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German Pages 372 Year 2023
Schriften zum Völkerrecht Band 257
Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement vor den Vertragsorganen der Vereinten Nationen Von
Greta Marie Reeh
Duncker & Humblot · Berlin
GRETA MARIE REEH
Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement vor den Vertragsorganen der Vereinten Nationen
Schriften zum Völkerrecht Band 257
Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement vor den Vertragsorganen der Vereinten Nationen Von
Greta Marie Reeh
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-18740-9 (Print) ISBN 978-3-428-58740-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Das Gelingen dieser Arbeit verdanke ich meinen Eltern, die mich mit so viel Liebe und Geduld bei allem unterstützen. Meinem Doktorvater Andreas Zimmermann danke ich für die Gelegenheit zur Promotion, die überaus vertrauensvolle Betreuung meines Forschungsprojekts, die vielen guten Gespräche und die Zeit in einem wunderbaren Team. Weiter danke ich Andreas Kulick für die Erstellung des Zweitgutachtens, das mir einen neuen und kritischen Blick auf meine eigene Arbeit ermöglicht hat. Norman Weiß danke ich für seinen Beitrag als Drittprüfer in der Disputation. Der Universität Potsdam und neben meinem Doktorvater insbesondere Norman Weiß, Ullrike Schiller und Katarzyna Bednarska danke ich für ein kollegiales Umfeld und einen Arbeitsort, der viele Jahre lang, nicht nur in meiner Zeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin, mein zweites Zuhause war. Ich habe mich auch deshalb für eine Promotion bei Andreas Zimmermann entschieden, weil ich schon als Studentische Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl so viel lernen durfte und dabei stets umgeben war von klugen, engagierten und liebenswerten Menschen, die mich weit über meine wissenschaftlichen Ambitionen hinaus geprägt haben. Diese Arbeit wäre wohl nicht ohne die finanzielle und ideelle Unterstützung der Potsdam Graduate School abgeschlossen worden. Für das umfangreiche Angebot an Weiterbildungsmöglichkeiten und die Gewährung eines Stipendiums zum Abschluss meiner Promotion danke ich. Ich danke allen Kolleg:innen und Freund:innen für die vielen wichtigen Gespräche und die tatkräftige Unterstützung bei der Fertigstellung dieser Arbeit. Jairo danke ich für seinen Glauben an mich, ohne den ich mich nicht getraut hätte, dieses Projekt anzufangen. Potsdam, im Juli 2022
Greta Marie Reeh
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. II.
Das Prinzip des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Besonderheiten der VN-Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
III.
Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement als Beispiel für die völkerrechtliche Relevanz der Praxis der VN-Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . 18
IV.
Methodik und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
B. Das Prinzip des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I.
Kodifizierung des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Territorialer Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 c) Geschützte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 d) Anerkannte Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Regionaler Menschenrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
II.
b) Universeller Menschenrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Gewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . 36
III.
2. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Möglichkeiten der Erlangung von Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Fehlender internationaler Überprüfungsmechanismus im System der GFK
41
2. Regionale Überprüfungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Universelle Überprüfungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IV.
Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I.
Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Staatenberichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. General Comments und General Recommendations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Individualbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Ablauf des Individualbeschwerdeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Zulässigkeitsfragen bei der Erhebung von Individualbeschwerden . . . . . 49
8
Inhaltsverzeichnis c) Einstweilige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II.
4. Die Rolle des OHCHR-Sekretariats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Rechtliche Bedeutung der Praxis der Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Rechtspflichten der Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Entwicklung völkergewohnheitsrechtlicher Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Entstehung von Völkergewohnheitsrecht durch die Praxis der Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Aufgreifen durch andere internationale Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
III.
Das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen . . . 60 1. Die VN-Vertragsorgane als Menschenrechtsschutzsystem . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Fortentwicklung des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
IV.
3. Das Potenzial des Menschenrechtsschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
D. Das Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I.
Ausschuss gegen Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach Artikel 22 AFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Zuständigkeit des Ausschusses gegen Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 aa) Territoriale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Materielle Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 cc) Zeitliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Beweislast: Darlegung des Bestehens eines Folterrisikos . . . . . . . . . . . . 83 c) Umkehr der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 aa) Ordentliche Folter-Risikobewertung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . 89 bb) Einwirken auf das Folterrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (1) Änderung der Lage im Zielstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (2) Interne Fluchtalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (3) Sichere Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (4) Diplomatische Zusicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (5) Sonderfall: Dublin-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Andere rechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 d) Beweismaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 e) Relevanter Zeitpunkt zur Beurteilung des Folterrisikos . . . . . . . . . . . . . . 102
Inhaltsverzeichnis
9
3. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Allgemeine Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Drohende Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Abgrenzung von Folter zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Relevante Misshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Relevante Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Allgemeine Lage im Zielstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Besondere Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person . . . . . . . . . . . . . . 121 e) Verfahrensrechtliche Komponente des Artikel 3 AFK . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Inhalt und Ablauf des nationalen Risikobewertungsverfahrens . . . . . 125 bb) Zugang zu effektiven innerstaatlichen Rechtsmitteln . . . . . . . . . . . . 126 4. Schutz anderer Rechte aus der AFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Entscheidung der Individualbeschwerde vor Vollzug der Aufenthaltsbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Entscheidung der Individualbeschwerde nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Follow-Up . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II.
Menschenrechtsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem 1. FP IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Zuständigkeit des Menschenrechtsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 d) Substantiierung der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Rechtsfolgen der Nichtbeachtung einstweiliger Maßnahmen . . . . . . 148 bb) Inhalt und Umfang einstweiliger Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Entlastung des Vertragsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Durchführung eines ordentlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Einwirken auf das Risiko der Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (1) Interne Fluchtalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (2) Sichere Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (3) Diplomatische Zusicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (4) Andere rechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Relevanter Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
10
Inhaltsverzeichnis 3. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Drohender irreparabler Schaden für ein mit Artikel 6 oder 7 IPbpR vergleichbares Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Drohende Folter oder sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Gefahr für das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 bb) Relevante Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Allgemeine Lage im Zielstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 c) Besondere Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person . . . . . . . . . . . . . . 177 d) Sonderfall: Dublin-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Schutz anderer Rechte aus dem IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Recht auf Familienleben und Rechte des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Recht auf Familienleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Rechte des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Recht im eigenen Land zu verbleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 c) Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Artikel 9, 10 IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Artikel 13 IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 d) Antidiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Entscheidung der Individualbeschwerde vor Vollzug der Aufenthaltsbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Entscheidung der Individualbeschwerde nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Sonderfall: Dublin-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 d) Follow-Up . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 III.
6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Geschützte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
IV.
Ausschuss für die Rechte des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem 3. Fakultativprotokoll der KRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Zuständigkeit des Kinderrechtsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 d) Substantiierung der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Inhaltsverzeichnis
11
c) Durchführung eines ordentlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 d) Beteiligung Dritter am Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Vorgaben des General Comment Nr. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Das Prinzip des Non-Refoulement als allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Allgemeiner Schutz vor Refoulement aus der Kinderrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 cc) Weitergehender besonderer Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Geschützte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Verfahrensrechtliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 d) Weitergehender Schutz aus Artikel 3 KRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 V.
Ausschuss über das Verschwindenlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach Artikel 31 ICPPED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Wirkung der Erhebung der Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Entlastung des Vertragsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Drohendes Verschwindenlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Verfahrensrechtliche Komponente des Artikel 16 ICPPED . . . . . . . . . . . 258 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem Fakultativprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Zuständigkeit des Frauenrechtsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Persönliche Betroffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 d) Substantiierung der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Beweislast: Darlegung des Bestehens einer Gefahr der geschlechterspezifischen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) Beweismaß: Wahrscheinlichkeit drohender geschlechterspezifischer Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 d) Entlastung des Vertragsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 aa) Durchführung eines nichtdiskriminierenden Verfahrens . . . . . . . . . . 278
12
Inhaltsverzeichnis bb) Interne Fluchtalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Begriff der geschlechterspezifischen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Besonderer Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 c) Relevante Normen der FRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 d) Diskriminierungsfreie Durchführung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 291 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 VII. Wanderarbeiterausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Geschützte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 VIII. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem FP BRK 300 2. Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3. Materielles Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 IX. Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Rechte von ausländischen Staatsangehörigen und Staatenlosen . . . . . . . . . . 307 2. Praxis des Ausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . 310 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung eines allgemeinen Prinzips des Non-Refoulement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 I. Inhalt und Reichweite des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement in seiner Ausgestaltung durch die Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Territorialer Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 3. Personeller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 4. Materieller Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 5. Verfahrensrechtliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 6. Akzeptierte Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 7. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 II.
Systematische Rolle des Prinzips des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Nutzung von General Comments/General Recommendations . . . . . . . . . . . 324 2. Nutzung der Erkenntnisse anderer Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
III.
Einfluss auf die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Hinweise auf die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . 329
Inhaltsverzeichnis
13
F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 I.
Individualbeschwerdeentscheidungen der Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . 343
II. III.
Sonstige Dokumente der Vertragsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Sonstige zitierte Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
IV.
Sonstige Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
A. Einführung I. Das Prinzip des Non-Refoulement Als Prinzip des Non-Refoulement bezeichnet man im Völkerrecht das Verbot der zwangsweisen Rückführung einer Person in ein Gebiet, in dem sie Gefahr läuft, schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden.1 Bei dem Prinzip des Non-Refoulement handelt es sich um ein im Grundsatz lange etabliertes Prinzip, welches in seinen Grundzügen universell akzeptiert ist, für das aber keine allgemeingültige Definition existiert. Es hat seinen Ursprung im internationalen Flüchtlingsrecht und ist daneben auch im humanitären Völkerrecht und im internationalen Menschenrechtsschutz ausdrücklich verankert. Besonderheit des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement ist, dass es nicht nur einer begrenzten Personengruppe, sondern ausnahmslos jedem Menschen Schutz gewährt. Im Übrigen existiert aber auch für den Geltungsbereich des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement bislang keine einheitliche Definition. Die in den verschiedenen regionalen und universellen Menschenrechtsschutzverträgen kodifizierten Refoulementverbote weisen bereits unabhängig von der Interpretation durch zuständige Menschenrechtsschutzorgane nach ihrem Wortlaut und ihrer Entstehungsgeschichte stark divergierende Schutzrichtungen und Schutzumfänge auf. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Menschenrechtsschutzverträge kein ausdrückliches Refoulementverbot vorsieht, sondern dieses von deren jeweiligen Organen als impliziter Teil des Vertrags anerkannt wird. Angefangen bei territorialen Fragen zum Begriff des ,refouler‘ (frz. zurückschicken), wie etwa der Frage der Abweisung an der Grenze oder der Zurückweisung auf Hoher See Geretteter, über die Beschränkung des Schutzes auf bestimmte Arten von Menschenrechtsverletzungen (etwa nur Schutz vor Folter) bis hin zum Versuch, die drohende Menschenrechtsverletzung im Zielstaat vertraglich auszuschließen, stellt das Prinzip des Non-Refoulement einen stets umstrittenen, sich in permanentem Wandel befindlichen Begriff des Völkerrechts dar.
1
K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 2009, 23.
16
A. Einführung
II. Besonderheiten der VN-Vertragsorgane Die Einhaltung der neun VN-Menschenrechtsschutzverträge wird durch deren Vertragsorgane überwacht. Die Arbeit aller VN-Vertragsorgane ist dabei so koordiniert, dass diese gemeinsam ein Menschenrechtsschutzsystem bilden, in dem die einzelnen Vertragsorgane zwar nicht an die Praxis der jeweils anderen Vertragsorgane gebunden sind, sie aber dennoch Einfluss aufeinander nehmen und so einem fragmentierten internationalen Menschenrechtsschutz entgegenwirken. Zweifelsohne hat die Praxis der Vertragsorgane Einfluss auf die Entwicklung menschenrechtlicher Standards und die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht.2 Welche rechtliche Bedeutung deren Praxis hat, wird aber sehr unterschiedlich bewertet.3 Typisch für Menschenrechtsschutzverträge im Vergleich zu anderen völkerrechtlichen Verträgen ist, dass die Staaten kein subjektives Interesse an der Einhaltung der Verträge haben, sondern vielmehr ein objektives gemeinschaftliches Interesse besteht. Die Reziprozität der Verpflichtungen spielt also hierbei keine Rolle.4 Deshalb kommt Menschenrechtsschutzorganen eine besondere Verantwortung bei der Rechtsentwicklung zu. Während vor anderen völkerrechtlichen Mechanismen, etwa dem Internationalen Gerichtshof (IGH), die Staaten ein hohes Interesse an Gleichbehandlung haben und so stetig die Entwicklung von Standards überprüfen, besteht nur ein sehr geringes Interesse der Staaten an menschenrechtlichen Verfahren, solange sie nicht selbst Teil dieser Verfahren sind. Das zeigt sich auch an der allgemeinen Ablehnung gegenüber Staatenbeschwerdeverfahren. Zwar sehen fest alle Vertragsorgane solche Beschwerden von Vertragsstaaten gegen andere Vertragsstaaten vor, diese werden aber kaum bemüht.5 Das spiegelt das Selbstverständnis der Staaten wider, menschenrechtliche Verpflichtungen nicht als bilaterale Verpflichtungen zu begreifen. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen werden deshalb weit weniger von ihren Vertragsstaaten kritisiert als andere völkerrechtliche Entitäten. 2
K. McCall-Smith, Treaty Bodies, States and the Shaping of Customary Law, in: J. d’Aspremont/S. Droubi, International Organizations and the Formation of Customary International Law, 2018, 32. 3 Zur rechtlichen Bedeutung der Praxis der Vertragsorgane siehe unten Kapitel C. II. 4 International Court of Justice, Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Advisory Opinion, I.C.J. Reports, 28. Mai 1951, 15 23; CCPR, General Comment No. 24 on issues relating to reservations made upon ratification or accession to the Covenant or the Optional Protocols thereto, or in relation to declarations under article 41 of the Covenant, 11. November 1994, CCPR/C/21/Rev.1/Add.6, § 17; A. Orakhelashvili, Restrictive Interpretation of Human Rights Treaties in the Recent Jurisprudence of the European Court of Human Rights, European Journal of International Law 14 (2003), 529 (532 f.). 5 Eine Ausnahme hiervon sind die Staatenbeschwerdeverfahren vor dem Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung. Für eine Übersicht über die beiden laufenden Staatenbeschwerdeverfahren siehe https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/CERD/Pages/Interstate Communications.aspx.
II. Besonderheiten der VN-Vertragsorgane
17
Unabhängig davon, ob man den Entscheidungen der VN-Vertragsorgane eine rechtliche Bindungswirkung beimisst, mangelt es ihnen jedenfalls im Vergleich zu ordentlichen Gerichten an einem Durchsetzungsmechanismus. Verweigern die Vertragsstaaten die Umsetzung einer Entscheidung im Rahmen eines Individualbeschwerdeverfahrens oder setzen sie im Rahmen der Abschließenden Bemerkungen verlangte Maßnahmen nicht um, dann steht den Vertragsorganen kein Mittel zur Verfügung, die Umsetzung zu erzwingen. Gerade hierdurch ergibt sich aber ein besonderes Potenzial der VN-Vertragsorgane, Entstehung und Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht abzubilden. In allen Verfahrensarten der VN-Vertragsorgane spielt der Dialog mit Staaten eine gewichtige Rolle. Staatenberichte und ihre Abschließenden Bemerkungen entstehen in einem Verfahren, in dem sich ein VN-Vertragsorgan und ein Vertragsstaat zunächst schriftlich und abschließend persönlich im Dialog über die Menschenrechtslage im Vertragsstaat austauschen. An die Abschließenden Bemerkungen knüpft ein FollowUp-Verfahren an, das dem VN-Vertragsorgan einen kontinuierlichen Austausch mit dem Vertragsstaat bis zum nächsten Staatenberichtsverfahren ermöglicht. Eine ähnliche Rolle spielt das Follow-Up-Verfahren im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren. Wenn ein Staat die in der Entscheidung zur Individualbeschwerde festgelegten Empfehlungen eines Vertragsorgans nicht umsetzt, haben jedenfalls einige Vertragsorgane ein Follow-Up-Verfahren etabliert, in dem sie die Vertragsstaaten bis zur vollständigen Umsetzung kontinuierlich um Berichterstattung bitten. Bei der Erarbeitung von General Comments werden Staaten ebenso wie andere Interessengruppen um Kommentare gebeten. Die Praxis der VN-Vertragsorgane spiegelt deren Rechtsauffassung in Hinblick auf ihre jeweiligen Menschenrechtsschutzverträge wider. Wohl existiert auch eine allgemeine Pflicht der Vertragsparteien zur Auseinandersetzung mit dieser Praxis. Die kontinuierliche Kommunikation mit den Vertragsstaaten ermöglicht es den VN-Vertragsorganen, auf deren ablehnende Haltungen zu reagieren, die eigene Rechtsauffassung weitergehend zu begründen oder gegebenenfalls zu revidieren. Auf Seiten der Vertragsstaaten wiederum zeigt sich, dass diese selten die Entscheidungen der VN-Vertragsorgane in ihrer Gesamtheit ablehnen, sondern vielmehr den Austausch mit den VN-Vertragsorganen nutzen, um ihre eigene Auffassung von Inhalt und Reichweite ihrer vertraglichen Verpflichtungen zum Ausdruck zu bringen.6
6
So zeigt sich etwa mit Bezug auf das Prinzip des Non-Refoulement, dass sich Staaten vor denjenigen VN-Vertragsorganen, die erst in jüngerer Zeit eine Praxis zum Refoulementverbot entwickelt haben, zu Inhalt und Reichweite des Refoulementverbots in seiner Ausgestaltung durch den Menschenrechtsausschuss und den Ausschuss gegen Folter bekennen. Siehe insbesondere die Kapitel D. IV., D. VI. und D. VIII.
18
A. Einführung
III. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement als Beispiel für die völkerrechtliche Relevanz der Praxis der VN-Vertragsorgane In einigen Menschenrechtsschutzverträgen der Vereinten Nationen ist das Prinzip des Non-Refoulement explizit verankert, andere Menschenrechtsschutzverträge verfügen nach deren Auslegung durch ihre Vertragsorgane über ein implizites Refoulementverbot. Die prägnantesten Unterschiede innerhalb des vertragsbasierten VN-Menschenrechtsschutzsystems ergeben sich bei der Frage, vor welchen schweren Menschenrechtsverletzungen im Zielstaat geschützt wird. So schützt das Internationale Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Antifolterkonvention, AFK) nur vor Folter (Artikel 3), die Konvention gegen das Verschwindenlassen (ICPPED) schützt nur davor, im Zielstaat zu verschwinden (Artikel 16 Abs. 1). Sehr viel weiter geht das Verbot des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR). Der Pakt enthält zwar kein ausdrückliches Refoulementverbot, nach der Praxis des für die Überwachung der Einhaltung dieses Pakts zuständigen Menschenrechtsausschusses bietet der IPbpR aber einen impliziten Schutz vor Refoulement, und zwar bei einer drohenden Verletzung jeden Rechts aus dem Pakt, solange der hierdurch entstehende Schaden irreparabel wäre.7 Einige andere VN-Vertragsorgane haben diese Grundsätze auf ihre Menschenrechtsschutzverträge übertragen. Allgemein ist die Praxis der VN-Vertragsorgane für ausländische Staatsangehörige von besonderer Bedeutung. Zu Migration und dem Umgang mit ausländischen Staatsangehörigen, Staatenlosen und Asylsuchenden werden die Vertragsstaaten aller VN-Vertragsorgane mittlerweile in fast jedem Staatenberichtsverfahren befragt.8 Das Prinzip des Non-Refoulement ist vor allen Vertragsorganen meistbehandelter Gegenstand im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren und bietet damit die quantitativ beste Möglichkeit zum Vergleich der Arbeit der Vertragsorgane.9 Das Beispiel des Prinzips des Non-Refoulement zeigt das Potenzial der Vertragsorgane zur Fortentwicklung des Völkerrechts und zur Schaffung von Rechtssicherheit. Zur Gewährung eines effektiven Menschenrechtsschutzes ist das vertragsbasierte VN-Menschenrechtsschutzsystem weitgehend auf die freiwillige Kooperation der Vertragsstaaten angewiesen. Das führt zu dem Widerspruch, dass das internationale Menschenrechtsschutzsystem häufig vor allem dort dringend ge7 CCPR, General Comment No. 31 Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, 2004, CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, § 12. 8 A. Edwards, Peter Pan’s fairies and genie bottles, in: J. C. Simeon, The UNHCR and the supervision of international refugee law, 2013, 169; I. Atak/L. Giffin, Canada’s Treatment of Non-Citizens through the Lens of the United Nations Individual Complaints Mechanisms, The Canadian Yearbook of International Law 2019, 292 (293 f.). 9 B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, Hard Protection through Soft Courts? Non-Refoulement before the United Nations Treaty Bodies, German Law Journal 21 (2020), 355 (356).
III. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement
19
braucht wird, wo Staaten nicht freiwillig Menschenrechtsstandards einhalten.10 Eine Besonderheit beim Prinzip des Non-Refoulement ist aber, dass es hierbei meist um Staaten mit einer guten allgemeinen Menschenrechtslage geht, die eine Person in einen Staat mit einer schlechteren Menschenrechtslage verbringen. Beschwerden, die das Prinzip des Non-Refoulement rügen, richten sich also weit überwiegend gegen Staaten, die grundsätzlich bereit sind, die vom internationalen Menschenrechtsschutzsystem aufgestellten Standards einzuhalten. Umso relevanter ist daher die transparente und kohärente Praxis der Vertragsorgane. Weichen die von den VN-Vertragsorganen gesetzten Standards untereinander ab, erschwert dies den Vertragsstaaten erheblich, die verlangten Standards einzuhalten. Das mindert wiederum die Kooperationsbereitschaft der Vertragsstaaten. Die Kooperations- und Compliance-Bereitschaft der Staaten ist essenziell für die effektive Gewährleistung des Menschenrechtsschutzes. Darüber hinaus bieten unterschiedliche Standards den Staaten die Möglichkeit, den schwächsten Schutzstandard zu wählen und damit den Menschenrechtsschutz zu schwächen. Darüber hinaus kann der Vergleich der Praxis der Vertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement auch Fragen beantworten, die sich bei anderen Menschenrechten nicht zeigen, denn das Prinzip weist einige prozessuale Besonderheiten auf. Da das Prinzip des Non-Refoulement bereits dadurch verletzt wird, dass ein Staat durch Aufenthaltsbeendigung den wesentlichen Beitrag dazu leistet, dass es in dem Zielland zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt, liegt anders als bei den meisten Verfahren vor den Vertragsorganen der Fokus nicht auf der Feststellung einer geschehenen Menschenrechtsverletzung und Wiedergutmachung, sondern auf der Prävention von Menschenrechtsverletzungen. Anhand des Prinzips des Non-Refoulement lässt sich daher auch besonders gut aufzeigen, welche prozessualen Standards die VN-Vertragsorgane zur Durchsetzung von internationalen Menschenrechten setzen, und zwar sowohl für ihre eigenen als auch für nationale Verfahren. Weiterhin zeigt sich am Prinzip des Non-Refoulement auch, dass die Praxis der Vertragsorgane eine Bedeutung im Rahmen des regionalen Menschenrechtsschutzes hat sowie ferner auch für das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement. Zwar unterscheidet sich der Refoulementbegriff des Genfer Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention, GFK), vor allem in seinem personellen Anwendungsbereich deutlich vom menschenrechtlichen Refoulementbegriff. Der flüchtlingsrechtliche Begriff des Non-Refoulement und der menschenrechtliche Begriff gelten aber als komplementär, so dass die Interpretation des einen Begriffs Auswirkungen auf Inhalt und Reichweite des Anderen hat.11 10 D. Donoho, Human Rights Enforcement in the Twenty-First Century, Georgia Journal of International and Comparative Law 35 (2006), 1 (30). 11 A. Farmer, A Commentary on the Committee on the Rights of the Child’s Definition of Non-Refoulement for Children: Broad Protection for Fundamental Rights, Fordham Law Review Res Gestae 80 (2011), 39 (44). Siehe auch etwa CEDAW, General Recommendation
20
A. Einführung
Das ist auch deshalb relevant, weil die GFK über keinen vergleichbaren Überprüfungsmechanismus verfügt.12 Die GFK sieht weder allgemeine Berichtspflichten der Staaten an den UNHCR vor, noch die Möglichkeit, einzelnen Personen Schutz zu bieten. Das führt dazu, dass Staaten sich seit Jahrzehnten zum Prinzip des NonRefoulement bekennen, ohne konkret ihr Verständnis von Inhalt und Reichweite ihrer rechtlichen Pflichten zur Wahrung des Prinzips zu benennen. Das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen hat dagegen das Potenzial, auf universeller Ebene konkrete Rechtspflichten zu formulieren, welche die Vertragsstaaten zur Wahrung des Prinzips des Non-Refoulement zu beachten haben.13
IV. Methodik und Ziele Die hier angedeuteten Besonderheiten des vertragsbasierten VN-Menschenrechtsschutzsystems sowie das Prinzip des Non-Refoulement werden im Folgenden detailliert beschrieben. Nach einer umfassenden Erläuterung des Prinzips des NonRefoulement, seiner Bedeutung innerhalb des internationalen Menschenrechtsschutzes und darüber hinaus, einer Darstellung seines anerkannten Schutzbereiches sowie aktueller Fragen zur Reichweite des Prinzips in Kapitel B. erfolgt hieran anschließend eine Darstellung des vertragsbasierten VN-Menschenrechtsschutzsystems in Kapitel C. Hier wird die Entwicklung der VN-Vertragsorgane zu einem Menschenrechtsschutzsystem nachgezeichnet und ein Überblick über aktuelle Probleme und Reformen des Systems gegeben. Die Darstellung der Entwicklung eines vertragsbasierten VN-Menschenrechtsschutzsystems mit seinen vielfältigen Elementen soll zeigen, welches Potenzial die Vertragsorgane sowohl einzeln als auch gemeinsam haben, das Völkerrecht zu formen und weiterzuentwickeln. Hieran schließt sich eine umfassende Analyse der Praxis der VN-Vertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement an sowie eine Beurteilung der Nutzung des Potenzials der Vertragsorgane zur Prägung des Prinzips (Kapitel D. und E.). BeNo. 32 on the gender-related dimensions of refugee status, asylum, nationality and statelessness of women, 14. November 2014, CEDAW/C/GC/32, § 9. 12 Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und das Exekutivkomitee überwachen zwar de facto die Einhaltung der Konvention und geben Interpretationshilfen, können aber im Gegensatz zu den VN-Vertragsorganen diese Funktion nicht durch hierfür notwendige Mechanismen umsetzen. K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 5, 14, 40; F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 2017, 48. 13 Siehe unten Kapitel B. III. 3., Kapitel C. Die Relevanz der Praxis der VN-Vertragsorgane für die Auslegung der GFK zeigt sich auch daran, dass der UNHCR diese stark in seine Praxis integriert. Er zitiert in eigenen Berichten und Interpretationshilfen in breitem Maße die Praxis der Vertragsorgane und beteiligt sich auch aktiv an deren Verfahren, insbesondere Staatenberichtsverfahren und General Comments bzw. General Recommendations. Vgl. A. Edwards, in: J. C. Simeon, 165.
IV. Methodik und Ziele
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rücksichtigt wird dabei die Praxis der VN-Vertragsorgane bis Ende 2020. Durch die Covid-19 Pandemie stellen sich sowohl neue Fragen zum materiellen Schutz des Prinzips des Non-Refoulement als auch neue Herausforderungen für die VN-Vertragsorgane, die, soweit möglich, in Form von Ausblicken Erwähnung finden. Grundlage der Analyse in den Kapiteln D. und E. ist überwiegend die Auswertung internationaler Rechtsquellen. Das beinhaltet vornehmlich die Entscheidungen der Vertragsorgane im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren sowie ihre General Comments beziehungsweise General Recommendations. Diese beiden Handlungsformen ermöglichen es den Vertragsorganen, eindeutig und präzise Rechtspflichten zu formulieren. Weiter wird das relevante Schrifttum zu den bearbeiteten völkerrechtlichen Fragen hinzugezogen. Eine weitere Rechtsquelle der VN-Vertragsorgane sind die Dokumente im Zusammenhang mit Staatenberichtsverfahren. Während diese Verfahrensart vielseitig Aufschlüsse über die Vertragsorgane zulässt und die Grundlage für viele interessante Untersuchungen bietet, ist ihr Beitrag für die Entwicklung des Rechts oder eines bestimmten Rechtsbegriffs kaum messbar. Das Staatenberichtsverfahren ist die diplomatischste der den Vertragsorganen zur Verfügung stehenden Verfahrensweisen und ist dementsprechend selten geeignet, eindeutige Rechtspflichten abzuleiten. Im Folgenden werden Staatenberichtsverfahren daher nur dann untersucht, wenn sie die Praxis eines Vertragsorgans im Rahmen dessen sonstiger Handlungsformen bestätigen oder konkretisieren. Auch werden sie in den Fällen herangezogen, in denen Vertragsorgane im Übrigen noch keine Praxis zu einer Rechtsfrage entwickelt haben, denn oft deuten die Staatenberichtsverfahren eine mögliche Entwicklung der Praxis bereits an, die sich später in anderen Handlungsformen der Vertragsorgane festigt. Ziel der Arbeit ist die Erforschung von Inhalt und Umfang des weltweit anerkannten, aber inhaltlich umstrittenen Prinzips des Non-Refoulement nach den Vorgaben des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen. Diese Arbeit wird dabei auch das Potenzial der VN-Vertragsorgane zeigen, durch ihre Praxis und ihr Zusammenwirken gemeinsam zur Weiterentwicklung, Präzisierung und Festigung von Rechtsbegriffen und mithin auch zur Schaffung von Rechtssicherheit beizutragen. Schließlich ermittelt die vorliegende Arbeit, inwieweit dieses Potenzial derzeit genutzt wird. Hierbei sollen nicht etwa Möglichkeiten einer normativen Ausweitung des Prinzips des Non-Refoulement durch die VN-Vertragsorgane aufgezeigt werden. Die einzelnen Organe des vertragsbasierten VN-Menschenrechtsschutzsystems haben durch ihre teilweise sehr progressive Herangehensweise an das Prinzip des NonRefoulement zu Recht Kritik erfahren, sowohl von Seiten der Vertragsstaaten als auch aus eigenen Reihen. Gerade hierdurch aber zeigt sich das Potenzial der VN-Vertragsorgane, das Völkerrecht fortzuentwickeln. Dadurch, dass die Vertragsorgane neben den hier vorrangig untersuchten Individualbeschwerdeverfahren auch Staatenberichtsverfahren durchführen, stehen sie direkter als jeder andere Menschenrechtsschutzme-
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A. Einführung
chanismus in permanentem Austausch mit den Vertragsstaaten. So besteht ihr Beitrag zur Fortentwicklung des Rechts weniger in der rechtlichen Bindung ihrer Praxis als darin, dass sich durch ständige Auseinandersetzung im Dialog mit den Vertragsstaaten, die Beeinflussung der Vertragsorgane untereinander und das Aufgreifen der Praxis durch andere internationale Akteure Gewohnheitsrecht identifizieren lässt.
B. Das Prinzip des Non-Refoulement Dieses Kapitel gliedert sich in vier Unterkapitel. Hierbei wird ein Überblick über die historische Entwicklung des Prinzips, seine Verankerung in völkerrechtlichen Verträgen sowie seine völkergewohnheitsrechtliche Geltung gegeben. Angeknüpft wird hierbei zunächst an das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement, insbesondere nach der GFK, welche das erste kodifizierte Verbot von Refoulement enthält und somit zum einen Maßstäbe zur Entstehung eines gewohnheitsrechtlichen Schutzes gesetzt hat, zum anderen aber auch Vorbild für die darauffolgenden völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzverträge war, wodurch ein menschenrechtliches Prinzip des Non-Refoulement entstand. Es soll darüber hinaus ein kurzer Überblick über den regionalen menschenrechtlichen Schutz vor Refoulement gegeben werden. Es wird gezeigt, dass der menschenrechtliche Schutz vor Refoulement einerseits personell deutlich weiter ist als etwa der flüchtlingsrechtliche Schutz, gleichzeitig aber die Menschenrechtsschutzverträge aufgrund ihrer Spezialisierung auf bestimmte Rechte oder Rechtsträger:innen materiell enger beziehungsweise spezifischer sind, als die flüchtlingsrechtliche Verankerung des Prinzips des Non-Refoulement. Hierbei wird deutlich, dass das Prinzip in einer Vielzahl an Aspekten variiert und teilweise inhaltlich umstritten ist. Schließlich soll ein Überblick darüber gegeben werden, welche Mechanismen zur Erlangung von Rechtsschutz für einzelne Betroffene existieren.
I. Kodifizierung des Prinzips Der Grundsatz der staatlichen Souveränität gebietet, dass Aufenthaltsbeendigungen von ausländischen Staatsangehörigen einem Staat grundsätzlich erlaubt sein müssen. Beim Prinzip des Non-Refoulement handelt es sich somit um eine Ausnahme von diesem Grundsatz.1 Während in der Staatengemeinschaft allgemein anerkannt ist, dass eine solche Ausnahme existiert, besteht keine einheitliche Definition für das Prinzip des Non-Refoulement.2 Die Anerkennung einer moralischen Pflicht von Staaten, Menschen aufzunehmen oder nicht an einen Ort zurückzuschicken, an dem ihnen gewisse Formen der Misshandlung drohen, ist älter als das
1 Siehe auch International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens with Commentaries, 2014, U.N. Doc. A/69/10, Artikel 3. 2 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 2.
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
Völkerecht.3 Ein früher Versuch der Kodifikation des Prinzips findet sich in den im Jahr 1892 vom Institut de Droit International verabschiedeten Règles Internationales sur l’Admission et l’Expulsion des Étrangers.4 Hierbei handelte es sich allerdings lediglich um die Kodifikation verfahrensrechtlicher Fragen: Eine Aufenthaltsbeendigung sollte demnach nur bei ordnungsgemäßer Einhaltung der hierfür vorgesehenen Bestimmungen erfolgen dürfen. Bis heute weisen viele Formen des Refoulementverbots einen verfahrensrechtlichen Schwerpunkt auf. 1. Das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement Der weit überwiegende Teil jener Personen, die sich auf das Prinzip des NonRefoulement berufen, sind Flüchtende und Geflüchtete. Für diese wurde der Schutz vor Refoulement ursprünglich entwickelt. Die im Jahr 1933 vom Völkerbund erarbeitete Convention relating to the International Status of Refugees enthielt ein Verbot der Ausweisung und Abweisung an der Grenze, allerdings waren aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung Ausnahmen hiervon zulässig.5 Überdies hatte die Konvention personell einen sehr beschränkten Anwendungsbereich und wurde nur von acht Staaten ratifiziert. In Folge des Zweiten Weltkriegs entstand schließlich im Jahr 1951 die GFK.6 Universellen flüchtlingsrechtlichen Schutz vor Refoulement bietet Artikel 33 Abs. 1 GFK. Demnach darf ein Flüchtling im Sinne der GFK auf keine Weise über die Grenzen von Gebieten ausgewiesen oder zurückgewiesen werden, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde. a) Territorialer Schutzbereich Die GFK regelt nicht explizit den territorialen Schutzbereich des flüchtlingsrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement. Da Artikel 33 Abs. 1 GFK vordringlich den Zweck hat, die Durchführung der Verfahren, die zur Ermittlung des Flücht3 Für einen Überblick über historische Belege des Refoulementverbots vor Entstehung des modernen Völkerrechts siehe C. F. Moran, Strengthening the principle of non-refoulement, The International Journal of Human Rights 2020, 1. 4 Artikel 16 Institut de Droit International Règles internationales sur l’admission et l’expulsion des étrangers (Règles 1892), 09. September 1892. 5 Artikel 3 League of Nations Convention relating to the International Status of Refugees (Refugee Convention 1933), 28. Oktober 1933, League of Nations, Treaty Series, vol. CLIX No. 3663. Siehe auch Artikel 5 Abs. 2 League of Nations Convention concerning the Status of Refugees Coming From Germany (Refugee Convention 1938), 10. Februar 1938, League of Nations, Treaty Series, vol. CXCII No. 4461, 59. 6 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK), 28. Juli 1951, in Kraft: 22. April 1954, United Nations, Treaty Series, 189, S. 134.
I. Kodifizierung des Prinzips
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lingsstatus nach Artikel 1 A GFK nötig sind, zu ermöglichen, wird häufig argumentiert, dass das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement auch Abweisungen an der Grenze verbieten müsse,7 ebenso wie Grenzschließungen und sonstige Mittel, die den Zugang zu den Mechanismen zur Ermittlung des Flüchtlingsstatus verhindern.8 Gleiches wird argumentiert für Fälle, in denen Menschen bereits auf Hoher See9 daran gehindert werden, in die Küstengewässer eines Staates zu gelangen.10 b) Personeller Schutzbereich Das in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerte Refoulementverbot enthält eine Vielzahl von Einschränkungen. Zwar sind gemäß Artikel 42 Abs. 1 GFK keine Vorbehalte zu Artikel 33 GFK zulässig. Aus der Norm sowie aus übrigen Vorschriften der Konvention ergibt sich aber bereits eine starke Einschränkung des Schutzes vor Refoulement. Zum einen ist gemäß Artikel 1 A Abs. 2 und Artikel 1 B GFK eine generelle zeitliche und geografische Beschränkung des Geltungsbereiches der GFK möglich. Auch gilt Artikel 33 GFK nur für solche Menschen, die sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen (Artikel 1 A Abs. 2 GFK), oder sich an der Grenze zu einem solchen Staat befinden, sowie für Staatenlose. Menschen, die aus ihrem eigenen Staat ausgeliefert werden sollen, können sich damit ebenfalls nicht auf die GFK berufen. Weiterhin ist der Schutz vor Refoulement aus Artikel 33 GFK auf Flüchtlinge im Sinne der GFK begrenzt. Zwar muss der Flüchtlingsstatus noch nicht formell anerkannt sein, das Refoulementverbot des Artikel 33 Abs. 1 GFK soll gerade auch das Ersuchen von Asyl und damit die Ermittlung des Flüchtlingsstatus ermöglichen.11 Auf den Schutz des Artikel 33 Abs. 1 GFK kann sich aber nur berufen, wer eine Verfolgung im Sinne des Artikel 1 A Abs. 2 GFK aus den dort genannten Gründen, also wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten 7
K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 48 ff.; P. Wennholz, Ausnahmen vom Schutz vor Refoulement im Völkerrecht, 2013, 22 f.; International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 2 Kommentar (5). 8 UNHCR, Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, General Conclusion No. 6 (XXVIII) Non-Refoulement, 12. Oktober 1977, § c; UNHCR, Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, General Conclusions on International Protection of Refugees No. 14 (XXX) – (1979), 16. Oktober 1979, U.N. Doc. A/34/12/Add.1, § c; UNHCR, Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, Conclusion on International Protection No. 85 (XLIX) – 1998, 09. Oktober 1998, U.N. Doc. A/53/12/Add.1, § q. 9 Vgl. Artikel 86 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), 10. Dezember 1982, United Nations, Treaty Series, 1833, 397. 10 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 55. 11 UNHCR, Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, Note on International Protection, 31. August 1993, A/AC.96/815, § 11.
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung, fürchtet. Wer nicht vor hat, eine Furcht vor einer derartigen Verfolgung geltend zu machen, kann sich mithin auch nicht auf Artikel 33 Abs. 1 GFK berufen. Außerdem enthalten die Artikel 1 D, E und F GFK Ausschlussgründe für bestimmte Personengruppen. Gemäß Artikel 1 D GFK gilt dies für Menschen, die bereits den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR genießen.12 Artikel 1 E GFK schließt Menschen aus, die, ohne Staatsangehörige zu sein, bereits alle Rechte und Pflichten genießen, die sich aus einer solchen Staatsangehörigkeit ergäben. Nach Artikel 1 F GFK schließlich sind jene Menschen vom Schutz der GFK ausgeschlossen, denen schwere Vergehen angelastet werden, namentlich Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen; sowie auch schwere nichtpolitische Verbrechen außerhalb des Aufnahmestaates. Schließlich erfolgt eine weitere personelle Einschränkung des Schutzes von Artikel 33 Abs. 1 GFK durch Artikel 33 Abs. 2 GFK. Anders als die Artikel 1 D-F GFK stellt diese Einschränkung aber keinen Ausschluss vom Anwendungsbereich der Konvention dar, sondern eine personelle Ausnahme für bestimmte Personen, auf welche die GFK im Übrigen Anwendung findet. Demnach kann sich nicht auf das Verbot des Refoulement aus Artikel 33 Abs. 1 GFK berufen, wer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit oder für die Allgemeinheit des Aufnahmestaates anzusehen ist. Im internationalen Menschenrechtsschutz sind derartige personelle Ausnahmen und Einschränkungen nicht vorgesehen.13 Hieraus ergibt sich auch für das Recht Geflüchteter das Spannungsfeld, dass eine Person, die wegen Artikel 1 D – F GFK vom Schutz der Konvention ausgeschlossen ist oder eine Person, die zwar Flüchtling im Sinne des Artikel 1 A GFK ist, den Schutz nach Artikel 33 Abs. 1 GFK aber wegen der Feststellung ihrer Gefährlichkeit nach Artikel 33 Abs. 2 GFK nicht genießt, dennoch im Staat verweilen darf, wenn eine Aufenthaltsbeendigung gegen das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement verstoßen würde. Diese menschenrechtlichen Normen existierten zur Zeit der Entstehung der GFK noch nicht. Es wird daher diskutiert, ob die Anwendung von Artikel 1 F GFK und Artikel 33 Abs. 2 GFK noch zeitgemäß ist,14 oder gar, ob sich bereits aus dem humanitären Schutzzweck der GFK ergibt, dass bei ,qualifizierter Verfolgungsgefahr‘, also etwa bei drohender Folter oder Verletzung des Rechts auf Leben, eine Beschränkung von 12 Gemeint waren hiermit palästinensische Geflüchtete, die den Schutz von UNRWA genießen. Derzeit existiert keine andere Gruppe, die unter Artikel 1 D GFK fällt. 13 UN High Commissioner for Refugees, Advisory Opinion on the Extraterritorial Application of Non-Refoulement Obligations under the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, 26. Januar 2007, §§ 11, 20. 14 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 114 f., 121 f.
I. Kodifizierung des Prinzips
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Artikel 33 Abs. 2 GFK erfolgen muss.15 An diesen Erwägungen zeigt sich der gegenseitige Einfluss des flüchtlingsrechtlichen und des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement. c) Geschützte Rechtsgüter Während das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement einen vergleichsweise eingeschränkten personellen Anwendungsbereich hat, ist der materielle Schutz der GFK relativ weit. Artikel 33 Abs. 1 GFK sieht explizit keine Beschränkbarkeit des Refoulementverbots auf bestimmte Formen der Entfernung von dem staatlichen Territorium vor. Das heißt, dass die GFK auch vor Auslieferungen schützt.16 Nach Artikel 33 Abs. 1 GFK muss die betroffene Person eine Gefahr für ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund von Verfolgung im Zielstaat befürchten. Verfolgung im Sinne des Artikel 1 A Abs. 2 GFK ist ein komplexer Begriff, der nicht in der GFK definiert ist. Als Verfolgung versteht der UNHCR zum Beispiel Einschränkungen der Religionsausübung oder Verwehrung von Zugang zu Bildung, rassistische Diskriminierung, körperliche Gewalt oder Folter. Unabhängig von der Art der Misshandlung steht jedenfalls fest, dass der Begriff der Verfolgung in Artikel 1 A Abs. 2 GFK eine gewisse Schwere der negativen Folgen dieser Verfolgung voraussetzt.17 Das Prinzip des Non-Refoulement bietet eine prozessuale Besonderheit. Es bietet präventiv denjenigen Schutz, deren Rechte noch nicht verletzt sind, sondern die eine Verletzung ihrer Rechte befürchten. Neben dem Schutz vor Misshandlung bietet das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement daher in gewissem Umfang auch prozessuale Garantien. Das Recht aus Artikel 33 Abs. 1 GFK soll es Flüchtenden auch ermöglichen, Zugang zu Asylverfahren zu erhalten. Hieraus ergibt sich auch ein Recht auf individuelle Überprüfung jedes Einzelfalls.18 Ein Staat kann einer Person nicht schon deshalb den Zugang zu einem Risikobewertungsverfahren verwehren, weil er vermutet, dass diese Person möglicherweise nach Artikel 33 Abs. 2 GFK keinen Schutz vor Refoulement genießt.19
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P. Wennholz, Ausnahmen vom Schutz vor Refoulement im Völkerrecht, 261. UNHCR, Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, Problems of Extradition Affecting Refugees No. 17 (XXXI) – 1980, 16. Oktober 1980, U.N. Doc. A/35/12/ Add.1; K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 137. 17 Siehe zum Begriff der Verfolgung ausführlich A. Zimmermann/F. Herrmann, Article 1 A, para. 2, Definition of the Term ,Refugee‘/Définition du Terme ,Réfugié‘, in: A. Zimmermann, The 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, 2. Aufl. (Ende 2023). 18 Etwa UN High Commissioner for Refugees, Advisory Opinion on the Extraterritorial Application of Non-Refoulement Obligations under the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, 26. Januar 2007, § 10. 19 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 113. 16
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
Neben der GFK existieren regionale Rechtsquellen, die einen breiteren Rechtsschutz bieten. Die Konvention der Organisation der Afrikanischen Union über spezielle Aspekte des Flüchtlingsproblems in Afrika von 1969 sieht ein Refoulementverbot eines Flüchtlings im Sinne der Konvention bei Gefahren für Leben, physische Integrität oder Freiheit der Person vor. Allerdings ist der Begriff des Flüchtlings in dieser Konvention breiter als jener der GFK. Neben der befürchteten Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder politischen Meinung gilt die Afrikanische Konvention auch für jede Person, die aufgrund von äußerer Aggression, Besetzung, ausländischer Vorherrschaft oder Ereignissen, die ernsthaft die öffentliche Ordnung stören, sei es in ihrem gesamten Herkunftsland oder einem Teil davon oder in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gezwungen ist, den Ort, an dem sie für gewöhnlich ihren Wohnsitz hatte, zu verlassen, um an einem anderen Ort außerhalb ihres Herkunftslandes oder des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, Zuflucht zu nehmen.20 Ähnlich sieht auch die Cartagena Declaration der Organisation Amerikanischer Staaten einen erweiterten Flüchtlingsbegriff vor.21 Die progressive Arbeit des UNHCR orientiert sich an diesen regionalen Instrumenten und bietet so jedenfalls die Möglichkeit, dass sich dieses weite Verständnis des Flüchtlingsbegriffs völkergewohnheitsrechtlich etabliert, wodurch wiederum auch der Rechtsschutz des Refoulementverbots ausgeweitet werden könnte.22 d) Anerkannte Beschränkungen Das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement wird von allen Staaten dem Grunde nach anerkannt. Nichtsdestotrotz ist seit der ersten Kodifikation des Prinzips kontinuierlich umstritten, welchen Inhalt und Reichweite die rechtlichen Pflichten der Staaten zum Schutz vor Refoulement haben. Das zeigt sich schon in den travaux préparatoires zur GFK in der Entstehung des Artikel 33 Abs. 2 GFK, wo personelle und situative Ausnahmen breit diskutiert wurden.23 Seitdem gab es 20
Artikel I Abs. 2 Organisation für Afrikanische Einheit Konvention zur Regelung der Probleme von Flüchtlingen in Afrika (OAU Konvention), 10. September 1969, in Kraft: 20. Juni 1974, United Nations, Treaty Series, 1001, 45. 21 Entschluss Nr. 3 Organisation Amerikanischer Staaten Cartagena Declaration on Refugees, Colloquium on the International Protection of Refugees in Central America, Mexico and Panama (Cartagena Declaration), 22. November 1984. 22 M. von Sternberg, The Evolving Law of Non-Refoulement and Its Influence on the Convention Refugee Definition, In Defense of the Alien 24 (2001), 205 (208). Siehe zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht unter Einfluss von internationalen Akteuren unten Kapitel C. II. 2. c). 23 P. Weis, The refugee convention 1951, 1995, 325 ff. So wollten die Vertragsstaaten der GFK beispielsweise den ,Massenzustrom‘ von Flüchtenden schon bei deren Entstehung nicht als vom Flüchtlingsschutz erfasst ansehen. Das Ausklammern großer Menschengruppen wird auch durch andere Instrumente des Flüchtlingsschutzes unterstützt, die solche großen Men-
I. Kodifizierung des Prinzips
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kontinuierlich Versuche der Einschränkung und Umgehung des Schutzes von Flüchtenden und Geflüchteten. Seit Jahrzehnten enthalten Darstellungen der Entwicklung des völkergewohnheitsrechtlichen Status des Prinzips des Non-Refoulement Hinweise auf aktuelle momentane Überforderungen der Staaten bei der Einhaltung ihrer vertraglichen Pflichten sowie immer neue Gründe, diese zu beschränken.24 Zu den im Flüchtlingsrecht allgemein anerkannten Beschränkungen gehören etwa das Konzept interner Fluchtalternativen und die Benennung sicherer Herkunfts- oder Drittstaaten, sofern keine Gefahr des Kettenrefoulement besteht und eine individuelle Überprüfung des Einzelfalls möglich bleibt.25 Dem Grunde nach sind im Flüchtlingsrecht auch diplomatische Zusicherungen zum Ausschluss des Risikos anerkannt. Diplomatische Zusicherungen stellen keine völkerrechtlichen Verträge dar, sondern sind diplomatische Absprachen, die in Art und Umfang stark variieren können.26 Der UNHCR erkennt diplomatische Zusicherungen von Herkunftsstaaten Geflüchteter dann nicht an, wenn bereits feststeht, dass die betroffene Person eine begründete Furcht der Verfolgung in jenem Staat hat.27 schengruppen als Gefahr für die Sicherheit des Staates begreifen, UN General Assembly, The United Nations Declaration on Territorial Asylum, 14. Dezember 1967, A/RES/2312(XXII), Artikel 3 Abs. 2. Der UNHCR lehnt dies mit Verweis auf Sinn und Zweck der GFK ab, UN High Commissioner for Refugees, The Principle of Non-Refoulement as a Norm of Customary International Law. Response to the Questions Posed to UNHCR by the Federal Constitutional Court of the Federal Republic of Germany in Cases 2 BvR 1938/93, 2 BvR 1953/93, 2 BvR 1954/93, 31. Januar 1994, §§ 28, 37; UNHCR, Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, Conclusion on International Cooperation and Burden and Responsibility Sharing in Mass Influx Situations No. 100 (LV) – 2004, 08. Oktober 2004, U.N. Doc. A/59/12/ Add.1, § (i). 24 Etwa K. Hailbronner, Non-Refoulement and Humanitarian Refugees: Customary International Law or Wishful Legal Thinking, Virginia Journal of International Law 26 (1986), 857; A. Zimmermann, Asylum Law in the Federal Republic of Germany in the Context of International Law, ZaöRV 53 (1993), 49; N. Coleman, Non-Refoulement Revised – Renewed Review of the Status of the Principle of Non-Refoulement as Customary International Law, European Journal of Migration and Law 5 (2003), 23 (63); E. Feller, Asylum, Migration and Refugee Protection: Realities, Myths and the Promise of Things to Come, International Journal of Refugee Law 18 (2006), 509; P. Strauch, When Stopping the Smuggler Means Repelling the Refugee: International Human Rights Law and the European Union’s Operation To Combat Smuggling in Libya’s Territorial Sea, The Yale Law Journal 126 (2017), 2421. 25 Kritisch zum Führen von Listen sicherer Herkunftsstaaten etwa UNHCR, Executive Committee of the High Commissioner’s Programme, Note on International Protection, 07. Juli 1999, U.N. Doc. A/AC.96/914, § 20. 26 Für eine Übersicht über die rechtlichen Bindungswirkungen siehe L. Skoglund, Diplomatic Assurances against Torture – An Effective Strategy, Nordic Journal of International Law 77 (2008), 319 (335 f.). 27 L. Skoglund, UN High Commissioner for Refugees, Note on Diplomatic Assurances and International Refugee Protection, August 2006, § 30. Siehe auch K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 111.
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
Eine weitere Strategie von Staaten zur Beschränkung des Schutzes vor Refoulement sind konkurrierende rechtliche Verpflichtungen, also etwa, dass sie zur Auslieferung der Person vertraglich verpflichtet sind und deshalb ihre Pflichten aus dem Prinzip des Non-Refoulement nicht einhalten können. Grundsätzlich gilt, dass weder das Flüchtlingsrecht noch Menschenrechte eine Sonderstellung im Völkerrecht genießen und bei konkurrierenden vertraglichen Verpflichtungen die allgemeinen völkerrechtlichen Vertragsregeln gelten. Etwas anderes gilt dann, wenn das Prinzip des Non-Refoulement ius cogens ist.28 Einige multilaterale Auslieferungsabkommen enthalten Auslieferungshindernisse, wenn bestimmte Menschenrechtsverletzungen drohen.29 Im Übrigen gilt bei konkurrierenden Pflichten der Grundsatz lex posterior derogat legi priori.30 2. Humanitäres Völkerrecht Auch im humanitären Völkerrecht finden sich Beschränkungen für Aufenthaltsbeendigungen. Das IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten enthält für Personen, die nach dem Abkommen geschützt sind, ein Refoulementverbot für solche Staaten, in denen Verfolgung wegen der politischen und religiösen Überzeugung der Person drohen. Allerdings enthält dieses Refoulementverbot gewisse Einschränkungen für Aufenthaltsbeendigungen auf Grundlage von Auslieferungsverträgen.31 Das III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen schafft zunächst einen Mindeststandard dadurch, dass es nur dann Aufenthaltsbeendigungen erlaubt, wenn der Zielstaat ebenfalls Vertragspartei des Abkommens und bereit ist, die Kriegsgefangenen entsprechend zu behandeln.32 Hierüber hinaus enthält das III. Genfer Abkommen ein weiteres Hindernis für Aufenthaltsbeendigungen. Es sieht vor, dass schwerkranke und schwerverwundete Kriegsgefangene unabhängig davon, welche Behandlung sie im Herkunftsstaat erwartet, nicht gegen ihren Willen in diesen verbracht werden dürfen.33 Der gemeinsame Artikel 3 der Genfer Abkommen von 1949 enthält ein generelles Verbot von Angriffen auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folter von Personen, die nicht direkt an den
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So etwa, wenn vor Folter im Zielstaat geschützt werden soll, siehe etwa CAT, General Comment No. 4 The implementation of article 3 of the Convention in the context of article 22, 09. Februar 2018, CAT/C/GC/4, §§ 23, 25; CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, 20. Mai 2005, § 13.1. 29 Artikel 3 Abs. 2 EurAuslÜbk; Artikel 4 Abs. 5 OAS Convention on Extradition. 30 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 30, 31. 31 Artikel 45 Abs. 3, 4 IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (IV. Genfer Abkommen), 12. August 1949, United Nations, Treaty Series, 75, 287. 32 Artikel 12 Abs. 2 III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (III. Genfer Abkommen), 12. August 1949, United Nations, Treaty Series, 75, 135. 33 Artikel 109 Abs. 3 III. Genfer Abkommen.
I. Kodifizierung des Prinzips
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Feindseligkeiten teilnehmen.34 Da auch Menschenrechtsschutzverträge, die kein explizites Refoulementverbot, sondern lediglich ein Verbot der Folter und vergleichbarer Misshandlung beinhalten, so ausgelegt werden, dass sie ein implizites Refoulementverbot enthalten, wird argumentiert, für das Verbot der Folter aus dem gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen könne nichts anders gelten.35 Die genannten Vorschriften sind ebenso wie die GFK auf einen engen Personenkreis beschränkt und bieten auch diesen Gruppen nicht ausnahmslos Schutz. Dennoch zeigt die Existenz dieser universellen Vorschriften ein allgemeines Verständnis, dass eine Pflicht zum Schutz bestimmter Personengruppen vor Misshandlungen im Ausland dem Grunde nach anerkannt wird. Darüber hinaus hat das humanitäre Völkerrecht im Rahmen des flüchtlingsrechtlichen und des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement Gewicht. So wird eine Person, die aus einem bewaffneten Konflikt flieht, häufig sowohl darlegen können, dass sie in ihrem Leben und ihrer Freiheit durch Verfolgung im Sinne des Artikel 33 Abs. 1 GFK bedroht ist als auch, dass sie Refoulement im Sinne menschenrechtlicher Normen fürchtet.36 Eine Besonderheit ergibt sich hierbei für die Rechte von Kindern. Das Internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention, KRK) verfügt über ein Fakultativprotokoll über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten.37 3. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement Die Entwicklung eines menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement ist deutlich jünger als das parallele flüchtlingsrechtliche Prinzip. Zwar enthält bereits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte das Recht auf Leben, ein Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und ein Recht auf Asyl;38 eine ausdrückliche Kodifikation des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement erfolgte aber erst im Jahr 1987 mit Inkrafttreten der AFK.39 Bis heute existieren nur wenige völkerrechtliche Verträge, die das Prinzip ausdrücklich enthalten. Aus einem Großteil regionaler und universeller 34
Artikel 3 Abs. 1 (a) der vier Genfer Abkommen. C. Droege, Transfers of detainees: legal framework, non-refoulement and contemporary challenges, International Review of the Red Cross 2008, 669 (675). 36 Siehe insoweit ausdrücklich Artikel 16 Abs. 2 Konvention gegen das Verschwindenlassen (ICPPED), 20. Dezember 2006, in Kraft: 23. Dezember 2010, United Nations, Treaty Series, 2716, S. 3. 37 Internationales Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (1. FP KRK), 25. Mai 2000, in Kraft: 12. Februar 2002, United Nations, Treaty Series, 2173, S. 222. 38 Artikel 3, 5, 14 UN General Assembly, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), 10. Dezember 1948, U.N. Doc. A/RES/217 A (III). 39 Artikel 3 Internationales Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (AFK), 10. Dezember 1984, in Kraft: 26. Juni 1987, United Nations, Treaty Series, 1465, S. 85. 35
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
Menschenrechtsschutzverträge wird aber ein implizites Refoulementverbot abgeleitet. Obwohl das internationale Flüchtlingsrecht zu Recht mit der Idee des Schutzes der Menschenrechte verbunden ist und der Schutz von Flüchtlingen im Sinne der GFK auch maßgeblich dem Schutz der Menschenrechte dient, handelt es sich um ein eigenständiges Regime. Entsprechend ist auch zwischen einem flüchtlingsrechtlichen und einem menschenrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement zu unterschieden. Diese besitzen aber oft ähnliche Schutzbereiche und die Entwicklung des einen Begriffes hat stets auch Auswirkungen auf den anderen.40 Oft wird das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement als Ausgangspunkt und der menschenrechtliche Schutz vor Refoulement als ergänzender Schutz gesehen. Bezeichnungen wie Non-Refoulement im engeren versus Non-Refoulement im weiteren Sinne oder auch originärer versus komplementärer Schutz sind dabei verbreitet.41 Diese Bezeichnungen suggerieren, dass es sich beim menschenrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement um einen nachgeordneten Schutz handelt, der für diejenigen greift, die sich nicht auf die GFK stützen können. Das ist nicht der Fall. Der Schutz vor Folter nach der AFK etwa schützt Flüchtlinge im Sinne der GFK ebenso wie Menschen, die nicht in den personellen Anwendungsbereich des Artikel 33 GFK fallen. Schutz vor Folter kann Schutz vor Verfolgung im Sinne der GFK sein. Die Bezeichnung von (engem) Kernschutz und weitergehendem Schutz ist daher irreführend. Die älteste explizit kodifizierte Form des Prinzips des Non-Refoulement in den Menschenrechtsschutzverträgen der Vereinten Nationen findet sich in der AFK.42 Außerdem enthält die ICPPED ein explizites Refoulementverbot.43 Der die Einhaltung des IPbpR44 überwachende Menschenrechtsausschuss leitet aus dem IPbpR ein implizites Refoulementverbot ab. Diese Praxis der Anerkennung eines impliziten Refoulementverbots hatte erstmals die Europäische Kommission für Menschenrechte angewendet.45 Dem sind auch andere Vertragsorgane der Vereinten Nationen gefolgt. Sie haben auf Grundlage ihrer jeweiligen Menschenrechtsschutzverträge eine Praxis entwickelt, nach der Aufenthaltsbeendigungen verboten sind, wenn hierdurch entweder die Verletzung eines bestimmten in ihrem Menschenrechts40 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 5, 14, 40; A. Farmer, Fordham Law Review Res Gestae 2011 (44); F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 48. 41 P. Wennholz, Ausnahmen vom Schutz vor Refoulement im Völkerrecht, 5 f. 42 Artikel 3 Abs. 1 AFK. 43 Artikel 16 Abs. 1 ICPPED. 44 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), 16. Dezember 1966, in Kraft: 23. März 1976, United Nations, Treaty Series, 999, S. 171. 45 Unveröffentlichte Entscheidung Beschwerde Nr. 984/1961, zitiert in EKMR, X. v. Germany, Yearbook of the European Convention on Human Rights, 06. Oktober 1962, 254, 260. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte folgt dieser Praxis, EGMR, Soering v. United Kingdom, 14038/88, 07. Juli 1989.
I. Kodifizierung des Prinzips
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schutzvertrag verbrieften Rechts droht oder wenn ein irreparabler Schaden durch die Verletzung eines beliebigen Rechts aus ihrem Menschenrechtsschutzvertrag droht. Während die GFK einige Ausnahmen und Einschränkungen vom Prinzip des Non-Refoulement kennt, sind solche im internationalen Menschenrechtsschutz nicht vorgesehen. Darüber hinaus gilt der Schutz vor Refoulement nach Artikel 33 Abs. 1 GFK ausweislich Artikel 1 A Abs. 2 GFK nur für Menschen, die sich außerhalb ihres Herkunftsstaates befinden und von diesem Staat keinen Schutz erwarten können. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement schützt dagegen auch Menschen, die sich in ihrem Herkunftsstaat befinden.46 Das bedeutet, dass kein Mensch aufgrund eines in seiner Person liegenden Umstands vom menschenrechtlichen Schutz vor Refoulement ausgeschlossen werden darf. a) Regionaler Menschenrechtsschutz Die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) definiert den materiellen Schutzbereich des Refoulementverbots wie Artikel 33 Abs. 1 GFK, weitet aber den personellen Anwendungsbereich des Schutzes auf alle Personen aus.47 Die Organisation Amerikanischer Staaten verfügt außerdem über eine Konvention zur Prävention und Bestrafung von Folter, die ein Auslieferungsverbot enthält.48 Auslieferungen sind zudem zu unterlassen, wenn der Person Verfolgung im Sinne der GFK droht.49 Die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker verbietet dagegen Kollektivausweisungen nur dann, wenn diese diskriminierend sind. Allerdings verbietet auch die Charta jede Form der Ausbeutung, Folter, grausamen und unmenschlichen Behandlung, was die Auslegung eines impliziten Refoulementverbots zulässt.50 Die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte ist der Auffassung, dass bei Abfangen auf Hoher See darüber hinaus das Recht auf Asyl der betroffenen Personen verletzt ist, da diesen nicht nur die Möglichkeit genommen wird, in dem
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F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 46 f. 47 Artikel 22 Abs. 8 Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK), 22. November 1969. Nach Artikel 27 der Konvention ist Artikel 22 allerdings nicht notstandsfest und damit derogierbar. 48 Artikel 13 Abs. 4 Organisation Amerikanischer Staaten Inter-Amerian Convention to Prevent and Punish Torture (OAS Torture Convention), 09. Dezember 1985, OAS, Treaty Series, No. 67. 49 Artikel 4 Abs. 5 Organisation Amerikanischer Staaten Inter-American Convention on Extradition (OAS Convention on Extradition), 25. Februar 1981, OAS, Treaty Series, No. 60. 50 Artikel 5, 12 Abs. 5 Organisation für Afrikanische Einheit Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (Banjul-Charta), 21. Oktober 1986.
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
Staat, der ihr Schiff abfängt, Asyl zu suchen, sondern auch in jedem anderen Staat.51 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt an, dass sich aus Artikel 3 EMRK (Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) ein Refoulementverbot ergibt. Dieser Schutz gilt absolut, es sind also keine personellen Ausnahmen oder Einschränkungen möglich.52 Darüber hinaus kennt das europäische Menschenrechtsschutzsystem ein Verbot von Kollektivausweisungen nach dem 4. EMRK-Protokoll53 oder mit den Voraussetzungen der GFK vergleichbare Beschränkungen für Auslieferungen.54 Der EGMR erkennt ebenfalls seine territoriale Zuständigkeit für Beschwerden gegen Abweisungen an der Grenze an. Er war allerdings in einem jüngeren Urteil der Auffassung, dass bei Abweisungen an der Grenze jedenfalls dann, wenn die betroffenen Personen trotz bestehender regulärer Möglichkeiten der Einreise auf irregulärem Weg einzureisen versucht haben, weniger strenge Anforderungen an das Risikobewertungsverfahren gelten.55 Dies wurde insbesondere mit Blick auf den ausnahmslosen personellen Schutz des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement kritisiert.56 Auch die europäische Grundrechtecharta verbietet Kollektivausweisungen und die Abschiebung, Ausweisung oder Auslieferung in einen Staat, in dem für die Person das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe besteht.57
51 Inter-American Commission on Human Rights, United States (merits), 10.675, Report No. 51/96, 13. März 1997, § 163. 52 EGMR, Chahal v. United Kingdom, 22414/93, 15. November 1996; EGMR, Ahmed v. Austria, 25964/94, 17. Dezember 1996. 53 Artikel 4 Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind (4. EMRK-Protokoll), 16. September 1963, European Treaty Series No. 046. 54 Artikel 3 Abs. 2 Europäisches Auslieferungsabkommen (EurAuslÜbk), 13. Dezember 1957, European Treaty Series – No. 24; Artikel 5 Europäisches Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus (EuTerrBekaempfÜ), 27. Januar 1977, European Treaty Series – No. 90. 55 EGMR, N. D. and N. T. v. Spain, 8675/15, 8697/15, 13. Februar 2020, § 244. Siehe auch ebenda, § 230. 56 A. Lübbe, Der Elefant im Raum, Verfassungsblog 18. Februar 2020. Zu möglichen negativen Auswirkungen des Urteils auf das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement siehe J. C. Hathaway, The Rights of Refugees under International Law, 2021, 409, Fn. 526; G. Raimondo, N. D. and N. T. v. Spain: A Slippery Slope for the Protection of Irregular Migrants, University of Oxford, Border Criminologies blog 20. April 2020. 57 Artikel 19 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta), 30. März 2010, Amtsblatt der Europäischen Union 2010/C 83/389.
II. Gewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips
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b) Universeller Menschenrechtsschutz Der sehr breite materielle Geltungsbereich des flüchtlingsrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement unterscheidet sich deutlich von den meisten menschenrechtlichen Refoulementverboten. So dürfen nach der AFK deren Vertragsstaaten eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden.58 Die ICPPED schützt nur vor der Gefahr, im Zielstaat zu verschwinden.59 Andere VN-Menschenrechtsschutzverträge enthalten zwar kein ausdrückliches Verbot von Aufenthaltsbeendigungen wegen des Prinzips des Non-Refoulement. Sie haben aber in ihrer Praxis einen Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen unter bestimmten Voraussetzungen entwickelt. Nach der Praxis des für die Überwachung der Einhaltung des IPbpR zuständigen Menschenrechtsausschusses etwa bietet der Pakt Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen bei drohender Verletzung jeden Rechts aus dem IPbpR, solange der hierdurch entstehende Schaden irreparabel wäre.60 Das Erfordernis eines irreparablen Schadens führt bisweilen zu einem engeren Schutz als jener des Artikel 33 Abs. 1 GFK.61 So schützt die GFK anders als die Menschenrechtsschutzverträge etwa vor schweren Formen der Diskriminierung in Form von kumulierten Menschenrechtsverletzungen, die für sich nicht zu einem irreparablen Schaden führen. Der materielle Schutz des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement ist aber insofern weiter, als er vor einer bestimmten Rechtsverletzung oder hierdurch entstehendem irreparablem Schaden schützt, ohne dass ein Element der Diskriminierung hinzutreten muss. Inhalt und Reichweite des Prinzips des Non-Refoulement bei den VN-Vertragsorganen werden in Kapitel D dargestellt.
II. Gewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips Wie gezeigt, findet sich das Prinzip des Non-Refoulement in einer Vielzahl von völkerrechtlichen Verträgen, wobei Inhalt und Umfang des hierdurch gewährten Schutzes stark divergieren. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit das Prinzip völkergewohnheitsrechtliche Geltung hat.
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Artikel 3 Abs. 1 AFK. Artikel 16 Abs. 1 ICPPED. 60 CCPR, General Comment No. 31, § 12. 61 V. Chetail, Le droit des réfugiés à l’épreuve des droits de l’homme: bilan de la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l’homme sur l’interdiction du renvoi des étrangers menacés de torture et de traitements inhumains ou dégradants (Refugee Law and Human Rights: An Overview of the Case-Law of the European Court of Human Rights, Revue Belge de Droit International 37 (2004), 155 (180 f.). 59
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
Die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht setzt eine Übung der Staaten voraus, die von entsprechender opinio iuris getragen ist. Bei der völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer vertraglichen Verpflichtung ist nach Artikel 38 Abs. 1 (b) IGH-Statut keine universelle Übung erforderlich, die allgemeine Übung ist ausreichend, wobei es insbesondere auf die Übung durch die besonders interessierten beziehungsweise betroffenen Staaten ankommt.62 Relevant ist also die Praxis von Staaten, die besonders häufige Migrations- und Fluchtziele sind. Relevant ist außerdem, ob und inwieweit das Prinzip des Non-Refoulement erga omnes-Pflichten beinhaltet. Erga omnes-Pflichten sind im Wesentlichen diejenigen, welche die Staaten unabhängig von Verträgen einhalten müssen, weil die Nichtbeachtung die Grundstruktur einer friedlichen Staatengemeinschaft bedrohen würde. Deutlich zu den erga omnes-Verpflichtungen des Staates gehört die Pflicht, ius cogens-Pflichten zu respektieren. Eine Besonderheit sowohl des internationalen Flüchtlingsrechts als auch der Menschenrechte ist, dass häufig versucht wird, zugunsten des Individualrechtsschutzes Schutzbereiche auszuweiten und entsprechende staatliche Übung voreilig als völkergewohnheitsrechtlich etablierten Standard zu werten.63 Das überzeugt nicht. Der Grundsatz der staatlichen Souveränität gebietet, dass eine Aufenthaltsbeendigung von Menschen ohne die Staatsangehörigkeit eines Staates diesem grundsätzlich erlaubt sein muss. Beim Prinzip des Non-Refoulement handelt es sich somit um eine Ausnahme von diesem Grundsatz.64 Hieraus ergibt sich, dass eine restriktive Auslegung von Inhalt und Reichweite des Prinzips geboten ist.65 Eine Ausweitung des territorialen, personellen oder materiellen Schutzbereiches des Prinzips des Non-Refoulement über die Geltungsbereiche von einzelnen Verträgen hinaus kann daher nur dann angenommen werden, wenn eine eindeutige, von nachweisbarer opinio iuris getragene Staatenpraxis besteht oder es sich um zwingendes Recht handelt.
1. Das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement Resolutionen der VN-Generalversammlung, beziehungsweise die Haltung der Staaten zu diesen, bilden anerkanntermaßen jedenfalls dann die opinio iuris der Staaten ab, wenn sie im Konsens verabschiedet wurden. Das Refoulementverbot ist wiederholt in Resolutionen der VN-Generalversammlung erwähnt worden. So kann 62
International Court of Justice, North Sea Continental Shelf Cases, 20. Febuar 1969, I.C.J. Reports, 3, § 74. 63 Etwa C. Costello/M. Foster, Non-refoulement as Custom and Jus Cogens? Putting the Prohibition to the Test, Netherlands Yearbook of International Law 2015 46 (2016), 273. 64 Siehe auch International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 3. 65 Permanent Court of International Justice, The Case of the S. S. Lotus: France v. Turkey, Publications of the Permanent Court of International Justice, Series A.-No. 10, 07. September 1927, § 44.
II. Gewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips
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eine bereits vorhandene Staatenpraxis bestätigt werden oder aber die opinio iuris durch eine nachfolgende Staatenpraxis zum Ausdruck gebracht werden. In zahlreichen Resolutionen der VN-Generalversammlung hat sich die Staatengemeinschaft zum Prinzip des Non-Refoulement als grundlegendes Prinzip des Schutzes Geflüchteter bekannt.66 Das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement besitzt wohl auch über die Vertragsstaaten der GFK hinaus völkergewohnheitsrechtliche Geltung.67 Die Praxis der Staaten ist hierzu nahezu universell,68 und zwar auch jener Staaten, die nicht Vertragsstaaten der GFK sind.69 Gemäß den Draft articles on the expulsion of aliens der International Law Commission (ILC) hat das völkergewohnheitsrechtlich verankerte Refoulementverbot den personellen Anwendungsbereich des Artikel 33 GFK, wobei die ILC ausdrücklich darauf hinweist, dass die Praxis des UNHCR hierbei ebenfalls Berücksichtigung finden müsse.70 Teilweise wird das flüchtlingsrechtliche Prinzip des Non-Refoulement sogar als ius cogens-Norm angesehen.71 Das überzeugt schon mit Blick auf Artikel 33 Abs. 2 GFK nicht. Von einer ius cogensNorm sind keine Ausnahmen oder Beschränkungen wegen der öffentlichen Sicherheit eines Staates möglich.72
66 UN General Assembly, Resolution 48/116 on the report of the Third Committee (A/48/ 631), 24. März 1994, U.N. Doc. A/Res/48/116, § 3; UN General Assembly, Resolution 52/103 on the report of the Third Committee (A/52/639), 09. Februar 1998, U.N. Doc. A/RES/52/103, § 5; UN General Assembly, Resolution 60/129 on the report of the Third Committee (A/60/499), 24. Januar 2006, U.N. Doc. A/RES/60/129, § 3. 67 Declaration of States Parties to the 1951 Convention and its 1967 Protocol Relating to the Status of Refugees, 13. Dezember 2001, HCR/MMSP/2001/09, Präambel § 4; L. Skoglund, UN High Commissioner for Refugees, Note on Diplomatic Assurances and International Refugee Protection, § 15; L. Skoglund, UN High Commissioner for Refugees, Advisory Opinion on the Extraterritorial Application of Non-Refoulement Obligations under the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, § 15; United Nations Office on Drugs and Crime, Toolkit to Combat Trafficking in Persons – Global Programme against Trafficking in Human Beings, 2008, E.08.V.14, 339; International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 6 (b). Siehe auch G. S. Goodwin-Gill/J. McAdam, The refugee in international law, 3. Aufl. 2007, 345. 68 E. Lauterpacht/D. Bethlehem, The scope and content of the principle of non-refoulement: Opinion, in: E. Feller/V. Türk/F. Nicholson, Refugee protection in international law, 2005, Rn. 209 f. 69 P. Wennholz, Ausnahmen vom Schutz vor Refoulement im Völkerrecht, 77. 70 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 6, Kommentar (2). 71 J. Allain, The Jus Cogens Nature of Non-Refoulement, International Journal of Refugee Law 13 (2001), 533; A. Farmer, Non-Refoulement and Jus Cogens: Limiting Anti-Terror Measures that Threaten Refugee Protection, Georgetown Immigration Law Journal 23 (2008 – 2009), 1. Siehe auch Artikel III Abs. 5 Cartagena Declaration. 72 A. Duffy, Expulsion to Face Torture? Non-refoulement in International Law, International Journal of Refugee Law 20 (2008), 373 (388); P. Wennholz, Ausnahmen vom Schutz vor Refoulement im Völkerrecht, 88 ff.
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
Da die Draft articles on the expulsion of aliens der ILC eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips des Non-Refoulement nur im Umfang von Artikel 33 Abs. 1 GFK anerkennen, ist der personelle Anwendungsbereich begrenzt. Wohl auch deshalb erfassen die Draft articles ausdrücklich nicht Auslieferungen jeder Art.73 Im Rahmen der GFK war lange Zeit umstritten, ob Abweisungen an der Grenze von Artikel 33 Abs. 1 GFK erfasst sind. Für die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips des Non-Refoulement für Abweisungen an der Staatsgrenze sprechen die Draft articles der ILC. Diese schließen zwar an der Grenze Abgewiesene grundsätzlich von ihrem Anwendungsbereich aus,74 das gilt aber ausdrücklich nicht für das in Artikel 6 der Draft articles verankerte Refoulementverbot.75 Des Weiteren sind nach den Draft articles Kollektivausweisungen ausnahmslos verboten.76 2. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement Zwar findet sich das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement in einigen Menschenrechtsschutzverträgen. Allein die wiederholte Kodifizierung eines Rechts führt aber nicht zu dessen gewohnheitsrechtlicher Geltung, zumal wenn Inhalt und Reichweite der kodifizierten Rechte divergieren.77 Wie die Draft articles on the expulsion of aliens der ILC zeigen, ist das menschenrechtliche Prinzip des NonRefoulement weniger eindeutig Teil des Völkergewohnheitsrechts. Insofern als das Prinzip des Non-Refoulement vor Rechtsverletzungen schützt, die eine Verletzung einer Norm zwingenden Rechts bedeuten, muss dies auch für das Prinzip des Non-Refoulement gelten. Das Folterverbot etwa ist ein absolutes, von der gesamten Staatengemeinschaft anerkanntes Verbot und unstreitig Teil des ius cogens.78 Unproblematisch ist damit auch das Prinzip des Non-Refoulement insoweit ius cogens, als es vor Folter schützt.79 Dasselbe gilt wohl für Fälle, in denen ein 73
International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 2 (a). Ebenda, Artikel 2 (a). Siehe auch Kommentar (3) zu Artikel 1. 75 Ebenda, Artikel 6, Kommentar (7). Für die völkergewohnheitsrechtliche Geltung auch G. S. Goodwin-Gill, Non-Refoulement and the New Asylum Seekers, Virginia Journal of International Law 26 (1986), 897 (901 f.); G. Stenberg, Non-expulsion and non-refoulement, 1989, 176 ff.; E. Lauterpacht/D. Bethlehem, in: E. Feller/V. Türk/F. Nicholson, Rn. 46 ff.; G. S. Goodwin-Gill/J. McAdam, The refugee in international law, 206 ff. 76 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 9 Abs. 2. 77 H. Stender, Überschneidungen im internationalen Menschenrechtsschutz, 2004, 289 ff. 78 International Court of Justice, Questions relating to the Obligation to Prosecute or Extradite (Belgium v. Senegal), Judgment, I.C.J. Reports, 20. Juli 2012, 422, § 99. 79 C. Droege, International Review of the Red Cross 2008 (690); K. Wouters/R. Bruin, Terrorism and the Non-derogability of Non-refoulement, International Journal of Refugee Law 15 (2003), 5 (26); F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 3. 74
II. Gewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips
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Refoulementverbot vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit schützt.80 Darüber hinaus besteht wohl auch ein völkergewohnheitsrechtliches Refoulementverbot, wenn der Person im Zielstaat eine Behandlung droht, die gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Konventionen verstoßen würde.81 Problematisch ist dagegen, ob und inwieweit eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips des Non-Refoulement für die Gefahr anderer Menschenrechtsverletzungen angenommen werden kann, wie zum Beispiel die Gefahr von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, die keine Folter ist, oder die Gefahr einer Verletzung des Rechts auf Leben.82 Teilweise wird argumentiert, die VN-Menschenrechtsschutzverträge hätten schon allein deshalb völkergewohnheitsrechtliche Geltung, weil sie nahezu universell ratifiziert sind.83 Mit Blick auf das Prinzip des Non-Refoulement ist aber festzustellen, dass dieses nur in der AFK und in der – lediglich von 63 Staaten ratifizierten – Konvention gegen das Verschwindenlassen ausdrücklich enthalten ist. Die übrigen Refoulementverbote wurden von den die Menschenrechtsschutzverträge überwachenden Vertragsorganen entwickelt. Deren Praxis ist nicht automatisch allein durch die nahezu universelle Ratifikation eines Vertrages Teil des Völkergewohnheitsrechts.84 Für eine gewohnheitsrechtliche Geltung des Schutzes vor Gefahren für das Recht auf Leben spricht aber, dass dieses Recht eine Sonderstellung hat. Die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte hält es sogar für eine ius cogensNorm,85 der Menschenrechtsausschuss sieht es als ein ,ranghöchstes Recht‘.86 Nach den Draft articles on the expulsion of aliens der ILC hat das Prinzip des Non-Refoulement wohl insoweit gewohnheitsrechtliche Geltung, als es vor Tötung, die auf Diskriminierung gründet, schützt. Darüber hinaus gebe es ein gewohnheitsrechtli80
International Law Commission, Draft articles on Prevention and Punishment of Crimes Against Humanity with commentaries, 2019, U.N. Doc. A/74/10, Artikel 5; H. Jöbstl, An Unforeseen Pandora’s Box? Absolute Non-Refoulement Obligations under Article 5 of the ILC Draft Articles on Crimes Against Humanity, EJIL: Talk! 28. Februar 2021. Siehe auch CAT, General Comment No. 4, § 29 (g). 81 International Committee of the Red Cross, Note on Migration and the Principle of NonRefoulement, International Review of the Red Cross 2018, 345 (349). 82 Für eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung dieser etwa UN Commission on Human Rights, Report of the Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights on its fifty-seventh session Resolution 2005/12 Transfer of Persons, 12. August 2005, E/CN.4/2006/2, § 3; G. S. Goodwin-Gill/J. McAdam, The refugee in international law, 345, 351; E. Lauterpacht/D. Bethlehem, in: E. Feller/V. Türk/F. Nicholson, Rn. 209; W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, 3. Aufl. 2019, Artikel 4 Rn. 29. 83 T. Buergenthal, The Evolving International Human Rights System, The American Journal of International Law 100 (2006), 783 (790); P. Wennholz, Ausnahmen vom Schutz vor Refoulement im Völkerrecht, 87. 84 Siehe hierzu unten Kapitel C. II. 85 Inter-American Commission on Human Rights, Victims of the Tugboat „13 de Marzo“ v. Cuba, 11.436, Report No. 47/96, 16. Oktober 1996, § 79. 86 CCPR, General Comment No. 36 Article 6 (the right to life), 2018, CCPR/C/GC/36, § 2.
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
ches Refoulementverbot für Staaten, die selbst die Todesstrafe de facto abgeschafft haben.87 Diplomatische Zusicherungen zur Sicherstellung, dass die Todesstrafe im Ausland nicht vollzogen wird, sind dagegen nach den Draft articles mit dem Prinzip des Non-Refoulement vereinbar.88 Interessant ist, dass die Draft articles on the expulsion of aliens der ILC auch einen verfahrensrechtlichen Grundsatz für gewohnheitsrechtlich etabliert halten. Demnach sei die vorrangige Beachtung des Kindeswohls gewohnheitsrechtlicher Standard bei allen Verfahren, die (auch) Kinder betreffen.89 Sofern diese vorrangige Beachtung als absolute Pflicht verstanden wird, wären Kinder und auch ihre Familien vor allen Aufenthaltsbeendigungen ohne Einschränkungen geschützt, die eine Schlechterstellung gegenüber ihrem bisherigen Lebensstandard bedeuten würden. Auch die Praxis einiger VN-Vertragsorgane deutet in jüngster Zeit auf eine solche Ausweitung hin.
III. Möglichkeiten der Erlangung von Rechtsschutz Die Bestimmung eines völkergewohnheitsrechtlichen Kerns des Prinzips des Non-Refoulement ist auch deshalb so schwierig, weil es lange Zeit keine internationalen Überprüfungsmechanismen gab, gegenüber denen die Vertragsstaaten ihre opinio iuris eindeutig zum Ausdruck gebracht haben. Dabei sind internationale Überprüfungsmechanismen insbesondere für den Schutz von Migrant:innen unerlässlich. Das Prinzip des Non-Refoulement beinhaltet stets ein prozessuales Recht. Jede Person, gegen die eine Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung ergangen ist, muss gegen diese Entscheidung vorgehen können. Das bedeutet, es muss ein effektives Rechtsmittel gegen die Aufenthaltsbeendigung geben.90 Sofern der jeweilige Staat sich internationalen Spruchkörpern unterworfen hat, muss jede betroffene Person auch Zugang zu diesen haben, um die nationale Entscheidung überprüfen zu lassen.91
87 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 23. Siehe auch Kommentar (4). 88 Ebenda, Artikel 23 Abs. 2. Siehe auch L. Skoglund, Nordic Journal of International Law 2008 (331, 356 f.). 89 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 15 Abs. 2. 90 International Committee of the Red Cross, International Review of the Red Cross 2018 (354 f.). 91 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 28.
III. Möglichkeiten der Erlangung von Rechtsschutz
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1. Fehlender internationaler Überprüfungsmechanismus im System der GFK Ziel der GFK ist primär, internationale Verantwortung zu teilen, um so eine Lastenverteilung unter den Staaten zu ermöglichen und die Entstehung zwischenstaatlicher Spannungen zu vermeiden.92 Entsprechend ist es Hauptaufgabe des UNHCR, die Staaten bei dieser Koordination und Kooperation zu unterstützen. Der UNHCR hat zwar gemäß der Präambel und Artikel 35 Abs. 1 GFK ein klares Mandat zur Überwachung der Einhaltung der Konvention und für die Vertragsstaaten besteht eine Pflicht zur Kooperation mit dem UNHCR. Er verfügt aber über keine Durchsetzungsfunktion und keine Möglichkeit der Fokussierung auf Einzelfälle. Gemäß seinem Statut ist vielmehr zentrales Ziel seines Mandats die Schaffung dauerhafter Lösungen.93 Weder existiert ein explizit vorgesehenes Verfahren zur Durchsetzung seiner Aufsichtsfunktion, noch hat der UNHCR von sich aus ein solches entwickelt. Ebenso wenig verfügt das Exekutivkommittee des UNHCR über die Möglichkeit, Einzelfälle zu begutachten. Aufgabe des Exekutivkommittees ist vielmehr die Beratung des UNHCR auf dessen Wunsch zu spezifischen Fragen von Flüchtlingssituationen.94 Das Fehlen einer wirksamen internationalen Überwachung schwächt den Schutz Geflüchteter und Flüchtender, indem es den Staaten das Umgehen und Beschränken ihrer vertraglichen Pflichten erleichtert.95 Daher spielen internationale Menschenrechtsschutzmechanismen nicht nur für das menschenrechtliche Prinzip des NonRefoulement, sondern auch für das parallele flüchtlingsrechtliche Prinzip eine entscheidende Rolle. 2. Regionale Überprüfungsmechanismen Auf regionaler Ebene können Einzelne vor dem Afrikanischen, dem Interamerikanischen oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte effektiven Rechtsschutz erwirken. Diese haben den Vorteil, dass sie rechtlich bindende Urteile fällen und über Durchsetzungsmechanismen verfügen. Auch sind sie bei ihren Vertragsstaaten in der Regel allgemein anerkannt, so dass mit einer Umsetzung der Urteile in aller Regel zu rechnen ist. Nachteile ergeben sich dagegen im materiellen Schutzbereich der regionalen Refoulementverbote. So ist etwa der Schutz aus der Amerikanischen Menschenrechtskonvention nicht notstandsfest,96 und der EGMR 92
Vgl. Präambel Abs. 5 GFK. Kapitel 1 Abs. 1 Statute of the Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR Statute), 14. Dezember 1950, U.N. Doc. A/RES/428(V). 94 ECOSOC, Resolution 672 (XXV), 30. April 1958, U.N. Doc. E/RES/672 (XXV). 95 C. Beyani, The Role of Human Rights Bodies in Protecting Refugees, in: A. F. Bayefsky, Human rights and refugees, internally displaced persons, and migrant workers, 2006, 280. 96 Artikel 27 AMRK. 93
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B. Das Prinzip des Non-Refoulement
war zuletzt der Ansicht, dass der Schutz vor Kollektivausweisungen nicht vor Abweisungen an der Grenze bei irregulärem Grenzübertritt schütze.97 3. Universelle Überprüfungsmechanismen Die auf universeller Ebene einzige Möglichkeit zur Erlangung von Rechtsschutz und Durchsetzung des Schutzes vor Refoulement bietet das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen. Hier arbeiten neun Organe zu neun Menschenrechtsschutzverträgen, die sich gegenseitig ergänzen und durch eine interdependente Praxis spezifischen Rechtsschutz ermöglichen. Die VN-Vertragsorgane bieten Einzelnen die Möglichkeit, im Rahmen eines Individualbeschwerdeverfahrens gegen einen Vertragsstaat Beschwerde wegen der Verletzung von Individualrechten einzulegen. Zwar sind die Vertragsorgane keine Gerichte und es ergeben sich Fragen in Bezug auf die Bindungswirkung und Durchsetzungsmechanismen der Entscheidungen über Individualbeschwerden,98 aber alle Vertragsorgane bieten standardisierte Verfahren, die durch ihre Verfahrensregeln aneinander angepasst wurden. So ist für jede Person ersichtlich, unter welchen Voraussetzungen sie Rechtsschutz von dem jeweiligen Vertragsorgan erwarten kann. Auch den Vertragsstaaten wird mit dieser Standardisierung die Achtung und Umsetzung der Entscheidungen erleichtert. Alle VN-Vertragsorgane erkennen an, dass die staatlichen Pflichten, die sich aus ihren Menschenrechtsschutzverträgen ergeben, uneingeschränkt auch für Flüchtlinge im Sinne der GFK gelten. Damit entfaltet auch das flüchtlingsrechtliche Refoulementverbot im Rahmen der Menschenrechtsschutzverträge Geltung. Auch der UNHCR bringt sich aktiv in die Verfahren der VN-Vertragsorgane ein.99 Im Vergleich zu den regionalen Schutzmechanismen ergeben sich Vorteile durch die größere Flexibilität der VN-Vertragsorgane und dadurch, dass in der Regel auch die Zielstaaten Vertragsparteien der Menschenrechtsschutzverträge sind, so dass die Vertragsorgane zur Beurteilung der Lage im Zielstaat nicht auf externe Quellen zurückgreifen müssen.
IV. Fazit Die Darstellung des flüchtlingsrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement zeigt, dass die Staaten den Schutz vor Refoulement zwar dem Grunde nach anerkennen. Hiervon existiert aber eine Vielzahl von Ausnahmen und Einschränkungen, die sich 97
EGMR, N. D. and N. T. v. Spain, 8675/15, 8697/15, § 244. Der EGMR scheint auch deshalb dieser Ansicht zu sein, weil Spanien in diesem Fall nicht nur seine eigenen Grenzen, sondern auch jene des Schengenraumes schützt, vgl. ebenda §§ 232, 242. 98 Siehe unten Kapitel C. II. 99 A. Edwards, in: J. C. Simeon, 165.
IV. Fazit
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teilweise aus der GFK, teilweise aus der Staatenpraxis ergeben. Eine restriktive Staatenpraxis wird dadurch erleichtert, dass die GFK keinen internationalen Überprüfungsmechanismus für Einzelfäll kennt. Das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement ist potenziell weiter als der flüchtlingsrechtliche Schutz, wie die Beispiele zum Regionalen Menschenrechtsschutz gezeigt haben. Eine ausführliche Darstellung des universellen Menschenrechtsschutzes folgt in Kapitel D. Eine Verankerung des Prinzips des Non-Refoulement im internationalen Menschenrechtsschutz wird oft kritisiert. Dies unterminiere den eigentlichen Sinn und Zweck des Prinzips; beim Versuch das Prinzip auszuweiten werde ihm mehr geschadet.100 Diese Arbeit wird zeigen, dass eine beliebige Ausweitung des Rechtschutzes durch internationale Menschenrechtsschutzmechanismen, insbesondere die VN-Vertragsorgane, angesichts der Rechtsüberzeugung der Staaten in der Tat nicht wünschenswert ist. Allerdings können die VN-Vertragsorgane auch einen wichtigen Beitrag zum Rechtschutz sowohl von Flüchtlingen im Sinne der GFK als auch von allen anderen Menschen leisten. Dass eine dynamische Interpretation des Prinzips des Non-Refoulement erforderlich ist, zeigen auch neueste Probleme aufgrund der Covid-19 Pandemie. Zum einen wird hier erneut die Frage aufgeworfen, ob eine Abweisung an der Grenze jedenfalls dann gerechtfertigt ist, wenn es sich hierbei nicht um die gezielte Verwehrung des Zugangs für bestimmte Menschen handelt, sondern alle Staaten zur selben Zeit ihre Grenzen schließen. Zum anderen ist denkbar, dass eine Aufenthaltsbeendigung deshalb gegen das Prinzip des Non-Refoulement verstößt, weil aufgrund einer Pandemie im Zielstaat eine erhöhte Gefahr für die Gesundheit der Person besteht.101
100
C. F. Moran, The International Journal of Human Rights 2020. Für einen Überblick über die Problematik siehe S. Nicolosi, Non-refoulement during a Health Emergency, EJIL: Talk! 14. Mai 2020. Bislang haben nur der Ausschuss über das Verschwindenlassen und der Wanderarbeiterausschuss die Gefahr für das Prinzip des NonRefoulement durch die Pandemie anerkannt, CED, Key Guidelines on COVID-19 and Enforced Disappearances, § 23; CMW/UN, Special Rapporteur on the human rights of migrants, Joint Guidance Note on the Impacts of the COVID-19 Pandemic on the Human Rights of Migrants, 26. Mai 2020, §§ 9, 14. 101
C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen Der Menschenrechtsschutz der Vereinten Nationen besteht zum einen aus neun Menschenrechtsschutzverträgen und den zugehörigen Vertragsorganen (vertragsbasierter Menschenrechtsschutz) und zum anderen aus einem Überprüfungsmechanismus auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem die VN-Menschenrechtskommission ersetzenden VN-Menschenrechtsrat (chartabasierter Menschenrechtsschutz). Letzterer Teil des Menschenrechtsschutzes der Vereinten Nationen ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Vorliegend werden allein die Menschenrechtsschutzverträge und die Praxis der diese überwachenden Vertragsorgane untersucht. Die hier untersuchten Vertragsorgane sind der die Einhaltung der AFK überwachende Ausschuss gegen Folter, der für die Einhaltung des IPbpR zuständige Menschenrechtsausschuss, der Rassendiskriminierungsausschuss des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD),1 der Kinderrechtsausschuss der KRK2, der Ausschuss über das Verschwindenlassen der ICPPED, der die Einhaltung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Frauenrechtskonvention, FRK)3 überwachende Frauenrechtsausschuss, der Wanderarbeiterausschuss der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (Wanderarbeiterkonvention, WAK),4 der Behindertenrechtsausschuss des Internationalen Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention, BRK),5 und schließlich der WSK-Ausschuss des Paktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR).6 Nicht Teil der Untersuchung ist dagegen der Unter1 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD), 07. März 1966, in Kraft: 04. Januar 1969, United Nations, Treaty Series, 660, S. 195. 2 Internationales Übereinkommen über die Rechte des Kindes (KRK), 20. November 1989, in Kraft: 02. September 1990, United Nations, Treaty Series, 1577, S. 3. 3 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (FRK), 18. Dezember 1979, in Kraft: 03. September 1981, United Nations, Treaty Series, 1249, S. 13. 4 Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (WAK), 18. Dezember 1990, in Kraft: 01. Juli 2003, United Nations, Treaty Series, 2220, S. 3. 5 Internationales Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK), 13. Dezember 2006, in Kraft: 03. Mai 2008, United Nations, Treaty Series, 2515, S. 3. 6 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), 16. Dezember 1966, in Kraft: 03. Januar 1976, United Nations, Treaty Series, 993, S. 3.
I. Verfahrensarten
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ausschuss zur Verhütung von Folter. Dieser ebenfalls der Antifolterkonvention zuzuordnende Ausschuss hat deutlich spezifischere Aufgaben als die anderen Vertragsorgane und ist mit diesen kaum vergleichbar. Dieses Kapitel ist in vier Unterkapitel aufgeteilt. Es soll einen Überblick über die Entstehung des Schutzsystems und die Arbeitsweise der Vertragsorgane geben. Hier wird die Besonderheit der Vertragsorgane im Vergleich zu internationalen Gerichten und anderen Menschenrechtsschutzmechanismen gezeigt. Hierzu erfolgt eine Darstellung von Aufbau und Kompetenzen, Zusammensetzung und Arbeitsweise der einzelnen Vertragsorgane, eine Darstellung der Vertragsorgane als Menschenrechtsschutzsystem und eine Skizzierung der Reformprozesse des Systems einschließlich bisheriger und geplanter Kooperation der Vertragsorgane. Da die sich hieran anschließende Analyse der Praxis der VN-Vertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement vordergründig Individualbeschwerdeverfahren zum Gegenstand hat, soll auch hier bereits ein Fokus auf diese Verfahren gelegt werden. Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über die Vertragsorgane im Einzelnen und als Menschenrechtsschutzsystem zu geben und hierdurch das Potenzial des vertragsbasierten VN-Menschenrechtsschutzsystems zur Fortentwicklung des Völkerrechts und zur Schaffung von Rechtssicherheit aufzuzeigen.
I. Verfahrensarten Das Mandat der Vertragsorgane ist die Überwachung der Einhaltung der jeweiligen Menschenrechtsschutzverträge durch deren Vertragsstaaten. Dies geschieht im Rahmen verschiedener Verfahren, die in den Verträgen selbst und in Fakultativprotokollen zu diesen geregelt sind. Das sind bei allen Vertragsorganen die Staatenberichtsverfahren, in denen die Vertragsstaaten in regelmäßigen Abständen Berichte über ihre allgemeine Menschenrechtslage unter Aspekten des jeweiligen Menschenrechtsschutzvertrages abgeben müssen; die bislang kaum genutzten Staatenbeschwerdeverfahren, in denen das jeweilige Vertragsorgan auf Beschwerde eines Vertragsstaates hin eine gerügte Verletzung des Menschenrechtsschutzvertrages durch einen anderen Vertragsstaat prüft; und die Individualbeschwerdeverfahren. Außerdem sind vor einigen Vertragsorganen Staatenuntersuchungsverfahren möglich, also gesonderte Überprüfungen von Staaten, bei denen regelmäßige oder systematische Verstöße gegen den Menschenrechtsschutzvertrag ermittelt wurden.7 7
Artikel 20 AFK; Artikel 8 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, Fakultativprotokoll (FP FRK), 06. Oktober 1999, in Kraft: 22. Dezember 2000, United Nations, Treaty Series, 2131, S. 83; Artikel 6 Internationales Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Fakultativprotokoll (FP BRK), 13. Dezember 2006, in Kraft: 03. Mai 2008, United Nations, Treaty Series, 2518, S. 283;
46
C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
Die letzteren beiden Verfahren schließen sich nicht gegenseitig aus. Es ist möglich, eine Individualbeschwerde auf eine Menschenrechtssituation zu stützen, die bereits Gegenstand eines Staatenuntersuchungsverfahrens ist.8 Schließlich haben alle Vertragsorgane die sogenannten General Comments beziehungsweise General Recommendations entwickelt, die für alle Staaten allgemeine Hinweise enthalten. Im Folgenden soll ein Überblick über die am häufigsten genutzten und mit Blick auf das Prinzip des Non-Refoulement relevantesten Verfahren vor den VN-Vertragsorganen gegeben werden. 1. Staatenberichtsverfahren Die Staatenberichtsverfahren sind von allen vor den Vertragsorganen möglichen Verfahren die einzigen, die obligatorisch sind. Das heißt, sie erfolgen, ohne dass es hierfür der gesonderten Unterwerfung bedarf.9 Sie finden in regelmäßigem Turnus statt und stellen daher eine gute Möglichkeit des dauerhaften Austauschs mit den Vertragsstaaten dar.10 Vor allen Vertragsorganen erstatten die Vertragsstaaten Bericht über ihre allgemeine Menschenrechtslage mit Blick auf den jeweiligen Menschenrechtsschutzvertrag. Verstärkt wird der Mechanismus des Staatenberichtsverfahrens durch Follow-UpVerfahren. Diese nicht auf vertraglicher Grundlage beruhende Funktion haben die Vertragsorgane eingeführt, um dauerhaft mit den Vertragsstaaten in Austausch zu stehen. Dabei werden bestimmte im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens von dem Vertragsorgan benannte Probleme aufgegriffen und der Vertragsstaat soll in einem vorgegebenen Zeitrahmen über Fortschritte bei der Verbesserung dieser Probleme berichten. Das Staatenberichtsverfahren enthält oft Aussagen, deren juristischer Wert gering ist. So bedeutet etwa das Loben von Fortschritten bei der Einhaltung eines bestimmten Rechts keinesfalls, dass keine weiteren Bemühungen des Vertragsstaates notwendig sind. Ebenso lässt sich aus einem allgemeinen Äußern von Bedenken zu einem Themenkomplex, etwa bezüglich der Durchführung von Asylverfahren, allenfalls ableiten, dass ein Vertragsorgan der Auffassung ist, dass die substantiellen Artikel 33 ICPPED; Artikel 11 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Fakultativprotokoll (FP IPwskR), 10. Dezember 2008, in Kraft: 05. Mai 2013, U.N. Doc. A/63/435; Artikel 13 Internationales Übereinkommen über die Rechte des Kindes, 3. Fakultativprotokoll (3. FP KRK), 19. Dezember 2011, in Kraft: 14. April 2014, U.N. Doc. A/RES/66/138. 8 S. Joseph/K. Mitchell/L. Gyorki/C. Benninger-Budel, Seeking remedies for torture victims, 2. Aufl. 2014, 289. 9 Artikel 9 ICERD; Artikel 16 IPwskR; Artikel 40 IPbpR; Artikel 18 FRK; Artikel 19 AFK; Artikel 44 KRK; Artikel 73 WAK; Artikel 35 BRK; Artikel 29 ICPPED. 10 Die Konvention gegen das Verschwindenlassen sieht als einzige nur eine Pflicht zur einmaligen Berichterstattung vor, Artikel 29 Abs. 1 ICPPED. Auch hier kann der Ausschuss über das Verschwindenlassen aber bei Bedarf weitere Berichte verlangen.
I. Verfahrensarten
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Rechte seines Menschenrechtsschutzvertrages bei der Durchführung von Asylverfahren relevant sind; Aufschlüsse über Reichweite und Grenzen der substantiellen Rechte im Rahmen der Asylverfahren bietet dies aber nicht. Gleichzeitig kann kein Staatenberichtsverfahren ein vollständiges Bild über die Einhaltung eines Menschenrechtsschutzvertrages durch den Vertragsstaat bieten. Die Zeit des Dialogs mit den Vertragsstaaten und die maximale Wortanzahl der Dokumente sind begrenzt und die Vertragsorgane sind bei der Erlangung ihrer Informationen über die Menschenrechtslage im Zielstaat auf Internationale Organisationen sowie Beiträge der Zivilgesellschaft angewiesen. Die Vorbereitung ihres Dialogs (beziehungsweise auch schon zuvor die Erstellung der Fragebögen hierfür) hängt also maßgeblich davon ab, wozu sie Informationen erhalten. Dass ein Staat nicht zu seiner Praxis in Bezug auf einen bestimmten Themenkomplex befragt wird, bedeutet also keineswegs, dass das fragliche Vertragsorgan die Praxis des Staates diesbezüglich gutheißt. 2. General Comments und General Recommendations Außer den vertraglich geregelten Verfahren zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechtsschutzverträge sind die sogenannten General Comments beziehungsweise General Recommendations wichtige Instrumente der Vertragsorgane. Das sind teilweise sehr umfangreiche Leitfäden zur Auslegung und Präzisierung der vertraglichen Pflichten, entweder zu einem materiellen Recht oder zu einem sonstigen, den Vertrag betreffenden Themenkomplex. Erstmalig leitete der Menschenrechtsausschuss eine Kompetenz zur Ausarbeitung von General Comments aus seinem Vertragstext ab, nämlich aus den Bestimmungen über das Staatenberichtsverfahren. Gemäß Artikel 40 Abs. 4 IPbpR soll der Menschenrechtsausschuss im Rahmen von Staatenberichtsverfahren Berichte und Allgemeine Bemerkungen an die Vertragsstaaten übermitteln. Hieraus ergibt sich nach der Auffassung des Menschenrechtsausschusses nicht nur dessen Kompetenz, im Rahmen eines konkreten Staatenberichtsverfahrens an den betreffenden Staat Abschließende Bemerkungen zu formulieren, sondern auch eine Kompetenz zur Formulierung von Bemerkungen für alle Vertragsstaaten. Heute leiten alle Vertragsorgane aus ihren jeweiligen Vorschriften zur Durchführung von Staatenberichtsverfahren die Kompetenz ab, solche detaillierten Leitfäden zu erstellen, selbst wenn ihre Verträge nicht über eine mit Artikel 40 Abs. 4 IPbpR vergleichbare Norm verfügen oder sogar ausdrücklich vorsehen, dass allgemeine Kommentare nur auf den jeweiligen Staat bezogen sein sollen.11
11
Vgl. etwa Artikel 19 Abs. 3 AFK.
48
C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
3. Individualbeschwerden a) Ablauf des Individualbeschwerdeverfahrens Einzelpersonen können sich an die VN-Vertragsorgane wenden, wenn ein Vertragsstaat ihre Rechte verletzt hat. Gegen die Verletzung erheben sie Individualbeschwerde. Individualbeschwerdeverfahren sind vor allen VN-Vertragsorganen keine obligatorischen Verfahren, sondern nur fakultativ möglich. Für einige Vertragsorgane muss der Vertragsstaat hierfür eine gesonderte Erklärung abgeben,12 andere Menschenrechtsschutzverträge greifen zur Durchführung von Individualbeschwerdeverfahren auf Fakultativprotokolle zurück, die von den Vertragsstaaten gesondert ratifiziert werden müssen.13 Zwar sind die Vertragsorgane schon mit den sie heute erreichenden Individualbeschwerden überlastet; im Vergleich zu anderen Menschenrechtsschutzsystemen wird das Instrument der Individualbeschwerde aber noch immer wenig genutzt. Bis Ende 2018 waren bei allen VN-Vertragsorganen zusammen 4.608 Individualbeschwerden registriert, eine sehr geringe Zahl im Vergleich etwa zu Beschwerden vor dem EGMR.14 Individualbeschwerdeverfahren sind die für die vorliegende Arbeit interessantesten Verfahren. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen sind keine Gerichte, ihre Entscheidungen im Rahmen von Individualbeschwerden mithin keine Urteile. Dennoch sind die Verfahren mit gerichtlichen Verfahren vergleichbar. Die Menschenrechtsschutzverträge beziehungsweise ihre Fakultativprotokolle stellen allesamt ähnliche Anforderungen an den Ablauf von Individualbeschwerdeverfahren und haben so formalisierte Vorgänge geschaffen, die zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Wer im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens gegen einen Vertragsstaat vorgehen möchte, richtet sich hierfür zunächst an das Sekretariat des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR).15 Dieses bereitet auch die ersten Entwürfe für die späteren Entscheidungen vor.16 Es überprüft hierbei 12
Artikel 14 ICERD; Artikel 22 AFK; Artikel 31 ICPPED; Artikel 77 WAK. Gemäß Artikel 77 Abs. 8 WAK kann der Ausschuss erst dann Individualbeschwerden annehmen, wenn mindestens zehn Vertragsstaaten eine solche Erklärung abgegeben haben. Das ist bislang nicht geschehen, weshalb der Wanderarbeiterausschuss derzeit das einzige Vertragsorgan ist, das keine Individualbeschwerden annimmt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die übrigen acht Vertragsorgane. 13 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 1. Fakultativprotokoll (1. FP IPbpR), 16. Dezember 1966, in Kraft: 23. März 1976, United Nations, Treaty Series, 999, S. 171; Artikel 1 ff. FP FRK; Artikel 1 ff. FP BRK; Artikel 1 ff. FP IPwskR; Artikel 5 ff. 3. FP KRK. 14 C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 2019, 9. 15 Siehe zur Rolle des OHCHR-Sekretariats unten Kapitel C. I. 4. 16 N. Rodley, The Role and Impact of Treaty Bodies, in: D. Shelton, The Oxford handbook of international human rights law, 1. Aufl. 2015, 636.
I. Verfahrensarten
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bereits einfache Sachverhaltsfragen, die keiner menschenrechtlichen Expertise der Ausschussmitglieder bedürfen, wie zum Beispiel, ob sich der Vertragsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, dem Individualbeschwerdeverfahren unterworfen hat.17 Die durchschnittliche Bearbeitungszeit von der Erhebung einer Individualbeschwerde bis zur Entscheidungsreife beträgt zwei bis drei Jahre.18 b) Zulässigkeitsfragen bei der Erhebung von Individualbeschwerden Die Anforderungen an die Zulässigkeit von Individualbeschwerden sind einander ähnlich und nähern sich auch, etwa durch entsprechende Änderungen der jeweiligen Verfahrensordnungen der einzelnen Vertragsorgane, einander an. Bei der Beschwerdebefugnis ergeben sich je nach Schutzzweck des Menschenrechtsschutzvertrages Unterschiede, wenn der Vertrag nur eine bestimmte Personengruppe schützt. Vor dem Frauenrechtsausschuss sind grundsätzlich nur Frauen beschwerdebefugt, vor dem Kinderrechtsausschuss nur Kinder, vor dem Behindertenrechtsausschuss nur Menschen mit Behinderungen. Allerdings lassen diese Vertragsorgane auch Beschwerden ganzer Familien zu, in denen nur eine Person beschwerdebefugt ist.19 So können Individualbeschwerden unter Umständen mehreren Menschen Schutz bieten, obwohl nur eine Person sich auf den Schutz des zugrundeliegenden Menschenrechtsschutzvertrages berufen kann. Beschwerdegegenstand muss vor allen Vertragsorganen eine Verletzung eines in dem jeweiligen Menschenrechtsschutzvertrag verankerten Rechts sein. Das führt dazu, dass die Vertragsorgane Beschwerden dann ablehnen, wenn zum Beispiel eine Verletzung der GFK oder eines Rechts aus einem anderen Menschenrechtsschutzvertrag gerügt wird.20 Einige Vertragsorgane nehmen auch Beschwerden an, die Geschehnisse zum Gegenstand haben, die vor Inkrafttreten des Menschenrechts17 CCPR, Rules of Procedure of the Human Rights Committee (Rules of Procedure), 09. Januar 2019, CCPR/C/3/Rev.11, Regel Nr. 88 Abs. 1, 3; CEDAW, Rules of Procedure of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women (Rules of Procedure), 28. Mai 2008, HRI/GEN/3/Rev.3, Regeln Nr. 56 – 59; CRPD, Rules of Procedure of the Committee on the Rights of Persons with Disabilities (Rules of Procedure), 10. Oktober 2016, CRPD/C/1/ Rev.1, Regeln Nr. 55 – 57; CED, Rules of Procedure of the Committee on Enforced Disappearances (Rules of Procedure), 22. Juni 2012, CED/C/1, Regeln Nr. 65 – 67. 18 C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 16. 19 CEDAW, M. S. v. Denmark, 040/2012, 22. Juli 2013; CEDAW, S. F. A. v. Denmark, 085/ 2015, 26. Februar 2018; CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018, 06. Juli 2020; CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018, 28. September 2020; CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, 28. September 2020; CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, 05. Oktober 2017. 20 CAT, X. v. Spain, 023/1995, 15. November 1995, § 7.3; CAT, Mohamed v. Greece, 040/ 1996, 28. April 1997, § 11.2; CAT, L. M. v. Canada, 488/2012, 11. Mai 2018, § 10.3; CCPR, V. M. R. B. v. Canada, 236/1986, 18. Juli 1988; CEDAW, N. M. v. Denmark, 078/2014, 21. Juli 2017, § 7.4; CEDAW, S. J. A. v. Denmark, 079/2014, 06. November 2017, § 7.4; CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, 15. Juli 2019, § 7.4.
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
schutzvertrags lagen, wenn die Verletzung bis in die Gegenwart fortwirkt.21 In anderen Menschenrechtsschutzverträgen ist eine solche Annahme von Individualbeschwerden allerdings ausdrücklich verboten.22 Einige Menschenrechtsschutzverträge bestimmen auch eine Frist zur Erhebung einer Individualbeschwerde.23 In anderen Fällen setzen die Vertragsorgane eine solche Frist selbst und werten die Erhebung einer Beschwerde nach Ablauf dieser Frist als rechtsmissbräuchlich.24 Eine prozessuale Regel, die alle Vertragsorgane gemein haben, ist der Grundsatz der Subsidiarität. Individualbeschwerden vor den Vertragsorganen sollen nur dann erhoben werden können, wenn die Person zuvor in nationalen Verfahren alle Rechtsmittel ausgeschöpft hat, um gegen die gerügte Rechtsverletzung vorzugehen.25 Hiervon existieren einige Ausnahmen, sowohl solche, die explizit in den Verträgen beziehungsweise Fakultativprotokollen vorgesehen sind als auch solche, die sich aus der Praxis der Vertragsorgane ergeben. Im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement haben alle Vertragsorgane eine ständige Praxis entwickelt, nach der nur solche Rechtsmittel ausgeschöpft werden müssen, die aufschiebende Wirkung haben. c) Einstweilige Maßnahmen Die Individualbeschwerdeverfahren vor den VN-Vertragsorganen können einige Jahre dauern. Damit in der Zeit zwischen der Erhebung einer Individualbeschwerde und deren Entscheidung keine irreparablen Konsequenzen für den Beschwerdegegenstand eintreten, die eine Befassung des Vertragsorganes mit der Beschwerde gegenstandslos machen würden, haben die meisten Vertragsorgane entweder die explizite vertragliche Kompetenz zur Anordnung von einstweiligen Maßnahmen,26 oder sie haben selbst in ihren Verfahrensregeln eine solche Kompetenz anerkannt.27 Die Entscheidung über die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist von der Entscheidung in der Sache unabhängig. Der weit überwiegende Teil dieser einstweiligen Maßnahmen wird im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen angeordnet, 21 CAT, Gerasimov v. Kazakhstan, 433/2010, 24. Mai 2012, § 11.2; CCPR, Gorji-Dinka v. Cameroon, 1134/2002, 17. März 2005, § 4.5; CEDAW, Szijjarto v. Hungary, 004/2004, 14. August 2006, § 10.4. 22 Artikel 35 Abs. 1 ICPPED; Artikel 7 (g) 3. FP KRK. 23 Artikel 14 Abs. 5 ICERD; Artikel 3 Abs. 2 (a) FP IPwskR; Artikel 7 (h) 3. FP KRK. 24 CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 99 (c). 25 Artikel 22 Abs. 4 (b) AFK; Artikel 4 Abs. 1 FP FRK; Artikel 31 Abs. 2 (d) ICPPED; Artikel 5 Abs. 2 (b) 1. FP IPbpR; Artikel 7 (e) 3. FP KRK; Artikel 14 Abs. 7 (a) ICERD; Artikel 3 FP IPwskR; Artikel 77 Abs. 3 (b) WAK; Artikel 2 (d) FP BRK. 26 Artikel 5 Abs. 1 FP FRK; Artikel 4 Abs. 1 FP BRK; Artikel 31 Abs. 4 ICPPED; Artikel 5 FP IPwskR; Artikel 6 3. FP KRK. 27 CAT, Rules of Procedure of the Committee Against Torture (Rules of Procedure), 01. September 2014, CAT/C/3/Rev.6, Regel Nr. 114; CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 94 Abs. 1.
I. Verfahrensarten
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insbesondere wenn Beschwerdeführende einen Verstoß gegen das Prinzip des NonRefoulement rügen.28 Die Einhaltung einstweiliger Maßnahmen ist nach dem Selbstverständnis einiger Vertragsorgane eine eigenständige völkerrechtliche Verpflichtung.29 Die Praxis der Vertragsorgane zu einstweiligen Maßnahmen ist ein Beispiel dafür, wie die Vertragsorgane durch gegenseitige Einflussnahme das internationale Menschenrechtsschutzsystem prägen. Nachdem der Menschenrechtsausschuss zunächst zögerlich auf nicht eingehaltene einstweilige Maßnahmen reagierte, entwickelte er schließlich eine Argumentation, die daraufhin von anderen Menschenrechtsschutzmechanismen übernommen wurde.30 Gerade da einige Vertragsorgane sich die Rechtsgrundlage zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen selbst in ihren Verfahrensordnungen geschaffen haben, war die Akzeptanz dieser Entwicklung bei den Vertragsstaaten zunächst niedrig.31 Heute halten die Staaten aber weit überwiegend die einstweiligen Maßnahmen ein.32 d) Rechtsfolgen Die Vertragstexte beziehungsweise die Fakultativprotokolle zu Individualbeschwerdeverfahren sehen keine Rechtsfolgen für den Fall vor, dass die Vertragsorgane zu dem Schluss gelangen, dass der Vertragsstaat die Rechte der beschwerdeführenden Person verletzt hat. Dennoch formulieren alle Vertragsorgane in sogenannten ,views‘33 beziehungsweise ,suggestions and recommendations‘34 Rechtsfolgen, die sich für den Vertragsstaat ergeben. Diese Rechtsfolgen sind im Vergleich zu Urteilen oft vage formuliert. Hierzu gehört in der Regel die Pflicht, Sorge zu tragen, dass sich vergleichbare Menschenrechtsverletzungen in Zukunft nicht wiederholen und die Pflicht, dem Vertragsorgan innerhalb einer bestimmten Frist Bericht über die ergriffenen Maßnahmen zu erstatten. 28
So haben die Vertragsorgane z. B. in den Jahren 2015 – 2016 in 78 % aller migrationsbezogenen Beschwerden einstweilige Maßnahmen angeordnet, M. Limon, Policy Report – Reform of the Human Rights Petitions System 2018 (27). 29 CRC, Guidelines for Interim measures under the Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on a communications procedure, 14. Januar – 01. Februar 2019, § 9; CCPR, Piandiong et al. v. The Philippines, 869/1999, 19. Oktober 2000; CCPR, General Comment No. 31, § 19; CAT, General Comment No. 4, § 37. 30 CAT, Brada v. France, 195/2002, 17. Mai 2005; EGMR, Mamatkulov and Askarov v. Turkey, 46827/99, 46951/99, 04. Februar 2005, § 42. Hier spielte neben dem Menschenrechtsausschuss auch der Internationale Gerichtshof eine Rolle, siehe W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 4 1. ZP Rn. 7. 31 CCPR, Bradshaw v. Barbados, 489/1992, 10. August 1994, § 2.10; CCPR, Weiss v. Austria, 1086/2002, 03. April 2003, § 5.3; CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010, 21. Juli 2014, § 6.2. 32 B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (362). 33 1. FP IPbpR; AFK; FP FRK; WAK; ICPPED; FP IPwskR; 3. FP KRK. 34 ICERD, Art. 14 VII (b); FP BRK, Art. 5.
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
Im Übrigen variieren die Rechtsfolgen für die Vertragsstaaten. Alle Vertragsorgane benennen sowohl Pflichten mit Bezug auf die beschwerdeführende Person, etwa die Wiederaufnahme eines Verfahrens oder die Zahlung von Schadenersatz, als auch allgemeine Empfehlungen, etwa die Pflicht, nationale Gesetze auf die Vereinbarkeit mit dem Menschenrechtsschutzvertrag zu überprüfen oder relevante Behörden zu schulen. Die Vertragsorgane ordnen hierbei aber keine konkreten Maßnahmen an oder legen Schadenersatzsummen fest. Vielmehr enthalten Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren Aufforderungen zur Leistung einer angemessenen Entschädigung oder fordern zum Ergreifen von notwendigen Maßnahmen auf. Außer dem Rassendiskriminierungsausschuss haben alle Vertragsorgane ein Follow-Up-Verfahren für Individualbeschwerden eingerichtet.35 Da die Vertragsorgane keinen Durchsetzungsmechanismus für ihre Entscheidungen haben, werden in diesem Follow-Up-Verfahren die Vertragsstaaten dazu aufgefordert, so lange über die Bemühungen mit Bezug auf die entschiedene Individualbeschwerde Bericht zu erstatten, bis das Vertragsorgan zufrieden ist. In diesem Verfahren bietet sich im Dialog mit den Vertragsstaaten auch die Möglichkeit, in der Individualbeschwerdeentscheidung genannte Rechtspflichten weiter zu konkretisieren. 4. Die Rolle des OHCHR-Sekretariats Die Besonderheit der Vertragsorgane als nicht-ständige Einrichtungen bedeutet einen hohen administrativen Aufwand. Sitzungen müssen detailliert geplant werden; sämtliche Dokumente, die für eine Sitzung benötigt werden müssen in allen im jeweiligen Vertragsorgan gebräuchlichen VN-Sprachen übersetzt vorliegen, öffentliche Sitzungen werden gefilmt und live übertragen und simultan übersetzt. Hinzu kommt, dass die Vertragsorgane vermehrt miteinander kooperieren und eine koordinierte und kohärente Praxis anstreben,36 was bedeutet, dass ein Überblick über die aktuelle Praxis sämtlicher Vertragsorgane auch intern gewährleistet sein muss. Die administrativen Aufgaben werden vom Sekretariat des OHCHR wahrgenommen. Hierdurch kann nicht nur eine effiziente Nutzung der Sitzungszeit gewährleistet werden; vielmehr wird auch die Koordination zwischen den Vertragsorganen durch das gemeinsame Sekretariat erheblich erleichtert. Das Sekretariat übernimmt aber nicht nur rein administrative Aufgaben. Neben der Registrierung und ersten Prüfung der Zulässigkeit jeder erhobenen Individual35 CAT, Rules of Procedure, Regel Nr. 120; CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 106; CESCR, Rules of Procedure under the Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (Rules of Procedure), 15. Januar 2013, E/C.12/49/3, Regel Nr. 18; CRC, Rules of procedure under the Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on a communications procedure (Rules of Procedure), 16. April 2013, CRC/ C/62/3, Regel Nr. 28; CEDAW, Rules of Procedure, Regel Nr. 73; CRPD, Rules of Procedure, Regel Nr. 75; CED, Rules of Procedure, Regel Nr. 79. 36 Siehe unten Kapitel C. III.
I. Verfahrensarten
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beschwerde zentral für alle Vertragsorgane ist das Sekretariat auch für den Kontakt mit den Parteien der Beschwerde nach deren Registrierung und auch im Follow-UpVerfahren verantwortlich. Hierbei übernimmt das Sekretariat einen erheblichen Arbeitsaufwand, der allerdings größtenteils im Verborgenen geschieht. Hierzu gehört auch, dass das Sekretariat im Zweifel klärt, bei welchem Vertragsorgan die beschwerdeführende Person ihre Individualbeschwerde erheben wollte.37 Das hat den Vorteil für beschwerdeführende Personen, dass ihre Beschwerden nicht zwingend daran scheitern, dass sie sich an ein Vertragsorgan wenden, welches für ihre Beschwerde nicht zuständig ist. Die Mitglieder der Vertragsorgane werden nur für wenige Jahre gewählt und jedes Vertragsorgan hat zu unterschiedlichen Zeiten Sitzungszeit, so dass ein persönlicher Austausch der Ausschussmitglieder untereinander kaum stattfindet. Die Mitarbeitenden des Sekretariats kennen infolgedessen die Praxis aller Vertragsorgane besser als die einzelnen Ausschussmitglieder. Das Sekretariat wird daher auch als das institutionelle Gedächtnis des vertragsbasierten VN-Menschenrechtsschutzsystems bezeichnet.38 Sowohl die Schaffung von Kohärenz bei der Praxis der einzelnen Vertragsorgane in sich als auch Anregungen zur Harmonisierung der Praxis aller Vertragsorgane sind durch das Sekretariat möglich. Allerdings handelt das OHCHR-Sekretariat ohne vertraglich geregelte Kompetenz. Es kann sich nur auf die Verfahrensregeln der Vertragsorgane stützen. Problematisch ist insoweit, dass sich das Sekretariat inhaltlich mit der Beschwerde befassen muss, um zu ermitteln, welche Vertragsorgane hierfür infrage kämen,39 das Sekretariat aber gerade nicht aus unabhängigen Menschenrechtsexpert:innen besteht, die zum Zwecke der Beurteilung von Individualbeschwerden von Vertragsstaaten gewählt wurden. Auch in den anderen Verfahren vor den VN-Vertragsorganen spielt das Sekretariat des OHCHR eine gewichtige Rolle. Die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen an Verfahren aller Art wird durch das Sekretariat koordiniert.40 Das betrifft sowohl die Zurverfügungstellung von Berichten der Nichtregierungsorganisationen als auch die Koordination der Sitzplatzvergabe für die Teilnahme an öffentlichen Sitzungen.
37
C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 15. 38 Salama I. Duplication and Divergence in the Work of the UN Human Rights Treaty Bodies, Remarks by Ibrahim Salama, Proceedings of the Annual Meeting (American Society of International Law) 105 (2011), 515 (517). 39 M. G. Schmidt, Individual Human Rights Complaints Procedures Based on United Nations Treaties and the Need for Reform, The International and Comparative Law Quaterly 41 (1992), 645 (653 f.). 40 N. Rodley, United Nations Human Rights Treaty Bodies and Special Procedures of the Commission on Human Rights: Complementarity or Competition?, Human Rights Quaterly 25 (2003), 882 (890 f.).
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
II. Rechtliche Bedeutung der Praxis der Vertragsorgane Wie gezeigt verfügen die Vertragsorgane weder bei ihren Individualbeschwerdeentscheidungen noch bei der Durchführung von Staatenberichtsverfahren über wirksame Durchsetzungsmechanismen. Allerdings zeigt sich durch die stets detailreichere Praxis der Vertragsorgane, deren Bemühen um Kohärenz und die Einrichtung zusätzlicher Überprüfungsmechanismen wie die Follow-Up-Verfahren, dass die Vertragsorgane mindestens nach ihrem eigenen Selbstverständnis gerichtsähnlich auftreten. Das zeigt sich schon bei der Frage, welche Wirkung die Praxis der einzelnen Vertragsorgane für diese selbst hat. Entscheidungen der Vertragsorgane in Individualbeschwerdeverfahren haben keine Präzedenzwirkung. Das jeweilige Vertragsorgan ist also nicht dazu verpflichtet, in späteren Entscheidungen seine bisherige Praxis zu berücksichtigen. Dennoch bemühen sich die Vertragsorgane in aller Regel um eine kohärente Praxis, in der sie von bisherigen Entscheidungen nur mit entsprechender Begründung abweichen. Auch ist es vermehrt üblich, dass die Vertragsorgane auf ihre bisherige Praxis verweisen, wenn sie davon ausgehen, Interpretationen ihres Menschenrechtsschutzvertrages bildeten eine etablierte, ständige Praxis. So untermauern sie ihre Rechtsauffassung. Das geschieht sowohl in Bezug auf materielle Rechtsfragen als auch auf prozessuale Fragen wie etwa Beweisstandards. In einer seiner ersten Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Menschenrechtsausschuss erklärt, dass er sich grundsätzlich um Konsistenz und Kohärenz seiner Entscheidungen bemühe, und dass ein Abweichen nur in Ausnahmesituationen und zum Wohle des Menschenrechtsschutzes angemessen sei.41 Aber auch untereinander sind die Vertragsorgane zunehmend um eine kohärente Praxis bemüht. Sie beziehen vermehrt die Praxis anderer Vertragsorgane in ihre Entscheidungen ein und entwickeln vergleichbare Standards. 1. Rechtspflichten der Vertragsstaaten Abschließende Bemerkungen im Rahmen von Staatenberichtsverfahren enthalten unstreitig keine rechtlich bindenden Verpflichtungen für die Vertragsstaaten.42 Dasselbe gilt für General Comments beziehungsweise General Recommendations. Sie dienen aber als Indikatoren für den Umfang der Pflichten, welche die Vertragsorgane in zukünftigen Entscheidungen zugrunde legen werden. Auch für Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren sehen die Vertragstexte keine rechtliche Bindungswirkung vor. Die Auslegung der Vertragstexte und der Fakultativprotokolle ergibt, dass es von den Vertragsstaaten weder gewollt noch für die 41
CCPR, Judge v. Canada, 829/1998, 05. August 2003, § 10.3. G. Ulfstein, Individual Complaints, in: H. Keller/G. Ulfstein, UN Human Rights Treaty Bodies, 2012, 95. 42
II. Rechtliche Bedeutung der Praxis der Vertragsorgane
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Arbeit der einzelnen Vertragsorgane notwendig ist, dass deren Entscheidungen bindend sind. Allein aus der Kompetenz, staatliches Verhalten zu überprüfen und dabei Vertragsverletzungen festzustellen, ergibt sich nicht, dass das Ergebnis eines Individualbeschwerdeverfahrens eine bindende Entscheidung sein muss, an welche Rechtsfolgen geknüpft werden können.43 Der Menschenrechtsausschuss vertritt dagegen die Auffassung, dass seine Entscheidungen bindend seien. Begründet wird dies damit, dass die Entscheidungen ,wichtige Charakteristiken einer gerichtlichen Entscheidung‘ aufweisen, und dass die Vertragsstaaten nach Artikel 26 WVK zur Umsetzung des IPbpR verpflichtet seien.44 Als einzigem zur Interpretation des IPbpR ermächtigten Organ wird den Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses in Individualbeschwerden jedenfalls zugesprochen, deutliche Anzeichen für die rechtlichen Verpflichtungen nach dem Pakt darzustellen.45 Auf Grundlage des Selbstverständnisses des Menschenrechtsausschusses wird häufig argumentiert, dass auch den Entscheidungen der anderen Vertragsorgane ein über einen bloßen deklaratorischen Charakter hinausgehendes Gewicht zukommen müsse.46 Die Vertragsstaaten erklären mit der Ratifikation der Verträge beziehungsweise der Fakultativprotokolle für Individualbeschwerdeverfahren auch das jeweilige Vertragsorgan für zuständig, im Einzelfall zu bewerten, ob seitens des Staates eine Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung vorliegt. Auch der IGH hat im Rahmen der Auslegung von Rechten aus dem IPbpR befunden, dass er zwar nicht an die Auslegung des IPbpR durch den Menschenrechtsausschuss gebunden sei, den Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses aber jedenfalls ein großes Gewicht zukomme.47 In der Regel besitzen Entscheidungen der Vertragsorgane im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren in der nationalen Rechtsordnung des betroffenen Vertragsstaates keinen formalen rechtlichen Status, so dass die beschwerdeführenden
43
Ebenda, 94 ff. CCPR, General Comment No. 33 The Obligations of States Parties under the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, 2008, CCPR/C/GC/33, §§ 11, 13, 15. 45 S. Joseph/M. Castan, International Covenant on Civil and Political Rights, 3. Aufl. 2013, 1.61; D. Donoho, Georgia Journal of International and Comparative Law 2006 (25). 46 G. Monina, Art. 22 Individual Complaints Procedure, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, The United Nations Convention against Torture and its optional protocol, 2. Aufl. 2019, Rn. 164 ff. 47 International Court of Justice, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Merits, Judgment, I.C.J. Reports, 30. November 2010, 639, § 66. Eine jüngere Entscheidung des IGH betreffend die Auslegung des ICERD, legt nahe, dass der Gerichtshof diesen Maßstab auf alle VN-Vertragsorgane anwendet. International Court of Justice, Application of the International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination (Qatar v. United Arab Emirates), 04. Februar 2021, §§ 77, 101. 44
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
Personen die Entscheidungen nicht direkt im nationalen Recht durchsetzen können.48 Nimmt man an, dass Staaten eine völkerrechtliche Pflicht zur Umsetzung der Entscheidungen der Vertragsorgane haben, ist das Fehlen nationaler Verfahren zur Einhaltung unerheblich.49 Geht man aber mit der Mehrheit der Vertragsorgane, Vertragsstaaten und Literatur davon aus, dass die Praxis der Vertragsorgane in der Interpretation ihrer Menschenrechtsschutzverträge keine völkerrechtlichen Verpflichtungen schaffen kann, dann erschwert dies nationalen Gerichten und Behörden, die Praxis der Vertragsorgane zu beachten.50 Die Vertragsstaaten gehen daher mehrheitlich davon aus, dass eine Rechtspflicht zur Umsetzung der Entscheidungen nicht besteht, dass sie aber eine Pflicht zur Berücksichtigung der Entscheidung besitzen.51 Das bedeutet in der Regel, dass sie sich dazu verpflichtet sehen, innerstaatliche Verfahren erneut durchzuführen und unter Berücksichtigung der Entscheidung des Vertragsorgans neu zu evaluieren, ohne dass sie hierbei jedoch zwingend zur gleichen Rechtsauffassung gelangen müssen, wie das Vertragsorgan. Diese Rechtsauffassung gibt nationalen Gerichten die Möglichkeit, sich mit der Praxis der Vertragsorgane auseinanderzusetzen, ohne dass die Umsetzung der Entscheidungen der Vertragsorgane als bindend angesehen werden muss. Abgesehen von der Wirkung der Entscheidungen de jure hat die Praxis der Vertragsorgane jedenfalls potenziell hohe politische Strahlkraft.52 Da es für die Gewichtung der Entscheidung eines Vertragsorgans in wiederaufgenommenen nationalen Verfahren von entscheidender Bedeutung ist, ob und inwieweit die Staaten bereit sind, die Rechtsauffassung des Vertragsorgans bona fide zu berücksichtigen, kommt der Legitimität der Entscheidung des Vertragsorgans wesentliche Bedeutung zu. Entscheidend ist daher, dass jedes Vertragsorgan kohärent und konsequent handelt und keine sich widersprechenden oder gar unmöglichen
48 A. Nollkaemper/R. van Alebeek, The Legal Status of Decisions by Human Rights Treaty Bodies in National Law, in: H. Keller/G. Ulfstein, UN Human Rights Treaty Bodies, 2012, 381 f. Für Beispiele der nationalen Rechtsordnungen siehe International Law Association, Final Report on the Impact of Findings of the United Nations Human Rights Treaty Bodies, 2004, §§ 29 – 43. 49 Artikel 27 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK), 23. Mai 1969, in Kraft: 27. Januar 1980, United Nations, Treaty Series, 1155, S. 331. 50 A. Nollkaemper/R. van Alebeek, in: H. Keller/G. Ulfstein, 375. 51 Anders nur der Oberste spanische Gerichtshof, der aufgrund der rechtlichen Verpflichtung aus der FRK auch von einer Bindung an die Entscheidungen des Frauenrechtsausschusses ausgeht, Tribunal Supremo de España, 1263/2018, R. CASACION/1002/2017, 17. Juli 2018. 52 So hat etwa allein die Erhebung von Individualbeschwerden von Französinnen gegen die französische Gesetzgebung zur Weitergabe von Nachnamen an Kinder vor dem Frauenrechtsausschuss, obwohl die Individualbeschwerden unzulässig waren, dazu geführt, dass Frankreich sowohl seine Gesetzgebung geändert hat als auch seinen Vorbehalt zu Artikel 16 FRK zurückgezogen hat. Siehe C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 26.
