o u t this t i m e , t h e d i s c i p l i n a r y f o c u s shifted. Until the 1 9 2 0 s , there a p p e a r e d v o l u m i n o u s syntheses o f the early military b o r d e r s t a t i s t i c i a n s a n d h i s t o r i a n s like J o h a n n A . D e m i a n , C a r l - B e r n h a r d H i e t z i n g e r a n d F r a n z V a n i c e k , t o m e n t i o n a few, f o l l o w e d b y t h e s o u r c e e d i t i o n s a n d articles f o r t h e history o f the Military Border m a d e by Radoslav Lopasic, E m i l Laszowski etc4. F r o m the 1 9 6 0 s to the 1 9 9 0 s various aspects o f the M i l i t a r y Border's history, especially the social b u t a l s o t h e m i l i t a r y a n d e c o n o m i c h i s t o r y w e r e e l a b o r a t e d b y a n u m b e r o f h i s t o r i a n s in all m e n t i o n e d h i s t o r i o g r a p h i e s , e i t h e r f r o m t h e p e r s p e c t i v e o f t h e H a b s b u r g c e n t r e s o f power institutionally controlling the Military Border or f r o m the perspective o f declining k i n g d o m s . Based o n a b u n d a n t sources f r o m Vienna, Graz, Zagreb, B u d a p e s t a n d others, n u m e r o u s h i s t o r i a n s p u b l i s h e d f u n d a m e n t a l a n d g r o u n d - b r e a k i n g articles a n d m o n o graphs a b o u t the Military Border including a large variety o f quantitative data. T h e i r ent e r p r i s e is f o l l o w e d b y a n u m b e r o f y o u n g h i s t o r i a n s t o d a y 5 . R e s e a r c h o f t h e O t t o m a n

4 Johann A. DEMIAN, Statistische Beschreibung der Militär-Grenze, vol. I—II (Wien 1806-1807); Carl-Bernhard HIETZINGER, Statistik der Militärgränze des österreichischen Kaiserthums, vol. I—II (Wien 1817-1823); Franz VANICEK, Specialgeschichte der Militärgrenze, vol. I - I V (Wien 1875); Radoslav LOPASIC, Spomenici Hrvatske krajine, vol. I—III (Monumenta spectantia historiam Slavorum Meridionalium 15, Zagreb 1884); Emilije LASZOWSKI, Habsburski spomenici kraljevine Hrvatske, Dalmacije i Slavonije, vol. I—III (Monumenta spectantia historiam Slavorum Meridionalium 35, 38, 40, Zagreb 1914-1917). In these early stages of the military border historiography, significant contributions were also made by Hermann Ignaz BIDERMANN, Ivan BOJNICIC, Dane GRUBER, Joseph von HAMMER-PURGSTALL, Aleksa Ivic, Vjekoslav KLAIC, Johann LOSERTH, Rudolf STROHAL, Ferdo Sisic, etc. 5 Gunther E. ROTHENBERG, The Austrian Military Border in Croatia, 1 5 5 2 - 1 7 4 7 (Urbana 1960); Jakob AMSTADT, Die k. k. Militärgrenze 1 5 2 2 - 1 8 8 1 (Diss. Würzburg 1969); Franz-Otto ROTH, Wihitsch und Weitschawar. Z u m Verantwortungsbewußtsein der adeligen Landstände Innerösterreichs in Gesinnung und Tat im türkischen „Friedensjahr" 1578. ZHVSt 60 (1969) 2 2 3 - 2 7 5 , 61 (1970) 1 5 1 214; Winfried SCHULZE, Landesdefension und Staatsbildung. Studien zum Kriegswesen des innerösterreichischen Teritorialstaates, 1 5 6 4 - 1 6 1 9 (Veröffentlichungen der Kommission fur neuere Geschichte Österreichs 60, Wien-Graz-Köln 1973); IDEM, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert (München 1978); Mirko VXLENTIC, Vojna krajina i pitanje njezina sjedinjenja s Hrvatskom 1849-1881 (Zagreb 1981); Vojin DABIC, Banska krajine 1688-1751 (Beograd-Zagreb 1984); IDEM, Karlovacki generalat 1 6 8 3 - 1 7 4 6 (Beograd 1996); Dragutin PAVLICEVIC, Hrvatske kucne zadruge I, do 1881 (Zagreb 1984); Karl KÄSER, Slobodan seljak i vojnik, Povojacenje agrarnog drustva u Hrvatsko-slavonskoj Vojnoj krajini, 1 5 3 5 - 1 8 8 1 , vol. 1 - 2 (Zagreb 1997, first German edition 1986); Drago ROKSANDIC, Vojna Hrvatska. La Croatie militaire. Krajisko drustvo u Francuskom Carstvu, 1 8 0 9 - 1 8 1 3 , vol. 1 - 2 (Zagreb 1988); Slavko GAVRILOVIC, Grada za istoriju Vojne granice u XVIII veku. Knjiga I. Banska krajina 1 6 9 0 1783 (Beograd 1989); Vasko SIMONITI, Vojaska organizaeija na Slovenskem v 16. stoletju (Ljubljana 1991); Catherine Wendy BRACEWELL, T h e Uskoks of Senj. Piracy, Banditry and Holy War in the Sixteenth-century Adriatic (Ithaka - NY, 1992); Jan Paul NIEDERKORN, Die europäischen Mächte und der „Lange Türkenkrieg" Kaiser Rudolfs II. ( 1 5 9 3 - 1 6 0 6 ) (AÖG 135, Wien 1993); Milan KRUHEK, Krajiske utvrde i obrana Hrvatskog Kraljevstva tijekom 16. stoljeca (Zagreb 1995); Andrej HOZJAN, Prvi stajerski obvescevalci in postarji: obvescevalna, protiobvescevalna in vojnopostna dejavnost v graskih dezelnih ter dezelnoknezjih oblastnih telesih za protitursko obrambo prostora med Rabo, Zalo in Savo v letih 1 5 3 8 1606 (PhD thesis, Ljubljana 1995); Alexander BUCZYNSKY, Gradovi Vojne krajine, vol. 1 - 2 (Hrvatski institut za povijest, Monografije i studije 4, Zagreb 1997); Géza PALLFY, Europa védelmében. Haditérké-

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

555

side o f the Border in all m e n t i o n e d historiographies, significantly s u p p l e m e n t e d the Military Border studies 6 . T h e Croatian a n d Slavonian Military Borders were, f r o m 1 9 9 7 , also systematically investigated in the International Research Project „Triplex C o n f i n i u m " 7 . As far as the d e m o g r a p h i c aspect o f the Croatian-Slavonian Border is concerned, statistics presented by the mentioned 19 t h century historians referred to later periods o f the Military B o r d e r s history (mostly the 18 t h a n d 19 t h centuries), while there was m u c h less data provided for the 16 t h a n d 17 t h centuries. T h e military authorities created a n d accumulated n u m e r o u s quantitative data o f a historical a n d d e m o g r a p h i c nature f r o m the 16 t h century onwards, but m a n y o f these d o c u m e n t s were destroyed in the course o f time. T h o s e that were preserved were only partially investigated a n d elaborated 8 . T h e early period o f the history o f the H a b s b u r g - O t t o m a n Border in the Croatian-Slavonian K i n g d o m still awaits its adequate, satisfactory a n d source-based statistical a n d d e m o -

peszet a Habsburg Boridalom Magyarorszagi hatirvideken a 16-17. szazadban (Papa 2000). There are also two important conference paper volumes. First, the papers from the scientific conference organised at the 100th anniversary of the abolition of the Military Border, held from November 23-25, 1981: Vojna krajina. Povijesni pregled - historiografija - rasprave: radovi s medunarodnog znanstvenog skupa odrzanog u povodu 100. obljetnice sjedinjenja Vojne krajine s Hrvatskom od 23. do 25. studenog 1981, ed. Dragutin PAVI.ICEVIC (Zagreb 1984). Second, the papers from the scientific conference on the Military Border held from April 24—25, 1986, and cited above: CUBRILOVIC, Vojne krajine. There are also numerous important studies that were not published in the form of monographs, for example, the entire o p u s o f F e d o r MOACANIN a n d t h e s t u d i e s o f H e l f r i e d VALENTIN ITSCH. 6 Significant monographs researching the area of the Croatian-Slavonian Border are Hamdija KRESEVLJAKOVIC, Kapetanije u Bosni i Hercegovini (Sarajevo 1980); Caroline FINKEL, The Administration of Warfare: the Ottoman Military Campaigns in Hungary 1593—1606 (Beih. Wiener Zeitschrift fur die Kunde des Morgenlandes 14, Wien 1988); Nenad MOACANIN, Turska Hrvatska. Hrvati pod vlascu Osmanskog Carstva do 1791. Preispitivanja (Zagreb 1999); IDEM, Slavonija i Srijem. There are also numer-

o u s w o r k s o f G e z a DAVID, A d e m H A N D Z I C , PÄL FODOR, E n e s PELIDIJA, F e r e n c SZAKÄLY, H a z i m SABAN-

ovic, etc. 7 The project was initiated by Karl Käser and Drago Roksandic as a joint venture of the Institute of Croatian History (History Department, Faculty of Philosophy, University of Zagreb), the Abteilung fur Südosteuropäische Geschichte (Universität Graz) and the History Department (Central European University [CEU] Budapest). In 2003 the History Department of the University of Padua institutionally joined the project. To date, the Triplex Confinium International Research Project has organised six international conferences (Budapest 1997, Graz 1998, Zadar 2000, Krizevci 2002, Koprivnica 2003, Padua 2004), published 14 books (including source editions) and numerous articles. List of publications and activities could be explored at the following web-page: http://www.ffzg.hr/pov/zavod/triplex.htm 8 Nenad Vekaric and Vladimir Stipetic published a monograph on the historical demography in Croatia providing an extensive overview of demographic research on Croatian topics in Croatia and elsewhere: Nenad VEKARIC-Vladimir STIPETIC, Povijesna demografija Hrvatske (Dubrovnik 2004). With regard to the early modern history of the Military Border, one of the largest achievements in this respect was the transcription, SPSS elaboration and interpretation of the Census of Lika and Krbava from 1712. The Census listed around 25,000 names and properties in the regions re-conquered from the Ottomans at the end of the 17th century. The Census was recently published: Karl KASER-Hannes GRANDITS-Siegfried GRUBER, Popis Like i Krbave 1712. godine: obitelj, zemljisni posjed i etnicnost u jugozapadnoj Hrvatskoj (Zagreb 2003). Basic elaboration and interpretation of the Census from 1712 was made alr e a d y in 1 9 9 6 / 1 9 9 7 b y H a n n e s GRANDITS, S i e g f r i e d G R U B E R a n d K a r l KASER a n d p u b l i s h e d i n : M i c r o -

history of the Triplex Confinium. International Project Conference Papers, Budapest, March 21-22, 1997, ed. Drago ROKSANDIC (Budapest 1998). One should also emphasise the research of Eugene A. Hammel and Kenneth W. Wächter and their analysis of the Slavonian Census from 1698. See Eugene A. HAMMEL-Kenneth W. WÄCHTER, Evaluating the Slavonian Cenzus of 1698, Part I: Structure and Meaning, Evaluating the Slavonian Cenzus of 1698, Part II: A Microsimulation Test and Extension of the Evid e n c e . European

Journal

of Population

12 ( 1 9 9 6 ) 1 4 5 - 1 6 6 , 2 9 5 - 3 2 6 .

