Das Labor des Anthropologen: Anthropologie und Kultur bei David Hume 9783787318858, 9783787320240

Die Rezeption der Schriften des schottischen Philosophen und Historikers David Hume (1711-1776) hat sich lange Zeit fast

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German Pages 344 [338] Year 2008

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Das Labor des Anthropologen: Anthropologie und Kultur bei David Hume
 9783787318858, 9783787320240

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MARIO BÜHRMANN Das Labor des Anthropologen

STUDIEN ZUM ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERT Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 31

FELIX MEINER VERLAG · HAMBURG

MARIO BÜHRMANN

Das Labor des Anthropologen Anthropologie und Kultur bei David Hume

FELIX MEINER VERLAG · HAMBURG

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Sonderforschungsbereichs »Kulturen des Performativen« der Freien Universität Berlin. D 188

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7873-1885-8

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2008. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Inhalt

Vorbemerkung .........................................................................................

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Zitierweise/Siglenverzeichnis ................................................................ 1. Siglenverzeichnis der verwendeten englischsprachigen Ausgaben ...... 2. Siglenverzeichnis der verwendeten deutschsprachigen Ausgaben ......

10 10 11

I.

Einleitung: Hume als Anthropologe – und als Philosoph der Kultur? ........................................................

13

II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis.........

31

III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur« bei David Hume .......................................................... 1. Der Philosoph ohne Spiegelbild: Hume und seine Begriffe .............. 2. Humes ›Überzeugungen‹, ›Auffassungen‹ und ›Annahmen‹ als Gegenstände der Untersuchung ................................................. 3. Das Wirken von Verstand und Affekt in Humes Kulturauffassung ............................................................................ 4. Humes Konzept des Geschmacks ..................................................... a) ›Geschmack‹ im Treatise ............................................................ b) ›Geschmack‹ in Of the Delicacy of Taste and Passion ..................... c) ›Geschmack‹ in Of the Standard of Taste ..................................... 5. Zur Untersuchungsmethode und Konstitution ihres Gegenstands – Der problematische Begriff der ›Beobachtung‹ bei Hume ....................................................................................... IV. Hume und die Antike – Facetten der Humeschen Anthropologie und des Humeschen Kulturverständnisses ......... 1. Ein letzter Blick zurück aufs Altertum ............................................ 2. Griechentum vs. Ritterlichkeit – An Historical Essay on Chivalry and Modern Honour ....................................................................... 3. Die zivilisierende Kraft römischer Gesetze – die römische Antike in Humes History ........................................................................... 4. Über die Entstehungsbedingungen von Künsten und Wissenschaften – Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences .....

41 41 42 53 60 60 66 71

81

95 95 99 109 121

6

Inhalt

5. Die affektregulierende Wirkung von Wissenschaft und Kunst – The Sceptic ............................................................... 6. Zwischen den Stühlen. Humes Anthropologie- und Kulturverständnis im Spannungsfeld von Antike und Moderne .... a) Hume und die ›Querelle des Anciens et des Modernes‹ ............ b) »Schemes of Virtue & of Happiness, without regarding human Nature«. Humes Einspruch gegen die antike Philosophie .................................................................... c) »Superior in philosophy, inferior in eloquence«. Zum Aufstieg und Niedergang der Redekunst .......................... d) Humes Entzauberung der ›Inspiration‹ ..................................... e) Agon oder Recht? Zur Humeschen Unterscheidung der griechischen und römischen Antike .......................................... f ) Wie vorbildlich sind antike Kunst und Politik? ......................... 7. Does size really matter? Kultur und Barbarei in Of the Populousness of Ancient Nations ............................................ a) Die Schattenseiten der Antike .................................................. b) Von der überschaubaren Gemeinschaft zur modernen Großstadt ................................................................ c) Rohe Sitten und grobschlächtiges Handwerk der Antike oder Der (fragile) Vorsprung der Moderne ................................ d) Unzuverlässige Historiker und die Verklärung der Vergangenheit .......................................................................... e) Of the Populousness of Ancient Nations und sein Pendant ........... f ) Humes vergleichende Bewertung der Griechen und Römer ...... 8. Dr. Roebuck und der ›schottische Homer‹ .................................... 9. Griechen, Römer, Franzosen und moderne Barbaren – Of National Characters .................................................................. 10. Über die Ungleichheit der Menschen. Teil 1: Die Bedeutung von Fußnoten ....................................... 11. Humes Verständnis von ›Kultur‹ und ›Natur‹ ................................ 12. Hume über das Verhältnis von Körper und Geist .......................... 13. Über die Ungleichheit der Menschen. Teil 2: Die Relativität der Universalität ..................................... 14. Religion als Fessel des Fortschritts? ................................................ V. Das Werk Humes und die Bedeutung seiner Schriften als anthropologische und kulturwissenschaftliche Studien ..........

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154 158 166 168 176 178 178 182 184 188 190 192 194 199 215 220 230 236 244

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Inhalt

7

Bibliographie ............................................................................................

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1. Schriften von David Hume .............................................................. 2. Literatur zu David Hume ............................................................. 2.1 Monographien bzw. Sammelbände ...................................... 2.2 Aufsätze bzw. Artikel .......................................................... 3. Monographien, Sammelbände, Aufsätze und Artikel zur europäischen und schottischen Aufklärung, zu Philosophie, Anthropologie, Religions- und Kulturwissenschaft sowie zur Altertumswissenschaft ..................................................................... 4. Weitere Quellen .............................................................................

297 298 298 302

Namenregister ........................................................................................

329

309 326

Vorbemerkung

Die Anregung für die vorliegende Studie zum Anthropologie- und Kulturverständnis David Humes verdanke ich meiner Doktormutter, Professor Dr. Renate Schlesier, die mir bereits während des Studiums die Gelegenheit gab, im Rahmen eines Kolloquiums den 10. Abschnitt des Enquiry Concerning Human Understanding (›Of Miracles‹) unter anthropologischen Gesichtspunkten zu diskutieren. Von kaum zu überschätzender Bedeutung war für mich die Teilnahme an den von ihr geleiteten Seminaren und Kolloquien zu anthropologischen, kultur- und religionswissenschaftlichen Fragestellungen, in denen ich (neben vielen anderem) vor allem den detailgenauen und transdisziplinären Umgang mit kulturellen Dokumenten jeder Art kennen- und schätzengelernt habe. Ihrer fortwährend hilfsbereiten, kritischen und geduldigen Betreuung gilt mein herzlichster Dank. Ohne diese Unterstützung hätte diese Arbeit, die im Herbst 2006 als Dissertation beim Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin eingereicht wurde, nicht konzipiert und fertiggestellt werden können. Herrn Prof. Dr. Christoph Wulf möchte ich sehr dafür danken, dass er die Aufgabe des Zweitgutachters auf sich genommen hat. Als unverzichtbare Hilfestellung bei der Abfassung dieser Studie erwiesen sich nicht zuletzt die von Renate Schlesier geleiteten Doktorandenkolloquien in Paderborn und Berlin. Für die differenzierten, konstruktiven und stets ermutigenden Stellungnahmen zu einzelnen Kapiteln dieser Arbeit bin ich daher Olaf Briese, Susanne Gödde, Timo Günther, Roberto Sanchiño Martínez, Beatrice Trinca und Ulrike Zellmann sehr zu Dank verpflichtet. Sie halfen mir, zahlreiche argumentative und sprachliche Klippen zu umschiffen. Ein großes Dankeschön geht auch an Friederike Günther, die mir mit ihrer gründlichen Lektüre des Schlussmanuskripts sehr geholfen hat. Ferner danke ich der ›Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts‹ für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ihrer Studien und dem Sonderforschungsbereich ›Kulturen des Performativen‹ an der Freien Universität Berlin für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Last but not least möchte ich sowohl meinen Eltern für ihre langjährige Unterstützung als auch meiner Frau und unseren Kindern für ihre Geduld herzlich danken, die sie während des Schreibprozesses bewiesen haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im Frühjahr 2008

Mario Bührmann

Zitierweise / Siglenverzeichnis

Eine kritische Ausgabe der Werke Humes (The Clarendon Hume Edition, hg. v. Tom L. Beauchamp, David Fate Norton und M. A. Stewart, erscheint bei Oxford University Press) ist derzeit erst im Entstehen begriffen und noch nicht abgeschlossen. Bis sich diese Ausgabe als neuer Standard etabliert hat, werden in der derzeitigen HumeForschung der Treatise und die beiden Enquiries sowohl nach den neuen Ausgaben von Norton und Beauchamp als auch nach den (in editorischer Hinsicht) überholten Ausgaben von Selby-Bigge/Nidditch zitiert. Diesem Verfahren schließe auch ich mich in dieser Arbeit an. Aufgrund der Vielzahl der verschiedenen Ausgaben der History of England werde ich im Folgenden sowohl die Band- und Seitenzahl der von mir benutzen Ausgabe (New York 1879) als auch die Kapitelnummer angeben, um ein leichteres Auffinden der Zitate im ursprünglichen Text zu ermöglichen.

1. Siglenverzeichnis der verwendeten englischsprachigen Ausgaben EC

»An Historical Essay on Chivalry and Modern Honour« [nach 1731]. Edited by Ernest Campbell Mossner, in: Modern Philology 45 (1947–48), S. 54– 60

T

A Treatise of Human Nature [1739/40]. Edited by David Fate Norton and Mary J. Norton, 5th edition, Oxford 2005 (1st edition 2000) [›T 2.2.9.5‹ bezieht sich auf das 2. Buch, 2. Teil, 9. Abschnitt, 5. Absatz] A Treatise of Human Nature [1739/40]. Edited, with an Analytical Index, by L. A. Selby-Bigge, Oxford 1888. 2nd edition, with text revised and variant readings by P. H. Nidditch, Oxford 1978 [›SBN‹ und Seitenzahl]

AB

An Abstract of a Book lately Published; entitled, A Treatise of Human Nature, & c. Wherein the Chief Argument of that Book is farther Illustrated and Explained [1740]. In: A Treatise of Human Nature. Edited by David Fate Norton and Mary J. Norton, 5th edition, Oxford 2005, S. 403–417 [AB und Absatznummer]

EM

»Early Memoranda, 1729–1740. The Complete Text«. Edited by Ernest Campbell Mossner, in: Journal of the History of Ideas 9 (1948), S. 492–518

ES

Essays, Moral, Political and Literary [1741/42]. Edited by Eugene F. Miller, Revised Edition Indianapolis 1987 (1st edition 1985)

Siglenverzeichnis

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E1

An Enquiry Concerning Human Understanding [1748]. A Criticial Edition. Edited by Tom L. Beauchamp, Oxford 1998 [›E1 2.5‹ bezieht sich auf den 2. Abschnitt, 5. Absatz] An Enquiry Concerning Human Understanding [1748]. Edited by L. A. SelbyBigge, Oxford 1894 (2nd edition 1902). With text revised and notes. Edited by P. H. Nidditch, 3rd edition Oxford 1975 [›SBN‹ und Seitenzahl]

E2

An Enquiry Concerning the Principles of Morals [1751]. Edited by Tom L. Beauchamp, Oxford 2002 (1st edition 1998) [›E2 4.7‹ bezieht sich auf den 4. Abschnitt, 7. Absatz] An Enquiry Concerning the Principles of Morals [1751]. Edited by L. A. SelbyBigge, Oxford 1894 (2nd edition 1902). With text revised and notes. Edited by P. H. Nidditch, 3rd edition Oxford 1975 [›SBN‹ und Seitenzahl]

HE

The History of England from the Invasion of Julius Cesar to the Revolution in 1688 [1754–61], New York 1879 (6 Bde.) [HE, Band- und Seitenzahl sowie Kapitelnummer]

NH

Natural History of Religion [1757]. In: Principle Writings on Religion including ›Dialogues Concerning Natural Religion‹ and ›The Natural History of Religion‹. Edited by J. C. A. Gaskin, 2nd edition Oxford 1998 (1st edition 1993), S. 134–196

ML

»My own Life« [1777]. In: Philosophical Works. Bd. III. Edited by T. H. Green and T. H. Grose, London 1874/75 (Neudruck Aalen 1964), S. 1–8

DR

Dialogues Concerning Natural Religion [1779]. In: Principle Writings on Religion including ›Dialogues Concerning Natural Religion‹ and ›The Natural History of Religion‹. Edited by J. C. A. Gaskin, 2nd edition, Oxford 1998 (1st edition 1993), S. 29–133

PW

The Philosophical Works. 4. vols. Edited by Thomas H. Green and Thomas H. Grose, London 1882–1886 (Neudruck Aalen 1964) [Band- und Seitenzahl]

LH

The Letters of David Hume. Edited by John Young Thomson Greig. 2 vols., Oxford 1969 (Reprint of the 1932 edition) [Band- und Seitenzahl]

NL

New Letters of David Hume. Edited by Raymond Klibansky and Ernest Campbell Mossner, Oxford 1969 (Reprint of the 1954 edition)

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Siglenverzeichnis

2. Siglenverzeichnis der verwendeten deutschsprachigen Ausgaben TRN1 Ein Traktat über die menschliche Natur. Bd. I: Erstes Buch: Über den Verstand [1739]. Übers., mit Anmerkungen u. Register v. Theodor Lipps, hg. v. Reinhard Brandt, Hamburg 1989 TRN2 Ein Traktat über die menschliche Natur. Bd. II: Zweites und drittes Buch: Über die Affekte. Über Moral [1739/40]. Übers., mit Anmerkungen u. Register v. Theodor Lipps, hg. v. Reinhard Brandt, Hamburg 1978 TRN3 Ein Traktat über die menschliche Natur. Bd. II: Zweites und drittes Buch: Über die Affekte. Über Moral [1739/40]. Übers., mit Anmerkungen u. Register v. Theodor Lipps, hg. v. Reinhard Brandt, Hamburg 1978 ABR

Abriß eines neuen Buches, betitelt: Ein Traktat über die menschliche Natur [1740]. Brief eines Edelmannes an seinen Freund [1745]. Englisch/deutsch. Eingel., übers. u. hg. v. Jens Kulenkampff, Hamburg 1980

UNT2 Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral [1751]. Übers. u. hg. v. Gerhard Streminger, 2. rev. Aufl. Stuttgart 1996 (1. Aufl. 1984) PÖE

Politische und ökonomische Essays [1752]. Hg. v. Udo Bermbach, übers. v. Susanne Fischer. 2 Bde. Hamburg 1988

NGR

Die Naturgeschichte der Religion [1757]. Über Aberglaube und Schwärmerei. Über die Unsterblichkeit der Seele. Über Selbstmord. Übers. u. hg. v. Lothar Kreimendahl, Hamburg 1984

DNR

Dialoge über natürliche Religion [1779]. Hg. v. Günter Gawlick. 6. erg. Aufl. Hamburg 1993 (zuerst 1968)

I. Einleitung: Hume als Anthropologe – und als Philosoph der Kultur?

Die intensive Beschäftigung mit den Schriften des schottischen Philosophen und Historikers David Hume hält auch heute, 232 Jahre nach seinem Tod, ungebrochen an; Vielfalt und beständige Dringlichkeit der in seinen Arbeiten verhandelten Themen und Fragestellungen behaupten immer wieder ihren Anspruch auf Auseinandersetzung. Ein Vergleich der deutschen und englisch-amerikanischen Forschungsliteratur zu Hume1 fördert dabei Bemerkenswertes zutage: Es gibt offenbar ›nationale Besonderheiten‹ im Umgang mit Humes Schriften. Während im angelsächsischen Sprachraum die Auseinandersetzung mit Humes Werk schon länger die politischen, historischen, religionswissenschaftlichen, ästhetischen und moralphilosophischen Aspekte in den Blick nimmt, konzentrieren sich deutschsprachige Untersuchungen bis auf wenige Ausnahmen immer wieder auf die erkenntnistheoretischen Positionen Humes, nicht zuletzt auch in ihrem Verhältnis zur Kantischen Philosophie. Die vorliegende Arbeit möchte die Aufmerksamkeit auf einen Aspekt des Werkes lenken, der bislang im deutschsprachigen Raum erst wenig, im angelsächsischen Sprachraum hingegen schon eher ins Blickfeld der Analyse gerückt ist: Humes Konzeption von Anthropologie in Verbindung mit seinem Verständnis von Kultur. Humes Schriften stellen den Versuch dar, zunächst mit einer auf erkenntnistheoretischen Überlegungen basierenden ›science of Man‹ beginnend, unterschiedliche Formen und Erscheinungsweisen menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns zu erfassen und methodisch zu durchdringen. Humes Werk umspannt dabei in seiner historischen Entwicklung einen weiten Kreis von Gegenständen anthropologischen Interesses: Es nimmt 1739/40 seinen Anfang mit dem für Hume unerwartet abschätzig rezipierten Treatise of Human Nature, der sich sowohl epistemologischen Fragestellungen widmete als auch die Beschaffenheit von Affekten und moralischen Urteilen zu ergründen suchte.

Für die Beschäftigung mit Hume und seinen Interpreten kann auf folgende bibliographische Hilfsmittel zurückgegriffen werden: Rudolf Metz: »Bibliographie der Hume-Literatur«, in: Literarische Berichte aus dem Gebiete der Philosophie 15–16 (1927), S. 39–50; Thomas Edmund Jessop: A Bibliography of David Hume and of Scottish Philosophy from Francis Hutcheson to Lord Balfour, New York 1983 (Repr. d. Ausg. London 1938); William B. Todd: »David Hume. A Preliminary Bibliography«, in: ders. (Hg.): Hume and the Enlightenment. Essays presented to Ernest Campbell Mossner, Edinburgh 1974, S. 189–205; Roland Hall: Fifty Years of Hume Scholarship. A Bibliographical Guide, Edinburgh 1978; Nicholas Capaldi/James King/D. C. Livingston: »The Hume-Literature of the 1970s«, in: Philosophical Topics 12 (1981), S. 167–192. Zudem werden in den seit 1975 erscheinenden Hume Studies fortlaufend alle einschlägigen Publikationen erfasst. 1

14

I. Einleitung: Hume als Anthropologe

Humes Enttäuschung über die reservierte Aufnahme ist verständlich, verband er doch mit dem Treatise das ehrgeizige Ziel, eine Fundamentalwissenschaft der menschlichen Natur zu begründen. Seine 1748 bzw. 1751 publizierten Enquiries Concerning Human Understanding and the Principles of Morals, weiterentwickelte (und popularisierte) Fassungen seiner Debütschrift, verschafften ihrem Autor hingegen größere Beachtung. Die Essays zu Ästhetik, Religion, Politik und Ökonomie, die Hume zwischen 1741 und 1752 veröffentlichte, sowie seine History of England aus den Jahren 1754–1761 festigten schließlich seinen Ruf als bedeutendster schottischer Gelehrter des 18. Jahrhunderts.2 Nicht zuletzt sind die bis heute fortwirkenden Impulse von Humes Auseinandersetzung mit religionstheoretischen Fragestellungen erkennbar, die von der 1757 erschienenen Natural History of Religion und den 1779 posthum veröffentlichten Dialogues Concerning Natural Religion ausgehen. Die anthropologische Ausrichtung aller Schriften dokumentiert sich in dem immer wiederkehrenden Bemühen, Zusammenhänge und Hintergründe der (vermeintlich vertrauten) Facetten menschlichen Verhaltens zu erhellen. Die einzelnen Publikationen verbindet zudem der schon früh im Treatise erhobene Anspruch, mit Hilfe einer »application of experimental philosophy to moral subjects« den »principles of human nature« (T Introduction, 6 und 7; SBN xvi) auf die Spur zu kommen. Denn Hume war fest davon überzeugt, dass die vielfältigen Ausdrucksformen menschlichen Denkens und Handelns den Vorgängen in der Natur insofern gleichzusetzen sind, als die in ihnen wirkenden Prinzipien durch Beobachtung und Induktion erkannt werden können. Dementsprechend oszillieren Humes Abhandlungen zwischen der Darstellung von Besonderem und Allgemeinem, zwischen der beispielgesättigten Beschreibung menschlichen Lebens und der zugespitzten Formulierung erkannter Gesetzmäßigkeiten. Die Verteilung von beschreibenden und analysierenden Elementen ist jedoch, vergleicht man z. B. den Treatise, die Essays oder die History miteinander, nicht in allen Schriften gleich gewichtet: Einem eher analytisch verfahrenden, an der konsequenten Aufdeckung von Prinzipien interessierten Treatise steht die in weiten Schilderungsbögen verfasste, in geschichtliche Details sich vertiefende History of England gegenüber. Nach Ansicht von Michel Malherbe sind es aber gerade die Essays (und nicht etwa der Treatise oder die Enquiries), die einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung der Humanwissenschaften geleistet haben: »Leur rôle est également important dans la genèse des sciences humaines, qu’il s’agisse de l’économie politique, de la psychologie esthétique ou de la sociologie religieuse.« (Art. »Hume, David«, in: André Jacob (Hg.): Les œuvres philosophiques. Dictionnaire. Tome I, Paris 1992, S. 1215–1217, hier S. 1216). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit ausgiebig auf Humes Essays Bezug genommen. Zur Bedeutung Humes als repräsentativstem schottischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts vgl. John Valdimir Price: »Concepts of Enlightenment in 18th-Century Scottish Literature«, in: Texas Studies in Literature and Language 9 (1967), S. 371–379, hier S. 373. 2

I. Einleitung: Hume als Anthropologe

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Lässt man nun allein Humes analytische, weil explizit die Grundlagen der menschlichen Natur erörternden Abhandlungen als anthropologisch relevant gelten, so wäre es folgerichtig, einzig die streng komponierte und von Hume selbst als ›science of Man‹ bezeichnete Erkenntnislehre des Treatise als seine »wahre« Anthropologie anzuerkennen. Die vorliegende Studie unternimmt hingegen den Versuch, mit Blick auf das Humesche Oeuvre einen erweiterten Anthropologiebegriff zu entwickeln. Mit seiner Hilfe wird erkennbar, wie sich Humes Staunen3 über die condition humaine als Impuls seines Forschens wie ein roter Faden durch sein gesamtes Schaffen zieht. Dieses Spezifikum seiner Arbeiten aufzudecken wird jedoch schwerlich einer Untersuchungsmethode gelingen, die sich allein auf einen Teilaspekt seines Denkens konzentriert und dabei diesen Ansporn nicht berücksichtigt, der seinen gesamten Aufzeichnungen zugrundeliegt. Meine Studie schlägt daher eine Perspektivenverschiebung vor, die dem Interpreten die Möglichkeit gibt (und es zugleich von ihm fordert), die verschiedenen Lesarten des Humeschen Werks in Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur neu auszubalancieren. So soll vor allem jene die Hume-Forschung beherrschende Interpretation ein Gegengewicht erfahren, die Humes Lehre fast ausschließlich im 1. Buch des Treatise aufgehoben sieht und ihn somit allein als Erkenntnistheoretiker ernst nimmt.4 In dieser Arbeit soll daher gezeigt werden, dass sich Hume als Autor lesen lässt, dessen Anthropologie die Grenzen bloßer Erkenntnistheorie weit übersteigt. Freilich kann sich die in der Forschungsliteratur nach wie vor dominierende Tendenz, sich ausschließlich mit diesem Teil seiner Lehre zu beschäftigen, auf Hume selbst berufen, da dieser in seiner Debütschrift das Programm einer ›science of Man‹ formuliert, in der der epistemologische Aspekt eine tragende Rolle spielt: Zu diesem in hermeneutischer Hinsicht wichtigen Affekt vgl. Renate Schlesier: »Das Staunen ist der Anfang der Anthropologie«, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek 1996, S. 47–59. 4 Die Vereinnahmung Humescher Philosophie für eine bestimmte erkenntnistheoretische Position hat jüngst noch Donald Livingston beklagt: »Modern philosophy has been obsessed with epistemology. In surveys of the history of philosophy, it is common to find philosophies identified by epistemological descriptions (empiricist, rationalist, idealist, pragmatist etc.) as if these descriptions captured their essence. But a philosophy is and must be more than its epistemology.« Für die Beschäftigung mit Hume müsse daher gelten: »The solution is to resist the prejudice of epistemological classification and to look for a broader topic under which to understand Hume’s thought.« (Philosophical Melancholy and Delirium. Humes’s Pathology of Philosophy, Chicago 1998, S. 3 und 7). Livingston beschreibt dort, wie Hume seine Philosophie zu Fragen der Religion, Geschichte und Kultur organisiert; seine Untersuchung wird im Verlaufe meiner Arbeit noch häufiger Bezugspunkt der Auseinandersetzung sein. Bereits 1991 hatte Livingston mit Blick auf das erste Buch des Treatise den Fluchtpunkt dieser Schrift skizziert: »The epistemology of Book I is necessary only to provide a framework for a science of human culture.« (ders./Marie Martin [Hg.]: Hume as Philosopher of Society, Politics and History, Rochester 1991, S. x). 3

16

I. Einleitung: Hume als Anthropologe

’Tis evident, that all the sciences have a relation, greater or less, to human nature; and that however wide any of them may seem to run from it, they still return back by one passage or another. Even Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, are in some measure dependent on the science of Man; since they lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties. ’Tis impossible to tell what changes and improvements we might make in these sciences were we thoroughly acquainted with the extent and force of human understanding, and cou’d explain the nature of the ideas we employ, and of the operations we perform in our reasonings. (T Introduction, 4; SBN xv)

Ein adäquates Verständnis des Humeschen Konzepts von Anthropologie, so meine These, wird aber erst dann möglich, wenn der folgende, bedeutsame Unterschied erkannt ist: und zwar der Unterschied zwischen einer »science of Man«, die sich mit »the extent and force of human understanding« beschäftigt, und einer Anthropologie, die sich, jenseits erkenntnistheoretischer Debatten, mit Fragen der Moralphilosophie, der Ästhetik, der Ökonomie, der Geschichte sowie der Religionsphilosophie auseinandersetzt und damit (wie von Georges Gusdorf bemerkt) eine kulturanthropologische Perspektive einnimmt.5 Wenngleich ein Blick auf die Publikationsgeschichte der Humeschen Schriften6 zeigt, dass zu Beginn erkenntnistheoretische Fragestellungen Schon in der Einleitung des Treatise, in der er sein Forschungsinteresse genauer skizziert, weisen die von Hume projektierten Untersuchungsfelder deutlich über den erkenntnistheoretischen Rahmen hinaus: »In these four sciences of Logic, Morals, Criticism, and Politics, is comprehended almost every thing, which it can any way import us to be acquainted with, or which can tend either to be improvement or ornament of the human mind.« (T Introduction, 5; SBN xv) M. Andreas Weber plädiert in seiner an der Diktion Hans Alberts orientierten Darstellung dafür, Humes Oeuvre »unter dem philosophisch begründeten Leitgedanken einer ›Einheit der Sozialwissenschaften‹« zu würdigen, charakteristisch für Humes Werk sei dessen »einheitliche[r] naturalistisch-individualistische[r] Gesichtspunkt.« (M. Andreas Weber: David Hume und Edward Gibbon. Religionssoziologie in der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1990, S. 16 f.) In der vorliegenden Arbeit steht die Anthropologie als Leitgedanke des Humeschen Schaffens im Vordergrund. Georges Gusdorf hatte bereits 1973 darauf hingewiesen, dass Humes Treatise als Vorrede eines »oeuvre d’anthropologie culturelle« zu betrachten sei; bisher hat jedoch, soweit ich sehe, kaum jemand diesen Hinweis aufgenommen und fruchtbar gemacht (L’avènement des sciences humaines au siècle des Lumières, Paris 1973, S. 53). Allein Karl-Heinz Schwabe hat jüngst Hume als »eine Hauptfigur des anthropologischen Denkens innerhalb der schottischen Aufklärung« in Erinnerung gebracht und angemahnt, ihn als »Mitbegründer der historischen Anthropologie« anzuerkennen (»›Science of man‹ und ›Criticism‹. Zur anthropologischen Grundlegung der Ästhetik bei David Hume und Henry Home, Lord Kames«, in: Aufklärung 14 (2002), S. 233–257, hier S. 237 bzw. S. 241). 6 Vgl. z. B. Ernest C. Mossner/Harry Ransom: »Hume and the ›Conspiracy of the Booksellers‹. The Publication and Early Fortunes of the ›History of England‹«, in: The University of Texas Studies in English 29 (1950), S. 162–182; John Valdimir Price: »The First Publications of David Hume’s ›Dialogues concerning Natural Religion‹«, in: Papers of the Bibliographical Society of America 68 (1974), S. 119–127. Über die hierzu komplementäre Rezeptionsgeschichte der Schriften Humes (vor allem im 18. Jahrhundert) vgl. Ernest C. Mossner: »The Continental Reception of Hume’s 5

I. Einleitung: Hume als Anthropologe

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dominierten (so im Treatise und der ersten Enquiry), so ergibt sich bei der Überprüfung seiner diesen nachfolgenden Abhandlungen ein anderer Befund: Dort finden sich weitläufige Überlegungen zu den anderen oben genannten Aspekten. Daher kann seine »science of Man« – in Gestalt einer Erkenntnislehre – zwar als nicht unwesentlicher Bestandteil seiner Anthropologie gelten, darf jedoch nicht mit ihr gleichgesetzt werden. Der Begriff »Anthropologie«, soviel soll jetzt schon vorweggenommen werden, muss in Bezug auf Hume in einem erweiterten Verständnis gefasst werden, das nicht zuletzt die historischen Spezifika menschlichen Handelns berücksichtigt. Um die Humesche Anthropologie in all ihren Schattierungen zu begreifen, ist daher eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Verflechtung seiner Positionen zu Ethik, Politik, Ästhetik, Geschichte, Religion, Ökonomie (und Erkenntnistheorie) erforderlich.7 Da Hume die Bezeichnung »science of Man« allein für seine Erkenntnistheorie vorbehalten und auf den Begriff »anthropology« verzichtet hat, der als Signum dieser Verflechtung hätte fungieren können, sollen Ersatzbegriffe bzw. Begriffsfelder die Umrisse der spezifischen ›Anthropologie Humes‹ erkennen lassen: sein Blick auf den Menschen unter sowohl erkenntnistheoretischen, ökonomischen, historischen als auch moralphilosophischen, ästhetischen, religionstheoretischen und soziologischen Gesichtspunkten. Meine Untersuchung konzentriert sich daher auf folgende Leitbegriffe, die als Koordinaten der Humeschen Anthropologie gelten können: »Erkenntnis«, »Affekt«, »Anlagen«, »Ästhetik«, »Moral«, »Natur«, »Religion«, »Geschichte«, »Antike«, »Wissenschaft« und »Politik«. Dabei kann die vorliegende Arbeit weder eine erschöpfende Diskussion aller Facetten erbringen, die diese Leitbegriffe des Humeschen Denkens ›Treatise‹, 1739–1741«, in: Mind 56 (1947), S. 31–43; Günter Gawlick/Lothar Kreimendahl: Hume in der deutschen Aufklärung. Umrisse einer Rezeptionsgeschichte, Stuttgart 1987; Reinhard Brandt/ Heiner Klemme: David Hume in Deutschland, Marburg 1989; sowie die besonders das Verhältnis Hume/Garve beleuchtende Studie von Norbert Waszek: »Christian Garve als Zentralgestalt der deutschen Rezeption Schottischer Aufklärung«, in: Daniel Brühlmeier/Helmut Holzhey/Vilem Mudroch (Hg.): Schottische Aufklärung. »A Hotbed of Genius«, Berlin 1996, S. 123–145. Vgl. ferner die bibliographischen Angaben zu »Selected Early Responses«, in: David Fate Norton (Hg.): The Cambridge Companion to Hume, 6. Aufl. Cambridge 1999 (1. Aufl. 1993), S. 361–364. James Fieser hat in den letzten Jahren umfangreiches Textmaterial zur frühen Rezeptionsgeschichte der Humeschen Philosophie zusammengetragen: Early Responses to Hume’s Moral, Literary and Political Writings. 2 vols. Bristol 1999; Early Responses to Hume’s Metaphysical and Epistemological Writings. 2 vols. Bristol 2000; Early Responses to Hume’s Writings on Religion. 2 vols. Bristol 2001; Early Responses to Hume’s ›History of England‹. 2 vols. Bristol 2002; Early Responses to Hume’s Life and Reputation. 2 vols. Bristol 2003. 7 In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob der Singular ›Anthropologie‹ im Sinne eines systematisch-kohärenten Konzepts überhaupt auf Humes Werk angewandt werden kann oder ob es sich bei diesem nicht vielmehr um ein Cluster von z. T. divergierenden Vorstellungen handelt, der es verbietet, von einer kohärenten ›Lehre‹ zu sprechen.

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I. Einleitung: Hume als Anthropologe

aufweisen, noch ist mit ihr eine umfassende Würdigung der bereits zu diesen Aspekten vorliegenden Einzeluntersuchungen beabsichtigt. Vielmehr möchte diese Arbeit anhand von Stichproben, die dem gesamten Oeuvre Humes entnommen sind, die zentralen anthropologischen Positionen herausarbeiten. Zugleich beleuchtet die vorliegende Arbeit, und damit sei ihr zweites Ziel benannt, einen damit zusammenhängenden, aber bislang von der Forschung vernachlässigten Aspekt der Humeschen Schriften: seine darin verstreuten, blitzlichtartig explizit gemachten oder in beiläufigen Erklärungen und Bemerkungen camouflierten Ansichten zur Kultur.8 In sämtlichen Aufzeichnungen Humes – in denen er, analog zum soeben skizzierten Charakteristikum seines Anthropologieverständnisses, auch auf den Begriff »culture« verzichtet – präsentieren sich seine Anthropologie und seine Auffassung von Kultur als ungleiche Geschwister: Wo die eine dem Leser mit Bestimmtheit entgegentritt, hält sich die andere eher im Hintergrund, aus dem sie nur vereinzelt und mit knappen Andeutungen auf sich aufmerksam macht. Die Akzentuierung, die Hume damit in seinen Texten vornimmt, bindet die Aufmerksamkeit des Lesers wie beabsichtigt an die Lehrsätze seiner Anthropologie. Dennoch: Aller Geschicklichkeit zum Trotz, die Hume in seiner Textregie unter Beweis stellt, kann der sensiblen Lektüre seiner Schriften das folgende Merkmal nicht entgehen: In Humes Leitvorstellungen – die einen Beurteilungs- bzw. Erwartungshorizont aufspannen, in den er seine Beobachtungen einbettet (und ihn damit zugleich wieder modifiziert) – finden sich nicht allein wichtige Kerngedanken seiner Anthropologie wieder, sondern eben auch Spuren seiner von ihm selbst nicht erschöpfend reflektierten Kulturauffassung. Eine detaillierte Analyse der spezifischen Prägung des Humeschen Blicks auf Mensch und Welt soll die Besonderheiten der engen Nachbarschaft von Anthropologie und Kulturverständnis in seinem Denken herausarbeiten. Die Beantwortung der Frage, ob, und wenn ja, wie das Kulturverständnis und die anthropologischen Annahmen in Humes Werk miteinander verknüpft sind, entscheidet darüber, ob hier nur von einem Nachbarschafts- oder vielleicht doch sogar von einem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Anthropologie und Kulturauffassung Humes gesprochen werden kann. Dazu möchte diese Studie diejenigen Einschätzungen und Vorannahmen Humes verdeutlichen, die als Voraussetzungen gelten können, unter denen er sich mit kulturellen Phänomenen seiner Zeit und denen vergangener Epochen beschäftigte. Welche Annahmen über Kultur prägten sein Denken, und in welcher Form fanden sie ihren Ausdruck?9 Damit soll nicht behauptet werden, dass sich die Hume-Forschung nicht mit seinen Ansichten zur Gesellschaft und Geschichte auseinandersetzt; wichtige Studien hierzu liefern z. B. die Beiträge in Donald Livingston/Marie Martin (Hg.): Hume as Philosopher of Society, Politics and History, Rochester 1991. In allen Analysen wird jedoch nicht die für meine Untersuchung zentrale Frage nach dem Kulturverständnis gestellt, das Humes Überlegungen zugrunde liegt. 9 Eine ähnliche, den deutschen Philosophen Lichtenberg perspektivierende Studie ist zuletzt 8

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Der Verzicht Humes, gründliche Reflexionen bezüglich dieser Grundlage des eigenen Nachdenkens und Urteilens zu notieren, ist vor dem Hintergrund seines intensiven Nachdenkens über kulturelle Phänomene auffällig und zwingt zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem (anscheinend) für Hume Selbstverständlichen, das dem heutigen Interpreten aber nur allzu oft verborgen bleibt. Denn Humes Auffassung von Kultur, die als Kulisse seines Denkens angesehen werden kann, maskiert sich nur allzu häufig in beiläufigen Bemerkungen und Anekdoten, statt sich offen zu zeigen.10 Mein Forschungsinteresse entzündet sich also an der bislang von der Forschung vernachlässigten Diskrepanz zwischen Humes intensiver Befassung mit Phänomenen von Volker Schümmer vorgelegt worden: Georg Christoph Lichtenbergs Konzept aufgeklärter Kultur, Würzburg 2000 (zugl. Diss. Freiburg 1996). Ein Blick in nationale und internationale Bibliographien macht deutlich, dass das Kulturverständnis von Philosophen nur sehr selten zum Gegenstand monographischer Abhandlungen geworden ist. Zudem ist das Interesse an dieser Materie ein offenbar rein deutsches Phänomen. Denn auch wenn bei der Recherche die englischen bzw. französischen Entsprechungen des Substantivs ›Kultur‹ (›culture/civilisation/civilization‹) berücksichtigt werden, liefern die Suchergebnisse nur deutschsprachige Abhandlungen (durchweg Dissertationen) zu deutschen Philosophen: Theodor Genthe: Der Kulturbegriff bei Herder, Jena 1902 (zugl. Diss. Jena 1902); Leopoldine Schwalbach: Nietzsches Kulturbegriff, Diss. Leipzig 1922; Erich Ziegenspeck: Der Kulturbegriff Nietzsches, Leipzig 1938 (zugl. Diss. Dresden 1938); Rupert Sigl: Kants Kulturbegriff. Ein Beitrag zur Lösung der Natur-Freiheits-Problematik, Straubing 1954 (zugl. Diss. Bern 1954); Hans-Walter Nau: Die systematische Struktur von Erich Rothackers Kulturbegriff, Bonn 1968 (zugl. Diss. Bonn 1967); Harlich Kübler: Zum Kulturbegriff Theodor W. Adornos, Stuttgart 1977 (zugl. Diss. Dortmund 1977); Yoshihiko Maikuma: Der Begriff der Kultur bei Warburg, Nietzsche und Burckhardt, Königstein/Ts. 1985 (zugl. Diss. Stuttgart 1984) (in letzterer Arbeit sind mit Burckhardt und Warburg auch zwei Kulturhistoriker vertreten). 10 Aufgrund des unterschiedlichen Bedeutungsumfangs der Begriffe ›Kultur‹ bzw. ›culture‹ im Deutschen und Englischen müssen hier auch Ersatzbegriffe berücksichtigt werden; Hume benutzt statt ›culture‹ z. B. wechselweise die Begriffe ›civilization‹, ›custom‹, ›society‹ oder auch ›morals‹; auch die Verwendung von ›to cultivate‹ ist zu berücksichtigen. Aber auch für diese Ersatzbegriffe gilt, dass Hume keine reflektierende Distanz zu ihnen einnimmt. Zur Begriffsgeschichte von »culture« und »civilization« vgl. die Studie von Hannelore Hilgers-Schell und Marianne Karuth: »›Culture‹ und ›Civilization‹ im Englischen und Amerikanischen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts«, in: Johann Knobloch/Hugo Moser u. a. (Hg.): Europäische Schlüsselwörter. Bd. 3: Kultur und Zivilisation, München 1967, S. 135–177. In der Tat verrät bereits ein kurzer Blick in den Artikel »culture« des Compact Oxford English Dictionary (2. Aufl. Oxford 1993, S. 121 f.), dass die Verwendung dieses Ausdrucks als Bezeichnung für ›menschliche Lebens- und Anschauungsweise‹, mit wenigen Ausnahmen, im Englischen offenbar erst im 19. und 20. Jahrhundert zum Zuge kommt. Im Gegensatz dazu findet sich aber bereits im 18. Jahrhundert eine häufige Verwendung des im übertragenen Sinne gebrauchten Ausdrucks »to cultivate« (ebd., S. 119 f.). Der Begriff ›civilization‹ in der Bedeutung eines ›fortschrittlichen Gemeinwesens‹ findet offenbar erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts weitere Verbreitung; die Verbform ›to civilize‹ im Sinne einer ›Verfeinerung der Lebensart‹ ist hingegen schon im 17. Jahrhundert gängig (ebd., S. 257). Zur allgemeinen Begriffsgeschichte von ›Zivilisation‹ vgl. auch die Studie von Georg Michael Pflaum: Geschichte des Wortes ›Zivilisation‹, Diss. München 1961 (bes. Kap. III: »Civilization im Englischen«), in der das Auftauchen des Substantivs ›civilization‹ im Englischen auf kurz vor 1772 datiert und v. a. seine Rolle als Komplementärbegriff zu ›barbarity‹ hervorgehoben wird (S. 16). Vgl. auch Jean Starobinski: »Le mot civilisation«, in:

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der Kultur und seiner zugleich fehlenden Bereitschaft, das diese Auseinandersetzung bestimmende Vorverständnis zu reflektieren und zu protokollieren.11 So hebt beispielsweise folgende Notiz in der Enquiry Concerning Human Understanding deutlich das von Hume immer wieder beschworene forschungsleitende Interesse an einer sorgfältigen Fundierung der ›science of Man‹ hervor. Darüber hinaus aber bezeugt sie in nuce die Auffassung, die Hume von der Menschheitsgeschichte hat; sie demonstriert, wie er den Stellenwert und die Aussagekraft der ihr abgerungenen Detailbeobachtungen einschätzt. Überdies wird erkennbar, welche Erkenntnisse sich Hume von der Beschäftigung mit der Kultur verspricht: Mankind are so much the same, in all times and places, that history informs us of nothing new or strange in this particular. Its chief use is only to discover the constant and universal principles of human nature, by showing men in all varieties of circumstances and situations, and furnishing us with materials from which we may form our observations and become acquainted with the regular springs of human action and behaviour. (E1 8.7; SBN 83) 12 Temps de la réflexion 4 (1983), S. 13–51 (dt. in: ders.: Das Rettende in der Gefahr. Kunstgriffe der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1990, S. 9–64). Starobinski äußert in seiner v. a. auf Frankreich fokussierten Darstellung die Vermutung, dass Adam Ferguson in England der erste war, der das Wort ›civilisation‹ im Sinne von ›verfeinerter Lebensweise‹ verwendete. Die Differenzen im Gebrauch der Begriffe ›Kultur‹ und ›Zivilisation‹ arbeitet Hermann Bausinger heraus: »Zur Problematik des Kulturbegriffs«, in: Alois Wierlacher (Hg.): Fremdsprache Deutsch. Grundlagen und Verfahren der Germanistik als Fremdsprachenphilologie. Bd. 1, München 1980, S. 58–69 (zuerst 1975). Zur spezifischen Verwendungsweise des Begriffs ›Kultur‹ (und dem der ›Bildung‹) in Deutschland vgl. auch Georg Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a. M. 1994. 11 Diese Studie möchte einen kleinen Beitrag zu der Form von Ideengeschichte leisten, die mit dem Namen Arthur O. Lovejoys verbunden ist, wenngleich Lovejoys opus magnum auch historisch weitaus breiter angelegt ist und mit umfangreicherem Material operiert. Gleichwohl geht es auch in der vorliegenden Studie um die Erscheinungsweise eines »Elementargedankens« im Sinne Lovejoys, in diesem Falle dem Humes: »Da sind zunächst stillschweigende oder nur unvollständig ausgesprochene Annahmen zu nennen, oder auch mehr oder weniger unbewußte Gewohnheiten des Denkens, welche im Einzelnen oder in einer Generation wirksam sind. Gerade die Überzeugungen, die so selbstverständlich sind, daß sie eher stillschweigend vorausgesetzt als ausdrücklich formuliert und begründet werden, die Denkweisen, die so natürlich und unvermeidbar erscheinen, daß sie nicht der strengen Prüfung des bewußten begrifflichen Denkens unterzogen werden – gerade sie nämlich prägen oft die Lehre eines Philosophen und noch häufiger die vorherrschenden geistigen Strömungen einer Epoche.« (Arthur O. Lovejoy: Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens, Frankfurt a. M. 1985, S. 15 [engl. Cambridge [MA] 1933]). 12 S. K. Wertz warnt davor, ein Urteil über Humes Geschichtsverständnis allein aufgrund dieser Aussage zu fällen. Der Eindruck, dass Hume die Einzigartigkeit historischer Ereignisse negiere, sei trügerisch; andere Stellen seines Werkes belegten, »that Hume makes allowance for diversity.« (S. K. Wertz: »Hume, History, and Human Nature«, in: Journal of the History of Ideas 36 (1975), S. 481–496, hier S. 487). Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Victor Wexler: David Hume and the ›History of England‹, Philadelphia 1979, S. 104 ff.; und auch Stephen Buckle hat

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Hume weist der Geschichtsschreibung, die er in dieser von der Hume-Forschung kontrovers erörterten Passage zu einer Hilfswissenschaft der ›science of Man‹ erklärt13, die Aufgabe zu, zur Enthüllung der »constant and universal principles of human nature« beizutragen. Indem sie diesem Auftrag folgt, überantwortet sie die historischen Dokumente einem Verfahren, das Stück für Stück daran arbeitet, die individuellen Konturen der historischen Ereignisse und Prozesse abzuschleifen. So treten im Verlauf der zunehmenden Generalisierung die primären Erträge historiographischer Arbeit, die differenzierenden Schilderungen der »varieties of circumstances and situations«, in den Hintergrund. Das Bestreben, sichere Erkenntnisse über »regular springs of human action and behaviour« zu gewinnen und verallgemeinerbare Prinzipien zu formulieren, ist besonders der Komposition des Treatise und der Enquiries anzumerken: Dort präpariert Hume aus dem vielschichtigen Untersuchungsgegenstand ›Mensch‹ vorwiegend diejenigen Aspekte heraus, die ihn als ein der sozialen Umwelt enthobenes Naturwesen erscheinen lassen.14 Denn Humes ›science of Man‹ verfolgt ja das Ziel, die mutmaßlich von der Natur im Menschen angelegten Prinzipien des Denkens und Fühlens nachzuweisen. Auf diese Weise aber gerät für den Interpreten der Humeschen Schriften der Ausgangspunkt ihrer Analysen nur zu leicht aus dem Blickfeld: Es ist das aus Humes Hume von dem Vorwurf freigesprochen, das Partikulare in der Geschichte zu leugnen: »He is not, in short, denying the reality of cultural differences.« (Hume’s Enlightenment Tract. The Unity and Purpose of ›An Enquiry concerning Human Understanding‹, Oxford 2001, S. 217). Andere Autoren hingegen, wie etwa Hermann Gogarten, sehen in Humes Universalismusthese eine Torpedierung jeder Geschichtswissenschaft (»David Hume als Geschichtsschreiber. Ein Beitrag zur englischen Historiographie des 18. Jahrhunderts«, in: Archiv für Kulturgeschichte 61 (1979), S. 120–153, bes. S. 147). Leon Pompa geht auf die Inkohärenzen der Humeschen Argumentation ein: »[A]lthough his account of the constancy of human nature is said to be derived from experience and observation, the only experience and observation open to him is contemporary experience and observation since […] his claim that history supports the extension of his thesis to accomodate ›all ages and nations‹ presupposes the point at issue. In effect, therefore, in his use of the principle he is ruling out a priori the very possibility of our coming to know whether there have been any changes in human nature.« (Human Nature and Historical Knowledge. Hume, Hegel and Vico, Cambridge 1990, S. 48). Gegen Wertz ist einzuwenden, dass Hume historischen Begebenheiten zweifelsohne (z. B. in der History) ihre Einzigartigkeit einräumt, doch folgen seinen Zugeständnissen an das Partikulare kaum weitere Nachforschungen hinsichtlich ihrer Spezifität. Daraus wird ersichtlich, dass er diesen Besonderheiten für das Erreichen seines primären Forschungszieles, der Entdeckung der ›principles of human nature‹, keine erkenntnisfördernde Dignität zubilligt. 13 Vgl. auch T 3.2.10.15; SBN 562. Die immense Bedeutung der Humeschen Geschichtsschreibung für das Verständnis seines philosophischen Werkes hat bereits Rudolf Lüthe überzeugend herausgearbeitet (David Hume. Historiker und Philosoph, Freiburg/München 1991). Die besondere narrative Struktur von Humes History of England ist Gegenstand der jüngsten Studie von Michael Szczekalla (David Hume – der Aufklärer als konservativer Ironiker. Dialogische Religionskritik und philosophische Geschichtsschreibung im ›Athen des Nordens‹, Heidelberg 2003). 14 Vgl. Gerhard Streminger: David Hume: »Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand«. Ein einführender Kommentar, Paderborn 1995, S.136.

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eigenen Erfahrungen sowie aus Quellen vergangener und gegenwärtiger Zeit zusammengetragene und in den Schriften ausgestellte Reservoir an Beobachtungen, das die Menschen, sowohl einzeln als auch gemeinsam, als in einer spezifischen Kultur agierende Lebewesen ausweist. Auch dieser von Hume arrangierte und wiederholt kommentierte Fundus soll im Folgenden genutzt werden, um sein Kulturverständnis zu verdeutlichen. Oder anders formuliert: Es gilt, Humes Beobachtungsdaten als ›Kulturbeispiele‹ anzuerkennen und sie, da sie seinen spezifischen Blick auf den Menschen als Kulturwesen verkörpern, zum Forschungsgegenstand zu machen. Da es das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist, die Aussagekraft seiner Prämissen (genauer: der Beobachtungsdaten) auf das in ihnen aufgespeicherte Kulturverständnis hin auszuloten, sollen im Rahmen dieser Arbeit jene Debatten, die sich in erster Linie mit der Frage der logischen Gültigkeit Humescher Argumente auseinandersetzen, nicht weiter berücksichtigt werden, sofern sie nicht zum Verständnis des Humeschen Kulturbegriffs beitragen. Der von mir verwendete Terminus der ›Kulturauffassung Humes‹ soll an dieser Stelle bereits etwas näher spezifiziert werden. Er dient zur Bezeichnung sowohl Humescher Ansichten über das ›der Kultur Zugehörige‹ (das können Gegenstände, Überzeugungen oder Handlungen15 aus dem alltäglichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder religiösen Bereich sein), als auch seiner Annahmen über die Bedeutung und den Wert dessen, was ›Kultur‹ als Gesamterscheinung konstituiert (hierunter fallen Humes Klassifizierungen und Werturteile bezüglich der eigenen und der fremden kulturellen Gruppe sowie der in ihnen als verbindlich angesehenen Denkmuster und Verhaltensregeln).

15 Indem Donald Livingston in seiner Studie Philosophical Melancholy and Delirium. Humes’s Pathology of Philosophy, Chicago 1998, den Ausdruck »cultural artifacts« (der kein genuin Humescher Begriff ist) auf kulturell je spezifische Blickweisen wie »religion, philosophy, reason, and sciences« (S. 55) anwendet, wird er zwar Humes Auffassung vom ›künstlichen‹ Charakter der Kultur gerecht (da Hume die Form des kulturellen Sich-in-der-Welt-Einrichtens als einen weitgehend ›künstlichen‹ Vorgang begreift), er blendet damit aber den auch materiell-körperlichen Anteil der Kultur aus. Doch zum Kulturbestand sind eben nicht nur ideelle Güter wie Ideen oder Überzeugungen, sondern auch die mit ihnen verbundenen Handlungen und hergestellten Gebilde zu zählen. Aber: auch die Überbetonung des Materiellen gegenüber dem Ideellen birgt die Gefahr, in einer interpretatorischen Sackgasse zu landen. So hat beispielsweise Friedrich Tenbruck die Zunft der Soziologen daran erinnern müssen, dass ihre Disziplin, neben der fachspezifischen Auseinandersetzung mit sozialen Strukturen, nicht darauf verzichten kann, sich auch mit den in einer Gesellschaft als richtig, wahr und gültig angesehehen ›Ideen‹ zu beschäftigen. Für diesen Komplex schlägt Tenbruck den Begriff der »repräsentativen Kultur« vor (»Repräsentative Kultur«, in: Hans Haferkamp [Hg.]: Sozialstruktur und Kultur, Frankfurt a. M. 1990, S. 20–53). Die vorliegende Arbeit möchte zeigen, dass Hume, bei aller Konzentration auf ›religion, philosophy, reason, and sciences‹, weder die performativen noch die materiellen Aspekte von Kultur vernachlässigt.

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Die ›Kulturauffassung Humes‹ zeigt also seine einordnende und bewertende Haltung zur vom Menschen gestalteten und gedeuteten Welt.16 Vor diesem Hintergrund wäre z. B. zu analysieren, wie Hume Formenvielfalt und Entwicklung von Kultur(en) einzuschätzen versucht und wie er z. B. die Kontakte zwischen den Kulturen bewertet. Welche Rolle spielen seine anthropologischen Annahmen in diesem Zusammenhang? Gibt es für Hume ein bedingendes Verhältnis von menschlicher Natur und Kultur? Und wenn ja: Wie schlägt sich diese Annahme in seiner Anthropologie und Kulturauffassung nieder? Lassen sich eventuell sogar Widersprüche zwischen seinem allgemeinen Verständnis vom Menschen und seiner konkreten Kulturbeobachtung aufzeigen? Humes Anschauungen zur ›Kultur‹ sind, wie bereits betont, nicht in systematischen Abhandlungen fixiert, sondern drücken sich in den in meiner Arbeit als Subtext behandelten Komponenten seines Werkes wie Anekdoten, Beispielen und Aperçus aus, die Detailfragen zur Kultur in den Blick nehmen. Man trifft in Humes Texten demzufolge nie auf ›die Kultur‹ in ihrer Gesamtheit, sondern stets auf ›Kultur‹ anhand eines ihrer besonderen Aspekte. Humes Konzentration auf Einzelphänomene und sein gleichzeitiger Verzicht auf Reflexionen über ›Kultur‹ im Allgemeinen, oder mit anderen Worten: die Bevorzugung des Besonderen vor dem Allgemeinen ist ein Verfahren, das als leitende Voraussetzung auch in seiner Erkenntnistheorie verankert ist, gemäß der alle Erkenntnis erst mit der Erfahrung, also aus dem Umgang mit dem Einzelnen, dem Besonderen, anhebt: Eindrücke des Individuellen gehen in den Bestand von Vorstellungen (des wiederum Individuellen) ein, mit dem weitere Denkoperationen (Abstraktionen etc.)