II. Rechtliche Bedeutung der Praxis der Vertragsorgane
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Rechtspflichten aufstellt. Insofern verlangen die Vertragsstaaten auch explizit, dass die Vertragsorgane untereinander eine kohärente Praxis schaffen.53 2. Entwicklung völkergewohnheitsrechtlicher Standards a) Entstehung von Völkergewohnheitsrecht durch die Praxis der Vertragsorgane Die Entscheidungen und Erklärungen der VN-Vertragsorgane besitzen unstreitig jedenfalls mehr als rein deklaratorischen Charakter. Auch steht fest, dass die Praxis der Vertragsorgane in der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht eine Rolle spielt.54 Welche Rolle das ist, ist allerdings umstritten. Teilweise wird angenommen, dass die Praxis der Vertragsorgane aufgrund ihrer einzigartigen Stellung in Verbindung mit den Besonderheiten des internationalen Menschenrechtsschutzes eine gesonderte Interpretationsquelle sei,55 oder dass die Auslegung von Normen durch die Vertragsorgane erheblicher Teil der Entstehung internationalen Rechts sei.56 Andere argumentieren, die Praxis der Vertragsorgane in all ihren Formen stelle eine spätere Übung im Sinne des Artikel 31 Abs. 3 (b) WVK dar.57 Dem ist entgegenzuhalten, dass Artikel 31 Abs. 3 WVK eindeutig auf das Verhalten von Vertragsparteien, das heißt Staaten, gerichtet ist, und nicht die spätere Übung aller möglicher Akteure meint. Denkbar ist zwar, dass auch Internationale Organisationen spätere Übung im Sinne des Artikel 31 Abs. 3 (b) WVK ausüben, wenn ihr Handeln den Staaten zurechenbar ist.58 Bei den aus unabhängigen Experten bestehenden Vertragsorganen ist diese Zurechenbarkeit evident nicht gegeben.59 Dafür, dass die 53 CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, 17. Februar 2014, § 4.5; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, 25. Oktober 2014, § 6.2; CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, 02. März 2015, §§ 4.8, 6.2; CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, §§ 4.6, 6.6. 54 So beruft sich die ILC in ihren Draft articles on the expulsion of aliens durchgehend auf die Praxis der Vertragsorgane, International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens. 55 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 13 f.; J. Wouters/C. Ryngaert, Impact on the Process of the Formation of Customary International Law, in: M. T. Kamminga/M. Scheinin, The impact of human rights law on general international law, 2009, 128 f. 56 B. Simma, Commissions and Treaty Bodies of the UN System, in: R. Wolfrum, Developments of international law in treaty making, 2005, 582. 57 K. Mechlem, Treaty Bodies and the Interpretation of Human Rights, Vanderbuilt Journal of Transnational Law 42 (2009), 905 (920); K. McCall-Smith, in: J. d’Aspremont/S. Droubi, 3; International Law Association, Final Report on the Impact of Findings of the United Nations Human Rights Treaty Bodies, § 22. 58 Siehe auch International Law Commission, Draft Conclusions on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties with Commentaries, 2018, U.N. Doc. A/73/10, 16, Nr. 12. 59 O. Dörr, Article 31, in: O. Dörr/K. Schmalenbach, Vienna Convention on the Law of Treaties, 2. Aufl. 2018, Rn. 85 ff.
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
Praxis der Vertragsorgane nicht mit der Praxis von Staaten gleichzusetzen ist, spricht auch Artikel 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut. Hiernach sollen Gerichtsentscheidungen lediglich als subsidiäre Quellen zur Auslegung herangezogen werden.60 Entscheidungen der Vertragsorgane, die eindeutig ein geringeres rechtliches Gewicht haben als Gerichtsurteile, können folglich keine gewichtigere Rolle haben.61 b) Staatenpraxis Die Reaktionen der Vertragsstaaten auf die Praxis der Vertragsorgane können durchaus eine spätere Übung im Sinne des Artikel 31 Abs. 3 (b) WVK darstellen.62 Das gilt jedenfalls dann, wenn die Praxis der Vertragsorgane bei einzelnen Vertragsstaaten oder den Vertragsstaaten in ihrer Gesamtheit auf Zustimmung stößt und diese positiv oder unterstützend auf die Praxis der Vertragsorgane reagieren.63 Nicht ausreichend ist aber, dass die Vertragsstaaten den Vertragsorganen nicht widersprechen.64 Auch die Ablehnung der Rechtsauffassungen der Vertragsorgane kann eine spätere Übung der Vertragsstaaten darstellen.65 Die Verpflichtung zur erneuten Befassung und zur ernsthaften Auseinandersetzung mit den Empfehlungen des Vertragsorgans bietet für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht erhebliches Potenzial. Da fast alle Vertragsorgane sowohl in Staatenberichtsverfahren als auch in Individualbeschwerdeverfahren Follow-UpVerfahren vorsehen, müssen die Vertragsstaaten ihre eigene – möglicherweise abweichende – Rechtsauffassung deutlich zum Ausdruck bringen. Während nationalen Gerichten vorgeworfen wird, ihre Heranziehung der Praxis der Vertragsorgane erfolge beliebig und sei mithin nicht geeignet, Aussagen zur Staatenpraxis zu treffen,66 ist das Verhalten eines Vertragsstaates als Antwort auf die Abschließenden Bemerkungen im Staatenberichtsverfahren und auf Individualbeschwerdeentschei60 A. Pellet/D. Müller, Article 38, in: A. Zimmermann/C. Tams/K. Oellers-Frahm/C. Tomuschat, The statute of the international court of justice, 2019, Rn. 305 ff. 61 So auch P. Mathew, Constructive refoulement, in: S. S. Juss, Research handbook on international refugee law, 2019, 218. 62 Spiegelbildlich kann auch die Praxis der Vertragsorgane die Staatenpraxis abbilden, International Law Commission, Draft Conclusions on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties, Nr. 13 Abs. 3. Siehe auch International Law Commission, Draft conclusions on identification of customary international law with Commentaries, 2018, U.N. Doc. A/73/10, 122, Nr. 4, Kommentare (8), (9). 63 International Law Association, Final Report on the Impact of Findings of the United Nations Human Rights Treaty Bodies, § 21; O. Dörr, in: O. Dörr/K. Schmalenbach, Rn. 79. 64 International Law Commission, Draft Conclusions on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties, Nr. 13 Abs. 3. 65 K. McCall-Smith, in: J. d’Aspremont/S. Droubi, 18. 66 A. Nollkaemper/R. van Alebeek, in: H. Keller/G. Ulfstein, 402. Für Beispiele der Berücksichtigung der Praxis der Vertragsorgane durch nationale Gerichte siehe International Law Association, Final Report on the Impact of Findings of the United Nations Human Rights Treaty Bodies, §§ 47 – 109.
II. Rechtliche Bedeutung der Praxis der Vertragsorgane
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dungen ein solches, das die opinio iuris eines Vertragsstaates eindeutig zum Ausdruck bringt. Die weit überwiegende Anzahl der Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren wird im Ergebnis nicht von den Vertragsstaaten umgesetzt. Während sich die Vertragsstaaten überwiegend an einstweilige Maßnahmen der Vertragsorgane halten,67 stellen die Vertragsorgane nur etwa bei einem Viertel ihrer Entscheidungen eine zufriedenstellende Umsetzung der von ihnen verlangten Maßnahmen fest.68 Eine Besonderheit bei Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement ist, dass sich die allermeisten Individualbeschwerden gegen solche Staaten richten, die grundsätzlich eine hohe Kooperations- und Compliance-Bereitschaft haben. Diese Staaten ignorieren die Entscheidungen der Vertragsorgane nicht und lehnen diese auch nicht generell ab, sondern befassen sich detailliert mit den Ansichten der Vertragsorgane und geben, sofern sie die Rechtsauffassungen der Vertragsorgane nicht teilen, hierzu detaillierte Erklärungen ab. Auch durch diesen besonders aktiven Dialog eignet sich das Prinzip des Non-Refoulement, um Potenzial der Vertragsorgane aufzuzeigen, einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung des Völkerrechts und zur Festigung eines Rechtprinzips zu leisten.69 c) Aufgreifen durch andere internationale Akteure Neben dem direkten Dialog mit den Vertragsstaaten kann die Praxis der Vertragsorgane auch dadurch Einfluss gewinnen, dass sie von Dritten aufgegriffen wird. Während nationale Menschenrechtsinstitute und Nichtregierungsorganisationen Druck auf Staaten ausüben können und hierdurch die Staatenpraxis beeinflussen,70 ist das Aufgreifen der Praxis der Vertragsorgane durch internationale Gerichte und andere Internationale Organisationen von Bedeutung. Nicht nur der IGH misst der Praxis der VN-Vertragsorgane Bedeutung bei. Der EGMR verweist in seinen Entscheidungen besonders häufig auf die Praxis des Menschenrechtsausschusses und des Ausschusses gegen Folter,71 aber auch die Spruchpraxis anderer Vertragsorgane wie etwa des Kinderrechtsausschusses berücksichtigt der EGMR.72 Auch die Afrikanische Kommission der Menschenrechte 67
A. Nollkaemper/R. van Alebeek, in: H. Keller/G. Ulfstein, 373. K. Fox Principi, United Nations Individual Complaint Procedures – How Do States Comply? A Categorized Study Based on 268 Cases of „Satisfactory“ Implementation under the Follow-Up Procedure, mainly regarding the UN Human Rights Committee, Human Rights Law Journal 37 (2017), 1; K. Fox Principi, Implementation of decisions under treaty body complaints procedures – Do states comply? How do they do it? Januar 2017, Rn. 16. 69 So auch C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, Fn. 127; O. de Schutter, International Human Rights Law, 2019, 932. 70 K. McCall-Smith, in: J. d’Aspremont/S. Droubi, 32. 71 Für einen Überblick siehe International Law Association, Final Report on the Impact of Findings of the United Nations Human Rights Treaty Bodies, §§ 118 – 122. 72 Etwa EGMR, N. D. and N. T. v. Spain, 8675/15, 8697/15, § 68. 68
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
und der Rechte der Völker verweist in großem Umfang auf die Praxis der VNVertragsorgane.73 Insbesondere mit Blick auf das Prinzip des Non-Refoulement, aber auch auf andere Fragen des Umgangs mit ausländischen Staatsangehörigen, ist auch die Praxis des UNHCR zu erwähnen. Der UNHCR ist der Auffassung, dass wenn im Rahmen des universellen Menschenrechtsschutzes etabliert ist, dass das Prinzip des NonRefoulement auch vor Abweisungen an der Grenze schützt, sich für das flüchtlingsrechtliche Refoulementverbot nichts anderes ergeben kann.74 Für Fragen der besonderen Bedürfnisse flüchtender und geflüchteter Kinder stützt sich der UNHCR umfassend auf die Praxis des Kinderrechtsausschusses.75 Außerdem beteiligt sich der UNHCR auch aktiv an den Verfahren der Vertragsorgane, insbesondere im Rahmen der Staatenberichtsverfahren und bei Entstehung von General Comments beziehungsweise General Recommendations.76
III. Das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen 1. Die VN-Vertragsorgane als Menschenrechtsschutzsystem Die Menschenrechtsschutzverträge sind in Abhängigkeit voneinander entworfen worden. Während IPbpR und IPwskR zeitgleich verfasst wurden und einander ergänzen sollten, wurde die Rassendiskriminierungskonvention parallel und auf Grundlage des Entwurfs zum IPbpR entwickelt.77 Auch die Interdependenz der Vertragsorgane war so vorgegeben. Der IPwskR sah ursprünglich gar nicht die Einrichtung eines eigenen Vertragsorgans vor. Bei Entstehung der AFK sollte zunächst der Menschenrechtsausschuss mit deren Überwachung betreut werden. Schließlich wurde der Ausschuss gegen Folter nach dem Modell des Menschenrechtsausschusses eingerichtet.78 Auch bei der Entwicklung der Verfahrensarten zur Überwachung der Menschenrechtsschutzverträge ist die Abhängigkeit von anderen 73 Für einen Überblick siehe International Law Association, Final Report on the Impact of Findings of the United Nations Human Rights Treaty Bodies, §§ 129 – 137. 74 L. Skoglund, UN High Commissioner for Refugees, Advisory Opinion on the Extraterritorial Application of Non-Refoulement Obligations under the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, § 43. 75 L. Skoglund, UN High Commissioner for Refugees, Guidelines on International Protection No. 8 Child Asylum Claims under Articles 1(A)2 and 1(F) of the 1951 Convention and/ or 1967 Protocol relating to the Status of Refugees, 22. September 2009, HCR/GIP/09/08. 76 A. Edwards, in: J. C. Simeon, 165. 77 N. Rodley, in: D. Shelton, 622. 78 J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 1988, 81; F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 36.
III. Das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem der VN
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Vertragsorganen eindeutig. Für alle Individualbeschwerdeverfahren war das erste Fakultativprotokoll des IPbpR Vorbild.79 Bereits in ihrer frühen Praxis haben sich die Vertragsorgane aufeinander bezogen und zur Bestimmung von Rechtsbegriffen aufeinander verwiesen. So enthält bereits der General Comment Nr. 18 des Menschenrechtsausschusses zum Diskriminierungsverbot aus dem Jahr 1989 den Hinweis, dass der Begriff der Diskriminierung zwar nicht im IPbpR definiert sei, sich seine Bedeutung aber aus dem Heranziehen von Frauenrechtskonvention und Rassendiskriminierungskonvention ergebe.80 Auch die Vertragstexte der jüngeren Menschenrechtsschutzverträge lassen eindeutig erkennen, dass eine kohärente Praxis der Vertragsorgane nicht nur von den progressivsten Menschenrechtsschützern oder von den Vertragsorganen selbst gewollt ist. Die Vertragsstaaten haben unmissverständlich in den Konventionen festgehalten, dass eine Orientierung des Ausschusses über das Verschwindenlassen und des Behindertenrechtsausschusses an der bereits bestehenden Praxis der anderen Vertragsorgane erwünscht ist, um so eine inkonsistente Rechtsprechung zu vermeiden.81 Der die Einhaltung der KRK überwachende Kinderrechtsausschuss betrachtet alle internationalen Menschenrechtsschutzmechanismen als funktional miteinander verbunden. Er sieht sich infolgedessen befugt, in umfassender Form Menschenrechtsverpflichtungen der Staaten in Bezug auf Kinder zu bewerten, auch wenn diese nicht explizit in der KRK kodifiziert sind.82 Ähnliche Argumentationsstrukturen finden sich in der Praxis des Frauenrechtsausschusses zu implizit in der Frauenrechtskonvention enthaltenen Rechten.83 Auch der Menschenrechtsausschuss ist der Ansicht, dass er bei der Überprüfung der Einhaltung der Pflichten der Vertragsstaaten aus dem IPbpR auch andere internationale Verpflichtungen des Vertragsstaates in Betracht ziehen kann.84 79
N. Rodley, in: D. Shelton, 634. CCPR, General Comment No. 18 Non-Discrimination, 1989, CCPR/GEC/6622, § 6. 81 Artikel 28 ICPPED; Artikel 38 BRK. 82 D. Weissbrodt/J. C. Hansen/N. H. Nesbitt, The Role of the Committee on the Rights of the Child in Interpreting and Developing International Humanitarian Law, Harvard Human Rights Journal 24 (2011), 115 – 153 (119). Siehe etwa CRC, General Comment No. 4 Adolescent health and development in the context of the Convention on the Rights of the Child, 01. Juli 2003, CRC/GC/2003/4, § 4, Fn. 1. 83 CEDAW, General Recommendation No. 28 on the core obligations of States parties under article 2 of the Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, 16. Dezember 2010, CEDAW/C/GC/28, § 7. 84 Erstmals hat der Menschenrechtsausschuss im Jahr 1994 zur Auslegung des Artikel 7 IpbpR die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) herangezogen, CCPR, Mukong v. Cameroon, 458/1991, 21. Juli 1994. Bei der Beurteilung, welche vertraglichen Pflichten nach Artikel 4 IPbpR derogierbar sind, zieht der Menschenrechtsausschuss ebenfalls andere rechtliche Pflichten des Vertragsstaates heran, CCPR, General Comment No. 29 States of Emercengy (Article 4), 31. August 2001, CCPR/C/21/Rev.1/Add.11, § 10. In jüngster Zeit hat der Ausschuss die Pflichten der Vertragsstaaten aus Artikel 6 IPbpR unter Inbezugnahme seerechtlicher Verpflichtungen aus80
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
Für die Betrachtung der VN-Vertragsorgane als interdependentes Menschenrechtsschutzsystem spricht auch die Rolle des Sekretariats des Hohen Kommissars für Menschenrechte. Dies ergibt sich schon aus der Gesamtzuständigkeit des OHCHR-Sekretariats für alle Vertragsorgane. Das Sekretariat übernimmt wesentliche administrative Aufgaben und ist darüber hinaus für die Koordination und den Wissensaustausch der Vertragsorgane untereinander von enormer Bedeutung.85 2. Fortentwicklung des Systems Da die Vertragsorgane nicht originär als interdependentes Menschenrechtsschutzsystem angelegt waren, weist das System einige Schwachstellen auf, die in ständigen Reformprozessen behandelt werden. Die Reformprozesse werden dabei in der Regel von der VN-Generalversammlung angestoßen.86 Viele der Vorschläge werden nicht umgesetzt. So taucht zum Beispiel die Idee eines einzigen ständigen Vertragsorgans für alle VN-Menschenrechtsschutzorgane seit dem Jahr 2005 wiederkehrend auf.87 Auch die Einrichtung eines Weltgerichtshofs für Menschenrechte wird immer wieder diskutiert.88 Ursprüngliches Ziel der ersten Reformvorschläge war, Prozesse zu vereinfachen und übersichtlicher zu gestalten, damit die Vertragsstaaten ihre Pflichten verstehen und entsprechend einhalten können und die einzelnen Vertragsorgane effizienter und systematischer arbeiten können. Diese Reformen haben aber zugleich zu einer Angleichung der Prozesse innerhalb der Vertragsorgane geführt und die Kooperation und Koordination unter den Vertragsorganen so gefördert, dass diese in der Lage waren, ein interdependentes Menschenrechtsschutzsystem zu errichten. Seit 1995 finden jährlich Treffen der Vorsitzenden der Vertragsorgane statt mit dem Ziel, die aktuelle Praxis der Vertragsorgane zu besprechen und die Effektivität des Systems zu verbessern.89 Hierzu gehören auch informelle Treffen mit Vertragsstaaten, Organen der Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen. gelegt, CCPR, A. S., D. I., O. I. and G. D. v. Malta, 3043/2017, 13. März 2020; CCPR, A. S., D. I., O. I. and G. D. v. Italy, 3042/2017, 04. November 2020. 85 Siehe oben Kapitel C. I. 4. 86 Für einen Überblick über die vergangenen und geplanten Reformprozesse siehe OHCHR, Treaty Body Strengthening, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRTD/Pages/TBStrengthe ning.aspx. 87 UN General Assembly, In larger freedom: towards development, security and human rights for all Letter dated 26 May 2005 from the Secretary-General to the President of the General Assembly, 26. Mai 2005, A/59/2005/Add.3, § 99. 88 J. Kozma/M. Nowak/M. Scheinin, A world court of human rights – consolidated statute and commentary, 2010. Gegen einen solchen Gerichtshof etwa P. Alston, Against a World Court for Human Rights, Ethics & International Affairs 28 (2014), 197. 89 UN General Assembly, Effective implementation of international instruments on human rights, including reporting obligations under international instruments on human rights, 02. März 1991, A/RES/49/178.
III. Das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem der VN
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Während die Vertragsorgane in der Vergangenheit oft Reformen abgelehnt haben, die eine Abgabe ihrer individuellen Überprüfungskompetenzen bedeuten würden, lässt sich in den vergangenen Jahren deutlich eine Bereitschaft zur Kooperation und Harmonisierung von Prozessen erkennen. Auch der gegenseitige Einfluss der Vertragsorgane auf ihre Praxis ist transparenter geworden.90 Einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Vertragsorgane als System leisten diese auch durch vermehrtes gegenseitiges Zitieren. Gerade weil die Entscheidungen der Vertragsorgane nur bedingt mit Gerichtsentscheidungen vergleichbar sind und ihnen ein Durchsetzungsmechanismus fehlt, ist die äußere Wahrnehmung einer Entscheidung ein wichtiges Element bei der Frage, inwieweit die Vertragsorgane tatsächlich Schutz bieten können. Die Auseinandersetzung eines Vertragsorgans mit der Praxis der anderen Vertragsorgane ist also ebenso wie die nationale Diskussion einer Entscheidung essentiell für den Rechtsschutz, den diese Entscheidung bieten kann.91 Zum einen verweisen die Vertragsorgane im Rahmen von Staatenberichtsverfahren häufig auf andere Staatenberichte um zu betonen, dass Themen auch bei anderen Vertragsorganen relevant sind. Ohne hierbei auf Rechtsauffassungen zu verweisen, erhöhen sie allein durch den wiederholten Hinweis den Druck auf die Vertragsstaaten. Häufig wird auch nur erwähnt, dass Fragen zu bestimmten Menschenrechten bereits kürzlich von einem anderen VN-Vertragsorgan in dessen Staatenberichtsverfahren gestellt wurden. Diese Praxis stärkt das Selbstverständnis der VN-Vertragsorgane als komplexes Menschenrechtsschutzsystem, indem die Abhängigkeit der Vertragsorgane und der Vertragstexte voneinander betont wird. Auch wenn die Vertragsorgane die Rechtsauffassungen eines anderen Organs teilen, zitieren sie diese und festigen so die Praxis des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems.92 Über bloße Hinweise auf die Praxis anderer Vertragsorgane hinaus ist die gemeinschaftliche Arbeit einiger Vertragsorgane hervorzuheben. Hierbei schließen sich meist zwei Vertragsorgane zusammen, um zu konventionsübergreifenden Themenkomplexen gemeinsame Stellungnahmen zu veröffentlichen oder auch ge-
90 N. Reiners, Die Interpretation von Menschenrechtsnormen durch die Vertragsausschüsse der Vereinten Nationen, Menschenrechtsmagazin 23 (2018), 5 (11). 91 J. Harrington, The Absent Dialogue: Extradition and the International Covenant on Civil and Political Rights, Queen’s Law Journal 32 (2006), 82 (134). 92 So hat etwa der Rassendiskriminierungsausschuss im Staatenberichtsverfahren zu Australien darauf verwiesen, dass zuvor der Menschenrechtsausschuss und der WSK-Ausschuss der Ansicht gewesen waren, dass Australien effektive Kontrolle über die Geschehnisse auf Inseln vor seiner Küste ausübe und sich mithin auch der Rassendiskriminierungsausschuss ratione loci befugt sehe, zur Behandlung von Menschen auf diesen Inseln Fragen zu stellen, CERD, Concluding observations on the eighteenth to twentieth periodic reports of Australia, 26. Dezember 2017, CERD/C/AUS/CO/18 – 20, § 30.
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
meinsame General Comments beziehungsweise General Recommendations zu erarbeiten.93 Schließlich wird das vertragsbasierte VN-Menschenrechtsschutzsystem auch durch Kooperationen mit regionalen Menschenrechtsschutzmechanismen gestärkt. Das geschieht zum einen durch regelmäßigen informellen Austausch mit diesen,94 zum anderen dadurch, dass die Vertragsorgane den Vertragsstaaten die Kooperation mit regionalen Mechanismen nahelegen.95 Trotz dieser zahlreichen informellen Bemühungen der Vertragsorgane ist das System nach wie vor teilweise ineffektiv. Die Praxis der Vertragsorgane, insbesondere der jüngeren Organe, findet kaum öffentliche Beachtung. Viele Vertragsorgane weisen einen enormen Arbeitsrückstand auf. Oft wird bemängelt, eine zu geringe finanzielle Ausstattung des Hohen Kommissars für Menschenrechte erschwere die effektive und öffentlichkeitswirksame Arbeit der Vertragsorgane.96 3. Das Potenzial des Menschenrechtsschutzsystems Die Betrachtung der VN-Menschenrechtsschutzverträge und ihrer Vertragsorgane als Menschenrechtsschutzsystem stellt sich auch der Kritik der Fragmentierung des Menschenrechtsschutzes entgegen. In einem fragmentierten Menschenrechtsschutz sehen sich sowohl Rechtsträger:innen als auch Vertragsstaaten gleichzeitig mit einer Vielzahl von überlappenden, sich im Einzelnen möglicherweise widersprechenden Normen konfrontiert. Das bietet Staaten die Möglichkeit, Menschenrechte nur im geringstmöglichen Umfang anzuerkennen. Selbst wohlwollende Staaten können im Falle sich widersprechender Normen keinen optimalen Rechts-
93
Im Rahmen des Prinzips des Non-Refoulement sind hier insbesondere von Interesse: CEDAW/CRC, Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child on harmful practices, 14. November 2014, CEDAW/C/GC/31-CRC/C/GC/18; CMW/ CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child on the general principles regarding the human rights of children in the context of international migration, 16. November 2017, CMW/C/GC/3-CRC/C/GC/22; CMW/ CRC, Joint General Comment No. 4 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 23 (2017) of the Committee on the Rights of the Child on State obligations regarding the human rights of children in the context of international migration in countries of origin, transit, destination and return, 16. November 2017, CMW/C/GC/4-CRC/C/GC/23. 94 Für einen Überblick über solche Treffen siehe etwa C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 41 f. 95 Etwa CAT, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of Poland, 23. Dezember 2013, CAT/C/POL/CO/5 – 6, § 10. 96 C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 33.
IV. Fazit
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schutz gewährleisten.97 Durch eine Vielzahl unterschiedlicher Organe, die zur Interpretation dieser Normen berufen sind, kann ein negativer Effekt für den Menschenrechtsschutz noch verstärkt werden. Wenn dagegen die Vertragsorgane nicht nur jeweils für sich konsequent, sondern als System in koordinierter, in sich stimmiger Weise arbeiten und Kooperation nicht nur dafür genutzt wird, Rechtsschutz interpretativ zu erweitern, sondern vor allem, Standards in einem integrierten Ganzen zu festigen, dann hat das vermeintlich fragmentierte VN-Menschenrechtsschutzsystem das Potenzial, einen spezialisierten und integrierten Rechtsschutz zu leisten.98 Oft werden insbesondere im Rahmen von Staatenberichtsverfahren problematische Menschenrechtssituationen wiederholt aufgegriffen. Hierbei handelt es sich aber keineswegs um eine bloße Duplikation von Kritik. Vielmehr können die spezialisierten Vertragsorgane aus ihren unterschiedlichen Blickwinkeln dasselbe Problem, zum Beispiel ein diskriminierendes Gesetz, betrachten, präzise kritisieren und hierbei den Druck auf den Staat erhöhen.99 Die Entwicklung der Vertragsorgane zu einem Menschenrechtsschutzsystem ist aber nicht nur für den materiellen Rechtsschutz relevant, sondern auch zur Etablierung prozessualer Standards und zur Steigerung der Legitimität der Praxis der Vertragsorgane.
IV. Fazit Die Vertragsorgane der Menschenrechtsschutzverträge der Vereinten Nationen haben sich zu einem Menschenrechtsschutzsystem entwickelt. Interessante Entwicklungen durch die vermehrte Koordination der Vertragsorgane lassen sich in vielen Bereichen feststellen, im materiellen Rechtsschutz wie auch in prozessualen Fragen und auch institutionell. Die Vertragsorgane können durch Zusammenarbeit und durch den Ausbau von Interdependenzen Transparenz schaffen und dabei zu einer gesteigerten Akzeptanz ihrer Praxis beitragen. Das Selbstverständnis der Vertragsorgane als System leistet einen wesentlichen Beitrag zur Defragmentierung der internationalen Ordnung.
97 E. Brems, Smart Human Rights Integration, in: E. Brems/S. Ouald-Chaib, Fragmentation and Integration in Human Rights Law, 2018, 168. 98 S. Ouald-Chaib, Introduction, in: E. Brems/S. Ouald-Chaib, Fragmentation and Integration in Human Rights Law, 2018, 3, 11; B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (357). 99 S. McCosker, Duplication and Divergence in the Work of the UN Human Rights Treaty Bodies, Remarks by Sarah McCosker, Proceedings of the Annual Meeting (American Society of International Law) 105 (2011), 509 (510); I. Salama, Proceedings of the Annual Meeting (American Society of International Law) 2011 (515).
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C. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
Das Potenzial des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen zeigt sich besonders eindrücklich am Beispiel des Prinzips des Non-Refoulement. Abgesehen davon, dass das Prinzip des Non-Refoulement vor allen Vertragsorganen meistbehandelter Fallgegenstand ist und damit die quantitativ beste Möglichkeit zum Vergleich der Arbeit der Vertragsorgane bietet, kann der Vergleich der Umgangsweise mit diesem Prinzip eine Vielzahl von Schnittstellen aufzeigen. Das Prinzip des Non-Refoulement schützt vor schweren Menschenrechtsverletzungen. Welche Menschenrechte hierunter fallen, wird von den Vertragsorganen unterschiedlich bewertet, wodurch die Vertragsorgane Gelegenheit haben, zu einer Vielzahl von materiellen Menschenrechten eine gemeinsame und differenzierte Praxis zu entwickeln. Wenn eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bereits vollzogen wurde und die betroffene Person gegen ihre Aufenthaltsbeendigung nachträglich vorgeht, stellt sich zudem die Frage der Wiedergutmachung. Wenn eine Aufenthaltsbeendigung gegen das Prinzip des Non-Refoulement verstößt, ist dies ein völkerrechtswidriges Handeln im Sinne der Draft articles der ILC über die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln.100 Hieraus kann sich etwa ergeben, dass der Staat die betroffene Person in sein Staatsgebiet zurückholen muss. Wenn dies nicht möglich ist, ist auch denkbar, dass der ehemalige Aufenthaltsstaat sich des Wohlergehens der betroffenen Person versichern muss.101 Das bedeutet in der Praxis, dass der ursprüngliche Aufenthaltsstaat dauerhaft dazu verpflichtet wird, durch diplomatische Bemühungen mit dem aktuellen Aufenthaltsstaat sicher zu stellen, dass sich das von der Person befürchtete Risiko, etwa der Folter, nicht verwirklicht. Auch hierbei sind die VN-Vertragsorgane in besonderer Weise geeignet, Rechtsschutz zu bieten. Anders als die regionalen Menschenrechtsschutzgerichte stehen den VN-Vertragsorganen neben der Bearbeitung von Individualbeschwerdeverfahren vielfältige andere Verfahrensarten zur Überwachung der Einhaltung der Verträge durch die Vertragsstaaten zur Verfügung. Diese sind von unterschiedlicher Schärfe und Flexibilität. Dadurch können die Vertragsorgane dauerhaft mit den Vertragsstaaten in Kontakt stehen und so den individuellen Rechtsschutz sichern. Zudem haben die VN-Vertragsorgane den Vorteil, dass sie auch auf die Zielstaaten einwirken können. Während etwa der EGMR bei einer drohenden Aufenthaltsbeendigung von Frankreich nach Argentinien die Menschenrechtslage in Argentinien nur auf Grundlage externer Quellen beurteilen kann, sind beide Staaten Vertragsparteien aller Verträge des VN-Menschenrechtsschutzsystems.
100 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 30, Kommentar (1). 101 C. Droege, International Review of the Red Cross 2008 (698 f.).
D. Das Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der Vereinten Nationen Dieses Kapitel vereint die Erkenntnisse aus den beiden vorangegangenen Kapiteln. Während bisher in Kapitel B. eine allgemeine Skizzierung des völkerrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement erfolgt ist, steht hier speziell die Befassung der einzelnen VN-Vertragsorgane mit dem Prinzip des Non-Refoulement im Vordergrund. Es erfolgt dazu eine getrennte Betrachtung der einzelnen Menschenrechtsschutzverträge und ihrer jeweiligen Vertragsorgane, so dass zum einen der jeweils vertraglich gewährleistete Schutz vor Refoulement und zum anderen Besonderheiten in der Praxis der jeweiligen Vertragsorgane beleuchtet werden können. Berücksichtigt wird die Praxis der VN-Vertragsorgane bis Ende 2020. Dieses Kapitel gliedert sich in neun Unterkapitel, die sich jeweils mit dem Prinzip des Non-Refoulement in einem der Menschenrechtsschutzverträge und der Praxis des zugehörigen Vertragsorgans befassen. Die Darstellung erfolgt hierbei chronologisch nach der Anerkennung des Schutzes vor Refoulement durch das jeweilige Vertragsorgan beziehungsweise den Vertragstext, beginnend mit dem Ausschuss der Antifolterkonvention (Ausschuss gegen Folter). Im Rahmen dieser Darstellung werden auch bereits Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vertraglichen Grundlagen und der Praxis der Vertragsorgane, insbesondere auch Bezugnahmen aufeinander und Abweichungen voneinander, aufgezeigt. Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über die Praxis der einzelnen VNVertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement zu geben, der wiederum Rückschlüsse auf die Forschungsfrage zulässt: Welchen Inhalt und Umfang das Prinzip des Non-Refoulement nach den Vorgaben des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen hat. Die Untersuchung wird auch Aufschluss darüber geben, ob und inwieweit das vertragsbasierte VN-Menschenrechtsschutzsystem sein Potenzial zur Weiterentwicklung, Präzisierung und Festigung von Rechtsbegriffen und damit zur Schaffung von Rechtssicherheit nutzt.
I. Ausschuss gegen Folter Der erste der VN-Menschenrechtsschutzverträge, in dem das Prinzip des NonRefoulement ausdrücklich verankert wurde, ist die AFK. Zwar sind andere VNMenschenrechtsschutzverträge älter als die AFK; diese ist allerdings einer von zwei Menschenrechtsschutzverträgen, die ein explizites Refoulementverbot enthalten. Damit ist die Praxis des die Einhaltung der AFK überwachenden Ausschusses gegen
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Folter zum Prinzip den Non-Refoulement die Älteste unter den VN-Vertragsorganen, da der Ausschuss das Prinzip des Non-Refoulement nach Artikel 3 AFK seit Inkrafttreten der Konvention 1987 interpretiert. Das Vorbild für die Entstehung des Vertragstextes der AFK, die Declaration on the Protection of all Persons from Being Subjected to Torture or Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment der VN-Generalversammlung aus dem Jahr 1975,1 enthielt kein Refoulementverbot. Dieses findet sich erstmals in dem 1978 von Schweden eingebrachten Entwurf zur Antifolterkonvention.2 Dieser Vorschlag beruht darauf, dass sich in jener Zeit vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte die Rügen von Artikel 3 EMRK wegen Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement mehrten.3 Diese Reaktion ist interessant, da Artikel 3 EMRK kein explizites Refoulementverbot enthält, sondern lediglich ein Verbot der Folter und anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Dagegen normiert Artikel 3 AFK nunmehr zwar explizit ein Verbot der Ausweisung, Abschiebung und Auslieferung – kurz der Aufenthaltsbeendigung jeder Art. Dieses gilt allerdings nur dann, wenn im Zielstaat Folter droht. Sein Anwendungsbereich ist damit dem Wortlaut nach deutlich enger als jener der EMRK. Auch Artikel 33 GFK war Vorbild bei der Entstehung von Artikel 3 AFK. So wurde explizit der Begriff ,refouler‘ verwendet, um hiermit auf Inhalt und Reichweite des Artikel 33 Abs. 1 GFK zu verweisen. Zwar entstand Artikel 3 AFK als Reaktion auf die wachsenden Fallzahlen der Europäischen Kommission für Menschenrechte zum Prinzip des Non-Refoulement. Der Text des Artikel 3 AFK ist aber keineswegs der EMRK nachempfunden. Anders als die EMRK, die Rechte von Individuen formuliert und bei der sich aus Artikel 1 die staatliche Pflicht zur Gewährung dieser Individualrechte ergibt, formuliert die Antifolterkonvention ausschließlich staatliche Pflichten. Der Fokus auf staatliche Pflichten gibt dem Ausschuss gegen Folter einen weiten Spielraum bei der Bestimmung von Individualrechten, die sich aus diesen staatlichen Pflichten ableiten lassen. Dies erklärt etwa auch, warum der Ausschuss gegen Folter anders als andere VN-Vertragsorgane ein Individualrecht auf Erhebung einer Individualbeschwerde aus Artikel 22 AFK ableitet.4 Erwartungsgemäß befasst sich der Ausschuss gegen Folter sehr umfangreich mit dem Prinzip des Non-Refoulement. Zum Beispiel entschied der Ausschuss in den Jahren 2017 bis 2019 insgesamt 181 Individualbeschwerden (einschließlich Ent1 UN General Assembly, Declaration on the Protection of All Persons from Being Subjected to Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, 09. Dezember 1975, U.N. Doc. A/RES/3452(XXX). 2 ECOSOC, Letter dated 18 January 1978 from the Permanent Mission of Sweden to the United Nations Office at Geneva addressed to the Division of Human Rights, 23. Januar 1978, U.N. Doc. E/Cn.4/1285, Art. 4. 3 J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 35. 4 Siehe unten Kapitel D. I. 2. a).
I. Ausschuss gegen Folter
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scheidungen zur Verfahrenseinstellung). Hiervon hatten 159 Beschwerden das Prinzip des Non-Refoulement zum Gegenstand. Das Refoulementverbot nach der AFK besteht zwar ausdrücklich seit Inkrafttreten der Konvention 1987. Die Praxis des Ausschusses gegen Folter zum Refoulementverbot im Rahmen von Individualbeschwerden ist dagegen jünger. Die erste Individualbeschwerde zu Artikel 3 AFK entschied der Ausschuss gegen Folter erst im Jahr 19945 und damit nachdem der Menschenrechtsausschuss erstmals einen Schutz vor Refoulement im Rahmen des IPbpR anerkannt hatte.6 Neben den zahlreichen Entscheidungen zu Individualbeschwerden und der zentralen Rolle von Artikel 3 AFK im Rahmen von Staatenberichtsverfahren hat der Ausschuss mit seinem General Comment Nr. 4 im Jahr 2018 bereits die zweite allgemeine Bemerkung zum Umgang mit Fragen des Prinzips des Non-Refoulement im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren verabschiedet.7 Damit befassen sich also die Hälfte der bisher vom Ausschuss gegen Folter verabschiedeten General Comments mit dem Prinzip des Non-Refoulement. Die Praxis des Ausschusses gegen Folter ist aber nicht nur in ihrer Masse umfangreich. Der Ausschuss hat sowohl prozessual als auch materiell differenzierte Standards zum Refoulementverbot nach Artikel 3 Abs. 1 AFK entwickelt. 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach Artikel 22 AFK Nicht alle Individuen aus den 171 Vertragsstaaten der AFK können Individualbeschwerden vor dem Ausschuss gegen Folter erheben. Gemäß Artikel 22 Abs. 1 AFK müssen Staaten eine Erklärung abgeben, mit der sie die Zuständigkeit des Ausschusses zur Entgegennahme und Prüfung von Mitteilungen einzelner Personen oder im Namen einzelner Personen anerkennen. Nur 66 der Vertragsstaaten der AFK haben eine solche Erklärung bislang abgegeben.8 Wer im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens nach Artikel 22 AFK gegen einen Vertragsstaat vorgehen möchte, richtet sich hierfür zunächst an das Sekretariat des OHCHR. Dieses bereitet auch die ersten Entwürfe für die späteren Entscheidungen vor. Die prozessualen Regeln für die Annahme von Beschwerden durch das Sekretariat nach Regeln Nr. 103, 104 Abs. 2 der Verfahrensregeln des Ausschusses gegen Folter sind dieselben wie für die Zulässigkeit eines Verfahrens nach Arti5
CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, 27. April 1994. Siehe unten Kapitel D. II. 7 CAT, General Comment No. 4. Siehe zuvor bereits CAT, General Comment No. 1 The implementation of article 3 of the Convention in the context of article 22, 1997, U.N. Doc. A/53/ 44, S. 52. 8 Stand November 2021, abrufbar unter https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBody External/Treaty.aspx?Treaty=CAT&Lang=en. 6
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
kel 22 AFK, werden aber in dieser Vorstufe weniger streng angewandt.9 Nachdem das Sekretariat des OHCHR die Beschwerde bearbeitet hat, wird diese nicht sofort dem Ausschuss im Plenum vorgelegt. Der Ausschuss gegen Folter hat hierfür ein Ausschussmitglied als Sonderberichterstatter für neue Individualbeschwerden und einstweilige Maßnahmen bestimmt.10 Dieser kann Beschwerden für den Ausschuss gegen Folter registrieren, weitere Informationen von beschwerdeführenden Personen einholen und Entscheidungen über einstweilige Maßnahmen treffen.11 Keine gewichtige Rolle spielt vor dem Ausschuss gegen Folter im Rahmen von Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement die Substantiierung der Beschwerde durch die beschwerdeführende Person. Während andere VN-Vertragsorgane ihren Prüfungsschwerpunkt von Individualbeschwerden schon im Rahmen der Zulässigkeit durch hohe Anforderungen auf die hinreichende Substantiierung der Beschwerde legen,12 setzt sich der Ausschuss gegen Folter nur in Extremfällen mit der Substantiierung einer Beschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement auseinander.13 Wenn argumentieren, die Beschwerde sei unzureichend substantiiert, dann tragen sie nach Ansicht des Ausschusses die Beweislast hierfür.14 Allgemein setzt sich der Ausschuss gegen Folter im Vergleich zu anderen Vertragsorganen nur selten detailliert mit Fragen der Zulässigkeit von Individualbeschwerden auseinander. In aller Regel stellt der Ausschuss lediglich die Zulässigkeit der Beschwerde fest, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. a) Zuständigkeit des Ausschusses gegen Folter aa) Territoriale Zuständigkeit Der Ausschuss gegen Folter kann – sofern sich die Vertragsstaaten dem Individualbeschwerdeverfahren unterworfen haben – gemäß Artikel 22 Abs. 1 AFK Beschwerden einzelner Personen, die der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates unterstehen, annehmen und prüfen, wenn diese Personen geltend machen, Opfer einer Verletzung der AFK durch einen Vertragsstaat zu sein. Gemäß Artikel 2 Abs. 1 AFK erstrecken sich die staatlichen Pflichten aus der AFK nicht nur auf den Schutz von Personen auf dem Territorium des Staates, sondern darüber hinaus auch auf alle sonstigen Personen, die der Hoheitsgewalt des be9 M. Nowak/E. McArthur, The United Nations Convention Against Torture: A Commentary, 2008, 732, 745. 10 Zu dessen Mandat siehe CAT, Annual Report 2001/2002, 01 November 2002, A/57/44, §§ 203, 204, Annex VIII. 11 CAT, Rules of Procedure, Regeln Nr. 104, 105, 114. 12 Dies ist etwa in der Praxis des Frauenrechtsausschusses der Fall, siehe unten Kapitel D. VI. 13 CAT, H. S. V. v. Sweden, 229/2003, 12. Mai 2004, § 8.3; CAT, K. A. v. Sweden, 308/2006, 16. November 2007, §§ 7.2 ff.; CAT, S. S. v. Canada, 715/2015, 28. November 2017, §§ 6.5 ff. 14 CAT, M. S. v. Australia, 154/2000, 23. November 2001, § 6.2.
I. Ausschuss gegen Folter
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treffenden Staates unterstehen. Nach seinem Selbstverständnis ist der Ausschuss gegen Folter daher ratione loci sowohl zuständig für Beschwerden gegen Handlungen eines Staates auf dessen Staatsgebiet als auch auf Gebieten außerhalb des staatlichen Territoriums, wenn der Vertragsstaat tatsächliche oder effektive Kontrolle über dieses Gebiet ausübt: „Article 2, paragraph 1, requires that each State party shall take effective measures to prevent acts of torture not only in its sovereign territory but also ,in any territory under its jurisdiction.‘ The Committee has recognized that ,any territory‘ includes all areas where the State party exercises, directly or indirectly, in whole or in part, de jure or de facto effective control, in accordance with international law.“15
Eine solche effektive Kontrolle kann etwa durch das Militär eines Staates ausgeübt werden, egal, wo sich dieses Militär befindet.16 Dieses weite territoriale Verständnis gilt auch uneingeschränkt für das Refoulementverbot aus Artikel 3 Abs. 1 AFK. Menschen, die außerhalb des Territoriums eines Staates von diesem Staat festgehalten werden, unterliegen also demselben Schutz vor Refoulement wie Menschen, die von einem Staatsgebiet aus in ein anderes Staatsgebiet gebracht werden sollen.17 Dasselbe gilt für Menschen, die auf Hoher See von einem Vertragsstaat gerettet wurden, nachdem sie sich auf dem Rettungsschiff des Staates befinden.18 Der Maßstab der effektiven Kontrolle hat auch Auswirkungen auf den Begriff der Aufenthaltsbeendigung. So ist der Ausschuss gegen Folter der Auffassung, dass Abweisungen an der Grenze sowie Zurückweisungen auf See vom Begriff der Aufenthaltsbeendigung nach Artikel 3 Abs. 1 AFK erfasst sind.19 Darüber hinaus hat der Ausschuss gegen Folter eine Verletzung von Artikel 3 AFK im Rahmen eines Individualbeschwerdeverfahrens festgestellt, in dem marokkanische Behörden die beschwerdeführenden Personen in der Wüste an der Grenze zu Algerien ausgesetzt und mit dem Tode bedroht hatten für den Fall, dass sie nach Marokko zurückkehren. Obwohl in diesem Fall also erst die beschwerdeführenden Personen selbst die Grenze zu Algerien überschritten haben, hat der Ausschuss den Vollzug einer Aufent15 CAT, General Comment No. 2 Implementation of article 2 by States parties, 24. Januar 2008, CAT/C/GC/2, § 16. Siehe auch CAT, General Comment No. 4, § 10; CAT, Concluding Observations: United States of America, 25. Juli 2006, CAT/C/USA/CO/2, § 15; CAT, J. H. A. v. Spain, 323/2007, 11. November 2008, § 8.2. 16 CAT, Concluding Observations on Sweden, 04. Juni 2008, CAT/SWE/CO/5, § 14; CAT, Concluding Observations United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, Crown Dependencies and Overseas Territories, Fourth Periodic Report, 10. Dezember 2004, CAT/C/ CR/33/3, § 4 (b). 17 CAT, Concluding Observations: United States of America, § 20. 18 CAT, J. H. A. v. Spain, 323/2007, § 8.2; CAT, Sonko v. Spain, 368/2008, 25. November 2011, § 10.3. 19 CAT, General Comment No. 4, § 4. Dieses territoriale Verständnis zeigt sich bereits in der frühen Praxis des Ausschusses, siehe etwa CAT, Concluding Observations: Norway Second Periodic Report, 1992, A/48/44 (SUPP), § 68.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
haltsbeendigung im Sinne des Artikel 3 Abs. 1 AFK bejaht, ohne auf die territoriale Besonderheit der Situation einzugehen.20 bb) Materielle Zuständigkeit Zulässige Individualbeschwerden sind nach Artikel 22 Abs. 1 AFK solche, die eine Verletzung der Rechte aus der AFK rügen. Der Ausschuss ist folglich nicht fähig, etwa Fragen des Flüchtlingsstatus im Sinne der GFK oder Fragen eines anderen VN-Menschenrechtsschutzvertrages zu klären. Individualbeschwerden, die darauf zielen, den Vertragsstaat zu einer Anerkennung des Flüchtlingsstatus zu zwingen, oder Beschwerden, die eine Verletzung des IPbpR rügen, sind daher ratione materiae unzulässig.21 Diese klare Linie zeigt der Ausschuss jedoch nur im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren. Im Übrigen äußert er sich zu den Voraussetzungen für ein ordentliches Asylverfahren, da die Durchführung eines solchen Auswirkungen auf Artikel 3 AFK habe. So hat der Ausschuss Vertragsstaaten im Rahmen von Staatenberichtsverfahren nach Artikel 19 AFK dafür kritisiert, innerhalb nationaler Asylverfahren auf Listen sicherer Herkunftsstaaten zurückzugreifen und somit Asylanträge ohne gründliche Einzelfallprüfung abzulehnen,22 oder Staaten dazu angehalten, in Asylverfahren von Frauen nur weibliche Beamtinnen einzusetzen.23 Im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen waren nach der Praxis des Ausschusses gegen Folter lange Zeit nur solche Individualbeschwerden ratione materiae zulässig, die eine Verletzung von Artikel 3 Abs. 1 AFK rügen. Andere Bestimmungen der AFK, wie etwa Artikel 2 oder Artikel 16, hat der Ausschuss dagegen im Kontext des Refoulementverbots erst in jüngster Vergangenheit zugelassen.24 Der Ausschuss gegen Folter ist seit langem der Auffassung, dass Individualbeschwerden, die eine (drohende) Verletzung von Artikel 3 Abs. 1 AFK rügen, bei denen die drohende Misshandlung im Zielstaat aber möglicherweise keine Folter darstellt, zulässig seien, da die Frage der Unterscheidung von Folter und anderer Misshandlung im Rahmen der materiellen Befassung des Ausschusses mit der Beschwerde zu untersuchen sei.25 In seiner neuesten Praxis geht der Ausschuss noch hierüber hinaus. Demnach sind auch Individualbeschwerden ratione materiae zulässig, die sich klar gegen eine drohende Form der Misshandlung richten, die keine Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK ist. Auch explizite Rügen von Artikel 16 20
CAT, Kwami Mopongo and others, 321/2007, 07. November 2014. CAT, X. v. Spain, 023/1995, § 7.3; CAT, Mohamed v. Greece, 040/1996, § 11.2; CAT, L. M. v. Canada, 488/2012, § 10.3. 22 CAT, Concluding Observations Finland, 09. Juli 1996, U.N. Doc. A/51/44, § 62. 23 CAT, Concluding Observations: Austria, 15. Dezember 2005, CAT/C/AUT/CO/3, § 9. 24 Siehe etwa noch CAT, T. M. v. Sweden, 228/2003, 18. November 2003, § 6.2. 25 CAT, Y. H. A. v. Australia, 162/2000, 23. November 2001, § 7.1; CAT, H. M. H. I. v. Australia, 177/2001, 01. Mai 2002, § 6.3. 21
I. Ausschuss gegen Folter
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und Artikel 14 AFK im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen sind demnach neuerdings möglich.26 Das Verbot des Refoulement aus Artikel 3 Abs. 1 AFK enthält auch eine verfahrensrechtliche Komponente. Im Gegensatz zu anderen VN-Vertragsorganen, die, um sich nicht in die Position einer übergeordneten Instanz zu begeben, eine nur sehr begrenzte Überprüfungskompetenz bezüglich des Ablaufs des nationalen Verfahrens in Anspruch nehmen, vertritt der Ausschuss gegen Folter die Auffassung, dass er an nationale Einschätzungen nicht gebunden ist und eine freie Risikobewertung vornehmen könne.27 Dennoch misst der Ausschuss nach eigener Aussage den Tatsachenfeststellungen im nationalen Verfahren erhebliche Bedeutung bei.28 Er teilt die Auffassung der Vertragsstaaten, keine Berufungsinstanz für nationale Verfahren zu sein.29 Wenn die beschwerdeführende Person Verfahrensfehler bei der nationalen Risikobewertung rügt, dann sieht sich der Ausschuss gelegentlich nur dann als zuständig an, die nationalen Verfahren zu überprüfen, wenn die nationale Beweiserhebung eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt oder die staatlichen Behörden eindeutig ihre Pflichten zu einer objektiven Beurteilung verletzt haben.30 Der Ausschuss gegen Folter hat also ratione materiae eine grundsätzliche Überprüfungskompetenz für Verfahrensfehler bei der nationalen Risikobewertung; diese besteht jedoch nicht uneingeschränkt.31 26
CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, 06. Dezember 2018, §§ 8.3, 8.6. Beachte auch ebenda, abweichendes Votum Abdelwahab Hani, § 1. Siehe auch zuvor bereits CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, 03. August 2018, § 7.3. 27 CAT, General Comment No. 4, § 50. Siehe bereits zuvor CAT, General Comment No. 1, §§ 6, 9. Gemäß Artikel 3 Abs. 2 AFK müssen die zuständigen Behörden bei der Ermittlung des Folterrisikos alle maßgeblichen Erwägungen berücksichtigen, einschließlich des Umstands, dass in dem betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht. Nach Auffassung des Ausschusses gegen Folter sind ,zuständige Behörden‘ im Sinne des Artikel 3 Abs. 2 AFK nicht nur jene des Vertragsstaates im nationalen Verfahren. Auch im eigenen Individualbeschwerdeverfahren ergibt sich für den Ausschuss gegen Folter der Überprüfungsmaßstab aus Artikel 3 Abs. 2 AFK. So bereits in der ersten Entscheidung des Ausschusses zu Artikel 3 AFK: CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.3. 28 CAT, General Comment No. 4, § 50. Ebenso bereits CAT, General Comment No. 1, § 9. 29 CAT, A. R. v. The Netherlands, 203/2002, 14. November 2003, § 7.6; CAT, Dadar v. Canada, 258/2004, 23. November 2005, § 8.8. 30 CAT, S. P. A. v. Canada, 282/2005, 07. November 2006, § 7.6; CAT, Yousri Ktiti v. Morocco, 419/2010, 14. April 2010, § 8.7. 31 Die Einschränkung, die der Ausschuss hier vornimmt, scheint vor allem ein verbales Zugeständnis an die Vertragsstaaten zu sein, das sich aber nicht erkennbar auf die Praxis des Ausschusses auswirkt. Das zeigt sich auch darin, dass der Ausschuss auch dann, wenn er das nationale Verfahren überprüft, nie im Ergebnis feststellt, dass ein nationales Verfahren fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt. Siehe auch F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 250 f.; K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 491.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
cc) Zeitliche Zuständigkeit Ratione temporis ist der Ausschuss gegen Folter für alle Geschehnisse zuständig, die nach Ratifikation der Antifolterkonvention in der Hoheitsgewalt des Vertragsstaates geschehen. Darüber hinaus erklärt sich der Ausschuss aber auch für solche Individualbeschwerden zuständig, die sich gegen Geschehnisse vor Abgabe der Erklärung des Vertragsstaates nach Artikel 22 Abs. 1 AFK richten, sofern die Folgen dieser Geschehnisse nach Abgabe der Erklärung fortwirken.32 Für das Prinzip des Non-Refoulement bedeutet das etwa, dass der Ausschuss gegen Folter sämtliche Teile des nationalen Risikobewertungsverfahrens überprüfen kann, auch wenn ein Vertragsstaat eine Unterwerfungserklärung nach Artikel 22 Abs. 1 AFK erst nach Beendigung der Risikobewertung abgegeben hat.33 b) Persönliche Betroffenheit Gemäß Artikel 22 Abs. 1 AFK kann eine Person nur dann eine Individualbeschwerde vor dem Ausschuss gegen Folter erheben, wenn sie behauptet, Opfer eines Fehlverhaltens eines Vertragsstaates zu sein. Wenn eine Person aus einem Staat ausgewiesen oder auf sonstige Weise entfernt wurde, obwohl eine tatsächliche Gefahr der Folter im Zielstaat bestand, so ist nach Ansicht des Ausschusses hierdurch bereits die Opfereigenschaft der Person im Sinne des Artikel 22 Abs. 1 AFK gegeben. Es muss nicht tatsächlich zur Folter gekommen sein.34 In Fällen, in denen eine Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement gerügt wird, geschieht dies aber in den weit überwiegenden Fällen noch vor dem Vollzug der Aufenthaltsbeendigung. Das heißt, die Beschwerden vor dem Ausschuss gegen Folter richten sich präventiv gegen eine befürchtete Rechtsverletzung. Der Ausschuss sieht mithin auch beschwerdeführende Personen, deren Aufenthaltsbeendigung erst bevorsteht, als grundsätzlich hinreichend persönlich betroffen an, um eine Individualbeschwerde zu erheben. Voraussetzung ist jedoch, dass die Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorsteht. Hierfür muss eine staatliche Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung bestehen und vollziehbar sein.35 Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Beschluss über die aufenthaltsbeendende Maßnahme verjährt ist.36 Ebenso ist nicht persönlich betrof-
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CAT, General Comment No. 4, § 32. Hierdurch unterscheidet sich der Ausschuss gegen Folter vom Kinderrechtsausschuss und dem Ausschuss über das Verschwindenlassen, vgl. unten Kapitel D. IV., D. V. 34 CAT, Abichou v. Germany, 430/2010, § 11.7. 35 CAT, Mohamed v. Greece, 040/1996, § 11.3. 36 CAT, J. M. U. M. v. Sweden, 058/1996, 15. Mai 1996, § 3.2; CAT, A. R. v. Sweden, 170/ 2001, 23. November 2001, § 7.2. 33
I. Ausschuss gegen Folter
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fen, wer eine – vorübergehende – Aufenthaltserlaubnis erlangt hat.37 Dies bedeutet jedoch nicht, dass Betroffene schon dann keine Beschwerde beim Ausschuss gegen Folter erheben können, wenn eine Aufenthaltserlaubnis vorübergehend verlängert wird, solange die Verfügung zur Aufenthaltsbeendigung bestehen bleibt.38 Auch eine Verfügung, welche die beschwerdeführende Person dazu auffordert, den Staat freiwillig zu verlassen, ist hierbei ausreichend.39 Nicht vollziehbar ist eine solche Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung allerdings dann, wenn sich die Person nicht mehr in dem Staat aufhält, gegen den sie die Individualbeschwerde erhoben hat.40 Ausnahmsweise lässt der Ausschuss gegen Folter auch Beschwerden von Menschen zu, die einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus haben. So hat er die Beschwerde von drei Familienmitgliedern angenommen, obwohl nur gegen den Vater eine Verfügung zur Aufenthaltsbeendigung bestand und die beiden übrigen Familienmitglieder ein Besuchsvisum hatten.41 Keine Relevanz haben vor dem Ausschuss gegen Folter mögliche Aufenthaltserlaubnisse in Drittstaaten. Im Rahmen der Individualbeschwerde einer Frau, deren Kinder Aufenthaltstitel in einem Drittstaat hatten, hatte der betroffene Vertragsstaat diesen Kindern die persönliche Betroffenheit im Sinne der AFK abgesprochen. Der Ausschuss folgte der Ansicht des Vertragsstaates nicht, da die Ausweisungsverfügung gegen die gesamte Familie bestand und die einzelnen Familienmitglieder mithin nicht separat betrachtet werden könnten.42 Nicht zulässig sind nach Artikel 22 Abs. 1 AFK actiones populares, also Individualbeschwerden für alle Menschen oder eine Gruppe von Menschen. Eine Nichtregierungsorganisation kann nicht ohne Einverständnis der Betroffenen ein Verfahren anstreben.43 Allerdings sind Betroffene berechtigt, die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, einem rechtlichen Beistand und anderen Expert:innen einzuholen und diese als Vertretung zu ernennen.44 Die Möglichkeit der Erhebung einer Individualbeschwerde einer Person für sich selbst und ihre Familienmitglieder ist allgemein anerkannt, sofern die Familienmitglieder dem zustimmen. Der Aus37 CAT, E. H. v. Hungary, 062/1996, 10. Mai 1999, § 6.2; CAT, A. B. A. O. v. France, 264/ 2005, 08. November 2007, §§ 8.2 f.; CAT, Z. v. Switzerland, 545/2013, 25. November 2015, § 8.2. 38 Siehe etwa CAT, A. D. v. The Netherlands, 096/1997, 12. November 1999. Hier wurde dem Betroffenen eine Verlängerung des Aufenthalts zum Zwecke der medizinischen Versorgung erlaubt, die ursprüngliche Ausweisungsverfügung war aber von den Niederlanden nicht zurückgenommen worden. 39 CAT, T. M. v. Republic of Korea, 519/2012, 21. November 2014, §§ 8.2 f. 40 CAT, H. W. A. v. Switzerland, 048/1996, 20. Mai 1998, § 4.3; CAT, H. S. T. v. Norway, 288/2006, 16. November 2006, § 6.3. 41 CAT, M. J. A. M. O. et al. v. Canada, 293/2006, 09. Mai 2008, § 9.3. 42 CAT, R. O. v. Sweden, 644/2014, 18. November 2016, § 7.3. 43 CAT, J. H. A. v. Spain, 323/2007, § 8.3. 44 CAT, Rules of Procedure, Regel Nr. 113 (a).
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
schuss gegen Folter betrachtet die Beschwerde dann in der Regel als die Familie als Einheit betreffend und differenziert nicht zwischen der möglicherweise unterschiedlichen persönlichen Betroffenheit einzelner Familienmitglieder.45 Wenn eine Beschwerdeerhebung durch die Betroffenen selbst nicht möglich ist (so etwa im Falle des Todes der Betroffenen oder bei Isolationshaft) dürfen ausnahmsweise Angehörige die Beschwerde erheben.46 Hierfür beruft sich der Ausschuss gegen Folter auf die Praxis des Menschenrechtsausschusses.47 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs Eine Beschwerde darf nur dann vom Ausschuss gegen Folter angenommen werden, wenn keine effektiven Rechtsmittel im Staat mehr eingelegt werden können. Hiervon existieren einige Ausnahmen, die sich zum Teil aus dem Wortlaut des Artikel 22 AFK, aber auch aus der Praxis des Ausschusses gegen Folter ergeben. So ist es zum Beispiel denkbar, dass die Erschöpfung des nationalen Rechtsweges für die beschwerdeführende Person nicht zumutbar ist, wenn diese die hierfür notwendigen finanziellen Mittel nicht aufbringen kann.48 Die bloße Unkenntnis über nationale Rechtsmittel ist aber in keinem Fall geeignet, eine Ausnahme zuzulassen.49 Gemäß Artikel 22 Abs. 5 (b) AFK müssen die zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe dann nicht erschöpft werden, wenn das Verfahren bei der Anwendung der Rechtsbehelfe unangemessen lange dauert oder keine wirksame Abhilfe erwarten lässt. Als unangemessen lang hat der Ausschuss etwa ein Asylverfahren eingeschätzt, das vier Jahre nach Beginn noch immer zu keinem Ergebnis gekommen war.50 Aus der Praxis des Ausschusses gegen Folter ergibt sich, dass verbleibende innerstaatliche Rechtsmittel tatsächlich geeignet sein müssen, effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Daher nimmt der Ausschuss einen Fall auch zur Entscheidung in der Sache an, wenn zwar keine Rechtswegerschöpfung auf nationaler Ebene erfolgt ist, sich aber verbleibende Rechtsmittel als ineffektiv erweisen würden.51 Die Frage der 45 Siehe etwa CAT, Hussein Khademi et al. v. Switzerland, 473/2011, 14. November 2014, § 7.7; CAT, R. G. et al. v. Sweden, 586/2014, 25. November 2015, § 10; CAT, I. A. v. Sweden, 729/2016, 23. April 2019, § 10. 46 CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, §§ 1.1, 4.3, 9.2; CAT, Sonko v. Spain, 368/2008; CAT, Nasirov v. Kazakhstan, 475/2011, 14. Mai 2014, § 1.1. 47 CAT, J. H. A. v. Spain, 323/2007, Fn. 5. 48 CAT, M. G. v. Switzerland, 811/2017, 07. Dezember 2018, § 6.4. 49 CAT, Joyce Nakato Nakawunde v. Canada, 615/2014, 03. August 2018, § 6.6. Dennoch hat der Ausschuss hier dem Staat empfohlen, der Beschwerdeführerin den Zugang zu bestehenden Rechtsmitteln, auch durch Bereitstellung von Rechtsbeistand, zu erleichtern, siehe ebenda § 6.9. 50 CAT, C. A. R. M. et al. v. Canada, 298/2006, 18. Mai 2007, § 8.4. 51 CAT, V. N. I. M. v. Canada, 119/1998, 12. November 2002, § 6.2; CAT, Ríos v. Canada, 133/1999, 23. November 2004, § 7.3; CAT, C. A. R. M. et al. v. Canada, 298/2006, § 8.4.
I. Ausschuss gegen Folter
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Effektivität kann nach Ansicht des Ausschusses gegen Folter nicht abstrakt beurteilt werden, sondern ist einzelfallabhängig.52 Der Ausschuss gegen Folter zieht zur Beurteilung der Frage, ob ein Rechtsmittel effektiv ist, auch die Rechtsprechung des EGMR heran. Demnach könne ein Rechtsmittel nur dann effektiv sein, wenn es eine umfassende Überprüfung des Beschwerdegegenstandes der Person und eine schnelle Reaktion hierauf ermögliche.53 Nicht ausreichend ist in jedem Fall, dass die beschwerdeführende Person die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel nicht ausschöpft, weil sie sie für ineffektiv hält.54 Wird eine Person in ein Land verbracht, in dem ihr Folter droht, dann sind die Folgen der Aufenthaltsbeendigung in der Regel irreversibel. Der Ausschuss gegen Folter verlangt daher nur, dass beschwerdeführende Personen solche innerstaatlichen Rechtsmittel ausschöpfen, die eine aufschiebende Wirkung besitzen.55 Dabei ist der Ausschuss auch der Auffassung, dass sich aus Artikel 3 Abs. 1 AFK auch ein Recht auf ein effektives Rechtsmittel ergibt.56 Wenn einer Person im nationalen Verfahren keine effektiven Rechtsmittel gegen eine Aufenthaltsbeendigung zur Verfügung stehen, bedeutet dies also nicht nur, dass eine Individualbeschwerde vor dem Ausschuss gegen Folter zulässig ist; hierin liegt vielmehr auch potenziell bereits eine eigenständige Verletzung von Artikel 3 AFK durch den Vertragsstaat. Geeignete innerstaatliche Rechtsmittel sind etwa solche im Rahmen von Asylverfahren. Da aber Artikel 3 Abs. 1 AFK über den Schutz von Flüchtlingen im Sinne der GFK hinausgehend jede Person schützt, der Folter droht, muss auch solchen Personen, denen der Weg zum Asylverfahren nicht offensteht, ein individualisiertes Folterrisiko-Beurteilungsverfahren zugänglich sein.57 Ursprünglich verlangte der Ausschuss für die Zulässigkeit einer Individualbeschwerde, dass jegliche Rechtsmittel, die einen weiteren Aufenthalt im Staat ermöglichen würden, von den Beschwerdeführenden ausgeschöpft werden müssen.58 Diese Praxis hat der Ausschuss nunmehr aufgegeben. Entscheidend für Fragen des Non-Refoulement können nicht jegliche der beschwerdeführenden Person zur 52
CAT, Z. T. v. Norway, 238/2003, 14. November 2005, §§ 8.1, 8.3. CAT, Ismet Bakay v. Morocco, 826/2017, 04. Dezember 2019, § 6.2. 54 CAT, Jensen v. Denmark, 202/2002, 05. Mai 2004, § 6.3; CAT, S. K. and R. K. v. Sweden, 365/2008, 21. November 2011, § 11.3; CAT, E. O. S. v. Canada, 621/2014, 11. Mai 2018, §§ 6.7 f. 55 CAT, Arkauz Arana v. France, 063/1997, § 6.1; CAT, Brada v. France, 195/2002, §§ 7.3 – 7.9; CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, 16. Mai 2007, §§ 6.4, 6.5. Dass ein ausstehendes Rechtsmittel aufschiebende Wirkung hat, muss vom betroffenen Vertragsstaat dargelegt werden, siehe etwa CAT, Naouel Gharsallah v. Morocco, 810/2017, 03. August 2018, § 7.4; CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, 22. November 2019, § 9.5; CAT, Ismet Bakay v. Morocco, 826/2017, § 6.3. 56 Siehe hierzu unten Kapitel D. I. 3. e). 57 CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits), 01. Juni 2012, § 13.9; CAT, Nasirov v. Kazakhstan, 475/2011, § 10. 58 CAT, L. M. v. R. G. and M. A. B. C. v. Sweden, 064/1997, 19. November 1997, §§ 3.2 – 5. 53
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Verfügung stehende Verfahren sein, die den Aufenthalt verlängern können. Ausgeschöpft werden müssen daher nach der aktuellen Praxis des Ausschusses gegen Folter nur solche Rechtsmittel, die im Zusammenhang mit dem Folterrisiko im Empfangsstaat stehen.59 Die Voraussetzung der Erschöpfung des nationalen Rechtswegs dient auch dazu, dass den betroffenen Vertragsstaaten im innerstaatlichen Verfahren ausreichend Gelegenheit eingeräumt wird, die gerügte Rechtsverletzung zu prüfen. Deshalb müssen im nationalen Verfahren im Kern die gleichen Argumente vorgebracht worden sein, wie vor dem Ausschuss gegen Folter. Ist dies nicht der Fall, dann erklärt der Ausschuss die Beschwerde nach Artikel 22 Abs. 4 AFK für unzulässig. Dies gilt aber dann nicht, wenn neue Tatsachen oder Beweise erst nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs ohne Verschulden der beschwerdeführenden Person ersichtlich werden. Diese können dann im Individualbeschwerdeverfahren Berücksichtigung finden, obwohl der Staat keine Gelegenheit hatte, seine eigene Position angesichts dieser neuen Tatsachen oder Beweise zu revidieren.60 Dies gilt auch für nach Erhebung der Beschwerde gewonnene Beweise für bereits im nationalen Verfahren vorgebrachte Tatsachen. So können etwa medizinische Gutachten zu bereits im nationalen Verfahren behaupteter früherer Folter auch dann vom Ausschuss gegen Folter berücksichtigt werden, wenn diese Gutachten erst nach Beendigung des nationalen Verfahrens eingeholt wurden.61 2. Ablauf des Verfahrens Individualbeschwerdeverfahren vor dem Ausschuss gegen Folter finden in der Regel rein schriftlich statt, nichtöffentliche mündliche Anhörungen sind aber nach Regel Nr. 117 Abs. 4 der Verfahrensordnung möglich. Bisher ist dies erst einmal geschehen, und zwar auf Bitten des von der Beschwerde betroffenen Vertragsstaates.62 Wie bei allen VN-Vertragsorganen liegt die Beweislast zur Darlegung der gerügten Rechtsverletzung zunächst bei der beschwerdeführenden Person. Allerdings unterscheidet den Ausschuss gegen Folter von anderen Vertragsorganen, dass er klare Regeln zur Beweislastumkehr etabliert hat.63 Außerdem stellt sich bei Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement stets die Frage des relevanten Zeitpunkts der Beurteilung der von der beschwerdeführenden Person befürchteten 59 CAT, General Comment No. 4, § 34; CAT, R. S. M. v. Canada, 392/2009, 24. Mai 2013, § 6.3. Siehe auch CAT, A. R. v. Sweden, 170/2001, § 7.1; CAT, Kalonzo v. Canada, 343/2008, 18. Mai 2012, §§ 4.6, 8.3; CAT, W. G. D. v. Canada, 520/2012, 26. November 2014, § 7.4; CAT, J. K. v. Canada, 562/2013, 23. November 2015, § 9.2. 60 CAT, A. M. v. France, 302/2006, 05. Mai 2010, § 12.3. 61 CAT, V. L. v. Switzerland, 262/2005, 20. November 2006, §§ 6.5, 8.6, 8.8. 62 CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits). 63 CAT, General Comment No. 4, § 38.
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Gefahr. Hierbei kommen der Zeitpunkt der letzten nationalen Entscheidung im Vertragsstaat und der Zeitpunkt der Befassung des Ausschusses mit der Beschwerde in Betracht. a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde Individualbeschwerden vor dem Ausschuss gegen Folter nach Artikel 22 AFK haben keinen Suspensiveffekt. Der Ausschuss kann allerdings gemäß seinen Verfahrensregeln einstweilige Maßnahmen anordnen, welche die beschwerdeführende Person bis zu einer Entscheidung in der Sache durch den Ausschuss schützen sollen. Dies ist dann möglich, wenn ansonsten die Gefahr irreparabler Schäden für die beschwerdeführende Person besteht.64 Solche einstweiligen Maßnahmen dürfen auch dann gegenüber einem Vertragsstaat angeordnet werden, wenn die Beschwerde an sich mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig ist, aber die verbleibenden Rechtsmittel über keinen Suspensiveffekt verfügen.65 Einstweilige Maßnahmen spielen dann eine Rolle, wenn mit der Individualbeschwerde keine bereits geschehene Menschenrechtsverletzung gerügt werden soll, sondern eine befürchtete Menschenrechtsverletzung durch den Ausschuss verhindert werden soll. Im Bereich drohender Verletzungen von Artikel 3 AFK finden die einstweiligen Maßnahmen damit ihren größten Anwendungsbereich. Richtet sich eine Individualbeschwerde gegen eine unmittelbar bevorstehende Aufenthaltsbeendigung der beschwerdeführenden Person und hält der Ausschuss gegen Folter einstweilige Maßnahmen für erforderlich, dann besteht die angeordnete Maßnahme darin, den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung auszusetzen, bis der Ausschuss gegen Folter über die Individualbeschwerde entschieden hat. Der Ausschuss ordnet nicht nur weit überwiegend bei Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement einstweilige Maßnahmen an. Er geht vielmehr davon aus, dass der Schutz, den Artikel 3 AFK gewährleisten soll, ohne das Instrument der einstweiligen Maßnahmen jedenfalls für Asylsuchende einen rein theoretischen Charakter hätte. Die Verfahrensregel sei „… specifically intended to give meaning and scope to articles 3 and 22 of the Convention, which otherwise would offer asylum-seekers claiming a serious risk of torture purely relative, not to say theoretical, protection.“66
Hier zeigt sich, dass der Ausschuss gegen Folter, anders als andere VN-Menschenrechtsschutzorgane, das Instrument der einstweiligen Maßnahmen als Bestandteil des materiellen Rechtsschutzes der beschwerdeführenden Personen begreift. 64
CAT, Rules of Procedure, Regel Nr. 114. CAT, Annual Report 2005/2006, 01. November 2006, A/61/44, § 61; CAT, S. A. C. v. Monaco, 346/2008, 13. November 2012. 66 CAT, Tebourski v. France, 300/2006, 01. Mai 2007, § 8.6; CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, § 16.3. 65
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Anders als in der Praxis anderer VN-Menschenrechtsschutzorgane ist die Anordnung einstweiliger Maßnahmen keine Entscheidung, die der Ausschuss gegen Folter als vom Individualbeschwerdeverfahren in der Sache unabhängige Maßnahme begreift. Vielmehr muss der Ausschuss oder der Teil des Ausschusses, welcher die einstweilige Maßnahme anordnet, bereits eine Vorprüfung vornehmen, ob die Individualbeschwerde in der Sache Aussicht auf Erfolg haben wird. Nur wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der beschwerdeführenden Person irreparable Konsequenzen im Zielstaat drohen und ihre Beschwerde mithin Aussicht auf Erfolg haben wird, ordnet der Ausschuss gegen Folter einstweilige Maßnahmen an.67 Wenn ein Vertragsstaat die angeordneten einstweiligen Maßnahmen nicht umsetzt, stellt nach Ansicht des Ausschusses dies allein, unabhängig davon, ob hierdurch ein Individualrecht der betroffenen Person tatsächlich verletzt wird, einen Verstoß gegen Artikel 22 AFK dar.68 Der Ausschuss gegen Folter begründet das ähnlich wie andere VN-Vertragsorgane damit, dass dadurch, dass der Staat vollendete Tatsachen schafft, das Verfahren vor dem Ausschuss wirkungs- und gegenstandlos wird: „The State party’s action in expelling the complainant in the face of the Committee’s request for interim measures nullified the effective exercise of the right to complaint conferred by article 22, and has rendered the Committee’s final decision on the merits futile and devoid of object.“69
Diese scharfe Formulierung fand sich nicht von Anfang an in der Praxis des Ausschusses gegen Folter. Weder aus Artikel 22 noch aus Artikel 3 AFK ergibt sich ausdrücklich die Kompetenz des Ausschusses zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen. Der Ausschuss leitet die Möglichkeit zur Ausgestaltung seiner Kompetenzen im Rahmen seiner eigenen Verfahrensordnung vielmehr aus Artikel 18 AFK ab. Demnach sei die Möglichkeit einstweiliger Maßnahmen speziell darauf gerichtet, Artikeln 3 und 22 AFK Sinn und Umfang zu verleihen.70 Zwar sah bereits die erste Version der Verfahrensregeln des Ausschusses die Möglichkeit einstweiliger Maßnahmen vor. Hier sah sich der Ausschuss aber keineswegs zuständig, solche Maßnahmen anzuordnen, sondern sprach sich lediglich die Kompetenz zu, ,Vertrags67
CAT, Annual Report 2005/2006, § 61. CAT, General Comment No. 4, § 37. Der General Comment spiegelt hier eine langjährige Praxis des Ausschusses wider. Allein vom ehemaligen Ausschussmitglied Bruni war diese Praxis abgelehnt worden. Bruni hielt es für unzumutbar, in einem Verstoß gegen einstweilige Maßnahmen stets einen Verstoß des Staates gegen den Pakt zu sehen, vgl. dessen abweichende Voten in CAT, R. S. et al. v. Switzerland, 482/2011, 19. Januar 2015; CAT, Tursunov v. Kazakhstan, 538/2013, 08. Mai 2015; CAT, X. v. Russia, 542/2013, 08. Mai 2015; CAT, X. v. Kazakhstan, 554/2013, 03. August 2015; CAT, P. S. B. and T. K. v. Canada, 505/2012, 13. August 2015; CAT, D. I. S. v. Hungary, 671/2015, 08. Dezember 2015; CAT, Thirugnanasampanthar v. Australia, 614/2014, 09. August 2017. 69 CAT, Brada v. France, 195/2002, § 13.4. 70 CAT, Tebourski v. France, 300/2006, § 8.6. 68
I. Ausschuss gegen Folter
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staaten über seine Sicht auf die Erwünschtheit‘ solcher Maßnahmen zu informieren.71 Zunächst drückte der Ausschuss gegen Folter daher lediglich sein Bedauern über den Umstand aus, dass der Staat die empfohlenen einstweiligen Maßnahmen nicht umgesetzt hatte.72 Dieses Bedauern hatte aber keine Auswirkung auf die Entscheidung der Individualbeschwerde. Erst seit dem Jahr 2005 bejaht der Ausschuss eine Verletzung von Artikel 22 AFK, wenn der Vertragsstaat eine Aufenthaltsbeendigung trotz der Anordnung einstweiliger Maßnahmen vollzieht. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Anordnung einstweiliger Maßnahmen durch den Ausschuss zu spät erfolgt und dem Staat keine Gelegenheit mehr bleibt, die Aufenthaltsbeendigung zu verhindern.73 Wenn der Ausschuss eine Verletzung feststellt, dann handelt es sich hierbei nicht um einen reinen Verfahrensfehler. Vielmehr leitet der Ausschuss gegen Folter aus Artikel 22 AFK neben Pflichten für den Vertragsstaat, mit dem Ausschuss zu kooperieren, um diesem die Befassung mit der Beschwerde zu ermöglichen,74 auch ein Individualrecht auf Erhebung einer Individualbeschwerde ab, welches der Vertragsstaat verletzt, wenn er die einstweiligen Maßnahmen nicht umsetzt.75 Eine Verletzung der Rechte der beschwerdeführenden Person aus Artikel 22 AFK wird dabei unabhängig von der Verletzung des gerügten Rechts (in der Regel aus Artikel 3 Abs. 1 AFK) festgestellt und auch dann gerügt, wenn der Ausschuss im Individualbeschwerdeverfahren keine Verletzung feststellt,76 oder sogar die Beschwerde für unzulässig erklärt.77 Da mit der Verletzung von Artikel 22 AFK ein eigenständiges materielles Recht verletzt werden kann, ist auch bei reiner Missachtung der einstweiligen Maßnahmen möglich, dass der Ausschuss gegen Folter Wiedergutmachung verlangt. Dies zeigt die Entscheidung Nadeem Ahmad Dar v. Norway, in der Norwegen den Beschwerdeführer zwar zunächst trotz angeordneter einstweiliger Maßnahmen aus71 CAT, Rules of Procedure of the Committee Against Torture (erste Fassung) (Rules of Procedure 1. Fassung), 13. Juli 1998, CAT/C/3/Rev.3, Regel Nr. 110 Abs. 3. 72 CAT, Núñez Chipana v. Venezuela, 10. November 1998, 110/1998, § 8. 73 CAT, Abichou v. Germany, 430/2010, §§ 4.4, 9.1 Eine Woche vor Vollzug der Aufenthaltsbeendigung sieht der Ausschuss jedenfalls nicht als eine zu kurze Zeitspanne an, CAT, Cevdet Ayaz v. Serbia, 857/2017, 02. August 2019, §§ 7,1 – 7.3. 74 Siehe etwa CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, § 13.10; CAT, Brada v. France, 195/2002, § 6.1. 75 CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, § 13.9; CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, § 16.2. 76 CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Admissibility Decision), 15. November 2011, §§ 10.1 f.; CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, §§ 16.4, 17, 18; CAT, R. S. et al. v. Switzerland, 482/2011, § 9; CAT, P. S. B. and T. K. v. Canada, 505/2012, § 9; CAT, Thirugnanasampanthar v. Australia, 614/2014, §§ 9 f.; CAT, L. M. v. Canada, 488/2012, § 11.8. 77 CAT, D. I. S. v. Hungary, 671/2015, § 11; CAT, H. S. v. Canada, 568/2013, 15. November 2019.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
gewiesen hatte, ihn dann aber zurückgeholt und ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Der Ausschuss gegen Folter befand, dass der Staat hierdurch Wiedergutmachung für seinen Verstoß gegen Artikel 22 AFK geleistet habe.78 Diese Entscheidung zeigt allerdings auch, dass das Recht auf Durchführung des Individualbeschwerdeverfahrens und das Recht aus Artikel 3 Abs. 1 AFK zwar eng miteinander verbunden, aber voneinander trennbar sind. Der Ausschuss gelangt nämlich zu dem Schluss, dass, da während des Aufenthalts in Pakistan keine Folter stattgefunden hat und der Beschwerdeführer eine norwegische Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre hat, das ursprüngliche Individualbeschwerdeverfahren zu Artikel 3 AFK gegenstandslos geworden sei.79 Während Norwegen dadurch, dass es den Beschwerdeführer zurück geholt hat, lediglich den von den einstweiligen Maßnahmen verlangten Zustand wieder herstellte, ergibt sich durch die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung, dass eine ernsthafte Gefahr der Folter für den Beschwerdeführer nicht mehr akut besteht. Da der Ausschuss gegen Folter nur so lange Schutz gewährt, wie die Gefahr tatsächlich besteht, kann er in diesem Fall keine Schutzmaßnahmen mehr verlangen. Natürlich hätte der Ausschuss dennoch die Kompetenz gehabt, zu überprüfen, ob die Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung mit der AFK vereinbar war. Dies ergibt sich schon aus der Feststellung der Verletzung von Artikel 22 AFK. Eine solche Überprüfung hat er aber unterlassen. Unabhängig von der Frage, welche Wirkung die Anordnungen einstweiliger Maßnahmen durch den Ausschuss gegen Folter de jure haben, besitzen sie jedenfalls einen hohen faktischen Effekt. Die allermeisten Vertragsstaaten halten sich an die einstweiligen Anordnungen, selbst wenn sie diese für nicht rechtlich bindend halten.80 Allein die Erhebung einer Individualbeschwerde, verbunden mit der potenziellen Anordnung einstweiliger Maßnahmen, kann als eine Art Warnung für die Vertragsstaaten fungieren und sie dazu bringen, ihre Praxis zu überprüfen.81 Von den 66 Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement, die der Ausschuss gegen Folter in den Jahren 2017 – 2019 eingestellt hat, wurden 20 eingestellt, weil die Vertragsstaaten nach Registrierung der Individualbeschwerde den beschwerdeführenden Personen Aufenthaltsgenehmigungen erteilt oder die Wiederaufnahme von Asylverfahren erlaubt haben.
78 CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, §§ 16.2 – 18. Eine Entschuldigung des Vertragsstaates sowie das Ergreifen von Maßnahmen zur Sicherstellung, dass eine Missachtung der einstweiligen Maßnahmen zukünftig nicht mehr geschieht, reicht dem Ausschuss dagegen nicht aus, um die Verletzung im konkreten Fall wiedergutzumachen, CAT, H. S. v. Canada, 568/ 2013, §§ 9.2, 9.3. 79 CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, § 16.5. 80 Für eine Übersicht der Staatenpraxis siehe A. Nollkaemper/R. van Alebeek, in: H. Keller/ G. Ulfstein, 386. 81 F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 133.
I. Ausschuss gegen Folter
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b) Beweislast: Darlegung des Bestehens eines Folterrisikos Erheben Betroffene (oder Angehörige) eine Individualbeschwerde nach Artikel 22 AFK, so liegt damit zunächst die Darlegungslast bei ihnen.82 Das bedeutet für Rügen einer Verletzung von Artikel 3 AFK, dass sie darlegen müssen, dass im Zielland ein Folterrisiko für sie besteht. Im Gegensatz zu Artikel 33 Abs. 1 GFK, der das Bestehen einer subjektiven Furcht von Verfolgung verlangt, ist das Bestehen eines Folterrisikos im Sinne des Artikel 3 AFK objektiv nachzuweisen.83 Sogar in Fällen, in denen die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde und die Person tatsächlich gefoltert wurde, ist die Erbringung von Beweisen hierfür oft schwierig, da Folter in aller Regel im Verborgenen stattfindet. Da sich die beschwerdeführenden Personen in der Regel vor Vollzug der Aufenthaltsbeendigung, also präventiv, an den Ausschuss gegen Folter richten, ist ein vollständiger Beweis bevorstehender Folter weder möglich, noch wird er vom Ausschuss verlangt.84 Der Ausschuss hat durch seine umfangreiche Praxis klare Maßstäbe herausgearbeitet, was die beschwerdeführenden Personen beibringen müssen. Betroffene müssen nach dem Wortlaut des Artikel 3 AFK darlegen, dass stichhaltige Gründe (,substantial grounds‘) für die Annahme bestehen, dass ihre Aufenthaltsbeendigung einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement darstellen würde. Der erste Entwurf von Artikel 3 AFK enthielt die Formulierung ,reasonable grounds‘.85 Zwar lässt diese Abweichung vermuten, dass in der endgültigen Fassung der AFK eine höhere Darlegungslast etabliert wurde als in deren ersten Entwurf. Dennoch war den Vertragsstaaten bei der Konzeption der AFK bewusst, dass die Anforderungen an die Darlegungslast nicht allzu hoch sein dürfen und die betroffene Person nicht die alleinige Beweislast tragen kann.86 ,Substantial grounds‘ meint nach der Praxis des Ausschusses gegen Folter mehr als die bloße Möglichkeit einer Folter. Nicht verlangt wird hingegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit oder gar zwingende Notwendigkeit der Realisierung des Folterrisikos.87 Hierbei zeigt sich auch ein Wandel der Anforderungen an den Grat des nachzuweisenden Risikos in der Praxis des Ausschusses gegen Folter. So hatte der Ausschuss in seiner frühen Praxis verlangt, dass die Folter vorhersehbare und notwendige Konsequenz der Aufenthaltsbeendigung (,foreseeable and necessary
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CAT, General Comment No. 4, §§ 31, 38. M. Ammer/A. Schuechner, Art. 3 Principle of Non-Refoulement, in: M. Nowak/M. Birk/ G. Monina, The United Nations Convention against Torture and its optional protocol, 2. Aufl. 2019, Rn. 137. 84 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 232, 522. 85 ECOSOC, Letter dated 18 January 1978 from the Permanent Mission of Sweden to the United Nations Office at Geneva addressed to the Division of Human Rights. 86 J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 50 f. 87 CAT, E. A. v. Switzerland, 028/1995, 10. November 1997, § 11.3; CAT, Summary Record of the first part of the 424th meeting, 09. Februar 2001, CAT/C/SR.424, § 27. 83
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
consequence‘) sein müsse.88 Heute verlangt er den Nachweis eines vorhersehbaren, tatsächlichen und persönlichen Risikos (,foreseeable, personal, present and real risk‘).89 In seinen General Comments Nr. 1 und Nr. 4 zu Artikel 3 AFK hat der Ausschuss gegen Folter Leitfäden für die am Individualbeschwerdeverfahren beteiligten Parteien erstellt, die erläutern, welche Art von Informationen sie für die Bewertung durch den Ausschuss beibringen sollen.90 Diese Leitfäden bieten einen guten Überblick darüber, welche Beweise eine beschwerdeführende Person zu erbringen hat. Gemäß General Comment Nr. 4 kann die beschwerdeführende Person etwa nachweisen, dass die allgemeine Menschenrechtslage im Zielstaat sehr schlecht ist. Erforderlich ist hierfür eine fortbestehende, ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen (,consistent pattern of gross, flagrant or mass violations of human rights‘).91 Spiegelbildlich können betroffene Personen darlegen, dass das Risiko in ihrer Person liegt, da ihnen aufgrund ihrer politischen oder anderen Aktivität im Zielstaat Folter droht.92 Begründet eine beschwerdeführende Person ihre Furcht vor Folter im Zielstaat mit einer staatlichen Verfolgung, zum Beispiel wegen politischen Engagements in der Vergangenheit, dann muss sie nicht nur nachweisen, dass eine Zugehörigkeit etwa zu einer Oppositionspartei im Zielstaat bekannt war, sondern auch, dass das behördliche Interesse an einer Verfolgung ihrer Person fortbesteht.93 Ein solcher Nachweis kann auch dadurch gelingen, dass Familienmitglieder der beschwerdeführenden Person im Zielstaat verfolgt werden oder gefoltert wurden.94 Außerdem können Personen, die in der Vergangenheit im Zielstaat bereits gefoltert wurden, nach General Comment Nr. 4 mit Nachweisen hiervon, möglichst durch unabhängige medizinische Gutachten, das Bestehen eines Folterrisikos bei Aufenthaltsbeendigung darlegen.95 Wenn eine Person in der Vergangenheit im Zielstaat gefoltert worden ist, kann dies ein eindeutiges Indiz für das Bestehen eines Folterrisikos sein; dies ist aber keineswegs zwingend.96 Spiegelbildlich ist der Beweis des Bestehens eines Folterrisikos nicht ausgeschlossen, wenn die Person bisher 88
CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.4. CAT, General Comment No. 4, § 11. 90 CAT, General Comment No. 1, § 8; CAT, General Comment No. 4, § 49. 91 CAT, General Comment No. 4, § 49 (a). Ebenso bereits CAT, General Comment No. 1, § 8 (a), (d). 92 CAT, General Comment No. 4, § 49 (f). Ebenso bereits CAT, General Comment No. 1, § 8 (e). 93 CAT, K. T. v. Switzerland, 118/1998, 19. November 1999, § 6.4; CAT, M. M. et al. v. Sweden, 332/2007, 11. November 2008, § 7.6. 94 CAT, Elmi v. Australia, 120/1998, 14. Mai 1999, § 6.8; CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, § 8.6. 95 CAT, General Comment No. 4, § 49 (b), (c). Ebenso bereits CAT, General Comment No. 1, § 8 (b), (c). 96 Siehe etwa CAT, A. A. et al. v. Switzerland, 285/2006, 10. November 2008, § 7.5. 89
I. Ausschuss gegen Folter
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nicht gefoltert wurde. Dennoch erweckt der Ausschuss gegen Folter gelegentlich den Eindruck, dass es das Vorbringen der beschwerdeführenden Personen mindestens stark schwächt, wenn sie in der Vergangenheit nicht gefoltert wurden oder andere Misshandlung erlebt haben.97 Weiter muss die beschwerdeführende Person im Falle früherer Folter nachweisen, dass das Risiko anhält, was etwa möglicherweise dann nicht der Fall ist, wenn seit der letzten Folterhandlung viel Zeit vergangen ist oder es im Zielstaat einen Regimewechsel gab. So hat der Ausschuss etwa das Bestehen eines Folterrisikos für Personen verneint, deren frühere Folter mehrere Jahre zurück lag.98 Aber auch bei viele Jahre zurückliegender Folter ist die der Beweis des Fortbestehens eines Folterrisikos nicht ausgeschlossen.99 Ein Indiz dafür, dass das Risiko der Folter nicht länger besteht, ist, wenn die betroffene Person seit ihrer letzten Folter in den Staat zurückgekehrt war, ohne hierbei Misshandlungen ausgesetzt worden zu sein.100 Abgesehen von der Wahrscheinlichkeit erneuter Folter kann eine Rückführung nach früherer Folter unzumutbar sein, wenn sich der Gesundheitszustand der Person wegen einer nachgewiesenen posttraumatischen Belastungsstörung allein durch die Rückführung signifikant verschlechtern würde.101 Dabei muss aber ein medizinisches Gutachten auch nachweisen können, dass diese psychische Belastung auf eine frühere Folter zurückzuführen ist.102 In der Regel reicht ein einziger Faktor nicht aus, um das Folterrisiko darzulegen. Meist besteht die Darlegung aus einer Kombination von persönlichen Umständen der betroffenen Person und der zu erwartenden allgemeinen Lage im Zielstaat. Dies ergibt sich auch aus Artikel 3 Abs. 2 AFK.103 All diese Beweise können betroffene Personen darüber hinaus für Drittstaaten vorbringen, die nicht Zielstaat ihrer (drohenden) Aufenthaltsbeendigung sind. Hierzu müssen sie aber auch nachweisen, dass ein Risiko besteht, dass sie vom Zielstaat aus in diesen Drittstaat gelangen werden (sog. Kettenrefoulement).104 97
CAT, A. A. v. Switzerland, 268/2005, 01. Mai 2007, §§ 8.4, 8.6. Hiervon ist der Ausschuss nicht nur in extremen Fällen ausgegangen, in denen die frühere Folter über 15 Jahre zurück lag, so etwa in CAT, Y. v. Switzerland, 431/2010, 21. Mai 2013, § 7.7; CAT, A. R. v. The Netherlands, 203/2002, § 7.4. Der Ausschuss geht auch bei einer Zeitspanne von sechs Jahren in der Regel davon aus, dass das Folterrisiko nicht fortbesteht, CAT, S. S. S. v. Canada, 245/2004, 16. November 2005, § 8.4; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, 11. November 2003, § 6.6; CAT, N. Z. S. v. Sweden, 277/2005, 22. November 2006, § 8.5. 99 CAT, Dadar v. Canada, 258/2004, §§ 8.6, 8.7. 100 CAT, B. M. v. Sweden, 179/2001, 30. April 2002, § 5.3. 101 CAT, El Rgeig v. Switzerland, 280/2005, 15. November 2006, § 7.4. 102 CAT, Z. K. v. Sweden, 301/2006, 09. Mai 2008, §§ 8.4, 8.6. 103 Demnach muss der Staat nachweisen, dass er in seinem nationalen Verfahren alle relevanten Umstände berücksichtigt hat, einschließlich einer ständigen Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen (,consistent pattern of gross, flagrant or mass violations of human rights‘). Siehe hierzu sogleich Kapitel D. II. 2. c). 104 CAT, General Comment No. 4, § 49 (g). 98
86
D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Unabhängig von der Frage, ob drohende Misshandlungen durch private Akteure Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK darstellen können,105 lässt der Ausschuss jedenfalls auch zu, dass beschwerdeführende Personen Drohungen von solchen nichtstaatlichen Akteuren als Indiz für drohende (staatliche) Folter im Zielstaat vorbringen.106 Auch ist oft ausreichend, dass die Person nachweist, dass Familienmitglieder zu einer besonders betroffenen oder schützenswerten Gruppe gehören oder in der Vergangenheit gefoltert wurden. Voraussetzung ist hierfür eine hinreichend enge persönliche Verbindung zu dem Familienmitglied.107 Allerdings kann auch umgekehrt ein nicht gefoltertes oder sonst misshandeltes Familienmitglied im Zielstaat Indiz dafür sein, dass der beschwerdeführenden Person keine solche Misshandlung (mehr) droht.108 Zudem lässt der Ausschuss die familiäre Verbindung zu einer im Zielstaat gefolterten Person nicht allein ausreichen, um auch ein Folterrisiko der beschwerdeführenden Person zu begründen.109 Darüber hinaus beinhaltet das Refoulementverbot aus Artikel 3 AFK auch eine verfahrensrechtliche Komponente. Beschwerdeführende Personen können bei Rüge einer Verletzung von Artikel 3 AFK daher etwa auch darlegen, dass ihnen im nationalen Risikobewertungsverfahren nicht die erforderlichen prozessualen Garantien zur Verfügung standen, um ihre Bedenken zum Prinzip des Non-Refoulement vorzubringen.110 Schließlich kann Indiz für einen Verstoß gegen Artikel 3 AFK auch sein, dass der beschwerdeführenden Person allein durch Erhebung der Individualbeschwerde eine Misshandlung im Zielstaat droht, und zwar nicht allein Folter, sondern auch grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.111 Im Rahmen der Beweislast spielt die Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person eine entscheidende Rolle. General Comment Nr. 4 ersetzt den ersten General Comment des Ausschusses gegen Folter auf der Grundlage der zwischenzeitlich erarbeiteten Praxis des Ausschusses.112 General Comment Nr. 4 enthält gegenüber dem ersten General Comment des Ausschusses einen weitaus detaillierteren Leitfaden für die Parteien in Individualbeschwerdeverfahren zu Artikel 3 AFK. Während General Comment Nr. 1 lediglich den Hinweis enthielt, dass die Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person von Relevanz sei und Unstimmigkeiten in deren
105
Siehe unten Kapitel D. I. 3. b) cc). CAT, Kalinichenko v. Morocco, 428/2010, 25. November 2011, § 15.6. 107 CAT, M. V. v. The Netherlands, 201/2002, 02. Mai 2003, § 7.3. 108 CAT, H. D. v. Switzerland, 112/1998, 30. April 1999, § 6.5; CAT, Y. S. v. Switzerland, 147/1999, 14. November 2000, § 6.6. 109 CAT, Z. T. v. Australia, 153/2000, 11. November 2003, § 6.3; CAT, K. S. Y. v. The Netherlands, 190/2001, 15. Mai 2003, § 7.2. 110 CAT, General Comment No. 4, § 49 (d). 111 Ebenda, § 49 (e). 112 Ebenda, §§ 3, 1. 106
I. Ausschuss gegen Folter
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Aussagen erheblich sein können,113 ist der aktuelle General Comment Nr. 4 deutlich differenzierter. Demnach sei bei der Frage der Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person stets zu beachten, dass diese mehrheitlich aufgrund ihrer Erlebnisse inkohärente Aussagen treffen und/oder Gedächtnislücken aufweisen. Der Ausschuss nennt als Beispiele Asylsuchende, ehemalige Gefangene und Opfer von Folter oder sexueller Gewalt.114 Deshalb hat der Vertragsstaat in seiner Bewertung der Aussagen der beschwerdeführenden Person zu berücksichtigen, wenn die Person eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund früherer Folter oder anderer Misshandlung nachweisen kann.115 Allerdings müssen Opfer früherer Folter in der Lage sein, Beweise für eine solche zu erbringen.116 Auch hat der Ausschuss gegen Folter einem Beschwerdeführer Glauben geschenkt, der im nationalen Asylverfahren zunächst falsche Angaben zu Identität und Herkunft gemacht hatte, da er glaubte, allein aufgrund der allgemein guten Menschenrechtslage in seinem Herkunftsstaat Tunesien würde ihm kein Asyl gewährt.117 Auch mögliche Missverständnisse wegen Übersetzungsschwierigkeiten müssen nach der Praxis des Ausschusses berücksichtigt werden.118 Ausreichend ist, wenn die beschwerdeführende Person ein allgemein stichhaltiges Vorbringen präsentieren kann.119 Wenn Beweise nicht beigebracht werden können, muss die beschwerdeführende Person plausible Erklärungen dafür abgeben, warum das Beibringen nicht möglich ist.120 Wenn eine beschwerdeführende Person nachweisen kann, dass ihr die Beibringung von Beweisen unmöglich ist, führt dies ebenfalls zu einer Beweislastumkehr und der Vertragsstaat muss dann beweisen, dass ein Risiko der Folter nicht besteht.121 Während der Ausschuss einige Gründe akzeptiert, warum Aussagen widersprüchlich oder unglaubhaft sein können, gibt er jedenfalls dann dem Staat recht, wenn Aussagen wegen Unglaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person nicht berücksichtigt wurden und diese keinerlei Erklärungen für die Widersprüchlichkeit
113
CAT, General Comment No. 1, § 8 (f), (g). CAT, General Comment No. 4, § 49 (h). 115 Ebenda, § 42. Hieraus kann sich auch die Pflicht des Vertragsstaates zur Einholung weiterer medizinischer Gutachten ergeben, um Zweifel zu beseitigen, CAT, Mr. X and Mr. Z v. Finland, 483/2011, 485/2011, 12. Mai 2014, § 7.5; CAT, F. K. v. Denmark, 580/2014, 23. November 2015, § 7.6. 116 CAT, E. T. B. v. Denmark, 146/1999, 30. April 2002, § 10. 117 CAT, A. v. The Netherlands, 091/1997, 13. November 1998, § 6.5. 118 CAT, V. X. N. and H. N. v. Sweden, 130/1999, 131/1999, 15. Mai 2000, § 13.6; CAT, H. K. v. Australia, 701/2015, 10. Mai 2017, § 7.6. 119 CAT, General Comment No. 4, § 49 (i). 120 CAT, S. P. A. v. Canada, 282/2005, § 7.5; CAT, K. T. v. Switzerland, 118/1998, § 6.4. 121 CAT, General Comment No. 4, § 38. 114
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ihrer Aussagen geben kann.122 Wenn der Staat nachweisen kann, dass von der beschwerdeführenden Person beigebrachte Dokumente gefälscht sind, stellt der Ausschuss hohe Anforderungen an einen Gegenbeweis durch die beschwerdeführende Person.123 Ebenso teilt der Ausschuss gegen Folter die Zweifel des Vertragsstaates an der Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person, wenn diese keinerlei Probleme bei der Erlangung eines Visums und Ausreise aus dem Zielstaat hatte.124 Ferner folgt der Ausschuss der Ansicht des Vertragsstaates, wenn die beschwerdeführende Person im Rahmen des nationalen Verfahrens unterschiedliche Identitätspapiere verwendet hat und ihre Angst vor Misshandlung im Zielstaat auf unterschiedliche, sich widersprechende Gründe bezogen hat.125 Auch wenn die beschwerdeführende Person im nationalen Verfahren erst nach Ablehnung ihres Asylantrags erstmalig erwähnt, in der Vergangenheit gefoltert worden zu sein, folgt der Ausschuss der Ansicht des Staates, dass dieses Verhalten die beschwerdeführende Person unglaubwürdig erscheinen lasse.126 Um als glaubwürdig eingestuft zu werden, kann es auch erforderlich sein, dass die beschwerdeführende Person detaillierte Schilderungen zu ihrer Fluchtgeschichte abgibt. Der Ausschuss verlangt, dass Menschen, die mehrere Länder durchreist haben, um in ihren jetzigen Aufenthaltsstaat zu gelangen, erklären, warum sie nicht in diesen Ländern geblieben sind.127 Schließlich enthält General Comment Nr. 4 eine Zweifelsfallregelung zugunsten der beschwerdeführenden Person. Sinn und Zweck der Antifolterkonvention ist die Prävention von Folter und nicht die Regelung von Abhilfe nach geschehener Folter. Der Ausschuss gegen Folter ist daher der Auffassung, dass bei verbleibenden Zweifeln davon auszugehen ist, dass die Darstellungen der beschwerdeführenden Person korrekt sind.128 c) Umkehr der Beweislast Zwar liegt im Individualbeschwerdeverfahren nach Artikel 22 AFK die Beweislast zunächst bei der beschwerdeführenden Person. Das bedeutet aber nicht, dass der betroffene Vertragsstaat im Individualbeschwerdeverfahren eine passive Rolle 122 CAT, N. M. v. Switzerland, 116/1998, 09. Mai 2000, § 6.6; CAT, A. K. v. Australia, 148/ 1999, 05. Mai 2004, § 6.2; CAT, M. M. et al. v. Sweden, 332/2007, § 7.6; CAT, Thirugnanasampanthar v. Australia, 614/2014, § 8.7. 123 CAT, A. M. v. France, 302/2006, § 13.5; CAT, S. G. et al. v. Switzerland, 352/2008, 30. Mai 2011, § 11.4; CAT, A. A. M. v. Sweden, 413/2010, 23. Mai 2012, § 9.7. 124 CAT, A. v. Canada, 583/2014, 09. Mai 2016, § 7.4. 125 CAT, X. Q. L. v. Australia, 455/2011, 02. Mai 2014, § 9.4. 126 CAT, X. Y. v. Switzerland, 128/1999, 15. Mai 2001, §§ 6.7, 6.8, 8.5. 127 CAT, S. P. A. v. Canada, 282/2005, § 7.5. 128 CAT, General Comment No. 4 § 51; CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, § 8.10.
I. Ausschuss gegen Folter
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hat.129 Ihn treffen Kooperationspflichten aus Artikel 22 AFK, die sich im Nachweis der Erfüllung der materiellen Pflichten (also hier aus Artikel 3 AFK) manifestieren. Hat eine betroffene Person hinreichend dargelegt, dass eine tatsächliche, persönliche Gefahr der Folter im Zielstaat besteht, kommt es zu einer Beweislastumkehr zulasten des betroffenen Vertragsstaates.130 aa) Ordentliche Folter-Risikobewertung im Einzelfall Der Vertragsstaat kann sich also unter gewissen Umständen entlasten. Gemäß Artikel 3 Abs. 2 AFK muss ein Staat eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen in seinem Risikobewertungsverfahren berücksichtigen. Diese systematischen Menschenrechtsverletzungen sind nur ein möglicher Faktor, welchen der Vertragsstaat zu beachten hat. Die Nennung in Artikel 3 Abs. 2 AFK ist nicht abschließend. Auch muss das Vorliegen solcher Menschenrechtsverletzungen im Zielstaat nicht zwingend dazu führen, dass eine Verbringung hierher einen Verstoß gegen Artikel 3 AFK darstellt. Bereits in seiner ersten Individualbeschwerde zu Artikel 3 AFK hat der Ausschuss gegen Folter festgestellt, dass sich allein aufgrund des Bestehens einer ständigen Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen noch keine persönliche Betroffenheit der Person ergibt. Ebenso wenig sei aber ausreichend, dass der Staat, gegen den sich die Individualbeschwerde richtet, nachweist, dass im Zielstaat keine derartigen Menschenrechtsverletzungen praktiziert werden, da dies nicht schon die Möglichkeit eines Folterrisikos für die betroffene Person ausschließe: „The aim of the determination, however, is to establish whether the individual concerned would be personally at risk of being subjected to torture in the country to which he would return. It follows that the existence of a consistent pattern of gross, flagrant or mass violations of human rights in a country does not as such constitute a sufficient ground for determining that a person would be in danger of being subjected to torture upon his return to that country; additional grounds must exist that indicate that the individual concerned would be personally at risk. Similarly, the absence of a consistent pattern of gross violations of human rights does not mean that a person cannot be considered to be in danger of being subjected to torture in his specific circumstances.“131
Neben der allgemeinen Lage im Zielstaat muss der Vertragsstaat also auch stets eine individuelle Ermittlung des persönlichen Risikos der betroffenen Person vornehmen. Für dieses nationale Risikobewertungsverfahren hat der Ausschuss gegen Folter in seiner Praxis eine Reihe von Anforderungen sowohl was den Inhalt als auch den Ablauf des nationalen Risikobewertungsverfahrens angeht etabliert. Eine Zusammenfassung der inhaltlichen Anforderungen findet sich im General Comment 129
484 ff. 130
Vgl. K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement,
CAT, General Comment No. 4, § 38. CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.3. Dies ist seitdem eine Standardformulierung in allen Individualbeschwerdeverfahren zu Artikel 3 AFK. 131
90
D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Nr. 4. Hierin hat der Ausschuss gegen Folter eine nicht abschließende Liste an Faktoren aufgestellt, welche die Vertragsstaaten beachten sollen. Hierzu gehören die früheren Erfahrungen der betroffenen Person im Zielstaat, nämlich ob diese in der Vergangenheit unter Missachtung grundlegender Verfahrensrechte verhaftet oder verurteilt wurde, Opfer von Gewalt durch Behörden war oder während einer Haft gefoltert wurde oder andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe erfahren hat oder ob der Person eine solche Strafe droht, sowie ob der Person Versklavung, Zwangsarbeit oder Menschenhandel drohen. Auch drohende oder geschehene Verfolgung oder Misshandlung von Familienmitgliedern muss der Vertragsstaat beachten, namentlich bei Verhaftung, terroristischen Anschlägen, Verschwindenlassen, Tötung oder Folter von Familienmitgliedern. Des Weiteren haben Staaten die persönlichen Umstände der betroffenen Person zu beachten, etwa ob diese aufgrund ihres Geschlechts wahrscheinlich Opfer von (sexueller) Gewalt werden könnte oder ob eine minderjährige Person in besonderer Weise schützenswert ist. Insbesondere haben die Vertragsstaaten hierbei auch drohende Misshandlungen durch Private zu beachten. Schließlich nennt der Ausschuss in seinem General Comment Nr. 4 auch Verstöße gegen die Genfer Konventionen und das Römische Statut als Faktoren, welche die Vertragsstaaten beachten müssen.132 Diese Auflistung zeigt, dass nicht nur bereits geschehene oder drohende Folter für die Ermittlung eines Risikos nach Artikel 3 AFK relevant ist. Auch eine frühere Misshandlung im Sinne des Artikel 16 AFK kann jedenfalls Indiz für ein bestehendes Folterrisiko sein und sollte daher von dem Vertragsstaat, welcher die aufenthaltsbeendende Maßnahme erlässt, beachtet werden.133 In seiner Praxis hat der Ausschuss erläutert, dass dies deshalb relevant ist, weil sich andere Formen der Misshandlung zu Folter entwickeln können und die Grenzen oft nicht objektiv zu unterscheiden, sondern von dem individuellen Empfinden der betroffenen Person abhängig seien.134 Daher sind vom Vertragsstaat stets individuelle Fragen des Einzelfalls zu beachten, welche die persönlichen Umstände der Person berücksichtigen. Diese können sich etwa aus deren Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand oder Ähnlichem ergeben.135 Da Artikel 3 AFK auch eine verfahrensrechtliche Komponente enthält, ist für die Entlastung des Vertragsstaates nicht nur erforderlich, dass dieser eine gründliche materielle Prüfung des Folterrisikos nachweist. Das Risikobewertungsverfahren selbst muss auch einer Reihe prozessualer Mindeststandards genügen. Diese betreffen sowohl den Ablauf des Verfahrens als auch die der betroffenen Person gegen 132
CAT, General Comment No. 4, § 29. Ebenda, § 28. 134 CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 8.10; CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, § 9.6. 135 CAT, General Comment No. 4, § 17. Der Ausschuss verweist hierbei auf seine deutlich detailliertere Auflistung persönlicher Umstände in seinem General Comment Nr. 2, siehe CAT, General Comment No. 2, § 21. 133
I. Ausschuss gegen Folter
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die nationale Entscheidung zur Verfügung stehenden Rechtsmittel.136 Wenn der Vertragsstaat ein den Anforderungen des Ausschusses gegen Folter genügendes Risikobewertungsverfahren nachweisen kann, entlastet er sich hierdurch.137 Trotz dieser umfangreichen Vorgaben zum nationalen Risikobewertungsverfahren kommt es in der Praxis des Ausschusses aber selten dazu, dass er einen Verstoß gegen Artikel 3 AFK allein aufgrund von Verfahrensfehlern annimmt. Obwohl der Ausschuss seinem Selbstverständnis nach eine freie Risikobewertung vornimmt, hält er nur in extremen Fällen die nationalen Verfahren für rechtswidrig.138 Das kann dann der Fall sein, wenn der Staat überhaupt kein individualisiertes Verfahren durchgeführt hat. Ein solches verlangt der Ausschuss ausnahmslos. Auch im Falle großer Gruppen von Menschen, die gleichzeitig Zugang zu einem Staat begehren, hat jeder Mensch das Recht auf eine individuelle Ermittlung des persönlichen Folterrisikos.139 Jedenfalls fragwürdig sind solche Entscheidungen der die Aufenthaltsbeendigung erlassenden Vertragsstaaten, die aus rein prozessualen Gründen das Vorbringen des potenziellen Opfers abgelehnt haben.140 In solchen Fällen schenkt der Ausschuss im Zweifel der beschwerdeführenden Person Glauben.141 Wenn allerdings nicht nachweisbar ist, dass der Staat durch den gerügten und festgestellten Verfahrensfehler in seiner Risikobewertung zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, als ohne den Fehler, dann stellt der Ausschuss keinen Verstoß gegen Artikel 3 AFK aufgrund des Verfahrensfehlers fest.142 bb) Einwirken auf das Folterrisiko Neben dem Nachweis eines ordentlichen Risikobewertungsverfahrens können sich Vertragsstaaten vor allem dadurch entlasten, dass sie nachweisen, dass den von der betroffenen Person genannten Risikofaktoren vorgebeugt wird. Das wohl wichtigste Argument eines Staates, eine Aufenthaltsbeendigung für mit dem Prinzip des Non-Refoulement vereinbar zu halten ist, dass der Zielstaat bereit ist, die betroffene Person zu schützen. Hierbei geht es nicht nur um die allgemeine rechtliche und tatsächliche Lage im Zielstaat, sondern auch darum, ob die konkrete Einzel136
CAT, General Comment No. 4, §§ 13, 42, 43. CAT, S. S. and S. A. v. The Netherlands, 142/1999, 11. Mai 2001, § 6.6; CAT, A. R. v. The Netherlands, 203/2002, § 7.6; CAT, S. U. A. v. Sweden, 223/2002, 22. November 2004, § 6.5. 138 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 492. 139 CAT, Concluding Observations on The Former Yugoslav Republic of Macedonia, 1999, A/54/44, § 116; CAT, Concluding observations on the seventh periodic report of Greece, 03. September 2019, CAT/C/GRC/CO/7. 140 CAT, Aemei v. Switzerland, 034/1995, 09. Mai 1997, § 9.8. 141 CAT, C. T. and K. M. v. Sweden, 279/2005, 17. November 2006, § 7.5; CAT, Iya v. Switzerland, 299/2006, §§ 6.5 – 7; CAT, Sogi v. Canada, 297/2006, 16. November 2007, §§ 10.2 – 10.10; CAT, Chun Rong v. Australia, 416/2010, 05. November 2012, §§ 7.5 – 8; CAT, M. B. et al. v. Denmark, 634/2014, 25. November 2016, §§ 9.6 – 9.8. 142 CAT, Brada v. France, 195/2002, §§ 13.5, 13.6; CAT, I. A. v. Sweden, 729/2016, §§ 9.6, 10. 137
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
person Schutz erwarten kann. Das ist etwa dann denkbar, wenn die von der Person befürchtete Gefahr nur in einem Teil des Territoriums des Zielstaates besteht (sogenannte interne Fluchtalternative), wenn alternativ eine Verbringung in einen sicheren Drittstaat möglich ist oder wenn der die Aufenthaltsbeendigung vollziehende Staat mit dem Zielstaat Absprachen zum Schutz dieser konkreten Person trifft (sogenannte diplomatische Zusicherungen). Die Frage des Schutzes durch den Zielstaat ist vor dem Ausschuss gegen Folter besonders relevant. Während andere VN-Vertragsorgane auch vor Misshandlung durch Private im Zielstaat schützen, ist der Schutzbereich des Artikel 3 Abs. 1 AFK grundsätzlich auf staatliche Handlungen begrenzt.143 Ob und inwieweit der Zielstaat fähig und willens ist, die betroffene Person zu schützen, ist also entscheidend für die Frage, ob für die Person eine tatsächliche Gefahr des Refoulement im Sinne des Artikel 3 AFK besteht. (1) Änderung der Lage im Zielstaat Ein häufiges Argument für die Aufenthaltsbeendigung von Personen, die in der Vergangenheit im Zielstaat Misshandlung erfahren haben, ist, dass sich die allgemeine Menschenrechtslage dort seitdem verbessert habe. Ein Indikator hierfür ist etwa, dass Geflüchtete in den Zielstaat zurückkehren oder bereits zurückgekehrt sind, ohne erneut Misshandlungen zu erfahren.144 Ebenso sind Berichte über Folter und ähnliche Misshandlungen von Geflüchteten nach deren Rückkehr in den Zielstaat Indiz für das Fortbestehen der schlechten allgemeinen Menschenrechtslage.145 Deutliche Indikatoren für die Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat sind Friedensprozesse, Waffenruhen oder Regierungsbildung.146 Spiegelbildlich zum Nachweis einer schlechten allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat durch die beschwerdeführende Person kann der betroffene Vertragsstaat durch Nachweis einer Verbesserung der allgemeinen Lage allein nicht nachweisen, dass kein persönliches Risiko mehr besteht. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die beschwerdeführende Person ihr persönliches Risiko mit einem politischen Engagement begründet und der Staat nachweist, dass durch einen Regierungswechsel im Zielstaat kein staatliches Interesse an der Person wegen dieses Engagements mehr zu 143
Vgl. unten Kapitel D. I. 3. b) cc). CAT, H. M. H. I. v. Australia, 177/2001, § 6.6; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.3; CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/2001, 05. Mai 2003, § 6.3; CAT, U. S. v. Finland, 197/ 2002, 01. Mai 2003, § 7.7; CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, 12. Mai 2004, § 6.3. 145 CAT, K. V. v. Australia, 600/2014, 11. August 2016, § 7.7; CAT, Concluding Observations on the fifth periodic report of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, 24. Juni 2013, CAT/C/GBR/CO/5, § 20. 146 CAT, A. L. N. v. Switzerland, 090/1997, 19. Mai 1998, § 8.6; CAT, Y. H. A. v. Australia, 162/2000, § 7.4; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.3; CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/ 2001, § 6.3; CAT, U. S. v. Finland, 197/2002, § 7.7; CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, § 6.5; CAT, M. C. M. v. F. v. Sweden, 237/2003, 14. November 2005, § 6.4. 144
I. Ausschuss gegen Folter
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befürchten ist.147 Ein Regimewechsel kann folglich nur dann ausschlaggebend sein, wenn dieser für die betroffene Person bedeutet, dass sie nicht länger mit einer politischen Verfolgung rechnen kann.148 Ein Argument der Vertragsstaaten, das vor dem Ausschuss gegen Folter dagegen grundsätzlich kein Gewicht hat, ist die Angabe, der Zielstaat verbiete Folter. Zwar kann die Tatsache, dass ein Staat kein Vertragsstaat ist, ein Argument für das Bestehen eines Folterrisikos sein.149 Hieraus ergibt sich aber nicht im Umkehrschluss, dass Staaten, die über gesetzliche Verbote von Folter verfügen, generell sichere Zielstaaten sind. Entscheidend ist allein die tatsächliche Lage im Zielstaat. Dass der Zielstaat die AFK ratifiziert oder sich dem Verfahren nach Artikel 22 AFK unterworfen hat, ist unbeachtlich, denn Hauptziel der Konvention ist die Prävention von Folter, nicht die spätere Sanktionierbarkeit des staatlichen Verhaltens.150 Es reicht daher auch nicht aus, dass durch die Überprüfbarkeit des Zielstaates durch den Ausschuss gegen Folter der Umgang mit der betroffenen Person im Zielstaat durch den Ausschuss gegen Folter nachvollziehbar bleibt. Die Frage, ob der Zielstaat Individualbeschwerden nach Artikel 22 AFK zulässt, ist aber jedenfalls dann von Bedeutung, wenn die betroffene Person nicht unmittelbar im Zielstaat ein Folterrisiko, sondern eine Gefahr des mittelbaren Refoulement, das sogenannte Kettenrefoulement, befürchtet.151 Hierbei kann dadurch, dass eine erneute Aufenthaltsbeendigung vom Zielstaat in einen weiteren Staat durch den Ausschuss gegen Folter überprüfbar ist, die erste Aufenthaltsbeendigung vom Aufenthaltsstaat in den Zielstaat unbedenklich sein. Daher kommt es dann, wenn der betroffene Vertragsstaat darlegt, dass die Verbringung in den von ihm ausgewählten Zielstaat unbedenklich ist, zu einer erneuten Beweislastumkehr. Die beschwerdeführende Person muss dann darlegen, dass eine Gefahr des Kettenrefoulement besteht.152 (2) Interne Fluchtalternative Ein weiteres, häufig verwendetes Argument der Vertragsstaaten ist jenes der internen Fluchtalternative. Denkbar ist, dass einer beschwerdeführenden Person nur in einem bestimmten Gebiet Folter droht, sie aber in einem anderen Gebiet den 147 CAT, X., Y. and Z. v. Sweden, 061/1996, 06. Mai 1998, § 11.3; CAT, M. A. M. v. Sweden, 196/2002, 14. Mai 2004, § 6.5; CAT, T. M. v. Sweden, 228/2003, § 7.3; CAT, S. A. v. Sweden, 243/2004, 06. Mai 2004, § 4.2; CAT, M. N. v. Switzerland, 259/2004, 17. November 2006, § 6.6. 148 CAT, T. M. v. Sweden, 228/2003, § 7.3; CAT, C. T. and K. M. v. Sweden, 279/2005, § 7.7. 149 CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.6; CAT, Tahir Hussain Khan v. Canada, 015/1994, 15. November 1994, § 12.5; CAT, Harminder Singh Khalsa et al. v. Switzerland, 336/ 2008, 26. Mai 2011, § 11.7; CAT, Abed Azizi v. Switzerland, 492/2012, 27. November 2014, § 8.8; CAT, N. A. A. v. Switzerland, 639/2014, 02. Mai 2017, § 7.10. Siehe auch unten Kapitel D. I. 3. b). 150 CAT, Alan v. Switzerland, 021/1995, 08. Mai 1996, § 11.5. 151 Siehe auch unten Kapitel D. I. 3. 152 CAT, H. I. A. v. Sweden, 216/2002, 02. Mai 2003, § 6.2.
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Schutz des Zielstaates erwarten kann. Gegen die Beachtung solcher Umstände im Rahmen des Artikel 3 Abs. 1 AFK spricht dessen Wortlaut. Während etwa Artikel 33 Abs. 1 GFK verbietet, Flüchtlinge in Gebiete zu schicken, schützt Artikel 3 Abs. 1 AFK explizit vor der Verbringung in einen anderen Staat. Da die Antifolterkonvention das Refoulementverbot auch in Kenntnis des Verbots aus Artikel 33 Abs. 1 GFK formuliert hat, ist davon auszugehen, dass diese sprachliche Abweichung bewusst getroffen wurde. Es folgt also, dass Artikel 3 Abs. 1 AFK im Gegensatz zur GFK vor dem Refoulement in einen ganzen Staat und nicht nur in Teilgebiete dieses Staates schützt. Der Ausschuss gegen Folter vertritt eine moderatere Auffassung. Er lehnt das Konzept der internen Fluchtalternative nicht generell ab, sieht es aber vermehrt kritisch. So hält er das Konzept laut seinem General Comment Nr. 4 für ,weder verlässlich noch effektiv‘.153 Hieraus ergibt sich zum einen, dass ein Staat nicht allein aufgrund der Annahme, dass eine interne Fluchtalternative besteht, von einer Risikobewertung unter Berücksichtigung der von der beschwerdeführenden Person beigebrachten Beweise absehen kann.154 In der Mehrzahl der Fälle, in denen Staaten, gegen die sich die Individualbeschwerde richtete, von einer internen Fluchtalternative ausgingen, hat der Ausschuss das Bestehen einer solchen abgelehnt. In seinem ersten Fall zu internen Fluchtalternativen, Ismail Alan v. Switzerland, ging die Schweiz davon aus, einen Kurden mit türkischer Staatsangehörigkeit zwar nicht in jedes türkische Gebiet, unproblematisch aber in Gebiete außerhalb des türkischen Nordostens abschieben zu können. Da der Beschwerdeführer zuvor aber bereits erfolglos versucht hatte, innerhalb der Türkei einen sicheren Ort zu finden, ist der Ausschuss gegen Folter der Einschätzung der Schweiz nicht gefolgt.155 Die Nichtexistenz sicherer Gebiete jedenfalls für politisch aktive Kurden innerhalb der Türkei hat der Ausschuss in weiteren Fällen, auch unter Bezugnahme auf die Praxis des UNHCR, bestätigt.156 Jedenfalls dann, wenn die beschwerdeführende Person eine fortbestehende, ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen im Zielstaat nachweisen kann, können Vertragsstaaten nicht den Gegenbeweis erbringen, dass sich Gefahren auf bestimmte Gebiete innerhalb solcher Zielstaaten beschränken.157 Bei der Frage, ob eine interne 153
CAT, General Comment No. 4, § 47. CAT, I. A. v. Sweden, 729/2016, § 9.6. 155 CAT, Alan v. Switzerland, 021/1995, § 11.4. Siehe auch CAT, Nirmal Singh v. Canada, 319/2007, 30. Mai 2011, § 8.6. Der Beschwerdeführer war hier zunächst intern in drei Provinzen seines Herkunftsstaates geflohen, bevor er ausgereist war. Dem Ausschuss genügte das für die Annahme, dass das gesamte Staatsgebiet für den Beschwerdeführer nicht sicher ist. 156 CAT, Hayden v. Sweden, 101/1997, 20. November 1998, § 6.4; CAT, Ayas v. Sweden, 097/1997, 12. November 1998, § 6.4. Auch im Übrigen zieht der Ausschuss Berichte des UNHCR zur Beurteilung möglicherweise sicherer Teilgebiete eines Staates heran, siehe etwa CAT, N. B.-M. v. Switzerland, 347/2008, 14. November 2011, § 9.5. 157 CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/2007, 14. Mai 2010, §§ 9.5 f.; CAT, BakatuBia v. Sweden, 379/2009, 03. Juni 2011, § 10.7. Siehe auch CAT, Elmi v. Australia, 120/1998, §§ 6.5 – 6.8. 154
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Fluchtalternative in sichere Gebiete besteht, müsse auch berücksichtigt werden, ob es den betroffenen Personen möglich sein wird, von ihrem Ankunftsort aus gefahrlos in diese Gebiete zu gelangen.158 Die Praxis des Ausschusses gegen Folter hat sich in Bezug auf Fluchtalternativen gewandelt. Anfänglich stellte er bisweilen hohe Anforderungen an die beschwerdeführenden Personen, nachzuweisen, dass keine interne Fluchtalternative besteht. Da es zunächst Aufgabe der beschwerdeführenden Person ist darzulegen, dass eine Gefahr der Folter im Zielstaat besteht, hat der Ausschuss gegen Folter es für nicht ausreichend gehalten, dass der Beschwerdeführer im Fall B. S. S. v. Canada darlegt, dass für ihn ein Risiko der Folter in einer bestimmten Region besteht, ohne ein Risiko auch für andere Teile des Landes darlegen zu können.159 Noch weitergehend hat der Ausschuss sogar bereits das Bestehen einer Gefahr deshalb bezweifelt, weil die beschwerdeführenden Personen nicht zunächst versucht hatten, innerhalb ihres Herkunftsstaates zu fliehen.160 Eine differenzierte Sichtweise hat der Ausschuss gegen Folter in S. S. S. v. Canada gezeigt. Demnach habe der Beschwerdeführer nur nachgewiesen, dass ein allgemeines Folterrisiko in einer bestimmten Region besteht. Ein Folterrisiko im gesamten Gebiet des Zielstaates sei zwar denkbar, aber nur für ,high-profile persons‘, also solche Personen, die in besonderer Weise Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dass der Beschwerdeführer eine solche Person ist, hatte er aber ebenfalls nicht nachgewiesen. Der Ausschuss gegen Folter verneinte daher einen Verstoß gegen das Refoulementverbot.161 Auch hat der Ausschuss in seiner frühen Praxis dazu tendiert, insbesondere dann von einer internen Fluchtalternative auszugehen, wenn die Gefahr von Privaten ausgeht, da diese oft nicht in dem gesamten Staatsgebiet Macht ausübten.162 Mit dieser Vorgehensweise hat der Ausschuss gegen Folter die Darlegungs- und Beweislast der beschwerdeführenden Person weit gefasst, während er vom betroffenen Vertragsstaat nicht verlangte, zu erklären, inwiefern sich die Praktiken des Staatsapparats in einer Region isoliert betrachten lassen. Dies wurde zu Recht kritisiert.163 In seiner jüngeren Praxis hat der Ausschuss gegen Folter höhere Anforderungen an die Beweislast der Staaten im Zusammenhang mit dem Konzept der internen Fluchtalternative gestellt. So ist er nunmehr der Auffassung, dass das Argument, eine Gefahr bestehe lokal, nicht generell die Argumente der beschwerdeführenden Person entkräften könne.164 Es wird der beschwerdeführenden Person in der Regel nicht 158
CAT, Harminder Singh Khalsa et al. v. Switzerland, 336/2008, § 11.6. CAT, B. S. S. v. Canada, 183/2001, 12. Mai 2004, § 11.5. 160 CAT, C. A. R. M. et al. v. Canada, 298/2006, § 8.9. 161 CAT, S. S. S. v. Canada, 245/2004, § 8.5. 162 CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/2001, § 6.4. 163 Siehe etwa K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 494. 164 CAT, Kalonzo v. Canada, 343/2008, § 9.7; CAT, H. K. v. Australia, 701/2015, § 7.7. 159
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möglich sein, zu beweisen, dass etwa ein Verfolgungsinteresse an ihrer Person in einem gesamten Staat besteht. Ein Vertragsstaat, der davon ausgeht, dass es sich nur um eine lokale Gefahr handelt und interne Fluchtalternativen bestehen, trägt mithin hierfür die Beweislast.165 Auch seine Praxis zu nichtstaatlichen Akteuren in diesem Zusammenhang hat der Ausschuss in jüngster Zeit radikal geändert. So ist er nunmehr der Auffassung, dass gerade dann, wenn die Gefahr von Privaten ausgeht, eine Beschränkung auf ein bestimmtes Teilgebiet eines Staates nicht möglich sei, da insbesondere eine von regierungsfeindlichen Gruppen ausgehende Gefahr meist beliebig sei.166 In seinem aktuellen General Comment Nr. 4 stellt der Ausschuss gegen Folter nunmehr zusammengefasst folgende Anforderungen an den Zielstaat, um von der Existenz einer nur lokalen Gefahr ausgehen zu können: „When assessing whether ,substantial grounds‘ exist, the Committee considers that a receiving State should have demonstrated certain essential measures to prevent and prohibit torture throughout the entire territory under its jurisdiction, or control or authority, such as clear legislative provisions on the absolute prohibition of torture and its punishment with adequate penalties, measures to put an end to the impunity for acts of torture, violence and other illegal practices committed by public officials, the prosecution of public officials allegedly responsible for acts of torture and other ill-treatment and their punishment commensurate with the gravity of the crime committed when they are found guilty.“167
Hieraus folgt für Vertragsstaaten, die eine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigen, dass diese das Argument der internen Fluchtalternative jedenfalls dann nicht geltend machen können, wenn mindestens in Teilgebieten des Zielstaates Folter nicht verboten ist, beziehungsweise nicht verfolgt wird und Folternde straflos bleiben. Der Ausschuss hat in seiner Praxis auch bereits angedeutet, dass die Verbringung in ein sicheres Teilgebiet nur mit entsprechenden diplomatischen Zusicherungen möglich wäre.168 (3) Sichere Drittstaaten Ein mit der internen Fluchtalternative verwandtes Konzept ist jenes des sicheren Drittstaats. Vertragsstaaten, die eine Aufenthaltsbeendigung etwa in den Herkunftsstaat einer Person planen, können, wenn die Person nachweist, dass ihr im Herkunftsstaat Folter droht, eine Fluchtalternative in einen Drittstaat vorschlagen. Der Ausschuss gegen Folter hält sichere Drittstaaten für eine universell akzeptierte Praxis und hat bereits entschieden, dass nationale Risikobewertungsverfahren deshalb unrechtmäßig waren, weil die Möglichkeit der Verbringung in einen Drittstaat 165
CAT, Uttam Mondal v. Sweden, 338/2008, 23. Mai 2011, § 7.4; CAT, I. A. v. Sweden, 729/ 2016, § 9.6. 166 CAT, M. K. M. v. Australia, 681/2015, 10. Mai 2017, § 8.9. 167 CAT, General Comment No. 4, § 48. 168 CAT, N. S. v. Canada, 582/2014, 01. Dezember 2016, § 9.6. Siehe zu diplomatischen Zusicherungen sogleich unter (4).