556

Natasa Stefanec

graphic research and interpretation. It could offer new tools to both the social and economic history of the area. In demographic terms, historians of the 16th and 17 th centuries greatly emphasized the migratory character of the Military Border. They mostly focused on the so called ,Vlachs' arriving on the Habsburg side of the Border from the 1530s, while the internal migrations within the Croatian-Hungarian Kingdom were not detected and investigated as a problem of equal importance 9 , apart from the migrations of Croats to Burgenland. One more demographic aspect that was not investigated sufficiently, though it would deserve a monograph or a systematised historical-demographic study, is the .German' military in Croatian and Slavonian cities10. The Vlachs were extensively debated because of the Serb-Croat controversies, but there was no thorough historical and demographic research focusing on the Vlachs in the Croatian-Slavonian Kingdom either. There are some historians that were predominantly interested in the ethnicity of the Vlachs11. The theses of the latter were often rather simplified, mostly due to a restricted and biased approach and the use of sources out of context. On the other hand, there were some historians that were reconstructing the role, significance and behavioral patterns of various groups of new-coming populations in social and economic terms in the development of the Military Border's society. For example, a well-elaborated and comprehensive peasant-soldier paradigm offered by Karl Kaser, studies by Wendy Bracewell or the extensive, source-based studies of Josip Adamcek, interpreting the complex economic functioning of civil and military components of the Croatian-Slavonian society faced with various newcomers, both Germans and Slavs12. Nada Klaic also offered a re-interpretation of significant events and social and economic processes in provincial Croatia-Slavonia in the 16th and 17th centuries, emphasising the militarised nature of the Croatian-Slavonian society in general13. Positioning of various types of data, even the non-representative samples characteristic of contemporary sources, in such wider contexts, paved a path for further demographic research and interpretations. One should also emphasise studies and monographs in dialectology that are of great use in the demographic research14. The autochthonous population in Slavonia as well as the Slovenes in the northwest mostly spoke the kajkavski&deci. Croatians migrating from Croatia proper spoke the cakavskidiAea., which was the only autochthonous Croatian dialect.

5 Recently, there are Croatian historians, like Ivan Jurkovic, who study the 15th and 16 th century migrations of a large group of lesser Croatian-Slavonian nobility and magnates that were mostly prompted by the Ottoman advance. 10 In this paper, under „Germans" I will refer to people arriving from the Austrian Hereditary Lands or the Holy Roman Empire of German Nationality, originally speaking German and mostly serving in the military, whether as soldiers or administrative personnel. 11 The most dominant representatives of such historiography in Croatia were Mirko Valentic and Drago Pavlicevic. 12 KASER, Slobodan seljak (cit. n. 5); Josip ADAMCEK, Agrarni odnosi u Hrvatskoj od sredine XV. do kraja XVII. stoljeca (Zagreb 1980). 13 See, for example Nada KLAIC, „Ostaci ostataka" Hrvatske i Slavonije u XVI. st. — od mohacke bitke do seljacke bune 1573. Arhivski vijesnik 16 (1973) 253-325; EADEM, Drustvena previranja i bune u Hrvatskoj u XVI i XVII stoljecu (Beograd 1976). 14 Stjepan PAVICIC, Podrijetlo naselja i govora u Slavoniji (Zagreb 1953, reprint Vinkovci 1994); Pavle Ivic, Dijalektologija srpskohrvatskog jezika: uvod u stokavsko narjecje (Novi Sad 1956); Dalibor BROZOVIC, Standardni jezik: teorija, usporedbe, geneza, povijest, suvremena zbilja (Zagreb 1970); Mijo LONCARIC, Kajkavsko narjecje (Zagreb 1996).

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1 5 7 0 - 1 6 4 0 )

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Map 4: Approximate Spreading of Dialects around 1500 15

The newcomers, those from Croatia, Bosnia, Serbia and the Balkan interior, spoke the stokavski dialect that differentiated into ikavski, ekavski and, finally, ijekavski depending upon a pronunciation of the Old-Slavonic ,,jat". In fact, there appeared several problems or obstacles in the demographic research. 1. From the 1520s, Inner-Austrian Archdukes and Estates started to increase their military power in the Croatian-Slavonian Kingdom by financing the military and by taking control over the increasing number of fortresses in the entire Kingdom's territory. In 1578, this process and the supreme military authority of the Archduke in the Croatian-Slavonian Kingdom was formalised by the King, though in contradiction with the agreement signed between the Habsburgs and the Croatian Estates in 1527. In the first half of the 17th century, a large part of the Croatian-Slavonian Kingdom started to be exterritorialised as the real Military Border, while the Croatian-Slavonian Estates managed to retain control of a very narrow strip of the so called .provincial' or ,civil' Croatia16. 15 Based on the studies o f Dalibor Brozovic and M i j o Loncaric (drawn according to LONCARIC, Kajkavsko narjecje [cit. n. 14] 3 8 ) . 1 6 1 agree with Karl Kaser that the process o f territorialisation o f the Military Border started to be clearly visible in the 1630s with the apportionment o f lands to Vlachs and, even more importantly, with the upholding o f once noble lands under the military control. KASER, Slobodan seljak (cit. n. 5), vol. 1, 7 9 , 101—108 and passim. However, the process had its inception in the 1520s when the Inner-Austrian Estates began to control and finance border fortresses and crews, which led to the formal infiltration o f the InnerAustrian military administration into the military affairs o f the Croatian-Slavonian Kingdom in 1 5 7 8 .

558

NataSa Stefanec

Map 5: Kajkavski Dialect Today1

Kajkavski Dialect Today

This means that a satisfactory demographic research of the Croatian-Slavonian Kingdoms/Borders should inevitably be executed on both the military and civil records, which has been difficult to achieve. The relevant pre- and proto-statistical sources from the 16th and the first half of the th 17 centuries were insufficiently used. Comprehensive databases are still missing. Various tax records or conscriptions of taxable units for taxes like dica or dimnica that were already partially published underwent a similar destiny as the military sources from the 16th and 17th centuries18. It is worth emphasising that the military administration produced even more documents useful for demographic research than the civil authorities. In other words, though pre-statistical, numerous military budgets, conscriptions and rolls were often standardised, serialised and substantial enough to provide a representative sample and to provide numerous new insights, especially if combined with other sources. Though made by the Inner-Austrian military authorities, they could provide a variety of information regarding almost the entire Kingdom's territory. 1 7 Simplified version o f the complex colored m a p o f various versions o f kajkavski dialect kajkavskog narjecja) presented in LONCARIC, Kajkavsko narjecje (cit. n. 14) appendix.

(Karta

1 8 A great achievement based on the usage o f such sources was m a d e by Pal Engel in the reconstructions o f the Hungarian medieval demographic, social and economic landscape: Pal ENGEL, Magyar kozepkori adattar: Magyarorszag vilagi archontologiija, Kozepkori magyar geneal6gia (Budapest 2 0 0 1 , 1 CD).

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

559

2. When approaching the sources of pre and proto-statistical nature, these are the sources with incomplete data series in chronological and thematic senses; one encounters numerous difficulties in sorting, categorising and interpreting the data. The systématisation of data from such sources always requires an interdisciplinary approach and an additional interpretation effort, especially with regard to the complex circumstances of life in the vicinity of war, which leads to the next issue. 3. The Croatian and Slavonian Borders were over two centuries the areas of extensive internal and transitory migrations of population from the Balkan interior to the Hungarian Kingdom and the Austrian Hereditary Lands. If one takes into consideration the entire taxable territory of the Slavonian part of the Croatian-Slavonian Kingdom in the period considered — precisely, the counties of Zagreb, Varazdin and Krizevci - one can make the following statements. The Slavonian part of the Kingdom to a large extent overlapped with the Slavonian Border, as well as the Croatian part of the Kingdom overlapped with the Croatian Border. In 1598, three remaining Slavonian counties had around 11,500 houses (domus) 19 and the Slavonian Border had around 8,000 soldiers (counting both the paid and unpaid ones). Therefore, the number of soldiers in the Slavonian society under the Habsburgs was very high. The remnants of the CroatianSlavonian Kingdom were throughout the period continuously desolated by small conflicts (,small war') and plunder. It prevented people living closer to the Ottoman frontier to live from farming or cattle breeding, turning them towards the economy of war or forcing them to leave the area. In tax conscriptions these parts along the very frontier were referred to as terra deserta. The taxable unit (fumus, porta) was often referred to as per Thurcas, or even per Walachos in the Ottoman service, desolatus, depopulates, devastate, desertus fumus10. Due to such circumstances, the Kingdoms and the Borders were chronically depopulated, especially the most protruded Krizevci County and the areas of Croatia across the River Kupa. Autochthonous people left the most endangered areas. Some migrants or refugees remained on the Border in Habsburg military service for longer or shorter periods of time. Some of them would just trespass the Border. Over the decades, some newcomers assimilated with the remaining local population. Some retained their firm ties with the group they came with due to the privileges that this group or household obtained in return for military service. In general, population in the area exposed numerous behavioral patterns, developing even a most complex vocabulary designating various kinds of migrants 21 . All these migrations were difficult to trace systematically. Due to the circumstances mentioned the actual structure of the population in the area underwent continuous and profound changes in ethnic, social and military terms. In periods of fierce combats it was even on a yearly basis due to the intensified migration. 4. The fourth problem relates to the ethnicity of the people in the area, for it is often too difficult, even a-historical, to ascribe certain people in the early modern period Slavonia and Croatia with a proper ethnonym. In the period under investigation people still observed themselves predominantly in social, religious and regional terms and not

19

Josip ADAMCEK-Ivan KAMPUS, Popisi i obracuni poreza u Hrvatskoj u XV i XVI stoljecu (Zagreb

1976) XV, 3 7 0 - 5 6 7 . 20 21

ADAMCEK-KAMPUS, Popisi i obracuni (cit. n. 19) passim. Ivan JURKOVIC, Klasifikacija hrvatskih raseljenika za trajanja osmanske ugroze, od 1463. do 1593.

Migracijske

terne 19 ( Z a g r e b 2 0 0 3 ) N o . 2 - 3 , 1 4 7 - 1 7 3 .

560

Nataía Stefanec

in ethnic ways, which requires a cautious and highly critical approach to the use of ethnonyms in contemporary documents 22 . Moreover, in the case of the most usable sources, we have at our disposal only their names and surnames and often not even that much. Objectives and Sources In this paper I intend to contribute to the demographic research of the Slavonian Military Border (Warasdiner Generalat, Varazdinski generalat) by analysing two databases made on the basis of several types of pre-statistical sources from the second half of the 16th and the first half of the 17 th century. The first database was built on the basis of military budgets. In the Viennese and Grazer archives there remained a large number of preserved military budgets or conscriptions (Kriegsstatt) from the Croatian, Slavonian and Hungarian Military Borders that were (to a certain extent) used by historians to date 23 . Each military budget provides the number of paid frontiersmen and their distribution in units. For example, it gives a number of hussars, haramias, harquebusiers, Teutsche Knechte, etc., in each border fortress and captaincy. It also states soldier's salaries, but it does not mention names and surnames, only the numbers. The second database is that extracted from two muster rolls {Muster Liste) from 1577 and 1630. The muster rolls were found in the Militaría collection of the Steiermarkisches Landesarchiv24. Majority of the muster rolls was destroyed in the 19th century and later on as being too insignificant to be preserved. The survival of these two abundant sources from such early periods of the Military Border s history could be greatly used for the more in-depth historical and demographic research. The Militaría collection (still not catalogued) also contains some other, either unknown or insufficiently used muster rolls25. The muster rolls registered names and surnames of thousands of paid soldiers on the Slavonian Border. Individual soldiers were sorted according to their commanders and army units. Their salaries are also listed. The 1577 and 1630 muster rolls were chosen because they could be taken as markers of the two most important events in the arrangement of the Croatian-Slavonian Military Border in the 16 th and 17th centuries.