Herbert Schnädelbach beklagt eine im kulturphilosophischen und kulturwissenschaftlichen Diskurs häufig zu beobachtende Unschärfe in der Verwendung des Begriffs ›Kultur‹. Um die unterschiedlichen Kategorien der verwendeten Kulturbegriffe genauer abgrenzen zu können, schlägt er folgende Differenzierungsmöglichkeiten vor: ›wertend‹ vs. ›wertfrei‹, ›formal‹ vs. ›material‹ sowie (ohne diese Ausdrücke zu verwenden) ›totalisierend‹ vs. ›qualitativ spezifizierend‹ (»Kultur«, in: ders./Ekkehard Martens [Hg.]: Philosophie. Ein Grundkurs. Bd. 2, Reinbek 1991, S. 508–548, hier S. 513). Ohne die Ergebnisse der vorliegenden Studie im einzelnen bereits vorwegnehmen zu wollen, gilt mit Blick auf Humes Kulturverständnis, dass es – gerade weil es sich nur stückweise und in unterschiedlichen Untersuchungszusammenhängen artikuliert – sich sowohl in wertender als auch in wertfreier, sowohl in qualitativ spezifizierender als auch totalisierender Gestalt präsentiert, aufgrund von Humes empirischer Methode aber stets materialen Charakter hat. Nach Max Weber geht in jede ›Kulturauffassung‹ zugleich eine Wertung ein: »Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff. Die empirische Wirklichkeit ist für uns ›Kultur‹, weil und sofern wir sie mit Wertideen in Beziehung setzen, sie umfasst diejenigen Bestandteile der Wirklichkeit, welche durch jene Beziehung für uns bedeutsam werden, und nur diese. Ein winziger Teil der jeweils betrachteten individuellen Wirklichkeit wird von unserm durch jene Wertideen bedingten Interesse gefärbt, er allein hat Bedeutung für uns; er hat sie, weil er Beziehungen aufweist, die für uns infolge ihrer Verknüpfung mit Wertideen wichtig sind.« (»Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis« [1904], in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hg. v. Johannes Winckelmann, 4. durchges. Aufl. Tübingen 1973, S. 146–214, hier S. 175). 16

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möglich sind. Auch das in Vorstellungen sich vollziehende Nachdenken in Form allgemeiner Prinzipien oder abstrakter Vorstellungen bleibt, so behauptet Hume im Treatise, letztlich dem Individuellen verhaftet: »Abstract ideas are therefore in themselves individual, however they may become general in their representation. The image in the mind is only that of a particular object, tho‘ the application of it in our reasoning be the same, as if it were universal.« (T 1.1.7.6; SBN 20)17 Für die gedankliche Auseinandersetzung mit der Kultur bedeutet das: Das Gesamte mit dem Allgemeinbegriff »Kultur« Bezeichnete kann niemals in einem einzigen geistigen Bild repräsentiert werden, sondern lässt sich nur anhand eines Ensembles von Details vergegenwärtigen.18 Mein weiteres Vorgehen trägt dieser Humeschen Überlegung Rechnung, indem es versucht, die Details so zu arrangieren, dass sie über Humes Kulturauffassung Auskunft zu geben vermögen. Dazu werden die über das Werk verstreuten Textpassagen, in denen Humes Kulturverständnis anhand verdichteter Äußerungen kurz aufblitzt, zusammengetragen. Sie bilden auf diese Weise ein Cluster von Ansichten, das auf das in ihnen aufgesparte Verständnis von Kultur hin befragt werden kann. Ein Beispiel möge das verdeutlichen: Hume diskutiert im 2. Buch seines Treatise den Einfluss der Affekte auf die Lebendigkeit unserer Vorstellungen. Unsere Aufmerksamkeit, so Hume, wird gewöhnlich eher von zeitlich und räumlich Naheliegendem als von Entferntem gefangengenommen. Das Entfernte kann aber dennoch Gegenstand unserer Bewunderung werden, insofern wir gedanklich die zeitliche und räumliche Entfernung überbrücken müssen. Diese Betrachtung von Größe und Ausdehnung verschafft uns Lust.19 Zwischen der Bewunderung von zeitlicher und räumlicher Entfernung, so Hume, gebe es jedoch einen wichtigen Unterschied. Er illustriert ihn so: Antient busts and inscriptions are more valu’d than Japan tables: And not to mention the Greeks and Romans, ’tis certain we regard with more veneration the Chaldeans and Egyptians, than the modern Chinese and Persians, and bestow more fruitless pains to clear up the history and chronology of the former, than it wou’d cost us to make a voyage, and be certainly inform’d of the character, learning and government of the latter. (T 2.3.8.3; SBN 433) Vor diesem Hintergrund ist die folgende Kritik George Holland Sabines nicht nachvollziehbar: »Moreover, he does not recognize that the real mental content is always unique and individual, as we have now learned to do.« (»Hume’s Contribution to the Historical Method«, in: Philosophical Review 15 [1906], S. 17–38, hier S. 31). 18 Dieses als ›pars pro toto-Taktik‹ zu bezeichnende Verfahren sieht John J. Honigmann v. a. in Humes Auseinandersetzung mit der Religion verwirklicht: »The idea of cultural development, formerly applied only to culture as a whole, came to be applied to a specific cultural domain in Home’s, Hume’s, and Meiners’s stages of religion.« (The Development of Anthropological Ideas, Homewood 1976, S. 102). 19 Mit diesem Konzept, so Jonathan Friday, habe Hume das Verständnis des ›Erhabenen‹ aus 17

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Humes pointierte Äußerung zu Beginn dieser Passage, die sich vordergründig einer Synekdoche bedient, zeigt mehr als nur eine stilistische Konvention: Sie illustriert vielmehr seine bereits oben dargelegte erkenntnistheoretische Überzeugung, dass unsere Vorstellung von Allgemeinem ihren Inhalt aus vorangehenden Eindrücken von Einzelnem, Besonderem bezieht. Folglich ist es nicht ›die Kultur‹ in ihrer Gesamtheit, die als Vorstellung in uns wirkt, sondern es sind ihre Details, die »antient busts and inscriptions« und »Japan tables«. Wir lernen ›die Antike‹ oder auch ›Japan‹ über die Wahrnehmung von Einzeldingen kennen, z. B. anhand von Büsten, Inschriften oder Tischen; die Eindrücke dieser Gegenstände können sich dann, zu Vorstellungen geronnen, im Laufe der Zeit zu Stellvertretern ganzer Erfahrungs- bzw. Vorstellungskomplexe entwickeln. Der Hinweis auf die ›inscriptions‹ macht zudem deutlich, dass Humes Bewunderung nicht zuletzt den in materielle Form gebrachten und übermittelten Ideen gilt, die Bau- oder Kunstwerke geschaffen haben. Hume lässt keinen Zweifel an der Überzeugung aufkommen, dass aufgrund der menschlichen Disposition von Affekt und Einbildungskraft die griechische und römische Antike im Vergleich zur zeitgenössischen persischen oder chinesischen Kultur schätzenswerter erscheinen, ja erscheinen müssen. An diesem hier bereits vorweggenommenen Beispiel lässt sich jedoch nicht nur Humes unterschiedliche Bewertung vergangener und gegenwärtiger Kultur(en) beobachten (zu deren Illustration er es ja anführt), sondern zugleich sein topographisch spezifiziertes Verständnis von Kultur. In Humes Augen haben Perser, Japaner und Chinesen auf die Entwicklung der europäischen Kultur weniger Einfluss genommen als es die hier in einer ›Traditionslinie‹ aufgelisteten Chaldäer, Ägypter, Griechen und Römer taten. Dem europäischen Menschen, so könnte Humes Fazit lauten, sind die asiatischen Kulturen (und besonders China) immer fremd geblieben.20 den Grenzen befreit, in denen es innerhalb der Poetiken des 17. und frühen 18. Jahrhunderts gefangen gewesen sei: »The sublime is therefore freed from the constraints of literature and rhetoric, being rendered by Hume a quality of nature, art and human action, as common perhaps in ordinary experience as beauty, but more valuable because more powerfully pleasing.« (Jonathan Friday [Hg.]: Art and Enlightenment. Scottish Aesthetics in the Eighteenth Century, Exeter 2004, S. 9). 20 Diese Auffassung zeigt sich in verschiedenen Zusammenhängen, so z. B. bei seiner Erläuterung des Affekts ›Neid‹ im 2. Buch des Treatise. Nachdem Hume auseinandergesetzt hat, dass wir Neid nur empfinden, wenn wir eine enge Beziehung zu der Person unterhalten, deren Eigenschaften uns beeindrucken, merkt er an: »[T]his is the reason why travellers are commonly so lavish of their praises to the Chinese and Persians, at the same time, that they depreciate those neighbouring nations, which may stand upon a foot of rivalship with their native country.« (T 2.2.8.17; SBN 379) Ein weiterer Beleg findet sich auch im 3. Buch des Treatise. Dort avanciert China zur Chiffre des äußersten Fremden – zumindest auf diesem Planeten: »An Englishman in Italy is a friend: A European in China; and perhaps a man wou’d be belov’d as such, were we to met him in the moon.« (T 3.2.1.12; SBN 482) Vermutlich hat Hume dieses Motiv aus Mandevilles Fable of the Bees übernommen; vgl. hierzu Michael Gill: »Hume’s Progressive View of Human Nature«, in: Hume Studies 26 (2000), S. 87–108, bes. S. 93.

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Es bietet sich an, auch diese Analyse seines Kulturverständnisses an den bereits im Zusammenhang mit Humes Anthropologie erwähnten Leitbegriffen auszurichten, so dass in der abschließenden Darstellung das Humesche Konzept von Anthropologie dasjenige seiner Kulturauffassung begleitet. Damit aber stellt sich erneut die Frage nach dem Zusammenhang von Anthropologie und Kulturauffassung: Ist Humes Anthropologie eine Wissenschaft, die von der Frage nach ›der Kultur‹ abstrahieren kann? Oder sind Kulturverständnis und Anthropologiekonzept notwendig miteinander verknüpft? Sowohl Humes anthropologische Positionen wie auch seine Auffassung über das, was ›Kultur‹ ist bzw. sein sollte, basieren auf seiner eigenen Erfahrung mit Wissenschaft, Literatur und Kunst21; daher ist im Rahmen meiner Analyse beständige Rücksicht auf das Umfeld, d. h. den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, in dem sich Hume bewegte, zu nehmen. Da Hume ein sensibler Seismograph der geistigen Bewegungen seiner Zeit war22, spielt für die Verdeutlichung seiner Ansichten das Wissen darüber, mit wem und auf welche Weise er sich als ›homme de lettres‹ aus-

Selbstverständlich kann im Rahmen dieser Arbeit keine erschöpfende Darstellung der Verwendung des Kulturbegriffs im 18. Jahrhundert geleistet werden. Überblicksdarstellungen zu seiner Entstehungs- und Verwendungsweise finden sich, neben den spezielleren Studien zur schottischen Aufklärung, vor allem in: Joseph Niedermann: Kultur. Werden und Wandlungen des Begriffs und seiner Ersatzbegriffe von Cicero bis Herder, Florenz 1941; Alfred Louis Kroeber/Clyde Kluckhohn: Culture: A critical review of concepts and definitions, Cambridge (MA) 1952; Franz Rauhut: »Die Herkunft der Worte und Begriffe ›Kultur‹, ›Civilisation‹ und ›Bildung‹«, in: Germanisch-romanische Monatsschrift 34 (1953), S. 81–91; Helmut Brackert/Fritz Wefelmeyer (Hg.): Naturplan und Verfallskritik. Zu Begriff und Geschichte der Kultur, Frankfurt a. M. 1984. Für das 20. Jahrhundert: Helmut Brackert/ Fritz Wefelmeyer (Hg.): Kultur. Bestimmungen im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1990. Historische und systematische Aspekte des Kulturbegriffs beleuchtet auch Dirk Baecker: Art. »Kultur«, in: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 3, Stuttgart 2001, S. 510–556; mit Blick auf das 18. Jahrhundert werden allerdings nur die Positionen Vicos, Rousseaus, Herders, Kants und Schillers diskutiert. Zur Verwendung des Kulturbegriffs in der Ethnologie und Kulturanthropologie des 19. und 20. Jahrhunderts vgl. auch den von Carl August Schmitz herausgegebenen Sammelband Kultur, Frankfurt a. M. 1963 (alle genannten Titel mit weiteren Literaturangaben). Zur Verwendung des Begriffs ›culture‹ bei Humes Zeitgenossen Lord Kames vgl. George W. Stocking: »Scotland as the Model of Mankind: Lord Kames’ Philosophical View of Civilization«, in: Timothy H. H. Thoresen (Hg.): Toward a Science of Man. Essays in the History of Anthropology, The Hague 1975, S. 65–89, hier S. 85. Zu den Implikationen eines seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts forciert verwendeten ›konstruktivististischen‹ Kulturbegriffs vgl. die u. a. aus ethnologischer, volkskundlicher und kulturgeographischer Sicht verfassten Beiträge in: Klaus P. Hansen (Hg.): Kulturbegriff und Methode. Der stille Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften, Tübingen 1993. 22 Peter Jones vermerkt, dass diese Einschätzung wohl auf die literarischen und philosophischen Erzeugnisse zutreffen mag, aber wohl nicht auf die in heutigem Sinne ›naturwissenschaftlich‹ zu bezeichnenden Wissensfelder: »[T]he works are free [from exploded opinions in the physical sciences] because of Hume’s total lack of interest in contemporary science […].« (Hume’s Sentiments. Their Ciceronian and French Context, Edinburgh 1982, S. 17). Vgl. dagegen aber Anm. 64 dieser Arbeit. 21

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einandersetzte, eine wichtige Rolle. In dieser Hinsicht lassen sich vor allem aus seiner Korrespondenz zahlreiche Hinweise entnehmen. Es ist zu erwarten, dass eine Fokussierung auf den anthropologischen Charakter des Gesamtwerks wie auch das Sichtbarmachen seines Kulturverständnisses dazu beiträgt, die Bedeutung Humes als Anthropologen neu zu gewichten und den Wert der Analyse dessen zu erweisen, was im Wirken des Autors Hume folgenreich, aber von ihm selbst als anscheinend selbstverständlich erachtet wurde: das Verständnis von Kultur, das den Hintergrund allen Denkens und Schreibens bildet. Nachdem nunmehr in aller Kürze die Problemstellungen erläutert und Inhalt, Methode und Ziel der Arbeit skizziert worden sind, soll in einem kurzen Ausblick der Inhalt der folgenden Kapitel vorgestellt werden. So wird im anschließenden zweiten Kapitel dieser Arbeit versucht, anhand ausgewählter Überblicksdarstellungen zur Geschichte der Anthropologie eine knappe Bestandsaufnahme vorzulegen, die über die Art der Berücksichtigung bzw. des weitgehenden Ignorierens Humescher Gedanken innerhalb der anthropologischen Debatten der letzten 70 Jahre Auskunft geben soll. Kapitel III setzt sich gesondert mit der für diese Studie charakteristischen Problemlage auseinander, die auf Humes Vermeidung der Begriffe »anthropology« und »culture« beruht. Die Frage, wie die durch sie vertretenen Gedankenkonzepte bzw. Hintergründe seines Denkens in seinem Werk dennoch festzustellen sind und welche Form der Analyse sie am besten zum Vorschein bringen, wird hier diskutiert. Zudem werden wichtige Leitbegriffe, wie z. B. der des ›taste‹, vorgestellt, denen meine Analyse des Humeschen Oeuvres u. a. folgt. Kapitel IV bildet das Herzstück der Analyse, indem es anhand der zuvor erörterten Leitbegriffe das Werk Humes unter wechselnder Perspektive nach seinen Konzepten von Anthropologie und Kultur befragt. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht dabei Humes Auseinandersetzung mit der griechisch-römischen Antike. Denn ein genauer Blick auf das Humesche Werk verrät, dass Hume sich in allen seinen Arbeiten, ob sie nun erkenntnistheoretische, ethische (hier im Besonderen), ästhetische, religionsphilosophische, ökonomische, historische23 oder politische Fragestellungen behandeln, entweder für oder gegen antike Konzepte und Positionen argumentiert bzw. Exempla aus dem Altertum anführt, die seine Argumentation illustrieren sollen. Die Entstehung von Humes ›science of Man‹ verdankt sich in besonderem Maße seinem schon Humes Geschichtsschreibung, auch wenn sie sich zum überwiegenden Teil mit Ereignissen der Neuzeit beschäftigt, fühlt sich der Antike verpflichtet. So erklärt Hume in einem Brief an John Clephane vom 5. Januar 1753 seine Intention: »You know that there is no post of honour in the English Parnassus more vacant than that of History. Style, judgement, impartiality, care – everything is wanting to our historians; and even Rapin, during this latter period, is extremely deficient. I make my work very concise, after the manner of the Ancients.« (LH I, 170) Zu Humes Verhältnis zu Rapin vgl. M. G. Sullivan: »Rapin, Hume and the identity of the historian in eighteenth century England«, in: History of European Ideas 28 (2002), S. 145–162. 23

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früh begonnenen Studium antiker Autoren, wie aus einem Brief an George Cheyne von 1734 hervorgeht.24 Dabei geht es ihm nicht um eine pauschale und undifferenzierte Nobilitierung der antiken Philosophen, Dichter, Historiker, Staatsmänner, Künstler oder Rhetoren, sondern um das Aufgreifen des von diesen für viele Bereiche seiner eigenen Analysen bereitgestellten Reflexionspotentials. Da Humes Denken nicht zuletzt auch durch die Querelle des Anciens et des Modernes stimuliert wurde, die gegen Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts die intellektuellen Debatten in ganz Europa prägte, zeigen sich seine Denkbewegungen oft als ein Oszillieren zwischen antiken und modernen Auffassungen zu Kunst, Staatsführung, Moral, Ästhetik, Natur, und Religion. Wie werden diese kulturell und historisch verschiedenen Vorgaben von Hume bewertet? Meine Darstellung zielt nicht auf die Frage, ob das von Hume gezeichnete Bild der Antike dieser angemessen ist oder nicht, sondern welches spezifische Verständnis von Kultur Hume mit diesem Bild transportiert. Humes Anthropologie ist beständig mit der Frage nach den jeweiligen Einwirkungen von Verstand und Affekt auf das menschlichen Denken und Handeln konfrontiert. Für Hume stellen die menschlichen Empfindungen den entscheidenden Antrieb allen Handelns dar; sie sind unentbehrliche Partner des Verstandes, der aus eigener Kraft, so Hume, keine Handlungen motivieren kann. Doch auch weite Bereiche der menschlichen Weltbewertung sind von den Affekten abhängig, so die ethischen und ästhetischen Urteile. Der für seine Affektenlehre zentrale Begriff der »sympathy« schließlich avanciert für Hume zum Schlüssel des Verständnisses von kultureller Homo- bzw. Heterogenität. Vor diesem Hintergrund wird danach zu fragen sein, inwieweit Hume zur Erklärung kulturell spezifischer Produktions- und Wahrnehmungsweisen von ästhetischen Phänomenen wie z. B. der Dichtung, den bildenden Künsten oder der Rhetorik seine anthropologischen Grundannahmen heranzieht. Sind es allein diese Annahmen, mit denen sich die spezifische Form eines Kunstwerks erklären lässt? Welchen Einfluss haben soziale, politische und andere, im weitesten Sinne kulturelle Bedingungen? Welche Bedeutung kommt dabei dem jeweiligen Stand der Wissenschaft zu? Welche produktiv-kritische Funktion erfüllt sie innerhalb der Kultur? Für Humes Bewertung unterschiedlicher Gesellschaften, seien es antike oder moderne, spielt deren politische Einrichtung eine wesentliche Rolle. Kann die Ordnung des Zusammenlebens erfolgreich von verstandesgemäßen Prinzipien geleitet werden oder ist die Qualität des sozialen Zusammenhalts, wie Hume in seiner Moralphilosophie diskutiert, nicht eher von einer Instrumentalisierung der Affekte abhängig? In diesem das soziale Leben betreffenden Zusammenhang hat auch die Diskussion über Humes Ansichten zu unterschiedlichen Aspekten von Religionen ihren Platz: Gibt es 24

Vgl. dazu ausführlicher Anm. 144 der vorliegenden Arbeit.

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anthropologische Grundlagen für die Religiosität des Menschen? Welchen Einfluss üben Religionen auf die Kultur aus? Hemmen oder fördern sie deren Entwicklung? So verweist beispielsweise Humes Feldzug gegen Aberglauben und Enthusiasmus auf zwei Varianten der Religiosität, die er als gefährlich für den gesellschaftlichen Frieden eingestuft hat. Auch die Geschichtsschreibung Humes ist als wesentlicher Bestandteil seiner Anthropologie zu betrachten und hier entsprechend zu analysieren. Denn sie löst das Programm ein, das Hume im Treatise von dieser Wissenschaft gefordert hat: »cautious observation of human life, […] the common course of the world, by men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures« (T Introduction, 10; SBN xix). Der historische Raum wird zum Labor des Anthropologen.25 Seine historischen Arbeiten, in denen Hume Stellung zu vergangenen Zeiten nimmt, geben darüber hinaus beredt Auskunft über sein Verständnis von Kultur. Kapitel V schließlich dient der nochmaligen Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Studie. Es soll zugleich einen Ausblick darauf eröffnen, welche Konsequenzen sich aus der Einschätzung Humes als Anthropologen ergeben und inwieweit sein erläutertes Kulturverständnis zur neuen Sicht auf seine Philosophie beiträgt.

Diese Formulierung geht auf Richard H. Popkin zurück, der im Vorwort des zusammen mit David Fate Norton herausgegebenen Bandes David Hume. Philosophical Historian (Indianapolis 1965), davon spricht, dass »history would serve as the laboratory study.« (S. xxx). Als einer der einflussreichsten Gründerväter der modernen Ethnologie bezeichnet auch Bronislaw Malinowski in seinem programmatischen Essay A Scientific Theory of Culture den Forschungsort des (empirisch) recherchierenden Anthropologen als ›Laboratorium‹: »Again, anthropology, especially in its modern developments, has to its credit the fact that most of its votaries have to do ethnographic fieldwork, that is, an empirical type of research. Anthropology was perhaps the first of all social sciences to establish its laboratory, side by side with its theoretical workshop.« (A Scientific Theory of Culture and other Essays, Chapel Hill 1944, S. 11). Für Malinowski steht freilich die Erfassung der synchronen Phänomene an erster Stelle (und nicht die der diachronen); statt auf historiographische Aufzeichnungen gesellschaftlicher Prozesse zielt sein Konzept des Funktionalismus auf ethnographische ›Momentaufnahmen‹ der sozialen Beziehungen. 25

II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis

In Bezug auf Humes Schriften von »Anthropologie« zu sprechen, ist keineswegs selbstverständlich. Hume selbst, das offenbart bereits ein Blick in die Indices der einschlägigen Werkausgaben26, hat den Begriff der »anthropology« zur Kennzeichnung seiner Schriften nie in Anspruch genommen, ja, der Terminus taucht in seinen Texten weder in einfacher Form noch in Wortverbindungen auf. Eingedenk der Tatsache, dass die Begriffe »Anthropologie« bzw. »anthropology« je nach Epoche, Sprachherkunft, Wissenschaftstradition und vielfältiger Anbindung an Disziplinen wie z. B. Philosophie, Theologie, Medizin, Ethnologie oder Pädagogik einen unterschiedlichen Bedeutungsumfang aufweisen27, soll im Folgenden ein kurzer Blick auf einige unterschiedlich perspektivierte Arbeiten zur Geschichte der Anthropologie helfen, die darin im Rückblick rekonstruierte Bedeutung Humes für die Entwicklung einer wie auch immer spezifizierten Anthropologie ermessen zu können. Dabei lässt die Bandbreite der Bewertungen keine einheitliche Haltung gegenüber dem schottischen Philosophen erkennen. 26 Das gilt sowohl für die bis vor kurzem maßgebliche Ausgabe von Green/Grose (David Hume: Philosophical Works. Hg. v. Thomas Hill Green und Thomas Hodge Grose, 4 Bde. London 1882, Neudruck Aalen 1992), für die von Selby-Bigge/Nidditch herausgegebenen Werke (A Treatise of Human Nature. Hg. v. L. A. Selby-Bigge, Oxford 1888. With text revised and variant readings. Hg. v. P. H. Nidditch, 2. Aufl. Oxford 1978 und Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals. Hg. v. L. A. Selby-Bigge, Oxford 1894. With text revised and notes. Hg. v. P. H. Nidditch, 3. Aufl. Oxford 1975), aber auch für die von nun an maßgeblichen Ausgaben von D. F. Norton und Tom L. Beauchamp: A Treatise of Human Nature. Hg. v. David Fate Norton und Mary J. Norton, 5. verb. Aufl. Oxford 2004 (1. Aufl. 2000); An Enquiry Concerning Human Understanding. Hg. v. Tom L. Beauchamp, Oxford 2000; An Enquiry Concerning the Principles of Morals. Hg. v. Tom L. Beauchamp, Oxford 1998). 27 An umfangreicheren begriffsgeschichtlichen Untersuchungen hat die von Mareta Linden angefertigte, sich auf den deutschen Sprachraum beschränkende Studie bislang keine Nachfolger gefunden (Untersuchungen zum Anthropologiebegriff des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1976). Odo Marquard verweist auf einen bis zum 16. Jahrhundert noch weitgehend ›theologisch‹ gebrauchten Anthropologiebegriff, der anschließend zur Bezeichnung einer philosophischen Disziplin umfunktioniert wurde (Art. »Anthropologie«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1. Hg. v. Joachim Ritter, Basel/Stuttgart 1971, Sp. 362–374). Die früheste Verwendung des Anthropologiebegriffs ist wohl im 16. Jahrhundert zu vermuten, vgl. dazu Udo Benzenhöfer/Maike Rotzoll: »Zur ›Anthropologia‹ (1533) von Galeazzo Capella. Die früheste bislang bekannte Verwendung des Begriffs Anthropologie«, in: Medizinhistorisches Journal. Internationale Vierteljahresschrift für Wissenschaftsgeschichte 26 (1991), S. 315–320. Das Lemma »anthropology« in Samuel Johnsons Dictionary lässt für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts im englischen Sprachraum v. a. einen medizinischen Bedeutungsgehalt vermuten: »Anthropology […] The doctrine of anatomy; the doctrine of the form

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II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis

So kommt Wilhelm E. Mühlmann in seiner Geschichte der Anthropologie28 mit keiner Silbe auf Hume zu sprechen, Michael Landmann begnügt sich in seinem Überblick über die Philosophische Anthropologie mit der lapidaren Kennzeichnung Humes als »Psychologen«29. Sergio Moravia bewertet in seiner Arbeit über Philosophie und Anthropologie der Aufklärung Hume wegen dessen »theoretische(r) Unschlüssigkeit«30 nur als Durchgangsphänomen auf dem Weg zu Condillac und Buffon als den »großen Forscher(n) der fünfziger Jahre«31 [des 18. Jahrhunderts, M. B.].

and structure of the body of man.« Siehe Samuel Johnson: s. v. »Anthropology«, in: A Dictionary of the English Language…, Vol. I, London 1755 (ohne Paginierung). Diese Verwendung scheint, vergleicht man sie mit den Einträgen im Compact Oxford English Dictionary (2. Aufl. Oxford 1993, S. 512), tatsächlich die vorherrschende gewesen zu sein. Der fast zur gleichen Zeit wie Johnsons Dictionary (nämlich 1751) in Paris publizierte erste Band der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société des gens de lettres erklärt ›Anthropologie‹ einerseits als »maniere de s’exprimer, par laquelle les écrivains sacrés attribuent à dieu des parties, des actions ou les affectations qui ne conviennent qu’aux hommes«, andererseits werde mit ihr, so z. B. in der »oeconomie animale« »un traité de l’homme« bezeichnet (S. 497). Wie Hume das epochale Werk der Encyclopédie bewertete und welche ihrer Artikel er kannte, ist nicht belegt: »David Hume, for instance, does not appear to have committed himself to an opinion of the work, either in public or in private, even though he was on familiar enough terms with D’Alembert, one of its editors, to remember him in his will and to leave him a legacy of £ 200.« (John Lough: »The Encyclopédie in Eighteenth-Century England« [1952], in: ders.: The Encyclopédie in Eighteenth-Century England and other Studies, Newcastle upon Tyne 1970, S. 1–24, hier S. 13). Laurence Bongie hat – in umgekehrter Richtung – die Bezüge zwischen der Encyclopédie und Hume herausgearbeitet: »Hume, ›Philosophe‹ and Philosopher in Eighteenth-Century France«, in: French Studies 15 (1961), S. 213–227, hier S. 216. Über die Aufnahme Humes im Kreise der französischen philosophes vgl. Ernest C. Mossner: »Hume and the French Men of Letters«, in: Revue Internationale de Philosophie 6 (1952), S. 222–235. Zur Verwendungsgeschichte von »anthropologie« im Frankreich des 18. und 19. Jahrhunderts vgl. auch die nun Sergio Moravias Studie weit überbietende Arbeit von Jean-Luc Chappey: La Société des Observateurs de l’homme (1799–1804). Des anthropologues au temps de Bonaparte, Paris 2002 (bes. Kap. 5: »L’anthropologie hybride des Observateurs de l’homme«). Chappey macht hier auf eine »véritable rupture épistémologique« (ebd., S. 302) aufmerksam, die nach seiner Ansicht von Locke, Condillac und Hume vorbereitet wurde. Ein Indiz für diesen Bruch sei u. a., dass im 18. Jahrhundert die zuvor für diesen Untersuchungszusammenhang zentralen Begriffe wie »esprit« und »l’ame« durch den der »morale« verdrängt worden seien. So verwende beispielsweise J. B. Robinet in seinem 1778 publizierten Dictionnaire universel des sciences morales »anthropologie« synonym für »sciences morales« (ebd., S. 302). 28 Wilhelm E. Mühlmann: Geschichte der Anthropologie, 3. Aufl. Wiesbaden 1984 (1. Aufl. 1948). 29 Michael Landmann: Philosophische Anthropologie. Menschliche Selbstdarstellung in Geschichte und Gegenwart, 5. Aufl. Berlin 1982 (1. Aufl. 1955), S. 104. 30 Sergio Moravia: Beobachtende Vernunft: Philosophie und Anthropologie in der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1977 (ital. Bari 1970), S. 29. Zur Anthropologie im Zeitalter der Aufklärung in Frankreich vgl. auch Michèle Duchet: Anthropologie et histoire au siècle des lumières. Buffon, Voltaire, Rousseau, Helvétius, Diderot, Paris 1971. Obwohl Hume Kontakte mit diesen Wissenschaftlern pflegte und ebenfalls historische Forschungen betrieb, fehlt in Duchets Studie ein Verweis auf ihn. 31 Moravia (1970), S. 30. Den Stellenwert Condillacs im Rahmen einer v. a. sprachphiloso-

II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis

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Der Aufbau einer methodisch fundierten Wissenschaft vom Menschen, so versucht Margaret T. Hodgen in Early Anthropology of the Sixteenth and Seventeenth Centuries zu zeigen, setzte nicht erst im Jahrhundert der Aufklärung ein, sondern wurde bereits von Gelehrten der Renaissance konzentriert vorangetrieben. Deren Verdienst sei es gewesen, mit großem systematisierenden Ehrgeiz allen künftigen Fragestellungen nach dem »origin of man, the diversity of cultures, the significance of similarities, the sequence of high civilizations, and the course of the process of cultural change«32 als Vorbild gedient zu haben. Hodgen widmet sich im letzten Kapitel dem Fortwirken dieser Impulse und benennt mit David Hume einen Gelehrten, den sie für das »revival of diffusionism« zur Zeit der Aufklärung verantwortlich macht.33 Hume habe die These, dass die Sitten eines Volkes vom Klima bestimmt seien, abgelehnt und statt dessen gefordert, den »contact among peoples as an explanation of differences«34 gelten zu lassen. Humes Wiederbelebung des Diffusionismus habe dann, so Hodgen, u. a. bei den Vertretern der »Kulturkreislehre« zu vielversprechenden Ergebnissen geführt.35

phisch akzentuierten Anthropologie des 18. Jahrhunderts hat zuletzt Markus Edler herausgearbeitet: Der spektakuläre Sprachursprung. Zur hermeneutischen Archäologie der Sprache bei Vico, Condillac und Rousseau, München 2001. Zur Bedeutung und zum Nachwirken Buffons und seines Konzepts der Naturgeschichte vgl. Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1978 (zuerst München 1976). Zu den verschiedenen Konzepten von »Naturgeschichte« vgl. auch Nicholas Jardine/Jim A. Secord/Emma C. Sparry (Hg.): Cultures of Natural History, Cambridge 1996. 32 Margaret T. Hodgen: Early Anthropology in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, 2. Aufl. Philadelphia 1971 (1. Aufl. 1964), S. 8. 33 Diese Position Hodgens wird auch von Merwyn S. Garbarino geteilt: Hume »explained many cultural similarities as the result of diffusion or cultural borrowing.« (Sociocultural Theory in Anthropology. A Short History, New York 1977, S. 15 f.). 34 Hodgen (1971), S. 487. 35 Für die Ethnologie der Moderne wird das v. a. der Geographie Georg Gerlands und der Anthropogeographie Friedrich Ratzels entlehnte Konzept des Diffusionismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum wichtigen Theorem; es erreicht den Höhepunkt seiner Popularität zwischen 1910 und 1925 u. a. bei Bernhard Ankermann, Fritz Graebner und Clark Wissler. Vgl. hierzu Klaus E. Müller: »Grundzüge des ethnologischen Historismus«, in: Wolfdietrich Schmied-Kowarzik/Justin Stagl (Hg.): Grundfragen der Ethnologie. Beiträge zur gegenwärtigen Theorie-Diskussion, Berlin 1980, S. 193–231; Bernhard Streck: Art. »Diffusion«, in: ders. (Hg.): Wörterbuch der Ethnologie, Köln 1987, S. 33–37; Justin Stagl: Art. »Diffusionismus«, in: Walter Hirschberg (Hg.): Neues Wörterbuch der Völkerkunde, Berlin 1988, S. 99–100; Britta Rupp-Eisenreich: Art. »diffusionisme«, in: Pierre Boute/Michel Izard (Hg.): Dictionnaire de l’ethnologie et de l’anthropologie, 2. Aufl. Paris 2002 (1. Aufl 1991), S. 201–202 (alle hier genannten Beiträge ohne Hinweis auf Hume). In anderen Darstellungen wiederum wird nicht Ratzel oder Gerland die Begründung des Diffusionismus zuerkannt, sondern Edward Burnett Tylor (vgl. Raoul Narroll: Art. »Diffusion«, in: Julius Gould/William L. Kolb [Hg.]: A Dictionary of the Social Sciences, New York 1964, S. 199–200 sowie der Art. »diffusion«, in: Charlotte Seymour-Smith: Macmillan Dictionary of Anthropology, London 1986, S. 77–78.) Dass das Konzept des Diffusionismus bereits in der griechischen Antike bei Herodot vor-

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II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis

In seinen Ausführungen zur Geschichte der Anthropologie in England und Amerika legt George W. Stocking dar, dass sich in beiden Ländern die Disziplin »Anthropologie« zwar erst im Laufe des 19. Jahrhunderts institutionalisierte, eine »prototypical ›Science of Man‹«36 aber bereits im 18. Jahrhundert bestanden habe. Diese von Stocking mit Vorbehalten bezeichnete »›anthropology‹ of the Enlightenment«37 sei vor allem durch die Überlegungen französischer und schottischer Aufklärer zum »progress of civilization« geprägt gewesen, zu deren Kreis Stocking u. a. Montesquieu, Rousseau, Smith und Ferguson38 zählt. Der Name Humes taucht in diesem Zusamgeprägt wurde (so dass Hodgen mit Blick auf Hume zu Recht von einem »revival« sprechen kann), stellt Klaus E. Müller heraus (Geschichte der antiken Ethnologie, Reinbek 1997, S. 118 f.). Soweit aus Humes Äußerungen ersichtlich wird, sind ihm die diffusionistischen Annahmen Herodots wohl kaum gegenwärtig gewesen. Auf Herodot beruft sich Hume v. a. bei solchen Gelegenheiten, wo er, wie im Essay Of the Populousness of Ancient Nations, auf quantifizierende Mitteilungen der antiken Literatur angewiesen ist. Jedoch hält er Herodot nicht in allen Belangen für einen verlässlichen Gewährsmann: »That XERXES’S army was extremely numerous, I can readily believe; both from the great extent of his empire, and from the practice among the eastern nations, of encumbering their camp with a superfluous multitude: But will any rational man cite HERODOTUS’S wonderful narrations as an authority?« (ES, 423 f.). 36 George W. Stocking: Victorian Anthropology, New York 1987, S. 17. 37 Ebd., S. 17. Zur Anthropologie der Aufklärung vgl. auch die beiden Aufsätze von Fred Voget: »Forgotten Forerunners of Anthropology«, in: Bucknell Review 15 (1967), S. 78–96; und »Anthropology in the Age of Enlightenment: Progress and Utopian Functionalism«, in: Southwestern Journal of Anthropology 24 (1968), S. 321–345. Beide Arbeiten enthalten nicht einen einzigen Hinweis auf Hume. Allein in seiner Arbeit »Progress, Science, History and Evolution in 18th- and 19th-Century Anthropology«, in: Journal of the History of Behavioral Sciences 3 (1967), S. 132–155, findet sich ein Hinweis auf Humes Religionsphilosophie; er ist in einer Anmerkung versteckt. Auch Sergio Moravia (»The Enlightenment and the Sciences of Man«, in: History of Science 18 [1980], S. 247–268) geht auf Hume nicht ein. 38 Es ist im Rahmen dieser Studie leider nicht möglich, genauer auf die Bezüge einzugehen, die Humes Arbeiten z. B. mit Fergusons Essay on the History of Civil Society (1767) und Smiths Enquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) verbinden, wiewohl diese und andere Arbeiten dieser Autoren genauere Beachtung verdienten, da auch sie sich mit den bei Hume verhandelten Aspekten von Kultur beschäftigen: Geschichte und Entwicklungsweise von Gesellschaften und deren Institutionen, Ökonomie und Politik, nicht zuletzt auch Kunst und Wissenschaft. Ronald L. Meek, der die Prominenz des vierstufigen Entwicklungsmodells von Gesellschaften (Jäger, Hirten, Ackerbau und Handel) im 18. Jahrhundert (v. a. bei Adam Smith) untersucht, hält Humes Arbeiten (im Gegensatz zu denen Fergusons) diesbezüglich für wenig ertragreich: »There are in fact very few statements of any real relevance, most of these being concentrated in his Essay Of Commerce; and in other places in his work where we might have looked for some recognition of the importance of the mode of subsistence – the essays Of National Characters and Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, for example – the absence of any such indication seems almost studied.« (Social Science and the Ignoble Savage, Cambridge 1976, S. 30 f.) In Of Commerce spricht Hume von einer Gesellschaftsentwicklung, die mit »hunting and fishing« ihren Ausgang genommen habe und nun bei »husbandmen and manufacturers« (ES, 256) angelangt sei. Eine grundlegende Analyse des Verhältnisses der Konzepte von Hume und Ferguson steht bislang noch aus. Die Stellung Fergusons zu anderen schottischen Aufklärern ist u. a. von Gladys Bryson (Man and Society. The Scottish Inquiry of the

II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis

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menhang nicht auf; Stocking erwähnt ihn an anderer Stelle als den Förderer von »Lockean principles«39 und folgt damit der weitverbreiteten Ansicht, die Hume in erster Linie als Erkenntnistheoretiker begreift.40

Eighteenth Century, Princeton 1945, bes. Kap. II), von Stephen Copley (»The Philosopher and the Polite Reader in Commercial Society: Hume, Ferguson and Smith«, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 263 [1989], S. 47–49) und – unter dem Gesichtspunkt des Fortschrittgedankens – von David Spadafora (The Idea of Progress in Eighteenth-Century Britain, New Haven 1990, bes. Kap. 7) beleuchtet worden. Die grundsätzlichen Differenzen und Gemeinsamkeiten im Denken Humes, Smiths und Fergusons stellt Norbert Waszek heraus, der darüber hinaus den immensen Einfluss Fergusons auf Friedrich Schiller heraushebt (L’Écosse des Lumières. Hume, Smith, Ferguson, Paris 2003, S. 118). Für Wolf Lepenies ist Fergusons Essay on the History of Civil Society Zeugnis dafür, dass die sich erst im 18. Jahrhundert konstituierende Disziplin ›Anthropologie‹ zugleich eine »›bürgerliche‹« Wissenschaft ist (Soziologische Anthropologie, Frankfurt a. M. 1977, S. 82) (zuerst München 1971). Die Beziehungen im Denken Humes und Smiths (v. a. beider ›sympathy‹-Konzepte sowie ökonomische und politische Fragestellungen) sind demgegenüber eingehend behandelt worden, so z. B. von Sigmund Feilbogen: »Smith und Hume«, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 46 (1890), S. 695–716; Glenn R. Morrow: »The Significance of the Doctrine of Sympathy in Hume and Adam Smith«, in: Philosophical Review 32 (1923), S. 60–78; E. C. Mossner: »›Of the Principle of Moral Estimation. A Discourse between David Hume, Robert Clerk, and Adam Smith‹. An Unpublished MS by Adam Ferguson«, in: Journal of the History of Ideas 21 (1960), S. 222–232; W. L. Taylor: Francis Hutcheson and David Hume as Predecessors of Adam Smith, Durham 1965; D. D. Raphael: »Adam Smith and ›the Infection of David Hume’s Society‹«, in: Journal of the History of Ideas 30 (1969), S. 225–248; D. D. Raphael: »Hume and Adam Smith on Justice and Utility«, in: Proceedings of the Aristotelian Society 73 (1973), S. 87–103; Paul E. Chamley: »The Conflict between Montesquieu and Hume. A Study of the Origins of Adam Smith’s Universalism«, in: Andrew Stewart Skinner/T. Wilson (Hg.): Essays on Adam Smith, Oxford 1975, S. 274–305; Knud Haakonssen: The Science of a Legislator. The Natural Jurisprudence of David Hume and Adam Smith, Cambridge 1981; Vincent A. Hope: Virtue by Consensus. The Moral Philosophy of Hutcheson, Hume, and Adam Smith, Oxford 1989; Marie A. Martin: »Utility and Morality. Adam Smith’s Critique of Hume«, in: Hume Studies 16 (1990), S. 107–120; Timothy Erwin: »Adam Smith’s Theory of Rhetoric and the Method of Hume’s ›Dialogues Concerning Natural Religion‹«, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 303 (1992), S. 396–398; F. L. van Holthoon: »Adam Smith and David Hume: With Sympathy«, in: Utilitas 5 (1993), S. 35–48. 39 George W. Stocking: Victorian Anthropology, New York 1987, S. 16. Christoph Wulf behandelt Hume ebenfalls als einen Bündnispartner Lockes (und Coleridges), und zwar wegen ihrer benachbarten Konzepte zur menschlichen Einbildungskraft (›imagination‹) (Anthropologie. Geschichte – Kultur – Philosophie, Reinbek 2004, S. 246). Für Wolfgang Iser hingegen deutet sich mit Humes Bestimmung der ›imagination‹ als »›completing power‹« eine sich von Lockes Annahmen absetzende Neubewertung dieser geistigen Aktivität an (Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. M. 1991, S. 298 f.). 40 Folgt man der Argumentation von Jürgen Oelkers, so führt die Nähe der erkenntnistheoretischen Konzepte Lockes und Humes dazu, dass sie auch innerhalb der pädagogischen Anthropologie als Bündnispartner erscheinen (»Lernen«, in: Christoph Wulf [Hg.]: Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim 1997, S. 750–756). Während Locke in diesem Band auch in den Artikeln »Gesellschaft«, »Sprache«, »Zeichen«, »Kommunikationsmedien«, »Gedächtnis und Erinnerung«, »Erfahrung«, »Gabe« und »Wissen« erwähnt wird, bleibt die Nennung Humes auf den oben genannten Beitrag beschränkt.

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II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis

Die von Marvin Harris veröffentlichte Studie zur Geschichte der Anthropologie vertritt die These, dass mit dem Anbruch der Aufklärungsepoche zugleich die anthropologische Theoriebildung einsetzte; der Auftakt zu beidem sei, so Harris, in dem Erscheinen von John Lockes Essay Concerning Human Understanding (1690) zu sehen. Den richtungweisenden Charakter dieser Schrift als »midwife of all those modern behavioral disciplines, including psychology, sociology, and cultural anthropology«41 verdeutlicht Harris anhand der Spuren, die sie u. a. im Werk von Helvétius, Turgot, Rousseau und James Burnett (Lord Monboddo) hinterlassen habe. Hume hingegen müsse (neben Voltaire) als ein Pionier der besonders im 19. Jahrhundert weit verbreiteten Lehre des »racial determinism«42 gelten, deren Vertreter aber mit dieser Überzeugung die (im übrigen auch für Harris’ Argumentation) entscheidende Kernthese Lockes beiseite geschoben hätten, nämlich sein »egalitarian concept of the mind as an ›empty cabinet‹«. Harris kann wenig später eine Passage aus Humes Werk anführen, die dessen Auffassung, dass die Menschen von Natur aus nicht gleich geschaffen sind, belegen soll; zugleich vermittelt sie den Eindruck, dass Hume von einer höheren kulturellen Leistungsfähigkeit der weißen Nation (d. h. der Europäer) überzeugt war.43 Annemarie de Waal Malefijt verweist mit Nachdruck auf den für das methodologische Selbstbewusstsein der zeitgenössischen Anthropologie ungemein wichtigen Impuls, der von einem »true understanding of the foundations of our discipline«44 zu erwarten sei. Denn erst eine forcierte, nicht allein auf die Lehren des 19. Jahrhunderts beschränkte Auseinandersetzung mit den abwechslungsreichen Etappen des Nachdenkens über den Menschen werde die Vorbehalte beseitigen, die einer dringend gebotenen Öffnung gegenüber anderen Wissenschaften noch immer im Wege stünden. Images of Man zeichnet daher den Weg anthropologischen Denkens von den Vorsokratikern bis zu Claude Lévi-Strauss nach. Auch de Waal Malefijt betont, in Anlehnung an das von Marvin Harris verwendete Schema, den beachtlichen Einfluss Marvin Harris: The Rise of Anthropological Theory. A History of Theories of Culture, New York 1968, S. 11. Zur Geschichte, den divergenten Fragestellungen und Methoden der Kulturanthropologie vgl. Renate Schlesier: Art. »Kulturanthropologie«, in: Manfred Landfester (Hg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 14, Stuttgart 2000, Sp. 1131–1147. 42 Harris (1968), S. 80. Den Beleg zu Hume s. ebd., S. 88. Es wird an späterer Stelle noch auf die Frage einzugehen sein, ob die von Harris vorgetragene Behauptung einer deterministischen Position Humes aufrechterhalten werden kann. Das genaue Studium seiner weiteren Schriften lässt dies zumindest fragwürdig erscheinen. 43 Felicity A. Nussbaum ist davon überzeugt, dass die diesbezügliche Aussage in Humes Essay Of National Characters »was later used as a basis for scientific racism.« (»Polygamy, Pamela, and the prerogative of empire«, in: Ann Bermingham/John Brewer [Hg.]: The Consumption of Culture 1600–1800. Image, Object, Text, London 1995, S. 217–236 [hier S. 235]). 44 Annemarie de Waal Malefijt: Images of Man. A History of Anthropological Thought, New York 1974, S. viii. 41

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John Lockes auf die englischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts, dessen Spuren auch bei David Hume zu erkennen seien. So sei mit Blick auf die erkenntnistheoretischen Grundannahmen beider Philosophen sogar »no great difference between the two scholars«45 auszumachen. Die entscheidende Emanzipationsbewegung vollziehe Hume aber insofern, als er einen über Locke hinausweisenden Lösungsvorschlag zum Verständnis der Prinzipien des menschlichen Geistes entwickle. An Humes Erforschung der Religion46, die er als ein soziales Phänomen begreife, deckt de Waal Malefijt dann sein anthropologisches Credo auf: »[H]uman natures were products of an interplay between appetites and emotions on the one hand, and physical and social experiences on the other.«47 Roland Girtler vermag es, in David Hume einen frühen Vertreter der Kulturanthropologie zu sehen. Er nennt ihn im Zusammenhang mit der Irritation, die sich aus der intellektuellen Herausforderung eines durch die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts gezeichneten Bildes vom ›fremden Menschen‹ ergab: Dies zeigt sich u. a. auch darin, daß in den historischen, philosophischen und anthropologischen Werken Montesquieus, Voltaires, Humes u. a. völkerkundliche Überlegungen angestellt und Fakten aus fremden Ländern reflektiert werden.48

Girtler geht jedoch auf Hume nicht weiter ein, so dass im Unklaren bleiben muss, welche Humeschen Texte er zum ›anthropologischen Werk‹ rechnet.49 Jüngst noch haben auch Paul A. Erickson und Liam D. Murphy unterstrichen, dass ein entscheidender Impuls für die Entwicklung der Anthropologie von John Lockes erkenntnistheore-

Ebd., S. 88. Sowohl bezüglich der Auseinandersetzung mit der Religion, so John J. Honigmann, als auch bezüglich der Analyse von Nationalcharakteren sei Hume für spätere Autoren impulsgebend gewesen: »The Enlightenment’s contribution to the history of anthropology lies not so much in specific ideas that it developed and passed on, as in the lasting impulse it gave to the naturalistic study of society and culture. The impulse came from the books and essays philosophers published about such subjects as: man (Helvétius), philosophical history (Herder), the origin and development of civil society and social structure (Ferguson, Rousseau, Millar), the interrelationship of laws, government, and education (Montesquieu), religion (Holbach, Hume), and national character (Hume).« (The Development of Anthropological Ideas, Homewood 1976, S. 103). Für Honigmann zählt Hume aber nicht zu den Denkern, die, wie Vico, Ferguson, Millar und Degérando, das spätere Methodenbewusstsein der Kulturanthropologie entscheidend geprägt haben. 47 Ebd., S. 90. 48 Roland Girtler: Kulturanthropologie, München 1979, S. 39. 49 Weder Girtler noch seine Gewährsmänner liefern Belege für den behaupteten Humeschen Beitrag zur Anthropologie. Girtler übernimmt fast wörtlich die (Humes Beitrag ebenfalls nicht erläuternden) Formulierungen von Urs Bitterli: Die ›Wilden‹ und die ›Zivilisierten‹. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, 2. Aufl. München 1991 (1. Aufl. 1976), S. 209. Bitterli seinerseits verweist auf die Schrift Duchets (vgl. Anm. 30), die aber Hume überhaupt nicht erwähnt. 45

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tischem Grundprinzip ausgegangen sei. Denn auf die wissenschaftlichen Konzepte des 18. Jahrhunderts habe, neben Newtons Entdeckung der die Körperbewegungen lenkenden Naturgesetze50, vor allem Lockes stoischem Gedankengut entstammende Annahme gewirkt, nach der der Geist des Menschen zu Beginn des Lebens als »tabula rasa« zu betrachten sei. Erickson und Murphy schließen sich Harris’ Darstellungskonzept an, indem sie das Fortwirken Lockes im Denken zahlreicher Forscher der Aufklärungsepoche verfolgen. Sie betrachten neben Lafitau, Rousseau, Vico, Montesquieu, Voltaire, Gibbon, Turgot und Condorcet auch die schottischen Historiker Adam Ferguson, John Millar und Henry Robertson, die, an Newtons und Lockes Erkenntniskritik geschult, u. a. den reichen Fundus an Reiseberichten auswerteten, um die Entwicklung der Menschheitsgeschichte rekonstruieren zu können. »In fact, from the perspective of nineteenth-century anthropology, the Scottish Enlightenment appears more theoretically sophisticated than the French.«51 Über David Hume erfahren wir in dieser Anthropologiegeschichte jedoch nichts. In der zuletzt von Alan Barnard in historischer und systematischer Perspektive gezeichneten Geschichte der Anthropologie wird Hume nur ein einziges Mal berücksichtigt, und zwar als Gegenspieler der Vertragstheoretiker Hobbes, Locke und Rousseau, deren Konzepten Barnards besondere Aufmerksamkeit gilt.52 Vor allem Rousseau (neben Montesquieu) gilt ihm als wichtiger Stichwortgeber der modernen Sozialwissenschaften. Wie bedeutend gerade für Hume neben der Beschäftigung mit Locke der Einfluss Newtons war, ist von mehreren Seiten kontrovers diskutiert worden; vgl. Robert H. Hurlbutt III: Hume, Newton, and the Design Argument, Lincoln 1965; Nicholas Capaldi: David Hume. The Newtonian Philosopher, Boston 1975; Richard Kuhns: »Hume’s Republic and the Universe of Newton«, in: Peter Gay (Hg.): Eighteenth Century Studies Presented to Arthur M. Wilson, New York 1975, S. 73– 95; Christine Battersby: »Hume, Newton and ›The Hill called Difficulty‹«, in: Stuart C. Brown (Hg.): Philosophers of the Enlightenment, Sussex 1979, S. 31–55; Rudolf Lüthe: »Ein Newton der Geisteswissenschaften? Zur Einschätzung der Philosophie Humes in der gegenwärtigen Forschung«, in: Philosophischer Literaturanzeiger 34 (1981), S. 382–394; James E. Force: »Hume’s Interest in Newton and Science«, in: Hume Studies 13 (1987), S. 166–216. Im ersten, sein wissenschaftliches Programm umreißenden Abschnitt seiner Enquiry Concerning Human Understanding stellte sich Hume ganz bewusst in die Traditionslinie Newtons: »[A] philosopher, at last, arose, who seems, from the happiest reasoning, to have also determined the laws and forces, by which the revolutions of the planets are governed and directed. The like has been performed with regard to other parts of nature. And there is no reason to despair of equal success in our enquiries concerning the mental powers and economy, if prosecuted with equal capacity and caution.« (E1 1.15; SBN 14) Im Treatise waren die Hinweise auf Newton weniger eindeutig gewesen; Hume konstruierte dort vielmehr eine Verbindungslinie, die »my Lord Bacon« mit Philosophen wie Locke, Shaftesbury, Mandeville und anderen verband, um den Übergang und die »application of experimental philosophy to moral subjects« zu kennzeichnen (T Introduction, 7; SBN xvii). 51 Paul A. Erickson/Liam D. Murphy: A History of Anthropological Theory, 2. Aufl. Peterborough 1999 (1. Aufl. 1998), S. 36. 52 Alan Barnard: History and Theory in Anthropology, 5. Aufl. Cambridge 2004 (1. Aufl. 2000), S. 18. In der von Alan Barnard sowie von Jonathan Spencer herausgegebenen Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology wird das Interesse der ›moral philosophers‹ der schottischen Aufklärung 50

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Um dieses Geflecht von Zuschreibung, Ignoranz und (vorschneller) Kategorisierung entwirren zu können, scheint mir die erneute Frage nach Humes Stellenwert in Geschichte und Entwicklung der Anthropologie dringend geboten. Denn auch die engere Hume-Forschung hat zu dieser Problematik bislang keine befriedigenden Ergebnisse anbieten können. Weist das Humesche Werk ein Konzept auf, das es erlaubt, trotz seiner Vermeidung des Begriffs von einer Anthropologie zu sprechen? Wie lässt sich dieses Konzept beschreiben? Gibt es Elemente des Humeschen Projekts, die als Vorwegnahme verfestigter Positionen der Anthropologie des 19. Jahrhunderts betrachtet werden könnten? Im Rückgriff auf Stockings Studie wäre zu überprüfen, ob die Schriften Humes Komponenten aufweisen, die später im Zeitalter der »Victorian Anthropology«, nun zu einer eigenen Disziplin kristallisiert, weiterwirken (und Hume im Rückblick als Anthropologen avant la lettre erscheinen lassen). Erstaunlicherweise unterschlägt Stockings Hinweis auf Smith und Ferguson als Vertreter der (schottischen) »prototypical ›Science of Man‹« die seine Bedeutungsgewichtung irritierende Tatsache, dass es gerade Humes Treatise of Human Nature von 1739/40 war, der ganz explizit den Begriff der »science of Man« verwendete (T Introduction, 4; SBN xv).53 Die Rezeptionsgeschichte des Humeschen Oeuvres lässt bisher nicht erkennen, dass man die besondere Eigenart dieser »science of Man« und ihre Bedeutung für das Gesamtwerk in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hätte.54 für »social and political issues« hervorgehoben; »[p]rimitive peoples figured extensively in their theories […].« (Han F. Vermeulen: Art. »Enlightenment anthropology«, in: Alan Barnard/Jonathan Spencer [Hg.]: Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology. 3. Aufl. London 1998 [1. Aufl. 1996], S. 183–185, hier S. 183 f.). Der Artikel verweist im Folgenden auf die Arbeiten Fergusons, Kames’ und Robertsons, spart aber Hume (zu Recht) aus, da dieser im Vergleich zu den eben Genannten weniger explizit auf aktuelles ethnographisches Material aus der Neuen Welt zurückgreift – er wendet sich statt dessen verstärkt dem europäischen Raum zu (vgl. hierzu den in Kapitel IV. 9. dieser Arbeit diskutierten Essay Of National Characters). 53 Für Christopher Fox ist Humes Programm einer ›science of Man‹ paradigmatisch für die geistige Revolution der Aufklärung, wenngleich Hume diesen Begriff leider, so Fox, niemals ausreichend definiert habe (»Introduction: How to Prepare a Noble Savage: The Spectacle of Human Science«, in: ders./Roy Porter/Robert Wokler [Hg.]: Inventing Human Science. Eighteenth-Century Domains, Berkeley 1995, S. 1–30, hier S. 2). 54 Peter Jones hält Humes Gebrauch dieses Begriffs für unproblematisch: Obwohl Hume »never formally defined the notion«; könne man ihn ohne weiteres auf seine »systematic investigation of man’s nature, practices and social arrangements« beziehen. Die Frage, wie denn dieses Programm einer »science of man« genau aussieht und welche Spuren es im Gesamtwerk hinterlässt, ist damit aber noch nicht beantwortet (Peter Jones [Hg.]: The ›Science of Man‹ in the Scottish Enlightenment. Hume, Reid and their Contemporaries, Edinburgh 1989, S. 1). Wertvolle Detailarbeit ist bereits von Ram Adhar Mall geleistet worden, der Humes ›science of Man‹ als »›philosophical anthropology‹« auffasst. Mall rekrutiert sein Untersuchungsmaterial allerdings nur aus dem Treatise, der Enquiry Concerning the Principles of Morals und den Dialogues Concerning Natural Religion, so dass die ebenfalls aufschlussreichen Passagen aus der Korrespondenz und den Essays unberücksichtigt bleiben (Ram Adhar Mall: Hume’s Concept of Man. An Essay in Philosophical Anthropology, Bombay 1967

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II. Hume und die Anthropologie: Ein ungeklärtes Verhältnis

Die folgende Untersuchung soll helfen, das Verständnis der Prinzipien und Perspektiven seiner »Wissenschaft vom Menschen« zu vertiefen, indem es ihre besonderen Merkmale innerhalb des Gesamtwerks aufzeigt. Daran wird sich der Versuch anschließen, die Position Humes innerhalb der Geschichte der Anthropologie neu zu bestimmen und das Für und Wider der Bezeichnung »Anthropologie« für seine Position abzuwägen.