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nicht geprüft wurde.169 Folglich gibt der Ausschuss gegen Folter sehr großzügig den Vertragsstaaten recht, wenn sie die Verbringung in sichere Drittstaaten vorsehen. So ist der Ausschuss beispielsweise der Auffassung, dass Menschen, die mehrere Länder durchreist haben, um in ihren jetzigen Aufenthaltsstaat zu gelangen, erklären müssen, warum sie nicht in diesen Ländern geblieben sind.170 Während der Ausschuss gegen Folter in Bezug auf interne Fluchtalternativen die Ansicht vertritt, dass das sichere Gebiet innerhalb des Zielstaates erreichbar sein muss, achtet er bei der Frage nach sicheren Drittstaaten nicht auf deren Erreichbarkeit. Dem Vorschlag Australiens, den Beschwerdeführer statt in den Zielstaat Somalia nach Kenia zurückzusenden, wo die Aufnahme in das UNHCR voluntary repatriation programme für Somalier möglich sei und durch welches von Kenia aus die Rückkehr in einen sicheren Teil Somalias gewährleistet werden könne, hat der Ausschuss gegen Folter zugestimmt.171 Diese Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bedauerlich. Es war im vorliegenden Fall keinesfalls garantiert, dass die Aufnahme in das Programm bei der Ankunft des Beschwerdeführers gesichert sein würde. Das Programm des UNHCR ist außerdem explizit für freiwillige Rückkehrer angelegt und damit evident nicht dafür vorgesehen, den Schutz vor – unfreiwilligen – Abschiebungen in gefährliche Gebiete auszuhöhlen.172 Auch reicht scheinbar aus, wenn der betroffene Staat einen sicheren Drittstaat vorschlägt. Der Vertragsstaat muss sich dabei nicht festlegen, wohin er die Aufenthaltsbeendigung plant. Wenn ein Staat nicht spezifiziert, ob die beschwerdeführende Person in ihren Herkunftsstaat oder einen Drittstaat verbracht werden soll, dann prüft der Ausschuss das Folterrisiko für beide Staaten.173 Die Akzeptanz des Ausschusses gegen Folter gegenüber dem Konzept der sicheren Drittstaaten bedeutet aber keineswegs, dass hierdurch Risikobewertungsverfahren verkürzt werden können oder die prozessualen Garantien, die Artikel 3 AFK betroffenen Personen bietet, beschränkt werden können. An die Prüfung der Sicherheit eines alternativen Drittstaates stellt der Ausschuss dieselben Anforderungen wie an die Überprüfung des ursprünglich vorgesehenen Zielstaats.174 (4) Diplomatische Zusicherungen Schließlich kann der Schutz der betroffenen Person im Zielstaat durch diplomatische Zusicherungen gewährleistet werden. Hierunter versteht der Ausschuss gegen Folter jede Art der förmlichen Verpflichtung des Zielstaats, die betroffene 169
CAT, Tebourski v. France, 300/2006, § 8.5. CAT, S. P. A. v. Canada, 282/2005, § 7.5. 171 CAT, H. M. H. I. v. Australia, 177/2001, §§ 4.11, 6.6. 172 So auch K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 495, 559. 173 CAT, Magloire Gbadjavi v. Switzerland, 369/2009, 01. Juni 2012, §§ 10, 11. Siehe auch CAT, R. O. v. Sweden, 644/2014, §§ 8.9 ff. 174 CAT, Concluding Observations: Austria, § 7. 170
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Person auf die in der Verpflichtung vereinbarte Weise und in Übereinkunft mit internationalen Menschenrechtsstandards zu behandeln.175 Der Ausschuss gegen Folter betrachtet diplomatische Zusicherungen allgemein kritisch. Während er aber in seinem ersten Entwurf des General Comment Nr. 4 Anfang 2017 noch der Auffassung war, dass diplomatische Zusicherungen mit dem Prinzip des Non-Refoulement unvereinbar seien,176 fehlt dieser Passus im 2018 verabschiedeten endgültigen Dokument.177 Nunmehr legt der Ausschuss lediglich fest, dass diplomatische Zusicherungen nicht missbraucht werden sollten, um das Prinzip des Non-Refoulement zu umgehen. Diese Formulierung entspricht der tatsächlichen bisherigen Praxis des Ausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement. Der Ausschuss hat die Vertragsstaaten in der Vergangenheit zum vorsichtigen Umgang mit diplomatischen Zusicherungen angemahnt, sieht aber hierin nicht generell einen Verstoß gegen Artikel 3 AFK. Diplomatische Zusicherungen entbinden aber nicht von der Pflicht zur individuellen Prüfung des Einzelfalls. Wenn Aufenthaltsbeendigungen unter vorheriger Absprache diplomatischer Zusicherungen vollzogen wurden, trifft den Vertragsstaat zudem die Pflicht zur regelmäßigen Überwachung der Einhaltung der Zusicherungen durch den Zielstaat.178 Jedenfalls dann, wenn der Staat im nationalen Verfahren festgestellt hat, dass ein Folterrisiko besteht und die Aufenthaltsbeendigung mithin gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde, kann dies nicht durch diplomatische Zusicherungen geheilt werden.179 Hieraus ergibt sich, dass eine Aufenthaltsbeendigung und Verbringung in Staaten, in denen Folter gewöhnlich praktiziert wird, in der Regel nicht durch diplomatische Zusicherungen legalisiert werden kann. Je systematischer und verbreiteter der Einsatz von Folter (und auch anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) im Zielstaat ist, desto unwahrscheinlicher ist die Akzeptanz seitens des Ausschusses von diplomatischen Zusicherun-
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CAT, General Comment No. 4, § 19. Der fälschlicherweise als General Comment No. 1 bezeichnete erste Entwurf des General Comment Nr. 4 besagte: „The Committee considers that diplomatic assurances from a State party to the Convention to which a person is to be deported are contrary to the principle of ,non-refoulement‘, provided for by article 3 of the Convention …“. CAT, Draft General Comment No. 1 on the implementation of article 3 of the Convention in the context of article 22, 02. Februar 2017, CAT/C/60/R.2, § 20. 177 Vgl. CAT, General Comment No. 4, § 20. Zum Einfluss der Vertragsstaaten auf diesen Passus siehe auch B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (373). 178 CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits), § 13.10; CAT, Concluding Observations on the third periodic report of Georgia, 25. Juli 2006, CAT/C/GEO/CO/3, § 11; CAT, Concluding Observations: United States of America, § 21. 179 CAT, Concluding Observations on the third periodic report of Australia, 22. Mai 2008, CAT/C/AUS/CO/3, § 16; CAT, Concluding Observations United States of America, combined third to fifth periodic reports, 19. Dezember 2014, CAT/C/USA/CO/3 – 5, § 16; CAT, H. Y. v. Switzerland, 747/2016, 09. August 2017, §§ 10.6 f. 176
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gen.180 Ebenfalls unbeachtlich sind diplomatische Zusicherungen dann, wenn der Zielstaat bereits nachweisbar vergleichbare Zusicherungen mit einem Drittstaat nicht eingehalten hat.181 Beachtlich können diplomatische Zusicherungen aus Sicht des Ausschusses gegen Folter jedenfalls nur dann sein, wenn ein objektiver, unabhängiger und verlässlicher Überprüfungsmechanismus vorgesehen ist, der die regelmäßige Überwachung der Situation der betroffenen Person durch den Vertragsstaat ermöglicht.182 Auch eine regelmäßige Überwachung durch unabhängige Institutionen ist möglich.183 Der Ausschuss gegen Folter geht davon aus, dass gerade dann, wenn diplomatische Zusicherungen bestehen, diese eben deshalb eingeholt wurden, weil ein Grundverdacht besteht, dass es im Zielland ein Folterrisiko geben könnte.184 Daher wird die Beweislast auf den Vertragsstaat verschoben, dass solche diplomatischen Zusicherungen nicht aufgrund eines Zweifels an der Vereinbarkeit der Aufenthaltsbeendigung mit dem Prinzip des Non-Refoulement eingeholt wurden. In keinem Fall relevant für die Einschätzung des Folterrisikos sind diplomatische Zusicherungen, die lediglich ohnehin bestehende nationale oder internationale Rechtspflichten des Zielstaates wiederholen.185 Ob diplomatische Zusicherungen den Anforderungen des Ausschusses gegen Folter genügen, entscheidet allein der Ausschuss. Wenn der Vertragsstaat dem Ausschuss die bestehenden Zusicherungen also nicht vorlegt, geht dieser davon aus, dass diese seinen Anforderungen nicht genügen.186 Wenn die betroffene Person in der Vergangenheit im Zielstaat bereits gefoltert wurde, trifft den Staat die Beweislast, dass mit entsprechender diplomatischer Zusicherung jeder begründete Zweifel ausgeräumt wird (,eliminate all reasonable doubt‘).187 Selbst wenn mithilfe diplomatischer Zusicherungen eine Gefahr im Einzelfall abgewendet wurde, entbindet 180 CAT, Abichou v. Germany, 430/2010, § 11.7; CAT, Concluding Observations: United States of America, § 21; CAT, Concluding Observations on the fifth periodic report of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, § 18. 181 CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, § 9.11. 182 F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 425 f. Siehe etwa CAT, Régent Boily v. Canada, 327/2007, 14. November 2011, § 14.5; CAT, Kalinichenko v. Morocco, 428/2010, § 15.6; CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits), § 13.10; CAT, Tursunov v. Kazakhstan, 538/ 2013, § 9.10. 183 CAT, J. M. v. The Netherlands, 768/2016, 16. Mai 2019, § 10.7; CAT, J. I. v. The Netherlands, 771/2016, 16. Mai 2019, § 10.7. 184 CAT, Pelit v. Azerbaijan, 281/2005, 01. Mai 2007, § 11; CAT, Régent Boily v. Canada, 327/2007, § 14.4. 185 E. Hamdan, The principle of non-refoulement under the ECHR and the UN Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, 2015, 327. 186 CAT, Pelit v. Azerbaijan, 281/2005, § 11. 187 CAT, Régent Boily v. Canada, 327/2007, § 14.4.
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dies denjenigen Vertragsstaat, welcher die aufenthaltsbeendende Maßnahme erlässt, nicht von der Pflicht, eine umfassende Risikobewertung vorzunehmen. So kann auch dann, wenn dank der diplomatischen Zusicherung keine Folterhandlungen vorgenommen werden, ein Verstoß des Staates gegen Artikel 3 AFK vorliegen.188 (5) Sonderfall: Dublin-Verfahren Einen Sonderfall bilden vor dem Ausschuss gegen Folter Individualbeschwerden, die sich gegen sogenannte Dublin-Verfahren, also Verfahren nach der sogenannten Dublin-Verordnung der Europäischen Union, richten.189 Nach der Dublin-Verordnung der Europäischen Union muss ein Asylverfahren im ersten Staat der Europäischen Union durchgeführt werden, dessen Territorium die asylsuchende Person betritt. Hierdurch wird es europäischen Staaten erleichtert, Menschen, die bereits in einem anderen Vertragsstaat der Europäischen Union gewesen sind, in diese zurückzuschicken. Der Ausschuss gegen Folter hat sich im Rahmen von Staatenberichtsverfahren häufig kritisch zu Verfahren nach der Dublin-Verordnung geäußert und die Vertragsstaaten darauf hingewiesen, dass Verfahrensrechte hierdurch nicht eingeschränkt werden dürfen.190 Jedenfalls in seiner Praxis seit Veröffentlichung des General Comment Nr. 4 orientiert sich der Ausschuss gegen Folter stark an der Praxis des Menschenrechtsausschusses zu Dublin-Verfahren.191 Hierbei werden daher wie vom Menschenrechtsausschuss regelmäßig diplomatische Zusicherungen vom Vertragsstaat verlangt, um die Rückführung nach der Dublin-Verordnung möglich zu machen.192 Eine Ausnahme hiervon gilt nur, wenn der Zielstaat in der Vergangenheit bereits vereinbarte diplomatische Zusicherungen dieselbe Person betreffend nicht eingehalten hatte.193
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CAT, Abichou v. Germany, 430/2010, § 11.7. Verordnung zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin IIIVerordnung), 26. Juni 2013, ABl. L 180 S. 31, ber. 2017 L 49 S. 50. Ein Großteil der Beschwerden vor dem Ausschuss gegen Folter richten sich gegen die Schweiz. Die Schweiz ist nach dem Dublin-Assoziierungsabkommen (DAA, R 0.142.392.68) gleichfalls verpflichtet. 190 Siehe ausführlich M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 114. 191 In seiner ersten Entscheidung zu einem Dublin-Verfahren vor Veröffentlichung des General Comment Nr. 4 hatte der Ausschuss noch keine Verletzung von Artikel 3 bzw. 16 AFK angenommen, wohl auch deshalb, weil sich eine solche Entscheidung nicht auf General Comment Nr. 1 hätte stützen können, CAT, J. B. v. Switzerland, 721/2015, 17. November 2017. Vgl. auch CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, abweichendes Votum Abdelwahab Hani. 192 CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 8.8. 193 CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, § 9.11. 189
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cc) Andere rechtliche Verpflichtungen Abgesehen von den dargelegten Möglichkeiten der Vertragsstaaten, sich zu entlasten, indem sie Schutzmöglichkeiten nachweisen, argumentieren Staaten im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen oft mit konkurrierenden Verpflichtungen, also etwa damit, dass sie zur Auslieferung der Person vertraglich verpflichtet waren und deshalb ihre Pflichten aus dem Prinzip des Non-Refoulement nicht einhalten konnten. Grundsätzlich gilt, dass Menschenrechte keine Sonderstellung genießen und bei konkurrierenden vertraglichen Verpflichtungen die allgemeinen völkerrechtlichen Vertragsregeln gelten. Das Folterverbot aus Artikel 1 Abs. 1 AFK ist allerdings eine Norm zwingenden Rechts (vgl. auch Artikel 2 Abs. 2 AFK). Dieser ius cogensCharakter gilt nach Auffassung des Ausschusses gegen Folter uneingeschränkt auch für das Refoulementverbot aus Artikel 3 Abs. 1 AFK.194 Die Achtung des Refoulementverbots aus Artikel 3 Abs. 1 AFK hat also stets Geltungsvorrang vor dem möglicherweise entgegenstehenden Auslieferungsvertrag.195 Dies gilt nach Ansicht des Ausschusses gegen Folter auch für die Pflicht zur Umsetzung und Einhaltung einstweiliger Maßnahmen aus Artikel 22 AFK.196 Der Ausschuss gegen Folter ist dennoch in seinem aktuellen General Comment auch darauf eingegangen, dass seine teilweise lange Bearbeitungszeit von Individualbeschwerden die Vertragsstaaten zwingt, lange Zeit mit dem Vollzug ihrer geplanten Aufenthaltsbeendigung zu warten. Dies kann dem Zweck von Auslieferungsverträgen entgegenstehen, etwa wegen bestehender Fristen der Strafverfolgung im Zielstaat. Der Ausschuss hat hier seine generelle Kooperationsbereitschaft angezeigt, solche Individualbeschwerden schnellst möglich zu bearbeiten, um den Zweck der ausstehenden Auslieferung nicht zu vereiteln.197 d) Beweismaterial Wie vor anderen VN-Vertragsorganen sind Individualbeschwerdeverfahren vor dem Ausschuss gegen Folter in weiten Teilen von den Beweismaterialien geprägt, welche die beschwerdeführenden Personen und die betroffenen Vertragsstaaten beibringen. Hierbei sieht der Ausschuss keine Beschränkungen vor.198 Der Ausschuss gegen Folter muss sich aber keineswegs auf diese beigebrachten Materialien beschränken. Er kann nach seiner Verfahrensordnung andere Berichte zur Beurteilung
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CAT, General Comment No. 4, § 9. So bereits J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 125. 195 CAT, General Comment No. 4, §§ 23, 25. Siehe etwa CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, § 13.1. 196 CAT, D. I. S. v. Hungary, 671/2015, § 9.2. 197 CAT, General Comment No. 4, § 24. 198 M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 235.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
der Lage im Zielstaat heranziehen.199 Diese Berichte stammen zum Beispiel von diversen Organisationen der Vereinten Nationen.200 Häufige Verwendung finden auch Berichte und Abschließende Bemerkungen anderer VN-Vertragsorgane.201 Auch Berichte des UNHCR zieht der Ausschuss gelegentlich heran; allerdings geschieht dies nur in Bezug auf die allgemeine Lage im Zielstaat und nicht auf die persönliche Betroffenheit Einzelner.202 Neben von den Beschwerdeführenden und den Vertragsstaaten beigebrachtem Material verwendet der Ausschuss auch immer seine eigenen Dokumente, etwa aus Staatenberichts- oder Staatenüberprüfungsverfahren nach Artikeln 19 oder 20 AFK.203 Gelegentlich zieht der Ausschuss zudem Berichte von Drittstaaten zur Menschenrechtslage im Zielstaat heran.204 Auch die Heranziehung von Materialien von Nichtregierungsorganisationen ist üblich.205 e) Relevanter Zeitpunkt zur Beurteilung des Folterrisikos In den Jahren 2003 und 2005 entschied der Ausschuss gegen Folter zwei Individualbeschwerden gegen Schweden, die ein Ehepaar betrafen und die Problematik des relevanten Zeitpunkts der Beurteilung des Folterrisikos deutlich machen. Zunächst entschied der Ausschuss im Jahr 2003 für die noch nicht ausgewiesene Ehefrau Hanan Attia, dass eine Ausweisung nach Ägypten keinen Verstoß Schwe199
CAT, Rules of Procedure, Regel Nr. 118. CAT, General Comment No. 4, § 44. Siehe etwa CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/ 1993, § 9.5; CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/2007, § 9.5; CAT, Mr. X and Mr. Z v. Finland, 483/2011, 485/2011, § 7.3; CAT, Abed Azizi v. Switzerland, 492/2012, §§ 8.5 ff.; CAT, X., Y., Z. v. Sweden, 530/2012, 04. August 2015, § 11.5. Oft wird aber auch gar nicht spezifiziert, woher der Ausschuss die Informationen über den Zielstaat bezogen hat. Er verweist dann lediglich auf ,Berichte aus verlässlicher Quelle‘, siehe etwa CAT, Ayas v. Sweden, 097/1997, § 6.4; CAT, A. v. The Netherlands, 091/1997, § 6.4; CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, § 6.3. 201 CAT, Arkauz Arana v. France, 063/1997, § 11.4; CAT, H. B. H. et al. v. Switzerland, 192/ 2001, § 3.2; CAT, G. K. v. Switzerland, 219/2002, § 3.1; CAT, Iya v. Switzerland, 299/2006, § 6.7; CAT, S. M., H. M., and A. M. v. Sweden, 374/2009, § 9.7; CAT, Abichou v. Germany, 430/ 2010, § 11.6; CAT, F. B. v. The Netherlands, 613/2014, § 8.8; CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, § 8.4. 202 CAT, Kisoki v. Sweden, 041/1996, 08. Mai 1996, § 9.5; CAT, X., Y. and Z. v. Sweden, 061/ 1996, § 11.5; CAT, V. X. N. and H. N. v. Sweden, 130/1999, 131/1999; CAT, Pelit v. Azerbaijan, 281/2005, § 11. 203 CAT, Alan v. Switzerland, 021/1995, § 11.5; CAT, Núñez Chipana v. Venezuela, 10. November 1998, § 6.4; CAT, Karoui v. Sweden, 185/2001, 08. Mai 2002, § 9; CAT, G. K. v. Switzerland, 219/2002, § 6.3; CAT, U. S. v. Finland, 197/2002, § 7.7; CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/2001, § 6.3; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.3; CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, § 6.3; CAT, Kalinichenko v. Morocco, 428/2010, § 15.6; CAT, Tursunov v. Kazakhstan, 538/2013, § 9.6. 204 CAT, V. L. v. Switzerland, 262/2005, § 8.7; CAT, R. O. v. Sweden, 644/2014, § 8.8; CAT, X., Y. and others v. Sweden, 816/2017, 02. August 2019, § 8.6. 205 CAT, S. N. A. W. et al. v. Switzerland, 231/2003, 24. November 2005, § 7.2; CAT, R. K. v. Australia, 609/2014, 11. August 2016, § 8.6; CAT, N. A. A. v. Switzerland, 639/2014, § 7.10. 200
I. Ausschuss gegen Folter
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dens gegen Artikel 3 AFK darstellen würde. Hierbei stützte der Ausschuss seine Entscheidung unter anderem darauf, dass der Ehemann, der bereits von Schweden ausgewiesen worden war (und dessen Individualbeschwerde gegen seine Aufenthaltsbeendigung bereits beim Ausschuss anhängig war) und sich in Ägypten aufhielt, nach den dem Ausschuss zu jenem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnissen nicht gefoltert worden war.206 Relevanter Zeitpunkt zur Beurteilung des Folterrisikos war somit in diesem Fall der Zeitpunkt der Entscheidung des Ausschusses. Als sich der Ausschuss gegen Folter jedoch zwei Jahre später mit der Beschwerde des Ehemannes befasste, stellte sich heraus, dass die zuvor vorliegenden Informationen über das Wohlergehen von Ahmed Agiza falsch waren und dieser tatsächlich gefoltert worden war.207 Der Ausschuss bejahte im vorliegenden Fall nicht nur eine Verletzung von Artikel 3 AFK. Er gab vielmehr auch an, das Risiko sei Schweden bei Vollzug der Aufenthaltsbeendigung bekannt gewesen oder hätte aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Informationen bekannt sein müssen.208 Wie die Entscheidung bezüglich der Ehefrau Hanan Attia zeigt, wusste der Ausschuss zu jenem Zeitpunkt noch nicht, dass ein Folterrisiko für Ahmed Agiza bei Vollzug der Aufenthaltsbeendigung bestanden hatte.209 Hier ging der Ausschuss also gleichermaßen davon aus, dass relevanter Zeitpunkt zur Beurteilung des Folterrisikos der Kenntnisstand der eigenen Befassung mit der Beschwerde ist. Diese Praxis hat der Ausschuss inzwischen aufgegeben. Er unterscheidet für die Frage des relevanten Zeitpunkts zur Beurteilung des Risikos nunmehr streng danach, ob die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde oder sich die beschwerdeführende Person noch – etwa wegen der Anordnung einstweiliger Maßnahmen – im von der Beschwerde betroffenen Vertragsstaat aufhält. Letzterer Fall ist der deutlich häufigere. In der Regel ist es bei Entscheidung einer Individualbeschwerde zu Artikel 3 AFK vor dem Ausschuss gegen Folter noch nicht zum Vollzug der Aufenthaltsbeendigung gekommen. Der Ausschuss prüft dann (wie bereits im Fall Attia v. Sweden) unter Berücksichtigung aller ihm zum Zeitpunkt seiner eigenen Entscheidung vorliegenden Umstände das Folterrisiko der beschwerdeführenden Person.210 Dadurch können Veränderungen der Lage im Zielland, das heißt sowohl Verbesserungen oder Verschlechterungen der allgemeinen Menschenrechtslage als auch etwaige Veränderungen der politischen Situation des Zielstaats, die Beurteilung der Beschwerde wesentlich beeinflussen.211 Konsequent 206
CAT, El Khalek Attia v. Sweden, 199/2002, 17. November 2003. CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003. 208 Ebenda, § 13.4. 209 Siehe auch ebenda, § 13.5. 210 CAT, General Comment No. 4, § 45. 211 CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.3; CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, §§ 6.3, 6.5; CAT, M. M. K. v. Sweden, 221/2002, 03. Mai 2005, § 8.6; CAT, M. N. v. Switzerland, 259/ 2004, § 6.6; CAT, A. M. v. France, 302/2006, §§ 10, 11.1, 12.2, 12.3; CAT, Amini v. Denmark, 339/2008, 15. November 2010, § 9.8; CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/2007, § 9.5; 207
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
stellt der Ausschuss bei Bejahung eines Risikos im Sinne des Artikel 3 AFK dann aber keine Konventionsverletzung des Vertragsstaates fest, sondern weist darauf hin, dass eine Aufenthaltsbeendigung gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde. Der Ausschuss gegen Folter scheint in seiner frühen Praxis selbst unsicher darüber gewesen zu sein, ob und inwieweit er über den relevanten Zeitpunkt der Beurteilung des Folterrisikos entscheiden kann. So hat er im Fall Z. K. v. Sweden angedeutet, Materialien, die im nationalen Verfahren nicht beigebracht worden waren, sollten grundsätzlich auch vor dem Ausschuss gegen Folter nicht zugelassen werden. Dennoch stützte er sich im Folgenden darauf, dass er selbst bei Zulassung der Materialien zu keinem anderen Ergebnis käme, um dann zu schließen, dass relevanter Zeitpunkt zur Beurteilung der Gefahr in jedem Fall jener der Befassung durch den Ausschuss sei: „These reports, however, were not previously presented before the Migration Board, and the complainant has failed to provide any explanation as to why these reports were not previously presented, nor has he claimed that such an avenue was not available to him. His failures would apparently provide sufficient grounds to reject the reports. In any case, the Committee observes that these medical reports, while attesting to the fact that he is ,probably suffering from PTSD‘, do not conclusively state that he was tortured, stating instead that his scars are ,discreet and unspecific‘, and that no exact statement can be made on how the past injuries occurred. Hence, it cannot be definitely concluded from the medical certificates that the complainant was subject to torture. At the same time, these medical reports cannot be completely disregarded as they state that the scars on the complainant’s body could have occurred as a result of torture. Even if the Committee were to accept the claim that the complainant was subjected to torture in the past, the question is whether he currently runs a risk of torture if returned to Azerbaijan.“212
Da Veränderungen der Lage im Zielstaat seit der letzten nationalen Entscheidung dazu führen können, dass der Ausschuss zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Vertragsstaat zum Zeitpunkt seiner letzten nationalen Entscheidung hätte kommen müssen, zieht der Ausschuss in seinem eigenen Verfahren regelmäßig Dokumente heran, die dem Staat nicht vorlagen.213 Wenn neuere Dokumente zur allgemeinen Menschenrechtslage zugelassen sind, muss dies ebenso für Dokumente zu den persönlichen Umständen der beschwerdeführenden Person gelten. Insbesondere da der Ausschuss gegen Folter im Vergleich etwa zum Menschenrechtsausschuss wenig Gewicht auf die Rechtmäßigkeit des nationalen Verfahrens legt, ist also nicht verständlich, warum der Ausschuss im zitierten Verfahren so zögerlich mit den erst im
CAT, Fuad Jahani v. Switzerland, 357/2008, 23. Mai 2011, § 9.4; CAT, M. A. F. et al. v. Sweden, 385/2009, 23. November 2012, §§ 8.6, 8.7; CAT, C. F. T. v. Switzerland, 829/2017, 06. Mai 2019, § 7.6. 212 CAT, Z. K. v. Sweden, 301/2006, § 8.4. 213 CAT, H. M. H. I. v. Australia, 177/2001, § 6.6; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.3; CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/2001, § 6.3; CAT, U. S. v. Finland, 197/2002, § 7.7; CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, § 6.3.
I. Ausschuss gegen Folter
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Individualbeschwerdeverfahren beigebrachten Dokumenten des Beschwerdeführers umgegangen ist. Radikaler hat der Ausschuss gegen Folter seine Praxis in den Fällen geändert, in denen die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde.214 Zunächst wurde immer der Zeitpunkt der Befassung des Ausschusses mit der Beschwerde und nicht jener der letzten Entscheidung des Staates als maßgeblich angesehen.215 Hieraufhin folgten einige Entscheidungen mit unterschiedlichen Maßstäben. In Sorzábal Díaz v. France prüfte der Ausschuss, was Frankreich zum Zeitpunkt des Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung hätte in Betracht ziehen können.216 In Agiza v. Sweden legte der Ausschuss fest, zu beachten sei, was der die Aufenthaltsbeendigung vollziehende Staat zum Zeitpunkt des Vollzugs wusste oder hätte wissen müssen.217 Nunmehr betrachtet der Ausschuss gegen Folter einheitlich in Fällen, in denen die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde, ob der Vertragsstaat das Risiko kannte oder nach ihm zur Verfügung stehender Faktenlage hätte kennen müssen. Hierbei betrachtet der Ausschuss auch solche Geschehnisse, die nach der Aufenthaltsbeendigung passiert sind, da diese Geschehnisse Aufschluss über die tatsächliche Kenntnis des Staates zum Zeitpunkt des Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung geben können. „The Committee observes, at the outset, that in cases where a person has been expelled at the time of its consideration of the complaint, the Committee assesses what the State party knew or should have known at the time of expulsion. Subsequent events are relevant to the assessment of the State party’s knowledge, actual or constructive, at the time of removal.“218
Die später liegenden Ereignisse sind somit nunmehr lediglich Indikatoren für die Kenntnis des Staates, nicht für die Beurteilung des Bestehens eines Folterrisikos durch den Ausschuss gegen Folter.
214 Siehe hierzu auch M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 140 ff. 215 CAT, T. P. S. v. Canada, 099/1997, 16. Mai 2000, § 15.4 (beachte aber hier bereits das abweichende Votum von Guibril Camara, §§ 16.2 – 16.4); CAT, G. K. v. Switzerland, 219/2002, § 6.8; CAT, J. A. G. V. v. Sweden, 215/2002, 03. November 2003, § 7.4. 216 CAT, Sorzábal Díaz v. France, 194/2001, 03. Mai 2005, §§ 9.3, 9.4. 217 CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, §§ 13.2, 13.5. 218 CAT, Brada v. France, 195/2002, § 13.1; CAT, Tebourski v. France, 300/2006, § 8.1; CAT, Sogi v. Canada, 297/2006, § 10.8; CAT, Abichou v. Germany, 430/2010, §§ 11.2, 11.7; CAT, L. M. v. Canada, 488/2012, § 11.2; CAT, J. I. v. The Netherlands, 771/2016, § 10.2. Siehe auch CAT, L. M. v. Canada, 488/2012, § 11.7.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
3. Materielles Schutzgut a) Allgemeine Fragen Der absolute Charakter des Folterverbots gilt ebenfalls für das Verbot aus Artikel 3 Abs. 1 AFK. Das heißt, es sind keine Einschränkungen oder Ausnahmen vom Refoulementverbot der AFK vorgesehen. Ein im Rahmen der travaux préparatoires vorgebrachter sowjetischer Vorschlag zur Erweiterung des Artikel 3 AFK um einen dritten Absatz, der eine Einschränkung des personellen Anwendungsbereiches des Refoulementverbots vorsah, wurde abgelehnt.219 Einschränkungen und Ausnahmen, wie sie etwa in Artikel 1 F und Artikel 33 Abs. 2 GFK vorgesehen sind, sind im Rahmen der AFK also ausgeschlossen. Artikel 3 AFK schützt alle Personen, unabhängig von den ihr vorgeworfenen oder tatsächlich begangenen Straftaten. Somit sind auch solche Menschen, die für die Sicherheit des Staates, in dem sie sich aufhalten, eine Gefahr darstellen, geschützt.220 Auch bietet die AFK nicht nur ausländischen Staatsangehörigen Schutz. Das Refoulementverbot aus Artikel 3 Abs. 1 AFK gilt für alle Menschen, auch Staatenlose und Menschen mit der Staatsangehörigkeit desjenigen Staates, welcher die Aufenthaltsbeendigung vollzieht.221 Darüber hinaus ist der personelle Schutzbereich des Artikel 3 Abs. 1 AFK auch deshalb weiter als jener des Artikel 33 Abs. 1 GFK, weil er nicht nur vor der Verfolgung aufgrund eines bestimmten Motivs schützt. Aus welchem Grund die Person im Zielstaat Folter fürchtet, ist für den Schutz nach Artikel 3 Abs. 1 AFK unerheblich.222 Der Ausschuss gegen Folter bietet in seiner Praxis aber auch darüber hinaus einen weiten personellen Schutz. Wenn der Vertragsstaat eine Risikobewertung für die Familie als Gesamtes vorgenommen hat, sieht der Ausschuss keinen Grund, in seinem eigenen Verfahren die Risiken der einzelnen Familienmitglieder getrennt zu betrachten. Artikel 3 Abs. 1 AFK bietet demnach in der Praxis des Ausschusses der Familie als Ganzes Schutz, und zwar auch volljährigen Söhnen und Töchtern.223
219
M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 13, 24 f. E. Hamdan, The principle of non-refoulement under the ECHR and the UN Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, 24. Etwa CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, § 13.8; CAT, Dadar v. Canada, 258/2004, § 8.8; CAT, Tebourski v. France, 300/2006, §§ 8.2, 8.3; CAT, Sogi v. Canada, 297/2006, § 10.2; CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits), § 13.7; CAT, Abichou v. Germany, 430/ 2010, § 11.5; CAT, Nasirov v. Kazakhstan, 475/2011, § 11.6; CAT, Concluding observations on the seventh periodic report of Canada, 21. Dezember 2018, CAT/C/CAN/CO/7, § 24. 221 CAT, General Comment No. 4, § 10; CAT, Régent Boily v. Canada, 327/2007, § 1.1; CAT, Tebourski v. France, 300/2006, § 2.2. 222 F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 45. 223 CAT, Hussein Khademi et al. v. Switzerland, 473/2011 § 7.7; CAT, N. S. v. Canada, 582/ 2014, § 10. 220
I. Ausschuss gegen Folter
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Weiter schützt Artikel 3 Abs. 1 AFK vor allen Arten der Aufenthaltsbeendigung. Es ergeben sich also keine Einschränkungen zum Beispiel für Auslieferungen.224 Bereits in den travaux préparatoires der AFK setzten sich die Staaten mit der Frage auseinander, welche Auswirkungen das Inkrafttreten des Refoulementverbots nach Artikel 3 AFK für bestehende Auslieferungsverträge haben würde. Die Idee, einen zusätzlichen Artikel mit dem Inhalt der staatlichen Überprüfungspflicht für bestehende Auslieferungsverträge auf deren Vereinbarkeit mit der AFK aufzunehmen, wurde verworfen.225 Unumstritten war aber jedenfalls schon hier, dass sich das Verbot des Refoulement aus Artikel 3 Abs. 1 AFK nicht auf bestimmte Arten der Aufenthaltsbeendigung beschränken lässt.226 Artikel 3 Abs. 1 AFK verbietet die Verbringung einer Person ,in einen anderen Staat‘. Auch hier zeigt sich, dass das Refoulementverbot nicht allein einen Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat bietet, sondern jede Aufenthaltsbeendigung, gleichwohl in welchen Staat diese erfolgt. Auffällig ist, dass die AFK anders als Artikel 33 Abs. 1 GFK von einem Staatsgebiet und nicht allgemein von Gebieten spricht. Hiermit kann nicht gemeint sein, dass eine Verbringung in ein Gebiet, das nicht von einem souveränen Staat beherrscht wird, nicht von Artikel 3 AFK erfasst sein soll.227 Der Ausschuss sieht es auch als Verbringung in einen anderen Staat an, wenn die Person aus einem vom Vertragsstaat kontrollierten Teilgebiet eines anderen Staates in ein anderes Teilgebiet desselben Staates verbracht wird, das nicht vom Vertragsstaat kontrolliert wird.228 Die Verbringung in einen anderen Staat sieht der Ausschuss auch darin, Menschen innerhalb des eigenen staatlichen Territoriums an der Grenze zum Zielstaat auszusetzen.229 Mit seinem General Comment Nr. 4 hat der Ausschuss gegen Folter klargestellt, dass die territoriale Reichweite des Schutzes aus Artikel 3 Abs. 1 AFK auch Abweisungen an der Grenze sowie Zurückweisungen auf See erfasst.230 Auch das sogenannte Kettenrefoulement, also die Verbringung in einen Staat, von dem aus die Gefahr der erneuten Aufenthaltsbeendigung in einen dritten Staat besteht, in welchem Folter droht, ist nach Auffassung des Ausschusses gegen Folter vom Refoulementverbot des Artikel 3 Abs. 1 AFK erfasst.231 In seinem aktuellen General Comment Nr. 4 geht der Ausschuss sogar hierüber hinaus. Vertragsstaaten haben demnach auch zu beachten, dass Aufenthaltsbeendigungen nicht in Wider224
CAT, General Comment No. 4, § 4. J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 50. 226 Ebenda, 126. 227 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 506. Siehe zur Relevanz eines souveränen Staates im Zusammenhang mit dem Folterbegriff unten Kapitel D. I. 3. b) cc). 228 M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 107. 229 CAT, Kwami Mopongo and others, 321/2007. 230 CAT, General Comment No. 4, § 4. 231 Ebenda, § 12. 225
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
spruch zu Artikel 16 Abs. 2 AFK stehen sollten. Daraus ergibt sich, dass ein Staat, der selbst über den Schutzbereich von Artikel 3 Abs. 1 AFK hinaus andere nationale oder internationale rechtliche Verpflichtungen bei Aufenthaltsbeendigungen einhalten muss, diese rechtlichen Pflichten auch im Rahmen von Artikel 3 AFK zu beachten hat.232 Ob und inwieweit sich der Ausschuss hiermit eine Überprüfungskompetenz für andere rechtliche Pflichten der Vertragsstaaten einräumen will, ist unklar. Er hat in seiner auf den General Comment Nr. 4 folgenden Praxis jedenfalls argumentiert, dass die Schweiz im Rahmen von Artikel 3 AFK über den Schutz vor Folter hinaus auch Schutz vor anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gewähren müsse, unter anderem, weil sie auch Vertragspartei der EMRK ist.233 Im Fall eines drohenden Kettenrefoulement misst der Ausschuss der Frage, ob das Erstzielland Vertragspartei der AFK ist und sich dem Individualbeschwerdeverfahren nach Artikel 22 unterworfen hat, wesentliche Bedeutung zu.234 Eine Gefahr des Kettenrefoulement besteht dann, wenn der Zielstaat der ersten Aufenthaltsbeendigung üblicherweise das Prinzip des Non-Refoulement nicht respektiert. Hier ist also ausnahmsweise kein Nachweis eines persönlichen Risikos erforderlich.235 Der Nachweis eines persönlichen Risikos ist aber möglich, insbesondere wenn das Erstzielland nicht üblicherweise gegen das Refoulementverbot verstößt. Der Ausschuss hat das Risiko des Kettenrefoulement sogar bei einem Beschwerdeführer bejaht, der zwar nicht fürchtete, dass die Behörden seines Zielstaates eine Verbringung in seinen Herkunftsstaat vollziehen würden, dem aber aufgrund der für ihn persönlich unerträglichen Lage im Zielstaat keine andere Wahl bleiben würde, als diesen Zielstaat freiwillig zu verlassen und in den Herkunftsstaat zurückzukehren.236 Zeitlich ist der Schutz vor Refoulement nach der AFK allerdings begrenzt. Die AFK bietet nur so lange Schutz, wie das Folterrisiko im Zielstaat fortbesteht.237 Ein Recht auf Aufenthaltserlaubnis oder auf Gewährung von Asyl lässt sich aus Artikel 3 Abs. 1 AFK dagegen nicht ableiten.238 Auch haben die Entscheidungen des Ausschusses gegen Folter keine Auswirkung auf die nationalen Verfahren zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus im Sinne der GFK.239 In jüngeren Verfahren hat der Ausschuss aber ähnlich wie der Menschenrechtsausschuss von Vertragsstaaten, die eine Person in Widerspruch zu Artikel 3 AFK von ihrem Staatsgebiet entfernen 232
Ebenda, § 26. CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, § 8.6. 234 CAT, Korban v. Sweden, 088/1997, 16. November 1998, § 7. 235 F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 450; K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 510. 236 CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 8.7. 237 CAT, General Comment No. 4, § 12. 238 CAT, X. v. Spain, 023/1995, § 7.3; CAT, Mohamed v. Greece, 040/1996, § 11.2; CAT, L. M. v. Canada, 488/2012, § 10.3. 239 CAT, Aemei v. Switzerland, 034/1995, § 11. 233
I. Ausschuss gegen Folter
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wollten, verlangt, dass diese die nationalen Verfahren, auch etwa Asylverfahren, erneut durchführen.240 Dann bietet das Refoulementverbot aus Artikel 3 Abs. 1 AFK jedenfalls so lange Schutz, bis das Verfahren erneut durchgeführt wurde. Auch wenn die AFK kein Recht auf Asyl gewährt ergibt sich nach Ansicht des Ausschusses gegen Folter aus Artikel 3 AFK jedenfalls eine positive Pflicht der Vertragsstaaten etwa zur temporären Aufnahme oder zur diplomatischen Zusammenarbeit mit anderen Staaten, welche die Person möglicherweise aufnehmen könnten.241 Auch scheinen Menschen, die den Schutz der GFK anstreben, nach Ansicht des Ausschusses gegen Folter einen besonderen Schutz zu genießen. So hat der Ausschuss im Rahmen von Individualbeschwerden, in denen er festgestellt hat, dass die Auslieferung der Beschwerdeführer gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde, darauf hingewiesen, dass die Pflicht zum Unterlassen der Aufenthaltsbeendigung erst recht deshalb bestehe, weil die Beschwerdeführer Anträge auf internationalen Schutz beim UNHCR gestellt hatten.242 b) Drohende Folter Nach Artikel 3 Abs. 1 AFK sind Aufenthaltsbeendigungen dann verboten, wenn im Zielstaat Folter droht. Der Begriff der Folter ist in Artikel 1 Abs. 1 AFK definiert. Folter im Sinne der AFK meint damit jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, wenn dies zu einem bestimmten Zweck erfolgt, und zwar zum Beispiel das Erlangen eines Geständnisses, die Bestrafung der betroffenen Person für eine selbst oder durch eine dritte Person begangene Tat, zur Einschüchterung oder Nötigung der betroffenen Person oder einer dritten Person oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis, verursacht werden. Zwar ist die Liste der in Artikel 1 Abs. 1 S. 1 AFK genannten Zwecke nicht abschließend (,for such purposes as‘ … ,or for any reason based on discrimination of any kind‘). Fraglich ist aber, welche Zwecke mit den Genannten vergleichbar sind. Zum Teil wird verlangt, dass eine Verbindung mit den Interessen und der Politik des Staates und seiner Organe besteht.243 Nach dem Ausschuss gegen Folter zählt hierzu etwa auch das Ziel, Frauen aufgrund ihres Geschlechts einzuschüchtern, zu er240 CAT, M. G. v. Switzerland, 811/2017, § 9; CAT, Elmas Ayden v. Morocco, 846/2017, 10. Mai 2019, § 10 (b); CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, § 12; CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, § 10. 241 CAT, Aemei v. Switzerland, 034/1995, § 11. 242 CAT, Ferhat Erdogan v. Morocco, 827/2017, 10. Mai 2019, § 11 (b); CAT, Mustafa Onder v. Morocco, 845/2017, 10. Mai 2019, § 9 (b). 243 J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 118 f.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
niedrigen oder zu diskriminieren.244 Auch, wenn persönliche, etwa rein sadistische Motive bei der handelnden Person weit überwiegen, kann dies ausreichend sein, um Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK darzustellen.245 Grundsätzlich setzt Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK eine aktive Behandlung, also ein Tun voraus. Aber in Ausnahmen muss auch ein Unterlassen Folter darstellen können, und zwar maßgeblich dann, wenn auch im Unterlassen eine schädigende Absicht nachweisbar ist, so etwa bei Nahrungsentzug,246 oder bei Verweigerung medizinischer Versorgung.247 Unbeachtlich ist dagegen, wenn Schmerz aus gebotener medizinischer Behandlung resultiert, da hierbei keine schädigende Absicht gegeben ist.248 Nicht ausreichend ist in der Praxis des Ausschusses gegen Folter ebenfalls das Vorenthalten von psychiatrischer Behandlung bei einer nachgewiesenen posttraumatischen Belastungsstörung der betroffenen Person. Der Ausschuss gegen Folter ist der Auffassung, dass dann, wenn die medizinische Versorgung nicht etwa aktiv verweigert wird, sondern im Zielstaat lediglich nicht vorhanden ist, dies keine Relevanz für das Prinzip des Non-Refoulement hat.249 Artikel 1 Abs. 1 S. 2 AFK enthält scheinbar eine Ausnahme vom Folterverbot. So seien hiervon nicht solche Handlungen erfasst, die ,lawful sanctions‘, also rechtmäßige Sanktionen sind. Das Merkmal der Rechtmäßigkeit kann hierbei nicht so verstanden werden, dass die nationale Rechtslage in jenem Staat, welcher die Folterhandlung vornimmt, relevant ist. Rechtmäßig im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 S. 2 AFK meint die Vereinbarkeit mit Völkerrecht. Eine andere Interpretation widerspricht dem absoluten Rechtscharakter des Folterverbots und ist mit Sinn und Zweck der AFK unvereinbar.250 Das zeigt sich auch in der Praxis des Ausschusses zu Artikel 3 AFK, nach der jede Behandlung, die Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK darstellt, auch in den Anwendungsbereich des Artikel 3 AFK fällt, unabhängig von nationalen Regelungen.251
244
CAT, V. L. v. Switzerland, 262/2005, § 8.10. J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 119. 246 J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 118; G. Zach, Art. 1 Definition of Torture, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, The United Nations Convention against Torture and its optional protocol, 2. Aufl. 2019, Rn. 65 f. 247 A. Boulesbaa, The U.N. Convention on Torture and the prospects for enforcement, 1999, 14, 15; CAT, Sahli v. Algeria, 341/2008, 03. Juni 2011, § 9.3. 248 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 444. 249 CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, § 6.8; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.8. 250 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 456. 251 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 457; CAT, A. S. v. Sweden, 149/1999, 24. November 2000, §§ 8.4 – 9. 245
I. Ausschuss gegen Folter
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aa) Abgrenzung von Folter zu anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe Nach dem Wortlaut des Artikel 3 Abs. 1 AFK ist der materielle Schutzbereich des Refoulementverbots der AFK auf drohende Folter beschränkt. Hiermit ist Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK gemeint und nicht etwa andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe im Sinne des Artikel 16 AFK. Aus dem Wortlaut des Artikel 16 Abs. 1 AFK ist bereits erkennbar, dass eine klare Abgrenzung zwischen Folter und anderen Formen der Misshandlung kaum möglich ist. Folter ist eine besonders schwerwiegende Art der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung; außer der Schwere existiert kein Unterschied zwischen den beiden Arten der Misshandlung.252 Als entscheidend für die Unterscheidung wird zum Teil zum einen auf die Intention der handelnden Person, zum anderen auf die Hilflosigkeit des Opfers, nicht dagegen auf die Schwere der zugefügten Schäden abgestellt.253 Nach anderer Ansicht ist dagegen die Schwere der Schäden das zentrale Unterscheidungsmerkmal.254 Problematisch ist, dass auch die Schwere der Schäden nicht objektiv messbar ist, da sie vom subjektiven Empfinden des Opfers abhängig ist und der Vertragstext keine Hinweise darauf gibt, ob etwa persönliche Umstände wie Alter, Gesundheit oder Geschlecht der gefolterten Person eine Rolle spielen. Eine Unterscheidung ist also oft unmöglich. Die Problematik der Abgrenzbarkeit zeigt sich besonders im Rahmen von Artikel 3 AFK, da die Unterscheidung bei drohender Misshandlung noch schwieriger ist, als bei bereits geschehener. Dennoch ist die Differenzierung nach dem Wortlaut des Artikel 3 AFK eindeutig erforderlich. Dieses enge Verständnis des Refoulementverbots aus Artikel 3 AFK ergibt sich auch aus den travaux préparatoires der Antifolterkonvention. Der erste von Schweden eingebrachte Entwurf der AFK, der in seinem Artikel 4 ebenfalls das Verbot der Aufenthaltsbeendigung bei drohender anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vorsah,255 wurde von den Vertragsstaaten abgelehnt.256 Grund hierfür war, dass die
252
Siehe das Vorbild für die AFK UN General Assembly, Declaration on the Protection of All Persons from Being Subjected to Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, Artikel 1 Abs. 2. 253 G. Zach, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 73. 254 V. Chetail, Le Comité des Nations Unies contre la torture et l’éloignement des étrangers: dix ans de jurisprudence (1994 – 2004) (The Committee Against Torture and the Removal of Aliens), Revue Suisse de Droit International et Européen 26 (2006), 63 (76). 255 ECOSOC, Letter dated 18 January 1978 from the Permanent Mission of Sweden to the United Nations Office at Geneva addressed to the Division of Human Rights, Art. 4. 256 J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 49 f.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Vertragsstaaten den Begriff der sonstigen Misshandlungen für zu vage hielten, um das Refoulementverbot darauf auszuweiten.257 Tatsächlich gab es in den ersten Individualbeschwerdeverfahren vor dem Ausschuss gegen Folter einige wenige Fälle, die der Ausschuss nicht unter Artikel 3 AFK angenommen hat, weil nur eine Misshandlung im Sinne des Artikel 16 AFK drohte.258 Typische Fälle, in denen der Ausschuss wegen der Beschränkung des Schutzes des Artikel 3 Abs. 1 AFK auf Folter keinen Schutz gewährt hat, waren schlechte Haftbedingungen und rechtmäßig durchgeführte Vollziehungen der Todesstrafe sowie allgemein schlechte Lebensbedingungen im Zielstaat, auch in Fällen von Krankheit.259 Auch vor Veröffentlichung seines General Comment Nr. 4 hat der Ausschuss gegen Folter aber bereits in einigen Individualbeschwerdeverfahren keine Unterscheidung zwischen Folter und anderer Misshandlung mehr vorgenommen und den Anwendungsbereich des Artikel 3 AFK hiermit erweitert.260 Bereits in seinem General Comment Nr. 2 zu den allgemeinen Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus der AFK hatte der Ausschuss gegen Folter angedeutet, dass das Verbot des Refoulement aus Artikel 3 Abs. 1 AFK auch für drohende Misshandlungen gilt, die keine Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK darstellen. So enthält der General Comment Nr. 2 einerseits den Hinweis, die Pflichten der Staaten aus den Artikeln 3 bis 15 AFK gelten gleichermaßen für Folter und andere Misshandlungen, andererseits erläutert der Ausschuss hier, dass er die Pflicht zur Prävention von Folter und jene zur Prävention anderer Misshandlungen für voneinander untrennbar hält.261 Zum damaligen Zeitpunkt stieß diese weite Auslegung der Pflichten aus der AFK auf Kritik. Eine solche Auslegung der Pflichten setze sich über den eindeutigen Wortlaut des Artikel 3 AFK hinweg, liege damit außerhalb des Mandats des Ausschusses und breche ohne erkennbaren Grund mit dessen bisheriger Spruchpraxis.262 Der aktuelle General Comment Nr. 4 enthält mehrere Hinweise darauf, dass der Ausschuss gegen Folter den Schutzbereich des Artikel 3 Abs. 1 AFK nicht länger auf drohende Folter beschränkt ansieht. So formuliert er zunächst, ähnlich wie bereits in 257 F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 42 f. 258 CAT, B. S. v. Canada, 166/2000, 14. November 2001, § 7.4; CAT, L. J. R. v. Australia, 316/2007, 10. November 2008, §§ 7.4 ff. 259 F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 219, 220. 260 CAT, E. L. v. Canada, 370/2009, 21. Mai 2012, § 8.6; CAT, J. K. v. Canada, 562/2013, § 10.6; CAT, N. A. A. v. Switzerland, 639/2014, § 7.11; CAT, Concluding Observations: Jordan, 25. Mai 2010, CAT/C/JOR/CO/2, § 23; CAT, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of the Netherlands, 20. Juni 2013, CAT/C/NLD/CO/5 – 6, § 11 (a); CAT, Concluding Observations: Greece, 27. Juni 2012, CAT/C/GRC/CO/5 – 6, § 19. 261 CAT, General Comment No. 2, §§ 6, 3. 262 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 520.
I. Ausschuss gegen Folter
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General Comment Nr. 2, allgemein Inhalt und Reichweite der vertraglichen Pflichten: „The Committee recalls that the prohibition of torture, as defined in Article 1 of the Convention, is absolute. Article 2, paragraph 2, of the Convention provides that ,No exceptional circumstances whatsoever, whether a state of war or a threat of war, internal political instability or any other public emergency, may be invoked as a justification of torture‘. The Committee further recalls that other acts of ill-treatment are equally prohibited, and that the prohibition of ill-treatment is likewise non-derogable. The principle of ,non-refoulement‘ of persons to another State where there are substantial grounds for believing that they would be in danger of being subjected to torture is similarly absolute.“263
Weiter sollen die Vertragsstaaten in ihren nationalen Risikobewertungsverfahren auch möglicherweise drohende andere Formen der Misshandlung stets untersuchen, da sich diese möglicherweise verändern können, so dass dann Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK droht.264 Ebenso sei nicht nur frühere Folter, sondern auch sonstige frühere Misshandlung im Zielstaat bei der Risikobewertung zu berücksichtigen.265 Noch weitergehend ist die Praxis des Ausschusses gegen Folter aber im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren seit Veröffentlichung des General Comment Nr. 4. So befand er in einer Individualbeschwerde nur wenige Monate nach Veröffentlichung des General Comment Nr. 4, allein die Tatsache, dass Asylsuchende eine besonders schutzbedürftige Gruppe darstellen (dies hatte der Ausschuss im Rahmen des General Comment Nr. 2 festgestellt)266 reiche für die Annahme aus, dass diese auch in besonderer Weise vor Misshandlungen zu schützen seien, die keine Folter im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK sind.267 Dem Argument eines Vertragsstaates, Beschwerden in denen die betroffene Person nur eine andere Misshandlung als Folter fürchte, seien ratione materiae nicht zulässig, entgegnete der Ausschuss sodann: „The Committee notes that the preamble to the Convention proclaims that any act of torture or inhuman or degrading treatment or punishment is an offence to human dignity. Accordingly, cruel, inhuman and degrading treatment is addressed in the preamble in connection with article 5 of the Universal Declaration of Human Rights and article 7 of the International Covenant on Civil and Political Rights. These explicit references enabled the Committee, in its general comment No. 2 (2007) on the implementation of article 2 by States parties, to make it clear that obligations under the Convention, including with regard to article 3, extend to both torture and other acts of cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, and that, as previously stated by the Committee, article 16 of the Convention is non-derogable. The Committee notes that this interpretation is corroborated by the majority 263 264 265 266 267
CAT, General Comment No. 4, §§ 8, 9. Ebenda, §§ 16, 28. Ebenda, § 49 (b) – (d). CAT, General Comment No. 2, § 21. CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 8.9.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
of international conventions which, even though they may draw a terminological distinction between the two concepts, confirm the absolute nature of their prohibition in each case. […] The Committee further notes that the Convention does not detract from the State party’s obligations under other human rights instruments to which it is a party, including the European Convention on Human Rights, to which the respondent State is a party, which includes no exception and also links the two concepts in the interpretation of article 3. […] It is clear from all these rules that international law now extends the principle of non-refoulement to persons exposed to risks other than torture.“268
Obwohl die AFK eine solche Unterscheidung vorsieht, sei es aus Sicht des Ausschusses mit Blick auf geltendes Völkerrecht nicht angebracht, dass der Ausschuss im Rahmen der Interpretation der AFK eine solche Unterscheidung weiterhin vornehme. Diese Interpretation ergibt sich auch aus dem abweichenden Votum des Ausschussmitglieds Abdelwahab Hani zur zitierten Entscheidung. Demnach habe der Ausschuss den materiellen Schutz aus Artikel 3 AFK eindeutig erweitert: „The Committee has in the meantime expanded the scope of the protection granted by the absolute principle of non-refoulement (art. 3) to persons at risk of cruel, inhuman or degrading treatment (art. 16) and of violations of the right to redress (art. 14), by rejecting the argument of inadmissibility ratione materiae, based on its general comments Nos. 4, 2 and 3.“269
Diese Entwicklung ist auch im Rahmen von Staatenberichtsverfahren zu erkennen, wo der Ausschuss in der Regel formuliert, Vertragsstaaten sollten von Aufenthaltsbeendigungen absehen, wenn das Risiko von Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe besteht. Trotz dieser eindeutigen Erweiterung des Schutzbereiches von Artikel 3 Abs. 1 AFK durch die Spruchpraxis des Ausschusses gegen Folter wird eine Ausweitung des Prinzips des Non-Refoulement auf das Risiko von Misshandlung im Sinne des Artikel 16 AFK in der Literatur abgelehnt.270 bb) Relevante Misshandlungen Der Ausschuss gegen Folter gibt in seinem aktuellen General Comment eine Übersicht darüber, welche Arten der Misshandlung eine Rechtsverletzung des Artikel 3 Abs. 1 AFK auslösen können.271 Hierzu gehören willkürliche Haft oder Haft unter sehr schlechten Bedingungen, die Verurteilung in einem unfairen Verfahren, gewisse Arten von Körper- und Todesstrafe sowie die Haftbedingungen bei Todesstrafe, diverse Formen von Gewalt, auch geschlechterspezifische Gewalt, Misshandlungen, die nach dem Römischen Statut oder den Genfer Konventionen verboten 268 269 270 271
CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, § 8.6. Ebenda, abweichendes Votum Abdelwahab Hani, § 1. M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 4, 115 – 121. CAT, General Comment No. 4, § 29.
I. Ausschuss gegen Folter
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sind, Versklavung, Zwangsarbeit und Menschenhandel. Viele der genannten Faktoren sind zwar Indizien für das Bestehen eines Risikos des Refoulement, aber in der Praxis des Ausschusses nicht allein ausreichend. Eine drohende Festnahme im Zielstaat ist allein nicht ausreichend,272 ebenso wenig das Risiko der doppelten Strafverfolgung.273 Auch ist die drohende Isolationshaft wohl nur bei entsprechender Absicht, der Person hierdurch Leid zuzufügen, ausreichend.274 Im Rahmen von Individualbeschwerden zu Artikel 3 AFK, in denen Betroffene von früherer Folter berichten, diskutiert der Ausschuss selten, ob die Erlebnisse Folter darstellen. Ausdrücklich ordnet er dagegen Vergewaltigung und auch andere geschlechterspezifische Gewalt als Folter ein.275 Eine differenzierte Sicht hat der Ausschuss gegen Folter auf Fälle im Zielstaat drohender Todesstrafe. Der Ausschuss sieht nicht generell bereits darin einen Verstoß gegen das Refoulementverbot, dass in einem Zielstaat die Todesstrafe droht. Vor Veröffentlichung des General Comment Nr. 4 war allerdings oft nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien der Ausschuss drohende Todesstrafen für mit Artikel 3 AFK vereinbar hielt. So hat der Ausschuss gegen Folter die Existenz der Todesstrafe in den USA nicht als Hinderungsgrund für eine Aufenthaltsbeendigung gesehen, da es sich hierbei um ein gefestigtes Rechtssystem einer demokratischen Regierung handele.276 Ohne zu spezifizieren, ob er die Todesstrafe wegen Ehebruchs für mit Artikel 3 AFK unvereinbar hält oder den Tod durch Steinigung für Folter hält, hat der Ausschuss gegen Folter in A. S. v. Sweden befunden, dass eine Aufenthaltsbeendigung in einem solchen Fall gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde.277 General Comment Nr. 4 deutet darauf hin, dass vergleichbare Beschwerden heute nicht mehr nach Kriterien beurteilt würden, die in Grund oder Art der Todesstrafe liegen. Gemäß General Comment Nr. 4 ist eine Aufenthaltsbeendigung dann nicht zulässig, wenn der die Aufenthaltsbeendigung vollziehende Staat selbst die Todesstrafe abgeschafft hat, für die der betroffenen Person vorgeworfene Straftat selbst keine Todesstrafe vorsieht oder wenn die betroffene Person minderjährig ist.278 Ob eine Aufenthaltsbeendigung mit Artikel 3 Abs. 1 AFK vereinbar ist, hängt damit wesentlich von der nationalen Rechtslage des die Aufenthaltsbeendigung vollziehenden Vertragsstaates ab. Interessant ist hier, dass der General Comment Nr. 4 272 CAT, I. A. O. v. Sweden, 065/1997, 06. Mai 1998, § 14.5; CAT, V. X. N. and H. N. v. Sweden, 130/1999, 131/1999, § 13.7; CAT, M. S. v. Australia, 154/2000, § 6.5; CAT, Aref Mohammed Abdulkarim v. Switzerland, 710/2015, 06. November 2017, § 10.9. 273 CAT, P. Q. L. v. Canada, 057/1996, 17. November 1997, § 10.5. 274 M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 123. 275 CAT, V. L. v. Switzerland, 262/2005, § 8.10; CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/ 2007, § 9.5. 276 CAT, Summary Record of the First Part of the 139th Meeting, 20. Juli 1993, CAT/C/ SR.139, § 27. Wohl aus diesem Grund CAT, L. J. R. v. Australia, 316/2007, § 6.2. 277 CAT, A. S. v. Sweden, 149/1999, §§ 2.8, 8.7, 9. 278 CAT, General Comment No. 4, § 29 (k).
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
eigene Entscheidungen des Ausschusses gegen Folter zitiert, aber in keiner dieser zitierten Entscheidungen tatsächlich darauf eingegangen war, ob und inwieweit die nationale Gesetzgebung des von der Individualbeschwerde betroffenen Staates bezüglich der Todesstrafe relevant ist. Tatsächlich scheint sich der Ausschuss hierbei wesentlich an der Praxis des Menschenrechtsausschusses zu Artikel 6 IPbpR zu orientieren.279 cc) Relevante Akteure Sogar über den Schutzbereich von Artikel 16 AFK hinaus hat der Ausschuss gegen Folter nicht nur die für den Folterbegriff des Artikel 3 AFK relevanten Handlungen erweitert. Auch bezüglich der hierbei relevanten Akteure hat sich die Praxis des Ausschusses stark gewandelt. So bestimmt der Ausschuss in seinem General Comment Nr. 4, dass Artikel 3 AFK auch Schutz vor Folter oder anderer Misshandlung durch nicht-staatliche Akteure bietet.280 Auch hier stellt der General Comment Nr. 4 eine Verfestigung eines Wandels in der Praxis des Ausschusses dar, der sich bereits in dem General Comment vorausgehenden Entscheidungen angedeutet hatte. Grundsätzlich soll die Antifolterkonvention vor staatlicher Behandlung schützen. Ein Schutz vor Privaten ist nicht vorgesehen.281 Sowohl nach Artikel 1 als auch nach Artikel 16 AFK schützen diese nur vor solchen Handlungen, die von Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis vorgenommen werden. Ein Schutz vor Privaten ist damit nur dann möglich, wenn deren Verhalten dem Staat zugerechnet werden kann. Das ist unproblematisch dann der Fall, wenn staatliche Behörden (etwa Polizei oder Militär) bei dem Geschehen anwesend sind und nicht einschreiten.282 Im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen und möglichen drohenden Gefahren durch Private im Zielstaat hat der Ausschuss gegen Folter zunächst keinerlei Schutz anerkannt.283 Allerdings hat der Ausschuss bereits erstmals im Jahr 1999 entschieden, dass jedenfalls dann, wenn es sich beim Zielstaat um einen sogenannten ,gescheiterten Staat‘ handelt, also keine Staatsgewalt im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 AFK existiert, durch die oder mit deren Einverständnis eine Person gefoltert werden 279
Vgl. unten Kapitel D. II. 3. a). CAT, General Comment No. 4, § 30. 281 J. H. Burgers/H. Danelius, The United Nations Convention against Torture, 1. 282 CAT, Dzemajl et al. v. Yugoslavia, 161/2000, 21. November 2002, § 9.2. 283 CAT, S. V. et al. v. Canada, 049/1996, 15. Mai 2001, § 9.5; CAT, G. R. B. v. Sweden, 083/ 1997, 15. Mai 1998, § 6.5; CAT, M. P. S. v. Australia, 138/1999, 30. April 2002, § 7.4; CAT, V. X. N. and H. N. v. Sweden, 130/1999, 131/1999, § 13.8; CAT, Güclü v. Sweden, 349/2008, 11. November 2010, § 5.2; CAT, Aytulun and Güclü v. Sweden, 373/2009, 19. November 2010, § 6.2. 280
I. Ausschuss gegen Folter
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könnte, eine Verletzung von Artikel 3 AFK durch eine Aufenthaltsbeendigung durchaus möglich sei: „The Committee does not share the State party’s view that the Convention is not applicable in the present case since, according to the State party, the acts of torture the author fears he would be subjected to in Somalia would not fall within the definition of torture set out in article 1 (i. e. pain or suffering inflicted by or at the instigation of or with the consent or acquiescence of a public official or other person acting in an official capacity, in this instance for discriminatory purposes). The Committee notes that for a number of years Somalia has been without a central government, that the international community negotiates with the warring factions and that some of the factions operating in Mogadishu have set up quasigovernmental institutions and are negotiating the establishment of a common administration. It follows then that, de facto, those factions exercise certain prerogatives that are comparable to those normally exercised by legitimate governments. Accordingly, the members of those factions can fall, for the purposes of the application of the Convention, within the phrase ,public officials or other persons acting in an official capacity‘ contained in article 1.“284
Die Aufenthaltsbeendigung und Verbringung in einen Gescheiterten Staat ist damit aber nicht per se nach Artikel 3 Abs. 1 AFK rechtswidrig. Neben der Abwesenheit von Staatsgewalt müssen auch die nichtstaatlichen Akteure in quasistaatlicher Form organisiert sein. Konsequent hat der Ausschuss daher kurze Zeit später in einer anderen Individualbeschwerde, in welcher die betroffene Person ebenfalls nach Somalia verbracht werden sollte, das Bestehen eines Folterrisikos mangels der Schutzunfähigkeit Somalias unter Hinweis auf die neu errichtete Übergangsregierung verneint.285 Andererseits stellt der Ausschuss aber geringe Anforderungen an den Nachweis, dass vor den relevanten privaten Akteuren von Seiten des Zielstaates kein Schutz zu erwarten ist, etwa wenn die betroffene Person sich vor einer Terrororganisation fürchtet.286 Den hier zugrundeliegenden engen Folterbegriff, für den es de facto eines völligen staatlichen Versagens bedarf, damit die AFK Menschen auch vor Misshandlung durch quasi-staatlich organisierte Private schützt, hat der Ausschuss gegen Folter bereits in seinem General Comment Nr. 2 zu den allgemeinen Verpflichtungen der Vertragsstaaten aus der AFK deutlich erweitert. Dies geschieht durch eine weite Auslegung des Begriffes des staatlichen Einverständnisses nach Artikel 1 Abs. 1 AFK. Der Ausschuss ist nunmehr der Auffassung, dass die Vertragsstaaten für alle Handlungen Privater verantwortlich sind, von denen staatliche Behörden wissen oder 284
CAT, Elmi v. Australia, 120/1998, § 6.5. Siehe auch CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/ 2001, § 6.4; CAT, Rocha Chorlango v. Sweden, 218/2002, 22. November 2004, § 5.2. 285 CAT, H. M. H. I. v. Australia, 177/2001, § 6.4. 286 In solchen Fällen geht der Ausschuss nicht einmal darauf ein, dass die Akteure nichtstaatlich sind, CAT, K. H. v. Denmark, 464/2011, 23. November 2012, § 8.7.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
hätten wissen müssen, und gegen die sie keine adäquaten Schritte unternommen haben: „The Committee has made clear that where State authorities or others acting in official capacity or under colour of law, know or have reasonable grounds to believe that acts of torture or ill-treatment are being committed by non-State officials or private actors and they fail to exercise due diligence to prevent, investigate, prosecute and punish such non-State officials or private actors consistently with the Convention, the State bears responsibility and its officials should be considered as authors, complicit or otherwise responsible under the Convention for consenting to or acquiescing in such impermissible acts. Since the failure of the State to exercise due diligence to intervene to stop, sanction and provide remedies to victims of torture facilitates and enables non-State actors to commit acts impermissible under the Convention with impunity, the State’s indifference or inaction provides a form of encouragement and/or de facto permission.“287
Mit diesem erweiterten Verständnis des Folterbegriffs hat der Ausschuss auch seine Spruchpraxis zum Begriff des Non-Refoulement nach Artikel 3 Abs. 1 AFK wesentlich erweitert. Die Handlungen Privater sind nach Artikel 3 AFK somit relevant, wenn der betroffene Zielstaat diejenigen Sorgfaltspflichten nicht einhält, die dem die Aufenthaltsbeendigung vollziehenden Vertragsstaat der AFK obliegen würden. Dass der Zielstaat selbst diese Sorgfaltspflichten hat, das heißt, dass dieser Vertragspartei der AFK ist, ist hierbei nicht erforderlich. So verstoßen Vertragsstaaten, die Aufenthaltsbeendigungen in solche Staaten vollziehen, welche Misshandlungen durch Private nicht mit dieser notwendigen Sorgfalt begegnen, gegen Artikel 3 AFK.288 Dass diese privaten Akteure in quasi-staatlicher Form organisiert sind, ist hingegen nicht mehr erforderlich. Das bedeutet aber keinesfalls, dass der Ausschuss gegen Folter nunmehr im Rahmen von Artikel 3 AFK jegliche Art von drohender Misshandlung durch Private für relevant hält. Die beschwerdeführende Person muss vielmehr nachweisen können, dass der von Privaten ausgehenden Gefahr von Seiten des Zielstaates nicht ausreichend entgegengewirkt wird.289 So kann es einen Verstoß gegen Artikel 3 AFK darstellen, wenn im Zielland die Gefahr etwa geschlechterspezifischer Gewalt oder weiblicher Genitalverstümmelung durch Private besteht, ohne dass der Staat hiergegen hinreichenden Schutz bietet.290 Auffällig ist, dass der Ausschuss gegen Folter insbesondere bei geschlechterspezifischer Gewalt gegenüber Frauen häufig davon ausgeht, dass das Handeln Privater im Einverständnis mit dem Staat geschieht. Der 287
CAT, General Comment No. 2, § 18. Siehe etwa CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/2007, § 9.5; CAT, S. J. D. v. Australia, 387/2009, 14. November 2013, § 10.9; CAT, A. A. M. v. Sweden, 413/2010, § 9.2; CAT, M. K. M. v. Australia, 681/2015, § 8.7. 289 CAT, Z. A. H. v. Canada, 687/2015, 11. August 2017, §§ 7.6 ff.; CAT, H. I. et al. v. The Netherlands, 685/2015, 10. November 2017, § 8.6. 290 CAT, F. B. v. The Netherlands, 613/2014, § 8.8; CAT, R. O. v. Sweden, 644/2014, § 8.7; CAT, M. J. S. v. The Netherlands, 757/2016, 03. Mai 2019, § 8.7. Siehe auch CAT, General Comment No. 4, § 29 (c). 288
I. Ausschuss gegen Folter
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Ausschuss stellt dabei nicht darauf ab, ob und welche Schutzmaßnahmen in den Zielstaaten de jure existieren, sondern untersucht lediglich, ob de facto für die betroffene Frau Schutz zu erwarten ist.291 Die Existenz nationaler Gesetze, die bestimmte Verhalten verbieten und sanktionieren, ist daher in keinem Fall ausreichend. Diesen Wandel in seiner Praxis bestätigt der Ausschuss gegen Folter in seinem General Comment Nr. 4. Hierin hält der Ausschuss nunmehr fest: „Equally, States parties should refrain from deporting individuals to another State where there are substantial grounds for believing that they would be in danger of being subjected to torture or other ill-treatment at the hands of non-State entities, including groups which are unlawfully exercising actions that inflict severe pain or suffering for purposes prohibited by the Convention, and over which the receiving State has no or only partial de facto control or whose acts it is unable to prevent nor to counter their impunity.“292
Auch hiermit meint der Ausschuss gegen Folter keineswegs, dass jede Form der Misshandlung durch Private von Artikel 3 AFK erfasst ist. So hat der Ausschuss etwa klargestellt, dass sogenannte Taten zur Wiederherstellung der Familienehre nicht per se Folter im Sinne der Konvention darstellen.293 Dennoch zeigt sich, dass der Ausschuss gegen Folter seit Veröffentlichung des General Comment Nr. 4 weitaus häufiger als in seiner vorherigen Praxis die Relevanz von Gefahren durch Private im Rahmen von Artikel 3 AFK bejaht hat.294 Auch hat der Ausschuss angedeutet, dass hierdurch eine Verletzung von Artikel 16 AFK möglich ist.295 c) Allgemeine Lage im Zielstaat Ausweislich von Artikel 3 Abs. 2 AFK haben Staaten bei der Beurteilung des Refoulement-Risikos insbesondere die allgemeine Menschenrechtslage im Zielstaat zu beachten. Eine fortbestehende, ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen im Sinne des Artikel 3 Abs. 2 AFK nimmt der Ausschuss gegen Folter nach seinem General Comment Nr. 4 dann an, wenn im Zielstaat Folter verbreitet ist und Täter:innen regelmäßig straflos bleiben, wenn Belästigung und Gewalt gegenüber Minderheiten praktiziert werden, wenn eine Situation besteht, aus der sich Völkermord ergeben kann, wenn geschlechterspezifische Gewalt weit verbreitet ist, wenn die Bestrafung und Freiheitsentziehung von Menschen, die von ihren Grundfreiheiten Gebrauch machen, weit verbreitet ist sowie bei Bestehen eines 291 E. Hamdan, The principle of non-refoulement under the ECHR and the UN Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, 76. 292 CAT, General Comment No. 4, § 30. 293 CAT, S. v. Sweden, 691/2015, 16. November 2018, § 9.5. 294 CAT, G. A. v. Australia, 680/2015, 09. August 2018, § 15.2; CAT, S. v. Sweden, 691/2015, § 9.2; CAT, I. A. v. Sweden, 729/2016, § 9.7; CAT, M. J. S. v. The Netherlands, 757/2016, § 8.2; CAT, X. and Y. v. Switzerland, 776/2016, 23. April 2019, § 7.2; CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, § 8.9. 295 CAT, M. G. v. Switzerland, 811/2017, §§ 7.2, 8.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
bewaffneten Konflikts.296 In der Praxis des Ausschusses gegen Folter sind neben dem Praktizieren von Folter und vergleichbarer verbotener Misshandlung297 etwa die regelmäßige Durchführung von Massenhinrichtungen oder anderen Arten der willkürlichen Tötung sowie das Praktizieren von Verschwindenlassen häufig relevant.298 Dem Element der allgemeinen Menschenrechtslage wird in der Praxis des Ausschusses gegen Folter tatsächlich geringe Bedeutung beigemessen. Es handelt sich nur um einen ergänzenden Faktor, welcher die jeweiligen Behauptungen der persönlichen Betroffenheit der beschwerdeführenden Person stärken oder schwächen kann.299 Es reicht nach dem Ausschuss daher nicht aus, dass im Zielstaat regelmäßig Folter praktiziert wird, wenn ein persönliches Risiko der beschwerdeführenden Person nicht nachgewiesen werden kann.300 Diese Gewichtung lässt sich auch in dem General Comment Nr. 4 erkennen. Hier liefert der Ausschuss über Kriterien zur Annahme einer fortbestehenden, ständigen Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen hinaus eine Liste weiterer Indizien für den Vertragsstaat, anhand derer der Staat erkennen können soll, ob die allgemeine Menschenrechtslage im Zielstaat eine Aufenthaltsbeendigung nach Maßgabe des Artikel 3 AFK zulässt. Hierzu gehören etwa Haftbedingungen und die Anwendung von Körperstrafen, der Zugang zu einem fairen Verfahren, die Praxis geschlechterspezifischer Gewalt – auch durch Private – oder Informationen über Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.301 Bei der Verbringung in einen Staat, der selbst nicht Vertragspartei ist, kann dies Indiz für eine schlechte Menschenrechtslage sein. Außerdem betont der Ausschuss gegen Folter hier, dass mit Verbringung einer Person in einen solchen Staat der Person auch die Möglichkeit genommen wird, den Schutz des Ausschusses in Anspruch zu nehmen.302 Auch über die Antifolterkonvention hinaus beurteilt der Ausschuss gegen Folter die allgemeine Menschenrechtslage in einem Staat abhängig von dessen völkerrechtlichen Verpflichtungen. So hat er etwa eine Verletzung von 296
CAT, General Comment No. 4, § 43. Etwa CAT, Núñez Chipana v. Venezuela, 10. November 1998, § 6.4; CAT, Hayden v. Sweden, 101/1997, § 6.4; CAT, Karoui v. Sweden, 185/2001, § 9. 298 CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.5; CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/2001, § 6.3; CAT, Fuad Jahani v. Switzerland, 357/2008, § 9.4; CAT, Abed Azizi v. Switzerland, 492/ 2012, § 8.5; CAT, Z. v. Sweden, 556/2013, 08. Mai 2015, § 8.5; CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, § 10.6. 299 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 473. 300 Siehe etwa CAT, L. M. T. D. v. Sweden, 164/2000, 15. Mai 2002, §§ 8, 9; CAT, M. M. K. v. Sweden, 221/2002, § 8.7; CAT, A. A. M. v. Sweden, 413/2010, § 9.5; CAT, E. T. v. The Netherlands, 801/2017, 26. November 2018, § 7.6. 301 CAT, General Comment No. 4, § 29. 302 CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.6; CAT, Tahir Hussain Khan v. Canada, 015/1994, § 12.5; CAT, Harminder Singh Khalsa et al. v. Switzerland, 336/2008, § 11.7; CAT, Abed Azizi v. Switzerland, 492/2012, § 8.8; CAT, N. A. A. v. Switzerland, 639/2014, § 7.10. 297
I. Ausschuss gegen Folter
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Artikel 3 AFK bei einer drohenden Abschiebung nach Aserbaidschan auch deshalb verneint, weil Aserbaidschan seit dessen Beitritt zum Europarat Fortschritte gemacht habe.303 Wenn der Vertragsstaat aufgrund der allgemeinen Menschenrechtslage einen Abschiebestopp in einen bestimmten Staat verhängt hat und für die beschwerdeführende Person eine Ausnahme macht, dann geht der Ausschuss gegen Folter davon aus, dass eine fortbestehende, ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen im Zielstaat gegeben ist, denn eine Feststellung dieser ist objektiv und nicht von persönlichen Umständen der betroffenen Person abhängig.304 d) Besondere Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person Ein relevantes persönliches Risiko ergibt sich in der Regel nicht allein daraus, dass die allgemeine Menschenrechtslage im Zielstaat schlecht ist, sondern die beschwerdeführende Person muss hierüber hinaus persönlich der Gefahr drohender Folter ausgesetzt sein. Eine persönliche Betroffenheit kann sich aus der besonderen Schutzbedürftigkeit einer Person ergeben, zum Beispiel aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer ethnischen Herkunft. Häufig geben beschwerdeführende Personen vor dem Ausschuss gegen Folter an, aufgrund eines besonderen Verfolgungsinteresses des Zielstaates an ihrer Person zu befürchten, dass ihnen Folter droht, so etwa wegen ihres politischen Engagements. Auch hier ist der Leitfaden des General Comment Nr. 4 insoweit stark verkürzt, als er nur den Nachweis von Misshandlungen aufgrund politischer oder anderer Aktivität im Zielstaat nennt.305 Tatsächlich verfügt der Ausschuss gegen Folter über eine differenzierte Praxis zu relevantem Verhalten oder der Zugehörigkeit der betroffenen Person zu einer bestimmten Gruppe, aus denen sich ein persönliches Folterrisiko ergeben kann. Der Nachweis des persönlichen Risikos aufgrund eines bestimmten Verhaltens oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe erfolgt dabei in zwei Schritten. Die beschwerdeführende Person muss erstens nachweisen, dass sie zu einer Gruppe gehört beziehungsweise sich auf eine bestimmte Weise verhalten hat und zweitens, dass sie aufgrund dessen besonders gefährdet ist.306 In seinem General Comment Nr. 4 listet der Ausschuss als Beispiele für solche Gruppen und/oder Aktivitäten die ethnische Herkunft der beschwerdeführenden Person, neben der eigenen politischen Zugehörigkeit oder Aktivität möglicherweise auch jene von Familienmitgliedern, das Vorliegen eines Haftbefehls ohne Aussicht 303
CAT, A. H. v. Sweden, 265/2005, 16. November 2006, § 11.7. CAT, Kalonzo v. Canada, 343/2008, § 8.9. 305 CAT, General Comment No. 4, § 49 (f). Ebenso bereits CAT, General Comment No. 1, § 8 (e). 306 E. Hamdan, The principle of non-refoulement under the ECHR and the UN Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, 277. 304
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
auf die Einhaltung von Verfahrensgarantien, eine Verurteilung der beschwerdeführenden Person in absentia, die sexuelle Orientierung oder Geschlechteridentität der beschwerdeführenden Person, Deserteure, frühere Folter, Isolationshaft oder andere Formen der willkürlichen oder illegalen Haft in der Vergangenheit, heimliche Flucht aus dem Ursprungsstaat wegen drohender Folter, die Religionszugehörigkeit der beschwerdeführenden Person, die Nichtgewährung von Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit im Zielstaat, auch in Bezug auf Konversionen, das Risiko des Kettenrefoulement und schließlich die drohende Gewalt gegen Frauen, einschließlich Vergewaltigung.307 Auch hier stellt der General Comment Nr. 4 eine stark verkürzte Form der umfangreichen Praxis des Ausschusses gegen Folter dar. Eine Gewichtung der Aktivitäten oder Gruppenzugehörigkeiten ist nicht messbar, da die beschwerdeführenden Personen in aller Regel eine Vielzahl von Beweisen vorbringen und der Ausschuss diese in ihrer Gesamtschau bewertet. In Fällen, in denen den Beschwerdeführenden im Zielstaat politische Delikte vorgeworfen werden, nimmt der Ausschuss gegen Folter in der Regel die Zugehörigkeit zu einer besonders gefährdeten Gruppe an.308 Auch wird in Fällen, in denen den Betroffenen Schutz nach der GFK zusteht, in der Regel davon auszugehen sein, dass eine Aufenthaltsbeendigung auch gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde.309 Spiegelbildlich hat der Ausschuss unter Bezugnahme auf den UNHCR ein Folterrisiko deshalb abgelehnt, weil der UNHCR keine Empfehlung für einen generellen Abschiebestopp für den Zielstaat abgegeben hatte. Daraus ergebe sich, dass keine objektiven Hindernisgründe für die Rückführung von Menschen, deren Asylanträge gescheitert sind, in diesen Staat bestehen.310 Diese Praxis des Ausschusses wird kritisiert, da Verfolgung im Sinne der GFK nicht mit Folter gleichzusetzen sei, insbesondere da Folter der viel engere Begriff sei und die Bejahung oder Verneinung von Verfolgung im Rahmen der GFK mithin keine generelle Indizwirkung für die Gefahr der Folter haben könne.311 Während die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder der Nachweis etwa politischer Aktivitäten in der Vergangenheit allein nicht ausreicht, um ein persönliches Risiko drohender Folter zu begründen,312 kann unter Umständen ausreichend sein, dass ohne tatsächliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ein entsprechendes per307
CAT, General Comment No. 4, § 45. F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 380. 309 CAT, Pelit v. Azerbaijan, 281/2005, § 11; CAT, Hussein Khademi et al. v. Switzerland, 473/2011, §§ 7.4, 8. 310 CAT, X., Y. and Z. v. Sweden, 061/1996, § 11.5. Siehe auch CAT, L. P. v. Australia, 666/ 2015, 01. Dezember 2016, § 8.7. 311 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 469. 312 E. Hamdan, The principle of non-refoulement under the ECHR and the UN Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, 278. 308
I. Ausschuss gegen Folter
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sönliches Risiko besteht, etwa weil der Zielstaat fälschlicherweise annimmt, die beschwerdeführende Person gehöre zu einer bestimmten Gruppe.313 Politische Aktivitäten, die ein Folterrisiko begründen können, sind dabei nicht nur solche, die im Zielland ausgeübt wurden, sondern auch politisches Engagement der beschwerdeführenden Personen im Ausland, sofern der Nachweis gelingt, dass dieses Engagement für den Zielstaat relevant ist.314 Das heißt, neben der Ausübung der politischen Aktivitäten muss das außerhalb des Zielstaates ausgeübte politische Engagement auch vom Zielstaat wahrgenommen werden und potenziell zu einem Interesse des Zielstaates an der Person führen können.315 Ob politische Aktivitäten, egal wo, relevant sind, ist somit allein Frage des Interesses des Zielstaates und zeigt sich im Vergleich mit der Behandlung anderer Menschen, deren Engagement mit jenem der beschwerdeführenden Person vergleichbar ist.316 Daher kann es in Extremfällen sogar ausreichend sein, dass die Person im Zielstaat einer oppositionellen Bewegung zugerechnet wird.317 Auch solche Aktivitäten, die rein journalistischer Natur sind, sind grundsätzlich geeignet, ein solches staatliches Interesse zu begründen.318 Kann eine beschwerdeführende Person keine Nachweise für ihre früheren Aktivitäten im Zielstaat erbringen, dann können im Aufenthaltsstaat fortgeführte Aktivitäten als Indiz dienen.319 Kritisch sieht der Ausschuss gegen Folter dagegen solche Aktivitäten, welche die beschwerdeführende Person im Aufenthaltsstaat erst nach Scheitern ihres Asylgesuchs aufgenommen hat.320 313 CAT, A. v. The Netherlands, 091/1997, § 6.7; CAT, Yousri Ktiti v. Morocco, 419/2010, § 8.6; CAT, Ferhat Erdogan v. Morocco, 827/2017, § 9.11; CAT, Ismet Bakay v. Morocco, 826/ 2017, § 7.11. Siehe auch F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 393. Eine Verfolgung im Zielstaat, weil dieser die Zugehörigkeit der Person zu einer bestimmten Gruppe annimmt, kann aber nur ein Indiz für die Gesamtschau des Ausschusses sein. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ist dies nicht ausreichend, CAT, B. M. v. Sweden, 179/2001, § 5.3. 314 CAT, Aemei v. Switzerland, 034/1995, § 9.5; CAT, X., Y. and Z. v. Sweden, 061/1996, § 11.4; CAT, S. G. v. The Netherlands, 135/1999, 12. Mai 2004, § 6.5; CAT, El Rgeig v. Switzerland, 280/2005, § 7.4; CAT, Harminder Singh Khalsa et al. v. Switzerland, 336/2008, § 11.5; CAT, Fuad Jahani v. Switzerland, 357/2008, §§ 9.5 f.; CAT, N. A. A. v. Switzerland, 639/2014, § 7.7. 315 CAT, Z. K. v. Sweden, 301/2006, § 8.5. 316 F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 393 f. 317 CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, §§ 2.1, 9.4; CAT, Tahir Hussain Khan v. Canada, 015/1994, §§ 12.3 f.; CAT, Alan v. Switzerland, 021/1995, § 11.3; CAT, Y. v. Switzerland, 431/2010, § 7.7. 318 CAT, I. A. O. v. Sweden, 065/1997, § 14.5. 319 CAT, M. D. T. v. Switzerland, 382/2009, 14. Mai 2012, § 7.7. 320 CAT, Z. v. Switzerland, 738/2016, 09. August 2018, § 7.5. Diese Entscheidung weicht von der üblichen Praxis des Ausschusses gegen Folter deutlich ab. So ist der Ausschuss hier der Auffassung des Vertragsstaates gefolgt, die politische Aktivität des Beschwerdeführers stelle für die aktuelle Regierung des Zielstaates keine tatsächliche und ernsthafte Bedrohung dar. Damit wählt der Ausschuss eine objektive Betrachtungsweise der politischen Aktivitäten des
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Im Übrigen ist es auch möglich, dass einer Person ohne Nachweis bestimmter Aktivitäten oder der Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe allein aufgrund der Tatsache im Zielstaat Folter droht, dass sie das Land verlassen hat. Der General Comment nennt Deserteure als mögliche gefährdete Gruppe, tatsächlich kann aber auch das reine Verlassen des Zielstaates ausreichen.321 Der Ausschuss gegen Folter verlangt nicht nur bei politischen Aktivitäten den Nachweis eines hierdurch erwachsenden persönlichen Risikos. Auch allein die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder Minderheit reicht nicht aus, um ein persönliches Folterrisiko zu begründen.322 Auch allein das Geschlecht einer Person ist nicht per se ausreichend.323 Wenn aber die allgemeine Menschenrechtslage für Frauen im Zielstaat besonders prekär ist, kann dies dem Ausschuss unter Umständen genügen, um das persönliche Risiko einer Frau zu bejahen.324 Einen sehr begrenzen Schutz bietet der Ausschuss gegen Folter dagegen Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Angst vor einer Aufenthaltsbeendigung haben. Nicht nur hält der Ausschuss eine Diskriminierung von Homosexuellen durch Private für irrelevant, dies gilt häufig selbst bei Bestehen gesetzlicher Verbote und der Strafbarkeit homosexueller Handlungen.325 Weiter kann eine bestimmte Religionszugehörigkeit, ähnlich wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, ein Folterrisiko darstellen.326 Auch ist denkbar, dass die Konversion zu einer anderen Religion zur Diskriminierung oder zur Strafverfolgung im Zielstaat führt.327 Beschwerdeführers und nicht, wie sonst üblich, das Kriterium des – möglicherweise nicht objektiv nachvollziehbaren – Interesses des Zielstaates an der politischen Aktivität der betroffenen Person. 321 CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.4. Siehe auch CAT, F. F. Z. v. Denmark, 180/2001, 30. April 2002, § 11; CAT, N. A. A. v. Switzerland, 639/2014 § 7.10. 322 CAT, Elmi v. Australia, 120/1998, § 6.8; CAT, Z. Z. v. Canada, 123/1998, 15. Mai 2001, § 8.5; CAT, Sivagnanaratnam v. Denmark, 429/2010, 11. November 2013, § 7.7; CAT, Ali Fadel v. Switzerland, 450/2011, 14. November 2014, § 7.4; CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, § 8.8. 323 CAT, E. L. v. Switzerland, 351/2008, 15. November 2011, § 9.4; CAT, M. J. S. v. The Netherlands, 757/2016. 324 CAT, General Comment No. 4, § 29 (c). Siehe etwa CAT, A. S. v. Sweden, 149/1999, §§ 8.4, 8.6; CAT, C. T. and K. M. v. Sweden, 279/2005, § 7.5; CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/2007, § 9.5; CAT, N. B.-M. v. Switzerland, 347/2008, § 9.5; CAT, E. K. W. v. Finland, 490/2012, 04. Mai 2015, § 9.7. 325 CAT, K. S. Y. v. The Netherlands, 190/2001, § 7.4; CAT, E. A. v. Sweden, 690/2015, 11. August 2017, § 9.7. Anders hat der Ausschuss nur in Fällen entschieden, in denen die beschwerdeführende Person ein herausragendes Engagement in Organisationen für homosexuelle, bisexuelle, transgender und intersex Menschen nachweisen konnte oder in denen Homosexualität mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, CAT, Uttam Mondal v. Sweden, 338/2008; CAT, J. K. v. Canada, 562/2013. 326 CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits), § 13.8. 327 CAT, M. B. B. v. Sweden, 104/1998, 05. Mai 1999, § 6.7; CAT, Abed Azizi v. Switzerland, 492/2012, § 8.7.
I. Ausschuss gegen Folter
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e) Verfahrensrechtliche Komponente des Artikel 3 AFK Anders als etwa der IPbpR enthält die AFK keine spezifische Norm zu Garantie grundlegender Verfahrensrechte. Der Ausschuss gegen Folter leitet daher eine verfahrensrechtliche Komponente des Refoulementverbots unmittelbar aus Artikel 3 AFK ab. Daher ist auch die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 AFK allein aus rein prozessualen Gründen möglich. Zu unterscheiden sind hierbei einerseits Vorgaben, welche der Ausschuss gegen Folter für den Inhalt und Ablauf des nationalen Risikobewertungsverfahrens gemacht hat und andererseits Vorgaben für effektive innerstaatliche Rechtsmittel, wenn das Risikobewertungsverfahren solchen Standards nicht entspricht. aa) Inhalt und Ablauf des nationalen Risikobewertungsverfahrens Es ist, wie sich bereits klar aus dem Wortlaut des Artikel 3 Abs. 2 AFK ergibt, Aufgabe der Vertragsstaaten, im Rahmen eines nationalen Risikobewertungsverfahrens das tatsächliche Bestehen des von der betroffenen Person behaupteten Folterrisikos zu ermitteln.328 Hieraus ergibt sich, dass der Ausschuss gegen Folter von Staaten verlangt, das Refoulementverbot in Inhalt und Reichweite des Artikel 3 AFK in ihrer nationalen Gesetzgebung abzubilden.329 An den rechtlichen und administrativen Rahmen sowie den Inhalt dieser nationalen Risikobewertungsverfahren stellt der Ausschuss gegen Folter eine Reihe von Anforderungen. Einige davon hat er in seinem aktuellen General Comment Nr. 4 zusammengefasst: „Each case should be individually, impartially and independently examined by the State party through competent administrative and/or judicial authorities, in conformity with essential procedural safeguards, notably the guarantee of a prompt and transparent process, a review of the deportation decision and of a suspensive effect of the appeal. In each case, the person concerned should be informed of the intended deportation in a timely manner. Collective deportation, without an objective examination of the individual cases in regard to personal risk, should be considered as a violation of the principle of ,non-refoulement‘.“330
In der Praxis des Ausschusses gegen Folter verbietet die AFK damit ausnahmslos Kollektivausweisungen. Hervorzuheben ist hierbei, dass er in dem zitierten General Comment diesbezüglich nicht nur auf seine eigene Praxis, sondern auf diejenige des Menschenrechtsausschusses sowie auf die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen verweist. Weiter legt der General Comment Nr. 4 fest, dass die betroffene Person in ihrem Risikobewertungsverfahren über die Gründe der geplanten Aufenthaltsbeendigung und die ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe belehrt wird, ihr Zugang zu Rechtsbeistand gewährt wird, und dass solche Verfahren nur von entsprechend 328 329 330
CAT, General Comment No. 4, § 39. M. Ammer/A. Schuechner, in: M. Nowak/M. Birk/G. Monina, Rn. 77. CAT, General Comment No. 4, § 13.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ausgebildetem Personal durchgeführt und, sofern nötig, übersetzt werden.331 Das beinhaltet nach der Praxis des Ausschusses gegen Folter auch eine geschlechtersensible Vorgehensweise. Frauen sollten in Asylverfahren nur von Frauen interviewt werden.332 Darüber hinaus besitzen Menschen die angeben Opfer früherer Folter zu sein, stets einen Anspruch darauf, dass die Vertragsstaaten eine kostenlose, unabhängige medizinische Untersuchung veranlassen.333 Betroffene Personen haben also ein Recht auf individuelle Bewertung ihres Einzelfalls zur Ermittlung ihres persönlichen Folterrisikos. Eine Verwehrung dieses Rechts allein kann ausreichen, um eine Verletzung von Artikel 3 AFK zu begründen.334 Auch können Verfahrensfehler unabhängig vom Vorbringen der beschwerdeführenden Person und dem tatsächlich bestehenden Folterrisiko einen Verstoß gegen Artikel 3 AFK darstellen.335 Dieses Recht besteht unabhängig von den Voraussetzungen eines Asylverfahrens.336 Es beinhaltet auch ein Recht auf Anhörung der Person.337 Auch in einer großen Gruppe von Menschen hat jeder Mensch das Recht auf eine individuelle Risikobewertung.338 Auch dann, wenn die Verletzung der Verfahrensrechte der betroffenen Person nicht so gravierend ist, dass der Ausschuss allein aufgrund dessen eine Verletzung von Artikel 3 AFK feststellt, haben Verfahrensfehler Auswirkungen auf das Individualbeschwerdeverfahren. Wenn das Vorbringen der beschwerdeführenden Person im nationalen Verfahren nicht gewürdigt wurde, etwa weil eine Anhörung in der Sache aus rein prozessualen Gründen abgelehnt wurde, geht der Ausschuss von der Richtigkeit der Angaben der beschwerdeführenden Person aus.339 bb) Zugang zu effektiven innerstaatlichen Rechtsmitteln Zusätzlich erkennt der Ausschuss gegen Folter im Rahmen des Artikel 3 AFK ein Recht auf ein wirksames Rechtsmittel im nationalen Verfahren an. Wie der Ausschuss im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren klargestellt hat, ergibt sich 331
CAT, General Comment No. 4, § 18. CAT, Concluding Observations: Austria, § 9. Siehe auch CAT, C. F. T. v. Switzerland, 829/2017, abweichendes Votum Abdelwahab Hani, § 5. 333 CAT, General Comment No. 4, §§ 18 (d), 41. 334 CAT, Tursunov v. Kazakhstan, 538/2013, § 9.9; CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, § 10.9; CAT, Cevdet Ayaz v. Serbia, 857/2017, § 9.8. 335 CAT, Tebourski v. France, 300/2006, §§ 8.2 – 9; CAT, Ali Fadel v. Switzerland, 450/2011, § 7.6; CAT, K. H. v. Denmark, 464/2011, § 8.8. 336 CAT, K. H. v. Denmark, 464/2011, § 8.8; CAT, F. K. v. Denmark, 580/2014, § 7.6; CAT, G. I. v. Denmark, 625/2014, 10. August 2017, § 8.8. 337 CAT, Sogi v. Canada, 297/2006, § 10.5; CAT, M. B. et al. v. Denmark, 634/2014, § 9.7. 338 CAT, Concluding Observations on The Former Yugoslav Republic of Macedonia, § 116; CAT, Concluding observations on the seventh periodic report of Greece. 339 CAT, Iya v. Switzerland, 299/2006, §§ 6.5 ff.; CAT, Magloire Gbadjavi v. Switzerland, 369/2009, §§ 7.8 ff. 332
I. Ausschuss gegen Folter
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dieses Recht auf ein innerstaatliches Rechtsmittel daraus, dass jede Rechtsverletzung der Antifolterkonvention ein Recht auf Wiedergutmachung derselben auslöst. Aus der Eigenart des Prinzips des Non-Refoulement als präventiven Schutzprinzips ergebe sich, dass das Recht auf Wiedergutmachung der Konventionsverletzung ebenfalls vor Verwirklichung des Folterrisikos gewährt werden müsse: „The right to an effective remedy for a breach of the Convention underpins the entire Convention, for otherwise the protections afforded by the Convention would be rendered largely illusory. In some cases, the Convention itself sets out a remedy for particular breaches of the Convention, while in other cases the Committee has interpreted a substantive provision to contain within it a remedy for its breach. In the Committee’s view, in order to reinforce the protection of the norm in question and understanding the Convention consistently, the prohibition on refoulement contained in article 3 should be interpreted the same way to encompass a remedy for its breach, even though it may not contain on its face such a right to remedy for a breach thereof. The Committee observes that in the case of an allegation of torture or cruel, inhuman or degrading treatment having occurred, the right to remedy requires, after the event, an effective, independent and impartial investigation of such allegations. The nature of refoulement is such, however, that an allegation of breach of that article relates to a future expulsion or removal; accordingly, the right to an effective remedy contained in article 3 requires, in this context, an opportunity for effective, independent and impartial review of the decision to expel or remove, once that decision is made, when there is a plausible allegation that article 3 issues arise.“340
Der Ausschuss gegen Folter ist allerdings hierbei nicht immer konsequent. So hat er auch schon im Rahmen einer Individualbeschwerde, in er kein effektives Rechtsmittel zur Verfügung stand, aufgrund dessen eine Verletzung von Artikel 22 AFK festgestellt, hinsichtlich Artikel 3 AFK gelangte er dagegen zu dem Schluss, dass erst der – wegen der Anordnung einstweiliger Maßnahmen ausgesetzte – Vollzug der Aufenthaltsbeendigung eine Verletzung darstellen würde.341 Nach den Vorgaben des General Comment Nr. 4 muss gegen die nationale Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung ein effektives Rechtsmittel mit Suspensiveffekt zur Verfügung stehen, welches die Überprüfung durch ein unabhängiges staatliches Organ innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ermöglicht.342 Das bedeutet auch, dass der betroffenen Person genügend Zeit gewährt werden muss, um das Rechtsmittel einzulegen.343 Ein solches Rechtsmittel muss nach Ansicht des Ausschusses gegen Folter ein rechtsförmliches Mittel sein, zu dem ein geregelter Zugang besteht. Ex gratia Zugeständnisse, die allein nach Ermessen der nationalen Behörden gewährt werden, sind somit nicht ausreichend. Auch wenn der Zugang zu 340
CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, §§ 13.6 f. Siehe auch CAT, Nirmal Singh v. Canada, 319/2007, §§ 7.3, 8.9; CAT, M. G. v. Switzerland, 811/2017, § 7.4. 341 CAT, Nirmal Singh v. Canada, 319/2007, §§ 8.9, 9. 342 CAT, General Comment No. 4, §§ 18 (e), 41. 343 CAT, Arkauz Arana v. France, 063/1997, § 6.1; CAT, Tebourski v. France, 300/2006, §§ 7.3, 7.4.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Rechtsmitteln zwar de jure existiert, de facto aber wegen finanzieller Hürden nicht gegeben ist, kann dies einen Verstoß gegen Artikel 3 AFK darstellen.344 4. Schutz anderer Rechte aus der AFK Im Vergleich zu anderen VN-Menschenrechtsschutzverträgen bietet die AFK wenige substantielle Rechte, auf die sich von Aufenthaltsbeendigungen betroffene Personen berufen können. Der Ausschuss gegen Folter hat aber insbesondere in seiner jüngsten Praxis einige Rechte aus der AFK in Verbindung mit dem Prinzip des Non-Refoulement anerkannt. Von der Frage, ob und inwieweit im Rahmen von Artikel 3 AFK auch drohende Misshandlungen im Sinne des Artikel 16 AFK zu berücksichtigen sind, ist die Spruchpraxis des Ausschusses gegen Folter zu unterscheiden, nach der eine erzwungene Aufenthaltsbeendigung allein wegen der Änderung des Aufenthaltsortes per se einen Verstoß gegen Artikel 16 AFK darstellen kann. Hier geht es nicht darum, welche Misshandlungen im Zielstaat drohen, sondern welche Zustände (etwa medizinische Versorgung), die eine Person im derzeitigen Aufenthaltsstaat vorfindet, im Zielstaat nicht mehr gegeben sein würden. Der Ausschuss gegen Folter hat zwar anerkannt, dass das Risiko einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Aufenthaltsbeendigung potenziell im Rahmen von Artikel 16 AFK relevant sein kann. Die Schwelle hierfür scheint jedoch sehr hoch. Eine einfache Verschlechterung der Gesundheit reicht jedenfalls nicht aus, um eine Verletzung von Artikel 16 AFK festzustellen.345 Im Rahmen einer Individualbeschwerde eines Mannes, der schwere psychische Leiden aufgrund früherer Folter nachweisen konnte und der ebenfalls detailliert darlegen konnte, dass für ihn im Zielstaat keine Möglichkeit der Rehabilitation besteht, hat der Ausschuss gegen Folter die gesundheitlichen Folgen der Aufenthaltsbeendigung für ausreichend befunden. Er stellte neben der Verletzung von Artikel 16 AFK auch eine Verletzung des Rechts auf Wiedergutmachung geschehener Folter aus Artikel 14 AFK fest.346
344 CAT, General Comment No. 4, § 35. Dies gilt etwa für finanzielle Hürden, CAT, M. G. v. Switzerland, 811/2017, § 7.4. 345 Zunächst hatte der Ausschuss die Möglichkeit der Verletzung von Artikel 16 AFK durch Vollzug einer Aufenthaltsbeendigung generell abgelehnt, CAT, G. R. B. v. Sweden, 083/1997, § 6.7. In seiner hierauf folgenden Praxis hat der Ausschuss jedoch eingestanden, dass eine Verletzung von Artikel 16 AFK bei drohender Verletzung des Gesundheitszustandes grundsätzlich möglich ist, CAT, S. V. et al. v. Canada, 049/1996, § 9.9; CAT, T. M. v. Sweden, 228/ 2003, § 6.2; CAT, David v. Sweden, 220/2002, 02. Mai 2005, § 7.2; CAT, M. M. K. v. Sweden, 221/2002, § 7.3; CAT, S. S. S. v. Canada, 245/2004, § 7.3; CAT, Sogi v. Canada, 297/2006, § 9.3; CAT, M. F. v. Sweden, 326/2007, 14. November 2008, § 6.4; CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/2007, § 7.3; CAT, N. B.-M. v. Switzerland, 347/2008, § 9.8. 346 CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 8.8.
I. Ausschuss gegen Folter
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Damit hat der Ausschuss gegen Folter zum ersten Mal eine Verletzung von Artikel 14 AFK im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen festgestellt. Artikel 14 AFK bietet ein Recht auf Wiedergutmachung, wenn eine Person gefoltert worden ist. Da Artikel 14 AFK nicht spezifiziert, durch wen die Folter verübt worden sein muss, können hier nicht nur solche Staaten zur Kompensation verpflichtet sein, die selbst gefoltert haben. Wird jemand in Folge einer Aufenthaltsbeendigung in dem Zielstaat also tatsächlich gefoltert und hatte die Aufenthaltsbeendigung gegen Artikel 3 AFK verstoßen, so hat die gefolterte Person gegen den die Aufenthaltsbeendigung vollziehenden Vertragsstaat einen Anspruch auf Kompensation aus Artikel 14 AFK. Hieraus ergibt sich aber nicht zwingend, dass Artikel 14 AFK auch verletzt werden kann, wenn sich das Folterrisiko im Sinne des Artikel 3 Abs. 1 AFK mangels Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung noch gar nicht realisieren konnte. Der Ausschuss gegen Folter stellt hierbei auch nicht auf das zukünftige Folterrisiko ab. Vielmehr gewährt er Opfern früherer Folter, welche nicht durch staatliches Zutun kompensiert wurde, eine Art Recht auf Heilung. Wenn Staaten also in ihrem nationalen Risikobewertungsverfahren feststellen, dass die Person in der Vergangenheit gefoltert wurde, müssen sie neben dem Risiko des Refoulement im Sinne des Artikel 3 AFK auch prüfen, ob durch Vollzug der Aufenthaltsbeendigung der Person die Möglichkeit genommen wird, sich von ihrer erlebten Folter zu rehabilitieren. Diese Ansicht hat der Ausschuss gegen Folter bereits in seinem General Comment Nr. 4 angedeutet. Hier hatte er auf den Zusammenhang zwischen dem Prinzip des Non-Refoulement und Artikel 14 AFK hingewiesen, wobei er noch in keiner Weise auf seine eigene Praxis zurückgreifen konnte: „States parties should take into account that victims of torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment suffer physical and psychological harm which may require sustained specialized rehabilitation services. Once their health fragility and need for treatment have been medically certified, they should not be removed to a State where adequate medical services for their rehabilitation are not available or guaranteed.“347
Im Umgang mit gerügten Verletzungen von Artikel 14 AFK bei Aufenthaltsbeendigungen kann der Ausschuss gegen Folter aber bislang keinesfalls eine konsequente Praxis vorweisen. In der zweiten Individualbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer neben einer Verletzung von Artikel 3 AFK auch Artikel 14 und 16 AFK gerügt hatte, ging der Ausschuss hierauf gar nicht ein und stellte ohne weitere Erläuterung nur eine Verletzung von Artikel 3 AFK fest. Diese Inkonsequenz hat auch das Ausschussmitglied Abdelwahab Hani im Rahmen seines abweichenden Votums bedauert.348 Das bloße Bevorstehen der Aufenthaltsbeendigung als solches und die damit verbundene Unsicherheit sind dagegen kein Fall von Artikel 16 AFK.349 Auch verstößt ein Staat allein durch den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung grundsätzlich 347 348 349
CAT, General Comment No. 4, § 22. CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, abweichendes Votum Abdelwahab Hani, § 3. CAT, Sogi v. Canada, 297/2006, § 9.3.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
nicht gegen Artikel 3 AFK.350 Etwas anderes hat der Ausschuss gegen Folter bisher nur in einem Extremfall angenommen. Der Beschwerdeführer hatte nachweisen können, dass sich sein psychischer Gesundheitszustand im Zielstaat so drastisch verschlechtern würde, dass Suizid wahrscheinlich sei.351 Hiervon abgesehen kann ein Vertragsstaat auch durch eine eigene Misshandlung im Zusammenhang mit der Aufenthaltsbeendigung, etwa durch schlechte Bedingungen der Abschiebehaft, gegen Artikel 16 AFK verstoßen.352 Der Ausschuss gegen Folter hat aber in seinem aktuellen General Comment auch angedeutet, dass ein Verstoß gegen Artikel 3 AFK wegen schlechterer Lebensbedingungen im Vertragsstaat dann möglich ist, wenn sich die betroffenen Personen hierdurch gezwungen fühlen, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.353 Über eine Praxis im Rahmen von Individualbeschwerden verfügt der Ausschuss hierzu bislang jedoch nicht. Schließlich ist im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen auch eine Verletzung von Artikel 15 AFK, dem Verbot der Verwertung von durch Folter herbeigeführten Aussagen, möglich. Der Ausschuss gegen Folter hat klargestellt, dass etwa die Entscheidung über die Auslieferung einer Person, die auf Grundlage solcher Aussagen erfolgt ist, die erwiesenermaßen durch Folter herbeigeführt wurden, nach Artikel 15 AFK verboten ist.354 5. Rechtsfolgen Wenn der Ausschuss gegen Folter im Rahmen von Individualbeschwerden eine Verletzung der AFK feststellt, dann hat dies oft nur wenige Folgen für den Vertragsstaat. Hier unterscheidet sich das Selbstverständnis des Ausschusses gegen Folter deutlich von den anderen VN-Vertragsorganen. Während diese in der Regel davon ausgehen, dass ihre Entscheidungen rechtlich bindend sind und umfangreiche Rechtsfolgen an Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren knüpfen, ist der Ausschuss gegen Folter hier zurückhaltend. Das gilt insbesondere für die Folgen von Verstößen gegen Artikel 3 AFK. Zwar enthält die AFK mit Artikel 14 eine klare Vorschrift zu staatlichen Wiedergutmachungspflichten für geschehene Folter. Das lässt sich aber nicht auf Wiedergutmachungspflichten für geschehene Verletzungen anderer Pflichten aus der AFK übertragen. In seinen frühen Entscheidungen hat der Ausschuss gegen Folter gelegentlich betont, dass seine Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren 350
CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, § 6.8; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.8; CAT, S. G. et al. v. Switzerland, 352/2008, § 11.5. Siehe aber auch CAT, C. F. T. v. Switzerland, 829/2017, abweichendes Votum Abdelwahab Hani. 351 CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 8.10. 352 CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, § 10.10. 353 CAT, General Comment No. 4, § 14. 354 CAT, G. K. v. Switzerland, 219/2002, §§ 6.9 ff.
I. Ausschuss gegen Folter
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rein deklaratorischen Charakter haben. Sie wirken sich in keiner Weise auf den Ausgang innerstaatlicher Verfahren aus, also bestimmen sie nicht etwa den Flüchtlingsstatus einer Person im Sinne der GFK oder gewähren der betroffenen Person eine Aufenthaltsgenehmigung. Allerdings hatte der Ausschuss auch hier schon erklärt, dass eine vertragliche Pflicht zum Anstreben von Lösungen bestehe, die es dem Vertragsstaat ermöglichen, alle erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Bestimmungen der AFK zu ergreifen. Dies schließe die Pflicht zum Ergreifen sowohl rechtlicher als auch politischer Maßnahmen mit ein.355 Dies deutet zwar auf ein weites Verständnis der vertraglichen Pflichten hin, lässt aber ebenfalls keine Rückschlüsse darauf zu, was der Ausschuss gegen Folter von den Vertragsstaaten verlangen kann, nachdem diese die Bestimmungen der AFK nicht eingehalten haben. Auch in seinem aktuellen General Comment Nr. 4 macht er keinerlei Angaben dazu, welche Folgen Verstöße gegen Artikel 3 AFK für die Vertragsstaaten und für die beschwerdeführenden Personen haben. Der General Comment Nr. 3 zu Artikel 14 AFK enthält lediglich den Hinweis, dass eine Maßnahme zur Vermeidung der Wiederholung von Verstößen sein kann, die Vereinbarkeit mit Artikel 3 AFK sicherzustellen, ohne jedoch Hinweise darauf zu geben, welche Maßnahmen hierfür erforderlich sein können.356 a) Entscheidung der Individualbeschwerde vor Vollzug der Aufenthaltsbeendigung In der Mehrzahl der vor dem Ausschuss gegen Folter erhobenen Individualbeschwerden wurden Personen, die gegen ihre Aufenthaltsbeendigung vorgehen, noch nicht in den Zielstaat verbracht, da in den meisten Fällen die Erhebung der Individualbeschwerde dazu führt, dass der Ausschuss gegen Folter einstweilige Maßnahmen anordnet und der Vertragsstaat den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung bis zur Entscheidung durch den Ausschuss aussetzt. Wenn der Ausschuss gegen Folter das Bestehen eines Folterrisikos für die betroffene Person bejaht, ergibt sich im Fall der Einhaltung der einstweiligen Maßnahmen anders als in der Praxis anderer VNVertragsorgane hieraus aber noch keine Verletzung des Refoulementverbots. Der Ausschuss stellt dann konsequent fest, dass erst der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde. Deshalb kann ein Staat durch die Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltsgenehmigung sogar dann das Individualbeschwerdeverfahren von sich abwenden, wenn er die betroffene Person bereits ausgewiesen und dann zurückgeholt hat.357 Ob das ursprüngliche nationale Verfahren und die hierauf gründende ursprüngliche aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen das Prinzip des Non-Refoule355
CAT, Aemei v. Switzerland, 034/1995, § 11. CAT, General Comment No. 3 Implementation of article 14 by States parties, 13. Dezember 2012, CAT/C/GC/3, § 18. 357 CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, § 16.5. 356
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ment aus Artikel 3 AFK verstoßen haben, ist also in einem Verfahren vor dem Ausschuss gegen Folter unerheblich. Aus diesem Rechtsverständnis folgt, dass der Ausschuss dann auch gelegentlich keine weitergehenden Anforderungen an den Vertragsstaat stellt, als dieser über den Fortgang des Verfahrens Bericht erstattet.358 In der weit überwiegenden Zahl der Entscheidungen formuliert der Ausschuss gegen Folter aber auch die Pflicht, dass der Vertragsstaat von einer Aufenthaltsbeendigung und Verbringung in den Zielstaat oder einen Drittstaat, von dem aus die Gefahr des Kettenrefoulement besteht, absieht.359 Eine weitere häufig formulierte Pflicht ist jene zur Freilassung oder eigene Strafverfolgung solcher beschwerdeführenden Personen, die sich bereits über Jahre in Auslieferungshaft befinden.360 Obwohl der Ausschuss gegen Folter in Fällen, in denen die Aufenthaltsbeendigung noch nicht vollzogen wurde, lediglich feststellt, dass eine Aufenthaltsbeendigung gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde, formuliert er hierzu in jüngeren Entscheidungen vermehrt die Pflicht, sicherzustellen, dass vergleichbare Verletzungen in der Zukunft nicht mehr geschehen. Auch verlangt der Ausschuss gegen Folter in seiner jüngeren Praxis häufiger die erneute Durchführung eines nationalen Risikobewertungsverfahrens. So hat er von Vertragsstaaten verlangt, Auslieferungsersuchen erneut zu überprüfen und das hierfür vorgesehene nationale Risikobewertungsverfahren auf seine Vereinbarkeit mit der Konvention zu überprüfen.361 Hierbei verlangt der Ausschuss darüber hinaus auch, dass die Vertragsstaaten gegebenenfalls laufende Verfahren zur Anerkennung internationalen Schutzes berücksichtigen.362 Auch verlangt er neuerdings, dass die Vertragsstaaten bis zum Abschluss laufender Asylverfahren davon absehen, die betroffenen Personen aus-
358 CAT, A. K. v. Switzerland, 544/2013, 08. Mai 2015, § 11; CAT, Rouba Alhaj Ali v. Morocco, 682/2015, 03. August 2016, § 10. 359 CAT, Aemei v. Switzerland, 034/1995, § 10; CAT, A. F. v. Sweden, 089/1997, 08. Mai 1998, § 7; CAT, Mr. X and Mr. Z v. Finland, 483/2011, 485/2011, § 9; CAT, Hussein Khademi et al. v. Switzerland, 473/2011, § 9; CAT, F. B. v. The Netherlands, 613/2014, § 10; CAT, J. K. v. Canada, 562/2013, § 12; CAT, F. K. v. Denmark, 580/2014, § 8; CAT, R. G. et al. v. Sweden, 586/2014, § 12; CAT, M. B. et al. v. Denmark, 634/2014, § 11; CAT, N. A. A. v. Switzerland, 639/ 2014, § 8; CAT, M. K. M. v. Australia, 681/2015, § 9; CAT, H. K. v. Australia, 701/2015, § 10; CAT, H. Y. v. Switzerland, 747/2016, § 11; CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, § 11; CAT, I. A. v. Sweden, 729/2016, § 11; CAT, Ismet Bakay v. Morocco, 826/2017, § 9 (a). 360 CAT, Rouba Alhaj Ali v. Morocco, 682/2015, § 9; CAT, Ismet Bakay v. Morocco, 826/ 2017, § 9 (a); CAT, Ferhat Erdogan v. Morocco, 827/2017, § 11 (b); CAT, Mustafa Onder v. Morocco, 845/2017, § 9 (b); CAT, Elmas Ayden v. Morocco, 846/2017, § 10 (b). 361 CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, § 12 (a), (c); CAT, Ismet Bakay v. Morocco, 826/2017, § 9 (b); CAT, Ferhat Erdogan v. Morocco, 827/2017, § 11 (a); CAT, Mustafa Onder v. Morocco, 845/2017, § 9 (a); CAT, Elmas Ayden v. Morocco, 846/2017, § 10 (a), (b). 362 CAT, Ferhat Erdogan v. Morocco, 827/2017, § 11 (b); CAT, Mustafa Onder v. Morocco, 845/2017, § 9 (b).
I. Ausschuss gegen Folter
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zuweisen.363 Die Formulierung lässt eine Annäherung an die Praxis des Menschenrechtsausschusses vermuten.364 Im Rahmen der bisher einzigen Individualbeschwerde, in welcher der Ausschuss neben der Verletzung von Artikel 3 AFK auch eine Verletzung von Artikel 14 und 16 AFK feststellte, verlangte er neben dem Absehen vom Vollzug der Aufenthaltsbeendigung auch, dass der Vertragsstaat die medizinisch notwendige Behandlung zur Rehabilitation des Beschwerdeführers gewährleiste.365 b) Entscheidung der Individualbeschwerde nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung In Fällen, in denen die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde und der Ausschuss gegen Folter ein Folterrisiko bejaht, stellt er fest, dass der Vertragsstaat gegen Artikel 3 AFK verstoßen hat. Auch dann hat er aber bereits in mehreren Fällen lediglich eine Verletzung des Refoulementverbots festgestellt, ohne vom Vertragsstaat über dessen Berichtspflicht hinausgehende Abhilfe zu verlangen.366 In anderen Fällen waren dagegen die Anforderungen des Ausschusses umfangreicher. Der Ausschuss gegen Folter sieht die Pflicht des Vertragsstaates aus dem Prinzip des Non-Refoulement nicht mit der Ankunft in den Empfangsstaat als erledigt an. So hat der Ausschuss etwa in einigen Fällen verlangt, dass nicht nur eine Entschädigungszahlung durch den verletzenden Vertragsstaat erbracht werde.367 Vielmehr musste der Vertragsstaat auch den Aufenthalt der Beschwerdeführenden ermitteln und sich durch Konsultationen mit dem Empfangsstaat um die Sicherung des Wohlergehens der Beschwerdeführenden bemühen.368 In diesem Zusammenhang hat der Ausschuss gegen Folter auch schon verlangt, dass der betroffene Vertragsstaat Mitgliedern des Ausschusses Zugang zu der beschwerdeführenden Person im Zielstaat verschafft.369 Einmal hat der Ausschuss mit Verweis auf Artikel 14 AFK auch verlangt, dass der Vertragsstaat soweit möglich Rehabilitation in Form medizinischer und psycholo363 CAT, M. G. v. Switzerland, 811/2017, § 9; CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, § 10. 364 Vgl. unten Kapitel D. II. 5. a). 365 CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 10. 366 CAT, Arkauz Arana v. France, 063/1997, § 13; CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, § 15; CAT, Pelit v. Azerbaijan, 281/2005, § 13. 367 CAT, Brada v. France, 195/2002, § 15; CAT, Tebourski v. France, 300/2006, § 10; CAT, X. v. Russia, 542/2013, § 10; CAT, X. v. Kazakhstan, 554/2013, § 14. 368 CAT, Brada v. France, 195/2002, § 15; CAT, Tebourski v. France, 300/2006, § 10; CAT, Sogi v. Canada, 297/2006, § 12; CAT, Régent Boily v. Canada, 327/2007, §§ 15, 16; CAT, Kalinichenko v. Morocco, 428/2010, § 17; CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits), § 13.10; CAT, Tursunov v. Kazakhstan, 538/2013, § 11. 369 CAT, Kalinichenko v. Morocco, 428/2010, § 17.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
gischer Versorgung, sozialen Diensten und Rechtshilfe, einschließlich der Erstattung früherer Ausgaben sowie zukünftiger Dienstleistungen und Rechtskosten leistet.370 In einem anderen Verfahren hat der Ausschuss erklärt, dass der Vertragsstaat zur Leistung nicht-monetärer Kompensationsleistungen verpflichtet sei, ohne diese jedoch zu spezifizieren.371 Eher selten verlangt der Ausschuss gegen Folter dagegen, dass die betroffenen Vertragsstaaten die Person zurückholen und in ihrem Staatsgebiet aufnehmen.372 Auch hat der Ausschuss zum Teil verlangt, dass der Vertragsstaat in Zusammenarbeit mit UNHCR nach einem geeigneten Drittstaat sucht.373 Insgesamt zeigt sich, dass der Ausschuss gegen Folter in Hinblick auf die Rechtsfolgen sehr unterschiedliche Anforderungen an die Vertragsstaaten stellt. Zu erkennen ist eine Entwicklung dahingehend, dass der Ausschuss heute deutlich mehr Anforderungen an die Staaten stellt, als zu Beginn seiner Praxis. Ein Muster, wann welche Art von Maßnahmen in welchem Umfang verlangt werden, ist aber nicht erkennbar. Während der Ausschuss in seinen Individualbeschwerdeverfahren mit Bezug auf prozessuale und materielle Fragen größtenteils vorgefertigte Textbausteine verwendet, was Verfahrensablauf und Schutzbereich des Artikel 3 AFK transparent macht, scheinen die Rechtsfolgenteile der Entscheidungen für jeden Einzelfall frei formuliert. Sie sind entsprechend schwer nachvollziehbar und scheinen willkürlich. c) Follow-Up Konsistenter sind dagegen die Follow-Up-Verfahren des Ausschusses gegen Folter. In einer großen Mehrheit der Entscheidungen des Ausschusses gegen Folter stellt dieser fest, dass eine Aufenthaltsbeendigung die Rechte der beschwerdeführenden Person verletzen würde und deshalb vom Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme abzusehen ist. Die Follow-Up Berichte zu Individualbeschwerdeverfahren zeigen, dass die allermeisten Vertragsstaaten diese Forderungen des Ausschusses umsetzen und den beschwerdeführenden Personen eine mindestens vorübergehende Aufenthaltserlaubnis geben. In aller Regel zeigt sich der Ausschuss gegen Folter hiermit zufrieden und stellt das Follow-Up-Verfahren ein, unabhängig von der Art und Dauer der Aufenthaltserlaubnis.374 370
CAT, Régent Boily v. Canada, 327/2007, § 15. CAT, Cevdet Ayaz v. Serbia, 857/2017, § 11. 372 CAT, Abdussamatov et al. v. Kazakhstan, 444/2010 (Merits), § 15; CAT, X. v. Russia, 542/ 2013, § 13; CAT, X. v. Kazakhstan, 554/2013, § 14. 373 CAT, Tebourski v. France, 300/2006, § 8.5. 374 Für einen Überblick der Follow-Up-Verfahren bis 2017 siehe Fox Principi K., Human Rights Law Journal 2017. Abweichend von dieser Praxis hat der Ausschuss das Follow-UpVerfahren in einigen wenigen Fällen mit dem Hinweis versehen, der Beschwerdeführer könne, sofern ihm entgegen der Angaben des Staates eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis verwehrt würde und eine Aufenthaltsbeendigung drohe, erneut Beschwerde erheben, CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, 371
I. Ausschuss gegen Folter
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Sofern der Ausschuss Verfahrensfehler gerügt hat und eine erneute Durchführung des Risikobewertungsverfahrens verlangt, gibt er sich allerdings dann gelegentlich nicht damit zufrieden, dass der beschwerdeführenden Person erneut Zugang zum Asylverfahren gewährt wurde. Vielmehr sieht der Ausschuss dies als teilweise zufriedenstellende Umsetzung seiner Entscheidung und wartet den Ausgang des Asylverfahrens ab.375 In einem Fall, in dem der Vertragsstaat das Verfahren wiederaufgenommen hatte, aber erneut kein medizinisches Gutachten angeordnet hatte, hat der Ausschuss gegen Folter sowohl das Follow-Up-Verfahren weitergeführt als auch eine neue Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die erneute Ablehnungsentscheidung registriert.376 Hohe Anforderungen stellt der Ausschuss ebenfalls, wenn die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde. Wenn der Staat etwaige einstweilige Maßnahmen nicht umgesetzt hat und die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde, aber die Person nach der Entscheidung des Ausschusses umgehend vom Vertragsstaat zurückgeholt wird und eine Aufenthaltserlaubnis erhält, gibt sich der Ausschuss hiermit zufrieden.377 Wenn die Person dagegen bereits in den Zielstaat verbracht wurde und nicht zurückgeholt wird, sieht der Ausschuss gegen Folter den Vertragsstaat so lange in der Pflicht, sicherzustellen, dass sich das Folterrisiko nicht realisiert, bis die Möglichkeit der Wiedereinreise besteht. So hat er im Fall Agiza v. Sweden das Follow-Up-Verfahren erst abgeschlossen, nachdem Schweden den Beschwerdeführer über Jahre regelmäßig in Haft in Ägypten besucht hatte und ihm nach der Haft eine Aufenthaltserlaubnis angeboten hatte.378
15. März 2017, CAT/C/59/3 zu CAT, Harminder Singh Khalsa et al. v. Switzerland, 336/2008; CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, 20. Oktober 2017, CAT/C/60/4 zu CAT, B. M’ B. v. Tunisia, 014/1994, 05. Mai 1994. 375 CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, 10. Oktober 2019, CAT/C/66/3 zu CAT, Harun v. Switzerland, 758/ 2016; CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, 11. Januar 2019, CAT/C/65/3 zu CAT, A. N. v. Switzerland, 742/ 2016. 376 CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, 25. Mai 2016, CAT/C/57/3 zu CAT, F. K. v. Denmark, 580/2014. 377 CAT, Report of the Committee against Torture on the 49th and 50th session, 2013, A/68/ 44, 195. 378 CAT, Annual Report 2005/2006; CAT, Annual Report 2010/2011, 12. September 2012, A/66/44; CAT, Report of the Committee against Torture on the 47th and 48th session, 2012, A/ 67/44, 204 f. Auch in anderen Fällen verlangt der Ausschuss regelmäßige Besuche und Überwachung und hat das Follow-Up-Verfahren entsprechend noch nicht eingestellt, siehe etwa CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention zu CAT, Tursunov v. Kazakhstan, 538/2013.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
6. Fazit Der Ausschuss gegen Folter kann eine im Vergleich zu anderen VN-Vertragsorganen relativ kontinuierliche, in sich schlüssige Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement aufweisen. Dabei stellt der Ausschuss nur selten eine Verletzung von Artikel 3 AFK fest. In den Jahren 2017 bis 2019 hat sich der Ausschuss in der Sache mit 93 Beschwerden zu Artikel 3 AFK befasst, nur in 21 Fällen stellte er eine Verletzung fest. Im Vergleich zu anderen VN-Vertragsorganen finden sich bei den Entscheidungen des Ausschusses gegen Folter in Individualbeschwerdeverfahren kaum abweichende Voten; die weit überwiegende Zahl der Entscheidungen wird einstimmig getroffen. Das lässt darauf schließen, dass im Ausschuss nur selten Rechtsfragen kontrovers diskutiert werden. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die beim Ausschuss gegen Folter erhobenen Individualbeschwerden insgesamt sehr ähnlich sind. Die weit überwiegende Zahl an Beschwerdeführenden vor dem Ausschuss ist männlich, ist oder war politisch engagiert, gehört einer ethnischen Minderheit an und wurde in der Vergangenheit bereits gefoltert oder auf andere Weise misshandelt. Daraus folgt, dass der Prüfungsschwerpunkt des Ausschusses selten bei der Frage liegt, ob und inwieweit die von der beschwerdeführenden Person befürchtete Gefahr für das Refoulementverbot nach Artikel 3 AFK relevant ist, sondern ob das Bestehen der Gefahr von der beschwerdeführenden Person hinreichend dargelegt wurde. Im Vergleich zu anderen VN-Vertragsorganen scheint der Ausschuss gegen Folter einen niedrigen Beweisstandard zu haben. Insbesondere für Opfer früherer Misshandlung durch den Zielstaat ist es, sofern diese nicht viele Jahre zurück liegt, mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich, eine im Rahmen von Artikel 3 AFK relevante Gefahr darzulegen.379 Allerdings wurde dem Ausschuss gegen Folter insbesondere in seiner frühen Praxis häufig vorgeworfen, dass seine Entscheidungen sehr knapp, kaum begründet und entsprechend für Außenstehende kaum nachvollziehbar seien. Da der Ausschuss häufig nur standardisierte Textbausteine zu seinen allgemeinen Ansprüchen verwende und dann lediglich feststelle, ob diese im konkreten Einzelfall erfüllt sind, ließen sich aus den Entscheidungen zu Individualbeschwerdeverfahren kaum allgemeine Maßstäbe zu Inhalt und Reichweite von Artikel 3 AFK ableiten.380 Tatsächlich sind einige Entscheidungen des Ausschusses aufgrund der extremen Kürze nicht nachvollziehbar. So lautete eine Entscheidung etwa:
379
So auch F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 244; W. Kälin/J. Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 4. Aufl. 2019, Rn. 18.23. 380 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 433, 473; F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 127.