22

See Ethnicity, eds. John HuTCHiNSON-Anthony D. SMITH (Oxford 1996). Military budgets (Kriegsstatt) from 1576 and 1582 elaborated and mapped in Geza PALFFY, A Magyarorszagi is delvideki vegvarrendszer 1576. ¿s 1582. evi jegyzekei. Hadtiirtenelmy Kozlemenyek 1 (1995) 114-185; Military budgets of the Slavonian Border from 1554, 1577 and 1578, of the Croatian Border from 1573, 1576, 1577 and 1578 sorted in tables and graphs and elaborated in Natasa STEFANEC, Diet in Bruck an der Mur (1578) and the Estates on the Croatian, Slavonian and Kanisian Military Border (PhD thesis, CEU, History Department, Budapest 2004) 4 1 6 - 4 4 4 . Military budgets of the Croatian Border from 1573, 1577, v l657, 1701, 1709, 1725, 1730 and 1732, sorted in tables and elaborated in Sanja LAZANIN-Natasa STEFANEC, Habsburg Military Conscription and Changing Realities of the Triplex Confinium (16th—18th Centuries), in: Constructing Border Societies on the Triplex Confinium. International Project Conference Papers 2, Graz, December 9 - 1 2 , 1998, eds. Drago RoKSANDic-Natasa STEFANEC (CEU History Department Working Paper Series 4, Budapest 2000) 9 1 - 1 1 6 . 24 Graz, StLA, Laa A. Antiquum XIV Militaria, 1577-VIII-24-Warasdin; ibid. Laa A. Antiquum XIV, Militaria, 1630/1, No. 28. Karl Kaser used the numerical data from the 1630 muster roll but he did not analyse the names and surnames. 25 In the next few years the author will supplement this database with the other muster rolls. 23

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

561

The first muster roll from 1577 was made in the year when the so-called Viennese Assembly took place. It was a meeting of the highest representatives of all Habsburg Hereditary Lands 26 . It was made shortly before the General Inner-Austrian Diet in Bruck an der Mur held in 157 8 2 7 . Both meetings discussed the much needed military and financial arrangement (Bestellung) of the Military Border (see maps 1 and 2). The system of the Border's defence and Border's financing established in Bruck in 1578 was valid for more than a century and a half, with some important additions made in 1630. The 1577 muster roll of the Slavonian Border numbers 2,078 soldier posts and lists 1,789 names, since some posts were mentioned only by number and type of soldier. The second muster roll was made in 1630, during the mentioned additional re-arrangements of the Slavonian Military Border, namely, in the year when the Statuta Valachorum were signed by King Ferdinand II 28 (see map 3). The 1630 muster roll numbers 1,703 positions on the Slavonian Border and explicitly lists 1,280 names. Military Budgets 1. Information from the military budgets, from the year 1577 and 1578 can be systematised in the following two general tables (table 1 and table 2).

Headquarters

Post horsemen

Hussars (horsemen)

German footmen (Teutsche Knechte)

Haramia (footmen)

Fortresses

Personnel

Table 1: Number of soldiers according to the Military Budget of the Slavonian Military Border in 1577 2 9

21

7

Krizevci

1

86

5

Koprivnica

3

45

46

3

Durdevac

2

55

19

5

26 Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1577-13-2, LR-368R: Haubt Beratschlagung vber Bestellung der Hungrischen, Windischen vnd Cravatischen Granitzen vnd deren zuegehörigen Notturfften, Wie die auf beuelich der Rom. Kay. Mtt. etc. vnsers alUrgnedigisten Herrn zu Wien im August vnd September des 77"" Jares gehalten, durch Irer Mt. etc. Kriegs Secretarien Ber[n]hardten Reisacher verfasst vnd dan im October, November vnd tails December Irer M. auf diese Form furbracht worden. 27 Graz, Universitätsbibliothek, Handschriftensammlung, Ms. 432, fol. 1 - 2 6 5 : Uniuersäl Landtag, So Ihr Fürstl. Durchl. Erzhörzog Carl mit Steyer, Kärnten, Crain, vnd Görz, zu Prugg an der Muehr gehalten im 1578Jahr. 28 Transcription, Croatian translation and facsimile of the Statuta Valachorum in: Statuta Valachorum: prilozi za kriticko izdanje, trans. Zrinka BLAZEVIC, eds. Drago RoKSANDic-Cedomir VISNJIC (Zagreb 1999) 6 - 4 4 . 29 Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1577-13-2, 61 V -65 V ; table from STEFANEC, Diet (cit. n. 23) 428. Muster list from 1577 provides slightly different data (2,078 soldiers), due to numerous issues, but the divergence is irrelevant (2 %). In this paper the data from the military budget will be used when numbers are concerned.

Topolovac Ivanic

10 2

51

Bisag

5

10

Sveti Kriz

10

22

Zagreb

1

30

Varazdin

3

25

33

5 415

Extraordinary horsemen 1,118

Extraordinary footmen Total Ordinary Total Extraordinary TOTALS

Post horsemen

Hussars (horsemen)

German footmen (Teutsche Knechte)

Fortresses

Haramia (footmen)

N a t a l a Stefanec

Personnel

562

21

19

197

33

0

1,118

0

415

0

1,533

19

1,315

235

448

21

2,038

235

505

21

Kricevci-Captaincy (K)

3

150

120

50

50

Cirkvena (K)

1

100

20

50

50

Sv. Petar (K)

Post (horsemen)

Husars (horsemen)

Harquebusiers (horsemen)

11

German footmen (Teutsche Knechte

Headquarters

Haramia (footmen)

Fortresses

Personnel

Table 2: Number of soldiers according to the Military budget of the Slavonian Military Border in 1578 3 0

50

Sv. Juraj church (K) (Church property) Glogovica (K) (Church property) Sv. Ivan (K) (from Cirkvena) Toplica (K) (Church property)

50

Remetinec (K)

50

30

Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1578-3-1-1/2; table from STEFANEC, Diet (cit. n. 2 3 ) 4 3 0 .

Harquebusiers (horsemen)

Husars (horsemen)

50

100

Post (horsemen)

German footmen (Teutsche Knechte

3

250

Drnje (KO)

50

Delekovac (KO)

50

Novigrad (KO)

50

Durdevac (KO)

100

563

50

Gradec (K)

Koprivnica-Captaincy (KO)

Haramia (footmen)

Fortresses

Personnel

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

2

Topolovac (KO)

150

30

100 50

Empty church between Koprivnica and Topolovac Apatovac (KO) (empty at the moment)

50

Ludbreg (KO) Ivanic-Captaincy (I)

2

100

Klostar Ivanic (I)

50

Sveti Kriz (I)

50

Gofnic (I)

50

80 50

Zagreb

1

30

Varazdin

2

25

34

25

1,505

384

Total Ordinary Extraordinary (outside fortresses)

TOTALS

5 200

300

25

1,805

205

21

200

384

200

405

2,340 500

21

2,840

In addition, according to the muster roll from 1630, in 1630 all the paid soldiers were distributed between 21 fortresses. There were 50 harquebusiers, 405 Teutsche Knechte, 250 hussars, 940 haramias, 23 artillery persons, 20 post-horses and some 15 people in the headquarters, making a total of 1,703 soldiers 31 . 31

Graz, StLA, Militaria (cit. n. 24), 1630.

564

Natasa Stefanec

Based on these data and the contemporary discussions on the rearrangement of the Border, one can make a few of the following conclusions. In 1577, the Viennese Aulic War Council and the participants in the Viennese Assembly concluded that the number of soldiers on the Military Border was too low, and should be increased in most of the six Border sections on the entire Hungarian-Croatian Border. This conclusion was further emphasised at the Inner-Austrian General Diet in Brack an der Mur with regard to the Croatian and the Slavonian Border. In Bruck, a new military budget was made increasing the number of soldiers and redistributing most of the soldiers that were until that time counted as extraordinary (meaning undistributed or free-wandering) into fortresses. T h e number of staffed fortresses increased greatly. They were assigned into Captaincies in order to facilitate their supervision and command. By 1578, a new and durable organisation of the Border was in place 3 2 . Still, caution is needed. Though the rearrangement was agreed and the new arrangement o f fortresses and captaincies was executed and persevered, the sources from later years show that in subsequent years the number of soldiers did not increase as stated in the 1578 budget, but rather remained slightly above the levels from 1577 3 3 . This was mainly due to insufficient finances. By the 1630s the number of paid soldiers irretrievably decreased (1577: 2,038, 1578: 2,840, 1630: 1,703). This decrease went hand-inhand with the increase of the unpaid or peasant soldiers. These unpaid soldiers were recruited to the Border mostly from the Ottoman Empire, but the serfs leaving their estates in provincial Croatia-Slavonia could also often join the army. T h e unpaid troops on the Border were not conscripted until the 18 th century, though there were much more unpaid than paid frontiersmen on the Border in the 16 t h and 17 t h centuries, as often recorded in various narrative documents. For example, both Croatian and Slavonian Borders had around 1 , 7 0 0 - 3 , 0 0 0 paid frontiersmen each, depending on the Border and the period of time. They were conscripted. However, around 6 , 0 0 0 - 7 , 0 0 0 unpaid ones on each Border were not conscripted until the 18 t h century. More specific traces of this, an approximately three times larger group of soldiers, paid in land not in cash, or ,peasant soldiers', were not available until the 1720s 3 4 . Table 3: Unpaid military on the Croatian Military Border in 1725 and 1 7 3 2 3 5 Captaincies

1725

1732

Karlovac (1725) or Trzic (1732)

421

686

Krizanic Turanj

243

431

Barilovic

623

715

Zumberak & Slunj

627

766

Tounj

138

185

Ogulin

768

1,185

Otocac

957

1,162

3 2 SCHULZE, Landesdefension (cit. n. 5) 4 6 - 9 3 ; KRUHEK, Krajiske utvrde (cit. n. 5) 2 7 0 - 2 8 9 ; STEFANEC, Diet (cit. n. 23) passim.

3 3 According to an explicit statement of the Styrian Verordneten from December 19, 1578. Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1578-12-6, 7r-8r. 34 The term was used and elaborated by Karl Käser in KASER, Slobodan seljak (cit. n. 5).

D e m o g r a p h i c C h a n g e s on the H a b s b u r g - O t t o m a n Border in Slavonia (c. 1 5 7 0 - 1 6 4 0 )

Captaincies

1725

1732

Senj

871 2,704

1,568

Lika & Krbava Total

7,352

6,698

565

For the Slavonian Border, the Statuta Valachorum stated that there were some 6,000-7,000 Vlachs on the Border, ready to take arms at any time and to serve the Habsburgs as unpaid soldiers36. In demographic terms, the observed changes in the number of paid and unpaid frontiersmen reflected the following processes. The military service was in the 16th century mainly individual. Originally, it was based on the medieval system of peasant insurrection and noble heavy cavalry. These troops were, during the 16th century, progressively permeated by the mercenaries paid mainly by the Habsburgs and Inner-Austrians. Mercenaries or paid soldiers arrived from and outside the region (Slavs, Germans, Italians, Hungarians, etc.) and their number increased from about 1550 until the 1580s. From the 1590s it was decreasing on the account of the unpaid ones. The Croatian-Slavonian nobility, particularly the Bishop of Zagreb and the Zagreb Chapter as the strongest estate owners, were throughout this period attracting and forcing as many people as possible to their estates in order to provide a work force and to protect the estates. On the other hand, the military commanders, and these were predominately Inner-Austrians, were doing the same but mostly thinking of the military usage of people. They were attempting to attract individuals and various groups of people from the Ottoman to the Habsburg side of the Border in order to employ them as frontiersmen. Since the local nobility during the 16th century often left their estates exposed to conflict and plunder, taking the subjects along, military authorities were giving the newcomers these deserted lands in return for military service. Often they were giving the land still claimed by its rightful owners. They were creating the strata of the unpaid soldiers or peasant-soldiers. This privileged status of peasant-soldiers (called Vlachs in sources) could also incite the serfs to leave the estates and to enroll into military service. In any case, the conflicts between the local nobility and the military authorities over the land, the new coming people and the vacant serfs were inevitable and constant. Conflicts especially escalated, both on the Croatian and Slavonian Borders, from the 1580s, with the commencement of negotiations on the organised movements of large groups of Vlachs from the Ottoman to the Habsburg side of the Border 37 .