[zugl. Diss. Köln 1963], S. v). Zur Begriffsgeschichte von ›science‹, besonders mit Blick auf das Zeitalter Humes, vgl. Sydney Ross: »›Scientist‹: The Story of a Word«, in: Annals of Science 18 (1962), S. 65–85, sowie Wilhelm Risse: »Der Wissenschaftsbegriff in England im 17. und 18. Jahrhundert«, in: Alwin Diemer (Hg.): Der Wissenschaftsbegriff. Historische und systematische Untersuchungen, Meisenheim 1970, S. 90–98.

III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur« bei David Hume

1. Der Philosoph ohne Spiegelbild: Hume und seine Begriffe Analog zur Untersuchung des Humeschen Anthropologieverständnisses kann auch die Frage nach seiner Kulturauffassung von dem Befund ihren Ausgang nehmen, dass Hume diese Auffassung zu keinem Zeitpunkt seines Schaffens als gesonderten Reflexionsgegenstand behandelt. Dieses hätte es dem Leser seiner Schriften erleichtert, ihm ›in die Karten zu schauen‹ und damit Einsicht in die tonangebende, im Hintergrund seines Denkens wirkende Überzeugung und in seinen Umgang mit ihr zu nehmen. Der Versuch, die Konzepte von Anthropologie und Kultur im Werk Humes zu identifizieren und ihre Konturen zu verfolgen, hat diesen Sachverhalt zu berücksichtigen und dementsprechend das Analyseverfahren einzurichten. Diesem Verfahren sind die folgenden Überlegungen gewidmet, um auf ihrer Grundlage eine zuverlässige Abwägung der Methoden vornehmen zu können, die es erlauben, die einzelnen Facetten des Humeschen Anthropologie- und Kulturverständnisses aus seinem Oeuvre herauszupräparieren. Vorab gilt es, zwei Analyseperspektiven zu unterscheiden, die im Folgenden bezüglich des Erscheinungsbildes der Humeschen Auffassungen zu Anthropologie und Kultur eingenommen werden sollen. Der besseren Anschaulichkeit wegen werden die auf diese Weise hervortretenden zwei Aspekte, Humes Verständnis von Anthropologie und Kultur einerseits sowie sein diesbezüglicher Sprachgebrauch andererseits, getrennt voneinander vorgestellt, obgleich sie in seinen Schriften ineinander verflochten sind. Die erste Perspektive nimmt das von Hume nicht eigens reflektierte Verständnis von Anthropologie und Kultur ins Visier, mit dem sein Denken und Argumentieren operiert. Bevor sich das vierte Kapitel der vorliegenden Studie ausführlich der Aufgabe widmen wird, die besonderen Konturen dieser Überzeugungen anhand der Äußerungen Humes nachzuzeichnen, konzentrieren sich die folgenden Überlegungen darauf, zunächst die allgemeinen Konstitutionsmerkmale dieser Überzeugungen in den Blick zu nehmen.

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

2. Humes ›Überzeugungen‹, ›Auffassungen‹ und ›Annahmen‹ als Gegenstände der Untersuchung Zu Beginn soll der Frage nachgegangen werden, mit welcher Art von (philosophischen) Gegenständen es die vorliegende Analyse eigentlich zu tun hat, wenn sie sich mit einer ›Überzeugung‹, einer ›Auffassung‹ oder mit ›Annahmen‹ Humes auseinandersetzt. Die hier verwendeten Begriffe gehören einem Wortfeld an, dessen Spektrum neben ›Meinung‹ ›Ansicht‹, ›Standpunkt‹ auch ›glauben‹, ›vermuten‹, ›etwas für wahr oder richtig (oder falsch) halten‹ umfasst. Diese Begriffe waren und sind in Gebrauch, um, allgemein gesprochen, unterschiedlich akzentuierte Weisen der geistigen Stellungnahme zu kennzeichnen, mit denen Menschen auf Wahrnehmungs- oder Vorstellungsinhalte reagieren und sie bewerten. Aus dieser Reaktion wiederum erwachsen Konsequenzen für das Handeln. Sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn nehmen die Begriffe »Ansicht«55 oder »Standpunkt«56 (vgl. frz. »point de vue«; engl. »point of view«; ital. »punto di vista«) Bezug auf die Erfahrung des Sehens, und zwar aus einer bestimmten Perspektive. Die Perspektive zeigt die Relation von Beobachtungsstandpunkt und Beobachtungsgegenstand an und verändert sich, sobald sich der (mobile) Beobachter von seinem zuvor eingenommenen Platz wegbewegt und eine andere Position einnimmt, so dass ihm anschließend der (fixierte) Gegenstand eine andere ›Ansicht‹ gewährt. Anlass für diese neue Ansicht kann sowohl ein örtlicher als auch zeitlicher Positionswechsel sein. Eine Änderung der Perspektive und damit auch der Ansicht führt dazu, dass andere, bisher nicht wahrgenommene Aspekte des Beobachtungsgegenstandes in den Blick geraten. Da die Ansicht also vom jeweiligen Standpunkt abhängig ist, lassen sich reziprok Rückschlüsse auf den Standpunkt des Beobachters ziehen, sobald dieser seine ›Ansicht‹ publik macht. Der Terminus »Auffassung« mit der übertragenen Bedeutung von »geistigem Begreifen« lässt sich auf die Grundbedeutung des Ergreifens und Anfassens57 mit den Händen, des Zusammenfassens zurückführen (vgl. lat. »comprehensio«). Im Gegensatz zum zuvor behandelten Sehsinn jedoch muss der Mensch, um seinen Tastsinn zu aktivieren, die Distanz zwischen sich und dem Gegenstand auf ein Minimum reduzieren und direkten Kontakt herstellen. Auch dem englischen Ausdruck »comLt. Duden im 18. Jhdt. wiederaufgenommene Fassung von mhd. »anesiht«, ahd. »anasiht«, ›Anblick‹, wohl noch nicht im übertragenen Sinne gebraucht (Duden. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Hg. v. Günther Drosdowski, 2. erw. Aufl. Mannheim 1989, S. 662). 56 Lt. Duden seit dem 18. Jhdt. gebräuchlich (Duden. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Hg. v. Günther Drosdowski, 2. erw. Aufl. Mannheim 1989, S. 700). 57 Lt. Duden von mhd. »vazzen«, ahd. »fazzon« mit der Bedeutung »ergreifen, fangen; einfassen; zusammenpacken, aufladen; kleiden, schmücken« (Duden. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Hg. v. Günther Drosdowski, 2. erw. Aufl. Mannheim 1989, S. 177). 55

Humes »Überzeugungen«, »Auffassungen« und »Annahmen«

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prehension« ist seine Abkunft von der ursprünglichen Bedeutung einer manuellen Tätigkeit noch anzusehen. Das französische »avis« hingegen, das neben ›Auffassung‹ auch ›Ansicht‹, ›Meinung‹ und ›Stellungnahme‹ bedeuten kann, verrät seine Nähe zu der oben dargestellten Gruppe von Ausdrücken, die auf die Seherfahrung Bezug nehmen. Das französische »avis« teilt mit dem italienischen »opinione« die Gemeinsamkeit, dass sie beide nicht nur die ›Auffassung‹, sondern auch die ›Meinung‹ bezeichnen können. Die ›opinio‹ war in der römischen Antike (als ›Meinung‹) Ausweis mangelnder Gewissheit und stand im Gegensatz zur ›veritas‹; der Ausdruck ›opinio‹ konnte die Vermutung, die Erwartung, den Glauben und den Wahn bezeichnen.58 Beziehen sich die Begriffe ›Ansicht‹, ›Standpunkt‹ und ›Auffassung‹ auf Eigentümlichkeiten der optischen bzw. der haptischen Wahrnehmung, so klingt im Begriff der ›Überzeugung‹59 (vgl. frz. ›conviction‹; engl. ›conviction‹; ital. ›convinzione‹) ein anderes Bedeutungsspektrum an. Die ›Überzeugung‹ bezeichnete ursprünglich das siegreiche Darlegen vor Gericht (vgl. lat. ›convincere‹): etwas als wahr beweisen, begründen bzw. eine Person der Schuld oder des Irrtums überführen. Demzufolge kann die ›Überzeugung‹ eines Menschen, wenn sie als Resultat dieses Vorgangs betrachtet wird, als seine Einsicht in einen Sachverhalt aufgefasst werden, die durch Beweis oder Begründung untermauert ist. Die Begriffe ›Ansicht‹, ›Auffassung‹, ›Meinung‹ und ›Überzeugung‹ sind, ebenso wie ihre fremdsprachigen Pendants, nicht bedeutungskongruent, sondern decken ein weites Bedeutungsspektrum ab, das vom ›Vorurteil‹ bis zur ›begründeten Einsicht‹ reicht. Die entscheidende Differenz zwischen ihnen besteht nach den hier skizzierten sprachgeschichtlichen Hinweisen also nicht in der unterschiedlichen Zugehörigkeit der Begriffe zu verschiedenen Bedeutungsebenen (Optik, Haptik oder Jurisprudenz), sondern im unterschiedlichen Grad von Evidenz, den eine Person nach dem oben Ausgeführten dem jeweiligen Gegenstand seiner Ansicht, seiner Auffassung, seiner Meinung oder seiner Überzeugung zuzuschreiben berechtigt ist. In der vorliegenden Studie sollen die Ausdrücke ›Ansicht‹, ›Auffassung‹ oder ›Überzeugung‹ trotz der soeben festgestellten Differenzen synonym gebraucht werden, wenn von Humes Verständnis von Anthropologie und Kultur die Rede ist. Denn da er dieses Verständnis weniger argumentativ entwickelt als en passant zum Ausdruck bringt, ist eine umfassende und verschiedene Grade der Begründung berücksichtigende Klassifizierung seiner Aussagen in Ansichten, Auffassungen, Überzeugungen oder Meinungen schlechterdings unmöglich.

58 Vgl. dazu Art. »opinor« in: Alois Walde: Lateinisches Etymologisches Wörterbuch, 2. umgearbeitete Aufl. Heidelberg 1910, S. 542. 59 Lt. Duden im 16. Jhdt. nachgewiesen, »überziugen, ursprüngl. ›vor Gericht durch Zeugen überführen‹« (Duden. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Hg. v. Günther Drosdowski, 2. erw. Aufl. Mannheim 1989, S. 829).

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

In der Geschichte der okzidentalen Philosophie war die Überprüfung von geistigen Haltungen, seien es Ansichten, Überzeugungen oder Meinungen, seit je mit allgemeineren Fragen erkenntnistheoretischer Natur verknüpft, wiewohl sich die Erkenntnistheorie als eigenständige philosophische Disziplin erst mit Beginn der Neuzeit fest etablierte.60 Im Gegensatz jedoch zum Wissen (πιστ μη), das in der philosophischen Tradition spätestens seit den Lehren Parmenides’ und Heraklits dadurch ausgezeichnet ist, dass dieses allein die Wahrheit und das Sein zu erfassen vermag61, hat vor allem die Meinung (δóξα)62 polemische Attacken der Philosophen auf sich gezogen; als Ausnahmen können freilich die Sophisten wie Protagoras oder Gorgias gelten. Parmenides’, Sokrates’ bzw. Platons Invektiven gegen ›die Meinung‹ sind bekannt: Die Meinung leite sich von bloßer Sinneswahrnehmung, von der ausschließlichen Beschäftigung mit der Körperwelt her und sei selber bloß ein Zufälliges; wer im Zuge des Erkenntnisprozesses bei diesem jedoch stehenbleibe, könne nicht zum Wesen der Dinge, das allgemein und notwendig sei, vordringen. Aus diesem Grund wird die Meinung weder als Mittel der Wahrheitsfindung noch gar als würdiger Gegenstand der Erkenntnis betrachtet. Auch Aristoteles sieht allein im Wissen das Erfassen des Allgemeinen und Notwendigen gegeben, das Meinen hingegen ziele bloß auf das Einzelne und Kontingente. Diese Grenzziehung, die Wissen und Meinung voneinander trennt und das Gegenstück der Unterscheidung von Vernunfttätigkeit und Sinneswahrnehmung darstellt, war für die weitere Entwicklung der Geschichte des Denkens folgenreich. So haben es die aus den Lehren Platons und Aristoteles’ schöpfenden Anthropologien der folgenden Jahrhunderte überwiegend nicht versäumt, in der postulierten Hierarchie menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften der Vernunft den Vorrang vor den Sinneswahrnehmungen einzuräumen. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung von ›Meinung‹ und ›Wissen‹ stößt die Lektüre der Schriften Humes, die sich auf diejenigen Aussagen zu konzentrieren beabsichtigt, in denen er in systematisiert-reflektierter Form seine Konzeptionen von Anthropologie und Kultur darlegt, unweigerlich auf eine Leerstelle. Denn es herrscht eine unübersehbare Diskrepanz zwischen der markanten Präsenz spezifischer S. hierzu: A. Diemer/C. F. Gethmann: Art. »Erkenntnistheorie, Erkenntnislehre, Erkenntniskritik«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2 (1972), Sp. 683–690. 61 Daneben existierte jedoch gleichwohl die weniger aufs Absolute zielende Bedeutungsschattierung von »episteme« im Sinne von ›Fertigkeit, berufliches Können‹ (vgl. Henry George Liddell/ Robert Scott: A Greek-English Lexicon, Oxford 1961, S. 660 [Nachdruck der 9. Aufl. Oxford 1940]). 62 Vgl. zum Folgenden: s. v. »δóξα«, in: Henry George Liddell/Robert Scott: A Greek-English Lexicon, Oxford 1961, S. 444 (Nachdruck der 9. Aufl. Oxford 1940); A. Stückelberger: Art. »Doxa«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2 (1972), Sp. 287–289; Martin Suhr: Art. »Doxa«, in: Metzler Lexikon Philosophie, 2. erw. Aufl. Stuttgart 1999, S. 118–119, sowie Theodor Ebert: Art. »Meinung«, in: Hubert Cancik/Helmuth Schneider (Hg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 7, Stuttgart 1999, Sp. 1161–1163. 60

Humes »Überzeugungen«, »Auffassungen« und »Annahmen«

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Grundannahmen Humes zu Anthropologie und Kultur einerseits und der Abwesenheit einer Problematisierung dieser Annahmen andererseits. Sämtliche Abhandlungen Humes geben unzweifelhaft zu erkennen, dass sie von anthropologischen Fragestellungen geleitet sind, die häufig den engeren Problemhorizont seiner im Treatise angekündigten und auf ›principles of the mind‹ fokussierten ›science of Man‹ überschreiten; als unstrittig darf ebenfalls gelten, dass Hume seine Beweisführungen immer wieder mit zahlreichen Beobachtungsdaten aus der ihn umgebenden Kultur zu veranschaulichen sucht oder auf die entsprechenden Beobachtungen und Einsichten anderer Gelehrter zurückgreift. Darüber hinaus jedoch gestattet Hume seinen Lesern keinen direkten Einblick in sein die ›science of Man‹ mitumfassendes Anthropologieverständnis, da er die seine Untersuchungen leitende anthropologische Perspektive nur in Ansätzen thematisiert und zur Diskussion stellt. Diesem ›blinden Fleck‹ seiner Arbeiten steht das hohe Innovationspotential gegenüber, das sich Hume von seinen wissenschaftlichen Erträgen verspricht. So ist er z. B. bei der Abfassung des Treatise fest davon überzeugt, dass die dort vorgelegten Ergebnisse seiner ›science of Man‹ als unverzichtbare Grundlage jedweder zukünftigen Forschungsvorhaben zu betrachten sind63; und auch in der ersten Enquiry hebt Hume den fundamentalen Charakter seiner Forschungsresultate hervor, indem er ihre Bedeutung für die Humanwissenschaften ähnlich hoch bewertet wie die vor allem durch Newton gelieferten Erkenntnisse für die Naturwissenschaften.64 »In pretending therefore to explain the principles of human nature, we in effect propose a compleat system of the sciences, built on a foundation almost entirely new, and the only one upon which they can stand with any security.« (T Introduction, 6; SBN xvi). 64 »And shall we esteem it worthy the labour of a philosopher to give us a true system of the planets, and adjust the position and order of those remote bodies; while we affect to overlook those, who, with so much success, delineate the parts of the mind, in which we are so intimately concerned?« (E1 1.14; SBN 14) Mit dieser Formulierung gibt Hume seiner Überzeugung Ausdruck, dass sein Konzept der von Prinzipien geleiteten Assoziation der Vorstellungen mit der von Newton verfochtenen These einer von physikalischen Gesetzen bestimmten gegenseitigen Anziehung von Körpern (wie z. B. die Planeten des Sonnensystems) vergleichbar ist (auch wenn er den Namen Newtons an dieser Stelle nicht erwähnt). Michael Barfoot hat überzeugend darlegen können, dass sich Hume in der ›natural philosophy‹ nicht allein Newton zum Vorbild nahm (zudem war der Verweis auf Newton im 18. Jahrhundert bereits weitgehend konventionalisiert und daher kein Spezifikum Humes), sondern dass die Arbeiten des englischen Physikers und Chemikers Robert Boyle (1627–1691) mindestens den gleichen Stellenwert genossen (»Hume and the Culture of Science in Early Eighteenth Century Britain«, in: M. A. Stewart [Hg.]: Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, Oxford 1990, S. 151–190). Den größeren Einfluss Newtons hingegen versucht Eugene Sapadin nachzuweisen: »A Note on Newton, Boyle, and Hume’s ›Experimental Method‹«, in: Hume Studies 23 (1997), S. 337–344. Die sowohl von Hume als auch von anderen Gelehrten des 18. Jahrhunderts der ›natural philosophy‹ Boyles entgegengebrachte Wertschätzung könnte, so hat Harriet Knight jüngst aufgezeigt, durch eine Editionsstrategie gefördert worden sein, die seit Ende des 17. Jahrhunderts das Boylesche Textkorpus seines Charakters einer ›natural history‹ mehr und mehr entkleidet und ihn in eine ›natural philosophy‹ überführt hat (»Rearranging Seventeenth63

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Jedoch gerät das Verhältnis zwischen dem von ihm behaupteten Stellenwert dieser Ergebnisse und ihrer methodologischen Rechtfertigung in eine Schieflage, da sich Hume nur in Ansätzen mit den Voraussetzungen und Bedingungen auseinandersetzt, die er für das Zustandekommen der eigenen Erkenntnisse für entscheidend hält. Humes in dieser Hinsicht auffällige Zurückhaltung verhindert es somit, dass die sein Anthropologie- und Kulturverständnis leitenden Prämissen seiner Arbeiten ohne weiteres erkennbar sind. Zu einem ähnlichen Befund führt auch ein Seitenblick auf Humes Auseinandersetzung mit der von ihm favorisierten Erkenntnismethode der Beobachtung. Das folgende Kapitel dieser Studie wird zeigen, dass Humes knappe Ausführungen den Interpreten seiner Schriften mit der schwierigen Aufgabe konfrontieren, zu beurteilen, inwieweit er die z. T. nicht unproblematischen Implikationen und Konsequenzen seiner Methodenwahl durchdacht hat. Zumindest in den für das breite Publikum konzipierten Abhandlungen finden keine methodologisch oder historisch ausgerichteten Erörterungen der Vernetzungen und Bezüge seines Vorgehens statt, und sowohl in seiner dienstlichen als auch in der privaten Korrespondenz werden diese Aspekte nicht berücksichtigt. Darüber hinaus gestaltet sich die Rekonstruktion von Humes anthropologischem Ausgangspunkt auch deshalb schwierig, weil er in seinen Arbeiten keine präzisen Hinweise darauf gibt, an welche Stelle des Bezugssystems des bereits vorhandenen oder im Entstehen begriffenen anthropologischen Schrifttums er sich mit seinen eigenen Beobachtungs- und Analyseergebnissen zu positionieren beabsichtigt. Ebenso fehlen Hinweise Humes, aus denen sich die Intensität seiner Auseinandersetzung mit zeitgenössischen nicht-anthropologischen Forschungszweigen sowie ihren Erkenntnissen und Methoden hinreichend bestimmen ließe; eine Ausnahme bildet hier allein die bereits genannte Orientierung an naturphilosophischen Arbeiten wie denen von Newton oder Boyle. Offenkundig sah sich Hume nicht verpflichtet, die Frage nach seiner intellektuellen Selbstverortung innerhalb seiner Schriften ausgiebig verhandeln zu müssen, so dass er seine Auskünfte auf skizzenhafte Angaben bzw. die bloße Nennung von Namen beschränken konnte. Ohne die Kenntnis seines Selbstverständnisses als Anthropologe jedoch, in das auch seine unausgesprochenen Vorannahmen bezüglich Anthropologie und Kultur mit eingehen, ist das Spezifische seiner Lehre vom Menschen nur unzureiCentury Natural History into Natural Philosophy: Eighteenth-Century Editions of Boyle’s Works«, in: David M. Knight/Matthew D. Eddy [Hg.]: Science and Beliefs. From Natural Philosophy to Natural Science, 1700–1900, Aldershot 2005, S. 31–42). Nicholas Capaldi vertritt die Überzeugung, dass Hume in Bezug auf seine Untersuchung des Sozialen unter keinen Umständen als Anhänger Newtons angesehen werden dürfe, dort zeige sich eher ein evolutionäres Modell (»Hume as Social Scientist«, in: Review of Metaphysics 32 [1978], S. 99–123, hier S. 103). S. K. Wertz wiederum versucht nachzuweisen, dass nicht Newton oder Boyle, sondern William Harvey als Leitstern Humes angesehen werden muss (»Hume and the Historiography of Science«, in: Journal of the History of Ideas 54 [1993], S. 411–436.

Humes »Überzeugungen«, »Auffassungen« und »Annahmen«

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chend zu erklären. Die hier nun vorliegende Studie, die sich darum bemüht, Humes Auffassung der Kultur, der Anthropologie und der eigenen wissenschaftlichen Betätigung zu rekonstruieren, muss daher neben den expliziten Hinweisen Humes auch das in seinen Texten bloß Angedeutete ins Visier nehmen und nach dem ›zwischen den Zeilen‹ Geschriebenen fahnden, um auf diesem Wege einen tieferen Einblick in sein Selbstverständnis zu gewinnen. Da zu dem Zeitpunkt, als Hume versuchte, seinen Beitrag zur Wissenschaft vom Menschen zu liefern, an anthropologischem Denken fürwahr kein Mangel herrschte, hat sich die Analyse seines anthropologischen Selbstverständnisses notwendig auch der Frage zu widmen, inwieweit Hume von den einschlägigen Publikationen anderer Autoren Gebrauch machte. Denn nicht zuletzt die verstärkt seit dem 16. Jahrhundert im Anschluss an die zahlreichen Entdeckungs- bzw. Eroberungsfahrten veröffentlichten Reiseberichte sowie die u. a. von Franziskanern, Dominikanern und Jesuiten verfassten Abhandlungen über die Völker Asiens und der Neuen Welt65 boten den daheimgebliebenen Europäern genug Material für anthropologische Spekulationen.66 Zur raschen Verbreitung und Verfügbarkeit der mitunter reich illustrierten Berichte67 trug nicht zuletzt der im 18. Jahrhundert stark expandierende Buchmarkt bei.68

Zu den vor allem wirtschaftlich bedeutenden Auswirkungen der Entdeckung Amerikas notiert Hume in der History: »After the discovery and conquest of the West Indies, gold and silver became every day more plentiful in England, as well as in the rest of Europe; and the price of all commodities and provisions rose to a height beyond what had been known since the declension of the Roman empire. […] But, while money thus flowed into England, we may observe that, at the same time, and probably from that very cause, arts and industry of all kinds received a mighty increase; and elegance in every enjoyment of life became better known and more cultivated among all ranks of people.« (HE IV, 275, Kap. 46) Neben Gold und Silber gebe es aber noch andere Dinge, die Europa Amerika zu verdanken habe, wie Hume Benjamin Franklin am 10. Mai 1762 schreibt, nämlich »sugar, tobacco, indigo etc.« (LH I, 357) Vgl. auch John M. Werner: »David Hume and America«, in: Journal of the History of Ideas 33 (1972), S. 439–456. 66 Im 10. Abschnitt der Enquiry Concerning Human Understanding (›Of Miracles‹) hatte Hume vor allem »surprise and wonder« als unmittelbare Auswirkungen der Lektüre von Reiseberichten benannt: »With what greediness are the miraculous accounts of travellers received, their descriptions of sea and land monsters, their relations of wonderful adventures, strange men, and uncouth manners?« (E1 10.17; SBN 117). 67 Zur politischen Sprengkraft illustrierter Reiseberichte vgl. zuletzt Anna Greve: Die Konstruktion Amerikas. Bilderpolitik in den Grand Voyages aus der Werkstatt de Bry, Köln 2004. 68 Zum Buchmarkt und zum Wandel der Literaturrezeption im 18. Jahrhundert in England und anderen europäischen Ländern vgl. Giles Barber/Bernhard Fabian (Hg.): Buch und Buchhandel in Europa im achtzehnten Jahrhundert. Symposium Wolfenbüttel November 1977, Hamburg 1981; Isabel Rivers (Hg.): Books and their Readers in Eighteenth-Century England, New York 1982; Robert Darnton: »The Facts of Literary Life in Eighteenth-Century France«, in: Keith Michael Baker (Hg.): The Political Culture of the Old Regime, Oxford 1987, S. 261–291; Roger Chartier: Lesewelten. Buch und Lektüre in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1990 (frz. 1987). Zur Entwicklungsgeschichte und den Topoi der literarischen Gattung ›Reisebericht‹ vgl. die (sich nicht nur auf Deutschland 65

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Im Rahmen dieser Studie kann freilich nicht en detail und mit der nötigen Differenziertheit auf den großen Personenkreis von Reisenden und Gelehrten eingegangen werden, der sich, aus unterschiedlichen Motiven, um die Sammlung und Vertiefung anthropologischer Kenntnisse bemühte; ein paar Hinweise müssen daher genügen.69 Zu den prominenten Autoren, die bereits während des ersten Entdeckungszeitalters entscheidende Beobachtungen und Argumente für künftige anthropologische Debatten bereitgestellt hatten, gehörten z. B. Oviedo70, Las Casas71, Gómara72, de Léry73, Montaigne74, d’Acosta75 und La Hontan76. Später, zu Lebzeiten Humes, ge-

beschränkenden) Beiträge in Peter Brenner (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt a. M. 1989. 69 Zu den im Folgenden genannten Autoren und zur ethnographischen Literatur des 16. bis 18. Jahrhunderts allgemein vgl. Margaret T. Hodgen: Early Anthropology in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, 2. Aufl. Philadelphia 1971 (1. Aufl. 1964); Urs Bitterli: Die ›Wilden‹ und die ›Zivilisierten‹. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, 2. erw. Aufl. München 1991 (1. Aufl. 1976); Ralf Rainer Wuthenow: Die erfahrene Welt. Europäische Reiseliteratur im Zeitalter der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1980; Karl-Heinz Kohl: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1986 (zuerst Berlin 1981); Tzvetan Todorov: Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt a. M. 1985 (frz. Paris 1982); Mario Erdheim: »Anthropologische Modelle des 16. Jahrhunderts: Oviedo (1478– 1557), Las Casas (1475–1566), Sahagún (1499–1540), Montaigne (1533–1592)«, in: Wolfgang Marschall (Hg.): Klassiker der Kulturanthropologie. Von Montaigne bis Margaret Mead, München 1990, S. 19–50; Stephen Greenblatt: Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker, Berlin 1994 (engl. Oxford 1991); sowie jüngst Kirsten Mahlke: Offenbarung im Westen. Frühe Berichte aus der Neuen Welt, Frankfurt a. M. 2005 (zugl. Diss. Frankfurt a. M. 2002). Zu Oviedo, Las Casas, Sahagún, Montaigne und Lahontan vgl. Hinrich Fink-Eitel: Die Philosophie und die Wilden. Über die Bedeutung des Fremden für die europäische Geistesgeschichte, Hamburg 1994 (bes. Teil II); zu Oviedo und Gómara vgl. auch Teresa Pinheiro: Aneignung und Erstarrung. Die Konstruktion Brasiliens und seiner Bewohner in portugiesischen Augenzeugenberichten 1500–1595, Stuttgart 2004 (zugl. Diss. Paderborn 2002). Über die Schriften Lérys, Sahagúns, Acostas und Lafitaus sowie ihre Rezeption geben die mit weiteren bibliographischen Angaben versehenen Artikel in Christian F. Feest/Karl-Heinz Kohl (Hg.): Hauptwerke der Ethnologie, Stuttgart 2001 Auskunft. Zu Lérys Histoire vgl. zuletzt Kirsten Mahlke: »Indianer und Narren. Zur karnevalesken Rezeption von Jean de Lérys Histoire d’un voyage fait dans la terre du Brésil«, in: Renate Schlesier/Ulrike Zellmann (Hg.): Reisen über Grenzen. Kontakt und Konfrontation, Maskerade und Mimikry, Münster 2003, S. 101–118. 70 Fernández de Oviedo y Valdés: Historia General y Natural de las Indias, Sevilla 1535 ff. 71 Bartolomé de Las Casas: Brevissima relación de la destruycion de las Indias, Sevilla 1552. 72 Francisco López de Gómara: Historia general de las Indias, Saragossa 1552. 73 Jean de Léry: Histoire d’un voyage fait dans la terre du Brésil, autrement dite l’Amérique, Genf 1578. 74 Michel Eyquem de Montaigne: Essais, Bordeaux 1580 (Buch I und II, Buch III ab 1588). 75 Jose d’Acosta: Historia natural y moral de las Indias, Sevilla 1590. 76 Louis-Armand de Lom d’Arce, Baron de La Hontan: Voyages du Baron de La Hontan dans l’Amérique septentrionale, Amsterdam 1705.

Humes »Überzeugungen«, »Auffassungen« und »Annahmen«

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wannen dann die einschlägigen Veröffentlichungen von Montesquieu77, Lafitau78, Charlesvoix79, Buffon80 und de Brosses81 vergleichbaren Einfluss. In dieser Reihe einflussreicher Autoren können Montaigne, Montesquieu und Buffon sicher als Ausnahmen gelten, da sie, im Gegensatz zu den anderen Genannten, bei ihren Reisen keinen außereuropäischen Boden betreten hatten. Gleichwohl wussten sie sich in ihren Schriften eindrucksvoll der vorhandenen ethnographischen Vorlagen zu bedienen und stellten wie z. B. Montaigne in seinem Essay Von den Menschenfressern (De cannibales) unter Beweis, dass Europäer und Nichteuropäer anthropologisch aufschlussreiche Beobachtungen machen können, ohne dabei das eigene Land verlassen zu müssen.82 Trotz der hier nur anzudeutenden Fülle von verfügbaren Abhandlungen, Traktaten und Reiseberichten lassen sich in Humes Aufzeichnungen von den eben Genannten allein Montaigne, Montesquieu und Buffon identifizieren; auf die spezifische Bedeutung Montesquieus für Hume soll an anderer Stelle dieser Studie noch eingegangen werden. Darüber hinaus wurde das späte 18. Jahrhundert Zeuge zweier Erkundungsreisen, deren Chronisten mit der gesteigerten Aufmerksamkeit des anthropologisch interessierten Publikums rechnen konnten. So ist aus Humes Korrespondenz ersichtlich, dass ihm die Person de Bougainvilles durchaus bekannt war83; hingegen ist leider

Charles de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu: Lettres persanes, Amsterdam 1721; Esprit des Lois, Genf 1748. Roger B. Oake konnte zeigen, dass Hume in seinem Essay Of the Populousness of Ancient Nations in Teilen die Diktion der Lettres persanes imitiert (»Montesquieu and Hume«, in: Modern Language Quarterly 2 (1941), S. 25–41 und 225–248, hier S. 33 ff.). 78 Joseph François Lafitau: Moeurs des Sauvages ameriquains, comparées aux mœurs des premiers temps, Paris 1724; sowie die Histoire des Découvertes et Conquestes des Portugais dans la Nouveau Monde, Paris 1733. 79 François-Xavier de Charlesvoix: Histoire et description génerale de la Nouvelle-France, avec le journal historique d’un Voyage fait par ordre du Roi dans l’Amerique Septentrionale, Paris 1744. 80 Georges Louis Leclerc, Comte de Buffon: Histoire générale des animaux et de l’homme, Paris 1749–1804. 81 Charles de Brosses: Histoire des navigations aux terres australes, Paris 1756. 82 So ist es sicher nicht zuletzt Montaignes Skeptizismus geschuldet, dass er nicht vergisst, mit der Episode der drei ob der französischen Usancen staunenden Brasilianer die reziproke Verwunderung von Beobachter und Beobachteten herauszustellen (vgl. Renate Schlesier: »Alteuropa im Spiegel der Neuen Welt. Montaigne und die ›Kannibalen‹«, in: Rolf-Peter Janz [Hg.]: Faszination und Schrecken des Fremden, Frankfurt a. M. 2001, S. 68–83). 83 So schreibt Hume in einem Brief aus Paris vom 11. September 1765, der an Henry Seymour Conway gerichtet ist: »Some days ago, I met with M de Bougainville, who is return’d from settling his new Colony in one of the Mariane Islands near Cape Horn. He told me, that he had left all his Planters in perfect Health: They consist, as he said, of 120 Men and 20 Women. The only Support of the new Settlement is Oil, extracted from Fish; and it is not easy to imagine what cou’d be the Purpose of the French Government in undertaking it: Unless it be, to make that Place a Stage for such expeditions; as, in case of War with Spain, they may send into the South Sea. This Project ought to give Umbrage to the Spaniards; and accordingly, it is pretended, that the court of Madrid has 77

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

nicht überliefert, ob er außerdem auch von dessen 1771 in Paris veröffentlichten Bericht Voyage autour du monde Notiz nahm. Die Lektüre der Voyage round the World von Georg Forster84 mit ihren anthropologischen Beobachtungen und Reflexionen, die dieser als Mitreisender während der zweiten Weltumseglung James Cooks notierte, musste Hume aber auf jeden Fall versagt bleiben, da sie erst 1777, ein Jahr nach Humes Tod, in London publiziert wurde.85 Nicht zuletzt ist Hume im März 1748 selber als anthropologisch aufmerksamer ›Reiseschriftsteller‹ in Erscheinung getreten, insofern er, wenn auch nur skizzenhaft, in einem als Reisetagebuch86 konzipierten Brief an seinen Bruder alle Beobachtungen notiert, die er während einer Gesandtschaftsreise als Begleiter von General James St. Clair (Baron Sinclair) an die Höfe Wiens und Turins machen kann. So beeindruckt

challeng’d the Property of those Islands.« (NL, 116) Humes Gedanken zu den Ausführungen Bougainvilles zeigen in erster Linie sein Interesse für die politischen Implikationen dieses Unternehmens (die zu diesem Zeitpunkt, da er britischer Botschafter in Paris war, ohnehin in sein Blickfeld geraten mussten); über Gesprächsinhalte anthropologischen Charakters informiert Hume seinen Adressaten hingegen nicht. Im Gegensatz zu Humes ›methodologischem Stillschweigen‹ bemüht sich Bougainville zu Beginn seiner Voyage autour du monde, sein Unternehmen historisch einzubetten. So hält er es in den einleitenden Passagen für angezeigt, die Leser »mit allen denen, welche bisher eine Reise um die Welt getan, bekannt zu machen und ihnen die verschiedenen Entdeckungen, die bis auf den heutigen Tag im Südmeer oder Pazifik gemacht worden, anzuzeigen.« (Louis-Antoine de Bougainville: Reise um die Welt [1771]. Hg. v. Klaus-Georg Popp, Stuttgart 1980, S. 9.) 84 Georg Forster schickt seiner »philosophische[n] Reisebeschreibung« (Georg Forster: Reise um die Welt [engl. 1777]. Hg. v. Gerhard Steiner, Frankfurt a. M. 1983, S.13) zunächst Reflexionen über die durch unterschiedliche Sozialisation bedingte Perspektivität jeder Betrachtung voraus: »Mit einem Wort, die Verschiedenheit unserer Wissenschaften, unsrer Köpfe und unsrer Herzen haben nothwendigerweise eine Verschiedenheit in unsren Empfindungen, Betrachtungen und Ausdrücken hervorbringen müssen.« (Ebd., S. 15) Wenig später lässt Forster einen Hinweis auf die wichtigsten bis dahin durchgeführten Reisen in die Südsee folgen, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, den Stellenwert des Cookschen Unternehmens zu ermessen. Zur Bedeutung Forsters für die Anthropologie vgl. Eberhard Berg: Zwischen den Welten. Anthropologie der Aufklärung und das Werk Georg Forsters, Berlin 1982; sowie Renate Schlesier: »Verdichtete Reiseberichte. Zur Geschichte des Homo viator«, in: Gerhard Neumann/Sigrid Weigel (Hg.): Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie, München 2000, S. 133–148. Die Ursachen für die Sonderstellung, die das Reiseziel ›Südsee‹ im 18. Jahrhundert gegenüber Asien, Afrika und Amerika genoss, arbeitet Christiane Küchler Williams heraus: Erotische Paradiese. Zur Europäischen Südseerezeption im 18. Jahrhundert, Göttingen 2004. 85 Humes Brief an Benjamin Franklin vom 7. Februar 1772 erwähnt James Lind, einen Arzt, der als Begleiter Cooks auf dessen zweiter Weltumseglung vorgesehen war (»Brother Lin expects to see you soon, before he takes his little Trip round the World. You have heard, no doubt, of that Project: The Circumstances of the Affair coud not be more honourable for him, nor coud the Honour be conferd on one who deserves it more.«). Lind trat kurz vor der Reise von dem Vorhaben zurück, über das Hume, wie dieser Brief zeigt, zumindest informiert war (NL, 194). 86 So beginnt Humes am 3. März 1748 anhebender Bericht mit den Worten: »Dear Brother. I have taken a Fancy, for your Amusement, to write a sort of Journal of our Travels, & to send you the whole from Turin, by a Messenger whom we are to dispatch from thence.« (LH I, 114).

Humes »Überzeugungen«, »Auffassungen« und »Annahmen«

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ihn Den Haag zwar als Ort wirtschaftlicher und politischer Emsigkeit, jedoch fehlt ihm jede Vergnüglichkeit: »No Balls, no Comedy, no Opera.« (LH I, 115) An dem wegen seiner Befestigungsanlage bewunderten Nijmegen vorbei geht die Reise weiter über Köln, Bonn, Koblenz, Frankfurt, Würzburg, Nürnberg, Passau, Linz, das Kloster Melk bis nach Wien. Nach einer kurzen Audienz bei Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel87 reisen Hume und Sinclair über die Steiermark, Mantua88 und Cremona weiter nach Turin. Humes Blick registriert zum einen die z. T. mit Emphase dargestellten Besonderheiten der von ihm durchquerten Landschaft, ihre ökonomische Infrastruktur und der dabei wahrgenommene Wohlstand der Bevölkerung. So weiß Hume von der Gegend um Köln zu berichten: »The country is all very populous, the Houses good, & the Inhabitants well cloath’d & well fed.« (ebd., 119) Hume findet für den als offenbar recht gepflegt empfundenen Zustand der von ihm besuchten Landstriche und Städte nur lobende Worte: »Be assurd, there is not a finer Country in the World; nor are they any Signs of Poverty among the People.« (ebd., 121); »I never saw such rich Soil, nor better cultivated; all in corn & sown Grass.« (ebd., 122); »Germany is undoubtedly a very fine Country, full of industrious honest People, & were it united it would be the greatest Power that ever was in the World.« (ebd., 126) In der Beschreibung des protestantisch geprägten Nürnberg hält er vor allem die Bewohner für erwähnenswert: »The People are handsome, well cloath’d & well fed: An Air of Industry & Contentment, without Splendor, prevails thro the whole.« (ebd., 124) Vor diesem Hintergrund führt er dann wenig später die beobachteten Differenzen zwischen den Städten Nürnberg und Regensburg auf den Einfluss der unterschiedlichen Konfessionen89 zurück: 87 Bei der Schilderung dieses Ereignisses verzichtet Hume nicht darauf, auch die sich aus den höfischen Konventionen ergebenden Skurrilitäten zu erwähnen: »You must know, that you neither bow nor kneel to Emperors and Empresses; but Curtsy: So that after we had had a little Conversation with her Imperial Majesty, we were to walk backwards, thro a very long Room, curtsying all the way: And there was very great Danger of our falling foul of each other, as well as of tumbling tupsy-turvy. She saw the Difficulty we were in: And immediatly calld to us: Allez, Allez, Messieurs, sans ceremonie: Vous n’etes pas accoutumés a ce mouvemen et le plancher est glissant. We esteemd ourselves very much oblig’d to her for this Attention, especially my Companions, who were desperately afraid of my falling on them & crushing them.« (LH I, 127). 88 Folgt man Humes Schilderungen, so bot sich ihm offensichtlich erst an diesem Punkt seiner Reise die Gelegenheit zur Bewunderung nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch künstlerisch-literarischer Leistungen, die freilich nicht der Gegenwart, sondern der römischen Antike entstammen: »We are now in Classic Ground; & I have kist the Earth, that produc’d Vergil, & have admir’d those fertile Plains, that he has so finely celebrated.« (LH I, 132). 89 Bereits in seinem Essay Of Civil Liberty von 1742 hatte Hume seine Beobachtung notiert, gemäß der Städte mit überwiegend protestantischem Bekenntnis eine größere wirtschaftliche Produktivität entfalten (ohne diesen Zusammenhang jedoch zu verabsolutieren): »It has become an established opinion, that commerce can never flourish but in a free government; and this opinion

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Ratisbon is a Catholic Republic situated on the Banks of the Danube. The Houses & Buildings & Aspect of the People are well enough, tho not comparable to those of Nuremberg. Tis pretended, that the Difference is always sensible betwixt a Protestant & Catholic Country, thro’out all Germany: And perhaps there may be something in this Observation, tho it is not every where sensible. (ebd., 125)

So sehr Hume die Reise durch die deutschen Landstriche entzückt hat, so sehr entsetzt ihn der Anblick der Menschen in der Steiermark: [A]s much as the Country is agreeable in its Wildness; as much are the Inhabitants savage & deform’d & monstrous in their Appearance. Very many of them have ugly swelled Throats: Idiots, & Deaf People swarm in every Village; & the general Aspect of the People is the most shocking I ever saw. One wou’d think, that as this was the great Road, thro which all the barbarous Nations made their Irruptions into the Roman Empire, they always left here the Refuse of their Armies before they enterd into the Enemies Country; and that from thence the present Inhabitants are descended. Their Dress is scarce European as their Figure is scarce human. (ebd., 130)

Soweit Humes brieflich verfasste Notizen überhaupt einen solchen Schluss rechtfertigen, wird aus ihnen ersichtlich, dass er während seiner Durchquerung der Niederlande, des Deutschen Reichs, Österreichs und Italiens offenbar keinen persönlichen, etwa durch Konversation vermittelten Zugang zu den diversen Bevölkerungsschichten gehabt haben dürfte (eine Ausnahme bilden freilich die – sich zumeist aus der Aristokratie rekrutierenden – Angehörigen des Hofes90). Wohl nicht zuletzt aufgrund der auch vorhandenen sprachlichen Barrieren beschränkt sich das Humes Bewertungen zugrundeliegende Datenmaterial auf die Re-

seems to be founded on a longer and larger experience than the foregoing, with regard to the arts and sciences. […] The three greatest trading towns now in Europe, are LONDON, AMSTERDAM, and HAMBURGH; all free cities, and protestant cities; that is, enjoying a double liberty. It must, however, be observed, that […] this maxim is no more certain and infallible than the foregoing, and that the subjects of an absolute prince may become our rivals in commerce, as well as in learning.« (ES, 92) In seinem Reisetagebuch weiß Hume zwar viel über die wirtschaftliche und politische Situation, nichts jedoch über den Stand der Gelehrsamkeit der durchreisten Länder zu berichten. Im Unterschied zu Hume und seinem hier nur en passant geäußerten Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang von Protestantismus und wirtschaftlicher Produktivität wird Max Weber in seiner zuerst 1905 publizierten Abhandlung Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus dieser Beobachtung eine systematische Untersuchung widmen (»Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus [1905]«, in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1, 5. Aufl. Tübingen 1963 [1. Auf. 1920], S. 1–206). 90 Über die Begegnungen in Wien schreibt Hume in verächtlichem Ton: »The Men are ugly & awkward. We have seen all those fierce Heroes, whom we have so often read in Gazettes, the Lichtensteins, the Esterhasis, the Colloredos: Most of them have red Heels to their Shoes, & wear very well dresst Toupees.« (LH I, 127 f.).

Das Wirken von Verstand und Affekt in Humes Kulturauffassung

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sultate seiner distanzierten Betrachtung. Auf diese Weise gelingen ihm zwar nachvollziehbare Charakterisierungen (wie z. B. die Geschäftigkeit und der Fleiß der Nürnberger), doch bleibt ihm ein darüber hinausgehendes Verständnis ihrer spezifischen Ansichten oder Werte verschlossen. Beispiele für ›arts and sciences‹ hat Hume auf seiner Route offensichtlich überhaupt nicht wahrnehmen können. Um so mehr wird sein Blick auf die Menschen in der Steiermark von ihrem Äußeren gefesselt; ihr augenscheinlich für Hume sowohl rundweg ungewohntes als auch Abstoß erregendes Erscheinungsbild nimmt seine Aufmerksamkeit so intensiv in Anspruch, dass er das konkrete Beobachtungsobjekt en passant in eine Chiffre für ›das Barbarische, Unzivilisierte‹ transformiert.

3. Das Wirken von Verstand und Affekt in Humes Kulturauffassung Aufgrund des soeben bereits konstatierten Fehlens Humescher Reflexionen bezüglich seiner ›Hintergrundüberzeugung‹ drängt sich nun folgende Frage auf, deren Beantwortung für die weitere Interpretation von entscheidender Bedeutung ist: Ist das Fehlen einer solchen Überzeugung etwa darauf zurückzuführen, dass in seiner Philosophie ihr Vorhandensein womöglich gar nicht vorgesehen ist und deshalb nicht in den Blick gerät? Die hier zu heuristischen Zwecken verwendeten Begriffe »Hintergrundüberzeugung« und »Kulturauffassung« wird man in seinen Schriften gewiss vergeblich suchen. Eine von der Fixierung auf Begriffe lösgelöste Lektüre seiner Texte führt jedoch vor Augen, dass Humes beständiges Nachsinnen über das Wesen der menschlichen Natur auf ein Problem hindeutet, das mit der in dieser Studie aufgeworfenen Frage nach einer »Kulturauffassung« eng verknüpft ist, und zwar die Beziehung von Verstand und Affekt. Bereits zu Beginn dieser Studie wurde dargelegt, dass unter der »Humeschen Kulturauffassung« seine Haltung verstanden werden soll, die er gegenüber der vom Menschen gestalteten und gedeuteten Welt einnimmt. Im Folgenden soll nun in Anlehnung an die Humesche Erkenntnislehre und mit Verwendung ihres Vokabulars versucht werden, seine »Kulturauffassung« mit Blick auf zwei ihrer wichtigsten Aspekte weiter auszudifferenzieren. Zu diesem Zweck bietet es sich an, Humes Auffassung von Kultur als eine dynamische Verbindung zu betrachten, die sich aus seinen Vorstellungen (›ideas‹) und den durch sie aufgerufenen Affekten (›passions‹) zusammensetzt. Akzeptiert man die aus Humes Erkenntnislehre abzuleitende Einsicht, dass sowohl die Quantität als auch die Qualität von Perzeptionen (also von Eindrücken, Vorstellungen und Affekten) von Mensch zu Mensch variiert und sie damit als spezifische, nur ihrem jeweiligen ›Inhaber‹ zugehörige und als im Laufe der Zeit sich verändernde Bewusstseinsinhalte zu betrachten sind, dann muss auch für Humes Kulturauffassung gelten, dass sie eine veränderliche und individuelle, d. h. in ihrer Spezifität nur bei

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

ihm anzutreffende Verbindung von charakteristischen Vorstellungen und Affekten ist. In einem nächsten Schritt gilt es nun, das doppelte Wirkungsvermögen der Humeschen Kulturauffassung, ihre sowohl kategorisierende als auch normative Potenz, vor dem Hintergrund dieser Verbindung von Vorstellung und Affekt zu beleuchten. So könnte sich dem Betrachter das hier mit dem Wort »Kultur« bezeichnete Humesche Vorstellungsgebilde zunächst als ein weitverzweigtes Netzwerk von Vorstellungen darbieten, dessen Ausdehnung sich durch neu hinzukommende Vorstellungen ständig erweitert. Die in Form eines Netzwerks verknüpften Vorstellungen repräsentieren zunächst nur die durch vormalige Eindrücke vermittelten einzelnen Inhalte, nämlich Gegenstände, Handlungsweisen oder Überzeugungen (in Form etwa von mathematischen Lehrsätzen, kirchlichen Dogmen oder auch ethischen und ästhetischen Werturteilen), die darüber hinaus aber auch stellvertretend oder in Kombination als Vorstellung des größeren Ganzen, also von »Kultur«, betrachtet werden können. So repräsentieren beispielsweise die Vorstellungen eines Ackergeräts, einer Geste oder des Ausspruchs »Gott ist in allem!« je einen bestimmten Eindruck (und nur diesen) eines Gegenstands, einer Handlungsweise oder einer Überzeugung; dieser Inhalt kann aber auch, allein oder gemeinsam mit anderen Vorstellungen, als pars pro toto der Vorstellung von »Kultur« auftreten. Die dem zugrunde liegende Auffassung von »Kultur« muss daher, ganz im Humeschen Sinne, als eine abstrakte Vorstellung aufgefasst werden, die aus einer Ansammlung von konkreten Bildern (›images‹) besteht, die ihrerseits wieder aus vorausgehenden Eindrücken (›impressions‹) stammen.91 Trotz des immer besonderen Inhalts ›meint‹ bzw. ›repräsentiert‹ diese Vorstellung gleichwohl das Allgemeine und ist daher auch mit der sprachlichen Figur der Synekdoche [pars pro toto] vergleichbar (synekdechesthai: durch Andeutungen bezeichnen). Da die Menge der repräsentationsfähigen Vorstellungen für »Kultur« weniger begrenzt ist als beispielsweise die repräsentationsfähigen Vorstellungen für »Katze« oder »Baum«, kann das außerordentlich reiche Vorstellungsnetz von »Kultur« auch einen ungleich höheren Grad an Komplexität erreichen. Diese nimmt mit wachsender Erfahrung des Menschen zu, denn mit jeder neu hinzukommenden Vorstellung erhöht sich auch die Zahl der somit möglichen, durch Erinnerung (›memory‹) und Einbildungskraft (›imagination‹) hervorgebrachten Verknüpfungen. 91 Die entsprechende Passage lautet im Treatise: »That we may fix the meaning of the word, figure, we may revolve in our mind the ideas of circles, squares, parallelograms, triangles of different sizes and proportions, and may not rest on one image or idea. However this may be, ’tis certain that we form the idea of individuals, whenever we use any general term; that we seldom or never can exhaust these individuals; and that those, which remain, are only represented by means of that habit, by which we recall them, whenever any present occasion requires it. This then is the nature of our abstract ideas and general terms; and ’tis after this manner we account for the foregoing paradox, that some ideas are particular in their nature, but general in their representation.« (T 1.1.7.10; SBN 22).