I. Ausschuss gegen Folter
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„The Committee has taken note of the arguments presented by the author and the State party and is of the opinion that it has not been given enough evidence by the author to conclude that the latter would run a personal, real and foreseeable risk of being tortured if returned to his country of origin.“381
Diese Praxis hat der Ausschuss gegen Folter deutlich verbessert. Entscheidungen sind detaillierter und gehen in der Regel auf alle Argumente des Staates und der beschwerdeführenden Person ein. Auch der sehr ausführliche General Comment Nr. 4 trägt wesentlich dazu bei, dass sich aus der Praxis des Ausschusses allgemeine Standards zum Prinzip des Non-Refoulement ableiten lassen. Allerdings enthält auch der General Comment Nr. 4 lediglich Auflistungen von relevanten Faktoren, lässt aber keine Rückschlüsse auf deren Priorisierung zu. Es ist vor dem Ausschuss gegen Folter üblich, dass beschwerdeführende Personen sich auf eine Vielzahl von Gründen stützen, um ihr persönliches Folterrisiko zu begründen. In der Regel legen sie eine Kombination aus früher Erlebtem, allgemeiner Lage im Zielstaat und persönlichen Merkmalen und Aktivitäten dar, welche der Ausschuss dann in einer Gesamtschau betrachtet. Eine Gewichtung der einzelnen Faktoren wird damit nicht erkennbar. Interessant ist die mittlerweile klare Position des Ausschusses gegen Folter zum relevanten Zeitpunkt zur Beurteilung des Folterrisikos. Während andere VN-Vertragsorgane hierzu gar keine Haltung zu haben scheinen oder in ihren Entscheidungen jedenfalls inkonsequent sind, ist für den Ausschuss gegen Folter im Falle der noch nicht vollzogenen Aufenthaltsbeendigung allein der Zeitpunkt seiner eigenen Entscheidung maßgeblich. In Anbetracht der Tatsache, dass der Ausschuss nach Artikel 3 AFK nur so lange Schutz gewährt, wie die Gefahr fortbesteht, ist dies ein sinnvoller Ansatz. Da der Ausschuss auch im Ergebnis konsequent feststellt, ob eine Konventionsverletzung bei Aufenthaltsbeendigung vorliegen würde, also Vertragsstaaten nicht für ihre Entscheidungen rügt, wenn sie diese noch nicht vollzogen haben, erscheint diese Praxis plausibel. Allerdings ist auch zu beobachten, dass der Ausschuss gegen Folter auch in Fällen, in denen er lediglich feststellt, dass erst der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung gegen Artikel 3 AFK verstoßen würde, hieran eine stetig wachsende Zahl an Rechtsfolgen knüpft. Damit verpflichtet der Ausschuss die Vertragsstaaten häufig zu einem umfangreichen Schutz der Person, zur Erstattung von deren Kosten oder auch zu umfangreichen diplomatischen Bemühungen mit dem Zielstaat oder Drittstaaten. Diese Pflichten sind nicht nur umfangreich, sie sind auch nicht kalkulierbar. Der Ausschuss gegen Folter verlangt ohne erkennbaren Grund sehr unterschiedliche Schutz- und Wiedergutmachungsmaßnahmen von den Vertragsstaaten. Wenn sich die Lage zwischen der letzten nationalen Entscheidung und der Befassung durch den Ausschuss ändert und er aufgrund dessen einen Konflikt mit Artikel 3 AFK feststellt, erwachsen dem Vertragsstaat hieraus also vermehrt Verpflichtungen, denen er nicht mit dem Nachweis entgehen kann, zum Zeitpunkt seiner letzten nationalen Ent381 CAT, S. L. v. Sweden, 150/1999, 11. Mai 2001, § 6.4. Siehe auch CAT, V. R. v. Denmark, 210/2002, 17. November 2002, § 6.3.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
scheidung konventionskonform gehandelt und abgewogen zu haben. Die einzige Möglichkeit das Verfahren abzuwenden, ist dann der Person doch noch eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, damit der Ausschuss gegen Folter das Verfahren einstellt. Das ist mittlerweile sehr häufig der Fall. Von den zwischen 2017 und 2019 vom Ausschuss gegen Folter eingestellten 67 Verfahren waren 66 Individualbeschwerden zu Artikel 3 AFK. Hiervon wurden 20 eingestellt, weil der Staat nach Erhebung der Beschwerde eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Der Ausschuss gegen Folter ist wegen des expliziten Refoulementverbots in Artikel 3 Abs. 1 AFK und seiner langjährigen Praxis eine relevante Quelle für andere VN-Vertragsorgane, die Schutz vor Refoulement nach ihren Menschenrechtsschutzverträgen gewähren. Aus dieser Vorbildfunktion ergibt sich, dass eine eindeutige, konsequente und transparente Spruchpraxis wünschenswert wäre. Vor diesem Hintergrund sind vor allem jüngste Entwicklungen bedauerlich. So stützt sich der Ausschuss gegen Folter in seinem Versuch, den Schutz vor Refoulement nach Artikel 3 AFK auf grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe auszuweiten auf Argumente, die weder mit seiner eigenen Praxis noch mit jener Praxis anderer Menschenrechtsschutzorgane vereinbar sind. Eine Beschwerde gegen die Schweiz, in der andere Misshandlung als Folter drohte, hat der Ausschuss deshalb zugunsten des Beschwerdeführers entschieden, weil die Schweizer Verfassung das Refoulementverbot auch auf drohende andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ausweite und die Schweiz außerdem Vertragspartei der EMRK sei.382 Auch macht der Ausschuss in seinem aktuellen General Comment Nr. 4 die Relevanz einer drohenden Todesstrafe im Rahmen von Artikel 3 AFK allein davon abhängig, ob im betroffenen Vertragsstaat die Todesstrafe existiert.383 Diese Argumentation impliziert, dass Artikel 3 AFK je nach nationalem Recht des Vertragsstaates und dessen sonstigen internationalen Verpflichtungen einen variierenden Schutzstandard bietet. Das steht im Widerspruch zum Konventionstext. Gemäß Artikel 16 Abs. 2 AFK bleiben sonstige Verpflichtungen, die Aufenthaltsbeendigungen verbieten, von der AFK unberührt. Dies kann nicht so interpretiert werden, dass die Pflichten eines Vertragsstaates aus Artikel 3 AFK um dessen übrige nationale und internationale Verpflichtungen erweitert werden, zumal der Ausschuss bezüglich dieser Pflichten keine über die AFK hinausgehende Überprüfungskompetenz hat. Insbesondere mit Blick auf das Selbstverständnis des Ausschusses, im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren nicht primär Individuen Rechtsschutz zu gewähren, sondern die Einhaltung der Pflichten der Vertragsstaaten aus der Konvention zu überprüfen, erscheint diese Entwicklung nicht nachvollziehbar.384 382 383 384
CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, §§ 8.5, 8.6. CAT, General Comment No. 4, § 29 (k). Siehe zum Selbstverständnis des Mandats CAT, L. M. v. Canada, 488/2012, § 10.3.
II. Menschenrechtsausschuss
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II. Menschenrechtsausschuss Für den Menschenrechtsausschuss ergeben sich im Vergleich zu den anderen VNVertragsorganen einige Besonderheiten aus dem Vertragstext des IPbpR. Der IPbpR ist der einzige Vertrag, dessen substantieller Teil (Artikel 6 bis 26 IPbpR) nicht als staatliche Pflichten formuliert ist, sondern aus der Perspektive der Menschen Individualrechte bestimmt. Die staatlichen Pflichten ergeben sich aus dem jeweiligen materiellen Recht in Verbindung mit Artikel 2 IPbpR. Damit ist der Vertragstext des IPbpR strukturell mit dem der EMRK vergleichbar. Eine weitere Besonderheit im Vergleich zur AFK ist, dass das Prinzip des NonRefoulement im IPbpR nicht ausdrücklich erwähnt ist. Der IPbpR kennt kein Recht auf Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung oder Gewährung von Asyl. Zwar enthält der Pakt eine Reihe von Rechten zur Gewährleistung der Ein- und Ausreise, des Aufenthalts und der Bewegungsfreiheit auf einem Staatsgebiet (Artikel 12 IPbpR). Abgesehen von dem Recht, in das eigene Land einzureisen (Artikel 12 Abs. 4 IPbpR) können diese Rechte aber gemäß Artikel 12 Abs. 3 IPbpR zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eingeschränkt werden. Artikel 13 IPbpR bietet nur solchen ausländischen Staatsangehörigen Schutz vor willkürlicher Aufenthaltsbeendigung, die sich rechtmäßig in einem Staat aufhalten, wobei auch dieses Recht aus Gründen der nationalen Sicherheit einschränkbar ist. Ein Schutz vor Refoulement lässt sich daher nicht aus diesen Rechten herleiten. Auch Artikel 7 IPbpR enthält kein ausdrückliches Verbot aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Falle drohender Folter. Artikel 7 IPbpR enthält ein Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Noch im Jahr 1984 wurde eine Individualbeschwerde zum Prinzip des NonRefoulement als unzulässig zurückgewiesen, ohne dass hierbei die Reichweite des Artikel 7 IPbpR auch nur angesprochen wurde.385 Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Frage einer impliziten Verankerung des Prinzips des Non-Refoulement in Artikel 7 IPbpR im Folgenden innerhalb des Ausschusses diskutiert wurde. Im Jahr 1986 erließ der Menschenrechtsausschuss seinen General Comment Nr. 15 zum Status von ausländischen Staatsangehörigen. Dieser enthält jedenfalls die vorsichtige Formulierung, unter gewissen Umständen könne einem ausländischen Staatsangehörigen mit Bezug auf Einreise und Aufenthalt Schutz zuteilwerden, wenn Fragen des Verbots unmenschlicher Behandlung betroffen sind.386 Erstmals befand der Menschenrechtsausschuss im Jahr 1993, dass das Folterverbot des Artikel 7 IPbpR dadurch verletzt werden könne, dass ein Staat eine Person in einen anderen Staat verbringe, in dem der Person Folter droht.387 Erstmals stellte der Menschenrechtsausschuss eine Verletzung von Artikel 7 IPbpR durch denjeni-
385 386 387
CCPR, M. A. v. Italy, 117/1981, 10. April 1984. CCPR, General Comment No. 15, The position of aliens under the Covenant, 1986, § 5. CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, 30. Juli 1993, § 13.2.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
gen Staat, welcher die Aufenthaltsbeendigung vollzieht, einige Monate später in Ng v. Canada fest.388 Während ein großer Teil der Staaten in den auf Ng v. Canada folgenden Individualbeschwerden die Kompetenz des Menschenrechtsausschusses zur Überprüfung von Rügen des Prinzips des Non-Refoulement noch anzweifelte, ist die Praxis des Ausschusses hierzu mittlerweile nahezu universell anerkannt. Der Menschenrechtsausschuss hat im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte eine sehr umfangreiche Spruchpraxis zum Prinzip des Non-Refoulement entwickelt, die weit über die ursprünglichen Erwägungen zu Artikel 7 IPbpR hinausgeht. Die weite Auslegung des Prinzips des non-Refoulement hat es dem Ausschuss dabei ermöglicht, sich auch auf seine eigene Praxis zu anderen Rechten aus dem IPbpR zu stützen.389 Die Praxis des Menschenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement hat mittlerweile einen bedeutenden Stellenwert in der Arbeit des Ausschusses. In seinen Sitzungen von 2017 bis 2019 hat der Menschenrechtsausschuss insgesamt 252 Individualbeschwerden entschieden. Hiervon betrafen 77 Beschwerden Fragen zum Prinzip des Non-Refoulement. Der weit überwiegende Teil der vor den Menschenrechtsausschuss gebrachten Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement hat neben Rügen von Artikel 7 IPbpR auch Artikel 6 IPbpR, also das Recht auf Leben, zum Gegenstand. Hier ergeben sich sowohl Parallelen zur Praxis des Ausschusses gegen Folter als auch eindeutige Abweichungen von dieser. 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem 1. FP IPbpR Wie vor jedem VN-Vertragsorgan kann auch vor dem Menschenrechtsausschuss nur über solche Individualbeschwerden entschieden werden, die nach den vertraglichen Vorgaben zulässig sind. Anders als die AFK enthält der IPbpR selbst nicht die Möglichkeit der Erhebung einer Individualbeschwerde. Hierfür existiert ein Fakultativprotokoll zum Pakt, das zeitgleich mit diesem in Kraft getreten ist. Eine Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss ist also nur dann möglich, wenn der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, nicht nur Vertragspartei des IPbpR ist, sondern darüber hinaus auch das 1. Fakultativprotokoll ratifiziert hat.390 116 der 173 Vertragsstaaten haben das 1. FP IPbpR ratifiziert.391 Im Übrigen richtet sich die Zulässigkeit für Beschwerden, für die der Menschenrechtsausschuss zuständig ist, nach den Artikeln 1 – 3 und 5 des 1. FP IPbpR. 388
CCPR, Ng v. Canada, 469/1991, 05. November 1993. Siehe hierzu insbesondere unten Kapitel D. II. 4. 390 Artikel 1 S. 2 1. FP IPbpR. 391 Stand November 2021, abrufbar unter https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBo dyExternal/Treaty.aspx?Treaty=CERD&Lang=en. 389
II. Menschenrechtsausschuss
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a) Zuständigkeit des Menschenrechtsausschusses Der Ausschuss ist für die Prüfung der Individualbeschwerde zuständig, sofern der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, das erste Fakultativprotokoll des IPbpR ratifiziert hat, sich die Beschwerde gegen eine in der Hoheitsgewalt des Staates geschehene oder drohende Handlung richtet,392 und sie ein Recht zum Gegenstand hat, das durch den IPbpR geschützt wird.393 Letzteres Kriterium war gerade in den Anfängen der Praxis des Menschenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement von Bedeutung. So wurden etwa Beschwerden abgewiesen, die ein Recht auf Asyl zum Gegenstand hatten.394 In einer der ersten Individualbeschwerden von dem Menschenrechtsausschuss zu Aufenthaltsbeendigungen hatte Italien von Frankreich die Auslieferung eines in Italien verurteilten Italieners verlangt. Der Beschwerdeführer richtete seine Beschwerde nicht gegen Frankreich, um seine Auslieferung zu verhindern, sondern gegen Italien. Der Ausschuss erkannte seine Unzuständigkeit ratione materiae, da Italien durch den IPbpR nicht darin eingeschränkt werde, eine Auslieferung zu verlangen.395 Die Zuständigkeit ratione materiae für Fälle, in denen eine von einer Aufenthaltsbeendigung bedrohte Person gegen denjenigen Staat vorgeht, welcher die aufenthaltsbeendende Maßnahme erlässt, hat der Menschenrechtsausschuss erstmals im Jahr 1993 im Fall Kindler v. Canada bejaht. Joseph Kindler war nach seiner Verurteilung zum Tode in den USA nach Kanada geflohen und daraufhin von Kanada an die USA ausgeliefert worden. Gegen die Auslieferung erhob Kindler Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss. Kanada hatte in dem Verfahren vor dem Menschenrechtsausschuss dessen Zuständigkeit ratione materiae bestritten, da Auslieferung per se nicht vom IPbpR erfasst sei. Die travaux préparatoires zeigten, dass bei Entstehung des IPbpR diskutiert worden sei, einen Schutz vor Auslieferung mit in den Pakt aufzunehmen, was abgelehnt wurde. Dies könne nur so verstanden werden, dass Auslieferungen absichtlich aus dem IPbpR ausgeklammert werden sollten.396 Der Menschenrechtsausschuss befand in diesem Fall aber zutreffend, dass – anders als in M. A. v. Italy – in diesem Fall nicht infrage stand, ob das Auslieferungsersuchen der USA Rechte des Beschwerdeführers verletzt (was mangels Ratifikation des 1. Fakultativprotokolls durch die USA ohnehin nicht überprüfbar gewesen wäre), sondern, ob Kanada durch die Auslieferung den Beschwerdeführer Kindler der ernsthaften Gefahr einer Verletzung von dessen Rechten aus dem IPbpR
392 393 394 395 396
1. FP IPbpR, Art. 1; siehe auch CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 99 (a). 1. FP IPbpR, Art. 2, 3. CCPR, V. M. R. B. v. Canada, 236/1986. CCPR, M. A. v. Italy, 117/1981, § 13.4. CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 9.2.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ausgesetzt hatte.397 In einem solchen Fall, also wenn ein Staat eine seiner Hoheitsgewalt unterstehende Person in einen Staat verbringt, in dem für die Person eine ernsthafte Gefahr der Verletzung ihrer Rechte aus dem IPbpR besteht, könne dieser Staat selbst damit den IPbpR verletzen: „If a State party extradites a person within its jurisdiction in circumstances such that as a result there is a real risk that his or her rights under the Covenant will be violated in another jurisdiction, the State party itself may be in violation of the Covenant.“398
Auch wenn Gegenstand der Individualbeschwerde eine mögliche Verletzung der Artikel 6 und 7 IPbpR war, hat sich der Menschenrechtsausschuss doch mit dieser sehr offenen Formulierung ,a real risk that his or her rights under the Covenant will be violated‘ eine Überprüfungsmöglichkeit für Beschwerden gegen drohende Verletzungen a l l e r Paktrechte vorbehalten.399 Damit unterscheidet sich die Praxis des Menschenrechtsausschusses also bereits in der Annahme von Individualbeschwerden deutlich vom Ausschuss gegen Folter. Die Vertragsstaaten des IPbpR sind gemäß General Comment Nr. 31 zur Rechtsnatur der Verpflichtung der Vertragsstaaten aus dem Pakt für die Menschenrechte sämtlicher Personen verantwortlich, die sich in ihrer Hoheitsgewalt, das heißt auf ihrem Territorium oder unter ihrer effektiven Kontrolle, befinden. Eine extraterritoriale Anwendung des IPbpR ergibt sich daher etwa für Truppen eines Staates, wenn diese im Ausland agieren.400 Der Menschenrechtsausschuss stellte in Ng v. Canada klar, dass bei einer rechtmäßigen Aufenthaltsbeendigung keine generelle Verantwortlichkeit desjenigen Staates, welcher die Aufenthaltsbeendigung vollzieht, für das Geschehen bestehe, das außerhalb dessen Hoheitsgewalt liege. Etwas anderes müsse aber gelten, wenn Sinn und Zweck der Überstellung einer Person an den anderen Staat gerade die Ermöglichung der Rechtsverletzung durch den Zielstaat sei. Sofern also etwa Folter im Zielstaat für denjenigen Staat, welcher die aufenthaltsbeendende Maßnahme erlässt, vorhersehbar sei, stelle die Aufenthaltsbeendigung der Person selbst eine Verletzung des übergebenden Staates gegen das Folterverbot dar, auch wenn die eigentliche Folterhandlung erst später erfolge: „The Committee considered the contention of the State party that the claim is inadmissible ratione loci. Article 2 of the Covenant requires States parties to guarantee the rights of persons within their jurisdiction. If a person is lawfully expelled or extradited, the State party concerned will not generally have responsibility under the Covenant for any violations of that person’s rights that may later occur in the other jurisdiction. In that sense a State party clearly is not required to guarantee the rights of persons within another jurisdiction. However, if a State party takes a decision relating to a person within its jurisdiction, and the necessary and foreseeable consequence is that this person’s rights under the Covenant will 397 398 399 400
Ebenda, § 13.1. Siehe auch CCPR, Ng v. Canada, 469/1991, § 6.1. CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 13.2. Vgl. unten Kapitel D. II. 4. Siehe hierzu auch CCPR, General Comment No. 31, § 12. Ebenda, § 10.
II. Menschenrechtsausschuss
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be violated in another jurisdiction, the State party itself may be in violation of the Covenant. That follows from the fact that a State party’s duty under article 2 of the Covenant would be negated by the handing over of a person to another State (whether a State party to the Covenant or not) where treatment contrary to the Covenant is certain or is the very purpose of the handing over. For example, a State party would itself be in violation of the Covenant if it handed over a person to another State in circumstances in which it was foreseeable that torture would take place. The foreseeability of the consequence would mean that there was a present violation by the State party, even though the consequence would not occur until later on.“401
Seitdem hat der Menschenrechtsausschuss seine Zuständigkeit ratione loci für Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement stets bejaht, wenn eine Verletzung der Artikel 6 oder 7 IPbpR gerügt wurde. In Fällen, in denen andere Paktrechte gerügt wurden, hat er bisweilen seine Zuständigkeit ratione loci mit dem Hinweis auf mangelnde extraterritoriale Anwendbarkeit dieser Rechte abgelehnt.402 Das bedeutet aber nicht, dass andere Paktrechte keine Bedeutung in Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement haben. Es ist nach der Praxis des Menschenrechtsausschusses möglich, Verletzungen mehrerer Paktrechte in Abhängigkeit voneinander festzustellen. Der Menschenrechtsausschuss erklärt dann die gerügten Paktrechte für mit Artikel 6 oder 7 IPbpR untrennbar verbunden und lässt die Beschwerde zu.403 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage der Zuständigkeit des Ausschusses, wenn die beschwerdeführende Person Rechtsverletzungen rügt, die im Zusammenhang mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf dem Territorium des ursprünglichen Aufenthaltsstaates geschehen. Hier hat der Menschenrechtsausschuss festgestellt, dass ein Staat sich auch dann, wenn er die Aufenthaltsbeendigung nicht selbst durchführt, für Rechtsverletzungen ausländischer Amtsträger vor dem Ausschuss verantworten muss, wenn diese auf dessen eigenem Staatsgebiet und mit dessen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis erfolgt sind.404 Von der in seinem General Comment Nr. 31 geforderten effektiven Kontrolle sind unproblematisch auch Abweisungen an der Grenze erfasst.405 Auch das Abfangen von Schiffen auf Hoher See mit dem Zweck, die Schiffe in andere Gebiete zurückzuführen, noch bevor diese in die Küstengewässer eines Staates gelangen können, hält der Ausschuss für von der effektiven Kontrolle eines Staates erfasst.406
401 402
§ 8.3.
CCPR, Ng v. Canada, 469/1991, § 6.2. So etwa zu Artikel 19 IPbpR: CCPR, E. U. R. v. Denmark, 2469/2014, 01. Juli 2016,
403 Vgl. CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, 26. März 2014, Sondervotum Gerald Neuman. Siehe hierzu ausführlich unten Kapitel D. II. 4. 404 CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, 25. Oktober 2006, § 11.6. 405 CCPR, General Comment No. 15, § 5; CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Hungary, 09. Mai 2018, CCPR/C/HUN/CO/6, §§ 45 f. 406 CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Australia, 01. Dezember 2017, CCPR/C/AUS/CO/6, § 33 (c).
144
D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
b) Persönliche Betroffenheit Wie vor allen VN-Vertragsorganen muss die Person, welche die Beschwerde erhebt, von der gerügten Paktverletzung selbst betroffen sein.407 Grundsätzlich gilt, dass Personen, die eine Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss erheben, darlegen müssen, dass ihre gerügten Paktrechte durch ein Verhalten des Staates bereits eingeschränkt werden oder eine solche Einschränkung unmittelbar bevorsteht, wobei nationale Gesetze, Entscheidungen oder Übung des Staates genannt werden müssen.408 In Fällen zum Prinzip des Non-Refoulement soll durch die Erhebung der Individualbeschwerde in der Regel vermieden werden, dass die Aufenthaltsbeendigung vollzogen wird. Der Menschenrechtsausschuss verlangt daher hier abweichend von seiner übrigen Praxis, dass für die Person eine Rechtsverletzung vernünftigerweise vorhersehbar (,reasonably foreseeable‘) ist.409 Das ist dann der Fall, wenn der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorsteht. Die Unmittelbarkeit der Verwirklichung der befürchteten Gefahr nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung ist dagegen für die Frage der persönlichen Betroffenheit unerheblich: „the requirement of imminence primarily attaches to the decision to remove the individual, whereas the imminence of any anticipated harm in the receiving state influences the assessment of the real risk faced by the individual“.410
Der Menschenrechtsausschuss nimmt in der Regel dann die Vorhersehbarkeit einer Rechtsverletzung im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen an, wenn eine nicht mehr anfechtbare nationale Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung vorliegt und alle nationalen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel von der beschwerdeführenden Person bereits ausgeschöpft wurden. Nicht ausreichend ist dagegen, dass ein Asylverfahren erfolglos durchgeführt wurde, weil sich hieraus noch nicht zwingend die Aufenthaltsbeendigung ergibt.411 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs Wie sich schon aus dem Wortlaut des Artikel 5 Abs. 2 (b) 1. FP IPbpR ergibt, ist die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges nicht in jedem Fall notwendig. Das Fakultativprotokoll selbst nennt nur den Fall, dass die Anwendung der 407
Artikel 1 1. FP IPbpR. CCPR, E. W. et al. v. The Netherlands, 429/1990, 08. April 1993, § 6.4; CCPR, Beydon et al. v. France, 1400/2005, 31. Oktober 2005, § 4.3; CCPR, Brun v. France, 1453/2006, 18. Oktober 2006, § 6.3. 409 CCPR, Ng v. Canada, 469/1991; CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991; CCPR, Cox v. Canada, 539/1993, 31. Oktober 1994. 410 CCPR, Ioane Teitiota v. New Zealand, 2728/2016, 24. Oktober 2019, § 8.5. Zur Beweisbarkeit der persönlichen Betroffenheit von Folgen des Klimawandels noch kritisch S. Joseph/M. Castan, International Covenant on Civil and Political Rights, 3.45. 411 CCPR, Taghi Khadje v. The Netherlands, 1438/2005, 31. Oktober 2006, § 6.3. 408
II. Menschenrechtsausschuss
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Rechtsmittel unangemessen lang dauern würde. In seinen Verfahrensregeln hat der Ausschuss einen weiteren Fall definiert, in dem die Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel nicht erforderlich ist. Die Rechtsmittel müssen in Einklang mit allgemein anerkannten Prinzipien des internationalen Rechts ausgeschöpft werden.412 Das bedeutet, sie müssen nur in der Sache selbst ausgeschöpft werden, und zwar nur diejenigen Rechtmittel, die effektiv und de facto verfügbar sind. Für Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement ist das insbesondere deshalb relevant, weil der Menschenrechtsausschuss, wie alle VN-Vertragsorgane, nicht verlangt, dass solche Rechtsmittel ausgeschöpft werden, die keine aufschiebende Wirkung haben und daher ein weiteres Abwarten die betroffene Person der Gefahr aussetzen würde, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme vollzogen wird.413 Darüber hinaus müssen nur solche Rechtsmittel ausgeschöpft werden, in denen es der beschwerdeführenden Person möglich gewesen wäre, im Kern dasselbe vorzubringen, wie in der Individualbeschwerde vor dem Ausschuss.414 Finanzielle Erwägungen spielen dagegen vor dem Menschenrechtsausschuss keine Rolle. Ausgeschöpft werden müssen auch solche Rechtsmittel, die sich die beschwerdeführende Person nicht leisten kann.415 d) Substantiierung der Beschwerde Von allen VN-Menschenrechtsschutzmechanismen erreichen den Menschenrechtsausschuss die meisten Individualbeschwerden. Eine Methode, Verfahren zu beschleunigen, um der stetig steigenden Anzahl an Individualbeschwerden entgegenzutreten, ist, Beschwerden als unzulässig abzuweisen, wenn sie nach Artikel 2 des 1. FP IPbpR nicht hinreichend begründet sind.416 Der Ausschuss verfährt damit ähnlich wie etwa der EGMR in seiner Prüfung der offensichtlichen Unbegründetheit,417 was mangels vergleichbarer Bestimmungen im 1. Fakultativprotokoll des IPbpR kritisiert wurde.418 412
CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 82 (c). CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010, 21. Juli 2011, § 7.4; CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/2009, 23. Oktober 2013, § 8.3; CCPR, Hamadie Al-Gertani v. Bosnia and Herzegovina, 1955/2010, 01. November 2013, § 9.3; CCPR, Deepan Budlakoti v. Canada, 2264/2013, 06. April 2018, § 8.4; CCPR, B. A. et al. v. Austria, 2956/2017, 08. November 2019, § 10.4. 414 CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009, 25. März 2014, § 10.4. 415 CCPR, M. G. C. v. Australia, 1875/2009, 26. März 2015, § 10.3. 416 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 1 1. FP Rn. 12. 417 Artikel 35 Abs. 3 (a) Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), 04. November 1950, BGBl. 1952 II S. 685. 418 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 2 1. FP Rn. 13 – 15. Der Ausschuss scheint sich dieser Problematik nicht bewusst zu sein. Auf den Titelseiten seiner Entscheidungen verwendet er ,manifestly ill-founded‘ als Schlagwort für Fälle, in denen die Zulässigkeit nach Artikel 2 1. FP IPbpR eine Rolle spielt. 413
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Eindeutig lehnt der Ausschuss daher schon Beschwerden als unzulässig ab, wenn überhaupt nichts vorgebracht wurde.419 Im Übrigen nimmt der Ausschuss aber in Fällen, in denen Beschwerdeführende zwar Argumente vorgebracht haben, der Ausschuss diese aber nicht für ausreichend hält, keine systematische Unterscheidung von Fällen vor, die wegen einer unzureichenden Begründung für unzulässig erklärt werden und solchen, die zwar zulässig sind, aber in der Sache keinen Erfolg haben. Während andere VN-Vertragsorgane dazu neigen, Individualbeschwerden entweder mehrheitlich als unsubstantiiert abzuweisen (so etwa der Frauenrechtsausschuss), oder Beschwerden anzunehmen und dann wegen unzureichender Darlegung durch die beschwerdeführende Person keine Verletzung festzustellen (so etwa der Ausschuss gegen Folter), ist bei dem Menschenrechtsausschuss keine Präferenz erkennbar. Eine weitere häufige Praxis des Ausschusses in Verbindung mit der Frage der Substantiierung der Beschwerde ist die Umgehung komplexer Rechtsfragen, welche der Ausschuss jedenfalls im Moment der Befassung mit der Individualbeschwerde nicht entscheiden will.420 Diese Strategie findet sich auch in der Annäherung des Ausschusses an das Prinzip des Non-Refoulement. Als der Menschenrechtsausschuss im Jahr 1990 erstmals eine Individualbeschwerde entschied, in welcher der Beschwerdeführer angegeben hatte, ihm drohe bei Auslieferung im Zielstaat Folter, war der Ausschuss offenbar noch nicht bereit, die Frage der Verletzbarkeit von Artikel 7 IPbpR durch Aufenthaltsbeendigung endgültig zu entscheiden und lehnte daher die Beschwerde diesbezüglich als unzureichend substantiiert ab.421 Diese Vorgehensweise ermöglichte es dem Ausschuss in der Folge, sich ausführlich mit dem Prinzip des Non-Refoulement auseinanderzusetzen, ohne hierbei der bisherigen Praxis zu widersprechen. 2. Ablauf des Verfahrens Wie vor den meisten VN-Vertragsorganen laufen Individualbeschwerdeverfahren vor dem Menschenrechtsausschuss rein schriftlich ab. Mündliche Anhörungen der Beteiligten, also der beschwerdeführenden Person oder des Staates, sind nicht vorgesehen. Seit kurzem sehen die Verfahrensregeln des Menschenrechtsausschusses vor, dass Dritte sich im Rahmen von Amicus-Curiae-Schriften zu Individualbeschwerdeverfahren äußern können.422 Solche sind aber bislang nicht im Rahmen von Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement eingereicht worden. 419 So zum Beispiel CCPR, D. N. v. Canada, 2276/2013, 24. Oktober 2019, § 7.4; CCPR, A. S. M. and R. A. H. v. Denmark, 2378/2014, 07. Juli 2016, § 6.5. 420 Siehe etwa zur Abgrenzung der Schutzbereiche von Artikel 19 und 21 IPbpR: CCPR, Coleman v. Australia, 1157/2003, 17. Juli 2006, § 6.4; CCPR, General Comment No. 37 on the right of peaceful assembly (article 21), 17. September 2020, CCPR/C/GC/37, § 13. 421 CCPR, Torres v. Finland, 291/1988, 02. April 1990, § 6. 422 CCPR, Rules of Procedure Regel Nr. 96.
II. Menschenrechtsausschuss
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Im Vergleich zum Verfahren vor dem Ausschuss gegen Folter ergeben sich vor dem Menschenrechtsausschuss einige Besonderheiten insbesondere aus der hohen Bedeutung, welche der Ausschuss der Durchführung eines ordentlichen Risikobewertungsverfahrens beimisst. Auch hat der Menschenrechtsausschuss im Gegensatz zum Ausschuss gegen Folter keine klaren Regeln zur Beweislastumkehr nach der prima facie Darlegung der beschwerdeführenden Person. a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde Ist eine Individualbeschwerde nicht offensichtlich unzulässig und wird sie dem Menschenrechtsausschuss zur Befassung vorgelegt, kann es wegen der Arbeitsbelastung des Ausschusses einige Jahre dauern, bis eine Entscheidung über die Zulässigkeit sowie auch in der Sache ergeht. Wie bei anderen VN-Vertragsorganen ist es daher auch in der Praxis des Menschenrechtsausschusses üblich, mithilfe von einstweiligen Maßnahmen dem Umstand abzuhelfen, dass Beschwerden vor dem Menschenrechtsausschuss über keinen Suspensiveffekt verfügen. Einstweilige Maßnahmen können dann angeordnet werden, wenn ansonsten die Gefahr irreparabler Konsequenzen besteht.423 Sie werden neben Beschwerden gegen die Vollziehung der Todesstrafe vor allem im Rahmen von Verfahren gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen angeordnet.424 Wenn sich eine Individualbeschwerde gegen eine unmittelbar bevorstehende Aufenthaltsbeendigung der beschwerdeführenden Person richtet und der Menschenrechtsausschuss einstweilige Maßnahmen für erforderlich hält, dann besteht die einstweilige Maßnahme in der Regel darin, den Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auszusetzen, bis der Menschenrechtsausschuss über die Individualbeschwerde entschieden hat. Nicht jede Person, der eine Aufenthaltsbeendigung droht, kann aber durch Erhebung einer – möglicherweise aussichtslosen – Individualbeschwerde den Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme dadurch verhindern oder verzögern, dass hierdurch automatisch einstweilige Maßnahmen angeordnet werden. Vielmehr musste der Menschenrechtsausschuss den Begriff der Gefahr irreparablen Schadens konkretisieren. Er hat bereits in einer seiner ersten Entscheidungen zum Prinzip des Non-Refoulement festgestellt: „what may constitute ,irreparable damage‘ to the victim within the meaning of [the Rule of procedure] cannot be determined generally. The essential criterion is indeed the irreversibility of the consequences, in the sense of the inability of the author to secure his rights should there later be a finding of a violation of the Covenant on the merits. The Committee may decide, in any given case, not to issue a request [for interim measures] where it believes that compensation would be an adequate remedy. Applying these criteria to deportation 423
CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 94 Abs. 1. CCPR, Annual Report 2011/2012, 2012, A/67/40 (Vol. I), § 155; CCPR, Annual Report 2013/2014, 2014, A/69/40 (Vol. I), §§ 181 f. 424
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
cases the Committee would require to know that an author would be able to return, should there be a finding in his favour on the merits.“425
Da der Menschenrechtsausschuss die Pflicht der Vertragsstaaten zur Einhaltung der einstweiligen Maßnahmen (anders als der Ausschuss gegen Folter) nicht mit einer Pflicht der Staaten zur Gewährung der materiellen Rechte aus dem IPbpR, sondern mit der Pflicht zur Ermöglichung des Verfahrens nach dem Fakultativprotokoll begründet,426 ist für die Frage, ob der Sonderberichterstatter für neue Fälle und einstweilige Maßnahmen nach Registrierung der Individualbeschwerde den Staat um einstweilige Maßnahmen ersucht, nicht relevant, ob es ohne die einstweilige Maßnahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Rechtsverletzung kommt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Zustand, der ohne die Maßnahme eintreten würde, irreversibel ist und damit die spätere Bearbeitung der Beschwerde durch den Ausschuss gegenstandslos machen würde. Das ist dann der Fall, wenn eine spätere Entschädigung für den bereits eingetretenen irreparablen Schaden keine adäquate Wiedergutmachung darstellen kann. Wenn gegen eine drohende Aufenthaltsbeendigung vorgegangen wird, bedeutet das, dass dann keine einstweiligen Maßnahmen angeordnet werden, wenn zum späteren Zeitpunkt der Entscheidung durch den Ausschuss problemlos die Wiedergutmachung in Form von Gewährung der Wiedereinreise möglich ist.427 Das kann aber nur dann der Fall sein, wenn die von der beschwerdeführenden Person befürchtete Rechtsverletzung in der Aufenthaltsbeendigung selbst liegt und nicht etwa in der Misshandlung, die in dem Zielstaat droht. Ein Beispiel hierfür sind Einwände gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme wegen einer befürchteten Verletzung des Rechts auf Familienleben aus Artikel 17 IPbpR. Dieses kann bereits dadurch verletzt werden, dass die Familie getrennt wird.428 Da eine einstweilige Maßnahme nicht von der Zulässigkeit der Beschwerde oder den Erfolgsaussichten abhängt, können Anordnungen einstweiliger Maßnahmen im Laufe des Verfahrens auch abgeändert oder zurückgenommen werden,429 so etwa, wenn Zweifel in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person, die Unmittelbarkeit der Gefahr oder die Irreparabilität des befürchteten Schadens aufkommen. aa) Rechtsfolgen der Nichtbeachtung einstweiliger Maßnahmen Für den Fall, dass der Menschenrechtsausschuss beziehungsweise dessen Sonderberichterstatter für einstweilige Maßnahmen solche anordnet, und ein Staat der 425
CCPR, Stewart v. Canada, 538/1993, 01. November 1996, § 7.7. CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 94 Abs. 2. Siehe auch CCPR, General Comment No. 33, § 19. 427 CCPR, Canepa v. Canada, 558/1993, 03. April 1997, § 7. 428 CCPR, Winata and Li v. Australia, 930/2000, 26. Juli 2001, § 7.1. 429 CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 94 Abs. 4. 426
II. Menschenrechtsausschuss
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Anordnung nicht Folge leistet, zum Beispiel indem er die aufenthaltsbeendende Maßnahme dennoch vollzieht, war die rechtliche Einordnung dieses staatlichen Verhaltens lange Zeit unklar. Aus dem 1. Fakultativprotokoll des IPbpR ergibt sich nicht ausdrücklich die Kompetenz des Ausschusses zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen. Es handelt sich um eine von den Vertragsstaaten vielfach kritisierte Praxis des Menschenrechtsausschusses, deren Rechtsgrundlage er sich selbst in seinen Verfahrensregeln geschaffen hat. Zunächst drückte der Ausschuss lediglich sein Bedauern über den Umstand aus, dass der Staat der einstweiligen Maßnahme nicht gefolgt war. Dieses Bedauern hatte aber keine Auswirkung auf die Entscheidung.430 Heute stellt der Ausschuss klar eine Verletzung der vertraglichen Pflichten fest.431 Der Menschenrechtsausschuss begründet die Pflicht der Staaten, die von ihm angeordneten einstweiligen Maßnahmen umzusetzen, mit der Pflicht zur Ermöglichung des Verfahrens nach Artikel 2 des 1. FP IPbpR.432 Demnach erkenne ein Staat mit Ratifikation des Fakultativprotokolls die Kompetenz des Menschenrechtsausschusses an, Individualbeschwerden zu überprüfen. Diese Überprüfung zu ermöglichen sei daher die sich aus dem Fakultativprotokoll ergebende vertragliche Pflicht des Staates. Der Staat verletze diese Ermöglichungspflicht, wenn er entgegen der Anordnung einstweiliger Maßnahmen Tatsachen schaffe, welche die Überprüfung des Beschwerdegegenstandes durch den Menschenrechtsausschuss vereiteln.433 Die Reaktion der Vertragsstaaten auf diese Praxis des Menschenrechtsausschusses war zunächst weit überwiegend negativ.434 Heute halten sich die Staaten jedoch weit überwiegend an die einstweiligen Maßnahmen.435 Ein Grund hierfür ist die Praxis des Ausschusses, nicht kooperierende Staaten öffentlich zu kritisieren. So finden sie in den Folge- und Jahresberichten des Ausschusses Erwähnung.436 Daher sind Vertragsstaaten stetiger öffentlicher Missbilligung ausgesetzt, wenn sie die angeordneten einstweiligen Maßnahmen nicht einhalten. 430
CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, §§ 17 f. Erstmals in CCPR, Bradshaw v. Barbados, 489/1992, § 5.3. 432 CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 94 Abs. 2. Siehe auch CCPR, General Comment No. 33, § 19. 433 CCPR, Piandiong et al. v. The Philippines, 869/1999, § 5.1 – 5.4; CCPR, Mansaraj et al. v. Sierra Leone, 839/1998; 840/1998; 841/1998, 16. Juli 2001, §§ 5.2 f.; CCPR, Ashby v. Trinidad and Tobago, 580/1994, 19. April 2002, § 10.10; CCPR, Maksudov and Rakhimov, Tashbaev and Pirmatov v. Kyrgyzstan and Uzbekistan, 1461/2006, 1462/2006, 1476/2006, 1477/2006, 18. Juli 2008, § 10.2. So auch A. Nollkaemper/R. van Alebeek, in: H. Keller/ G. Ulfstein, 388. 434 Siehe etwa CCPR, Bradshaw v. Barbados, 489/1992, § 2.10; CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, 29. März 2004, § 5.3; CCPR, Weiss v. Austria, 1086/2002, § 5.3; CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010, § 6.2. 435 B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (362). 436 CCPR, Annual Report 2010/2011, 2011, A/66/40 (Vol. I), §§ 51 f.; CCPR, Annual Report 2013/2014, §§ 183 f.; CCPR, Annual Report 2014/2015, 2015, A/70/40, § 37; CCPR, Annual Report 2015/2016, 2016, A/71/40, § 35. 431
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Das zeigt sich an den eingestellten Verfahren vor dem Menschenrechtsausschuss. Allgemein erfolgen die meisten Verfahrenseinstellungen vor dem Ausschuss deshalb, weil der Staat nach Erhebung der Beschwerde Abhilfe geschaffen hat.437 Dies hat auch Auswirkungen auf den de facto gewährten Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen wegen des Prinzips des Non-Refoulement. Von 2017 bis 2019 wurden 23 Beschwerdeverfahren von beim Menschenrechtsausschuss erhobenen Individualbeschwerden eingestellt, davon betrafen 18 Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement. Acht dieser Entscheidungen ist zu entnehmen, dass die Einstellung erfolgte, weil der Vertragsstaat nach Erhebung seine eigene Entscheidung revidiert hat und die beschwerdeführende Person ein Aufenthaltsrecht erlangt hat. Allein aufgrund der Tatsache, dass es mittlerweile üblich ist, die vom Menschenrechtsausschuss angeordneten einstweiligen Maßnahmen umzusetzen und die Vertragsstaaten dadurch Menschen, die eine Individualbeschwerde erheben, in vielen Fällen über Jahre in ihrem Staat behalten müssen, entscheiden sie sich also häufig dazu, ihre eigene Entscheidung zu revidieren und den betroffenen Personen Aufenthaltsgenehmigungen zu gewähren. So können Menschen, die Refoulement fürchten, die Gefahr in vielen Fällen schon mit Erhebung einer Individualbeschwerde abwehren. bb) Inhalt und Umfang einstweiliger Maßnahmen Im Vergleich zu den einstweiligen Maßnahmen anderer VN-Vertragsorgane gehen die vom Menschenrechtsausschuss angeordneten einstweiligen Maßnahmen oft weit. Die Kompetenzen, die sich der Menschenrechtsausschuss in Bezug auf Anordnungen von Maßnahmen vor der eigentlichen Befassung mit der Individualbeschwerde gegeben hat, gehen über die bloße Verhinderung des Vollzugs von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hinaus. Der Ausschuss ordnet nämlich gelegentlich zusätzlich zu der nach Regel Nr. 94 der Verfahrensregeln möglichen Anordnung einstweiliger Maßnahmen Schutzmaßnahmen an, etwa zum Schutz vor einer Vereitelung möglicher Rechtsmittel,438 oder vor der Zerstörung von Beweismitteln.439 Der Ansatz des Ausschusses, die Nichteinhaltung einstweiliger Maßnahmen als Verstoß gegen das 1. FP IPbpR anzusehen, ermöglicht es ihm deshalb, bereits dann eine Verletzung der vertraglichen Pflichten des Staates anzunehmen, wenn der Vertragsstaat durch einen übereilten Vollzug einer nationalen Entscheidung den Betroffenen die Möglichkeit nimmt, internationale Menschenrechtsschutzmechanismen in Anspruch zu nehmen. So sah der Menschenrechtsausschuss in Alzery v. 437 C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 16. 438 Vergleiche etwa CCPR, Grioua v. Algeria, 1327/2004, 10. Juli 2007, § 1.2; CCPR, Boucherf v. Algeria, 1196/2003, 30. März 2006, § 1.2; CCPR, Kimouche v. Algeria, 1328/2004, 10. Juli 2007, § 1.2. 439 CCPR, Shin v. Korea, 926/2000, 16. März 2004, § 1.2.
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Sweden einen Verstoß gegen Artikel 1 des 1. FP IPbpR darin, dass Schweden eine Aufenthaltsbeendigung vollzog, bevor der Rechtsbeistand von der Abschiebeentscheidung Kenntnis genommen hatte.440 Einstweilige Maßnahmen gegen Aufenthaltsbeendigungen können auch zugleich Schutzmaßnahmen für Familienmitglieder sein.441 Der Fall Alzery v. Sweden zeigt anschaulich, wie vielseitig solche Maßnahmen sein können. Zwar hat der Ausschuss im Ergebnis einen Verstoß Schwedens gegen Artikel 1 des 1. FP IPbpR bereits darin gesehen, dass die schwedischen Behörden den Rechtsbeistand des Beschwerdeführers nicht rechtzeitig von der Abschiebungsentscheidung in Kenntnis gesetzt hatten. Da aber die Individualbeschwerde erst Jahre nach der Abschiebung vor den Menschenrechtsausschuss gebracht worden war, war ursprünglicher Inhalt der angeordneten Maßnahme, dass Schweden dafür Sorge zu tragen habe, dass der bereits nach Ägypten abgeschobene Mohammed Alzery dort keine irreparablen Schäden für seine Paktrechte erleide.442 Damit ging die angeordnete Maßnahme klar über den Beschwerdegegenstand hinaus.443 Schließlich hat der Ausschuss auch schon Schutzmaßnahmen angeordnet, nachdem der Vertragsstaat die zuvor angeordneten einstweiligen Maßnahmen missachtet hatte. In Weiss v. Austria verlangte der Ausschuss, nachdem sich Österreich über die angeordneten einstweiligen Maßnahmen hinweggesetzt hatte, eine schriftliche Erklärung vom Staat, warum dies geschehen sei und wie der Staat gedenke, die Einhaltung des Fakultativprotokolls in Zukunft zu gewährleisten. Darüber hinaus verlangte der Menschenrechtsausschuss, den Verbleib des Beschwerdeführers nach der Aufenthaltsbeendigung weiter zu beobachten und Paktrechtsverletzungen durch den Zielstaat zu verhindern.444 b) Beweislast Wie vor jedem VN-Vertragsorgan trägt die beschwerdeführende Person die Beweislast, dass ihr Menschenrechtsverletzungen drohen. Nach dem Selbstverständnis des Menschenrechtsausschusses sind die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der beschwerdeführenden Person, dass eine drohende aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen das Refoulementverbot verstoßen würde, hoch.445 Wohl diese Selbsteinschätzung verleitet dazu, den Menschenrechtsausschuss als strenger 440
CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 11.11. H. Keller/C. Marti, Interim Relief Compared: Use of Interim Measures by the UN Human Rights Committee and the European Court of Human Rights, ZaöRV 73 (2013), 325 (361). 442 CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 2.3. 443 H. Keller/C. Marti, ZaöRV 2013 (361). 444 CCPR, Weiss v. Austria, 1086/2002, § 5.1. 445 CCPR, X. v. Sweden, 1833/2008, 01. November 2011, § 5.18; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.2. 441
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
im Vergleich mit anderen Menschenrechtsschutzmechanismen, etwa dem Ausschuss gegen Folter, anzusehen.446 Richtig ist, dass der Ausschuss gegen Folter bereits in seinem ersten General Comment festgelegt hat, dass eine betroffene Person zwar Gründe aufzeigen müsse, die über die Theorie oder den bloßen Verdacht eines Folterrisikos hinausgehen, nicht aber nachweisen müsse, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Risikos hoch sei.447 Die unterschiedliche Formulierung von Anforderungen an das Beweismaß lässt sich mit den Vertragstexten erklären. Während der Ausschuss gegen Folter, der sich bezüglich des Prinzips des Non-Refoulement auf einen eindeutigen Konventionswortlaut stützen kann, die eigenen prozessualen Anforderungen ausgewogen formuliert, muss der Menschenrechtsausschuss, der keine explizite vertragliche Grundlage für das Refoulementverbot hat, diplomatischer vorgehen. Die bisherige Betrachtung zeigt, dass die Vertragsstaaten des IPbpR dem Prozess des Menschenrechtsausschusses zur Etablierung eines Refoulementverbots aus dem Pakt kritisch gegenüberstanden.448 Während der Ausschuss sich unter Bezugnahme von Artikel 6 und 7 IPbpR, teilweise auch in Verbindung mit weiteren Paktrechten, einen flexiblen materiellen Schutzbereich des Refoulementverbots geschaffen hat, kommt er den Staaten insoweit entgegen, als er angibt, hohe prozessuale Anforderungen zu stellen. Allerdings lässt sich bei Betrachtung der Praxis der beiden Ausschüsse nicht feststellen, dass diese nach deren Selbstverständnis divergierende Herangehensweise tatsächlich zu einem unterschiedlichen Umgang mit einzelnen Fällen führt.449 Im Gegenteil zeigt sich, dass der Menschenrechtsausschuss die einzelnen Anforderungen an die Darlegung durch beschwerdeführenden Personen aus der etablierten Praxis des Ausschusses gegen Folter übernommen hat.450 Vor dem Menschenrechtsausschuss muss dargelegt werden, dass es die notwendige und vorhersehbare Folge der aufenthaltsbeendenden Maßnahme wäre, dass die betroffene Person ein persönliches,451 tatsächliches Risiko erwartet, dass die Aufenthaltsbeendigung zu einem irreparablen Schaden führt.452 In den ersten vom Menschenrechtsausschuss zu entscheidenden Fällen zu Aufenthaltsbeendigungen legte dieser einen sehr strengen Maßstab an. So verlangte der Ausschuss zunächst, dass eine Paktverletzung durch den Zielstaat sicher oder gar der 446
Vergleiche etwa H. Lambert, Protection against refoulement from Europe: human rights law comes to the rescue, International and Comparative Law Quaterly 48 (1999), 515 (536). 447 CAT, General Comment No. 1, § 6. Zur Praxis des Ausschusses gegen Folter siehe oben Kapitel D. I. 2. b). 448 Siehe oben Kapitel D. II. 1. 449 So auch B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (375). 450 CCPR, R. I. H. et al. v. Denmark, 2640/2015, 13. Juli 2017, § 8.3; W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 7 Rn. 54. 451 CCPR, A. R. J. v. Australia, 692/1996, 28. Juli 1997, § 6.6; CCPR, K. v. Denmark, 2393/ 2014, 16. Juli 2015, § 7.3; CCPR, P. T. v. Denmark, 2272/2013, 01. April 2015, § 7.2; CCPR, R. G. et al. v. Denmark, 2351/2014, 02. November 2015, §§ 7.4, 7.8. 452 CCPR, X. v. Sweden, 1833/2008, § 5.18.
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Sinn und Zweck der Aufenthaltsbeendigung sein müsse,453 oder, dass die Beschwerdeführenden beweisen müssen, dass eine Verletzung tatsächlich bevorstehe.454 Einen weiteren Ansatz wählt der Menschenrechtsausschuss jedoch seit der Entscheidung Pillai et al. v. Canada im Jahr 2011. Demnach muss die Folter oder Misshandlung nicht notwendige und vorhersehbare Folge (,necessary and foreseeable consequence‘) sein.455 Es reicht demnach ein Nachweis, dass ein tatsächliches Risiko (,real risk‘) besteht, dass die Aufenthaltsbeendigung zu einem irreparablen Schaden führt. Eines der abweichenden Voten in Pillai et al. v. Canada zeichnet die Entwicklung des Ausschusses transparent nach. So wird hier klar, dass der Ausschuss von seiner bisherigen, engen Praxis mit der Begründung ablässt, sie sei nicht mit den Vorgaben des Artikel 3 AFK vereinbar. Im Weiteren setzen sich die Ausschussmitglieder hier kritisch mit der bisherigen Praxis auseinander, in der teilweise ein ,real risk‘456 und dann wieder eine ,necessary and foreseeable consequence‘457 oder auch ein ,real risk of treatment contrary to article 7 as a necessary and foreseeable consequence‘458 verlangt wurde. Schließlich stehe aber mit dieser Entscheidung fest, dass nicht ein Nachweis verlangt werde, die Rechtsverletzung werde tatsächlich passieren, sondern lediglich der Nachweis eines entsprechenden Risikos: „The phrasings have varied, and the Committee continues to refer on occasion to a ,necessary and foreseeable consequence‘ of deportation. But when it inquires into such consequences, the Committee now asks whether a necessary and foreseeable consequence of the deportation would be a real risk of torture in the receiving State, not whether a necessary and foreseeable consequence would be the actual occurrence of torture.“459
Damit verwendet der Menschenrechtsausschuss nunmehr einen mit dem Ausschuss gegen Folter vergleichbaren Standard. Auch bezüglich der Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person verfährt der Menschenrechtsausschuss seitdem ähnlich wie der Ausschuss gegen Folter. Die Widersprüchlichkeit einzelner Aussagen kann in einigen Fällen unbeachtlich sein, so etwa wenn die Person wegen ihrer früheren Erfahrungen im Zielstaat unter einer posttraumatischen Belastungsstörung 453
CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 6.2. CCPR, Cox v. Canada, 539/1993; CCPR, G. T. v. Australia, 706/1996, 04. November 1994. Siehe zur Entwicklung des Standards auch CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, 25. März 2011, Sondervotum Keller, Motoc, Neuman, O’Flaherty, Rodley. 455 CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.4. 456 CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 13.2; CCPR, Kwok v. Australia, 1442/2005, 23. Oktober 2009, § 9.4; CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006, 25. März 2010, § 6.4. 457 CCPR, G. T. v. Australia, 706/1996, § 8.1; CCPR, Esposito v. Spain, 1359/2005, 20. März 2007, § 7.5. 458 CCPR, Hamida v. Canada, 1544/2007, 18. März 2010, § 8.7. 459 CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, Sondervotum Keller, Motoc, Neuman, O’Flaherty, Rodley. 454
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leidet.460 Der Ausschuss geht sogar so weit, dass selbst bei Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben der betroffenen Person nur relevant ist, ob tatsächlich eine Gefahr eines irreparablen Schadens besteht.461 Daher kommt es etwa bei einem Konvertiten nicht auf die Wahrhaftigkeit seines Glaubensbekenntnisses an, sondern lediglich darauf, ob die Person im Zielstaat als der Religionsgemeinschaft zugehörig wahrgenommen wird.462 Das bedeutet nicht, dass die Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person in jedem Fall unbedeutend ist. Wenn eine Person widersprüchliche Angaben dazu macht, welche Gefahren sie im Zielstaat fürchtet, oder gefälschte Identitätspapiere vorweist, kann dies rechtfertigen, dass der Vertragsstaat das Bestehen einer ernsthaften Gefahr irreparablen Schadens verneint.463 Ob eine Gefahr objektiv besteht, ist insbesondere dann, wenn die betroffene Person nicht glaubwürdig erscheint, schwer zu beurteilen. Besonderes Augenmerk legt der Menschenrechtsausschuss daher auf die Durchführung des nationalen Risikobewertungsverfahrens. Prüfungsfrage des Menschenrechtsausschusses ist damit nicht mehr primär, ob eine tatsächliche Gefahr eines irreparablen Schadens besteht, sondern, ob der Staat im nationalen Risikobewertungsverfahren die Darlegungen der betroffenen Person ausreichend berücksichtigt hat. Der Ausschuss möchte sich aber keine allgemeine Überprüfungskompetenz der nationalen Verfahren anmaßen, auch weil die Verfahren vor den VN-Vertragsausschüssen nicht als übergeordnete Instanz dienen sollen.464 Daher liege es grundsätzlich im Ermessen des Vertragsstaates, die Tatsachen und Beweismittel in einem bestimmten Fall zu bewerten,465 es sei denn, der Ausschuss stellt fest, dass die Bewertung eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt.466 Im Vergleich zum Ausschuss gegen Folter ist der Menschenrechtsausschuss hierbei in seinem selbst auferlegten Überprüfungsmaßstab konsequent. Zur Beurteilung der von den beschwerdeführenden Personen behaupteten Gefahr zieht der Ausschuss außer den von den Parteien beigebrachten Materialien auch Berichte anderer Menschenrechtsschutzmechanismen heran. So ist er durch Hinzuziehen des Berichts des Sonderberichterstatters für die Menschenrechtslage im Iran zu dem Schluss gekommen, dass eine Auslieferung in den Iran eine Hinrichtung 460 CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.4; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/ 2015, 16. März 2017, §§ 8.3 f. 461 CCPR, R. M. and F. M. v. Denmark, 2685/2015, 24. Juli 2019, § 9.6. 462 CCPR, K. H. v. Denmark, 2423/2014, 16. Juli 2018, § 8.7; CCPR, S. A. H. v. Denmark, 2419/2014, 08. November 2017, § 11.8. 463 CCPR, A. E. v. Sweden, 3300/2019, 13. März 2020, § 9.7. 464 S. Joseph/M. Castan, International Covenant on Civil and Political Rights, 1.53. 465 CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.4; CCPR, A. A. v. Canada, 1819/2008, 31. Oktober 2011, § 7.8; CCPR, Lin v. Australia, 1957/2010, 21. März 2014, § 9.3; CCPR, K. v. Denmark, 2393/2014, § 7.4; CCPR, A. v. Denmark, 2357/2014, 30. März 2016, §§ 7.4 f. 466 CCPR, A. and B. v. Denmark, 2291/2013, 13. Juli 2016, § 8.3; CCPR, A. H. S. v. Denmark, 2473/2014, 28. März 2017, § 7.5; CCPR, M. J. K. v. Denmark, 2338/2014, 28. März 2017, § 6.4.
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des Beschwerdeführers unter Verstoß gegen Artikel 6 IPbpR zur Folge haben könne.467 Zur Beurteilung, ob Folter eine weit verbreitete und systematisch angewendete Praxis in Marokko ist, hat der Ausschuss neben VN-Mechanismen auch regionale Mechanismen sowie Berichte von Nichtregierungsorganisationen zitiert.468 Auch zur Beurteilung von Gefahren, die von Privaten ausgehen können, hat der Menschenrechtsausschuss Berichte anderer Mechanismen herangezogen.469 Anders als der Ausschuss gegen Folter, dessen Verfahrensregeln explizit vorsehen, dass dieser Materialien anderer Organisationen heranziehen kann,470 ist dies in den Verfahrensregeln des Menschenrechtsausschusses weniger eindeutig festgelegt. Gemäß Regel Nr. 102 Abs. 1 der Verfahrensregeln des Menschenrechtsausschusses soll dieser Individualbeschwerden ,im Lichte aller ihm zur Verfügung gestellten Informationen‘ prüfen und seine Entscheidungen hierauf stützen. Diese Formulierung lässt offen, ob es sich um die von den Parteien zur Verfügung gestellten Informationen handelt oder der Ausschuss sämtliche Quellen beachten kann, die er wählt. c) Entlastung des Vertragsstaates Wenn eine beschwerdeführende Person dargelegt hat, dass ein Risiko der Misshandlung durch die (drohende) Aufenthaltsbeendigung besteht, kann sich der Staat möglicherweise entlasten. Anders als der Ausschuss gegen Folter hat der Menschenrechtsausschuss eine weniger eindeutige Spruchpraxis zur Beweislastumkehr oder geteilten Beweislast für Fälle, in denen eine Einzelperson Schwierigkeiten hat, das Bestehen eines Risikos eindeutig nachzuweisen. Teilweise wird daher davon ausgegangen, es gebe keine Umkehr der Beweislast vor dem Menschenrechtsausschuss.471 Das ist jedoch nicht der Fall. Wie der Ausschuss gegen Folter hat auch der Menschenrechtsausschuss etabliert, dass eine Person, die behauptet, gefoltert worden zu sein dies oft nicht nachweisen kann, da nur der Staat Zugang zu den relevanten Informationen hat.472 Das hat auch Auswirkungen auf die Behauptung einer betroffenen Person im nationalen Risikobewertungsverfahren, im Zielstaat bereits gefoltert worden zu sein.473 Ebenso hat der Menschenrechtsausschuss die Beweislast
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§ 9.4. 468
CCPR, Merhdad Mohammad Jamshidian v. Belarus, 2471/2014, 08. November 2017,
CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010. So etwa zur Beurteilung der Lage in Somalia Berichte des UNHCR und des US Department of State, CCPR, A. A. S. v. Denmark, 2464/2014, 04. Juli 2016, § 7.6. 470 CAT, Rules of Procedure, Regel Nr. 118 Abs. 2. 471 B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (376). 472 CCPR, Bleier v. Uruguay, 030/1978, 29. März 1982, § 13.3; CCPR, Mukong v. Cameroon, 458/1991, § 9.2. 473 Wenn die beschwerdeführende Person im nationalen Verfahren angibt, Opfer von Folter zu sein, müssen die staatlichen Behörden auf Antrag ein medizinisches Gutachten erstellen 469
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klar auf den Vertragsstaat verlagert in Fällen, in denen dieser versucht, einen Verstoß gegen das Refoulementverbot durch diplomatische Zusicherungen abzuwehren.474 Tatsächlich verhält sich der Menschenrechtsausschuss aber in Fragen der Beweislast weniger eindeutig, als der Ausschuss gegen Folter. Im Fokus des Menschenrechtsausschusses steht die ordentliche Durchführung des nationalen Risikobewertungsverfahrens. Die Vorwürfe der beschwerdeführenden Person kann ein Staat dadurch zurückweisen, dass er ein den Anforderungen des Menschenrechtsausschusses entsprechendes Verfahren durchgeführt hat. aa) Durchführung eines ordentlichen Verfahrens Gemäß Artikel 2 Abs. 2 IPbpR sind die Vertragsstaaten in der Pflicht, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der den Schutz der Paktrechte ermöglicht. Im Rahmen seiner Abschließenden Bemerkungen in Staatenberichtsverfahren nach Artikel 40 IPbpR hat der Menschenrechtsausschuss deshalb mehrfach das Fehlen administrativer Vorgaben zur Prävention von Refoulement in der nationalen Gesetzgebung bemängelt und hierfür notwendige Elemente benannt.475 Hierzu gehören neben der Pflicht, Einreisenden ihr Asylersuchen zu ermöglichen und dem Verbot von Kollektivausweisungen etwa auch die Pflicht, einen Rechtsweg mit aufschiebender Wirkung gegen aufenthaltsbeendende Entscheidungen zu schaffen. Der Ausschuss empfiehlt auch die Zusammenarbeit mit dem UNHCR für solche Staaten, die über keinerlei gesetzlichen Rahmen zum Schutz vor Refoulement verfügen.476 Wenn eine Person im nationalen Verfahren gegen ihre geplante Aufenthaltsbeendigung vor und dabei angibt, ihr drohe im Zielstaat eine für das Refoulementverbot relevante Menschenrechtsverletzung, dann treffen diesen Staat Überprüfungspflichten, die mit denjenigen vergleichbar sind, welche den Staat träfen, wenn ihm selbst eine derartige Menschenrechtsverletzung vorgeworfen würde.477 Das bedeutet, dass Staat sicherstellen muss, dass die Einwände der betroffenen Person durch eine unabhängige und effektive Untersuchung entkräftet wurden.478 Der Menschenlassen. Der Menschenrechtsausschuss bezieht sich hier explizit auf die Praxis des Ausschusses gegen Folter. CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016, 26. März 2018, § 8.7. 474 CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 11.5. 475 CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Uzbekistan, 26. April 2005, CCPR/C/83/UZB, § 12; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Thailand, 08. Juli 2005, CCPR/CO/84/THA, § 17; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Ukraine, 28. November 2006, CCPR/C/UKR/CO/6, § 9; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Italy, 24. April 2006, CCPR/C/ITA/CO/5, § 15; CCPR, Concluding observations on the third periodic report of Hong Kong, China, 29. April 2013, CCPR/C/CHN-HKG/CO/3, § 9. 476 CCPR, Concluding observations on the third periodic report of Barbados, 11. Mai 2007, CCPR/C/BRB/CO/3, § 10. 477 S. Joseph/M. Castan, International Covenant on Civil and Political Rights, 9.161 – 9.173. 478 Siehe etwa CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 11.7.
II. Menschenrechtsausschuss
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rechtsausschuss orientiert sich hierbei am Wortlaut des Artikel 3 Abs. 2 AFK und verlangt vom Vertragsstaat die Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände einschließlich der allgemeinen Menschenrechtssituation im Zielstaat.479 Anders als der Ausschuss gegen Folter sieht sich der Menschenrechtsausschuss aber nicht dazu befähigt, sich eine allgemeine Überprüfungskompetenz der nationalen Verfahren anzumaßen: „The Committee recalls that it is generally for the organs of States parties to examine the facts and evidence of the case in order to determine whether such a risk exists, unless it can be established that the assessment was arbitrary or amounted to a manifest error or denial of justice.“480
Es liegt also grundsätzlich im Ermessen des Staates, die Tatsachen und Beweismittel in einem bestimmten Fall zu bewerten.481 Tatsächlich lässt der Menschenrechtsausschuss den Staaten einen großen Handlungsspielraum bei deren Durchführung der Risikobewertung und stellt nur selten Verstöße gegen den Pakt fest, wenn die betroffenen Personen nur Verfahrensfehler rügen.482 Oft lehnt der Ausschuss schon Fälle als unzureichend substantiiert ab, wenn sich die Beschwerdeführenden nur auf Abwägungsfehler im nationalen Verfahren berufen.483 In anderen Fällen hält er solche Individualbeschwerden für unbegründet.484 479 CCPR, X. v. Sweden, 1833/2008, § 5.18; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.2; CCPR, J. D. v. Denmark, 2204/2012, 26. Oktober 2016, § 11.3. 480 CCPR, Y. v. Canada, 2327/2014, 10. März 2016, § 10.3; CCPR, K. v. Denmark, 2393/ 2014, § 7.4; CCPR, X. v. Norway, 2474/2014, 05. November 2015, § 7.4. 481 CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.4; CCPR, A. A. v. Canada, 1819/2008, § 7.8; CCPR, Lin v. Australia, 1957/2010, § 9.3; CCPR, Y. v. Canada, 2327/2014, § 10.3; CCPR, K. v. Denmark, 2393/2014, § 7.4; CCPR, X. v. Norway, 2474/2014, § 7.4. 482 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 7 Rn. 54. 483 CCPR, Khan v. Canada, 1302/2004, 25. Juli 2006, § 5.4; CCPR, Dauphin v. Canada, 1792/2008, 28. Juli 2009, § 7.4; CCPR, A. v. Denmark, 2357/2014, § 7.5; CCPR, A. A. v. Canada, 1819/2008, § 7.8; CCPR, A. A. I. and A. H. A. v. Denmark, 2402/2014, 29. März 2016, § 6.6; CCPR, A. M. M. v. Denmark, 2415/2014, 14. Juli 2016, §§ 7.3 – 7.5; CCPR, R. G. et al. v. Denmark, 2351/2014, §§ 7.6 – 7.8; CCPR, D. and E. v. Denmark, 2293/2013, 28. März 2017, § 6.6; CCPR, E. P. and F. P. v. Denmark, 2344/2014, 02. November 2015, § 8.10; CCPR, I. A. K. v. Denmark, 2115/2011, 06. November 2016, § 9.10; CCPR, N. v. Denmark, 2426/2014, 23. Juli 2015, § 6.6; CCPR, V. R. and N. R. v. Denmark, 2745/2016, 14. Juli 2016, § 4.5; CCPR, A. H. S. v. Denmark, 2473/2014, § 7.6. 484 CCPR, A. P. J. v. Denmark, 2253/2013, 16. März 2017, §§ 9.4 – 9.6; CCPR, B. L. v. Australia, 2053/2011, 16. Oktober 2014, § 7.4; CCPR, F. M. v. Canada, 2284/2013, 05. November 2015, §§ 9.5 f.; CCPR, J. D. v. Denmark, 2204/2012, § 11.5; CCPR, K. v. Denmark, 2393/2014, §§ 7.5 f.; CCPR, N. S. v. Russia, 2192/2012, 27. März 2015, § 10.4; CCPR, P. T. v. Denmark, 2272/2013, § 7.4; CCPR, S. Z. v. Denmark, 2443/2014, 13. Juli 2016, § 9.8; CCPR, X. v. Canada, 2366/2014, 05. November 2015, § 9.5; CCPR, X. v. Norway, 2474/2014, §§ 7.5 – 7.8; CCPR, Mr. X and Ms. X v. Denmark, 2186/2012, 22. Oktober 2014, § 7.4; CCPR, Y. v. Canada, 2280/2013, 22. Juli 2015, § 7.6; CCPR, Y. v. Canada, 2327/2014, §§ 10.4 – 10.6; CCPR, Y. v. Canada, 2314/2013, 22. März 2016, §§ 7.4 – 7.6; CCPR, Z. v. Australia, 2049/2011, 18. Juli 2014, § 9.4; CCPR, Z. v. Denmark, 2329/2014, 15. Juli 2015, § 7.4; CCPR, Z. v.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Eine Überprüfungskompetenz räumt sich der Menschenrechtsausschuss dann ein, wenn die Risikobewertung im innerstaatlichen Verfahren eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellte. Allerdings entscheidet allein der Ausschuss, nach welchem Maßstab Verfahrensfehler eindeutig fehlerhaft oder willkürlich sind. Solche offensichtlichen Verfahrensfehler sollen etwa dann vorliegen, wenn die Frage, ob und inwieweit Folter in den Gefängnissen im Zielstaat praktiziert wird, falsch beurteilt wurde.485 Ebenso ist es ein offensichtlicher Verfahrensfehler, wenn das von der betroffenen Person beigebrachte Beweismaterial im innerstaatlichen Verfahren gänzlich missachtet wurde.486 Ein weiteres Beispiel für ein eindeutig fehlerhaftes Verfahren ist, dass der Staat im eigenen Risikobewertungsverfahren eingeräumt hat, dass im Zielstaat für bestimmte Menschen Gefahren bestehen, die gegen das Prinzip des Non-Refoulement verstoßen würden, diese Erkenntnis aber in Bezug auf die betroffene Person nicht berücksichtigt wurde.487 Allerdings sieht sich der Menschenrechtsausschuss in seiner jüngeren Praxis immer häufiger als zuständig an, auch weniger eindeutige Verfahrensfehler zu überprüfen.488 Wie sich auch an der Vielzahl abweichender Voten zeigt, besteht hierbei oft Uneinigkeit innerhalb des Ausschusses selbst.489 Unstreitig etabliert hat der Menschenrechtsausschuss jedenfalls, dass bei der Bewertung des Risikos im nationalen Verfahren stets eine Einzelfallbetrachtung stattfinden muss; ein bloßes Stützen der Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung auf allgemeine Lageberichte über den Zielstaat sei in keinem Fall ausreichend.490 Auch reiche es nicht aus, dass der Vertragsstaat den Zielstaat als allgemein harmlos einstuft. Wenn ein Vertragsstaat feststellt, dass im Zielstaat Folter praktiziert wird, könne der Staat das persönliche Risiko der betroffenen Person nicht allein deshalb verneinen, weil Folter und andere Misshandlung im Sinne des Artikel 7 IPbpR im
Denmark, 2422/2014, 11. März 2016, § 7.3; CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.3; CCPR, Lin v. Australia, 1957/2010, § 9.3. 485 CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010. 486 CCPR, A. H. v. Denmark, 2370/2014, 16. Juli 2015, § 8.8. 487 CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009, § 11.5. 488 Zum Beispiel zieht der Ausschuss den Ablauf des Individualbeschwerdeverfahrens als Argument für die eigene Kompetenz heran, das nationale Verfahren zu überprüfen. So sei die Durchführung eines besonders gründlichen innerstaatlichen Verfahrens dann angezeigt, wenn der Ausschuss bereits einstweilige Maßnahmen im Sinne von Verfahrensregel Nr. 94 angeordnet habe, CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, § 10.6. 489 Siehe etwa CCPR, M. S. aka M. H. H. A. D. v. Denmark, 2601/2015, 27. Juli 2017; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015; CCPR, A. A. I. and A. H. A. v. Denmark, 2402/2014; CCPR, A. A. S. v. Denmark, 2464/2014; CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/2009; CCPR, Rasappu and Rasappu v. Denmark, 2258/2013, 04. November 2015; CCPR, X. v. Denmark, 2389/2014, 22. Juli 2015; CCPR, E. U. R. v. Denmark, 2469/2014. Siehe auch F. de Weck, Nonrefoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 53. 490 CCPR, R. A. A. and Z. M. v. Denmark, 2608/2015, 28. Oktober 2016, § 7.8.
II. Menschenrechtsausschuss
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Zielstaat weder verbreitet noch systematisch angewendet werde.491 Auch reiche eine Überprüfung allein der Risiken eines Strafverfahrens im Zielstaat nicht aus.492 Das ergebe sich auch daraus, dass Gefahren für die betroffene Person nicht allein aus der staatlichen Praxis resultieren können. Bei der Beurteilung der Lage im Zielstaat müsse eine mögliche von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende Gefahr in Betracht gezogen werden sowie Gefahren, die sich aus der allgemeinen Lage im Zielstaat ergeben können.493 Der Fokus des Menschenrechtsausschusses auf das nationale Risikobewertungsverfahren ermöglicht es dem Ausschuss, trotz der grundsätzlichen Nichteinmischung in nationale Prozesse vielen Betroffenen Schutz zu bieten. So erkennt er zum Beispiel auch dann eine Verletzung der gerügten Paktrechte wegen Nichtdurchführung eines ordentlichen Verfahrens an, wenn der Staat im Rahmen des Individualbeschwerdeverfahrens schlicht keine Angaben zum eigenen Risikobewertungsverfahren gemacht hat.494 Auch bezüglich des Grundsatzes der Nichteinmischung in innerstaatliche Verfahren ist der Menschenrechtsausschuss aber nicht konsequent.495 Oft argumentiert er etwa auch dann, wenn ein ordentliches nationales Verfahren nachweislich stattgefunden hat, der Vertragsstaat aber eine Abwägungsentscheidung zu Ungunsten der betroffenen Person getroffen hat, der Staat habe die begutachteten Risikofaktoren falsch gewichtet, etwa weil er die besondere Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person nicht hinreichend berücksichtigt habe,496 oder auch weil den Darlegungen der betroffenen Personen in ihrer Gesamtheit nicht ausreichend Gewicht zugekommen sei.497 Weiter mischt er sich in Verfahren ein und benennt konkrete Verfahrensschritte, die der Staat hätte durchführen sollen, etwa die Einholung medizinischer Gutachten.498 Schließlich gibt es auch Fälle, in denen der Ausschuss trotz Anerkennung einer sorgfältigen Prüfung aller Risikofaktoren durch den Vertragsstaat feststellt, dass die Entscheidung des Staates zu Ungunsten der betroffenen Person falsch war.499
491
CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010, § 10.4. CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, 01. November 2004, §§ 11.3 f. 493 CCPR, Jose Henry Monge Contreras v. Canada, 2613/2015, 27. März 2017, §§ 8.9 f. 494 CCPR, Kesmatulla Khakdar v. Russia, 2126/2011, 17. Oktober 2014, § 11.4. 495 K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 397; F. de Weck, Non-refoulement under the European Convention on Human Rights and the UN Convention Against Torture, 53. 496 CCPR, A. A. S. v. Denmark, 2464/2014, § 7.7; CCPR, Omo-Amenaghawon v. Denmark, 2288/2013, 23. Juli 2015, § 7.5. 497 CCPR, Rasappu and Rasappu v. Denmark, 2258/2013, § 7.7; CCPR, X. v. Denmark, 2389/2014, §§ 7.6 f. 498 CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, §§ 8.3 f.; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016, § 8.7. 499 CCPR, M. S. aka M. H. H. A. D. v. Denmark, 2601/2015, § 9.3. 492
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Abgesehen von der Überprüfung nationaler Risikobewertungsverfahren darauf, ob sie fehlerhaft oder willkürlich waren oder eine Rechtsverweigerung darstellen, bleibt dem Ausschuss schließlich noch möglicherweise dann eine weitergehende Überprüfungskompetenz, wenn die betroffene Person neben dem Prinzip des NonRefoulement weitere Rechte aus dem IPbpR rügt, denn dann können innerhalb des innerstaatlichen Verfahrens weitere Abwägungen erforderlich werden. So ergibt sich aus dem besonderen Schutz von Kindern nach Artikel 24 IPbpR, dass eine junge Person, deren Alter nicht feststeht, ein Recht auf Feststellung des Alters hat, damit gegebenenfalls die Minderjährigkeit in der Abwägung berücksichtigt werden kann.500 Selbst wenn ein Abschiebungsverfahren einer Person an sich rechtmäßig durchgeführt wurde, kann vom Vertragsstaat ferner verlangt werden, dass der Vollzug der Abschiebung jedenfalls so lange ausgesetzt wird, bis die Verfahren bezüglich der Familienmitglieder dieser Person ebenfalls abgeschlossen sind, da nur dann eine ordentliche Abwägung mit Bezug auf die Rechte aus Artikel 17 Abs. 1 und 23 Abs. 1 IPbpR möglich ist.501 Der besondere Prüfungsschwerpunkt des Menschenrechtsausschusses auf dem nationalen Risikobewertungsverfahren hat im Übrigen nicht nur Auswirkungen auf Beweisfragen. Er hat auch erhebliche Auswirkungen auf die vom Ausschuss im Ergebnis geforderte Abhilfe. Wenn das Verfahren fehlerhaft durchgeführt ist reicht dies aus, damit der Menschenrechtsausschuss eine Verletzung des Prinzips des NonRefoulement feststellt. Das tatsächliche Vorliegen eines ernsthaften Risikos – oder in dem Fall, dass die Aufenthaltsbeendigung bereits erfolgt ist, die tatsächliche Rechtsverletzung – werden dann nicht mehr vom Ausschuss geprüft.502 bb) Einwirken auf das Risiko der Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement Die Staaten bringen auch vor dem Menschenrechtsausschuss eine Reihe von Strategien vor, um ordentliche Risikobewertungsverfahren zu verkürzen oder ganz auszusetzen, oder trotz der Absolutheit des Refoulementverbots im Einzelfall die geplante Aufenthaltsbeendigung durchführen zu können. Hierzu gehören wie auch vor dem Ausschuss gegen Folter Versuche zur Benennung sicherer Zielstaaten oder zumindest die Bestimmung sicherer Teilgebiete jener Staaten (interne Fluchtalternative), diplomatische Zusicherungen mit dem Zielstaat sowie das Argument, die Pflicht zum Non-Refoulement wegen konkurrierender Rechtspflichten nicht einhalten zu können.
500 501 502
CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, 07. November 2017, § 8.11. CCPR, Bakhtiyari v. Australia, 1069/2002, 29. Oktober 2003, § 9.6. CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, § 10.10. Siehe hierzu auch unten Kapitel D. II. 5.
II. Menschenrechtsausschuss
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(1) Interne Fluchtalternative Es besteht die Möglichkeit, dass die Staaten in ihren Risikobewertungsverfahren zwar eine ernsthafte Gefahr für die betroffene Person dem Grunde nach anerkennen, diese allerdings nur in einem bestimmten Gebiet des Zielstaates feststellen können und daher eine Verbringung der betroffenen Person in ein anderes Gebiet für ausreichend halten, um die Gefahr abzuwenden. In der Regel handelt es sich um interne Fluchtalternativen, das heißt für die Person soll innerhalb des Zielstaates nur eine lokale Gefahr bestehen. Denkbar ist aber auch, dass für die betroffene Person die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise in einen Drittstaat besteht, also eine externe Fluchtalternative.503 Während der Ausschuss gegen Folter diesem Argument kritisch begegnet und die Einschätzung einer Gefahr als bloß lokale Gefahr sehr differenziert betrachtet,504 stimmt der Menschenrechtsausschuss dieser Bewertung durch die Staaten mittlerweile505 generell zu.506 So machten die Ausschussmitglieder Neuman und Iwasawa im Jahr 2014 in einem Sondervotum zu einer Individualbeschwerde deutlich, dass der Ausschuss das Prinzip der internen Fluchtalternative als mit dem Prinzip des Non-Refoulement vereinbar anerkenne: „We write separately merely to point out that the Committee’s discussion in paragraph 7.4 reflects the well-established principle of the ,internal flight alternative‘, a basic rule of international refugee law as well as international human rights law. Individuals are not in need of international protection if they can avail themselves of the protection of their own State; if resettling within the State would enable them to avoid a localized risk, and resettling would not be unreasonable under the circumstances, then returning them to a place where they can live in safety does not violate the principle of non-refoulement.“507
Hiermit verbunden ist eine erneute Beweislastumkehr: Gelangt ein Staat innerhalb des nationalen Risikobewertungsverfahrens zu dem Ergebnis, dass das Risiko nur an einem bestimmten, meidbaren Ort besteht, so muss die betroffene Person nachweisen, dass die Gefahr auch in anderen Regionen des Zielstaates fortbestünde. Zwar zeigt dieser erste Fall des Menschenrechtsausschusses zum Problem der lokalen Gefahr mit seinen zahlreichen Sondervoten auch, dass hierzu große Uneinigkeit innerhalb des Ausschusses herrschte.508 Die zum Ausdruck gebrachte Anerkennung des Prinzips der internen Fluchtalternative und die hiermit verbun-
503
CCPR, L. M. A. v. Canada, 2970/2017, 23. Juli 2020, § 6.6. Siehe oben Kapitel D. I. 2. c) bb) (2). 505 Kritisch noch CCPR, Concluding Observations on the fifth periodic report of Norway, 25. April 2006, CCPR/C/NOR/CO/5, § 11. Demnach sei diese Praxis nur akzeptabel, wenn hierbei die Wahrung sämtlicher Menschenrechte der betroffenen Person garantiert werden könne. Diese strenge Auffassung hat der Ausschuss nicht erneut vertreten. 506 CCPR, B. L. v. Australia, 2053/2011, § 7.4. 507 Ebenda, Sondervotum Neuman und Iwasawa. 508 Siehe nur ebenda, Sondervotum Salvioli, §§ 5 – 7. 504
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
denen Konsequenzen für die Beweislast sind aber mittlerweile in der Praxis des Ausschusses fest etabliert.509 (2) Sichere Drittstaaten Eine häufig gewählte Strategie zur Entlastung ist der Versuch der Vertragsstaaten, sichere Herkunfts- oder Drittstaaten zu identifizieren. Ein Risikobewertungsverfahren soll dadurch entbehrlich oder jedenfalls abgekürzt werden, dass der Zielstaat allgemein und einzelfallunabhängig als sicher eingestuft wird. Das ist nicht nur im Rahmen von Abschiebungen in den Herkunftsstaat oder Auslieferungen relevant. Vielmehr kann die Definition der Nachbarstaaten als sicher den Staaten etwa eine unproblematische Abweisung an der Grenze oder Kollektivausweisungen ermöglichen. Allgemein hat sich der Menschenrechtsausschuss kritisch zur Anwendung des Konzepts sicherer Herkunfts- oder Drittstaaten geäußert und detaillierte Vorgaben zum prozessualen Mindeststandard für Verfahren zu Aufenthaltsbeendigungen gemacht.510 Im Zusammenhang mit sicheren Zielstaaten ist insbesondere die Praxis des Menschenrechtsausschusses zu den sogenannten Dublin-Verfahren zu beachten.511 Der Ausschuss hat in diesen Fällen eine besonders strenge Praxis zum Umgang mit sicheren Drittstaaten entwickelt. (3) Diplomatische Zusicherungen Weiterhin greifen die Vertragsstaaten zur Entlastung auf diplomatische Zusicherungen zurück. Gelegentlich unterlassen Staaten gründliche, einzelfallorientierte Risikobewertungsverfahren mit dem Hinweis auf verschiedene Arten von Abkommen mit dem Zielstaat. So argumentieren sie, dass diplomatische Zusicherungen eine Risikobewertung mindestens teilweise entbehrlich machen. Während der Ausschuss gegen Folter diplomatischen Zusicherungen allgemein skeptisch gegenüber steht und davon ausgeht, dass deren Vereinbarung bereits ein Indiz für das Bestehen einer ernsthaften Gefahr sei,512 nimmt der Menschenrechtsausschuss eine neutrale Haltung ein. Allgemein sind demnach das Bestehen diplo509
CCPR, E. P. and F. P. v. Denmark, 2344/2014, §§ 8.9 f. CCPR, Concluding Observations on Estonia, 15. April 2003, CCPR/C/77/EST, § 13; CCPR, Concluding Observations on the third periodic report of Serbia, 10. April 2017, CCPR/ C/SRB/CO/3, § 33; CCPR, Concluding Observations New Zealand, 07. April 2010, CCPR/C/ NZL/CO/5, § 16; CCPR, Concluding Observations on France, 31. Juli 2008, CCPR/C/FRA/ CO/4, § 20. 511 Nach der Dublin III-Verordnung der Europäischen Union muss ein Asylverfahren im ersten Staat der Europäischen Union durchgeführt werden, dessen Territorium die asylsuchende Person betritt. Hierdurch wird es europäischen Staaten erleichtert, Menschen, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewesen sind, in diese zurückzuschicken. Siehe ausführlich zur Praxis des Ausschusses im Zusammenhang mit der Dublin-Verordnung unten Kapitel D. II. 3. d). 512 Siehe hierzu oben Kapitel D. I. 2. c) bb) (4). 510
II. Menschenrechtsausschuss
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matischer Zusicherungen, deren Art und Umfang sowie mit ihnen verbundene Durchsetzungsmechanismen Faktoren, die bei der Frage nach dem Bestehen einer ernsthaften Gefahr des irreparablen Schadens eines für das Prinzip des Non-Refoulement relevanten Rechtsguts zu berücksichtigen sind.513 In Judge v. Canada, dem ersten Fall, in dem der Menschenrechtsausschuss eine Verletzung von Artikel 6 IPbpR wegen einer Auslieferung annahm, hatte der Ausschuss angedeutet, dass ein ausliefernder Staat jedenfalls dann nicht Artikel 6 Abs. 1 IPbpR zuwiderhandele, wenn er die Vollziehung der Todesstrafe im Zielstaat verhindert.514 Hieraus lässt sich bereits schließen, dass der Ausschuss diplomatische Zusicherungen grundsätzlich befürwortet. Tatsächlich sind nach mittlerweile etablierter Praxis des Menschenrechtsausschusses diplomatische Zusicherungen zwar nicht allgemein irrelevant, aber oft unzureichend. In einem frühen Fall zum Prinzip des Non-Refoulement, Alzery v. Sweden, hatte Schweden selbst erkannt, dass ein ernsthaftes Risiko der Folter bei Abschiebung nach Ägypten bestehen würde und den Versuch unternommen, allein durch diplomatische Zusicherungen dieses Risiko abzuwenden. Der Menschenrechtsausschuss gelangte zu dem Schluss, dass die im konkreten Fall vereinbarten Zusicherungen jedenfalls nicht geeignet waren, das Folterrisiko zu beseitigen, da sie keinerlei Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen vorsahen.515 In seiner hierauf folgenden Praxis hat der Ausschuss die in Alzery v. Sweden verlangten Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen als Mindeststandard für diplomatische Zusicherungen festgelegt.516 Ebenfalls unzureichend sind diplomatische Zusicherungen allerdings dann, wenn der Staat nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung solche vereinbarten Durchsetzungs- und Überwachungsmechanismen tatsächlich nicht nutzt.517 In seinen Abschließenden Bemerkungen im Rahmen von Staatenberichtsverfahren hat der Menschenrechtsausschuss mehrfach festgestellt, dass diplomatische Zusicherungen wirkungsloser sind, je systematischer und verbreiteter nach Artikel 7 IPbpR verbotene Praktiken im Zielstaat sind.518 Gleichzeitig nutzt er die Ab-
513 CCPR, Maksudov and Rakhimov, Tashbaev and Pirmatov v. Kyrgyzstan and Uzbekistan, 1461/2006, 1462/2006, 1476/2006, 1477/2006, § 12.4; CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 11.3; CCPR, Valetov v. Kazakhstan, 2104/2011, 17. Mai 2014, § 14.5. 514 CCPR, Judge v. Canada, 829/1998, § 10.6. Diese Ansicht vertrat der Ausschuss auch in den hierauf folgenden Individualbeschwerden, siehe CCPR, Kwok v. Australia, 1442/2005, §§ 9.7 ff. 515 CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, §§ 11.3 – 11.5. 516 CCPR, Maksudov and Rakhimov, Tashbaev and Pirmatov v. Kyrgyzstan and Uzbekistan, 1461/2006, 1462/2006, 1476/2006, 1477/2006, § 12.5; CCPR, Valetov v. Kazakhstan, 2104/ 2011, § 14.5. 517 CCPR, Valetov v. Kazakhstan, 2104/2011, § 14.6. 518 CCPR, Concluding Observations on Russia, 24. November 2009, CCPR/C/RUS/CO/6, § 17; CCPR, Concluding Observations on France, § 20; CCPR, Concluding Observations on
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
schließenden Bemerkungen zum Aufstellen weiterer Kriterien zur Durchführung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bei Vorliegen diplomatischer Zusicherungen: „The State party should exercise the utmost care in the use of such assurances and adopt clear and transparent procedures allowing review by adequate judicial mechanisms before individuals are deported, as well as effective means to monitor the fate of the affected individuals.“519 „refrain from relying on such assurances where the State party is not in a position to effectively monitor the treatment of such persons after their extradition, expulsion, transfer or return to other countries; and take appropriate remedial action when assurances are not fulfilled.“520
Der Menschenrechtsausschuss hat auch schon im Rahmen der Feststellung einer Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement angeregt, der Staat könnte mit dem Einholen adäquater Zusicherungen in einem erneuten Verfahren zu einer rechtmäßigen Abschiebeentscheidung kommen.521 Das tut der Menschenrechtsausschuss auffallend häufig im Zusammenhang mit den sogenannten Dublin-Verfahren.522 Er hat sogar schon in Fällen, in denen er keine Paktverletzung festgestellt hat, von Dänemark verlangt, die Rückführung zuvor mit den Behörden im Zielstaat zu koordinieren.523 (4) Andere rechtliche Verpflichtungen Ein weiteres Argument von Staaten, warum sie das von der betroffenen Person befürchtete Risiko nicht gründlich im nationalen Verfahren überprüfen oder trotz bestehenden Risikos zu Ungunsten der Person entscheiden, ist das Vorliegen konthe United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, 30. Juli 2008a, CCPR/C/GBR/CO/ 6, § 12. 519 CCPR, Concluding Observations on Russia, § 17; CCPR, Concluding Observations on France, § 20; CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, § 12. Siehe auch ähnlich CCPR, Concluding observations on the second periodic report of Kazakhstan, 15. Juli 2016, CCPR/C/KAZ/CO/2, §§ 43 f.; CCPR, Concluding observations on the fourth periodic report of the United States of America, 27. März 2014, CCPR/C/USA/CO/4, § 13; CCPR, Concluding observations on the third periodic report of the United States of America, 15. September 2006, CCPR/C/USA/CO/3, § 16; CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, 23. Juli 2015b, CCPR/C/GBR/CO/7, § 19; CCPR, Concluding observations on the second periodic report of Tajikistan, 22. August 2013, CCPR/C/TJK/CO/2, § 12. 520 CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, § 19. 521 CCPR, Warda Osman Jasin v. Denmark, 2360/2014, 22. Juli 2015, § 10; CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, 10. März 2017, § 9; CCPR, R. A. A. and Z. M. v. Denmark, 2608/2015, § 9. 522 Siehe ausführlich unten Kapitel D. II. 3. d). 523 CCPR, A. S. M. and R. A. H. v. Denmark, 2378/2014, § 9; CCPR, B. M. I. and N. A. K. v. Denmark, 2569/2015, 28. Oktober 2016, § 9; CCPR, M. A. S. and L. B. H. v. Denmark, 2585/ 2015, 08. November 2017, § 9.
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kurrierender rechtlicher Verpflichtungen. Es sei ihnen rechtlich nicht möglich, auf die aufenthaltsbeendende Maßnahme zu verzichten, da sie völkerrechtlich verpflichtet seien, die Person in den Zielstaat zu übergeben. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn gegenüber dem Zielstaat eine vertragliche Pflicht, zum Beispiel aus einem Auslieferungsabkommen, zur Übergabe der betroffenen Person besteht. Breits in einer seiner ersten Entscheidungen zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Menschenrechtsausschuss klargestellt, dass anderweitige vertragliche Verpflichtungen im Einklang mit den Paktverpflichtungen ausgelegt werden müssen: „States parties to the Covenant will often also be party to various bilateral obligations, including those under extradition treaties. A State party to the Covenant is required to ensure that it carries out all its other legal commitments in a manner consistent with the Covenant. The starting point for an examination of this issue must be the obligation of the State party under article 2, paragraph 1, of the Covenant, namely, to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the Covenant.“524
Während das Recht der Vertragsstaaten, mit anderen Staaten Auslieferungsabkommen zu schließen, durch den IPbpR in keiner Weise eingeschränkt wird,525 lassen sich aus solchen Verträgen also keine Gründe ableiten, um ein einzelfallbezogenes Risikobewertungsverfahren zu unterlassen oder zu verkürzen.526 Ebenso wurde argumentiert, dass sich aus dem IPbpR selbst konkurrierende Rechtspflichten ergeben. So gab Spanien im Fall Aarrass v. Spain an, es habe die Person abschieben müssen, da es andere Menschenrechte des Beschwerdeführers nicht durch eine überlange Abschiebehaft verletzen wollte.527 Diese Argumentation ist vom Menschenrechtsausschuss ebenfalls abgelehnt worden. d) Relevanter Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos Für die Frage des relevanten Zeitpunkts zur Beurteilung des Risikos ist, wie auch vor dem Ausschuss gegen Folter, wesentlich, ob die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde. Ob der Staat mit seiner vollzogenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den IPbpR verstoßen hat muss anhand der Informationen bewertet werden, die dem Staat zum Zeitpunkt des Vollzugs der Maßnahme zur Verfügung standen oder hätten stehen sollen.528 Ein anschauliches Beispiel hierfür bildet der Fall Ioane Teitiota v. New Zealand. Der Menschenrechtsausschuss machte darin deutlich, dass die Folgen des Klimawandels zwar inzwischen eine so große Bedrohung für die Einwohner des Insel524
CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 13.1. CCPR, Giry v. Dominican Republic, 193/1985, 20. Juli 1990, § 5.5. 526 Siehe etwa auch CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Australia, § 33 (a). 527 CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010, § 6.2. 528 CCPR, Israil v. Kazakhstan, 2024/2011, 31. Oktober 2011, § 9.3; CCPR, Ioane Teitiota v. New Zealand, 2728/2016, § 9.13. 525
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staates Kiribati darstellen, dass eine Abschiebung hierher einen Verstoß gegen das Recht auf Leben aus dem Pakt darstellen könnte, dass aber Neuseeland die Abschiebung bereits 2015, also vier Jahre vor der Befassung durch den Ausschuss, durchgeführt hat.529 Nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses war es jedenfalls nach damaligem Kenntnisstand nicht willkürlich oder grob fehlerhaft, dass die neuseeländischen Behörden die Folgen der Abschiebung von Ioane Teitiota nicht als lebensgefährlich einstuften.530 Da es aber dank der mittlerweile weit überwiegenden Einhaltung der einstweiligen Maßnahmen heute oft zum Zeitpunkt der Entscheidung des Menschenrechtsausschusses noch gar nicht zur Aufenthaltsbeendigung gekommen ist, spielt diese etablierte Praxis des Menschenrechtsausschusses nur noch selten eine Rolle. Fraglich ist hier, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, um zu beurteilen, ob die Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung, wenn sie vollzogen würde, die Paktrechte der betroffenen Person verletzen würde. Als entscheidungsrelevanter Zeitpunkt kommen in dem Regelfall der temporär ausgesetzten Aufenthaltsbeendigung zwei Punkte in Betracht: der Zeitpunkt der letzten nationalen Entscheidung oder der Zeitpunkt der Entscheidung der Individualbeschwerde durch den Menschenrechtsausschuss. Die Ergebnisse dieser beiden Betrachtungen können sehr unterschiedlich sein. Oft liegen mehrere Jahre zwischen der letzten staatlichen Entscheidung und der Entscheidung des Ausschusses. In der Zwischenzeit kann sich die allgemeine Lage im Zielstaat deutlich geändert haben, die betroffene Person kann durch einen Regimewechsel nicht länger ihre politische Verfolgung fürchten oder die besondere Schutzbedürftigkeit einer Person wegen der eigenen Minderjährigkeit oder der Reise mit Kleinkindern kann sich erledigt haben. Während der Ausschuss gegen Folter nach anfänglichem Zögern mittlerweile eindeutig etabliert hat, dass auf den Zeitpunkt seiner eigenen Entscheidung abzustellen ist,531 ist die Praxis des Menschenrechtsausschusses weit weniger eindeutig. Der Menschenrechtsausschuss hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten immer wieder zwischen den beiden Zeitpunkten gewechselt oder auch beide Zeitpunkte als relevant angesehen. Wie gezeigt, spielt im Vergleich zum Ausschuss gegen Folter die ordentliche Durchführung des nationalen Risikobewertungsverfahrens im Verfahren vor dem Menschenrechtsausschuss eine übergeordnete Rolle. Da hierdurch viele Feststellungen von Verletzungen des Prinzips des Non-Refoulement nach dem IPbpR ausschließlich auf Verfahrensfehlern beruhen, ist hier offensichtlich der relevante Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos jener der letzten staatlichen Entscheidung.532 529
CCPR, Ioane Teitiota v. New Zealand, 2728/2016, § 9.13. Ebenda, § 9.14. 531 Siehe oben Kapitel D. I. 2. e). 532 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, §§ 11.3 f.; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009, § 11.5; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.3; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, §§ 8.3 – 8.5; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016, § 8.7. 530
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Da die beschwerdeführenden Personen sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Menschenrechtsausschusses noch in dem Staat befinden, gegen den sich die Individualbeschwerde richtet, stellt der Ausschuss dann fest, dass eine Aufenthaltsbeendigung die Rechte der betroffenen Person aus dem Pakt verletzen würde. Die Rechtsfolgen, die der Menschenrechtsausschuss hieran knüpft, unterscheiden sich aber nicht von denjenigen, welche die Feststellung einer begangenen Verletzung mit sich bringt.533 In den genannten Fällen, in denen der Menschenrechtsausschuss eine Verletzung des IPbpR allein aufgrund eines Verfahrensfehlers angenommen hat, verlangte er neben der Rücknahme der Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung und einer vollständigen erneuten Durchführung des Verfahrens534 sowie der Aussetzung des Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung bis zum Abschluss dieser Verfahren535 ferner, dass der Staat vergleichbare Paktverletzungen zukünftig vermeidet.536 Der Staat wird also, obwohl er die eigene Entscheidung nicht vollzogen hat, genauso behandelt, wie ein Staat, der die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen hat. Die Paktverletzung liegt damit allein in der unzureichenden Durchführung des Verfahrens, das zu der Entscheidung geführt hat. Aber auch in Fällen, in denen entscheidender Kritikpunkt des Menschenrechtsausschusses nicht Verfahrensfehler sind, hat er schon auf den Zeitpunkt der nationalen Entscheidung abgestellt. Er hat dann sogar anders als in den soeben genannten Fällen nicht entschieden, dass ein Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Rechte der betroffenen Person verletzen würde, sondern dass bereits die letztinstanzliche Entscheidung selbst, unabhängig von ihrem Vollzug, den Pakt verletzt.537 Diese Vorgehensweise ist allerdings von einzelnen Ausschussmitgliedern im Rahmen eines Sondervotums kritisiert worden. Es sei nicht möglich, nur die letzte nationale Entscheidung zu berücksichtigen, da auch der Staat möglicherweise zum Jahre später liegenden Zeitpunkt der Entscheidung des Menschenrechtsausschusses aufgrund einer Veränderung der Umstände zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre und ihm daher die Rechtswidrigkeit einer nicht vollzogenen Entscheidung nicht zur Last gelegt werden könne.538 533 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 13; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/ 2009, § 13; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, § 10; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016, § 10. Siehe hierzu auch unten Kapitel D. II. 5. a). 534 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 13; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/ 2009, § 13; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.6; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, § 10; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016, § 10. 535 CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, § 10; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/ 2016, § 10. 536 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 13; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/ 2009, § 13. 537 CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, 22. Juli 2011, §§ 10.2 f. 538 Ebenda, abweichendes Votum Rodley und Thelin.
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In der Tat hatte der Ausschuss in einem dieser Kritik vorangegangenen Fall unmissverständlich befunden, der relevante Zeitpunkt zur Beurteilung könne nur derjenige der Entscheidung des Ausschusses sein: „The Committee observes that in cases of imminent deportation the material point in time for assessing this issue must be that of its consideration of the case.“539
Auch in seiner späteren Praxis finden sich einige Fälle, in denen der Menschenrechtsausschuss davon auszugehen scheint, dass allein der Zeitpunkt seiner eigenen Entscheidung relevant sein könne. Er verwendet dann ebendiese Formulierung.540 Anders aber als die beiden Ausschussmitglieder im genannten Sondervotum zu X. H. L. v. The Netherlands, die eine staatliche Verantwortlichkeit gerade nicht zeitlich ausweiten wollten, vertritt der Menschenrechtsausschuss in jenen Fällen offenbar die Ansicht, der Staat habe in Beschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement eine Pflicht, das Risiko kontinuierlich neu zu bewerten, bis es zum Vollzug der Aufenthaltsbeendigung kommt. Während relevanter Zeitpunkt zur staatlichen Beurteilung des Refoulement-Risikos jener der Entscheidung des Menschenrechtsausschusses sei, ergebe sich daraus nicht, dass der Menschenrechtsausschuss selbst zu jenem Zeitpunkt eine Risikobewertung vornehmen müsse, da dies in der Verantwortung der Staaten liege: „The Committee recalls that, in cases of imminent deportation, the material point in time for assessing the issue must be that of its own consideration of the case. Accordingly, in the context of the communications procedure under the Optional Protocol, in assessing the facts submitted to its consideration by the parties, the Committee must also take into account new developments brought to its attention by the parties that might have an impact on the risks that an author subject to removal could face. In the present case, the information in the public domain has signalled a significant deterioration in the situation in Kabul in recent times. However, on the basis of the information in the case file, the Committee is not in a position to assess the extent to which the current changed situation in their country of origin may impact the authors’ personal risk. In this context, the Committee recalls that it remains the responsibility of the State party to assess continuously the risk that any person would face in case of return to another country before the State takes any final action regarding his or her deportation or removal.“541
Obwohl der Menschenrechtsausschuss mit dieser Formulierung den Verantwortungsbereich der Staaten mit Bezug auf das Prinzip des Non-Refoulement zeitlich drastisch ausweitet, handelt es sich bei allen genannten Fällen um Entscheidungen, in denen der Ausschuss im Ergebnis keinen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Re-
539 CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/2001, 26. Juli 2004, § 9.8. Ähnlich bereits zuvor CCPR, Bakhtiyari v. Australia, 1069/2002, § 8.4. 540 CCPR, S. Z. v. Denmark, 2625/2015, 28. Juli 2016, § 7.9; CCPR, K. S. and M. S. v. Denmark, 2594/2015, 07. November 2017, § 6.5; CCPR, H. A. v. Denmark, 2328/2014, 08. Juli 2018, § 9.8; CCPR, J. I. v. Sweden, 3032/2017, 13. März 2020, § 7.8. 541 CCPR, K. S. and M. S. v. Denmark, 2594/2015, § 6.5. Ähnlich CCPR, J. I. v. Sweden, 3032/2017, §§ 7.8 f.
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foulement festgestellt hat.542 Eine klare Direktive, in welchem Umfang den Staat auch nach seiner letztinstanzlichen Entscheidung Pflichten zur Risikoeinschätzung treffen, ist also nicht zu erkennen.543 Eine ebenfalls häufige Praxis des Menschenrechtsausschusses ist es, sich nicht zum nach seiner Ansicht relevanten Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos zu äußern und sowohl das Verfahren des Vertragsstaates mit Blick auf den damaligen Stand der Kenntnis zu überprüfen als auch neuere Erkenntnisse oder Entwicklungen hinzuzuziehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Alter der betroffenen Person relevant ist. So hat er im Fall Kaba v. Canada zur Frage der Wahrscheinlichkeit einer drohenden Genitalverstümmelung argumentiert, dass dadurch, dass das betroffene Mädchen auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Ausschusses erst 15 Jahre alt war, das Risiko (noch) fortbestehe.544 In weiteren Fällen hat er nach der Feststellung, dass im nationalen Verfahren der besonderen Schutzbedürftigkeit der betroffenen Personen nicht genügend Rechnung getragen wurde, unterstützend darauf hingewiesen, dass es sich um eine Familie handele, deren jüngste Kinder zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den Menschenrechtsausschuss noch immer minderjährig waren,545 und zwar sogar in einem Fall, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Erhebung der Individualbeschwerde noch gar nicht geboren war.546 Auch Veränderungen der allgemeinen Lage im Zielstaat kann der Menschenrechtsausschuss so mit einbeziehen. Im Fall M. K. H. v. Denmark etwa hat der Menschenrechtsausschuss erst festgestellt, dass zum Zeitpunkt der letzten staatlichen Entscheidung die Annahme, dass der Beschwerdeführer wohl eher volljährig als minderjährig war, einen prozessualen Fehler darstellte,547 und anschließend auf die zum Zeitpunkt seiner eigenen Entscheidung besonders vordringliche Homophobie im Zielstaat hingewiesen.548 Diese Herangehensweise spiegelt einen Kerngedanken des Prinzips des NonRefoulement wider. Das Prinzip verschafft niemandem ein Aufenthaltsrecht, sondern verhindert aufenthaltsbeendende Maßnahmen nur so lange, wie das Risiko fortbesteht. Hätte also etwa im Fall Kaba v. Canada zum Zeitpunkt der Entscheidung des Menschenrechtsausschusses das Risiko einer Genitalverstümmelung nicht mehr bestanden, hätte der Ausschuss zwar feststellen können, dass die Abschiebeent542
CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/2001, § 10; CCPR, S. Z. v. Denmark, 2625/2015, § 8; CCPR, H. A. v. Denmark, 2328/2014, § 10; CCPR, K. S. and M. S. v. Denmark, 2594/2015, § 8; CCPR, J. I. v. Sweden, 3032/2017, § 8. 543 Dies wurde schon von K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 397, kritisiert. Die neuere Praxis des Ausschusses schafft keine Klarheit. 544 CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006, § 10.2. 545 CCPR, R. I. H. et al. v. Denmark, 2640/2015, § 8.6. 546 CCPR, R. A. A. and Z. M. v. Denmark, 2608/2015, §§ 7.7 f. 547 CCPR, M. K. H. v. Denmark, 2462/2014, 12. Juli 2016, § 8.7. 548 Ebenda, § 8.8.
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scheidung Kanadas gegen den Pakt verstoßen hat, er hätte aber nicht verlangen können, dass Kanada zum Zeitpunkt der Entscheidung der Individualbeschwerde noch von einer Abschiebung absieht.549 Es handelt sich bei den dargestellten Herangehensweisen jedoch leider nicht um eine kontinuierliche Entwicklung der Praxis des Menschenrechtsausschusses in eine bestimmte Richtung. Vielmehr handelt der Ausschuss inkonsequent. Neben den genannten Fällen mit eindeutiger Benennung des relevanten Zeitpunkts und jenen, in denen der Ausschuss beide Zeitpunkte heranzieht, tragen auch die gelegentlichen Entscheidungen, in denen einzelne Ausschussmitglieder in Sondervoten den Menschenrechtsausschuss für die Wahl des Zeitpunkts kritisieren,550 zu fortbestehender Unsicherheit bei. 3. Materielles Schutzgut Wie bereits erläutert, ergibt sich das Prinzip des Non-Refoulement nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des IPbpR. Der Menschenrechtsausschuss musste sich Inhalt und Reichweite des nach dem IPbpR möglichen Schutzes vor Refoulement erarbeiten. Eine frühe Gelegenheit, sich zur Relevanz des IPbpR bei Aufenthaltsbeendigungen zu äußern, hatte der Menschenrechtsausschuss erstmalig 1990.551 In diesem Fall hatte der Beschwerdeführer, ein Spanier, erfolglos Asyl in Finnland gesucht und seine Individualbeschwerde gegen Finnland gerichtet, da dieses ihn nach Spanien ausgeliefert hatte. Auch wenn hier keine Verletzung von Artikel 7 IPbpR festgestellt wurde, erklärte der Menschenrechtsausschuss doch mit seiner Begründung, der Beschwerdeführer habe die Wahrscheinlichkeit einer drohenden Folter nicht hinreichend substantiiert dargelegt, jedenfalls die Möglichkeit einer solchen substantiierten Darlegung der Verletzung von Artikel 7 IPbpR eines Staates durch Aufenthaltsbeendigung für gegeben.552 Dies hatte der Menschenrechtsausschuss zudem bereits in seinem General Comment Nr. 15 von 1986 zum Status von ausländischen Staatsangehörigen angedeutet. Demnach könne jedenfalls unter gewissen Umständen einem ausländischen Staatsangehörigen mit Bezug auf Einreise und Aufenthalt Schutz zuteilwerden, wenn Fragen des Verbots unmenschlicher Behandlung betroffen sind.553 In seinem 1992 veröffentlichten General Comment Nr. 20 zum Verbot der Folter oder anderer 549 So CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006, § 10.4. Zur Wirkung von Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses siehe unten Kapitel D. II. 5. 550 CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, abweichendes Votum Rodley und Thelin. Spiegelbildlich CCPR, Rasappu and Rasappu v. Denmark, 2258/2013, abweichendes Votum Shany, Seibert-Fohr und Vardzelashvili, §§ 3 – 5. 551 CCPR, Torres v. Finland, 291/1988. 552 Ebenda, § 6. 553 CCPR, General Comment No. 15, § 5.
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grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe benannte der Ausschuss das Prinzip des Non-Refoulement erstmals klar als Teil des Artikel 7 IPbpR.554 Demnach sollten die Staaten jedenfalls darüber berichten, welche Maßnahmen sie diesbezüglich treffen. Die beiden ersten Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses, die dessen noch heute geltende Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement widerspiegeln, stammen aus dem Jahr 1993. In Kindler v. Canada und einige Monate darauf in Ng v. Canada befand der Menschenrechtsausschuss, dass das Folterverbot des Artikel 7 IPbpR dadurch verletzt werden kann, dass ein Staat eine Person in einen anderen Staat verbringt, in dem der Person Folter droht.555 Diese Entwicklung ist auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückzuführen. Dieser hatte 1989 entschieden, dass die Auslieferung des deutschen Jens Söring an die USA gegen Artikel 3 EMRK verstoße. Selbst wenn die USA die Todesstrafe nicht vollstreckten, stelle das sogenannte Todeszellenphänomen, also die psychische Belastung eines Gefangenen in einer Todeszelle, eine Misshandlung im Sinne des Artikel 3 EMRK dar.556 Wie auch Artikel 7 IPbpR unterscheidet sich Artikel 3 EMRK von Artikel 3 AFK derart, dass dieser lediglich ein Verbot der Folter und ähnlicher Misshandlung enthält, nicht aber eine explizite Regelung für die Aufenthaltsbeendigung an einen anderen Ort, an dem eine solche Menschenrechtsverletzung droht. Die Begründung des EGMR zur Anwendbarkeit des EMRK-Folterverbots auf einen Auslieferungsfall war also für den Menschenrechtsausschuss in großen Teilen übertragbar. So wundert es nicht, dass in Kindler v. Canada und auch in Ng v. Canada nicht nur die Beschwerdeführer, sondern auch der Menschenrechtsausschuss sich extensiv zu dem Fall Soering v. United Kingdom und dessen Implikationen für die Auslegung des Artikel 7 IPbpR geäußert hat. a) Drohender irreparabler Schaden für ein mit Artikel 6 oder 7 IPbpR vergleichbares Rechtsgut Nachdem der Menschenrechtsausschuss in seiner frühen Praxis ein Prinzip des Non-Refoulement aus Artikel 7 IPbpR abgeleitet hat, formuliert er dieses heute deutlich weiter. Er sieht in jeder Herbeiführung einer Gefahr eines irreparablen Schadens einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement: „Moreover, the article 2 obligation requiring that States Parties respect and ensure the Covenant rights for all persons in their territory and all persons under their control entails an obligation not to extradite, deport, expel or otherwise remove a person from their territory,
554 CCPR, General Comment No. 20 on Article 7 (Prohibition of Torture, or Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment), 10. März 1992, § 9. 555 CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 13.2; CCPR, Ng v. Canada, 469/1991, § 17. 556 EGMR, Soering v. United Kingdom, 14038/88, §§ 81 ff.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
where there are substantial grounds for believing that there is a real risk of irreparable harm, such as that contemplated by articles 6 and 7 of the Covenant.“557
General Comment Nr. 31 nennt zwar hier die Artikel 6 und 7 IPbpR als Beispiele für solche Rechtsgüter. Der Menschenrechtsausschuss hat jedoch klargestellt, dass die vorliegend beschriebene Pflicht sich nicht auf Gefahren für die Rechte aus Artikel 6 und 7 IPbpR beschränken lässt.558 Mit der Erkenntnis, dass ein Vertragsstaat gegen seine Pflichten aus dem IPbpR verstößt, wenn er Menschen an Orte schickt, wo ihnen eine Behandlung droht, die dem Staat selbst durch den IPbpR verboten ist,559 hat sich der Menschenrechtsausschuss selbst die Möglichkeit gegeben, Menschen vor Misshandlung der unterschiedlichsten Art zu schützen. So hat er im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte eine sehr ausgefeilte Praxis zum Prinzip des NonRefoulement entwickelt, die weit über seine ursprünglichen Erwägungen zu Artikel 7 IPbpR hinausgeht. Dennoch rügen beschwerdeführende Personen, die durch ihre Aufenthaltsbeendigung einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement fürchten, in aller Regel jedenfalls auch die Artikel 6 und/oder 7 IPbpR. Das Verbot der Folter und vergleichbarer Misshandlung nach Artikel 7 IPbpR sowie das Recht auf Leben nach Artikel 6 IPbpR sind Garantien, die nach Artikel 4 Abs. 2 IPbpR nicht derogierbar sind. Das heißt, sie gelten absolut. Dies gilt auch für andere Rechte aus dem Pakt, die mit den Artikeln 6 oder 7 IPbpR in Verbindung stehen, sofern über eine Einschränkung dieser Rechte, etwa das Recht auf ein faires Verfahren, auch eine Beschränkung der absoluten Rechte einhergehen würde.560 Nach der Praxis des Menschenrechtsausschusses gilt dies auch für das Prinzip des Non-Refoulement, soweit der betroffenen Person eine Behandlung im Sinne der Artikel 6 oder 7 IPbpR droht.561 Der personelle Schutzbereich des Refoulementverbots nach dem IPbpR ist ebenfalls absolut. Insoweit unterscheidet der Menschenrechtsausschuss klar zwi557
CCPR, General Comment No. 31, § 12. So etwa gegen ebendieses Argument des Staates CCPR, Khan v. Canada, 1302/2004, § 5.6. Zur Wechselbeziehung von anderen Paktrechten mit jenen aus Artikel 6 und 7 IPbpR siehe etwa CCPR, Z. v. Australia, 2049/2011, § 8.3. 559 Aus der Tatsache, dass der Menschenrechtsausschuss das Prinzip des Non-Refoulement nach dem IPbpR aus Vorschriften ableitet, die gerade keine Aufenthaltsbeendigung voraussetzen, können anders als etwa im Rahmen des Artikel 3 Abs. 1 AFK oder Artikel 33 Abs. 1 GFK keine Anforderungen daran gestellt werden, was ein ,anderer Ort‘ ist. Es ist mithin nicht erforderlich, dass die Person von einem Staatsgebiet in ein anderes Staatsgebiet verbracht wird. Jede Verbringung an einen Ort, an dem eine nach dem Refoulementbegriff des Menschenrechtsausschusses relevante Gefahr besteht, ist ausreichend. Siehe auch K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 405. 560 CCPR, General Comment No. 36, § 67. 561 Siehe etwa CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee on Canada, 20. April 2006, CCPR/C/CAN/CO/5, § 15; CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, § 10.10; CCPR, Merhdad Mohammad Jamshidian v. Belarus, 2471/2014, § 9.5. 558
II. Menschenrechtsausschuss
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schen dem flüchtlingsrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement und jenem aus dem IPbpR.562 Aber auch territorial versteht der Menschenrechtsausschuss das Prinzip des NonRefoulement weit. Abweisungen an der Grenze und das Abfangen und Zurückweisen auf Hoher See werden demnach vom Prinzip des Non-Refoulement erfasst.563 Verboten ist neben der direkten Überstellung einer Person in einen Staat, in dem für die Person eine ernsthafte Gefahr eines irreparablen Schadens besteht, auch das sogenannte Kettenrefoulement. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme kann also auch dann einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement darstellen, wenn vorgesehen ist, die Person in einen Staat oder auf anderes eigenes Territorium (etwa Überseegebiete) zu verbringen, wenn absehbar ist, dass die Person von dort aus in einen Drittstaat gelangen wird, in dem eine ernsthafte Gefahr eines irreparablen Schadens besteht.564 Allerdings trifft die beschwerdeführende Person, die in einen vermeintlich sicheren Drittstaat verbracht werden soll, die Beweislast, dass von dort aus das Risiko einer erneuten Aufenthaltsbeendigung besteht.565 aa) Drohende Folter oder sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Gefahr für das Leben Selbst wenn man das Refoulementverbot auf die Schutzbereiche von Artikel 6 und 7 IPbpR beschränkt geht dieser Schutzbereich bereits deutlich über jenen der AFK hinaus. Anders als die Antifolterkonvention schützt Artikel 7 IPbpR explizit nicht nur vor Folter. Vielmehr umfasst der Schutzbereich auch sonstige Formen der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung, die ebenso wie Folter nicht derogierbar sind.566 Weder der Vertragstext des IPbpR noch der Menschenrechtsausschuss differenzieren dabei zwischen den genannten unterschiedlichen Arten der Misshandlung. Gemäß General Comment Nr. 20 zu Artikel 7 IPbpR hängen diese Unterscheidungen von der Art, dem Zweck und der Schwere der auferlegten Behandlung ab.567 Der Menschenrechtsausschuss hält es aber nicht für notwendig, eine Liste der verbotenen Handlungen zu erstellen oder klare Unterscheidungen zwischen den 562
CCPR, General Comment No. 36, § 31. CCPR, General Comment No. 15, § 5; CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Hungary, §§ 45 f.; CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Australia, § 33 (c). 564 CCPR, General Comment No. 31, § 12; CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, § 13; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/ 2009, § 13; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.2. 565 CCPR, Bakhtiyari v. Australia, 1069/2002, § 8.4. 566 CCPR, General Comment No. 20, § 3; A. Duffy, International Journal of Refugee Law 2008 (381). 567 CCPR, General Comment No. 20, § 4. 563
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
verschiedenen Formen der verbotenen Strafen oder Handlungen festzusetzen. So stellt er auch in der Regel im Rahmen von Individualbeschwerden zu Artikel 7 IPbpR nicht fest, ob eine Folter oder sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung geschehen ist oder im Falle des Vollzugs der aufenthaltsbeendenden Maßnahme droht. Es wird lediglich allgemein eine Verletzung von Artikel 7 IPbpR festgestellt. Neben dem Schutz vor Verletzungen des Artikel 7 IPbpR spielt Artikel 6 IPbpR in Individualbeschwerden vor dem Menschenrechtsausschuss zum Prinzip des NonRefoulement eine entscheidende Rolle. Die drohende Verhängung der Todesstrafe im Zielstaat, wenn der die Aufenthaltsbeendigung erlassende Staat selbst die Todesstrafe abgeschafft hat, wurde zunächst nicht als potenzielle Konfliktsituation mit dem IPbpR angesehen.568 Diese Praxis, die im Übrigen bereits in den zahlreichen abweichenden Voten zum ersten derartigen Fall Kindler v. Canada stark kritisiert worden war, hat der Menschenrechtsausschuss im Jahr 2003 revidiert. Seitdem wird die Verbringung einer Person von einem Vertragsstaat, welcher die Todesstrafe abgeschafft hat, in einen Staat, in dem diese praktiziert wird, als Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 IPbpR angesehen.569 Interessant ist hierbei, dass es keine Rolle spielt, ob der die Aufenthaltsbeendigung vollziehende Staat das zweite Fakultativprotokoll des IPbpR zur Abschaffung der Todesstrafe ratifiziert hat. Entscheidend ist allein die tatsächliche Abschaffung der Todesstrafe.570 Dies mag auf den ersten Blick zu einem Widerspruch im Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement führen: Während ein die Todesstrafe anwendender Staat bei einer Verbringung in einen anderen die Todesstrafe praktizierenden Staat keinen Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 IPbpR begeht, ist dieselbe Handlung für einen Staat, welcher die Todesstrafe selbst abgeschafft hat, nach Artikel 6 Abs. 1 IPbpR verboten. In Fällen, in denen beide Staaten die Todesstrafe nicht abgeschafft haben, ist allerdings eine Verletzung von Artikel 6 Abs. 2 IPbpR sowie auch von Artikel 7 IPbpR möglich,571 denn die Art und Weise der Vollstreckung einer Todesstrafe kann nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses einen Verstoß gegen Artikel 7 IPbpR darstellen, wenn der betroffenen Person über das zur Beendigung des Lebens erforderliche Maß hinaus körperliches oder psychisches Leid zugefügt wird.572 568
CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991; CCPR, Ng v. Canada, 469/1991. Ständige Praxis seit CCPR, Judge v. Canada, 829/1998. 570 CCPR, Judge v. Canada, 829/1998, § 10.6. 571 CCPR, General Comment No. 20, § 6. So etwa in CCPR, Maksudov and Rakhimov, Tashbaev and Pirmatov v. Kyrgyzstan and Uzbekistan, 1461/2006, 1462/2006, 1476/2006, 1477/2006; CCPR, Merhdad Mohammad Jamshidian v. Belarus, 2471/2014, § 9.4; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009, § 11.5 (wobei der Ausschuss hier unerklärlicherweise eine Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 IPbpR, statt Abs. 2 feststellt). 572 Siehe bereits CCPR, Ng v. Canada, 469/1991, §§ 16.1 – 16.5. Siehe auch CCPR, General Comment No. 36, § 40. Diese Praxis ist problematisch, denn auch innerhalb des Ausschusses besteht keine Einigkeit darüber, welche Arten der Tötung kein Leid über das erforderliche Maß 569
II. Menschenrechtsausschuss
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Eine mit der Todesstrafe verknüpfte Frage ist der Umgang mit dem sogenannten Todeszellenphänomen. Wie bereits erläutert geht die Entscheidung des Menschenrechtsausschusses, aus Artikel 7 IPbpR ein implizites Prinzip des Non-Refoulement abzuleiten, auf die Praxis des EGMR in Soering v. United Kingdom zurück. Die Ansicht des EGMR, das Todeszellenphänomen sei zwar nicht generell, jedenfalls aber im Falle des jungen, wenig belastbaren Jens Söring als verbotene Misshandlung im Sinne des Artikel 3 EMRK zu sehen,573 hat der Menschenrechtsausschuss dagegen nicht übernommen. Laut dem Menschenrechtsausschuss ist das Todeszellenphänomen nicht für sich genommen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,574 sondern es müssen weitere zwingende Gründe hinzutreten.575 Dies ergebe sich schon daraus, dass die Todesstrafe durch den IPbpR selbst nicht verboten ist. Eine Verwahrung einer verurteilten Person in einer Todeszelle bis zur Vollstreckung sei notwendige Folge der Verhängung der Todesstrafe und könne damit nicht für sich genommen einen Verstoß gegen andere Rechte aus dem IPbpR darstellen.576 Würde die Unterbringung einer verurteilten Person in einer Todeszelle über einen langen Zeitraum eine Verletzung von Artikel 7 IPbpR darstellen, entstünde zudem die paradoxe Lage, dass die Vollstreckung der Todesstrafe mangels generellen Verbots in Artikel 6 IPbpR mit dem Pakt vereinbar wäre, die Aussetzung der Vollstreckung aber nicht.577 Für das Prinzip des Non-Refoulement bedeutet das: Eine Auslieferung in einen Staat, welcher die Todesstrafe voraussichtlich zeitnah vollstreckt, wäre mit dem IPbpR vereinbar. Eine Auslieferung in einen Staat mit langen Wartezeiten, und sogar in einen Staat, bei dem aufgrund eines Moratoriums die Vollstreckung der Todesstrafe überhaupt in Frage gestellt ist, verstieße dagegen gegen Artikel 7 IPbpR. Zwar hat der Menschenrechtsausschuss mittlerweile einige Fallgruppen entwickelt, in denen die Unterbringung in einer Todeszelle Artikel 7 IPbpR verletzen kann. Dies ist der Fall, wenn die Unterbringung weit über ein angemessenes Maß hinausgeht und die Inhaftierten hierdurch harten Bedingungen ausgesetzt sind, sowie wenn die betroffenen Personen besonders empfindlich sind, etwa aufgrund ihres Alters, ihres Gesundheitszustands oder ihrer geistigen Verfassung.578
hinaus zufügen, J. Pirjola, Shadows in Paradise – Exploring Non-Refoulement as an Open Concept, International Journal of Refugee Law 19 (2007), 639 (655). 573 EGMR, Soering v. United Kingdom, 14038/88, §§ 109, 111. 574 CCPR, Howard Martin v. Jamaica, 317/1988, 24. März 1993, § 12.2; CCPR, Johnson (Errol) v. Jamaica, 588/1994, 22. März 1996. 575 CCPR, Johnson (Errol) v. Jamaica, 588/1994, § 8.1. 576 Ebenda, § 8.2. 577 Ebenda, § 8.3. 578 CCPR, General Comment No. 36, § 40.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
bb) Relevante Akteure Nach der Praxis des Menschenrechtsausschusses ist nicht erforderlich, dass die Gefahr der Rechtsverletzung vom Zielstaat selbst ausgeht.579 Wie auch im Rahmen von Artikel 3 AFK sind selbstverständlich solche Handlungen vom Verantwortungsbereich des betroffenen Vertragsstaates erfasst, die von dem Zielstaat geduldet werden.580 Über die Duldung hinaus ist es etwa auch möglich, dass ein Vertragsstaat auch solche Gefahren in Betracht ziehen muss, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Dass der Menschenrechtsausschuss der Auffassung ist, dass der Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement nach dem IPbpR weiter ist, als jener des Artikel 3 Abs. 1 AFK, zeichnete sich bereits in der ersten Entscheidung des Menschenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement ab. Hier erklärte der Ausschuss zur Frage seiner Zuständigkeit in Fällen zum Prinzip des Non-Refoulement: „If a State party extradites a person within its jurisdiction in circumstances such that as a result there is a real risk that his or her rights under the Covenant will be violated in another jurisdiction, the State party itself may be in violation of the Covenant.“581
Der Ausschuss befand also nicht, dass die Vertragsstaaten nur bei Bestehen eines ernsthaften Risikos der Rechtsverletzung durch den anderen Staat verpflichtet sind, die aufenthaltsbeendende Maßnahme zu unterlassen, sondern in jedem Fall, in dem ein ernsthaftes Risiko einer relevanten Rechtsverletzung zu befürchten ist, gleichgültig wem diese zuzurechnen ist. Der Menschenrechtsausschuss hat im Rahmen dessen etwa erwogen, dass die Diskriminierung durch Private im Zielstaat aufgrund der Religionszugehörigkeit der beschwerdeführenden Person grundsätzlich geeignet ist, eine Unvereinbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit Artikel 7 IPbpR auszulösen.582 Wenn die Gefahr einer Misshandlung im Sinne des Artikel 7 IPbpR von Privaten ausgeht verlangt der Menschenrechtsausschuss nicht in jedem Fall, dass der Zielstaat nicht willens oder fähig ist, einer solchen Misshandlung entgegenzuwirken.583 Auch in Fällen, in denen der Menschenrechtsausschuss verlangt, dass die beschwerdeführende Person einen solchen Nachweis erbringt, ist nicht notwendig, dass es sich um einen gescheiterten Staat handelt, der keinerlei Kontrolle über sein Staatsgebiet oder Teile dessen hat. So ist es etwa dem Beschwerdeführer im Fall Jose Henry Monge Contreras v. Canada gelungen, nachzuweisen, dass sein Herkunfts579
CCPR, General Comment No. 20, § 2. CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 11.6. 581 CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 13.2. 582 CCPR, Khan v. Canada, 1302/2004, § 5.6. 583 CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, §§ 10.3, 11. Hier scheint der Menschenrechtsausschuss einem möglichen Entgegenwirken einer nichtstaatlichen Misshandlung durch den chinesischen Staat keine Bedeutung beizumessen, weil der Beschwerdeführer ein Kind ist. Zum Schutz von Kindern vor Non-Refoulement siehe unten Kapitel D. II. 4. a). 580
II. Menschenrechtsausschuss
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staat nicht fähig sein würde, ihn zu schützen: Er hatte im nationalen Verfahren in Kanada nicht nur glaubhaft gemacht, in seinem Herkunftsstaat El Salvador Opfer von Bandenkriminalität zu sein, sondern auch dargelegt, dass die salvadorianische Polizei nicht in der Lage wäre, ihn zu beschützen und auch die nationalen Bemühungen zur allgemeinen Eindämmung von Bandenkriminalität jedenfalls nicht weit genug fortgeschritten waren.584 Ebenso konnten die beiden Beschwerdeführerinnen in Kaba v. Canada zeigen, dass obwohl in ihrem Zielstaat Guinea weibliche Genitalverstümmelung gesetzlich verboten war, dies dort eine weit verbreitete Praxis sei, die Täter:innen straflos blieben und eine der Beschwerdeführerinnen einem ernsthaften persönlichen Risiko der eigenen Genitalverstümmelung ausgesetzt war.585 b) Allgemeine Lage im Zielstaat Die allgemeine Menschenrechtslage im Zielstaat ist nach Praxis des Menschenrechtsausschusses ein Faktor, welchen der Staat, der eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in Betracht zieht, stets beachten muss.586 Die allgemeine Lage in einem Staat ist zwar in der Regel nicht per se ausreichend, um einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement zu bejahen. Allein schlechte Lebensbedingungen oder die Unfähigkeit des Staates, Kriminalität zu bekämpfen, belegen grundsätzlich noch keine hinreichende persönliche Betroffenheit der beschwerdeführenden Person.587 Von der allgemeinen Menschenrechtslage in einem Staat sind aber nicht nur Faktoren wie staatliche Kontrolle oder Straflosigkeit bestimmter Delikte erfasst. Auch die allgemeinen Lebensbedingungen in einem Staat und deren Verschlechterung durch Faktoren wie etwa den Klimawandel muss der Staat als Risikofaktor beachten.588 c) Besondere Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person In der Regel verlangt der Ausschuss zur Bejahung der tatsächlichen Gefahr eines irreparablen Schadens, dass zu einer allgemein schlechten Menschenrechtslage die besondere Schutzbedürftigkeit einer Person hinzutritt. Eine solche Schutzbedürftigkeit hat der Menschenrechtsausschuss bei einer schlechten Menschenrechtslage in
584
CCPR, Jose Henry Monge Contreras v. Canada, 2613/2015, §§ 8.9, 8.10. CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006, § 10.2. 586 CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.2. 587 Hiervon abweichend problematisiert der Menschenrechtsausschuss die individuelle Betroffenheit der beschwerdeführenden Person dann nicht, wenn die allgemeine Lage im Zielstaat so extrem schlecht ist, dass der Staat generell als Zielstaat ungeeignet ist, ohne dass eine besondere persönliche Schutzbedürftigkeit der Person hinzutreten muss. CCPR, Dauphin v. Canada, 1792/2008, § 7.4; CCPR, General Comment No. 36, § 30; CCPR, Ioane Teitiota v. New Zealand, 2728/2016. 588 CCPR, Ioane Teitiota v. New Zealand, 2728/2016. 585
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Verbindung mit der sexuellen Orientierung,589 oder mit dem Geschlecht590 beziehungsweise der Geschlechteridentität591 der betroffenen Person bejaht, wenn diese aufgrund dieser persönlichen Eigenschaft im Zielstaat besonderen Gefahren ausgesetzt ist. Ebenso hat der Ausschuss für Angehörige ethnischer592 oder religiöser593 Minderheiten, sofern sie im Zielstaat diskriminiert werden, eine besondere Schutzbedürftigkeit angenommen. Bei der Frage, ob jemandem wegen der Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit im Zielstaat eine Misshandlung droht, kommt es nicht darauf an, dass die betroffene Person ihre ernsthafte religiöse Überzeugung glaubhaft macht. Vielmehr ist entscheidend, ob die Person im Zielstaat als der Religionsgemeinschaft zugehörig wahrgenommen wird.594 Besonders schutzbedürftig sind weiter Minderjährige,595 sowie schwer Kranke, deren medizinische Versorgung im Zielstaat nicht gewährleistet wäre.596 Ebenfalls besonders schutzbedürftig können solche Personen sein, die wegen politischer Aktivitäten eine Verfolgung im Zielstaat fürchten,597 auch wenn diese politischen Aktivitäten nur vom Zielstaat behauptet werden,598 und auch dann, wenn die betroffene Person die politischen Aktivitäten ausschließlich außerhalb des Zielstaates ausgeübt hat.599 Ebenso schutzbedürftig sind Menschen, die im Zielstaat Diskriminierung als Kriegsdienstverweigerer erwarten,600 und solche, die wegen einer früheren Zusammenarbeit mit internationalen Streitkräften Diskriminierung oder Strafverfolgung erwarten.601
589 CCPR, X. v. Sweden, 1833/2008, § 9.4; CCPR, M. I. v. Sweden, 2149/2012, 25. Juli 2013, § 7.5; CCPR, M. K. H. v. Denmark, 2462/2014, § 8.8. 590 CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006, § 10.2 Siehe zu Genitalverstümmelung bereits CCPR, Concluding Observations on the Netherlands, 27. August 2001, CCPR/CO/72/NET, § 11. 591 CCPR, M. Z. B. M. v. Denmark, 2593/2015, 20. März 2017, § 6.6. 592 CCPR, Rasappu and Rasappu v. Denmark, 2258/2013, § 7.7. 593 CCPR, C. v. Australia, 900/1999, 28. Oktober 2002, § 8.5; CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/2009, §§ 9.7 f.; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009, § 11.5. 594 CCPR, K. H. v. Denmark, 2423/2014, § 8.7; CCPR, S. A. H. v. Denmark, 2419/2014, § 11.8. 595 CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, §§ 10.3, 11. 596 CCPR, C. v. Australia, 900/1999, § 8.5; CCPR, A. H. G. and M. R. v. Canada, 2091/ 2011, 25. März 2015, § 10.4. Siehe auch CCPR, W. M. G. v. Canada, 2060/2011, 11. März 2016, § 7.4. 597 CCPR, Hamida v. Canada, 1544/2007, § 8.7; CCPR, X. v. Denmark, 2389/2014, § 7.6. 598 CCPR, H. E. A. K. v. Denmark, 2343/2014, 23. Juli 2015, § 8.5. 599 CCPR, M. S. aka M. H. H. A. D. v. Denmark, 2601/2015, § 9.3. 600 CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.3. 601 Für eine Darstellung der Praxis des Ausschusses diesbezüglich siehe CCPR, A. B. H. v. Denmark, 2603/2015, 08. Juli 2019, Fn. 21.