35 Zagreb, Croatian State Archives, Karlovacka General K o m a n d a , Uvezani spisi, vol. 1 - 2 , c o n scriptions f r o m 1725 a n d 1732; LAZANIN-STEFANEC, H a b s b u r g Military C o n s c r i p t i o n (cit. n. 23) 116. 36 Statuta Valachorum (cit. n. 28) 2 4 , 42; KASER, Slobodan seljak (cit. n. 5), vol. 1, 1 0 8 - 1 1 1 . Similarly, at the C r o a t i a n Border, there were the u n p a i d units consisting of Uskoks in the 16 th a n d first half of t h e 17 l h century. 37 T h e r e are copious letters of protest testifying a b o u t the contestations o f land and t h e a t t e m p t s of t h e Zagreb C h a p t e r a n d Zagreb Bishopric to subordinate the n e w - c o m i n g Vlachs as private serfs a n d prevent t h e military authorities of using t h e m in military purposes. Moreover, t h e paradigmatic case between t h e m a n y was the contest for the s u b o r d i n a t i o n of n e w - c o m i n g Vlachs in t h e area of Gorski Kotar (northern Croatian K i n g d o m , south of Carniola) between the Zrinski family o n t h e o n e side, between the F r a n k o p a n family o n the other, between the military authorities at t h e third w i t h the additional, con-

566

Natasa Stefanec

In the 1577 muster roll and in the military correspondence from this period in general, one can often notice some names and surnames undoubtedly belonging to the Vlachs. However, in these years the documents still do not mention Vlachs in institutional terms. T h e Vlachs were too few to be a legally defined component on the Habsburg side of the Slavonian Border, though many o f them were commanders o f haramia or hussar units, as will be shown later. From the 1590s, large groups (several tens to several hundreds o f families) o f newcomers, called Vlachs, started to arrive on the H a b s b u r g side of the Border, often with their families 3 8 . Until 1630, these families were settled in an organised way. T h e process culminated with the confirmation o f their privileged status in the Statuta Valachorum in 1630. There were still some individual Vlachs a m o n g them, as pointed out by Karl Kaser, but a m o n g the 6 , 0 0 0 or 7 , 0 0 0 unpaid soldiers, the majority had families 3 9 . T h e male members o f these families could be employed by the military authorities in two statuses: as the individual paid soldiers and as the representatives o f families that obtained land in return for military service. In 1630, the Vlachs obtained their legal recognition as a particular stratum ( C o m m u n i t a s Valachorum) of society with its apportioned piece o f land, legal autonomy (criminal and civil law), local judges and specified military obligations 4 0 . 2. T h e military budgets {Kriegsstaat), especially if combined with muster rolls, also provide data on the social standing o f various types and ranks o f soldiers. In order to offer an initial insight into the financial and, consequently, the social status o f the paid Border soldiers with regard to the rest o f the population, here I present some approximate monthly salaries o f military officials, c o m m a n d i n g personnel and c o m m o n soldiers on the Croatian and Slavonian Border in the period considered.

Table 4: Approximate monthly salaries of commanding personnel and soldiers on the Slavonian Border in Rheinisch Guldens (11.) (111. = 80 denars) 41 Chief Commander on the Border

300-400 fl.

Commanders of Units and Captaincies

10-50 fl.

Lower officers

1 - 2 fl. more than common soldiers in their unit

Harquebusiers

8 fl.

German soldiers (Teutsche Knechte)

5 - 6 fl.

Hussars (horsemen)

4 - 5 fl.

Haramias (footmen)

3 fl.

T h e data presented in the table practically did not change for decades on this stretch of the Border. Variations occurring in wages of, for example, particular hussar units, mir-

stant interference of the Croatian-Slavonian Diet and the native population. LOPASIC, Spomenici (cit. n. 4), vol. I, 2 6 9 - 2 7 3 ; 201, 214, 267, 293, 296, 306, 308, 3 1 0 - 3 1 7 and passim. 3 8 Karl Kaser collected data from various letters and reports and calculated that from 1587 to 1600 around 10.000 individuals (Vlachs) arrived to Slavonia. KASER, Slobodan seljak (cit. n. 5), vol. 1, 89. 3 9 Ibid. 109. 4 0 Statuta Valachorum (cit. n. 28) 11; 11-43. 4 1 The table contains an extract from a more elaborate figure based on several military budgets and presented in STEFANEC, Diet (cit. n. 23) 357.

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

567

rored the condition of their equipment or armament. It was reflected in the salaries of their commanders too. Since one gulden was worth 80 denars one ordinary soldier received from about 240 denars in the case of haramias, or around 640 denars in the case of few harquebusiers per month. Just to establish some relationship, royal tax in the Croatian-Slavonian Kingdom called dica, was levied in the amount of 100 denars per session, or in most dangerous and very rare times, in the amount of250 denars per year. The daily wage of a common worker in the Croatian-Slavonian Kingdom, in the period from the 1550s to the 1590s, amounted from 8 to 12 denars per day. Artisans were paid up to 25 denars a day in the 1590s. At the same time, in 1578, a pint of wine (around 3 litres) in Zagreb was 5 to 6 denars, the market price for a calf was 70-76 denars and a cluster of dry octopuses was 100 denars. In 1571, one qmrta (44.47 litres) of wheat was offered to the army for 100 denars, whose price was way exaggerated42. This data suggest that the salary of an ordinary soldier could, if received properly, satisfy his basic needs and allow some savings. To be a paid soldier on the Border should have been a desirable enterprise, especially having in mind war booty and similar extra-earnings. The large problem was that the prices of the provisions offered to the army were often inflated beyond any reasonable limits. Frequently, an army in some secluded fortresses had no chance to acquire them at all. Last but not least, the salaries were constantly late. As often emphasised in the historiography, in the 16th century, they were received only for few months a year43. Muster Rolls Unlike various military budgets, the muster rolls were much more substantial, conscribing names and surnames of paid soldiers. To a certain extent, it is possible to differentiate between the names and surnames used by kajkavski speaking autochthonous inhabitants and stokavski speaking newcomers, though both were Slavic names and surnames. Still, one has to take into consideration several obstacles. The names and surnames were sometimes .Germanised' by the German scribes who wrote the muster rolls and sometimes they were misspelled. In no case could one be sure when the newcomer arrived and how far he was assimilated. Prevailing numbers of patronymic and toponymic surnames hinder a direct translation into ethnic categories. Finally muster rolls provided the data for only a limited amount of the soldier population on the Border, the paid soldiers. However, they are still a significant source, helping us to indicate the extent and the direction of migrations, especially when comparing data from 1577 (that is, before the great migrations) to data from 1630. The area on both sides of the Ottoman-Christian Border was dominantly settled by people of Slavic origin, mostly of the Catholic or Orthodox faith. When mentioning the term „Vlach" in the period I am dealing with, I am not referring to an ethnic but a social 42

ADAMCEK, Agrarni odnosi (cit. n. 12) 296-297, 299-300. There are numerous confirmations of this in the sources. For example: Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1577-13-2, fol. 90; report of the Carniolan commissaries Achaz von Thurn and Merth Gall, Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1578-4-25, fol. 6; Ivan pi. BOJNICIC, Izvjesca o kretnjama turske vojske uz hrvatsku granicu u drugoj polovici XVI. Vieka. Vjesnik Kr. hrvatsko-slavotisko-dalmatinskoga arkiva 16 (Zagreb 1914) 93-94. This topic was also elaborated by Helfried VALENTINITSCH in his: Großunternehmer und Heereslieferanten in der Steiermark und an der Windischen Grenze. Zur Geschichte des Tuchhandels im 17. Jahrhundert. ZHVSt66 (1975) 141-165; IDEM, Handel am Rande der Moral?, in: Menschen & Münzen & Märkte. Katalog der Steirischen Landesausstellung, ed. Gerald SCHÖPFER Oudenburg 1989) 293-300. 43

568

Natasa Stefanec

determinant. The Vlachs in the central and western Balkans were people of Roman origin, but already during the Middle Ages they were mainly assimilated by the Slavs. They were mostly, though not exclusively, of the Orthodox faith. They were transhumant, halfnomadic (not nomadic!) cattle breeders in the Middle Ages. Later on, especially as Ottoman subjects, they mostly became sedentary, depending on the region, the policy of the authorities, and on the time of their arrival to a certain place. Their migrations were from the 15th century mainly provoked by the Ottoman advance, but also by their own needs in search for pastures and trading activities. From the end of the 16th century the migrations were mainly caused by the search for better conditions of life and/or military service. As mentioned, from the first decades of the 16th century, they were often employed in Ottoman and Habsburg military service attracted by all kinds of privileges offered to them 44 . Even people who were not originally Vlachs could present themselves as Vlachs in order to obtain these privileges, especially after 1630 45 . Moreover, in the 16th century, people arriving from the Ottoman side of the Border, especially if it was in an organised manner, were often called Vlachs, no matter their .ethnic' background. It gives even more ground to the determination of the Vlachs as a social and not an ethnic category. The Vlachs mainly spoke the stokavski dialect which distinguished them from the prevalently kajkavski speaking autochthonous people living in the remnants of the Slavonian Kingdom (see maps 4 and 5). Having all this in mind, what kind of conclusions can one draw from muster rolls? 1. The analysis of names and surnames according to various units indicates the following. As far as the commanding personnel are concerned,,Germans' were appointed to almost all important military and administrative offices on the Croatian-Slavonian Border 46 . Salaries of the highest officials amounted up to 400 guldens per month, small fortunes. Commanders of the royal army and their deputies were mostly German noblemen. German officers were loyal, they knew the official language and they were familiar with the administration. If they learned Croatian/Slavonian or Hungarian, they were

44 Nenad MOACANIN, Introductory Essay on an Understanding of the Triple-frontier Area: Preliminary Turkologic Research, in: Microhistory of the Triplex Confinium, ed. ROKSANDIC (cit. n. 8) 125-136. 45 In order to prevent the misuse of Statuta Valachorum, the military authorities started to send commissions with a task to detach .proper' Vlachs from .false' Vlachs, private Vlachs, refugees, locals and others on the Slavonian Border. Commissions were unsuccessful due to the fact that the .Vlach' villages who gained the privileges were already too mixed, through marriages or otherwise. KASER, Slobodan seljak (cit. n. 5), vol. 1, 101-103. 46 General Commanders, Captains of Head Captaincies, Captaincies and fortresses were prevalently magnates and noblemen of „German" origin. In 1577 the following set of people was posted on the most important military posts on the Slavonian Border: Herr Veit von Hallegg was Obristen Leutenant in Varazdin, Hanns Globitzer was Oberhaubtmann in Koprivnica, Hanns Kheller was Haubtman in Durdevac, Georg Ambrosy Wattnigkh was Haubtman in Krizevci, Hanns Paunouitsch was Haubtman in Ivanic, Hanns Christof? Rindtschadt der Elter was Haubtman in Zagreb, Steffann Castellanffy was the castle owner of Bisag, Lucatsch Troyanitsch was BurggrajfIn Sveti Kric and Jurey Wrainkhouitsch was Burggrajf in Topolovac. In 1630, nothing changed with regard to the prevalence of „Germans". Graf Sigmundt Friedrich von und zu Trautmannstorff was Obrist Windischer und Petrinanischer Gränizen, Freiherr Hanns Wilhelbm Gäller was Oberhauptmann in Krizevci, Freiherr Fridrich von Mörsperg was Oberhauptman in Koprivnica, Freiherr Otto Ehrnreich von Trautmannstorf was Hauptmann in Durdevac and Freiherr H a n n ß Sigmundt Eybißwaldt was Oberhauptmann in Ivanic. In 1577 artillery personnel consisted of 15 and in 1630 of 25 weaponry experts (Zeugwarth, Zeugverwalter, Püchsenmaistef). They were all of „German" origin, and only exceptionally of Italian origin. Post offices were mostly entrusted to people of „German" origin. Graz, StLA, Militaría (cit. n. 24), 1577-VIII-24; ibid. 1630.