Das Wirken von Verstand und Affekt in Humes Kulturauffassung

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Die kategorisierende Kraft der Humeschen Kulturauffassung äußert sich nun darin, dass sie ihm zunächst eine gewiss grobe, noch wenig differenzierte Unterscheidung zwischen »Kultur« und »Nicht-Kultur« erlaubt. Hume selbst diskutiert diesen Aspekt zwar nicht ausdrücklich; zur Veranschaulichung seines Verfahrens ließen sich jedoch beispielsweise die Erfahrungen bzw. Eindrücke von »Ackergerät« und »Katze« diesen unterschiedlichen Kategorien zuordnen. Dazu werden diese Eindrücke mit den bereits vorhandenen Vorstellungen in Beziehung gesetzt und auf ihre mögliche Anschlussfähigkeit hin überprüft. Dieser spezifische Eindruck »Ackergerät« dürfte sich nun mit bereits vorhandenen Vorstellungen zu menschlicher Lebensgestaltung und -orientierung assoziieren lassen (also etwa der Vorstellung von Werkzeugen oder ähnlichem) und wäre somit als ›der Kultur zugehörig‹ erfasst (analog dazu dürfte dann der Eindruck »Katze« wohl eher der Vorstellung ›der Natur zugehörig‹ beigeordnet werden). Als Vorstellung kann »Ackergerät« dann unter der verallgemeinernden Bezeichnung subsumiert werden, die auch für den Rest des Vorstellungskomplexes »Kultur« gültig ist. Zugleich ist es für diese einzelne Vorstellung von nun an möglich, Humes Lehre zufolge, als Repräsentant des gesamten Vorstellungskomplexes zu agieren.92 Der Vorgang des Denkens, davon ist Hume überzeugt, lässt sich jedoch nicht bloß als intermittierendes Aufrufen einzelner, unzusammenhängender Vorstellungen begreifen, sondern muss statt dessen als eine Abfolge von Vorstellungen aufgefasst werden, in der diese nicht willkürlich, sondern regelgeleitet miteinander verknüpft sind. Nur diese beabsichtigte oder unbeabsichtigte Verknüpfung von Vorstellungen kann als Denken aufgefasst werden: es untersteht der Leitung einer »associating quality«, von Hume auch mit dem Oxymoron »gentle force« (T 1.1.4.1; SBN 10) bezeichnet. Die Humesche Beschreibung des Vorgangs der Vorstellungsassoziation und die Nennung weniger Prinzipien (»Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause and Effect« [T 1.1.4.1; SBN 11]) scheint zunächst wenig geeignet, um der offensichtlichen Komplexität gerecht zu werden, mit der menschliches Denken verfährt. Man geht jedoch fehl, wollte man von den von Hume exemplifizierten simplen Prinzipien der Vorstellungsverknüpfung kurzerhand auf deren vermeintlich undifferenzierten Inhalt schließen. Denn für die Wirksamkeit dieser Prinzipien, d. h. für die jeweilige Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) der Verknüpfung von Vorstellungen ist gerade der von Mensch zu Mensch differierende Vorstellungsinhalt von Bedeutung, der seinerseits wieder an die Erfahrungen des Einzelnen zurückgebunden ist.

Das schließt für Hume keinesfalls aus, dass ein und dieselbe Vorstellung mit unterschiedlichen Termini belegt sein kann: »Nay so entire is the custom, that the very same idea may be annext to several different words, and may be employ’d in different reasonings, without any danger of mistake.« (T 1.1.7.9; SBN 21). 92

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Daher ist für die Verknüpfungen der Vorstellungen und für den Umgang mit neuen Eindrücken deren Inhalt alles andere als belanglos. So wäre es nach dem bisher Gesagten beispielsweise denkbar, dass ein nur mit der Geschichte Ägyptens Vertrauter den Eindruck bzw. die Vorstellung von »Katze« umstandslos mit der Vorstellung von »Kultur« verbindet (und nicht mit der von »Natur«), da in seinem von der Beschäftigung mit der Geschichte Ägyptens geprägten Kulturverständnis die Katzenverehrung ein herausragendes Element der Kultur darstellt. Mit zunehmender Kenntnis anderer Kulturformen dürfte ihm die Katzenverehrung dann als eine höchst spezielle Form religiöser Überzeugungen bewusst werden, so dass deren Vorstellung vermutlich ihren repräsentativen Charakter für die allgemeine Vorstellung von »Kultur« verliert; möglicherweise bleibt sie jedoch als repräsentative Vorstellung für »ägyptische Kultur« erhalten. Dieses Beispiel stellt den von Hume unterstellten Wirkungsmechanismus der geistigen Prinzipien freilich vereinfacht dar, insofern hier weitere, ebenfalls mögliche ›Assoziationskandidaten‹ der Übersichtlichkeit wegen ausgeblendet sind. Denn erfahrungsgemäß übernimmt der Eindruck oder die Vorstellung von »Katze« in erster Linie eben nicht die Stellvertreterfunktion für die Vorstellung von »Kultur« (wenn überhaupt), sondern repräsentiert Vorstellungen wie etwa die von »felltragenden Tieren« oder, ganz allgemein, von »Eigensinnigkeit« oder »Geschmeidigkeit«. Diesem an Humes Epistemologie orientiertem Beispiel zufolge wäre also allein in der zunehmenden Erfahrungsvielfalt und -dichte eines Individuums die Ursache und die Bedingung dafür zu sehen, dass sich dessen Denkprozesse im Laufe seiner Entwicklung immer weiter ausdifferenzieren können. Der Zuwachs an Unterscheidungs- und Urteilsfähigkeit eines Menschen wird also, so lässt sich Hume verstehen, nicht durch eine wie auch immer zu erreichende Zunahme geistiger Prinzipien oder durch Bemühungen, die vorhandenen zu optimieren, herbeigeführt93, sondern durch die Sammlung möglichst umfang- und abwechslungsreicher Erfahrungen. Aus diesen erkenntnistheoretischen Erwägungen Humes ergibt sich ein entscheidender Grundzug seiner Anthropologie, auf den bereits an dieser Stelle aufmerksam gemacht werden soll: Für die je spezifische intellektuelle und, wie sich im weiteren Verlauf noch zeigen wird, auch affektive Entwicklung des Menschen (und das meint Christopher J. Berry warnt daher mit Recht davor, Hume die Auffassung zu unterstellen, die menschliche Natur lasse sich von der Kultur formen oder sei letztlich nichts anderes ihr Widerschein: »[Hume] does not have a contextualist theory of human nature.« (Hume, Hegel and Human Nature, The Hague 1982, S. 115). Ulrich Voigt hingegen geht davon aus, dass »die Natur des Menschen […] für Hume nichts vollkommen Unhistorisches« gewesen sei; »[d]ie Fähigkeit, sein Verhalten nach allgemeinen Prinzipien zu regeln, die Fähigkeit, sich von abstrakten Gedanken statt von unmittelbaren Eindrücken leiten zu lassen, mußte vom Menschen sehr langsam und mühselig erworben werden […].« (David Hume und das Problem der Geschichte, Berlin 1975 [zugl. Diss. Hamburg 1974], S. 28). Voigt sitzt hier offenbar einem Missverständnis auf, denn die (mit Recht) Hume zugeschriebene Ansicht der Bildungsnotwendigkeit hat nichts mit einer Veränderung der Prinzipien der menschlichen Natur zu tun. 93

Das Wirken von Verstand und Affekt in Humes Kulturauffassung

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seine Ausstattung mit Vorstellungen) ist, und hier macht sich Humes Auseinandersetzung mit John Locke geltend, der individuelle Kontakt mit der Umwelt von entscheidender Bedeutung.94 Die Abhängigkeit der Vorstellungen von entsprechenden Eindrücken aus der Umwelt werde besonders augenfällig, so Hume, wenn sich herausstelle, dass bei einer bestimmten Gruppe von Menschen spezifische Vorstellungen fehlten. Dies treffe in solchen Fällen zu, in denen »the object, proper for exciting any sensation, has never been applied to the organ. A Laplander or Negroe has no notion of the relish of wine.« (E1 2.7; SBN 20) Diese Aussage95 legt den Schluss nahe, dass Hume also nicht etwa in anders gearteten geistigen Prinzipien, sondern allein in der fehlenden Vertrautheit dieser Menschen mit diesem alkoholischen Getränk die Ursache für das Ausbleiben einer entsprechenden Vorstellung erblickt.96 Zu der oben skizzierten Beschaffenheit von Vorstellungen – dass sie nämlich von den Eindrücken konkreter Gegenstände oder Sachverhalte abstammen, aber dennoch abstrakte Gegenstände oder Sachverhalte repräsentieren können – gesellt sich noch ein weiteres Merkmal. Denn Humes Ausführungen zufolge sind Vorstellungen immer auch affektiv aufgeladen. So kann die Vorstellung von »Kultur«, wie andere Vorstellungen auch, mit spezifischen Affekten verknüpft sein bzw. diese auslösen: I believe it may safely be establish’d for a general maxim, that no object is presented to the senses, nor image form’d in the fancy, but what is accompany’d with some emotion or movement of spirits proportion’d to it; and however custom may make us insensible of this sensation, and cause us to confound it with the object or idea, ’twill be easy, by careful and exact experiments, to separate and distinguish them. (T 2.2.8.4; SBN 373)

Erst die Affekte verleihen der Kulturauffassung ihre normative Kraft, da die nach dem Muster von Ablehnung oder Zustimmung verfahrende Beurteilung der unterVgl. John Locke: An Essay Concerning Human Understanding [1690], Book II, Chapter I (›Of Ideas‹). Das hier auch für Hume in Anspruch genommene Konzept der geistigen Entwicklungsfähigkeit (und -notwendigkeit) des Menschen wird bei Locke explizit, insofern sich seine Beobachtungen wiederholt auf den Erwerb von »ideas« beim Kind konzentrieren. Zum Vergleich der erkenntnistheoretischen Positionen Lockes und Humes vgl. Alfred J. Ayer/Raymond Winch (Hg.): British Empirical Philosophers. Locke, Berkeley, Hume, Reid and J. S. Mill, 4. Aufl. London 1965 (1. Aufl. 1952); Jonathan Bennett: Locke, Berkeley, Hume. Central Themes, Oxford 1971; John J. Richetti: Philosophical Writing. Locke, Berkeley, Hume, Cambridge 1983. 95 Dass es in dieser Hinsicht auch widersprüchliche Aussagen Humes gibt, die vermuten lassen, dass er Farbige doch als geistig minderwertig ansieht (vgl. seinen Essay Of National Characters), wird an anderer Stelle dieser Arbeit noch diskutiert. S. hierzu auch Anm. 281 mit den entsprechenden Literaturhinweisen. 96 Entgegen der Skepsis, mit der Hume im Treatise die Frage des Abbildcharakters von Perzeptionen diskutiert (vgl. v. a. T 1.4.1 und 2; SBN 180 ff. und SBN 187 ff. [›Of scepticism with regard to reason‹ und ›Of scepticism with regard to the senses‹]), geht er hier offensichtlich davon aus, dass von der Vorstellung umstandslos auf die Umwelt geschlossen werden kann. 94

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

schiedlichen Formen von Lebensgestaltungen für eine weitere Differenzierung des umfangreichen Perzeptionsreservoirs »Kultur« sorgt: Nicht alle, sondern nur spezifische kulturelle Erscheinungen werden von Hume geschätzt, so dass in diesem Falle die Vorstellung von »Kultur« selektiv und normativ wirkt. Nur diejenigen vergangenen oder zukünftigen Äußerungsformen menschlichen Denkens und Handelns werden als »Kultur« anerkannt, deren zugehörige Eindrücke bzw. Vorstellungen von einem zustimmenden Affekt begleitet sind und in denen Hume, so meine Hypothese, ein Modell für zukünftiges Denken und Handeln erblicken kann. Dass die Affekte gegenüber kulturellen Objekten und Sachverhalten nicht willkürlich entstehen, sondern auf Beispiel und individueller ›Affektgeschichte‹ basieren, hatte Hume bereits im 2. Buch des Treatise notiert: I may add […] that general rules have a great influence upon pride and humility, as well as on all the other passions. […] Custom readily carries us beyond the just bounds in our passions, as well as in our reasonings. […] For ’tis evident, that if a person fullgrown, and of the same nature with ourselves, were on a sudden transported into our world, he would be very much embarrass’d with every object, and wou’d not readily find what degree of love or hatred, pride or humility, or any other passion he ought to attribute to it. (T 2.1.6.8f.; SBN 293 f.)

Aus dem oben Dargelegten lässt sich der Schluss ziehen, dass in der vorliegenden Untersuchung strenggenommen nicht nur von einer, sondern von zwei Kulturauffassungen Humes gesprochen werden müsste. Denn einerseits kann bei Hume als »Kultur« all das firmieren, was überhaupt als Äußerungsform menschlichen Denkens und Handelns erkennbar ist, andererseits aber wird nur das als »Kultur« im engeren Sinne verstanden, was sich seiner Zustimmung sicher sein kann. Humes sowohl deskriptives als auch normatives Verständnis von »Kultur«, so wie es hier dargestellt wurde und in der folgenden Analyse noch zu untersuchen sein wird, gleicht also einer Kippfigur, die das Changieren seiner Betrachtungsweise möglich macht. Daher muss die Analyse der Kulturauffassung Humes, die anhand ausgewählter Interessenschwerpunkte seiner Schriften durchgeführt werden soll, diese zweifache Wertigkeit berücksichtigen. Eine nähere Betrachtung menschlicher Geschichte liefert zahllose Beispiele für die unterschiedlichsten Weisen der Weltzuwendung und -bewertung: Diese freilich erklärungsbedürftige Beobachtung war auch Hume nicht fremd. Die Alltagserfahrung belehrt ausgiebig darüber, wie Menschen das Verhalten anderer billigen oder missbilligen, wie sie sich von ihrem Äußeren angezogen oder abgestoßen fühlen und wie sie Gleichgültigkeit oder Bewunderung für die verschiedenen Produkte menschlicher Kunst und der Natur empfinden. Im Essay Of the Standard of Taste notiert Hume 1757:

Das Wirken von Verstand und Affekt in Humes Kulturauffassung

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The great variety of Taste, as well as of opinion, which prevails in the world, is too obvious not to have fallen under every one’s observation. Men of the most confined knowledge are able to remark a difference of taste in a narrow circle of their acquaintance, even where the persons have been educated under the same government, and have early imbibed the same prejudices. But those, who can enlarge their view to contemplate distant nations and remote ages, are still more surprised at the great inconsistence and contrariety. We are apt to call barbarous whatever departs widely from our own taste and apprehension: But soon find the epithet of reproach retorted to us. […] The sentiments of men often differ with regard to beauty and deformity of all kinds, even while their general discourse is the same. (ES, 226)

An dieser Passage wird deutlich, dass ein näheres Eingehen auf Humes Konzept des ›Geschmacks‹, das vor allem in seinen Überlegungen zur Ästhetik und Ethik eine große Rolle spielt, unerlässlich ist. Im Folgenden soll daher überprüft werden, ob dieses Konzept – ohne von Hume selbst für solche Zwecke verwendet worden zu sein – a) als bedeutendes Konstituens seiner Kulturauffassung auszumachen ist und b) für den Interpreten seiner Schriften möglicherweise ein geeignetes Deutungsmuster darstellt, mit dessen Hilfe das in unterschiedlichen inhaltlichen Zusammenhängen zutage tretende Kulturverständnis (zumal in dessen normativer Ausprägung) als eine spezifische Form dessen aufgefasst werden kann, was Hume unter dem Begriff ›Geschmack‹ subsumiert.97 Sollten sich die Hypothesen a) und b) als tragfähig für die

Zur Verwendung des Geschmacksbegriffs allgemein und zu seinem Gebrauch im 18. Jahrhundert im besonderen vgl. R. W. Babcock: »The Idea of Taste in the 18th Century«, in: Publications of the Modern Language Association of America (PMLA) 50 (1935), S. 922–926; Friedrich Schümmer: »Die Entwicklung des Geschmacksbegriffs in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts«, in: Archiv für Begriffsgeschichte 1 (1955), S. 120–144; Hannelore Klein: There is no Disputing about Taste. Untersuchungen zum englischen Geschmacksbegriff im 18. Jahrhundert, Münster 1967; Karlheinz Stierle/Hannelore Klein/Friedrich Schümmer: Art. »Geschmack«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Darmstadt 1974, Sp. 444–456; Andrew Hemingway: »The ›Sociology‹ of Taste in the Scottish Enlightenment«, in: The Oxford Art Journal 12 (1989), S. 3–35; David A. Whewell: Art. »taste«, in: David E. Cooper (Hg.): A Companion to Aesthetics, Oxford 1995, S. 415–418 (mit besonderer Fokussierung auf Humes Geschmackskonzept); Rudolf Lüthe/Martin Fontius: Art. »Geschmack/Geschmacksurteil«, in: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 2, Stuttgart 2001, S. 792–819. Für Walter John Hipple stellt es eine Merkwürdigkeit dar, dass Hume zwar zu den originellsten Denkern des 18. Jhdts. gehörte, aber offenbar nur geringen Einfluss auf die ästhetischen Debatten seiner Zeit hatte (The Beautiful, the Sublime and the Picturesque in Eighteenth Century British Aesthetic Theory, Carbondale 1957, S. 37). Nach Ansicht von Giancarlo Carabelli ist sowohl für die Ästhetik als auch für die Ethik Humes das Konzept der ›goldenen Mitte‹ zentral (On Hume and Eighteenth-Century Aesthetics. The Philosopher on a Swing, New York 1995). Die Verschränkung von Anthropologie und Ästhetik, besonders in den Konzepten von Adam Smith und Hume, ist Ausgangspunkt der Arbeit von Nicola Glaubitz: Der Mensch und seine Doppel. Perspektiven einer anthropologischen Denkfigur in Philosophie und Roman der schottischen Aufklärung, Sankt Augustin 2003 (zugl. Diss. Siegen 2002). 97

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Interpretation erweisen und damit unter Beweis stellen, dass sich sein Konzept des Geschmacks ertragreich auch auf seine eigenen Aussagen applizieren lässt, so ließe sich daraus folgern, dass die innerhalb dieser Studie auf Humes Auffassung von Kultur bezogenen Fragestellungen und Kriterien wohl keinesfalls außerhalb seines Blickfeldes lagen, wiewohl es von seiner Seite aus eben nicht zu einer die eigenen Voraussetzungen reflektierenden Analyse dieses Konzepts gekommen ist. Eine diese Aufgabe quasi ›nachholende‹ Untersuchung wie die vorliegende wird dann auch die Frage zu beantworten haben, ob sich bereits mit der bloßen Ermittlung des Humeschen Konzepts von Geschmack die Analyse seiner Kulturauffassung erschöpft oder ob weitere und für das Verständnis dieser Auffassung wichtige, jedoch im Geschmackskonzept nicht berücksichtigte Aspekte mit einzubeziehen sind.

4. Humes Konzept des Geschmacks a) ›Geschmack‹ im Treatise Humes Aussagen über den Geschmack finden sich in konzentrierter Form vor allem in seinen Essays Of the Delicacy of Taste and Passion (1742) und in Of the Standard of Taste (1758), wiewohl er sich auch im Treatise und in den Enquiries über ihn äußert. Dort begegnet der Geschmack zunächst als wichtiges Phänomen im Zuständigkeitsbereich der Humeschen Anthropologie. Hume versteht unter ›Geschmack‹ das sich in einem ethischen oder ästhetischen Urteil ausdrückende Gefühl des Gefallens oder Missfallens bezüglich eines aus ethischer oder ästhetischer Perspektive bewerteten Sachverhalts.98 Zu Beginn des zweiten Buches des Treatise subsumiert Hume diese

Daher erklärt sich der spezifische Zuständigkeitsbereich von Ethik und Kritik, wie ihn Hume in der Einleitung des Treatise benennt: »Morals and criticism regard our tastes and sentiments […].« (T Introduction, 5; SBN xv) Humes Verfahren einer rein empirisch verfahrenden Anthropologie konzentriert sich auf die Beschreibung relevanter Sachverhalte und verzichtet auf die Festlegung eines Systems ethisch oder ästhetisch normativer Prinzipien. Hume betrachtet die Ethik und Kritik als urteilende, aber nicht als präskriptive Disziplinen. Sein Konzept des »criticism« und der diesbezüglich relevante ›Geschmack‹ seien daher, wie Astrid von der Lühe betont, nicht mit einer ›Ästhetik‹ im umfassenden Sinne gleichzusetzen (Hume erstelle keine ›Theorie des Schönen‹), da sie auf die Analyse ästhetischer Urteile zielten (David Humes ästhetische Kritik, Hamburg 1995, S. 11). Zur Bewertung der Humeschen Beschäftigung mit ästhetischen Fragestellungen vgl. zuletzt den konzisen Forschungsüberblick bei Timothy M. Costelloe: »Hume’s Aesthetics. The Literature and Directions for Research«, in: Hume Studies 30 (2004), S. 87–126. Zwar weist Costelloe zu Recht auf die fehlende Systematik in den Humeschen Aussagen zu ästhetischen Fragen hin, doch ist sein darüber hinaus erhobener Vorwurf, »an ›examination of…critisism‹ […] remained unrealized« (ebd., S. 88), unberechtigt, da Hume sich durchaus mit der Entstehung und den verschiedenen Formen des für den ›criticism‹ wichtigen Geschmacks auseinandersetzt. Zum Verhältnis der ästhetischen Konzepte bei 98

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ethischen bzw. ästhetischen Lust- bzw. Unlustgefühle unter die ruhigen Eindrücke der Selbstwahrnehmung (›calm reflective impressions‹); in ihnen zeige sich »[…] the sense of beauty and deformity in action, composition, and external objects.« (T 2.1.1.3; SBN 276) Mit dem Hinweis auf unterschiedliche Grade der Intensität grenzt Hume diese als ruhig bezeichneten Gefühle (›emotions‹) von den heftigen Eindrücken (›passions‹) wie z. B. Kummer oder Furcht ab, wenngleich er zugesteht: »This division is far from being exact. The raptures of poetry and music frequently rise to the greatest height; while those other impressions, properly call’d passions, may decay into so soft an emotion, as to become, in a manner, imperceptible.« (ebd.) Der Geschmack ist ein Gefühl, dem zugleich eine sensorische Qualität eignet, insofern nur mit ihm spezifische Beschaffenheiten beispielsweise des menschlichen Verhaltens zu identifizieren sind (Hume nennt hier die Gewitztheit, ›wit‹), für die offenbar kein anderer ›Wahrnehmungsdetektor‹ vorgesehen ist: Nothing flatters our vanity more than the talent of pleasing by our wit, good humour, or any other accomplishment; and nothing gives us a more sensible mortification than a disappointment in any attempt of that nature. No one has ever been able to tell what wit is, and to show why such a system of thought must be receiv’d under that denomination, and such another rejected. ’Tis only by taste we can decide concerning it, nor are we possest of any other standard, upon which we can form a judgment of this kind. Now what is this taste, from which true and false wit in a manner receive their being, and without which no thought can have a title to either of these denominations? ’Tis plainly nothing but a sensation of pleasure from true wit, and of uneasiness from false, without our being able to tell the reasons of that pleasure or uneasiness. (T 2.1.7.7; SBN 297)

In dieser Passage werden zwei Aspekte der Humeschen Grundannahmen und methodischen Weichenstellungen erkennbar, die sich auf das Verhältnis von Ethik und Ästhetik sowie auf die Rolle der Affekte beziehen. Erstens macht sich hier der essentialismuskritische, für Humes Ethik entscheidende Grundgedanke geltend, dass, vom empiristischen Standpunkt betrachtet, die Sittlichkeit oder Unsittlichkeit des Verhaltens anderer Menschen (oder auch unseres eigenen) keine Gegenstände der Vernunfterkenntnis sein können. Denn die von uns verwendeten Begriffe ›Tugend‹ oder ›Laster‹, so Hume, der hier der vor allem von Shaftesbury und Hutcheson verfochtenen Lehre vom moral sense folgt, können sich nur auf die von uns durch Introspektion wahrnehmbare emotionale Wertschätzung oder Verurteilung der als ›Tugend‹ oder ›Laster‹ bezeichneten »Affekte, Motive, Willensentschließungen oder Gedanken« (TRN3, 210) eines von Hutcheson, Hume und Turnbull vgl. auch Alexander Broadie »Art and aesthetic theory«, in: ders. (Hg.): The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment, Cambridge 2003, S. 280–297.

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uns in moralischer Hinsicht bewerteten Menschen beziehen, nicht aber auf Tugend oder Laster selbst, da diesen Begriffen kein von dieser Rezeption unabhängig beobachtbarer Sachverhalt entspricht.99 Zweitens nun, und dieses Verfahren könnte man als die Humesche ›Selbstbegrenzung empirischer Erkenntnis‹ bezeichnen100, deklariert der schottische Philosoph diese Gefühle zugleich als nicht mehr weiter hintergehbare ›matters of fact‹, deren Charakteristika und Erscheinungsgewohnhei-

99 Im dritten Buch des Treatise heißt es daher: »[M]orality consists not in any relations, that are the objects of science; but if examin’d, [it] will prove with equal certainty, that it consists not in any matter of fact, which can be discover’d by the understanding. […] Take any action allow’d to be vicious: Wilful murder, for instance. Examine it in all lights, and see if you can find that matter of fact, or real existence, which you call vice. In whichever way you take it, you find only certain passions, motives, volitions, and thoughts. There is no other matter of fact in the case. The vice entirely escapes you, as long as you consider the object. You never can find it, till you turn your reflection into your own breast, and find a sentiment of disapprobation, which arises in you, towards this action. Here is a matter of fact; but ’tis the object of feeling, not of reason. It lies in yourself, not in the object.« (T 3.1.1.26; SBN 468 f.) Dieses ›sentiment of disapprobation‹ ist jedoch kein nur privates Gefühl des Missfallens, sondern beruht auf Prinzipien, die, wie Hume in der zweiten Enquiry schreibt, »are social and universal: They form, in a manner, the party of human kind against vice and disorder […].« (E2 9.9; SBN 275) Zur Stellung Humes innerhalb der moral-sense-Debatten des 18. Jahrhunderts vgl. R. I. Markus: »Hume: Reason and Moral Sense«, in: Philosophy and Phenomenological Research 13 (1952), S. 139–158; Peter Kivy: The Seventh Sense. A Study of Francis Hutcheson’s Aesthetics and its Influence in Eighteenth-Century Britain, 2. Aufl. Oxford 2003 (zuerst New York 1976) (bes. S. 139 ff.); Wolfgang H. Schrader: Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. Der Wandel der moral-sense-Theorie von Shaftesbury bis Hume, Hamburg 1984; J. Martin Stafford: »Hutcheson, Hume and the Ontology of Morals«, in: Journal of Value Inquiry 19 (1985), S. 133–151; Wolfgang H. Schrader: »Das Problem des Norm- und Wertewandels in der englischen Philosophie des 18. Jahrhunderts (Shaftesbury, Mandeville, Hume)«, in: Wolfgang Kluxen (Hg.): Tradition und Innovation, Hamburg 1988, S. 281–289; Bernd Gräfrath: »Moral Sense« und praktische Vernunft. David Humes Ethik und Rechtsphilosophie, Stuttgart 1991. Über die Verbindung der Konzepte von ›moral sense‹ und ›sympathy‹ (v. a. bei Adam Smith) vgl. jüngst Ulli F. H. Rühl: Moralischer Sinn und Sympathie. Der Denkweg der schottischen Aufklärung in der Moral- und Rechtsphilosophie, Paderborn 2005. Zum Verhältnis der Positionen Hutchesons und Humes vgl. zuletzt David Fate Norton: »Hume and Hutcheson: The Question of Influence«, in: Oxford Studies in Early Modern Philosophy 2 (2005), S. 211–256. Zum dezidierten Verzicht Humes, seiner Ethik ein religiöses Fundament zu schaffen, vgl. auch Isabel Rivers: »The ethics of sentiment and the religious hypothesis: Hume and his critics«, in: dies.: Reason, Grace and Sentiment. A Study of the Language of Religion and Ethics in England, 1660–1780. Vol. II: Shaftesbury to Hume, Cambridge 2000, S. 238–329. Zu Shaftesbury vgl. zuletzt Astrid von der Lühe: »Aisthesis – synaisthesis – sensus communis. Shaftesburys Entdeckung des moralischen Gefühls«, in: Hans Adler/Ulrike Zeuch (Hg.): Synästhesie. Interferenz – Transfer – Synthese der Sinne, Würzburg 2002, S. 185–203. 100 Dieses seine Forschungen leitende Prinzip der Selbstbegrenzung formuliert Hume in der Einleitung des Treatise: »And tho’ we must endeavour to render all our principles as universal as possible, by tracing up our experiments to the utmost, and explaining all effects from the simplest and fewest causes, ’tis still certain we cannot go beyond experience; and any hypothesis, that pretends to discover the ultimate original qualities of human nature, ought at first to be rejected as presumptious and chimerical.« (T Introduction, 8; SBN xvii).

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ten zwar beschrieben, jedoch nicht auf ihre letzten Prinzipien zurückgeführt werden können. Diese Konzeptionalisierung des ›ethischen‹ Geschmacks findet ihre Entsprechung in Humes Konzept der Kritik (›criticism‹). Wie sich auf der einen Seite Tugend und Laster erst ›im Auge des Betrachters‹ bzw. in einer spezifischen101, der Beobachtung zugänglichen emotionalen Reaktion – in Form eines ethischen Urteils – konstituieren, so gilt auf der anderen Seite auch für ›Schönheit‹ oder ›Hässlichkeit‹, dass sie für Hume nicht als von der Beobachtung unabhängige Attribute von Personen, Tieren oder Gegenständen behandelt werden können, sondern Bezeichnungen für die sich in der Selbstwahrnehmung offenbarenden, in verschiedenen Graden abgestuften emotionalen Reaktionen sind, die sich als Lust oder Unlust äußern.102 Aufgrund der immensen Bedeutung, die Hume den Emotionen auch im Rahmen der ästhetisch urteilenden Wahrnehmung zugesteht, nimmt es nicht weiter wunder, dass die in dieser Hinsicht entscheidenden Aussagen im zweiten Buch des Treatise (›Of Passions‹) zu finden sind. Auch hier spielt der Geschmack eine entscheidende Rolle: If we consider all the hypotheses, which have been form’d either by philosophy or common reason, to explain the difference betwixt beauty and deformity, we shall find that all of them resolve into this, that beauty is such an order and construction of parts, as either by the primary constitution of our nature, by custom, or by caprice, is fitted to give a pleasure and satisfaction to the soul. This is the distinguishing character of beauty, and forms all the difference betwixt it and deformity, whose natural tendency is to produce uneasiness. Pleasure and pain, therefore, are not only necessary attendants of Hume ist davon überzeugt, dass das Gefühl der Lust je nach Bezugspunkt (ethisch/moralisch) eine andere Färbung aufweist: »[T]he distinguishing impressions, by which moral good or evil is known, are nothing but particular pains or pleasures […]. We do not infer a character to be virtuous, because it pleases: But in feeling that it pleases after such a particular manner, we in effect feel that it is virtuous. The case is the same as in our judgments concerning all kinds of beauty, and tastes, and sensations. Our approbation is imply’d in the immediate pleasure they convey us.« (T 3.1.2.3; SBN 471) Für ihn besteht kein Zweifel, dass im Gegensatz zur spärlichen Terminologie die Möglichkeit der genaueren emotionalen Distinktion durchaus gegeben ist: »A good composition of music and a bottle of good wine equally produce pleasure; and what is more, their goodness is determin’d merely by the pleasure. But shall we say upon that account, that the wine is harmonious, or the music of a good flavour? […] It seldom happens, that we do not think an enemy vicious, and can distinguish betwixt his opposition to our interest and real villainy or baseness. But this hinders not, but that the sentiments are, in themselves, distinct; and a man of temper and judgment may preserve himself from these illusions.« (T 3.1.2.4; SBN 472) Der letzte Satz verdeutlicht, dass für Hume die Qualität eines ästhetischen (und – so darf ergänzt werden – ethischen) Urteils von Mensch zu Mensch variieren kann. Die Ursache für diese Differenzen wird später noch zu thematisieren sein. 102 In der ersten Enquiry formuliert Hume: »Morals and Criticism are not so properly objects of the understanding as of taste and sentiment. Beauty, whether moral or natural, is felt, more properly than perceived.« (E1 12.33; SBN 165). 101

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beauty and deformity, but constitute their very essence. And indeed, if we consider, that a great part of the beauty, which we admire either in animals or in other objects, is deriv’d from the idea of convenience and utility, we shall make no scruple to assent to this opinion. That shape, which produces strength, is beautiful in one animal; and that which is a sign of agility in another. The order and convenience of a palace are no less essential to its beauty, than its mere figure and appearance. In like manner the rules of architecture require, that the top of a pillar shou’d be more slender than its base, and that because such a figure conveys us the idea of security, which is pleasant; whereas the contrary form gives us the apprehension of danger, which is uneasy. From unnumerable instances of this kind, as well as from considering that beauty like wit, cannot be defin’d, but is discerned only by a taste or sensation, we may conclude, that beauty is nothing but a form, which produces pleasure, as deformity is a structure of parts, which conveys pain; and since the power of producing pain and pleasure makes in this manner the essence of beauty and deformity, all the effects of these qualities must be deriv’d from the sensation […]. (T 2.1.8.2; SBN 299)

Ein erster Grundsatz der Humeschen Ästhetik besagt also, dass die Wahrnehmung von Schönheit und Hässlichkeit immer von einem für diese Erfahrung spezifischen Gefühl der Lust bzw. der Unlust begleitet wird. Denn nicht jedes Gefühl der Lust oder Unlust muss notwendig durch ein ästhetisches Phänomen verursacht sein: Wie soeben bereits gezeigt wurde, ist für Hume auch das Gewahrwerden tugendhaften Verhaltens von einem spezifischen, nur hierauf bezogenen Lustgefühl begleitet.103 Zwar bestreitet Hume explizit die Möglichkeit, Schönheit definieren zu können, doch lassen seine dem Gebiet der Baukunst entlehnten Beispiele – in denen sich die architektonischen Konzepte Claude Perraults (dessen Bruder Charles die Querelle des Anciens et des Modernes entscheidend prägte) und Vitruvs spiegeln104 – den Schluss zu, dass die Entstehung ästhetischer Urteile dem konstanten Wirken spezifischer Prinzipien zuzuschreiben ist. So ist es offenbar für Hume auch keine Frage des Zufalls, welche Form und welche Struktur die vom Menschen bewunderten Gegenstände aufweisen müssen, um das Gefühl des ästhetischen Wohlgefallens hervorzurufen und als ›schön‹ bezeichnet zu werden. Humes Beispiele im Treatise, die Belebtes (Körperbau der Tiere) und Unbelebtes (Architektur) umfassen, sollen deutlich machen, dass Dinge gleich welcher Art (ob natürlich gewachsen oder vom Menschen erschaffen) dann als schön empfunden wer-

Das ethische Geschmacksurteil ist nach Hume dadurch ausgezeichnet, dass es von den Interessen des Urteilenden völlig absieht: »’Tis only when a character is consider’d in general, without reference to our particular interest, that it causes such a feeling or sentiment, as denominates it morally good or evil.« (T 3.1.2.4; SBN 472). 104 Zur Nähe der Konzepte Perraults und Vitruvs zu demjenigen Humes vgl. die Anm. 2 von David Fate Norton/Mary J. Norton in T, 497. 103

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den, wenn sie zweckdienlich, ausgewogen proportioniert und – dies soll für Artefakte gelten – natürlich erscheinen.105 Das empiristische Selbstverständnis, gemäß dem Hume zunächst nicht mehr beabsichtigt, als die Zusammenhänge zu beschreiben, die seiner Ansicht nach zwischen den spezifisch getönten Empfindungen der Lust oder Unlust und der Beurteilung Offensichtlich bot sich Hume zur Veranschaulichung dieser Aspekte das Beispiel der Architektur bevorzugt an. So bezieht sich auch das in seiner wahrscheinlich ersten Arbeit, dem Essay Concerning Chivalry and Modern Honour (auf den später noch genauer einzugehen sein wird), geäußerte ästhetische Urteil auf einen Vergleich der antiken griechischen mit der gotischen Architektur. Die griechischen Bauwerke bezeichnet Hume als »plain, simple, regular […], majestic & beautyful«, ihr Bau orientiere sich an »Nature & a just Simplicity«. Die gotischen Gebilde hingegen »run into a wild Profusion of Ornaments«, mit ihren »rude Embellishments« zeige ihre gesamte Komposition nichts als ein »heap of Confusion, & Irregularity« (EC, 58). Im Essay Of Simplicity and Refinement in Writing benennt Hume die ›rezeptive Überforderung‹ als Ursache für ästhetisches Missfallen: »As the eye, in surveying a GOTHIC building, is distracted by the multiplicity of ornaments, and loses the whole by its minute attention to the parts; so the mind, in perusing a work overstocked with wit, is fatigued and disgusted with the constant endeavour to shine and surprize.« (ES, 192 f.) Zum Niederschlag des Ordnungsgedankens in der schottischen Architektur des 18. Jahrhunderts vgl. Thomas A. Markus: »Buildings and the Ordering of Minds and Bodies«, in: Peter Jones (Hg.): Philosophy and Science in the Scottish Enlightenment, Edinburgh 1988, S. 169–224. Die oben erwähnte Zweckdienlichkeit eines Gegenstandes muss aber, so betont Hume im Treatise, in der Praxis gar nicht in Anspruch genommen werden, um als schön empfunden zu werden: »[W]here any object, in all its parts, is fitted to attain any agreeable end, it naturally gives us pleasure, and is esteem’d beautiful, even tho’ some external circumstances be wanting to render it altogether effectual. ’Tis sufficient if every thing be compleat in the object itself. A house, that is contriv’d with great judgment for all the commodities of life, pleases us upon that account; tho’ perhaps we are sensible, that no one will ever dwell in it. A fertile soil, and a happy climate, delight us by a reflection on the happiness which they wou’d afford the inhabitants, tho’ at present the country be desart and uninhabited. A man, whose limbs and shape promise strength and activity, is esteem’d handsome, tho’ condemn’d to perpetual imprisonment. The imagination has a set of passions belonging to it, upon which our sentiments of beauty much depend. These passions are mov’d by degrees of liveliness and strength, which are inferior to belief, and independent of the real existence of their objects.« (T 3.3.1.20; SBN 584 f.) Diese Argumentation ist äußerst folgenreich: Denn indem Hume nun neben der tatsächlichen Zweckdienlichkeit von Objekten auch eine bloß vorgestellte als Ursache ästhetischer Lust gelten lässt, weist er der Vorstellung (›imagination‹) eine wichtige Rolle nicht nur im Rahmen der Wahrnehmung alltäglicher Gegenstände (wie z. B. Haus, Boden oder Klima) zu, sondern auch bei der Rezeption von Kunstwerken oder auch von Literatur. So können neben der oben von Hume genannten, von Entzücken begleiteten Wahrnehmung eines tatsächlich kräftigen und gewandten Mannes auch beispielsweise ein Gemälde oder eine literarische Beschreibung, die einen solchen Mann darstellen (unabhängig von ›the real existence of their objects‹), ein solches Wohlgefühl erzeugen. Ein solcher Mann als Akteur auf der Bühne (oder als Held eines Romans) würde zudem nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein ethisches Urteil herausfordern, insofern der Zuschauer (oder der Leser) neben der äußeren Erscheinung auch den (in der Handlung sichtbar werdenden) Charakter beurteilt. Kunst hat für Hume, nicht zuletzt in Bezug auf ihre Natürlichkeit, Abbildcharakter. Dass hier im Essay Of Simplicity and Refinement in Writing Gesagte trifft somit nicht nur auf Werke der Literatur, sondern auch auf solche der Malerei oder Bildhauerkunst zu: »[P]roductions, which are merely surprising, without being natural, can never give any lasting 105

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diverser Gegenstände als ›schön‹ oder ›hässlich‹ bestehen, ist bei ihm zugleich mit einer von ihm nicht weiter begründeten, aber dennoch für allgemeingültig erklärten Gleichsetzung des Schönen mit dem Natürlichen, Einfachen und Ebenmäßigen amalgamiert; mit diesem Katalog schließt sich Hume an ästhetische Konzepte an, die zuvor beispielsweise von Cicero, Vitruv oder Alberti vertreten worden waren.106 Die Menschen, so lässt sich Humes im Treatise vertretene Auffassung verstehen, sind nicht allein in ihrem alltäglichen Umgang untereinander und in ihrer Stellung zur gegenständlichen Welt permanent zu affektiven Reaktionen herausgefordert, sondern schaffen sich mit spezifischen kulturellen Bereichen und Aktivitäten, wie z. B. den bildenden Künsten, der Musik, dem Theater oder der Dichtung ein zusätzliches Reservoir an ›Affekttriggern‹. Der ›Geschmack‹ als das spezifische Gefühl eines ästhetischen Urteils – aber diese Schlussfolgerung gilt auch für das moralische Urteil – ist also eine affektive Stellungnahme zu einer Welt, die mal mit mehr, mal mit weniger ›gereizter‹ Vorstellungskraft erfahren wird.

b) ›Geschmack‹ in Of the Delicacy of Taste and Passion Im Unterschied zu einer Untersuchung des Geschmacks, deren Aufmerksamkeit, wie im Treatise, mehr auf Prinzipien gerichtet ist, die sein Zustandekommen ermöglichen, zeigen die Essays Of the Delicacy of Taste and Passion (1742) und in Of the Standard of Taste (1758), wie Hume eine stärker erfahrungs- und beispielgesättigte Perspektive auf das Thema ›Geschmack‹ einnimmt. Wo im Treatise die Allgemeingültigkeit der in der menschlichen Natur wirkenden Prinzipien den roten Faden der Humeschen Argumentation bildet107, hebt Of the Delicacy of Taste and Passion mit der Beobachtung einer Differenz an:

entertainment to the mind. To draw chimeras is not, properly speaking, to copy or imitate. The justness of the representation is lost, and the mind is displeased to find a picture, which bears no resemblance to any original.« (ES, 192). 106 Vgl. Marcus Tullius Cicero: De oratore. Über den Redner. Lateinisch und deutsch. Übers., komm. und hg. v. Harald Merklin, Stuttgart 1976; Vitruv: De architectura libri decem. Zehn Bücher über Architektur. Lateinisch und deutsch. Übers. v. Curt Fensterbusch, 5. Aufl. Darmstadt 1991; Leon Battista Alberti: Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei. Lateinisch und deutsch. Hg., eingel., übers. und komm. von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin, Darmstadt 2000. 107 So heißt es beispielsweise in einer Anmerkung im dritten Buch des Treatise: »In what sense we can talk either of a right or a wrong taste in morals, eloquence, or beauty, shall be consider’d afterwards. In the mean time, it may be observ’d, that there is such an uniformity in the general sentiments of mankind, as to render such questions of but small importance.« (T 3.2.8.8n; SBN 547) Hier gilt es aber zu beachten, dass Humes Formulierung des »richtigen oder unrichtigen Geschmack[s]« (TRN3, 298) die Entscheidungshoheit in Fragen des Affekts keinesfalls der Vernunft überlässt, denn Gefühle, wie z. B. auch die ästhetische oder moralische Billigung bzw. Missbilligung,

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Some People are subject to a certain delicacy of passion, which makes them extremely sensible to all the accidents of life, and gives them a lively joy upon every prosperous event, as well as a piercing grief, when they meet with misfortunes and adversity. […] People of this character have, no doubt, more lively enjoy ments, as well as more pungent sorrows, than men of cool and sedate tempers […]. (ES, 3 f.)

Für Hume steht ausser Frage, dass es dem Wohl des Einzelnen und seinem »conduct of life« (ES, 4) zuträglicher ist, wenn er sich nicht von den Leidenschaften, seien sie angenehmer oder unangenehmer Art, mitreissen lässt, denn, so lautet seine illusionsfreie Einsicht: »Great pleasures are much less frequent than great pains […].« (ebd.) Angesichts der zumeist nicht beherrschbaren Widrigkeiten des alltäglichen Lebens, worunter Hume an dieser Stelle offenbar die Launen gesellschaftlicher Anerkennung (»honour or mark of distinction« [ES, 4]) versteht, warnt er vor einer zu intensiven Feinfühligkeit und rät statt dessen zu Gelassenheit. Dieser Hinweis bezieht sich jedoch, wohlgemerkt, nur auf die Affekte, die ihren Ursprung in der günstigen oder ungünstigen Beurteilung der eigenen Person durch die Gesellschaft haben. Daneben gibt es für Hume auch noch die Feinfühligkeit des ästhetischen Geschmacks (»delicacy of taste« [ebd.]), die, wie die Feinfühligkeit der Leidenschaften, von Person zu Person variieren kann: When you present a poem or a picture to a man possessed of this talent, the delicacy of his feeling makes him be sensibly touched with every part of it; nor are the masterly strokes perceived with more exquisite relish and satisfaction, than the negligences or absurdities with disgust and uneasiness. A polite and judicious conversation affords

sind der vernünftigen Kategorisierung ›wahr/falsch‹ gar nicht zugänglich: »A passion is an original existence, or, if you will, modification of existence, and contains not any representative quality, which renders it a copy of any other existence or modification. When I am angry, I am actually possest with the passion, and in that emotion have no more a reference to any other object, than when I am thirsty, or sick, or more than five foot high. ’Tis impossible, therefore, that this passion can be oppos’d by, or be contradictory to truth and reason; since this contradiction consists in the disagreement of ideas, consider’d as copies, with those objects, which they represent.« (T 2.3.3.5; SBN 415) Damit schließt Hume jedoch nicht aus, dass die einen Affekt verursachenden Eindrücke bzw. Vorstellungen ›wahr‹ oder ›falsch‹ im Sinne von ›dem Perzeptionsobjekt angemessen‹ oder ›unangemessen‹ sein können. So stufe ich beispielweise eine nur unscharf wahrgenommene Situation im Straßenverkehr als gefährlich ein und reagiere schreckhaft, obwohl sich die Verkehrslage bei späterer, umfassender Betrachtung als vollkommen ungefährlich herausstellt. Auch im Essay Of Eloquence verweist ein ›falscher Geschmack‹ zunächst nur auf Unwissenheit: »It is seldom or never found, when a false taste in poetry or eloquence prevails among any people, that it has been preferred to a true, upon comparison and reflection. It commonly prevails merely from ignorance of the true, and from the want of perfect models, to lead men into a juster apprehension, and more refined relish of those productions of genius.« (ES, 107) Das Bewusstwerden von Unterschieden und die Reflexion über den Aufbau und die Wirkung vorbildhafter Kunstwerke sind an dieser Stelle also die von Hume vorgeschlagenen Wege, um den Geschmack zu bilden.

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him the highest entertainment; rudeness or impertinence is as great a punishment to him. In short, delicacy of taste has the same effect as delicacy of passion: It enlarges the sphere both of our happiness and misery, and makes us sensible to pains as well as pleasures, which escape the rest of mankind. (ES, 4 f.)

Der feinfühlige Geschmack ist in Humes Augen eine Begabung (›talent‹), die mit Hilfe einer breiten zu Gebote stehenden Skala von Emotionen nicht nur eine überdurchschnittlich detaillierte Rezeption von – beispielsweise – Dichtung und Malerei ermöglicht, sondern auch die Qualität des sozialen Umgangs einzuschätzen versteht. Damit ist der Geschmack, wie es auch schon Humes Aussagen im zweiten Buch des Treatise (›Of Morals‹) mit Blick auf das ethische Urteil betont haben, auch ein ›soziales‹ Talent. An dieser Stelle ist der Hinweis wichtig, dass es Hume hier nur um den rezeptiven Aspekt des Geschmacks geht: ›Geschmack‹ wird hier nicht als für den Künstler notwendiges produktives Vermögen oder als die erst zur Gesellschaft tauglich machende Eigenschaft betrachtet, sondern stellt allein das zur Beurteilung von Kunstwerken oder sozialen Austauschgeschehen notwendige Vermögen dar. Wenn Hume auch beständig auf die willkommenen Folgen eines verfeinerten Geschmacks hinweist, so sollte nicht übersehen werden, dass aufgrund seines Hinweises, der fein ausgebildete Geschmack erweitere »the sphere both of our happiness and misery« (s. o., Hervorhebungen von mir), das Verständnis von ›Geschmack‹ nicht auf ein bloß die Annehmlichkeiten verstärkendes Vermögen reduziert werden darf, sondern durchaus auch die raffiniertere Sensibilität für Unannehmlichkeiten und Leiden mitbedenken muss. Wenn Hume die Kultur als den Ort und Geschichte als den Prozess versteht, in dem der Geschmack jedes Einzelnen sich verfeinern kann und soll, so stellt er sich unter diesem Vorgang und seinen jeweiligen Resultaten keinesfalls nur ein von intellektuellen und emotionalen Irritationen befreites Geschehen vor.108 Beide Arten von Feinfühligkeit einschätzend, bezieht Hume nun eindeutig Position: I believe, however, every one will agree with me, that, notwithstanding this resemblance, delicacy of taste is as much to be desired and cultivated as delicacy of passion is to be lamented, and to be remedied, if possible: The good or ill accidents of life are very little at our disposal; but we are pretty much masters what books we shall read, what diversions we shall partake of, and what company we shall keep. (ES, 5)

»Die unmittelbar affektive Natur des Menschen gilt es zu verfeinern, um eine gute Lebensweise zu ermöglichen. Das Streben nach dieser Verfeinerung ist die Kultur.« (Astrid von der Lühe: David Humes ästhetische Kritik, Hamburg 1995, S. 141). Zweifelsohne ist der Aspekt der Verfeinerung für Humes normatives Kulturverständnis von zentraler Bedeutung; doch da zu seiner Auffassung von ›Kultur‹ nicht nur dieser emphatische Gesichtspunkt gehört, lässt sie sich nicht auf seine Vorstellungen und Urteile über Prozesse rein intentionalen Handelns reduzieren. 108

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Die Feinfühligkeit in künstlerisch-ästhetischen oder sozialen Geschmacksfragen ist nach Humes Dafürhalten also nicht bloß von einem Talent abhängig, dessen Wirken sich dem eigenen Zutun entzieht, sondern eine zu schulende, zur Stellungnahme qualifizierende Kapazität des Menschen. Humes Auffassung der Kultivierung des Geschmacks setzt ein frei aus dem Angebot künstlerischer oder sozialer, geistiger, materieller wie performativer Produktionen wählendes Individuum voraus, dessen intellektuell-künstlerisches Geschmacksempfinden jedoch keinen Wert auf körperliche Annehmlichkeiten legt: »When a man is possessed of that talent, he is more happy by what pleases his taste, than by what gratifies his appetites, and receives more enjoyment from a poem or a piece of reasoning than the most expensive luxury can afford.« (ebd.) Der Geschmack ist hier auch zunächst das Kennzeichen eines Einzelnen, nicht das einer sozialen Gruppe oder Klasse. Die oben als erstrebenswert herausgestellte Kultivierung der Sensibilität des ›ästhetisch-sozialen‹ Geschmacks hat, so Humes Ansicht, auch den gewünschten mäßigenden Einfluss auf die Feinfühligkeit der Leidenschaften: »[…] [N]othing is so proper to cure us of this delicacy of passions, as the cultivating of that higher and more refined taste, which enables us to judge of the characters of men, of compositions of genius, and of the productions of the nobler arts.« (ES, 6) Zur Bildung des Geschmacks bedarf es jedoch einiger intellektueller Bemühungen, die sich allerdings für die gesamte Lebensführung auszahlen: In order to judge aright of a composition of genius, there are so many views to be taken in, so many circumstances to be compared, and such a knowledge of human nature requisite, that no man, who is not possessed of the soundest judgment, will ever make a tolerable critic in such performances. And this is a new reason for cultivating a relish in the liberal arts. Our judgment will strengthen by this exercise: We shall form juster notions of life […]. (ES, 6)

Geschmacksurteile gewinnen ihre Punktgenauigkeit – dieser Begriff meint hier nicht Wahrheit (›truth‹), sondern Angemessenheit (›juster notions‹) – also erst durch ihren ständig zu reflektierenden Bezug zu vergleichbaren Kunstwerken, Personen oder auch Handlungskonstellationen.109 Diese Reflexionen müssen aber, um zu angemessenen Urteilen zu führen, die historischen oder politischen Gegebenheiten berücksichtigen, die das Zustandekommen und die spezifische Prägung von Kunst begleiten. In der vergleichenden Auseinandersetzung mit ästhetisch-intellektuell aufbereiteten Fragestellungen und Lösungsvorschlägen bildet sich, so Hume, im Zuge der geschichtlichen Entwicklung jedes Einzelnen dessen Habitus einer zunehmend differenzierter werdenden emotionalen Beurteilung aller Lebenszusammenhänge heraus – nicht bloß Vgl. hierzu Shirley Robin Letwin: »Hume. Inventor of a New Task for Philosophy«, in: Political Theory 3 (1975), S. 134–158, bes. S. 139. 109

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der mit Kunst assoziierten. Zugleich bildet sich durch diese Beschäftigung, so Humes Überzeugung, eine emotional reflektierte Grundhaltung im Menschen aus, die Hume als »tranquility« und »agreeable melancholy« (ES, 7) bezeichnet. In dem bisher Gesagten lassen sich unschwer folgende Aspekte der Humeschen Kulturauffassung identifizieren: Die Wahrnehmung und Bewertung des kulturellen Lebens der eigenen oder fremden Gesellschaft sowie vergangener oder gegenwärtiger Gemeinwesen, zumal wenn sie sich auf deren Kunstwerke oder die spezifische Form des sozialen Umgangs richtet, ist zu einem großen Teil vom individualhistorisch variablen Geschmack abhängig. Die Entwicklungsgeschichte jedes einzelnen Menschen, so lässt sich mit Hume formulieren, könnte auch an der wechselhaften Geschichte seines Geschmacks erzählt werden.110 In gleichem Maße aber muss der sich in einer Kultur Bewegende über intellektuelle Kompetenzen verfügen, die, in Form eines vielseitig vernetzten ›Hintergrundwissens‹ und der Geübtheit im logischen Schließen, nicht nur für das Erfassen z. B. der ideellen, formalen und handwerklichen Besonderheiten eines Kunstwerks oder für das Erkennen der historisch gewachsenen politischen Zusammenhänge einer Gemeinschaft notwendig sind, sondern ebenso gut die verstandesgeleitete Überprüfung der Tragfähigkeit wissenschaftlicher Theorien zulassen.111 Man könnte aus diesem Grunde mit Hume die These formulieren, dass derjenige am meisten die Reichhaltigkeit des kulturellen Lebens zu erfassen und sich am geschicktesten in ihm zu bewegen vermag, der Verstand und ›kulturelle Empfindsamkeit‹ in sich zu verbinden versteht.