II. Menschenrechtsausschuss
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Hierüber hinaus erkennt der Menschenrechtsausschuss aber auch an, dass einige der Betroffenen zu Recht fürchten, allein aufgrund dessen, dass sie aus dem Ausland kommen, im Zielstaat diskriminiert zu werden, etwa weil sie nicht über ausreichende Kenntnisse über die Lebensweise im Zielstaat verfügen oder weil zurückkehrende Geflüchtete aufgrund der Flucht in ihrem Herkunftsstaat diskriminiert oder gar staatlich verfolgt werden.602 Schließlich sind solche Menschen besonders schutzbedürftig, die aufgrund ihrer Erfahrungen beim letzten Aufenthalt im Zielstaat nachhaltig geschädigt sind. Neben Menschen, die bereits Opfer von Folter oder ähnlicher Behandlung wurden,603 sind dies etwa Menschen, die in der Vergangenheit Opfer von Menschenhandel geworden sind.604 d) Sonderfall: Dublin-Verfahren In jüngster Zeit häufen sich vor dem Menschenrechtsausschuss Individualbeschwerden gegen Staaten der Europäischen Union. Die Besonderheit hierbei ist, dass es sich nicht um klassische Abschiebungen handelt. Gegenstand der Individualbeschwerde sind vielmehr zumeist geplante Rücksendungen der Betroffenen in andere EU-Staaten nach der Dublin-Verordnung.605 Der Menschenrechtsausschuss hat hierzu eine Spruchpraxis entwickelt, die sich teilweise von seiner übrigen Praxis unterscheidet. Der Menschenrechtsausschuss hat sich erst in jüngster Zeit mit der Frage der Sicherheit von Drittstaaten in Dublin-Verfahren beschäftigt. Die erste Individualbeschwerde, in welcher der Ausschuss eine Verletzung von Artikel 7 IPbpR annahm, weil die Beschwerdeführerin nach der Dublin-Verordnung in einen EU-Staat zurückgeschickt werden sollte, entschied der Menschenrechtsausschuss erst im Jahr 2015.606 In diesem Fall war der Ausschuss der Ansicht, dass die besonderen persönlichen Umstände der beschwerdeführenden Mutter und ihrer drei Kinder im nationalen Risikobewertungsverfahren unzureichend berücksichtigt worden waren. Diese Bewertung war innerhalb des Ausschusses nicht unumstritten. Vor allem in den 602 CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010, § 8.3; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.3; CCPR, A. A. S. v. Denmark, 2464/2014, § 7.7. 603 CCPR, R. A. A. and Z. M. v. Denmark, 2608/2015, § 7.8; CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, § 7.7. 604 CCPR, Omo-Amenaghawon v. Denmark, 2288/2013, § 7.5. 605 Nach der Dublin III-Verordnung der Europäischen Union muss ein Asylverfahren im ersten Staat der Europäischen Union durchgeführt werden, dessen Territorium die asylsuchende Person betritt. Hierdurch wird es europäischen Staaten erleichtert, Menschen, die bereits in einem anderen Vertragsstaat der Europäischen Union gewesen sind, in diese zurückzuschicken. Der derzeit geltenden Verordnung gingen Dublin I und Dublin II voraus. Die Praxis des Menschenrechtsausschusses bezieht sich in älteren Individualbeschwerden auch auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach Dublin II. 606 CCPR, Warda Osman Jasin v. Denmark, 2360/2014.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ersten Fällen vor dem Menschenrechtsausschuss zu Dublin-Verfahren bestand offensichtlich große Uneinigkeit in Bezug auf den Umgang mit der Problematik. Das wird in mehreren Sondervoten deutlich.607 Wie bereits erläutert, ist nach der Praxis des Menschenrechtsausschusses die Rücksendung in andere EU-Staaten nicht generell zulässig.608 Eine Überprüfung des Einzelfalls ist auch in Fällen zu Dublin-Verfahren stets erforderlich. Auch wenn mithin für Dublin-Verfahren vor dem Menschenrechtsausschuss keine anderen Standards gelten als für sonstige aufenthaltsbeendende Maßnahmen sind dennoch einige Abweichungen in der Praxis des Ausschusses festzustellen. So spricht der Ausschuss im Rahmen von Dublin-Verfahren nicht wie sonst von der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat, sondern von den ,allgemeinen Bedingungen‘ (,general conditions in the receiving country‘).609 Es findet hier also eine Verlagerung der Prüfung statt: Anstelle der Frage, wie sich die allgemeine Situation im Zielstaat für alle Menschen gestaltet, ist entscheidend wie die konkreten Lebensbedingungen für Menschen sind, für die im Zielstatt ein Asylverfahren durchgeführt werden soll. Es ist dabei in keiner Weise davon auszugehen, dass der Menschenrechtsausschuss in Entscheidungen zu Dublin-Verfahren wegen der relativ guten Menschenrechtslage in europäischen Zielstaaten einen weniger strengen Überprüfungsmaßstab zugrunde legt. Im Gegenteil scheint der Ausschuss in seiner jüngeren Praxis sogar besonders streng zu sein, da die früheren Erfahrungen der Betroffenen in ihrem Einreisestaat unter dem Gesichtspunkt zu berücksichtigen seien, dass durch diese Erfahrungen die Rückkehr in den betreffenden Staat besonders traumatisch sein könne.610 Die EU-Staaten könnten sich daher nicht allein darauf verlassen, dass ein Aufenthalt im europäischen Zielstaat für die meisten Menschen zumutbar wäre, wenn eine Rücksendung jedenfalls für die im Einzelfall betroffene Person unzumutbar ist.611 In einigen Individualbeschwerden zu Dublin-Verfahren hat der Menschenrechtsausschuss einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement angenommen, wenn besonders schutzbedürftige Menschen im Zielstaat keine staatliche Versorgung erwarten können. Der Ausschuss spricht in Fällen, in denen etwa Mütter 607 Siehe nach CCPR, Warda Osman Jasin v. Denmark, 2360/2014; auch CCPR, A. A. I. and A. H. A. v. Denmark, 2402/2014; CCPR, Abdilafir Abubakar Ali and Mayul Ali Mohamad v. Denmark, 2409/2014, 29. März 2016; CCPR, Obah Hussein Ahmed v. Denmark, 2379/2014, 07. Juli 2016; CCPR, Hibaq Said Hashi v. Denmark, 2470/2014, 28. Juli 2017; CCPR, Fahmo Mohamud Hussein v. Denmark, 2734/2016, 18. Oktober 2018. 608 Siehe oben Kapitel D. II. 2. c) aa). 609 CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, § 8.11; CCPR, Fahmo Mohamud Hussein v. Denmark, 2734/2016, § 9.7; CCPR, Araya v. Denmark, 2575/2015, 13. Juli 2018, § 9.7. 610 CCPR, R. A. A. and Z. M. v. Denmark, 2608/2015, § 7.8; CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, § 7.7. 611 CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, § 7.7; CCPR, Hibaq Said Hashi v. Denmark, 2470/2014, § 9.7; CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, § 8.11; CCPR, Fahmo Mohamud Hussein v. Denmark, 2734/2016, § 9.7.
II. Menschenrechtsausschuss
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allein mit ihren kleinen Kindern zurückgeführt werden sollen, ein Elternteil keine notwendige medizinische Versorgung erwarten kann oder mit rassistischer Ausgrenzung der betroffenen Person zu rechnen ist, von ,special vulnerability‘ oder auch ,extreme precarity‘ im Empfangsstaat.612 Spiegelbildlich lehnt der Ausschuss Individualbeschwerden dann ab, wenn sich diese ausschließlich auf die prekäre Lage Geflüchteter im Empfangsstaat stützen und keine besondere Art persönlicher Schutzbedürftigkeit hinzukommt.613 4. Schutz anderer Rechte aus dem IPbpR Der Menschenrechtsausschuss beschränkt zwar ausweislich seines General Comment Nr. 31 den Schutz vor Refoulement nach dem IPbpR nicht auf die Artikel 6 und 7 IPbpR, sondern knüpft an die Irreparabilität des durch die drohende Menschenrechtsverletzung entstehenden Schadens an.614 Tatsächlich hat er aber noch in keiner Individualbeschwerde einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement festgestellt, in der die drohende Rechtsverletzung keine solche aus Artikel 6 oder 7 IPbpR war. Abgesehen von dem relativ weiten Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement nach Artikel 6 und 7 IPbpR kann eine Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss auch deshalb Erfolg versprechen, weil hier zusätzlich andere (drohende) Rechtsverletzungen gerügt werden können. Dass andere Menschenrechte als das Recht auf Leben oder das Folterverbot im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement eine Rolle spielen, ist keine Besonderheit des Menschenrechtsausschusses. Ein Refoulementverbot wegen drohender Verfolgung aufgrund der Religion ergibt sich etwa auch aus Artikel 33 Abs. 1 GFK. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass auch der Menschenrechtsausschuss Menschen, denen eine Verletzung ihrer Rechte aus Artikel 18 IPbpR droht, besonderen Schutz bietet. Der wesentliche Vorteil, eine Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement beim Menschenrechtsausschuss auch auf andere Rechte als jene aus Artikeln 6 und 7 IPbpR stützen zu können, ist darin zu sehen, dass der IPbpR eine weite Bandbreite an Rechten enthält, zu denen bereits eine über Jahrzehnte etablierte Praxis des Menschenrechtsausschusses besteht, so dass eine systematische Bildung von Fallgruppen deutlich erleichtert ist.
612 CCPR, Warda Osman Jasin v. Denmark, 2360/2014, § 8.8; CCPR, Abdilafir Abubakar Ali and Mayul Ali Mohamad v. Denmark, 2409/2014, § 7.8; CCPR, R. A. A. and Z. M. v. Denmark, 2608/2015, § 7.8; CCPR, Raziyeh Rezaifar v. Denmark, 2512/2014, 10. März 2017, § 9.9. 613 CCPR, B. M. I. and N. A. K. v. Denmark, 2569/2015, § 8.6; CCPR, R. I. H. et al. v. Denmark, 2640/2015, § 8.6; CCPR, Fahmo Mohamud Hussein v. Denmark, 2734/2016, § 9.9. 614 CCPR, General Comment No. 31, § 12.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren, in denen andere Rechte als jene aus Artikel 6 und 7 IPbpR im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen gerügt werden, enthalten häufig mehrere Sondervoten von Ausschussmitgliedern. Diese lassen erkennen, dass die Einbeziehung anderer Paktrechte innerhalb des Menschenrechtsausschusses selbst nicht unumstritten ist. So enthält bereits eine der ersten Individualbeschwerden des Ausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement ein abweichendes Votum des Ausschussmitglieds Scheinin, in welchem dieser in der Ausweisung eines Familienvaters einen möglichen Verstoß gegen Artikel 17 und 23 Abs. 1 IPbpR sieht.615 Der den Ausschuss in vielerlei Hinsicht spaltende Fall Judge v. Canada enthielt zwei abweichende Voten, in denen zum einen eine Verletzung von Artikel 14 Abs. 5 IPbpR,616 zum anderen eine Verletzung von Artikel 26 IPbpR617 favorisiert wurde. Bedenken äußerte das Ausschussmitglied Neuman bezüglich einer möglichen Ausweitung des Schutzbereiches des Refoulementverbots auf Fälle, in denen eine Verletzung von Artikel 18 IPbpR gerügt wird.618 Nach dem anfänglichen Zögern des Menschenrechtsausschusses, ob und inwieweit aufenthaltsbeendende Maßnahmen Fragen der Extraterritorialität und damit verbunden Fragen der Zuständigkeit des Menschenrechtsausschusses aufwerfen,619 bejaht er mittlerweile seine extraterritoriale Zuständigkeit bezüglich einer Vielzahl von Paktrechten.620 Bezüglich einiger Paktrechte hat der Menschenrechtsausschuss seine Zuständigkeit dagegen verneint. So lässt er etwa Rügen von Artikel 19 IPbpR mangels extraterritorialer Anwendbarkeit des Rechts nicht zu.621 Verfahren zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sind auch grundsätzlich nicht an Artikel 14 IPbpR messbar.622 In vielen Fällen hat der Ausschuss aber auch eine Verletzung diverser Rechte im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen festgestellt, sei es neben einer Verletzung von
615
CCPR, G. T. v. Australia, 706/1996. CCPR, Judge v. Canada, 829/1998, abweichendes Votum Hipólito Solari-Yrigoyen. Dagegen kritisierte ein anderes Ausschussmitglied, die Vereinbarkeit mit Artikel 14 Abs. 5 IPbpR hätte nicht geprüft werden dürfen, siehe ebenda, Sondervotum Christine Chanet. 617 Ebenda, abweichendes Votum Franzisco José Aguilar Urbina. 618 CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, Sondervotum Gerald Neuman. 619 Siehe hierzu oben Kapitel D. II. 1. a). 620 Siehe etwa zu Artikeln 2, 7, 9, 10, 13 und 17 IPbpR CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Belgium, 12. August 2004, CCPR/CO/81/BEL. 621 CCPR, E. U. R. v. Denmark, 2469/2014, § 8.3. 622 CCPR, P. K. v. Canada, 1234/2003, 20. März 2007, §§ 7.4 f.; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 8.5; CCPR, General Comment No. 32 Article 14: Right to Equality before Courts and Tribunals and to Fair Trial, 23. August 2007, CCPR/C/GC/32, § 17. Siehe aber auch ebenda, § 62. Eine Aufenthaltsbeendigung nach strafrechtlicher Verurteilung stellt auch keine zusätzliche Strafe dar, CCPR, J. G. v. New Zealand, 2631/2015, 02. November 2015, § 4.4. 616
II. Menschenrechtsausschuss
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Artikel 6 oder 7 IPbpR oder allein. Das sind häufig etwa Verfahrensrechte, Freizügigkeitsrechte oder das Recht auf Familienleben.623 Neben dieser quantitativen Erweiterung des Schutzes bringt das Rügen mehrerer Paktrechte vor dem Menschenrechtsausschuss aber auch eine qualitative Verstärkung mit sich. Zwar sind einige andere Rechte im Gegensatz zum Folterverbot nicht absolut. Zudem können etwa straffällige Personen, die aus Gründen der inneren Sicherheit abgeschoben werden, durch diese Rechte nur eingeschränkt geschützt werden.624 Abgesehen von der simplen Beobachtung, dass das Rügen der Verletzung von mehr als nur einem Recht die potenzielle Chance auf Abhilfe erhöht, potenziert sich diese Wirkung aber noch durch die spezifische Herangehensweise des Menschenrechtsausschusses. Denn nach der Praxis des Ausschusses erstreckt sich die Absolutheit des Refoulementverbots auch auf andere gerügte Rechte aus dem Pakt, die mit den Artikeln 6 oder 7 IPbpR in Verbindung stehen, sofern über eine Einschränkung dieser Rechte, etwa das Recht auf ein faires Verfahren, auch eine Beschränkung der absoluten Rechte möglich ist.625 Der Menschenrechtsausschuss legt nämlich dann, wenn durch eine Handlung möglicherweise mehrere Paktrechte verletzt sind, diese Rechte auch jeweils im Lichte der anderen Rechte aus.626 Das ergibt sich daraus, dass der Ausschuss nicht nur die Verletzung einzelner Paktrechte feststellt, sondern auch entscheiden kann, dass eine Verletzung von zwei oder mehreren Rechten in Verbindung miteinander vorliegt. Den dadurch entstehenden verstärkenden Effekt zeigt beispielhaft der Fall Ahani v. Canada: „The Committee further observes that where one of the highest values protected by the Covenant, namely the right to be free from torture, is at stake, the closest scrutiny should be applied to the fairness of the procedure applied to determine whether an individual is at a substantial risk of torture.“627
623
A. Duffy, International Journal of Refugee Law 2008 (381). CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, Sondervotum Gerald Neuman. 625 CCPR, General Comment No. 36, § 67; CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, § 10.10; CCPR, Merhdad Mohammad Jamshidian v. Belarus, 2471/2014, § 9.5; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee on Canada, § 15. 626 Diese Vorgehensweise ermöglicht es dem Ausschuss auch, Einwände der Staaten, die Individualbeschwerde sei mit Bezug auf einzelne Rechte unzulässig, mit dem Hinweis auf die Untrennbarkeit der Teilaspekte der Individualbeschwerde zu umgehen. So etwa in CCPR, M. Z. B. M. v. Denmark, 2593/2015, § 6.5; CCPR, A. and B. v. Denmark, 2291/2013, § 7.4. Siehe auch CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, Sondervotum Gerald Neuman: „The Committee addresses the admissibility of the claim obliquely, finding that it ,cannot be dissociated from the author’s allegations under article 7 of the Covenant‘, which are clearly admissible and provide the basis on which the Committee decides. This formulation has been used by the Committee repeatedly to avoid resolving the question whether such non-refoulement obligations can be derived from provisions of the Covenant other than articles 6 and 7.“ 627 CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, § 10.6. 624
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Der Menschenrechtsausschuss hat also einen strengeren Maßstab zur Beurteilung der Frage angelegt, ob im Fall eine Verletzung von Artikel 13 IPbpR vorliegt, weil durch die Abschiebung des Beschwerdeführers zugleich das Risiko einer Verletzung von Artikel 7 IPbpR bestand. a) Recht auf Familienleben und Rechte des Kindes Das Recht auf Privat- und Familienleben aus Artikel 17 IPbpR bietet zusätzliche Garantien für Personen, die aus einem Staat ausgewiesen werden sollen.628 Artikel 17 IPbpR schützt vor willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen eines Vertragsstaates in das Privat- und Familienleben. Das Recht aus Artikel 17 IPbpR steht jedem zu, unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Person in einem Staat.629 In der Regel rügen Betroffene neben der Verletzung von Artikel 17 IPbpR auch eine Verletzung von Artikel 23 Abs. 1 IPbpR. Anders als Artikel 17 IPbpR, der nur vor willkürlichen Eingriffen des Vertragsstaates in das Privat- und Familienleben schützt, muss der Staat nach Artikel 23 IPbpR einen besonderen Schutz der Familie gewähren. Der Schutz vor Eingriffen in das Familienleben und der Schutz der Familie aus Artikel 23 Abs. 1 IPbpR sind in der Praxis schwer voneinander zu trennen.630 Da das Zusammenleben den Kernfaktor für das Existieren einer Familie bildet,631 kommt bei einer Trennung der Familie grundsätzlich auch immer eine Verletzung von Artikel 23 Abs. 1 IPbpR in Betracht.632 Tatsächlich prüft der Ausschuss jedenfalls dann, wenn die Individualbeschwerde einen Verstoß gegen beide Artikel rügt, nicht separat Verletzungen von Artikel 17 und von Artikel 23 Abs. 1 IPbpR. In der Regel folgt auf eine ausführliche Prüfung von Artikel 17 IPbpR nur die Schlussfolgerung, dass damit auch Artikel 23 Abs. 1 IPbpR (nicht) verletzt sei.633 Darüber hinaus enthält der IPbpR mit Artikel 24 einen besonderen Schutz für die Rechte von Kindern. Die Praxis des Menschenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement überschneidet sich mit jener zum Recht auf Familien- und Privatleben und dem 628
35.
Vgl. W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 17,
629 Den Vorbehalt Liechtensteins zu Artikel 17 IPbpR, wonach das Recht aus Artikel 17 Abs. 1 IPbpR so zu verstehen sei, dass es nur ,in Übereinstimmung mit den derzeit in der Ausländergesetzgebung enthaltenen Grundsätzen‘ ausgeübt werden könne, hält der Menschenrechtsausschuss entsprechend für unzulässig. CCPR, Concluding observations on the second periodic report of Liechtenstein, 21. August 2017, CCPR/C/LIE/CO/2, §§ 9 f. 630 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 23 Rn. 11. 631 CCPR, Aumeeruddy-Cziffra et al. v. Mauritius, 35/1978, 24. April 1979, § 9.2 (b) 2 (ii) 2. 632 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 23 Rn. 15. 633 Ebenda.
II. Menschenrechtsausschuss
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Schutz des Kindes im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen. Rügt eine beschwerdeführende Person im Zusammenhang mit einer Aufenthaltsbeendigung allein die Verletzung von Artikel 17, 23 oder 24 IPbpR, nicht aber eine Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement, dann ist der Schutz auf der Grundlage dieser Normen nicht absolut. Allerdings rügen beschwerdeführende Personen häufig Verletzungen ihrer Rechte aus Artikel 6 oder 7 IPbpR in Verbindung mit diesen Rechten. aa) Recht auf Familienleben Artikel 17 IPbpR schützt nicht vor jeder Art von Eingriffen, sondern nur vor willkürlichen und rechtswidrigen Eingriffen eines Staates in das Privat- und Familienleben. Ob eine Aufenthaltsbeendigung eines Menschen dessen Rechte aus Artikel 17 IPbpR verletzt, hängt daher von vielen Faktoren ab, die im Rahmen einer Einzelfallprüfung im nationalen Verfahren gegeneinander abgewogen werden müssen, um eine verhältnismäßige Entscheidung zu treffen. Auch hier spielt es also eine Rolle, dass der Menschenrechtsausschuss den Schwerpunkt seiner Überprüfung auf die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens legt.634 Nicht ausreichend ist allein die Tatsache, dass ein oder mehrere Familienmitglieder der Beschwerdeführenden berechtigt sind, im Aufenthaltsstaat zu verweilen.635 Vielmehr müssen die Beschwerdeführenden nachweisen, dass eine Trennung von der Familie einen unrechtmäßigen Eingriff in deren Familienleben darstellt.636 Ob dies der Fall ist, stellt eine Frage der Verhältnismäßigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar. Der Vollzug einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme allein zur regelmäßigen Durchsetzung nationalen Einwanderungsrechts ist unzureichend.637 Zunächst war der Menschenrechtsausschuss den Staaten gegenüber großzügig und verlangte nur in außergewöhnlichen Fällen, über die bloße Durchsetzung des nationalen Einwanderungsrechts hinaus Gründe darzulegen, die eine Aufenthaltsbeendigung im Einzelfall rechtfertigen würden.638 Nunmehr verlangt der Ausschuss, dass die Staaten im nationalen Verfahren stets ihr eigenes Interesse an der Ausreise der betroffenen Person gegen die hieraus resultierenden negativen Konsequenzen für die Familie und ihre Mitglieder abwägen.639 Ein Eingriff in das Privat- und Fami634
W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 17 Rn. 34. 635 CCPR, Winata and Li v. Australia, 930/2000, § 7.1; CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/ 2001, § 9.7; CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 11.5. 636 CCPR, Canepa v. Canada, 558/1993, § 11.4; CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010, § 8.7; CCPR, A. B. v. Canada, 2387/2014, 15. Juli 2016, § 8.6. 637 CCPR, Winata and Li v. Australia, 930/2000, § 7.3. 638 CCPR, Sahid v. New Zealand, 893/1999, 28. März 2003, § 8.2. Siehe auch W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 17 Rn. 36. 639 CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/2001, § 9.8; CCPR, Hamadie Al-Gertani v. Bosnia and Herzegovina, 1955/2010, § 10.8; CCPR, A. B. v. Canada, 2387/2014, § 8.7. Zu diesem
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
lienleben durch Aufenthaltsbeendigung eines Teils der Familie ist also dann willkürlich, wenn er unverhältnismäßig ist.640 Im Übrigen zieht der Menschenrechtsausschuss für die Beurteilung, ob ein Eingriff willkürlich im Sinne des Artikel 17 IPbpR ist, auch seine Praxis zu anderen Paktrechten, etwa zu Artikel 9 oder 14 IPbpR, heran.641 Im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen von Teilen oder sogar ganzer Familien hat der Menschenrechtsausschuss in der Vergangenheit großzügig Verletzungen von Artikel 17, 23 Abs. 1 IPbpR angenommen. Während der Ausschuss nicht davon ausgeht, dass allein die Tatsache, dass das Kind die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates besitzt, ausreicht, um einen Rechtsverstoß in der Ausweisung der ausländischen Eltern festzustellen,642 und grundsätzlich die Mitausreise von Elternteilen und Kindern für möglich und zumutbar hält, müssen die daraus resultierenden Konsequenzen für diese Familienmitglieder vom Staat immer berücksichtigt werden.643 Wenn der Menschenrechtsausschuss feststellt, dass die Aufenthaltsbeendigung für das Kind unzumutbar ist, stellt er eine Verletzung der Rechte aus Artikel 17, 23 Abs. 1 IPbpR für alle Familienmitglieder fest.644 Auch in diesen Fällen lässt sich ein Fokus des Ausschusses auf die ordentliche Durchführung des nationalen Verfahrens erkennen. Der Ausschuss überprüft, ob eine ordentliche Interessenabwägung stattgefunden hat und ob Abwägungsfehler erkennbar sind.645 Der Ausschuss prüft auch, ob eine erneute Zusammenführung der Familie, sei es im Zielstaat oder im ursprünglichen Aufenthaltsstaat, möglich ist. Ein möglicher Aspekt ist dabei, ob die von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffene Person die Möglichkeit hat, erneut in denjenigen Staat einzureisen, welcher die Aufenthaltsbeendigung vollzieht.646 Unverhältnismäßig ist eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, wenn der Teil derjenige Familie, welcher die Staatsangehörigkeit oder eine Aufenthaltserlaubnis für den ausweisenden Staat besitzt, im Zielstaat nicht aufgenommen würde. Wenn ein Zusammenleben nirgendwo anders möglich ist muss dem ausländischen Teil Wandel kritisch W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 17 Rn. 36. 640 CCPR, Canepa v. Canada, 558/1993, § 11.4. 641 CCPR, A. B. v. Canada, 2387/2014, § 8.7; CCPR, Mansour Leghaei et al. v. Australia, 1937/2010, 26. März 2015, § 10.4. Siehe hier insbesondere die Fußnoten. 642 Vgl. auch CCPR, Rajan and Rajan v. New Zealand, 820/1998, 07. August 2003, § 7.3; CCPR, Fernandes et al. v. The Netherlands, 1513/2006, 22. Juli 2008, § 6.3. 643 So auch CCPR, Mansour Leghaei et al. v. Australia, 1937/2010, §§ 10.2, 10.5. 644 CCPR, Winata and Li v. Australia, 930/2000, § 7.3; CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/ 2001, § 9.8; CCPR, Mansour Leghaei et al. v. Australia, 1937/2010, § 10.5; CCPR, D. T. v. Canada, 2081/2011, 15. Juli 2016, §§ 7.10 f. 645 So auch CCPR, Hamadie Al-Gertani v. Bosnia and Herzegovina, 1955/2010, § 10.9. 646 CCPR, Stefan Lars Nystrom v. Australia, 1557/2007, 18. Juli 2011, § 7.11; CCPR, Deepan Budlakoti v. Canada, 2264/2013, § 9.7; CCPR, A. B. v. Canada, 2387/2014, § 8.9.
II. Menschenrechtsausschuss
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eines Paares die Möglichkeit des legalen Zusammenlebens gegeben werden.647 Dies ist nicht so zu verstehen, dass der Ausschuss aus Artikel 17 oder Artikel 23 Abs. 1 IPbpR ein Recht auf Aufenthaltserlaubnis ableitet.648 Ob im Zielstaat die Möglichkeit des legalen Zusammenlebens besteht, ist aber eine Frage, welche der ausweisende Vertragsstaat in seinem Verfahren berücksichtigen muss. Eine weitere verfahrensrechtliche Komponente der Artikel 17, 23 Abs. 1 IPbpR zeigte sich im Fall Bakhtiyari v. Australia. Die Staaten müssen gewährleisten, dass im Rahmen eines Ausweisungsverfahrens den möglichen Auswirkungen auf das Recht aus Artikel 17 IPbpR stets Rechnung getragen werden kann.649 Daraus kann sich auch ergeben, dass Abschiebungen einzelner Familienmitglieder jedenfalls so lange nicht vollzogen werden dürfen, bis die Verfahren aller Familienmitglieder abgeschlossen sind, so dass feststeht, ob es zu einer Trennung der Familie kommt oder nicht. Die Abschiebung von Frau und Kindern, während ein Verfahren zur Entziehung des Visums für den Ehemann und Vater noch läuft, stellt daher eine Verletzung von Artikel 17 und 23 IPbpR dar.650 Es kommt also nicht darauf an, ob eine Trennung der Familie durch die Aufenthaltsbeendigung von Frau und Kindern gerechtfertigt wäre, da jedenfalls die Trennung vor Abschluss der Verfahren aller Familienmitglieder unverhältnismäßig ist. Resultiert aus der unverhältnismäßigen aufenthaltsbeendenden Maßnahme eines Familienmitglieds durch die Trennung auch, dass die Person nicht wieder in den Staat einreisen können wird, so stellt dies nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses neben der Verletzung von Artikel 17, 23 Abs. 1 IPbpR allein auch eine Verletzung von Artikel 17, 23 Abs. 1 i. V. m. Artikel 2 Abs. 3 IPbpR dar.651 Ist die Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung jedoch verhältnismäßig, so ergibt sich auch aus der Erschwerung der Wiedereinreise nichts anderes.652 Allerdings kennt der Menschenrechtsausschuss keine Form von kollektiven Rechten. Eingriffe in das Familienleben können mithin nicht von der Familie gerügt werden, sondern nur von den Familienmitgliedern als Einzelpersonen. Da es in den genannten Fällen in der Regel eine unverhältnismäßige Belastung für die Zurückbleibenden darstellt, dass sie von einem Familienmitglied getrennt werden, wohingegen die Trennung für die auszuweisende Person gerechtfertigt ist, kann eine Individualbeschwerde vor dem Menschenrechtsausschuss in diesem Zusammenhang nur dann Erfolg haben, wenn die Beschwerde (auch) von diesen Familienmitgliedern vorgebracht wird.653 647
CCPR, Gonzales v. Guyana, 1246/2004, 25. März 2010, §§ 14.3 f. So auch CCPR, Gonzales v. Guyana, 1246/2004, Sondervotum Wedgwood. 649 CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Italy, § 18. 650 CCPR, Bakhtiyari v. Australia, 1069/2002, § 11. 651 CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010, § 8.10. 652 CCPR, A. B. v. Canada, 2387/2014, §§ 8.9 – 8.11. 653 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, §§ 11.8 f. Eine Prozessstandschaft ist in diesem Sinne auch nicht möglich, vgl. CCPR, Sahid v. New Zealand, 893/1999, § 7.2. 648
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
bb) Rechte des Kindes Wie bereits gezeigt, hat die Aufenthaltsbeendigung eines Familienmitglieds potenziell Auswirkungen auf die Rechte des Kindes. In Anbetracht des zusätzlichen Schutzes von Kindern nach Artikel 24 IPbpR beurteilt der Menschenrechtsausschuss Fälle, in denen Kinder involviert sind, vorrangig nach dem Kindeswohl.654 Wenn Kinder selbst von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen sind und sich ihre Individualbeschwerde auf das Prinzip des Non-Refoulement stützt, zieht der Menschenrechtsausschuss für die Beurteilung der Beschwerde den Schutzbereich des Artikel 24 IPbpR mit heran. Er nimmt dann zum Beispiel eine Verletzung von Artikel 7 in Verbindung mit Artikel 24 IPbpR an.655 Bei der Frage, ob eine Person besonders schutzbedürftig ist, spielt deren Alter in jedem Fall eine Rolle. Da ihr aber darüber hinaus ein besonderer Schutz zuteilwird, wenn die Person minderjährig ist, beinhaltet das Recht aus Artikel 24 IPbpR die verfahrensrechtliche Komponente, dass eine junge Person, deren Alter nicht feststeht, ein Recht auf Feststellung der eigenen Minderjährigkeit hat.656 Hier stimmt die Praxis des Menschenrechtsausschusses mit jener des Kinderrechtsausschusses überein.657 Auch in denjenigen hier dargestellten Individualbeschwerden, die ausdrücklich keinen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement gerügt haben, zeigt sich, dass die differenzierte und etablierte Praxis des Menschenrechtsausschusses zu den Rechten von Familien und Kindern im Zusammenhang mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Einfluss auf den Schutz hat, den betroffene Personen durch das Prinzip des Non-Refoulement genießen. In einigen Fällen, in denen der Ausschuss die Rüge von Artikel 6 und 7 IPbpR mangels hinreichend substantiierter Darlegung als unzulässig abgewiesen hat, hat er eine Verletzung von Artikel 17, 23 Abs. 1 oder 24 IPbpR bejaht.658 Die Argumentation der Beschwerdeführenden, auf die sich der Ausschuss hier stützt, unterscheidet sich kaum von jener für den Verstoß gegen das aus Artikel 6 oder 7 IPbpR abgeleitete Prinzip des Non-Refoulement. Aus einer prekären Menschen654 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 24 Rn. 44; CCPR, Bakhtiyari v. Australia, 1069/2002, § 9.7; CCPR, D. T. v. Canada, 2081/2011, 15. Juli 2016, §§ 7.10 f. Der Menschenrechtsausschuss orientiert sich hier am Kinderrechtsausschuss und verwendet daher den Wortlaut der Kinderrechtskonvention. Vgl. CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, abweichendes Votum Rodley, Thelin und Sondervotum Salvioli. 655 CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006, § 10.3; CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/ 2007, § 11; CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, § 8.12. 656 CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, § 8.11. 657 Siehe unten Kapitel D. IV. 3. c). 658 CCPR, Bakhtiyari v. Australia, 1069/2002, §§ 8.4, 9.6; CCPR, Dauphin v. Canada, 1792/2008, §§ 7.4, 8.4; CCPR, Hamadie Al-Gertani v. Bosnia and Herzegovina, 1955/2010, §§ 9.5, 10.9; CCPR, Muneer Ahmed Husseini v. Denmark, 2243/2013, 24. Oktober 2014, §§ 8.4, 9.6.
II. Menschenrechtsausschuss
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rechtslage im Zielstaat ergeben sich oft unverhältnismäßige Nachteile für die mitreisende Familie und eine Wiedereinreise ist in diesen Fällen oft deutlich erschwert. Menschen, die Refoulement fürchten, denen eine hinreichende Darlegung dieser Befürchtung aber nicht gelingt, können also auch dadurch Schutz vom Menschenrechtsausschuss erwarten, dass sie hilfsweise die Verletzung ihrer Rechte aus Artikel 17, 23 Abs. 1 oder 24 IPbpR geltend machen. Diese Annahme wird auch dadurch unterstützt, dass der Menschenrechtsausschuss in Fällen, in denen er einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement wegen einer Verletzung von Artikel 6 oder 7 IPbpR bejaht hat, deshalb eine weitere Prüfung der Rechte auf Familienleben und der Rechte des Kindes für überflüssig hält.659 In anderen Fällen bejaht er eine Verletzung sowohl der Rechte aus Artikel 6, 7 IPbpR als auch der Rechte auf Privat- und Familienleben.660 b) Recht im eigenen Land zu verbleiben Auch Freizügigkeitsrechte aus Artikel 12 IPbpR spielen in Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement häufig eine Rolle. Der Begriff ,eigenes Land‘ im Sinne des Artikel 12 IPbpR ist weiter als die Staatsangehörigkeit. Nach General Comment Nr. 27 steht das Recht, sein eigenes Land zu betreten (Artikel 12 Abs. 4 IPbpR), auch jeder Person zu, die aufgrund einer persönlichen Verbindung zu dem Land nicht als ,bloßer Ausländer‘ (,mere alien‘) angesehen werden kann.661 Dementsprechend ist auch ein Schutz vor einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf Grundlage des Artikel 12 Abs. 4 IPbpR jedenfalls dann denkbar, wenn nach Verlassen des Staates die Wiedereinreise erheblich erschwert wird. So hat der Menschenrechtsausschuss im Fall Warsame v. Canada für die geplante Abschiebung eines in Kanada aufgewachsenen Somaliers neben der Verletzung der Artikel 6 und 7 IPbpR auch festgestellt, dass die Abschiebung gegen Artikel 12 Abs. 4 IPbpR verstoßen würde, da eine Wiedereinreise nach Kanada für den Beschwerdeführer de facto unmöglich wäre.662 Der Ausschuss zieht zur Beurteilung, ob es sich um das eigene Land der betroffenen Person handelt auch die Beziehung der Person zum Zielstaat heran. Hat die Person keine Bindung zu dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, wohl aber zu dem momentanen Aufenthaltsstaat, dann ist die Abschiebung unverhältnismäßig und verstößt gegen Artikel 12 Abs. 4 IPbpR.663 659 CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.5; CCPR, A. H. G. and M. R. v. Canada, 2091/2011, § 10.5. 660 CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010; CCPR, A. B. v. Canada, 2387/2014. 661 CCPR, General Comment No. 27 Freedom of movement (Art. 12), 1999, CCPR/C/21/ Rev.1/Add.9, § 20. In seiner dem vorangegangenen Praxis hatte der Ausschuss den Begriff noch enger gesehen, vgl. CCPR, Stewart v. Canada, 538/1993, §§ 12.2 – 12.9; CCPR, Canepa v. Canada, 558/1993, § 11.3. So auch noch CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/2001, § 9.6. 662 CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010, § 8.6. 663 CCPR, Stefan Lars Nystrom v. Australia, 1557/2007, §§ 7.5 f.
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Außerdem hat der Ausschuss auch in Artikel 12 Abs. 4 IPbpR ein Hindernis für Kollektivausweisungen und -umsiedlungen gesehen.664 Auch das Recht, in das eigene Land einzureisen, leistet damit einen Beitrag zu den prozessualen Mindeststandards aufenthaltsbeendender Maßnahmen und dem Prinzip des Non-Refoulement. Darüber hinaus kann auch die zwangsweise Aufenthaltsbeendigung und Verbringung in ein bestimmtes Land einen Verstoß gegen Artikel 12 IPbpR darstellen. Im Gegensatz zu Artikel 13 IPbpR enthält das Recht aus Artikel 12 Abs. 2 IPbpR keine Beschränkung auf sich rechtmäßig im Staat aufhaltende Personen. Hieraus ergibt sich, dass jemand, der aus einem Staat ausgewiesen wird, damit sein Recht, das Zielland frei zu wählen, nicht verliert.665 c) Verfahrensrechte Wie bereits erläutert, legt der Menschenrechtsausschuss Wert auf die Durchführung eines ordentlichen Risikobewertungsverfahrens, was er unter anderem damit begründet, dass die Rechte aus Artikel 6 oder 7 IPbpR auch verfahrensrechtliche Komponenten enthalten. Abgesehen von den verfahrensrechtlichen Komponenten der Artikel 6 und 7 IPbpR im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement können auch materielle Verfahrensrechte aus dem Pakt gerügt werden. Hier tritt also neben das Recht auf ein ordentliches Verfahren im Zusammenhang mit Artikeln 6 und 7 IPbpR das Recht auf ein faires Verfahren nach den Artikeln 9 bis 13 IPbpR. aa) Artikel 9, 10 IPbpR Bereits im Jahr 1986 hat der Menschenrechtsausschuss in seinem General Comment Nr. 15 zum Status von ausländischen Staatsangehörigen darauf hingewiesen, dass bei Aufenthaltsbeendigungen die Rechte aus Artikel 13 und 26 IPbpR stets zu berücksichtigen sind. Zudem können sich im Falle einer Abschiebehaft Konflikte mit den Rechten aus Artikel 9 und 10 IPbpR ergeben.666 Wie der Ausschuss gegen Folter hat auch der Menschenrechtsausschuss im Rahmen von Abschließenden Bemerkungen zu Staatenberichtsverfahren allgemeine Anforderungen an die Risikobewertungsverfahren gestellt, wobei sich der Menschenrechtsausschuss hier neben den Rechten aus Artikel 6 und 7 IPbpR insbesondere auf Artikel 13 IPbpR stützt.667 So hat jede Person das Recht auf Zugang zu einem individuellen nationalen Verfahren. Das Konzept sicherer Herkunftsstaaten lehnt der Ausschuss daher ab,668 664
CCPR, General Comment No. 27, § 19. So auch CCPR, General Comment No. 15, § 9. 666 CCPR, General Comment No. 15, § 9. 667 CCPR, Concluding Observations on Estonia, § 13; CCPR, Concluding Observations New Zealand, § 16; CCPR, Concluding Observations on France, § 20. 668 Siehe auch oben Kapitel D. II. 3. d). 665
II. Menschenrechtsausschuss
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ebenso wie das Abfangen von Geflüchteten auf Hoher See zwecks Durchführung der Verfahren auf Schiffen ohne effektiven Rechtsschutz.669 Selbstverständlich kann unabhängig von der Frage, ob eine aufenthaltsbeendende Maßnahme möglicherweise Paktrechte der betroffenen Person verletzt, eine vorgelagerte Abschiebehaft die Rechte der Person aus Artikel 9 IPbpR verletzen. Zwar ist der staatliche Gewahrsam im Zusammenhang mit einer geplanten Abschiebung nicht per se mit Artikel 9 IPbpR unvereinbar. Er kann aber im Einzelfall willkürlich oder unverhältnismäßig sein.670 Das ist etwa der Fall, wenn die Haft überlang ist oder keine Rechtsmittel dagegen zur Verfügung stehen. Im Extremfall kann sich hieraus sogar eine eigenständige Verletzung von Artikel 7 IPbpR ergeben.671 Eine Individualbeschwerde gegen solche Misshandlungen vor Vollzug der Aufenthaltsbeendigung steht zwar nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst und der hieran geknüpften Frage der Vereinbarkeit mit dem Prinzip des Non-Refoulement. Es kann aber sinnvoll sein, etwa auch mit Blick auf die Auswirkungen der Haft auf die Rechte der Familie und der Kinder der betroffenen Person, diese Rechtsverletzungen neben einer drohenden Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement geltend zu machen.672 Grundsätzlich ist ferner auch denkbar, dass Betroffene vorbringen, ihnen drohe im Zielstaat eine nach Artikel 9 IPbpR unzulässige Behandlung. Der Menschenrechtsausschuss hält sich in diesem Fall zwar entgegen der Einwände einiger Staaten ratione materiae für zuständig, hat solche Individualbeschwerden aber bislang häufig als unzureichend substantiiert zurückgewiesen.673 In einigen Fällen hat der Ausschuss Rügen einer drohenden Verletzung von Artikel 9 IPbpR aber auch für zulässig erklärt. Er sieht diese dann als untrennbar verbunden mit einem möglichen Verstoß gegen Artikel 7 IPbpR an, unternimmt im Falle einer festgestellten Verletzung von Artikel 7 IPbpR aber dann keine gesonderte Prüfung von Artikel 9 IPbpR mehr.674 669 CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Australia, § 33 (c). Siehe auch CCPR, List of issues prior to submission of the third periodic report of Malta, 19. Januar 2021, CCPR/C/MLT/QPR/3, §§ 15, 16. 670 CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/2001, § 9.2; CCPR, Stefan Lars Nystrom v. Australia, 1557/2007, § 7.3. 671 CCPR, Baban v. Australia, 1014/2001, 06. August 2003, § 7.2; CCPR, F. K. A. G. et al. v. Australia, 2094/2011, 28. Oktober 2013, § 10. 672 So etwa in CCPR, Bakhtiyari v. Australia, 1069/2002; CCPR, Hamadie Al-Gertani v. Bosnia and Herzegovina, 1955/2010. Siehe auch CCPR, C. v. Australia, 900/1999, §§ 8.2, 8.3; CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, §§ 10.2, 10.3. 673 CCPR, Y. v. Canada, 2314/2013, § 6.5; CCPR, Y. v. Canada, 2327/2014, § 9.6; CCPR, X. v. Canada, 2366/2014, § 8.5; CCPR, S. v. Denmark, 2642/2015, 26. März 2018, § 7.5; CCPR, S. K. v. Canada, 2484/2014, 24. Oktober 2019, § 8.5; CCPR, A. H. G. and M. R. v. Canada, 2091/2011, § 9.4; CCPR, Y. v. Canada, 2280/2013, § 6.5. 674 CCPR, Shakeel v. Canada, 1881/2009, 24. Juli 2013, §§ 7.6, 8.7; CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/2009, §§ 8.8, 9.9; CCPR, Lin v. Australia, 1957/2010, § 9.5; CCPR, Jose Henry Monge Contreras v. Canada, 2613/2015, § 8.12.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Hier zeigt sich also, dass sich die potenzielle Chance auf Abhilfe durch das Rügen mehrerer Paktrechte erhöht. Argumentativ stützt sich der Menschenrechtsausschuss nämlich bei der Feststellung einer Verletzung von Artikel 7 IPbpR auch auf den Schutzbereich von Artikel 9 IPbpR, legt beide Rechte also jeweils im Lichte des anderen Rechts aus. Neben Artikel 9 IPbpR ist es auch möglich, dass eine betroffene Person darlegt, in ihren Rechten aus Artikel 10 IPbpR bedroht zu sein. Aus Artikel 10 IPbpR ergeben sich Mindeststandards für die Behandlung Inhaftierter. Wenn eine Person im Rahmen einer Individualbeschwerde argumentiert, dass ihr im Zielstaat Freiheitsentzug droht und dass die Haftbedingungen im Zielstaat nicht denen des Artikel 10 IPbpR entsprechen, dann ist dies, ähnlich wie die Darlegung, dass im Zielstaat Folter verbreitet praktiziert wird, ein Indiz für die Unvereinbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit dem Prinzip des Non-Refoulement. Die Maßnahme kann dann einen Verstoß gegen Artikel 10 IPbpR oder auch gegen Artikel 7 i. V. m. Artikel 10 IPbpR darstellen.675 bb) Artikel 13 IPbpR Die wohl größte Rolle in der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Prinzips des Non-Refoulement durch den Menschenrechtsausschuss spielt dessen Praxis zu Artikel 13 IPbpR. Gemäß Artikel 13 IPbpR darf der Aufenthalt einer sich rechtmäßig im Staat aufhaltenden Person nur auf Grund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung beendet werden.676 Das Menschenrecht aus Artikel 13 IPbpR stellt eine rein prozessuale Garantie dar. Eine Überprüfung der materiellen Gründe der Aufenthaltsbeendigung findet also nicht statt.677 Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn die Gründe für die Aufenthaltsbeendigung offenkundig willkürlich sind,678 etwa in solchen Fällen, in denen die Rechtsgrundlage für die Aufenthaltsbeendigung gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 26 IPbpR verstößt.679 Das Recht auf ein ordentliches Verfahren hat sich wegen seiner qualitativen und quantitativen Verstärkung von Individualbeschwerden gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu einem wichtigen Element des Rechtsschutzes entwickelt. Jedes Risikobewertungsverfahren muss den Anforderungen von Artikel 13 IPbpR gerecht
675
Harrington J., Queen’s Law Journal 2006 (124). ,In accordance with law‘ meint hierbei zwar nationale Gesetze, diese müssen aber den Anforderungen des Pakts genügen, CCPR, Maroufidou v. Sweden, 058/1979, 09. April 1981, §§ 9.2 ff. Siehe auch International Court of Justice, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), § 65. 677 CCPR, General Comment No. 15, § 10. 678 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 13 Rn. 13. 679 S. Joseph/M. Castan, International Covenant on Civil and Political Rights, 13.02. 676
II. Menschenrechtsausschuss
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werden.680 Darüber hinaus bezieht der Menschenrechtsausschuss auch in Artikel 14 IPbpR kodifizierte Verfahrensrechte für die Fälle aufenthaltsbeendender Maßnahmen in den Schutzbereich des Artikel 13 IPbpR mit ein.681 Wenn sich eine Person im nationalen Verfahren gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme wendet, muss der Vertragsstaat diese prozessualen Garantien wegen des Prinzips des Non-Refoulement sogar dann einhalten, wenn die Person nach dem Wortlaut des Artikel 13 IPbpR keine Rechte aus Artikel 13 IPbpR genießt.682 Die Verfahrensrechte aus Artikel 13 IPbpR bieten einen in mehrfacher Hinsicht eingeschränkten Schutzbereich. So stellt eine Auslieferung nach den travaux préparatoires keinen Fall der Ausweisung im Sinne des Artikel 13 IPbpR dar.683 Dennoch sollen nach Ansicht des Ausschusses bei allen Formen aufenthaltsbeendender Maßnahmen die Verfahrensgarantien des Artikel 13 IPbpR grundsätzlich anwendbar sein.684 Bereits in seinem vierten Fall, welchen der Menschenrechtsausschuss zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu entscheiden hatte, argumentierte er, es stehe den Vertragsstaaten zwar grundsätzlich frei, Auslieferungsabkommen mit anderen Staaten zu schließen, die Erfüllung dieser Abkommen müsse aber den Anforderungen des Artikel 13 IPbpR genügen.685 Auch gilt Artikel 13 IPbpR nur für solche Personen, die sich rechtmäßig in einem Staat aufhalten. Haben Beschwerdeführende keine Aufenthaltserlaubnis oder ist diese ausgelaufen, so können sie sich nicht auf Artikel 13 IPbpR berufen. Ist die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts aber streitig, hat der Staat nach Auffassung des Menschenrechtsausschusses die Verfahrensgarantien des Artikel 13 IPbpR anzuwenden.686 Eine weitere Beschränkung des Rechts aus Artikel 13 IPbpR ist möglich, wenn zwingende Gründe der nationalen Sicherheit einem solchen Verfahren entgegenstehen. Der Menschenrechtsausschuss lässt den Vertragsstaaten grundsätzlich einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Frage, was solche Gründe sind, wobei auch hier stets eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist. Gruppen von Personen können nicht pauschal als sicherheitsgefährdend eingestuft werden.687
680 W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 13 Rn. 17. 681 CCPR, General Comment No. 32, § 62. 682 CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 6.6. 683 M. Bossuyt, Guide to the „travaux préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, 273 f. 684 CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 6.6; CCPR, General Comment No. 15, § 9; CCPR, Everett v. Spain, 961/2000, 09. Juli 2004, § 6.4. 685 CCPR, Giry v. Dominican Republic, 193/1985, § 5.5. 686 CCPR, General Comment No. 15, § 9. 687 CCPR, Concluding observations on the seventh periodic report of Sweden, 28. April 2016, CCPR/C/SWE/CO/7, §§ 32 f.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
In jedem Fall aber sind prozessuale Mindeststandards in Verfahren zum Prinzip des Non-Refoulement zu beachten. Die Absolutheit des Rechts auf Schutz vor Folter und Misshandlung nach Artikel 7 IPbpR schließt eine Verkürzung oder gar Aussetzung des Verfahrens in potenziellen Refoulementfällen aus. Gleiches gilt für drohende Verletzungen von Artikel 6 IPbpR. Der Menschenrechtsausschuss hat daher etwa im Fall Alzery v. Sweden zwar eine Verletzung von Artikel 13 IPbpR mit Hinweis auf den Beurteilungsspielraum der Vertragsstaaten bei der Feststellung einer Gefahr für die nationale Sicherheit verneint, eine Verletzung von Artikel 7 i. V. m. Artikel 2 IPbpR hat er aber auch deshalb angenommen, weil dem Betroffenen im nationalen Verfahren keine Möglichkeit zur Anfechtung der Entscheidung gegeben worden war.688 Aus Artikel 13 IPbpR ergibt sich auch, dass eine Person, die aus einem Land ausgewiesen werden soll, ein Recht auf eine individuelle Entscheidung ihres persönlichen Falls hat. Somit kann auch mit der Rüge einer Verletzung von Artikel 13 IPbpR gegen Kollektivausweisungen vorgegangen werden. Sieht ein nationales Gesetz die Möglichkeit von Kollektivausweisungen ohne Überprüfung des Einzelfalls vor, verstößt dies nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses stets gegen Artikel 13 IPbpR.689 Das gleiche gilt für Abweisungen an der Grenze.690 Artikel 13 IPbpR sieht des Weiteren vor, dass die Person, deren Aufenthaltsbeendigung droht, ein Recht hat, im Rahmen des Verfahrens Gründe gegen die Entscheidung vorzubringen. Wird den Betroffenen keine Gelegenheit hierzu gegeben, ist Artikel 13 IPbpR verletzt.691 Dies muss so verstanden werden, dass den Betroffenen ein effektives Rechtsmittel gegen die Ausweisungsentscheidung zur Verfügung stehen muss,692 eine Aufenthaltsbeendigung also nicht vollzogen werden darf, bevor der betroffenen Person die Gelegenheit zum Vorbringen von Gründen gegen die Entscheidung gegeben wurde.693 Wenn die Gründe, die nicht vorgebracht werden
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CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, §§ 11.8, 11.10. CCPR, General Comment No. 15, § 10. Siehe auch CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Dominican Republic, 26. April 2001, CCPR/CO/71/DOM, § 16; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Italy, § 15; CCPR, A. G. et al. v. Angola, 3106/2018 – 3122/2018, 21. Juli 2020, § 7.9. 690 CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Hungary, §§ 45 f. Siehe auch K. Wouters, International legal standards for the protection from refoulement, 415. 691 CCPR, Hammel v. Madagascar, 155/1983, 03. April 1987, §§ 19.2, 20; CCPR, Giry v. Dominican Republic, 193/1985, § 5.5. 692 CCPR, General Comment No. 15, § 10; CCPR, Hammel v. Madagascar, 155/1983, § 19.2. 693 CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Ukraine, § 9; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Estonia, 04. August 2010, CCPR/ C/EST/CO/3, § 11; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Uzbekistan, 07. April 2010, CCPR/C/UZB/CO/3, § 12; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Azerbaijan, 13. August 2009, CCPR/C/AZE/CO/3, § 9; CCPR, Concluding Observations on France, § 20; CCPR, Concluding observations of the Human 689
II. Menschenrechtsausschuss
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können, für das Prinzip des Non-Refoulement relevante Gründe sind, dann stellt der Ausschuss folglich eine Verletzung von Artikel 7 i. V. m. Artikel 13 IPbpR fest.694 Der Menschenrechtsausschuss hat dieses Recht zum Vorbringen von Gründen weiter spezifiziert. Nach General Comment Nr. 28 zu Artikel 3 IPbpR ist etwa Frauen ein Recht einzuräumen, geschlechterspezifische Gründe gegen ihre Abschiebung vorzubringen.695 Der Menschenrechtsausschuss empfiehlt den Vertragsstaaten auch, in Asylverfahren für asylsuchende Frauen nur weibliche Amtspersonen zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus einzusetzen.696 d) Antidiskriminierung Schließlich hat jeder Mensch ein Recht auf diskriminierungsfreie Behandlung aus Artikel 26 IPbpR. Wenn eine beschwerdeführende Person einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement fürchtet und hierbei argumentiert, dass sich eine besondere Schutzbedürftigkeit, etwa aus der Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Minderheit oder aus dem Geschlecht der Person, ergibt, dann hält der Menschenrechtsausschuss die gerügten Verletzungen von Artikel 26 und Artikel 6/ 7 IPbpR für untrennbar.697 Auch hieraus ergeben sich Vorgaben für das Risikobewertungsverfahren. Wenn eine Person etwa ihre Angst vor einem irreparablen Schaden auf drohende oder erlebte geschlechterspezifische Gewalt stützt, muss ihr Gelegenheit gegeben werden, derartige Gründe im Verfahren darzulegen und nationale Verfahren auf Grundlage dessen überprüfen zu lassen.698 Bereits in den ersten Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wurde immer wieder auch das Argument angeführt, die aufenthaltsbeendende Maßnahme verletze die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf diskriminierungsfreie Behandlung aus Artikel 26 IPbpR.699 Die Beschwerdeführer gaben an, dass bei einem Prozess im Zielstaat die Verhängung der Todesstrafe aufgrund der Zugehörigkeit des jeweiligen Beschwerdeführers zu einer ethnischen Minderheit wahrscheinlicher wäre. Diese Rügen hat der Menschenrechtsausschuss als unzureichend substantiiert zurückgewiesen, da Verletzungen von Rights Committee – Libya, 15. November 2007, CCPR/C/LBY/CO/4, § 18. Siehe auch W. A. Schabas, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, Art. 13 Rn. 17. 694 CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, § 10.8; CCPR, A. G. et al. v. Angola, 3106/2018 – 3122/2018, § 8. 695 CCPR, General Comment No. 28 Article 3 (The equality of rights between men and women), 29. März 2000, CCPR/C/21/Rev.1/Add.10, § 17. 696 CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Austria, 30. Oktober 2007, CCPR/C/AUT/CO/4, § 18. 697 Vgl. etwa CCPR, M. Z. B. M. v. Denmark, 2593/2015, §§ 6.5 f. 698 CCPR, General Comment No. 28, § 17 i. V. m. §§ 10, 11. 699 CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991; CCPR, Ng v. Canada, 469/1991; CCPR, Cox v. Canada, 539/1993.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Artikel 26 IPbpR nicht allein auf die Behauptung gestützt werden können, das Strafjustizsystem im Zielstaat sei diskriminierend.700 Dennoch bestätigte bereits hier die Abweisung durch den Menschenrechtsausschuss wegen unzureichender Substantiierung jedenfalls, dass bei entsprechenden Nachweisen eine Verletzung von Artikel 26 IPbpR im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen möglich ist.701 Der Annahme von Staaten, Artikel 26 IPbpR sei mangels extraterritorialer Anwendbarkeit nicht bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu berücksichtigen, folgt der Ausschuss nicht.702 Inzwischen hat der Ausschuss auch das Recht aus Artikel 26 IPbpR in Beschwerden zum Prinzip des NonRefoulement für mit den befürchteten Verletzungen von Artikel 7 IPbpR untrennbar verbunden angesehen.703 5. Rechtsfolgen Der Menschenrechtsausschuss räumt sich eine generelle Kompetenz ein, für Paktverletzungen Wiedergutmachung von dem verletzenden Vertragsstaat zu verlangen. Diese Kompetenz leitet er aus Artikel 2 IPbpR ab.704 Die Rechtsfolgen, welche der Menschenrechtsausschuss an die Feststellung einer Paktverletzung knüpft, variieren von Fall zu Fall. Das ergibt sich auch daraus, dass der Menschenrechtsausschuss als entscheidend ansieht, welche Art der Abhilfe von der beschwerdeführenden Person angestrebt wird.705 Für die Frage, welche Folgen die Feststellung einer Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement für Betroffene und Vertragsstaaten hat, ist zunächst entscheidend, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme bereits vollzogen wurde oder ob sich die betroffene Person noch im Vertragsstaat aufhält, etwa weil dieser eine vom Menschenrechtsausschuss angeordnete einstweilige Maßnahme einhält. Unabhängig vom Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme verlangt der Menschenrechtsausschuss aber in jedem Fall, dass der betroffene Vertragsstaat sicherstellt, dass sich vergleichbare Paktverletzungen in Zukunft nicht wiederholen. Diese Pflicht ermöglicht es dem Ausschuss im Fall von Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement, auch strukturelle Präventionsmechanismen zu fördern, wie etwa die Errichtung unabhängiger spezialisierter Gerichte für Migrationsfragen.706
700
CCPR, Cox v. Canada, 539/1993, § 10.4. So auch Harrington J., Queen’s Law Journal 2006 (130). 702 CCPR, Y. v. Canada, 2327/2014, § 9.6; CCPR, X. v. Canada, 2366/2014, § 8.5. 703 CCPR, M. Z. B. M. v. Denmark, 2593/2015, §§ 6.5 f. 704 CCPR, Guidelines on measures of reparation under the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, 30. November 2016, CCPR/C/158, § 3. 705 Ebenda, § 4. 706 CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 13. 701
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a) Entscheidung der Individualbeschwerde vor Vollzug der Aufenthaltsbeendigung In den weit überwiegenden Fällen ist es zum Zeitpunkt der Entscheidung des Menschenrechtsausschusses noch nicht zur Aufenthaltsbeendigung gekommen. Der Menschenrechtsausschuss knüpft dann meistens an den Zeitpunkt der letzten nationalen Entscheidung an.707 Da die beschwerdeführende Person sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Menschenrechtsausschusses noch in dem Vertragsstaat befindet, stellt der Ausschuss dann fest, dass eine Aufenthaltsbeendigung die Rechte der betroffenen Person aus dem Pakt verletzen würde. Aber auch aus diesen Entscheidungen leitet der Menschenrechtsausschuss Rechtsbehelfe für die betroffenen Personen und somit Pflichten für die Vertragsstaaten ab. So verlangt der Ausschuss stets die Rücknahme der Aufenthaltsbeendigungsentscheidung und eine vollständige erneute Durchführung des Verfahrens unter Berücksichtigung der staatlichen Pflichten aus dem IPbpR sowie der Entscheidung der Individualbeschwerde.708 Damit verbunden verlangt der Menschenrechtsausschuss in der Regel die Aussetzung der Aufenthaltsbeendigung. Da sich aus dem IPbpR selbst kein Recht auf Aufenthalt ableiten lässt, verlangt der Ausschuss bis auf wenige Ausnahmen709 eine temporäre Aussetzung der Aufenthaltsbeendigung, häufig etwa bis zum Abschluss des Asylverfahrens.710 Besonders auffällig ist aber, dass der Menschenrechtsausschuss, obwohl er nur feststellt, dass ein Vollzug der Aufenthaltsbeendigungsentscheidung eine Paktverletzung darstellen würde, gelegentlich auch verlangt, dass der Staat vergleichbare Paktverletzungen zukünftig vermeidet.711 Der Staat wird also, obwohl er die eigene Entscheidung nicht vollzogen hat, nicht anders behandelt, als ein Staat, welcher die 707
Siehe auch oben Kapitel D. II. 2. d). Anders CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/ 2007, § 11. Hier hat der Ausschuss abweichend von seiner übrigen Praxis an die Entscheidung des Vertragsstaates angeknüpft und daher auch ohne Vollzug dieser Entscheidung eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel 7 i. V. m. Artikel 24 IPbpR angenommen. Vgl. auch CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, abweichendes Votum Rodley und Thelin. 708 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 13; CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/ 2009, § 11; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009, § 13; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.6; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, § 10; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/ 2016, § 10; CCPR, A. B. H. v. Denmark, 2603/2015, § 11; CCPR, R. M. and F. M. v. Denmark, 2685/2015, § 11; CCPR, Jose Henry Monge Contreras v. Canada, 2613/2015, § 10; CCPR, K. H. v. Denmark, 2423/2014, § 10. 709 CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010, § 10. 710 CCPR, Jose Henry Monge Contreras v. Canada, 2613/2015, § 10; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, § 10; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016, § 10; CCPR, K. H. v. Denmark, 2423/2014, § 10; CCPR, M. S. aka M. H. H. A. D. v. Denmark, 2601/2015, § 11; CCPR, A. B. H. v. Denmark, 2603/2015, § 11; CCPR, R. M. and F. M. v. Denmark, 2685/2015, § 11. 711 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 13; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/ 2009, § 13.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen hat. Dies spiegelt sich auch in den Schlusssätzen der Entscheidungen wider. Nur einige wenige Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement enden wie folgt: „Bearing in mind that, by becoming a party to the Optional Protocol, the State party has recognized the competence of the Committee to determine whether there has been a violation of the Covenant and that, pursuant to article 2 of the Covenant, the State party has undertaken to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the Covenant, the Committee wishes to receive from the State party, within 180 days, information about the measures taken to give effect to the present Views.“712
Diese Formulierung berücksichtigt den Umstand, dass eine Paktverletzung tatsächlich noch nicht stattgefunden hat und der Vertragsstaat dem Vertragsorgan des IPbpR nur insoweit verpflichtet ist, als sich aus der Ratifikation des 1. FP IPbpR Kooperationspflichten ergeben. Weitaus häufiger aber lautet der Schlusssatz in Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement: „… pursuant to article 2 of the Covenant, the State party has undertaken to guarantee to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the Covenant, and to provide an effective and enforceable remedy when it has been determined that a violation has occurred …“.713 [Hervorh. d. Verf.]
Dies kann nur so zu verstehen sein, dass der Menschenrechtsausschuss auch in den Fällen, in denen er feststellt, dass der Vollzug der nationalen Entscheidung eine Verletzung der Rechte der beschwerdeführenden Person darstellen würde, tatsächlich davon ausgeht, dass der Staat bereits eine Paktverletzung begangen hat, für die er sich entsprechend zu verantworten hat. In Anbetracht der Tatsache, dass die Praxis des Menschenrechtsausschusses zum relevanten Zeitpunkt zur Beurteilung der Gefahr inkonsequent und widersprüchlich ist,714 ist es nicht verwunderlich, dass sich auch bei der Feststellung einer Verletzung und infolgedessen im Rahmen der Rechtsfolgen einer Entscheidung Inkonsistenzen ergeben. Auch das trägt zu weiterer Rechtsunsicherheit bei.
712 CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 14; CCPR, Warsame v. Canada, 1959/ 2010, § 11; CCPR, Merhdad Mohammad Jamshidian v. Belarus, 2471/2014, § 12; CCPR, Raziyeh Rezaifar v. Denmark, 2512/2014, § 12; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, § 11; CCPR, Jose Henry Monge Contreras v. Canada, 2613/2015, § 11. 713 CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/2009, § 12; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/ 2009, § 14; CCPR, K. H. v. Denmark, 2423/2014, § 11; CCPR, Araya v. Denmark, 2575/2015, § 12; CCPR, A. B. H. v. Denmark, 2603/2015, § 12; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/ 2016, § 11; CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, § 11. Dasselbe meinend CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.7; CCPR, M. S. aka M. H. H. A. D. v. Denmark, 2601/2015, § 12; CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, § 10; CCPR, R. M. and F. M. v. Denmark, 2685/ 2015, § 12. 714 Siehe hierzu oben Kapitel D. II. 2. d).
II. Menschenrechtsausschuss
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b) Entscheidung der Individualbeschwerde nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung Wenn der Menschenrechtsausschuss eine Paktverletzung feststellt, nachdem die aufenthaltsbeendende Maßnahme bereits vollzogen wurde, verlangt er vom Staat immer eine angemessene Entschädigung.715 Wenn es im Zielstaat tatsächlich bereits zu Folter oder einer ähnlichen Behandlung gekommen ist, hat derjenige Staat, gegen den sich die Individualbeschwerde richtet, auch dies im Rahmen der Bemessung einer Entschädigung zu berücksichtigen.716 Wie die Entschädigung eines solchen irreparablen Schadens aussehen soll, lässt der Menschenrechtsausschuss dabei offen. Ist die Aufenthaltsbeendigung zwar schon vollzogen, der drohende irreparable Schaden aber noch nicht eingetreten, dann verlangt der Menschenrechtsausschuss, dass der Vertragsstaat in Kooperation mit dem Zielstaat Überwachungs- und Schutzmaßnahmen ergreift, um den Eintritt des Schadens zu verhindern.717 Hierzu gehört dann auch eine regelmäßige Berichterstattung des Vertragsstaates, gegen welchen sich die Individualbeschwerde richtet, an den Menschenrechtsausschuss über die Lage der betroffenen Person.718 Letztere Pflicht ist insbesondere mit Blick auf ihren zeitlichen Umfang interessant. Grundsätzlich bietet das Prinzip des Non-Refoulement nur so lange Schutz, wie das Risiko fortbesteht. Es ist zwar nicht zu erkennen, dass der Menschenrechtsausschuss bewusst hierüber hinaus den Staat verpflichtet. Andererseits nennt er auch keine zeitliche Begrenzung der Überwachungs- und Berichterstattungspflicht. Der Vertragsstaat wird trotz Vereinbarung effektiver Maßnahmen und Kooperation mit dem Zielstaat weiterhin zur Berichterstattung an den Menschenrechtsausschuss verpflichtet. Dem Vertragsstaat wird also auf unbestimmte Zeit die Verantwortung für das Wohlergehen einer nicht länger in dessen Hoheitsgewalt befindlichen Person auferlegt. Da der Ausschuss keine zeitliche Begrenzung nennt, muss wohl der Vertragsstaat nachweisen, dass eine Gefahr irreparablen Schadens nicht länger besteht. Was hierfür nachgewiesen werden muss, ist ebenfalls unklar. In seinem FollowUp Report zu Israil v. Kazakhstan hat der Menschenrechtsausschuss die Information, dass der Betroffene im Zielstaat nicht länger in Gefangenschaft ist, für nicht ausreichend befunden und weitere Informationen verlangt.719 715
CCPR, Israil v. Kazakhstan, 2024/2011, § 11; CCPR, Maksudov and Rakhimov, Tashbaev and Pirmatov v. Kyrgyzstan and Uzbekistan, 1461/2006, 1462/2006, 1476/2006, 1477/ 2006, § 14; CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, § 13. 716 CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010, § 12. 717 CCPR, Israil v. Kazakhstan, 2024/2011, § 11; CCPR, Maksudov and Rakhimov, Tashbaev and Pirmatov v. Kyrgyzstan and Uzbekistan, 1461/2006, 1462/2006, 1476/2006, 1477/ 2006, § 14; CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010, § 12. 718 CCPR, Israil v. Kazakhstan, 2024/2011, § 11; CCPR, Maksudov and Rakhimov, Tashbaev and Pirmatov v. Kyrgyzstan and Uzbekistan, 1461/2006, 1462/2006, 1476/2006, 1477/ 2006, § 14. 719 CCPR, Follow-up progress report on individual communications received and processed between June 2014 and January 2015, 29. Juni 2015, CCPR/C/113/3, 11.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
c) Sonderfall: Dublin-Verfahren Schließlich bilden auch im Rahmen der Rechtsfolgen die sogenannten DublinVerfahren eine eigene Fallgruppe. So wird hier nicht festgestellt, dass der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung eine Paktverletzung darstellen würde, sondern, dass ein Vollzug ohne die vom Menschenrechtsausschuss detailliert beschriebenen diplomatischen Zusicherungen eine solche Verletzung darstellen würde.720 Wie in anderen Verfahren auch verlangt der Ausschuss hier die Rücknahme der Entscheidung und eine vollständige erneute Durchführung des Verfahrens unter Berücksichtigung der staatlichen Pflichten aus dem IPbpR sowie der Entscheidung der Individualbeschwerde, wobei er zusätzlich verlangt, dass hierbei die von ihm beschriebenen diplomatischen Zusicherungen beachtet werden.721 Während im Rahmen anderer Individualbeschwerdeverfahren vom Vertragsstaat lediglich ein neues Verfahren unter Berücksichtigung der Entscheidung des Ausschusses verlangt wird, verlangt der Menschenrechtsausschuss hier, dass die Aufenthaltsbeendigung, falls es zu dieser kommt, unter der Beachtung detaillierter Vorgaben des Ausschusses abläuft.722 Allerdings kann diese Besonderheit in der Praxis wohl keine Wirkung entfalten, denn der Ausschuss verlangt hier ebenso wie in anderen Fällen weiterhin, dass die Aufenthaltsbeendigung nicht vollzogen werden soll, bis die Betroffenen ihr Asylverfahren abgeschlossen haben.723 Sinn und Zweck der innereuropäischen Rückführung nach der sogenannten Dublin-Verordnung ist es aber gerade, dass Asylverfahren in dem Staat durchgeführt werden, in welchen die Betroffenen zurückgeführt werden sollen. Richtet sich also zum Beispiel eine Individualbeschwerde gegen Dänemark wegen der drohenden Rückführung nach Italien und stellt der Menschenrechtsausschuss eine Verletzung des IPbpR fest, dann muss der betroffenen Person die Möglichkeit gegeben werden, ihr Asylverfahren in Dänemark durchzuführen. Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens wird es dann nach Abschluss des Asylverfahrens in keinem Fall mehr zu einer Rückführung nach Italien kommen.724 720
CCPR, Hibaq Said Hashi v. Denmark, 2470/2014, § 10; CCPR, Raziyeh Rezaifar v. Denmark, 2512/2014, § 10; CCPR, Araya v. Denmark, 2575/2015, § 10; CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, § 8. 721 CCPR, Hibaq Said Hashi v. Denmark, 2470/2014, § 11; CCPR, Raziyeh Rezaifar v. Denmark, 2512/2014, § 11; CCPR, Araya v. Denmark, 2575/2015, § 11; CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, § 9. 722 Solche Vorgaben macht der Menschenrechtsausschuss auch dann, wenn er diplomatische Zusicherungen nicht für zielführend hält, vgl. CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, §§ 9 f. 723 CCPR, Abdilafir Abubakar Ali and Mayul Ali Mohamad v. Denmark, 2409/2014, § 9; CCPR, Obah Hussein Ahmed v. Denmark, 2379/2014, § 15; CCPR, Raziyeh Rezaifar v. Denmark, 2512/2014, § 11; CCPR, Y. A. A. and F. H. M. v. Denmark, 2681/2015, § 9; CCPR, Hibaq Said Hashi v. Denmark, 2470/2014, § 11; CCPR, Araya v. Denmark, 2575/2015, § 11. 724 In der Praxis werden Aufenthaltsbeendigungen nach der Dublin-Verordnung allerdings bereits durch Erhebung der Individualbeschwerde unmöglich. Gemäß Artikel 29 Dublin IIIVerordnung ist eine Überstellung nach der Verordnung nur innerhalb enger zeitlicher Fristen
II. Menschenrechtsausschuss
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d) Follow-Up Wie der Ausschuss gegen Folter präzisiert auch der Menschenrechtsausschuss in seinen Follow-Up-Verfahren zu Individualbeschwerden weitergehend, was er von den Vertragsstaaten verlangt. Anders als der Ausschuss gegen Folter vergibt der Menschenrechtsausschuss dabei Noten, so dass auch schon vor Einstellung eines Verfahrens erkennbar ist, ob der Ausschuss jedenfalls teilweise mit der Umsetzung durch den Vertragsstaat zufrieden ist. Auch hierbei sind die überwältigende Mehrheit der Beschwerden solche von Personen, deren Aufenthaltsbeendigung noch nicht vollzogen wurde und die als Reaktion auf die Entscheidung des Menschenrechtsausschusses von dem Vertragsstaat eine Aufenthaltserlaubnis angeboten bekommen haben. In diesen Fällen zeigt sich der Menschenrechtsausschuss zufrieden und beendet das Follow-Up-Verfahren.725 Das ist übrigens auch dann der Fall, wenn der Ausschuss keinen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement, sondern gegen Artikel 17, 23 Abs. 1 oder 24 IPbpR festgestellt hat.726 Der Menschenrechtsausschuss lässt, anders als der Ausschuss gegen Folter, die Wiederaufnahme des nationalen Verfahrens auch dann genügen, wenn das Verfahren unter Berücksichtigung der Entscheidung des Ausschusses erneut durchgeführt wurde und der Vertragsstaat dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Aufenthaltsbeendigung nicht gegen den Pakt verstieße.727 Auch hat es der Menschenrechtsausschuss ausreichen lassen, dass ein Vertragsstaat angab, möglicherweise nicht von einer Aufenthaltsbeendigung der beschwerdeführenden Person abzusehen, möglich. Diese kann ein Vertragsstaat in der Regel schon dann nicht einhalten, wenn der Menschenrechtsausschuss einstweilige Maßnahmen anordnet und der Vertragsstaat diese einhält. 725 Siehe nur CCPR, Annual Report 2011/2012 zu CCPR, Kwok v. Australia, 1442/2005; CCPR, Annual Report of the Human Rights Committee 2012/2013, 2013, A/68/40 (Vol. I) zu CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008; CCPR, Follow-up progress report on individual communications, adopted by the Committee at its 112th session, 16. Dezember 2014, CCPR/C/ 112/3 zu CCPR, Shakeel v. Canada, 1881/2009 und CCPR, Thuraisamy v. Canada, 1912/2009, 31. Oktober 2012; CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 115th session, 23. Dezember 2015, CCPR/C/115/3 zu CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010; CCPR, Follow-up progress report on individual Communications adopted by the Committee at its 116th session, 05. August 2016, CCPR/C/116/3 zu CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009; CCPR, Follow-up progress report on individual communications, 27. November 2020, CCPR/C/127/3 zu CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016. 726 CCPR, Annual Report 2005/2006, 2006, A/61/40 (Vol. II) zu CCPR, Madafferi v. Australia, 1011/2001; CCPR, Annual Report 2006/2007, 2007, A/62/40 (Vol. II) zu CCPR, Winata and Li v. Australia, 930/2000. 727 CCPR, Follow-up progress report on individual communications, 30. Mai 2017, CCPR/ C/119/3 zu CCPR, Rasappu and Rasappu v. Denmark, 2258/2013; CCPR, Follow-up progress report on individual communications, 07. Dezember 2020, CCPR/C/125/3 zu CCPR, E. U. R. v. Denmark, 2469/2014, CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015 und CCPR, M. S. aka M. H. H. A. D. v. Denmark, 2601/2015. Siehe zum Recht auf Privat- und Familienleben auch CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 118th session, 01. August 2016, CCPR/C/118/3 zu CCPR, Muneer Ahmed Husseini v. Denmark, 2243/2013.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
dass aber Schutz vor Refoulement oder Kettenrefoulement durch die Vermeidung der Ausreise in bestimmte Staaten gewährleistet würde.728 Wenn die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde, stellt der Ausschuss das Follow-Up-Verfahren dann ein, wenn die Person zurückgeholt wurde, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat und gegebenenfalls Schadenersatz für erlittene Misshandlung geleistet wurde, oder wenn nationale Risikobewertungsverfahren nach den Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses reformiert wurden.729 Welche Ersatzleistungen eine angemessene Schadenskompensation darstellen, hat der Menschenrechtsausschuss bislang auch in Follow-Up-Verfahren nicht spezifiziert. So lange sich die Person in dem Staat, in dem Misshandlung droht, aufhält und nicht zurückgeholt wird, sieht der Menschenrechtsausschuss den Vertragsstaat so lange in der Pflicht, sicherzustellen, dass sich das Risiko nicht realisiert, bis die Möglichkeit der Wiedereinreise besteht.730 6. Fazit Quantitativ spielt das Prinzip des Non-Refoulement vor dem Menschenrechtsausschuss eine gewichtige Rolle. Von den 252 zwischen 2017 und 2019 entschiedenen Individualbeschwerden beschäftigten sich 76 mit dem Prinzip des Non-Refoulement. Im Vergleich zum Ausschuss gegen Folter ist die Feststellung einer Verletzung von Individualrechten hier wahrscheinlicher: Von den zwischen 2017 und 2019 in der Sache entschiedenen 58 Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Menschenrechtsausschuss in 16 Fällen eine Paktverletzung festgestellt, in zwei hiervon keine Verletzung von Artikel 6 oder 7 IPbpR.731 Dies zeigt zum einen, dass Artikel 6 und 7 IPbpR trotz der offenen Formulierung des General Comment Nr. 31 für das Prinzip des Non-Refoulement nach dem IPbpR eine zentrale Rolle spielen. Die Praxis des Menschenrechtsausschusses zeigt aber auch, dass die Er728
CAT, Annual Report 2005/2006 zu CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003. CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 118th session zu CCPR, A. H. v. Denmark, 2370/2014; CCPR, Annual Report 2006/2007 und CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Sweden, 07. Mai 2009, CCPR/C/SWE/CO/6, § 16 zu CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005; CCPR, Annual Report 2013/2014 zu CCPR, X. v. Sweden, 1833/2008; CCPR, Follow-up progress report on individual communications, adopted by the Committee at its 112th session zu CCPR, M. I. v. Sweden, 2149/2012. 730 CCPR, Follow-up progress report on individual communications received and processed between June 2014 and January 2015; CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 115th session; CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 118th session; CCPR, Followup progress report on individual communications zu CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/2010. Hierbei scheint es sich um eine neuere Praxis zu handeln, siehe noch CAT, Annual Report 2005/ 2006 zu CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001. 731 CCPR, Maalem et al. v. Uzbekistan, 2371/2014, 17. Juli 2018; CCPR, F. A. v. Russia, 2189/2012, 27. Juli 2018. 729
II. Menschenrechtsausschuss
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hebung einer Individualbeschwerde vor dem Ausschuss für die betroffene Person erfolgversprechender sein kann als vor anderen VN-Vertragsorganen. Der IPbpR bietet von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Bedrohten die Möglichkeit, neben möglichen Verletzungen des Rechts auf Leben und des Folterverbots auch einige weitere Rechtsverletzungen im Rahmen ihrer Individualbeschwerde zu rügen. Dies geht teilweise über einen aus Artikel 6 oder 7 IPbpR abgeleiteten Schutz vor Refoulement hinaus, so etwa in Fällen, in denen die Individualbeschwerde materiell auf den Schutz der Familie oder die persönliche Beziehung zum derzeitigen Aufenthaltsland gestützt wird. Teilweise werden Rügen anderer Rechte aber auch unterstützend oder hilfsweise vorgebracht. Hierbei spielen insbesondere die Verfahrensrechte eine entscheidende Rolle. Falls der Menschenrechtsausschuss keine eindeutige Verletzung von Artikel 6 oder 7 IPbpR feststellen kann, bleibt die Möglichkeit der Feststellung jedenfalls einer Verletzung etwa eines der Artikel 9 – 13 IPbpR. Man könnte diese als schwache Hilfsmittel ansehen. Zum einen sind diese Rechte zu einem erheblichen Teil nach Artikel 4 IPbpR derogierbar. Zum anderen handelt es sich nicht um absolute Rechte. Geschützt wird nur vor drohenden unverhältnismäßigen Eingriffen. Die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung ist dann davon abhängig, ob die Maßnahme nach innerstaatlichen Maßstäben rechtmäßig ist. Das verpflichtet den Menschenrechtsausschuss dazu, zu prüfen, ob der Staat seine eigenen Vorschriften korrekt angewandt hat, was aber regelmäßig außerhalb seiner Kompetenz liegt. Es bleibt dem Ausschuss daher nur insoweit Handlungsspielraum, die Maßnahme des Vertragsstaates nach innerstaatlichem Recht zu überprüfen, als die Anwendung dieses Rechts offensichtlich willkürlich oder wider guten Glauben erfolgte. Gerade im Vergleich zum Rechtsschutz vor dem Ausschuss gegen Folter zeigt sich aber, dass die Möglichkeit dieser hilfsweisen Geltendmachung diverser Rechtsverletzungen insgesamt die Möglichkeit eines deutlich breiteren, differenzierteren Rechtsschutzes bietet.732 Das ergibt sich auch daraus, dass die besondere Schutzbedürftigkeit einer Person in Bezug auf eine folterähnliche Misshandlung gut damit begründet werden kann, dass durch die Aufenthaltsbeendigung auch andere Beeinträchtigungen der Paktrechte wahrscheinlich sind, selbst wenn diese nicht dem Vertragsstaat zur Last gelegt werden können. So erklärte etwa das Mitglied des Menschenrechtsausschusses Gerald L. Neuman in einem Sondervotum zum Fall X. v. Denmark, dass die vom Beschwerdeführer befürchteten Verletzungen seiner Rechte aus Artikel 18 IPbpR derart gravierend seien, dass der Beschwerdeführer zu Recht eine Misshandlung im Sinne des Artikel 7 IPbpR befürchte.733 Neuman fragt in seinem Sondervotum, ob man ein Re732
C. Ingelse, The UN Committee against Torture, 2001, 307. CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, Sondervotum Gerald Neuman. Der Menschenrechtsausschuss hatte hier in seiner Mehrheitsentscheidung festgestellt, dass eine Prüfung einer 733
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
foulementverbot allein aus Artikel 18 IPbpR annehmen könnte und ob dieses dann ebenfalls absolut wäre, oder ob man in einem solchen Fall Einschränkungen vergleichbar mit denjenigen der GFK anwenden müsste. Er gelangt zu dem Schluss, dass ein Refoulementverbot nicht aus Artikel 18 IPbpR ableitbar sei, eine Verletzung von Artikel 7 IPbpR wegen gravierender Einschränkungen für andere Rechte aber möglich ist. Der Ausschuss gegen Folter hat zwar ebenfalls in seiner Praxis unterschiedliche besonders schutzbedürftige Gruppen anerkannt.734 Die Beschwerdeführenden sind aber hierbei in ihrer Argumentation, warum sie etwa als Angehörige einer religiösen Minderheit besonders schutzlos sind, völlig frei und die Anerkennung und Gewichtung dieser Umstände liegt allein im Ermessen des Ausschusses gegen Folter. Beschwerdeführende vor dem Menschenrechtsausschuss dagegen können sich in ihrer Argumentation auf die breite Praxis des Ausschusses zu den jeweiligen Rechten, also etwa Artikel 18 IPbpR, stützen. Abgesehen von diesen positiven Aspekten aus der Opferperspektive trägt die Praxis des Menschenrechtsausschusses hiermit jedoch nicht zu einer klaren Abgrenzbarkeit des Schutzbereiches des Prinzips des Non-Refoulement nach dem IPbpR bei. Im Gegensatz zum Ausschuss gegen Folter, der weitestgehend klare Abgrenzungen zwischen relevanten materiellen Elementen wie Folter und anderer Misshandlung, dem Täterkreis und dem relevantem Zeitpunkt für die Frage der Beurteilung des Risikos formuliert, verlagert der Menschenrechtsausschuss dann, wenn eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht eindeutig einen Verstoß gegen das Folterverbot oder das Verbot willkürlicher Tötung darstellt, seine Argumentation auf Rechte, zu denen er eine etablierte Spruchpraxis hat. Dann erkennt er hierin mal einen Verstoß gegen Artikel 7 IPbpR in Verbindung mit einem anderen Paktrecht,735 mal wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Person in ihrer Rolle als Trägerin eines anderen Paktrechts einen Verstoß von Artikel 7 IPbpR alleine.736 Einerseits wird durch diese Praxis des ,Zusammenlesens‘ von Rechten faktisch fast allen Paktrechten zu extraterritorialer Anwendbarkeit verholfen und damit die Pflichten der Staaten massiv ausgeweitet. Andererseits macht die Inkonsequenz des Menschenrechtsausschusses den Ausgang von Individualbeschwerden kaum vorhersehbar. Das bedeutet, dass selbst solche Vertragsstaaten, die grundsätzlich bereit möglichen Verletzung von Artikel 18 IPbpR durch Dänemark nach der Bejahung einer Verletzung von Artikel 7 IPbpR nicht erforderlich sei. 734 Siehe hierzu oben Kapitel D. I. 3. d). 735 CCPR, Ahani v. Canada, 1051/2001, § 10.8; CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006, § 10.3; CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, § 11; CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, § 8.12. 736 CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, §§ 11.8, 11.10; CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.5; CCPR, Djebbar and Chihoub v. Algeria, 1811/2008, 31. Oktober 2011, § 8.12; CCPR, Shakeel v. Canada, 1881/2009, § 8.7; CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/2009, § 9.9; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.4; CCPR, A. H. G. and M. R. v. Canada, 2091/ 2011, § 10.5; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, § 8.6.
II. Menschenrechtsausschuss
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sind, die Empfehlungen der VN-Menschenrechtsschutzmechanismen umzusetzen und gegebenenfalls auch ihre nationale Gesetzgebung dahingehend zu überarbeiten, keine klaren Handlungsempfehlungen erhalten. Das könnte erklären, warum viele Vertragsstaaten versuchen, Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren zu vermeiden. Von 2017 bis 2019 wurden 23 Verfahren der vor dem Ausschuss erhobenen Individualbeschwerden eingestellt, davon betrafen 18 Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement. Acht dieser Entscheidungen ist zu entnehmen, dass die Einstellung erfolgte, weil der Vertragsstaat nach Erhebung seine eigene Entscheidung revidiert hat und die beschwerdeführende Person ein Aufenthaltsrecht erlangt hat.737 Zu begrüßen ist dagegen die Verlagerung des Schwerpunkts auf eine Überprüfung des nationalen Risikobewertungsverfahrens. Diese ermöglicht es dem Menschenrechtsausschuss einerseits, sich auf die eigene Praxis zu Verfahrensrechten zu stützen. Andererseits lassen sich konstruktive, allgemein verlässliche Anforderungen an Risikobewertungsverfahren ableiten, die es den Staaten erleichtern, in künftigen Verfahren den Anforderungen des Ausschusses zu genügen. Dringend erforderlich ist in diesem Zusammenhang aber, dass der Menschenrechtsausschuss eine konsequente Praxis zum relevanten Zeitpunkt der Beurteilung des Risikos entwickelt. Der Menschenrechtsausschuss ist dasjenige Vertragsorgan mit der ältesten, umfangreichsten Praxis im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren. Im Vergleich zu anderen Vertragsorganen zeigt sich, dass der Menschenrechtsausschuss kaum auf die Praxis anderer Vertragsorgane Bezug nimmt und sich weit überwiegend auf seine eigene Praxis und jene Praxis regionaler Menschenrechtsschutzmechanismen stützt. Gleichzeitig ist der Menschenrechtsausschuss das Vertragsorgan mit den meisten Sondervoten. Von den 16 Verletzungen gegen das Prinzip des Non-Refoulement, die der Ausschuss zwischen 2017 und 2019 festgestellt hat, enthielten die Hälfte Sondervoten. In weiteren 25 Fällen, in denen der Ausschuss keine Verletzung feststellte, finden sich fünf abweichende Voten. Auch diese interne Situation trägt nicht zur Nachvollziehbarkeit der Praxis des Menschenrechtsausschusses für Vertragsstaaten und Individuen bei. Obwohl das Prinzip des Non-Refoulement eine zentrale Rolle in der gesamten Praxis des Menschenrechtsausschusses einnimmt, hat der Ausschuss dem Prinzip bislang keinen eigenen General Comment gewidmet. Der Ausschuss stützt seine Praxis auf verschiedene General Comments zur Behandlung von ausländischen Staatsangehörigen, zu Artikel 6 und Artikel 7 IPbpR sowie zur Rechtsnatur der Verpflichtung der Vertragsstaaten aus dem Pakt. Insbesondere General Comment Nr. 15 zum Status von ausländischen Staatsangehörigen (1986) und General Comment Nr. 20 zu Artikel 7 IPbpR (1992) sind veraltet und spiegeln nur unzureichend 737 Die Entscheidungen zur Einstellung eines Individualbeschwerdeverfahrens enthalten nicht zwingend eine Begründung. Es ist daher möglich, dass noch weitere dieser Entscheidungen deshalb erfolgten, weil die beschwerdeführende Person nicht länger eine Aufenthaltsbeendigung fürchtet.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
die heutige Praxis des Ausschusses wider. Ein General Comment zum Prinzip des Non-Refoulement wäre daher sinnvoll, um Vertragsstaaten und Individuen einen besseren Überblick über Inhalt und Reichweite des Prinzips des Non-Refoulement nach dem Selbstverständnis des Menschenrechtsausschusses zu ermöglichen. In Anbetracht der Vorbildfunktion des Menschenrechtsausschusses für zahlreiche andere VN-Vertragsorgane könnte ein solcher General Comment auch diesen Vertragsorganen als Leitlinie dienen.
III. Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung Das ICERD enthält ebenso wie der IPbpR kein ausdrückliches Verbot des Refoulement. Artikel 5 ICERD enthält zwar eine nicht abschließende Auflistung von Rechten, welche die Vertragsstaaten allen Menschen diskriminierungsfrei garantieren müssen.738 Die aufgelisteten Rechte sind eine Kombination aus Rechten der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem IPbpR und dem IPwskR. Hierzu gehören etwa das Recht auf Gleichbehandlung vor den Gerichten und allen sonstigen Organen der Rechtspflege (Artikel 5 (a)), das Recht auf Sicherheit der Person und auf staatlichen Schutz gegen Gewalttätigkeit oder Körperverletzung, gleichviel ob sie von Staatsbediensteten oder von irgendeiner Person, Gruppe oder Einrichtung verübt werden (Artikel 5 (b)), das Recht auf Bewegungsfreiheit und freie Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der Staatsgrenzen (Artikel 5 (d) (i)) oder das Recht, jedes Land einschließlich des eigenen zu verlassen und in das eigene Land zurückzukehren (Artikel 5 (d) (ii)). Allerdings findet das Übereinkommen und mithin auch Artikel 5 ICERD gemäß Artikel 1 Abs. 2 ICERD keine Anwendung auf Unterscheidungen, Ausschließungen, Beschränkungen oder Bevorzugungen, die ein Vertragsstaat zwischen eigenen und fremden Staatsangehörigen vornimmt. Artikel 1 Abs. 1 ICERD schützt zwar vor Diskriminierung u. a. aufgrund der nationalen Herkunft. Hiermit ist aber nicht die Staatsangehörigkeit gemeint.739 Das bedeutet zwar, dass nach dem ICERD Unterscheidungen existieren, die per definitionem keine Diskriminierung im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 ICERD darstellen. Es bedeutet aber nicht, dass die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung ergeben, generell in Bezug auf Nicht-Staatsangehörige eines Vertragsstaates keine Anwendung finden. Grundsätzlich soll das Übereinkommen zwar bei bestimmten Fragen nationalen Rechts wie der Erlangung der Staatsangehörigkeit und deren 738
N. Lerner, The UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, 2014, 59. 739 Ebenda, 33 f.; CERD, Qatar v. The United Arab Emirates, CERD/C/99/4 (admissibility decision), 30. August 2019, §§ 55, 56. Siehe auch International Court of Justice, Application of the International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination (Qatar v. United Arab Emirates), § 105.
III. Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung
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Bedingungen (Artikel 1 Abs. 3 ICERD) keine Anwendung finden. Etwas anderes gilt aber nach der Praxis des Rassendiskriminierungsausschusses, wenn die nationalen Bedingungen zur Erlangung der Staatsangehörigkeit für Menschen einer bestimmten fremden Staatsangehörigkeit anders sind, als für andere ausländische Staatsangehörige.740 Während der Rassendiskriminierungsausschuss die Frage seiner eigenen Überprüfungskompetenz bezüglich solchen Sachverhalten, die möglicherweise nach Artikel 1 Abs. 2 oder 3 ICERD nicht in den Anwendungsbereich des ICERD fallen, in Individualbeschwerdeverfahren gewissenhaft prüft,741 ist er im Rahmen von Staatenberichtsverfahren weniger genau.742 Im Gegensatz zu den reichlichen General Recommendations, die der Rassendiskriminierungsausschuss veröffentlicht hat, ist seine Praxis im Bereich der Entscheidungen von Individualbeschwerden nach Artikel 14 ICERD sehr gering. Seit 1991 hat er nie mehr als fünf Individualbeschwerden pro Jahr entschieden. Insgesamt besteht seine Spruchpraxis bislang aus nur 59 Entscheidungen. Keine der bisherigen Entscheidungen des Rassendiskriminierungsausschusses beschäftigt sich mit Aufenthaltsbeendigungen. Nachfolgend sind Gegenstand der Untersuchung daher primär die General Recommendations des Rassendiskriminierungsausschusses zu Aufenthaltsbeendigungen sowie seine Anforderungen an die Vertragsstaaten, wie sie sich aus den Abschließenden Bemerkungen der Staatenberichtsverfahren nach Artikel 9 ICERD ergeben. 1. Prozessuales Individualbeschwerden sind nach Artikel 14 ICERD dann möglich, wenn der Vertragsstaat eine Unterwerfungserklärung nach Artikel 14 Abs. 1 ICERD abgegeben hat. Eine solche Erklärung haben lediglich 59 der 182 Vertragsstaaten des ICERD abgegeben.743 Die Vorgaben des Artikel 14 ICERD zur Zulässigkeit von Individualbeschwerden sind deutlich weniger umfangreich als bei anderen VN-Vertragsorganen.744 Zwar hat der Rassendiskriminierungsausschuss bisher keine Gelegenheit gehabt, im Rahmen 740
CERD, General Recommendation XXX on discrimination against non-citizens, 2004, U.N. Doc. A/59/18, S. 93 – 97, § 4; CERD, D. R. v. Australia, 42/2008, 09. September 2009, § 6.3; CERD, A. M. M. v. Switzerland, 50/2012, 18. Februar 2014, § 8.5. 741 CERD, D. R. v. Australia, 42/2008, § 6.3. 742 CERD, Concluding observations on the twenty-third periodic report of Finland, 08. Juni 2017, CERD/C/FIN/CO/23, § 24. 743 Stand November 2021, abrufbar unter: https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/TreatyBo dyExternal/Treaty.aspx?Treaty=CERD&Lang=en. 744 Der Ausschuss stellt allerdings in seiner Verfahrensordnung Anforderungen auf, die mit jenen anderer Vertragsorgane vergleichbar sind, CERD, Rules of Procedure of the Committee on the Elimination of Racial Discrimination (Rules of Procedure), 1986, CERD/C/35/Rev.3, Regel Nr. 91.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
des Individualbeschwerdeverfahrens eine Spruchpraxis zum Prinzip des Non-Refoulement nach dem ICERD zu etablieren. Es ist aber davon auszugehen, dass er sich bei Vorliegen einer entsprechenden Beschwerde prozessual am Menschenrechtsausschuss orientieren wird. Hierfür spricht seine bisherige Vorgehensweise bei Verfahrensfragen. So hat der Rassendiskriminierungsausschuss bei allgemeinen prozessualen Feststellungen den Menschenrechtsausschuss zitiert, etwa dass es nicht die Aufgabe des Ausschusses sei, im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren abstrakt zu entscheiden, ob die nationale Gesetzgebung mit dem Übereinkommen vereinbar ist oder nicht, sondern zu überprüfen, ob im konkreten Einzelfall ein Verstoß vorliegt.745 Eine für die Überprüfungskompetenz des jeweiligen VN-Vertragsorgans erhebliche Frage ist jene der territorialen Anwendbarkeit des Übereinkommens. Wie andere Vertragsorgane stellt auch der Rassendiskriminierungsausschuss auf die effektive Kontrolle des Vertragsstaates ab und zitiert hierbei nicht nur den Menschenrechtsausschuss, sondern auch den WSK-Ausschuss: „The Committee aligns itself with the position of the Human Rights Committee (see CCPR/ C/AUS/CO/6, para. 35) and the Committee on Economic, Social, and Cultural Rights (see E/ C.12/AUS/CO/5, para. 18), both of which are of the view that Australia exercises effective control over the regional processing centres. The Committee thus concludes that the State party is bound by the Convention obligations towards all persons held in those centres.“746
Auch möchte sich der Rassendiskriminierungsausschuss ebenso wie der Menschenrechtsausschuss keine allgemeine Überprüfungskompetenz der nationalen Verfahren anmaßen. Auch bei Individualbeschwerdeverfahren vor dem Rassendiskriminierungsausschuss liege es daher grundsätzlich im Ermessen des Staates, die Tatsachen und Beweismittel in einem bestimmten Fall zu bewerten, es sei denn, der Ausschuss stellt fest, dass die Bewertung eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt.747 Der Rassendiskriminierungsausschuss zitiert hierbei drei Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses, wobei alle drei Entscheidungen solche über die drohende Vollstreckung der Todesstrafe waren.748 Es ist nicht davon auszugehen, dass der Rassendiskriminierungsausschuss in Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement hiervon abweichen würde. Die häufige Heranziehung der Praxis anderer Vertragsorgane, insbesondere in Verfahrensfragen, zeigt das Selbstverständnis des Rassendiskriminierungsausschusses als Teil des VN-Menschenrechtsschutzsystems. Auch in materiellen Fragen zum Prinzip des Non-Refoulement zieht der Ausschuss aber die Praxis anderer Organe sowie auch Maßstäbe der GFK mit heran. 745
CERD, Er v. Denmark, 40/2007, 08. August 2007, § 7.1. CERD, Concluding observations on the eighteenth to twentieth periodic reports of Australia, § 30. 747 CERD, Er v. Denmark, 40/2007, § 7.2; CERD, Benon Pjetri v. Switzerland, 53/2013, 05. Dezember 2016, § 7.5. 748 CERD, Er v. Denmark, 40/2007, Fn. 8. 746
III. Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung
209
2. Geschützte Personen Wie bereits dargelegt, enthält Artikel 1 ICERD geringfüge Einschränkungen für den personellen Anwendungsbereich des Übereinkommens. Auch über Fragen der Einbürgerung oder der Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis hinaus sind ausländische Staatsangehörige nicht pauschal durch Artikel 1 Abs. 2, 3 ICERD von dem Schutz des Übereinkommens ausgeschlossen. Auch ihnen gegenüber sind die Vertragsstaaten aus dem ICERD vertraglich verpflichtet, hierunter auch jene aus Artikel 5 ICERD. Diese Rechte und Pflichten hat der Rassendiskriminierungsausschuss vor allem im Rahmen seiner General Recommendations konkretisiert. Der Ausschuss hat erstmals im Jahr 1996 anerkannt, dass die Vorgaben des Diskriminierungsverbots aus Artikel 5 ICERD auch für das Prinzip des Non-Refoulement gelten. In seiner General Recommendation Nr. 22 befand er: „States parties are obliged to ensure that the return of such refugees and displaced persons is voluntary and to observe the principle of non-refoulement and non-expulsion of refugees.“749
Hiermit hat der Rassendiskriminierungsausschuss erstmals die Pflicht der Vertragsstaaten formuliert, die sich im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen aus dem ICERD ergibt. Er erkennt hier allerdings nur das Prinzip des Non-Refoulement für Geflüchtete an. Wie sich aus der Präambel der General Recommendation ergibt, sieht der Ausschuss die GFK als ,main source of the international system for the protection of refugees in general‘ an, meint also hier mit dem Prinzip des Non-Refoulement vornehmlich jenes im Sinne des Artikel 33 Abs. 1 GFK. Damit ergibt sich nach Ansicht des Rassendiskriminierungsausschusses aus dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung zunächst kein über die Vorgaben der GFK hinausgehender personeller Schutz vor Refoulement. Die in der Zeit der Entstehung der General Recommendation Nr. 22 aufkommende Praxis von Menschenrechtsausschuss und Ausschuss gegen Folter zum menschenrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement erwähnt der Rassendiskriminierungsausschuss hier nicht. Weiter geht die General Recommendation Nr. 30 des Rassendiskriminierungsausschusses aus dem Jahr 2004.750 Wie sich aus der Präambel dieses Dokuments ergibt, war der Ausschuss nunmehr hier der Auffassung, dass auch andere Gruppen von Nicht-Staatsangehörigen außer Flüchtlingen im Sinne der GFK der Aufmerksamkeit des Ausschusses bedürfen.751 Daher sei ergänzend zu seinen bisherigen General Recommendations Nr. 11 zu Artikel 1 ICERD und Nr. 20 zu Artikel 5 749 CERD, General Recommendation XXII on article 5 of the Convention on refugees and displaced persons, 16. August 1996, U.N. Doc. A/51/18, S. 126 – 127, § 2 (b). 750 CERD, General Recommendation XXX. 751 Ebenda, Präambel Abs. 3.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ICERD eine weitere General Recommendation notwendig, um die Pflichten der Vertragsstaaten mit Bezug auf Nicht-Staatsangehörige zu verdeutlichen.752 Interessant ist hier, dass der Ausschuss zwar auf General Recommendation Nr. 20, nicht aber auf die soeben erwähnte General Recommendation Nr. 22 Bezug nimmt.753 Während diese General Recommendation Nr. 30 nicht nur für den Umgang mit Flüchtlingen im Sinne der GFK, sondern mit allen Menschen, die sich auf dem Gebiet eines Vertragsstaates aufhalten, ohne dessen Staatsangehörige zu sein, Pflichten formuliert und damit personell deutlich weiter reicht als General Recommendation Nr. 22, findet der Begriff Non-Refoulement hier keine Erwähnung. Auch schwächt der Rassendiskriminierungsausschuss in dieser General Recommendation allgemein die Rechte von ausländischen Staatsangehörigen im Vergleich zu seinem vorherigen Standard. Während General Recommendation Nr. 11, die durch die hier dargestellte General Recommendation Nr. 30 ersetzt wurde,754 im Rahmen von Artikel 1 Abs. 2 ICERD jegliche Abweichungen verbietet, welche die Rechte der Nicht-Staatsangehörigen aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem IPbpR und dem IPwskR entziehen (,must not be interpreted to detract‘755), wird diese Formulierung in der neuen General Recommendation deutlich aufgeweicht (,should not be interpreted to detract‘756). Diese Senkung des Standards ist wohl auf die Abstimmung mit den Vertragsstaaten in der Entstehung der General Recommendation Nr. 30 zurückzuführen.757 Einschränkungen der Rechte von ausländischen Staatsangehörigen sind damit in der Praxis des Rassendiskriminierungsausschusses nicht mehr generell verboten. Gleichzeitig räumt sich der Ausschuss durch die General Recommendation aber auch ein allgemeines Überprüfungsrecht in Bezug auf die Behandlung von ausländischen Staatsangehörigen ein. Gemäß § 5 der General Recommendation Nr. 30 besitzen die Vertragsstaaten eine umfassende Berichtspflicht bezüglich sämtlicher Gesetzgebung bezüglich ausländischer Staatsangehöriger sowie deren Umsetzung. Darüber hinaus besteht eine allgemeine Berichtspflicht über die Existenz und die Lebenssituation ausländischer Bevölkerungsgruppen im eigenen Staatsgebiet. Diese Pflicht erstreckt
752
Ebenda, Präambel Abs. 5. Im Rahmen der Staatenberichtsverfahren nimmt der Ausschuss aber auf General Recommendations 22 und 30 gleichermaßen Bezug, CERD, Concluding observations on the combined eighth to tenth periodic reports of Kyrgyzstan, 30. Mai 2018, CERD/C/KGZ/CO/8 – 10, § 30; CERD, Concluding observations on the combined eighteenth to twenty-fifth periodic reports of Hungary, 06. Juni 2019, CERD/C/HUN/CO/18 – 25, § 23. 754 CERD, General Recommendation XXX, § 39. 755 CERD, General Recommendation XI on non-citizens, 1993, U.N. Doc. A/48/18, § 3. 756 CERD, General Recommendation XXX, § 2. Siehe auch erläuternd § 3. 757 Vgl. ebenda, Präambel Abs. 4. 753
III. Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung
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sich nach der Praxis des Rassendiskriminierungsausschusses auch auf Verfahren zum Prinzip des Non-Refoulement.758 Zwar verwendet der Rassendiskriminierungsausschuss in seiner General Recommendation Nr. 30 den Begriff Non-Refoulement nicht. Dessen § 27 stellt aber eindeutig ein Refoulementverbot dar. Dieser lautet: „Ensure that non-citizens are not returned or removed to a country or territory where they are at risk of being subject to serious human rights abuses, including torture and cruel, inhuman or degrading treatment or punishment.“
Der personelle Schutzbereich ist hier zwar deutlich weiter als dies noch in der General Recommendation Nr. 22 der Fall war. Die General Recommendation Nr. 30 betrifft nicht nur Geflüchtete, sondern alle ausländischen Staatsangehörigen. Das gilt auch für den Abschnitt VI der General Recommendation, der sich mit Aufenthaltsbeendigungen befasst. Dennoch ist der personelle Schutzbereich vor Refoulement nach dem ICERD, wie ihn der Rassendiskriminierungsausschuss in § 27 der General Recommendation Nr. 30 festlegt, enger als jener des zeitgleich entstandenen General Comment Nr. 31 des Menschenrechtsausschusses. Er verbietet nur die Aufenthaltsbeendigung von Nicht-Staatsangehörigen. Der Menschenrechtsausschuss dagegen schützt alle Personen im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates und alle Personen unter dessen Kontrolle.759 Das schließt also auch die eigenen Staatsangehörigen mit ein. Der Rassendiskriminierungsausschuss ist dabei leider inkonsequent in der Anerkennung des persönlichen Schutzbereiches des Prinzips des Non-Refoulement über die GFK hinaus. So verlangt er im Rahmen einiger Staatenberichtsverfahren entsprechend der General Recommendation Nr. 30 die Beachtung des Prinzips des Non-Refoulement für ausländische Staatsangehörige.760 In anderen Fällen beschränkt er das Prinzip des Non-Refoulement aber erneut auf die Rechte Geflüchteter und Asylsuchender.761
758 CERD, Concluding observations on the combined fourteenth to seventeenth periodic reports of China (including Hong Kong, China and Macao, China), 19. September 2018, CERD/ C/CHN/CO/14 – 17, § 54. 759 CCPR, General Comment No. 31, § 12. 760 CERD, Concluding observations on the combined eighth to tenth periodic reports of Kyrgyzstan, § 30; CERD, Concluding observations on the combined eighteenth to twenty-fifth periodic reports of Hungary, § 24. 761 CERD, Concluding observations on the combined eighteenth to twenty-second periodic reports of Lebanon, 05. Oktober 2016, CERD/C/LBN/CO/18 – 22, § 28; CERD, Concluding observations on the eighteenth to twentieth periodic reports of Australia, § 31 (c); CERD, Concluding observations on the combined ninth to twelfth periodic reports of Albania, 02. Januar 2019, CERD/C/ALB/CO/9 – 12, §§ 31, 32.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
3. Materielles Schutzgut Da das ICERD das Prinzip des Non-Refoulement nicht explizit enthält, kann auch der materielle Schutzbereich, den das Übereinkommen nach Ansicht des Rassendiskriminierungsausschusses bietet, nur anhand von dessen Praxis in General Recommendations und Abschließenden Bemerkungen zu Staatenberichtsverfahren ermittelt werden. Es zeigt sich ein fragmentarisches Bild. Während sich der Rassendiskriminierungsausschuss zu einigen im Folgenden dargestellten Detailfragen geäußert hat, spricht er oft nur von dem Prinzip des Non-Refoulement als allgemein anerkannten Prinzip, ohne dabei spezifisch auf eventuelle Besonderheiten im Zusammenhang mit dem ICERD einzugehen. Auch werden einige Ansichten des Ausschusses nur angedeutet. So hat er etwa in seinen Abschließenden Bemerkungen zu Ungarn konstatiert, er sei über Berichte, dass das Prinzip des Non-Refoulement in Gesetz und Praxis nicht vollständig respektiert werde und über unangemessene Gewaltanwendung bei Abweisungen von Menschen an der Grenze zu Serbien zutiefst besorgt.762 Dies kann so verstanden werden, dass der Ausschuss Abweisungen an der Grenze für nicht mit dem Prinzip des Non-Refoulement vereinbar hält. Hierüber hinaus hat der Rassendiskriminierungsausschuss bislang keine Aussagen zum territorialen Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement getroffen. Gemäß General Recommendation Nr. 30 lassen sich einige prozessuale Garantien für ausländische Staatsangehörige aus dem ICERD ableiten. So stellt der Rassendiskriminierungsausschuss zunächst klar, dass von dem Verbot der Diskriminierung im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 ICERD neben den genannten nationalen Rechtsgrundlagen zu Aufenthalt und Einbürgerung auch sämtliche nationale Rechtsgrundlagen zur Aufenthaltsbeendigung erfasst sind.763 Des Weiteren ist ausländischem Staatsangehörigen nach § 25 der General Recommendation Nr. 30 gleicher Zugang zu effektiven Rechtsmitteln zu gewähren. Dies umfasst auch die Gewährung effektiver Anfechtungsmöglichkeiten gegen Ausweisungsanordnungen. „Ensure that laws concerning deportation or other forms of removal of non-citizens from the jurisdiction of the State party do not discriminate in purpose or effect among non citizens on the basis of race, colour or ethnic or national origin, and that non-citizens have equal access to effective remedies, including the right to challenge expulsion orders, and are allowed effectively to pursue such remedies.“
Dieser zweite Teil des § 25 der General Recommendation ist sehr offen formuliert. Es findet keine Beschränkung des Rechtswegs auf solche ausländischen Staatsangehörigen statt, die wegen einer Diskriminierung im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 ICERD gegen ihre aufenthaltsbeendende Maßnahme vorgehen. Vielmehr 762 CERD, Concluding observations on the combined eighteenth to twenty-fifth periodic reports of Hungary, § 24. 763 CERD, General Recommendation XXX, § 25.
III. Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung
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steht nach dem Verständnis des Rassendiskriminierungsausschusses jedem ausländischen Staatsangehörigen das Recht zu, eine Entscheidung dieses Staates zur Aufenthaltsbeendigung effektiv anzufechten. Auch wird das Recht auf Zugang zu effektiven Anfechtungsmöglichkeiten gegen Ausweisungsanordnungen in General Recommendation Nr. 30 nur als Beispiel genannt. Da der Rassendiskriminierungsausschuss im ersten Halbsatz des § 25 eine staatliche Überprüfungspflicht für sämtliche nationale Gesetze zu Aufenthaltsbeendigungen (,laws concerning deportation or other forms of removal‘) und damit auch eine eigene Überprüfungskompetenz für solche Normen anerkennt, muss der zweite Halbsatz des § 25 entgegen der Überschrift des Abschnitts so verstanden werden, dass auch effektive Rechtsmittel gegen jede Form der Aufenthaltsbeendigung zur Verfügung stehen müssen. Auch hat sich der Rassendiskriminierungsausschuss kritisch zu Maßnahmen geäußert, die das nationale Risikobewertungsverfahren abkürzen, etwa die Verwendung von Listen sicherer Drittstaaten.764 Während der Rassendiskriminierungsausschuss hier auf die Verwendung des Begriffs Non-Refoulement verzichtet, bezeichnet er dieses prozessuale Recht im Rahmen der Staatenberichtsverfahren als Recht auf gleichen Schutz vor Refoulement.765 Während der Rassendiskriminierungsausschuss in seinen genannten General Recommendations vornehmlich die Pflichten der Vertragsstaaten aus Artikel 5 ICERD beleuchtet, geht er in seinen Abschließenden Bemerkungen zu Staatenberichtsverfahren darüber hinaus auch auf staatliche Pflichten gegenüber ausländischen Staatsangehörigen aus Artikel 7 ICERD ein. Gemäß Artikel 7 ICERD sind die Vertragsstaaten verpflichtet, unmittelbare und wirksame Maßnahmen, insbesondere auf dem Gebiet der Bildung, der Erziehung, Kultur und Information, zu treffen, um Vorurteile zu bekämpfen. Über diese exemplarische Nennung von Bildung, Erziehung, Kultur und Information hinaus erkennt der Rassendiskriminierungsausschuss eine allgemeine Pflicht zum Treffen von Maßnahmen zur Prävention von Diskriminierung mindestens auch in Bezug auf Flüchtlinge im Sinne der GFK an. So verlangte er etwa in den Abschließenden Bemerkungen zum letzten Staatenberichtsverfahren Serbiens unter Bezugnahme auf seine General Recommendation Nr. 30, dass Serbien unverzüglich Maßnahmen ergreife, um eine zeitnahe und faire Bearbeitung von Asylanträgen zu gewährleisten und um die konsequente Einhaltung des Prinzips des Non-Refoulement zu gewährleisten.766 764 CERD, Concluding observations on the combined second to fifth periodic reports of Serbia, 03. Januar 2018, CERD/C/SRB/CO/2 – 5, § 26. 765 CERD, Concluding observations on the twenty-third periodic report of Finland, § 25 (a); CERD, Concluding observations on the combined eighth to tenth periodic reports of Kyrgyzstan, § 30 (c). 766 CERD, Concluding observations on the combined second to fifth periodic reports of Serbia, §§ 26, 27.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Der Rassendiskriminierungsausschuss leitet also jedenfalls im Rahmen von Asylverfahren aus Artikel 7 ICERD eine Pflicht der Staaten ab, institutionelle Grundlagen zu schaffen, um der Diskriminierung von Asylsuchenden vorzubeugen. Hierzu gehört unter anderem die Einrichtung eines ausreichend finanzierten, funktionierenden Verfahrens zur Bearbeitung der Anträge von Asylsuchenden, auch mit Blick auf das Prinzip des Non-Refoulement. Leider scheint der Ausschuss auch hierbei den personellen Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement auf jenen der GFK zu beschränken. Dennoch lässt sich jedenfalls für Asylsuchende erkennen, dass ihnen bei mangelhafter institutioneller Grundlage für ihr nationales Anerkennungsverfahren im Sinne der GFK der Weg einer Individualbeschwerde vor dem Rassendiskriminierungsausschuss offensteht. Einen ebenfalls mit dem Schutz des IPbpR vergleichbaren Standard bietet der Rassendiskriminierungsausschuss in seiner General Recommendation Nr. 30 in Hinblick auf Kollektivausweisungen.767 Demnach sind Kollektivausweisungen verboten. Der Ausschuss formuliert hier, ausländische Staatsangehörige dürften nicht Gegenstand von Kollektivausweisungen werden, insbesondere in gewissen Situationen. Dies lässt die Interpretation zu, dass in Situationen, die nicht mit den genannten Lagen vergleichbar sind, Ausnahmen vom Verbot der Kollektivausweisung möglich sind. Der Ausschuss hat dies jedoch bislang nicht weiter spezifiziert. Dass Kollektivausweisungen jedenfalls aber verboten sind in Situationen, in denen keine ausreichenden Garantien dafür bestehen, dass die persönlichen Umstände der einzelnen betroffenen Personen berücksichtigt wurden, bedeutet im Umkehrschluss auch, dass der Rassendiskriminierungsausschuss anerkennt, dass Betroffene ein Recht auf ein nationales Verfahren haben, in welchem die individuellen Umstände ihres Einzelfalls Berücksichtigung finden können. Nach § 27 der General Recommendation Nr. 30 ist jede Art von Aufenthaltsbeendigung von ausländischen Staatsangehörigen dann verboten, wenn in dem Land oder Gebiet die Gefahr schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen besteht, einschließlich Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Diese Formulierung scheint sich auf den ersten Blick an General Comment Nr. 31 des Menschenrechtsausschusses zu orientieren.768 Beide Dokumente wurden im Frühjahr 2004 von den Ausschüssen diskutiert und im selben Jahr verabschiedet. Beiden Dokumenten ist gemeinsam, dass sie Aufenthaltsbeendigungen dann verbieten, wenn den betroffenen Personen Menschenrechtsverletzungen drohen, wie etwa Folter oder andere unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Sie nennen also Folter und vergleichbare Misshandlungen nur als Beispiele und ermöglichen damit einen Schutz vor Refoulement für drohende Verletzungen jeden Menschen767 768
CERD, General Recommendation XXX, § 26. Vgl. CCPR, General Comment No. 31, § 12.