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

569

perfect for numerous Border offices opened after the establishment of the Inner-Austrian War Council in Graz in 1578. The administrative personnel were also mostly Germans. As far as the captains of individual fortresses were concerned, the ratio of domestic and German officers was in the 1570s about 1:2 in favour of Germans 47 . The Border authorities in Vienna and Graz were explicitly oriented towards the appointment of their own people in Border offices. Such a planned policy was not introduced only to control the defence administration and huge finances inserted into the Border by Inner-Austria. It also enabled the ruling class, the nobility, to find jobs for their sons. Such military functions were a perfect opportunity. The Inner-Austrian noblemen were aware of the possibilities offered on the Border, explicitly discussing these issues 48 . Germans also mainly served as post officers which was a very lucrative position and as armourers, gun masters and military technicians. The Inner-Austrian Estates attempted to hire them more into the elite Border units also, like the Teutsche Knechte, harquebusiers and the German heavy cavalry. From a total of c. 2,000 to 2,800 paid soldiers on the Slavonian Border in 1577/1578, some 240 to 400 used to be placed in German units such as the Teutsche Knechte. In 1630 there were 405 Teutsche Knechte. Still, in 1630 one can notice a much larger infiltration of Slavic names amongst these units that were no longer exclusively .German'. Additionally, many Germans married on the Border over decades of service. Their children would often retain the surname and father's post in the Border structure. Regarding the units of hussar horsemen, the greatest change between 1577 and 1630 occurred with the removal of noble hussar units led by the domestic Croatian and Slavonian magnates and noblemen from the payroll. In 1577, local magnates still commanded the horsemen units of up to 50 horses on the Habsburg payroll, enrolling both newcomers and local men, often of noble origin. These horsemen units were hired traditionally as the remnant of medieval noble cavalry. With the changes in military tactics they became too expensive and less required than the infantry. Inner-Austrians and Habsburgs, openly struggling for military dominance on the Border after the 1570s, successfully discarded these competitive local noblemen and their potentially dangerous units. In 1630 they no longer existed. Few remaining hussar units were in 1630 commanded by the Germans or men loyal to the Habsburgs. Table 5: Names and surnames of all hussar (horsemen) captains in 1577 and 1630 4 9 1577

Number of hussars 1630 in the unit

Number of hussars in the unit

50

Hanns Wechßler, Freyherr

50

Jacob Zäkhll, Freyherr

50

Hanns Dräschkhouitsch, Freyherr

50

Hanns Globizer

50

Fridrich von Mörsperg, Freyherr

50

Niclas Graff zu Serin

4 7 Graz, StLA, Militaria (cit. n. 24), 1577-VIII-24; LOPASIC, Spomenici (cit. n. 4), vol. ILL, 4 6 4 473; Geza PXLLFY, Kerületi es vegvideki fökapitänyok es fökapitany-helyettesek Magyarorszagon a 1 6 1 7 . szäzadban. Törtenelmi szemle 3 9 ( 1 9 9 7 ) 2 5 7 - 2 8 7 . By 1 6 3 0 the number of Germans on leading and well paid positions grew futher. 4 8 Numerous documents of the Viennese Aulic War Council in the 1570s, as well as Diet minutes from Bruck (1578) testify to this. See for example Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1576-13-1, fol. 6'~v, 22 v -23 r ; Graz, Universitätsbibliothek, Handschriftensammlung, Ms. 432, fol. 60', 62', etc.; Vienna, Kriegsarchiv, Alte Feldakten, 1578-12-6, fol. 8'-9 r , December 19, 1578.

570

Natasa Stefanec

1577

Number of hussars 1630 in the unit

Number of hussars in the unit

Lasla Pethew

40

Sigmundt Kheglouitsch, Freyherr

50

Nielas Alapi

50

Jankho Pätätschitsch

50

Simon Khegleuitsch

50

Peter Radkhay

50

Janusch Bersey

50

Jurey Radmilouitsch

25

Iwan Margetitsch Total

20 250

435

Haramia or footmen units were the least paid and the most numerous units. Almost 1,500 of them were paid in 1577, and 940 in 1630. O n e can note a majority of Slavic names and surnames along with several Hungarian names among the voivods (Woyuoda) who were the commanders of haramia units.

Table 6: Names and surnames of all haramia commanders (voivods), in 1577 and 163050 Number of haramias in each unit

1577

1630

Number of haramias in each unit

Iwan Pribeg

50

Marco Druschzeuitsch

33

Iwan Welikhi

50

Peter Tertzäckh

34

Gregor od Poda

44

Praeradt Radolouitsch

24

Vrban Latowaz

34

Comblen Nouakhouitsch

Martin Egidouitsch

50

Wuiza Harambascha

25 24

Radoslaw Bakhosch

50

Juratsch Dobrouoyeuitsch

29

Istwan Garray

40

Rädmül Nouakhouitsch

25

Mateasch od Satschessanya

50

Guoßdann Vßgokh

24

Embrich od Babotsche

50

Juriza Druschgeuitsch

30

Marco Wrainckhowitsch

50

Dimitter Pieschinouitsch

23

Larennz od Bytscha

40

Iban Pieschinouitsch

23

Antholl Khopinskhi

50

Peter Pietschinouitsch

23

Radkho Pribeg

50

Stephann Sengian

24

Iwan Welikhi

40

Domian Dragolouitsch

23

Miclosch Oschegouitsch

50

Martin Turtschakh

18

Peter Hassanouitsch

40

Marco od Toppoloffza

19

Peter Oräschkhowitsch

40

Iban Khrupitz

19

49 50

Graz, StLA, Militaría (cit. n. 24), 1577-V7II-24; ibid. 1630. Graz, StLA, Militaría (cit. n. 24), 1577-VIII-24; ibid. 1630.

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

1577 Jurco Buyautschan Jurco Slddoyeuitsch Iwan Sladoyeuitsch Peter Stoytsch Micula Oschegouitsch Raleta Mistinouitsch Damian Pribeg Jurey Radmilouitsch

Number of haramias 1630 in each unit 50 50 50 50 40 50 50 80

571

Number of haramias in each unit

Andree Moyses Janusch Egidouitsch Juritza Rädinkhouitsch Istockh Egidouitsch Paul Khnesouitsch Juritza Khodtschänditsch Serdia od Comarnitze Paul Tereschin Juriza Khosstitsch Andreasch Mäkhär Matthiasch Heyduckh Matthe Warillitsch Jurath Rayakhouitsch Paul Wogdanouitsch Marco MilLischeuitsch Pryo Millauitsch Georg Maraukhouitsch Juriza Pedekhouitsch

19 29 29 24 24 24 25 24 31 30 30 25 26 27 27 27 27 28

Slavic names and surnames also prevailed among the haramia soldiers. Hence, haramias of Slavic origin were making more than half of the paid army on the Slavonian Border at the time. Among haramias and even among the voivods themselves, one can note many surnames that did not belong to the surrounding, kajkavski speaking, Slavonian region. Just as an example, the most conspicuous are italicised in the table 6. They could arrive from Ottoman Slavonia or from endangered or conquered parts of Croatia or from deeper Balkan interiors. Furthermore, on the basis of one larger haramia unit in 1577, consisting of 80 people, one can make the following analysis. The names from the unit are sorted in three columns in the table 7. Table 7: Unit of 80 haramias under the Voivod Jurey Radmilouitsch in 1577 5 1 From the Hungarian and the Slavonian Kingdom Jurco od Radtsche Iwan od Copriunize Blasch od Khonschtschine

From the territory conquered by the Ottomans Miculla Horwatt Bertta od Miclouscha Lucatsch od Naschitschkhoga

Miculla od Bolyehoua

Jurco od Bresouize

51

Graz, StLA, Militaria (cit. n. 24), 1577-VIII-24.

Unsorted Jurey Radmilouitsch Iwan Mrakhuschitsch Mathe Yhäß Petter Grekhschitsch

572

Natasa Stefanec

From the Hungarian and the From the territory conquered Unsorted by the Ottomans Slavonian Kingdom Dragoye od Breschnize

Petritsch od Bresouize

Jurco Gerdenn

Iwan Merfilopolyaz

Benna od Bresouize

Anndrasch Erschenyakh

Michall od Lepeglaue

Tomasch od Bresouize

Miculla od Khutschitsch

Gregor od Wyrou

Mateasch od Babotsche

Jurco Gotouitsch

Istuan od Khrischeuaz

Gregor od Babotsche

Larennz Bodkheytsch

Blasch od Topolouza

[...] Horwatt

Janusch Wukhoslauitsch

Matheasch od Iwanaz

Marco Horwatt od Zetina

Miculla Micusch

Juriza od Iwanitsch

Anndrasch od Branogratscha

Gregor Damyanitsch

Iwan od Juryeuza

Michall Horwatt

Iwan Bellanitsch

Selyackh od Iwannaz

Iwanisch od Sdenaz

Mateasch Timutsch

Mateasch od Lokhe

Martin od Poschege

Jacob Harunitsch

Ferennz od Juryeuza

Juriza od Platernize

Petter Didowan

Matheasch od Khanische

Michall Horwatt

Marco Suromentitsch

Blasch od Iwanaz

Iwanisch od Walpoua

Jurco Khowatschitsch

Michall od Orehouize

Juriza od Khrupa

Blasch Benusch

Jacob od Belowara

Gregor Horwatt od Topußkha Miculla Nouakh

Michall od Winize

Anndrasch od Pedlya

Bennkho Khonnthouitsch

Gregor od Merslogapollya

Michall od Slattine

Iwanusch Woscharitsch

Gregor od Iwanaz

Stipan Horwatt

Iwanusch od Tschukha

Iwann od Khufiminez

Michall od Poschege

Marttin Heydukh

Matheasch od Nouogagrada

Juriza od Kamnikha

Paukho od Gräzä

Dionisch od Ottokha

Petritsch od Kamnika

Juriza Wlaschitsch

Anndre od Nouogagrada

Anthon Milanesitsch

In the first column there are haramias that according to their surname originated from the area of the Slavonian Border under Habsburg rule. They were expectedly the most numerous in 1577. However, in the second column there are already numerous newcomers from the parts of eastern Slavonia conquered by the Ottomans in the 1530s and the 1550s and from the parts of central Croatia conquered by the Ottomans by the 1580s. The second group is worthy of note due to their quite unexpected number. In the third column, there are the ones that are problematic to sort in either of the two previous columns. T h e muster roll from 1577 conscribes haramia and hussar units only according to their commanders since the majority of units were, until 1578, not firmly related to fortresses but were roaming the Border freely as extraordinary units. It is therefore impossible to conclude about the spatial distribution of newcomers (Vlachs) to the Slavonian Border in 1577. At the time they were mostly arriving individually or in smaller groups and they were probably rather dispersed among the already existing units, as can also be seen from the muster roll. One can only notice, contrary to the established notions in historiography, that even prior to any organised movements of Vlachs across the Border, there were many very influential voivods with non-kajkavian surnames on the Slavonian Border.

Demographic Changes on the H a b s b u r g - O t t o m a n Border in Slavonia (c. 1570-1640)

573

2. Both muster rolls, especially the 1577 muster roll, recorded a large number of people without surnames, or more precisely, they recorded the soldiers name and the place of origin. For example, from Cakovec (od Cakovca) or from Varazdin (od Varazdina) as exemplified in table 8 in the case of one entire haramia unit from 1577. Out of 1,789 names listed in 1577, 727 had such indicators of origin instead of surnames and additional 93 had a surname Horvat (Horwatt, Horwatt) meaning ,from Croatia' or in other words ,from the parts across Kupa river' 52 . It is interesting to note that in 1577 there were no derivatives from Horvat, suggesting that people with the surname Horvat were in 1577 belonging to a first wave of migrants. Table 8: Haramia unit from Varazdin fortress in 1577 53 Name Simon Ambrusch Petter Iwan Steffan

Surname od Sdemaz od Tschakhouza od Plowdina od Waraßdina Slattar

Place of origin according to surname Zdenci Cakovec Plovdin Varazdin

Gregor

od Grabrounize

Grabrovnica

Gregor

od Copinouza

Kupinovec

Michail Iwan

od Bresouize Sabotschitsch

Brezovica

Michail Paullisch Marttin Petter

Bäkhäritsch Varazdin

Marco Janusch

Warasdinaz Bartholitsch Perannßkhy od Otschina od Stoptschanize

Iwan

od S. Marye

Sveta Marija

Blasch

od Temeschwärä od Buschina

Temisvar Buzin

Marco Gregor Larennz 52

Vocin Stupcanica

Polletitsch Dykhouitsch

During the 16 th century, due to migrations of the nobility and their subjects, the territory of the Croatian Kingdom stretched to the north. T h e lands that were originally considered a part of the Zagreb C o u n t y and therefore Slavonian, started to be called Lower Croatia or Croatia. Even the Diet conclusions and other documents from the 1550s, even from the 1570s, referred to these parts as „the parts which are nowadays called the Croatian Kingdom" or „the remnants of Zagreb C o u n t y across Kupa that are now called Croatia" or, similarly, „the only parts nowadays settled by the Croatian Estates except Bihac and Ripac [...]". Vjekoslav KLAIC, Povijest Hrvatske, vol. V (Zagreb 1982) 594; Ferdo SISIS, Acta Comitialia regni Croatiae, Dalmatiae et Slavoniae, vol. Ill ( M o n u m e n t a spectantia historiam Slavorum Meridionalium 39, Zagreb 1916) 2 9 0 - 2 9 1 ; similar in N . KLAIC, Ostaci ostataka (cit. n. 13) 2 6 4 - 2 6 5 . 53 Graz, StLA, Militaria (cit. n. 24), 1577-V1II-24. For example, in Varazdin fortress there were one Burggraff, 5 fortress horsemen, 5 guards, one d r u m m e r and one trumpeter, 25 Teutsche Knechte, 25 haramias and two bread bakers.