110 Hume geht von einem unaufhörlichen, kaleidoskopartigen und in seinen spezifischen Ausprägungen kaum vorhersehbaren Wechselspiel aus, das zwischen dem Verstand und den Affekten jedes einzelnen Menschen ausgetragen wird und Grund für die Individualität jedes Einzelnen ist. So vertritt Philo in den Dialogues Concerning Natural Religion folgende, auf Humes Epistemologie und Affektenlehre zurückführbare Position: »Nothing seems more delicate with regard to its causes than thought; and as these causes never operate in two persons after the same manner, so we never find two persons, who think exactly alike. Nor indeed does the same person think exactly alike at any two different periods of time. A difference of age, of the disposition of his body, of weather, of food, of company, of books, of passions; any of these particulars or others more minute, are sufficient to alter the curious machinery of thought, and communicate to it very different movements and operations.« (DR, 63) In Of the Standard of Taste wird diese Beobachtung an den wechselnden Vorlieben in der Literatur überprüft: »At twenty, OVID may be the favourite author; HORACE at forty; and perhaps TACITUS as fifty. […] We choose our favourite author as we do our friend, from a conformity of humour and disposition.« (ES, 244). 111 Im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, auf den später noch einzugehen sein wird, benennt Hume einige Voraussetzungen, die für die Etablierung einer durch Neugier (›curiosity‹) begründeten Wissenschaft notwendig sind: »[C]uriosity, or the love of knowledge, […] requires youth, leisure, education, genius, and example, to make it govern any person.« (ES, 113).

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c) ›Geschmack‹ in Of the Standard of Taste Der Essay Of the Standard of Taste112 stellt ebenfalls die Beobachtung von Differenzen an den Anfang: »The great variety of Taste, as well as of opinion, which prevails in the world, is too obvious not to have fallen under every one’s observation.« (ES, 226) Da Unterschiede in ›taste‹ und ›opinion‹113, wie Hume darlegt, auch bei solchen Menschen zu beobachten sind, die bereits seit geraumer Zeit eng miteinander

Folgende bibliographische Angaben mögen belegen, dass dieser Essay mit zu den am häufigsten untersuchten Arbeiten Humes gehört: Stuart Brown: »Observations on Hume’s Theory of Taste«, in: English Studies 20 (1938), S. 193–198; Ralph Cohen: »David Hume’s Experimental Method and the Theory of Taste«, in: English Literary History 25 (1958), S. 270–289; Peter Kivy: »Hume’s Standard of Taste. Breaking the Circle«, in: British Journal of Aesthetics 7 (1967), S. 57–66; Harold Osborne: »Hume’s Standard and the Diversity of Aesthetic Taste«, in: British Journal of Aesthetics 7 (1967), S. 50–56; Carolyn W. Korsmeyer: »Hume and the Foundations of Taste«, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 35 (1976), S. 201–215; J. J. A. Mooij: »Hume on Is-Ought and the Standard of Taste«, in: The Journal of Value Inquiry 14 (1980), S. 319–332; Sascha Talmor: »A Forgotten Classic: Hume’s ›Of the Standard of Taste‹«, in: Durham University Journal 75 (1982), S. 15–18; Noel Carroll: »Hume’s Standard of Taste«, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 43 (1984), S. 189–192; Jeffrey Wieand: »Hume’s Two Standards of Taste«, in: Philosophical Quarterly 34 (1984), S. 129–142; Christopher McLachlan: »Hume’s Standard of Taste«, in: Hume Studies 12 (1986), S. 18–38; Robert Ginsberg: »The Literary Structure and Strategy of Hume’s Essay on the Standard of Taste«, in: ders. (Hg.): The Philosopher as Writer. The Eighteenth Century, London 1987, S. 199–237; David Marshall: »Arguing by Analogy. Hume’s Standard of Taste«, in: EighteenthCentury Studies 28 (1995), S. 323–343; Jerrold Levinson: »Hume’s Standard of Taste: The Real Problem«, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 60 (2002), S. 227–238. 113 ›Opinion‹ wird von Hume oft als Synonym für ,belief‹ gebraucht; letzteres bezeichnet einen bestimmten Grad des Glaubens bzw. des Überzeugtseins, der unsere Vorstellungen begleitet und ihnen Lebendigkeit verleiht (vgl. auch Kap. III.2 dieser Studie). So lautet das von Hume zur Veranschaulichung gewählte Beispiel im ersten Buch des Treatise: »If one person sits down to read a book as a romance, and another as a true history, they plainly receive the same ideas, and in the same order; nor does the incredulity of the one, and the belief of the other hinder them from putting the very same sense upon their author. His words produce the same ideas in both; tho’ his testimony has not the same influence on them. The latter has a more lively conception of all the incidents […] [w]hile the former, who gives no credit to the testimony of the author, has a more faint and languid conception of all these particulars […].« (T 1.3.7.8; SBN 97 f.) Bei dem Bemühen, die unterschiedlichen Grade des Fürwahrhaltens darzulegen, unterläuft Hume der Fehler, alle anderen Vergleichsparameter wie z. B. die Inhalte der Vorstellungen auf ein gleiches Niveau zu setzen. Seine Erkenntnislehre fordert jedoch, dass die aus je individuellen Eindrücken stammenden Vorstellungen dieser beiden Leser ebenfalls individuell sein müssen, wenngleich sie durch ein gemeinsames sprachliches Zeichen repräsentiert werden können. Daher muss im oben genannten Beispiel eher davon ausgegangen werden, dass die beiden Leser nicht die gleichen »ideas« (im Sinne gleicher Vorstellungsbilder) haben. Jens Kulenkampff erinnert daran, dass für Hume Meinungen haben und etwas für wahr halten etwas ist, »was uns betrifft, zustößt, widerfährt oder sich mit uns ereignet. Statt daß wir Macht über unsere Meinungen und Überzeugungen haben, scheinen diese eher Macht über uns zu haben […].« (David Hume, 2. neubearb. Aufl. München 2003 [1. Aufl. 1989], S. 76). 112

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leben, so hat offenbar auch eine gleichförmige Erziehung keinen Einfluss auf diese besonderen Entwicklungen des Geschmacks. Zudem werfen die historischen und regionalen Unterschiede in der Bezeichnung des Schönen oder Hässlichen die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, einen Maßstab des Geschmacks zu gewinnen. Die Regeln einer künstlerischen Komposition können, so Humes Ansicht, keinesfalls durch abstrakte Verstandesschlüsse festgesetzt werden: »Their foundation is the same with that of all the practical sciences, experience; nor are they any thing but general observations, concerning what has been universally found to please in all countries and in all ages.« (ES, 231) Mit diesem Befund spricht Hume die sonst von ihm nur spärlich behandelten Aspekte an, die die Produktion (und nicht, wie der Geschmack, die Rezeption) von Kunst betreffen. Bekannt wird der Künstler mit den Regeln der Kunst »either by genius or observation.« (ES, 231) Der Begriff des ›genius‹ wird von Hume hier nicht im Sinne einer über- oder außermenschlichen Fähigkeit verwendet (deren Herkunft womöglich auf göttlicher Einwirkung gründet), sondern bezeichnet eine seltene Anlage des Menschen, die ihm von der Natur mitgegeben wurde und ihm zu herausragenden Leistungen in Kunst oder Wissenschaft verhelfen kann; ihre produktive Wirkung entfaltet sie aber erst dann, wenn sie durch Erziehung und Fleiß geformt und verfeinert worden ist.114

Die zentralen Aussagen Humes zum Thema finden sich im Essay Of the Middle Station of Life von 1742: »Courage and Resolution are chiefly requisite in a Commander: Justice and Humanity in a Statesman: But Genius and Capacity in a Scholar. Great Generals, and great Politicians, are found in all Ages and Countries of the World; and frequently start up, at once, even amongst the greatest barbarians. […] A happy Talent for the liberal Arts and Sciences, is a Kind of Prodigy among Men. Nature must afford the richest Genius that comes from her Hands; Education and Example must cultivate it from the earliest Infancy; And Industry must concur to carry it to any Degree of Perfection. No Man needs be surprised to see Kouli-Kan among the Persians: but Homer, in so early an Age, among the Greeks, is certainly Matter of the highest Wonder.« (ES, 549 f.) In diesen Worten drückt sich Humes Überzeugung aus, dass die Natur zu allen Zeiten Menschen mit einer besonderen Anlage hervorbringt; die Existenz eines Dichters wie Homer ist also nicht etwa deshalb verwunderlich, weil es in der Antike keine Menschen mit dieser Anlage hätte geben dürfen, sondern weil nach Humes Dafürhalten die kulturellen Gegebenheiten seiner Zeit keinesfalls in dem Maße förderlich waren, wie die Perfektionierung seines Genius es eigentlich hätte erwarten lassen. Diese Ausnahme hindert Hume aber nicht daran, weiter an der Auffassung festzuhalten, dass besondere Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaft oder der Kunst als das glückliche Zusammenspiel von Natur (›genius‹) und Kultur (›education‹, ›example‹, ›industry‹) zu betrachten sind und daher keinesfalls als bloßes Resultat eines angeborenen Talents anzusehen sind. Wollte man, so Hume weiter, eine Hierarchie bedeutender Menschen erstellen und als Messwert »Genius and Capacity« (ES, 550) zugrundelegen, so könne der Spitzenplatz nur von den »great Philosophers« (ebd.) eingenommen werden. Mit diesem Begriff sind aber nicht etwa die zu Beginn des Treatise erwähnten Personen wie Locke, Shaftesbury oder Hutcheson gemeint, sondern die ›Naturphilosophen‹, denen Humes Methode nach eigenen Worten so viel verdankt, deren Vorkommen aber äußerst selten sei: »[T]here has not, as yet, been above two in the World, who can lay a just claim to it. At least, Galilæo and Newton seem to me far to excel all the rest, that I cannot admit any other into the same Class with 114

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Bei der Betrachtung von als schön empfundenen Sprachkunstwerken, sei es Dichtung oder Rede, werde man schnell gewahr, so Hume, dass sie keinesfalls frei seien von »falsehood and fiction, […] hyperboles, metaphors, and an abuse or perversion of terms from their natural meaning.« (ES, 231) Dennoch nimmt man, so Hume, diese sprachlichen Gebilde mit Lust wahr, aber nur deshalb, weil diese die Wertschätzung eigentlich sabotierenden Eigenschaften aufgewogen werden durch Gefallen erregende stilistische Eigenheiten, die bereits im Treatise, und dort mit Bezug zur Architektur, genannt wurden. Am Beispiel von Ariost zeige sich nämlich, dass »force and clearness of his expression, […] the readiness and variety of his inventions, and […] his natural pictures of the passions« (ES, 232) einige der zuvor genannten Unzulänglichkeiten wieder ausgleichen könnten. Kraft, Klarheit, Mühelosigkeit und Natürlichkeit sind und bleiben die für Hume unabweisbar notwendigen Kennzeichen eines zu allen Zeiten als ›schön‹ empfundenen Kunstwerks. Obwohl er weiterhin von der Korrektheit der bereits im Treatise beschriebenen Vorgänge überzeugt ist, durch die ein Geschmacksurteil zustandekommt, so muss er sich angesichts der Erfahrung doch eingestehen, dass die in der Debütschrift skizzierten Abläufe idealtypischen Charakter haben und sich in der konkreten Beobachtung von Einzelfällen keinesfalls ohne Schwierigkeiten nachweisen lassen; die »very tender and delicate nature« der ästhetischen Gefühle könnten durch kleinste Widerstände oder Unordnungen beeinflusst werden. Das Geschmacksurteil eines Kranken z. B. sei weniger verlässlich als das eines gesunden und unbelasteten Kunstbetrachters. Daher schlägt Hume vor, sich bei der Untersuchung eines Maßstabs des Geschmacks nicht auf einzelne Schönheiten zu konzentrieren, sondern die zu allen Zeiten gefallenden Werke in den Blick zu nehmen, »that have survived all the caprices of mode and fashion, all the mistakes of ignorance and envy.« (ES, 233)115 Auch in

them.« (ebd.) Als herausragende Dichter, die Hume als eine andere »Species of Genius« (ebd.) begreift, nennt er bei den Griechen allein Homer; bei den Römern Vergil, Horaz und Lukrez; bei den Engländern Milton und Pope; bei den Franzosen und Italienern sind ihm Corneille, Racine, Boileau und Voltaire bzw. Tasso und Ariost erwähnenswert. Es fällt auf, dass Shakespeare keinen Platz in dieser Rangliste findet. Besondere Berücksichtigung findet der Essay Of the Middle Station of Life in der Humes Ästhetik gewidmeten Studie von Giancarlo Carabelli: On Hume and Eighteenth-Century Aesthetics. The Philosopher on a Swing, New York 1995 (bes. S. 47–89). 115 Hier wie an vielen anderen Punkten des Humeschen Geschmackskonzepts zeigen sich seine Berührungs- bzw. Schnittpunkte mit Longins Schrift Vom Erhabenen. Ihre Übereinstimmungen und Divergenzen können im Rahmen dieser Studie zwar nicht mehr Gegenstand einer detaillierten Untersuchung werden, doch sei wenigstens darauf hingewiesen, dass sich beispielsweise neben der von beiden Autoren geteilten Auffassung, dass Schwülstiges und Unnatürliches unmöglich gefallen könne, auch bei ihrer Bewertung des Nachruhms Übereinstimmungen zeigen: »Überhaupt, halte das für vollkommen und wahrhaft erhaben, was jederzeit und allen gefällt. Wenn nämlich Menschen von verschiedener Tätigkeit, Lebensform, Geschmack, Alter und Sprache alle zugleich ein und dasselbe über dasselbe meinen, dann bietet das gleichlautende Urteil so ungleich gestimmter Zeugen die

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Of the Standard of Taste ist die Notwendigkeit der Verfeinerung des Geschmacks ein zentrales Thema: »[A] delicate taste of wit or beauty must always be a desirable quality; because it is the source of all the finest and most innocent enjoyments, of which human nature is susceptible.« (ES, 236) An diesem Punkt der Argumentation nun wird Geschmack nicht allein als ein für die Rezeption, sondern auch für die Produktion von Kunst wichtiges Vermögen charakterisiert: »[N]othing tends further to encrease and improve this talent, than practice in a particular art, and the frequent survey or contemplation of a particular species of beauty.« (ES, 237) Und wenn die folgenden Erläuterungen auch eher den sensorischen Charakter von ›taste‹ betonen (›perception‹, ›judgement‹, ›experience‹, ›survey‹), so sind in der daraus folgenden Konklusion rezeptive und produktive Aspekte des Geschmacks angesprochen: »In a word, the same address and dexterity, which practice gives to the execution of any work, is also acquired by the same means, in the judging of it.« (ebd.) Obwohl Hume den (verfeinerten) Geschmack zuvor nicht explizit als eine für die Produktion von Kunst notwendige Kapazität benannt hat, fasst er ihn an dieser Stelle offenbar als ein begrüßenswertes ›Nebenprodukt‹ künstlerischer Tätigkeit auf, als ein durch ständige Übung und Orientierung an Vorbildern sich notwendig von selbst

starke, unbestreitbare Gewähr für das Bewunderte.« (Longinus: Vom Erhabenen. Griechisch/deutsch. Übers. u. hg. v. Otto Schönberger, Stuttgart 1988, S. 17 f. [Kap. 7, 4]). Vor einer vorschnellen Identifizierung beider Konzepte warnt Mary Carman Rose: »The Importance of Hume in the History of Western Aesthetics«, in: British Journal of Aesthetics 16 (1976), S. 218–229, hier S. 221; ebenso Adam Potkay: »Classical Eloquence and Polite Style in the Age of Hume«, in: Eighteenth-Century Studies 25 (1991), S. 31–56, hier S. 35. Die mehr juristische, aber auf das gleiche – auch von Hume analysierte – ästhetische Urteilsverfahren bezogene Diktion Longins lässt an das von Hume diskutierte Glaubwürdigkeitskriterium für Wunderberichte denken, das er im 10. Kapitel der ersten Enquiry benennt; dort ist es nämlich das »testimony of witnesses« (E1 10.11; SBN 114), das uns im Abgleich mit eigenen Erfahrungen von der Existenz eines von uns nicht wahrgenommenen Sachverhalts überzeugen kann bzw. uns – wie in obigem Falle – den Glauben an die Existenz eines Maßstabs des Geschmacks nahelegt. So spreche die Zeugenschaft eindeutig für die Ausnahmestellung Homers: »The same HOMER, who pleased at ATHENS and ROME two thousand years ago, is still admired at PARIS and at LONDON. All the changes of climate, government, religion, and language, have not been able to obscure his glory.« (ES, 233) Zudem hätten es herausragende Werke der Poesie und Beredsamkeit, so Hume, im Vergleich zu wissenschaftlichen Theorien leichter, unausgesetzte Wertschätzung zu erfahren, da sich künstlerische Qualität schnell in einem unwiderlegbaren Geschmacksurteil niederschlage. Theorien abstrakter Philosophie und spekulativer Theologie jedoch hielten der Kritik zumeist nicht lange stand: »ARISTOTLE, and PLATO, and EPICURUS, and DESCARTES, may successively yield to each other: But TERENCE and VIRGIL maintain an universal, undisputed empire over the minds of men. The abstract philosophy of CICERO has lost its credit: The vehemence of his oratory is still the object of our admiration. […] Thus, though a civilized nation may easily be mistaken in the choice of their admired philosopher, they never have been found long to err, in their affection for a favourite epic or tragic author.« (ES, 242 f.).

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einstellendes Vermögen. Dazu gehört auch die Schulung des ästhetischen Empfindens durch den Vergleich: A man, who has had no opportunity of comparing the different kinds of beauty, is

indeed totally unqualified to pronounce an opinion with regard to any object presented to him. By comparison alone we fix the epithets of praise and blame, and learn how to assign the due degree of each. […] One accustomed to see, and examine, and weigh the several performances, admired in different ages and nations, can alone rate the merits of a work exhibited to his view, and assign its proper rank among the productions of genius. (ES, 238) Betrachten, untersuchen und gewichten (und dabei die zeitlichen und kulturellen Gegebenheiten berücksichtigen) – diese hier von Hume skizzierte Trias des sowohl emotionalen als auch intellektuellen Zugangs zur Kunst muss, so der schottische Philosoph, sich fortwährend der Einwirkung von Vorurteilen bewusst sein und versuchen, diese zu korrigieren. Dazu gehört einerseits, Zu- oder Abneigung gegenüber dem Künstler aus dem Beurteilungskontext auszublenden, wozu es intellektueller Anstrengungen bedarf; Hume spricht in diesem Zusammenhang sogar von »proper violence on [the] imagination […].« (ES, 240) Für das Zustandekommen eines »true judgment[s]« (ES, 239) sei es daher erforderlich, die eigene, vorurteilsbehaftete Perspektive aufzugeben und den Standpunkt des Künstlers einzunehmen. Auch das Werk soll nach dessen eigenen von ihm aufgestellten Kriterien beurteilt werden, nicht jedoch nach denen der eigenen Zeit oder der eigenen Kultur.116 Eine solche Verschie-

Hume verdeutlicht diese ›Notwendigkeit zum fremden Blick‹ am Beispiel der Beurteilung einer Rede: »A critic of a different age or nation, who should peruse this discourse, must have all these circumstances [particular genius, interests, opinions, passions, and prejudices of the audience, M. B.] in his eye, and must place himself in the same situation as the audience, in order to form a true judgment of the oration. […] A person influenced by prejudice, complies not with this condition; but obstinately maintains his natural position, without placing himself in that point of view, which the performance supposes. […] So far his taste evidently departs from the true standard; and of consequence loses all credit and authority.« (ES, 239 f.) Im Treatise behandelt Hume das Vorurteil zunächst als einen durch (falsche) Gewohnheiten erworbenen Beobachtungsstandpunkt: »All those opinions and notions of things, to which we have been accustom’d from our infancy, take such deep root, that ’tis impossible for us, by all the powers of reason and experience, to eradicate them […].« (T 1.3.9.17; SBN 116) Dass sich Vorurteile selbst gegenüber ihnen widersprechenden Erfahrungen durchsetzen können, macht folgendes Beispiel klar, in dem sich Hume (mit zweifellos ironischem Unterton) nationaler Stereotypen bedient: »An Irishman cannot have wit, and a Frenchman cannot have solidity; for which reason, tho’ the conversation of the former in any instance be visibly very agreeable, and of the latter very judicious, we have entertain’d such a prejudice against them, that they must be dunces or fops in spite of sense and reason. Human nature is very subject to errors of this kind; and perhaps this nation as much as any other.« (T 1.3.13.7; SBN 146 f.) Der Einfluss von Gewohnheit, so hält Hume in Of the Standard of Taste fest, sei zudem für die oft zu beobachtende Bevorzugung eigener kultureller Ausdrucksfomen verantwortlich: »[W]e are more pleased, in the 116

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

bung der Perspektive wäre als ›Standpunktkorrektur‹ aufzufassen, die Hume für das Verstehen und den Nachvollzug nicht nur von Kunst, sondern von kulturellen Äusserungen generell als notwendig erachtet und die offenbar der ständigen Aufmerksamkeit des Beobachters und seiner Bereitschaft des Dazulernens bedarf. Hume fasst die notwendigen Kennzeichen eines mit feinem Geschmack ausgestatteten Beobachters wie folgt zusammen: Strong sense, united to delicate sentiment, improved by practice, perfected by comparison, and cleared of all prejudice, can alone entitle critics to this valuable character; and the joint verdict of such, whereever they are to be found, is the true standard of taste and beauty. (ES, 241)

Da nicht alle Menschen dieses wünschenswerte Geschmacksniveau erreichten, sei es nur folgerichtig, »that the taste of all individuals is not upon an equal footing, and that some men in general, however difficult to be particularly pitched upon, will be acknowledged by universal sentiment to have a preference above others.« (ES, 242) Wenn das jeweilige Geschmacksniveau differiere, so sei das nur auf Unterschiede der sinnlichen Kapazitäten oder auch des kulturellen Umfelds zurückzuführen: The general principles of taste are uniform in human nature: Where men vary in their judgments, some defect or perversion in the faculties may commonly be remarked; proceeding either from prejudice, from want of practice, or want of delicacy; and there is just reason for approving one taste, and condemning another. (ES, 243)

Der individuelle Geschmack für Schönes und Hässliches, so Humes Überzeugung, ist ein durchaus plastisches Vermögen, das sich durch Erziehung, Vergleich und reifender kulturell-historischer Beschlagenheit in solcher Weise formen lässt, dass auch ein fremdartig anmutendes oder aus einer älteren Epoche stammendes, erstrangiges Kunstwerk nach reiflicher Betrachtung in angemessener, nicht vorurteilsbehafteter Weise goutiert werden kann. Das gilt, so Hume, jedoch unter keinen Umständen für solche Werke, denen wir unsere Zustimmung aufgrund ihrer moralischen Unzulänglichkeit verweigern müssen: [W]here vicious manners are described, without being marked with the proper characters of blame and disapprobation; this must be allowed to disfigure the poem, and to course of our reading, with pictures and characters, that resemble objects which are found in our own age or country, than with those which describe a different set of customs. It is not without some effort, that we reconcile ourselves to the simplicity of ancient manners, and behold princesses carrying water from the spring, and kings and heroes dressing their own victuals.« (ES, 245) Auch die auf dem Theater präsentierten fremden Gepflogenheiten seien, im wahrsten Sinne des Wortes, ›nicht jedermanns Geschmack‹: »A man of learning and reflection can make allowance for these particularities of manners; but a common audience can never divest themselves so far of their usual ideas and sentiments, as to relish pictures which no wise resemble them.« (ebd.).

Humes Konzept des Geschmacks

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be a real deformity. I cannot, nor is it proper I should, enter into such sentiments; and however I may excuse the poet, on account of the manners of his age; I never can relish the composition. (ES, 246)

Humes Ideal, dass der Geschmack eines jeden Menschen in höchstem Maße verfeinert werden solle117 – und seine von der Erfahrung bestätigte Einsicht, dass dieses Ziel kaum für alle Menschen, womöglich sogar nur für eine kleine Menge, zu erreichen ist – ist an die (platonisch geprägte) Auflage geknüpft, dass eine Gesellschaft, die dieses Ideal zu verwirklichen sucht, in ihren Theatern, in ihrer Dichtung und ihrer Malerei bloß solche Gegenstände gelten lässt, die tugendliches Verhalten fördern. Da Hume die in ethischer Hinsicht beispielgebende Wirkung künstlerischer Darstellungen vor Augen hat, darf Unsittlichkeit auf der Bühne, im Roman oder in der bildenden Kunst allenfalls als Fehlverhalten gezeigt werden, das sich für den in solcher Weise Handelnden letzten Endes dann doch als unvorteilhaft erweist.118 Der erwünschten Verfeinerung des rezeptiven Geschmacks steht bei Hume die Gefahr der Überfeinerung der Kunstwerke gegenüber, die er als gefährlich betrachtet. Am Ende des Essays Of Simplicity of Refinement in Writing (der sich aber nicht allein auf Dichtung bezieht) bemerkt Hume: »I shall add, that the excesses of refinement is now more to be guarded against than ever; because it is the extreme, which men are the most apt to fall into, after learning has made some progress, and after eminent writers have appeared in every species of composition. The endeavour to please by novelty leads men wide of simplicity and nature, and fills their writings with affectation and conceit. It was thus the ASIATIC eloquence degenerated so much from the ATTIC: It was thus the AGE of CLAUDIUS and NERO became so much inferior to that of AUGUSTUS in taste and genius: And perhaps there are, at present, some symptoms of a like degeneracy of taste, in FRANCE as well as in ENGLAND.« (ES, 196) Die Überfeinerung in der Kunst ist für Hume ein, so scheint es, zwangsläufig eintretendes, aber nicht an bestimmte Epochen gebundenes Phänomen, das auf Phasen der Vervollkommnung folgt, in denen die Bandbreite der künstlerischen Mittel ausgereizt ist. 118 So heißt es etwa im Essay Of Tragedy von 1758: »The mere suffering of plaintive virtue, under the triumphant tyranny and oppression of vice, forms a disagreeable spectacle, and is carefully avoided by all masters of the drama. In order to dismiss the audience with entire satisfaction and contentment, the virtue must either convert itself into a noble courageous despair, or the vice receive its proper punishment.« (ES, 224) Die religiöse Malerei ist Hume ein abschreckendes Beispiel dafür, wie durch exzessive Darstellung reinen Leids (etwa das der Märtyrer) jegliches Mitgefühl des Betrachters erstickt werden kann: »As [most painters] wrought much for churches and convents, they have chiefly represented such horrible subjects as crucifixions and martyrdoms, where nothing appears but tortures, wounds, executions, and passive suffering, without any action or affection.« (ebd.) Dieselbe Haltung der auf diesen Bildern Dargestellten zeigt sich für Hume auch in den »monkish virtues« des Katholizismus, also »[c]elibacy, fasting, penance, mortification, self-denial, humility, silence, solitude« (E2 9.3; SBN 270). Diese ›Tugenden‹ lehnt Hume strikt ab: »[F]or what reason are they everywhere rejected by men of sense, but because they serve to no manner of purpose; neither advance a man’s fortune in the world, nor render him a more valuable member of society; neither qualify him for the entertainment of company, nor increase his power of self-enjoyment? We observe, on the contrary, that they cross all these desirable ends; stupify the understanding and harden the heart, obscure the fancy and sour the temper.« (ebd.) Ob es sich um Kunst, Schauspiel oder Religion handelt: Die in ihnen vermittelten Werte sind einer Kultur nur dann förderlich, 117

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Die Auseinandersetzung mit Kunst, so ließe sich daraus schließen, darf und soll zwar – ohne Einschränkung – den Zuwachs verschiedener ästhetischer Perspektiven zur Folge haben (wozu eben auch die Kenntnisnahme dilettantischer Werke gehört), doch dürfen ethische Standards dabei auf keinen Fall in Frage gestellt werden: »We are displeased to find the limits of vice and virtue so much confounded […].« (ES, 246)119 Die Bildung des Geschmacks ist in Humes Augen zwar Aufgabe und Ziel von Kunst, jedoch begreift er diese Schulung und die durch sie geschaffenen Annehmlichkeiten einer sensibleren Weltwahrnehmung keinesfalls als Selbstzweck. Denn bei der Bewertung von Kunstwerken ist für Hume immer auch die Berücksichtigung der Effekte relevant, die ihre Rezeption im sozialen Bereich zeitigt. Neben der politischen Lenkungsgewalt, der nach Hume die Aufgabe zukommt, mittels kodifiziertem Recht und Gesetz die notwendigen Handlungsver- und -gebote für ein Gemeinwesen festzulegen und ihre Einhaltung zu überwachen, kommt es nach seiner Auffassung den ästhetisch und moralisch tadellosen Kunstwerken zu, die durch Gesetzgebung abgesicherte Zivilisierung der Bürger durch Geschmacksbildung flankierend voranzutreiben. Einer solchen Verpflichtung der Kunstwerke auf moralische und politische Unbedenklichkeit korrespondiert außerdem die Forderung Humes, dass auch solche Kunstprodukte, die religiöse Motive und Grundsätze verarbeiten, keine die Gemeinschaft gefährdenden Tendenzen fördern dürfen: No religious principles can ever be imputed as a fault to any poet, while they remain merely principles, and take not such strong possession of his heart, as to lay him under the imputation of bigotry and superstition. Where that happens, they confound the sentiments of morality, and later the natural boundaries of vice and virtue. They are therefore eternal blemishes, according to the principle abovementioned; nor are the prejudices and false opinions of the age sufficient to justify them. […] RELIGIOUS principles are also a blemish in any polite composition, when they rise up to superstition, and intrude themselves into every sentiment, however remote from any connection with religion. It is no excuse for the poet, that the customs of his country had

wenn sie, so Humes Ansicht, Gemeinschaftstauglichkeit und Diesseitsbezogenheit ausbilden und die Schulung einer spezifischen ›sozialen Sensibilität‹ unterstützen. Zur Humeschen Ablehnung klerikaler Tugendvorstellungen vgl. William Davie: »Hume on Monkish Virtue«, in: Hume Studies 25 (1999), S. 139–153. 119 Entscheidend für den Wert eines Kunstwerks ist, dass es überhaupt Aufmerksamkeit hervorruft: »[T]o him, art is important only in the sense that it engages human beings. If it leaves them indifferent, if it does not engage their attention, then the work is empty, not worth discussing.« (Ralph Cohen: »The Rationale of Hume’s Literary Inquiries«, in: Kenneth Merrill/Robert W. Shahan [Hg.]: David Hume. Manysided Genius, Norman 1976, S. 97–115, hier S. 101).

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burthened life with so many religious ceremonies and observances, that no part of it was exempt from that yoke. It must for ever be ridiculous in PETRARCH to compare his mistress, LAURA, to JESUS CHRIST. Nor is it less ridiculous in that agreeable libertine, BOCCACE, very seriously to give thanks to GOD ALMIGHTY and the ladies, for their assistance in defending him against his enemies. (ES, 247 ff.)

Die Dichtung darf folglich religiöse Prinzipien zu ihrem Gegenstand machen, jedoch dürfen diese Prinzipien nicht geeignet sein, bei den Lesern Schwärmerei oder Aberglauben zu erzeugen. Diese beiden Formen religiöser Überzeugung, im Essay Of Superstition and Enthusiasm auch als »corruptions of true religion« (ES, 73) bezeichnet, beeinflussen die Affekte, so Hume, auf eine für die Gesellschaft fatale Weise: Der Aberglaube – zumeist von der Macht eines Priestertums genährt – hält die Menschen in Unwissenheit und Angst gefangen; die Schwärmerei hingegen führt mit Blick auf die eigene Religion zu Stolz und Überheblichkeit, zumeist gepaart mit einem rasenden Bekehrungseifer.120 Die zu Beginn dieses Abschnitts formulierten Ausgangsfragen lassen sich nun aufgrund des bisher Ermittelten wie folgt beantworten: zu a): Die Untersuchung des Geschmackskonzepts, das Hume vor allem im Treatise und in den Essays Of the Delicacy of Taste and Passion und in Of the Standard of Taste entwickelt, konnte zeigen, dass er den Geschmack als ein unerlässliches Sensorium begreift, das dem Menschen hilft, sich in der ihn umgebenden kulturellen Welt sicher urteilend zu bewegen. Ethisch wertend nimmt der Mensch Stellung zu den Handlungen und Denkweisen anderer, seien sie Zeitgenossen oder Vorfahren, Mitbürger oder Bewohner fremder Länder; mit ästhetischen Empfindungen beurteilt er Werke der Kunst und andere Artefakte, die, aus dem näheren Umfeld oder aus fernen Zeiten und Gegenden stammend, Gegenstand seiner Wahrnehmung werden. Das Betrachten, Untersuchen und Gewichten – nicht nur auf den Gebieten der Kunst oder der Moral, sondern in vielfältigen kulturellen Zusammenhängen – ist, so lautet Humes Überzeugung, vor allem eine Frage des Geschmacks.

Die größte Gefahr, die vom Aberglauben und der Schwärmerei ausginge, sei, darauf weist Kate Abramson in ihrer Analyse des A Dialogue in der ersten Enquiry hin, dass jede Form der Reflexion über moralische Werte unterbunden sei; dadurch seien die Menschen »morally blind« (»Hume on Cultural Conflicts of Values«, in: Philosophical Studies 94 [1999], S. 173–187, hier S. 181). Will R. Jordan hat jüngst daran erinnert, dass das häufig (zumeist von seinen zeitgenössischen Gegnern) gezeichnete Bild Humes als eines Feindes aller Religionen bei genauer Lektüre seiner Schriften keinen Bestand haben kann. Die Adressaten der Humeschen Religionskritik seien nicht alle Arten religiöser Überzeugungen gewesen, sondern allein solche der ›false religion‹, wie z. B. Schwärmerei und Aberglauben; hier habe Hume vor ihrer gesellschaftsgefährdenden Sprengkraft warnen wollen (»Religion in the Public Square: A Reconsideration of David Hume and Religious Establishment«, in: The Review of Politics 64 [2002], S. 687–713, hier S. 691). Vgl. hierzu auch Kap. IV.14 der vorliegenden Arbeit. 120

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Jede Kultur, so ließe sich Humes Auffassung interpretieren, bringt ihre eigenen Richter hervor. Denn der für die Beurteilung notwendige Geschmack ist ein gelehriges Vermögen, dessen Verfeinerung die Bereitschaft jedes Einzelnen voraussetzt, sich mit den unterschiedlichsten kulturellen Erscheinungen und Qualitäten vertraut zu machen, um Vergleiche anstellen und die spezifischen Differenzen mit Hilfe eines vertieften Verständnisses ihrer Ursachen und Hintergründe auch bewerten zu können. Je differenzierter eine Kultur aufgebaut ist, desto verfeinerter kann sich auch der Geschmack ausbilden; je mehr vorbildhafte Musiker, Schriftsteller oder Maler ein Gemeinwesen sein eigen nennt, desto anspruchsvoller kann sich auch der Geschmack seiner Bewohner entwickeln. Für Hume muss sich dieser Vorteil nicht notwendig auszahlen, er hält es aber doch für wahrscheinlich. Ebenso wahrscheinlich scheint es ihm zu sein, dass in einer Kultur, in der es keine künstlerischen Vorbilder gibt und in der der freie Zugang zu künstlerisch-wissenschaftlichen Errungenschaften verwehrt ist, deren Mitglieder keinen verfeinerten Geschmack werden entwickeln können. Die Bildung von Geschmack ist, nach Humes Ausführungen zu urteilen, für die Mitglieder einer Kultur eben auch deshalb wichtig und unabdingbar, weil vom ›Feilen‹ am Geschmack sowohl eine Steigerung ihrer Reflexions- und Diskussionsfähigkeit als auch der Abbau von Vorurteilen sowie eine erhöhte Sensibilität für das soziale Miteinander zu erwarten sind. All dies scheint Hume als geeignete Basis zu betrachten, von der aus die niemals vor Verständnisproblemen sichere Kontaktaufnahme mit einer anderen Kultur sich weniger vorurteilbelastet gestalten kann. In Übereinstimmung mit dem an anderer Stelle notierten Lehrsatz der Humeschen Anthropologie, gemäß dem die Affekte gegenüber der Vernunft eine Vorrangstellung bei Entscheidungen und Handlungsmotivationen einnehmen121, basieren auch die für eine Orientierung in der kulturellen Umwelt notwendigen Geschmacksurteile letzten Endes nicht auf Vernunftschlüssen, wenngleich Hume der Vernunft eine wichtige Rolle beim Zustandekommen und bei der Überprüfung der die Kultur prägenden intellektuellen Debatten zuerkennt. Denn zweifellos zählt Hume auch wissenschaftliche Anstrengungen zur Kultur, die zwar nicht mit Geschmack, aber mit Verstand beurteilt sein will. zu b): Mehr noch als im Treatise oder in den Enquiries zeigt sich in den verschiedenen hier vorgestellten Essays, dass Hume häufig genug die eigenen Standpunkte oder die seiner Landsleute sowohl in ernstem als auch ironischem Duktus einer Prüfung unterzieht. Bei seinen Analysen stößt er immer wieder auf weit verbreitete, national beschränkte oder allgemein geteilte Vorurteile, die er dann im Folgenden zu widerlegen versucht. Bei diesem Verfahren spart er sich selbst nicht aus; seine SkepDie oft zitierte Stelle im zweiten Buch des Treatise lautet: »We speak not strictly and philosophically when we talk of the combat of passion and of reason. Reason is, and ought only to be the slave of the passions, and can never pretend to any other office than to serve and obey them.« (T 2.3.3.4; SBN 415). 121

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sis gegenüber den Überzeugungen anderer macht auch vor den eigenen nicht halt. Daher darf das von ihm über den Geschmack Gesagte auch für ihn gelten: Insofern sich nach seiner Ansicht in Geschmacksurteilen sowohl ästhetische als auch ethische Überzeugungen spiegeln sollen, erfahren wir aus Humes Ablehnung bzw. Zustimmung bezüglich bestimmter Kunstwerke (seine Urteile beziehen sich zumeist auf Bauwerke, Reden, Dramen oder Dichtungen) und aus seinem Lob bzw. Tadel bestimmter Persönlichkeiten aus Politik, Literatur und Wissenschaft die Beschaffenheit seines Geschmacks. Dies zeigt sich besonders für seine normative Kulturauffassung, in der sich das Ideal eines bestmöglich eingerichteten Gemeinwesens mit Überlegungen zu förderlichen bzw. hemmenden ästhetischen und ethischen Ausführungen verbindet. In den folgenden Abschnitten wird sich an der jeweils behandelten Thematik zeigen, welches die Kultur Förderliche und welches sie Hemmende Hume in Geschichte und Gegenwart entdeckt.

5. Zur Untersuchungsmethode und Konstitution ihres Gegenstands – Der problematische Begriff der ›Beobachtung‹ bei Hume Sein bereits im Treatise aufgezeichnetes und auch für das Gesamtwerk gültiges wissenschaftliches Konzept schien Hume nahezulegen, sich als Weggenosse sowohl Bacons122 als auch Lockes, Shaftesburys, Mandevilles, Hutchesons und Butlers zu begreifen.123 Denn von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen abgesehen verbindet

Zur Bedeutung von Bacons Methodologie für die naturgeschichtlichen Konzepte der schottischen Aufklärer (so auch für Humes Natural History of Religion) s. Paul B. Wood: »The science of man«, in: Nicholas Jardine/Jim A. Secord/Emma C. Sparry (Hg.): Cultures of Natural History, Cambridge 1996, S. 197–210, 474–477. Zu den schottischen Gelehrten, die Wood unter die Lupe nimmt, gehört u. a. auch der Arzt John Gregory (1724–1773), der in seinen Lectures on the Duties and Qualifications of a Physician von 1772 der Physiologie die Aufgabe zuweist, »to enquire […] into the effects of culture and education upon the constitution [and] into the power of habit […].« (zit. nach Wood, S. 199). Diese Passage belegt, dass der Ausdruck ›culture‹, auch wenn er (worauf in Kap. I bereits hingewiesen wurde) bei Hume nicht auftaucht, im zeitgenössischen Schrifttum durchaus nicht ungebräuchlich war. 123 James Moore hat darlegen können, dass die hier von Hume in der Aufzählung postulierte Homogenität der Grundannahmen seiner Gewährsmänner keinesfalls selbstverständlich ist, so teilen beispielsweise nicht alle den gleichen Erfahrungsbegriff (»The Social Background of Hume’s Science of Human Nature«, in: David Fate Norton/Nicholas Capaldi/Wade L. Robison [Hg.]: McGill Hume Studies, San Diego, 1979 S. 23–41. Vgl. hierzu auch John Benjamin Stewart: Opinion and Reform in Hume’s Political Philosophy, Princeton 1992 [bes. Kap. 2: »The Argument before Hume: Beginning a New Science«]). Zu den auch religionsphilosophisch bedeutsamen Differenzen zwischen Hume und Locke, Shaftesbury, Mandeville, Hutcheson und Butler vgl. Axel Wengenroth: Science of Man. Religionsphilosophie und Religionskritik bei David Hume und seinen Vorgängern, Frankfurt a. M. 1997 (zugl. Diss. Mainz 1996), bes. Kap. 3. Als ein neben der Arbeit von Wengenroth wei122

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ihn mit diesen Autoren das Anliegen, so Hume, »to put the science of man on a new footing […].« (T Introduction, 7; SBN xvii) Hume scheint es geboten, im Zuge der bereits von einigen seiner Vorgänger erhobenen Forderung nach einer soliden Fundierung einer Wissenschaft vom Menschen, die Bedeutung von Beobachtung bzw. von Erfahrung als einzig zuverlässiger Methode des Erkenntnisgewinns erneut zu unterstreichen, um mit ihrer Hilfe die Erforschung anthropologisch aufschlussreicher Phänomene voranzutreiben. Ob es sich dabei um die Untersuchung historischer Begebenheiten oder um die Erhellung von religiösen Vorstellungen oder die Analyse von Affekten wie Stolz und Neid handelt: In jeder Phase seines Schaffens erkennt Hume die Notwendigkeit von Beobachtung als einzig verlässlicher Erkenntnisquelle an; jede Wissenschaft darf nur das als gesichert gelten lassen, was sich in der Beobachtung bestätigen lässt. Dem Begriff der ›Beobachtung‹ (›observation‹) kommt in der folgenden Studie eine besondere Rolle zu, denn er verknüpft den entscheidenden Grundgedanken Humes, und zwar die in seinen Schriften praktizierte Methode der Erkenntnisgewinnung, mit der bereits oben dargelegten Problemstellung dieser Arbeit. So bezeichnet der Beobachtungsbegriff einerseits das maßgebliche Erkenntnisverfahren Humes, mit dem er seine Lehre vom Menschen und die weiteren sich aus ihr ergebenden Forschungsresultate verantworten muss. Andererseits, und damit ist nochmals das heuristische Prinzip der vorliegenden Untersuchung benannt, ermöglicht erst die Synopse der Humeschen Beobachtungen und Deutungen ein Verständnis seiner Kulturauffassung. Nachdrücklich weist Hume, vor allem in den methodologischen Passagen seiner Arbeiten, auf die Unverzichtbarkeit von »cautious observation« (T Introduction, 10; SBN xix) hin, wenn es gelte, sowohl in den Wissenschaften generell als auch speziell in einer ›science of Man‹ verlässliche Resultate zu erzielen. Derart gewonnene Erfahrungen, »judiciously collected and compared« (ebd.), dienen Hume dann als ›empirisches Gerüst‹, mit dessen Hilfe er sein anthropologisches Theoriegebäude errichtet. Mein Versuch, das Humesche Kulturverständnis zu erhellen, greift auf seine in den Schriften niedergelegten Beobachtungen und Erfahrungen zurück und beleuchtet sie dabei von einem Standpunkt aus, der sie besonders in ihren Konturen als ›Vermittler‹ oder ›Träger‹ seiner Kulturauffassung erkennbar werden lässt. Somit versucht diese Interpretation, eine zusätzliche Alternative zu den bereits von Hume beanspruchten Anwendungsweisen von Beobachtungsergebnissen anzubieten. Betrachtet Hume die Beobachtung als adäquates Hilfsmittel, um sowohl zu Erkenntnissen über die den Menschen umgebende Welt als auch zu Aufschlüssen über jene universellen, geistiteres Beispiel für den Versuch, Humesche Positionen für theologische Fragestellungen fruchtbar zu machen, ist auch die jüngste Studie von Kirsten Huxel zu nennen: Ontologie des seelischen Lebens. Ein Beitrag zur theologischen Anthropologie im Anschluß an Hume, Kant, Schleiermacher und Dilthey, Tübingen 2004. Diese Arbeit konzentriert sich vor allem auf den Treatise, der als psychologische Schrift gelesen wird.

Zur Untersuchungsmethode und Konstitution ihres Gegenstandes

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gen Prinzipien zu gelangen, die menschliche Denk- und Handlungsprozesse formen, so peilt die vorliegende Arbeit ein anderes Forschungsziel an: Mit Hilfe der Beobachtungszeugnisse soll ein individuelles Bild der Leitvorstellungen des Betrachters Hume gezeichnet werden. Es fällt auf, dass seinen Abhandlungen eine vergleichbare Auswertung von Beobachtungszeugnissen offenbar fremd ist124; wohl auch deshalb, weil Humes Interesse mehr auf das den Menschen Gemeinsame denn auf das Individuelle zielt. An den Humeschen Beobachtungsdaten zeichnet sich durch die mit dieser Untersuchung vorgeschlagene Deutungsalternative eine sowohl differenzierende als auch integrierende Potenz ab: Denn neben den oben skizzierten Divergenzen hinsichtlich ihrer Auslegung (Humes und der hier vorgenommenen) bleiben sie doch zugleich die verbindliche Grundlage, auf der beide Interpretationen fußen. Wenn sie Hume als sichere Orientierungshilfen dienen, um Kurs auf die (allgemeine) Lehre vom Menschen zu nehmen, so versucht meine Untersuchung, das Ausmaß ihrer von Hume empfangenen Prägung zu ermitteln und ihre (unfreiwillige) Rolle als Chiffren seines (individuellen) Kulturverständnisses zu verdeutlichen. Ist der erste Schritt getan und der im wahrsten Sinne des Wortes ›elementare‹ Stellenwert der Beobachtungsdaten als Ausgangspunkt beider Interpretationen anerkannt, so ergibt sich nun die Notwendigkeit, einige Überlegungen zu ihrer Beschaffenheit anzustellen. Denn die Betonung ihrer Funktion als gegebener Fundus, von dem die Interpretationen ihren Ausgang nehmen, darf nicht den Blick für die folgende Einsicht verstellen: Bevor sie zur Grundlage weiterer Beweisführungen Humes werden, sind sie bereits das Resultat methodologischer Erwägungen und einer ihnen korrespondierenden Beobachtungshaltung. Um daher Kenntnis über die spezifischen Eigenschaften der Beobachtungsdaten zu erhalten, ist ein genauerer Blick auf die Hinweise notwendig, die Hume zu den Bedingungen ihres Zustandekommens notierte. Obwohl sich auch die diversen Essays oder die History of England auf die Erfahrung (›experience‹) als einzig gültiges Erkenntnismittel berufen und die durch sie gewonnenen Ergebnisse verwerten, sind es doch speziell der Treatise und die Enquiries, die sich Humes Überlegungen zur Überprüfung der Authentizität von Wunderberichten (s. das 10. Kapitel des Enquiry concernig Human Understanding) können nicht als Beispiel für eine solche Perspektive gelten. Zwar geht es auch in diesem Fall um eine Auswertung von Beobachtungszeugnissen, jedoch nicht mit dem erklärten Ziel, etwas über den Beobachtenden (bzw. den Berichtenden zu erfahren), sondern um in Zweifelsfällen anhand der (einfach zu durchschauenden) charakterlichen Eigenschaften des Berichtenden die Wahrscheinlichkeit des Berichteten überprüfen zu können. So wichtig für den Menschen, so Hume, die Zeugnisse anderer Menschen für die eigene Weltkenntnis auch sind, so soll ausschlaggebendes Entscheidungskriterium die Ähnlichkeit bzw. NichtÄhnlichkeit mit den eigenen Erfahrungen sein; d. h. oberstes Richtmaß der Beurteilung ist nicht die individuelle Glaubwürdigkeit (›credit‹, E1 10.15; SBN 116) einer Person, sondern die durch Erfahrung von ›constant and regular conjunction‹ (E1 10.5; SBN 111) anerkannte Regelmäßigkeit von Ereignissen wie z. B. den Abläufen in der Natur. 124

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programmatisch einer grundsätzlichen Diskussion der Bedingungen und Möglichkeiten von Erkenntnis widmen. Mit diesem Befund tritt zugleich ein Charakteristikum der Humeschen Arbeiten zutage: Sie zeigen, in unterschiedlichen Abstufungen, einerseits den skeptischen Philosophen, der, einem Anatomen gleich125, den generellen Wahrnehmungs- und Erkenntnisapparat des Menschen seziert, dessen Reichweite bestimmt und vor den Fallstricken der Wahrnehmung warnt, aber andererseits auch den von diesen Zweifeln ganz und gar unbeirrt verfahrenden, allein auf die anschauliche Präsentation der konkreten Beobachtungen konzentrierten Arrangeur, der über ihr Zustandekommen keine weitere Rechenschaft ablegt. Von einer Philosophie wie der Humes, die sich bewusst empiristischen Grundsätzen verschreibt und zugleich den Rang einer Grundlagenwissenschaft für sich beansprucht, darf erwartet werden, dass sie ihre Methode, also den Beobachtungsvorgang, seine Voraussetzungen, die Begleitumstände und schließlich den Prozess seiner schriftlichen Fixierung126, gründlich analysiert und dies auch dokumentiert. Anhand des ersten Buches des Treatise und seinem neun Jahre später publizierten Pendant, der Enquiry Concerning Human Understanding, lässt sich überprüfen, ob und wie Hume dieser Aufgabe nachkommt. Denn es sind gerade diese beiden Schriften, in denen Hume, ausgehend von »the present imperfect condition of the sciences« (T Introduction, 2; SBN xiii), den seiner Ansicht nach längst überfälligen Schritt einfordert, nämlich »the experimental method of reasoning« nun auch als obligatorisches Verfahren der »moral sciences« anzuerkennen, nachdem sie in der »natural philosophy« bereits seit längerem etabliert sei. Humes Konzept sieht vor, für das Ziel einer Neufundierung aller Wissenschaften zunächst die dafür notwendige, auf Erfahrung und Beobachtung gegründete Lehre vom Menschen bereitzustellen. Nun wird jedoch die Ausdauer des neugierigen Lesers, der sich sowohl im ersten Buch des Treatise als auch im ersten Enquiry auf die Suche nach Textpassagen begibt, die eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Beobachtungsvorgangs enthalten, auf eine harte Probe gestellt. Denn erst in den Schlusskapiteln dieser Schriften beschäftigt sich Hume eingehender mit den Sinneswahrnehmungen und erörtert, welcher Art von Täuschung sie unterliegen können. In diesen Abschnitten, Of the sceptical and other systems of philosophy (T 1.4.1; SBN 180 ff.) und Of the Diesen Vergleich stellt Hume selbst in seinem 1740 anonym veröffentlichten Abstract an, der eine aus fremder Feder stammende Beurteilung des Treatise fingiert: »He proposes to anatomize human nature in a regular manner […].« (AB, 2). 126 Anhand der ethnographischen Schriften von Lévi-Strauss, Malinowski u. a. hat der amerikanische Kulturanthropologe Clifford Geertz vorexerziert, wie eine »Untersuchung dieser Disziplin als Schriftstellerei« durchgeführt werden kann und welche Erkenntnisse daraus über unterschiedliche ethnographische Schreibstrategien und die Prozesse der Transformation von Beobachtungen in die ethnographischen Texte zu gewinnen sind. S. Clifford Geertz: Die künstlichen Wilden. Der Anthropologe als Schriftsteller, München 1990 (engl. Stanford 1988), S. 11. 125

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academical or sceptical Philosophy (E1 12; SBN 149 ff.), erwägt Hume, alle durch Verstandes- und Sinnestätigkeit gewonnenen und bislang für sicheren Besitz gehaltenen Erkenntnisse einem radikalen Zweifel auszusetzen. Dabei muss er feststellen, dass ihm mit diesem Schritt zuletzt alle Gewissheit und mit ihr auch das Vertrauen in die eigene Erkenntnisfähigkeit abhanden kommt. Aber wenn der schottische Philosoph hier auch vordergründig einer berechtigten Forderung folgt, nämlich den Vorgang der für die Erkenntnis so bedeutungsvoll gehaltenen Beobachtung zu analysieren, so gehören seine Äußerungen über die nur bedingt zuverlässige Erkenntnisausstattung des Menschen doch einer umfassenderen Argumentationsstrategie an, mit der er den Nachweis führen möchte, dass der Mensch den Anforderungen einer radikal skeptischen Lebensweise nicht entsprechen kann und nichts der menschlichen Natur mehr widerspricht als ein Verzicht auf Verstandes- oder Sinnesurteile: Nature, by an absolute and uncontroulable necessity has determin’d us to judge as well as to breathe and feel; nor can we any more forbear viewing certain objects in a stronger and fuller light, upon account of their customary connexion with a present impression, than we can hinder ourselves from thinking as long as we are awake, or seeing the surrounding bodies, when we turn our eyes towards them in broad sunshine. (T 1.4.1.7; SBN 183)

Hume ist sich darüber im Klaren, dass die Sinneseindrücke nicht vor Täuschungen gefeit sind: ’Twill be first proper to observe a few of those experiments, which convince us, that our perceptions are not possest of any independent existence. When we press one eye with a finger, we immediately perceive all the objects to become double, and one half of them to be remov’d from their common and natural position. But as we do not attribute a continu’d existence to both these perceptions, and as they are both of the same nature, we clearly perceive, that all our perceptions are dependent on our organs, and the disposition of our nerves and animal spirits. This opinion is confirm’d by the seeming encrease and diminution of objects, according to their distance; by the apparent alternations in their figure; by the changes in their colour and other qualities from our sickness and distempers; and by an infinite number of other experiments of the same kind; from all which we learn, that our sensible perceptions are not possest of any distinct or independent existence. (T 1.4.2.45; SBN 210)127 James Noxon hält den hier von Hume benutzten Begriff ›experiments‹ für unangemessen; so seien die von Hume erzählten ›Geschichten‹ nicht mit den Versuchsanordnungen etwa eines Robert Boyle vergleichbar: »The point is not that Hume’s stories are improbable. The point is that stories are not experiments. It is one thing to devise an experiment which allows one to observe whether or not events actually occur as predicted by a hypothesis. It is quite a different procedure, and an unscientific one, to illustrate a hypothesis by fictitious events. An illustration, however apt and im127

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Ein gewisses Maß an Skepsis gegenüber den Sinnesurteilen hält Hume daher unbedingt für ratsam: »In all the incidents of life we ought still to preserve our scepticism.« (T 1.4.7.11; SBN 270) Im Gegenzug weiß er aber auch um die Vergeblichkeit jedes Versuchs, mit Hilfe der radikalen Skepsis, als wissenschaftlicher Methode, festen Erkenntnisgrund gewinnen zu wollen, besonders im Hinblick auf den Erkenntnisvorgang selbst: Die Skepsis zersetzt auch hier jede Gewissheit; nicht ohne Grund spricht Hume von ihr als »a malady, which can never be radically cur’d, but must return upon us every moment, however we may chace it away, and sometimes may seem entirely free from it.« (T 1.4.2.57; SBN 218) Neun Jahre später trägt die Krankheit schließlich einen prominenten Namen: »The Cartesian doubt, therefore, were it ever possible to be attained by any human creature (as it plainly is not) would be entirely incurable; and no reasoning could ever bring us to a state of assurance and conviction upon any subject.« (E1 12.3; SBN 150) Allein die Natur, so Hume, bewahre den Menschen zuverlässig davor, sich in der immer enger kreisenden Spirale des Skeptizimus zu verlieren: It seems evident, that men are carried, by a natural instinct or prepossession, to repose faith in their senses; and that, without any reasoning, or even almost before the use of the reason, we always suppose an external universe, which depends not on our perception, but would exist, though we and every sensible creature were absent or annihilated. (E1 12.7; SBN 151)

Die Menschen, geführt von »this blind and powerful instinct of nature« (E1 12.8; SBN 151), halten das von ihnen Wahrgenommene für unabhängig von der Beobachtung existent. Für diesen Glauben gibt es aber, so zeigen Humes detaillierte Untersuchungen im Treatise, keinen vernünftigen Grund: But as no beings are ever present to the mind but perceptions; it follows that we may observe a conjunction or a relation of cause and effect between different perceptions, but can never observe it between perceptions and objects. ’Tis impossible, therefore, that from the existence or any of the qualities of the former, we can ever form any conclusion concerning the existence of the latter, fictitious or ever satisfy our reason in this particular. (T 1.4.2.47; SBN 212)

Es besteht demnach keine Möglichkeit, so Humes These, sich zwischen die Perzeptionen (das sind ›Eindrücke‹ und ›Vorstellungen‹, ›impressions and ideas‹) und den

aginative, can never amount to an experimentum crucis.« (Hume’s Philosophical Development. A Study of his Methods, Oxford 1975 [verb. Fassung der Ausg. 1973], S. 119 f.). Die vorliegende Studie kann das hier formulierte Problem der möglichen Unwissenschaftlichkeit Humescher ›experiments‹ weitgehend unberücksichtigt lassen, da es ihr, unabhängig von deren ontologischem Status (›accurate‹ vs. ›fictitious‹), vielmehr um deren Aussagekraft bezüglich eines Kulturverständnisses geht.