III. Ausschuss gegen jede Form von Rassendiskriminierung
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rechts, solange die Verletzung besonders schwer ist beziehungsweise schwere Folgen hat. Hier zeigen sich aber bereits die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Schutz vor Refoulement, welchen der Menschenrechtsausschuss gewährt und jenem, den der Rassendiskriminierungsausschuss in seiner General Recommendation Nr. 30 formuliert. Nach dem Menschenrechtsausschuss ist eine Aufenthaltsbeendigung dann verboten, wenn die Gefahr eines irreparablen Schadens besteht. Es wird also nicht auf die Art der Verletzung, sondern auf die Folge der Verletzung abgestellt. Der Rassendiskriminierungsausschuss dagegen verlangt ,serious human rights abuses‘,769 also eine besonders schwere Art der Verletzung unabhängig davon, ob eine Wiedergutmachung einer solchen Verletzung möglich wäre. Die unterschiedlichen Konsequenzen dieser verschiedenen Ansätze zeigen sich zum Beispiel dann, wenn im Zielstaat die Vollstreckung der Todesstrafe droht. Nach der Praxis des Menschenrechtsausschusses darf ein Staat, welcher die Todesstrafe selbst nicht anwendet, auch keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in einen Staat durchführen, in dem eine solche droht, da die Konsequenzen irreparabel wären. Nach dem Ansatz des Rassendiskriminierungsausschusses dagegen ist allein entscheidend, ob die Menschenrechtsverletzung eine schwere ist. Ob hiervon der Vollzug der Todesstrafe erfasst ist hat der Ausschuss bislang jedoch noch nicht entschieden. Dagegen spricht, dass die Todesstrafe nicht per se eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Eine drohende Behandlung, die nicht per se eine Rechtsverletzung darstellt, kann aber erst recht kein ,serious human rights abuse‘ im Sinne des Rassendiskriminierungsausschusses sein. Hierfür spricht auch die Praxis des Ausschusses gegen Folter, nach der jedenfalls dann, wenn die Todesstrafe Teil eines gefestigten Rechtssystems einer demokratischen Regierung ist, die Vollziehung derselben mit der AFK vereinbar ist.770 Daneben bietet die General Recommendation Nr. 30 auch einen gewissen Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen, wenn diese einen unverhältnismäßigen Eingriff in deren Familienleben darstellen würden.771 Ob und inwieweit der Rassendiskriminierungsausschuss hierbei nur denjenigen ausländischen Staatsangehörigen Schutz bieten will, die sich schon lange Zeit im Vertragsstaat aufhalten, hat der Ausschuss bislang noch nicht näher spezifiziert. 4. Fazit Auch wenn das Prinzip des Non-Refoulement nicht explizit im ICERD verankert ist, setzt der Rassendiskriminierungsausschuss mit seiner General Recommendation Nr. 30 wichtige Standards für das Prinzip des Non-Refoulement nach dem ICERD. 769 770 771
CERD, General Recommendation XXX, § 27. CAT, Summary Record of the First Part of the 139th Meeting, § 27. CERD, General Recommendation XXX, § 28.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Mit Abschnitt VI. der General Recommendation widmet er dem Themenkomplex von Aufenthaltsbeendigungen von ausländischen Staatsangehörigen einen eigenen Abschnitt und darin ganze vier Paragraphen. Er setzt sich damit deutlich intensiver und strukturierter hiermit auseinander, als etwa die General Comments des Menschenrechtsausschusses. Damit schafft der Ausschuss Standards für die Vertragsstaaten, die allgemeingültig und mithin einfacher nachvollziehbar sind. Der Menschenrechtsausschuss basiert seine Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement demgegenüber in erster Linie auf Entscheidungen zu Individualbeschwerdeverfahren, so dass häufig offenbleibt, inwieweit die Praxis einzelfallbezogen ist und inwieweit sich allgemeinverbindliche Grundsätze hieraus ableiten lassen. Die Praxis des Rassendiskriminierungsausschusses dagegen, eine General Recommendation voranzustellen, ermöglicht die Entwicklung einer Praxis in Individualbeschwerdeverfahren auf Grundlage etablierter Grundsätze. Bedauerlich ist aber, dass der Rassendiskriminierungsausschuss keine klaren Angaben zum personellen Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement macht. Mal scheint er, wie der Ausschuss gegen Folter und der Menschenrechtsausschuss, ein allgemeines menschenrechtliches Prinzip des Non-Refoulement anzuerkennen. Mal scheint es, als beschränke sich der Schutz des ICERD auf eine diskriminierungsfreie Anwendung der GFK. Denkbar ist, dass der Rassendiskriminierungsausschuss ähnlich wie der Frauenrechtsausschuss davon ausgeht, dass die GFK eine rassendiskriminierungssensible Dimension haben muss,772 sich also die Überprüfungskompetenz des Rassendiskriminierungsausschusses nicht auf das ICERD beschränkt. Dennoch sind dann aufgrund des eindeutig beschränkten personellen Anwendungsbereiches der GFK keine Aussagen zu einem allgemeinen menschenrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement nach dem ICERD möglich. Der Rassendiskriminierungsausschuss sollte unter Berücksichtigung der Praxis anderer VN-Vertragsorgane deutlich machen, welche Maßstäbe das ICERD für das menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement setzt.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes Die KRK ist im Vergleich zu den bisher behandelten Menschenrechtsschutzverträgen ein junges Abkommen. Es trat im Jahr 1990 in Kraft; das dritte Fakultativprotokoll, welches die Möglichkeit von Individualbeschwerden vor dem Kinderrechtsausschuss vorsieht, ist erst seit 2014 in Kraft. Wie auch andere jüngere Vertragsorgane betrachtet der die Einhaltung der KRK überwachende Kinderrechtsausschuss internationale Menschenrechtsschutzmechanismen als funktional miteinander verbunden. Er sieht sich infolgedessen befugt, in umfassender Form 772
Siehe zur Praxis des Frauenrechtsausschusses unten Kapitel D. VI.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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Menschenrechtsverpflichtungen der Staaten in Bezug auf Kinder zu bewerten, auch wenn diese nicht explizit in der KRK kodifiziert sind.773 Auch in der KRK ist das Prinzip des Non-Refoulement nicht explizit kodifiziert. Explizit in der KRK enthalten sind mit Artikel 22 KRK Vorgaben zum Umgang mit geflüchteten Kindern. Demnach haben die Vertragsstaaten sowohl bei der Ermittlung des Flüchtlingsstatus eines Kindes als auch nach dessen Anerkennung als Flüchtling die besonderen Bedürfnisse von Kindern zu beachten. Artikel 22 KRK verwendet zwar den Begriff des Flüchtlingsstatus. Der Schutzbereich des Artikel 22 KRK ist aber personell keinesfalls auf Flüchtlinge im Sinne der GFK begrenzt.774 Allerdings schafft Artikel 22 KRK kein Aufenthaltsrecht, es lassen sich auch keine Beschränkungen in Bezug auf Aufenthaltsbeendigungen ableiten. Entscheidende Basis zur Ermittlung von Inhalt und Reichweite des Prinzips des Non-Refoulement in der KRK nach dem Selbstverständnis des Kinderrechtsausschusses ist zunächst General Comment Nr. 6 zur Behandlung unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes.775 Dieser wurde bereits im Jahr 2005 verabschiedet und nimmt damit noch keinen Bezug auf die zehn Jahre jüngere Praxis des Kinderrechtsausschusses in Individualbeschwerdeverfahren. Der Kinderrechtsausschuss geht davon aus, dass bei Fragen der Behandlung unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes nicht nur die Arbeit des Ausschusses, sondern das internationale Menschenrechtsschutzsystem in seiner Gesamtheit zu beachten sei. Diese Erkenntnis stützt er unter anderem auf die Präambel der KRK, welche die Rolle anderer Menschenrechte für den Schutz von Kindern anerkenne.776 Auch in dem gemeinsamen General Comment des Kinderrechtsausschusses und des Wanderarbeiterausschusses zu allgemeinen Grundsätzen betreffend Kinder im Kontext internationaler Migration haben die beiden Ausschüsse erklärt, dass die Einhaltung des Prinzips des Non-Refoulement Pflichten beinhalte, die sich aus dem internationalen Menschenrechtsschutz, dem humanitären Völkerrecht, dem internationalen Flüchtlingsrecht und Völkergewohnheitsrecht ergeben.777 773
D. Weissbrodt/J. C. Hansen/N. H. Nesbitt, Harvard Human Rights Journal 2011 (119). J. M. Pobjoy, Article 22, in: J. Tobin, The UN convention on the rights of the child, 1. Aufl. 2019, 824 ff. 775 CRC, General Comment No. 6 Treatment of Unaccompanied and Separated Children Outside Their Country of Origin, 01. September 2005, CRC/GC/2005/6. 776 CRC, General Comment No. 6, § 6. Der Ausschuss empfiehlt dementsprechend die Ratifikation verschiedenster internationaler Übereinkommen, siehe ebenda § 15, wobei hier als einzige Menschenrechtsschutzverträge AFK und FRK genannt werden. Siehe auch bereits CRC, General Comment No. 4, § 4, der in seiner Fußnote alle zu jenem Zeitpunkt bestehenden VN-Menschenrechtsschutzverträge nennt. 777 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 45. Bedauerlicherweise verweisen die Ausschüsse hier 774
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Der Kinderrechtsausschuss geht darüber hinaus davon aus, dass die KRK nicht nur Teil eines internationalen Menschenrechtsschutzsystems ist. Ferner nimmt die KRK hierin auch eine bestimmte hierarchische Stellung ein. So erklärt er, die Rechte unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes aus der KRK seien lex specialis gegenüber dem IPwskR, weshalb die Einschränkung des Artikel 2 Abs. 3 IPwskR auf Kinder keine Anwendung finde.778 General Comment Nr. 6 beschreibt das Prinzip des Non-Refoulement in einem eigenen Abschnitt sowohl als allgemeines Rechtsprinzip, das als Teil des Flüchtlingsrechts und des internationalen Menschenrechtsschutzes auch im Rahmen der KRK zu beachten ist als auch als Teil des spezifischen Schutzes bei bewaffneten Konflikten aus Artikel 38 KRK.779 In seiner Praxis im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren hat der Kinderrechtsausschuss die hier angedeuteten Prinzipien weiter spezifiziert. 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem 3. Fakultativprotokoll der KRK Obwohl der Kinderrechtsausschuss und insbesondere seine Praxis im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren noch jung ist, verfügt er bereits über eine detailreiche Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement. Bisher hat der Kinderrechtsausschuss insgesamt 53 Individualbeschwerden entschieden oder nach Regel Nr. 26 der Verfahrensregeln die Verfahren einstgestellt. Hiervon wiesen weit über die Hälfte einen Migrationsbezug auf. Zwar hat er bislang in sehr wenigen Individualbeschwerden, in denen ein Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement gerügt worden war, eine Verletzung festgestellt. Gerade seine differenzierte Herangehensweise, welche die Ablehnung einer Vielzahl von Individualbeschwerden als unzulässig einschließt, ermöglicht aber eine präzise Identifikation von Inhalt und Reichweite des Prinzips des Non-Refoulement nach der Praxis des Kinderrechtsausschusses. in einer Fußnote nur auf die in internationalen Menschenrechtsschutzverträgen explizit kodifizierten Ausgestaltungen des Prinzips des Non-Refoulement, Artikel 3 AFK und Artikel 16 ICPPED. 778 CRC, General Comment No. 6, § 16. Während es richtig ist, dass die KRK keine mit Artikel 2 Abs. 3 IPwskR vergleichbare Regelung kennt und mithin kein Grund für den Kinderrechtsausschuss besteht, die Rechte von Kindern in seiner eigenen Auslegung der KRK entsprechend einzuschränken, geht die Annahme, ein VN-Menschenrechtsschutzvertrag sei bezüglich einer Gruppe von Menschen lex specialis, über die Kompetenzen des Kinderrechtsausschusses hinaus. Gemäß Artikel 43 Abs. 1 KRK ist das Mandat des Kinderrechtsausschusses klar auf die Überwachung der Einhaltung der KRK beschränkt. Eine Kompetenz zur Interpretation und Beschränkung des Geltungsbereiches anderer Konventionen ergibt sich hieraus nicht. Ob Artikel 2 Abs. 3 IPwskR so zu verstehen ist, dass diese Einschränkung auf Kinder keine Anwendung finden soll, liegt allein in der Kompetenz des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 779 CRC, General Comment No. 6, §§ 26 – 28.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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a) Zuständigkeit des Kinderrechtsausschusses Anders als die Konventionen und Fakultativprotokolle, aus denen andere VNVertragsorgane ihre Kompetenz zur Annahme von Individualbeschwerden ableiten, enthält das Fakultativprotokoll zur KRK für Individualbeschwerden ein eindeutiges Verbot der Annahme von Beschwerden, die solche Geschehnisse zum Gegenstand haben, die vor Inkrafttreten des Fakultativprotokolls liegen. Zwar entspricht es auch der Praxis anderer Vertragsorgane, die eigene Zuständigkeit ratione temporis nicht generell auf sämtliches Geschehen auszuweiten, das vor Inkrafttreten ihrer jeweiligen Verträge liegt. In Bezug auf Entscheidungen zu Aufenthaltsbeendigungen argumentieren aber andere Vertragsorgane, dass die Wirkung dieser Entscheidung, also etwa das Bestehen eines Abschiebebescheides, fortbestehe und lehnen dann solche Individualbeschwerden nicht ab. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Artikel 7 (g) 3. FP KRK ist dies dem Kinderrechtsausschuss nicht möglich. Er lehnt daher solche als unzulässig Beschwerden ab.780 Beschwerdefähig nach dem 3. Fakultativprotokoll der KRK ist jede Person oder Gruppe von Personen, die angibt, in ihren Rechten aus der Kinderrechtskonvention oder einem der Fakultativprotokolle verletzt zu sein.781 Die Kinderrechtskonvention enthält nur Rechte von Kindern im Sinne des Artikel 1 KRK. Deshalb verfügt der Kinderrechtsausschuss auch nur hier über eine Überprüfungskompetenz. Die Zuständigkeit des Kinderrechtsausschusses erstreckt sich aber ratione personae nicht nur auf Minderjährige, sondern darüber hinaus auf Menschen, die behaupten, zum Zeitpunkt der gerügten Rechtsverletzung minderjährig gewesen zu sein. Das schließt Kinder mit ein, deren Minderjährigkeit erst später festgestellt wird.782 Der Ausschuss hat daher die Feststellung des Alters einer Person auch als ,Ausgangspunkt der Anwendung der Konvention‘ bezeichnet.783 Nicht zuständig ist der Kinderrechtsausschuss dagegen in Fällen, in denen die beschwerdeführende Person zu dem von ihr gerügten Zeitpunkt eindeutig kein Kind mehr war.784 Seine Zuständigkeit ratione loci versteht der Kinderrechtsausschuss weit. Wie Artikel 2 IPbpR sieht auch Artikel 2 KRK vor, dass die Pflichten des Vertragsstaates sich auf alle auf dem staatlichen Territorium befindlichen und dessen Hoheitsgewalt unterstehenden Menschen erstrecken. In seinem General Comment Nr. 6 zur Be-
780
CRC, J. A. and E. A. v. Switzerland, 53/2018, 28. September 2020, §§ 6.4 ff. Artikel 5 3. FP KRK. Nicht erforderlich für die Beschwerdefähigkeit vor dem Kinderrechtsausschuss ist, dass der Staat, gegen den sich die Individualbeschwerde richtet, die Person als rechtsfähig anerkennt, vgl. Artikel 13 CRC, Rules of Procedure. 782 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, 01. Februar 2019, § 13.2. 783 CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, 27. September 2018, § 12.8. 784 CRC, Y. M. v. Spain, 08/2016, 31. Mai 2018, § 8.2. Zum Spannungsverhältnis der Unzulässigkeit von Beschwerden Erwachsener und der Beschwerdemöglichkeit gegen staatliche Altersfeststellungen siehe CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, abweichendes Votum Hatem Kotrane. 781
220
D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
handlung unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes hat der Kinderrechtsausschuss hierzu weiter spezifiziert: „State obligations under the Convention apply within the borders of a State, including with respect to those children who come under the State’s jurisdiction while attempting to enter the country’s territory. Therefore, the enjoyment of rights stipulated in the Convention is not limited to children who are citizens of a State party and must therefore, if not explicitly stated otherwise in the Convention, also be available to all children – including asylum-seeking, refugee and migrant children – irrespective of their nationality, immigration status or statelessness.“785
Der Kinderrechtsausschuss bejaht damit seine territoriale Zuständigkeit auch für solche Geschehnisse, die sich nicht unmittelbar auf dem Territorium eines Staates, sondern in Grenznähe zutragen, sofern sie mit dem Versuch des Grenzübertritts in Verbindung stehen. Entsprechend hat er in einem Fall, in dem Spanien die Zuständigkeit des Ausschusses ratione loci angezweifelt hatte, befunden, dass es nicht relevant sei, ob sich der Beschwerdeführer im Fall bereits auf spanischem oder noch auf marokkanischem Territorium befand. Er wurde jedenfalls beim Versuch des Grenzübertritts von spanischen Behörden festgehalten und zurückgeführt und Spanien übte mithin Hoheitsgewalt über ihn aus.786 Hierüber geht der Kinderrechtsausschuss in seinem ersten gemeinsamen General Comment mit dem Wanderarbeiterausschuss noch hinaus. Demnach erstrecken sich die staatlichen Pflichten und mithin auch die Zuständigkeit der Ausschüsse ratione loci auf alle Gebiete, über welche der Vertragsstaat effektive Kontrolle ausübt. Auch könne ein Staat nicht willkürlich oder einseitig die Verantwortung für Gebiete wie internationale Gewässer oder andere Transitzonen ausschließen, in denen der Staat Mechanismen zur Kontrolle von Migration errichtet hat.787 Damit setzen Kinderrechtsausschuss und Wanderarbeiterausschuss klare Standards für die Verantwortlichkeit der Staaten, ihre eigene Überprüfungskompetenz, und folglich auch für die territoriale Reichweite des Prinzips des Non-Refoulement. Keineswegs wird hierbei pauschal die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten auf alle Geschehen außerhalb ihres Hoheitsgebietes ausgeweitet. Die beiden Ausschüsse halten sich aber für zuständig, in Fällen in denen ein Staat auf ein Gebiet wie etwa die 785 CRC, General Comment No. 6, § 12. Der insofern widersprüchliche Hinweis in § 5 des General Comment, dieser sei nicht auf Kinder anwendbar, die noch keine Grenze übertreten haben, ist mithin so zu verstehen, dass Kinder ausgeschlossen sind, die nicht versucht haben, eine Grenze zu übertreten. Dies wird auch durch den ersten gemeinsamen General Comment mit dem Wanderarbeiterausschuss bestätigt, in dem die beiden Ausschüsse ebenfalls das Verbot der Abweisung an der Grenze als Teil des Prinzips des Non-Refoulement ansehen, CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 46. 786 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 13.4. 787 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 12.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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Hohe See wegen bestehender staatlicher Kontrollmechanismen tatsächlich effektive Kontrolle ausüben kann, zu überprüfen, ob die Nichtausübung einer solchen Kontrolle willkürlich war. Über die Kinderrechtskonvention hinaus ist auch das Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten extraterritorial anwendbar, wie sich aus § 28 des General Comment Nr. 6 ergibt.788 Nicht zuständig ist der Kinderrechtsausschuss nach Artikel 7 (d) des 3. Fakultativprotokolls KRK für solche Individualbeschwerden, deren Gegenstand bereits vor einem anderen internationalen Mechanismus verhandelt wird oder wurde. Die Rügen von Artikel 6 KRK im Rahmen der Individualbeschwerden Z. H. and A. H. v. Denmark und A. P. and K. P. v. Denmark gegen Aufenthaltsbeendigungen hat der Ausschuss dementsprechend abgelehnt, da die betroffenen Personen ebenfalls vor dem Menschenrechtsausschuss Beschwerde erhoben hatten, wobei sie eine Verletzung von Artikel 6 IPbpR geltend gemacht hatten.789 Artikel 7 (d) 3. FP KRK schließt allerdings nur solche Individualbeschwerden aus, die den gleichen Beschwerdegegenstand haben. Wie alle VN-Vertragsorgane legt der Kinderrechtsausschuss die Frage, was gleicher Beschwerdegegenstand ist, eng aus. Obwohl der Menschenrechtsausschuss die Praxis des Kinderrechtsausschusses zur Auslegung aller ein Kind betreffenden Rechte nach dem Kindeswohl übernommen hat,790 hat der Kinderrechtsausschuss in den genannten Individualbeschwerden daher entschieden, dass er nicht nach Artikel 7 (d) 3. FP KRK daran gehindert ist, die Beschwerden bezüglich einzelner das Kindeswohl betreffender Vorbringen zu überprüfen.791 b) Persönliche Betroffenheit Eine Individualbeschwerde vor dem Kinderrechtsausschuss kann nur erheben, wer in Rechten aus der KRK oder aus deren Fakultativprotokollen verletzt ist. Die Kinderrechtskonvention bietet nur Kindern Schutz. Gemäß Artikel 1 KRK ist ein Kind jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt. Anzuwendendes Recht im Sinne des Artikel 1 KRK ist mangels internationaler Spezialvorschriften das jeweilige nationale Recht.792 Das bedeutet, wer von der 788
Siehe auch A. Farmer, Fordham Law Review Res Gestae 2011 (42). CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, 18. September 2019, § 8.3; CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017, 25. September 2019, § 8.4. 790 CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, abweichendes Votum Rodley, Thelin und Sondervotum Salvioli. Siehe auch oben Kapitel D. II. 4. a). 791 CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, § 8.3; CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/ 2017, § 8.4. 792 So ergibt sich etwa aus der GFK keine Einschränkung der staatlichen Festlegung von Volljährigkeit auf ein jüngeres Alter, der UNHCR orientiert sich vielmehr an der Definition des Kinderrechtsausschusses. Siehe L. Skoglund, UN High Commissioner for Refugees, Note on Refugee Children, 09. Juli 1987, U.N. Doc. EC/SCP/46, § 8. 789
222
D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Kinderrechtskonvention geschützt wird, hängt maßgeblich von den jeweiligen nationalen Gesetzen ab.793 Im Zusammenhang mit Kindern, die sich außerhalb ihres Herkunftslandes befinden, versteht der Kinderrechtsausschuss den personellen Schutzbereich der KRK weit. Gemäß seinem General Comment Nr. 6 steht der Schutz allen Kindern zur Verfügung, einschließlich Asylsuchenden, Flüchtlingen und Migrant:innen, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsstatus.794 Grundsätzlich gilt, dass Personen, die eine Individualbeschwerde vor dem Kinderrechtsausschuss erheben, darlegen müssen, dass ihre gerügten Rechte durch ein Verhalten des Staates bereits eingeschränkt werden.795 Wenn ein Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement gerügt wird, soll durch die Erhebung der Individualbeschwerde aber in der Regel vermieden werden, dass es zu einer noch bevorstehenden Rechtsverletzung kommt. Ob die beschwerdeführenden Personen persönlich betroffen, also Opfer im Sinne des Artikel 5 3. Fakultativprotokoll KRK sind, wenn sie einen bloß drohenden Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement rügen, hat der Ausschuss bislang in keiner seiner Individualbeschwerdeverfahren problematisiert. Vielmehr geht er selbstverständlich von der persönlichen Betroffenheit der jeweiligen beschwerdeführenden Personen aus. Auch in einem Fall, in dem der Betroffene schon wusste, dass ihm in der kommenden Woche eine Abschiebung drohen würde, ein Abschiebebescheid aber noch nicht vorlag, da diese vom Vertragsstaat erst zwölf Stunden vor Vollzug der Abschiebung ausgestellt werden,796 hat der Ausschuss keine Notwendigkeit gesehen, die persönliche Betroffenheit des Beschwerdeführers zu problematisieren. Während es noch an Praxis fehlt, ab wann die persönliche Betroffenheit beginnt, hat der Kinderrechtsausschuss klar etabliert, wann die persönliche Betroffenheit endet. Entscheidet sich ein Vertragsstaat nach Erhebung einer Individualbeschwerde, das nationale Verfahren wiederaufzunehmen und der betroffenen Person eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, dann entfällt somit die unmittelbare persönliche Betroffenheit der beschwerdeführenden Person und der Kinderrechtsausschuss stellt das Verfahren ein.797 Dagegen endet die persönliche Betroffenheit der beschwerdeführenden Person nicht damit, dass der Vertragsstaat vorübergehend keinen tatsächlichen Zugriff auf die Person hat. Gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme kann eine Person vor dem Kinderrechtsausschuss somit grundsätzlich dann vorgehen, wenn die Maßnahme vollziehbar ist, und zwar auch dann, wenn derjenige Staat, welcher diese 793
Siehe auch D. Archard/J. Tobin, Article 1, in: J. Tobin, The UN convention on the rights of the child, 1. Aufl. 2019, 27 f. 794 CRC, General Comment No. 6, § 12. 795 Artikel 5 3. FP KRK. 796 CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, 18. September 2019, § 2.4. 797 CRC, J. G. v. Switzerland, 47/2018, 28. Juni 2019; CRC, Z. R. and Q. S. v. Denmark, 43/ 2018, 01. November 2019.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
223
Maßnahme erlassen hat, keine Kenntnis über den genauen Aufenthaltsort der beschwerdeführenden Person hat. Solange der Vollzug der aufenthaltsbeendenden Maßnahme droht, sobald die Person gefunden wird, stellt der Kinderrechtsausschuss sein Verfahren nicht nach Artikel 13 Abs. 1 seiner Verfahrensregeln ein.798 Obwohl der Anwendungsbereich der Kinderrechtskonvention auf Kinder beschränkt ist, hat das Recht des Kindes auf Schutz vor Refoulement auch Auswirkungen auf dessen Familie. Die Verbindung des Kindes zu seiner Familie spielt in allen Bereichen der Kinderrechtskonvention eine zentrale Rolle. Daher wundert es nicht, dass der Kinderrechtsausschuss das absolute Verbot, Aufenthaltsbeendigungen in Staaten zu vollziehen, in denen ein irreparabler Schaden droht, auf die Familien der Kinder ausgeweitet hat.799 Darüber hinaus kann sich eine Aufenthaltsbeendigung auch für Eltern verbieten, wenn die Aufenthaltsbeendigung eine Trennung von ihren Kindern bedeuten würde, sofern dies nicht dem Kindeswohl entspricht.800 Artikel 3 Abs. 1 KRK, wonach das Wohl des Kindes vorrangig zu beachten ist, gilt nicht nur für solche Vorgänge, die das Kind unmittelbar betreffen, also etwa die Aufenthaltsbeendigung des Kindes, sondern auch solche Verfahren, die das Kind nicht direkt betreffen, aber Konsequenzen für das Kind haben, also etwa die Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung von dessen Eltern.801 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs Wie alle VN-Vertragsorgane verlangt auch der Kinderrechtsausschuss, dass die beschwerdeführende Person zunächst alle zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsmittel ausschöpft. Werden Bedenken gegen eine Aufenthaltsbeendigung im nationalen Verfahren nicht geäußert, so können diese Bedenken dementsprechend auch nicht vor dem Kinderrechtsausschuss vorgebracht werden.802 798
CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, 08. März 2018, § 10.5. CRC, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of Norway, 04. Juli 2018, CRC/C/NOR/CO/5 – 6, § 32 (d). Siehe auch CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018; CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017. 800 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 30. Bislang hatte der Kinderrechtsausschuss keine Gelegenheit, in einer solchen Lage zu entscheiden, da bereits die Erhebung der Beschwerde von Kindern, deren Mutter abgeschoben werden sollte, zur Folge hatte, dass der Vertragsstaat seine Entscheidung überdachte und der Mutter eine permanente Aufenthaltsgenehmigung verschaffte, CRC, E. H. R. S. et al. v. Argentina, 90/2019, 05. Juli 2019. 801 CRC, General Comment No. 14 on the right of the child to have his or her best interests taken as a primary consideration, 29. Mai 2013, CRC/C/GC/14, § 19; J. Eekelaar/J. Tobin, Article 3, in: J. Tobin, The UN convention on the rights of the child, 1. Aufl. 2019, 79. Siehe auch CRC, Report of the 2012 Day of General Discussion The Rights of All Children in the Context of International Migration, 12. September 2012, § 72; CRC, Concluding observations on the second to fourth periodic reports of Israel, 04. Juli 2013, CRC/C/ISR/CO/2 – 4, § 70 (e). 802 CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, 31. Mai 2018, §§ 8.3, 8.4. 799
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Etwas anderes gilt, wenn die Durchsetzung der Rechtsmittel unangemessen verlängert wird oder die Rechtsmittel nicht effektiv sind.803 Ineffektiv sind nach der Praxis des Kinderrechtsausschusses im Zusammenhang mit drohenden Aufenthaltsbeendigungen ebenso wie vor anderen VN-Vertragsorganen solche Rechtsmittel, die über keinen Suspensiveffekt verfügen und mithin den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung nicht verhindern würden.804 Das hat der Kinderrechtsausschuss sogar in Fällen, in denen nicht die Aufenthaltsbeendigung, sondern allein die Behandlung des ausländischen Beschwerdeführers in dem Vertragsstaat, gegen den sich die Individualbeschwerde richtet, Gegenstand der Beschwerde war, so gesehen.805 Interessant ist hierbei, dass die Beweislast, ob eine Einlegung eines Rechtsmittels aufschiebende Wirkung hat und mithin effektiv ist, nach Ansicht des Kinderrechtsausschusses bei dem betroffenen Vertragsstaat liegt.806 Im Fall einer Abweisung an der Grenze sind alternative Einreisemöglichkeiten nach Ansicht des Kinderrechtsausschusses keine Rechtsmittel in Bezug auf die Abweisung an der Grenze und somit für die Betrachtung dieser unbeachtlich.807 Zudem bildet die Abweisung an der Grenze einen prozessualen Sonderfall. Hier liegt in der Regel keine formale Anordnung einer Aufenthaltsbeendigung vor. Mithin ist auch eine Erschöpfung des nationalen Rechtsweges gegen die Abweisung regelmäßig nicht möglich. In der fraglichen Individualbeschwerde zweifelte der Ausschuss die Betroffenheit des Beschwerdeführers nicht an, da er ja ohne Vorliegen einer Anordnung tatsächlich zurückgewiesen worden war. Bezüglich der nicht ausgeschöpften Rechtsmittel befand er, dass diese wertlos waren, da sie weder tatsächlich zur Verfügung standen noch effektiv waren.808 Geht ein Kind nicht gegen eine Abweisung an der Grenze in nationalen Verfahren vor, weil dies mangels Abweisungsanordnung nicht möglich wäre, stellt dies also kein Hinderungsgrund für die Zulässigkeit der Erhebung einer Individualbeschwerde im Sinne des Artikel 7 (e) 3. FP KRK dar. d) Substantiierung der Beschwerde Wie in allen Individualbeschwerdeverfahren liegt auch vor dem Kinderrechtsausschuss die Darlegungslast zunächst bei der beschwerdeführenden Person.809 803
Artikel 7 (e) 3. FP KRK. CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, § 11.3; CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, § 8.2; CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017, § 8.3; CRC, M. B. v. Spain, 28/2017, 28. September 2020, § 9.3; CRC, B. I. v. Denmark, 49/2018, 28. September 2020, § 5.2. 805 CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, 18. September 2019, § 12.4; CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 8.3. 806 CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, § 11.3; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 12.4. 807 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 13.6. 808 Ebenda. 809 Vgl. Artikel 7 (f) 3. FP KRK. 804
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
225
Diese muss darlegen, dass ihre Aufenthaltsbeendigung gegen das Prinzip des NonRefoulement verstoßen würde, was nach dem General Comment Nr. 6 bedeutet, dass die Gefahr eines irreparablen Schadens durch die Aufenthaltsbeendigung bestehen muss.810 Auch vor dem Kinderrechtsausschuss ergeben sich aus dem Prinzip des Non-Refoulement wesentliche Verfahrensrechte, so dass auch die Darlegung von Fehlern im nationalen Risikobewertungsverfahren zur Substantiierung der Beschwerde möglich ist. Da aber auch der Kinderrechtsausschuss regelmäßig davon ausgeht, dass seine eigene Überprüfungskompetenz auf Fälle beschränkt ist, in denen die nationale Bewertung eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt,811 kann in der Regel nur die Darlegung besonders schwerer Verfahrensfehler dazu führen, dass der Kinderrechtsausschuss eine Verletzung der KRK feststellt. Individualbeschwerden vor dem Kinderrechtsausschuss können nur von Kindern erhoben werden. Allerdings trifft nach der Praxis des Kinderrechtsausschusses die beschwerdeführende Person nicht die Beweislast zur Darlegung, dass sie ein Kind ist. Vielmehr muss ein Vertragsstaat beweisen, dass eine Person, die ihre eigene Minderjährigkeit behauptet, kein Kind ist. So hatte der Ausschuss schon in seinem General Comment Nr. 6 festgehalten, dass bei verbleibenden Zweifeln über das Alter der Person zu deren Gunsten von ihrer Minderjährigkeit auszugehen sei.812 Das wurde durch die Praxis des Kinderrechtsausschusses im Individualbeschwerdeverfahren N. B. F. v. Spain noch verstärkt. Wenn ein Vertragsstaat demnach Methoden zur Altersfeststellung verwendet, welche der Kinderrechtsausschuss für ungeeignet hält, und wenn deshalb das Ergebnis der Altersfeststellung des Staates im Verfahren vor dem Kinderrechtsausschuss keine Berücksichtigung findet, die beschwerdeführende Person aber weiterhin behauptet, zum relevanten Zeitpunkt minderjährig gewesen zu sein, muss sie hierfür keine Beweise erbringen. Der Kinderrechtsausschuss glaubt vielmehr im Zweifel der beschwerdeführenden Person, dass sie zum relevanten Zeitpunkt ein Kind war, egal, wie unwahrscheinlich dies erscheint.813 Diese Praxis wurde vom Ausschussmitglied Hatem Kotrane zu Recht kritisiert. Während es richtig ist, dass im nationalen Verfahren bis zur eindeutigen Altersfeststellung stets von der Minderjährigkeit der Person auszugehen ist, kann diese Beweislast nicht auch vor dem Kinderrechtsausschuss gelten. Dieser hat keine Möglichkeit zur Feststellung des Alters, so dass aus der Zweifelsregelung hier de 810
CRC, General Comment No. 6, § 27. CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, § 8.8; CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, § 8.6; CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017, § 8.7; CRC, A. S. v. Denmark, 36/2017, 26. September 2019, § 9.6; CRC, B. I. v. Denmark, 49/2018, § 5.4. 812 CRC, General Comment No. 6, § 31 (i). Siehe auch CMW/CRC, Joint General Comment No. 4 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 23 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 4. 813 Siehe zu dieser Problematik auch CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, Sondervotum Benyam Dawit Mezmur, Olga A. Khazova, Ann Marie Skelton und Velina Todorova. 811
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
facto die Möglichkeit wird, eine Individualbeschwerde vor dem Kinderrechtsausschuss gegen Altersbestimmungsverfahren zu erheben, auch wenn die Person klar volljährig sei. Gerade da der Kinderrechtsausschuss für volljährige Personen gar keine Überprüfungskompetenz hat, ist diese Praxis nicht tragbar.814 Leider hatte der Kinderrechtsausschuss bislang keine Gelegenheit, diese Praxis zu korrigieren. Jedenfalls hat er aber etabliert, dass wenn ein Kind zunächst keine Form von Identitätsdokumenten vorweisen kann, der Staat deshalb das Alter des Kindes feststellen lässt und danach das Kind einen Pass von seinem Herkunftsstaat erhält, der Staat verpflichtet ist, das Ergebnis seiner eigenen Altersfeststellung zu überprüfen.815 Wie vor allen VN-Vertragsorganen spielt auch vor dem Kinderrechtsausschuss die Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person eine entscheidende Rolle. Lehnt ein Vertragsstaat in seinem nationalen Risikobewertungsverfahren das Vorbringen einer betroffenen Person ab, weil er dieses Vorbringen aufgrund widersprüchlicher Aussagen als nicht glaubhaft erachtet, dann folgt der Kinderrechtsausschuss dieser nationalen Auffassung, sofern diese Bewertung nicht eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt.816 Bislang hat der Kinderrechtsausschuss den überwiegenden Teil der an ihn gerichteten Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement wegen unzureichender Substantiierung abgelehnt. Aus den wenigen Entscheidungen, in denen der Ausschuss eine Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement bejaht hat, lassen sich nur bedingt Aussagen darüber treffen, welche Elemente für die Substantiierung notwendig sind. Im Fall D. D. v. Spain etwa hat der Ausschuss zum einen den bereits erlebten negativen Erfahrungen des Beschwerdeführers im Zielstaat Bedeutung beigemessen. Zum anderen hatte der Beschwerdeführer aber auf die allgemeine Lage im Zielstaat hingewiesen, indem er auf die letzten Abschließenden Bemerkungen des Kinderrechtsausschusses hierzu verwies.817 Eine Besonderheit bei der Substantiierung der Beschwerde vor dem Kinderrechtsausschuss ist die Rolle der Eltern. Dies gilt insbesondere bei kleinen Kindern. So können für die Darlegung der Gefahr eines irreparablen Schadens für das Kind möglicherweise frühere Erfahrungen der Eltern relevant sein, ohne dass das Kind bisher im Zielstaat gewesen ist. Daher hat der Kinderrechtsausschuss die fehlende Misshandlung des Vaters in der Vergangenheit als Indiz dafür angesehen, dass auch für den Sohn keine tatsächliche Gefahr eines irreparablen Schadens bestehe.818 In
814 815 816 817 818
Vgl. ebenda, abweichendes Votum Hatem Kotrane, § 4. CRC, R. K. v. Spain, 27/2017. CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, §§ 8.9 f. CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 14.6. CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, § 8.12.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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einem anderen Fall diente dagegen die Genitalverstümmelung der Mutter als Indiz dafür, dass auch der Tochter eine solche Behandlung drohe.819 Aber auch andere persönliche Umstände der Eltern wirken sich auf die Kinder aus. Da etwa die genuine religiöse Überzeugung eines Zweijährigen nicht nachweisbar sein wird, muss hierzu auf die Konfession der Eltern abgestellt werden. Können diese aber ihr Glaubensbekenntnis nicht glaubhaft machen, dann kann es auch dem Vertragsstaat nicht zur Last gelegt werden, wenn er im nationalen Risikobewertungsverfahren einer befürchteten Diskriminierung aufgrund der Religion des Kindes kein entsprechendes Gewicht beigemessen hat.820 Außerdem hat der Kinderrechtsausschuss zugunsten der Kinder einer Frau entschieden, deren Vorbringen sich im Wesentlichen darauf stützte, dass sie und ihre Kinder deshalb im Zielstaat Diskriminierung fürchten, weil sie unverheiratet ist.821 2. Ablauf des Verfahrens a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde Auch der Kinderrechtsausschuss kann bis zur Befassung mit einer Individualbeschwerde einstweilige Maßnahmen anordnen, damit der Vertragsstaat, gegen den sich die Individualbeschwerde richtet, die Entscheidung durch den Kinderrechtsausschuss nicht vereitelt. Anders als der Ausschuss gegen Folter und der Menschenrechtsausschuss muss der Kinderrechtsausschuss für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nicht auf seine Verfahrensregeln zurückgreifen. Die Möglichkeit zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen für Individualbeschwerden nach dem 3. Fakultativprotokoll ist in diesem verankert.822 Von der Möglichkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement hat der Kinderrechtsausschuss bereits in seiner ersten Entscheidung hierzu,823 und seitdem regelmäßig, auch in im Ergebnis unzulässigen Beschwerden,824 Gebrauch gemacht. Über die bloße Anordnung hinaus, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht zu vollziehen, um die Möglichkeit der Befassung durch den Kinderrechtsausschuss nicht zu vereiteln, hat der Ausschuss im Zusammenhang mit allein reisenden Kindern aber auch schon sehr weitreichende einstweilige Maßnahmen angeordnet. So hat er etwa zusätzlich zur Anordnung der Nichtvollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen verlangt, dass der Be-
819 820 821 822 823 824
CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.5. CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, § 8.12. CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017. Artikel 6 3. FP KRK. CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 1.2. CRC, Y. M. v. Spain, 08/2016, § 1.2; CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, § 1.2.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
schwerdeführer bis zur Entscheidung durch den Kinderrechtsausschuss in einer für Kinder vorgesehenen Einrichtung untergebracht werde.825 Noch weitergehend verlangte er im Fall M. T. v. Spain, dass Spanien den Beschwerdeführer als minderjährig anerkenne und dementsprechenden Schutz biete, ihm mithilfe eines gesetzlich bestellten Vormundes oder Vertreters Zugang zum Asylverfahren verschaffe und ihm den Verbleib auf spanischem Territorium bis zum Abschluss seines Asylverfahrens erlaube.826 Damit hat die Arbeitsgruppe des Kinderrechtsausschusses für einstweilige Maßnahmen in ihrer Anordnung bereits einen Großteil der vom Beschwerdeführer gerügten Punkte vorweggenommen. In Anbetracht der Tatsache, dass über einstweilige Maßnahmen noch vor der Befassung des Ausschusses mit der Individualbeschwerde und damit auch vor Feststellung der Zulässigkeit der Beschwerde entschieden wird, gehen die verlangten Maßnahmen über die Kompetenz der Arbeitsgruppe hinaus.827 Überdies ist auch nicht ersichtlich, dass die genannten Maßnahmen ,in außergewöhnlichen Umständen nötig sind, um irreparablen Schaden zu vermeiden‘.828 Dass der betroffene Staat, der in diesem Fall bereits die Zulässigkeit der Beschwerde bestritten hatte, die Maßnahmen nicht umgesetzt hat, verwundert daher nicht. Die Einhaltung einstweiliger Maßnahmen ist nach dem Verständnis des Kinderrechtsausschusses eine eigenständige völkerrechtliche Verpflichtung.829 Hält sich ein Staat nicht an die angeordneten einstweiligen Maßnahmen, dann stellt das nach der Praxis des Kinderrechtsausschusses einen Verstoß gegen Artikel 6 des 3. Fakultativprotokolls dar.830 b) Beweislast Bezüglich der Beweislast beruft sich der Kinderrechtsausschuss auf die Praxis des Menschenrechtsausschusses. So hat er in einem Fall, in dem der Vertragsstaat anzweifelte, dass es sich bei dem Beschwerdeführer tatsächlich um die Person handelte, deren Konventionsrechte er zuvor verletzt haben sollte, sowie in einem anderen Fall, in dem die Echtheit der Identitätsdokumente des Beschwerdeführers vom Vertragsstaat angezweifelt wurde, verschiedene Entscheidungen des Menschenrechts825
CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, § 1.2; CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 1.2; CRC, M. B. v. Spain, 28/2017, § 1.2; CRC, M. B. S. v. Spain, 26/2017, 28. September 2020, § 1.2; CRC, L. D. and B. G. v. Spain, 37/2017, 38/2017, 28. September 2020, § 1.2. 826 CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 1.2. 827 Artikel 6 Abs. 2 3. FP KRK. 828 Vgl. Artikel 6 Abs. 1 3. FP KRK. Siehe auch CRC, Guidelines for Interim measures under the Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on a communications procedure, § 2. 829 Ebenda, § 9. 830 CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, § 12.11; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 13.11; CRC, M. B. v. Spain, 28/2017, § 9.18; CRC, M. B. S. v. Spain, 26/2017, § 9.18.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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ausschusses zitiert.831 Demnach könne die Beweislast nicht allein bei der beschwerdeführenden Person liegen, insbesondere deshalb, weil diese nicht über den gleichen Zugang zu Beweismitteln und relevanten Informationen verfüge wie der Staat.832 In seinem ersten Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement hatte der Vertragsstaat argumentiert, die Verantwortung für die Erfüllung der Schutzpflichten gegenüber dem Kind obliege der Mutter.833 Der Ausschuss teilte diese Ansicht nicht. Ob einem Kind der Schutz des Artikel 19 KRK zuteilwerde, könne nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine Mutter gesellschaftlichem Druck standhalte oder nicht.834 Ein Staat kann das Bestehen eines tatsächlichen Risikos der Rechtsverletzung für das Kind also nicht dadurch entkräften, dass das Kind gemeinsam mit einem Elternteil reisen würde. c) Durchführung eines ordentlichen Verfahrens Ähnlich wie der Menschenrechtsausschuss legt der Kinderrechtsausschuss erheblichen Wert auf die Durchführung eines ordentlichen Risikobewertungsverfahrens. In seinem ersten Fall zum Prinzip des Non-Refoulement hat er eine Verletzung von Artikel3 und 19 KRK allein aufgrund eines mangelhaft durchgeführten Risikobewertungsverfahrens festgestellt.835 Hier hat der Kinderrechtsausschuss aber keinen Grund gesehen, seine eigene Überprüfungskompetenz auf solche Fälle zu beschränken, bei denen die nationale Bewertung eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt.836 In seiner vorhergehenden Praxis war der Ausschuss dagegen davon ausgegangen, dass seine eigene Überprüfungskompetenz auf solche Fälle begrenzt ist, in denen das nationale Verfahren eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellte.837 Auch in Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Kinderrechtsausschuss diese Ansicht in jüngerer Zeit vertreten.838 Es ist daher davon auszugehen, dass der Kinderrechtsausschuss sich diesbezüglich der Praxis anderer 831 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, Fn. 38; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, Fn. 21. Gegenstand dieser zitierten Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses waren allerdings Vergewaltigung, Verschwindenlassen und Folter. Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement zitiert der Kinderrechtsausschuss dagegen nicht. 832 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 13.3; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 13.4. Siehe auch CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 8.2; CRC, S. M. A. v. Spain, 40/2018, 28. September 2020, § 7.2. 833 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 4.10. 834 Ebenda, § 11.8 (b). 835 Ebenda, § 11.9. 836 Vgl. oben Kapitel D. II. 2. b) und c) aa). 837 CRC, U. A. I. v. Spain, 02/2015, 26. Oktober 2016, § 4.2. 838 CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, § 8.8; CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, § 8.6; CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017, § 8.7; CRC, A. S. v. Denmark, 36/2017, § 9.6.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
VN-Vertragsorgane angepasst hat und auch in Zukunft seine eigene Überprüfungskompetenz auf Fälle eindeutig fehlerhafter, willkürlicher oder rechtsverweigernder Verfahren begrenzen wird.839 d) Beteiligung Dritter am Verfahren Eine Besonderheit im Individualbeschwerdeverfahren ist die Möglichkeit der Stellungnahme Dritter.840 Zwar können vom Individualbeschwerdeverfahren nicht betroffene Dritte auch vor anderen VN-Vertragsorganen solche Stellungnahmen einreichen.841 Vor dem Kinderrechtsausschuss wird diese Möglichkeit aber aktiv genutzt. Sowohl staatliche Einrichtungen als auch Nichtregierungsorganisationen oder Internationale Organisationen können Stellungnahmen abgeben. In seinem zweiten Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement lag dem Kinderrechtsausschuss etwa eine gemeinsame Stellungnahme der International Commission of Jurists, des European Council on Refugees and Exiles, dem AIRE Centre und dem Dutch Council for Refugees vor, die sich allgemein zu Inhalt und Reichweite der staatlichen Pflichten betreffend Gerichtsbarkeit, Zugang zu staatlichem Territorium, dem Prinzip des Non-Refoulement und Kollektivausweisungen äußerten.842 Der französische Défenseur des droits hat eine Stellungnahme abgegeben, mit der er gleichzeitig sich zu 17 Individualbeschwerdeverfahren geäußert hat, die zum damaligen Zeitpunkt vor dem Kinderrechtsausschuss anhängig waren.843 Gegenstand war hier, ob und inwieweit einheitliche europäische Standards bei dem Prozess der Altersfeststellung einer möglicherweise minderjährigen Person existieren. Bislang ist der Kinderrechtsausschuss in keiner seiner Begründungen auf solche Stellungnahmen eingegangen, ist ihnen aber in allen Fällen im Ergebnis gefolgt. 3. Materielles Schutzgut Der überwiegende Teil der hier besprochenen Individualbeschwerden richtet sich im Ergebnis nicht gegen einen befürchteten Verstoß gegen das Prinzip des NonRefoulement. Zwar erwarten viele der beschwerdeführenden Personen ihre Aufenthaltsbeendigung und die meisten der angeordneten einstweiligen Maßnahmen berücksichtigen dies.844 Die Beschwerden richten sich aber in ihrer Mehrheit gegen die Einordnung von Migrant:innen als Erwachsene. Dennoch lassen diese Be839
B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (378). CRC, Rules of Procedure, Regel Nr. 23. 841 Seit Januar 2019 ist dies zum Beispiel vor dem Menschenrechtsausschuss möglich, vgl. CCPR, Rules of Procedure, Regel Nr. 96. 842 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, §§ 10.1 – 10.3. 843 CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, Fn. 15. 844 Siehe oben Kapitel D. IV. 2. a). 840
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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schwerden nicht nur allgemeine Rückschlüsse auf Anforderungen an das Individualbeschwerdeverfahren vor dem Kinderrechtsausschuss zu, sondern bieten auch Erkenntnisse zu den Anforderungen an das nationale Risikobewertungsverfahren, die für das Prinzip des Non-Refoulement in seiner Ausgestaltung durch den Kinderrechtsausschuss von erheblicher Bedeutung sind. Das Prinzip des Non-Refoulement gewährt auch im Rahmen der Kinderrechtskonvention kein Bleiberecht. Allerdings bestimmt General Comment Nr. 6 zum Schutz unbegleiteter oder von ihren Eltern getrennter Kinder auch, dass solche Kinder, auch wenn sie keine Flüchtlinge im Sinne der GFK sind, soweit möglich Zugang zu alternativen Schutzformen haben sollen. Kinder, die einen solchen subsidiären Schutz genießen, haben ein Recht auf Zugang zu den gleichen Rechten wie alle anderen Kinder in der Hoheitsgewalt des Staates, und zwar auch zu jenen Rechten, die ein Aufenthaltsrecht voraussetzen.845 Territorial versteht der Kinderrechtsausschuss den materiellen Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement weit. Zu verbotenen Handlungen gehört demnach nicht nur die Aufenthaltsbeendigung von Menschen, die sich bereits auf dem Territorium eines Staates befinden, sondern auch die Abweisung an der Grenze.846 Die Praxis des Abfangens von Menschen auf Hoher See hält der Kinderrechtsausschuss wohl ebenso für nicht mit dem Prinzip des Non-Refoulement vereinbar.847 Problematisch scheint, dass sich der Kinderrechtsausschuss in seiner Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement auf den General Comment Nr. 6 stützt, der ausweislich seines Titels nur auf Kinder anwendbar ist, die von ihren Eltern getrennt sind und entweder alleine oder in Begleitung von anderen Erwachsenen sind.848 In seinem ersten gemeinsamen General Comment mit dem Wanderarbeiterausschuss hat der Kinderrechtsausschuss diesen personellen Schutzbereich jedoch ausdrücklich ausgeweitet.849 Bereits zuvor wandte der Ausschuss die in seinem General Comment Nr. 6 etablierten Grundsätze auch auf solche Fällen an, in denen die zu schützenden Kinder von ihren Eltern begleitet wurden.850 So hat er in seiner ersten Individual845
CRC, General Comment No. 6, §§ 77, 78. CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 46. Siehe auch zuvor bereits CRC, General Comment No. 6, § 12. 847 CRC, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of Australia, 01. November 2019, CRC/C/AUS/CO/5 – 6, § 45 (c). 848 Siehe auch CRC, General Comment No. 6, §§ 5, 7, 8. 849 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 9. 850 Während sich der Ausschuss kurz nach Erscheinen seines General Comment Nr. 6 im Rahmen von Staatenberichtsverfahren noch auf unbegleitete Kinder beschränkte, hat er den Schutz mittlerweile ausdrücklich auf alle Kinder ausgeweitet, vgl. CRC, Concluding Observations: China, 24. November 2005, CRC/C/CHN/CO/2, § 82 (b); CRC, Concluding obser846
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
beschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement darauf verwiesen, dass ein Kind nach den Grundsätzen des General Comment Nr. 6 nicht in ein Land zurückgewiesen werden dürfe, in welchem ein tatsächliches Risiko irreparablen Schadens bestehe,851 ohne hierbei darauf einzugehen, dass das Opfer der Individualbeschwerde mit ihrer Mutter reisen würde, also kein alleinreisendes Kind im Sinne des General Comment Nr. 6 ist.852 a) Vorgaben des General Comment Nr. 6 Der Kinderrechtsausschuss stützt seine Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement weitgehend auf seinen General Comment Nr. 6 zur Behandlung unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes. Das Prinzip des Non-Refoulement legt der Kinderrechtsausschuss in seinem General Comment Nr. 6 in einem eigenen Abschnitt in drei Absätzen dar.853 Dieser Abschnitt bildet einen Unterabschnitt des Teils IV. ,Applicable Principles‘. Der Kinderrechtsausschuss verdeutlicht bereits hiermit, dass es sich seiner Auffassung nach beim Prinzip des Non-Refoulement nicht um ein Prinzip handelt, das sich nur aus einem bestimmten in der KRK kodifizierten Recht ableiten und mithin auch auf dieses beschränken lässt. Vielmehr versteht er das Prinzip des Non-Refoulement als allgemeines Rechtsprinzip an, das im Zusammenhang mit den Rechten aus der KRK und deren Fakultativprotokollen als Ganzes Anwendung findet. Daher lassen sich sowohl aus dem Prinzip des Non-Refoulement als auch aus anderen allgemeinen Rechtsprinzipien staatliche Pflichten ableiten, die unabhängig vom jeweiligen Einzelfall bestehen. Der Kinderrechtsausschuss formuliert allgemeine staatliche Pflichten gegenüber unbegleiteten und von ihren Eltern getrennten Kindern, die einen präventiven und administrativen Charakter haben, vergleichbar mit denjenigen Pflichten, welche der Menschenrechtsausschuss aus Artikel 2 IPbpR ableitet. Für die Einhaltung des Prinzips des Non-Refoulement wichtigster Punkt ist hierbei die Pflicht der Vertragsstaaten, so schnell wie möglich festzustellen, dass es sich bei einer Person um ein unbegleitetes oder von den Eltern getrenntes Kind handelt.854 vations on the combined third and fourth periodic reports of China, 29. Oktober 2013, CRC/C/ CHN/CO/3 – 4, § 83 (a). 851 Vgl. CRC, General Comment No. 6, § 27. 852 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.3. Der Ausschuss stellt hier eine Verletzung unter anderem von Artikel 19 KRK fest, siehe ebenda, §§ 11.9 f. Gemäß Artikel 19 Abs. 1 KRK schützt dieser nur solche Kinder vor Gewalt, die sich in der Obhut von Eltern oder anderen Privatpersonen befinden, also gerade solche, die nicht von ihrem Erziehungsberechtigen oder Vormund getrennt sind. Siehe zum Begriff der Obhut nach der Praxis des Ausschusses auch J. Cashmore/J. Tobin, Article 19, in: J. Tobin, The UN convention on the rights of the child, 1. Aufl. 2019, 703 f. 853 CRC, General Comment No. 6, §§ 26 – 28. 854 Ebenda, § 13.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
233
Wie sich besonders eindeutig an dem in Artikel 33 Abs. 1 GFK kodifizierten Prinzip des Non-Refoulement zeigt, ist diese Pflicht, auch wenn sie selbst kein Recht zum Aufenthalt gewährt, stets eng mit Fragen des Zugangs zu einer Aufenthaltserlaubnis verbunden. Mit der Anerkennung einer staatlichen Pflicht zur Feststellung der Identität eines unbegleiteten oder von den Eltern getrennten Kindes, möglichst bereits an der Grenze, verschafft der Kinderrechtsausschuss Kindern Zugang zu wichtigen Verfahren wie etwa Asylverfahren. Außerdem schafft er sich damit eine Überprüfungskompetenz über das gesamte nationale Risikobewertungsverfahren auch dann, wenn ein solches mangels Feststellung der Identität eines unbegleiteten oder von den Eltern getrennten Kindes gar nicht durchgeführt wurde.855 Bei der Bestimmung der materiellen Pflichten der Vertragsstaaten mit Bezug auf das Prinzip des Non-Refoulement geht der Kinderrechtsausschuss strukturiert vor. Zunächst benennt General Comment Nr. 6 zur Behandlung unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder außerhalb ihres Herkunftslandes völkerrechtliche Pflichten, die sich für alle Staaten unabhängig von etwaigen Besonderheiten der KRK ergeben (§ 26), dann geht benennt er hierüber hinausgehend spezielle Pflichten im Zusammenhang mit dem Übereinkommen (§ 27). Schließlich enthält § 28 des General Comment Nr. 6 ein spezielles aus Artikel 38 KRK sowie aus dem 1. Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten abgeleitetes Refoulementverbot für die Rechte des Kindes. aa) Das Prinzip des Non-Refoulement als allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung Der § 26 des General Comment Nr. 6 verweist zunächst auf allgemeine völkerrechtliche Verpflichtungen, die für den Schutz von Kindern besonders wichtig sind. Demnach haben Staaten zum Schutz unbegleiteter oder von ihren Eltern getrennter Kinder die Verpflichtungen zum Non-Refoulement aus internationalen Menschenrechten, humanitärem Recht und Flüchtlingsrecht uneingeschränkt einzuhalten. Der Kinderrechtsausschuss hebt hierbei insbesondere die Pflichten der Vertragsstaaten aus Artikel 33 GFK und Artikel 3 AFK hervor.856 Dies ist aber nicht so zu verstehen, dass der Ausschuss ein Prinzip des NonRefoulement nur im Sinne dieser Vorschriften anerkennt. Vielmehr nennt § 26 des General Comment Nr. 6 diejenigen Pflichten aus der Kinderrechtskonvention, die sich auch aus Völkergewohnheitsrecht ergeben, wobei er das Prinzip des Non-Refoulement in seiner in Artikel 33 GFK und Artikel 3 AFK kodifizierten Form als Teil des Völkergewohnheitsrechts ansieht.857 855
Vgl. auch CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 14.6. CRC, General Comment No. 6, § 26. 857 Eindeutiger formuliert ist insoweit CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 45. 856
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Anders als der Rassendiskriminierungsausschuss unterscheidet der Kinderrechtsausschuss präzise zwischen dem flüchtlingsrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement und jenem, welches er als allgemeines menschenrechtliches Prinzip aus der KRK ableitet. Das machte er im Fall D. D. v. Spain deutlich, in dem der Vertragsstaat behauptet hatte, es existiere nur ein flüchtlingsrechtliches Prinzip des NonRefoulement.858 bb) Allgemeiner Schutz vor Refoulement aus der Kinderrechtskonvention Nach der Feststellung dieses Mindeststandards geht der Kinderrechtsausschuss aber über diese etablierten Pflichten hinaus und bestimmt ein weitreichenderes Prinzip des Non-Refoulement nach der KRK: „Furthermore, in fulfilling obligations under the Convention, States shall not return a child to a country where there are substantial grounds for believing that there is a real risk of irreparable harm to the child, such as, but by no means limited to, those contemplated under articles 6 and 37 of the Convention, either in the country to which removal is to be effected or in any country to which the child may subsequently be removed. Such non-refoulement obligations apply irrespective of whether serious violations of those rights guaranteed under the Convention originate from non-State actors or whether such violations are directly intended or are the indirect consequence of action or inaction. The assessment of the risk of such serious violations should be conducted in an age and gender-sensitive manner and should, for example, take into account the particularly serious consequences for children of the insufficient provision of food or health services.“859
Hier sind eindeutige Parallelen zur Praxis des Menschenrechtsausschusses erkennbar. Ebenso wie der Menschenrechtsausschuss geht auch der Kinderrechtsausschuss in seinem General Comment davon aus, dass das Prinzip des Non-Refoulement vor der Verletzung aller Rechte schützen kann, solange deren Folgen irreparabel sind.860 Der Kinderrechtsausschuss nennt die Artikel 6 und 37 KRK ausdrücklich nur als Beispiele.861 Tatsächlich ist der hier formulierte materielle Schutz vor Refoulement im Vergleich zur Praxis des Menschenrechtsausschusses aber umfangreicher. Bereits mit der Bezugnahme auf Artikel 6 und 37 KRK legt der Kinderrechtsausschuss vergleichsweise weitreichende Standards fest. Artikel 6 KRK schützt das Recht auf Leben des Kindes deutlich weitgehender, als etwa Artikel 6 IPbpR. Denn Artikel 6 Abs. 2 KRK schützt auch das Überleben und die Entwicklung des Kindes und stellt damit Mindestanforderungen an den Lebensstandard von Kindern auf. Ernährung 858
CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, §§ 12.2, 14.6. CRC, General Comment No. 6, § 27. 860 So auch J. M. Pobjoy, The child in international refugee law, 2017, 30 f., 188 ff. 861 Siehe auch CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, Kapitel E. Hier wird zusätzlich Artikel 22 KRK als Beispiel genannt. 859
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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und Gesundheit von Kindern sind nach der Praxis des Kinderrechtsausschusses für ihre Entwicklung und ihr dauerhaftes Überleben maßgeblich.862 Während der Menschenrechtsausschuss in seiner Praxis zurückhaltend ist, eine Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement ohne die Nennung von Artikel 6 oder 7 IPbpR festzustellen,863 hat der Kinderrechtsausschuss gleich in seiner ersten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement eine Verletzung von Artikel 3 KRK und dem Recht auf Schutz vor jeglicher Form von Gewalt aus Artikel 19 KRK festgestellt und damit untermauert, dass es sich bei der Nennung der Artikel 6 und 37 KRK lediglich um Beispiele und nicht um eine abschließende Liste der zu berücksichtigenden Rechte handelt.864 Des Weiteren verlangt der Ausschuss in seinem General Comment Nr. 6, dass die Vertragsstaaten im nationalen Risikobewertungsverfahren mögliche besonders schwerwiegende Folgen einer unzureichenden Bereitstellung von Nahrungsmitteln oder Gesundheitsdiensten für Kinder berücksichtigen.865 Damit setzt der Kinderrechtsausschuss auch für wirtschaftliche und soziale Rechte Standards, deren Schwelle im Vergleich mit anderen Übereinkommen niedrig ist.866 Damit ist der materielle Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement nach der Praxis des Kinderrechtsausschusses wohl der Weiteste unter allen internationalen Schutzmechanismen.867 Darüber hinaus stellt der Kinderrechtsausschuss bereits in seinem General Comment Nr. 6 klar, dass die Gefahr eines irreparablen Schadens nicht von dem Zielstaat selbst ausgehen muss. Auch eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende Gefahr ist nach dem Prinzip des Non-Refoulement zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob drohende Menschenrechtsverstöße direkt beabsichtigt oder die indirekte Folge des Handelns oder der Untätigkeit des Zielstaates sind.868 Hiernach ist der Schutz der KRK also umfassender als das in § 26 des General Comment Nr. 6 genannte gewohnheitsrechtlich anerkannte Refoulementverbot.869 862
Vgl. etwa CRC, General Comment No. 8 The right of the child to protection from corporal punishment and other cruel or degrading forms of punishment (arts. 19; 28, para. 2; and 37, inter alia), 02. März 2007, CRC/C/GC/8, § 10. 863 Siehe oben Kapitel D. II. 4. 864 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.10. 865 CRC, General Comment No. 6, § 27. 866 A. Farmer, Fordham Law Review Res Gestae 2011 (42); B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (370). 867 A. Farmer, Fordham Law Review Res Gestae 2011 (41). 868 CRC, General Comment No. 6, § 27; CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 46. 869 A. Farmer, Fordham Law Review Res Gestae 2011 (41). Dieses weite Verständnis des Kinderrechtsausschusses entspricht seiner allgemeinen Praxis zu Artikel 37 KRK. Dieser schützt nach Ansicht des Ausschusses in gleichem Maße vor staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, vgl. etwa CRC, General Comment No. 8.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Der Kinderrechtsausschuss hat allerdings im Rahmen seiner Individualbeschwerdeverfahren dieses weite Verständnis später wieder eingeschränkt und spezifiziert, dass Gefahren, die von Privaten ausgehen, nur dann zu berücksichtigen sind, wenn der Zielstaat nicht fähig ist, die betroffenen Kinder vor diesen Gefahren zu schützen.870 Ebenso ist nach Ansicht des Kinderrechtsausschusses das sogenannte Kettenrefoulement vom Prinzip des Non-Refoulement erfasst.871 Die Möglichkeit der Verbringung in einen sicheren Drittstaat erkennt der Kinderrechtsausschuss dem Grunde nach jedoch an. Nach Maßgabe des General Comment Nr. 6 ist dann, wenn eine Rückführung in den Herkunftsstaat nicht möglich ist, auch eine dauerhafte Verbringung in einen sicheren Drittstaat möglich.872 Das bedeutet aber keineswegs, dass das Prinzip des Non-Refoulement nach der Kinderrechtskonvention nur das Verbot der Rückverbringung in einen Herkunftsstaat bedeutet, von dem eine Gefahr ausgeht.873 cc) Weitergehender besonderer Schutz Den Abschluss des Abschnitts zum Prinzip des Non-Refoulement nach den Vorgaben des General Comment Nr. 6 bildet dessen § 28. Dieser formuliert einen besonderen Schutz vor Refoulement aus Artikel 38 KRK in Verbindung mit Artikel 3, 4 des Fakultativprotokolls betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten. Der Ausschuss stellt fest, dass die Rekrutierung Minderjähriger ein besonders hohes Risiko eines irreparablen Schadens mit sich bringe, weshalb bei Drohen einer solchen Rekrutierung eine Aufenthaltsbeendigung untersagt sei: „… States shall refrain from returning a child in any manner whatsoever to the borders of a State where there is a real risk of underage recruitment, including recruitment not only as a combatant but also to provide sexual services for the military or where there is a real risk of direct or indirect participation in hostilities, either as a combatant or through carrying out other military duties“.874
Diese Formulierung geht über die Vorgaben des Artikel 38 KRK und der Artikel 3, 4 1. FP KRK hinaus, indem hier auch bei indirekter Beteiligung an bewaffneten Konflikten Schutz geboten wird. Auch verlangt der Kinderrechtsausschuss nicht mehr den Nachweis eines drohenden irreparablen Schadens, sondern verbietet 870
§ 8.3. 871
CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.8 (c); CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017
CRC, General Comment No. 6, § 27. Ebenda, §§ 92, 93. 873 Vgl. etwa CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 14.6. 874 CRC, General Comment No. 6, § 28. Siehe auch ebenda, § 58. Vgl. auch UNICEF, The Paris Principles and Guidelines on Children Associated with Armed Forces or Armed Groups, Februar 2007, 2.1. 872
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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per se Aufenthaltsbeendigungen im Zusammenhang mit drohender Rekrutierung Minderjähriger. Damit ist dieser Schutz vor Refoulement potenziell weiter, als jener des § 27 des General Comment Nr. 6. Bislang ist vor dem Kinderrechtsausschuss keine Individualbeschwerde erhoben worden, die eine Verletzung von Artikel 38 KRK oder dem ersten Fakultativprotokoll KRK rügt, so dass bislang nicht ersichtlich ist, inwiefern sich diese Verbote in der Praxis unterscheiden. Neben dem Abschnitt IV. ,Applicable Principles‘ verweist der Kinderrechtsausschuss in seinem General Comment Nr. 6 auch im Abschnitt VII. ,Family reunification, return and other forms of durable solutions‘ auf das Prinzip des NonRefoulement. Hiernach ist von Familienzusammenführung abzusehen, wenn eine vernünftigerweise erwartbare Gefahr (,reasonable risk‘) besteht, dass eine solche zu einer Verletzung grundlegender Menschenrechte des Kindes führen würde. Das sei zweifelsfrei dann der Fall, wenn das Kind Flüchtlingsstatus habe oder von zuständigen Behörden festgestellt wurde, dass eine Aufenthaltsbeendigung des Kindes gegen das Prinzip des Non-Refoulement verstoßen würde. Der Ausschuss nennt hierzu beispielhaft die staatlichen Pflichten aus Artikel 3 AFK und Artikel 6, 7 IPbpR.875 Darüber hinaus solle eine Rückführung in den Herkunftsstaat des Kindes nur dann vollzogen werden, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht.876 Der Gebrauch des Begriffs ,reasonable risk‘ statt der sonst üblichen Formulierung ,real risk‘ muss so verstanden werden, dass hier geringere Anforderungen an die Darlegung des Risikos gestellt werden, als beim in den §§ 26 – 28 des General Comment Nr. 6 entwickelten Prinzip des Non-Refoulement.877 Darüber hinaus lässt die Formulierung ,and in particular, if the principle of non-refoulement applies‘ vermuten, dass die Gefahr der Verletzung grundlegender Menschenrechte des Kindes materiell weiter ist, als die Gefahr eines irreparablen Schadens, wie er in den §§ 27, 28 verlangt wird. Allerdings setzt der Kinderrechtsausschuss nur Standards für Kinder, die dauerhaft mit ihren Familien zusammengeführt beziehungsweise in ihren Herkunftsstaat zurückgebracht werden sollen. Bislang ist der Kinderrechtsausschuss in keiner seiner Individualbeschwerdeverfahren auf diesen Teil seines General Comment Nr. 6 eingegangen. Abgesehen von den Angaben zum Prinzip des Non-Refoulement im General Comment Nr. 6 ist auch dessen Abschnitt VI. ,Access to the Asylum Procedure, Legal Safeguards and Rights in Asylum‘ relevant. Der Kinderrechtsausschuss stellt in diesem Abschnitt detaillierte Anforderungen an Asylverfahren und die hierbei zu beachtende besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern. Vieles lässt sich hierbei auf das Risikobewertungsverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement übertragen.878 875
CRC, General Comment No. 6, § 82. Ebenda, § 84. 877 T. R. Salomon, Die internationale Strafverfolgungsstrategie gegenüber somalischen Piraten, 336. 878 CRC, General Comment No. 6, §§ 64 – 78. 876
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
b) Geschützte Rechtsgüter Die erste Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement entschied der Kinderrechtsausschuss im Jahr 2018. Eine Somalierin hatte im Verlauf ihres Asylverfahrens in Dänemark eine Tochter bekommen und befürchtete deren Genitalverstümmelung bei Rückkehr nach Somalia. Der Kinderrechtsausschuss gab der Beschwerdeführerin recht und sah in der Entscheidung Dänemarks einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement. Bereits in seinem General Comment Nr. 6 hat der Kinderrechtsausschuss festgestellt, dass eine drohende weibliche Genitalverstümmelung jedenfalls ein eindeutiger Indikator für eine Verfolgung im Sinne der GFK ist.879 Auch in ihrem gemeinsamen General Comment beziehungsweise General Recommendation von Kinderrechtsausschuss und Frauenrechtsausschuss äußern sich die beiden Ausschüsse zu weiblicher Genitalverstümmelung als schädliche Praktik. Demnach habe Genitalverstümmelung langfristige gesundheitliche Folgen für die Betroffene, einschließlich psychischer Folgen.880 In K. Y. M. v. Denmark stellte der Kinderrechtsausschuss schließlich unmissverständlich klar: „The evaluation of the risk that a child may be subjected to an irreversible harmful practice such as female genital mutilation in the country to which he or she is being deported should be carried out following the principle of precaution and, where reasonable doubts exist that the receiving State cannot protect the child against such practices, State parties should refrain from deporting the child.“881
Der Verweis auf den gemeinsamen General Comment beziehungsweise General Recommendation von Kinderrechtsausschuss und Frauenrechtsausschuss zu schädlichen Praktiken lässt vermuten, dass auch andere, dort ebenfalls aufgelistete schädliche Praktiken für das Prinzip des Non-Refoulement relevant sein können. So zeigt dieser etwa Zusammenhänge von Muttersterblichkeit und Suizidraten bei verheirateten Kindern auf,882 und betont die Lebensgefahr, wenn sogenannte Taten zur Wiederherstellung der Familienehre drohen.883 Der Ausschuss stellte im genannten Individualbeschwerdeverfahren auch klar, dass die Vertragsstaaten in ihren Risikobewertungsverfahren Gefahren durch Private dann berücksichtigen müssen, wenn der Zielstaat nicht fähig scheint, vor diesen Gefahren zu schützen.884 Der Maßstab des Kinderrechtsausschusses entspricht damit jenem anderer Vertragsorgane. 879
CRC, General Comment No. 6, § 75. CEDAW/CRC, Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child, § 19. 881 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.8 (c). 882 CEDAW/CRC, Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child, §§ 20 – 24. Siehe auch ebenda § 84. 883 Ebenda, §§ 29, 30. Siehe auch § 84. 884 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.8 (c). 880
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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Hier hatte der Vertragsstaat Dänemark zunächst als Ziel der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nur Somalia angegeben, in zweiter Abschiebeanordnung dann die Region Puntland, also das Bestehen einer internen Fluchtalternative vorgetragen.885 Zwar hat der Ausschuss in diesem Fall die Abschiebung nach Puntland als rechtswidrig angesehen. Allerdings hatte Dänemark die Sicherheit Puntlands mit einem Bericht begründet, der sich nicht auf Puntland bezog.886 Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Kinderrechtsausschuss bei entsprechend überzeugender Darlegung durch den Vertragsstaat dem Konzept der internen Fluchtalternative zustimmt. Schließlich befand der Kinderrechtsausschuss im Fall W. M. C. v. Denmark, dass der Vertragsstaat das Prinzip des Non-Refoulement dadurch verletzt hatte, dass er in seiner nationalen Entscheidung zur Abschiebung einer Familie nach China die negativen Auswirkungen für die Kinder nicht ausreichend berücksichtigt habe. Die Mutter der drei Kinder fürchtete, dass die Kinder bei Einreise in China nicht in das Personenstandsregister (hukou) eingetragen würden, weil ihre Eltern nicht verheiratet sind. Neben einem Verstoß gegen Artikel 3 KRK befand der Ausschuss, dass der tatsächliche Vollzug der Aufenthaltsbeendigung allein aufgrund der Tatsache, dass die Registrierung der Kinder im Zielstaat erschwert würde, eine Verletzung von Artikel 6 und 8 KRK darstellen würde. Würden die Kinder nicht registriert, verwehre ihnen das den Zugang zu Bildung sowie zu Gesundheits- und Sozialleistungen.887 Damit hat der Kinderrechtsausschuss die wirtschaftliche und soziale Komponente des Prinzips des Non-Refoulement erneut bestätigt. Leider geht der Ausschuss hierbei nicht darauf ein, inwieweit die temporäre Erschwerung der Registrierung der Kinder die Gefahr eines irreparablen Schadens bedeutet.888 c) Verfahrensrechtliche Komponente Auch für den Kinderrechtsausschuss besitzt das Prinzip des Non-Refoulement eine weitreichende verfahrensrechtliche Dimension. Maßnahmen, die sich gegen eine Gruppe von Menschen richten und keine Überprüfung des Einzelfalls ermöglichen, verstoßen nach seiner Praxis potenziell gegen den Grundsatz der NichtDiskriminierung und können daher jedenfalls keine Maßnahme eines Staates zum Schutz der öffentlichen Ordnung darstellen.889 Kollektivausweisungen sind nach
885 886 887 888 889
Ebenda, §§ 2.3, 4.1. Vgl. ebenda, § 11.7. CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, § 8.9. Vgl. ebenda, §§ 2.7, 4.13, 4.14, 8.5. CRC, General Comment No. 6, § 18.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
dem ersten gemeinsamen General Comment mit dem Wanderarbeiterausschuss auch vor dem Kinderrechtsausschuss ausnahmslos verboten.890 Eine zentrale Rolle bei der verfahrensrechtlichen Dimension aller Kinderrechte spielt Artikel 3 KRK. Nach dem Verständnis des Kinderrechtsausschusses ist Artikel 3 Abs. 1 KRK nicht nur ein materielles Recht, sondern stellt auch ein Rechtsprinzip und eine Verfahrensregel dar.891 Artikel 3 Abs. 1 KRK gebietet nicht nur, dass bei allen Entscheidungen des Vertragsstaates das Kindeswohl zu berücksichtigen ist. Die Norm verlangt darüber hinaus, dass das Kindeswohl stets vorrangige Erwägung ist. Dieser Grundsatz ist sowohl in nationalen Verfahren zur Beurteilung des Flüchtlingsstatus eines Kindes als auch im Rahmen von Risikobewertungsverfahren mit Blick auf das Prinzip des Non-Refoulement zu berücksichtigen.892 Schon in seinem General Comment Nr. 6 hat der Kinderrechtsausschuss ausführlich festgelegt, welche allgemeinen Anforderungen an Verfahren ausländischer Kinder zu stellen sind.893 Hierbei soll sichergestellt werden, dass das Wohl des Kindes stets angemessen berücksichtigt werden kann. Daher soll jedes Kind einen Vormund zugewiesen bekommen und die Verfahren sollen stets alters- und geschlechtergerecht durchgeführt werden. Interessant ist, dass dabei der Kinderrechtsausschuss in Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement mit Bezug auf die Vorgabe der alters- und geschlechtergerechten Behandlung nicht nur auf den eigenen General Comment, sondern auch auf die Praxis des Frauenrechtsausschusses und dessen General Comment Nr. 32 verweist.894 Für Asylverfahren bestimmt der Kinderrechtsausschuss zusätzlich, dass dem Kind neben dem Vormund auch ein Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt werden muss.895 Hieraus ergeben sich auch Rückschlüsse auf die Anforderungen des Kinderrechtsausschusses an das Risikobewertungsverfahren, wie der Fall D. D. v. Spain zeigt.896 Diese zweite vom Kinderrechtsausschuss entschiedene Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement betraf einen Malier, der versucht hatte, 890
CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 47, vgl. hier auch die Überschrift des Abschnitts E. Siehe auch die Praxis des Kinderrechtsausschusses in Staatenberichtsverfahren: CRC, Concluding observations on the report submitted by Algeria under article 8 (1) of the Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the involvement of children in armed conflict, 22. Juni 2018, CRC/C/OPAC/DZA/CO/1, § 36 (a); CRC, Concluding observations on the combined fourth and fifth periodic report of Lebanon, 22. Juni 2017, CRC/C/LBN/CO/4 – 5, § 36 (d). 891 CRC, General Comment No. 14. 892 J. M. Pobjoy, The child in international refugee law, 31; CRC, Report of the 2012 Day of General Discussion, § 72. 893 CRC, General Comment No. 6, §§ 19 – 22. 894 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, Fn. 15; CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, Fn. 14. 895 CRC, General Comment No. 6, § 36. 896 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, §§ 14.6, 14.7.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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über einen Grenzzaun nach Spanien zu klettern und daraufhin sofort von spanischen Behörden auf marokkanisches Territorium zurückgebracht wurde. Da hierbei kein Risikobewertungsverfahren erfolgte und somit dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben wurde, seine Angst vor irreparablen Schäden darzulegen, stellte der Ausschuss einen Verstoß gegen Artikel 3, 37 und 20 KRK fest.897 Auch machte der Kinderrechtsausschuss deutlich, dass ein Risikobewertungsverfahren nicht dadurch entbehrlich wird, dass Spanien Marokko als einen sicheren Drittstaat einstuft.898 Ein Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement liege bereits dann vor, wenn ein Staat bei Bestehen einer tatsächlichen Gefahr irreparablen Schadens im Ausland die Aufenthaltsbeendigung vollziehe. Zu einem Schaden müsse es nicht kommen.899 Zum Ablauf des Risikobewertungsverfahrens hat sich der Ausschuss auch in seinem zweiten gemeinsamen General Comment mit dem Wanderarbeiterausschuss näher geäußert. Demnach hat jedes Kind ein Recht auf Zugang zum staatlichen Territorium zum Zwecke der Risikobewertung, und zwar auch dann, wenn es keine Identitätsdokumente vorweisen kann. Dieses Recht schließt auch mit ein, dass das Risikobewertungsverfahren von den tatsächlich zuständigen Behörden durchgeführt wird.900 Weiter muss im Risikobewertungsverfahren die Identität festgestellt werden und dem Kind muss die Gelegenheit zur Darlegung seiner persönlichen Umstände gegeben werden. Artikel 12 KRK, der jedem Kind ein Recht auf Anhörung in Verfahren bietet, findet auch im Rahmen von Risikobewertungsverfahren Anwendung. Wenn sich ein Risikobewertungsverfahren daher nur an die Eltern richtet und die Kinder nicht angehört werden, stellt der Kinderrechtsausschuss einen Verstoß gegen Artikel 12 KRK fest.901 Wenn aus diesem Versäumnis resultiert, dass das Wohl des Kindes im nationalen Verfahren nicht hinreichend berücksichtigt wurde, stellt dies darüber hinaus eine Verletzung von Artikel 3 in Verbindung mit Artikel 12 KRK dar.902 Wie sich aber aus dem Wortlaut des Artikel 12 KRK ergibt, ist eine solche Anhörung nur entsprechend des Alters und der Reife des Kindes nötig. Ein Kleinkind muss daher nicht angehört werden, während seine Eltern oder sein Vormund aber für das Kind dessen Belange vorbringen können müssen.903 Die Kinderrechtskonvention beinhaltet kein Recht auf Asyl und dementsprechend auch kein Recht auf Zugang zu Asylverfahren. Wird einem Kind aber der Zugang zum Asylverfahren deshalb verweigert, weil ihm im nationalen Verfahren nicht die 897
Ebenda, §§ 14.4, 14.7. Ebenda, § 14.6. 899 Ebenda, § 15. 900 CMW/CRC, Joint General Comment No. 4 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 23 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 17. 901 CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018, § 7.3. 902 Ebenda, §§ 7.4, 8. 903 CRC, B. I. v. Denmark, 49/2018, § 5.5. 898
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Unterstützungen zur Verfügung gestellt werden, die der Kinderrechtsausschuss für nationale Asylverfahren von unbegleiteten oder von ihren Eltern getrennten Kindern verlangt,904 kann ein Staat hierdurch gegen Artikel 20 Abs. 1 und 22 KRK verstoßen, da hierbei das Kind der Gefahr eines irreparablen Schadens ausgesetzt wird.905 Das Recht auf ein Risikobewertungsverfahren nach den Vorgaben des Kinderrechtsausschusses schließt auch das Recht auf Beschreitung des Rechtsweges ein, wenn kein adäquates Risikobewertungsverfahren stattgefunden hat. Im Fall einer Individualbeschwerde, in welcher dem Beschwerdeführer im nationalen Verfahren keine Möglichkeit der Anfechtung seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegeben wurde, sah der Kinderrechtsausschuss hierin einen Verstoß gegen Artikel 3 und 20 KRK.906 Der Kinderrechtsausschuss ist der Auffassung, dass Kinder, die bereits Opfer von Menschenhandel gewesen sind und denen eine solche Form der Misshandlung bei Aufenthaltsbeendigung erneut droht, jedenfalls dann trotzdem in ihren Herkunftsstaat verbracht werden, wenn es im Sinne ihres Kindswohls ist und geeignete Maßnahmen zu ihrem Schutz getroffen wurden.907 Diese Formulierung lässt vermuten, dass der Kinderrechtsausschuss das Konzept diplomatischer Zusicherungen grundsätzlich befürwortet.908 Das Recht auf Feststellung des Alters verfügt ebenfalls über eine prozessuale Dimension. Gemäß General Comment Nr. 6 müssen Vertragsstaaten so früh wie möglich den Status von Kindern als unbegleitet oder von ihren Eltern getrennt ermitteln, und zwar möglicherweise auch bereits an der Grenze.909 Das schließt auch eine Pflicht der Feststellung des Alters mit ein, wobei im Zweifel von der Minderjährigkeit der Person auszugehen ist,910 da alle späteren Verfahren das Kind betreffend und die Frage, ob der Person der Schutz der KRK offensteht, von dem Ergebnis dieses ersten Verfahrens abhängen.911 Bezüglich der Anforderungen des Kinderrechtsausschusses an die Altersfeststellung verweist der Ausschuss auf den zweiten gemeinsamen General Comment mit dem Wanderarbeiterausschuss. Demnach wird eine umfassende Bewertung der psychischen Entwicklung des Kindes verlangt. Die Altersfeststellung sollte unverzüglich, kinderfreundlich, geschlechtsspezifisch und kulturell angemessen durch904
Vgl. CRC, General Comment No. 6, §§ 33, 36. CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 13.8; CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 9.12. 906 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 14.7. 907 CRC, General Comment No. 6, § 53. 908 Siehe auch CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 32 (k). 909 CRC, General Comment No. 6, § 13. 910 Ebenda, § 31; CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 14.3. 911 CRC, General Comment No. 6, § 32; CRC, S. M. A. v. Spain, 40/2018, § 7.7; CRC, L. D. and B. G. v. Spain, 37/2017, 38/2017, § 10.8. 905
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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geführt werden und in einer Sprache, die das Kind versteht, erfolgen. Wenn das Kind Dokumente vorweisen kann, sollte von deren Echtheit ausgegangen werden, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist. Ferner müssen Aussagen des Kindes oder von dessen Verwandten berücksichtigt werden und im Zweifel sollte dem Kind Glauben geschenkt werden.912 Im Rahmen seiner Individualbeschwerdeverfahren empfiehlt der Kinderrechtsausschuss weiter, dass Vertragsstaaten auch gegen die Feststellung des Alters Überprüfungsmechanismen bereitstellen, so dass Betroffene ein effektives Rechtsmittel gegen eine Altersfeststellung haben.913 Diese Empfehlung geht auch auf das Problem zurück, das sich dem Ausschuss im Fall N. B. F. v. Spain gestellt hatte.914 Wenn ein Staat unzureichende Methoden zur Altersfeststellung verwendet, weshalb seine Beweise bei der Frage des Alters der beschwerdeführenden Person keine Berücksichtigung finden können, die beschwerdeführende Person aber keine Gegenbeweise erbringt, muss der Kinderrechtsausschuss nach seiner Spruchpraxis im Zweifel der beschwerdeführenden Person glauben, dass sie ein Kind ist, egal, wie unwahrscheinlich dies erscheint. Dieser Problematik war sich der Ausschuss bewusst,915 weshalb er zur Lösung des Problems dem Vertragsstaat empfiehlt, ein System zu errichten, das eine Altersfeststellung im Einklang mit der KRK ermöglicht. Verstößt der Staat gegen Vorgaben des Kinderrechtsausschusses zur Altersfeststellung, so stellt dies unabhängig von hieraus resultierenden Konsequenzen in sich eine Verletzung von Artikel 3 und 12 KRK dar.916 Darüber hinaus kann die Nichtanerkennung vorgewiesener Identitätsdokumente einen Verstoß gegen Artikel 8 KRK darstellen.917 d) Weitergehender Schutz aus Artikel 3 KRK Bereits bevor der Kinderrechtsausschuss seine Praxis im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren aufgenommen hatte, wurde argumentiert, dass sich neben den in General Comment Nr. 6 dargelegten Grundsätzen zum Prinzip des Non-Re912 CMW/CRC, Joint General Comment No. 4 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 23 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 4. 913 CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 14 (c); CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 10 (c). 914 Siehe oben Kapitel D. IV. 1. d). 915 Vgl. CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, Sondervotum Benyam Dawit Mezmur, Olga A. Khazova, Ann Marie Skelton und Velina Todorova. 916 CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, § 12.9; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 13.6; CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 9.9; CRC, S. M. A. v. Spain, 40/2018, § 7.14; CRC, M. B. v. Spain, 28/ 2017, § 9.14; CRC, M. B. S. v. Spain, 26/2017, § 9.15; CRC, L. D. and B. G. v. Spain, 37/2017, 38/2017, § 10.15. 917 CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 13.9; CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 9.10; CRC, S. M. A. v. Spain, 40/2018, § 7.15; CRC, M. B. v. Spain, 28/2017, § 9.15; CRC, M. B. S. v. Spain, 26/2017, § 9.16; CRC, L. D. and B. G. v. Spain, 37/2017, 38/2017, § 10.16.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
foulement aus Artikel 3 KRK eine eigenständige Rechtsgrundlage für ein Bleiberecht ableiten ließe. Daraus ergebe sich auch, dass der Aufschub der Abschiebung eines Kindes bis zum 18. Lebensjahr nicht mit Sinn und Zweck der KRK vereinbar sei, da dieser die Sicherstellung der Entwicklung des Kindes sei. Das Wohl des Kindes als vorrangig zu beachtendem Gesichtspunkt erfordere daher in einigen Fällen über ein Abschiebehindernis hinaus eine sofortige dauerhafte Lösung zum Schutz des Kindes.918 Diesem Verständnis scheint der Kinderrechtsausschuss in seiner neuesten Praxis zu folgen. Im Fall W. M. C. v. Denmark hatten die dänischen Behörden entschieden, dass bei Abschiebung einer unverheirateten Frau und ihrer drei Kinder nach China damit zu rechnen sei, dass die Mutter Bußgelder für ihre Kinder zahlen müsse und die Registrierung der Kinder vorübergehend erschwert würde, dies aber nicht dauerhaft der Fall sein würde. Deshalb kamen die dänischen Behörden zu dem Schluss, dass die drohende Behandlung in China weder Verfolgung im Sinne der GFK sei noch die Schwelle des Prinzips des Non-Refoulement erreiche.919 In diesem Fall hat der Kinderrechtsausschuss eine Verletzung der Rechte der Kinder aus Artikel 3 KRK festgestellt, allein aufgrund der Tatsache, dass Dänemark zwar das Wohl der Kinder beachtet hatte, aber nicht in für diese bestmöglicher Weise entschieden hatte.920 4. Rechtsfolgen In seiner ersten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement war es zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht zum Vollzug der Aufenthaltsbeendigung gekommen. Dennoch befand der Kinderrechtsausschuss nicht etwa, dass der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung gegen die KRK verstoßen würde, sondern er stellte eine Verletzung fest.921 Diese Praxis scheint der Kinderrechtsausschuss neuerdings an jene der anderen Vertragsorgane anzupassen. So differenzierte er in einer jüngeren Entscheidung, dass die festgestellten Verfahrensfehler eine Verletzung der Rechte der beschwerdeführenden Kinder darstellten, und dass darüber hinaus ein Vollzug der Aufenthaltsbeendigung die Rechte der Kinder verletzen würde.922 918
J. M. Pobjoy, The child in international refugee law, 226; J. M. Pobjoy, in: J. Tobin, 834. CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, § 2.7. 920 Ebenda, §§ 8.2 – 8.8. Gemäß General Comment Nr. 14 zu Artikel 3 KRK bedeutet ,vorrangig zu berücksichtigen‘ im Sinne des Artikel 3 Abs. 1 KRK, dass das Wohl des Kindes Priorität haben muss und nicht nur eine von vielen Erwägungen sein darf, CRC, General Comment No. 14, § 39. Gleichzeitig räumt der Kinderrechtsausschuss ein, dass eine Interessenabwägung im Einzelfall erforderlich ist, CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 28. Ob und inwieweit eine solche Interessenabwägung im Einzelfall zu Ungunsten des Kindes ausgehen kann, hat der Ausschuss bislang nicht spezifiziert. 921 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.10. 922 CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, § 9. 919
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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Diese Änderung der Praxis hat aber keine Auswirkungen auf die Rechtsfolgen, die der Kinderrechtsausschuss an seine Entscheidung knüpft. Er verlangt von dem betroffenen Vertragsstaat, dass dieser solange die Aufenthaltsbeendigung noch nicht vollzogen wurde den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung unterlässt und Maßnahmen ergreift, um vergleichbare Verletzungen in Zukunft zu vermeiden.923 In einem Verfahren nach der Dublin-Verordnung hat der Kinderrechtsausschuss zudem verlangt, dass der Vertragsstaat auf die Rückführung generell verzichtet und stattdessen das Asylverfahren selbst durchführt.924 Der Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement ist des Weiteren bereits vollendet, wenn die Aufenthaltsbeendigung faktisch vollzogen wurde, und zwar auch dann, wenn sich die Gefahr des irreparablen Schadens nicht tatsächlich manifestiert hat. Bereits mit Vollendung der Aufenthaltsbeendigung entsteht der betroffenen Person nach Ansicht des Kinderrechtsausschusses daher auch ein finanzieller Kompensationsanspruch.925 In Fällen, in denen es mangels korrekter Altersfeststellung der betroffenen Person nicht möglich war, Verfahren zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis einzuleiten, verlangt der Kinderrechtsausschuss als Wiedergutmachung, dass der Vertragsstaat der Person die Möglichkeit gewährt, einen geregelten Aufenthaltsstatus zu erlangen.926 Zur Sicherstellung mit den Vorgaben des Kinderrechtsausschusses vereinbarer Altersfeststellungsverfahren hat der Ausschuss noch detailliertere Angaben gemacht. So müssen von der Person beigebrachte Dokumente beachtet werden. Wenn sie von staatlichen Behörden des Herkunftsstaates ausgestellt oder beglaubigt sind, hat der Empfängerstaat diese als echt zu akzeptieren. Der Person muss umgehend ein kostenloser rechtlicher Vertreter gestellt werden beziehungsweise von der Person selbst gewählte Rechtsbeistände sind anzuerkennen und während des gesamten Altersfeststellungsverfahrens dürfen diese Vertreter der Person beistehen. Weiterhin muss der Zugang zu Asylverfahren all jenen gewährt werden, die angeben, minderjährig zu sein, und zwar auch dann, wenn das Ergebnis der Altersfeststellung noch aussteht. Der Vertragsstaat muss überdies gewährleisten, dass das Ergebnis der Altersfeststellung im innerstaatlichen Verfahren anfechtbar ist. Schließlich empfiehlt der Kinderrechtsausschuss dem Vertragsstaat, betroffene Amtspersonen und sonstiges Personal zu schulen, und zwar allgemein in Hinblick auf Rechte von Asylsuchenden und anderen ausländischen Kindern, und im speziellen in Hinblick auf die in den General Comments Nr. 6, 22 und 23 des Kinderrechtsausschusses genannten Vorgaben.927 923
CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 12; CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, § 10; CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018, § 9. 924 CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018, § 9. 925 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 15. 926 CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 10; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 14. 927 CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, § 10; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 14; CRC, S. M. A. v. Spain, 40/2018, § 8; CRC, M. B. v. Spain, 28/2017, § 10; CRC, M. B. S. v. Spain, 26/2017, § 10;
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Abgesehen von diesen Rechtsfolgen, die unmittelbar die beschwerdeführende Person betreffen, stellt der Kinderrechtsausschuss auch einige Anforderungen an die Pflicht der Vertragsstaaten, ähnlichen Verletzungen in Zukunft vorzubeugen.928 So hat er etwa empfohlen, in nationalen Risikobewertungsverfahren sicher zu stellen, dass Kinder stets ausreichend angehört werden.929 In einem anderen Fall hat er empfohlen, den nationalen Rechtsrahmen für unterschiedslose kollektive Aufenthaltsbeendigungen zu reformieren, da dieser keine Ausnahme für Minderjährige vorsah.930 In seiner jungen Praxis im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren hat der Kinderrechtsausschuss bislang erst einen Follow-Up-Bericht zu seinen Entscheidungen verabschiedet. In seiner ersten Entscheidung zum Prinzip des Non-Refoulement, K. Y. M. v. Denmark, hatte der Ausschuss eine Verletzung der KRK festgestellt und verlangt, dass der Staat Maßnahmen ergreife, obwohl die beschwerdeführende Mutter mit ihrer Tochter bereits vor der Entscheidung des Ausschusses aus Dänemark ausgereist waren und ihr Aufenthalt unbekannt war. Die Unmöglichkeit der Umsetzung der verlangten Maßnahmen stellte der Ausschuss in seinem Follow-Up-Verfahren fest und zeigte sich mit der Kooperationsbereitschaft des Vertragsstaates zufrieden.931 Nach Maßnahmen zur Sicherstellung, dass vergleichbare Verletzungen in der Zukunft nicht vorkommen, fragte der Ausschuss nicht. 5. Fazit Der Kinderrechtsausschuss kann trotz seiner sehr jungen Praxis in Individualbeschwerdeverfahren bereits eine sehr interessante Praxis zum Prinzip des NonRefoulement vorweisen. Dabei fällt auf, dass der Ausschuss relativ geschlossen auftritt. Sondervoten sind selten. Mit Bezug auf das Prinzip des Non-Refoulement orientiert sich der Kinderrechtsausschuss dabei vorrangig an der Praxis des Menschenrechtsausschusses. Er nimmt dagegen wenig Bezug auf den Ausschuss gegen Folter. So übernimmt der Kinderrechtsausschuss die Praxis des Menschenrechtsausschusses, nach der nicht die Verletzung eines bestimmten Rechtes, sondern die Irreparabilität des dadurch entstehenden Schadens das entscheidende Kriterium ist. Zu begrüßen ist, dass der Kinderrechtsausschuss die Zeit bis zum Inkrafttreten des dritten Fakultativprotokolls zu Individualbeschwerdeverfahren genutzt hat, um auf CRC, L. D. and B. G. v. Spain, 37/2017, 38/2017, § 12. Siehe auch CRC, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of Spain, 05. März 2018, CRC/C/ESP/ CO/5 – 6, §§ 44, 45. 928 CRC, Rules of Procedure, Regel Nr. 27. 929 CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018, § 9. 930 CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 15. Im Rahmen des Follow-Up-Verfahrens zu Individualbeschwerden hat sich Spanien äußerst bemüht gezeigt, diese Empfehlungen langfristig umzusetzen; CRC, Follow-up progress report on individual communications, 25. Juli 2019, CRC/C/82/R.1, 4, 5. 931 CRC, Follow-up progress report on individual communications, 3.
IV. Ausschuss für die Rechte des Kindes
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Grundlage der Vertragstexte und der Staatenberichtsverfahren eine Reihe von General Comments zu veröffentlichen. Zu erwähnen ist auch, dass sich der Kinderrechtsausschuss hierbei auf gemeinsame General Comments sowohl mit dem Wanderarbeiterausschuss als auch mit dem Frauenrechtsausschuss berufen kann. Diese Form der Kooperation stärkt das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen, indem es Gemeinsamkeiten der Verträge aufzeigt, die Expertise der anderen Vertragsorgane nutzt und gemeinsame Standards entwickelt.932 Auffällig ist aber auch, dass die Entscheidungen des Kinderrechtsausschusses in Individualbeschwerdeverfahren trotz der General Comments sehr einzelfallbezogen sind. Es sind häufig keine klaren Schwellen erkennbar, was für die Substantiierung einer Beschwerde notwendig ist oder wann Fehler im nationalen Risikobewertungsverfahren relevant sind.933 Dass die Entscheidungen des Kinderrechtsausschusses bislang keine klare Linie erkennen lassen ist aber auch strukturell bedingt. Die Besonderheit des Kindes als geschützte Person erfordert stärker als bei dem Schutz von Erwachsenen die Beachtung der individuellen Bedürfnisse des Kindes. So ist schon der Schutzbereich des Artikel 6 KRK deutlich weiter als jener des Artikel 6 IPbpR, da er über eine signifikante wirtschaftliche und soziale Komponente verfügt. Zudem ergibt sich aus der Natur der Sache, dass Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung keine klar abgrenzbaren Rechte sind und etwa je nach Alter oder Gesundheitszustand des Kindes prekäre Ernährungs- oder Gesundheitsbedingungen im Zielstaat leichte bis irreparable Konsequenzen für das Kind haben können.934 Auch bei der Beurteilung, ob eine Behandlung nach Artikel 37 KRK verboten ist, spielt das Alter des Kindes eine entscheidende Rolle.935 Generell ist Artikel 37 KRK weiter zu sehen als vergleichbare Folterverbote in anderen Menschenrechtsschutzverträgen.936 So kann zum Beispiel eine bereits erlebte Folter oder Misshandlung in der Kindheit weiterreichende Folgen für die künftige Entwicklung des Kindes haben, als etwa eine vergleichbare Misshandlung im Erwachsenenalter. Die Frage der Irreparabilität des befürchteten Schadens ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Kindern anders zu beurteilen als bei Erwachsenen.937 Hinzu kommt, dass die KRK, nicht zuletzt auch wegen ihrer Bezüge zum humanitären Völkerrecht, über ein breites
932 R. Brittle, International Migration: Shared Commitment to Children’s Rights and Protection, EJIL: Talk! 10. Januar 2018. 933 Siehe etwa CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017. 934 Siehe auch N. Peleg/J. Tobin, Article 6, in: J. Tobin, The UN convention on the rights of the child, 1. Aufl. 2019, 233 f. 935 J. M. Pobjoy, The child in international refugee law, 194. 936 H. Hobbs/J. Tobin, Article 37, in: J. Tobin, The UN convention on the rights of the child, 1. Aufl. 2019, 1440 f. 937 J. M. Pobjoy, in: J. Tobin, 834.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Netz an Schutzvorschriften verfügt, welche eine Orientierung an der Praxis anderer Vertragsorgane häufig unmöglich machen.938 Allerdings erscheint die Praxis des Kinderrechtsausschusses auch unter Berücksichtigung all dieser Besonderheiten der Vertragstexte und der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern sehr weitgehend. So hält der Ausschuss zwar daran fest, dass ein irreparabler Schaden für das Kind drohen muss. Gelegentlich scheint er aber jede drohende Rechtsverletzung an sich ausreichen zu lassen.939 Auch hat er das Kriterium des drohenden irreparablen Schadens dafür genutzt, von Frankreich zu verlangen, dass es Kinder mit französischer Staatsangehörigkeit aus anderen Staaten zurückholt.940 Zudem wird bislang in der Praxis des Kinderrechtsausschusses nicht klar, welche Rolle Artikel 3 KRK im Rahmen des Prinzips des Non-Refoulement spielt. Es ist nicht eindeutig, ob das Wohl des Kindes stets Vorrang vor allen anderen Erwägungen hat, – was Aufenthaltsbeendigungen nahezu unmöglich machen würde – oder ob es sich um ein Recht auf besondere Berücksichtigung des Kindeswohls im Risikobewertungsverfahren handelt. Schließlich ist es bedauerlich, dass der Kinderrechtsausschuss erst in seinem ersten Follow-Up-Verfahren bemerkt hat, dass er einem Vertragsstaat in seiner Entscheidung Maßnahmen aufgegeben hatte, deren Umsetzung faktisch unmöglich war.941 Solche Entscheidungen schädigen die Legitimität des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems und mindern die Kooperationsbereitschaft der Vertragsstaaten.
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen Die ICPPED ist einer der wenigen Menschenrechtsschutzverträge, die ein explizites Refoulementverbot enthalten. Demnach darf ein Vertragsstaat eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben, an diesen übergeben oder ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, Opfer eines Verschwindenlassens zu werden.942 Die erst im Jahr 2010 in Kraft getretene Konvention bildet nicht nur weitgehend die Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht. Die Konvention und die Arbeitsweise des für die Überwachung der Einhaltung der Konvention zuständigen Ausschusses über das Verschwindenlassen bauen auch auf der langjährigen Praxis der seit 1980 tätigen VN-Arbeitsgruppe für erzwungenes oder unfreiwilliges Verschwinden auf. 938 939 940 941 942
J. M. Pobjoy, The child in international refugee law, 186, 188 – 196. A. Farmer, Fordham Law Review Res Gestae 2011 (42). CRC, S. H. et al. v. France, 79/2019 – 109/2019, 30. September 2020, § 9.7. Siehe oben Kapitel D. IV. 4. Artikel 16 Abs. 1 ICPPED.
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen
249
Diese hat unter anderem Handlungsempfehlungen auf Grundlage der VN-Erklärung zum Schutz aller Personen vor erzwungenem Verschwinden von 1992 ausgearbeitet.943 Diese Erklärung enthält in Artikel 8 ebenfalls ein Verbot des Refoulement, das mit jenem der ICPPED vergleichbar ist. Zwar handelt es sich bei dieser Arbeitsgruppe weder um ein Vertragsorgan noch handelt die Arbeitsgruppe auf Grundlage rechtlich verpflichtender Dokumente. Ihre Arbeitsweise ist aber jener der VN-Vertragsorgane strukturell ähnlich. So hat die Arbeitsgruppe insgesamt weit über 50.000 Beschwerden zu einzelnen Fällen behandelt und die betroffenen Staaten um Stellungnahmen gebeten. Auch hat die Arbeitsgruppe insgesamt 13 General Comments zu einzelnen Punkten der VN-Erklärung zum Schutz aller Personen vor erzwungenem Verschwinden erstellt.944 Heute baut der Ausschuss über das Verschwindenlassen auf dieser Praxis auf, indem er diese General Comments auch in seiner Praxis verwendet. Bislang haben 63 Staaten die ICPPED ratifiziert. Nur etwa ein Drittel hiervon hat auch eine Erklärung nach Artikel 31 Abs. 1 ICPPED abgegeben und sich somit dem Individualbeschwerdeverfahren unterworfen. Der Ausschuss über das Verschwindenlassen bearbeitet daher im Vergleich zu anderen Vertragsorganen sehr wenige Individualbeschwerden. Bislang hat er erst eine Beschwerde zum Prinzip des NonRefoulement entschieden. Da das Prinzip des Non-Refoulement aber explizit in Artikel 16 Abs. 1 ICPPED verankert ist, hat es eine zentrale Rolle im Rahmen der Staatenberichtsverfahren nach Artikel 29 ICPPED eingenommen. Hier lassen sich detaillierte Vorgaben des Ausschusses über das Verschwindenlassen zu Inhalt und Reichweite des Prinzips des Non-Refoulement nach der ICPPED entnehmen. Der Ausschuss über das Verschwindenlassen ist das einzige der VN-Vertragsorgane, das kein periodisches Staatenberichtserfahren vorsieht, sondern die Staaten einmalig um Berichterstattung auffordert.945 Entsprechend umfangreich sind die Verfahren. 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach Artikel 31 ICPPED Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Individualbeschwerdeverfahrens nach Artikel 31 ICPPED sind mit jenen anderer VN-Menschenrechtsschutzverträge vergleichbar. Eine Erklärung nach Artikel 31 Abs. 1 ICPPED haben derzeit lediglich 23 Vertragsstaaten abgegeben.946 943 UN General Assembly, Declaration on the Protection of all Persons from Enforced Disappearance, 12. Februar 1993, U.N. Doc. A/Res/47/133. 944 Abrufbar unter https://www.ohchr.org/EN/Issues/Disappearances/Pages/GeneralCom ments.aspx. 945 Artikel 29 Abs. 1 ICPPED. 946 Stand November 2021, abrufbar unter https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx? src=TREATY&mtdsg_no=IV-16&chapter=4&clang=_en.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Gemäß Artikel 31 Abs. 2 (d) ICPPED darf auch der Ausschuss über das Verschwindenlassen nur solche Beschwerden annehmen, in denen die beschwerdeführende Person zuvor alle zur Verfügung stehenden effektiven innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft hat. In seiner bislang einzigen Entscheidung einer Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement, E. L. A. v. France, hat der Ausschuss entschieden, dass effektive Rechtsmittel jedenfalls im Falle einer drohenden Verletzung von Artikel 16 Abs. 1 ICPPED nur solche sind, die zwingend Suspensiveffekt haben. Interessant ist hier, dass der Ausschuss über das Verschwindenlassen als Quelle für diese Beschränkung den General Comment Nr. 4 des Ausschusses gegen Folter heranzieht.947 Die Einordnung der im Fall zu Verfügung stehenden Rechtsmittel als ineffektiv war allerdings innerhalb des Ausschusses über das Verschwindenlassen umstritten. So ging Ausschussmitglied Moncef Baati in einem abweichenden Votum davon aus, dass der Beschwerdeführer zusätzlich zu dem ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung hätte stellen können.948 Darüber hinaus stützte sich der Ausschuss über das Verschwindenlassen in diesem Verfahren auch auf die Praxis des Menschenrechtsausschusses, und zwar bezüglich dessen Standard, wonach beschwerdeführende Personen im innerstaatlichen Verfahren nicht ausdrücklich Normen des jeweiligen VN-Menschenrechtsschutzvertrages benannt haben müssen, aber in der Sache die gleichen Rügen vorgebracht haben müssen wie im Individualbeschwerdeverfahren.949 Die Zuständigkeit des Ausschusses über das Verschwindenlassen ratione loci scheint deutlich weitreichender als jene anderer Vertragsorgane. So ist der Ausschuss nach Artikel 31 Abs. 1 i. V. m. Artikel 9 Abs. 1 (b) ICPPED zuständig für sämtliche Taten von Staatsangehörigen eines Vertragsstaates, unabhängig davon, wo diese begangen wurden. Für das Prinzip des Non-Refoulement kann dies insbesondere bei der Praxis sogenannter außerordentlicher Auslieferungen, insbesondere in Form der Überstellung Terrorverdächtiger, relevant sein. Hierbei wird die Verbringung in einen anderen Staat entweder gezielt dazu genutzt, dort Menschenrechtsverletzungen zu ermöglichen oder solche werden jedenfalls billigend in Kauf genommen. So verwischen also die Grenzen zwischen Refoulement und Verschwindenlassen durch Änderung des Aufenthaltsstaats.950 Sofern bei der Überstellung im Ausland Staatsangehörige des Vertragsstaates beteiligt sind, ist jedenfalls die Überprüfungskompetenz des Ausschusses über das Verschwindenlassen unproblematisch. Der Ausschuss über das Verschwindenlassen ist ebenso wie der Kinderrechtsausschuss nach dem eindeutigen Wortlaut des Artikel 35 ICPPED ratione temporis 947
CED, E. L. A. v. France, 03/2019, 25. September 2020, § 6.4. Ebenda, abweichendes Votum Moncef Baati, §§ 5 – 7. 949 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 6.6. 950 N. Kyriakou, The International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance and Its Contributions to International Human Rights Law, with Specific Reference to Extraordinary Rendition, Melbourne Journal of International Law 16 (2012), 424. 948
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen
251
nicht zuständig, Verschwindenlassen zu untersuchen, die zeitlich vor Inkrafttreten der Konvention beziehungsweise der Ratifikation der ICPPED durch den Vertragsstaat liegen. Der Ausschuss versteht diese Einschränkung weit und hält sich nicht für zuständig, diejenigen Sachverhalte zu berücksichtigen, die vor der Ratifikation durch den Vertragsstaat geschehen sind. Ein Risikobewertungsverfahren im Rahmen einer Aufenthaltsbeendigung, das vor Ratifikation der Konvention begonnen hat, aber erst danach abgeschlossen wurde, betrachtete der Ausschuss über das Verschwindenlassen nur mit Bezug auf jenen Teil des Verfahrens, der nach Ratifikation durch den Vertragsstaat lag.951 2. Ablauf des Verfahrens a) Wirkung der Erhebung der Individualbeschwerde Der Ausschuss über das Verschwindenlassen ordnet ebenso wie andere VNVertragsorgane einstweilige Maßnahmen an. Ziel ist hierbei, irreparablen Schaden für die beschwerdeführende Person zu verhindern, wobei die Anordnung einstweiliger Maßnahmen keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Beschwerde hat.952 In seiner bislang einzigen Entscheidung einer Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Sonderberichterstatter für neue Beschwerden zunächst als einstweilige Maßnahme verlangt, dass Frankreich die Abschiebung des Beschwerdeführers nicht vollzieht, und diese Maßnahme dann auf Bitten des Vertragsstaates noch vor Ergehen der Entscheidung aufgehoben.953 Gründe hierfür sind nicht ersichtlich. b) Beweislast Wortlaut und Struktur des Artikel 16 ICPPED sind Artikel 3 AFK nachempfunden.954 Artikel 16 Abs. 1 ICPPED enthält ein Verbot der Aufenthaltsbeendigung, wenn eine bestimmte Gefahr droht. Artikel 16 Abs. 2 enthält eine Auflistung von Umständen, die der betroffene Staat bei der Beurteilung dieser Gefahr berücksichtigen soll. Zu beachten ist demnach insbesondere eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte oder schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts im Zielstaat. Ebenso wie Artikel 3 Abs. 2 AFK ist die Liste des Artikel 16 Abs. 2 ICPPED nicht abschließend. Vertragsstaaten können also in ihren nationalen Risikobewertungsverfahren alle Arten von Menschenrechtsverletzungen berücksichtigen. 951
CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 6.2. Artikel 31 Abs. 4 ICPPED; Regel Nr. 70 CED, Rules of Procedure. 953 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 1.3. 954 ECOSOC, 2006 Report of the Intersessional Open-ended Working Group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, 02. Februar 2006, U.N. Doc. E/CN.4/2006/57, § 127. 952
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
In der Praxis des Ausschusses gegen Folter ist allerdings das Bestehen einer solchen schlechten Menschenrechtslage im Zielstaat in der Regel nicht allein ausreichend, um im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren der beschwerdeführenden Person Recht zu geben. Vielmehr muss diese darüber hinaus nachweisen, dass ein persönliches Risiko für sie besteht.955 Dieser Ansicht ist auch der Ausschuss über das Verschwindenlassen gefolgt, wobei er hier explizit auf die Praxis des Ausschusses gegen Folter verweist.956 Der Ausschuss gegen Folter geht bei einer extrem schlechten Menschenrechtslage im Zielstaat auch von einem persönlichen Risiko aus. Diese Grundsätze lassen sich auch auf die ICPPED übertragen. So wird argumentiert, dass jedenfalls bei gescheiterten Staaten die objektive Lage ausreichen müsse.957 Nach Artikel 34 ICPPED hat der Ausschuss über das Verschwindenlassen die Möglichkeit, die VN-Generalversammlung über die verbreitete oder systematische Praxis des Verschwindenlassens in einem Staat zu informieren. Es ist davon auszugehen, dass eine Verbringung in einen solchen Staat, für welchen der Ausschuss eine verbreitete oder systematische Praxis des Verschwindenlassens bereits festgestellt hat, per se nicht mit Artikel 16 Abs. 1 ICPPED vereinbar wäre. Als Indiz für das Bestehen eines persönlichen Risikos zieht der Ausschuss auch das Verschwinden naher Angehöriger der beschwerdeführenden Person heran.958 Während die Mehrheit der Ausschussmitglieder in E. L. A. v. France nicht darauf einging, ob tatsächlich eine persönliche Gefahr im Sinne des Artikel 16 Abs. 1 ICPPED für den Beschwerdeführer bestand, befand Ausschussmitglied Juan José López Ortega in seinem abweichenden Votum, dass ein persönliches Risiko wohl dann nicht mehr mit früher erlebten Misshandlungen und dem Verschwinden naher Angehöriger bewiesen werden kann, wenn diese Geschehnisse wie im vorliegenden Fall 14 Jahre zurück liegen.959 Die Anlehnung an den Wortlaut des Artikel 3 AFK legt nahe, dass eine Situation wie die in Artikel 16 Abs. 2 ICPPED genannten nicht zwingend nachgewiesen werden muss, wenn die beschwerdeführende Person das Bestehen eines persönlichen Risikos nachweisen kann. Auf dieses Verständnis deutet auch die Mehrheitsentscheidung in E. L. A. v. France hin. Dagegen war das Ausschussmitglied Moncef Baati in seinem abweichenden Votum offenbar der Ansicht, dass eine tatsächliche Gefahr im Sinne des Artikel 16 Abs. 1 ICPPED nur dann bestehen kann, wenn im Zielstaat eine Lage herrscht, die mit den in Artikel 16 Abs. 2 ICPPED beschriebenen Beispielen vergleichbar ist.960
955
Siehe oben Kapitel D. I. 2. b) und 3. CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 7.2. Siehe auch ebenda, abweichendes Votum Juan José López Ortega, § 12, welches die Praxis des EGMR zitiert. 957 N. Weiß, Übereinkommen zum Schutz vor Verschwindenlassen, 2012, Artikel 16 Rn. 2. 958 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 7.4. 959 Ebenda, abweichendes Votum Juan José López Ortega, § 10. 960 Ebenda, abweichendes Votum Moncef Baati, §§ 11 – 13. 956
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen
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c) Entlastung des Vertragsstaates Bislang hatte der Ausschuss über das Verschwindenlassen kaum Gelegenheit, sich zu den typischen Einwänden der Vertragsstaaten im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement zu äußern. Sicher ist, dass der Ausschuss über das Verschwindenlassen keine Ausnahmen vom Prinzip des Non-Refoulement, etwa bei großen Gruppen von Menschen, die gleichzeitig Zugang zu einem Staat begehren, zulässt. Das Verbot des Verschwindenlassens in Artikel 1 ICPPED ist absolut; es sind weder Derogationen noch personelle Ausnahmen hiervon möglich. Die Liste der besonderen Umstände in Artikel 1 Abs. 2 ICPPED ist nicht abschließend.961 Es wird auch vertreten, dass das Verbot des Verschwindenlassens ius cogens-Charakter habe.962 Das Verbot findet wohl auch in Kriegszeiten Anwendung. In den travaux préparatoires der ICPPED wurde darüber diskutiert, ob und inwieweit die Konvention auch auf bewaffnete Konflikte Anwendung finden soll, wobei sich eine Mehrheit dafür aussprach.963 Im Rahmen seiner Staatenberichtsverfahren hat der Ausschuss mehrfach betont, dass die Absolutheit des Verbots des Verschwindenlassens auch für das Verbot aus Artikel 16 Abs. 1 ICPPED gilt.964 Auch der personelle Anwendungsbereich des Artikel 16 ICPPED ist absolut.965 Auch das Argument konkurrierender rechtlicher Verpflichtungen der Vertragsstaaten lehnt der Ausschuss ab. Er hat von den Vertragsstaaten verlangt, dass Aus-
961 ECOSOC, 2005 Report of the Intersessional Open-ended Working Group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, 10. März 2005, U.N. Doc. E/CN.4/2005/66, § 26. 962 J. Sarkin, Restricted Access Why the Prohibition of Enforced Disappearance Has Attained Jus Cogens Status in International Law, Nordic Journal of International Law 81 (2012), 537; N. Kyriakou, Melbourne Journal of International Law 2012 (451). 963 Für eine Übersicht über die travaux préparatoires siehe M. L. Vermeulen, Enforced disappearance, 2012, 65. 964 CED, Concluding observations on the report submitted by Kazakhstan under article 29 (1) of the Convention, 26. Mai 2016, CED/C/KAZ/CO/1, § 18; CED, Concluding observations on the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, 06. Juli 2018, CED/C/ AUT/CO/1, §§ 20, 21; CED, Concluding observations on the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, 24. Oktober 2019, CED/C/SVK/CO/1, § 15 (c). 965 In den travaux préparatoires zur ICPPED wurde diskutiert, Artikel 16 ICPPED um eine mit Artikel 33 Abs. 2 oder Artikel 1 F GFK vergleichbare Ausnahme für Menschen zu ergänzen, die eine Gefahr für die Sicherheit des Staates darstellen. ECOSOC, 2005 Report of the Intersessional Open-ended Working Group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, § 73; ECOSOC, 2006 Report of the Intersessional Open-ended Working Group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, § 125. Derartige Vorschläge haben sich nicht durchgesetzt.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
lieferungsabkommen in Einklang mit Artikel 16 Abs. 1 ICPPED geschlossen werden beziehungsweise die Einhaltung von Artikel 16 Abs. 1 ICPPED ermöglichen.966 Zu diplomatischen Zusicherungen hat der Ausschuss seine grundsätzliche Zurückhaltung geäußert. Er verlangt im Rahmen der Staatenberichtsverfahren regelmäßig von den Vertragsstaaten, dass diese bestehende Abreden mit anderen Staaten, die diplomatische Zusicherungen enthalten, offenlegen, so dass der Ausschuss die Vereinbarkeit mit der Konvention prüfen kann.967 In Übereinstimmung mit der Praxis des Ausschusses gegen Folter lehnt der Ausschuss über das Verschwindenlassen diplomatische Zusicherungen jedenfalls dann entschieden ab, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass im Zielstaat die Gefahr des Verschwindens besteht.968 Allerdings scheint der Ausschuss das Konzept der diplomatischen Zusicherungen nicht per se abzulehnen, soweit diese effektive Überprüfungsmechanismen für die Zeit nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung enthalten.969 Auch hierin ist eine Annäherung an die Praxis des Menschenrechtsausschusses und des Ausschusses gegen Folter zu erkennen. 3. Materielles Schutzgut Artikel 16 Abs. 1 ICPPED verbietet die Ausweisung, Abschiebung, Übergabe oder Auslieferung an einen anderen Staat, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person dort Gefahr liefe, Opfer von Verschwindenlassen zu werden. Im Vergleich zu Artikel 3 Abs. 1 AFK fällt auf, dass Artikel 16 Abs. 1 ICPPED auch vor der Übergabe einer Person an einen Staat (,surrender‘) schützt. Dies ist ein Begriff, der typischerweise im Zusammenhang mit Kombattanten, also im humanitären Völkerrecht, verwendet wird.970 Darüber hinaus enthält Artikel 16 Abs. 2 ICPPED neben den ebenfalls in Artikel 3 Abs. 2 AFK aufgezählten Faktoren schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts als einen Faktor, welchen die Vertragsstaaten in ihrem Risikobewertungsverfahren beachten müssen.971 Die Ergänzung von Artikel 16 Abs. 2 ICPPED um schwere Verletzungen 966 CED, List of issues in relation to the report submitted by Spain under article 29, paragraph 1, of the Convention, 10. Juli 2013, CED/C/ESP/Q/1, § 13. 967 CED, Concluding observations on the report submitted by Armenia under article 29, paragraph 1, of the Convention, 13. März 2015, CED/C/ARM/CO/1, § 16. 968 CED, Concluding observations on the report submitted by Armenia under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 17; CED, Concluding observations on the report submitted by Kazakhstan under article 29 (1) of the Convention, § 18 (c); CED, List of issues in relation to the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, 14. Mai 2019, CED/C/ SVK/Q/1, § 10. Siehe auch L. Ott, Enforced disappearance in international law, 2011, 246 f. 969 CED, List of issues in relation to the report submitted by Spain under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 14. 970 Siehe auch L. Ott, Enforced disappearance in international law, 247. 971 Siehe auch Artikel 32, 33 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (1. ZP Genfer Abkommen), 08. Juni 1977, United Nations, Treaty Series, 1125, 3. Hier ist anerkannt, dass in
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen
255
des humanitären Völkerrechts wurde von den Vertragsstaaten als Nachzeichnung der Entwicklung des Völkerrechts begrüßt.972 Als menschenrechtliche Schutzvorschrift schützt Artikel 16 Abs. 1 ICPPED alle Menschen. Der Ausschuss über das Verschwindenlassen unterscheidet dabei präzise zwischen dem flüchtlingsrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement und dem menschenrechtlichen Schutz.973 Nationale Gesetzgebung, die den Schutz vor Refoulement im Sinne des Artikel 16 Abs. 1 ICPPED nur für Flüchtlinge anerkennt, hat der Ausschuss dementsprechend kritisiert.974 Das Prinzip des Non-Refoulement im Sinne des Artikel 16 Abs. 1 ICPPED umfasst nach Ansicht des Ausschusses über das Verschwindenlassen auch Abweisungen an der Grenze. Vertragsstaaten müssen garantieren, dass auch an Flughäfen oder an Landgrenzen ordentliche Risikobewertungsverfahren durchgeführt werden.975 Auch die strafrechtliche Verfolgung irregulärer Grenzübertritte hält der Ausschuss über das Verschwindenlassen mit Blick auf Artikel 16 ICPPED mindestens für bedenklich.976 Das Prinzip des Non-Refoulement müssen auch militärische Truppen eines Vertragsstaates bei einem Auslandseinsatz berücksichtigen.977 Auch das Abfangen auf Hoher See hält der Ausschuss über das Verschwindenlassen für mit Artikel 16 Abs. 1 ICPPED unvereinbar.978 Interessant ist hierbei auch die Kooperation mehrerer Staaten. Verschwinden Menschen etwa im Mittelmeer bei dem Versuch, vom afrikanischen Kontinent aus nach Europa zu gelangen, können europäische Staaten nach der Praxis des Ausschusses über das Verschwindenlassen gegen Artikel 16 Abs. 1 ICPPED verstoßen, wenn die betroffenen Personen nach Push-Back von europäischer Seite verschwinden.979 bewaffneten Konflikten typischerweise Personen verschwinden, und dass die Familienangehörigen ein Recht auf Aufklärung haben. 972 ECOSOC, 2004 Report of the intersessional open-ended working group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, 23. Februar 2004, U.N. Doc. E/CN.4/2004/59, § 133. 973 Siehe etwa CED, Concluding observations on the report submitted by Tunisia under article 29 (1) of the Convention, 25. Mai 2016, CED/C/TUN/CO/1, § 28. 974 CED, Concluding observations on the report submitted by Albania under article 29 (1) of the Convention, 03. Juli 2018, CED/C/ALB/CO/1, § 28. 975 CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, 30. Oktober 2019, CED/C/CHE/Q/1, § 11. 976 CED, Concluding observations on the report submitted by Armenia under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 16. 977 CED, Concluding observations on the report submitted by France under article 29, paragraph 1, of the Convention, 08. Mai 2013, CED/C/FRA/CO/1, §§ 28, 29. 978 CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, 10. Mai 2019, CED/C/ITA/CO/1, § 27 (b). 979 Siehe auch G. Baranowska, Disappeared Migrants and Refugees, 2020, 18, 21 f.; B. Duhaime/A. Thibault, Protection of migrants from enforced disappearance: A human rights perspective, International Review of the Red Cross 99 (2017), 569 (581 f.).
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
a) Drohendes Verschwindenlassen Artikel 16 Abs. 1 ICPPED schützt nur davor, im Zielstaat zu verschwinden. Ausweislich Artikel 2 ICPPED bedeutet Verschwindenlassen die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird. Der Ausschuss über das Verschwindenlassen stützt seine Auslegung von Artikel 2 ICPPED auf den General Comment der VN-Arbeitsgruppe für erzwungenes oder unfreiwilliges Verschwinden.980 Demnach beginnt Verschwindenlassen mit der Festnahme, Inhaftierung, Entführung oder jeder anderen Form des Freiheitsentzuges. Daher kann das Verschwindenlassen sowohl mit einer rechtswidrigen Inhaftierung als auch mit einer anfänglich rechtmäßigen Festnahme oder Inhaftierung beginnen. Darüber hinaus verlangt der Ausschuss keine Mindestdauer des Freiheitsentzugs oder der Verschleierung des Aufenthalts der Person.981 Das Bestreiten durch den Staat kann auch erst nachträglich erfolgen, wenn die Person bereits wieder freigelassen wurde. Die Rückführung in einen Staat, in dem Migrant:innen häufig zum Zwecke der Ausweisung festgenommen werden, ohne dass diese Festnahmen registriert werden, kann entsprechend nach Artikel 16 Abs. 1 ICPPED verboten sein. Auch die Verbringung in sogenannte Transitzonen kann gegen Artikel 16 Abs. 1 ICPPED verstoßen.982 Personen, denen Verschwindenlassen droht, können häufig auch eine Foltergefahr darlegen, da die Praxis von Folter häufig mit dem Verschwinden einer Person einhergeht. Der Schutz des Artikel 16 Abs. 1 ICPPED ist aber weiter als jener des Artikel 3 Abs. 1 AFK. Eine Besonderheit des materiellen Schutzbereiches der ICPPED ist zum einen, dass nicht eine besonders schwere Verletzung eines Rechtsguts oder die Verletzung eines besonders schwerwiegenden Rechtsguts entscheidend ist, sondern eine kumulative Betrachtung mehrerer Rechtsverletzungen. Zeitlich wird der Schutz im Vergleich zur AFK auf Handlungen vor einer möglichen Folter ausgeweitet. Auch vor willkürlicher Festnahme und Isolationshaft ohne Zugang zu Rechtsmitteln kann Artikel 16 Abs. 1 ICPPED schützen.983 Enger als der Schutz des Artikel 3 Abs. 1 AFK ist dagegen, dass in der ICPPED die Gefahr des 980 UN Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances, General Comment on the definition of enforced disappearance, 10. Januar 2008, A/HRC/7/2, § 26. 981 Siehe auch CED, Yrusta v. Argentina, 01/2013, 11. März 2016, § 10.3. 982 G. Baranowska, Disappeared Migrants and Refugees, 15. 983 Damit bietet die ICPPED auch weitergehenden Schutz als der Menschenrechtsausschuss in seiner Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement, N. Kyriakou, Melbourne Journal of International Law 2012 (451).
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen
257
Kettenrefoulement nicht ausdrücklich erwähnt wird. Nach der Praxis des Ausschusses müssen Staaten aber die Gefahr des Kettenrefoulement, auch bei der Verbringung in sogenannte sichere Staaten, beachten.984 Fraglich ist, inwieweit Artikel 16 Abs. 1 ICPPED auch vor der Gefahr des Verschwindenlassens durch nichtstaatliche Akteure schützt. Hiergegen spricht ein Vergleich mit Artikel 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Gemäß Artikel 7 Abs. 2 i) Römisches Statut kann Verschwindenlassen entweder von einem Staat oder einer politischen Organisation beziehungsweise mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates oder der Organisation begangen werden. Der Wortlaut des Artikel 2 ICPPED ist dagegen auf Staaten beschränkt. Allerdings nennt Artikel 16 Abs. 2 ICPPED explizit schwere Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht als Indizien für die Praxis des Verschwindenlassens. Diese schließen unproblematisch auch Handlungen Privater mit ein. Dementsprechend muss auch Artikel 16 Abs. 1 ICPPED konsequenterweise vor Gefahren schützen, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen.985 Der Ausschuss über das Verschwindenlassen hat sich hierzu bislang nicht geäußert. Das Verschwindenlassen im Sinne des Artikel 7 Römisches Statut zeichnet sich dadurch aus, dass es einen ausgedehnten, systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung voraussetzt. Wie sich auch aus Artikel 5 ICPPED ergibt, ist eine solche systematische Praxis zwar notwendig für die Annahme eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Sie ist aber nicht Voraussetzung für das Verschwindenlassen im Sinne der Artikel 1 Abs. 1, Artikel 2 ICPPED. Nationale Gesetzgebung, die ein Auslieferungshindernis nur dann vorsieht, wenn der auszuliefernden Person Verschwindenlassen im Sinne eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit droht, hat der Ausschuss über das Verschwindenlassen entsprechend als unzureichend kritisiert.986 Neben dem Schutz vor Refoulement aus Artikel 16 Abs. 1 ICPPED enthält die Konvention ein weiteres Hindernis für Auslieferungen. Gemäß Artikel 13 ICPPED kann der Tatbestand des Verschwindenlassens ein Grund für ein Auslieferungsersuchen im Rahmen eines Auslieferungsvertrages sein. Ausweislich Artikel 13 Abs. 7 ICPPED ist eine Auslieferung dann nicht möglich, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die auszuliefernde Person wegen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer politischen Anschauungen oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt oder bestraft werden soll, oder dass dieser Person aus einem dieser Gründe Schaden zugefügt werden könnte. Während der Konventionstext hier wohl auf den Begriff der Verfolgung im Sinne der GFK anspielt, geht die Interpretation des Ausschusses über das Verschwindenlassen hierüber hinaus. So scheint 984
CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 11. 985 So auch L. Ott, Enforced disappearance in international law, 248. 986 CED, Concluding observations on the report submitted by Portugal under article 29 (1) of the Convention, 05. Dezember 2018, CED/C/PRT/CO/1, § 20.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
der Ausschuss der Auffassung zu sein, dass eine Auslieferung einer wegen der Straftat des Verschwindenlassens gesuchten Person per se dann unzulässig ist, wenn im Zielstaat die Verhängung der Todesstrafe möglich ist, und zwar selbst dann, wenn der Vertragsstaat diplomatische Zusicherungen einholt, die gewährleisten sollen, dass die Todesstrafe nicht vollzogen wird.987 b) Verfahrensrechtliche Komponente des Artikel 16 ICPPED Auch in der Praxis des Ausschusses über das Verschwindenlassen spielt die Durchführung eines ordentlichen Risikobewertungsverfahrens eine zentrale Rolle. In seiner bislang einzigen Individualbeschwerdeentscheidung zu Artikel 16 Abs. 1 ICPPED hat sich der Ausschuss über das Verschwindenlassen nicht dazu geäußert, ob für die beschwerdeführende Person eine tatsächliche Gefahr des Verschwindenlassens bei einer Aufenthaltsbeendigung besteht. Er hat allein aufgrund der Tatsache, dass der Vertragsstaat die nationalen Risikobewertungsverfahren mangelhaft durchgeführt hat, eine Verletzung von Artikel 16 Abs. 1 ICPPED festgestellt.988 Nach der Praxis des Ausschusses hat jede Person ein Recht auf individuelle Überprüfung ihres Einzelfalls.989 Kollektivausweisungen sind nach Ansicht des Ausschusses nach Artikel 16 Abs. 1 ICPPED verboten.990 Die Qualifikation eines anderen Staates zu einem sicheren Zielstaat entbindet den Vertragsstaat dabei nicht von seinen Pflichten zur Durchführung eines ordentlichen Risikobewertungsverfahrens.991 Der Ausschuss über das Verschwindenlassen verlangt im Rahmen des nationalen Risikobewertungsverfahrens ferner auch, dass gegen eine negative Ent987 CED, Concluding observations on the report submitted by Peru under article 29 (1) of the Convention, 08. Mai 2019, CED/C/PER/CO/1, § 22. 988 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 7.6. 989 CED, Concluding observations on the report submitted by Spain under article 29, paragraph 1, of the Convention, 12. Dezember 2013, CED/C/ESP/CO/1, § 22; CED, Concluding observations on the report submitted by Armenia under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 17; CED, Concluding observations on the report submitted by Iraq under article 29 (1) of the Convention, 13. Oktober 2015, CED/C/IRQ/CO/1, § 27; CED, Concluding observations on the report submitted by Kazakhstan under article 29 (1) of the Convention, § 18 (b); CED, Concluding observations on the report submitted by Gabon under article 29, paragraph 1, of the Convention, 10. Oktober 2017, CED/C/GAB/CO/1, § 31; CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, § 27 (c). Siehe auch CED, Guiding principles for the search for disappeared persons, 08. Mai 2019, CED/C/7, Prinzip Nr. 9 § 3. 990 CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, § 27 (b). 991 CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 11; CED, List of issues in relation to the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, 26. November 2018, CED/C/ITA/Q/1, § 16; CED, List of issues in relation to the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, § 11.