574

Natasa Stefanec

Name Miculla Mateykho

Surname od Warasdina Hörwatt od Syßkha Dyakh Walpouaz

Jurco Miclosch Istuan

Place of origin according to surname Varazdin Croatia Sisak Valpovo

In 1630 the situation had changed. Out of 1,280 names only 143 had an indicator of origin instead of surname {od, iz = from) and it was mostly the supposedly autochthonous population. Only 21 people had surnames Horvat or a derivative of it. In summary, in 1577, a large number of people did not use surnames identifying themselves by the place of origin. In some haramia units even up to 70 % of the people did not have proper surnames. Even in 1630, many local frontiersmen did not use surnames but were recorded according to the place of origin. In table 9, there is an example of one such haramia unit from 1630. Table 9: Haramia unit from Prodavic (Weissenthurn) in Coppreitiiz'm 1630 54 Name Istockh

Surname Egidouitsch

Istuan Matthiasch Peter Michäl Ibann Gall Empty from October Janusch Thomasch Milläckh Stephann

Peter

Tschorba od Waraßdina od Winiza Fundäckh od Sägrebä od Khunänez 1, 1630 od Saue od Khuschreuäz Wuckhoyauitsch Preschkhoschillo Wässeritsch od Woschega od Khälnickha od Soppia Erdellez Debelli Pauln Sohnn od Suchenlackhe Schintlinaritsch Wässeritsch

-

-

Ibann Vinkho Martin Jännthol Mikhiza Ibann Matthe Stephann

Oberhauptmanschafft

Rank Woyuoda 3 Plätze Fendrich Rottmaister

Rottmaister

Rottmaister

Schalemey Pfeifer

Salary 13 fl. 3 fl. 30 kr. 4 fl. 30 kr. 3 fl. 30 kr. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 30 kr. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 30 kr. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 3 fl. 30 kr.

Demographic Changes on the Habsburg-Ottoman Border in Slavonia (c. 1570-1640)

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The use of ethnonyms or toponyms instead of proper surnames could be considered an advantage enabling rather precise spatial distribution and the mobility of soldiers arriving from endangered or conquered parts of the Croatian-Slavonian Kingdom to end up serving on the Slavonian Border. Still it remains unclear why so many people in the muster rolls were not recorded with proper surnames. It could be one of the ways in which vacated serfs hid themselves in front of their masters by concealing their real surnames on any official documents. Secondly, it could also be due to the fact that the use of surnames in the 16 th century was not yet standardised enough in these parts of Slavonia. Still, judging to the tax conscriptions, a preponderant number of taxable subjects in Slavonian counties had proper surnames. Thirdly, one could presume that the soldiers were not present at the muster, while their fellows or commanders, dictating names to the muster-scribe, did not know their surnames, but only their names. Still, this was not very likely due to strict muster procedures. 3. One more usable differentiation of soldiers can be made on the basis of names. Most of the soldiers in 1577 had names from the New Testament like George (Juraj, Gregor), Peter (Petar), Mark (Marko), Mathias (Matija), John (Ivan), Steven (Stjepan, Stephann) and similar. In 1577, there were very few names and surnames (20 out of 1,789) made out of a name ,Vuk' (meaning wolf) and there were only a few names like Radovan, Radoje, Radmil, Obrad, Prerad and their derivatives. Opposite to that, in 1630 one can observe a whole cluster of names derived from ,Vuk' like Vukosav, Vukasin, Vukoje, Vucic, Vucko, Vukmir, Vukovoj, Vuica, Vuin etc., and surnames derived from Vuk like Vukovic, Vuksanovic, Vucin, Vucic, etc. - as well as names like Radovan, Radmil, Radoje, Obrad, Prerad, Komljen, Gvozdan, Raleta, Rausa, Bogdan, Ostoja, Sava and the surnames derived from them - appeared in the muster roll in great numbers. In some haramia units they dominated over the New Testament names. In one haramia unit from Roviska in 1630, as presented in the table 10, one Peter (Petar), one Mark (Marko) and one Steven (Stephann) were the only exemptions, though they were most probably also newcomers according to their surnames. Table 10: Haramia unit from Rovisce (Rouischka) in Oberhauptmanschajjt 1630 5 5 Name

Surname

Rank

Salary

Comblen

Nouakhouitsch

Woyuoda

13 fl.

-

-

3 Platze

3 fl. 30 kr.

Nouackh

Ognianouitsch

Fendrich

4 fl. 30 kr.

1 Platz

3 fl.

Zwetko

Mathieuitsch

Rottmaister

3 fl. 30 kr.

Dragosau

Dobritschitsch

3 fl.

Osstaya

Dragelouitsch

3 fl.

Radmiil

Radotschitsch

3 fl.

Radann

Domianouitsch

3 fl.

Wuiza

Draganitsch

3 fl.

54

Graz, StLA, Militaria (cit. n. 24), 1630.

Creuz in

576

Natasa Stefanec

Name

Surname

Rank

Salary

Wogon

Tokhitsch

Rottmaister

3 fl. 30 kr.

Peter

od Strassimann

3 fl.

Wuin

Ognianouitsch

3 fl.

Wukhoya

Franischeuitsch

3 fl.

Mirkho

Gurouitsch

3 fl.

Marco

Schischmanouitsch

3 fl.

Obradt

Draginez

Hrelann

Malleschitsch

Stephann

Prodanouitsch

3 fl.

Milleta

Wukhouitsch

3 fl.

Wukhoye

Khouatscheuitsch

3 fl.

Saue

Humitsch

3 fl.

Wukhoue

Ibanouitsch

3 fl.

3 fl. Rottmaister

3 fl. 30 kr.

In 1577, there already appeared a significant number of people in the muster roll that originated outside the Slavonian Border, mostly from the conquered parts of the Croatian-Slavonian Kingdom. They had New Testament names and many of them did not have or provide proper surnames. The exact percentage of this group still has to be determined in interdisciplinary cooperation with various specialists. In 1630, the influx of individuals from the conquered parts of the Croatian-Slavonian Kingdom with New Testament stokavian names continued. Additionally, in 1630, large and compact groups of people, so called Vlachs, from the deeper Balkan interior reached the Slavonian Border. It happened after a number of successive migrations that started around the river Lim (Herzegovina), proceeding northwest and northeast and lasting for decades. Some military units on the Slavonian Border in 1630 were composed exclusively of them (please see the Roviska case above). They almost, without exemptions, had proper surnames, but their names and surnames did not originate from the New Testament. They were of an older background. 4. Based on the 1630 muster roll and the research done to now, one could propose the following reconstruction of the spatial distribution of new coming population on the Slavonian Border in the map 6. Darker colour presents more dense settlements of the new incoming Vlachs. They were not spread evenly across the entire Slavonian Border. The newcomers were mostly positioned in the fortresses adjacent to the very borderline. More of them were placed in the Head Captaincy (Oberhauptmanschajft) Krizevci than in the Head Captaincy Koprivnica. One of the reasons was the fact that the Krizevci area was much more desolated and devastated in the decades of fighting while the large Koprivnica estate continued to function throughout the period. Still, even in Koprivnica region, in some areas like in Novigrad, one could find a prevalent amount of Vlachs. This estate belonged to the military administration so that the Vlachs could be settled if necessary without a problem. Finally, due to an absence of reliable data, in Croatian historiography it was con-

55

Graz, StLA, Militaria (cit. n. 24), 1630.

Demographic Changes on the H a b s b u r g - O t t o m a n Border in Slavonia (c. 1 5 7 0 - 1 6 4 0 )

577

sidered that the Vlachs were not settled in major cities. These muster rolls partly disapprove this. In haramia, and even hussar units, in Ivanic, Koprivnica and Krizevci, the Vlachs were conspicuously better represented than in 1577. Map 6: Hypthetical Proportion of Vlachs among the Paid Military on the Slavonian Military Border in 1630 5 6 Hypothetical Proportion of Vlachs among the Paid Military on the Slavonian Military Border in 1630

BORDER BETWEEN BALATON AND DRAVA

Summary The paper offered an initial demographic analysis of the two data-bases containing information from several types of extensive military conscriptions that allowed statistical elaboration. First, comparatively scrutinising the data dating from the 1570s to the 1640s, the author reconstructed the grid of fortresses on the Habsburg and Ottoman side of the border, in several maps. Second, she analysed the salaries of border officials and soldiers. Third, based on the examination of names and surnames, she presented the distribution of the autochthonous people among the army units and fortresses as well as the infiltration of newcomers from various historical lands (Inner-Austria to Herzegovina) into the paid troops and fortresses on the Habsburg side of the Military Border. Fourth, aided by the studies in dialectology, the author portrayed the results of these mi-

56

Based on the initial analysis of names and surnames from Graz, StLA, Militaria (note 24), 1630.

578

Natasa Stefanec

grations from the Ottoman Croatia and Slavonia, as well as from the deeper Balkan interior, to the Slavonian Border. The data-bases used in this paper should be supplemented by new archival material and discussed with experts in toponomy, dialectology, linguistics, etc., in order to enhance their usage possibilities for various disciplines in historiography. Such a focused and controlled collection of data could provide an early modern historian of the area with new, useful research and interpretation tools.