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Gegenstand der Beobachtung zu positionieren, um von diesem Standpunkt aus über den jeweiligen Grad ihrer Entsprechung zu befinden: tertium non datur.128 Insofern gerät Hume in ein erkenntnistheoretisches Patt, über das er in der ersten Enquiry schreibt: So far, then, are we necessitated by reasoning to contradict or depart from the primary instincts of nature, and to embrace a new system with regard to the evidence of our senses. But here philosophy finds herself extremely embarrassed, when she would justify this new system, and obviate the cavils and objections of the sceptics. She can no longer plead the infallible and irresistible instinct of nature: for that lead us to a quite different system, which is acknowledged fallible and even erroneous. And to justify this pretented philosophical system, by a chain of clear and convincing argument, or even any appearance of argument, exceeds the power of all human capacity. (E1 12.10; SBN 152)

Zu Beginn des Treatise hatte Hume mit forschem Optimismus sein Vorhaben erläutert, mit dieser Schrift eine Grundlagenwissenschaft etablieren zu wollen, die als ›science of Man‹ Aufschluss über menschliche Wahrnehmungs- und Erkenntnisvorgänge zu geben vermag; die Beobachtung sollte als privilegiertes Mittel der Erkenntnis das hierzu notwendige, zuverlässige Material liefern. Doch seine Zuversicht, die er eingangs noch mit kriegerischem Gestus vorträgt (von »conquests« und »easy victory« [T Introduction, 6; SBN xvi] ist da die Rede), weicht bald der Ernüchterung. Seine der Skepsis verpflichtete Überprüfung des Wahrnehmungsvorgangs zwingt ihn dazu, sich von einer bequemen Überzeugung zu trennen: dass die Wahrnehmung nämlich nichts anderes sei als ein Prozess, in dem identische Abbilder der sinnlich erfahrenen Objekte im menschlichen Geist reproduziert werden. Humes konsequent durchgehaltene skeptische Haltung zwingt ihn am Schluss des ersten Buchs des Treatise sogar dazu, Sinnesurteile per se als unzuverlässig einzustufen. Hume muss erfahren, dass er mit dieser Form von Erkenntniskritik zwar der eigenen Forderung nach wissenschaftlicher Exaktheit nachkommt, ihm im gleichen Zug aber auch Stück für Stück die für sicheren Bestand gehaltenen Erkenntnisse sowie das Vertrauen in die Sinneswahrnehmung verlorengehen. Zu dieser paradoxen Erfahrung des Verlustes im Fortschreiten der Erkenntnis, die seinen Wissenschaftsoptimismus dämpft, gesellt sich aber zugleich eine weitere Entdeckung: Es ist durch keine bisherige Beobachtung bestätigt und muss für Hume daher für ausgeschlossen gelten, dass der Mensch eine solch radikale erkenntniskritische Haltung über einen längeren Richard Kuhns nimmt diesen Befund Humes zum Anlass, um eine Parallele zur ebenfalls skeptischen Haltung Freuds zu ziehen (»Hume’s Republic and the Universe of Newton«, in: Peter Gay [Hg.]: Eighteenth Century Studies Presented to Arthur M. Wilson, New York 1975, S. 73–95, hier S. 93 ff.). 128

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Zeitraum sollte beibehalten können. Denn die Natur setzt dem Zweifel, so Hume, einen Instinkt entgegen, der die Menschen dazu zwingt, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. Zur Beruhigung Humes ist auf diese Weise dafür gesorgt, das die Tendenz des wissenschaftlichen Zweifels, sämtliche Gewissheiten zu zerstören, durch das Gegengewicht einer (erkenntniskritisch freilich naiven) Einstellung zur Welt wieder ausbalanciert werden kann.129 Dennoch: auf die Sinne, das zeigt die Alltagserfahrung, ist nicht immer Verlass. Das gilt auch für den ›inneren‹ Sinn. Denn zu den »pains« (T Introduction, 3; SBN xiv), die es nach Hume auf dem Wege der Wahrheitsfindung zu überwinden gilt, zählt er auch seinen kaum zu beseitigenden Vorbehalt gegen das Verfahren der Selbstbeobachtung: »’[T]is evident this reflection and premediation would so disturb the operation of my natural principles, as must render it impossible to form any just conclusion from the phænomenon.« (T Introduction, 10; SBN xix) Für die weitere Beurteilung des Humeschen Beobachtungsbegriffs sind nun diese Überlegungen alles andere als folgenlos. Denn wie kann Hume, mit dem Wissen um die soeben skizzierten Schwierigkeiten, jetzt noch die Überzeugung verfechten, die Beobachtung sei »the only solid foundation« (T Introduction, 7; SBN xvi) der Erkenntnis, auf der er seine Wissenschaft vom Menschen gründen könne? Der berechtigte Hinweis, dass Hume diese auf Misstrauen und Irrtürmer hinsteuernden Herangehensweisen (radikal skeptisch bzw. rundweg unkritisch) nur als mögliche Idealtypen von Erfahrungshaltungen verstanden wissen will, die es in dieser Form im Alltag, sei es ein wissenschaftlicher oder nicht, (zum Glück) nicht gebe, mag diesen beiden Extremen wohl ihren Schrecken nehmen. Dennoch: von der Forschungsmethode der ›science of Man‹ wird nicht nur erwartet, dass sie diese beiden Klippen, den radikalen Zweifel sowie das naive Vertrauen in die Sinne, sicher zu umschiffen hilft. Ihre komplizierte Aufgabe liegt gerade darin, als zuverlässige Navigationshilfe durch die Untiefen der Alltagserfahrung zu führen, indem sie zur Beurteilung und notfalls zur Korrektur der Beobachtungshaltung befähigt. Die Verwendung dieser aus der Sprache der Seefahrt stammenden Metaphern ist durchaus im Sinne Humes. Hatte er zu Beginn des Treatise sein erkenntnistheoreti-

So schreibt Hume am Ende des ersten Buchs des Treatise: »Most fortunately it happens, that since reason is incapable of dispelling these clouds, nature herself suffices to that purpose, and cures me of this philosophical melancholy and delirium, either by relaxing this bent of mind, or by some avocation, and lively impression of my senses, which obliterate all these chimeras. I dine, I play a game of backgammon, I converse, and am merry with my friends […]. Here then I find myself absolutely and necessarily determin’d to live, and talk, and act like like other people in the common affairs of life.« (T 1.4.7.9 f.; SBN 269) Eben diese Passage, so die Auffassung von Annette C. Baier, stelle die entscheidende Scharnierstelle im Treatise dar, in der Hume in eine »careless manner« des Philosophierens überwechsle, aber im Sinne von »carefree rather than negligent.« (A Progress of Sentiments. Reflections on Hume’s ›Treatise‹, Cambridge [MA] 1991, S. 1). 129

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sches Unternehmen noch mit einer siegreichen kriegerischen Eroberung verglichen, so muss er nun, nachdem er in die stürmische See des Zweifels und des Irrtums geraten ist, bezeichnenderweise das Bild des Schiffbruchs bemühen, der seiner Entdeckungsreise ein ungewisses Ende zu bereiten droht: Methinks I am like a man, who having struck on many shoals, and having narrowly escap’d shipwreck in passing a small frith, has yet the temerity to put out to sea in the same leaky weatherbeaten vessel, and even carries his ambition so far as to think of compassing the globe under these disadvantageous circumstances. My memory of past errors and perplexities, makes me diffident for the future. The wretched condition, weakness, and disorder of the faculties, I must employ in my enquiries, encrease my apprehensions. And the impossibility of amending or correcting these faculties, reduces me always to despair, and makes me resolve to perish on the barren rock, in which I am at present, rather than venture myself upon that boundless ocean, which runs out into immensity. (T 1.4.7.1; SBN 263)

Gewiss ließ das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Beobachtung, mit der auf vermeintlich sicherem Weg das Ziel seiner Entdeckungsreise – die menschliche Natur – angesteuert werden sollte, Hume erwartungsvoll aufbrechen; allein die zunehmende Einsicht in die lauernden Gefahren lähmt seine Zuversicht, jemals wieder sichere Orientierung zu finden.130 Für den Treatise gilt, dass Humes bevorzugte Methode, mit Hilfe der Beobachtung die Wahrnehmung bzw. Wahrnehmungshaltung des Menschen zu untersuchen, dazu geführt hat, diese Methode selbst fragwürdig erscheinen zu lassen. Vor diesem Hintergrund mag es verständlich sein, dass Hume darauf verzichten muss, eindeutige Beobachtungsanweisungen und -richtlinien zu geben. Und so bleibt er, obwohl er z. B. im Treatise fortwährend unterstreicht, dass er als zuverlässiges Verfahren seiner ›science of Man‹ nur »careful and exact experiments« (T Introduction, 8; SBN xvii) sowie die »cautious observation of human life« (T Introduction, 10; SBN xix) akzeptiert, dem Leser abschließend die erforderlichen Angaben darüber schuldig, wie diese Sorgfalt in der Beobachtung erzielt werden kann und welchen Kriterien sie genügen muss.131 Humes Aufforderung, epistemologische Fangnetze zu knüpfen, fehlt der entscheidende Hinweis auf die erforderliche Maschendichte. Humes eigener Vergleich mit einem gestrandeten Seefahrer greift das Motiv des Frontispiz von Francis Bacons Novum organum [1620] auf, auf dem das Schiff der Erkenntnis auf das neue Meer der Wissenschaft hinaussegelnd zu erkennen ist, und führt es an den Rand des Scheiterns. 131 Im 10. Abschnitt der ersten Enquiry, »Of Miracles«, hatte Hume Überlegungen zur Eigenart von Erfahrungen, zu Erfahrungsberichten und deren Glaubwürdigkeit angestellt: »Though experience be our only guide in reasoning concerning matters of fact; it must be acknowledged, that this guide is not alltogether infallible, but in some cases is apt to lead us into errors.« (E1 10.3; SBN 110) Hume sagt nicht, welche Sorgfaltsvorkehrungen diese Fehler in der Erfahrung vermeiden helfen, gibt jedoch Kriterien an, nach denen die Beobachtungen anderer (genauer: deren Berichte über 130

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III. Zum Problem der Konzeption von »Anthropologie« und »Kultur«

Humes methodologisches Selbstverständnis ist nicht zuletzt auch durch die folgenreiche Verbindung bestimmt, die sich aus dem Wechselspiel von Zielsetzungen und die seine Arbeiten im Voraus bestimmenden Vermutungen ergibt. Denn seinem Anliegen, über den Weg der Beobachtung eine möglichst umfassende Kenntnis der Strukturen und Mechanismen menschlicher Denk- und Handlungsprozesse zu erhalten, geht die forschungsleitende Überzeugung voraus (zu deren Bestätigung er die ›science of Man‹ heranzieht), nach der sich die Menschen hinsichtlich der Prinzipien ihres Geistes nicht voneinander unterscheiden.132 Diese hier in ihren Umrissen skizzierte Konstellation hat entscheidende Auswirkungen auf Humes Einschätzung der eigenen empiristischen Verfahrensweise. Denn es besteht nun für die ›science of Man‹ kein Anlass, in der Wahl des Beobachtungsobjekts wählerisch zu sein und eines dem anderen vorzuziehen. Folglich lässt sich Humes nicht ausformulierte, aber auch von keiner Passage seines Werkes in Frage gestellte Überzeugung rekonstruieren, dass »[m]oral philosophy, or the science of human nature« (E1 1.1; SBN 5) die Beobachtung eines beliebigen Menschen zum Prüfstein ihrer Aussagen nehmen kann, um die Prinzipien des menschlichen Geistes zu demonstrieren, denn: It is universally acknowledged that there is a great uniformity among the actions of men, in all nations and ages, and that human nature remains still the same, in its principles and operations. (E1 8.7; SBN 83)133

das Beobachtete) auf ihre Glaubwürdigkeit (sprich: Fehlerlosigkeit) hin bewertet werden können (und allgemein auch so bewertet werden): »We entertain a suspicion concerning any matter of fact, when the witnesses contradict each other; when they are but few, or of a doubtful character; when they have an interest in what they affirm; when they deliver their testimony with hesitation, or on the contrary, with too violent asserverations.« (E1 10.7; SBN 112) Für Hume haben sich Beobachtungen (bzw. deren Wiedergabe in Wort oder Schrift) in der Auseinandersetzung mit anderen Erfahrungen zu bewähren und sind immer erst im Nachhinein auf ihre Glaubwürdigkeit hin (und das meinte dann hier ›Sorgfalt‹) beurteilbar. Eine sorgfältige Beobachtung wäre, gemäß Humes Ausführungen, möglich, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Widerspruchsfreiheit (mit den Beobachtungen anderer), 2. eine Mindestanzahl ähnlicher bis gleicher, von anderen gewonnener Beobachtungsergebnisse (Hume macht zur Anzahl keine weiteren Angaben), 3. geistige Disposition des Beobachtenden: Ehrlichkeit, Sachlichkeit, Leidenschaftslosigkeit. 132 Vgl. hierzu a. T 2.1.11.5; SBN 318. 133 Für David Hume gehört es zum Wesen der menschlichen Natur, dass sie von Prinzipien gelenkt wird; wiederholt betont er ihren unveränderlichen und universellen Charakter. Vor diesem Hintergrund sind Udo Bermbachs Ausführungen nicht nachvollziehbar: »Für Hume steht die Natur des Menschen nicht ein für allemal fest, sondern der Mensch ist, auf der Basis grundlegender, aber dispositiv verfügbarer Affekte und Leidenschaften, ›ein sehr flexibles Wesen und für viele verschiedene Meinungen, Prinzipien und Verhaltensregeln empfänglich‹, von Natur aus zwar unheilbar schwach und in bezug auf Politik sogar verdorben, aber zugleich doch auch um ständige Besserung bemüht.« (PÖE, S. XI) Bermbach verwechselt hier offensichtlich die von Hume als konstant begriffene, weil von Prinzipien geleitete Natur des Menschen mit dem durch »custom and education« (E1

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Das Beobachtungsprotokoll eines Europäers aus dem 18. Jahrhundert, so ließe sich Humes Überzeugung illustrieren, würde Aufschlüsse über »the fabric of the mind« (T 2.1.11.5; SBN 318) geben, die durch Beobachtungszeugnisse aus dem Ägypten des 2. Jahrtausends vor Chr. bestätigt werden könnten. Gleichwohl, so wird an späterer Stelle zu zeigen sein, führen Humes Beobachtungen ihn aber auch zu der freilich nur ein einziges Mal, nämlich im Essay Of National Characters in einer Anmerkung geäußerten Ansicht, dass die Natur eben nicht mit allen Menschen gleich verfahren ist und – mit Blick z. B. auf die Schwarzafrikaner – offenbar auch Ausnahmen zugelassen habe.134 Nichtsdestotrotz wird durch diese singuläre Passage die ansonsten erkennbare Gewissheit, mit der er seine Auffassung von der Einförmigkeit menschlicher Denk- und Affektstrukturen vorträgt, an keiner Stelle seines Werkes, ob es nun die Erkenntnislehre oder die Geschichte Englands behandelt, eingeschränkt oder gar zurückgenommen. Für Hume ist diese Übereinstimmung unmittelbar evident. Das derart ›Offensichtliche‹ avanciert im Treatise und in den Enquiries zum wohl wichtigsten Axiom seiner Lehre vom Menschen, von dem auch die anderen Arbeiten, bis hin zur History of England, beeinflusst sind. Mit diesem Schritt nimmt Hume eine folgenreiche Weichenstellung vor, denn unter der Oberfläche einer augenfälligen Vielfältigkeit menschlicher Lebens- und Ausdrucksweisen verläuft die (von Hume unterstellte) räumliche und zeitliche Kontinuität, die es ihm ermöglicht, Menschen als miteinander vergleichbar zu betrachten.135 Nachdem Hume auf diesem Wege die Gleichheit 8.11; SBN 86) gefärbten individuellen Verhalten. »The internal principles and motives may operate in a uniform manner, notwithstanding these seeming irregularities; in the same manner as the winds, rain, clouds, and other variations of the weather are supposed to be governed by steady principles; though not easily discoverable by human sagacity and enquiry.« (E1 8.15; SBN 88) Das Skandalon jeder Anthropologie – das sich jedem Versuch der Fixierung entziehende, in ständiger Bewegung befindliche Wechselspiel von den Menschen prägenden Faktoren, (konstante) menschliche Natur und (kontingente) Kultur – ist von Henry Vyverberg in seiner Wirkung auf die Schriften französischer Philosophen des 18. Jahrhunderts exemplarisch untersucht worden (Human Nature, Cultural Diversity, and the French Enlightenment, Oxford 1989). 134 Jüngst hat Annette Meyer die Uniformitätsprämisse Humes als einen zentralen Kerngedanken seiner Anthropologie hervorgehoben, ohne jedoch auf die aufschlussreiche, im Kap. IV.10 der vorliegenden Studie genauer analysierte Anmerkung von Of National Characters hinzuweisen (»Geschichte und Anthropologie in der Spätaufklärung. Zur Geschichte eines idiosynkratischen Verhältnisses«, in: Manfred Beetz/Jörn Garber/Heinz Thoma [Hg.]: Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologie im 18. Jahrhundert, Göttingen 2007, S. 187–207, hier S. 198). 135 Humes basso continuo, die These von der Gleichheit der Menschen, ist für die Ausarbeitung des Leitmotivs aus dem 2. Buch des Treatise, dem Affekt des Mitgefühls, von entscheidender Bedeutung. Jeder Mensch weiß um die Vergleichbarkeit seiner selbst mit anderen: »In general we may remark, that the minds of men are mirrors to one another, not only because they reflect each others emotions, but also because those rays of passions, sentiments and opinions may be often reverberated, and may decay away by insensible degrees.« (T 2.2.5.21; SBN 365) Joel C. Weinsheimer kritisiert mit Recht diesen »dogmatism that erects the present and familiar as criteria of the real and

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aller Menschen in seiner Lehre vom Menschen erst einmal institutionalisiert hat, gibt er sich keine weitere Mühe, ihre Existenz mittels Beobachtung zusätzlich plausibel zu machen. Denn es geht Hume in seinen Schriften weniger um den Nachweis, dass diese Gleichheit existiert, sondern er beabsichtigt vielmehr, diese Leitvorstellung dahingehend zu spezifizieren, dass er das Wie dieser Gleichheit, also die Beschaffenheit der Prinzipien, darlegt. Auch hierbei soll ihn das Erkenntnismittel »Beobachtung« unterstützen. Wenn es nun für Hume nicht von Bedeutung ist, an welchem Beobachtungsobjekt die Wirkungen der ›principles of human nature‹ ermittelt werden, d. h. welcher Mensch nun in den Fokus der Beobachtung rückt, so ist damit noch nicht zwangsläufig eine Entscheidung über die Form des Beobachtungsvorgangs gefallen. Obwohl Hume immer wieder beharrlich an den hohen Stellenwert erinnert, den ›observation and experience‹ für sein Projekt einer Wissenschaft vom Menschen haben, lässt sich an keiner Stelle seines Werkes die erforderliche, ausführliche Diskussion und Problematisierung von unterschiedlichen Beobachtungssituationen, -perspektiven und ihrer Bedingungen aufspüren.136 Dass die Perspektivität einer Beobachtungssituation von Hume zwar zugestanden wird, in ihrer Qualität jedoch letztlich nicht weiter zu bestimmen ist, ist nicht zuletzt Folge seines oben bereits dargelegten Skeptizismus, der, den Sinnen misstrauend, keine weiteren Angaben über das Verhältnis von äußeren Gegenständen und Perzeptionen zu geben vermag. Das wäre aber erforderlich, da das Faktum der Perspektivität das Gegenstück zur konstant gedachten menschlichen Natur ist. Humes detaillierte Analyse der Perzeptionen zeigt jedoch mehr Interesse für ihre Verbindungsformen und Mechanismen als für den Wahrnehmungsvorgang selbst. Es ist daher nur konsequent, wenn Hume davon absieht, bestimmte Beobachtungssituationen für seine Wissenschaft vom Menschen zu privilegieren; es bleibt somit bei der vagen Empfehlung, die Aufmerksamkeit auf »the common course of the world, […] men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures« (T Introduction, 10; SBN xix) zu richten. Das bedeutet aber auch, dass für sein Projekt einer allein an der Bloßlegung von Prinzipien interessierten Wissenschaft,

true«; Hume sei auf diese Weise leicht versucht »to discount what cannot be assimilated.« (»Hume on Others«, in: ders.: Eighteenth-Century Hermeneutics. Philosophy of Interpretation in England from Locke to Burke, New Haven 1993, S. 103–134 sowie S. 247–250, hier S. 123). 136 Eine kurze Mahnung zu vorsichtiger Beobachtung, die von Hume jedoch nicht weiter vertieft wird, findet sich in Of the Standard of Taste. Hume diskutiert die Ursachen ästhetischen Wohlgefallens: »When we would make an experiment of this nature, and would try the force of any beauty or deformity, we must choose with care a proper time and place, and bring the fancy to a suitable situation and disposition. A perfect serenity of mind, a recollection of thought, a due attention to the object; if any of these circumstances be wanting, our experiment will be fallacious, and we shall be unable to judge of the catholic and universal beauty.« (ES, 232).

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wie sie der Treatise und die Enquiries vorführen, die zeitlichen und regionalen Besonderheiten menschlicher Lebens- und Handlungsweisen und damit kulturelle Unterschiede zu guter Letzt bedeutungslos sind. Weit davon entfernt, eine ethnographische Perspektive einnehmen zu wollen (im Sinne einer möglichst lückenlosen Erfassung, Beschreibung und Deutung spezifischer bzw. lokal begrenzter Verhaltensweisen), fokussiert Hume seinen Blick derart auf die ›Natur‹ des Menschen, dass diese ›Selbstbeschränkung‹ all die vielfältigen Facetten des ›Menschenbildes‹ ausblendet, die nicht auf die leitenden Prinzipien verweisen. Weitaus mehr Begeisterung für die Details kultureller Besonderheiten beweist Hume in seiner History of England, aber auch hier gilt: »[W]hoever enlarges his view, and reflects on the situations, will remark the necessary progress of human affairs, and the operation of those principles which are inherent in human nature.« (HE III, 415, Kap. 38) Doch schon lange bevor er diese Überzeugung im dritten Band seiner History formuliert, betont Hume bereits im dritten Buch des Treatise, das einen seinem Projekt entsprechenden Beitrag zur Moralphilosophie leisten soll: [T]he study of history confirms the reasonings of true philosophy; which, showing us the original qualities of human nature, teaches us to regard the controversies in politics as incapable of any decision in most cases, and as entirely subordinate to the interests of peace and liberty. (T 3.2.10.15; SBN 562)

Humes mangelnde Eindeutigkeit, die seine Aussagen zur Beobachtung als Forschungsmethode der ›science of Man‹ kennzeichnet, verbunden mit der im Treatise und in den Enquiries vorgetragenen grundlegenden Skepsis bezüglich der Erkenntnisfähigkeit, erschweren die abschließende Beurteilung, als was die von Hume verwendeten Beobachtungsdaten anzusehen und wie sie zu behandeln sind. Humes Umgang mit Beobachtungen (eigenen oder fremden) zeigt im Treatise, den Enquiries und der History ein wenig homogenes Bild. So lässt sich meist nur vermuten, ob es sich bei den von Hume im Treatise, den Enquiries und den Essays angeführten Beispielen um authentische Beobachtungsdaten handelt (wie sie etwa die Ethnographie anstrebt) oder ob sie nicht vielmehr als von Hume imaginierte Situationen zu betrachten sind, die als repräsentativ gelten sollen. Humes Geschichtswerk, das sich von seinem Material auch eine Erkenntnis der allgemeinen Prinzipien der menschlichen Natur verspricht, teilt diese Ungewissheit hingegen nicht.

V. Hume und die Antike – Facetten der Humeschen Anthropologie und des Humeschen Kulturverständnisses

1. Ein letzter Blick zurück aufs Altertum Am 9. November 1776, knapp drei Monate nach Humes Tod, wendet sich Adam Smith, sein Weggenosse und akademischer Kollege, mit einem Brief an ihren gemeinsamen Freund, den Londoner Buchhändler und Verleger William Strahan. Die Absicht sei, so formuliert Smith, »to give you some account of the behavior of our late excellent friend, Mr. Hume, during his last illness.« (HE I, xv) Smith berichtet dort von seinem vorletzten Besuch bei Hume am 8. August des gleichen Jahres. Ein paar Tage zuvor habe Hume, in Erwartung des eigenen Endes, die Totengespräche (Nekrikoi dialogoi) des Lukian aus Samosata137 gelesen. So wird der Gast Zeuge, wie Hume […] diverted himself with inventing several jocular excuses, which he supposed he might make to Charon, and with imagining the very surely answers which it might suit the character of Charon to return to them. »Upon further Consideration,« said he, »I thought I might say to him, ›Good Charon, I have been correcting my works for a new edition. Allow me a little time, that I might see how the public receives the alterations.‹ But Charon would answer, ›When you have seen the effect of these, you will be for making other alterations. There will be no end of such excuses; so, honest friend, please step into the boat.‹ But I might still urge, ›Have a little patience, good Charon: I have been endeavoring to open the eyes of the public. If I live a few years longer, I may have the satisfaction of seeing the downfall of some prevailing systems of superstition‹. But Charon would then lose all temper and decency – ›You loitering rogue, that will not happen these many hundred years. Do you fancy I will grant you a lease for so long a term. Get into the boat this instant, you lazy, loitering rogue!‹« (HE I, xvii)

In dieser kurzen Notiz eines der letzten protokollierten Gespräche Humes (er starb am 25. August 1776) wird zweierlei deutlich. Sie spiegelt, in freilich ironischer Brechung, zum einen das Selbstverständnis Humes wieder, der sich als Verfasser philosophischer und historischer Schriften immerfort genötigt sah, das bereits Publizierte oder für

137 Die Nekrikoi dialogoi enthalten 30 dialogische, burlesk-satirische Episoden aus dem Hades und sind wohl um 166/67 entstanden. Mit ihnen setzte Lukian die kynische Tradition der Bedürfnislosigkeit und Todesverachtung in Szene. Zur Rezeptionsgeschichte der Totengespräche vgl. die Einleitung von Jürgen Werner in: Lukian. Werke in drei Bänden. Erster Band, Berlin/Weimar 1974, S. XXXVII.

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IV. Hume und die Antike

den Druck Vorgesehene wieder und wieder zu überarbeiten.138 So bat er regelmäßig Freunde und Kollegen, die noch unveröffentlichten Manuskripte einer inhaltlichen und formalen Kritik zu unterziehen139 sowie Stellung zu dem schon Veröffentlichten zu nehmen. Mit Hilfe dieser Korrekturen sollten stilistische Unebenheiten geglättet und inhaltliche Widersprüche beseitigt werden. Nicht zuletzt dienten sie dazu, den regelmäßig von Seiten der Kritik erhobenen Atheismusverdacht abzuwehren, indem potentiell anstößige Passagen bereits im Vorfeld erkannt und entschärft werden konnten.140 Der oben zitierte fiktive Dialog zwischen Hume und Charon erinnert gleichfalls daran, dass es eine grundlegende Absicht aller Humeschen Schriften war, die im Treatise und den Enquiries programmatisch formulierte Bekämpfung des Aberglaubens durch die Philosophie anzuspornen.141 Der Ausdruck ›superstition‹ wird von Hume als Kampfbegriff mit religionskritischer Bedeutung, und zwar in erster Linie mit Bezug auf den römisch-katholischen Glauben, gebraucht. Mit ›Aberglaube‹ bezeichnet Hume in diesem Sinne eine durch religiöse Anschauungen errichtete, sowohl intellektuelle als auch affektive Blockade, die einen unverstellten, durch aufgeklärte Wissenschaft geschärften Blick auf den Menschen und den Lauf der Welt (wie ihn seine Philosophie zu liefern bemüht ist) verhindert. Da die durch diese Blockade hervorgerufenen falschen Vorstellungen nach Ansicht Humes zudem mit heftigen Affekten gepaart sind, sind stets fatale Auswirkungen in Gestalt von religiösem Fanatismus zu befürchten: »Generally speaking, the errors in religion are dangerous; those in philosophy only ridiculous.« (T 1.4.7.13; SBN 272)142 Die oben zitierte Dialogpassage verdeutlicht aber nicht nur explizit Humes philosophische Zielsetzungen und sein Bedürfnis nach kontinuierlicher Korrektur seiner Schriften, sondern sie ist zugleich das letzte (und humorvollste) Zeugnis für die

So nahm Hume bereits vor der Veröffentlichung des Treatise einschneidende Veränderungen am Manuskript vor und vertraute Henry Home in einem Brief vom 2. Dezember 1737 an: »I am at present castrating my work, that is, cutting of its nobler parts; that is, endeavouring it shall give as little offence as possible […].« (LH I, 25). 139 Die erhaltene Korrespondenz lässt darauf schließen, dass neben Henry Home Pierre Desmaizeaux zu den ersten gehörte, auf deren Form- und Sachverstand sich Hume offensichtlich verließ (s. Briefe Nr. 6, Nr. 7 und Nr. 10 in LH I). 140 Als Problemfall stufte Hume seine Reasonings Concerning Miracles ein, die zunächst bereits als Teil des Treatise veröffentlicht werden sollten, dann aber erst 1748 als 10. Kapitel der Enquiry Concerning Human Understanding erschienen. Hume begründete die Zurückhaltung damit, dass die Reasonings, »which I am afraid, will give too much offence, even as the world is disposed at present.« (LH I, 24). 141 S. dazu T 1.4.7.13; SBN 271 sowie E1 1.11; SBN 11 und E2 3.36; SBN 198. 142 Ursprung und Wesen des Aberglaubens (und des Enthusiasmus) stehen vor allem in Humes Natural History of Religion und den Dialogues concerning Natural Religion im Mittelpunkt (vgl. Kap. IV.14 dieser Studie). 138

1. Ein letzter Blick zurück aufs Altertum

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Anziehungskraft, mit der ihn die Literatur der Antike zeit seines Lebens zur Auseinandersetzung reizte und deren Spuren in seinen Schriften unübersehbar sind.143 Diesen Spuren soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden, und zwar unter der spezifischen Fragestellung, welche Bedeutung die Lektüre antiker Autoren für das Humesche Anthropologie- und Kulturverständnis hatte. So war nach Humes eigenen Angaben die Kritik an der Vorgehensweise der antiken Autoren letztlich der Anlass, um das Projekt einer ›science of Man‹ in Angriff zu nehmen.144 Humes Reflexionen zu Ethik, Ästhetik, Religion, Politik oder auch zur Historiographie lassen sich zugleich als Versuche erkennen, immer wieder die Relevanz der antiken Autoren, seien sie griechischer oder römischer Herkunft, seien es Philosophen, Künstler oder Staatsmänner, für die Schärfung und Konturierung der eigenen Fragestellungen auszuloten.145 Bereits an dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, Zur Rezeptionsgeschichte des griechischen und römischen Altertums in England vgl. Wilhelm Busse/Uwe Baumann/Barbara Kuhn-Chen: Art. »United Kingdom«, in: Manfred Landfester (Hg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 15/3, Stuttgart 2003, Sp. 759–832; ein Hinweis auf Humes Geschichtswerk als »Indikator für die überragende Bed. des ant. Erbes für das geistige Leben der Epoche« in Sp. 813. Als gesichert kann wohl die Beobachtung gelten, dass das Augustan Age (~1690–1802) stärker die lateinische Literatur und Kulturgeschichte favorisierte und die Romantik sich hingegen mehr auf das griechische Erbe konzentrierte (ebd. Sp. 811 bzw. 814). In seiner History of Classical Scholarship. From the Revival of Learning to the End of the Eighteenth Century. Vol. 2, Cambridge 1902, geht John Edwin Sandys zwar auf Edward Gibbon ein (S. 435 ff.), ein Hinweis auf Hume findet sich dort allerdings nicht. 144 In einem Brief an George Cheyne im Frühjahr 1734 beschreibt der 23-jährige, wie ihn Anfälle von Melancholie quälten, die ein von Hume hinzugezogener Arzt scherzhaft als »Disease of the Learned« (LH I, 14) bezeichnete. Für diese Anfälle mitverantwortlich seien sicher die »many Books of Morality, such as Cicero, Seneca & Plutarch […]« (LH I, 14), die er zuvor gelesen habe. Wieder genesen, habe er über seine zukünftigen wissenschaftlichen Projekte nachdenken können: »Having now Time & Leizure to cool my inflam’d Imaginations, I began to consider seriously, how I shou’d proceed in my Philosophical Enquiries. I found that the moral Philosophy transmitted to us by Antiquity, labor’d under the same Inconvenience that has been found in their natural Philosophy, of being entirely Hypothetical, & depending more upon Invention than Experience. Every one consulted his Fancy in erecting Schemes of Virtue & of Happiness, without regarding human Nature, upon which every moral Conclusion must depend. This therefore I resolved to make my principal Study, and the Source from which I wou’d derive every Truth in Criticism as well as Morality.« (LH I, 16). 145 Der Aufsatz von Helmuth Schneider: »Schottische Aufklärung und antike Gesellschaft« (in: Peter Kneissl/Volker Losemann (Hg.): Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, S. 431–464) konzentriert sich auf die Darstellung der Positionen Humes, Smiths und Fergusons zur damals heftig umstrittenen Frage nach der Bevölkerungsdichte antiker Gesellschaften sowie zur Bewertung der in der Antike praktizierten Sklaverei. Sicher ist es zutreffend, von Humes »kritische[r] Sicht der Antike« (ebd., S. 440) zu sprechen, wenn es, wie Schneider überzeugend darlegt, um die Verurteilung der Sklaverei und die Feststellung wirtschaftlicher Unterlegenheit geht. Da Schneider jedoch auf die Humesche Bewertung der griechischen Kultur, in Gestalt von Kunst oder Wissenschaft, nicht eingeht, ist das gezeichnete Bild zumindest einseitig. 143

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IV. Hume und die Antike

dass Hume allgemein gehaltene Urteile über »die Griechen« oder »die Römer« weitgehend vermeidet: Seine Bewertungen, seien sie nun anerkennend oder ablehnend, sind eng an den jeweiligen Untersuchungskontext, also an Fragen politischer, ästhetischer oder philosophischer Natur gebunden. So können bald die Griechen, bald die Römer als vorbildhaft gelten (oder gegenüber der Moderne abgewertet werden). Um die Humeschen Argumentationen besser nachvollziehen zu können, orientiert sich die folgende Darstellung an den auch von ihm verfolgten thematischen Zusammenhängen (politische, künstlerische etc. Zustände). Ob Hume dabei den einzelnen griechischen oder römischen Standpunkten nun zustimmt oder sie ablehnt: In jedem Falle misst er ihren Stimmen hohes Gewicht bei. Ein ironischer Ton wie im eingangs zitierten Dialog findet sich dabei nur selten. In diesem freilich dient die Antike Hume zur Kostümierung und zur Maskerade, insofern sich Charon vom Fährmann der Unterwelt in das zeitgenössische alter ego des schottischen Philosophen verwandelt. In der Maske des Charon zieht Hume eine kritische, ambivalente Bilanz seines Schaffens. Diese lässt auf der einen Seite die im Dialog geäußerte Hoffnung auf einen raschen Sieg über den Aberglauben als ebenso unbegründet erscheinen wie Humes naive Zuversicht, das Lesepublikum jemals umfassend und abschließend zufriedenstellen zu können.146 Auf der anderen Seite wird der Kampf gegen den Aberglauben von Charon zwar als langwierig bezeichnet, jedoch nicht für vollkommen aussichtslos gehalten147, so dass die als skeptisch zu wertende Haltung des Fährmanns nicht vorschnell als Humes Eingeständnis des eigenen Scheiterns interpretiert werden darf. Denn Charon ist nicht über die vermeintliche Uneinsichtigkeit Humes in die Vergeblichkeit seines Tuns erzürnt, sondern über Humes unablässiges Drängen, mit Hilfe von mehr (Lebens-)Zeit die Saat seiner Schriften doch noch aufgehen zu sehen. Auf diese Weise thematisiert der Dialog unter anderem das spannungsreiche Verhältnis zwischen der Aufklärung als eines wissenschaftlichkünstlerischen Langzeitprojekts der Kultivierung des Geistes und der im Vergleich dazu kurzen Lebensspanne des daran beteiligten Wissenschaftlers oder Künstlers, der die Erträge seiner Arbeit zumeist nicht mehr erlebt.

Es ist auffällig, dass Hume auch in seiner Autobiographie My Own Life beständig auf die Art und Weise der Rezeption seiner Schriften oder auch seiner Person hinweist. 147 Eine weitere Pointe dieses Dialogs liegt zudem darin, dass Hume sich mit Charon auf eine Diskussion mit einer göttlichen Instanz einlässt, die, seiner Natural History of Religion zufolge, aus der Zeit des Polytheismus stammt und für deren Existenz er die (durch Aufklärung zu beseitigende) Unwissenheit verantwortlich macht (vgl. Part II: ›The Origins of Polytheism‹). 146

2. Griechentum vs. Ritterlichkeit

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2. Griechentum vs. Ritterlichkeit – An Historical Essay on Chivalry and Modern Honour So detailreich Hume seine späteren Lektüreerfahrungen und die durch sie ausgelösten Reflexionen in seinen Briefen und Schriften auch dokumentiert, so sehr bleiben ihre Anfänge im Unbestimmten: Humes spätere Rückblicke berichten über seine Beschäftigung mit den Klassikern während des Universitätsbesuchs, doch vermutlich wurde er schon als Kind mit ihnen vertraut gemacht.148 Im Herbst 1723 begann Hume, Vorlesungen an der Universität von Edinburgh zu besuchen und absolvierte auf diese Weise, bis zum Frühjahr 1725, seine Schulausbildung, der er dann ab Herbst 1726 ebendort das Studium der Rechte folgen ließ; in diesen Jahren, soviel ist bekannt, war der Unterricht in den alten Sprachen im »basic curriculum of arts and sciences«149 verbindlich vorgesehen. Es gibt jedoch aus dieser Periode von Hume keine spezifischen Angaben über die Autoren und die Texte, die er während dieser Zeit rezipierte. Die älteste erhaltene Schrift, die Humes Auseinandersetzung mit der Antike dokumentiert und überhaupt als das bis jetzt älteste bekannte Zeugnis Humes gelten kann, ist wohl sein Historical Essay on Chivalry and Modern Honour150, der vermutlich um 1725 oder 1726 verfasst und wahrscheinlich als Preisschrift oder als Studienarbeit konzipiert wurde. Diese kurze, nur als Fragment erhaltene Abhandlung ist für die hier zur Diskussion stehende Frage nach der Bedeutung der Antike für Humes Anthropologie- und Kulturverständnis in vielfacher Hinsicht aufschlussreich, so dass

Mossner mutmaßt, dass in Humes Elternhaus folgende Bücher vorhanden waren: »[…] a fair range of the Latin classics in prose and poetry, a few of the Greek, a few more of the French, and a miscellaneous lot of the English, including, certainly, Shakespeare, Milton, and Dryden, as well as the more recent Tatlers and Spectators and Pope.« (E. C. Mossner: The Life of David Hume, 2. Aufl. Oxford 1980 [1. Aufl. 1954], S. 30.) Hume selbst gibt in seiner Autobiographie My Own Life zu verstehen: »I […] was seized very early with a passion for Literature which has been the ruling Passion of my Life, and the great Source of my Enjoyments.« (ML, 1). 149 E. C. Mossner: The Life of David Hume, 2. Aufl. Oxford 1980 (1. Aufl. 1954), S. 38; dort auch weitere Angaben zu den damals in Edinburgh Lehrenden. Die Grundausbildung sah Latein, Griechisch, Logik (d. i. Rhetorik und Literaturkritik), Metaphysik und Naturphilosophie vor. Im Latein- und Griechischunterricht stand das Erlernen der Sprache, so Mossner, im Vordergrund, so dass weiterführende Erörterungen über die in den Texten verhandelten Gegenstände selten gewesen sein dürften. M. L. Clarke macht in seiner Studie darauf aufmerksam, dass der rein philologische Umgang mit den Klassikern bei den Studenten nicht sehr beliebt war. Dennoch blieben sie bedeutender Studiengegenstand, und zwar in Fächern wie Logik oder auch Medizin (Greek Studies in England 1700–1830, Cambridge 1945, S. 42). 150 E. C. Mossner hat diesen Text ediert: »David Hume’s ›An Historical Essay on Chivalry and Modern Honour‹«, in: Modern Philology 45 (1947/48), S. 45–60; im Folgenden mit der Sigle EC angegeben. 148

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IV. Hume und die Antike

sie hier genauer betrachtet werden soll.151 Der Essay stellt sich zur Aufgabe, vor dem Hintergrund der antiken Konzepte von Tapferkeit die historische Entwicklung hin zu einem »new Scheme of Manners or Heroism« (EC, 58), nämlich der mittelalterlichen Vorstellung der Ritterlichkeit, nachzuzeichnen.152 Bei dieser Darstellung streift der Essay eine Vielzahl von Aspekten, die auch in den späteren Schriften Humes, seien es die Briefe, die Essays zu Ökonomie oder Politik oder auch das Geschichtswerk, immer wieder eine Rolle spielen. Dazu gehört z. B. Humes Bewertung des Verhältnisses von griechischer und römischer Kultur, des Fortlebens und der Transformation antiker Denk- und Verhaltensweisen durch die Jahrhunderte, des Stellenwerts, der der arabischen Welt in diesem Prozess zukommt sowie des insgesamt hemmenden Einflusses mittelalterlichen Denkens auf die kulturelle Entwicklung. Den zeitlichen Ausgangspunkt des Essays bildet der Untergang des weströmischen Reiches im 5. Jhdt. n. Chr, herbeigeführt durch die politische Erstarrung in seinem Inneren und erkennbar an dem erlahmenden Widerstand gegen die von Außen anrückenden germanischen Stämme. Dieses marode gewordene Staatswesen habe in seinen letzten Tagen, so formuliert Hume, »banish’d all Virtue, Wit & Reason from the Earth […].« (EC, 56) Der politische Niedergang habe auch das vormals in den Grenzen dieses Staates erlangte kulturelle Niveau in Mitleidenschaft gezogen, jedoch nicht durch einen Rückfall in die Barbarei, sondern eher im Sinne einer durch Überfeinerung der Lebensweise verursachten Kraft- und Wehrlosigkeit: […] ’[T]is impossible for a polite Nation […] to become altogether barbarous, their Change, however great, cou’d never extend to the entire banishment of all Arts, but in common Life at least, there must remain near the same Perfection in Handicraft Arts, & in Conversation a Tincture of their former Civility. But these, however great Ornaments they may be esteemd are merely Ornaments, serving nothing to defence, but rather like fine Cloathes & rich Embroideries in Soldiers, draw on the Attacks of Enemies. (EC, 56)

Dieser Essay ist, soweit ich die Forschungsliteratur zu Hume überblicke, kaum Gegenstand einer eigenständigen Untersuchung geworden; auch in den Gesamtdarstellungen zu Humes Philosophie wird nur beiläufig auf ihn eingegangen. 152 M. L. Clarke erwähnt in seiner 1945 publizierten Studie die Letters on Chivalry and Romance, die der Bischof von Lichfield und Coventry Richard Hurd 1762 veröffentlicht habe, als Beleg für »one of the first growing interest in the Middle Ages«. Zu diesem Zeitpunkt konnte Clarke den erst 1948 von Ernest C. Mossner edierten Essay Humes noch nicht kennen, der viele der von Hurd angesprochenen Aspekte bereits vorwegnimmt (Greek Studies in England 1700–1830, Cambridge 1945, S. 134). Hurd wird wegen seiner mutmaßlichen Angriffe auf Humes Natural History of Religion in My Own Life scharf angegriffen: »In this interval, I published at London my Natural History of Religion, along with some other small pieces: its public entry was rather obscure, except only that Dr. Hurd wrote a pamphlet against it, with all the illiberal petulance, arrogance, and scurrility which 151

2. Griechentum vs. Ritterlichkeit

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Die »polite & luxurious Arts« (EC, 56)153 der unterlegenen Römer hätten, so Hume weiter, aufgrund ihrer Neuartigkeit eine so große Faszination auf die Sieger ausgeübt, dass diese daraufhin die Römer sowohl zu imitieren versuchten (»Imitation of the Romans« [EC, 56]) als auch neue Sitten und Gebräuche einführten. Die folgenden Etappen dieses Prozesses versucht Hume mit Hilfe der Beobachtung des »human Mind« (EC, 57) zu erklären. Da der Geist der Barbaren, so Hume, in einem Zustand des »Twilight of Reason« (EC, 56) gefangen gewesen und ihnen daher die römische Idee einer vollkommenen Lebensweise letztlich doch fremd geblieben sei, habe sich ihr Geist auf »a new set of Passions, Affections, Desires, Objects, & in short, a perfectly new World of its own« (EC, 57) gerichtet. Auf diesem Wege hätten die Barbaren dann auch »vast Conceptions« (EC, 57) davon entwickelt, was als verdienst- oder ehrenvoll zu gelten habe. Die so begünstigte Entstehung eines »Monster of Romantick Chivalry or Knight-Errantry« (EC, 57) lasse sich, so Hume, aber nicht allein bei den Barbaren beobachten. Die Ritterlichkeit, von Hume als Folge einer »necessary Operation of the Principles of Human Nature« (EC, 57) begriffen, habe es bereits zuvor bei den Mauren und Arabern gegeben, denn diese seien durch ihre Eroberungen der römischen Provinzen, wie die Barbaren, mit den dortigen Umgangs- und Verhaltensweisen in Kontakt gekommen. Im Unterschied zu ihren nördlichen Nachbarn jedoch seien sie, als »Southern People« (EC, 57), in deren Umformung viel schneller und einfallsreicher gewesen. Hume ist davon überzeugt, dass als Indikator dieses neuen Konzepts von Ritterlichkeit nicht allein das veränderte, von ihm als unnatürlich empfundene Verhalten

distinguish the Warburtonian school. This pamphlet gave me some consolation for the otherwise indifferent reception of my performance.« (ML, 5). 153 Dass Hume den Ausdruck ›arts‹ nicht nur auf die schönen Künste, sondern auch auf das Handwerk bezieht, lässt sich einer Passage der ersten Enquiry entnehmen: »A peasant can give no better reason for the stopping of any clock or watch than to say it does not commonly go right: But an artist easily perceives, that the same force in the spring or pendulum has always the same influence on the wheels; but fails of its usual effect, perhaps by reason of a grain of dust, which puts a stop to the whole movement.« (E1, 8.13; SBN 87) Im Essay Of Refinement in the Arts von 1752 differenziert Hume die unterschiedlichen Formen der ›Künste‹ und gibt dabei zu verstehen, dass eine Anhebung des allgemeinen kulturellen Niveaus gemeinhin Auswirkungen auf alle Künste hat: »Another advantage of industry and of the refinements in the mechanical arts, is, that they commonly produce some refinements in the liberal; nor can one be carried to perfection, without being accompanied, in some degree, with the other. The same age, which produces great philosophers and politicians, renowned generals and poets, usually abounds with skilful weavers, and ship-carpenters. We cannot reasonably expect, that a piece of woollen cloth will be wrought to perfection in a nation, which is ignorant of astronomy, or where ethics are neglected. The spirit of the age affects all the arts; and the minds of men, being once roused from their lethargy, and put into a fermentation, turn themselves on all sides, and carry improvements into every art and science. Profound ignorance is totally banished, and men enjoy the privilege of rational creatures, to think as well as to act, to cultivate the pleasures of the mind as well as those of the body.« (ES, 270 f.).