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen
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scheidung des Staates ein effektives Rechtsmittel zur Verfügung steht.992 Dieses soll Suspensiveffekt haben.993 Die meisten Vertragsstaaten der ICPPED verfügen über nationale Gesetze, die Aufenthaltsbeendigungen wegen des Prinzips des Non-Refoulement verbieten. In der Regel enthalten diese aber keine explizite Erwähnung der Gefahr des Verschwindenlassens. Auch mit Blick auf die Schulung zuständiger Behörden und Grenzpersonal verlangt der Ausschuss über das Verschwindenlassen, dass die Vertragsstaaten einen expliziten gesetzlichen Rahmen zum Prinzip des Non-Refoulement im Sinne des Artikel 16 Abs. 1 ICPPED entwickeln.994 Die Vertragsstaaten müssen für die Durchführung des Risikobewertungsverfahrens klare und spezifische Vorgaben aufstellen.995 Aus Artikel 12 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 16 ICPPED ergibt sich jedenfalls auch, dass im nationalen Verfahren die Möglichkeit gegeben sein muss, bereits erlebtes Verschwindenlassen im eigenen Risikobewertungsverfahren vorzubringen. Wie ein Ausschussmitglied im Rahmen eines abweichenden Votums betont hat, sollte der Ausschuss selbst Vorgaben dazu machen, um einen einheitlichen Standard zu gewährleisten.996 Das ist bislang nur lückenhaft geschehen. Bei der Ausarbeitung der prozessualen Mindeststandards für das nationale Risikobewertungsverfahren stützt sich der Ausschuss über das Verschwindenlassen auch auf den General Comment Nr. 4 des Ausschusses gegen Folter.997 Wenn ein Vertragsstaat im nationalen Verfahren beigebrachte Materialien der beschwerdeführenden Person nicht beachtet, muss er dies vor dem Ausschuss über das Verschwindenlassen rechtfertigen.998 992 CED, List of issues in relation to the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, 16. Oktober 2017, CED/C/AUT/Q/1, § 14 (b); CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, § 27 (d). 993 CED, Concluding observations on the report submitted by France under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 27; CED, Concluding observations on the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, § 21 (c); CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 12; CED, Concluding observations on the report submitted by Peru under article 29 (1) of the Convention, § 23 (c); CED, Concluding observations on the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, § 15 (b). 994 CED, Concluding observations on the report submitted by France under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 27; CED, Concluding observations on the report submitted by Armenia under article 29, paragraph 1, of the Convention, §§ 16, 17; CED, Concluding observations on the report submitted by Gabon under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 31; CED, Concluding observations on the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, § 21 (a); CED, Concluding observations on the report submitted by Peru under article 29 (1) of the Convention, § 23 (a); CED, Concluding observations on the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, § 15 (a). 995 CED, Concluding observations on the report submitted by Peru under article 29 (1) of the Convention, § 23 (b). 996 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, abweichendes Votum Moncef Baati, § 13. 997 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 7.2. 998 Ebenda, § 7.5.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Auch vor dem Ausschuss über das Verschwindenlassen sind Kinder besonders geschützt. Gemäß Artikel 25 Abs. 5 ICPPED ist ebenso wie nach Artikel 3 KRK das Kindeswohl vorrangig zu beachten. Der Ausschuss folgt daher der Praxis des Kinderrechtsausschusses, nach der im Zweifel von der Minderjährigkeit des Kindes auszugehen ist.999 Anders als andere Vertragsorgane ist der Ausschuss über das Verschwindenlassen nicht der Ansicht, das nationale Risikobewertungsverfahren nur darauf überprüfen zu können, ob dieses offensichtlich willkürlich oder fehlerhaft war. Vielmehr hat er in seiner bislang einzigen Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement detailliert die Erhebung und Wertung von Beweismaterial durch den Vertragsstaat gerügt.1000 In einem abweichenden Votum hat Ausschussmitglied Juan José López Ortega diese Praxis kritisiert und darauf hingewiesen, dass der Ausschuss über das Verschwindenlassen keine letzte Instanz für nationale Verfahren sei und lediglich dann nationale Entscheidungen überprüfen dürfe, wenn diese willkürlich oder unsinnig (Original Spanisch ,irrazonable‘) seien.1001 Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Ausschuss über das Verschwindenlassen sich in künftigen Individualbeschwerdeverfahren erneut mit der Frage beschäftigen wird, ob und inwieweit er seine eigene Überprüfungskompetenz als beschränkt ansieht. 4. Rechtsfolgen Nachdem der Ausschuss über das Verschwindenlassen in seiner bislang einzigen Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement eine Verletzung der ICPPED allein aufgrund des nach seiner Erkenntnis mangelhaft durchgeführten Risikobewertungsverfahrens feststellte, gelangte er zu dem Schluss, dass der Staat erst mit Vollzug der Aufenthaltsbeendigung gegen Artikel 16 Abs. 1 ICPPED verstoßen würde.1002 Er verlangte von Frankreich die erneute Durchführung des Asylverfahrens sowie ferner, dass bis zur Beendigung dieses von einer Aufenthaltsbeendigung abgesehen werde.1003 Der Ausschuss scheint folglich nicht der Ansicht zu sein, dass bereits die mangelhafte Durchführung eines Risikobewertungsverfahrens einen Verstoß gegen Artikel 16 Abs. 1 ICPPED darstellen kann. Erforderlich ist hierfür vielmehr, dass es tatsächlich zu einer Verbringung in den Zielstaat kommt. Konsequenterweise hat der Ausschuss in diesem Fall auch keine über die persönlichen Rechtsfolgen des Beschwerdeführers hinausgehenden Empfehlungen abgegeben, wie etwa Maßnahmen 999
CED, Guiding principles for the search for disappeared persons, Prinzip Nr. 4, § 2. CED, E. L. A. v. France, 03/2019, §§ 7.4 ff. 1001 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, abweichendes Votum Juan José López Ortega, §§ 3 – 8. 1002 CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 8. 1003 Ebenda, § 9. 1000
V. Ausschuss über das Verschwindenlassen
261
zur Sicherstellung, dass sich vergleichbare Konventionsverstöße nicht wiederholen.1004 Der Ausschuss über das Verschwindenlassen praktiziert ebenfalls Follow-UpVerfahren zu seinen Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren. Sein bislang einziges Follow-Up-Verfahren zu seiner ersten Individualbeschwerde Yrusta v. Argentina folgte keiner vorgegebenen Form und war etwa so umfangreich wie die ursprüngliche Entscheidung.1005 Es bleibt abzuwarten, ob sich der Ausschuss in Zukunft in all seinen Follow-Up-Verfahren derart detailliert mit der Reaktion der Vertragsstaaten auseinandersetzt. 5. Fazit Die ICPPED verfügt als einer der wenigen VN-Menschenrechtsschutzverträge über ein explizites Refoulementverbot, welches in seinem Schutzumfang einzigartig ist. Dennoch fallen beim Vertragstext Parallelen zu anderen Menschenrechtsschutzverträgen, insbesondere der AFK, auf. Der Ausschuss über das Verschwindenlassen orientiert sich in seiner Praxis stark an anderen Vertragsorganen, insbesondere dem Ausschuss gegen Folter und dem Menschenrechtsausschuss. Darüber hinaus spielt aber auch die Praxis des Kinderrechtsausschusses eine Rolle. Hierbei zitiert er sowohl deren Praxis in Individualbeschwerdeverfahren als auch deren General Comments, insbesondere den General Comment Nr. 4 des Ausschusses gegen Folter. Insgesamt hat der Ausschuss über das Verschwindenlassen bislang drei Individualbeschwerden entschieden, wovon eine das Prinzip des Non-Refoulement betraf. Seine Praxis kann daher nicht als gefestigt angesehen werden. Die einzige Individualbeschwerdeentscheidung zum Prinzip des Non-Refoulement enthält zudem zwei deutliche abweichende Voten, die mehrere Punkte der Mehrheitsentscheidung gerade auch vor dem Hintergrund der Praxis anderer Vertragsorgane kritisieren. Hiermit wird sich der Ausschuss in seiner zukünftigen Praxis auseinandersetzen müssen. Aus der sehr jungen Praxis des Ausschusses über das Verschwindenlassen bleiben viele Fragen offen. So lassen sich bislang kaum Aussagen zum Beweismaß und möglichen Beweismitteln machen. Zudem ist unklar, welchen Zeitpunkt der Ausschuss bei der Beurteilung der Gefahr des Verschwindenlassens für relevant hält. Die Rechtsfolgen, die der Ausschuss bislang an seine Entscheidung geknüpft hat, sind ausschließlich einzelfallbezogen, und obwohl er Wert auf ein ordentliches nationales Risikobewertungsverfahren legt, hat er hierzu bislang kaum Vorgaben gemacht. Durch die Staatenberichtsverfahren lassen sich zwar erste Erkenntnisse gewinnen, etwa dass der Ausschuss diplomatische Zusicherungen kritisch betrachtet, die 1004
So etwa CED, Yrusta v. Argentina, 01/2013, §§ 12, 13. CED, Informe de seguimiento sobre comunicaciones individuales, 06. Oktober 2020, CED/C/19/3. 1005
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
konkreten Voraussetzungen etwa der Erheblichkeit diplomatischer Zusicherungen werden sich aber erst im Rahmen weiterer Individualbeschwerdeverfahren zeigen. Eine Besonderheit im Vergleich zu anderen VN-Menschenrechtsschutzverträgen bietet Artikel 30 ICPPED. Demnach können Angehörige einer verschwundenen Person beim Ausschuss über das Verschwindenlassen einen Antrag auf Suche und Auffindung der Person stellen. Im Gegensatz zum Individualbeschwerdeverfahren nach Artikel 31 ICPPED ist das Verfahren nach Artikel 30 ICPPED obligatorisch. Daher dürften sich Individualbeschwerdeverfahren in Zukunft auf solche Sachverhalte beschränken, die nicht mit einem Verfahren nach Artikel 30 ICPPED durchgesetzt werden können, nämlich Schadenskompensationsfälle und Fälle zur Prävention des Verschwindenlassens, also insbesondere Beschwerden zu Artikel 16 Abs. 1 ICPPED. Einstweilige Maßnahmen dürften sogar nur für das Prinzip des NonRefoulement interessant sein. Das verspricht, dass der Ausschuss über das Verschwindenlassen in seinen Individualbeschwerdeverfahren einen besonderen Fokus auf Artikel 16 Abs. 1 ICPPED legen können wird und somit eine detaillierte, differenzierte Spruchpraxis entwickeln kann.
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau Die FRK strebt die Gleichstellung der Frau an. Hiermit ist aber nicht ein Recht auf Gleichbehandlung aller Frauen untereinander gemeint. Vielmehr ist die FRK darauf gerichtet, die Beseitigung von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts innerhalb eines Staates umzusetzen, nicht jedoch die staatenübergreifende Gleichberechtigung aller Frauen.1006 Allein aus dem Sinn und Zweck der FRK lässt sich damit kein Recht einer Frau ableiten, in einem bestimmten Staat zu bleiben oder nicht in einen solchen Staat einreisen zu müssen, in dem ihr eine schlechtere Behandlung droht. Die FRK kodifiziert nicht explizit das Prinzip des Non-Refoulement. Zwar besteht für die Vertragsstaaten eine Pflicht zur Abschaffung jeder Form des Frauenhandels (Artikel 6 FRK), was auch eine Pflicht zu grenzübergreifenden Schutzmaßnahmen miteinschließt. Außerdem besitzen Frauen nach Artikel 9 FRK das Recht auf gleichen Zugang zur Staatsangehörigkeit. Aus diesen Rechten lässt sich aber kein Schutz vor Aufenthaltsbeendigung ableiten. Die FRK gewährt nicht Frauen neue Rechte, sondern nimmt auf bereits existierende Menschenrechte Bezug. Hierbei werden bestehende Menschenrechtsschutzinstrumente dahingehend untersucht, ob durch diese die Menschenrechte von Frauen entweder nicht ausreichend geschützt oder entwickelt oder nicht geschlechterspe-
1006 C. M. Chinkin/M. A. Freeman, Introduction, in: B. Rudolf/M. A. Freeman/ C. M. Chinkin/S. Kroworsch/A. Sherrier/S. Wittkopp, The UN Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, 2012, 8.
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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zifisch umgesetzt wurden.1007 Ähnlich wie der Rassendiskriminierungsausschuss versteht daher auch der Frauenrechtsausschuss sein eigenes Mandat zur Überprüfung der Einhaltung der FRK weit. Demnach seien vom Wesen der FRK auch solche Rechte erfasst, die nicht explizit in der Konvention genannt werden, die jedoch Auswirkungen auf die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen mit Männern haben.1008 Diese weite Auffassung des Schutzumfangs der FRK und damit auch der eigenen Überprüfungskompetenz erklärt, warum sich der Frauenrechtsausschuss vermehrt auf die Arbeit anderer Menschenrechtsschutzmechanismen bezieht. Der Frauenrechtsausschuss ist im Allgemeinen, aber auch speziell im Rahmen von Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement, dasjenige Vertragsorgan, welches am häufigsten andere VN-Vertragsorgane zitiert. Insbesondere zieht er in Bezug auf das Prinzip des Non-Refoulement den Ausschuss gegen Folter und den Menschenrechtsausschuss heran,1009 verweist aber auch auf weniger lang etablierte Praxis wie etwa diejenige des Kinderrechtsausschusses.1010 Auffällig ist darüber hinaus, dass auch Vertragsstaaten und Beschwerdeführerinnen in Individualbeschwerdeverfahren häufig andere Menschenrechtsschutzmechanismen heranziehen. Nicht nur in den ersten Individualbeschwerden vor dem Frauenrechtsausschuss zum Prinzip des Non-Refoulement, sondern bis heute, ziehen sowohl die Vertragsstaaten, gegen die sich die Individualbeschwerden richten als auch die Beschwerdeführerinnen regelmäßig insbesondere die Praxis des Ausschusses gegen Folter und des Menschenrechtsausschusses heran, um ihre Rechtsauffassung zu untermauern.1011 Erstmals hat der Frauenrechtsausschuss das Prinzip des Non-Refoulement im Rahmen einer Individualbeschwerde anerkannt. Bevor er sich zu Inhalt und Reichweite des Schutzes vor Refoulement nach der FRK äußerte, fasste der Frauenrechtsausschuss zunächst die Praxis anderer VN-Vertragsorgane sowie die nach der GFK geltenden Standards zusammen und stellte auf dieser Grundlage fest, was er für einen allgemeinen Standard des internationalen Menschenrechtsschutzes hält.1012 Hieraus leitete der Frauenrechtausschuss sodann ab, dass die FRK dann vor Aufenthaltsbeendigungen schützt, wenn im Zielstaat schwere Formen der geschlechterspezifischen Gewalt drohen. Diese in seiner ersten Individualbeschwerde zum 1007 S. Joseph/K. Mitchell/L. Gyorki/C. Benninger-Budel, Seeking remedies for torture victims, 276. 1008 CEDAW, General Recommendation No. 28, § 7. 1009 B. C¸alı/A. S. Galand, The International Journal of Human Rights 2020 (10). 1010 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 26. 1011 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, 15. Juli 2013; CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, 26. Juli 2013; CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013; CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, 19. November 2015; CEDAW, S. A. O. v. Denmark, 101/2016, 29. Oktober 2018. 1012 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.8.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Prinzip des Non-Refoulement entwickelten Standards hat der Frauenrechtsausschuss mittlerweile in zahlreichen Individualbeschwerdeverfahren sowie drei General Recommendations gefestigt, wie die folgende Darstellung zeigt. 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem Fakultativprotokoll Die Frauenrechtskonvention enthält keine Möglichkeit zur Erhebung einer Individualbeschwerde. Diese wurde erst durch das erste Fakultativprotokoll der Konvention ermöglicht. Zwar hat der Frauenrechtsausschuss bereits im Jahr 2004 seine erste Individualbeschwerde entschieden. Die Praxis zum Prinzip des NonRefoulement hat sich aber erst seit 2013 entwickelt.1013 Seitdem hat das Prinzip des Non-Refoulement vor dem Frauenrechtsausschuss eine zentrale Rolle eingenommen. Zwar hat der Ausschuss bislang lediglich in zwei Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement einen Verstoß gegen die FRK festgestellt. Den weit überwiegenden Anteil der Individualbeschwerden hat er als unzureichend substantiiert abgewiesen. Ebenso wie in der Praxis des Kinderrechtsausschusses zeigt sich aber gerade in dieser restriktiven Herangehensweise der differenzierte Ansatz des Frauenrechtsausschusses, mit dem er Inhalt und Reichweite des Prinzips des NonRefoulement auf Grundlage der FRK bestimmt. a) Zuständigkeit des Frauenrechtsausschusses Die Zuständigkeit des Frauenrechtsausschusses ratione loci für Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der FRK. Laut Artikel 2 des Fakultativprotokolls zur FRK können zwar nur Frauen, die sich in der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates befinden, Beschwerde gegen diesen erheben. Nicht spezifiziert ist dagegen, wo das gerügte staatliche Verhalten geschehen sein muss. Der Frauenrechtsausschuss erkennt zwar an, dass nach allgemeinen Grundsätzen primär eine Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten für das Geschehen auf ihrem Territorium besteht. Darüber hinaus sind die Vertragsstaaten für Menschen unter ihrer effektiven Kontrolle zur Einhaltung der FRK verpflichtet. Weiter hält der Frauenrechtsausschuss auch Vertragsstaaten für verantwortlich für all ihre Handlungen, die Auswirkungen auf Menschenrechte haben, unabhängig davon, ob sich die betroffenen Personen im Territorium dieses Staates befinden.1014
1013
CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011. CEDAW, General Recommendation No. 28, § 12. Siehe zur extraterritorialen Anwendbarkeit der FRK auch A. Byrnes, Article 2, in: B. Rudolf/M. A. Freeman/C. M. Chinkin/ S. Kroworsch/A. Sherrier/S. Wittkopp, The UN Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, 2012, 94 f. 1014
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
265
Zu Beginn der Praxis des Frauenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement sah sich der Ausschuss mit einer starken Ablehnung seitens der Vertragsstaaten konfrontiert. Die Staaten hielten den Ausschuss nicht für befugt, über die Individualbeschwerden zu entscheiden. Die FRK sei nicht extraterritorial anwendbar, enthalte kein explizites Refoulementverbot und die Annahme eines impliziten Refoulementverbots sei auch nach Maßgabe der travaux préparatoires der FRK nicht geboten.1015 Weiter gaben die Vertragsstaaten an, dass das Prinzip des NonRefoulement nach der etablierten Praxis des Menschenrechtsausschusses nur vor Rechtsverletzungen schütze, die so gravierend seien wie die Verletzung von Artikel 6 oder 7 IPbpR. Der Schutz der Frauenrechtskonvention könne nicht weiter gehen als in der GFK und vom Ausschuss gegen Folter und dem Menschenrechtsausschuss etabliert.1016 Da die FRK keine Bestimmungen zum Recht auf Leben oder zum Folterverbot enthalte, könne sich aus der FRK für den Frauenrechtsausschuss auch keine Kompetenz zur Überprüfung solcher Beschwerden ergeben,1017 zumal auch kein Bedarf bestehe, da den Frauen der Rechtsweg zum Ausschuss gegen Folter und zum Menschenrechtsausschuss offen stehe.1018 Deshalb seien allenfalls solche Individualbeschwerden durch den Frauenrechtsausschuss überprüfbar, in denen die Beschwerdeführerin eine geschlechterspezifische Diskriminierung im nationalen Asyl- beziehungsweise Risikobewertungsverfahren rüge.1019 Der Frauenrechtsausschuss hat auf diese sich wiederholenden Einwände zur eigenen Zuständigkeit ratione materiae und ratione loci schnell reagiert. Er hat nicht nur in jeder dieser Individualbeschwerden ausführlich dazu Stellung genommen, sondern auch nur ein Jahr nach der ersten Entscheidung einer Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement seine General Recommendation Nr. 32 zu den geschlechterspezifischen Dimensionen von Flüchtlingsstatus, Asyl, Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit von Frauen veröffentlicht, in der er auf die Einwände der Vertragsstaaten Bezug nimmt.1020 In dieser General Recommendation begründet der Frauenrechtsausschuss seine Zuständigkeit in Fällen, in denen Frauen wegen befürchteten Verstoßes gegen das Prinzip des Non-Refoulement Individualbeschwerden erheben, im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Erstens seien bürgerliche und politische Rechte, und damit auch das Recht auf Leben und der Schutz vor Folter und vergleichbarer Misshandlung, implizit Teil der Frauenrechtskonvention, woraus sich eine Pflicht der Vertragsstaaten ergebe, den vom Menschenrechtsausschuss entwickelten Standard (,States parties are under the obligation not to extradite, deport, expel or otherwise remove a person from their 1015
CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 4.7. CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 4.5. 1017 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, §§ 4.8, 4.9, 6.2; CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, § 4.8; CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, § 4.7. 1018 CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 6.2. 1019 Ebenda, § 6.3. 1020 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 21. 1016
266
D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
territory to the territory of another State where there are substantial grounds for believing that there is a real risk of irreparable harm.‘) einzuhalten.1021 Zweitens ergebe sich aus Artikel 2 (d) FRK die staatliche Pflicht, Handlungen oder Praktiken zu unterlassen, welche die Frau diskriminieren, und dafür zu sorgen, dass alle staatlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflichtung handeln. Das beinhalte auch die Pflicht, Frauen vor einer tatsächlichen, persönlichen und vorhersehbaren Gefahr schwerwiegender Formen der Diskriminierung, einschließlich geschlechterspezifischer Gewalt, zu schützen, und zwar unabhängig davon, ob solche Konsequenzen außerhalb der territorialen Grenzen des entsendenden Vertragsstaates eintreten würden.1022 Der Frauenrechtsausschuss verweist im Rahmen der Entscheidungen zu Individualbeschwerden zusätzlich auf seine General Recommendation Nr. 28 zu den grundlegenden Pflichten der Vertragsstaaten aus Artikel 2 FRK, in der er bereits festgehalten hatte, dass sich die vertraglichen Pflichten der Staaten auf alle Frauen, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsstatus, erstrecken. Dies schließt alle Frauen innerhalb des staatlichen Territoriums sowie der effektiven Kontrolle des Staates unterliegende Frauen ein. Diesbezüglich hat der Frauenrechtsausschuss explizit klargestellt, dass dies auch für Frauen gelte, die sich außerhalb des staatlichen Territoriums aufhalten.1023 Im Rahmen von Staatenberichtsverfahren hat der Frauenrechtsausschuss zudem die Auffassung vertreten, die Abweisung von Menschen die durch private Seenotrettung an die Grenzen eines Staates gebracht wurden, verstoße gegen das Prinzip des Non-Refoulement.1024 Der Ausschuss geht mithin wohl davon aus, dass er auch für die Abweisung an der Grenze ratione loci zuständig ist. Aus der Tatsache, dass der Frauenrechtsausschuss die Geltung des Prinzips des Non-Refoulement weitgehend als impliziten Teil der FRK ansieht, ergibt sich allerdings eine Schwierigkeit der Zulässigkeit von Individualbeschwerden ratione materiae. Individualbeschwerden vor dem Frauenrechtsausschuss müssen die Rüge einer Verletzung der FRK zum Gegenstand haben. Für die Überwachung der Einhaltung anderer Menschenrechtsschutzverträge ist der Ausschuss nicht zuständig. Rügen der EMRK sowie der Kinderrechtskonvention zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Frauenrechtsausschuss entsprechend nach Artikel 4 Abs. 2 (b) des Fakultativprotokolls abgewiesen.1025
1021
CEDAW, General Recommendation No. 32, § 21. Ebenda, § 22. 1023 CEDAW, General Recommendation No. 28, § 12. Zitiert in CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.6. 1024 CEDAW, Concluding observations on the seventh periodic report of Italy, 24. Juli 2017, CEDAW/C/ITA/CO/7, §§ 15 e, 16 e. 1025 CEDAW, N. M. v. Denmark, 078/2014, § 7.4; CEDAW, S. J. A. v. Denmark, 079/2014, § 7.4; CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 7.4. 1022
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
267
Da die Geltendmachung einer Verletzung impliziter Rechte für die Beschwerdeführerinnen schwer umsetzbar ist verweisen diese oft auf die General Recommendations des Frauenrechtsausschusses. Vor allem in den ersten Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement gaben die Beschwerdeführerinnen daher an, in ihren Rechten aus einem bestimmten Artikel der FRK in Verbindung mit der General Recommendation Nr. 19 zu Gewalt gegen Frauen verletzt zu sein.1026 Denn in dieser hatte der Frauenrechtsausschuss schon im Jahr 1992 festgestellt, dass geschlechterspezifische Gewalt eine Form der Diskriminierung im Sinne des Artikel 1 FRK sei, welche die Ausübung einer Reihe von Rechten beeinträchtige oder gar verhindere. Darunter fielen das Recht auf Leben und der Schutz vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.1027 Auch hat der Frauenrechtsausschuss bereits in dieser General Recommendation anerkannt, dass geschlechterspezifische Gewalt eine Fluchtursache ist.1028 Damit hat der Frauenrechtsausschuss etabliert, dass er für das Prinzip des NonRefoulement betreffende Individualbeschwerden sowohl materiell als auch territorial zuständig ist, wenn die Beschwerdeführerin angibt, dass ihr im Zielstaat geschlechterspezifische Gewalt droht. b) Persönliche Betroffenheit Das Erfordernis der persönlichen Betroffenheit im Sinne des Artikel 2 FP FRK hat vor dem Frauenrechtsausschuss einen besonderen Stellenwert. Frauen1029 können nur dann in ihren Rechten aus der FRK verletzt sein, wenn die von ihnen gerügte staatliche Handlung sie explizit aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert. Für alle anderen Misshandlungen ist der Frauenrechtsausschuss nicht zuständig. Die anfängliche Haltung der Vertragsstaaten, der Frauenrechtsausschuss brauche seine Kompetenz nicht auf das Prinzip des Non-Refoulement auszuweiten, da Menschenrechtsausschuss und Ausschuss gegen Folter auch Frauen ausreichend Schutz böten,1030 verkennt diese spezifische Anforderung der geschlechterspezifischen Diskriminierung. Die Frauenrechtskonvention enthält keine neuen Rechte, die nicht auch in anderen internationalen Menschenrechtsabkommen verankert sind. Vielmehr beeinträchtigt strukturelle Diskriminierung von Frauen deren Fähigkeit, ihre Rechte einzufordern und zu genießen. Die FRK bietet daher dann eine Rechtsschutzalternative, wenn geschlechterspezifische Diskriminierung im Sinne des Ar1026 CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 3.1; CEDAW, M. S. v. Denmark, 040/2012, § 3; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 3.1; CEDAW, A. M. v. Denmark, 077/2014, 21. Juli 2017, § 3.1; CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, 09. Juli 2018, § 3.1. 1027 CEDAW, General Recommendation No. 19 Violence against women, 1992, § 7. 1028 Ebenda, § 24 (k). 1029 Der Begriff der Frau meint nicht nur als Frau Geborene. Nach dem Selbstverständnis des Frauenrechtsausschusses schützt die FRK auch Transgender Personen, CEDAW, General Recommendation No. 28, §§ 5, 18. 1030 CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 6.2.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
tikel 1 FRK einen erheblichen Aspekt der zugrundeliegenden Rechtsverletzung darstellt.1031 Für das Prinzip des Non-Refoulement vor dem Frauenrechtsausschuss bedeutet das, dass Beschwerden wegen der Verletzung implizit durch die FRK geschützter Rechtsgüter wie etwa Folter, eine Verletzung des Rechts auf Leben, Verschwindenlassen oder anderen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen nur dann zulässig sind, wenn die Beschwerdeführerin darlegen kann, dass bei diesen Rechtsverletzungen ihre geschlechterspezifische Diskriminierung eine entscheidende Rolle spielt.1032 Nach dem Selbstverständnis des Frauenrechtsausschusses sind sowohl Frauen, deren Furcht vor einer Aufenthaltsbeendigung sich darin begründet, dass sie in dem Zielstaat eine bestimmte diskriminierende Behandlung fürchten, als auch Frauen, die eine diskriminierende Durchführung ihres Asyl- beziehungsweise Risikobewertungsverfahrens rügen, persönlich betroffen und damit beschwerdebefugt.1033 Die FRK schützt auch dann vor Diskriminierung im Ablauf des Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung, wenn die Verbringung in einen anderen Staat nicht gegen das Prinzip des Non-Refoulement verstößt.1034 Wenn sich die Beschwerde nur gegen eine befürchtete Diskriminierung im Ausland richtet und nicht gegen das nationale Verfahren und das Risiko der Aufenthaltsbeendigung nicht länger besteht, stellt der Frauenrechtsausschuss das Verfahren mangels persönlicher Betroffenheit der Beschwerdeführerin ein.1035 Wenn dagegen auch die Diskriminierung im nationalen Risikobewertungsverfahren gerügt wurde, kommt es nicht zur Verfahrenseinstellung.1036 Wie andere VN-Vertragsorgane lässt auch der Frauenrechtsausschuss Beschwerden von Frauen im Namen ihrer Kinder oder ihrer ganzen Familie zu. Solange ein Familienmitglied Opfer geschlechterspezifischer Diskriminierung sein kann, können also auch die übrigen Mitglieder von dieser Diskriminierung mit betroffen sein. Von dieser allgemein üblichen Praxis weicht der Frauenrechtsausschuss auch in Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement nicht ab.1037 Hiervon abzugrenzen sind actiones populares. Während die Familie einer Frau von deren Diskriminierung hinreichend betroffen sein kann, um als (Mit-)Beschwerdeführerin vor dem Frauenrechtsausschuss zu erscheinen, kann eine Frau keine Individualbeschwerde im Namen aller Frauen oder einer bestimmten Gruppe 1031 S. Joseph/K. Mitchell/L. Gyorki/C. Benninger-Budel, Seeking remedies for torture victims, 279. 1032 Ebenda, 277, 301. 1033 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 11. 1034 Ebenda, § 24. 1035 CEDAW, X. v. Demark, 073/2014, 29. Oktober 2018. 1036 CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, §§ 8.8, 8.9. 1037 CEDAW, M. S. v. Denmark, 040/2012; CEDAW, S. F. A. v. Denmark, 085/2015; CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018.
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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von Frauen erheben, die von ihrer persönlichen gerügten Diskriminierung nicht betroffen sind. Eine Beschwerde im Namen aller ausländischer Mütter Dänemarks hat der Frauenrechtsausschuss konsequenterweise abgelehnt.1038 c) Erschöpfung des nationalen Rechtswegs Wie vor allen VN-Vertragsorganen muss die Beschwerdeführerin zunächst die innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft haben, damit eine Individualbeschwerde vor dem Frauenrechtsausschuss zulässig ist.1039 Wenn noch effektive Rechtsmittel zur Verfügung stehen, die, sofern sie erfolgreich sind, die Aufenthaltsbeendigung verhindern würden, weist der Frauenrechtsausschuss die Individualbeschwerde ab.1040 Die Beschwerdeführerin muss auch nach der Praxis des Frauenrechtsausschusses neben den in Artikel 4 Abs. 1 des FP FRK genannten Ausnahmen (unangemessen lange Verfahrensdauer oder keine Aussicht auf Abhilfe) keine Rechtsmittel ausschöpfen, die keine aufschiebende Wirkung haben. Droht der Beschwerdeführerin also zum Beispiel Abschiebung nach einem abgelehnten Asylantrag, muss sie nicht erst andere möglicherweise existierende Aufenthaltstitel beantragen, etwa eine Aufenthaltsberechtigung aus schutzbezogenen, familiären, humanitären oder sonstigen Gründen, da solche Alternativen gegen eine bestehende Verfügung zur Abschiebung keine aufschiebende Wirkung entfalten.1041 Wenn eine Beschwerdeführerin angibt, alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft zu haben oder dies nach Maßgabe des Fakultativprotokolls der FRK ausnahmsweise nicht zu müssen und bestreitet der Vertragsstaat dies, dann trägt nach den Verfahrensregeln des Frauenrechtsausschusses der Staat die Beweislast, nicht ausgeschöpfte Rechtsmittel aufzuzeigen.1042 Zur Erschöpfung des nationalen Rechtswegs gehört aber nicht nur das Durchlaufen aller Instanzen. Die Beschwerdeführerin muss in ihren nationalen Verfahren im Kern das gleiche gerügt haben wie in der Individualbeschwerde. Der Frauenrechtsausschuss betont in seinen Entscheidungen regelmäßig Sinn und Zweck der Bedingung der nationalen Rechtswegerschöpfung. Nur wenn Argumente, die im Rahmen der Individualbeschwerde vorgebracht wurden, bereits davor in den nationalen Verfahren vorgebracht wurden, hatte der Vertragsstaat ausreichend Gelegenheit, sich mit den Argumenten auseinanderzusetzen und gegebenenfalls im Laufe des nationalen Rechtswegs hierauf einzugehen. Dafür ist aber nicht erforderlich, dass
1038 1039 1040 1041 1042
CEDAW, M. K. D. A.-A. v. Denmark, 044/2012, 18. Oktober 2013, § 6.5. Artikel 4 Abs. 1 FP FRK. CEDAW, Herrera Rivera v. Canada, 026/2010, 18. Oktober 2011, § 6.3. CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 9.4. Regel Nr. 69 Abs. 9 CEDAW, Rules of Procedure.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
die Beschwerdeführerin im nationalen Verfahren bereits konkrete Normen der FRK benennt.1043 Im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen ist der Frauenrechtsausschuss mit seinen Anforderungen an die Rechtswegerschöpfung auf Kritik gestoßen. Bereits im Jahr 2007 hat der Frauenrechtsausschuss eine Individualbeschwerde, die sich gegen eine Aufenthaltsbeendigung richtete, mangels Rechtswegerschöpfung abgelehnt. Die Beschwerdeführerin hatte im nationalen Verfahren zwar alle ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen die Aufenthaltsbeendigung ausgeschöpft, sie hatte hierbei aber nicht geltend gemacht, dass sie eine geschlechterspezifische Diskriminierung im Zielstaat fürchte.1044 In Anbetracht der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin ursprünglich Asyl wegen Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts gesucht hatte, ist unklar, in welcher hierüber hinausgehenden Weise die Beschwerdeführerin die geschlechterspezifische Dimension ihrer befürchteten Rechtsverletzungen hätte aufzeigen können. Die Entscheidung des Ausschusses wurde daher zu Recht kritisiert.1045 Auch die Individualbeschwerde einer Frau, die in ihrem Asylverfahren ihre Angst vor politischer Verfolgung geschildert hatte, dabei aber einen Zusammenhang ihrer Vergewaltigung mit der politischen Verfolgung nicht aufgezeigt hatte, wurde vom Frauenrechtsausschuss nach Artikel 4 Abs. 1 FP FRK abgelehnt.1046 Diese Entscheidung war innerhalb des Ausschusses selbst umstritten. In einem abweichenden Votum befanden einige Ausschussmitglieder, es müsse ausreichen, wenn eine Frau im nationalen Asylverfahren einerseits ihre Angst vor Verfolgung und andererseits ihre erlebte sexuelle Gewalt schildere, um einen Staat dazu zu veranlassen, hierin eine geschlechterbezogene Verfolgung und eine Diskriminierung der Frau zu sehen.1047 Der Frauenrechtsausschuss hat diese frühere strenge Praxis mittlerweile revidiert und die im dargestellten abweichenden Votum zum Ausdruck gebrachte Auffassung angenommen. Jedenfalls dann, wenn die Frau im Asylverfahren ihre Anträge damit begründet, Angst vor sexueller Gewalt, sexueller Versklavung oder geschlechtsspezifischer körperlicher Misshandlung in ihrem Herkunftsstaat zu haben, ist nunmehr nach Ansicht des Frauenrechtsausschusses für die Rechtswegerschöpfung nicht erforderlich, dass die Frau diese Befürchtungen explizit als Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts bezeichnet hat.1048 Das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung kann auch nur für Teile der Individualbeschwerde erfüllt sein. Dokumente, die eine Beschwerdeführerin im nationalen 1043 1044 1045 1046 1047
§ 4. 1048
CEDAW, N. S. F. v. United Kingdom, 010/2005, 30. Mai 2007, § 7.4. Ebenda, § 7.3. A. Edwards, in: J. C. Simeon, 175 f. CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, § 8.3. Ebenda, abweichendes Votum Sˇ imonovic´, Halperin-Kaddari, Neubauer und Pimentel, CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 6.4.
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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Asylverfahren nicht vorgelegt hatte und auch nicht auf Grundlage dieser Dokumente die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt hatte, ließ der Frauenrechtsausschuss daher in seinem Verfahren ebenfalls unberücksichtigt, nahm sich aber im Übrigen der Beschwerde an.1049 d) Substantiierung der Beschwerde Anders als der Menschenrechtsausschuss, der Beschwerden nach seiner vertraglichen Grundlage nur dann ablehnen kann, wenn sie nicht hinreichend substantiiert sind,1050 kann der Frauenrechtsausschuss Individualbeschwerden zusätzlich wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig ablehnen.1051 Während bei anderen Vertragsorganen stetig mehr Individualbeschwerden erhoben werden, als diese bearbeiten können, erreichen den Frauenrechtsausschuss vergleichsweise wenige Individualbeschwerden. In der ersten Beschwerde, in welcher der Frauenrechtsausschuss Gelegenheit gefunden hat, sich zum Prinzip des Non-Refoulement zu äußern, hat sich die Arbeitsgruppe des Ausschusses für Individualbeschwerden wohl auch deshalb mehrfach bemüht, den Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin um weitere Informationen zu bitten, welche die Beschwerde hinreichend substantiieren würden.1052 Dennoch hat der Frauenrechtsausschuss die Beschwerde letztendlich als unzureichend substantiiert abgelehnt. Der Beschwerdeführerin war es nicht gelungen, anhand unabhängiger Belege nachzuweisen, dass bei Rückreise in ihren Herkunftsstaat ein tatsächliches Risiko der Genitalverstümmelung für sie bestehen würde. Die bloße Behauptung reichte dem Ausschuss auch angesichts dessen, dass Genitalverstümmelung im Zielstaat zwischenzeitlich gesetzlich verboten worden war, nicht aus.1053 Ebenso wenig reicht eine frühere Vergewaltigung aus, um hinreichend substantiiert darzulegen, dass bei Rücksendung an den Ort der Vergewaltigung eine tatsächliche Gefahr für die Beschwerdeführerin besteht.1054 Insgesamt hat der Frauenrechtsausschuss den weit überwiegenden Teil der bislang erhobenen Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement als unzureichend substantiiert abgewiesen. Er lehnt Beschwerden vor allem dann ab, wenn sich die Vertragsstaaten in einem ordentlich durchgeführten Risikobewertungsverfahren entlasten, ohne dass die Beschwerdeführerin die Argumente des Staates entkräftet hat. So hatte eine lesbische Uganderin der Einschätzung Dänemarks, dass Homosexualität in Uganda zwar strafrechtlich verboten, aber nicht tatsächlich 1049
CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018, §§ 6.2, 6.3. Siehe zum Umgang des Menschenrechtsausschusses mit offensichtlich unbegründeten Beschwerden oben Kapitel D. II. 1. d). 1051 Artikel 4 Abs. 2 (c) FP FRK. 1052 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, §§ 2.8 – 2.10. 1053 Ebenda, § 8.12. 1054 CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, § 8.9. 1050
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
verfolgt werde, nichts entgegenzusetzen.1055 Eine Frau, die vor der somalischen Miliz Al Shabaab geflohen war, konnte nicht darlegen, dass auch nachdem der somalische Staat die Kontrolle über ihren Heimatort zurück erlangt hatte, für sie eine Gefahr fortbestand.1056 Auch dann, wenn der Vertragsstaat die Angaben der Frauen im nationalen Verfahren als widersprüchlich und nicht glaubhaft betrachtet, gibt der Frauenrechtausschuss oft dem Staat recht. 2. Ablauf des Verfahrens Individualbeschwerdeverfahren vor dem Frauenrechtsausschuss laufen ähnlich ab wie bei anderen VN-Vertragsorganen. Aufgrund des eher jungen Fakultativprotokolls und der noch jüngeren Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Ausschuss zu einigen Rechtsfragen noch keine Stellung bezogen. So hat der Frauenrechtsausschuss bislang keinen Anlass gesehen, sich zu dem nach seiner Auffassung relevanten Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos zu äußern. Auch zu einigen Methoden der Vertragsstaaten zur Entlastung wie etwa durch diplomatische Zusicherungen konnte der Frauenrechtsausschuss bislang keine Bewertung treffen. a) Wirkung der Erhebung einer Individualbeschwerde Auch der Frauenrechtsausschuss verfügt nach seinem Fakultativprotokoll in Verbindung mit seinen Verfahrensregeln über die Möglichkeit, einstweilige Maßnahmen anzuordnen.1057 Ebenso wie beim Kinderrechtsausschuss entscheidet über die Anordnung einstweiliger Maßnahmen des Frauenrechtsausschusses eine Arbeitsgruppe bestehend aus fünf der 23 Ausschussmitglieder. Im ersten Individualbeschwerdeverfahren vor dem Ausschuss zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Frauenrechtsausschuss vom betroffenen Vertragsstaat in Form einer einstweiligen Maßnahme verlangt, die Ausweisung der Beschwerdeführerin bis zur Entscheidung der Beschwerde durch den Ausschuss auszusetzen.1058 Vergleichbare Anordnungen trifft der Frauenrechtsausschuss seitdem in Fällen zum Prinzip des Non-Refoulement regelmäßig. Nach Artikel 5 Abs. 2 FP FRK sowie Regel Nr. 63 Abs. 4 der Verfahrensregeln des Frauenrechtsausschusses soll die Anordnung einstweiliger Maßnahmen keine Indizwirkung für den Ausgang des Individualbeschwerdeverfahrens haben. Das zeigt sich in der Praxis daran, dass der Ausschuss auch in vielen Individualbeschwerden, die er im Ergebnis als unzulässig ablehnt, zuvor einstweilige Maßnahmen angeordnet 1055 1056 1057 1058
CEDAW, A. S. v. Denmark, 080/2015, 26. Februar 2018. CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014. Artikel 5 Abs. 1 FP FRK, i. V. m. Artikel 63 Abs. 1 – 3 CEDAW, Rules of Procedure. CEDAW, N. S. F. v. United Kingdom, 010/2005, § 1.3.
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hat.1059 Der Frauenrechtsausschuss hat aber auch schon die Bitten von Beschwerdeführerinnen um einstweilige Maßnahmen zur Verhinderung ihrer Abschiebung abgelehnt, wenn er die Beschwerden im Ergebnis als unsubstantiiert zurückgewiesen hat.1060 Objektive Kriterien, wann der Ausschuss einstweilige Maßnahmen anordnet und wann nicht, sind nicht ersichtlich. Da einstweilige Maßnahmen ausdrücklich im FP FRK vorgesehen sind, stellt die Nichtbefolgung angeordneter einstweiliger Maßnahmen einen Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 2 FP FRK dar. Der Frauenrechtsausschuss ist aber auch schon über die bloße Feststellung der Nichteinhaltung seiner angeordneten Maßnahmen hinausgegangen indem er einem Vertragsstaat vorgeworfen hat, er verfüge nicht über die rechtlichen Mittel, um die angeordneten Maßnahmen in zufriedenstellender Weise umzusetzen.1061 In einem anderen Fall hat der Frauenrechtsausschuss den Vertragsstaat ausdrücklich dafür gelobt, die angeordneten einstweiligen Maßnahmen umgesetzt und die Beschwerdeführerin nicht abgeschoben zu haben.1062 Ein Grund für diese einmalige Praxis ist nicht ersichtlich. b) Beweislast: Darlegung des Bestehens einer Gefahr der geschlechterspezifischen Gewalt Eine Frau, die eine Individualbeschwerde vor dem Frauenrechtsausschuss erhebt, trägt zunächst die Beweislast, muss also prima facie darlegen, dass ihr im Zielstaat geschlechterspezifische Gewalt droht.1063 Nicht erforderlich ist, dass die Beschwerdeführerin weiß, von wem und aus welchem Grund die Gefahr der geschlechterspezifischen Gewalt im Zielstaat ausgeht, solange sie darlegen kann, dass eine solche Gefahr besteht.1064 Der Frauenrechtsausschuss nimmt weit überwiegend nur solche Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement zur Entscheidung in der Sache an, in denen er im Ergebnis eine Rechtsverletzung bejaht. In aller Regel lehnt er Beschwerden, in denen er keine Rechtsverletzung feststellt, bereits mangels Substantiierung als unzulässig ab. Die Anforderungen an die Darlegung eines Risikos durch die Beschwerdeführerin sind damit sehr hoch. Hierbei reicht nicht die Darstellung einer schlechten
1059 Etwa CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011; CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/ 2011; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013. Auch hat er im Fall einer solchen unzulässigen Beschwerde schon die Bitte des Staates um Aufhebung der einstweiligen Maßnahme abgelehnt, CEDAW, A. S. v. Denmark, 080/2015, § 1.4. 1060 CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 1.2; CEDAW, M. C. v. Denmark, 056/2013, 09. November 2015, § 1.2. 1061 CEDAW, A. T. v. Hungary, 002/2003, 26. Januar 2005, § 9.5. 1062 CEDAW, A. R. I. v. Denmark, 096/2015, 25. Februar 2019, § 9. 1063 Ständige Praxis seit CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.10. 1064 CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, §§ 9.3, 9.6.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat. Grundsätzlich muss hierüber hinaus der Nachweis der persönlichen Betroffenheit erfolgen.1065 Das bedeutet jedoch nicht, dass den Vertragsstaat keinerlei Beweislast trifft. Wenn von einer Beschwerdeführerin das nationale Risikobewertungsverfahren, etwa ein Asylverfahren, gerügt wird, ist nach Ansicht des Frauenrechtsausschusses im Rahmen dieses nationalen Asylverfahrens die Pflicht zur Feststellung und Bewertung aller relevanten Tatsachen zwischen der asylsuchenden Frau und dem Vertragsstaat geteilt. Es müsse dabei nicht überwiegend wahrscheinlich, sondern lediglich plausibel sein, dass für die Frau ein Asylgrund bestehe.1066 Das bedeutet auch, dass den Vertragsstaat in einigen Fällen eine Pflicht zur Ausschöpfung aller ihm zu Verfügung stehenden Mittel trifft, um den Asylantrag unterstützende Nachweise zu erbringen.1067 Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Antragstellerin selbst die Erbringung von Nachweisen nicht möglich ist, etwa weil es in ihrem Herkunftsstaat üblich ist, dass Frauen keine Dokumente jeglicher Art besitzen oder weil die allgemeine Lage im Zielstaat es nicht zulässt, als Privatperson an Unterlagen etwa von Polizei, Gerichten oder medizinischen Einrichtungen zu gelangen.1068 Beschwerdeführerinnen ziehen zur Darstellung der allgemeinen Menschenrechtslage auch Abschließende Bemerkungen des Frauenrechtsausschusses1069 sowie anderer VN-Vertragsorgane1070 zu dem jeweiligen Zielstaat heran. Dieser Hinweis auf die allgemeine Lage im Zielstaat kann etwa ausreichen, um darzustellen, dass der Zielstaat nicht ausreichend vor Gefahren schützt, die von privaten Akteuren ausgehen.1071 Der Vertragsstaat muss auch dann, wenn er die Darstellungen der Beschwerdeführerin für unglaubwürdig hält, die allgemeine Menschenrechtslage im Zielstaat berücksichtigen.1072 Es ist nach Ansicht des Frauenrechtsausschusses grundsätzlich Sache des Staates, vor Gefahren auf seinem Territorium zu schützen. Damit trägt eine Beschwerdeführerin für fehlenden Schutz durch den Zielstaat eine umso geringere Beweislast, umso mehr strukturelle Probleme in dem Staat bekannt sind. Der Vertragsstaat muss deshalb zum Beispiel beachten, dass nicht nur mangelndes Vertrauen in das Justizsystem ein Grund sein kann, im Herkunftsstaat keine Hilfe gesucht zu haben. Frauen können diese auch aus Angst vor Missbrauch, Belästigung oder gar Ver1065
CEDAW, S. J. A. v. Denmark, 079/2014, § 9.9. CEDAW, General Recommendation No. 32, § 50 (g). 1067 Ebenda, § 50 (h). 1068 Ebenda, § 43; CEDAW, A. M. v. Denmark, 077/2014, § 7.5. 1069 CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, § 7.4. 1070 CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015; CEDAW, K. I. A. v. Denmark, 082/ 2015, 04. November 2019. 1071 CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, § 9.4. 1072 CEDAW, S. A. O. v. Denmark, 101/2016, § 6.10. 1066
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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geltung nicht gesucht haben.1073 Wenn der Vertragsstaat andererseits Argumente vorbringt, dass Schutzmöglichkeiten im Zielstaat bestehen, muss die Beschwerdeführerin diese entkräften, damit der Frauenrechtsausschuss die Beschwerde als hinreichend substantiiert ansieht.1074 Wenn der Vertragsstaat allerdings die Echtheit von Dokumenten bezweifelt, welche die Beschwerdeführerin im nationalen Verfahren vorlegt, dann trifft ihn die Pflicht, die Echtheit der Dokumente zu prüfen.1075 In seiner General Recommendation Nr. 32 zu den geschlechterspezifischen Dimensionen von Flüchtlingsstatus, Asyl, Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit von Frauen hat der Frauenrechtsausschuss festgehalten, dass Vertragsstaaten im Rahmen ihrer Asylverfahren berücksichtigen müssen, dass Frauen aufgrund von Scham, Stigma oder Trauma die tatsächlichen Ausmaße der im Herkunftsstaat erlebten oder befürchteten Verfolgung nur zögerlich preisgeben.1076 Zum Beispiel sollen im Asylverfahren erst spät erwähnte Erlebnisse sexueller Gewalt oder anderer traumatischer Erlebnisse nicht automatisch zur Einschätzung der Asylbewerberin als unglaubwürdig führen.1077 Eine asylsuchende Frau könne auch nicht schon deshalb als unglaubwürdig angesehen werden, weil ihr Unterlagen zum Nachweis ihrer Verfolgung fehlen.1078 Trotz dieser klaren Angaben in seiner General Recommendation, dass Widersprüchlichkeit nachvollziehbare Gründe haben kann und nicht per se zur Unglaubwürdigkeit der Frau führen sollte, hat der Frauenrechtsausschuss in der weit überwiegenden Zahl der Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement die Argumentation der Vertragsstaaten akzeptiert, die Frau habe sich im nationalen Verfahren als unglaubwürdig erwiesen.1079 So hat er etwa einem Staat recht gegeben, dass es widersprüchlich sei, Bilder von Verletzungen nicht von Anfang an vorzulegen und dass dieses Verhalten die Beschwerdeführerin unglaubwürdig erscheinen lasse.1080 Auch nimmt der Frauenrechtsausschuss in seiner Praxis zu Individualbeschwerden keinerlei Rücksicht auf die Auswirkungen von Trauma auf die Beschwerdeführerinnen. Anders als in der Praxis des Ausschusses gegen Folter und des
1073
CEDAW, General Recommendation No. 32, § 29; CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, §§ 8.1 – 8.9. 1074 CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, § 7.11. 1075 CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 8.6. 1076 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 25. 1077 Ebenda, § 50 (i). 1078 Ebenda, § 43. 1079 CEDAW, N. M. v. Denmark, 078/2014, § 6.8; CEDAW, M. K. M. v. Denmark, 081/2015, 29. Oktober 2018, § 10.8; CEDAW, A. R. I. v. Denmark, 096/2015, § 10.6; CEDAW, A. N. A. v. Denmark, 094/2015, 15. Juli 2019, § 8.5; CEDAW, K. I. A. v. Denmark, 082/2015, § 9.5. 1080 CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, § 7.12.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Menschenrechtsausschusses1081 hatte in den bisherigen Individualbeschwerden vor dem Frauenrechtsausschuss die Bescheinigung einer posttraumatischen Belastungsstörung keinerlei Auswirkungen auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin.1082 Ein Grund dafür, dass der Frauenrechtsausschuss so großzügig der Einschätzung der Vertragsstaaten bezüglich der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin folgt ist, dass er, wie auch andere VN-Vertragsorgane, seinen eigenen Überprüfungsmaßstab stark einschränkt. So will auch der Frauenrechtsausschuss keine übergeordnete Instanz des nationalen Verfahrens sein und überprüft das nationale Risikobewertungsverfahren lediglich daraufhin, ob dieses offensichtlich willkürlich ist oder eine Rechtsverweigerung darstellt. Zusätzlich räumt er sich über die Praxis anderer Vertragsorgane hinausgehend eine Überprüfungskompetenz dann ein, wenn die Risikobewertung eine Diskriminierung von Frauen darstellt.1083 Bisher hat der Frauenrechtsausschuss keine Entscheidung dazu getroffen, wann ein Risikobewertungsverfahren voreingenommen ist oder auf Geschlechterstereotypen basiert, so dass auch nicht erkennbar ist, ob eine solche geschlechtsbezogene Voreingenommenheit stets eine Diskriminierung von Frauen in diesem Sinne darstellen würde. Diese Formulierung ist aber ein geeigneter Anknüpfungspunkt, die eigene Überprüfungskompetenz bei Bedarf auszuweiten, da die Schwelle geschlechtsbezogener Voreingenommenheit denkbar niedriger ist als jene der Willkür oder der Rechtsverweigerung.1084 Der Frauenrechtsausschuss scheint derzeit aber seine Überprüfungskompetenz eher weiter einzuschränken. So gelangt er in einigen Individualbeschwerdeverfahren zu dem Schluss, er habe sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das nationale Risikobewertungsverfahren insofern Unregelmäßigkeiten (,irregularity‘) aufweise, als der Vertragsstaat die Gefahr schwerer Formen geschlechterspezifischer Gewalt falsch eingeschätzt habe.1085 Mit der Beschränkung auf Unregelmäßigkeiten deutet der Frauenrechtsausschuss an, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Beschwerdeführerin nicht über die Rüge des Verstoßes gegen das Prinzip des Non-Refoulement hinaus auch eine geschlechterspezifische Diskriminierung durch das Verfahren
1081
Siehe oben Kapitel D. I. 2. b) und D. II. 2. b). CEDAW, A. M. v. Denmark, 077/2014; CEDAW, R. A. O. v. Switzerland, 122/2017, 06. Juli 2020. 1083 CEDAW, A. M. v. Denmark, 077/2014, § 8.4; CEDAW, N. M. v. Denmark, 078/2014, § 8.6; CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, § 7.7; CEDAW, A. N. A. v. Denmark, 094/2015, § 8.4; CEDAW, A. R. I. v. Denmark, 096/2015, § 10.4; CEDAW, F. H. A. v. Denmark, 108/2016, 17. Februar 2020, § 6.8; CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018, § 6.8. 1084 B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (378). 1085 CEDAW, S. J. A. v. Denmark, 079/2014, § 7.8; CEDAW, A. S. v. Denmark, 080/2015, § 8.7; CEDAW, S. A. O. v. Denmark, 101/2016, § 6.9; CEDAW, S. F. A. v. Denmark, 085/2015, § 9.7; CEDAW, K. I. A. v. Denmark, 082/2015, § 9.3. 1082
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selbst explizit gerügt hat,1086 der Ausschuss davon ausgeht, dass die nationalen Risikobewertungsverfahren grundsätzlich mit dem Prinzip des Non-Refoulement vereinbar sind. Er hält sich also nicht für generell zuständig, den innerstaatlichen Rechtsrahmen von Risikobewertungsverfahren zu überprüfen. c) Beweismaß: Wahrscheinlichkeit drohender geschlechterspezifischer Gewalt In seiner ersten Individualbeschwerde, in der sich der Frauenrechtsausschuss zum Prinzip des Non-Refoulement äußerte, war nicht klar verständlich, welches Maß an Wahrscheinlichkeit des tatsächlichen Eintretens der befürchteten Rechtsverletzung er verlangte. So teilte er zunächst die Auffassung anderer VN-Vertragsorgane, wonach eine tatsächliche, persönliche und vorhersehbare Gefahr der Rechtsverletzung bestehen müsse. Er verlangte ferner, dass die Verletzung der Konventionsrechte der Beschwerdeführerin notwendige und vorhersehbare Konsequenz der Aufenthaltsbeendigung sein müsse.1087 Damit greift der Frauenrechtsausschuss einen Standard auf, welchen der Menschenrechtsausschuss in seiner frühen Praxis verwendet und verworfen hat.1088 In seiner General Recommendation Nr. 32, welche der Ausschuss nur kurze Zeit nach seiner ersten Entscheidung einer Individualbeschwerde zum Prinzip des NonRefoulement veröffentlichte, fand er die Gelegenheit, diesen Fehler zu korrigieren und einen neuen, realistischen Standard für das Beweismaß zu finden. Zugleich betont er hier, dass – anders als bisher formuliert – das Prinzip des Non-Refoulement nur bei drohender Verletzung grundlegender Rechte aus der FRK Anwendung findet.1089 Eine tatsächliche, persönliche und vorhersehbare Gefahr besteht wohl dann nicht, wenn die bereits erlebte geschlechterspezifische Gewalt, die der Grund zur Annahme ist, dass eine solche Misshandlung erneut drohen wird, lange her ist. So hat der Frauenrechtsausschuss bei Beschwerden, in denen die Beschwerdeführerin fünf Jahre vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat zuletzt geschlechterspezifische Gewalt erlebt hatte, einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement verneint.1090 Etwas anderes kann gelten, wenn die Gefahr über einen reinen privaten Rahmen der häuslichen Gewalt hinaus geht. So hat der Frauenrechtsausschuss jedenfalls die Beschwerde einer Frau als hinreichend substantiiert angesehen, deren 1086 Beschwerden können sich gegen Diskriminierung im Staat, welcher die aufenthaltsbeendende Maßnahme erlässt, und gegen befürchtete Diskriminierung im Zielstaat richten. Auch Beschwerden gegen beides sind möglich, siehe etwa CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/ 2013; CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014. 1087 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.10. 1088 Siehe oben Kapitel D. II. 2. b). 1089 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 22. 1090 CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 6.8; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 9.6.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ehemaliger Ehemann Mitglied der Miliz Al Shabaab ist, da sich hieraus eine hohe Wahrscheinlichkeit der Wiederholung ergebe.1091 d) Entlastung des Vertragsstaates aa) Durchführung eines nichtdiskriminierenden Verfahrens Die Frage, ob die Frau aufgrund ihres Geschlechts im nationalen Risikobewertungsverfahren diskriminiert wurde und die Frage, ob die Bewertung des Risikos geschlechterspezifischer Gewalt im Zielstaat in einem willkürlichen oder rechtsverweigernden Verfahren erfolgt ist, überschneiden sich häufig.1092 Während der Frauenrechtsausschuss sich nur in sehr eingeschränktem Maße eine eigene Überprüfungskompetenz des nationalen Risikobewertungsverfahrens zum Prinzip des Non-Refoulement einräumt, macht er zugleich detaillierte Angaben dazu, wie ein nichtdiskriminierendes Asylverfahren abzulaufen hat. Da jedenfalls dann, wenn eine Frau Asyl beantragt, das Asylverfahren zugleich das Risikobewertungsverfahren mit Blick auf das Prinzip des Non-Refoulement ist, macht der Frauenrechtausschuss hiermit zugleich auch Vorgaben für solche Risikobewertungsverfahren. So hat er in seiner aktuellen General Recommendation zur geschlechterspezifischen Gewalt festgestellt, dass das Recht auf Zugang zu nichtdiskriminierenden Gerichtsverfahren sowie sonstigen Schutzmaßnahmen auch mit Bezug auf die staatliche Pflicht zur Einhaltung des Prinzips des Non-Refoulement gelte.1093 Diese paradoxe Betrachtung der eigenen Überprüfungskompetenz führt auch innerhalb des Frauenrechtsausschusses zu unterschiedlichen Herangehensweisen an das Prinzip des Non-Refoulement. Das zeigt etwa ein abweichendes Votum zu einer frühen Individualbeschwerde. Während die Mehrheit der Ausschussmitglieder die Beschwerde mangels Rechtswegerschöpfung abgewiesen hatte, weil die Beschwerdeführerin auf nationaler Ebene keine Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts gerügt habe, hielten die Ausschussmitglieder Sˇ imonovic´, Halperin-Kaddari, Neubauer und Pimentel nicht nur die Beschwerde für zulässig. Die Autorinnen des Votums gingen vielmehr davon aus, dass die Rechtsverletzung des Vertragsstaates gerade darin liege, dass er selbst die von der Beschwerdeführerin geschilderten Fakten nicht unter dem Aspekt der Diskriminierung der Frau bewertet habe. Durch diesen Verfahrensfehler habe er seine Pflichten aus dem Prinzip des NonRefoulement verletzt.1094 1091
CEDAW, A. M. v. Denmark, 077/2014, § 7.5. Siehe etwa CEDAW, F. H. A. v. Denmark, 108/2016, §§ 6.9, 6.10. 1093 CEDAW, General Recommendation No. 35 on gender-based violence against women, 26. Juli 2017, CEDAW/C/GC/35, § 31 (b). Siehe auch CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, abweichendes Votum Sˇ imonovic´, Halperin-Kaddari, Neubauer und Pimentel, § 10. 1094 CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, abweichendes Votum Sˇ imonovic´, HalperinKaddari, Neubauer und Pimentel, § 16. 1092
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Wie bereits erwähnt, hat sich der Frauenrechtsausschuss bislang nicht dazu geäußert, ob er als relevanten Zeitpunkt zur Beurteilung des Refoulement-Risikos den letzten Zeitpunkt der nationalen Entscheidung oder den Zeitpunkt der eigenen Befassung mit der Beschwerde heranzieht. Dass er dem nationalen Verfahren einen hohen Wert beimisst und sich nur in Ausnahmefällen für zuständig hält, nationale Risikobewertungsverfahren zu überprüfen, lässt vermuten, dass der Frauenrechtsausschuss den Zeitpunkt der letzten nationalen Entscheidung für relevant hält. Hierfür spricht auch, dass der Ausschuss in seiner General Recommendation Nr. 32 festgehalten hat, ein Vertragsstaat verstoße bereits dann gegen die FRK, wenn seine letzte Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung unabhängig vom Vollzug dieser Entscheidung hiergegen verstoße.1095 Hiergegen spricht allerdings, dass der Frauenrechtsausschuss in einer im Jahr 2014 erhobenen und 2018 entschiedenen Individualbeschwerde seine Entscheidung unter anderem darauf gestützt hat, dass der Staat im Jahr 2016 neue Informationen über eine Verbesserung der Lage in der Zielregion der Beschwerdeführerin beigebracht hatte.1096 bb) Interne Fluchtalternative Auch vor dem Frauenrechtsausschuss haben Staaten das Argument vorgebracht, es bestünden für die Beschwerdeführerin interne Fluchtalternativen. Der Frauenrechtsausschuss akzeptiert grundsätzlich das Prinzip der internen Fluchtalternative. Wenn Frauen allerdings aus rechtlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Gründen benachteiligt oder gezielt verfolgt werden, stellt der Ausschuss erhöhte Anforderungen an den Staat, die tatsächliche Möglichkeit der internen Flucht zu prüfen, da hiermit verbunden ist, dass die Frau alleine und ohne die Unterstützung ihrer Familie oder Gemeinschaft leben muss, was neue Formen der geschlechterspezifischen Diskriminierung für sie bedeuten kann.1097 Im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren hat der Ausschuss allerdings entschieden, dass die Beschwerdeführerin Gründe gegen die Möglichkeit der internen Fluchtalternative vorbringen muss.1098 3. Materielles Schutzgut Der Frauenrechtsausschuss unterscheidet zwar zwischen dem flüchtlingsrechtlichen Begriff des Non-Refoulement und dem menschenrechtlichen Prinzip des NonRefoulement. In seiner Praxis spielen aber beide Begriffe eine Rolle. Insbesondere da der Ausschuss bislang fast ausschließlich solche Individualbeschwerden entschieden 1095 1096 1097 1098
CEDAW, General Recommendation No. 32, § 22. Siehe auch unten Kapitel D. VI. 4. CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, §§ 6.3, 7.12. CEDAW, General Recommendation No. 32, § 28. CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 9.6.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
hat, in denen die Beschwerdeführerinnen im nationalen Asylverfahren gescheitert sind, vermischt er in seiner Praxis häufig beide Begriffe. Als der Frauenrechtsausschuss im Jahr 2013 seine erste Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement entschied, hatte er sich zuvor noch nicht zu dem Prinzip geäußert. Seine erste Erwähnung des Prinzips ist keine Definition von Inhalt und Reichweite des Prinzips nach der FRK. Vielmehr hält der Frauenrechtsausschuss zunächst fest, was er für einen allgemeinen Standard des internationalen Menschenrechtsschutzes hält: „The Committee further notes that, under international human rights law, the principle of non-refoulement imposes a duty on States to refrain from returning a person to a jurisdiction in which he or she may face serious violations of human rights, notably arbitrary deprivation of life or torture or other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment. The principle of non-refoulement also constitutes an essential component of asylum and international refugee protection. The essence of the principle is that a State may not oblige a person to return to a territory in which he or she may be exposed to persecution, including genderrelated forms and grounds of persecution.“1099
Während die ersten beiden Sätze vermuten lassen, dass der Frauenrechtsausschuss eine klare Unterscheidung zwischen einem menschenrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement und einem flüchtlingsrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement macht, fasst er dann im dritten Satz die Essenz des materiellen Schutzgutes des Prinzips des Non-Refoulement doch mit ,Verfolgung‘ zusammen,1100 eine Bezeichnung, die außerhalb des internationalen Flüchtlingsrechts keine Relevanz hat. Der materielle Schutzumfang, welchen der Frauenrechtsausschuss als allgemeinen Standard des internationalen Menschenrechtsschutzes festhält, ist bemerkenswert. Demnach verbiete das Prinzip des Non-Refoulement Aufenthaltsbeendigungen dann, wenn einer Person schwere Menschenrechtsverletzungen, wie zum Beispiel eine Verletzung des Rechts auf Leben, Folter oder andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen. Der Frauenrechtsausschuss verweist an dieser Stelle auf keine externe Quelle. Die Formulierung orientiert sich offensichtlich inhaltlich an den Artikeln 6 und 7 IPbpR. Gleichzeitig gibt die Formulierung aber nicht den Standard des Menschenrechtsausschusses wieder, der ja nicht auf die Schwere der Menschenrechtsverletzung, sondern auf die Frage eines hierdurch entstehenden irreparablen Schadens abstellt. Weiter stellt der Frauenrechtsausschuss hier fest, dass das allgemeine menschenrechtliche Prinzip des Non-Refoulement in zwei Fällen absolut sei: Wenn Folter droht und wenn eine Verletzung des Rechts auf Leben droht. Der Schutz dieser beiden Rechte sei Teil des Völkergewohnheitsrechts.1101
1099
CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.8. So auch CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, § 8.7; CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 6.4; CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, § 8.6. 1101 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.9. 1100
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Der Frauenrechtsausschuss führt in der zitierten Individualbeschwerde sodann den völkergewohnheitsrechtlichen Standard des Verbots geschlechterspezifischer Gewalt aus. Der Begriff der geschlechterspezifischen Gewalt ist ebenfalls nicht ausdrücklich in der FRK enthalten. Hierzu verfügt der Frauenrechtsausschuss aber über eine langjährige Praxis im Rahmen seiner General Recommendations.1102 Zur Frage der Bewertung des Verbots geschlechterspezifischer Gewalt als Teil des Völkergewohnheitsrechts zitiert der Frauenrechtsausschuss neben der Praxis des Ausschusses gegen Folter und des Menschenrechtsausschusses auch den EGMR und den IAGMR. Darüber hinaus zieht er auch das Römische Statut sowie die Statuten der internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda heran.1103 Nach dieser ausführlichen Ermittlung eines internationalen Standards des Prinzips des Non-Refoulement und der Einordnung geschlechterspezifischer Gewalt in der FRK und im internationalen Recht gelangt der Frauenrechtsausschuss zu folgendem Schutz vor Refoulement nach der FRK: „This positive duty encompasses the obligation of States parties to protect women from being exposed to a real, personal and foreseeable risk of serious forms of gender-based violence, irrespective of whether such consequences would take place outside the territorial boundaries of the sending State party.“1104
Der Frauenrechtsausschuss erkennt also im Rahmen der FRK einen Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen nur für Fälle an, in denen schwere Formen der geschlechterspezifischen Gewalt drohen. Nach dieser Definition steht fest, dass der Frauenrechtsausschuss sich nicht am Menschenrechtsausschuss orientiert, was das Abstellen auf die Gefahr eines irreparablen Schadens durch eine Rechtsverletzung angeht. Vielmehr ist für den Frauenrechtsausschuss die Gefahr einer schweren Rechtsverletzung entscheidend. Ebenfalls klar ist nach dieser Definition, dass sich das Prinzip des Non-Refoulement nach der FRK nicht auf ein einzelnes in der FRK kodifiziertes Recht beschränken lässt. Der Frauenrechtsausschuss hat sich in vielen Formen zum Begriff der geschlechterspezifischen Gewalt geäußert und dabei verdeutlicht, dass diese vielseitig ist und eine Verletzung einer Vielzahl von Rechten bedeuten kann.1105 1102
Zur Bedeutung des Begriffs der geschlechterspezifischen Gewalt in der Praxis des Frauenrechtsausschusses siehe S. Joseph/K. Mitchell/L. Gyorki/C. Benninger-Budel, Seeking remedies for torture victims, 301 f. 1103 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, Fn. 28. Während das Verbot der staatlichen Anwendung von Gewalt gegen Frauen unproblematisch völkergewohnheitsrechtliche Geltung hat, gilt dies allerdings nicht für staatliche Pflichten zur Prävention geschlechterspezifischer Gewalt. Zu Inhalt und Umfang der völkergewohnheitsrechtlichen staatlichen Pflichten mit Bezug auf das Verbot geschlechterspezifischer Gewalt siehe Henn E. V. International Human Rights Law and Structural Discrimination, 2019, 165 ff. 1104 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.10. 1105 Siehe zuletzt CEDAW, General Recommendation No. 35.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Offen bleibt nach dieser Definition allerdings, was schwere Formen der geschlechterspezifischen Gewalt sind. Kanada hat in einem Individualbeschwerdeverfahren argumentiert, dass nur solche Formen der geschlechterspezifischen Gewalt schwer sein können, die zu einem irreparablen Schaden führen.1106 Leider hat der Frauenrechtsausschuss hierzu nicht Stellung genommen.1107 Der Frauenrechtsausschuss geht davon aus, dass diese Frage stets eine Frage des Einzelfalls ist, die in der Hauptsache jeder einzelnen Individualbeschwerde von dem Ausschuss untersucht werden müsse.1108 Der Frauenrechtsausschuss hat auf die zwischen 2011 und 2013 anhängig gemachten Individualbeschwerden schnell reagiert und im Jahr 2014 die General Recommendation Nr. 32 zu den geschlechterspezifischen Dimensionen von Flüchtlingsstatus, Asyl, Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit von Frauen beschlossen, in der er seine bis dahin bestehende Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement wiederholt und kontextualisiert.1109 Hierbei nimmt er immer wieder Bezug auf die GFK und die Rechte Geflüchteter. Er betont die Bedeutung der FRK für Geflüchtete und Staatenlose. Die Bestimmungen der FRK stärkten und ergänzten das internationale Rechtsschutzsystem für Geflüchtete und staatenlose Frauen und Mädchen, insbesondere weil in den einschlägigen internationalen Abkommen (GFK und Abkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit) keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Gleichstellung der Geschlechter enthalten seien.1110 Da Artikel 1 A Abs. 2 GFK eine abschließende Liste möglicher Verfolgungsgründe beinhalte und diese das Geschlecht nicht berücksichtigen, sei es Aufgabe des Frauenrechtsausschusses sicherzustellen, dass Vertragsstaaten in Asylverfahren zur Feststellung des Flüchtlingsstatus im Sinne der GFK geschlechtersensibel agieren.1111 Da sich also der Frauenrechtsausschuss sowohl für zuständig hält, Verfahren nach Maßgabe der GFK zu überprüfen als auch hierüber hinaus Frauen Schutz vor Refoulement zu bieten, ist seine Definition des Prinzips des Non-Refoulement eine Mischung aus dem flüchtlingsrechtlichen und dem menschenrechtlichen Begriff. Daraus ergibt sich aus Sicht des Ausschusses ein Verbot der Aufenthaltsbeendigung, wenn das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit und Sicherheit der Frau bedroht wäre, oder wo ihr schwere Formen der Diskriminierung drohen,
1106
CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 7.3. Diese Auffassung Kanadas wäre auch mit Blick auf die General Recommendation Nr. 32 des Ausschusses gut vertretbar, CEDAW, General Recommendation No. 32, § 21. 1108 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.10; CEDAW, General Recommendation No. 32, § 23. 1109 CEDAW, General Recommendation No. 32. 1110 Ebenda, § 10. 1111 Ebenda, § 13. 1107
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einschließlich schwerer Formen geschlechtsspezifischer Verfolgung oder geschlechtsspezifischer Gewalt.1112 In seiner ersten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement, in welcher der Frauenrechtsausschuss eine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin bejaht hat, begründet der Ausschuss konsequent seine Feststellung einer Verletzung damit, dass er das Asylverfahren als willkürlich bewertet. Er verweist den Staat entsprechend auf Vorgaben des UNHCR zu geschlechtersensiblen Asylverfahren.1113 Interessant ist, dass der Frauenrechtsausschuss in dieser General Recommendation auch den materiellen Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement weiter fasst als in seiner vorherigen Praxis. Demnach greife das Verbot nicht nur bei drohender geschlechterspezifischer Gewalt, sondern auch dann, wenn Frauen ihr Leben, ihre körperliche Unversehrtheit, ihre Freiheit und ihre Sicherheit bedroht sehen. Allerdings hat der Frauenrechtsausschuss in nach Erscheinen der General Recommendation Nr. 32 entschiedenen Individualbeschwerden seine Überprüfungskompetenz erneut auf die Gefahr der geschlechterspezifischen Gewalt beschränkt.1114 Auch hat der Ausschuss in einem Fall, in welchem der Beschwerdeführerin möglicherweise im Zielstaat die Todesstrafe drohte, diese Gefahr erneut unter den Begriff der geschlechterspezifischen Gewalt gefasst, ohne zu erläutern, ob und inwieweit die Verhängung der Todesstrafe im Zusammenhang mit dem Geschlecht der Beschwerdeführerin stand.1115 Während zunächst aus dem Selbstverständnis des Frauenrechtsausschusses hervorgeht, dass dieser keine strenge Unterscheidung zwischen dem Prinzip des NonRefoulement nach der GFK und einem menschenrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement vornimmt, ändert sich das, sobald die Beschwerdeführerin nicht in den personellen Anwendungsbereich der GFK fällt. Hier müsste der Frauenrechtsausschuss differenzieren. Das tut er aber bislang nicht. Weder hat er in zwei Individualbeschwerden von Palästinenserinnen, die möglicherweise nach Artikel 1 D GFK keine Flüchtlinge im Sinne der GFK sind, eine Unterscheidung zu anderen Beschwerden vorgenommen, etwa durch den Verzicht auf die Verwendung der Bezeichnung ,Verfolgung‘1116 noch hat er in seinem ersten Verfahren nach der DublinIII-Verordnung eine Anpassung seiner Formulierungen vorgenommen.
1112
Ebenda, § 23. CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, §§ 9.3, 9.5. 1114 CEDAW, M. K. M. v. Denmark, 081/2015, § 10.5; CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 7.7. 1115 CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, § 7.10. 1116 CEDAW, K. I. A. v. Denmark, 082/2015; CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/ 2015. 1113
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Insbesondere die häufig verwendete Formulierung, die Vertragsstaaten hätten das Recht, ihr eigenes Asylverfahren zu gestalten, passt hier nicht.1117 Diese an die Praxis des UNHCR angelehnte Formulierung hat keinen Bezug zu den sogenannten DublinVerfahren. Es geht in diesen gerade nicht um das wegen der Vorgaben der Dublin-IIIVerordnung nicht durchgeführte Asylverfahren, sondern um das Risikobewertungsverfahren, also die Frage, ob es mit dem Prinzip des Non-Refoulement vereinbar ist, die Beschwerdeführerin zum Zwecke der Durchführung ihres Asylverfahrens in einen anderen europäischen Staat zurückzuführen. Das ist im vorliegenden Fall zwar in der Sache überzeugend bejaht worden, aber der Frauenrechtsausschuss zeigt mit dieser Entscheidung auch, dass er nicht in der Lage ist, das Prinzip des NonRefoulement von der Frage der Rechtmäßigkeit eines Asylverfahrens zu trennen. a) Begriff der geschlechterspezifischen Gewalt Die FRK enthält nicht nur keine explizite Kodifikation des Prinzips des NonRefoulement, des Verbots der Folter oder vergleichbarer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder ein Recht auf Leben. Sie enthält auch kein explizites Verbot der geschlechterspezifischen Gewalt. Der Frauenrechtsausschuss hat geschlechterspezifische Gewalt bereits in seiner General Recommendation Nr. 19 im Jahr 1992 als Form der Diskriminierung von Frauen im Sinne des Artikel 1 FRK anerkannt. Hier nannte er auch erstmals Beispiele für Formen geschlechterspezifischer Gewalt. Diese umfasse neben dem Zufügen physischen Schadens oder Leids auch solches Leid psychischer und sexueller Art sowie die Drohung mit solchen Taten, Nötigung und Freiheitsberaubung.1118 Diese Definition der geschlechterspezifischen Gewalt wurde ein Jahr nach Veröffentlichung der General Recommendation Nr. 19 auch von der VN-Generalversammlung zur Definition des Begriffs der Gewalt gegen Frauen in der VN-Erklärung zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen verwendet.1119 Die General Recommendation Nr. 19 enthält zahlreiche weitere Beispiele dafür, was geschlechterspezifische Gewalt ist. Hierzu gehören Gewalt innerhalb der Familie wie häusliche Gewalt und Missbrauch, Gewalt aus traditionellen oder kulturellen Gründen wie Zwangsheirat, Mitgiftmord oder Genitalverstümmelung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Übergriffe, die Verletzung reproduktiver Rechte, etwa durch Zwangssterilisierung oder Abtreibung oder Verweigerung des Zugangs zu reproduktiver Gesundheit sowie Frauenhandel und Ausbeutung durch Prostitution. 1117 Vgl. etwa CEDAW, A. N. A. v. Denmark, 094/2015, § 8.4; CEDAW, A. R. I. v. Denmark, 096/2015, § 10.4; CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018, § 6.8; CEDAW, R. A. O. v. Switzerland, 122/2017, § 7.4. 1118 CEDAW, General Recommendation No. 19, § 6. 1119 UN General Assembly, Declaration on the Elimination of Violence against Women, 20. Dezember 1993, U.N. Doc. A/RES/48/104, Artikel 1.
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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Ein Verbot der Aufenthaltsbeendigung wegen des Prinzips des Non-Refoulement erkennt der Frauenrechtsausschuss aber lediglich bei schweren Formen geschlechterspezifischer Gewalt an. Zwar geht der Ausschuss davon aus, dass die Frage, was schwere Formen der geschlechterspezifischen Gewalt sind, stets eine Frage des Einzelfalls ist,1120 diese Frage also nur vom Frauenrechtsausschuss selbst im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren entschieden werden kann. Dennoch ergeben sich aus der Praxis des Ausschusses einige Indikatoren dafür, welche Formen der geschlechterspezifischen Gewalt für das Prinzip des Non-Refoulement relevant sein können. In dem gemeinsamen General Comment beziehungsweise General Recommendation von Kinderrechtsausschuss und Frauenrechtsausschuss äußern sich die beiden Ausschüsse zu weiblicher Genitalverstümmelung als schädliche Praktik. Demnach habe Genitalverstümmelung langfristige gesundheitliche Folgen für die Betroffene, einschließlich psychischer Folgen.1121 Jedenfalls der Kinderrechtsausschuss stützt sich auf diese Formulierung um zu begründen, dass bei drohender Genitalverstümmelung ein Verbot der Aufenthaltsbeendigung wegen des Prinzips des NonRefoulement besteht.1122 Auch andere hier aufgelistete schädliche Praktiken scheinen geeignet zu sein, ein Refoulementverbot auszulösen. So zeigen Kinderrechtsausschuss und Frauenrechtsausschuss etwa Zusammenhänge zwischen Muttersterblichkeit und Suizidraten bei verheirateten Kindern auf,1123 und betonen die Lebensgefahr bei drohenden sogenannten Taten zur Wiederherstellung der Familienehre.1124 Schließlich nennt der Frauenrechtsausschuss in seiner General Recommendation Nr. 32 zu den geschlechterspezifischen Dimensionen von Flüchtlingsstatus, Asyl, Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit von Frauen als mögliche Asylgründe für Töchter Genitalverstümmelung, Zwangsheirat oder extreme gesellschaftliche Ächtung oder Ausgrenzung aufgrund ihres Geschlechts.1125 Aus der Praxis des Frauenrechtsausschusses im Rahmen von Individualbeschwerden ergeben sich bisher wenige Formen geschlechterspezifischer Gewalt, die der Ausschuss als schwer einstuft. In aller Regel lehnt der Ausschuss Beschwerden bereits als unsubstantiiert ab, so dass dann nicht erkennbar wird, ob die den Beschwerdeführerinnen drohenden Misshandlungen nach Ansicht des Frauenrechtsausschusses schwere Formen der geschlechterspezifischen Gewalt wären. Bisher hat der Ausschuss drei Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement für 1120
CEDAW, General Recommendation No. 32, § 23. CEDAW/CRC, Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child, § 19. 1122 Siehe oben Kapitel D. IV. 3. b). 1123 CEDAW/CRC, Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child, §§ 20 – 24. Siehe auch § 84. 1124 Ebenda, §§ 29, 30. Siehe auch § 84. 1125 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 26. 1121
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
zulässig aber unbegründet befunden und in zwei Fällen eine Verletzung der FRK festgestellt. In einer frühen Beschwerde, die der Frauenrechtsausschuss als unsubstantiiert angesehen hat, nahm ein Teil der Ausschussmitglieder in einem abweichenden Votum eine Verletzung der FRK an, da die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit von drei Männern vergewaltigt worden war und Vergewaltigung, insbesondere Gruppenvergewaltigung, eine für das Prinzip des Non-Refoulement relevante Misshandlung sei.1126 Als hinreichend substantiiert sah der Frauenrechtsausschuss eine Beschwerde an, in welcher die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit regelmäßig von ihrem ersten Ehemann häusliche Gewalt erfahren hatte, wovon sie Narben vorweisen konnte.1127 In einem Fall kontinuierlicher häuslicher Gewalt hat der Ausschuss auch einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement festgestellt.1128 Ebenfalls für hinreichend substantiiert befand der Frauenrechtsausschuss die Beschwerde einer in der Vergangenheit allein wegen ihrer Verbindung zu ihrem Ehemann inhaftierten und gefolterten Frau.1129 In seiner ersten Individualbeschwerde zu einem Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung hat der Ausschuss die Beschwerde nicht nur aufgrund der erlebten sexuellen Übergriffe im Rückführungsstaat Italien bejaht, sondern seine Argumentation auch auf die Erlebnisse im Herkunftsland der Beschwerdeführerin gestützt. Demnach fürchten Opfer sexueller Versklavung zu Recht schwere Formen geschlechterspezifischer Gewalt in Sinne des Prinzips des Non-Refoulement nach dem Frauenrechtsausschuss.1130 Eine weitere Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement hat der Frauenrechtsausschuss für eine Beschwerdeführerin festgestellt, weil sie in der Vergangenheit mehrmals von fremden Männern angegriffen worden war, entweder weil sie als Frau alleine lebt und einen Schönheitssalon betreibt oder weil sie gegen den Willen beider Familien geheiratet hatte, oder auch aus beiden Gründen. Fest stehe jedenfalls, dass die Frau zu Recht eine Verfolgung aufgrund ihres Geschlechts fürchte.1131 Keine schwere Form der geschlechterspezifischen Gewalt ist sexuelle Belästigung. Während der Frauenrechtsausschuss in seiner General Recommendation Nr. 19 sexuelle Belästigung vor allem am Arbeitsplatz problematisierte, erkennt er in seiner neueren General Recommendation Nr. 35 sexuelle Belästigung zwar grundsätzlich als Form der geschlechterspezifischen Gewalt an.1132 In seiner Praxis zum 1126 CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, abweichendes Votum Sˇ imonovic´, HalperinKaddari, Neubauer und Pimentel. 1127 CEDAW, A. M. v. Denmark, 077/2014, § 7.5. 1128 CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 8.7. 1129 CEDAW, N. M. v. Denmark, 078/2014, § 7.5. 1130 CEDAW, R. A. O. v. Switzerland, 122/2017, § 6.7. 1131 CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, § 9.6. 1132 CEDAW, General Recommendation No. 35, § 14.
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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Prinzip des Non-Refoulement hat der Ausschuss dagegen erklärt, nur systematische sexuelle Belästigung könne überhaupt eine Form geschlechterspezifischer Gewalt darstellen.1133 Es ist daher davon auszugehen, dass sexuelle Belästigung, auch in systematischer Form, jedenfalls nicht geeignet ist, eine schwere Form geschlechterspezifischer Gewalt darzustellen. Da geschlechterspezifische Gewalt wie gezeigt ein sehr weiter Begriff ist, der in der Konvention selbst nicht enthalten ist und durch die Praxis des Frauenrechtsausschusses stetig weiter geformt wird, ist der Begriff der schweren Form der geschlechterspezifischen Gewalt umso schwieriger greifbar. Die bisher entschiedenen Individualbeschwerden lassen vermuten, dass der Frauenrechtsausschuss entweder eine solche Behandlung verlangt, die etwa aufgrund ihrer Brutalität schwerwiegende bleibende Folgen hat1134 oder eine dauerhafte Form der geschlechterspezifischen Gewalt, wie die erfolgreichen Beschwerden zur häuslichen Gewalt zeigen. b) Besonderer Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren Der Schutz vor dem Verhalten nichtstaatlicher Akteure spielt im Rahmen der FRK eine besondere Rolle. Die staatlichen Pflichten zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau beziehen sich explizit auch auf jede Form der Diskriminierung durch Private. So besteht zum Beispiel eine allgemeine Pflicht, durch geeignete gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, gegebenenfalls auch Sanktionen, jede Diskriminierung der Frau zu verbieten (Artikel 2 (b) FRK) und alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau durch Personen, Organisationen oder Unternehmen zu ergreifen (Artikel 2 (e) FRK). Die Vertragsstaaten sind dazu verpflichtet, einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau herbeizuführen (Artikel 5 (a) FRK) und müssen Diskriminierungsfreiheit im Berufsleben garantieren (Artikel 11 Abs. 1 FRK).1135 Demnach haben die Vertragsstaaten eine allgemeine Sorgfaltspflicht zur Gewährleistung effektiven Schutzes von Frauen gegen jede Form von Diskriminierung. Entsprechend wird argumentiert, dass auch das Prinzip des Non-Refoulement in seiner Ausgestaltung durch den Frauenrechtsausschuss in besonderer Weise vor Gefahren durch Private schützen müsse.1136
1133
CEDAW, M. S. v. Denmark, 040/2012, § 7.8. Siehe auch CEDAW, M. C. v. Denmark, 056/2013, § 9.4. 1134 So enthält CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/2011, abweichendes Votum Sˇ imonovic´, Halperin-Kaddari, Neubauer und Pimentel, eine Beschreibung der körperlichen und psychischen Folgen von Vergewaltigungen im Allgemeinen und Gruppenvergewaltigungen im Besonderen. 1135 Siehe auch CEDAW, General Recommendation No. 19, § 9. 1136 S. Joseph/K. Mitchell/L. Gyorki/C. Benninger-Budel, Seeking remedies for torture victims, 331.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Allerdings verlangt auch der Frauenrechtsausschuss von den Beschwerdeführerinnen, dass diese darlegen, inwieweit der Zielstaat nicht willens oder nicht in der Lage ist, ihnen Schutz zu bieten. Er stützt sich hierbei auch auf die Praxis des UNHCR.1137 In der ersten Individualbeschwerde, in der sich der Frauenrechtsausschuss zum Prinzip des Non-Refoulement äußerte, wurde zwar bereits bezweifelt, dass tatsächlich ein Risiko der Genitalverstümmelung bestand. Der Ausschuss äußerte aber darüber hinaus auch Zweifel daran, ob bei bestehendem staatlichem Verbot der Genitalverstümmelung die Befürchtung einer solchen per se geeignet sei, ein Verbot der Aufenthaltsbeendigung wegen des Prinzips des Non-Refoulement auszulösen.1138 Die Beschwerde Y. W. v. Denmark lehnte der Ausschuss ab, weil die Beschwerdeführerin, die Angst davor hatte, bei ihrer Rückkehr nach China erneut von einer Gruppe Krimineller zwangsprostituiert zu werden, keinen Schutz bei chinesischen Behörden gesucht hatte.1139 Den Nachweis, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit in ihrem Zielstaat staatliche Hilfe gesucht hat, verlangt der Frauenrechtsausschuss aber nur dann, wenn dies nach Beurteilung der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zumutbar gewesen wäre. So bejahte der Frauenrechtsausschuss die Verletzung der Rechte einer Frau, die aus Pakistan geflohen war, nachdem sie von privaten Akteuren angegriffen worden war. Sie hatte zu keinem Zeitpunkt Hilfe bei pakistanischen Behörden gesucht. Anders als die Beschwerdeführerin in Y. W. v. Denmark hatte sie in ihrer Beschwerde darlegen können, dass die allgemeine Menschenrechtslage in Pakistan ihre Annahme rechtfertigte, dass seitens der pakistanischen Behörden keine Hilfe zu erwarten gewesen wäre.1140 Die Darlegungslast, dass keine staatliche Hilfe vom Zielstaat zu erwarten ist, ist scheinbar besonders hoch, wenn der Zielstaat Vertragspartei der FRK ist. So hat der Frauenrechtsausschuss Individualbeschwerden unter anderem deshalb als unsubstantiiert abgewiesen, weil der Zielstaat Mongolei Vertragspartei der FRK ist und damit wohl allein die Beschwerdeführerin die Beweislast trägt, dass der Staat nicht willens oder fähig ist, die Beschwerdeführerin vor der befürchteten geschlechterspezifischen Gewalt zu beschützen.1141 Andererseits hat der Ausschuss auch schon für die Beurteilung der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat in dieser Hinsicht seine eigenen Erkenntnisse aus Staatenberichtsverfahren herangezogen, ist also gerade aufgrund der Tatsache, dass der Zielstaat Vertragspartei der FRK ist, zu
1137
CEDAW, General Recommendation No. 32, § 27. CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.11. 1139 CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, § 8.8. 1140 CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, § 9.4. Siehe auch CEDAW, General Recommendation No. 32, § 29. 1141 CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 6.9; CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018, § 6.7. 1138
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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dem Schluss gekommen, dass die Beschwerdeführerin keinen staatlichen Schutz erwarten kann.1142 Eine Somalierin, die Verfolgung durch die Miliz Al Shabaab fürchtete, hatte mit ihrer Individualbeschwerde keinen Erfolg, da seit ihrer Flucht aus ihrem Heimatort dieser erneut in staatliche Kontrolle geraten war, also nicht länger von der Miliz beherrscht wurde. Die Entscheidung des Ausschusses legt nahe, dass die Beschwerdeführerin unter diesen Umständen eine weiter gehende Beweislast trifft, dass die Gefahr für sie fortbesteht.1143 c) Relevante Normen der FRK Wie bereits dargestellt stützt sich der Frauenrechtsausschuss in weiten Teilen darauf, dass das Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, das Recht auf Leben und das Verbot geschlechterspezifischer Gewalt völkergewohnheitsrechtliche Geltung haben und implizit Teil der FRK sind und wiederum von diesen Rechten abgeleitet das Prinzip des Non-Refoulement implizit Teil der FRK ist. Dennoch muss eine Frau, die eine Individualbeschwerde erhebt, konkrete Normen der FRK nennen, die sie für verletzt hält. An der Vielzahl der unterschiedlichen in den Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement angeführten Normen der FRK zeigt sich, dass die Beschwerdeführerinnen hierdurch deutlich weniger routinemäßig vorgehen können, als bei der Erhebung einer Individualbeschwerde vor einem anderen VN-Vertragsorgan. Erste Aufschlüsse, welche Normen der FRK gerügt werden können, gibt die Praxis des Frauenrechtsausschusses zum Begriff der geschlechterspezifischen Gewalt nach der FRK. Der Frauenrechtsausschuss hat bereits in seiner General Recommendation Nr. 19 festgestellt, dass geschlechterspezifische Gewalt Auswirkungen auf eine Vielzahl von Rechten hat, die in der FRK normiert sind.1144 In der General Recommendation nennt er die Artikel 2, 3, 5, 10 (c), 6, 11, 12, 14, und 16 in Verbindung mit Artikel 5 FRK, also die Pflicht zur staatlichen Bekämpfung jeder Form von Diskriminierung der Frau, zum Ergreifen von Maßnahmen zur Sicherung der vollen Entfaltung und Förderung der Frau, zur Förderung eines nicht-diskriminierenden gesellschaftlichen Familienbildes und der Vermittlung von Gleichberechtigung in der Schulbildung, das Verbot des Frauenhandels, der Diskriminierung im Berufs- und Gesundheitsleben sowie in der Ehe sowie die Pflicht zum Ergreifen von Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau in ländlichen Gebieten. In seiner General Recommendation Nr. 35 von 2017, welche die General Recommendation Nr. 19 aktualisiert, erweitert der Frauenrechtsausschuss die poten1142 CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 8.7. Siehe auch B. C¸alı/C. Costello/ S. Cunningham, German Law Journal 2020 (371). 1143 CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, § 7.10. 1144 CEDAW, General Recommendation No. 19, § 6.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
ziell betroffenen Rechte aus der FRK um die Artikel 1, 5 (a), und 15, also die Pflicht zum Ergreifen geeigneter Maßnahmen für einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau entgegen der Vorstellung der Unterlegenheit oder Überlegenheit des einen oder anderen Geschlechts oder der stereotypen Rollenverteilung von Mann und Frau sowie die Gleichheit vor dem Gesetz. Darüber hinaus betont der Ausschuss die besondere Relevanz der Pflichten aus Artikel 2 FRK.1145 Laut General Recommendation Nr. 19 finden zudem Rechte, die der Ausschuss als impliziten Teil der FRK ansieht, über Artikel 1 FRK Anwendung.1146 Eine zentrale Rolle im Rahmen der Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement spielt Artikel 2 (d) FRK, aus dem sich nach Ansicht des Frauenrechtsausschusses die Pflicht ergibt, Frauen vor einem tatsächlichen, persönlichen und vorhersehbaren Risiko schwerer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen, unabhängig davon, ob solche Konsequenzen außerhalb der territorialen Grenzen des Vertragsstaates eintreten würden.1147 Bislang hat der Frauenrechtsausschuss in nur sehr wenigen Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement eine Verletzung der FRK festgestellt. In der ersten Entscheidung, in der er die Individualbeschwerde als begründet ansah, sah er im Verstoß des Vertragsstaates gegen das Prinzip des Non-Refoulement eine Verletzung von Artikel 2 (c) und (d) FRK.1148 Die behauptete Verletzung der Artikel 3, 12, 15 und 16 FRK durch die Entscheidung der Aufenthaltsbeendigung hat der Ausschuss zwar für hinreichend substantiiert gehalten, nach Feststellung der Verletzung der Artikel 2 (c) und (d) FRK aber nicht weiter untersucht.1149 In der zweiten Entscheidung, in der er einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement feststellte, stellte der Frauenrechtsausschuss eine Verletzung von Artikel 2 (d), (e) und (f), in Verbindung mit Artikel 1 FRK, fest.1150 Des Weiteren hat der Frauenrechtsausschuss schon Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement, die eine Verletzung der Artikel 3, 5 und 7 FRK rügten,1151 sowie eine Rüge von Artikel 6 FRK,1152 als hinreichend substantiiert angesehen. Die Verletzung dieser Normen durch eine Aufenthaltsbeendigung ist also
1145
CEDAW, General Recommendation No. 35. CEDAW, General Recommendation No. 19, § 7. 1147 CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.9; CEDAW, M. E. N. v. Denmark, 035/ 2011, § 8.9; CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 6.4; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/ 2013, § 9.5; CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, § 8.7; CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, § 8.6; CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 7.8. 1148 CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, § 11. 1149 Ebenda, § 10. 1150 CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 9. 1151 CEDAW, N. M. v. Denmark, 078/2014, § 7.5. 1152 CEDAW, R. A. O. v. Switzerland, 122/2017, § 6.7. 1146
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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potenziell möglich. Eine Verletzung von Artikel 15 Abs. 4 FRK ist dagegen durch eine Aufenthaltsbeendigung nicht möglich.1153 d) Diskriminierungsfreie Durchführung des Verfahrens Neben der Verletzung von Rechten aus der FRK durch die Entscheidung oder den Vollzug der Aufenthaltsbeendigung können sich auch Rechtsverletzungen aus der Art und Weise der Durchführung des nationalen Risikobewertungsverfahrens ergeben. Nationale Asylverfahren werden häufig dafür kritisiert, die Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts unzureichend als einen Aspekt der ihnen drohenden Verfolgung anzuerkennen.1154 Nach dem Selbstverständnis des Frauenrechtsausschusses ergeben sich aus den Artikeln 1, 2, 3, 5 (a) und 15 FRK Vorgaben für den Ablauf des Asylverfahrens, und zwar ab der Ankunft an der Staatsgrenze.1155 Diese Formulierung lässt vermuten, dass der Frauenrechtsausschuss Frauen, die sich unmittelbar in Grenznähe befinden, jedenfalls ein Recht auf diskriminierungsfreie Entscheidung über die Gewährung des Zutritts zu einem Vertragsstaat zugesteht.1156 Aus Artikel 2, 15 Abs. 1, 16 FRK leitet der Frauenrechtsausschuss ein Recht der Frau ab, unabhängige Asylgründe zu nennen, das heißt solche, die nicht in Verbindung mit ihrem Ehemann stehen.1157 Des Weiteren müssen Asylverfahren nach der Praxis des Frauenrechtsausschusses stets auf geschlechtersensible Weise durchgeführt werden. Hierzu gehöre eine entsprechende Ausbildung der verantwortlichen Behörden bezüglich der typischen Arten der Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts erleben.1158 Aus Artikel 2 (c) und Artikel 15 Abs. 1 FRK ergebe sich dabei ein Recht der Frau auf Zurverfügungstellung rechtlichen Beistands.1159 In der Regel rügen Beschwerdeführerinnen sowohl, dass das nationale Risikobewertungsverfahren wegen geschlechterspezifischer Diskriminierung gegen die FRK verstößt als auch, dass die Entscheidung der Aufenthaltsbeendigung wegen befürchteter geschlechterspezifischer Gewalt im Zielstaat gegen die FRK verstößt. Anfänglich hat der Frauenrechtsausschuss diese beiden Rügen noch zusammen behandelt, wobei er davon ausgegangen ist, dass die diskriminierende Durchführung 1153
CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 7.5. Für einen Überblick siehe A. Korsakoff, Femmes et droit international des réfugiés: la définition du refugié renouvelée, in: M. Jänterä-Jareborg/H. Tigroudja, Women’s human rights and the elimination of discrimination, 2016. 1155 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 24; CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, § 8.9. 1156 Siehe auch M. Ratcovich, International Law and the Rescue of Refugees at Sea, 2019, 189, welcher die Praxis des Frauenrechtsausschusses so versteht, dass auch die Risikobewertungsverfahren im Rahmen der Seenotrettung von Artikel 3 FRK erfasst sein müssen. 1157 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 26. 1158 Ebenda, § 25. 1159 Ebenda, § 32. 1154
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
eines Asylverfahrens dann, wenn im Zielstaat potenziell geschlechterspezifische Gewalt droht, das Recht auf ein effektives Rechtsmittel im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement verletzen könne. Dies prüfte der Ausschuss, obwohl er zuvor die Möglichkeit der Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement durch eine Aufenthaltsbeendigung als unsubstantiiert zurückgewiesen hatte.1160 Seitdem prüft der Ausschuss beide Rügen getrennt voneinander1161 oder stellt gegebenenfalls klar, dass die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde lediglich auf ein mögliches Verbot der Aufenthaltsbeendigung wegen des Prinzips des Non-Refoulement richtet, nicht aber auf eine Diskriminierung im Asylverfahren.1162 Eine gerügte Verletzung von Artikel 12 und 15 FRK, also des Rechts auf diskriminierungsfreien Zugang zum Gesundheitswesen und des Rechts auf Gleichheit vor dem Gesetz, durch das nationale Asylverfahren hat der Frauenrechtsausschuss als unsubstantiiert abgewiesen.1163 Ferner genüge die Tatsache, dass der Vertragsstaat im nationalen Verfahren nicht explizit Normen der FRK nennt, nicht für die Annahme, dass die Rechte der Beschwerdeführerin aus der FRK unberücksichtigt blieben, zumal wenn seitens der Beschwerdeführerin keine konkreten Normen gerügt worden waren.1164 4. Rechtsfolgen Der Frauenrechtsausschuss unterscheidet zwischen persönlichen Rechtsfolgen für die Beschwerdeführerin und allgemeinen Empfehlungen. Im Rahmen dieser allgemeinen Empfehlungen kann der Ausschuss etwa auf Grundlage einer Individualbeschwerde feststellen, dass die nationale Gesetzgebung einer Reform bedarf, um zukünftige Rechtsverletzungen zu vermeiden. Beschwerdeführerinnen wird empfohlen, Rechtsfolgen vorzuschlagen, die sie in ihrem Fall für sinnvoll erachten, da diese vom Frauenrechtsausschuss aufgegriffen werden.1165 Ebenso wie beim Menschenrechtsausschuss, der bisweilen inkonsequent in seinen Entscheidungen entweder feststellt, dass erst der Vollzug einer Aufenthaltsbeendigung einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement darstellt oder bereits in der letzten nationalen Entscheidung über die aufenthaltsbeendende Maß-
1160
CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, § 8.9. CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, §§ 7.9, 7.10. 1162 CEDAW, S. J. A. v. Denmark, 079/2014, § 7.7; CEDAW, A. S. v. Denmark, 080/2015, § 8.6; CEDAW, S. F. A. v. Denmark, 085/2015, § 9.6; CEDAW, S. A. O. v. Denmark, 101/2016, § 6.7. 1163 CEDAW, S. A. O. v. Denmark, 101/2016, § 6.4. 1164 Ebenda, § 6.8. 1165 S. Joseph/K. Mitchell/L. Gyorki/C. Benninger-Budel, Seeking remedies for torture victims, 316. 1161
VI. Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau
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nahme eine Rechtsverletzung sieht,1166 ist die Praxis des Frauenrechtsausschusses hierzu nicht eindeutig. Im Rahmen seiner General Recommendation Nr. 32 zu den geschlechterspezifischen Dimensionen von Flüchtlingsstatus, Asyl, Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit von Frauen hatte er zunächst eine eindeutige Position vertreten. Unabhängig davon, ob die Aufenthaltsbeendigung bereits vollzogen wurde oder etwa wegen der Anordnung einstweiliger Maßnahmen durch den Ausschuss vorübergehend nicht vollzogen wurde, sei der Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement demnach in jedem Fall bereits mit der staatlichen Entscheidung über die Aufenthaltsbeendigung vollendet.1167 Konsequenterweise hat der Frauenrechtsausschuss in der ersten Individualbeschwerde, in der er einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement angenommen hat, festgestellt, dass der Vertragsstaat mit seiner Entscheidung gegen die FRK verstoßen hat, obwohl der Vertragsstaat die Aufenthaltsbeendigung noch nicht vollzogen hatte.1168 Diese Herangehensweise ermöglichte es dem Ausschuss, in umfassender Form Empfehlungen an den Vertragsstaat abzugeben. So verlangte er zum einen, dass der Staat vom Vollzug seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme absehe, dass er sicherstelle, dass sich solche Verletzungen nicht wiederholen, und dass das Prinzip des Non-Refoulement uneingeschränkt respektiert wird. Er verwies zudem auf die Vorgaben zum nationalen Asylverfahren, die er in seiner General Recommendation Nr. 32 etabliert hatte. Zu diesen Empfehlungen gehören die Errichtung geschlechtersensibler prozessualer Garantien im Asylverfahren, in welchem die Furcht vor Verfolgung nur glaubhaft gemacht werden muss, aber nicht überwiegend wahrscheinlich sein muss.1169 Ein Follow-Up-Verfahren hat es zu dieser Entscheidung nicht gegeben, sodass der Ausschuss bislang keine Gelegenheit hatte, im Rahmen eines solchen Verfahrens seine Anforderungen an die Umsetzung derartiger allgemeiner Empfehlungen weiter zu spezifizieren. Mit Bezug auf die persönlichen Rechtsfolgen der Beschwerdeführerin dürfte der Frauenrechtsausschuss zufrieden sein. Der Vertragsstaat gewährte der Beschwerdeführerin als Reaktion auf die Entscheidung Asyl.1170 Hiervon abweichend hat der Frauenrechtsausschuss in dem zweiten Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement, in dem er eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin festgestellt hat, mit der Feststellung geschlossen, dass der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung der Beschwerdeführerin deren Rechte aus der FRK verletzen würde.1171 Dennoch hat der Ausschuss hier gegenüber dem 1166 1167 1168 1169 1170
(61). 1171
Siehe oben Kapitel D. II. 2. d) und 5. a). CEDAW, General Recommendation No. 32, § 22. CEDAW, A. v. Denmark, 053/2013, § 11. Ebenda, § 11 a), b). K. Fox Principi, Implementation of decisions under treaty body complaints procedures CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 9.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Vertragsstaat dieselben Empfehlungen ausgesprochen wie in der vorangegangenen Individualbeschwerde.1172 Er hat sogar hierüber hinaus noch weitergehend nicht nur verlangt, dass die Frau und ihre Töchter nicht abgeschoben werden, sondern auch, dass der Staat das Asylverfahren unter Beachtung der Entscheidung des Frauenrechtsausschusses wiederaufnimmt.1173 5. Fazit Die Praxis des Frauenrechtsausschusses stützt sich in besonderer Weise auf die Praxis der übrigen VN-Vertragsorgane. Dabei berücksichtigt er auch die Arbeit jüngerer Vertragsorgane und greift nicht nur auf die etablierte Praxis des Menschenrechtsausschusses und des Ausschusses gegen Folter zurück. In der ersten Entscheidung des Frauenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement hat der Ausschuss deutlich herausgearbeitet, was nach seiner Ansicht allgemeine internationale Standards sind und was sich hieraus für den Schutz nach der FRK ergibt. Diese Position hat er sodann in einer General Recommendation bekräftigt und damit Argumenten der Vertragsstaaten gegen einen Schutz vor Refoulement nach der FRK überzeugend widersprochen. Trotz der Orientierung an anderen Vertragsorganen hat der Frauenrechtsausschuss seinen eigenen Standard entwickelt, indem er im Rahmen der FRK einen Schutz vor schweren Fällen geschlechterspezifischer Gewalt gewährt. Er stellt also auf die Schwere der Rechtsverletzung ab, nicht auf die Irreparabilität der dadurch entstehenden Schäden. Die FRK schützt in besonderer Weise vor Rechtsverletzungen durch Private, was sich auch auf das Prinzip des Non-Refoulement auswirkt. Allerdings ist der Frauenrechtsausschuss streng in seinen Anforderungen an den Nachweis, dass der Zielstaat nicht willens oder fähig ist, der betroffenen Frau Schutz zu gewähren, so dass sich hier de facto kein weitergehender Schutz als durch andere Vertragsorgane ergibt. Der Frauenrechtsausschuss verwendet gelegentlich den Begriff der Folter für Misshandlungen im privaten Kontext,1174 was der AFK widerspricht. Hier wäre eine konsequentere Orientierung an anderen Menschenrechtsschutzverträgen wünschenswert. Tatsächlich bietet der Frauenrechtsausschuss bislang nur in sehr seltenen Fällen Schutz im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement. Die weit überwiegende Zahl der Individualbeschwerden hat er als unzureichend substantiiert abgewiesen. Die Substantiierung fällt beschwerdeführenden Frauen auch deshalb schwer, weil sie in ihren Individualbeschwerden die Verletzung konkreter Normen aus der FRK benennen und darlegen müssen, der Ausschuss aber seine Praxis zum 1172 1173 1174
Ebenda, § 10 b). CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, § 10 a). Ebenda, § 2.2.
VII. Wanderarbeiterausschuss
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Prinzip des Non-Refoulement weitestgehend auf implizit in der FRK verankerte Rechtsgrundsätze stützt und nicht auf konkrete Normen. Auch stellt der Frauenrechtsausschuss in seinen Entscheidungen häufig eine Verletzung eines Artikels der FRK in Verbindung mit einer General Recommendation fest.1175 Das deutet auf das Rechtsverständnis hin, dass seine General Recommendations Teil materiellen Rechts sind und nicht nur Auslegungshilfen darstellen. In Anbetracht der Tatsache, dass General Recommendations eindeutig nicht für die Vertragsstaaten rechtlich bindend sind,1176 dürften die Vertragsstaaten diese Praxis ablehnen. Dadurch, dass der Frauenrechtsausschuss nur wenig mit Normen der FRK und umfangreich mit gewohnheitsrechtlich geltenden Rechtsprinzipien arbeitet, ist die Praxis des Frauenrechtsausschusses wenig transparent. Hierdurch wird nicht nur den beschwerdeführenden Frauen die erfolgreiche Erhebung der Individualbeschwerde erschwert. Auch für die Vertragsstaaten sind die Verfahren vor dem Frauenrechtsausschuss schwer kalkulierbar. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Vertragsstaaten im Rahmen der Follow-Up-Verfahren positionieren.
VII. Wanderarbeiterausschuss Mit 56 Vertragsstaaten ist die WAK der Menschenrechtsschutzvertrag mit den wenigsten Vertragsstaaten.1177 Auch ist der Wanderarbeiterausschuss das einzige Vertragsorgan, das noch keine Individualbeschwerdeverfahren durchführt, weil das hierfür erforderliche Quorum noch nicht erreicht ist.1178 Wie bereits gezeigt ist der Wanderarbeiterausschuss trotz seiner geringen Reichweite bemüht, mithilfe seiner gemeinsamen General Comments zu einer konsistenten universellen Praxis der VNVertragsorgane beizutragen. Die Wanderarbeiterkonvention enthält kein explizites Prinzip des Non-Refoulement. Artikel 22 WAK enthält allerdings eine Reihe von Vorgaben für den Ablauf nationaler Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung. Einige dieser Vorgaben gelten allerdings nicht absolut, sondern können aus zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit unberücksichtigt bleiben. Aus Artikel 22 Abs. 1 WAK ergibt sich ein absolutes Verbot der Kollektivausweisung. Zum Prinzip des Non-Refoulement hat sich der Wanderarbeiterausschuss erstmals im Jahr 2013 in seinem General Comment Nr. 2 zu den Rechten von Wanderarbeitnehmenden in einer irregulären Situation und ihrer Familienangehörigen geäußert.
1175
CEDAW, Goekce v. Austria, 005/2005, 06. August 2007, § 12.3. Siehe oben Kapitel C. I. 2. und C. II. 1177 Stand November 2021, abrufbar unter: https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx? src=TREATY&mtdsg_no=IV-13&chapter=4. 1178 Hierfür müssten gemäß Artikel 77 Abs. 8 WAK mindestens zehn der Vertragsstaaten eine Erklärung nach Artikel 77 Abs. 1 WAK abgegeben haben. 1176
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
1. Geschützte Personen Die Wanderarbeiterkonvention findet nur auf einen eingeschränkten Personenkreis Anwendung. Ausweislich Artikel 3 WAK gilt die Konvention nicht für eine Reihe an Personen, darunter auch Geflüchtete und Staatenlose, sofern die einschlägigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften des betreffenden Vertragsstaates oder die für diesen Staat geltenden internationalen Instrumente nichts Gegenteiliges bestimmen. Der Wanderarbeiterausschuss scheint diese Norm so zu interpretieren, dass Geflüchtete und Staatenlose jedenfalls insoweit den Schutz der Konvention genießen, als die Wanderarbeiterkonvention sie nicht weitgehender schützt als andere völkerrechtliche Vorgaben. Im Rahmen seiner Staatenberichtsverfahren nach den Artikeln 73 und 74 WAK fragt der Ausschuss regelmäßig nach dem Umgang des Vertragsstaates mit Geflüchteten und Staatenlosen. In ihrem gemeinsamen General Comment zu allgemeinen Grundsätzen betreffend Kinder im Kontext internationaler Migration haben der Kinderrechtsausschuss und der Wanderarbeiterausschuss erklärt, dass die Einhaltung des Prinzips des Non-Refoulement Pflichten beinhalte, die sich aus dem internationalen Menschenrechtsschutz, dem humanitären Völkerrecht, dem internationalen Flüchtlingsrecht und dem Völkergewohnheitsrecht ergeben.1179 Es ist also davon auszugehen, dass nach Ansicht des Wanderarbeiterausschusses der Schutz vor Refoulement nach der WAK auch für Geflüchtete und Staatenlose greift. Andere in Artikel 3 WAK genannte Personengruppen, namentlich bei internationalen Organisationen beschäftigte Personen, deren Zulassung und Status völkerrechtlich geregelt ist, Beschäftigte in der Entwicklungszusammenarbeit, Investoren, Studierende, Auszubildende und Seeleute, genießen allerdings nur dann Schutz nach der WAK, wenn sie Familienangehörige von Wanderarbeitnehmenden im Sinne der Konvention sind. 2. Materielles Schutzgut Gemäß Artikel 7 WAK ist der Wanderarbeiterausschuss für alle in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates befindlichen und dessen Hoheitsgewalt unterstehenden Wanderarbeitnehmenden und ihre Familienangehörigen zuständig. In seinem General Comment Nr. 2 hat der Ausschuss erklärt, dass dies sämtliche Gebiete einschließe, in denen der Vertragsstaat effektive Kontrolle ausübe, weshalb der Schutz des Artikel 22 WAK auch Geschehen an Bord von Schiffen auf Hoher See miteinschließen könne.1180 In seinem ersten gemeinsamen General Comment mit 1179 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 45. 1180 CMW, General Comment No. 2 on the rights of migrant workers in an irregular situation and members of their families, 28. August 2013, CMW/C/GC/2, § 51.
VII. Wanderarbeiterausschuss
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dem Kinderrechtsausschuss bejaht der Wanderarbeiterausschuss seine territoriale Zuständigkeit auch für solche Geschehnisse, die sich nicht unmittelbar auf dem Territorium eines Staates, sondern in Grenznähe zutragen, sofern sie mit dem Versuch des Grenzübertritts in Verbindung stehen. Die Abweisung an der Grenze ist damit nach Ansicht des Wanderarbeiterausschusses ebenfalls vom Prinzip des NonRefoulement erfasst.1181 Weniger eindeutig formuliert der Wanderarbeiterausschuss, vor welchen Rechtsverletzungen das Prinzip des Non-Refoulement nach seinem Selbstverständnis schützt. So formulierte er zunächst in seinem General Comment Nr. 2: „The principle of non-refoulement, as contained in international and regional human rights and refugee law, is the prohibition on forcibly removing anyone, in any manner whatsoever, to a country or territory where they would be at real risk of persecution or serious human rights violations or abuses. In the view of the Committee, this principle covers the risk of torture and cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, including inhumane and degrading conditions of detention for migrants or lack of necessary medical treatment in the country of return, as well as the risk to the right to life (arts. 9 and 10 of the Convention). It also applies to situations where individuals would not be protected from onward refoulement.“1182
Demnach schützt nach dem Selbstverständnis des Wanderarbeiterausschusses die WAK vor Aufenthaltsbeendigungen, wenn im Zielstaat eine Verletzung von Artikel 9 oder 10 WAK droht. Die Aufzählung dieser beiden Artikel ist abschließend formuliert und nicht beispielhaft. Diesem engen Verständnis des Prinzips des NonRefoulement folgt allerdings der Hinweis, dass hiervon auch unmenschliche oder erniedrigende Haftbedingungen sowie Situationen unzureichender medizinischer Versorgung erfasst seien.1183 Damit ist das Verständnis der Schutzbereiche der Ar-
1181 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 46. Siehe auch CMW, Concluding observations on the initial report of the Niger, 11. Oktober 2016, CMW/C/NER/CO/1, § 51; CMW, Concluding observations on the second periodic report of Algeria, 25. Mai 2018, CMW/C/DZA/CO/2, § 42 (d); CMW, Concluding observations on the second periodic report of Guatemala, 02. Mai 2019, CMW/C/GTM/CO/2, § 13; CMW, Concluding observations on the second periodic report of Albania, 08. Mai 2019, CMW/C/ALB/CO/2, § 32; CMW, Concluding observations on the third periodic report of Bosnia and Herzegovina, 04. November 2019, CMW/C/BIH/CO/3, § 31; CMW/UN Special Rapporteur on the human rights of migrants, Joint Guidance Note on the Impacts of the COVID-19 Pandemic on the Human Rights of Migrants, § 9. 1182 CMW, General Comment No. 2, § 50. 1183 Der Ausschuss hat auch kürzlich angemerkt, dass die Covid-19-bedingte Gefahr für die Gesundheit, sowohl im Transit als auch bei Ankunft im Zielstaat, eine solche Gefahr darstellen könne, die für das Prinzip des Non-Refoulement relevant ist, CMW/UN Special Rapporteur on the human rights of migrants, Joint Guidance Note on the Impacts of the COVID-19 Pandemic on the Human Rights of Migrants, § 14.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
tikel 9 und 10 WAK seitens des Wanderarbeiterausschusses weiter als jenes anderer Vertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement.1184 Im Rahmen von Staatenberichtsverfahren hat der Wanderarbeiterausschuss das Prinzip des Non-Refoulement dagegen deutlich enger formuliert und allein bei drohender Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ein Verbot der Aufenthaltsbeendigung anerkannt.1185 Dagegen haben der Kinderrechtsausschuss und der Wanderarbeiterausschuss in ihrem ersten gemeinsamen General Comment mit Hinweis auf den General Comment Nr. 2 des Wanderarbeiterausschusses festgehalten, es sei etabliert, dass das Prinzip des Non-Refoulement vor irreparablem Schaden schütze.1186 Welchen materiellen Schutzumfang das Prinzip des Non-Refoulement nach Ansicht des Wanderarbeiterausschusses hat kann vor diesem Hintergrund nicht abschließend beurteilt werden. Eindeutig verhält sich der Wanderarbeiterausschuss dagegen zur Frage der relevanten Akteure. Menschenrechtsverletzungen, die von privaten Akteuren ausgehen, sind demnach in gleicher Weise zu berücksichtigen, wie staatliches Handeln.1187 Bilaterale und multilaterale Abkommen der Vertragsstaaten müssen mit dem Prinzip des Non-Refoulement und der WAK vereinbar sein.1188 Diplomatische Zusicherungen hält der Wanderarbeiterausschuss scheinbar für ein geeignetes Mittel zur Sicherung vor Verstößen gegen das Prinzip des Non-Refoulement und hat die Vertragsstaaten entsprechend dazu angehalten, solche Vereinbarungen zu treffen.1189 Wie andere Vertragsorgane legt auch der Wanderarbeiterausschuss einen besonderen Schwerpunkt auf das Recht auf ein ordentliches Verfahren. Nach Artikel 22 Abs. 1 WAK sind Kollektivausweisungen generell verboten. Darüber hinaus wendet der Wanderarbeiterausschuss sämtliche in Artikel 22 WAK enthaltenen Verfahrensstandards für Ausweisungen unterschiedslos auf reguläre und irreguläre Wanderarbeitnehmende an. Der Wanderarbeiterausschuss ist zwar der Auffassung, dass Artikel 22 WAK nur das Verfahren und nicht die materiellen Ausweisungsgründe regelt. Sinn und Zweck der Norm sei aber die Verhinderung willkürlicher Aus1184 Siehe etwa zum zögerlichen Umgang des Ausschusses gegen Folter mit Fällen mangelnder Gesundheitsfürsorge oben Kapitel D. I. 4.; zur Anerkennung eines Schutzes vor Aufenthaltsbeendigungen wegen drohenden Verstoßes gegen Artikel 9 IPbpR oben Kapitel D. II. 4. c). 1185 CMW, Concluding observations on the initial report of Turkey, 31. Mai 2016, CMW/C/ TUR/CO/1, § 42 (a); CMW, Concluding observations on the initial report of the Niger, § 51; CMW, Concluding observations on the second periodic report of Algeria, § 42 (d). 1186 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 46. 1187 Ebenda. Siehe auch CMW, Concluding observations on the second periodic report of Albania, § 32; CMW, Concluding observations on the third periodic report of Bosnia and Herzegovina, § 32 (b). 1188 CMW, Concluding observations on the second periodic report of Guatemala, § 33 (e). 1189 CMW, Concluding observations on the initial report of Turkey, § 41 (e).
VII. Wanderarbeiterausschuss
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weisungen und beinhalte somit in bestimmten Situationen auch einen materiellen Schutz vor Ausweisungen.1190 Wie bereits gezeigt beinhaltet das Prinzip des Non-Refoulement nach Auffassung des Wanderarbeiterausschusses auch ein Verbot der Abweisung an der Grenze. Jeder Mensch hat demnach ein Recht auf Zugang zum staatlichen Territorium zum Zwecke der Durchführung eines individuellen Risikobewertungsverfahrens, das rechtstaatlichen Mindeststandards entsprechen muss. Dieses Recht schließt auch mit ein, dass das Risikobewertungsverfahren von den tatsächlich zuständigen Behörden durchgeführt wird.1191 Gegen Entscheidungen zur Ausweisung muss der betroffenen Person ein effektives Rechtsmittel zur Verfügung stehen, welches über einen Suspensiveffekt verfügt. Weiter muss den betroffenen Personen ausreichend Zeit zur Einlegung des Rechtsmittels gegeben werden und der Vertragsstaat muss kostenlosen Rechtsbeistand und gegebenenfalls Übersetzungshilfe hierfür bereitstellen.1192 Schließlich spielen in der WAK die Rechte von Familienangehörigen eine besondere Rolle. Aus den Artikeln 14, 15 und 44 WAK ergibt sich ein besonderer Schutz der Familie als Einheit. Im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement hat der Wanderarbeiterausschuss auch das Verbot des willkürlichen Eingriffs in das Familienleben genannt.1193 Gemeinsam mit dem Kinderrechtsausschuss hat der Wanderarbeiterausschuss detaillierte Anforderungen an nationale Verfahren, sowohl zur Trennung einer Familie durch Aufenthaltsbeendigung einzelner Mitglieder als auch zur Familienzusammenführung, gestellt.1194
1190
CMW, General Comment No. 2, § 49. CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 47; CMW/CRC, Joint General Comment No. 4 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 23 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 17; CMW, Concluding observations on the initial report of Turkey, § 54 (d); CMW, Concluding observations on the third periodic report of Mexico, 27. September 2017, CMW/C/MEX/CO/3, § 44 (b); CMW, Concluding observations on the second periodic report of Tajikistan, 09. Mai 2019, CMW/C/ TJK/CO/2, § 35 (c). 1192 CMW, General Comment No. 2, § 53; CMW/UN Special Rapporteur on the human rights of migrants, Joint Guidance Note on the Impacts of the COVID-19 Pandemic on the Human Rights of Migrants, § 14; CMW, Concluding observations on the third periodic report of Mexico, § 44 (a); CMW, Concluding observations on the third periodic report of Bosnia and Herzegovina, §§ 35, 36. 1193 CMW, General Comment No. 2, § 50. 1194 CMW/CRC, Joint General Comment No. 4 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 23 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, §§ 28 – 38; CMW, Concluding observations on the second periodic report of Albania, § 58; CMW, Concluding observations on the third periodic report of Bosnia and Herzegovina, § 50. 1191
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
3. Fazit Die Praxis des Wanderarbeiterausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement ist, wohl auch aufgrund der geringen Reichweite des Ausschusses und des Fehlens von Individualbeschwerdeverfahren, lückenhaft. Der Ausschuss ist allgemein der Auffassung, für Schnittstellen seiner Konvention mit anderen Normen des internationalen Rechts eine Überprüfungskompetenz zu besitzen. Teilweise bezieht er hierbei eindeutig Position. Dies ist etwa bei Fragen der Abweisung an der Grenze und bei verfahrensrechtlichen Vorgaben der Fall. In anderen Punkten aber sind seine Aussagen widersprüchlich. Dies gilt etwa für die Frage des materiellen Schutzbereiches des Prinzips des Non-Refoulement nach der WAK. Auch wird nicht klar, wo die Grenzen des Anwendungsbereiches der WAK liegen. Der Wanderarbeiterausschuss nennt etwa Artikel 3 Abs. 1 AFK und Artikel 16 Abs. 1 ICPPED als allgemeine Standards des Prinzips des Non-Refoulement.1195 Diese umfassen aber anders als die WAK alle Menschen. Auch ergeben sich aus Artikel 22 Abs. 3, 4 WAK Ausnahmen für die Einhaltung von Verfahrensrechten aus zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit. Hierauf ist der Wanderarbeiterausschuss bislang nicht eingegangen.
VIII. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Auch die BRK enthält kein explizites Prinzip des Non-Refoulement. Der Behindertenrechtsausschuss ist aber der Auffassung, dass das Prinzip des Non-Refoulement implizit in seiner Konvention enthalten ist. Seine noch junge Praxis hierzu ist noch wenig entwickelt. Er hat bis Ende des Jahres 2020 lediglich zwei Individualbeschwerden entschieden, in denen die beschwerdeführenden Personen das Prinzip des Non-Refoulement gerügt hatten. Das Prinzip des Non-Refoulement spielt in der Praxis des Behindertenrechtsausschusses eine untergeordnete Rolle. In Abschließenden Bemerkungen im Rahmen von Staatenberichtsverfahren nach Artikel 35, 36 BRK hat sich der Ausschuss bislang nicht mit dem Prinzip des Non-Refoulement auseinandersetzt. 1. Zulässigkeitsfragen des Individualbeschwerdeverfahrens nach dem FP BRK Individualbeschwerden können vor dem Behindertenrechtsausschuss nach Maßgabe des Fakultativprotokolls der BRK (FP BRK) erhoben werden. Gemäß Artikel 1 FP BRK können sich diese Beschwerden gegen Geschehnisse in der Ho1195 CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 45.
VIII. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
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heitsgewalt eines Staates richten. Ein Hinweis auf eine territoriale Beschränkung der BRK findet sich weder in der Konvention selbst noch in deren Fakultativprotokoll. So erklärte der Behindertenrechtsausschuss in seinem ersten Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement, O. O. J. v. Sweden: „The Committee notes the State party’s argument that the Committee lacks jurisdiction to consider these claims under the Optional Protocol, as the State party cannot be held responsible for violations of the Convention that are likely to be committed by another State outside Swedish territory and jurisdiction. The Committee notes that, under article 1 of the Optional Protocol, States parties recognize the competence of the Committee to receive and consider communications from or on behalf of individuals or groups of individuals subject to its jurisdiction who claim to be victims of a violation by that State party of the provisions of the Convention. The Committee is of the view that the removal by a State party of an individual to a jurisdiction where he or she would risk facing violations of the Convention may, under certain circumstances, engage the responsibility of the removing State under the Convention which has no territorial restriction clause. The Committee therefore considers that the principle of extraterritorial effect would not prevent it from examining the present communication under article 1 of the Optional Protocol.“1196
Hier wird angedeutet, dass der Behindertenrechtsausschuss nicht in jedem Fall von einer Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten ausgeht. Vielmehr seien im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen die Konventionsrechte nur unter bestimmten Umständen von den Vertragsstaaten zu beachten. Allerdings bezieht sich der Ausschuss in dieser Aussage auch auf sämtliche von dem Beschwerdeführer gerügten Rechte und beschränkt seine extraterritoriale Überprüfungskompetenz damit nicht auf bestimmte Rechte. Nach Artikel 1 FP BRK können einzelne Personen oder Personengruppen Beschwerde erheben, wenn sie angeben, in ihren Rechten aus der Konvention betroffen zu sein. Hieraus ergibt sich, dass persönlich betroffen nur solche Personen sein können, die durch die Konvention geschützt werden, das heißt Menschen mit Behinderungen. Schon der Vertragstext der BRK fasst den Begriff der Behinderung weit. Gemäß Artikel 1 Abs. 2 BRK zählen zu Menschen mit Behinderungen jene Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Über diese weite Definition hinaus enthält die Präambel der Konvention den Hinweis, dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickle und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entstehe, die sie an der vollen, wirksamen und gleich berechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern.
1196 CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, § 10.3. Siehe auch CRPD, N. L. v. Sweden, 60/ 2019, 28. August 2020, § 6.4.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Mithin hat der Behindertenrechtsausschuss einen weiten Interpretationsspielraum und die Möglichkeit, die Definition von ,Behinderung‘ kontinuierlich anzupassen. Ein weiter Behinderungsbegriff zeigt sich in den Individualbeschwerdeverfahren zum Prinzip des Non-Refoulement. Im Fall N. L. v. Sweden war die Beschwerdeführerin eine psychisch kranke Frau, deren Krankheit durch ihre Fluchterfahrungen und das Asylverfahren in Schweden geprägt war. Der Ausschuss problematisierte ihre persönliche Betroffenheit hier nicht.1197 Das deutet darauf hin, dass der Ausschuss grundsätzlich alle Individualbeschwerden von traumatisieren Geflüchteten annimmt. Wie andere VN-Vertragsorgane, deren Konvention nur einen bestimmten eingeschränkten Personenkreis schützt, gewährt auch der Behindertenrechtsausschuss den Angehörigen solcher Personen Schutz. So ist etwa dann, wenn eine Familie abgeschoben werden soll, in der ein Familienmitglied eine Behinderung hat, die gesamte Familie beschwerdefähig.1198 Wie der Ausschuss gegen Folter verlangt auch der Behindertenrechtsausschuss in Fällen, in denen die Aufenthaltsbeendigung noch nicht vollzogen wurde, dass die Aufenthaltsbeendigung der betroffenen Person und damit die drohende Rechtsverletzung unmittelbar bevorsteht. Ist ein Beschluss zur Aufenthaltsbeendigung nicht mehr vollziehbar, so etwa, weil er verjährt ist, lehnt der Ausschuss die Beschwerde als unzulässig nach Artikel 2 (d) FP BRK ab. Hieran scheiterte die erste Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement vor dem Ausschuss, wobei es zu der Verjährung nur kommen konnte, weil der Vertragsstaat die vom Ausschuss angeordneten einstweiligen Maßnahmen befolgt hatte.1199 Auch vor dem Behindertenrechtsausschuss sind Individualbeschwerden nur dann zulässig, wenn die beschwerdeführende Person zuvor innerstaatliche Rechtsmittel ausgeschöpft hat. Ausweislich Artikel 2 d) FP BRK ist dies nicht erforderlich, wenn die Erschöpfung des Rechtswegs unangemessen lange dauern würde oder zur Verfügung stehende Rechtsmittel nicht effektiv sind. Bloße Zweifel an der Effektivität eines Rechtsmittels reichen nach der Praxis des Ausschusses nicht aus, damit dieses nicht ausgeschöpft werden muss.1200 2. Ablauf des Verfahrens Gemäß Artikel 4 FP BRK kann der Behindertenrechtsausschuss im Laufe des Verfahrens einstweilige Maßnahmen anordnen, wenn ansonsten die Gefahr eines irreparablen Schadens für die beschwerdeführende Person oder Personen droht. In beiden seiner bislang entschiedenen Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoule1197 1198 1199 1200
CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019. CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, § 1.1. Ebenda, §§ 10.5 ff. Ebenda, § 10.6.
VIII. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
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ment hat der Ausschuss verlangt, dass der Vertragsstaat den Vollzug seiner Abschiebeentscheidung bis zum Abschluss des Individualbeschwerdeverfahrens aussetze.1201 Interessant ist die Praxis des Behindertenrechtsausschuss mit Blick auf den relevanten Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos. In der ersten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement hatte der Beschwerdeführer angegeben, es sei unerheblich, dass die Abschiebung seiner Familie wegen Verjährung nicht länger vollziehbar sei, da der Vertragsstaat Schweden bereits dadurch gegen die Konvention verstoßen habe, dass er letztinstanzlich eine Abschiebung angeordnet hatte.1202 Dieser Ansicht ist der Ausschuss nicht gefolgt. Das deutet darauf hin, dass der Behindertenrechtsausschuss so wie auch der Ausschuss gegen Folter, davon ausgeht, dass der relevante Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos jener seiner eigenen Entscheidung ist und nicht jener der letztinstanzlichen nationalen Entscheidung. Darüber hinaus kann die BRK wohl nicht bereits dadurch verletzt werden, dass ein Vertragsstaat im Rahmen seines nationalen Risikobewertungsverfahrens drohende Gefahren für BRK-Rechte nicht ausreichend beachtet, solange es nicht zu einer konkreten Gefährdung gekommen ist. 3. Materielles Schutzgut Die Behindertenrechtskonvention enthält in weiten Teilen Rechte, die auch in anderen Menschenrechtsschutzverträgen verankert sind. Insoweit wiederholt die BRK Rechte und Pflichten, berücksichtigt hierbei aber die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Die Konvention enthält sowohl bürgerliche und politische als auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Zum Teil sind also ebenso wie im IPwskR auch in der BRK Rechte enthalten, für die lediglich eine vertragliche Pflicht zur progressiven Umsetzung besteht.1203 Menschen, die vor dem Behindertenrechtsausschuss eine Verletzung des Prinzips des Non-Refoulement gerügt haben, haben sich dabei auf eine große Bandbreite an Konventionsrechten gestützt. So rügte der Beschwerdeführer in der ersten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Artikel 5 BRK), die Rechte von Kindern mit Behinderungen (Artikel 7 BRK), das Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht und das Recht auf Zugang zur Justiz (Artikel 12, 13 BRK), das Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Artikel 15 BRK), das Recht auf Bildung (Artikel 24 BRK), Gesundheit (Artikel 25 BRK), Rehabilitation und Habilitation (Artikel 26 BRK) und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz (Artikel 28 BRK) sowie allgemeiner 1201 1202 1203
CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, § 1.2; CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019, § 1.2. CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, § 9. Siehe auch Artikel 4 Abs. 2 BRK.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Grundsätze und Pflichten (Artikel 3, 4 BRK). In der zweiten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement, N. L. v. Sweden, wurden unter anderem eine Verletzung der Rechte von Frauen mit Behinderung (Artikel 6 BRK) und des Rechts auf Leben (Artikel 10 BRK) gerügt. In dieser zweiten Individualbeschwerde ist der Behindertenrechtsausschuss schließlich zu dem Schluss gekommen, dass die BRK bei Gefahr der schweren Verletzung eines jeden Rechtsguts, solange hierbei die tatsächliche Gefahr eines irreparablen Schadens besteht, Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen biete. Hier nennt er das Recht auf Leben und das Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Artikel 10 und 15 BRK) als Beispiele.1204 Damit spiegelt die Praxis des Menschenrechtsausschusses wider. Auf dessen General Comment Nr. 31 verweist der Behindertenrechtsausschuss entsprechend in einer Fußnote. Auch im Übrigen lässt sich in dieser Individualbeschwerdeentscheidung eine starke Orientierung am Menschenrechtsausschuss feststellen. Das gilt etwa bezüglich der Faktoren, die im nationalen Risikobewertungsverfahren beachtet werden müssen, welches Risiko die Person nachweisen muss und dem Standard, dass nationale Verfahren nur dann überprüft werden, wenn sie eindeutig fehlerhaft oder willkürlich waren oder eine Rechtsverweigerung darstellen.1205 Diese Individualbeschwerde, die von einer psychisch kranken Frau erhoben worden war, stützte sich im Wesentlichen darauf, dass sich ihr Gesundheitszustand im Falle des Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung massiv verschlechtern würde. Für die Frage, ob die Gefährdung der Gesundheit eine für das Prinzip des Non-Refoulement relevante Gefahr sein kann, stützt sich der Behindertenrechtsausschuss auch auf die Praxis des Ausschusses gegen Folter und des EGMR.1206 Zwar geht der Ausschuss im Ergebnis nur auf den Verfahrensfehler des Vertragsstaates ein. Es ist aber davon auszugehen, dass er eine Verletzung von Artikel 15 BRK in Übereinstimmung mit dem EGMR dann annimmt, wenn im Zielstaat angemessene medizinische Behandlungen nicht vorhanden oder der beschwerdeführenden Person nicht zugänglich sind, was eine schwerwiegende, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands zur Folge hat, welche zu starkem Leiden oder zu einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Auffällig ist, dass auch nach Ansicht des Behindertenrechtsausschusses erheblich ist, ob der Vertragsstaat ein ordentliches Risikobewertungsverfahren nachweisen kann. So hat der Ausschuss festgestellt, dass die Beschwerdeführerin durch mehrere medizinische Gutachten zu ihrem Gesundheitszustand jedenfalls genügend Beweise vorgebracht hatte, dass der Vertragsstaat verpflichtet war, zu überprüfen, ob eine ausreichende medizinische Behandlung im Zielstaat gegeben sein würde. Allein 1204 1205 1206
CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019, § 6.4. Ebenda, §§ 7.3 f. Ebenda, § 7.4 f.