Unde potentia Turcorum pulsi, bonis universis amissis1 -

Die Emigration der Familie de Vuko et Branko aus dem Osmanischen Reich nach Ungarn ( 1 6 8 8 - 1 8 2 8 ) Stefan Spevak Im ausgehenden 17. Jahrhundert kam es infolge des großen Vormarsches der kaiserlichen Armee zu verstärkten Migrations- bzw. Fluchtbewegungen in Ungarn und auf dem Balkan 2 . Garnisonen von eroberten osmanischen Festungen sowie die in ihrer Umgebung angesiedelten, oft muslimischen Südslawen zogen sich, sofern ihnen dieses noch möglich war, auf osmanisches Territorium in Richtung Süden und Osten zurück. Christliche Einwohner des heutigen Serbien, Mazedonien oder Bulgarien, die nun nicht mehr tief im Inneren des osmanischen Imperiums, sondern an dessen von den Kriegshandlungen und sozialer Not gezeichneter Peripherie lebten, strömten in fluchtartigen Bewegungen in Richtung Norden und Westen. Viele von ihnen hatten sich durch das Herannahen der Armee des Kaisers und dessen Propaganda zu Aufständen ermutigen lassen, die dann meist tragisch scheiterten. Man denke etwa an den KarposAufstand in Mazedonien 3 , der 1690 mit Niederlage und Flucht der aufständischen Haiducken endete, oder an den ebenso gescheiterten Aufstand der Serben und Albaner, der 1690 etwa 7 0 . 0 0 0 Menschen dazu veranlaßte, gemeinsam mit dem Patriarchen von Pec, Arsenij III. Cmojevic ( 1 6 3 3 - 1 7 0 6 ) , nach Norden zu gehen und sich in dem vom Kaiser zugewiesenen Gebiet in Slawonien und der Batschka anzusiedeln 4 . Ein weiteres Beispiel betrifft den Aufstand der nordwestbulgarischen Stadt Ciprovci sowie der Nachbarorte Kopilovci und Zelzna. Die katholische Bevölkerung dieser Gegend hatte im Spätsommer 1688 großflächig versucht, die osmanische Herrschaft abzuschütteln, hatte

1 „Von wo sie durch die Gewalt der Türken vertrieben wurden, nachdem sie alle Güter verloren hatten". Aus einem Briefkonzept des Nikolaus de Vuko-Brankovic an den Erzbischof von Kalocsa, nach 1750. Ediert bei: Iskra SCHWARCZ-Stefan SPEVAK-Ekaterina VECEVA, Hoffnung auf Befreiung. Dokumente aus österreichischen Archiven zur Geschichte Bulgariens 1 6 8 7 - 1 6 9 0 (Miscellanea Bulgarica 15, Wien 2 0 0 4 ) . 2 Thomas WINKELBAUER, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter 1 (Österreichische Geschichte 1 5 2 2 - 1 6 9 9 , Wien 2 0 0 3 ) 1 7 - 1 9 ; Géza PÀLFFY, T h e Impact o f the Ottoman Rule on Hungary. Hungarian Studies Review 2 8 / 1 - 2 (2001)

121-124. 3 Markus KÖHBACH, Der Karpos-Aufstand 1689/90. Mitteilungen des Bulgarischen Forschungsinstitutes in Österreich 5/2 ( 1982) 3 6 - 4 1 . 4 Ferenc SZAKALY, Serbische Einwanderung nach Ungarn in der Türkenzeit. Études historiques 2

( 1 9 9 0 ) 2 1 - 3 9 ; WINKELBAUER, S t ä n d e f r e i h e i t 2 (wie A N M . 2 ) 8 5 f .

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Stefan Spevak

dabei aber eine bittere Niederlage erleiden müssen5. In einer Belgrader Relation vom

1. Oktober 1688 an den Kaiser heißt es: [...] einige sagen, dass der feind weit drinnen in seinem land in Bulgarien die Raitzen alß feinde tractire, wegßihre, verjage, vertreibe und dass land verterbe6. Tatsächlich hatten osmanische Truppen sowie Soldaten des Imre Thököly (1690 Fürst von Siebenbürgen) die Aufständischen niedergemacht und die den Ciprovicanern von Norden zu Hilfe eilenden kaiserlichen Truppen zerschlagen7. Viele der Uberlebenden dieses Aufstandes flüchteten 1688 über die Donau in die Walachei und später dann weiter auf habsburgisches Territorium ins Königreich Ungarn. Zur Grenzsicherung und Besiedlung der durch den Krieg zerstörten Gebiete waren den Habsburgern die mazedonischen Slawen, Serben, Albaner und Bulgaren sehr willkommen. Sie bedeuteten eine Vermehrung ihrer Untertanen und sollten auf längere Sicht auch für ein höheres Steueraufkommen sorgen. Aus demselben Grund sahen auch die Osmanen oftmals von Strafsanktionen ab, wenn die Aufständischen bereit waren, sich wiederanzusiedeln8, oder sie boten das Land anderen Völkern zur Neubesiedelung an. Während sich die 1690 in Slawonien neuangesiedelten Serben, aber auch die von den Osmanen in Mazedonien angesiedelten Albaner 9 in den nationalen Konflikten des auseinanderbrechenden Jugoslawien jüngst in Erinnerung gerufen haben, ist die bulgarische Volkgruppe im Banat auch im Bewußtsein einer gelehrten Öffentlichkeit heute weit weniger präsent. Mit ca. 9.000 Einwohnern in dem auf die Staaten Serbien, Rumänien und Ungarn aufgeteilten Banat nimmt sich diese gegenwärtig auch nur mehr sehr bescheiden aus 10 . Bei der Volkszählung von 1 9 1 0 umfaßte sie immerhin noch 23.267 Personen und war durch ihre geschlossenen Siedlungen von einer besonderen Kompaktheit geprägt 11 . Weitere Kennzeichen waren die Verwendung der bulgarischen

5

Joanna SPISAREVSKA, Österreich, die bulgarischen Befreiungskämpfe in den letzten zwei Jahrzehn-

ten des 17. Jahrhunderts und der Aufstand von Ciprovec. Mitteilungen

tutes in Österreich 2110

(1988) 13-25;

Ivan

PARVEV,

des Bulgarischen

Forschungsinsti-

Habsburgs and Ottomans between Vienna and Bel-

g r a d e 1 6 8 3 - 1 7 3 9 ( N e w York 1995) 7 5 - 1 1 5 . 6 Vgl. hier die ausführliche Relation General Capraras an Kaiser Leopold I. aus Belgrad vom 1. Oktober 1688. Caprara meldet hier seine Bedenken gegenüber einem weiteren Vormarsch gegen Sofia und Nikopolis an. Die Truppen seien dezimiert, in einem sehr schlechten Zustand, und diese Städte könnten mangels Befestigungen auch nicht gehalten werden. Er hegt auch Zweifel über den Wahrheitsgehalt der nach Belgrad dringenden Nachrichten, welche die Niedermachung, Vertreibung und Verschleppung von Raitzen betreffen. Ediert bei: SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 123-134, hier 131. 7 In einer Relation aus Adrianopel vom 7. Oktober 1688 wird berichtet, daß Thököly aus Vidin da-

rüber an die Hohe Pforte berichtet habe: Adesso non ho altro, se non che il rebelle Tekeli, che si trova die qua

del Danubio, nella città di Vidin scrisse qui alla Porta che certe militie, che passarono de qua del Danubio per aiutar li Chiprovizani et altri molti soldati (ma non esplicava di che natione) che passarono per venir a prender Vidin, lui tanto li primi, come li ultimi fece fugire. SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 136f. 8 Dies war z. B. bei den in die Berge geflüchteten Haiducken Mazedoniens der Fall. Nach einem halben Jahr wurden sie im Falle einer Rückkehr in ihre Dörfer amnestiert. Vgl. KÖHBACH, Karpos-Aufstand (wie Anm. 3) 41. 9 Die Osmanen hatten 1690 als Neusiedler auch Albaner in die verwüsteten Gebiete Mazedoniens geholt, ebd. 41. 10 Im Jahre 1992 waren es im rumänischen Teil des Banates 7.700 Einwohner. Vgl. Helmfried HOCKL, Ein Mosaik zerbröckelt. Plädoyer für die multikulturelle Landschaft des Banat (www.banat.de, 30. 11. 2004). Auch im serbischen Teil des Banates existiert heute noch eine bulgarische Minderheit. Diese ist allerdings noch wesentlich kleiner als jene in Rumänien. Vgl. D. SAVKOV, Das jugoslawische Banat im Zusammenhang mit der europäischen Integration (www.banatul.com, 30. 11. 2004). 11 Die größten Siedlungen bulgarischer Katholiken im Banat waren Vinga (Theresiopolis) und Beschenowa (Befenova), weitere Siedlungen lagen im Gebiet südlich von Reschitz (Re§ija). Wolfdieter

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Turcorum pulsi, bonis universis

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Sprache, die überwiegend katholische Konfession und die Verwendung der lateinischen Schrift auch für das Bulgarische 12 . Die Fragen, wie es zum Entstehen dieser Volksgruppe im Banat und der Batschka kam und wie es den Bulgaren nach ihrer Flucht in die Walachei und weiter nach Ungarn dann später ergangen ist, wurden von Forschern wie Ljubomir Miletic 13 , Aleksa Ivic 14 und Karol Telbizov 15 behandelt. Die Akten des Wiener Hofkammerarchivs, insbesondere die Banater Akten, waren dafür eine wichtige Quelle. Im Wiener Kriegsarchiv und dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv finden sich auch für die Zeit des Aufstandes von 1688 und davor zahlreiche Quellen zur bulgarischen Geschichte 16 . Bulgaren treten darin in Erscheinung als Mitstreiter auf Seiten der kaiserlichen Armee, als Aufständische gegen ihre osmanischen Herren oder aber als von beiden Kriegsparteien negativ betroffene Zivilbevölkerung. Erst jüngst wurde eine Auswahl von derartigen Schriftstücken aus diesen Archiven, die Jahre 1687 bis 1690 betreffend, ediert 17 . Enthalten sind in diesem Band auch Quellen, die sich dazu eignen, am Beispiel einer einzelnen Familie den Weg der Emigration, den unzählige katholische Bulgaren 1688 von ihrer Heimat über die Walachei und über mehrere Umwege in das Banat und die Batschka genommen hatten, exemplarisch nachzuzeichnen. Unverhofft sind diese Quellen vor einigen Jahren an einem Ort aufgetaucht, wo man derartiges wohl nicht unbedingt vermuten würde, nämlich im Stiftsarchiv Melk. Bei der Inventarisierung der Archive von mehreren Melker Stiftspfarren im Jahre 1993 fand sich eine Lederkassette 18 , die neben acht Schriftstücken aus Papier auch eine prächtige Nobilitierungsurkunde aus Pergament enthielt 19 . Mit diesem kaiserlichköniglichen Diplom waren am 18. September 1688 ein gewisser Bogdan Diodato de Vuko et Branko sowie seine Kinder Simon, Johannes und Maria, seine Schwester Agata und alle künftigen Nachkommen beiderlei Geschlechts in den ungarischen Adel aufgenommen worden. W i e bei ungarischen Wappenbriefen üblich, war das mit dieser Stan-

BIHL, Notizen zu den ethnischen und religiösen Splitter-, Rest- und Sondergruppen in den Habsburgischen Ländern, in: Die Habsburgermonarchie 1848-1918, Bd. 3: Die Völker des Reiches 2, hg. von Adam WANDRUSZKA-Peter URBANITSCH (Wien 1980) 949-974, hier 966f. 12 Vera MUTAFCIEVA, Der Aufstand von Ciprovci (1688) und Österreich. Mitteilungen des Bulgarischen Forschungsinstitutes in Österreich 2/10(1988) 49. 13 Ljubomir MILETIC, Izslevanija za Ba'lgarite v Sedmigradsko i Banat (Sofia 1987). 14 Aleksa Ivic, Ansiedlungen der Bulgaren in Ungarn. Archiv fur slawische Philologie 31 (1910) 414— 430. 15 Karol TELBIZOV, Bulgarische Adelsgeschlechter im österreichischen Kaiserreich des XVIII. Jahrhunderts. Études balkaniques 1 (Sofia 1973) 30—47. 16 Wien, Kriegsarchiv: Alte Feldakten (AFA, insbes. Türkenkrieg) und Hofkriegsrat (HKR, aufgrund der Skartierung vieler Akten sind die erhaltenen, sehr ausfuhrlich gehaltenen Protokolle sehr wertvolle Quellen); Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA): Österreichische Geheime Staatsregistratur (ÖGStR bzw. Repertorium N.), weiters die Bestände Turcica und Ragusa. Vgl. SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1)8-10; Ivan PARVEV, Der Aufstand von Ciprovci ( 1688) und die Wiener Archive. Mitteilungen des Bulgarischen Forschungsinstitutes in Österreich 2/10 (1988) 63—76. 17

SCHWARCZ, Hoffnung (wie A n m . 1).