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IV. Hume und die Antike

gelten kann. Vielmehr weise auch die Architektur auf eine Veränderung hin. Die Unterschiede zwischen griechischen und gotischen Bauwerken machten dies deutlich: The one are plain, simple, regular, but withal majestic & beautyful, which when these Barbarians unskillfully immitated, they run into a wild Profusion of Ornaments, & by their rude Embellishments departed far from Nature & a just Simplicity. They were struck with the Beauties of the antient Buildings, but ignorant how to preserve a just Mean; & giving an unbounded Liberty to their Fancy in heaping Ornament upon Ornament, they made the whole a heap of Confusion, & Irregularity. (EC, 58)

Die Erzeugnisse griechischer Architektur, so Humes Ansicht, zeigen eine Ebenmäßigkeit, die ihren Artefaktcharakter vergessen lässt: Ihre Natürlichkeit verbürgt ihre Schönheit. Der ornamentale Charakter der Gotik hingegen wirkt auf Hume abstoßend. Ohne Rücksicht auf religiöse Implikationen zu nehmen, die z. B. bei der Konzeption gotischer Kathedralen eine wichtige Rolle spielten, unterstellt Hume griechischen wie gotischen Architekten die gleiche Absicht in der Aussage ihrer Bauwerke, kreidet den letzteren jedoch mangelnde Kompetenz in der Umsetzung an (›unskillfully immitated‹, ›ignorant how to preserve a just Mean‹). An diesem Beispiel der Architektur verdeutlicht Hume, dass spezifische Formen gestalterischen Wissens und Könnens im Laufe der Geschichte keinesfalls nur einen geradlinigen Aufschwung nehmen, sondern dass durchaus auch mit Brüchen und Rückschritten zu rechnen ist. Beweis dafür sind ihm die eigenen ästhetischen Urteile (›plain, simple, regular, but withal majestic & beautyful‹ vs. ›a wild Profusion of Ornaments‹, ›a heap of Confusion, & Irregularity‹), die sich, unabhängig von der zu beurteilenden Epoche, allein am Aufbau und an der Struktur der Bauwerke orientieren. Einen weiteren Beleg für den Wechsel in den Vorstellungen, den das Konzept der Ritterlichkeit mit sich brachte, sieht Hume in der veränderten Bewertung von Mut und Tapferkeit. In den Geburtsstunden eines jeden Staatswesens, so behauptet Hume, hätten Mut und die Tapferkeit im Krieg als höchste Tugenden gegolten. Zwar habe man auch die Klugheit bewundert, jedoch sei die Tapferkeit unangefochten »the chief Business & Source of Greatness, in all uncivilized Nations […].« (EC, 58) Auch z. Zt. der Anfänge Roms sei die Tapferkeit ein Beweis der Tugend gewesen bzw. sogar synonym gebraucht worden (›virtus‹), und auch die von Homer besungenen Helden hätten sich vor allem durch ihren Mut ausgezeichnet. Mehr noch: die Erzählungen von Herkules, Perseus, Theseus, Jason und anderen zeigten, dass diese geradezu auf der Suche gewesen seien, ihre Tapferkeit und ihren Mut zu erproben: »[…] whenever they heard of a Dragon or Monster stronger than themselves, immediatly lookt on it as their Antagonist, & to run from one Adventure of this kind to another was their constant Business.« (EC, 59) In dieser Hinsicht, soweit gesteht Hume zu, unterscheiden sich die ›modernen‹ Helden des Mittelalters, wie Amadis de Gaule und Lancelot de Lake, nicht von ihren

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Vorgängern: Auch sie definieren sich über ihre Tapferkeit. Die spezifische Differenz aber sieht Hume in der Höflichkeit, in der der Mut des ›modernen‹ Helden zugleich mit einer Großherzigkeit (»Generosity«, EC, 58) verknüpft sei, die man bei den antiken Helden vergeblich suche; bei ihnen stoße man eher auf »[…] that Air […] of Savageness & Barbarity, which converted them in a manner into Pirates & Robbers […].« (EC, 59) Gleichwohl zieht Hume die »plain roughness« der Antike einer »chimerical and affected Politeness« (EC, 59) des Mittelalters vor. Dieser Habitus der »extreme Civility« (EC, 59), der das Mittelalter charakterisiere, sei, so schreibt Hume, als das Resultat der Vermischung von Liebe und Mut zu begreifen. Diese nach seinem Dafürhalten ›moderne‹ Verbindung von Affekten zeige sich beispielsweise in der heroischen Figur des »Cavalier« (EC, 60), für den Minnedienst und ›aventiure‹ zusammengehören. Obwohl Humes Ausführungen verdeutlichen, dass es sich hierbei offensichtlich um ein typisches Phänomen des Mittelalters handelt, glaubt er eine prägnante Formulierung in der antiken Literatur ausfindig gemacht zu haben, die diese besondere Affektkonstellation trefflich beschreibt: »Parcere subjectis & debellare superbos.« (EC, 60) (›Die Unterworfenen schonen und die Hochmütigen besiegen‹). In diesen Worten aus Buch VI, Vers 853 der Aeneis von Vergil sieht Hume die zwei Facetten einer besonderen Form von Großherzigkeit gebündelt. Bemerkenswert ist, dass Hume es hier unterlässt, auf die weiteren Implikationen dieses Textstellenfundes genauer einzugehen. Eine Reflexion über die sich daraus ergebenden Konsequenzen scheint mir an dieser Stelle jedoch unerlässlich zu sein. Denn ein Blick auf den Kontext dieser Formulierung, die sich in der Rede des toten Anchises an seinen Sohn Aeneas findet, erschließt die immens politische Stoßrichtung, die sich hinter diesem Ratschlag verbirgt: Das Selbstverständnis eines Römers, so gibt Anchises zu verstehen, konstituiere sich nicht in erster Linie durch seinen Beitrag zu einer künstlerischen oder wissenschaftlichen ›Avantgarde‹, sondern durch seinen Ehrgeiz auf politisch-strategischem Gebiet: Weicher werden aus Erz einst andere atmend Gebilde / treiben, – ich glaube es –, formen lebendige Züge aus Marmor, / führen gewandter das Wort vor Gericht und zeichnen des Himmels / Bahnen genau mit dem Stab und künden steigende Sterne: / du aber, Römer, gedenk durch Befehl die Völker zu lenken, / – das ist Kunst für dich – dem Frieden zu prägen Gesittung, / Unterworf ’ne zu schonen und niederzukämpfen Empörer!154 Vergil: Aeneis und die Vergil-Viten. Lateinisch-deutsch. In Zusammenarbeit mit Karl Bayer hg. und übers. v. Johannes Götte, München 1958, S. 269 (VI. Buch, V. 847–853). In der Nachfolge Vergils, darauf weist Joachim Bumke hin, werden im Mittelalter, so in Heinrich von Veldekes Eneit, Motive aus Vergils Epos aufgenommen und der Zeit entsprechend mit anderem Schwerpunkt neu arrangiert; so steht in der Eneit die Minne im Vordergrund. Vgl. Joachim Bumke: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, München 1990, S. 142 f. 154

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IV. Hume und die Antike

Eben diese Differenzierung kultureller Leistungen und ihre vermutlich völkerspezifisch gemeinte Abgrenzung (Griechen vs. Römer) ist in Humes verkürztem Zitat des »Parcere subjectis & debellare superbos« nicht wiederzufinden, auch wenn Hume vermutlich darauf rechnete, dass der gebildete zeitgenössische Leser mit dieser Vergil-Sentenz sowie dem oben dargestellten Zusammenhang vertraut war. Zudem hat Hume an dieser Stelle nicht die Erörterung der von Anchises benannten Mission der Römer im Visier; vielmehr beabsichtigt er, die Besonderheit einer Formulierung zu dokumentieren, die eine sowohl in der Antike als auch im Mittelalter vorzufindende Verbindung von Affekten beschreibt. Wenn auch Hume hier die von Anchises getroffene Differenzierung weder explizit noch implizit kommentiert, so werden doch seine späteren Urteile, vor allem in der History of England, Anchises im Nachhinein recht geben: Die im wörtlichen Sinn ›maßgebliche‹ Bedeutung Roms besteht gerade darin, den besiegten Nationen das römische Recht vorgeschrieben und auf diese Weise, so geben Humes Ausführungen zu verstehen, die Grundlage für die Entwicklung der Zivilisation gelegt zu haben. Zudem stellt sich bei der Lektüre des Historical Essay on Chivalry and Modern Honour die Frage, wie stichhaltig seine dort vertretene These der epochen- und kulturspezifischen Konstellationen von Tugenden und Affekten ist. Humes Ausführungen möchten die historische Variabilität und jeweilige Spezifität dieser Konstellationen belegen und schlagen dabei einen weiten Bogen von der griechisch-römischen Antike bis zum Mittelalter. Der schottische Philosoph vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass Tugenden, Affekte sowie ihre jeweilige kulturelle Umgebung wechselseitig aufeinander einwirken. Wegen dieser engen Verflochtenheit sieht er in Affekten und Tugenden, wie sie in den Werken der »Grecian Poets« oder in den »Romances of Amadis de Gaul, & Lancelot de Lake« (EC, 59) dargestellt sind, ein wichtiges Erkennungsmerkmal der jeweiligen Zeit, so wie er zugleich ihre einflussreiche, die jeweilige Kultur gestaltende Kraft anerkennt. Der im Historical Essay exemplarisch skizzierten Geschichte der Affektmodellierung liegt jedoch ein Verständnis von historischer Entwicklung zugrunde, das folgendes Problem aufwirft: Hume möchte einerseits die Einmaligkeit des Zusammentreffens spezifischer Tugenden und Affektkonstellationen aufzeigen, die ihrerseits wieder als Kriterium dienen sollen, um zwischen den einzelnen historischen Epochen bzw. Kulturen differenzieren zu können. Andererseits führt er aber, ohne weiter darauf einzugehen, eine Formulierung aus den Schriften Vergils aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert an, die seiner Ansicht nach bereits einen Habitus beschreibt bzw. einfordert, den er wenige Zeilen zuvor noch zum Signum eines bedeutend späteren Jahrhunderts erklärt hat. Daher stellt sich die Frage, wie überzeugend das Vorgehen Humes ist, zunächst bestimmte Konstellationen von Tugenden und Affekten wie im Falle der »Romantick Chivalry or Knight-Errantry« (EC, 57) zum exklusiven Erkennungszeichen einer Epoche (hier des Mittelalters) zu erklären, um diese Exklusivität

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im gleichen Atemzug (so legt sein beiläufiger Hinweis auf Vergil nahe) wieder zu relativieren. Für den Leser muss auf diese Weise verborgen bleiben, in welchem Zusammenhang die »Romantick Chivalry or Knight-Errantry« und die Textstelle bei Vergil stehen. Das Vergil-Zitat irritiert, weil Hume, indem er es als Kommentar gebraucht, die Tugend- und Affektvorstellungen des Mittelalters in die Nähe von denen der römischen Antike rückt und damit den vorherrschenden Argumentationsduktus dieses Essays durchbricht, der darin besteht, in möglichst kontrastreichen Skizzierungen die Konstellationen von Tugenden und Affekten aufzuzeigen sowie zwischen den Tugendbegriffen von Römern, Griechen, Mauren, Goten und Rittern streng zu unterscheiden. Für ihn heben sich daher die Erzählungen der »Heroes of Poetry« (EC, 59) (Herkules, Perseus, Theseus und Jason) von denen der »Moorish & Gothic Heroes« (EC, 59) (damit sind die »Romances of Amadis de Gaul, & Lancelot de Lake« [EC, 59] gemeint) deutlich ab. Die undurchschaubare Verwendung des Vergil-Zitats lässt damit die Frage unbeantwortet, ob Hume die Aeneis nun zur ersten oder zur zweiten Gruppe zählt. Von dieser Unbestimmtheit abgesehen, macht Hume im Historical Essay unmissverständlich klar, dass er in dem Konzept der Ritterlichkeit, dessen praktische Umsetzung er an so unterschiedlichen Beispielen wie der gotischen Architektur und dem Wandel des Tapferkeitsverständnisses zu verdeutlichen sucht, letztlich ein Zeichen moralischer, intellektueller und ästhetisch-produktiver Unzulänglichkeit sieht. Bezugspunkt für dieses Urteil ist hier die griechische Antike, deren Stil sich an »Nature & a just Simplicity« (EC, 58 und 59) orientiert und damit, laut Hume, einen starken Kontrast zum typisch gotischen Gestus der Übertreibung und des Überbietens bildet. Der Gegensatz zwischen dem Natürlichen und dem Affektierten wird in Humes Schriften zum Gegensatz zwischen der Antike und der Moderne schlechthin, wie z. B. auch ein Blick in den vierten Teil der History of England von 1761 zeigt. Dort wägt Hume den ästhetischen Wert der Epen Homers155 gegen den der Schriften Edmund Spensers aus dem 16. Jahrhundert ab und kommt zu folgendem Ergebnis: Homer copied true, natural manners, which, however rough or uncultivated, will always form an agreeable and interesting picture; but the pencil of the English poet was employed in drawing the affectations and conceits and fopperies of chivalry, which appear ridiculous as soon as they lose the recommendation of the mode. (HE IV, 234, App. zu Kap. 54)

Zur weit verbreiteten Bewunderung Homers im 18. Jahrhundert, besonders des »picture of the Homeric Hero as the Naturmensch« vgl. M. L. Clarke: Greek Studies in England 1700–1830, Cambridge 1945, Kap.10 (hier S. 130). 155

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IV. Hume und die Antike

Die im Historical Essay demonstrierte Unterlegenheit der Goten auf künstlerischwissenschaftlichem Gebiet wird auch an späterer Stelle seines Werks, im Essay Of Eloquence aus dem Jahr 1742, bekräftigt, diesmal gegenüber der römischen Antike. Zugleich aber spielt Hume die Bedeutung der im Historical Essay noch mit kontrastreichem Strich gezeichneten Differenzen im Hinblick auf Mut und Tugend bzw. Tapferkeit herunter: It may, however, be observed, that, in civil history, there is found much greater uniformity than in the history of learning and science, and that the wars, negociations, and politics of one age resemble more those of another, than the taste, wit, and speculative principles. Interest and ambition, honour and shame, friendship and enmity, gratitude and revenge, are the prime movers in all public transactions; and these passions are of a very stubborn and intractable nature, in comparison of the sentiments and understanding, which are easily varied by education and example. The Goths were much more inferior to the Romans, in taste and science, than in courage and virtue. (ES, 97)

Hatte der Historical Essay noch versucht, Zeitalter und Nationen anhand des jeweils herrschenden Tapferkeitsbegriffs zu differenzieren, so ist es jetzt das unterschiedliche Engagement in »learning and science«, das Hume als taugliches Unterscheidungskriterium ansieht. Die nach Humes Ansicht historisch nachweisbare Gleichförmigkeit des Mut- und Tugendverständnisses verstellt die Möglichkeit, in ihm ein Spezifikum eines Volkes oder eines Zeitalters zu sehen. Im Gegensatz zu dieser behaupteten Gleichförmigkeit sieht Hume dann vier Jahre später, im Essay Of National Characters, gerade in der für zu groß befundenen Variabilität des Tapferkeitsverständnisses den Grund dafür, dass es als Analysekategorie schlichtweg unbrauchbar ist: Das Tapferkeitsverständnis eigne sich grundsätzlich nicht dazu, das Spezifische einer Nation zu entschlüsseln. Wieder dient Hume hier die römische und griechische Antike zur Illustration: In general, we may observe, that courage, of all national qualities, is the most precarious; because it is exerted only at intervals, and by a few in every nation; whereas industry, knowledge, civility, may be of constant and universal use, and for several ages, may become habitual to the whole people: If courage be preserved, it must be a discipline, example, and opinion. The tenth legion of Caesar, and the regiment of Picardy in France were formed promiscuously from among the citizens; but having once entertained a notion, that they were the best troops in the service, this very opinion really made them such. As a proof how much courage depends on opinion, we may observe, that, of the two chief tribes of the Greeks, the Dorians, and Ionians, the former were always appeared more brave and manly than the letter; though the colonies of both the tribes were interspersed and intermingled throughout all the extent of Greece, the Lesser Asia, Sicilly, Italy, and the Islands of the Aegean sea. The Athenians were the

2. Griechentum vs. Ritterlichkeit

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only Ionians that ever had any reputation for valour or military achievements; though even these were deemed inferior to the Lacedemonians, the bravest of the Dorians. (ES, 212)

Hume distanziert sich also – im Zuge seiner Beschäftigung mit den Vorstellungen von Tugend, Mut und Tapferkeit – zunehmend von der noch im Historical Essay geäußerten Überzeugung, dass diese Vorstellungen für eine gesamte Epoche und für alle Mitglieder einer Gesellschaft Gültigkeit besitzen. Diese Einsicht nötigt Hume auch zu einem wesentlich genaueren Blick auf die griechische und römische Antike, die im Historical Essay weit weniger differenziert behandelt wird als in den späteren Schriften. In diesem Zusammenhang sticht zudem der wichtige Befund ins Auge (der sich über den Historical Essay hinaus auch mittels anderer Schriften erheben lässt156), dass Humes Wertschätzung spezifischer Aspekte der griechischen Antike sich nicht unbedingt mit seinem Gebrauch des Begriffs »civilized« vermengen muss. So sind im Historical Essay der Dichter Homer sowie die (von Hume nicht näher spezifizierten) »Grecian Models« (EC, 58) der Architektur augenfällig als Gegenstand seiner uneingeschränkten Bewunderung ausgewiesen, ohne dass er damit die von ihm ins Auge gefasste Epoche (hier also vermutlich die sog. ›archaische Zeit‹) zugleich schon als »civilized« bezeichnen müsste, ganz im Gegenteil: So bewertet er die von Homer beschriebenen Sitten als »rough or uncultivated« (HE IV, 234, App. zu Kap. 54); und eine wie zu Zeiten Homers besonders ausgeprägte Hochschätzung der Tapferkeit um ihrer selbst willen erscheint ihm eher als markantes Kennzeichen von »uncivilized Nations« (EC, 58). Humes pauschalierende Behauptung der mangelnden Zivilisiertheit des griechischen Volkes während dieser Periode – die Dürftigkeit gesitteter Umgangsformen und das offensichtliche Fehlen von moralischer oder gesetzlicher Hemmung der Aggressivität – schließt für ihn jedoch keinesfalls aus, dass aus dieser Gesellschaft einzelne Personen hervorstechen können, die (mögen sie der Nachwelt namentlich bekannt sein oder nicht) Werke von auch künftig normsetzendem, künstlerischem Rang gefertigt haben. Zumindest in dieser Passage des Historical Essay tritt eine Überzeugung

Vgl. z. B. die im Essay Of the Populousness of Ancient Nations formulierte Kritik an der antiken Praxis der Sklavenhaltung, die als Beispiel für die »severe, […] barbarous manners of ancient times« (ES, 384) zu betrachten sei. Freilich bezieht sich Hume hier nicht allein auf die griechische, sondern auch auf die römische Antike. In der gleichen Schrift verweist Hume auch auf die brutale Qualität der antiken Schlachten; sie seien »much more bloody« gewesen und hätten ein »degree of fury quite unknown to later ages« (ES, 405) erreicht. Im Essay Of the Middle Station of Life gibt Hume seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass ein Sprachkünstler wie Homer in seiner Zeit überhaupt habe wirken können: »[…] Homer, in so early an Age, among the Greeks, is certainly Matter of the highest Wonder.« (ES, 550). 156

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IV. Hume und die Antike

Humes zutage, gemäß der aus der Beobachtung des (in diesem Falle niedrigen) zivilisatorischen Niveaus einer Gesellschaft keine vorschnellen Rückschlüsse auf den (in diesem Falle hohen) Wert ihrer künstlerischen Erzeugnisse, wie z. B. das Epos oder die Architektur, gezogen werden sollten. Bezüglich der für die kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft ebenfalls notwendig erachteten freien Entfaltung von Wissenschaft jedoch wird Hume dann im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences die Ansicht vetreten, dass die rechtlich-moralische Zivilisierung eine unverzichtbare Voraussetzung ist. Kurz: »[T]he greater refinements and improvements of human reason […] require curiosity, security, and law.« (ES, 118) Ein Beispiel dafür liefert Hume im ersten Band der History. Dort ist über Julius Agricola (40–93 n. Chr.), der unter den Kaisern Vespasian, Titus und Domitian als Militärtribun in Britannien amtierte, folgendes zu erfahren: He introduced laws and civility among the Britons, taught them to desire and raise all the conveniences of life, reconciled them to the Roman language and manners, instructed them in letters and science, and employed every expedient to render those chains which he had forged both easy and agreeable to them. (HE I, 32, Kap. 1)

In dieser Aufzählung nimmt die Gesetzgebung eine prominente Stellung ein (sie wird mit der ›civility‹ auf eine Stufe gestellt); erst nach ihrer Einführung scheint das Erlernen der fremden Sprache und der Künste erfolgt zu sein. Im Gegensatz dazu blieben Nationen, die diesem römischen Einfluss nicht ausgesetzt waren, wie z. B. die Iren, auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe der Zivilisation zurück: The Irish, from the beginning of time, had been buried in the most profound barbarism and ignorance; and as they were never conquered or even invaded by the Romans, from whom all the western world derived its civility, they continued still in the most rude state of society, and were distinguished by those vices alone to which human nature, not tamed by education or restrained by laws, is forever subject. (HE I, 394, Kap. 9)

Dieser Passus verdeutlicht Humes Einschätzung, nach der die römischen Expansionsund Hegemonialbestrebungen als conditio sine qua non für die Zivilisierung Europas betrachtet werden müssen. Mehr noch: Hume nobilitiert römische Eroberungen und Besetzungen, indem er sie offenbar als pädagogische Maßnahmen begreift, die notwendig waren, um ein geregeltes Zusammenleben zu ermöglichen. Diese Zivilisierung konnte ohne Erziehung und Gesetz, die Hume als Mittel zur Zähmung der menschlichen Natur betrachtet, nicht gelingen. Hume stellt dieses von den Römern praktizierte Vorgehen außerdem als einen Akt der Befreiung dar, indem er die negativ konnotierten Begriffe ›Eroberung‹ und ›Invasion‹ neu gewichtet. In der historischen Perspektive Humes ist nicht gewaltsame Aneignung oder Unterwerfung das entscheidende Ergebnis der römischen Politik (wenn es auch dazuge-

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hörte)157, sondern die Errichtung der ›civility‹ in den von ihnen besetzten Gebieten. Diese Form des politischen Diktats ist für Hume, der positiven Folgen wegen, akzeptabel. Zu bedauern sind hingegen all diejenigen Gemeinschaften, die nicht äußerem Druck, sondern der Gewalt der Laster, als den inneren Kräften der menschlichen Natur, unterworfen sind, die das Zusammenleben erschweren.

3. Die zivilisierende Kraft römischer Gesetze – die römische Antike in Humes History Den Stellenwert Roms für den Verlauf der Zivilisationsgeschichte Britanniens erörtert Hume auch im zweiten Band seiner History of England, der bereits den Ereignissen des 15. Jahrhunderts gewidmet ist. Am Ende des 23. Kapitels hält Hume in seiner Darstellung kurz inne, um einen weit perspektivierten Rückblick einzuschieben. Dieser umgreift einen Zeitraum, der von der römischen Eroberung der britischen Insel bis ins 15. Jahrhundert reicht. Da dieser Exkurs Humes Einschätzung des Entwicklungsverlaufs von Zivilisation und Kultur in einer für seine Verhältnisse ungewöhnlich ausführlichen Form dokumentiert, sollen einzelne Teile davon nun ausführlicher betrachtet werden. Denn die Lektüre dieses Exkurses macht nochmals deutlich, warum Hume den in der römischen Antike erbrachten kulturellen Leistungen besondere Anerkennung zollt: Das über viele Jahre zu verfolgende Engagement eines Imperiums, das trotz permanenter politischer Krisen in seinem Inneren nicht nur genug Energie für die Stabilisierung, sondern auch für den Ausbau seiner territorialen Grenzen aufwenden konnte und dabei mit großer Effizienz den Einsatz und die Verbreitung von Gesetzgebung und staatlicher Verwaltung zu perfektionieren lernte, war in Humes Augen der entscheidende Impuls für die Herausbildung und Etablierung einer früher oder später alle Winkel Europas ergreifenden zivilen Ordnung. Hume vertritt die auch von anderen Aufklärern geteilte158 Auffassung, dass sich entlang der Epochenfolge Antike, Mittelalter und Neuzeit (den Ausdruck ›Neuzeit‹ verwendet Hume freilich nicht) zugleich die Geschichte vom Aufstieg, Verfall und

In der Natural History of Religion geißelt Hume freilich das die römischen Expansionsbestrebungen begleitende fehlende Unrechtsbewusstsein: »When the old ROMANS were attacked with pestilence, they never ascribed their sufferings to their vices, or dreamed of repentance and amendment. They never thought, that they were the general robbers of the world, whose ambition and avarice made desolate the earth, and reduced opulent nations to want and beggary.« (NH, 179) Hume geht es an dieser Stelle um den Nachweis, dass die antike römische Religion bei ihren Anhängern keine Anhebung des sittlichen Niveaus bewirkte. 158 Eine prägnante Parallele findet das von Hume vertretene Entwicklungsmodell sowie seine an anderer Stelle noch zu thematisierende Beurteilung des Klerus in Condorcets letzter Schrift Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain von 1794, dessen Publikation Hume aber nicht 157

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Wiederaufstieg der (europäischen) Künste und Wissenschaften erzählen lasse. Denn für die Beurteilung einer Epoche, so Hume an gleicher Stelle, sei der Stand der Künste und Wissenschaften ein entscheidendes Kriterium: The rise, progress, perfection, and decline of art and science are curious objects of contemplation, and intimately connected with a narration of civil transactions. The events of no particular period can be fully accounted for but by considering the degrees of advancement which men have reached in those particulars. (HE II, 506, Kap. 23)

Diese Formulierung gibt Rätsel auf: Welchen Status haben Künste und Wissenschaften in Humes Konzept historischer Erkenntnis? Fest steht: Um die konkrete Praxis eines bestimmten Zeitalters, d. h. den gesellschaftlichen Umgang der Menschen, ausreichend verstehen zu können, hält Hume die Kenntnis des in Künsten und Wissenschaften jeweils erreichten Niveaus für unbedingt notwendig. Also geht Hume anscheinend davon aus, dass diese beiden Bereiche zumindest analytisch voneinander zu trennen sind. Es darf zudem vermutet werden, dass Hume bei dem Gedanken an ›degrees of advancement‹, die er für das Kennzeichen einer bestimmten kulturellen Epoche hält, keinen statischen Bestand von Wissensbeständen, Virtuositäten oder Geschmacksurteilen vor Augen hat, sondern ihm die (wenn auch in größerem Maßstab) beobachtbaren Veränderungen kultureller Dispositionen durchaus bewusst sind (›rise, progress, perfection, and decline of art and science‹). Diesen Änderungen korrespondiert wiederum – im kleinen – die gesellschaftliche Praxis des tagtäglichen Umgangs (›transactions‹, ›events‹). Es ist im folgenden zu beachten, dass sich Humes Begriff der Künste (›arts‹) nicht nur auf die schönen Künste wie Malerei oder Bildhauerei bezieht, sondern weiter gefasst ist, so dass bei ihm auch Kenntnisse und Fertigkeiten auf den Gebieten »agriculture, manufactures, and commerce« (HE II, 507, Kap. 23) unter diese Bezeichnung fallen (den Begriff ›liberal arts‹ [ES, 170] bezieht er freilich auf akademische Kenntnisse). Unbestimmt bleibt in dieser Aussage jedoch, wie Hume das Kräfteverhältnis bewertet, das die Beziehung der Künste und Wissenschaften zur gesellschaftlichen Praxis beherrscht; seine Formulierung, sie seien ›intimately connected‹, lässt verschiedene Schlüsse zu: Vermutet Hume, dass sich ›art and science‹ und ›civil transactions‹ wechselseitig beeinflussen? Oder geht dieser Schluss bereits zu weit? Denkt Hume womöglich gar nicht an ein beiderseitiges Geben und Nehmen zwischen diesen Bereichen? Wäre nicht auch eine Form von gesitteter, weil durch Gesetz und Erziehung geordneter Gesellschaft möglich, die zwar künstlerisches und wissenschaftliches Tun zulässt und fördert, sich aber zugleich vor dem in ihnen aufgebauten Anspruchspotential mehr erlebte. Hume erwähnt Condorcet in seinen Publikationen und Briefen nicht; ein mögliches Zusammentreffen beider im Pariser Salon der Julie de Lespinasse ist jedoch nicht ausgeschlossen (vgl. dazu Verena von der Heyden-Rynsch: Europäische Salons. Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur, Reinbek 1995 [zuerst München 1992], S. 85).

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abschottet und es zu nivellieren versucht? So wäre beispielsweise eine nur einseitig gerichtete Beeinflussung vorstellbar, die von der gesellschaftlichen Praxis ausgeht und die Entwicklung von Künsten und Wissenschaften steuert: In dieser Hinsicht wären sie dann für Hume nicht mehr als das Symptom des Prozesses der Zivilisierung – ein edles Symptom zwar, jedoch selbst wirkungslos. Der Blick auf eine vorhergehende Textstelle soll nun helfen, auf die obigen Fragen Antworten zu finden. In ihr unterstreicht Hume zunächst die belehrende Wirkung, die eine historisch ausgerichtete Analyse menschlicher Verhaltensweisen habe, ergänzt durch eine Aussage zum Stellenwert von Wissenschaft und Gesittetheit: The view of human manners, in all their variety of appearances, is both profitable and agreeable; and if the aspect in some periods seem horrid and deformed, we may thence learn to cherish with the greater anxiety that science and civility which has so close a connection with virtue and humanity, and which, as it is a sovereign antidote against superstition, is also the most effectual remedy against vice and disorders of every kind. (HE II, 506, Kap. 23)

Hier beschreibt Hume einen Frontverlauf, in dem Wissenschaft und Sittlichkeit ein Bündnis eingehen und als kooperierende Kräfte auftreten. Die grammatische Konstruktion bestärkt diese Einschätzung, da ›science and civility‹ im weiteren Satzverlauf im Singular agieren und so als Einheit aufzufassen sind (›[it] has so close a connection‹, ›it is a sovereign antidote‹, ›it is also the most effectual remedy‹; Hervorhebungen M. B.). Der Einwand, dass sich dieses ›it‹ nur auf ›civility‹ beziehe, keinesfalls jedoch ›science‹ notwendig mit einschließe, lässt sich durch einen Hinweis auf Humes Formel vom ›sovereign antidote against superstition‹ und ihre Beziehung zu früheren Aussagen entkräften. Denn Hume hatte, unter Nutzung verwandter Begriffe, bereits in den einleitenden Passagen der ersten Enquiry, die sich der Begründung einer auf empirischer Basis argumentierenden Wissenschaft vom Menschen widmet, saubere und präzise Gedankenarbeit angemahnt und sie als wichtigstes Gegenmittel gegen (falsche) Metaphysik und Aberglauben bezeichnet.159 Auch die für die obigen Ausführungen verantwortlichen Hintergrundüberzeugungen reflektiert Hume nicht eingehend, doch scheint seine Argumentation von folgender Idee geleitet zu sein: ›Science and civility‹, die von ihm als kooperierende Einheit aufgefasst werden, sind das Ergebnis des Prozesses der kulturellen Arbeit des Menschen an der Natur und an sich selbst. Beide Begriffe sind bei Hume mit den »Accurate and just reasoning is the only catholic remedy, fitted for all persons and all dispositions; and is alone able to subvert that abstruse philosophy and metaphysical jargon, which, being mixed up with popular superstition, renders it in a manner, impenetrable to careless reasoners, and gives it the air of science and wisdom«. (E1, 12). 159

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Vorstellungen von aufrichtiger und sachlicher Gesinnung konnotiert. Fehlt dieses Ethos, wie Hume an einigen Phasen der Geschichte glaubt feststellen zu können, dann fallen die Menschen in den Zustand von ›ignorance and barbarism‹ zurück. Um ein erneutes, weite Teile der Gesellschaft ergreifendes Zurücksinken in Unwissenheit und Barbarei zu verhindern, so die unter Schriftstellern, Intellektuellen und Künstlern des 18. Jahrhunderts weit verbreitete Maxime, müsse zudem darum gerungen werden, die vielerorts angefachten Debatten über Kunst, Wissenschaft und Politik von noch bestehenden Beschränkungen, seien sie nationaler, religiöser oder politischer Art, zu befreien. Dazu gehöre auch, das von den aufgeklärten Eliten erlangte Niveau in Wissenschaft, Kunst und Literatur weitläufig publik zu machen. Auf diese Weise könne, so die gängige und mal mit mehr, mal mit weniger Skepsis begleitete Ansicht, über die bloße Bewahrung des status quo hinaus zugleich der Gedanke eines universalen Fortschritts verwirklicht werden.160 Dieser Gedanke verband sich mit den vor allem durch Reiseberichte genährten Vorstellungen von exotischen Lebensweisen der nicht-europäischen Völker. Der Kontrast zwischen eigener und fremder Lebensführung stimulierte das Bedürfnis nach anthropologischer Reflexion und mündete u. a. in der Fragestellung, welche Rolle diese sogenannten ›wilden‹ Völker denn in einem mit universellem Erklärungsanspruch auftretenden Fortschrittsmodell spielten, bzw. ob und wie sie am Fortschritt europäisch-aufgeklärter Prägung teilhaben könnten. Auf die Position Humes in dieser Frage soll in Kapitel IV. 13 noch genauer eingegangen werden. Dass von der Beschäftigung mit der Wissenschaft eine affektregulierende Wirkung ausgeht, hatte Hume bereits im Essay The Sceptic von 1742 betont:

Zum Fortschrittsgedanken s. auch R. V. Sampson: Progress in the Age of Reason, London 1956; Hans Robert Jauß: »Ursprung und Bedeutung der Fortschrittsidee in der ›Querelle des Anciens et des Modernes‹«, in: Helmut Kuhn/Franz Wiedmann (Hg.): Die Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt, München 1964, S. 51–72; Fred Voget: »Progress, Science, History and Evolution in 18th- and 19th-Century Anthropology«, in: Journal of the History of Behavioral Sciences 3 (1967), S. 132–155; ders.: »Anthropology in the Age of Enlightenment: Progress and Utopian Functionalism«, in: Southwestern Journal of Anthropology 24 (1968), S. 321–345; Sidney Pollard: The Idea of Progress. History and Society, Harmondsworth 1971 (zuerst 1968); Joachim Ritter: Art. »Fortschritt«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter. Bd. 2, Darmstadt 1972, Sp. 1032–1059; Johannes Rohbeck: Die Fortschrittstheorie der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1987, sowie David Spadafora: The Idea of Progress in Eighteenth-Century Britain, New Haven 1990. Zu Humes unzeitgemäßer Fortschrittsvorstellung bezüglich der Wissenschaft (es gibt keinen ungebrochenen Aufstieg, sondern auch Rückschläge und Neuansätze) vgl. S. K. Wertz: »Hume and the Historiography of Science«, in: Journal of the History of Ideas 54 (1993), S. 411–436, hier S. 412. Zur Humeschen Kritik an einem (zu) optimistischen Fortschrittskonzept, das Rückschläge nicht einkalkuliert, vgl. seinen Brief an Turgot vom 16. Juni 1768 (LH II, 180) (vgl. auch Anm. 249 dieser Studie). 160

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It is certain, that a serious attention to the sciences and liberal arts softens and humanizes the temper, and cherishes those fine emotions, in which true virtue and honour consists. It rarely, very rarely happens, that a man of taste and learning is not, at least, an honest man, whatever frailties may attend him. The bent of his mind to speculative studies must mortify in him the passions of interest and ambition, and must, at the same time, give him a greater sensibility of all the decencies and duties of life. He feels more fully a moral distinction in characters and manners; nor is his sense of this kind diminished, but, on the contrary, it is much encreased, by speculation. (ES, 170)

Es steht zu vermuten, dass für die Humesche Annahme des engen Zusammenhangs von Wissenschaft und Gesittetheit ihre beiderseitige Teilhabe am Begriff des ›Gesetzes‹ (›law‹) ausschlaggebend ist.161 Auf diese Verkettung gehen Humes eigene Darstellungen zwar nicht explizit ein, doch lässt sie sich aus dem Gesagten durchaus plausibel machen. Mit dem Begriff des ›Gesetzes‹ als Fluchtpunkt lassen sich Wissenschaft und Gesittetheit als Ordnungssysteme begreifen, die zugleich allgemeinverbindliche Regelwerke konstituieren, denen jeder folgen muss, der sich in den von diesen Systemen beherrschten Bereichen bewegen und von ihren Ergebnissen profitieren möchte. Ein Verstoß gegen diese Regeln zieht zumeist den Ausschluss aus den von ihnen dirigierten Gemeinschaften nach sich, sei es die ›scientific‹ oder ›civil community‹. Von dieser Gemeinsamkeit abgesehen ist sich Hume gewiss der Differenz bewusst, die die Anwendung des Gesetzesbegriffes auf wissenschaftliche Diskurse von der unterscheidet, die sich auf das Feld der Gesittetheit bezieht. Humes Wissenschaftsverständnis, das zeigen die methodologischen Ansichten seiner ›science of Man‹, nimmt, an der Lehre der klassischen Mechanik geschult, eine an den Abläufen der Natur beobachtbare notwendige Gesetzmäßigkeit an. Diese schließt die Existenz von ›Zufall‹ im eigentlichen Sinne aus; dass dieser Begriff dennoch in Gebrauch ist, führt Hume eher darauf zurück, dass dem gemeinen Verstand die steuernden Prinzipien noch nicht bekannt sind: »[’T]is commonly allow’d by philosophers, that what the Wie wichtig für Hume der Gesetzesbegriff ist, zeigt sich auch daran, dass für ihn das Bestehen einer Rechtsordnung Priorität vor der Installation einer Regierung hat: Jeder Aufbau einer Regierung hat eine bestehende Rechtsordnung zur Grundlage, nicht umgekehrt: »But tho’ it be possible for men to maintain a small uncultivated society without government, ’tis impossible they shou’d maintain a society of any kind without justice, and the observance of those three fundamental laws concerning the stability of possession, its translation by consent, and the performance of promises. These are, therefore, antecedent to government, and are suppos’d to impose an obligation before the duty of allegiance to civil magistrates has once been thought of.« (T 3.2.8.3; SBN 541) Nicht also das Bestehen einer Regierung ist Zeichen von Kultiviertheit, sondern das Bestehen von Gesetzen, die erst die Bildung einer Gesellschaft ermöglichen. Nichtsdestotrotz, so Hume, könne keine Gesellschaft über kurz oder lang auf eine Regierung verzichten, »to maintain peace, and execute justice« (ebd.). Zum Begriff des ›promise‹ bei Hume vgl. die jüngste Studie von Tobias Nikolaus Klass: Das Versprechen. Grundzüge einer Rhetorik des Sozialen nach Searle, Hume und Nietzsche, München 2002 (zugl. Diss. Bochum 2000) (v. a. Kap. II). 161

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vulgar call chance is nothing but a secret and conceal’d cause.« (T 1.3.12.1; SBN 130) Im Gegensatz zur Naturerkenntnis, die Hume als ein ›Auffinden‹ von bestehenden Gesetzmäßigkeiten versteht, bleibt der Akt der Gesetzgebung ein zwar um Konsequenz und Kohärenz bemühter politischer Vorgang, dessen Anfang und grundlegende Prinzipien jedoch kontingent sind (Naturrechtslehren würden zumindest den letzten Aspekt heftig bestreiten). Diesen Unterschied beiseite gelassen, weist der Gesetzesbegriff, der in beiden Ordnungssystemen, Wissenschaft und Gesittetheit, zur Anwendung kommt, auf den normativen Anspruch hin, den beide Systeme erheben. Wissenschaft und Gesittetheit, so Hume, wirken auf das Verhalten der Menschen ein, indem sie Tugend und Humanität fördern. Tugend und Humanität werden durch vorurteilsfreie Kenntnis der Welt und Befolgung der geltenden Verhaltensregeln erworben: Nur die Einsicht in und die Anerkennung von Gesetzen, so ließe sich Hume paraphrasieren, wirkt Lastern und Unordnung gleich welcher Art entgegen. Diese Position verrät, wie der schottische Philosoph das Projekt der Aufklärung versteht: Das ›age of enlightenment‹ darf, wenn es auch nicht den Anspruch erhebt, den Zivilisationsprozess schon vollendet zu haben, sich doch diesem Ziel schon sehr nahe fühlen, denn ihre exponierten Vertreter, also Schriftsteller, Wissenschaftler und andere Intellektuelle, vermitteln, auf je unterschiedliche Weise, die durch Erfahrung und Reflexion gewonnenen Einsichten in Gesetze und Zusammenhänge, denen der Mensch sowohl im Physischen als auch im Sozialen unterworfen ist. Die Anerkennung von Recht und Gesetz ist also sowohl Bestandteil als auch unabdingbare Voraussetzung für die Ausbildung der ›civility‹, nicht minder wichtig als die Beschäftigung mit den Wissenschaften und den Künsten.162 Genau diese Lektion, so dürfte Humes Credo lauten, könne jede Epoche vom Studium der (römischen) Antike lernen. Bereits an früherer Stelle wurde auf Humes Überzeugung hingewiesen, nach der der Prozess der Zivilisation nicht geradlinig verlaufen sei, sondern sich in Etappen vollzogen habe, die jeweils ein unterschiedliches Niveau erreichten. Die Scheitelpunkte dieser als wellenförmig gedachten Entwicklung, so verdeutlicht das nächste

Im Essay Of Refinement in the Arts sieht Hume die Kultivierung des Verstandes offenbar als notwendige Bedingung für gesetzkonformes Zusammenleben an: »Laws, order, police, discipline; these can never be carried to any degree of perfection, before human reason has refined itself by exercise, and by an application to the more vulgar arts, at least, of commerce and manufacture. Can we expect, that a government will be well modelled by a people, who know not how to make a spinning-wheel, or to employ a loom to advantage? Not to mention, that all ignorant ages are infested with superstition, which throws the government off its bias, and disturbs men in the pursuit of their interest and happiness.« (ES, 273) Peter Johnson legt überzeugend dar, dass die ›moderation‹ einen wichtigen Aspekt in Humes Verständnis von ›civility‹ darstellt (»Hume on Manners and the Civil Condition«, in: British Journal for the History of Philosophy 6 [1998], S. 209–222). 162

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Zitat, sind historische Momente, die die Kraft für eine Veränderung, so lautet Humes These, natürlicherweise in sich tragen: Those who cast their eye on the general revolutions of society will find that, as almost all improvements of the human mind had reached nearly to their state of perfection about the age of Augustus, there was a sensible decline from that point of period, and men thenceforth relapsed gradually into ignorance and barbarism. The unlimited extent of the Roman empire, and the consequent despotism of its monarchs, extinguished all emulation, debased the generous spirits of men, and depressed that noble flame by which all the refined arts must be cherished and enlivened. The military government which soon succeeded rendered even the lives and properties of men insecure and precarious, and proved destructive to those vulgar and more necessary arts of agriculture, manufactures, and commerce, and, in the end, to the military art and genius itself by which alone the immense fabric of the empire could be supported. The irruption of the barbarous nations, which soon followed, overwhelmed all human knowledge, which was already far in its decline; and men sunk every age deeper into ignorance, stupidity, and superstition, till the light of ancient science and history had very nearly suffered a total extinction in all the European nations. But there is a point of depression, as well as of exaltation, from which human affairs naturally return in a contrary direction, and beyond which they seldom pass either in their advancement or decline. The period in which the people of Christendom were the lowest sunk in ignorance, and consequently in disorders of every kind, may justly be fixed at the eleventh century, about the age of William the Conqueror; and from that era the sun of science, beginning to reascend, threw out many gleams of light, which preceded the full morning when letters were revived in the fifteenth century. (HE II, 506, Kap. 23)

Diese Aussagen belegen in verdichteter Form Humes Vorstellung von der Entwicklung der Zivilisation und benennen deren wichtigste Stationen. Das augusteische Zeitalter, geprägt von weitreichenden Verwaltungsreformen und – mit Vergil, Horaz, Livius und Ovid – zugleich ein Höhepunkt der römischen Dichtung, ist zugleich der erste Scheitelpunkt in diesem Verlauf und bleibt, als Musterbild, ständige Bezugsgröße für Humes Beurteilung der nachstehenden Entwicklungen. An der bereits im Historical Essay on Chivalry and Modern Honour vorgestellten Verfallsdiagnose hält Hume, mit leichten Modifikationen, auch hier, im 32 Jahre später publizierten zweiten Teil der History of England, fest: Zwar verzichtet er jetzt auf die Darstellung einer dekadenten, weil übermäßig verfeinerten römischen Gesellschaft, hält jedoch unbeirrt an den inneren politischen Wirren und dem Einfall der Barbaren als Ursachen für das rapide Abgleiten des einstmals erlangten kulturellen Niveaus fest.163 Barbarenherrschaft und Es kann im Rahmen dieser Arbeit leider nicht genauer auf die Beziehung der Humeschen Version der Verfallsgeschichte Roms zu derjenigen seines Freundes Edward Gibbon eingegangen 163

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der Einfluss des Christentums führten anschließend zum fast vollständigen Erlöschen des antiken Erbes um 1087 (Tod Wilhelms des Eroberers). Erst das 15. Jahrhundert war dann Zeuge einer Wiederbelebung der antiken Tradition. Zu den sperrigen Aussagen dieses Abschnitts gehört Humes Behauptung, dass an den Scheitelpunkten des Zivilisationsverlaufs ein ›natürlicher Umschwung‹ stattfinden müsse (›human affairs naturally return in a contrary direction‹). Zumindest für den Abschwung macht Hume als ›natürliche Ursache‹ die zu große Vollkommenheit aus. In Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences schreibt Hume: »[…] When the arts and sciences come to perfection in any state, from that moment they naturally, or rather necessarily decline, and seldom or never revive in that nation, where they formerly flourished.« (ES, 135) Begründet wird dies durch das von nachrückenden Künstlern und Wissenschaftlern nicht aufrecht zu erhaltene bereits erreichte Niveau. Für die weitere Behauptung des ›natürlichen Aufschwungs‹ lässt sich jedoch in Humes Schriften keine einschlägige Aussage identifizieren. Die Hume leitende Überzeugung, dass bereits ein oberflächlicher Vergleich von Antike, Mittelalter und neuerer Zeit die Unterschiede im jeweils erreichten Zivilisationsniveau aufzeigt, prägt das historiographische Selbstverständnis der History of England bis ins Mark. So geht ihr Verfasser davon aus, dass die – prinzipiell für den gesamten europäischen Raum gültige und zur obigen Epocheneinteilung parallel verlaufende – Abfolge von Aufstieg, Niedergang und erneutem Aufstieg kulturellen Reichtums sich auch in der Qualität des Quellenmaterials bemerkbar macht, das ihm als Historiker zur Verfügung steht. So heißt es gleich zu Beginn des Exkurses: Thus have we pursued the history of England through a series of many barbarous ages, till we have at last reached the dawn of civility and science, and have the prospect both of greater certainty in our historical narrations and of being able to present to the reader a spectacle more worthy of his attention. (HE II, 505, Kap. 23)

Humes Sprache ist ein Kind ihrer Zeit: Wie in dieser und in den vorherigen Aussagen unschwer zu erkennen ist, verwendet sie die im Aufklärungszeitalter stark bewerden, dessen zwischen 1776 und 1788 publizierte sechsbändige Abhandlung Decline and Fall of the Roman Empire Humes Analysen an Umfang und Tiefgang freilich weit übertrifft. Wie Hume stellte Gibbon ebenfalls den Sittenverfall und die übermäßige Größe Roms als Hauptursachen des Untergangs dar. In einem Brief an Gibbon vom 18. März 1776 hatte Hume den ersten Band sehr gelobt: »Whether I consider the Dignity of your Style, the Depth of your Matter, or the Extensiveness of your Learning, I must regard the Work as equally the Object of Esteem […].« (LH II, 309) Zum Vergleich der Arbeiten Gibbons und Humes vgl. Leo B. Braudy: Narrative Form in History and Fiction. Hume, Fielding and Gibbon, Princeton 1970; Leo Damrosch: Fictions of Reality in the Age of Hume and Johnson, Madison 1989; Andreas M. Weber: David Hume und Edward Gibbon. Religionssoziologie in der Aufklärung, Meisenheim 1990. Zur Bewertung Gibbons vgl. auch Karl Christ: Von Gibbon zu Rostovtzeff. Leben und Werk führender Althistoriker der Neuzeit, Darmstadt 1972, S. 8–25.

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anspruchte (und schnell zum Klischee erstarrte) Hell/Dunkel-Metaphorik, um die Differenz zwischen den Epochen auszudrücken. Indem Hume also die Situation in England um 1480 kennzeichnet, zeigt er zugleich die Konsequenzen für die Geschichtsschreibung auf: Erst mit Erreichen dieses als »Dämmerung« bezeichneten Zeitraums und ihres Quellenmaterials darf der Historiker darauf vertrauen, sich (wieder) auf einigermaßen zuverlässigem Terrain zu bewegen. Denn, so ließe sich Humes unausgesprochenes Argument ergänzen, der vorhergehende Niedergang der Künste und Wissenschaften, der zugleich den zerstörerischen Siegeszug von ›ignorance and superstition‹ darstellt, trübte den Blick der Chronisten und verzerrte ihre Perspektive, so dass ihre Zeugnisse nur mit Vorsicht zu verwenden sind.164 Folgerichtig gebraucht Hume an anderen Stellen seiner Schriften auch den Ausdruck ›dark ages‹, wenn er sich auf diese ›barbarous ages‹ bezieht, die der Entwicklung von Wissenschaften und Künsten abträglich waren. Dieser Zeitraum, der nach Humes Darstellungen mit dem Zerfall des römischen Reiches beginnt und dann bis weit ins 15. Jahrhundert reicht, weist Merkmale auf, die es ihm legitim erscheinen lassen, von einem Niedergang der Zivilisation zu sprechen. Zu ihnen gehört der in dieser historischen Etappe zunehmende Einfluss klerikaler Eliten, denen Hume in seiner History wiederholt vorwirft, aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen den Aufbau vorurteilsfreier Wissenschaft für lange Zeit blockiert zu haben. Dieser Schuldspruch über den mittelalterlichen Klerus, der in diesen oder in ähnlich lautenden Formulierungen auch aus dem Mund anderer sich als aufgeklärt begreifender Zeitgenossen Humes zu hören war, erfährt im hier behandelten Exkurs eine nicht unwesentliche Differenzierung. Denn im Gegensatz zu seinen sonstigen Urteilen über den Klerus, über das Klosterleben und über den störenden Einfluss der Priesterschaft honoriert Hume hier durchaus die – freilich nicht uneigennützigen – konservatorischen Bemühungen der Kirche, die seine historiographischen Arbeiten erst ermöglichen. Auf diese Weise seien auch wichtige Dokumente der Antike erhalten geblieben: This island possesses many ancient historians of good credit, as well as many historical monuments; and it is rare that the annals of so uncultivated a people as were the English, as well as the other European nations, after the decline of Roman learning, have been transmitted to posterity so complete, and with so little mixture of falsehood and of fable. This advantage we owe entirely to the clergy of the church of Rome, who, founding their authority on their superior knowledge, preserved the precious literature of antiquity from a total extinction, and, under shelter of their numerous privileges and

Über verschiedene Möglichkeiten, die Glaubwürdigkeit von (Wunder-)Berichten zu beurteilen (dementsprechend also auch historische Zeugnisse), hatte Humes 10. Kapitel seiner ersten Enquiry (›Of Miracles‹) gehandelt. 164

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IV. Hume und die Antike

immunities, acquired a security by means of the superstition which they would in vain have claimed from the justice and humanity of those turbulent and licentious ages. (HE II, 505, Kap. 23)

Den kirchlichen Institutionen gesteht Hume das Verdienst zu (so sehr er sie bei vielen Gelegenheiten auch anklagen mag), die Auseinandersetzung mit dem römischen Rechtssystem ermöglicht zu haben. Das bisher Dargelegte legt die Vermutung nahe, dass nach Humes Ansicht der Impuls, der von den juristischen Entwürfen der Antike ausging und die Zivilisationsentwicklung nachhaltig dynamisierte, gar nicht hoch genug bewertet werden kann. So ist es auch für Hume kein Zufall, dass der aus mittelalterlichen Zuständen herausführende, notwendige Kultivierungsschub165, paradox formuliert, aus einem Zufallsfund zur richtigen, weil kulturell dürftigen Zeit resultierte, der in der Folge die intensive Lektüre der antiken Rechtsgelehrsamkeit stimulierte: But perhaps there was no event which tended farther to the improvement of the age than one which has not been much remarked – the accidental finding of a copy of Justinian’s Pandects, about the year 1130, in the town of Amalfi, in Italy. The ecclesiastics, who had leisure and some inclination to study, immediately adopted with zeal this excellent system of jurisprudence, and spread the knowledge of it throughout every part of Europe. (HE II, 507, Kap. 23)

Ein weiterer Umstand, den Hume nicht eigens erwähnt, war jedoch notwendig, damit dieser zufällige Fund in seiner ganzen Auswirkung zum Tragen kommen konnte und sich eine europaweit neue Tradition der Beschäftigung mit römischer Jurisprudenz entwickelte. Humes Ausführungen gehen, wohl mehr mit dem Gestus des Selbstverständlichen als aus Unwissenheit, über die Tatsache hinweg, dass Kaiser Justinian I. wegen seiner orthodoxen Haltung und seines Kampfes gegen Häretiker und Heiden (auf seine Veranlassung wurde 529 die Universität von Athen geschlossen) vom mittelalterlichen Klerus durchaus als Verbündeter im Geiste betrachtet werden konnte.166 Die Wiederentdeckung der Pandekten des corpus iuris civilis schuf zugleich die Grundlage für mittelalterliche Gelehrte, um das Kirchenrecht (corpus iuris canonici) auszuarbeiten. Ohne den Vorbildcharakter Justinians wäre, so darf vermutet werden, der von Hume beschriebene Eifer (›zeal‹) des mittelalterlichen Klerus kaum zu erklären gewesen. Vgl. dazu John W. Danford: »To appreciate the centrality of this recovery of law in Hume’s account of the gradual process of improvement is to locate the key to civilization itself, or the rise and progress of the arts and sciences.« (David Hume and the Problem of Reason. Recovering the Human Sciences, New Haven 1990, S. 125). 166 Zur Bedeutung der Religion in der Regierungszeit Justinians s. zuletzt: Mischa Meier: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im sechsten Jahrhundert n. Chr., 2. Aufl. Göttingen 2004 (1. Aufl. 2003). 165

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Europas Aufstieg nach Jahren der Barbarei, so führt Hume weiter aus, war nur mit Hilfe der (römischen) Antike möglich, und zwar durch die wachsende Vertrautheit mit ihrer edelsten, weil für das kulturelle Schaffen grundlegenden Hinterlassenschaft: It is easy to see what advantages Europe must have reaped by its inheriting at once from the ancients so complete an art, which was also so necessary for giving security to all other arts, and which by refining, and still more by bestowing solidity on the judgement, served as a model to farther improvements. The sensible utility of the Roman law both to public and private interest recommended the study of it at a time when the more exalted and speculative sciences carried no charms with them, and thus the last branch of ancient literature which remained uncorrupted was happily the first transmitted to the modern world; for it is remarkable that, in the decline of Roman learning, when the philosophers were universally infected with superstition and sophistry and the poets and historians with barbarism, the lawyers, who, in other countries, are seldom models of science or politeness, were yet able, by the constant study and close imitation of their predecessors, to maintain the same good sense in their decisions and reasonings, and the same purity in their language and expression. (HE II, 508, Kap. 23)

Es sind also auch die komplexeren, sprachlich vermittelten Reflexionsweisen des Menschen wie Philosophie, Dichtung oder auch Geschichtsschreibung nicht per se vor dem von Hume diagnostizierten Absinken des Zivilisationsniveaus gefeit (bildende Künste und Malerei zieht er hier nicht in Erwägung, obwohl ihm im thematisch nahestehenden Historical Essay on Chivalry and Modern Honour die Architektur durchaus als wichtiger Seismograph diente). Humes Beschreibung des sich wie eine Epidemie verbreitenden Verfallsgeschehens skizziert dessen Folgen mit einer solchen Beherztheit, dass der Eindruck entsteht, dass ihm Zweifel, ob es in dieser Epoche unter den Gelehrten und Schriftstellern nicht doch Ausnahmen gegeben haben könnte und deshalb eine differenziertere Betrachtung der Spätantike angezeigt sei, fernzuliegen scheinen.167 Allein den Rechtsgelehrten billigt er zu, sich in dieser Phase des Niedergangs

Im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences von 1742, der im weiteren Verlauf dieser Studie noch häufiger berücksichtigt werden soll, hatte Hume weniger ausschließlich argumentiert und die Möglichkeit eingeräumt, dass Einzelne sich einer »Ansteckung« durchaus entziehen können: »[W]hen any causes beget a particular inclination or passion, at a certain time, and among a certain people; though many individuals may escape the contagion, and be ruled by passions peculiar to themselves; yet the multitude will certainly be seized by the common affection, and be governed by it in all their actions.« (ES, 112) Humes metaphorischer Gebrauch dieses medizinischen Terminus lässt sich darauf zurückführen, dass die von ihm projektierte ›moral science‹ und die Medizin seiner Zeit die empirische Basis teilen; bereits der humanistische Gelehrte und Arzt Girolamo Fracastoro (~ 1478–1553) berief sich in seiner 1546 in Venedig publizierten Abhandlung De 167

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IV. Hume und die Antike

nicht mit Aberglauben, Sophisterei oder Barbarei angesteckt zu haben. Ihr Festhalten, so der gleichfalls zum Juristen ausgebildete Hume, an der von antiken Vorgängern abgeschauten Kombination von ›good sense‹ und ›purity in […] language and expression‹168, die er offensichtlich als ein Kennzeichen dieses Metiers ansieht, habe diese Ansteckung verhindert. Ein nach antikem Vorbild trainierter Rechtsgelehrter hat in Humes Augen wissenschaftliche Kardinaltugenden verinnerlicht, die der schottische Philosoph uneingeschränkt befürwortet, da sie die Festigkeit im Urteilen fördern. In diesem Zusammenhang fällt ein weiteres entscheidendes Stichwort, das erklärt, warum Hume den Bestand einer Rechtsordnung für unverzichtbar hält: Allein Recht und Gesetz gewährleisten die nötige Sicherheit, ohne die eine unbehinderte Ausübung der Künste nicht möglich ist. Daher können unter Despotenherrschaft, davon ist Hume mit Blick auf den Niedergang des römischen Reiches überzeugt, Künste nicht gedeihen.169 Für die Wissenschaften gilt dies seiner Auffassung nach ebenso, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird. Diesen aussagekräftigen Passagen der History, in denen Hume den am spätantikem Beispiel dargelegten Vorgang des Verfalls von römischer Kunst und Wissenschaft ercontagionibus et contagiosis morbis et eorum curatione libri III auf die Empirie, um die Existenz eines atomartigen Contagiums (Ansteckungsstoffes) darzulegen. Vgl. dazu Werner Köhler: »Entwicklung der Mikrobiologie mit besonderer Berücksichtigung der medizinischen Aspekte«, in: Ilse Jahn (Hg.): Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien, 3. neubearb. und erw. Aufl. Heidelberg/Berlin 2000 (1. Aufl. Jena 1982), S. 620–641, hier S. 620. 168 Obwohl bzw. gerade weil sich Hume darüber im klaren ist, dass bei noch so großer Beachtung des ›Reinheitsgebots‹ der Sprache eine absolute Kongruenz zwischen sprachlichem Ausdruck und Sachverhalt, gerade auf dem Gebiet der ›science of Man‹, nicht immer zu erreichen ist (»’[T]is very difficult to talk of the operations of the mind with perfect propriety and exactness; because common language has seldom made any very nice distinctions among them, but has generally call’d by the same term all such as nearly resemble each other.« [T 1.3.8.15; SBN 105]), hält er seine Ermahnung zu sauberem Sprachgebrauch aufrecht. So macht er im Essay Of the Standard of Taste deutlich, dass die Wissenschaft häufig nur ein Streit um (unklare) Worte und weniger um die Sache ist: »An explanation of the terms commonly ends the controversy; and the disputants are surprized to find, that they had been quarrelling, while at bottom they agreed in their judgment.« (ES, 227) Bis zuletzt hatte Hume für den sauberen sprachlichen Ausdruck plädiert und immer wieder, wenn nicht auf die Juristen, so doch auf die antiken Rhetoren als Beispiel verwiesen. So belehrt Hume in einem Brief vom 20. September 1775 seinen Freund John Home: »Dear John, Of all the vices of the language, the least excusable is the want of perspicuity; for, as words were instituted by men, merely for conveying their ideas to each other, the employing of words without meaning is a palpable abuse, which departs from the very original purpose and intention of language. […] For this reason, all eminent rhetoricians and grammarians, both ancient and modern, have insisted on perspicuity of language as an essential quality; without which, all ornaments of diction are vain and fruitless.« (LH II, 298). 169 Vgl. hierzu die bereits auf S. 115 dieser Studie angeführte Passage: »The unlimited extent of the Roman empire, and the consequent despotism of its monarchs, extinguished all emulation, debased the generous spirits of men, and depressed that noble flame by which all the refined arts must be cherished and enlivened.« (HE II, 507, Kap. 23).