VIII. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
305
aufgrund der Tatsache, dass eine solche Überprüfung vollständig unterblieben ist, hat der Behindertenrechtsausschuss in diesem Fall eine Verletzung von Artikel 15 BRK festgestellt.1207 Damit geht der Ausschuss in dieser zweiten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement auch über seine bisherige Praxis hinaus. In seinem General Comment Nr. 6 zu Artikel 5 BRK hatte der Behindertenrechtsausschuss lediglich von solchen Vertragsstaaten, die besonders häufiges Migrationsziel sind, verlangt, dass diese die notwendigen Voraussetzungen schaffen, damit die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Verfahren zum Aufenthaltsstatus berücksichtigt werden können.1208 Die Entscheidung im genannten Individualbeschwerdeverfahren lässt dagegen vermuten, dass es sich hierbei um Anforderungen an das Verfahren handelt, die der Ausschuss an jeden Vertragsstaat stellt. 4. Rechtsfolgen Wie der Frauenrechtsausschuss knüpft auch der Behindertenrechtsausschuss an die Feststellung einer Rechtsverletzung im Rahmen von Individualbeschwerden sowohl Folgen für die beschwerdeführende Person als auch allgemeine Empfehlungen. In N. L. v. Sweden hat der Ausschuss verlangt, dass der Beschwerdeführerin sämtliche Kosten für die Individualbeschwerde erstattet werden und der Vertragsstaat das nationale Verfahren unter Berücksichtigung der Individualbeschwerde erneut durchführt. Als allgemeine Empfehlung hat der Ausschuss zusätzlich formuliert, dass der Vertragsstaat in Asylverfahren die Rechte von Menschen mit Behinderungen ausreichend beachten müsse, um vergleichbare Vertragsverletzungen in Zukunft zu vermeiden.1209 5. Fazit Die Praxis des Behindertenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement ist noch jung, lässt aber in einigen Aspekten bereits eine klare Linie erkennen. Der Ausschuss orientiert sich an der Praxis anderer Vertragsorgane und regionaler Menschenrechtsschutzmechanismen und legt so klare und nachvollziehbare Anforderungen an die Vertragsstaaten fest. Interessant ist auch die Haltung der Vertragsstaaten. Während die Staaten bei den ersten Verfahren zum Prinzip des Non-Refoulement vor dem Kinderrechtsausschuss und dem Frauenrechtsausschuss deren Überprüfungskompetenz bestritten und ihre Akzeptanz auf die Praxis des Menschenrechtsausschusses beschränkt hatten, hat 1207
Ebenda, § 7.8. CRPD, General Comment No. 6 on equality and non-discrimination, 26. April 2018, CRPD/C/GC/6, § 73 (p). 1209 CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019, § 8. 1208
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
Schweden im ersten Individualbeschwerdeverfahren vor dem Behindertenrechtsausschuss diesen ausdrücklich aufgefordert, festzulegen, ob und inwieweit das Prinzip des Non-Refoulement im Rahmen der BRK Geltung hat.1210 Gleichzeitig bleiben einige Fragen offen. So hat der Behindertenrechtsausschuss bislang nur in einem Fall eine Verletzung von Artikel 15 BRK, also des Verbots der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, festgestellt. Ob der Ausschuss den Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement aus der BRK auch auf andere Rechte als jene aus Artikel 10 und 15 BRK ausweitet bleibt abzuwarten. Ebenso fehlen bislang Anhaltspunkte für eine Praxis zu typischen aktuellen Problemen des Prinzips des Non-Refoulement wie beispielsweise der Abweisung an der Grenze, Zurückweisung auf Hoher See, diplomatischen Zusicherungen oder der Anerkennung interner Fluchtalternativen. Bedauerlich ist, dass das Prinzip des Non-Refoulement in der übrigen Praxis des Behindertenrechtsausschusses bislang keine Rolle spielt. Der Ausschuss sollte ebenso wie andere Vertragsorgane den Umgang mit ausländischen Staatsangehörigen und Staatenlosen in seinen Staatenberichtsverfahren thematisieren. Auch die Befassung hiermit im Rahmen eines General Comment ist denkbar.
IX. Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Ausschuss) ist streng genommen kein Vertragsorgan. Er ist im IPwskR nicht vorgesehen. Dieser wurde ursprünglich vom Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) überwacht und eine Gründung des Ausschusses erfolgte durch eine Resolution des ECOSOC.1211 Noch heute werden die Mitglieder des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht wie die Mitglieder anderer VN-Vertragsorgane von der VN-Generalversammlung gewählt, sondern von ECOSOC. Abgesehen hiervor unterscheiden sich Aufgaben und Arbeitsweise des Ausschusses aber nicht von den Vertragsorganen. Das im Mai 2013 in Kraft getretene Fakultativprotokoll des IPwskR, welches sowohl Individuen als auch Gruppen von Individuen die Möglichkeit von Beschwerden gegen Vertragsstaaten vor dem WSK-Ausschuss ermöglicht, ist zusammen mit dem dritten Fakultativprotokoll des Kinderrechtsausschusses eines der jüngsten Vertragsinstrumente des VN-Menschenrechtsschutzsystems. Da darüber
1210
CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, § 4.5. ECOSOC, Review of the composition, organization and administrative arrangements of the Sessional Working Group of Governmental Experts on the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 28. Mai 1985, ECOSOC, Resolution 1985/17. 1211
IX. Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
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hinaus bislang nur 26 Staaten das Fakultativprotokoll ratifiziert haben1212 ist die Praxis des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Bereich der Individualbeschwerdeverfahren bisher sehr begrenzt. Auch wird die Möglichkeit der Individualbeschwerde vor dem Ausschuss bislang nur von einer sehr kleinen Gruppe genutzt. Nahezu alle derzeit anhängigen Beschwerden richten sich gegen Spanien und rügen eine Verletzung des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard aus Artikel 11 IPwskR.1213 Zu Paktrechten im Zusammenhang mit Migration hat der Ausschuss bislang keine Individualbeschwerde entschieden. Artikel 2 Abs. 1 IPwskR gibt keinen Aufschluss über die territoriale Reichweite des Pakts. Neben ausführlichen Erläuterungen zu den Pflichten der Vertragsstaaten zur internationalen Kooperation1214 hat der WSK-Ausschuss auch klargestellt, dass die Vertragsstaaten zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen aus dem Pakt und zur diskriminierungsfreien Gewährleistung der Paktrechte auch mit Bezug auf jene Personen verpflichtet sind, die sich zwar außerhalb des staatlichen Territoriums des Staates befinden, aber unter dessen effektiver Kontrolle stehen.1215 1. Rechte von ausländischen Staatsangehörigen und Staatenlosen Wie alle VN-Menschenrechtsschutzverträge ist der Schutz des IPwskR nicht auf Staatsangehörige eines Vertragsstaates beschränkt. Der Pakt schützt insbesondere auch ausländische Staatsangehörige und Staatenlose und nach der Praxis des Aus-
1212
Stand November 2021, abrufbar unter https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx? src=TREATY&mtdsg_no=IV-3-a&chapter=4&clang=_en. 1213 Siehe die Liste anhängiger Individualbeschwerden beim WSK-Ausschuss https://www. ohchr.org/EN/HRBodies/CESCR/Pages/PendingCases.aspx. 1214 Etwa CESCR, General Comment No. 3 The nature of States parties’ obligations (art. 2, para. 1, of the Covenant), 14. Dezember 1990, E/1991/23, §§ 13, 14; CESCR, General Comment No. 14 The right to the highest attainable standard of health (article 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), 11. August 2000, E/C.12/2000/4, § 39; CESCR, General Comment No. 15 The right to water (arts. 11 and 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), 20. Januar 2003, E/C.12/2002/11, § 31. 1215 So hat er sich wiederholt zur Verantwortung Israels für Geschehen in besetzten palästinensischen Gebieten geäußert, CESCR, Concluding Observations on the initial report of Israel, 04. Dezember 1998, E/C.12/1/Add.27, § 8. Diese vom Vertragsstaat bestrittene Rechtsauffassung hat der Ausschuss seitdem kontinuierlich vertreten, siehe zuletzt CESCR, Concluding observations on the fourth periodic report of Israel, 12. November 2019, E/C.12/ ISR/CO/4, §§ 8 ff. Darüber hinaus findet der Pakt vollumfänglich Anwendung auf Asylsuchende, deren Anträge außerhalb von australischem Staatsgebiet, aber unter alleiniger Kontrolle Australiens, bearbeitet werden, CESCR, Concluding observations on the fifth periodic report of Australia, 11. Juli 2017, E/C.12/AUS/CO/5, § 18. Siehe zur effektiven Kontrolle auch CESCR, Statement on Duties of States towards refugees and migrants under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 13. März 2017, E/C.12/2017/1, § 9.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
schusses ausdrücklich auch Asylsuchende, Flüchtlinge und andere Migrant:innen.1216 Das Prinzip des Non-Refoulement ist nicht im IPwskR kodifiziert. Verankert sind hierin unter anderem das Recht auf soziale Sicherheit (Artikel 9), der Schutz von Familie und Kindern (Artikel 10), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Artikel 11), Gesundheitsschutz (Artikel 12) sowie das Recht auf Bildung (Artikel 13 und 14). Eine Besonderheit des IPwskR ist, dass viele der Rechte ganz oder teilweise lediglich eine Verpflichtung zur progressiven Umsetzung enthalten. Die Vertragsstaaten müssen Maßnahmen ergreifen, um ihre Verpflichtungen stufenweise voll zu verwirklichen (Artikel 2 Abs. 1 IPwskR). Das bedeutet aber keinesfalls, dass sich aus dem Pakt keine Rechte ergeben, die unverzüglich und konkret eingefordert werden können. Der IPwskR verbietet nicht nur jede Verschlechterung der Menschenrechtslage gegenüber dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Paktes. Er gebietet nach Artikel 2 Abs. 2 IPwskR vielmehr auch die diskriminierungsfreie Behandlung beim Zugang zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten.1217 Der Ausschuss ist der Ansicht, dass etwa das Drohen mit Abschiebung einen Verstoß gegen Artikel 2 IPwskR darstellen kann.1218 Viele der Rechte aus dem IPwskR sind auch in der GFK enthalten. Der Zugang anerkannter Flüchtlinge im Sinne der GFK zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten wird nicht nur vom UNHCR, sondern auch vom WSK-Ausschuss als wesentlich angesehen. Das gilt auch für Migrant:innen, die keine Flüchtlinge im Sinne der GFK sind.1219 Der Ausschuss fragt in seinen Staatenberichtsverfahren nach Artikel 16, 17 IPwskR regelmäßig nach dem Zugang von ausländischen Staatsangehörigen zum Gesundheitswesen, zu Bildung, Wohnraum und allgemein zum Schutz vor Diskriminierung. Zudem ist er der Auffassung, dass der Schutz der Familie und des Kindes aus Artikel 10 IPwskR ein Recht auf Familienzusammenführung beinhaltet.1220 1216 CESCR, General Comment No. 20 Non-discrimination in economic, social and cultural rights (art. 2, para. 2, of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), 02. Juli 2009, E/C.12/GC/20, § 30; CESCR, Statement on Duties of States towards refugees and migrants under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, §§ 3, 4. 1217 Siehe auch CESCR, General Comment No. 3. 1218 CESCR, Concluding observations on the initial report of Pakistan, 20. Juli 2017, E/ C.12/PAK/CO/1, § 25. 1219 Siehe etwa OHCHR, Key Messages on Human Rights, Climate Change and Migration, 2018. 1220 Etwa CESCR, Concluding observations on the sixth periodic report of Sweden, 14. Juli 2016, E/C.12/SWE/CO/6, §§ 31, 32; CESCR, Concluding observations on the fifth periodic report of Australia, §§ 37, 38; CESCR, Concluding observations on the sixth periodic report of Germany, 27. November 2018, E/C.12/DEU/CO/6, §§ 28, 29; CESCR, Concluding observations on sixth periodic report of Denmark, 12. November 2019, E/C.12/DNK/CO/6, §§ 25, 26; CESCR, Concluding observations on the fourth periodic report of Israel, §§ 40, 41; CESCR, Concluding observations on the fourth periodic report of Switzerland, 18. November 2019, E/ C.12/CHE/CO/4, §§ 42, 43.
IX. Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
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Ein entscheidender Unterschied zwischen dem IPwskR und anderen VN-Menschenrechtsschutzverträgen ist, dass ausweislich des Vertragstextes keines der im Pakt genannten Rechte absolut gilt. Gemäß Artikel 4 IPwskR darf ein Vertragsstaat die Ausübung der von ihm gemäß dem Pakt gewährleisteten Rechte solchen Einschränkungen unterwerfen, die gesetzlich vorgesehen und mit der Natur dieser Rechte vereinbar sind und deren ausschließlicher Zweck es ist, das allgemeine Wohl in einer demokratischen Gesellschaft zu fördern. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Paktrechte nur unter strengen, eng auszulegenden Voraussetzungen eingeschränkt werden dürfen.1221 Der WSK-Ausschuss geht im Zusammenhang mit Migration sogar hierüber hinaus und verlangt, dass der wesentliche Mindestgehalt jedes Rechts unter allen Umständen erhalten bleiben müsse.1222 Auch ist der Ausschuss der Auffassung, dass die gleichzeitige Ankunft einer großen Gruppe von Flüchtenden grundsätzlich keine Beschränkung der Paktrechte rechtfertigt.1223 Darüber hinaus hat der WSK-Ausschuss die Einhaltung von Mindeststandards einiger Rechte zu ,core obligations‘ erklärt. Dies sind die Bekämpfung von Hunger,1224 der Zugang zu Wasser1225 und unentbehrlichen Arzneimitteln1226 sowie zu Bildung1227. Diese Kernpflichten sind nach Ansicht des Ausschusses nicht derogierbar.1228 Damit haben nach der Praxis des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die Artikel 11, 12 und 13 IPwskR eine besondere Bedeutung. Zudem hat der Ausschuss im Fall Schiffsreisender, die ihr Schiff nicht verlassen durften, einen Konflikt mit dem Schutz der Familie und des Kindes aus Artikel 10 IPwskR gesehen.1229
1221 Hierfür spricht auch die Auslegung des Artikel 4 IPwskR durch den Internationalen Gerichtshof, International Court of Justice, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports, 136, §§ 136, 137. Siehe auch M. Foster, Non-Refoulement on the Basis of Socio-Economic Deprivation: The Scope of Complementary Protection in International Human Rights Law, New Zealand Law Review 2009 (2009), 257 (282). 1222 CESCR, Statement on Duties of States towards refugees and migrants under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, § 9. 1223 Ebenda, § 10. 1224 CESCR, General Comment No. 12 The right to adequate food (art. 11), 12. Mai 1999, E/C.12/1999/5, §§ 6, 14, 17. 1225 CESCR, General Comment No. 15, § 37. 1226 CESCR, General Comment No. 14, § 43. 1227 CESCR, General Comment No. 13 The right to education (article 13 of the Covenant), 08. Dezember 1999, E/C.12/1999/10, § 57. 1228 CESCR, General Comment No. 14, § 47. 1229 CESCR, Concluding observations on the combined initial and second periodic reports of Thailand, 19. Juni 2015, E/C.12/THA/CO/1 – 2, § 16.
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D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
2. Praxis des Ausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement Während der WSK-Ausschuss eine sehr umfassende Praxis zu jenen Personen entwickelt hat, die sich auf dem Territorium eines Vertragsstaates aufhalten, sind seine Äußerungen zu Fragen von Aufenthaltsbeendigungen zögerlich. Der Ausschuss erkennt ein grundsätzliches Recht der Vertragsstaaten an, einzelne Personen aus dem eigenen staatlichen Territorium zu entfernen.1230 Der Ausschuss hat den Begriff ,Non-Refoulement‘ bislang ausschließlich im Zusammenhang mit Flüchtlingen im Sinne der GFK verwendet.1231 Das deutet darauf hin, dass er kein eigenes menschenrechtliches Prinzip des Non-Refoulement aus dem IPwskR ableitet. Allerdings ist auch der Ausschuss der Auffassung, dass Aufenthaltsbeendigungen unzulässig sind, wenn den betroffenen Personen kein Rechtsmittel gegen sie zur Verfügung stand. Zwar hat der WSK-Ausschuss solche Aufenthaltsbeendigungen als klaren Verstoß gegen den IPwskR bezeichnet (,unacceptable to the Committee and a clear violation of the Covenant‘). Er hat jedoch nicht spezifiziert, gegen welche Normen des Paktes Aufenthaltsbeendigungen ohne Rechtsmittel verstoßen.1232 Ebenso lehnt der Ausschuss Kollektivausweisungen ab, bei denen zuvor keine ordentlichen, individuellen Risikobewertungsverfahren durchgeführt werden.1233 Gleichzeitig verbindet der WSK-Ausschuss mit der Anerkennung materieller Rechte für Migrant:innen offensichtlich auch ein Recht auf Zugang zu staatlichem Territorium. Er ist der Auffassung, dass die Praxis sogenannter Push-backs, also die Abweisung an der Grenze oder die Zurückweisung auf Hoher See, gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 2 Abs. 2 IPwskR verstößt.1234 Gleiches gilt, wenn Schiffsreisende zwar nicht aktiv zurückgeschickt werden, ihnen aber nicht erlaubt wird, ihre Schiffe zu verlassen.1235 Auch scheint der WSK-Ausschuss ebenso wie der Ausschuss gegen Folter bereits in der Verbringung von Personen in grenznahe Gebiete des eigenen Territoriums eine Aufenthaltsbeendigung zu sehen, wenn die
1230
CESCR, Statement on Duties of States towards refugees and migrants under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, § 11. 1231 CESCR, Concluding observations on the second periodic report of Serbia, 10. Juli 2014, E/C.12/SRB/CO/2, § 14 (a); CESCR, Concluding observations on the fourth and fifth periodic report of Angola, 15. Juli 2016, E/C.12/AGO/CO/4 – 5, § 24 (a); CESCR, Concluding observations on the initial report of Pakistan, § 26; CESCR, Concluding observations on the initial report of Bangladesh, 18. April 2018, E/C.12/BGD/CO/1, § 26; CESCR, Concluding observations concerning the initial report of the Central African Republic, 04. Mai 2018, E/C.12/ CAF/CO/1, § 6. 1232 CESCR, Concluding Observations: Libya, 20. Mai 1997, E/C.12/1/Add.15, § 16. 1233 CESCR, Concluding observations on the fourth and fifth periodic report of Angola, § 23 (a). 1234 CESCR, Concluding observations on the fifth periodic report of Italy, 28. Oktober 2015, E/C.12/ITA/CO/5, §§ 18 f. 1235 CESCR, Concluding observations on the combined initial and second periodic reports of Thailand, § 16.
IX. Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
311
betroffenen Personen sodann die Grenze selbst überqueren, um den Vertragsstaat zu verlassen.1236 Versuche, aus dem IPwskR ein Prinzip des Non-Refoulement abzuleiten, gehen häufig darauf ein, dass eine Verwehrung materieller wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, insbesondere des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt, ein sogenanntes konstruktives Refoulement bewirkt. Das heißt, betroffene Menschen sind auch ohne aktive Einwirkung des Staates gezwungen, das Land zu verlassen.1237 Dem scheint auch der WSK-Ausschuss zu folgen. Demnach sei die Ermöglichung eines minimalen essentiellen Niveaus der Paktrechte auch unter dem Aspekt geboten, dass sich betroffene Personen ansonsten gezwungen sähen, das Land zu verlassen. Die Zurverfügungstellung von Nahrung, Wasser und Wohnung darf nicht von der Rückkehrbereitschaft der Migrant:innen abhängig gemacht werden.1238 Hierbei muss der Vertragsstaat übrigens auch gewährleisten, dass nichtstaatliche Akteure, die vom Staat nicht hinreichend reguliert werden, den Zugang zu Nahrung nicht verwehren.1239 3. Fazit Obwohl der WSK-Ausschuss eines der ältesten Organe des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen ist, hat sich der Ausschuss bislang nicht systematisch mit dem Prinzip des Non-Refoulement befasst. Seine Äußerungen zu Aufenthaltsbeendigungen, Zurückweisungen und Non-Refoulement beschränken sich bislang auf vereinzelte Erwähnungen im Rahmen von Staatenberichtsverfahren. Im Staatenberichtsverfahren stellt der Ausschuss stets Fragen etwa zu den Lebensbedingungen von Flüchtlingen, zum Zugang von Migrant:innen zu Bildung und andere Fragen des diskriminierungsfreien Zugangs zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Der Ausschuss hat hierzu eindeutige Positionen bezogen, auch etwa zum Familiennachzug. Während sich der WSK-Ausschuss schon mehrfach zu Fragen des Zugangs zu staatlichem Territorium und zu Abweisungen an Grenzen im Zusammenhang mit Artikel 2 IPwskR geäußert hat, mangelt es bislang an einer Praxis dazu, welche materiellen Rechtsverletzungen aus dem Pakt durch Aufenthaltsbeendigungen oder durch Abweisungen an der Grenze möglich sind. Ein weiterer Schwachpunkt der Praxis des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit Blick auf das Prinzip des Non-Refoulement ist, dass 1236 CESCR, Concluding Observations: Libya, § 16. Vergleiche auch CAT, Kwami Mopongo and others, 321/2007. 1237 P. Mathew, in: S. S. Juss, 215 f. 1238 CESCR, Concluding observations: People’s Republic of China (including Hong Kong and Macao), 13. Mai 2005, E/C.12/1/Add.107, § 14; CESCR, Concluding observations on the sixth periodic report of the Netherlands, 06. Juli 2017, E/C.12/NLD/CO/6, § 40 (a). 1239 CESCR, General Comment No. 12, § 19.
312
D. Prinzip des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane der VN
dieser in aller Regel keine eindeutigen Verbote formuliert. Vielmehr stellt der Ausschuss Anforderungen, welche die Vertragsstaaten erreichen sollten oder er lässt grundsätzlich keine Beschränkungen eines Rechts zu.1240 Ein absolutes Verbot von Aufenthaltsbeendigungen wegen drohender Rechtsverletzungen lässt sich hieraus nicht ableiten. In der Praxis vieler Staaten ist anerkannt, dass die Entziehung sozialer, wirtschaftlicher oder kultureller Rechte eine Form der Verfolgung im Sinne der GFK darstellen kann.1241 In der Literatur wird argumentiert, dass eine Übernahme des Standards anderer Vertragsorgane, wie etwa des Menschenrechtsausschusses, nicht auf die Verletzung eines bestimmten Rechts, sondern auf die Schwere der Verletzung beziehungsweise des dadurch entstehenden Schadens abzustellen, auch für den WSK-Ausschuss zielführend wäre.1242 Der WSK-Ausschuss kann sich auch mit Bezug auf das anwendbare materielle Recht an der Praxis der anderen VN-Vertragsorgane orientieren. Insbesondere haben der Ausschuss gegen Folter, der Menschenrechtsausschuss und der Behindertenrechtsausschuss bereits befunden, dass eine Aufenthaltsbeendigung bei mangelnder Gesundheitsversorgung im Zielstaat einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement darstellen kann.1243 Der Menschenrechtsausschuss hat überdies einen Zusammenhang mit dem Zugang zu Nahrung und Trinkwasser und dem Prinzip des Non-Refoulement bejaht.1244 Auch die Kinderrechtskonvention, die in ihrem Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung (Artikel 6 KRK) bürgerliche und wirtschaftliche Rechte vereint, lässt eine solche Interpretation zu. Diese Praxis könnte entsprechend auch der WSK-Ausschuss übernehmen.
1240
Etwa CESCR, Statement on Duties of States towards refugees and migrants under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, §§ 3, 9, 10; CESCR, Concluding Observations: Libya, § 23. 1241 Für Beispiele der Staatenpraxis siehe M. Foster, Economic Migrant or Person in Need of Protection?, in: B. Burson/D. J. Cantor, Human rights and the refugee definition, 2016. Siehe auch J. M. Pobjoy, The child in international refugee law, 139 f. 1242 Für Non-Refoulement im Sinne der GFK so M. Foster, in: B. Burson/D. J. Cantor, 249. 1243 CCPR, C. v. Australia, 900/1999, § 8.5; CCPR, A. H. G. and M. R. v. Canada, 2091/ 2011, § 10.4; CCPR, W. M. G. v. Canada, 2060/2011, § 7.4; CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/ 2015; CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019. Zur Verletzung von Artikel 16 AFK CAT, A. N. v. Switzerland, 742/2016, § 8.8. 1244 CCPR, Ioane Teitiota v. New Zealand, 2728/2016.
E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung eines allgemeinen Prinzips des Non-Refoulement Es wurde gezeigt, dass alle Vertragsorgane der Vereinten Nationen ausgehend von vergleichbaren vertraglichen Grundlagen ein menschenrechtliches Prinzip des NonRefoulement anerkennen. In der Praxis der Vertragsorgane zeigen sich viele Überschneidungen. Einige der Vertragsorgane verfügen über eine kontinuierliche und kohärente Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement. Andere können dagegen nur eine sehr lückenhafte Praxis vorweisen. Auch sind einige Rechtsauffassungen bislang lediglich angedeutet und reichen höchstens als Indiz, in welche Richtung sich eine zukünftige Praxis des jeweiligen Vertragsorgans entwickeln kann. Ob die Praxis der Vertragsorgane insgesamt zu einem effektiven Menschenrechtsschutz beiträgt oder nicht, hängt aber nicht nur davon ab, ob ein einzelnes Vertragsorgan in sich konsequent und transparent handelt. Zur Vermeidung einer Fragmentierung des Menschenrechtsschutzes ist entscheidend, ob und inwieweit die Praxis der Vertragsorgane in ihrer Gesamtschau schlüssig ist. Hierbei können Harmonisierungen, zum Beispiel von Verfahrensabläufen, gegenseitige Beeinflussung, aber auch bewusste Abgrenzung voneinander eine Rolle spielen.
I. Inhalt und Reichweite des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement in seiner Ausgestaltung durch die Vertragsorgane 1. Prozessuales Die prozessualen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Individualbeschwerde gegen eine Aufenthaltsbeendigung sind bei allen VN-Vertragsorganen, die Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement behandeln, sehr ähnlich. Dadurch, dass die Beschwerden vor dem Ausschuss gegen Folter einander stark ähneln, stellt dieser von allen Vertragsorganen die detailliertesten Anforderungen an die Individualbeschwerdeverfahren. An diesen orientieren sich andere Vertragsorgane. Vor allen Vertragsorganen sind Beschwerden nur dann zulässig, wenn zuvor im innerstaatlichen Verfahren zur Verfügung stehende Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. Bei drohender Aufenthaltsbeendigung gilt dies jedoch vor allen Vertrags-
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
organen nicht für solche Rechtsmittel, die über keinen Suspensiveffekt verfügen.1 Während der Ausschuss gegen Folter anfänglich von beschwerdeführenden Personen verlangte, alles zu versuchen, um im Vertragsstaat zu bleiben, verlangt er mittlerweile nur noch das Ausschöpfen solcher Rechtsmittel, die im Zusammenhang mit dem Folterrisiko im Empfangsstaat stehen.2 Dieser Praxis folgen auch alle anderen Vertragsorgane. Demnach müssen beschwerdeführende Personen nicht versuchen, ein Visum aus humanitären Gründen oder zur Familienzusammenführung zu erlangen. Die Übereinstimmungen in der Praxis aller Vertragsorgane ergeben sich auch daraus, dass die Vertragsstaaten auf eine einheitliche Praxis bestehen. Zum Beispiel folgt daher der Behindertenrechtsausschuss der Praxis des Ausschusses gegen Folter, nach der eine beschwerdeführende Person nicht persönlich betroffen und damit beschwerdebefugt ist, wenn der staatliche Titel zur Aufenthaltsbeendigung verjährt ist.3 Einigkeit herrscht unter den VN-Vertragsorganen auch darüber, dass persönlich betroffen nicht nur die beschwerdeführende Person in ihrer Eigenschaft als Trägerin von Rechten aus dem jeweiligen Menschenrechtsschutzvertrag ist. Der Schutz wird bei allen Vertragsorganen auf die Familienmitglieder der beschwerdeführenden Personen ausgeweitet. Wenn ein Vertragsorgan eine Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement annimmt, gelten überall vergleichbare Standards bezüglich Beweislast und Beweisstandard. Die Beweislast liegt zunächst immer bei der beschwerdeführenden Person. Sie muss darlegen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass ihr im Zielstaat eine relevante Misshandlung droht. Erleichterungen der Beweislast zugunsten der beschwerdeführenden Person ermöglichen die Vertrags-
1 CAT, Arkauz Arana v. France, 063/1997, § 6.1; CAT, Brada v. France, 195/2002, §§ 7.3 – 7.9; CAT, Nadeem Ahmad Dar v. Norway, 249/2004, §§ 6.4, 6.5; CCPR, Warsame v. Canada, 1959/2010, § 7.4; CCPR, Choudhary v. Canada, 1898/2009, § 8.3; CCPR, Hamadie Al-Gertani v. Bosnia and Herzegovina, 1955/2010, § 9.3; CCPR, Deepan Budlakoti v. Canada, 2264/2013, § 8.4; CCPR, B. A. et al. v. Austria, 2956/2017, § 10.4; CRC, N. B. F. v. Spain, 11/ 2017, § 11.3; CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, § 8.2; CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017, § 8.3; CRC, M. B. v. Spain, 28/2017, § 9.3; CRC, B. I. v. Denmark, 49/2018, § 5.2; CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 6.4; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 9.4. 2 CAT, General Comment No. 4, § 34; CAT, R. S. M. v. Canada, 392/2009, 24. Mai 2013, § 6.3; CAT, A. R. v. Sweden, 170/2001, § 7.1; CAT, Kalonzo v. Canada, 343/2008, §§ 4.6, 8.3; CAT, W. G. D. v. Canada, 520/2012, § 7.4; CAT, J. K. v. Canada, 562/2013, § 9.2. 3 CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, §§ 10.5 ff. Siehe CAT, J. M. U. M. v. Sweden, 058/ 1996, § 3.2; CAT, A. R. v. Sweden, 170/2001, § 7.2. Nach der Praxis des Ausschusses gegen Folter ist eine Person auch nicht mehr beschwerdebefugt, wenn sich die Person nicht mehr in dem Staat aufhält, gegen den sie die Individualbeschwerde erhoben hat, CAT, H. W. A. v. Switzerland, 048/1996, § 4.3; CAT, H. S. T. v. Norway, 288/2006, § 6.3. Der Kinderrechtsausschuss ist dieser Praxis nicht gefolgt, CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 10.5.
I. Inhalt u. Reichweite des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement
315
organe unter Bezugnahme aufeinander.4 Hieraus ergibt sich auch ein übereinstimmendes Verständnis, dass der Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Person eine entscheidende Rolle zukommt. So hat der Vertragsstaat in seiner Bewertung möglicherweise widersprüchlicher Aussagen der beschwerdeführenden Person zu berücksichtigen, wenn die Person eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund früherer Folter oder anderer Misshandlung aufweist.5 Während die Durchführung eines ordentlichen Risikobewertungsverfahrens vor allen Vertragsorganen eine gewichtige Rolle spielt, haben die Vertragsorgane auch ein übereinstimmendes Selbstverständnis der Rolle von Individualbeschwerdeverfahren und ihrer eigenen Überprüfungskompetenz. Abgesehen von Ausnahmen in Einzelfällen gehen die Vertragsorgane davon aus, dass die eigene Überprüfungskompetenz auf Fälle beschränkt ist, in denen die nationale Bewertung eindeutig fehlerhaft oder willkürlich war oder eine Rechtsverweigerung darstellt.6 Uneinigkeit herrscht dagegen bei der Frage, welcher der relevante Zeitpunkt zur Beurteilung des Risikos ist. Einheitlich ist die Praxis der Vertragsorgane mit Bezug auf einstweilige Maßnahmen. Unabhängig davon, ob ihre Menschenrechtsschutzverträge oder deren Fakultativprotokolle die Anordnung einstweiliger Maßnahmen vorsehen, haben sich jedenfalls alle Vertragsorgane diese Möglichkeit geschaffen. Übereinstimmend ordnen sie solche an, wenn ansonsten die Gefahr eines irreparablen Schadens droht. Hauptanwendungsfall für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen sind bei allen Vertragsorganen Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement. Hierdurch bieten alle VN-Vertragsorgane einen einheitlichen de facto Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen.
4 Etwa zur Tatsache, dass der Zugang zu Beweismitteln für Staaten häufig einfacher ist, als für Einzelpersonen CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 13.3; CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, § 13.4. 5 CAT, General Comment No. 4, § 42; CAT, Mr. X and Mr. Z v. Finland, 483/2011, 485/ 2011, § 7.5; CAT, F. K. v. Denmark, 580/2014, § 7.6; CCPR, Pillai et al. v. Canada, 1763/2008, § 11.4; CCPR, F. and G. v. Denmark, 2530/2015, §§ 8.3 f.; CCPR, R. M. and F. M. v. Denmark, 2685/2015, § 9.6; CEDAW, General Recommendation No. 32, §§ 25, 50 (i). Die Praxis des Frauenrechtsausschusses ist hier allerdings noch nicht gefestigt, siehe oben Kapitel D. VI. 2. b). 6 CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, § 8.8; CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, § 8.6; CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017, § 8.7; CRC, A. S. v. Denmark, 36/2017, § 9.6; CRC, B. I. v. Denmark, 49/2018, § 5.4; CAT, S. P. A. v. Canada, 282/2005, § 7.6; CAT, Yousri Ktiti v. Morocco, 419/2010, § 8.7; CCPR, A. and B. v. Denmark, 2291/2013, § 8.3; CCPR, A. H. S. v. Denmark, 2473/2014, § 7.5; CCPR, M. J. K. v. Denmark, 2338/2014, § 6.4; CERD, Er v. Denmark, 40/2007, § 7.2; CERD, Benon Pjetri v. Switzerland, 53/2013, § 7.5; CEDAW, A. M. v. Denmark, 077/2014, § 8.4; CEDAW, N. M. v. Denmark, 078/2014, § 8.6; CEDAW, H. D. v. Denmark, 076/2014, § 7.7; CEDAW, A. N. A. v. Denmark, 094/2015, § 8.4; CEDAW, A. R. I. v. Denmark, 096/2015, § 10.4; CEDAW, F. H. A. v. Denmark, 108/2016, § 6.8; CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018, § 6.8; CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019, §§ 7.3 f.
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
2. Territorialer Schutzbereich Einige Menschenrechtsschutzverträge enthalten Angaben dazu, ob und inwieweit die Vertragsstaaten durch sie über das staatliche Territorium hinaus verpflichtet werden. Unabhängig von den Vertragstexten halten sich alle Vertragsorgane für zuständig, Geschehen auch außerhalb staatlichen Territoriums zu prüfen, wenn der Vertragsstaat über ein Gebiet effektive Kontrolle ausübt. Für das Prinzip des NonRefoulement bedeutet das, dass alle Vertragsorgane sowohl Abweisungen an der Grenze eines Staates als auch die Zurückweisung von Schiffen auf Hoher See als von ihrer eigenen Überprüfungskompetenz erfasst ansehen. Da bei den genannten Praktiken in der Regel keine ordentlichen, einzelfallbezogenen Risikobewertungsverfahren stattfinden, halten die Vertragsorgane diese in der Regel für unvereinbar mit dem Prinzip des Non-Refoulement.7 Ebenso ist nach Ansicht einer Mehrheit der VN-Vertragsorgane das sogenannte Kettenrefoulement vom Prinzip des Non-Refoulement erfasst.8 3. Personeller Schutzbereich Diejenigen Vertragsorgane, die klar zwischen dem flüchtlingsrechtlichen Prinzip des Non-Refoulement und dem menschenrechtlichen Schutz unterscheiden, gewähren den Schutz ohne personelle Einschränkungen oder Ausnahmen.9 Auch die 7 CAT, General Comment No. 4, § 4; CCPR, General Comment No. 15, § 5; CRC, General Comment No. 6, § 12; CMW, General Comment No. 2, § 51; CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 46; CAT, J. H. A. v. Spain, 323/2007, § 8.2; CAT, Sonko v. Spain, 368/2008, § 10.3; CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Australia, § 33 (c); CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Hungary, §§ 45 f.; CERD, Concluding observations on the combined eighteenth to twenty-fifth periodic reports of Hungary, § 24; CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 13.4; CRC, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of Australia, § 45 (c); CED, Concluding observations on the report submitted by France under article 29, paragraph 1, of the Convention, §§ 28, 29; CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, § 27 (b); CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 11; CEDAW, Concluding observations on the seventh periodic report of Italy, §§ 15 (e), 16 (e); CEDAW, General Recommendation No. 32, § 24; CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/ 2013, § 8.9; CESCR, Concluding observations on the fifth periodic report of Italy, §§ 18 f.; CESCR, Concluding observations on the combined initial and second periodic reports of Thailand, § 16. 8 CRC, General Comment No. 6, § 27; CAT, General Comment No. 4, § 49 (g); CCPR, General Comment No. 31, § 12; CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, § 13; CCPR, X. v. Republic of Korea, 1908/2009, § 13; CCPR, X. v. Denmark, 2007/2010, § 9.2; CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 11; CAT, Korban v. Sweden, 088/1997, § 6.5. 9 Das scheint auch in der Praxis des Wanderarbeiterausschusses der Fall zu sein. Allerdings sieht Artikel 22 Abs. 3, 4 WAK Ausnahmen für die Einhaltung von Verfahrensrechten aus
I. Inhalt u. Reichweite des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement
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Familienmitglieder der beschwerdeführenden Personen beziehen alle Vertragsorgane in den Schutz mit ein. 4. Materieller Schutzbereich Die beiden Menschenrechtsschutzverträge, die explizit ein Verbot von Aufenthaltsbeendigungen wegen des Prinzips des Non-Refoulement vorsehen, weisen sehr limitierte Schutzbereiche auf. So dürfen nach der AFK deren Vertragsstaaten eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die Person dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden (Artikel 3 Abs. 1). Die ICPPED schützt nur vor der Gefahr, im Zielstaat zu verschwinden (Artikel 16 Abs. 1). Die übrigen Vertragsorgane, die ihre eigenen Standards zum Prinzip des NonRefoulement entwickelt haben, schützen teilweise vor der Verletzung jedes Menschenrechts, solange der hierdurch entstehende Schaden irreparabel wäre.10 Der Schutzbereich geht dabei etwa von dem Recht auf Leben und dem Folterverbot aus, kann aber auch andere Rechte miteinschließen. Dadurch ist im Vergleich zum Ausschuss gegen Folter ein deutlich breiterer, differenzierterer Rechtsschutz möglich.11 Andere Vertragsorgane schützen vor der Verletzung bestimmter Rechte aus ihren Menschenrechtsschutzverträgen12 oder haben einen spezifischen Standard entwickelt.13 Diese unterschiedlich formulierten Standards kommen allerdings in vielen Fällen zu dem gleichen Ergebnis. Das Anknüpfen einiger Vertragsorgane an einen irreparablen Schaden statt an bestimmte Rechtsverletzungen bietet diesen Vertragsorganen Flexibilität. Sie können die Praxis anderer Vertragsorgane so einfacher in ihre eigene Praxis miteinbeziehen und ein vergleichbares Schutzniveau bieten. Gleichzeitig verwischt der Ausschuss gegen Folter in seiner neueren Praxis zunehmend die Grenzen zwischen Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und weitet so seinen Schutzbereich aus.14 zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit vor. Ob diese Ausnahmen auch für das Prinzip des Non-Refoulement gelten, hat der Wanderarbeiterausschuss noch nicht geklärt. 10 CCPR, General Comment No. 31, § 12; CRC, General Comment No. 6, § 27; CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019, § 6.4. 11 Der Menschenrechtsausschuss wird daher teilweise auch als eine Art Auffang-Organ für solche Individualbeschwerden angesehen, die nicht zu einem spezifischeren Vertragsorgan passen, M. G. Schmidt, The International and Comparative Law Quaterly 1992 (654); Kerbrat Y. Aspects de droit international général dans la pratique des comités établis au sein des Nations Unies dans le domaine des droits de l’homme 2008 – 2009, afdi 55 (2009), 559 (559 f.). 12 Etwa CMW, General Comment No. 2, § 50. 13 So schützt der Frauenrechtsausschuss nur vor geschlechterspezifischer Gewalt, CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.10. 14 Der Ausschuss gegen Folter geht davon aus, dass ein allgemeiner internationaler Standard existiert, nachdem eine Unterscheidung zwischen Folter und anderer Misshandlung nicht
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
Eine solche Praxis wird nicht zuletzt dadurch ermöglicht, dass andere Organe die Unterscheidung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe kaum problematisieren und selbstverständlich davon ausgehen, dass eine Abgrenzung weder möglich noch erforderlich ist. Eine ähnliche Annäherung der Praxis des Ausschusses gegen Folter an andere Vertragsorgane ist beim Recht auf Leben erkennbar.15 Dennoch ist der Schutz des Rechts auf Leben im Rahmen der Praxis anderer Vertragsorgane (noch) weiter.16 Auch wenn eine bestimmte Art der Misshandlung eindeutig nicht vom Schutzbereich eines Menschenrechtsschutzvertrages erfasst ist, kann diese in der Praxis eines Vertragsorgans dennoch relevant sein. Beim Ausschuss gegen Folter ist zum Beispiel das Praktizieren von Verschwindenlassen im Zielstaat ein Indiz für ein Folterrisiko.17 Der Frauenrechtsausschuss schützt speziell vor geschlechterspezifischer Gewalt. Aber andere Vertragsorgane bieten Frauen mit Bezug auf die im Zielstaat drohenden Gefahren vergleichbaren Schutz. Der Ausschuss gegen Folter erkennt Vergewaltigung und auch andere geschlechterspezifische Gewalt als Folterhandlungen an.18 Vor weiblicher Genitalverstümmelung schützen etwa auch der Kinderrechtsausschuss und der Menschenrechtsausschuss.19 Unterschiedlich bewerten die Vertragsorgane die Frage, ob und inwieweit Gefahren für die Gesundheit einer beschwerdeführenden Person für das Prinzip des mehr vorgenommen wird. Obwohl die AFK eine solche Unterscheidung vorsieht, sei es also mit Blick auf geltendes internationales Recht nicht angebracht, dass der Ausschuss im Rahmen der Interpretation der AFK eine solche Unterscheidung weiterhin vornehme, CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, § 8.6. 15 Vor dem Ausschuss gegen Folter war lange Zeit die drohende Vollstreckung der Todesstrafe in der Regel kein Fall des Artikel 3 Abs. 1 AFK, CAT, Summary Record of the First Part of the 139th Meeting, § 27. Gemäß seinem General Comment Nr. 4 ist eine Aufenthaltsbeendigung dagegen dann nicht zulässig, wenn der die Aufenthaltsbeendigung vollziehende Staat selbst die Todesstrafe abgeschafft hat, für die der betroffenen Person vorgeworfene Straftat selbst keine Todesstrafe vorsieht oder wenn die betroffene Person minderjährig ist, CAT, General Comment No. 4, § 29 (k). 16 So hält der Ausschuss gegen Folter etwa die Tötung zur Wiederherstellung der Familienehre für nicht per se im Rahmen von Artikel 3 AFK relevant, CAT, S. v. Sweden, 691/2015, § 9.5. Frauenrechtsausschuss und Kinderrechtsausschuss würden wohl zu einem anderen Ergebnis kommen, CEDAW/CRC, Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child, §§ 29, 30, 84. Dem scheint auch der Menschenrechtsausschuss zu folgen, CCPR, General Comment No. 28, § 31. 17 CAT, Mutombo v. Switzerland, 013/1993, § 9.5; CAT, S. S. v. The Netherlands, 191/2001, § 6.3; CAT, Fuad Jahani v. Switzerland, 357/2008, § 9.4; CAT, Abed Azizi v. Switzerland, 492/ 2012, § 8.5; CAT, Z. v. Sweden, 556/2013, § 8.5; CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, § 10.6. 18 CAT, V. L. v. Switzerland, 262/2005, § 8.10; CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/ 2007, § 9.5. 19 CCPR, Kaba v. Canada, 1465/2006; CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016.
I. Inhalt u. Reichweite des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement
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Non-Refoulement erheblich sein können. Der Ausschuss gegen Folter ist der Auffassung, dass dann, wenn die medizinische Versorgung nicht etwa aktiv verweigert wird, sondern im Zielstaat lediglich nicht vorhanden ist, dies keine Relevanz für das Prinzip des Non-Refoulement hat.20 Mehrere andere Vertragsorgane erkennen dagegen ein Verbot von Aufenthaltsbeendigungen für schwer Kranke, darunter auch psychisch Kranke, an, deren medizinische Versorgung im Zielstaat nicht gewährleistet wäre.21 Eine Annäherung des Ausschusses gegen Folter an die Praxis anderer Vertragsorgane zeigt sich bei der Frage der relevanten Akteure. Während die meisten Vertragsorgane auch vor Gefahren durch Private schützen, sofern die beschwerdeführende Person zeigen kann, dass der Zielstaat nicht willens oder nicht fähig ist, sie vor diesen Gefahren zu schützen,22 hat der Ausschuss gegen Folter aufgrund der Definition von Folter des Artikel 1 Abs. 1 AFK im Rahmen von Aufenthaltsbeendigungen und möglichen drohenden Gefahren durch Private im Zielstaat zunächst keinerlei Schutz anerkannt.23 Diese Praxis hat der Ausschuss gegen Folter im Laufe der vergangenen Jahrzehnte an die Praxis der anderen Vertragsorgane angepasst.24 Insgesamt lässt sich also feststellen, dass die Vertragsorgane in ihrer Praxis trotz divergierender Vertragstexte und unterschiedlicher Herleitung des Geltungsbereiches des Prinzips des Non-Refoulement einen vergleichbaren materiellen Schutz bieten.25
20
CAT, A. I. v. Switzerland, 182/2001, § 6.8; CAT, K. K. v. Switzerland, 186/2001, § 6.8. CCPR, C. v. Australia, 900/1999, § 8.5; CCPR, A. H. G. and M. R. v. Canada, 2091/2011, § 10.4; CCPR, W. M. G. v. Canada, 2060/2011, § 7.4; CMW/UN Special Rapporteur on the human rights of migrants, Joint Guidance Note on the Impacts of the COVID-19 Pandemic on the Human Rights of Migrants, § 14; CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019, §§ 7.4 f. Nach der Praxis des Kinderrechtsausschusses ist vom Prinzip des Non-Refoulement nach der KRK insbesondere das Recht auf Leben aus Artikel 6 KRK erfasst. Dieses schützt auch vor drohenden Gefahren für die Entwicklung des Kindes, einschließlich physischer und psychischer Gesundheit. 22 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.8 (c); CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017 § 8.3; CEDAW, General Recommendation No. 32, § 27; CCPR, General Comment No. 20, § 2. 23 CAT, S. et al. v. Canada, 049/1996, § 9.5; CAT, G. R. B. v. Sweden, 083/1997, § 6.5; CAT, M. P. S. v. Australia, 138/1999, § 7.4; CAT, V. X. N. and H. N. v. Sweden, 130/1999, 131/1999, § 13.8; CAT, Güclü v. Sweden, 349/2008, § 5.2; CAT, Aytulun and Güclü v. Sweden, 373/2009, § 6.2. 24 CAT, General Comment No. 2, § 18. Siehe etwa CAT, Njamba and Balikosa v. Sweden, 322/2007, § 9.5; CAT, S. J. D. v. Australia, 387/2009, § 10.9; CAT, A. A. M. v. Sweden, 413/ 2010, § 9.2; CAT, M. K. M. v. Australia, 681/2015, § 8.7. 25 Überraschend ist die Praxis des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Obwohl dieser eines der ältesten VN-Vertragsorgane ist und auch über eine langjährige Praxis zum Umgang mit ausländischen Staatsangehörigen verfügt, hat sich der WSK-Ausschuss bislang nicht systematisch mit dem Prinzip des Non-Refoulement befasst. Mit Blick auf die Praxis anderer Vertragsorgane ist denkbar, dass auch der WSK-Ausschuss aus dem Recht auf Gesundheit (Artikel 12 IPwskR) ein Verbot von Aufenthaltsbeendigungen ableitet oder vor irreparablen Schäden durch drohende Verletzung der Paktrechte schützt. 21
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
5. Verfahrensrechtliche Komponente Der Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen wegen des Prinzips des Non-Refoulement ist vor den Vertragsorganen auch deshalb so ähnlich, weil alle Vertragsorgane den Schwerpunkt ihrer Prüfung in Individualbeschwerdeverfahren darauf legen, ob der Vertragsstaat seine nationale Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung auf ein ordentliches Risikobewertungsverfahren stützen kann. Jeder Person steht das Recht auf individuelle Überprüfung ihres Einzelfalls zu. Erfolgt kein Risikobewertungsverfahren, stellt bereits dies allein einen Verstoß gegen das Prinzip des Non-Refoulement dar.26 Mangels Möglichkeit der Durchführung eines einzelfallbezogenen Risikobewertungsverfahrens sehen alle Vertragsorgane Kollektivausweisungen als unvereinbar mit dem Prinzip des Non-Refoulement an. Die Vertragsorgane nehmen auch hierbei aufeinander Bezug.27 Auch Maßnahmen zur Verkürzung oder Vermeidung von Risikobewertungsverfahren, wie zum Beispiel das Führen von Listen sicherer Drittstaaten, betrachten die Vertragsorgane kritisch.28 Das nationale Risikobewertungsverfahren muss von den tatsächlich zuständigen Behörden durchgeführt werden.29 Hierzu gehört auch ein spezifischer Schutz bestimmter Personengruppen. So ist es nicht nur vor dem Kinderrechtsausschuss erforderlich, dass einer jungen Person, deren Alter nicht feststeht, ein Recht auf 26
Etwa CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 7.6. CAT, General Comment No. 4, § 13; CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 47; CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, § 27 (b); CCPR, General Comment No. 27, § 19; CCPR, General Comment No. 15, § 10; CERD, General Recommendation XXX, § 26; Artikel 22 Abs. 1 WAK; CESCR, Concluding observations on the fourth and fifth periodic report of Angola, § 23 (a); CAT, Concluding Observations on The Former Yugoslav Republic of Macedonia, § 116; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Dominican Republic, § 16; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Italy, § 15; CCPR, A. G. et al. v. Angola, 3106/ 2018 – 3122/2018, § 7.9. 28 CCPR, Concluding Observations on Estonia, § 13; CCPR, Concluding Observations New Zealand, § 16; CCPR, Concluding Observations on France, § 20; CCPR, Concluding Observations on the third periodic report of Serbia, § 33; CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 11; CED, List of issues in relation to the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, § 16; CED, List of issues in relation to the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, § 11; CERD, Concluding observations on the combined second to fifth periodic reports of Serbia, § 26. 29 CAT, General Comment No. 4, §§ 13, 42, 43; CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 47; CMW/ CRC, Joint General Comment No. 4 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 23 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 17. 27
I. Inhalt u. Reichweite des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement
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Feststellung der eigenen Minderjährigkeit eingeräumt wird, wobei im Zweifel von der Minderjährigkeit des Kindes auszugehen ist. Auch der Menschenrechtsausschuss und der Ausschuss über das Verschwindenlassen erkennen diesen Grundsatz an.30 Auch ist nicht nur in der Praxis des Frauenrechtsausschusses Frauen ein Recht zu gewähren, geschlechterspezifische Gründe gegen ihre Aufenthaltsbeendigung vorzubringen.31 Ein weiterer Aspekt der verfahrensrechtlichen Komponente des Prinzips des NonRefoulement vor allen Vertragsorganen ist das Recht auf ein effektives Rechtsmittel. Gegen eine Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung muss jeder Person der nationale Rechtsweg offenstehen. Um effektiv zu sein, müssen zur Verfügung stehende Rechtsmittel aufschiebende Wirkung besitzen.32 6. Akzeptierte Beschränkungen Nicht nur die Praxis der Vertragsorgane ist ähnlich, auch die Vertragsstaaten bringen immer wieder die gleichen Argumente vor, so insbesondere zum Bestehen interner Fluchtalternativen, sicherer Drittstaaten, der Möglichkeit diplomatischer Zusicherungen und entgegenstehender rechtlicher Verpflichtungen des Vertragsstaates.
30 CCPR, O. A. v. Denmark, 2770/2016, § 8.11; CED, Guiding principles for the search for disappeared persons, Prinzip Nr. 4 § 2. 31 Etwa CCPR, General Comment No. 28, § 17. 32 CAT, General Comment No. 4, § 35; CCPR, General Comment No. 15, § 10; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Ukraine, § 9; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Estonia, § 11; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Uzbekistan, § 12; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Azerbaijan, § 9; CCPR, Concluding Observations on France, § 20; CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Libya, § 18; CED, List of issues in relation to the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, § 14 (b); CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, § 27 (d); CED, Concluding observations on the report submitted by France under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 27; CED, Concluding observations on the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, § 21 (c); CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 12; CED, Concluding observations on the report submitted by Peru under article 29 (1) of the Convention, § 23 (c); CED, Concluding observations on the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, § 15 (b); CMW, General Comment No. 2, § 53; CMW/UN Special Rapporteur on the human rights of migrants, Joint Guidance Note on the Impacts of the COVID-19 Pandemic on the Human Rights of Migrants, § 14; CMW, Concluding observations on the third periodic report of Mexico, § 44 (a); CMW, Concluding observations on the third periodic report of Bosnia and Herzegovina, §§ 35, 36; CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, § 14.7. Sogar der WSK-Ausschuss, dessen Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement noch kaum entwickelt ist, ist der Auffassung, dass Aufenthaltsbeendigungen unzulässig sind, wenn den betroffenen Personen kein Rechtsmittel hiergegen zur Verfügung stand, CESCR, Concluding Observations: Libya, § 16.
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
Auch bei internen Fluchtalternativen zeigt sich, dass der Ausschuss gegen Folter seine Praxis im Laufe der vergangenen Jahrzehnte angepasst hat. Anfänglich ließ dieser das Argument des Bestehens interner Fluchtalternativen ausreichen, um eine Vereinbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme mit Artikel 3 Abs. 1 AFK zu bejahen und verlangte darüber hinaus von jenen Menschen, die auf dem Weg zum aktuellen Aufenthaltsstaat mehrere Länder durchreist haben, dass diese erklären, warum sie nicht in diesen Ländern geblieben sind.33 Heute stellt der Ausschuss gegen Folter dagegen strenge Anforderungen an die Vertragsstaaten für den Nachweis des Bestehens einer internen Fluchtalternative.34 Damit entspricht die Praxis des Ausschusses gegen Folter heute jener anderer Vertragsorgane, welche das Konzept der internen Fluchtalternative zwar grundsätzlich akzeptieren aber an den Vertragsstaat detaillierte Anforderungen an den Nachweis des Bestehens solcher Alternativen stellen.35 Auch diplomatische Zusicherungen behandeln die Vertragsorgane gleich. Sie sind unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die Aufenthaltsbeendigung ohne diese Zusicherungen gegen das Prinzip des Non-Refoulement verstoßen würde. Zulässig sind sie außerdem nur, wenn sie effektive Überprüfungsmechanismen für die Zeit nach Vollzug der Aufenthaltsbeendigung und den Zugang zu einem effektiven Rechtsmittel für die betroffene Person enthalten.36 Auch das Argument konkurrierender rechtlicher Verpflichtungen der Vertragsstaaten lehnen die Vertragsorgane einheitlich ab.37
33 CAT, S. P. A. v. Canada, 282/2005, § 7.5. Auch der Menschenrechtsausschuss stimmt den Vertragsstaaten großzügig zu, wenn diese das Bestehen einer Fluchtalternative darlegen, CCPR, B. L. v. Australia, 2053/2011, § 7.4. 34 CAT, General Comment No. 4, § 48. 35 CEDAW, General Recommendation No. 32, § 28; CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 11.7. 36 CAT, General Comment No. 4, §§ 19, 20; CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/2005, §§ 11.3 – 11.5; CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, § 19; CRC, General Comment No. 6, § 53; CMW/CRC, Joint General Comment No. 3 (2017) of the Committee on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families and No. 22 (2017) of the Committee on the Rights of the Child, § 32 (k); CED, Concluding observations on the report submitted by Armenia under article 29, paragraph 1, of the Convention, §§ 16 f.; CED, Concluding observations on the report submitted by Kazakhstan under article 29 (1) of the Convention, § 18 (c); CMW, Concluding observations on the initial report of Turkey, § 41 (e). Zur Sonderrolle diplomatischer Zusicherungen in Verfahren nach der Dublin-Verordnung siehe oben Kapitel D. I. 2. c) bb) (5), D. II. 3. d). 37 CAT, General Comment No. 4, §§ 23, 25; CAT, Agiza v. Sweden, 233/2003, § 13.1; CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, § 13.1; CED, List of issues in relation to the report submitted by Spain under article 29, paragraph 1, of the Convention, § 13.
I. Inhalt u. Reichweite des menschenrechtlichen Prinzips des Non-Refoulement
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7. Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen, welche die Vertragsorgane an Verstöße gegen das Prinzip des Non-Refoulement knüpfen, sind extrem unterschiedlich und variieren auch in der Praxis des jeweiligen Organs stark. So werden teilweise keine weitergehenden Pflichten an den Vertragsstaat gestellt, als dass dieser über den Fortgang des Verfahrens Bericht erstattet.38 In anderen Fällen haben die Vertragsorgane aber sehr umfangreiche Schutzpflichten benannt.39 Der Ausschuss gegen Folter hat – wohl aufgrund der öffentlichen Kritik – die Begründungen seiner Entscheidungen deutlich verbessert, so dass diese viel nachvollziehbarer geworden sind. In den überwiegenden Fällen erreichen die Vertragsorgane Individualbeschwerden, wenn die Aufenthaltsbeendigung noch nicht vollzogen wurde. Einige Vertragsorgane stellen deshalb dann fest, dass erst der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung Garantien aus ihrem Menschenrechtsschutzvertrag verletzen würde.40 Bei anderen Vertragsorganen ergibt sich dagegen aus der besonderen Rolle des Risikobewertungsverfahrens, dass eine Rechtsverletzung bereits dann festgestellt wird, wenn das Vertragsorgan das Risikobewertungsverfahren für unzureichend hält.41 Einige Vertragsorgane geben allerdings auch dann umfangreiche Empfehlungen an den Vertragsstaat ab, wenn sie lediglich feststellen, dass der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung ihren Menschenrechtsschutzvertrag verletzen würde.42 Dennoch führt diese unterschiedliche Herangehensweise de facto zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wenn ein Vertragsorgan das Prinzip des Non-Refoulement erst dadurch verletzt sieht, dass eine Person tatsächlich aus einem Vertragsstaat ausreisen muss, kann dieser Vertragsstaat das Individualbeschwerdeverfahren dadurch abwenden, dass er die eigene Entscheidung zurücknimmt. Das Vertragsorgan stellt dann das Verfahren ein. Nach Registrierung einer Individualbeschwerde re38
§ 10.
CAT, A. K. v. Switzerland, 544/2013, § 11; CAT, Rouba Alhaj Ali v. Morocco, 682/2015,
39 So lange sich die Person in dem Staat, in dem Misshandlungen drohen, aufhält und nicht zurückgeholt wird, sieht der Menschenrechtsausschuss den Vertragsstaat so lange in der Pflicht, sicherzustellen, dass sich das Risiko nicht realisiert, bis die Möglichkeit der Wiedereinreise besteht, CCPR, Follow-up progress report on individual communications received and processed between June 2014 and January 2015; CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 115th session; CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 118th session; CCPR, Follow-up progress report on individual communications zu CCPR, Aarrass v. Spain, 2008/ 2010. 40 Etwa CCPR, Byahuranga v. Denmark, 1222/2003, § 12; CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/ 2017, § 9; CED, E. L. A. v. France, 03/2019, § 8. 41 Etwa CAT, Tursunov v. Kazakhstan, 538/2013, § 9.9; CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/ 2016, § 10.9; CAT, Cevdet Ayaz v. Serbia, 857/2017, § 9.8; CCPR, X. H. L. v. The Netherlands, 1564/2007, §§ 10.2 f. Zu einer klaren Unterscheidung zweier möglicher Rechtsverletzungen vgl. die Praxis des Frauenrechtsausschusses, Kapitel D. VI. 42 CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, § 12; CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, § 10; CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018, § 9.
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
vidieren die Vertragsstaaten deshalb häufig ihre Entscheidung und gewähren der beschwerdeführenden Person ein Aufenthaltsrecht.43 Wenn dagegen die Verletzung eines Rechts aus dem jeweiligen Menschenrechtsschutzvertrag schon dadurch gegeben ist, dass der Vertragsstaat ein unzureichendes Risikobewertungsverfahren durchgeführt hat, dann ist die Erhebung einer Individualbeschwerde auch dann möglich, wenn eine Aufenthaltsbeendigung tatsächlich nicht mehr zu befürchten ist.44 Vertragsstaaten müssen dann nach Ergehen der Entscheidung im Follow-Up-Verfahren teilweise über Jahrzehnte dem Vertragsorgan über das Schicksal der beschwerdeführenden Person Bericht erstatten und möglicherweise darüber hinaus auch über Reformen zu ihren Risikobewertungsverfahren. Da die Praxis der Vertragsorgane hierzu nicht nur von Ausschuss zu Ausschuss unterschiedlich, sondern häufig auch in sich inkonsequent ist, ist weder für beschwerdeführende Personen noch für die Vertragsstaaten ersichtlich, unter welchen Voraussetzungen mit welchen Rechtsfolgen zu rechnen ist. In aller Regel verlangen die Vertragsorgane vom Vertragsstaat Maßnahmen zur Sicherstellung, dass sich vergleichbare Vertragsverletzungen in der Zukunft nicht wiederholen. Während dies aus Sicht der Vertragsstaaten eine sehr umfassende Berichtspflicht über mögliche Reformen mit sich bringt, ermöglicht diese Praxis den Vertragsorganen eine Konkretisierung der aus ihrer Sicht bestehenden Rechtspflichten. Sie können so auch im Rahmen von Staatenberichtsverfahren Fragen zur Vereinbarkeit nationaler Rechtsgrundlagen, zu Verfahrensabläufen und Gesetzesreformen aufgreifen. So können auch die Vertragsstaaten unabhängig vom Einzelfall ihre Rechtsauffassung verdeutlichen.
II. Systematische Rolle des Prinzips des Non-Refoulement in der Praxis der Vertragsorgane 1. Nutzung von General Comments/General Recommendations Die Praxis der Vertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement findet weit überwiegend im Rahmen von Individualbeschwerdeverfahren statt. Diese Entscheidungen sind aber sehr einzelfallabhängig und die Vertragsorgane knüpfen hieran, wie soeben gezeigt, stark variierende Rechtsfolgen an. Hinzu kommt, dass die Vertragsstaaten der Menschenrechtsschutzverträge sich in der Regel nicht mit Individualbeschwerdeentscheidungen beschäftigen, die sie nicht selbst betreffen.45 43 44
§ 9.
Siehe etwa oben Kapitel D. I. 2. a) und D. II. 2. a). Siehe auch die Argumente des Beschwerdeführers in CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015,
45 Insofern ist auch zu begrüßen, dass vor einigen Vertragsorganen mittlerweile Stellungnahmen interessierter Dritter zugelassen werden. Die Beteiligung von Nichtregierungsorga-
II. Systematische Rolle des Prinzips des Non-Refoulement
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General Comments beziehungsweise General Recommendations können hier helfen, eine Übersicht über die Pflichten der Vertragsstaaten zu geben. Einige Vertragsorgane nutzen diese Möglichkeit. Insbesondere der General Comment Nr. 4 des Ausschusses gegen Folter ist hierbei zu begrüßen. Er gibt eine detaillierte Übersicht über die umfangreiche Praxis des Ausschusses. Selbst der Rassendiskriminierungsausschuss, der bislang keine Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement angenommen hat, hat unmittelbar nach Erscheinen des General Comment Nr. 31 des Menschenrechtsausschusses eine eigene General Recommendation veröffentlicht, in der er sich mit Aufenthaltsbeendigungen von ausländischen Staatsangehörigen im Rahmen des ICERD auseinandersetzt. Zu begrüßen ist auch die Praxis des Kinderrechtsausschusses. Das Prinzip des Non-Refoulement spielt bei dem Kinderrechtsausschuss in mehreren General Comments eine Rolle. Dabei unterscheidet der Kinderrechtsausschuss zwischen dem Prinzip des Non-Refoulement als allgemeinem Rechtsprinzip und dessen Inhalt und Reichweite im Rahmen der KRK. Auffällig sind hierbei auch die Bemühungen des Kinderrechtsausschusses zur Kooperation mit anderen Vertragsorganen durch gemeinsame General Comments beziehungsweise General Recommendations. Diese Kooperation stärkt die Vertragsorgane als Menschenrechtsschutzsystem. Der Frauenrechtsausschuss nutzt ebenfalls seine General Recommendations zur Kooperation mit anderen Vertragsorganen und zur allgemeinen Erläuterung seines Verständnisses vom Prinzip des Non-Refoulement. Nachdem er in seiner ersten Individualbeschwerde zum Prinzip des Non-Refoulement anhand der Praxis anderer Vertragsorgane einen impliziten Schutz vor Refoulement aus der FRK hergeleitet hat, hat er dies sogleich in einer General Recommendation bekräftigt. Wünschenswert wäre ein General Comment des Menschenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement. Der Menschenrechtsausschuss hat trotz seiner weitreichenden Praxis im Bereich der General Comments noch keinen General Comment zum Prinzip des Non-Refoulement veröffentlicht, obwohl dieses einen so gewichtigen Teil seiner Spruchpraxis darstellt. Die General Comments, auf die sich der Ausschuss stützt, sind veraltet und spiegeln nur unzureichend dessen heutige Praxis wider. Vor diesem Hintergrund ist auch die bisherige Praxis des Behindertenrechtsausschusses schwer einzuordnen. Die beiden Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren stehen isoliert, zumal weder in Staatenberichtsverfahren noch in General Comments Aufenthaltsbeendigungen oder die Behandlung von ausländischen Staatsangehörigen eine Rolle spielen.
nisationen und anderen Interessierten erhöht jedenfalls die internationale Aufmerksamkeit für ein Verfahren, vgl. etwa CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, §§ 10.1 – 10.3.
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
2. Nutzung der Erkenntnisse anderer Vertragsorgane Für einen effektiven Rechtschutz ist es hilfreich, wenn die Vertragsorgane ihre Praxis gegenseitig wahrnehmen und sich um Kooperationen und die Vermeidung widersprüchlicher Anforderungen an die Vertragsstaaten bemühen.46 Der Ausschuss gegen Folter verfügt über eine in sich schlüssige Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement, die er kontinuierlich weiterentwickelt hat. Beschwerdeführende Personen und Vertragsstaaten zitieren vor allen Vertragsorganen häufig Entscheidungen des Ausschusses gegen Folter, da sie diese als allgemeinen Standard anerkennen. Die Vertragsorgane orientieren sich dann an diesen Entscheidungen. So kann eine Stärkung des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems auch zu einer gesteigerten Akzeptanz seitens der Vertragsstaaten beitragen. Der Menschenrechtsausschuss hat als erstes Vertragsorgan ein Verbot von Aufenthaltsbeendigungen aus seinem Pakt hergeleitet, ohne dass dieses explizit im IPbpR enthalten ist. Die frühe Praxis des Menschenrechtsausschusses zum Prinzip des Non-Refoulement und die detaillierte Auseinandersetzung mit Argumenten der Vertragsstaaten gegen dessen Überprüfungskompetenz hat es anderen Vertragsorganen erleichtert, ebenfalls den Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen wegen des Prinzips des Non-Refoulement in ihrer Praxis anzuerkennen.47 Der Frauenrechtsausschuss orientiert sich besonders stark an der Praxis der anderen Vertragsorgane. Auch der Ausschuss über das Verschwindenlassen zieht überwiegend Entscheidungen des Menschenrechtsausschusses und des Ausschusses gegen Folter heran, aber auch die Praxis anderer Vertragsorgane spielt eine Rolle. Der Menschenrechtsausschuss greift dagegen fast nie die Praxis anderer Vertragsorgane auf.48 Allerdings zeigt sich auch, dass in zahlreichen Bereichen der Praxis der Vertragsorgane Annäherungen stattfinden, ohne dass hierbei explizit auf die ein anderes Organ verwiesen wird. Der Austausch der Vertragsorgane untereinander findet häufig im Rahmen informeller Treffen statt.49 Die entscheidenden General Comments beziehungsweise General Recommendations des Menschenrechtsausschusses, des Rassendiskriminierungsausschusses, des Frauenrechtsausschusses und des Kinderrechtsausschusses, die im Zusammenhang mit dem Prinzip des Non-Refoulement verwendet werden, stammen alle aus den Jahren 2004 bis 2005. Es ist of-
46
E. Brems, in: E. Brems/S. Ouald-Chaib, 178. Siehe etwa CEDAW, M. N. N. v. Denmark, 033/2011, § 8.10; CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, § 10.3. 48 Ausnahme ist der Ausschuss gegen Folter, siehe etwa CCPR, Alzery v. Sweden, 1416/ 2005, § 11.2; CCPR, C. L. and Z. L. v. Denmark, 2753/2016, § 8.7. 49 Zu informellen Abstimmungen zwischen dem Menschenrechtsausschuss und dem Ausschuss gegen Folter zum Prinzip des Non-Refoulement siehe etwa CCPR, Annual Report 2017/2018, 2018, A/73/40, § 58. 47
III. Einfluss auf die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht
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fensichtlich, dass diese jeweils in Kenntnis der Arbeit der anderen Vertragsorgane entstanden sind.50
III. Einfluss auf die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht Die Praxis der Vertragsorgane ist nicht nur auf Ebene des Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen relevant. Neben dem Vertragsstaat und der beschwerdeführenden Person hat die Praxis der Vertragsorgane Einfluss auf die Entwicklung universeller Menschenrechtsstandards. Sogar über den Menschenrechtsschutz hinaus spielt der Beitrag der Vertragsorgane eine Rolle.51 1. Staatenpraxis Wenn die Vertragsorgane unterschiedliche Anforderungen an die Vertragsstaaten stellen, ist es möglich, dass sich diese Anforderungen widersprechen. Eine beliebige Erweiterung des Schutzbereiches von Menschenrechten ist nicht nur von den Vertragsstaaten nicht gewollt, sondern auch faktisch nicht möglich. Die Vertragsstaaten selbst ziehen daher im Rahmen sie betreffender Individualbeschwerdeverfahren häufig die Praxis anderer Vertragsorgane heran, um gleichwertige Standards zu garantieren.52 Das deutet darauf hin, dass die Vertragsstaaten das vertragsbasierte Menschenrechtsschutzsystem als solches anerkennen und Koordination zwischen den Vertragsorganen als richtig ansehen. Auch wird hierdurch die opinio iuris der Vertragsstaaten deutlich, da diese formulieren, was sie für etablierte Standards halten und welche Praxis der Vertragsorgane sie allgemein akzeptieren.53 So betonen die Vertragsstaaten etwa dann, wenn sie im Rahmen einer Individualbeschwerde exakt das umsetzen, was die Vertragsorgane in ihren Entscheidungen verlangt haben, dass sie sich nicht als generell verpflichtet ansehen, die Entscheidung über den Einzelfall hinausgehend zu berücksichtigen54 und vermeiden so, dass ihre Kooperation mit dem Vertragsorgan über 50
Siehe auch B. C¸alı/A. S. Galand, The International Journal of Human Rights 2020 (11). Siehe zur gegenseitigen Ergänzung von humanitärem Völkerrecht, Flüchtlingsrecht und Menschenrechten etwa C. Droege, International Review of the Red Cross 2008 (676). 52 Etwa CEDAW, Y. W. v. Denmark, 051/2013, §§ 4.8, 6.2. Siehe auch CEDAW, N. v. The Netherlands, 039/2012, § 4.5; CEDAW, S. O. v. Canada, 049/2013, § 4.7. Darüber hinaus ziehen auch alle Vertragsstaaten die Rechtsprechung des EGMR heran, und zwar auch solche Staaten, die nicht Vertragsstaaten der EMRK sind. 53 C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 20. 54 Die Vertragsstaaten geben so etwa an, ,aus Respekt vor dem Vertragsorgan‘ zu handeln, CCPR, Annual Report, 10. Oktober 1991, A/46/40, §§ 707 f., oder sie spezifizieren, ihre Bemühungen seien kein Indiz dafür, mit den Ansichten des Vertragsorgans einverstanden zu sein, CCPR, Follow-up progress report on individual communications, 19. November 2020, CCPR/ C/130/R.2, 6. 51
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
den konkreten Einzelfall hinaus als Übung im Sinne des Artikel 31 Abs. 3 (b) WVK verstanden wird. Allerdings zeigt sich vermehrt der umgekehrte Fall der staatlichen Akzeptanz einer generellen Verpflichtung zur Berücksichtigung der Entscheidungen der VNVertragsorgane. Da die Vertragsorgane in der Regel auch solche Empfehlungen abgeben, die sicherstellen, dass vergleichbare Menschenrechtsverletzungen in Zukunft nicht mehr geschehen, führen Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren immer wieder zu Reformen nationaler Rechtsordnungen. Eine Vielzahl der Staaten hat Verfahren entwickelt, mit denen die Entscheidungen der Vertragsorgane innerstaatlich überprüft und beachtet werden können und es dabei nationalen Gerichten ermöglicht, die Entscheidungen umzusetzen und die Praxis der Vertragsorgane in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.55 In solchen innerstaatlichen Verfahren gewinnen die Entscheidungen der Vertragsorgane zunehmend an Relevanz. Nationale Gerichte greifen die Praxis der Vertragsorgane auf und Reformprozesse werden angestoßen.56 Auffällig ist, dass der überwiegende Teil der Individualbeschwerden vor allen Vertragsorganen gegen Staaten erhoben wird, die auch Vertragsparteien der EMRK sind. Den beschwerdeführenden Personen steht dann auch der Rechtsweg zum EGMR offen. Dieses Phänomen zeigt sich bei Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement besonders deutlich.57 Gegen Staaten, gegen die etwa auch der Rechtsweg zum IAGMR offensteht, erhalten die Vertragsorgane dagegen kaum Beschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement. Das erklärt sich zum einen damit, dass der europäische Kontinent ein besonders häufiges Migrationsziel ist. Es zeigt sich aber auch, dass viele beschwerdeführende Personen sich häufig zuerst an den EGMR wenden und erst Individualbeschwerde erheben, nachdem sie vor dem EGMR gescheitert sind.58 Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die beschwerdeführenden Personen die Vertragsorgane nicht schlicht für einen erweiterten Rechtsschutz anrufen. So bieten etwa Kinderrechtsausschuss und Frauenrechtsausschuss häufig den spezifischeren Rechtsschutz. Zudem kann das Anrufen eines regionalen Gerichtshofs zwar bevorzugt werden, wenn die betroffene Person eine national durchsetzbare Entscheidung benötigt. Wenn dagegen strukturelle Umbrüche wie etwa Verfahrensreformen angestrebt werden, kann es sinnvoller sein, sich an ein Vertragsorgan
55 Für einen Überblick über die Staatenpraxis siehe K. Fox Principi, Implementation of decisions under treaty body complaints procedures, Annex II. 56 Für Beispiele hierzu siehe C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 21. 57 B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (355); C. Callejón/ K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 31 f. 58 Etwa CAT, J. M. v. The Netherlands, 768/2016, § 9.1; CAT, J. I. v. The Netherlands, 771/ 2016, § 9.1; CCPR, X. v. Norway, 2474/2014, § 6.2.
III. Einfluss auf die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht
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zu wenden.59 Auch zeigt sich im Zusammenhang mit Beschwerden gegen Rückführungen nach der Dublin-Verordnung, dass die Vertragsorgane genutzt werden, um den EGMR zu stärken. Der EGMR hat in der Vergangenheit oft die Dublin-Verfahren kritisiert. Das Ausweichen auf andere Wege des Rechtsschutzes ermöglicht auch, dass der EGMR Rückführungen nach der Dublin-Verordnung strenger bewerten kann.60 Auch der Europarat orientiert sich bei der Frage, nach welchen internationalen Standards diplomatische Zusicherungen möglich sind, ausschließlich an der Praxis des Menschenrechtsausschusses und des Ausschusses gegen Folter.61 Da die Vertragsorgane in der Regel dem Prinzip des Non-Refoulement einen ähnlichen Schutzbereich zusprechen wie der EGMR, ist bei der weit überwiegenden Zahl der Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement damit zu rechnen, dass die Vertragsstaaten die Entscheidungen der Vertragsorgane respektieren und umsetzen. Das lässt dann aber nur in begrenztem Rahmen Rückschlüsse auf die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips des Non-Refoulement in seiner Ausgestaltung durch die VN-Vertragsorgane zu.
2. Hinweise auf die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht Die Draft articles on the expulsion of aliens der ILC zeigen, inwieweit die Praxis der Vertragsorgane Völkergewohnheitsrecht abbildet.62 Die Draft articles sehen das Refoulementverbot neben der Gefahr der Folter auch auf die Gefahr anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ausgeweitet. Während sie anerkennen, dass der Wortlaut der Antifolterkonvention insoweit enger ist, ergebe sich eine Ausweitung des Schutzbereiches aus universeller und regionaler Praxis. Die ILC nennt hierzu den Menschenrechtsausschuss und den Rassendiskriminierungsausschuss.63 Die Draft articles on the expulsion of aliens der ILC gehen ebenfalls davon aus, dass die drohende Todesstrafe in dem Umfang, in dem sie vor dem Menschenrechtausschuss relevant ist, ein Refoulementverbot auslösen kann. Das heißt, entscheidend ist, ob der die Aufenthaltsbeendigung vollziehende Staat de facto die Todesstrafe abgeschafft hat.64 Hiermit in Einklang steht auch die Praxis des Ausschusses gegen Folter nach Verabschiedung der Draft articles.65 59 S. Joseph/K. Mitchell/L. Gyorki/C. Benninger-Budel, Seeking remedies for torture victims, 330. 60 So auch B. C¸alı/C. Costello/S. Cunningham, German Law Journal 2020 (362). 61 CDDH, Report on the place of the European Convention on Human Rights in the European and international legal order, 29. November 2019, CDDH(2019)R92 Addendum1, 91 ff. 62 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens. Die Draft articles wurden allerdings im Jahr 2014 verabschiedet und berücksichtigen damit einen Großteil der unter D. dargestellten Praxis noch nicht. 63 Ebenda, Artikel 24 Kommentar (1). 64 Ebenda, Artikel 23 Abs. 2.
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E. Beitrag der VN-Vertragsorgane zur Entwicklung des Non-Refoulement
Noch weiter geht die VN-Generalversammlung im Jahr 2018 bei der Bestimmung des materiellen Schutzbereiches des Prinzips des Non-Refoulement. Der Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration fasst die Pflichten der Staaten aus internationalem Menschenrechtsschutz wie folgt zusammen: „We commit to facilitate and cooperate for safe and dignified return and to guarantee due process, individual assessment and effective remedy, by upholding the prohibition of collective expulsion and of returning migrants when there is a real and foreseeable risk of death, torture and other cruel, inhuman and degrading treatment or punishment, or other irreparable harm, in accordance with our obligations under international human rights law.“66
Hier werden die durch die Vertragsorgane gemeinsam etablierten prozessualen Mindeststandards zusammengefasst sowie an den Begriff des irreparablen Schadens angeknüpft.67 Auch nach Ansicht des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes ist die verfahrensrechtliche Komponente des Prinzips des Non-Refoulement, nach der jeder Mensch das Recht auf ein effektives Rechtsmittel gegen eine Entscheidung zur Aufenthaltsbeendigung besitzt, allgemein anerkannter Bestandteil des Schutzbereiches des Prinzips des Non-Refoulement. Es zitiert hierfür den Menschenrechtsausschuss, den Ausschuss gegen Folter und den EGMR.68 Der Schutzumfang des Prinzips des Non-Refoulement lässt sich dort klar abgrenzen, wo die Vertragsorgane einheitliche Maßstäbe anlegen. So hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes festgestellt, dass vom Prinzip des Non-Refoulement nach völkergewohnheitsrechtlichen Standards sowohl Gefahren erfasst sind, die von staatlichen Behörden ausgehen, als auch solche, die von Privaten ausgehen, vorausgesetzt, dass Staaten nicht fähig oder willens sind, die Person zu schützen. Es zitiert für diesen Standard die Praxis des Menschenrechtsausschusses, des Kinderrechtsausschusses, des Ausschusses gegen Folter und außerdem des UNHCR, des EGMR und der EU.69 Ebenso erkennt das Komitee ein völkerge-
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CAT, General Comment No. 4, § 29 (k). UN General Assembly, Resolution 73/195. Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration, 19. Dezember 2018, U.N. Doc. A/RES/73/195, § 37. 67 Ähnlich hatte die Europäische Union bereits im Jahr 2004 die Schutzbedürftigkeit von Personen an einen drohenden ,ernsthaften Schaden‘ geknüpft, Artikel 8 Abs. 1 Rat der Europäischen Union Richtlinie 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RI 2004/83/EG), 29. April 2004. Dieser Begriff ist allerdings enger als jener des irreparablen Schadens, da die Liste der möglichen Rechtsverletzungen abschließend ist, siehe ebenda, Artikel 15. 68 International Committee of the Red Cross, International Review of the Red Cross 2018 (354). 69 Ebenda, 347. 66
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wohnheitsrechtliches Verbot des Kettenrefoulement an und stützt sich hierbei auf den Menschenrechtsausschuss, den Ausschuss gegen Folter und den EGMR.70 Die ILC stützt sich bei der Formulierung des absoluten Verbots von Kollektivausweisungen wesentlich auf die Arbeit der Vertragsorgane.71 Auch hält die ILC verfahrensrechtliche Mindeststandards fest, die sich unter anderem an der WAK, der Praxis des Rassendiskriminierungsausschusses und des Menschenrechtsausschusses orientieren.72 Für nicht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt hält das Internationale Komitee des Roten Kreuzes im Jahr 2018 das Verbot von Aufenthaltsbeendigungen bei drohendem Verschwindenlassen, da dieses nur in der Praxis des Ausschusses über das Verschwindenlassen und des Menschenrechtsausschusses anerkannt werde; und den Schutz vor Aufenthaltsbeendigungen bei drohender Rekrutierung Minderjähriger, da dies nur der Kinderrechtsausschuss berücksichtige.73 Auf diese drohenden Rechtsverletzungen finden sich Hinweise im aktuellen General Comment des Ausschusses gegen Folter.74 Eine Fortentwicklung des gewohnheitsrechtlichen Schutzes vor Refoulement ist hier also wahrscheinlich. Die Draft articles on the expulsion of aliens der ILC halten fest, dass es zwar einen internationalen Trend zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Sexualität einer Person gebe, dieser aber noch nicht universell anerkannt sei.75 Die ILC kann hierzu nur auf die eindeutige Praxis des Menschenrechtsausschusses verweisen. Eine Bestätigung dieses von der ILC festgestellten Trends ließe sich etwa dadurch erreichen, dass der Ausschuss gegen Folter sich in seiner bislang zögerlichen Praxis eindeutiger positioniert.76 Wie gezeigt sind die Rechtsfolgen, welche die Vertragsorgane an Verstöße gegen das Prinzip des Non-Refoulement knüpfen, extrem unterschiedlich und variieren auch in der Praxis des jeweiligen Organs stark. Wohl auch deshalb findet sich in den Draft articles on the expulsion of aliens der ILC kein Hinweis auf die Praxis der VNVertragsorgane hierzu.77
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Ebenda, 349. International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 9 Kommentar (2), (3). 72 Ebenda, Artikel 26. 73 International Committee of the Red Cross, International Review of the Red Cross 2018 (348, 349). 74 CAT, General Comment No. 4, § 29 (k), (o). 75 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 23 Kommentar (2). 76 Vgl. oben Kapitel D. I. 3. d). 77 International Law Commission, Draft articles on the expulsion of aliens, Artikel 30. 71
F. Fazit Das Beispiel des Prinzips des Non-Refoulement zeigt das Potenzial der Vertragsorgane, gemeinsam Rechtsbegriffe zu prägen und unter gegenseitiger Beeinflussung zu einem gleichwertigen Rechtsschutz zu gelangen. Es zeigt auch das Spannungsfeld, in dem sich die Vertragsorgane bewegen. Sie verfügen über keine Durchsetzungsmechanismen und sind darauf angewiesen, dass die Vertragsstaaten ihre Entscheidungen annehmen und umsetzen. Individualbeschwerden zum Prinzip des Non-Refoulement betreffen überwiegend Staaten, die grundsätzlich kooperationsbereit sind. Das bedeutet aber nicht, dass die Vertragsorgane den Rechtsschutz beliebig ausweiten können. Das Prinzip des Non-Refoulement hat vor allen Vertragsorganen einen vergleichbaren Schutzbereich. Die Individualbeschwerdeverfahren laufen unter gleichen Voraussetzungen ab, alle Vertragsorgane stellen vergleichbare Anforderungen an die Beweislast der beschwerdeführenden Person und ordnen nach übereinstimmenden Voraussetzungen einstweilige Maßnahmen an. In vielen Bereichen zeigt sich eine Entwicklung gemeinsamer Standards, insbesondere durch die Anpassung des Ausschusses gegen Folter an die Praxis anderer Vertragsorgane. Viele dieser Entwicklungen leisten einen positiven Beitrag zur Entwicklung eines sicheren Rechtsschutzes auch außerhalb des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen. So ist zum Beispiel der Fokus auf ein ordentliches Risikobewertungsverfahren deshalb sinnvoll, weil dies den Vertragsorganen ermöglicht, im Einzelfall zu helfen, ohne den materiellen Schutzbereich des Prinzips des Non-Refoulement beliebig auszuweiten. Auch können so allgemeine Empfehlungen dazu gegeben werden, welchen Mindeststandards Verfahren entsprechen müssen. Dadurch kann langfristiger auf innerstaatliche Prozesse eingewirkt werden als mit der Feststellung eines Verstoßes gegen materielle Garantien in einem Einzelfall. Im Zusammenhang mit der GFK war zunächst umstritten, ob und inwieweit die Abweisung an der Grenze vom Refoulementverbot des Artikel 33 Abs. 1 GFK erfasst ist. Zwar wird heute davon ausgegangen, dass dies der Fall ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Abweisung an der Grenze zu einem Staat erfolgt, der kein sicherer Drittstaat ist. Darüber hinaus hat der EGMR kürzlich in einer Entscheidung befunden, dass Abweisungen an der Grenze bei irregulären Grenzübertritten mit der EMRK vereinbar seien, so lange reguläre Einreisemöglichkeiten existieren.1 Da die Abweisung an der Grenze aber in aller Regel ohne individualisiertes Risikobewer1
EGMR, N. D. and N. T. v. Spain, 8675/15, 8697/15.
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tungsverfahren erfolgt, können alle Vertragsorgane unproblematisch eine Rechtsverletzung bejahen. Das Anknüpfen an die Gefahr eines irreparablen Schadens statt der Gefahr einer konkreten Rechtsverletzung ist mit Blick auf die Stärkung des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen ebenfalls sinnvoll, da es die Integration der Praxis anderer Vertragsorgane in die eigene Spruchpraxis erleichtert. So kann etwa der Frauenrechtsausschuss eine spezialisierte Praxis zu drohender geschlechterspezifischer Gewalt entwickeln, die dann vom Menschenrechtsausschuss in den Schutzbereich des Artikel 7 IPbpR (möglicherweise i. V. m. Artikel 2 Abs. 1 IPbpR) übertragen werden kann. Die Vertragsstaaten haben häufig im Rahmen ihrer jeweils ersten Individualbeschwerdeverfahren vor einem Vertragsorgan versucht, den Schutz des Prinzips des Non-Refoulement dadurch einzuschränken, dass sie einzelne Rechte aus einem Menschenrechtsschutzvertrag für nicht extraterritorial anwendbar hielten. Ein solches Verständnis ist schon deshalb abzulehnen, weil es die Vertragsorgane zu einer Hierarchisierung der in ihren Verträgen verankerten Menschenrechte zwingt. Auch kann sich hierzu dann kein einheitlicher Standard aller Vertragsorgane entwickeln, welchen die Vertragsstaaten zugleich fordern. Es ist im Übrigen für die Vertragsstaaten praktikabler, im nationalen Verfahren nicht eine Gruppe von Menschenrechten aus verschiedenen internationalen Verträgen beachten zu müssen, sondern stattdessen zu prüfen, ob der betroffenen Person durch eine Aufenthaltsbeendigung Schäden drohen, die nicht wiedergutzumachen sind. Wesentliche Kritikpunkte in der vorliegend untersuchten Praxis sind die Uneinigkeit der Vertragsorgane untereinander und teilweise auch die Inkohärenz innerhalb eines Vertragsorgans über die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung des Refoulement-Risikos relevant ist, sowie daran anschließend die stark variierenden Rechtsfolgen, welche die Vertragsorgane an ihre Entscheidungen knüpfen. Es ist weder für Vertragsstaaten noch für beschwerdeführende Personen vorhersehbar, ob ein Vertragsorgan eine Rechtsverletzung allein aufgrund eines mangelhaft durchgeführten Risikobewertungsverfahrens feststellt oder ob für die Beurteilung des Risikos der Zeitpunkt der letzten nationalen Entscheidungen maßgeblich ist oder jener der Entscheidung des Vertragsorgans. Auch wenn ein Vertragsorgan lediglich feststellt, dass der Vollzug der Aufenthaltsbeendigung einen Verstoß gegen den Menschenrechtsschutzvertrag darstellen würde, knüpft das Vertragsorgan hieran unter Umständen umfangreiche Folgen, wie etwa Berichtspflichten des Vertragsstaates. Diese mangelnde Vorhersehbarkeit der Folgen eines Individualbeschwerdeverfahrens kann letztlich auch dazu führen, dass die Vertragsstaaten einstweilige Maßnahmen nicht mehr einhalten. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen sind nicht-ständige Einrichtungen. Sie sind aus Expert:innen zusammengesetzt, die nicht über juristische Kenntnisse verfügen müssen. Eine Koordination mit anderen Vertragsorganen ist nicht vertraglich vorgesehen. All diese strukturellen Besonderheiten begünstigen die In-
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kohärenzen, die sich in der Spruchpraxis der Vertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement zeigen. Trotz berechtigter Kritik an der intransparenten Arbeit des Sekretariats des Hohen Kommissars für Menschenrechte ließen sich viele Schwachstellen des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen durch eine Stärkung des Sekretariats beheben. Den Vertragsorganen ist inhärent, dass kein Ausschussmitglied die gesamte Praxis des eigenen Ausschusses im Detail kennt und auch über Hintergründe ergangener Entscheidungen in der Regel nichts weiß. Das führt dazu, dass die Entscheidungen teils grob, teils in kleineren Details, widersprüchlich zur bisherigen Praxis sind, ohne dass dies von den Vertragsorganen beabsichtigt ist. Das zeigt sich deutlich im Bereich der Rechtsfolgen. Auch besitzen die einzelnen Ausschussmitglieder in der Regel nur selektiv Kenntnis der Praxis anderer Vertragsorgane, was ebenfalls durch eine personelle Stärkung des OHCHR-Sekretariats als institutionellem Gedächtnis verbessert werden kann. Neben den bereits genannten Schwierigkeiten, die sich in den Vertragsorganen durch begrenzte Sitzungszeiten und personelle Besonderheiten ergeben, ist ein markantes Problem des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen eine mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit. Zwar sind die meisten Informationen öffentlich zugänglich. Die Internetpräsenz der Vertragsorgane und auch des OHCHR-Sekretariats ist aber sehr unübersichtlich und spezifische Informationen sind schwierig zu finden. Während der nationale Prozess der Staatenberichtsverfahren geeignet ist, eine breite Öffentlichkeit an Nichtregierungsorganisationen, Behörden und Betroffenen für die Anforderungen eines Vertragsorgans zu sensibilisieren,2 bekommen Entscheidungen in Individualbeschwerdeverfahren nur in seltenen Fällen öffentliche Aufmerksamkeit. Da die Entscheidungen der Vertragsorgane nicht bindend sind, können sie aber oft nur dadurch Wirkung entfalten, dass sie öffentlichen Druck erzeugen.3 Zusätzlich zu einer personellen Stärkung ist daher eine effektivere technische Unterstützung des vertragsbasierten Menschenrechtsschutzsystems der Vereinten Nationen dringend erforderlich. Eine kohärente Praxis der Vertragsorgane wird dadurch erschwert, dass es nur unzureichend Datenbanken zur Praxis der Vertragsorgane gibt. Während eine gemeinsame digitale Datenbank das Durchsuchen aller Individualbeschwerdeentscheidungen der Vertragsorgane ermöglicht, fehlt ein vergleichbares Instrument für sämtliche andere Dokumente, welche die Vertragsorgane veröffentlichen. Könnte ein Mitglied eines Ausschusses durch einfache Stichwortsuche Zugriff auf die Praxis aller VN-Vertragsorgane zum Prinzip des Non-Refoulement bekommen, würde eine Spruchpraxis ermöglicht, die sowohl spezifischer als auch kohärenter ist als bisher. Vertragsorganen, die zögerlich eine eigene Praxis zum Prinzip des Non-Refoulement aufbauen, wäre damit ein Anknüpfen an etablierte Praxis erleichtert. Darüber hinaus würden solche tech2
W. Kälin/J. Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, Rn. 7.27. Für einen Überblick zu diesbezüglichen Reformvorschlägen siehe C. Callejón/K. Kemileva/F. Kirchmeier, Treaty bodies’ individual communication procedures, 22 f. 3
F. Fazit
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nischen Mittel sowohl Vertragsstaaten als auch beschwerdeführenden Personen den Umgang mit den Vertragsorganen deutlich erleichtern und die öffentliche Aufmerksamkeit erhöhen.
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Dokumentenverzeichnis CAT, G. A. v. Australia, 680/2015, 09. August 2018. CAT, Z. v. Switzerland, 738/2016, 09. August 2018. CAT, S. v. Sweden, 691/2015, 16. November 2018. CAT, E. T. v. The Netherlands, 801/2017, 26. November 2018. CAT, Harun v. Switzerland, 758/2016, 06. Dezember 2018. CAT, M. G. v. Switzerland, 811/2017, 07. Dezember 2018. CAT, I. A. v. Sweden, 729/2016, 23. April 2019. CAT, X. and Y. v. Switzerland, 776/2016, 23. April 2019. CAT, M. J. S. v. The Netherlands, 757/2016, 03. Mai 2019. CAT, C. F. T. v. Switzerland, 829/2017, 06. Mai 2019. CAT, Elmas Ayden v. Morocco, 846/2017, 10. Mai 2019. CAT, Ferhat Erdogan v. Morocco, 827/2017, 10. Mai 2019. CAT, Mustafa Onder v. Morocco, 845/2017, 10. Mai 2019. CAT, J. I. v. The Netherlands, 771/2016, 16. Mai 2019. CAT, J. M. v. The Netherlands, 768/2016, 16. Mai 2019. CAT, Cevdet Ayaz v. Serbia, 857/2017, 02. August 2019. CAT, X., Y. and others v. Sweden, 816/2017, 02. August 2019. CAT, H. S. v. Canada, 568/2013, 15. November 2019. CAT, Hany Khater v. Morocco, 782/2016, 22. November 2019. CAT, Ismet Bakay v. Morocco, 826/2017, 04. Dezember 2019. CAT, Flor Agustina Calfunao Paillalef v. Switzerland, 882/2018, 05. Dezember 2019. CCPR, Aumeeruddy-Cziffra et al. v. Mauritius, 35/1978, 24. April 1979. CCPR, Maroufidou v. Sweden, 058/1979, 09. April 1981. CCPR, Bleier v. Uruguay, 030/1978, 29. März 1982. CCPR, M. A. v. Italy, 117/1981, 10. April 1984. CCPR, Hammel v. Madagascar, 155/1983, 03. April 1987. CCPR, V. M. R. B. v. Canada, 236/1986, 18. Juli 1988. CCPR, Torres v. Finland, 291/1988, 02. April 1990. CCPR, Giry v. Dominican Republic, 193/1985, 20. Juli 1990. CCPR, Howard Martin v. Jamaica, 317/1988, 24. März 1993. CCPR, E. W. et al. v. The Netherlands, 429/1990, 08. April 1993. CCPR, Kindler v. Canada, 470/1991, 30. Juli 1993. CCPR, Ng v. Canada, 469/1991, 05. November 1993. CCPR, Mukong v. Cameroon, 458/1991, 21. Juli 1994.
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CEDAW, M. K. M. v. Denmark, 081/2015, 29. Oktober 2018. CEDAW, S. A. O. v. Denmark, 101/2016, 29. Oktober 2018. CEDAW, X. v. Demark, 073/2014, 29. Oktober 2018. CEDAW, A. R. I. v. Denmark, 096/2015, 25. Februar 2019. CEDAW, A. N. A. v. Denmark, 094/2015, 15. Juli 2019. CEDAW, R. S. A. A. et al. v. Denmark, 086/2015, 15. Juli 2019. CEDAW, K. I. A. v. Denmark, 082/2015, 04. November 2019. CEDAW, F. H. A. v. Denmark, 108/2016, 17. Februar 2020. CEDAW, L. O. et al. v. Switzerland, 124/2018, 06. Juli 2020. CEDAW, R. A. O. v. Switzerland, 122/2017, 06. Juli 2020. CERD, Er v. Denmark, 40/2007, 08. August 2007. CERD, D. R. v. Australia, 42/2008, 09. September 2009. CERD, A. M. M. v. Switzerland, 50/2012, 18. Februar 2014. CERD, Benon Pjetri v. Switzerland, 53/2013, 05. Dezember 2016. CERD, Qatar v. The United Arab Emirates, CERD/C/99/4 (admissibility decision), 30. August 2019. CRC, U. A. I. v. Spain, 02/2015, 26. Oktober 2016. CRC, K. Y. M. v. Denmark, 03/2016, 08. März 2018. CRC, A. Y. v. Denmark, 07/2016, 31. Mai 2018. CRC, Y. M. v. Spain, 08/2016, 31. Mai 2018. CRC, N. B. F. v. Spain, 11/2017, 27. September 2018. CRC, D. D. v. Spain, 04/2016, 01. Februar 2019. CRC, J. G. v. Switzerland, 47/2018, 28. Juni 2019. CRC, E. H. R. S. et al. v. Argentina, 90/2019, 05. Juli 2019. CRC, M. T. v. Spain, 17/2017, 18. September 2019. CRC, R. K. v. Spain, 27/2017, 18. September 2019. CRC, Z. H. and A. H. v. Denmark, 32/2017, 18. September 2019. CRC, A. P. and K. P. v. Denmark, 33/2017, 25. September 2019. CRC, A. S. v. Denmark, 36/2017, 26. September 2019. CRC, Z. R. and Q. S. v. Denmark, 43/2018, 01. November 2019. CRC, B. I. v. Denmark, 49/2018, 28. September 2020. CRC, J. A. and E. A. v. Switzerland, 53/2018, 28. September 2020. CRC, L. D. and B. G. v. Spain, 37/2017, 38/2017, 28. September 2020. CRC, M. B. S. v. Spain, 26/2017, 28. September 2020. CRC, M. B. v. Spain, 28/2017, 28. September 2020.
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CRC, S. M. A. v. Spain, 40/2018, 28. September 2020. CRC, V. A. v. Switzerland, 56/2018, 28. September 2020. CRC, W. M. C. v. Denmark, 31/2017, 28. September 2020. CRC, S. H. et al. v. France, 79/2019 – 109/2019, 30. September 2020. CRPD, O. O. J. v. Sweden, 28/2015, 05. Oktober 2017. CRPD, N. L. v. Sweden, 60/2019, 28. August 2020.
II. Sonstige Dokumente der Vertragsorgane CAT, Concluding Observations: Norway Second Periodic Report, A/48/44 (SUPP), 1992. CAT, Summary Record of the First Part of the 139th Meeting, CAT/C/SR.139, 20. Juli 1993. CAT, Concluding Observations Finland, U.N. Doc. A/51/44, 09. Juli 1996. CAT, General Comment No. 1 The implementation of article 3 of the Convention in the context of article 22, U.N. Doc. A/53/44, S. 52, 1997. CAT, Concluding Observations on The Former Yugoslav Republic of Macedonia, A/54/44, 1999. CAT, Summary Record of the first part of the 424th meeting, CAT/C/SR.424, 09. Februar 2001. CAT, Annual Report 2001/2002, A/57/44, 01 November 2002. CAT, Concluding Observations United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, Crown Dependencies and Overseas Territories, Fourth Periodic Report, CAT/C/CR/33/3, 10. Dezember 2004. CAT, Concluding Observations: Austria, CAT/C/AUT/CO/3, 15. Dezember 2005. CAT, Concluding Observations on the third periodic report of Georgia, CAT/C/GEO/CO/3, 25. Juli 2006. CAT, Concluding Observations: United States of America, CAT/C/USA/CO/2, 25. Juli 2006. CAT, Annual Report 2005/2006, A/61/44, 01. November 2006. CAT, General Comment No. 2 Implementation of article 2 by States parties, CAT/C/GC/2, 24. Januar 2008. CAT, Concluding Observations on the third periodic report of Australia, CAT/C/AUS/CO/3, 22. Mai 2008. CAT, Concluding Observations on Sweden, CAT/SWE/CO/5, 04. Juni 2008. CAT, Concluding Observations: Jordan, CAT/C/JOR/CO/2, 25. Mai 2010. CAT, Report of the Committee against Torture on the 47th and 48th session, A/67/44, 2012. CAT, Concluding Observations: Greece, CAT/C/GRC/CO/5 – 6, 27. Juni 2012. CAT, Annual Report 2010/2011, A/66/44, 12. September 2012.
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CAT, General Comment No. 3 Implementation of article 14 by States parties, CAT/C/GC/3, 13. Dezember 2012. CAT, Report of the Committee against Torture on the 49th and 50th session, A/68/44, 2013. CAT, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of the Netherlands, CAT/C/NLD/CO/5 – 6, 20. Juni 2013. CAT, Concluding Observations on the fifth periodic report of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, CAT/C/GBR/CO/5, 24. Juni 2013. CAT, Concluding observations on the combined fifth and sixth periodic reports of Poland, CAT/ C/POL/CO/5 – 6, 23. Dezember 2013. CAT, Concluding Observations United States of America, combined third to fifth periodic reports, CAT/C/USA/CO/3 – 5, 19. Dezember 2014. CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, CAT/C/57/3, 25. Mai 2016. CAT, Draft General Comment No. 1 on the implementation of article 3 of the Convention in the context of article 22, CAT/C/60/R.2, 02. Februar 2017. CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, CAT/C/59/3, 15. März 2017. CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, CAT/C/60/4, 20. Oktober 2017. CAT, General Comment No. 4 The implementation of article 3 of the Convention in the context of article 22, CAT/C/GC/4, 09. Februar 2018. CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, CAT/C/63/3, 26. September 2018. CAT, Concluding observations on the seventh periodic report of Canada, CAT/C/CAN/CO/7, 21. Dezember 2018. CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, CAT/C/65/3, 11. Januar 2019. CAT, Concluding observations on the seventh periodic report of Greece, CAT/C/GRC/CO/7, 03. September 2019. CAT, Follow-up report on decisions relating to communications submitted under article 22 of the Convention, CAT/C/66/3, 10. Oktober 2019. CCPR, General Comment No. 15 The position of aliens under the Covenant, 1986. CCPR, General Comment No. 18 Non-Discrimination, CCPR/GEC/6622, 1989. CCPR, Annual Report, A/46/40, 10. Oktober 1991. CCPR, General Comment No. 20 on Article 7 (Prohibition of Torture, or Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment), 10. März 1992. CCPR, General Comment No. 24 on issues relating to reservations made upon ratification or accession to the Covenant or the Optional Protocols thereto, or in relation to declarations under article 41 of the Covenant, CCPR/C/21/Rev.1/Add.6, 11. November 1994.
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CCPR, General Comment No. 27 Freedom of movement (Art. 12), CCPR/C/21/Rev.1/Add.9, 1999. CCPR, General Comment No. 28 Article 3 (The equality of rights between men and women), CCPR/C/21/Rev.1/Add.10, 29. März 2000. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Dominican Republic, CCPR/CO/71/DOM, 26. April 2001. CCPR, Concluding Observations on the Netherlands, CCPR/CO/72/NET, 27. August 2001. CCPR, General Comment No. 29 States of Emercengy (Article 4), CCPR/C/21/Rev.1/Add.11, 31. August 2001. CCPR, Concluding Observations on Estonia, CCPR/C/77/EST, 15. April 2003. CCPR, General Comment No. 31 Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant, CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 2004. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Belgium, CCPR/CO/81/ BEL, 12. August 2004. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Uzbekistan, CCPR/C/83/ UZB, 26. April 2005. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Thailand, CCPR/CO/84/ THA, 08. Juli 2005. CCPR, Annual Report 2005/2006, A/61/40 (Vol. II), 2006. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee on Canada, CCPR/C/CAN/ CO/5, 20. April 2006. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Italy, CCPR/C/ITA/CO/5, 24. April 2006. CCPR, Concluding Observations on the fifth periodic report of Norway, CCPR/C/NOR/CO/5, 25. April 2006. CCPR, Concluding observations on the third periodic report of the United States of America, CCPR/C/USA/CO/3, 15. September 2006. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Ukraine, CCPR/C/UKR/ CO/6, 28. November 2006. CCPR, Annual Report 2006/2007, A/62/40 (Vol. II), 2007. CCPR, Concluding observations on the third periodic report of Barbados, CCPR/C/BRB/CO/3, 11. Mai 2007. CCPR, General Comment No. 32 Article 14: Right to Equality before Courts and Tribunals and to Fair Trial, CCPR/C/GC/32, 23. August 2007. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Austria, CCPR/C/AUT/ CO/4, 30. Oktober 2007. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Libya, CCPR/C/LBY/CO/ 4, 15. November 2007.
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CCPR, General Comment No. 33 The Obligations of States Parties under the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, CCPR/C/GC/33, 2008. CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, CCPR/C/GBR/CO/6, 30. Juli 2008a. CCPR, Concluding Observations on France, CCPR/C/FRA/CO/4, 31. Juli 2008. CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Sweden, CCPR/C/SWE/CO/6, 07. Mai 2009. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Azerbaijan, CCPR/C/AZE/ CO/3, 13. August 2009. CCPR, Concluding Observations on Russia, CCPR/C/RUS/CO/6, 24. November 2009. CCPR, Concluding Observations New Zealand, CCPR/C/NZL/CO/5, 07. April 2010. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Uzbekistan, CCPR/C/UZB/ CO/3, 07. April 2010. CCPR, Concluding observations of the Human Rights Committee – Estonia, CCPR/C/EST/CO/ 3, 04. August 2010. CCPR, Annual Report 2010/2011, A/66/40 (Vol. I), 2011. CCPR, Annual Report 2011/2012, A/67/40 (Vol. I), 2012. CCPR, Annual Report of the Human Rights Committee 2012/2013, A/68/40 (Vol. I), 2013. CCPR, Concluding observations on the third periodic report of Hong Kong, China, CCPR/C/ CHN-HKG/CO/3, 29. April 2013. CCPR, Concluding observations on the second periodic report of Tajikistan, CCPR/C/TJK/CO/ 2, 22. August 2013. CCPR, Annual Report 2013/2014, A/69/40 (Vol. I), 2014. CCPR, Concluding observations on the fourth periodic report of the United States of America, CCPR/C/USA/CO/4, 27. März 2014. CCPR, Follow-up progress report on individual communications, adopted by the Committee at its 112th session, CCPR/C/112/3, 16. Dezember 2014. CCPR, Annual Report 2014/2015, A/70/40, 2015. CCPR, Follow-up progress report on individual communications received and processed between June 2014 and January 2015, CCPR/C/113/3, 29. Juni 2015. CCPR, Concluding Observations on the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, CCPR/C/GBR/CO/7, 23. Juli 2015b. CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 115th session, CCPR/C/115/3, 23. Dezember 2015. CCPR, Annual Report 2015/2016, A/71/40, 2016. CCPR, Concluding observations on the seventh periodic report of Sweden, CCPR/C/SWE/CO/ 7, 28. April 2016. CCPR, Concluding observations on the second periodic report of Kazakhstan, CCPR/C/KAZ/ CO/2, 15. Juli 2016.
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CCPR, Follow-up progress report on individual communications adopted by the Committee at its 118th session, CCPR/C/118/3, 01. August 2016. CCPR, Follow-up progress report on individual Communications adopted by the Committee at its 116th session, CCPR/C/116/3, 05. August 2016. CCPR, Guidelines on measures of reparation under the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, CCPR/C/158, 30. November 2016. CCPR, Concluding Observations on the third periodic report of Serbia, CCPR/C/SRB/CO/3, 10. April 2017. CCPR, Follow-up progress report on individual communications, CCPR/C/119/3, 30. Mai 2017. CCPR, Concluding observations on the second periodic report of Liechtenstein, CCPR/C/LIE/ CO/2, 21. August 2017. CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Australia, CCPR/C/AUS/CO/6, 01. Dezember 2017. CCPR, Annual Report 2017/2018, A/73/40, 2018. CCPR, General Comment No. 36 Article 6 (the right to life), CCPR/C/GC/36, 2018. CCPR, Concluding observations on the sixth periodic report of Hungary, CCPR/C/HUN/CO/6, 09. Mai 2018. CCPR, General Comment No. 37 on the right of peaceful assembly (article 21), CCPR/C/GC/ 37, 17. September 2020. CCPR, Follow-up progress report on individual communications, CCPR/C/130/R.2, 19. November 2020. CCPR, Follow-up progress report on individual communications, CCPR/C/127/3, 27. November 2020. CCPR, Follow-up progress report on individual communications, CCPR/C/125/3, 07. Dezember 2020. CCPR, List of issues prior to submission of the third periodic report of Malta, CCPR/C/MLT/ QPR/3, 19. Januar 2021. CED, Key Guidelines on COVID-19 and Enforced Disappearances. CED, Concluding observations on the report submitted by France under article 29, paragraph 1, of the Convention, CED/C/FRA/CO/1, 08. Mai 2013. CED, List of issues in relation to the report submitted by Spain under article 29, paragraph 1, of the Convention, CED/C/ESP/Q/1, 10. Juli 2013. CED, Concluding observations on the report submitted by Spain under article 29, paragraph 1, of the Convention, CED/C/ESP/CO/1, 12. Dezember 2013. CED, Concluding observations on the report submitted by Armenia under article 29, paragraph 1, of the Convention, CED/C/ARM/CO/1, 13. März 2015. CED, Concluding observations on the report submitted by Iraq under article 29 (1) of the Convention, CED/C/IRQ/CO/1, 13. Oktober 2015.
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CED, Concluding observations on the report submitted by Tunisia under article 29 (1) of the Convention, CED/C/TUN/CO/1, 25. Mai 2016. CED, Concluding observations on the report submitted by Kazakhstan under article 29 (1) of the Convention, CED/C/KAZ/CO/1, 26. Mai 2016. CED, Concluding observations on the report submitted by Gabon under article 29, paragraph 1, of the Convention, CED/C/GAB/CO/1, 10. Oktober 2017. CED, List of issues in relation to the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, CED/C/AUT/Q/1, 16. Oktober 2017. CED, Concluding observations on the report submitted by Albania under article 29 (1) of the Convention, CED/C/ALB/CO/1, 03. Juli 2018. CED, Concluding observations on the report submitted by Austria under article 29 (1) of the Convention, CED/C/AUT/CO/1, 06. Juli 2018. CED, List of issues in relation to the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, CED/C/ITA/Q/1, 26. November 2018. CED, Concluding observations on the report submitted by Portugal under article 29 (1) of the Convention, CED/C/PRT/CO/1, 05. Dezember 2018. CED, Concluding observations on the report submitted by Peru under article 29 (1) of the Convention, CED/C/PER/CO/1, 08. Mai 2019. CED, Guiding principles for the search for disappeared persons, CED/C/7, 08. Mai 2019. CED, Concluding observations on the report submitted by Italy under article 29 (1) of the Convention, CED/C/ITA/CO/1, 10. Mai 2019. CED, List of issues in relation to the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, CED/C/SVK/Q/1, 14. Mai 2019. CED, Concluding observations on the report submitted by Slovakia under article 29 (1) of the Convention, CED/C/SVK/CO/1, 24. Oktober 2019. CED, List of issues in relation to the report submitted by Switzerland under article 29, paragraph 1, of the Convention, CED/C/CHE/Q/1, 30. Oktober 2019. CED, Informe de seguimiento sobre comunicaciones individuales, CED/C/19/3, 06. Oktober 2020. CEDAW, General Recommendation No. 19 Violence against women, 1992. CEDAW, General Recommendation No. 28 on the core obligations of States parties under article 2 of the Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, CEDAW/C/GC/28, 16. Dezember 2010. CEDAW, General Recommendation No. 32 on the gender-related dimensions of refugee status, asylum, nationality and statelessness of women, CEDAW/C/GC/32, 14. November 2014. CEDAW, Concluding observations on the seventh periodic report of Italy, CEDAW/C/ITA/CO/ 7, 24. Juli 2017. CEDAW, General Recommendation No. 35 on gender-based violence against women, CEDAW/ C/GC/35, 26. Juli 2017.
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CEDAW/CRC, Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child on harmful practices, CEDAW/C/GC/31-CRC/C/GC/18, 14. November 2014. CERD, General Recommendation XI on non-citizens, U.N. Doc. A/48/18, 1993. CERD, General Recommendation XXII on article 5 of the Convention on refugees and displaced persons, U.N. Doc. A/51/18, S. 126 – 127, 16. August 1996. CERD, General Recommendation XXX on discrimination against non-citizens, U.N. Doc. A/ 59/18, S. 93 – 97, 2004. CERD, Concluding observations on the combined eighteenth to twenty-second periodic reports of Lebanon, CERD/C/LBN/CO/18 – 22, 05. Oktober 2016. CERD, Concluding observations on the twenty-third periodic report of Finland, CERD/C/FIN/ CO/23, 08. Juni 2017. CERD, Concluding observations on the eighteenth to twentieth periodic reports of Australia, CERD/C/AUS/CO/18 – 20, 26. Dezember 2017. CERD, Concluding observations on the combined second to fifth periodic reports of Serbia, CERD/C/SRB/CO/2 – 5, 03. Januar 2018. CERD, Concluding observations on the combined eighth to tenth periodic reports of Kyrgyzstan, CERD/C/KGZ/CO/8 – 10, 30. Mai 2018. CERD, Concluding observations on the combined fourteenth to seventeenth periodic reports of China (including Hong Kong, China and Macao, China), CERD/C/CHN/CO/14 – 17, 19. September 2018. CERD, Concluding observations on the combined ninth to twelfth periodic reports of Albania, CERD/C/ALB/CO/9 – 12, 02. Januar 2019. CERD, Concluding observations on the combined eighteenth to twenty-fifth periodic reports of Hungary, CERD/C/HUN/CO/18 – 25, 06. Juni 2019. CESCR, General Comment No. 3 The nature of States parties’ obligations (art. 2, para. 1, of the Covenant), E/1991/23, 14. Dezember 1990. CESCR, Concluding Observations: Libya, E/C.12/1/Add.15, 20. Mai 1997. CESCR, Concluding Observations on the initial report of Israel, E/C.12/1/Add.27, 04. Dezember 1998. CESCR, General Comment No. 12 The right to adequate food (art. 11), E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999. CESCR, General Comment No. 13 The right to education (article 13 of the Covenant), E/C.12/ 1999/10, 08. Dezember 1999. CESCR, General Comment No. 14 The right to the highest attainable standard of health (article 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), E/C.12/ 2000/4, 11. August 2000. CESCR, General Comment No. 15 The right to water (arts. 11 and 12 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), E/C.12/2002/11, 20. Januar 2003.
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CESCR, Concluding observations: People’s Republic of China (including Hong Kong and Macao), E/C.12/1/Add.107, 13. Mai 2005. CESCR, General Comment No. 20 Non-discrimination in economic, social and cultural rights (art. 2, para. 2, of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), E/ C.12/GC/20, 02. Juli 2009. CESCR, Concluding observations on the second periodic report of Serbia, E/C.12/SRB/CO/2, 10. Juli 2014. CESCR, Concluding observations on the combined initial and second periodic reports of Thailand, E/C.12/THA/CO/1 – 2, 19. Juni 2015. CESCR, Concluding observations on the fifth periodic report of Italy, E/C.12/ITA/CO/5, 28. Oktober 2015. CESCR, Concluding observations on the sixth periodic report of Sweden, E/C.12/SWE/CO/6, 14. Juli 2016. CESCR, Concluding observations on the fourth and fifth periodic report of Angola, E/C.12/ AGO/CO/4 – 5, 15. Juli 2016. CESCR, Statement on Duties of States towards refugees and migrants under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, E/C.12/2017/1, 13. März 2017. CESCR, Concluding observations on the sixth periodic report of the Netherlands, E/C.12/NLD/ CO/6, 06. Juli 2017. CESCR, Concluding observations on the fifth periodic report of Australia, E/C.12/AUS/CO/5, 11. Juli 2017. CESCR, Concluding observations on the initial report of Pakistan, E/C.12/PAK/CO/1, 20. Juli 2017. CESCR, Concluding observations on the initial report of Bangladesh, E/C.12/BGD/CO/1, 18. April 2018. CESCR, Concluding observations concerning the initial report of the Central African Republic, E/C.12/CAF/CO/1, 04. Mai 2018. CESCR, Concluding observations on the sixth periodic report of Germany, E/C.12/DEU/CO/6, 27. November 2018. CESCR, Concluding observations on sixth periodic report of Denmark, E/C.12/DNK/CO/6, 12. November 2019. CESCR, Concluding observations on the fourth periodic report of Israel, E/C.12/ISR/CO/4, 12. November 2019. CESCR, Concluding observations on the fourth periodic report of Switzerland, E/C.12/CHE/ CO/4, 18. November 2019. CMW, General Comment No. 2 on the rights of migrant workers in an irregular situation and members of their families, CMW/C/GC/2, 28. August 2013. CMW, Concluding observations on the initial report of Turkey, CMW/C/TUR/CO/1, 31. Mai 2016.
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III. Sonstige zitierte Rechtsprechung EGMR, Soering v. United Kingdom, 14038/88, 07. Juli 1989. EGMR, Chahal v. United Kingdom, 22414/93, 15. November 1996. EGMR, Ahmed v. Austria, 25964/94, 17. Dezember 1996. EGMR, Mamatkulov and Askarov v. Turkey, 46827/99, 46951/99, 04. Februar 2005. EGMR, N. D. and N. T. v. Spain, 8675/15, 8697/15, 13. Februar 2020. EKMR, X. v. Germany, Yearbook of the European Convention on Human Rights, 06. Oktober 1962 5, 254. Inter-American Commission on Human Rights, Victims of the Tugboat „13 de Marzo“ v. Cuba, 11.436, Report No. 47/96, 16. Oktober 1996. Inter-American Commission on Human Rights, United States (merits), 10.675, Report No. 51/ 96, 13. März 1997. International Court of Justice, Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Advisory Opinion, I.C.J. Reports, 28. Mai 1951, 15. International Court of Justice, North Sea Continental Shelf Cases, 20. Febuar 1969, I.C.J. Reports, 3. International Court of Justice, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports, 136.
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IV. Sonstige Dokumente CDDH, Report on the place of the European Convention on Human Rights in the European and international legal order, CDDH(2019)R92 Addendum1, 29. November 2019. Declaration of States Parties to the 1951 Convention and its 1967 Protocol, Relating to the Status of Refugees, HCR/MMSP/2001/09, 13. Dezember 2001. ECOSOC, Resolution 672 (XXV), U.N. Doc. E/RES/672 (XXV), 30. April 1958. ECOSOC, Letter dated 18 January 1978 from the Permanent Mission of Sweden to the United Nations Office at Geneva addressed to the Division of Human Rights, U.N. Doc. E/Cn.4/ 1285, 23. Januar 1978. ECOSOC, Review of the composition, organization and administrative arrangements of the Sessional Working Group of Governmental Experts on the Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, ECOSOC Resolution 1985/17, 28. Mai 1985. ECOSOC 2004, Report of the intersessional open-ended working group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, U.N. Doc. E/CN.4/2004/59, 23. Februar 2004. ECOSOC 2005, Report of the Intersessional Open-ended Working Group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, U.N. Doc. E/CN.4/2005/66, 10. März 2005. ECOSOC 2006, Report of the Intersessional Open-ended Working Group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, U.N. Doc. E/CN.4/2006/57, 02. Februar 2006. International Committee of the Red Cross, Note on Migration and the Principle of Non-Refoulement, International Review of the Red Cross (2018), 345. International Law Association, Final Report on the Impact of Findings of the United Nations Human Rights Treaty Bodies, 2004.
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United Nations, Office on Drugs and Crime Toolkit to Combat Trafficking in Persons – Global Programme against Trafficking in Human Beings, E.08.V.14, 2008.
Stichwortverzeichnis Abweisung an der Grenze 15, 24 f., 34, 38, 41 ff., 60, 71, 107, 143, 162, 173, 194, 212, 224, 231, 255, 266, 297, 299, 300, 306, 310, 311 f., 316, 332 f.; siehe auch Extraterritorialität Altersfeststellung 160, 188, 219, 224 ff., 230, 242 f., 320 f. Aufschiebende Wirkung siehe Suspensiveffekt Ausschuss gegen Folter 59, 67 ff., 140, 146, 147, 148, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 160, 161, 162, 165, 166, 201, 202, 203, 204, 209, 215, 216, 227, 250, 252, 254, 259, 261, 263, 265, 267, 275, 281, 294, 301, 303, 304, 310, 312, 313 f., 317 ff., 322, 323, 325, 326, 329, 330, 331, 332 Ausschuss über das Verschwindenlassen 61, 248 ff., 321, 326, 331 Behinderung 300 ff., 301 f. Behindertenrechtsausschuss 49, 300 ff., 312, 314 Beweislast 83 ff., 151 ff., 228 ff., 251 ff., 273 ff., 314 f., 332 Diplomatische Zusicherungen 29 f., 40, 92, 97 ff., 100, 156, 160, 162 ff., 254, 258, 261 f.,272, 298, 322, 329 Drittstaat 29, 75, 85, 92, 96 ff., 99, 132, 143, 136, 161, 162, 173, 179, 213, 236, 241, 320 f., 332 Dublin-Verfahren 100 f., 162, 164, 179 ff., 200, 245, 283, 284, 286, 329 Durchsetzungsmechanismen 17, 41, 42, 52, 54, 63, 163, 332; siehe auch Follow-Up EGMR 32, 34, 41, 48, 51, 59, 66, 68, 77, 145, 171, 175, 252, 281,304, 327, 328 f., 330 f., 332 Einstweilige Maßnahmen 50 f., 59, 70, 79 ff., 101, 103, 127, 131 f., 135, 147 ff.,
158, 166, 196, 201, 227 f., 230, 251, 262, 272 f., 293, 302 f., 315, 332 f. Extraterritorialität 70 f., 107, 142 f., 173, 182, 196, 204 f., 208, 212, 219 ff., 231, 250, 264 ff., 290, 296 f., 299, 301, 307, 310, 311, 316, 333 Familie 40, 49, 75 f., 84, 86, 90, 106, 121 f., 148, 151, 160, 169, 182 f., 184 ff., 191, 203, 215, 223, 237, 239, 268 f., 279, 284, 286, 289, 296, 299, 302, 303, 308, 309, 311, 314, 316 f. Fluchtalternative 29, 92, 93 ff., 97, 160, 161 f., 239, 279, 306, 321, 322 Flüchtlingsrecht 15, 19 f., 23, 24 ff., 31 ff., 35, 36 ff., 41, 42 f., 49, 60, 68, 83, 72, 77, 94, 106 ff., 122, 131, 172 f., 181, 195, 204, 208 ff., 213 f., 216 ff., 221, 231, 233 f., 238, 244, 253, 255, 257, 263, 265, 275, 279 f., 282 f., 296, 308, 310, 312, 316, 332 Follow-Up 17, 46, 52, 53, 54, 58, 134 ff., 199, 201 f., 246, 248, 261, 293, 295, 324 Folter 15, 18, 26 f., 30 f., 32, 33, 34, 35, 38 f., 83 ff., 109 ff., 139 f., 142, 146, 155, 158, 163, 170 f., 172, 173 ff., 183, 192, 194, 199, 203, 204, 214, 247, 256, 265 f., 267, 268, 280, 284, 289, 294, 298, 303 f., 306, 314, 317 ff., 329 Frauen 49, 72, 109 f., 118 f., 122, 124, 126, 195, 227, 244, 262 ff., 304, 318, 321 Frauenrechtsausschuss 49, 61, 146, 216, 240, 262 ff., 305 f., 318, 321, 325, 326, 328, 333 Genfer Flüchtlingskonvention siehe Flüchtlingsrecht Genitalverstümmelung 118, 169, 177, 227, 238, 271, 284, 285, 288, 318 Gewohnheitsrecht 16, 17, 22, 23, 28, 29, 35 ff., 57 ff., 217, 233, 235, 248, 280 f., 289, 295, 296, 327 ff.
Stichwortverzeichnis Geschlechterspezifische Gewalt 87, 90, 114 f., 118 f., 119 f., 122, 195, 262 ff., 318, 333 Hohe See 24 f., 33 f., 70 ff., 143, 173, 190 f., 220 f., 231, 255, 296, 306, 310, 316; siehe auch Extraterritorialität Humanitäres Völkerrecht 15, 30 f., 217, 233, 247 f., 251, 254 f., 257, 269, 296, 314 IAGMR 33 f., 39, 41 f., 281, 328 Individuelle Überprüfung des Einzelfalls 27, 29, 89 f., 91, 98, 126, 194, 214, 258, 299, 310, 320 International Law Commission 37 f., 38 ff., 66, 329 ff. Interne Fluchtalternative siehe Fluchtalternative Ius Cogens 30, 36 ff., 101, 253 Kettenrefoulement 29, 85, 93, 107 f., 122, 132, 173, 236, 257, 316, 331 Kinder 31, 40, 60, 75, 116, 169, 184 f., 188 f., 191, 216 ff., 260, 268, 285, 296, 303, 308 f., 320 f. Kinderrechtsausschuss 49, 59 f., 61, 188, 216 ff., 250 f., 260, 261, 263, 264, 272, 285, 296 f., 298, 299, 305, 306, 318, 320, 325, 326, 328, 330, 331 Menschenrechtsausschuss 18, 32, 35, 39, 47, 51, 54, 55, 59, 60, 61, 69, 76, 100, 104, 108, 116, 125, 133, 139 ff., 208, 209, 211, 214, 215, 216, 221, 227, 228, 229, 232, 234, 235, 246, 250, 254, 261, 263, 265, 267, 271, 276, 277, 280, 281, 292, 294, 304, 305 f., 312, 318, 321, 325, 326, 329, 330, 331, 333 OHCHR-Sekretariat
48, 52 ff., 69 f., 334
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Rassendiskriminierungsausschuss 52, 206 ff., 234, 263, 325, 326, 329, 331 Recht auf Leben 26, 31, 39, 116, 140, 142 f., 152, 155, 166, 171 f., 173 ff., 181 ff., 188, 189, 190, 194, 195, 202 f., 205, 221, 234 f., 237, 239, 247, 265, 267, 268, 280, 284, 289, 304, 312, 317, 318 Rechtswegerschöpfung 50, 76 ff., 144 f., 223 f., 250, 269 ff., 278, 302, 313 f. Risikobewertungsverfahren 27, 24, 73 f., 87, 89 ff., 96, 97, 100, 106, 113, 125 f., 129, 132, 135, 147, 154, 155 ff., 166, 168, 179, 190, 192, 195, 202, 205, 213, 225, 226, 227, 229 f., 231, 233, 235, 237, 238, 239 ff., 246, 247, 248, 251, 254, 255, 258 ff., 260, 261, 268, 271, 274, 276 f., 278 f., 284, 291 f., 299, 303, 304, 310, 315, 316, 320 f., 323, 324, 332 f., 333 Sexuelle Gewalt siehe geschlechterspezifische Gewalt Sexuelle Orientierung 121 ff., 177 f., 271 f., 331 Suspensiveffekt 50, 77, 79, 127, 145, 147, 224, 250, 258 f., 269, 299, 313 f., 321 Todesstrafe 34, 40, 112, 114 ff., 138, 147, 163, 171, 174 f., 195, 208, 215, 258, 283, 329 UNHCR 20, 24 ff., 37, 41, 42, 60, 94, 97, 102, 109, 122, 134, 156, 283 f., 288, 308, 330 Verfahren siehe Risikobewertungsverfahren Vergewaltigung siehe geschlechterspezifische Gewalt Verschwindenlassen 35, 39, 90, 120, 248 ff., 268, 317, 318, 321, 326, 331 Wanderarbeiterausschuss 220, 231, 240, 242, 247, 295 ff. WSK-Ausschuss 208, 306 ff.