Die Lederkassette samt ihrem Inhalt stammt aus der Pfarre Rohrendorf, einem Ort bei Krems an der Donau. Möglicherweise wurden die Dokumente von P. Meinrad Preiss OSB, Altphilologe und von 1945 bis 1962 Pfarrer von Rohrendorf, antiquarisch erworben. Heute befinden sie sich im Stiftsarchiv Melk und sind dort als „archivalisches Strandgut" (noch) keinem eigenen Bestand zugeordnet. 19 Diese Dokumente sind ediert bei: SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 314-332. 18

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deserhebung gleichzeitig verliehene Wappen links oben abgebildet20. Der Adelsbrief ist von Kaiser Leopold I. unterfertigt und trägt dessen kaiserliches Siegel, sämtliche ungarischen Bischöfe und auch eine stattliche Anzahl bedeutender Magnaten des ungarischen Königreiches sind als Zeugen angeführt21. Weiters finden sich unter diesen Melker Dokumenten eine Supplik, mit der Bodgan de Vuko et Branko Kaiser Leopold um die Aufnahme in den ungarischen Adel ersucht hatte22, sowie mehrere Urkunden aus dem 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, mit denen sich dessen Nachkommen die Rechtmässigkeit ihres Adelsprädikates bestätigen ließen23. Bei den restlichen Schriftstücken handelt es sich um einen richterlichen Entscheid aus dem Jahre 1763 24 , eine in Bosancica25 abgefaßte Namensliste diverser Kaufleute und eine diese geadelte Familie betreffende genealogische Skizze26. Inhaltlich sehr aufschlußreich und deshalb von zentraler Bedeutung ist das undatierte Konzept eines Briefes, den der Enkel des nobilitierten Bogdan, Nikolaus de Vuko et Branko, ca. im Jahre 1750 an den Erzbischof von Kalocsa gerichtet hat und in dem er um Obsorge und Schutz für seine Nachkommenschaft bittet27. Da es sich um ein Bittgesuch handelt, wird auf die Verdienste des einst nobilitierten Großvaters, seinen Werdegang und seine Herkunft verwiesen. Anhand dieses Briefkonzeptes sowie der übrigen Melker Dokumente soll im Folgenden den Fragen nach der Herkunft dieser Familie, den Ursachen ihrer Aufnahme in den ungarischen Adel, den verschiedenen geographischen Stationen ihrer Migration sowie der sozialen und rechtlichen Stellung in ihrer neuen Heimat nachgegangen werden. Was den Namen der Familie anlangt, so findet man diesen in den Quellen in verschiedenen Varianten vor: entweder Vuko-Brankovics, Brankovics oder latinisiert de Vuko et Branko. Es könnte sich dabei natürlich genauso gut um einen serbischen oder kroatischen Namen handeln, und der Name Brankovic findet sich in diesem Bereich wohl auch viel häufiger als in Bulgarien. Ein prominenter Vertreter dieses Namens war etwa der Serbe Djordje Brankovic, der 1689 in diesem aufgrund der Kriegshandlungen ent-

2 0 Gustav PFEIFER, Wappenbriefe (unter besonderer Berücksichtigung der Tiroler Verhältnisse), in: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, hg. von Josef PAUSER-Martin ScHEUTZ-Thomas WINKELBAUER ( M I Ö G Ergbd. 44, Wien 2004) 291-302, 293. 2 1 SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 318-322. 2 2 Die Supplik ist, wie bei derartigen Schriftstücken üblich, aus Gründen der Höflichkeit undatiert. Man wollte den Herrscher nicht unter zeitlichen Druck setzen. Das Ausstellungsdatum der Urkunde, der 18. September 1688, bildet den terminus ante quem der Abfassung dieser Supplik. SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 317f. 2 3 Die Stände des Komitats Bäcs für die Brüder Nikolaus, Bogdan und Paul de Vuko et Branko, Baja, 12. Jänner 1742; das Domkapitel von Csannäd für die Brüder Johannes und Anton de Vuko et Branko, Temeschwar, 25. August 1763; die Stände des Komitats Bäcs und Bodrog für Joseph de Vuko et Branko und seine Söhne Karl Norbert und Johannes Nepomuk Maximinus, Sombor, 5. Mai 1828. SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 322-332. 2 4 Richter und Rat der freien königlichen Stadt Novi Sad entscheiden im Rechtsstreit zwischen dem Kläger Johannes de Vuko et Branko und dem Postmeister Jacobus Vollf, Novi Sad, 3. Mai 1763. SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 328-330. 2 5 Thorvi ECKHARDT, Die Bosancica. Eine Sonderform der westlichen Kyrillica. Österreichische Ostheftel (1978) 183-192. 2 6 Beides nicht ediert. Die Genealogie-Skizze ist abgebildet bei SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 415. 2 7 Dieses Schriftstück ist undatiert. Der darin als verstorben bezeichnete Bischof Nikolaus Stanislavic lebte bis 1750. Dies kann als der terminus post quem für dieses Schriftstück gelten. Ebd. 323—325.

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standenen Machtvakuum versuchte, sich zum „Despoten von Illyrien" aufzuschwingen 2 8 , oder die aus einem anderen Geschlecht stammenden drei Brüder Brankovic, die der Kaiser zu Grafen von Jaice ernannte 29 . Blickt man in diese Zeit des 17. oder 18. Jahrhunderts zurück, so waren ethnische Grenzen keineswegs klar definiert, sondern gingen gerade im Grenzbereich zwischen dem Fluß Morava und den Städten Nis und Widin fließend ineinander über. Daß sich die Familie Vuko-Brankovic selbst als eine bulgarische betrachtete, geht aus dem oben genannten Melker Briefkonzept von 1750 (terminuspost quem) eindeutig hervor. In Berufung auf den verstorbenen Bischof Stanislavic, der darüber bereits auch den kaiserlichen Hof unterrichtet habe 30 , heißt es, die Geschlechter Parcevic, Brankovic, Knezevic, Stanislavic und Pejacevic seien einst im regnum Bulgariae nicht nur begütert gewesen, sondern hätten, nachdem das Land unter das jugum turcicum gefallen war, auch zu den ductores des bulgarischen Volkes und protectores der christlichen Kirchen gezählt 31 . Tatsächlich handelt es sich bei den genannten Geschlechtern Parcevic, Pejacevic, Knezevic um verschiedene Zweige der bekannten und prominenten bulgarischen Adelsfamilie Pejacevic, die in einer von Julian Pejacevic erstellten Genealogie auf die vorosmanische Zeit zurückgeführt wird 32 . Auch innerhalb der bulgarischen Katholiken spielte dieses Geschlecht eine führende Rolle. Ein bedeutender Vertreter dieser Familie war etwa Erzbischof Petär Parcevic (1643—1674), der in diplomatischer Mission Kaiser Leopolds I. zum Kosaken-Hetman Bogdan Chmielnicky gereist ist, um zwischen diesem und dem Königreich Polen zu vermitteln 33 . O b sich die Familie Brankovic zu Recht auch auf vorosmanischen Adel beruft, läßt sich nicht nachweisen. Eine den Melker Dokumenten beigelegte genealogische Skizze (Mitte des 18. Jahrhunderts) zeigt immerhin jüngere - wenn auch eher weitschichtige — Verwandtschaftsbeziehungen zu den Geschlechtern Knezevic und Pejacevic auf 3 4 .

2 8 PARVEV, Habsburgs (wie Anm. 5) 88f.; Jovan RADONIC, Grof Dzordze Brankovic i njegovo vrerae (Beograd 1 9 1 1 ) 3 3 6 - 3 4 0 . RADONIC, Brankovic (wie Anm. 28) 53—60; Nicolai JORGA, Geschichte des Osmanischen Reiches 4 (Gotha 1911) 16. 3 0 Bischof Nikolaus Stanislavic - dieser ist hier gemeint - hat dies möglicherweise 1745 für die Aufnahme seiner gesamten Familie in den ungarischen Adelsstand vorgebracht. Nobilitierungsurkunde von der ungarischen Königin Maria Theresia fiir Nikolaus Stanislavic, Bischof von Csannád, und seine Brüder und Neffen vom 29. Dezember 1745. Ediert bei: Eusebius FERMENDZIN, Acta Bulgariae Ecclesiastica ab anno 1565 usque ad annum 1799 (Monumenta sectantia Historiam Slavorum Meridionalium 18, Zagrabias 1887) 380-383. 31 Pie defitnctus Episcopus Stanislavics, coram augustissima aula fidelissime remonstravit edocuitque, familias, Parcsevichianam, Brankovicsianam, Knesevichianam, Stanislavicsianam et Peacsevicbianam, olim in regno Bulgariae non solumpossessionatas fuisse, sedetiam, eodem regno sub iugum turcicum iniuria temporum transeúnte, nationis Bulgaricae ductores ac christianarum ecclesiarum protectores extitisse. Vgl. SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1) 324. 3 2 Im Grunde werden die drei erstgenannten Geschlechter nur als verschiedene Zweige derselben Familie betrachtet. Vgl. JulianPEjACEVTC, Forschungen über die Familie Freiherrn und Grafen Pejacsevich und die stammverwandten Freiherrn von Parchevich, Knezevich, Thoma-Gionovich und Czerkiczy, zur näheren Erläuterung der im Jahre 1876 zusammengestellten großen Stammtafel (Wien-Sykora 1876). 3 3 Julian PEJACEVIC, Peter Freiherr von Parchevich, Erzbischof von Martianopel, Apostolischer Vikar und Administrator der Moldau, bulgarischer Internuntius am kaiserlichen Hofe und kaiserlicher Gesandter bei dem Kosaken-Hetman Bogdan Chmelnicki (1672—1674). Nach archivalischen Quellen geschildert. v4ÖC (1880) 339-637. 3 4 Diese genealogische Skizze endet mit den Brüdern Nikolaus, Bogdan und Paul Vuko-Brankovic, die in den Melker Dokumenten sowie in den Banater Akten der Jahre 1742 bis 1765 als Antragsteller,

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Auch das Geschlecht der Stanislavic ist für die bulgarische Geschichte sehr bedeutend. Zur ihr hatte die Familie Vuko-Brankovic die engste Beziehung. Laut Melker Genealogie war Maria Stanislavic mit einem Vertreter der Familie Brankovic verheiratet und wurde so die Mutter von Nikolaus, Bogdan und Paul Vuko-Brankovic 35 . Aus einer weiteren Melker Urkunde läßt sich schließen, daß es sich beim Vater dieser drei Brüder um Simon Vuko-Brankovic, den ältesten Sohn des 1688 nobilitierten Bogdan, handelt 36 . Ursprünglich paulikianisch, brachte die Familie Stanislavic später mehrere katholische Bischöfe hervor, darunter Philipp Stanislavov, Bischof von Nikopolis (16491662), den Verfasser der „Abagar", des ersten gedruckten Buches in bulgarischer Sprache 37 . Mit dem Franziskanerpater Nikolaus Stanislavic, der, wie oben erwähnt, im Melker Briefkonzept als Zeuge für die altadelige Herkunft der Brankovic angeführt wird, wurde 1724 dann nochmals ein Vertreter dieses Geschlechts Bischof von Nikopolis. In seiner Banater Emigration wurde derselbe vom Papst später dann als Bischof von Csannäd (1740—1750) eingesetzt, wodurch das Banat unter seine geistliche Jurisdiktion fiel. Kaiser Karl VI. verlieh ihm 1740 den Rang eines obersten Comes im Csannader Komitat 38 . Mit einem königlichen Diplom von 1745 nimmt Maria Theresia schließlich das gesamte Geschlecht der Stanislavic, also auch die Brüder und Neffen des Bischofs, in den ungarischen Adel auf. Interessant ist, daß als eine von mehreren Begründungen für diese Adelserhebung nicht nur eine Nähe zu den einzelnen Zweigen des Geschlechtes der Parcevic/Pejacevic angeführt wird, sondern auch zum Geschlecht der Brankovic: cum illustrioribus magnatum Bulgariae et Hungariae familiis, cum primis Baronum Parcsevith, Knezevich, Piacsevich, Brankovics et Czerkiczy. All diese Geschlechter hätten sich so heißt es in der Urkunde - um das Haus Österreich verdient gemacht 39 .

Bittsteller oder Zeugen aufscheinen. Die Großmutter dieser Brüder, Helena Stanislavic, war die Cousine der Maria Pejacevic, geborene Knezevic. Vgl. SCHWARCZ, Hoffnung (wie Anm. 1)415; Wien, Hofkammerarchiv, Banater Akten 138, Fasz. 31, 1765 (Katholischer Klerus) fol. 2 5 - 3 4 . 35 Es heißt darin: [...] Helenam ttxforem] S*A«ZI[lavicsianam] - genuit - Mariam Zixforem] 5ra«i(ovicsianam] — genuit — D