4. Über die Entstehungsbedingungen von Künsten und Wissenschaften

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läutert, korrespondiert eine andere Publikation Humes, die der Frage nach dem Zusammenhang von bestehender Regierungsform und dem Zustand von Künsten und Wissenschaften nachzugehen versucht und dabei wiederholt auf antike Verhältnisse, vornehmlich römische, zurückblickt.

4. Über die Entstehungsbedingungen von Künsten und Wissenschaften – Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences Der 1742 publizierte Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences hat nicht die Absicht, wie der Titel zunächst vermuten lassen könnte, eine umfassende Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte aller Wissenschaften und Künste zu erzählen. Statt dessen präpariert Hume, der zu generalisierbaren Aussagen kommen möchte, die notwendigen Bedingungen und Mechanismen heraus, die seiner Meinung nach erklären, warum Künste und Wissenschaften nicht in allen Gesellschaften heranwachsen und ihre volle Blüte erleben. Dazu diskutiert er vier als »Beobachtungen« bezeichnete Grundsätze, die er aus seiner Überprüfung des historischen Materials gewonnen hat. Der Beginn des Essays setzt sich jedoch zunächst mit einer methodologischen Frage auseinander, deren Beantwortung für die nachstehenden Reflexionen folgenschwer ist. Denn Hume muss darüber entscheiden, wann er ein Ereignis auf soziokulturellem Gebiet als zufällig und wann als von bekannten Ursachen bewirkt anzusehen gedenkt. Obwohl, wie zuvor schon gezeigt worden ist, Hume bereits im Treatise die Existenz von Zufällen mit der Begründung negiert hatte, der Glaube an sie verdanke sich nur der Unkenntnis der zugrundeliegenden Ursachen (vgl. T 1.3.12.1; SBN 130), so setzt er, als habe er diese Feststellung nie zuvor getroffen, in diesem Essay das Dasein von ›chance‹ und ›causes‹ zunächst als gegeben voraus, um wenig später den ersteren Begriff in die Formulierung von »secret, or unknown causes« (ES, 112) zu überführen.170 Mit dieser semantischen Finte ist der prinzipielle Unterschied zwischen dem Zufälligen und dem Notwendigen verwischt und besteht bloß noch als gradueller fort:

Humes Einschätzung des Zufalls fällt je nach eingenommener Perspektive unterschiedlich aus. So ist er einerseits davon überzeugt, dass sich das Bestreben des Verstandes darauf richte, das menschliche Leben auf allgemeine Grundsätze zurückzuführen. Andererseits aber zeigt ihm die Erfahrung, dass der Versuch einer Lebensführung, die sich auf diese allgemeinen Grundsätze stützt, nicht durchzuhalten ist, mag die Sicht des Verstandes auch noch so begründet sein. Daher empfiehlt Hume als wichtiges Korrektiv gegen diese abwegigen Ansprüche des Verstandes im Essay The Sceptic, den er 1742 veröffentlicht, das Anerkennen von Zufällen: »In a word, human life is more governed by fortune than by reason; is to be regarded more as a dull pastime than as a serious occupation; and is more influenced by particular humor, than by general principles. […] To reduce life to exact rule and method, is commonly a painful, oft a fruitless occupation: and is it not also a proof, that we overvalue the prize for which we contend?« (ES, 180). 170

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IV. Hume und die Antike

»What depends upon a few persons is, in a great measure, to ascribed to chance, or secret or unknown causes: What arises from a great number, may often be accounted for by determinate and known causes.« (ES, 112) Damit hat Hume für seine ›science of Man‹ viel gewonnen, sich aber auch in neue Zwangslagen manövriert. Gewonnen hat er, weil prinzipiell nun kein Phänomen, stamme es aus der Natur oder der Kultur, sich mit dem Hinweis auf ›bloßen Zufall‹ der wissenschaftlichen Untersuchung entziehen kann. Neben den nicht zuletzt von Kepler, Galilei und Newton erschlossenen Arealen der Natur kann Hume nun auch den von seiner ›science of Man‹ fokussierten Bereich menschlicher Transaktionen als ein vollständig auf dem berechenbaren Wechselspiel von Ursache und Wirkung beruhendes Gefüge behandeln, das seinem forschenden Blick die zugrundeliegenden Gesetze früher oder später wird preisgeben müssen. Obwohl er an keiner Stelle dieses Essays explizit eine Verbindung zwischen der eigenen Theorie der Affekte und den von anderen Gelehrten formulierten Lehren der Mechanik herstellt, ist die Bezugnahme evident: Das Zusammen- bzw. Gegenspiel der Affekte soll dem Verhalten der Kräfte gleichen, die die klassische Mechanik den Phänomenen der Natur abliest. Diese Grundüberzeugung der Humeschen Anthropologie, die er in ausführlicherer Form bereits im Treatise diskutiert und später dann vor allem in der zweiten Enquiry wieder aufnimmt171, erlangt nun in seinen Reflexionen zur Entwicklung von Zivilisation und Kultur großes Gewicht. Denn es sind die menschlichen Leidenschaften und Vorlieben (»passions and interests«, ES, 112), die, in ihrem Zusammenspiel mit der Vernunft (reason), als eigentliche Antriebskräfte des Handelns wirken. Der hier von mir verwendete Ausdruck ›Antriebskräfte‹, so erweist sich spätestens bei der Lektüre dieses Essays, ist bei Hume durchaus wörtlich zu nehmen. Humes Anthropologie, so ließe sich formulieren, verknüpft das Innere des Menschen mit dem Außen, das ihn umgibt, indem sie einen Zusammenhang zwischen der »human nature« (T Introduction, 4; SBN xv) und dem herstellt, was in Humes Diktion »common course of the world, […] men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures« (T Introduction, 10; SBN xix) heißt, mit anderen Worten: die kulturelle Umwelt. Mit dem »Inneren« soll hier das unausgesetzt wirkende und bestimmten Prinzipien unterworfene Kommunikationsgeschehen zwischen der Vernunft und den Affekten bezeichnet sein: Es sind letztere, die als ausschlaggebende Impulse das menschliche Handeln steuern. Verändert man die Blickrichtung, so gibt sich in diesen Handlungen und ihren diversen Materialisationen das ›veräußerte‹ Wechselspiel der inneren Kräfte zu erkennen. Die manifeste kulturelle Praktik sowie ihre Hinterlassenschaften gelten Hume darum als Hinweis auf Inhalte und Logik der latenten Auseinandersetzungen zwischen Verstand und Affekt. Genau aus diesem Grund kann er sich gegen die Behauptung wenden, das jeweils beobachtete Niveau von z. B. Künsten und 171

Vgl. z. B. T 2.3.1.12; SBN 403 und E2 App. 3.9; SBN 307.

4. Über die Entstehungsbedingungen von Künsten und Wissenschaften

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Wissenschaften eines Volkes sei allein dem Zufall geschuldet; statt dessen ist es für ihn ein notwendiges Resultat vorhergehender, von den Prinzipien der menschlichen Natur gesteuerter Prozesse. Jedoch wird dieser Ausschluss des Zufalls aus allem Menschlichen, ob natürlicher oder kultureller Art, von Hume, wie bereits oben angedeutet, teuer erkauft. Denn die semantische Verschiebung, die den unkalkulierbaren Zufall auf (vermeintlich) handlichere »secret or unknown causes« (ES, 112) herunterkürzt, bürdet ihm nun die Pflicht auf, die zuvor für kontingent und unerforschlich ausgegebenen Vorgänge nun erneut unter die Lupe nehmen zu müssen. Diese Formulierung ist wörtlich zu verstehen, denn die von Hume behauptete graduelle Differenz zwischen ›known‹ und ›unknown causes‹ verlangt von ihm, dass er sich in seiner Auseinandersetzung mit kulturellen Phänomenen auch auf komplexe und dabei kaum wahrnehmbare Wechselwirkungen einstellt. Diese Wechselwirkungen, so ist sich Hume in seinen Reflexionen über Kultur durchaus bewusst, lassen sich freilich nicht auf einen einzelnen Menschen und sein individuelles Vernunft- und Affektgeschehen eingrenzen, sondern müssen als komplexe Beeinflussungsvorgänge zwischen allen am kulturellen Leben Beteiligten begriffen werden. Überdies gelte es, die unterschiedliche Durchschlagskraft der Prinzipien zu berücksichtigen, die im Affektgeschehen wirksam sind: Those principles of causes, which are fitted to operate on a multitude, are always of a grosser and more stubborn nature, less subject to accidents, and less influenced by whim and private fancy, than those which operate on a few only. The latter are commonly so delicate and refined, that the smallest incident in the health, education, or fortune of a particular person, is sufficient to divert their course, and retard their operation; nor is it possible to reduce them to any general maxims or observations. Their influence at one time will never assure us concerning their influence at another; even though all the general circumstances should be the same in both cases. (ES, 112)

Das dem Naturforscher des 18. Jahrhunderts durchaus vertraute arithmetische Verfahren, nach Erreichen einer möglichst hohen Anzahl experimenteller Durchgänge aus der Häufigkeit des Auftretens z. B. einer bestimmten Eigenschaft oder bestimmter Bewegungsmuster auf verallgemeinerbare Prinzipien zu schließen, hat also, so ist Hume zu verstehen, auch für eine Wissenschaft vom Menschen Gültigkeit. Dennoch muss auch hier, wie in vielen Bereichen der experimentell befragten Natur, mit Fällen gerechnet werden, in denen sich trotz angestrengter Analysen die entscheidende Ursache nicht ausmachen lässt, da diese von einer komplexen, undurchdringlichen Gemengelage anderer Einflüsse überlagert ist. Hume kann es daher nicht überraschen, wenn er in seinen Analysen der diversen Bereiche von Kultur mit Blick auf das vielfältige Wechselspiel der Affekte auf die unterschiedlichsten Konsequenzen stößt:

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[I]t is more easy to account for the rise and progress of commerce in any kingdom, than for that of learning; and a state, which should apply itself to the encouragement of the one, would be more assured of success, than one which should cultivate the other. Avarice, or the desire of gain, is an universal passion, which operates at all times, in all places, and upon all persons: But curiosity, or the love of knowledge, has a very limited influence, and requires youth, leisure, education, genius, and example, to make it govern any person. (ES, 113)

Handel und Gelehrsamkeit dienen Hume hier als Beispiele kultureller Praxis, deren jeweiliger Motor aus zwei verschiedenen Quellen gespeist wird: Habsucht und Neugierde. Indem Humes Anthropologie diesen Leidenschaften ein je eigenes Verbreitungs- und Wirkungspotential zuordnet, darf die Habsucht nach diesem Verfahren zum Kernbestand des menschlichen Affekthaushalts gerechnet werden, da ihr Vorkommen und ihre Wirksamkeit, so Hume weiter, weder in zeitlicher und örtlicher, noch in personeller Hinsicht Beschränkungen unterliegt.172 Im nur zwei Jahre zuvor veröffentlichten dritten Buch des Treatise hatte Hume dieser Erklärung eine bedeutende Ergänzung hinzugefügt, deren Kenntnis dazu zwingt, den im obigen Zitat eher blassen Kontrast zwischen Habsucht und Neugierde stärker zu konturieren. Denn die Habsucht tritt dort nicht als Stifterin einer regen Handelstätigkeit in Erscheinung, sondern wird, wiewohl sie auch hier als dauerhafte Größe jeder anthropologischen Analyse dargestellt ist, vielmehr als ernstzunehmender Störfaktor ausgewiesen, der die Stabilität eines Gemeinwesens, von Hume als unentbehrliche Grundlage kulturellen Aufschwungs betrachtet, massiv gefährdet: This avidity alone, of acquiring goods and possessions for ourselves and our nearest friends, is insatiable, perpetual, universal, and directly destructive of society. There scarce is any one, who is not actuated by it; and there is no one, who has no reason to fear from it, when it acts without any restraint, and gives way to its first and most natural movements. So that upon the whole, we are to esteem the difficulties in the establishment of society, to be greater or less, according to those we encounter in regulating and restraining this passion. ’Tis certain, that no affection of the human mind has both a sufficient force, and a proper direction to counterbalance the love of gain, and render men fit members of society, by making them abstain from the possessions of others. (T 3.2.2.12; SBN 491)

Dem Affekt der Neugierde hingegen, der zum Wissenserwerb reizt, spricht Hume eine vergleichbare Sprengkraft ab. Während er die Habsucht als robusten, auch ohne Vgl. dazu den 1741 zuerst, jedoch ab 1768 nicht mehr publizierten Essay Of Avarice, in dem Hume die Verbreitung der Habgier einschränkt: »The best excuse that can be made for avarice is, that it generally prevails in old men, or in men of cold tempers, where all the other affections are extinct […].« (ES, 571). 172

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staatliches Zutun gedeihenden Spross der menschlichen Natur kennzeichnet, der, ob gestutzt oder wild wuchernd, das Aussehen einer jeden Gesellschaft prägt, bedarf die Neugierde, wie Hume bemerkt, der kultivierenden Pflege (›to cultivate‹173). Wie im weiteren Verlauf dieser Studie noch an anderen Passagen deutlich werden wird, bezieht sich Hume mit dem Verb ›to cultivate‹ allein auf solche menschlichen Fähigkeiten oder Eigenschaften, deren Pflege nicht bloß zu einer isolierten, punktuellen Verbesserung dieser oder jener Fähigkeit oder Eigenschaft führt, sondern darüber hinaus eine Veredelung der Gesittung bewirkt, und zwar im Sinne einer ›humanity‹, die den Menschen gesellschaftstauglich macht. Nicht die Steigerung jedweder Eigenschaft oder Fähigkeit per se hält Hume für erstrebenswert, sondern allein die Verbesserung solcher Eigenschaften, die das Zusammenleben der Menschen fördern. Aus diesem Grund wäre in Humes Schriften die Formulierung von einer ›kultivierten Habgier‹ allenfalls mit ironischem Unterton denkbar. Humes Position ließe sich also folgendermaßen zusammenfassen: Ein Gemeinwesen, das von den Resultaten der Neugierde zu profitieren wünscht, muss zunächst darauf achten, solide Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen der Wissensdrang der von Neugier Affizierten gefördert werden kann. Hier hat Hume ohne Zweifel die Einrichtung von Schulen und Universitäten im Auge, deren Lehr- und Forschungsbetrieb weder von kirchlichen, noch von staatlichen Instanzen eingeschränkt wird. Doch nicht allein die institutionellen Faktoren sind es, so deuten seine Aussagen an, von denen eine erfolgreiche Etablierung von Gelehrsamkeit abhängt.174 Denn bevor externe, als steuerbar einzustufende Bedingungen und Impulse wie »leisure, education […] and example« (ES, 113) ihre Wirkung entfalten können, muss sich die den Wissenserwerb antreibende Neugierde bereits im internen Kräftespiel der Affekte eines jeden Einzelnen behauptet haben. In Humes Konzept von Gelehrsamkeit und der sie ermöglichenden Bedingungen erhalten daher, neben der Erfordernis eines effizienten Bildungswesens, nicht zuletzt die individuellen Dispositionen wie »youth« und »genius« (ES, 113) eine entscheidende Bedeutung, deren Existenz sich jedoch jedweder Verfügbarkeit entzieht (wiewohl der ›genius‹, wie in Kap. III. 2 ge-

Das Verbum ›to cultivate‹ sowie die Substantive ›Cultivation‹ und ›Culture‹ sind in Johnsons Dictionary nachgewiesen, und zwar jeweils in den Bedeutungen von 1.) landwirtschaftlicher Tätigkeit und von 2.) Verbesserung, Vermehrung allgemeiner Art; in den von Johnson angeführten Zitaten Wallers und Drydens gibt es jedoch einen speziellen Bezug auf die Verfeinerung von Geist und Gelehrsamkeit: »to cultivate our thoughts« (Waller); »a cultivation of learning« (Dryden). Siehe Samuel Johnson: s. v. »cultivate«, »Cultivation«, in: A Dictionary of the English Language…, Vol. I, London 1755 (ohne Paginierung). 174 Nicholas Capaldi bringt das Humesche Verständnis des Verhältnisses von Wissenschaft und Kultur auf die einfache Formel: »Hence, it is not science that explains culture but vice versa.« (»The Dogmatic Slumber of Hume Scholarship«, in: Hume Studies 18 [1992], S. 117–135, hier S. 123). 173

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zeigt wurde, durchaus von Erziehung und Fleiß geformt werden muss, um Produkte hoher Kunst schaffen zu können). Humes Auffassung von Gelehrsamkeit und die Auflistung der für ihren Bestand notwendig erachteten Bedingungen ist vermutlich, ohne dass er dies eigens erwähnt, durch die Lektüre der einschlägigen Passagen von Ciceros De officiis geprägt. Hier, in seiner letzten Abhandlung, die 44 v. Chr. entstand und als Mahnschrift für seinen in Athen mit nur mäßiger Disziplin studierenden Sohn Marcus konzipiert war, erläutert Cicero (106–43 v. Chr.) u. a. seine Ansichten zu individuellen und sozialen Verpflichtungen, zur Bedeutung von Alter und Jugend sowie zum Verhältnis von Nützlichem und Sittlichem. Sein Erziehungsideal, das die Moral als Grundlage aller Kultur betrachtet, ist selbst in hohem Maße von den Schriften des Panaitios, eines Vertreters der mittleren Stoa (um 129 v. Chr.), beinflusst. Im ersten der drei Bücher, aus denen De officiis besteht, beschreibt Cicero zunächst den menschlichen Selbsterhaltungsund den Geselligkeitstrieb, um anschließend auf den Wissensdrang einzugehen: Und besonders ist dem Menschen das Aufsuchen und Aufspüren der Wahrheit eigen. Deshalb sehnen wir uns, wenn wir von den notwendigen Geschäften und Sorgen frei sind, etwas zu sehen, zu hören, hinzuzulernen, und die Erkenntnis verborgener und bewunderungswürdiger Gegenstände halten wir für notwendig zum glücklichen Leben.175

Beide, Cicero und Hume, betonen die Unentbehrlichkeit der Muße (Hume: ›leisure‹; Cicero: ›otium‹), da ohne sie die Neugier nicht zum Zuge kommen kann. Der Topos der Muße, der Freiheit von den Verrichtungen des Alltags als notwendige Basis für 175 Marcus Tullius Cicero: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch und deutsch. Übers., komm. und hg. v. Heinz Gunermann, erw. Ausg. Stuttgart 2003, S. 15 (Buch I, IV, 13). Zur Bedeutung von De officiis für das Humesche Werk, besonders den Treatise, vgl. Humes Brief vom 17. September 1739 an Francis Hutcheson, in dem er moralphilosophische Probleme erörtert: »Upon the whole, I desire to take my Catalogue of Virtues from Cicero’s Offices, not from the Whole Duty of Man. I had, indeed, the former Book in my Eye in all my Reasonings.« (LH I, 34) Zum Einfluss Ciceros auf Hume, besonders auf seine Religionsphilosophie, allg. vgl. John Valdimir Price: »Empirical Theists in Cicero and Hume«, in: Texas Studies in Literature and Language 5 (1963), S. 255–264; ders.: »Sceptics in Cicero and Hume«, in: Journal of the History of Ideas 25 (1964), S. 97–106; Christine Battersby: »The ›Dialogues‹ as Original Imitation. Cicero and the Nature of Hume’s Skepticism«, in: David F. Norton/N. Capaldi/W. L. Robinson (Hg.): McGill Hume Studies (Studies in Hume and Scottish Philosophy), San Diego 1979, S. 239–252; Peter Jones: Hume’s Sentiments. Their Ciceronian and French Context, Edinburgh 1982; Peter S. Fosl: »Doubt and Divinity. Cicero’s Influence on Hume’s Religious Scepticism«, in: Hume Studies 20 (1994), S. 103–120. Peter Loptson sieht in Humes Schriften den Versuch, sich als ›neuen Cicero‹ zu stilisieren: »[…] Cicero is the primary model and mentor, for Hume’s views on religion and its interface with the public world, […] Cicero is the primary model for the cultural and intellectual location from which Hume wrote […].« (»Hume, Multiperspectival Pluralism, and Authorial Voice«, in: Hume Studies 24 [1998], S. 313–334, hier S. 326). Zum Stellenwert Ciceros im Zeitalter der Aufklärung generell vgl. Günter Gawlick: »Cicero and the Enlightenment«, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 25 (1963), S. 657–682.

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ungestörte Beobachtung und Reflexion wird, das ist zuzugestehen, nicht allein von Cicero bemüht (s. bereits das σχολ -Konzept in der griechischen Antike). Cicero und Hume haben jedoch noch einen weiteren Berührungspunkt: Beide weisen, mit Blick auf die diversen, nach Geltung ringenden Triebe des Menschen, auf das immense Gewicht hin, das sowohl der Erziehung als auch der Orientierung an Vorbildern bei der Förderung von Gelehrsamkeit beizumessen ist und daher auch einen wichtigen Bestandteil der Arbeit an der Kultur darstellt: Hume spricht von »education […] and example« (ES, 113), und Cicero fordert die Älteren explizit auf, vor allem in moralischer Hinsicht der Jugend ein Beispiel zu sein. Die gegenüber Humes Ausführungen stärkere Betonung dieses Aspekts bei Cicero ist vor allem dessen Absicht geschuldet, den Sohn auf seine Gehorsamspflicht gegenüber dem Vater hinzuweisen. Cicero schreibt: Es ist also Aufgabe eines jungen Menschen, vor den älteren Ehrfurcht zu haben und aus deren Reihen die Besten und Bewährtesten auszuwählen, um sich auf ihre Einsicht und ihr Ansehen zu stützen. Der Unwissenheit des jugendlichen Alters ist durch der alten Menschen Lebenserfahrung Halt und Richtung zu geben. […] Alte Menschen aber sollten, so scheint es, körperliche Strapazen herabsetzen, geistige Anstrengungen sogar erhöhen, sich ferner Mühe geben, Freunde, die Jugend und am meisten das Gemeinwesen durch ihre Einsicht und praktische Lebenserfahrung möglichst weitgehend zu unterstützen.176

Auch hier treffen sich Humesche und Ciceronische Ansichten: Die Modellierung und Verfeinerung eigener und fremder Eigenschaften und Fertigkeiten ist keinesfalls Selbstzweck, sondern soll sich in den Dienst der Förderung des Gemeinwesens stellen. Bei aller Hochschätzung jedoch, den beide Autoren der Neugierde als unverzichtbarem Antrieb des Wissenserwerbs, der kulturellen Fortschritt ermöglicht, entgegenbringen, sind sie sich doch darüber im Klaren, dass nicht jede Regung der Wissbegierde automatisch in eine methodisch geregelte geistige Suchbewegung mündet, sondern sich auch oft im (kulturell eher unfruchtbaren) Interesse an Nichtigkeiten erschöpft. Im Treatise bemerkt Hume dazu: But beside the love of knowledge, which displays itself in the sciences, there is a certain curiosity implanted in human nature, which is a passion deriv’d from a quite different principle. Some people have an insatiable desire of knowing the actions and circumstances of their neighbours, tho’ their interest be no way concern’d in them, and they must entirely depend on others for their information; in which case there is no room for study or application. (T 2.3.10.11; SBN 453) Marcus Tullius Cicero: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch und deutsch. Übers., komm. und hg. v. Heinz Gunermann, erw. Ausg. Stuttgart 2003, S. 107 ff. (Buch I, XXXIV, 122 und 123). 176

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IV. Hume und die Antike

Das komplexe und durch zahlreiche Faktoren angeregte Affektgeschehen, das Hume am Beispiel der Neugierde verdeutlicht, ist nicht zuletzt auf die Gebundenheit jedes einzelnen Menschen an spezifische Sozialisationserfahrungen und aktuelle Lebenssituationen zurückzuführen. Aus diesem Grund sind individuelle und ständig wechselnde Voraussetzungen für das Wechselspiel von Affekt und Vernunft gegeben, die Hume im Treatise so beschreibt: »Upon the whole, this struggle of passion and of reason, as it is call’d, diversifies human life, and makes men so different not only from each other, but also from themselves in different times.« (T 2.3.8.13; SBN 438) Dann fügt er, in ernüchterndem Ton, hinzu: »Philosophy can only account for a few of the greater and more sensible events of this war; but must leave all the smaller and more delicate revolutions, as dependent on principles too fine and minute for her comprehension.« (T 2.3.8.13; SBN 438) Es ist nun für die Beurteilung des Humeschen Umgangs mit kulturellen Phänomenen wichtig, an diesem Punkt der Darstellung Folgendes festzuhalten: Obwohl er, wie eben gezeigt, nur zu gut um die Schwierigkeiten weiß, die jeder Versuch bereitet, durch Beobachtung gesellschaftlicher Prozesse sowie künstlerischer und wissenschaftlicher Praktiken die, etwas salopp formuliert, ›Mechanik des kulturellen Lebens‹ einer bestimmten Epoche zu entschlüsseln; und obwohl Hume sogar, fast resignativ, die Unmöglichkeit einräumt, diese Mechanik jemals bis in ihre letzten Feinheiten verfolgen zu können, so hält er doch unbeirrt an der Überzeugung fest, dass es eine notwendige, auf Gesetzmäßigkeiten zurückführbare Beziehung zwischen dem Zusammenspiel von Verstand und Affekt einerseits und kultureller Praxis andererseits gibt. Diese am Muster der Naturgesetzmäßigkeiten sich orientierende Ansicht belässt der Kultur die Dignität zumindest potentieller wissenschaftlicher Überprüfbarkeit. Humes Leugnung des Zufalls impliziert also keinesfalls, dass er das kulturelle Leben für durchgängig gestalt- oder sogar für planbar hält; genau hier, auf dem Felde des Experiments, liegt für Hume ja der entscheidende Unterschied zwischen ›moral- and natural sciences‹: »Moral philosophy has, indeed, this peculiar disadvantage, which is not found in natural, that in collecting its experiments, it cannot make them purposely, with premediation, and after such a manner as to satisfy itself concerning every particular difficulty which may arise.« (T Introduction, 10; SBN xviii) Die Leugnung des Zufalls geschieht weniger in gestalterischer, sondern eher in hermeneutischer Absicht: Alles Geschehen soll, zumindest im Nachhinein und prinzipiell, erklärbar sein. Nachdem Hume zu Beginn des Essays Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences also auf die notwendigen Differenzierungen bei der Beobachtung von Erscheinungen des sozialen Lebens hingewiesen und zu bedenken gegegeben hat, dass der Geschmack und das Urteil eines Volkes, mithin also die Grundlage ihrer Künste und Wissenschaften, unmerklichen Beeinflussungen ausgesetzt sind, stellt er fest: »My first observation on this head is, That it is impossible for the arts and sciences to arise,

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at first, among any people unless that people enjoy the blessing of a free government.« (ES, 115) Als jüngstes Beispiel einer solchen Mesalliance von unvereinbaren kulturellen und politischen Ambitionen betrachtet Hume die Versuche Peters des Großen, mit Unterstützung europäischer Wissenschaften und Künste das russische Volk zu zivilisieren. Dieses Unternehmen musste scheitern, so Hume, da Peter, zugleich »European arts« und »Turkish policy« (ES, 116) bewundernd, das Disparate habe zusammenzwingen wollen: den zivilisierenden Einfluss europäischer Kulturgüter bei gleichzeitiger Unfreiheit der Bevölkerung durch repressive Politik.177 Das Abgleiten eines solchen Staates in die Willkürherrschaft eines Einzelnen jedoch macht alle ernsthaften Bemühungen auf kulturellem Gebiet zunichte: Arbitrary power, in all cases, is somewhat oppressive and debasing; but it is altogether ruinous and intolerable, when contracted into a small compass; and becomes still worse, when the person, who possesses it, knows that the time of his authority is limited and uncertain. (ES, 116)

Wenn Hume von ›Sicherheit‹ spricht, so lässt sich mit Bezug auf die bereits oben diskutierte Stelle der History sagen, meint er also in erster Linie Rechtssicherheit, d. h. das Bestehen eines kodifizierten und verbindlichen Rechtsverhältnisses, das die Beziehungen der Bürger untereinander regelt. Eine rechtliche Verpflichtung der staatslenkenden Gewalt gegenüber den Bürgern hält Hume jedoch nicht für unbedingt erforderlich.178 Allerdings: Für die Möglichkeit eines im Zeichen von rechtlicher 177 Hier spielt Hume mit großer Wahrscheinlichkeit auf die blutige Verfolgung der Strelitzen durch Peter den Großen an (ab 1689). Vgl. dazu Günther Stökl: Russische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. erw. Aufl. Stuttgart 1965, bes. S. 348 ff. 178 In dieser Hinsicht folgt Humes Konzept dem seines Vorgängers Thomas Hobbes. Dessen Vertragstheorie im Leviathan lehnt dezidiert jede vertraglich bewirkte Bindung des Souveräns ab; rechtliche Verbindlichkeiten bestehen nur zwischen den Untertanen: »Da von den Vertragsschließenden das Recht, ihre Person zu verkörpern, demjenigen, den sie zum Souverän ernennen, nur durch einen untereinander und nicht zwischen ihm und jedem einzelnen von ihnen abgeschlossenen Vertrag übertragen wurde, kann seitens des Souveräns der Vertrag nicht gebrochen werden, und folglich kann sich keiner seiner Untertanen von seiner Unterwerfung befreien, indem er sich auf Verwirkung beruft.« (Leviathan, oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates [1651]. Hg. v. Iring Fetscher, 5. Aufl. Frankfurt a. M. 1992 [1. Aufl. 1984] [zuerst Neuwied 1966], S. 137 [18. Kap.]). Allerdings sollte diese Gemeinsamkeit nicht über den Dissens bzgl. der Realität eines solchen Vertragsgeschehens hinwegtäuschen, der Hume von Theoretikern wie John Locke und Thomas Hobbes trennt und den er im Essay Of the Original Contract deutlich herausarbeitet. Weitere Hinweise zum Verhältnis der politischen Philosophie von Hume und Hobbes bei Jonathan Kemp: Ethical Naturalism. Hobbes and Hume, London 1970; Paul Russell: »Hume’s ›Treatise‹ and Hobbes’ ›The Elements of Law‹«, in: Journal of the History of Ideas 46 (1985), S. 51–63. Zu den Bezügen zwischen Locke und Hume vgl. Ernest Barker: »The Theory of the Social Contract in Locke, Rousseau and Hume«, in: ders.: Essays on Government, 2. Aufl. Oxford 1951 (1. Aufl. 1945), S. 86–119; Willi Zimmermann: Vom Bewußtsein zum Diskurs. Eine Untersuchung zum Verhältnis

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IV. Hume und die Antike

Sicherheit prosperierenden kulturellen Lebens ist die Solidarität der Staatsbürger eine zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Denn wenn Hume auch davon ausgeht, dass das Staatsoberhaupt durch Gesetze nicht notwendig gebunden sein muss, so hält er dennoch eine gewisse Berechenbarkeit für unabdingbar. Ist diese jedoch z. B. durch eine despotische Herrschaft unmöglich geworden, so ist es ganz unwahrscheinlich, dass Künste und Wissenschaften, wenn sie nicht schon in dieser Gesellschaft verwurzelt sind, in ihr werden Fuß fassen können: »To expect, therefore, that the arts and sciences should take their first rise in a monarchy, is to expect a contradiction.« (ES, 117) Auch in diesem Essay verweist Hume auf ein Ereignis der römischen Antike, um an ihm die gesellschaftsstabilisierende Kraft von Gesetzen zu exemplifizieren. Die auf 450 v. Chr. datierte Fixierung des Gewohnheitsrechts auf zwölf bronzene Tafeln (Leges duodecim tabularum) durch eine zehnköpfige Kommission (Decemviri legibus scribundis) stellt für ihn einen Musterfall179 dafür dar, wie eine zuvor ungebundene staatliche Entscheidungsgewalt durch niedergeschriebenes Recht nun ebenso an verbindliche Regeln gebunden wird und auf diese Weise die Ordnung des Zusammenlebens so strukturiert ist, dass sie, so Hume, für wissenschaftliche Neugier einen guten Nährboden ergibt: The Roman Consuls, for some time, decided all causes, without being confined by any positive statutes, till the people, bearing this yoke with impatience, created the decemvirs, who promulgated the twelve tables; a body of laws, which, though, perhaps, they were not equal in bulk to one English act of parliament, were almost the only written rules, which regulated property and punishment, for some ages, in that famous republic. They were, however, sufficient, together with the forms of free government, to secure the lives and properties of the citizens, to exempt one man from the dominion of another; and to protect every one against the violence or the tyranny of his fellowcitizens. In such a situation the sciences may raise their heads and flourish: But never can have being amidst such a scene of oppression and slavery, as always results from barbarous monarchies, were the people alone are restrained by the authority of the magistrates, and the magistrates are not restrained by any law or statute. (ES, 117)

Das hier am Beispiel der römischen Republik Dargestellte wird von Hume kurzum verallgemeinert: Nur freie Regierungsformen, d. h. nur Gemeinwesen, die auf für Bürger wie für die Regierung gleichermaßen verbindlichen Gesetzen gründen, sind

von Erkenntnistheorie und politischer Theorie am Beispiel der empirisch-analytischen Theorien von John Locke und David Hume, Diss. München 1979. 179 Die tatsächliche Existenz dieses sog. Zwölftafel-Gesetzes ist zuletzt von Marie Theres Fögen nachhaltig infrage gestellt worden (Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, 2. Aufl. Göttingen 2003 [1. Aufl. 2002]).

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ein »proper nursery for the arts and sciences.« (ES, 119) Bereits an früherer Stelle dieser Studie wurde auf die zentrale Rolle hingewiesen, die dem Gesetzesbegriff in Humes Konzept von Zivilisation und ihrer Entwicklung zukommt. Die folgende Passage unterstützt diesen Befund und verdeutlicht, dass die Existenz von Recht und Gesetz nicht nur ein Ausweis von Zivilisiertheit darstellt, sondern auch eine unhintergehbare Bedingung für die Entwicklung und Verfeinerung von Kultur ist: Though a republic should be barbarous, it necessarily, by an infallible operation, gives rise to LAW, even before mankind have made any considerable advances in the other sciences. From law arises security: From security curiosity: And from curiosity knowledge. The latter steps of this progress may be more accidental; but the former are altogether necessary. […] [T]he greater refinements and improvements of human reason […] require curiosity, security, and law. (ES, 118)180

Wie bereits an früherer Stelle dieser Arbeit gezeigt wurde, vertritt Hume die Überzeugung, dass ein Gemeinwesen, das die Gelehrsamkeit seiner Bewohner fördern will, ungleich größere Sorgfalt aufwenden muss, um die dazu notwendigen Rahmenbedingungen wie »leisure, education […] and example« (ES, 113) zu schaffen, als es für die Etablierung des Handels erforderlich ist: In letzterem Falle könne man sich des Wirkungsvermögens von »[a]varice, or the desire of gain, [a]s an universal passion« (ebd.), gewiss sein. Daraus folgt für Hume jedoch nicht, dass die Entwicklung von Kunst und Wissenschaft auf derartige, durch Konkurrenzsituationen entstehende Stimuli verzichten kann: The next observation, which I shall make on this head, is, That nothing is more favourable to the rise of politeness and learning181, than a number of neighbouring and indepenIn den Ausgaben C bis P dieses Essays, die zwischen 1742 und 1768 erscheinen, ergänzt Hume: »According to the necessary progress of things, law must precede science. In republics law may precede science, and may arise from the very nature of the government. In monarchies it arises not from the nature of the government, and cannot precede science. An absolute prince, who is barbarous, renders all his ministers and magistrates as absolute as himself: And there needs no more to prevent, for ever, all industry, curiosity, and science.« (ES, 623) Im Essay Of Parties in General gibt Hume der Hochachtung für die Gesetzgeber Ausdruck: »Of all men, that distinguish themselves by memorable atchievements, the first place of honour seems due to LEGISLATORS and founders of states, who transmit a system of laws and institutions to secure the peace, happiness, and liberty of future generations. The influence of useful inventions in the arts and sciences may, perhaps, extend farther than that of wise laws, whose effects are limited both in time and place; but the benefit arising from the former, is not so sensible as that which results from the latter. […] I must, therefore […] regard antiquity as somewhat unjust in its distribution of honours, when it made gods of all the inventors of useful arts, such as CERES, BACCHUS, ÆSCULAPIUS; and dignify legislators, such as ROMULUS and THESEUS, only with the appellation of demi-gods and heroes.« (ES, 54). 181 Susanne Fischer übersetzt »politeness and learning« mit »Kultur und Bildung« (PÖE, 130). 180

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dent states, connected together by commerce and policy. The emulation, which naturally arises among those neighbouring states, is an obvious source of improvement […]. (ES, 119)

Hume geht an dieser Stelle auf die Gründe nicht weiter ein, die Menschen dazu veranlassen, miteinander zu wetteifern. Der Sieg in einer solchen Auseinandersetzung befriedigt den menschlichen Stolz, den Hume bereits 1739, im zweiten Buch des Treatise, einer ausführlichen Analyse unterzogen hatte. Im Rahmen seiner Beobachtungen menschlicher Affekte hatte Hume im Kapitel über Stolz und Niedergedrücktheit notiert: Men are vain of the beauty of their country, of their county, of their parish. Here the idea of beauty plainly produces a pleasure. This pleasure is related to pride. The object or cause of this pleasure is, by the supposition, related to self, or the object of pride. By this double relation of impressions and ideas, a transition is made from the one impression to the other. (T 2.1.9.6; SBN 306)

Der Affekt des Stolzes wird in diesem Beispiel also durch die Lust bereitenden Qualitäten solcher Phänomene hervorgerufen, die sich, aller gestalterischen Fähigkeiten zum Trotz, der Beeinflussung des Einzelnen weitgehend entziehen, aber dennoch mit der eigenen Person, wenn auch auf reichliche Distanz, in Beziehung gesetzt werden können (z. B. ›x ist Bewohner von y‹). Die Fähigkeit, Stolz zu empfinden, das macht diese Aussage Humes deutlich, ist also nicht notwendig an eine erbrachte Leistung, etwa auf wissenschaftlichem oder künstlerischem Gebiet, geknüpft. Hume fährt fort: »Men are also vain of the temperature of the climate in which they were born; of the fertility of their native soil; of the goodness of the wines, fruits or victuals, produc’d by it; of the softness of force of their language; with other particulars of that kind.« (T 2.1.9.7; SBN 306)182 Um das Gefühl des Stolzes aber zusätzlich zu steigern, muss sich zur Empfindung des Befriedigtseins noch die Achtung und Bewunderung anderer Menschen hinzugesellen: »Our reputation, our character, our name are considerations of vast weight and importance; and even the other causes of pride; virtue, beauty and riches; have little influence, when not seconded by the opinions and sentiments of others.« (T 2.1.11.1; SBN 316) Mehr noch: Das Bedürfnis, das Urteil der Anderen zu erfahren, zeigt, als Grundausstattung des menschlichen Affekthaushalts, nicht nur die enge Verzahnung Vor dem Hintergrund des Verwendungszusammenhangs des engl. »to be polite«, das mit »höflich, fein, schön sein« übersetzt werden kann, erhält der Kulturbegriff Fischers hier die Bedeutung von »Höflichkeit, Kultiviertheit« im emphatischen Sinne. 182 In der Enquiry Concerning the Principles of Morals wird die Liebe zum eigenen Land ebenfalls als naturgegebene Angelegenheit betrachtet: »[N]ature has implanted in every one a superior affection to his own country […].« (E2 5.38n; SBN 225).

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von Stolz und Eitelkeit, sondern sorgt auch dafür, dass Menschen die Nähe der Anderen suchen, um ihre Eitelkeit befriedigen zu können: »Vanity is rather to be esteem’d a social passion, and a bond of union among men.« (T 3.2.2.12; SBN 491)183 Da Hume wiederholt betont, dass sich Stolz nur dann einstellen kann, wenn der zuvor notwendige Vergleich mit den Eigenschaften und Fähigkeiten anderer Menschen vorteilhaft für den Vergleichenden ausfällt (»By […] comparisons so disadvantageous the passion must be entirely destroy’d.«) (T 2.1.6.5; SBN 292), so schwebt die Suche nach Bestätigung immer in der Gefahr, auch auf die Erfahrung der Kränkung zu stoßen, nämlich dann, wenn die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften nicht mit denen der Umgebung konkurrieren können.184 Diese im Treatise notierten Beobachtungen zum Affekt des Stolzes sollen nun mit den entsprechenden Passagen im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences in Beziehung gesetzt werden, um die in ihnen erkennbaren Reflexionen, die das kulturfördernde Potential dieses Affekts betreffen, deutlicher herausarbeiten zu können. Denn dem Fortschritt in Wissenschaften und Künsten ist, so gibt Hume zu verstehen, neben der eben bereits erwähnten Neugier (»curiosity«) besonders jene Form des Konkurrenzbewusstseins förderlich, das den Stolz und die Eitelkeit begleitet. Ein solches werde, so Humes Ansicht, nicht zuletzt durch die politischen Konstellationen belebt. Kurz zuvor hatte Hume noch Argumente genannt, die die Unmöglichkeit künstlerischen und wissenschaftlichen Aufschwungs in despotischen Regierungssystemen beweisen sollten; nun geht es ihm darum, als idealen, fruchtbaren Nährboden kultureller Entwicklung das Nebeneinander kleiner, überschaubarer Staaten aufzuzeigen:

Das Bedürfnis nach Anerkennung wird in der zweiten Enquiry auch zum wichtigen Regulativ des Gefühls für Recht und Unrecht erklärt: »Another spring of our constitution, that brings a great addition of force to moral sentiment, is the love of fame; which rules, with such uncontrolled authority, in all generous minds, and is often the grand object of all their designs and undertakings. By our continual and earnest pursuit of a character, a name, a reputation in the world, we bring our own deportment and conduct frequently in review, and consider how they appear in the eyes of those who approach and regard us. This constant habit of surveying ourselves, as it were, in reflection, keeps alive all the sentiments of right and wrong, and begets, in noble natures, a certain reverence for themselves as well as others, which is the surest guardian of every virtue.« (E2 9.10; SBN 276) Zur zentralen Rolle, die der Begriff der ›Eitelkeit‹ in Humes Autobiographie My Own Life spielt, vgl. Ryan Patrick Hanley: »Hume’s Last Lessons: The Civic Education of ›My Own Life‹«, in: The Review of Politics 64 (2002), S. 659–685. 184 Eitles Gebaren, so Hume in der zweiten Enquiry, muss von anderen Menschen jederzeit als Herausforderung der eigenen Eitelkeit empfunden werden; »[i]t seems to consist chiefly in such an intemperate display of our advantages, honours, and accomplishments; in such an importunate and open demand of praise and admiration, as is offensive to others, and encroaches too far on their secret vanity and ambition.« (E2 8.11; SBN 266). 183

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IV. Hume und die Antike

[T]he divisions into small states are favourable to learning, by stopping the progress of authority as well as that of power. Reputation is often as great a fascination upon men as sovereignty, and is equally destructive to freedom of thought and examination. But where a number of neighbouring states have a great intercourse of arts and commerce, their mutual jealousy keeps them from receiving too lightly the law from each other, in matters of taste and of reasoning, and makes them examine every work of art with the greatest care and accuracy. (ES, 120)

Erneut hilft Hume der Hinweis auf die Antike, um diese besondere Verkettung des sozialen und des kulturellen Lebens verdeutlichen zu können. Hume bezweifelt nicht, dass die Entwicklungsfähigkeit und Differenziertheit der antiken griechischen Kultur nicht zuletzt der überschaubaren Anzahl von Polisgesellschaften geschuldet war, die sowohl im wirtschaftlichen als auch im intellektuell-ästhetischen Wettbewerb standen: GREECE was a cluster of little principalities, which soon became republics; and being united both by their near neighbourhood, and by the ties of the same language and interest, they entered into the closest intercourse of commerce and learning. There concurred a happy climate, a soil not unfertile, and a most harmonious and comprehensive language; so that every circumstance among that people seemed to favour the rise of the arts and sciences. Each city produced its several artists and philosophers, who refused to yield the preference to those of the neighbouring republics: Their contention and debates sharpened the wits of men: A variety of objects was presented to the judgement, while each challenged the preference to the rest: and the sciences, not being dwarfed by the restraint of authority, were enabled to make such considerable shoots, as are, even at this time, the objects of our admiration. (ES, 120)

Allen bislang vorgestellten Passagen des Essays Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, in denen Hume das Verhältnis von Staaten untereinander unter die Lupe nimmt, ist gemeinsam, dass die Handelstätigkeit zu den konstanten Verbindungsgrößen zählt: »a number of neighbouring and independent states, connected together by commerce and policy« (ES, 119); »a great intercourse of arts and commerce« (ES, 120); »the closest intercourse of commerce and learning« (ES, 120). An Humes Formulierungen zeigt sich, dass er in diesem Nebeneinander von wirtschaftlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Aktivitäten der Staaten keinesfalls nur die Koexistenz verschiedenartiger sozialer Handlungen erblickt, sondern dass er an ihnen einen gemeinsamen Zielgedanken wahrnimmt: Unablässig streben die »rival nations« (ES, 120) danach, die jeweilige Gegenseite, also Geschäftsleute, Künstler und Wissenschaftler anderer Gemeinschaften, in den einzelnen Metiers zu übertreffen. Humes Blick auf diese Zusammenhänge ist wichtig, da er eine weitere Facette seines Wissenschafts- und Kunstverständnisses offenbart. Zur Erläuterung sei nochmals an den Anfang des Essays erinnert: Hume grenzte dort den Affekt der

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Wissbegierde (›curiosity‹) gegenüber dem Affekt der Habsucht (›avarice‹) ab; der eine sporne den Menschen zum Nachforschen an, der andere befördere seinen kommerziellen Ehrgeiz. Doch nicht allein die Zielrichtung, sondern auch die Wirksamkeit beider Affekte sei unterschiedlich. Menschliches Handeln, so Hume, wurde und werde im allgemeinen stärker von der Habsucht als von der Neugierde geprägt: »Avarice, or the desire of gain, is an universal passion, which operates at all times, in all places, and upon all persons: But curiosity, or the love of knowledge, has a very limited influence, and requires youth, leisure, education, genius, and example, to make it govern any person.« (ES, 113) Nun zeigen jedoch die zuvor vorgestellten Textpassagen, wie Hume das intellektuelle Milieu der (männlichen) griechischen Gelehrten und Künstler bewundernd skizziert, ohne dabei beispielsweise auf die Behauptung zurückzugreifen, sie hätten einen besonders ausgeprägten Hang zur Neugier entwickelt bzw. eine eigentümliche Leidenschaft für spezifische Problemstellungen besessen. So sticht bei der Lektüre von Humes Schilderungen wissenschaftlicher und künstlerischer Betriebsamkeit der Griechen nicht deren Neugier (›curiosity‹), sondern vielmehr die Vorherrschaft eines im wahrsten Sinne des Wortes ›politischen‹ Eifers ins Auge. Diesen Eifer führt Hume auf die von ihm so genannten ›republikanischen‹ Verhältnisse zurück.185 Mit dieser Formulierung charakterisiert er sowohl das Innere einer Polis als auch die Beziehung der Polisgemeinschaften untereinander, in denen das seiner Ansicht nach freie, durch keine Autorität gebremste Streiten um das entscheidende Argument und die schönste Form möglich war. Als unabdingbare Grundlage für das beherzte Streiten gelten ihm hier die gemeinsame Sprache und die gleichen Interessen. Als wichtigste Antriebsfeder dieses zwischenstaatlichen Wetteiferns benennt der schottische Gelehrte die »mutual jealousy« (ES, 120). Affekte wie »jealousy« (Eifersucht), aber auch »avarice« (Habgier) und »envy« (Neid) sind Humes Anthropologie zufolge die Ergebnisse der sozialen Natur des Menschen. Denn das Leben in der Gemeinschaft provoziert das beständige Taxieren eigener und fremder Eigenschaften, worauf ihrerseits die Beurteilung der persönlichen Fähigkeiten und Qualitäten aufbaut: »So little are men govern’d by reason in their sentiments and opinions, that they always judge more of objects by comparison than from their intrinsic worth and value.[…] This no one can doubt of with regard to our passions and sensations.« (T 2.2.8.2; SBN 372) Darf sich der Urteilende seiner Überlegenheit sicher wähnen, wird sich bei ihm der bereits eben näher erläuterte Affekt des Stolzes einstellen. Den Vorteilen republikanischer Zustände widmet Hume sich eingehend im 1742 veröffentlichten Essay Of Civil Liberty (der jedoch zunächst in den verschiedenen Ausgaben der Essays bis 1758 unter dem Titel Of Liberty and Despotism publiziert wurde), der im Folgenden noch Berücksichtigung finden wird. 185

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IV. Hume und die Antike

Hingegen deuten aggressive Gefühle186 wie Eifersucht, Habgier oder Neid darauf hin, dass der Urteilende die eigene Lage als unvorteilhaft erfährt oder die Konkurrenzsituation als einen Zustand der instabilen Balance einstuft, in dem er früher oder später ins Hintertreffen geraten kann. Im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences ist es genau diese Konkurrenzsituation, die Hume in den wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten der griechischen Antike zu beobachten können glaubt, und die eintritt, sobald Künstler und Gelehrte den öffentlichen Raum ihrer Polis betreten oder die Grenzen der eigenen Polisgesellschaft überschreiten: In beiden Fällen müssen sie sich der Kritik stellen. Im Folgenden sollen nun die in diesem Essay mit Blick auf die griechische Antike niedergelegten Beobachtungen zur Bedeutsamkeit von Eifersucht und Neid für den kulturellen Wettstreit durch Aussagen aus dem Treatise und der Enquiry Concerning the Principles of Morals ergänzt und weiter differenziert werden. Mit dem Affekt des Neids und seinen anthropologischen Grundlagen setzt sich Hume vor allem im zweiten Teil des zweiten Buchs des Treatise auseinander. Ihm geht es dort insbesondere um die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Neid entstehen kann. Allgemein gilt: »[E]nvy is excited by some present enjoyment of another, which by comparison diminishes our idea of our own […].« (T 2.2.8.12; SBN 377) Hume fährt wenig später fort: »’Tis worthy of observation concerning that envy, which arises from a superiority of others, that ’tis not the great disproportion betwixt ourself and another, which produces it; but on the contrary, our proximity.« (T 2.2.8.13; SBN 377) Das entscheidende Kriterium der Nähe versucht Hume im Folgenden durch Beispiele näher zu erläutern: »A common soldier bears no such envy to his general as to his sergeant or corporal; nor does an eminent writer meet with so great jealousy in common hackney scriblers, as in authors, that more nearly approach him.« (ebd.) Diese Beipiele legen den Schluss nahe, dass mit dem Begriff der Nähe die Beziehung von Menschen bezeichnet werden soll, die in Bezug auf ihre gesellschaftliche Anerkennung nahezu ebenbürtig sind. Diese Art der Nähe scheint für Hume jedoch noch nicht ausschlaggebend zu sein, damit Neid entstehen kann. Denn statt fremder Wertschätzung spielt vielmehr das je eigene Empfinden beim Zusammentreffen gleicher Interessen- oder Arbeitsschwerpunkte eine Rolle: To confirm this we may observe, that the proximity in the degree of merit is not alone sufficient to give rise to envy, but must be assisted by other relations. A poet is not apt to envy a philosopher, or a poet of a different kind, of a different nation, or of a different age. All these differences prevent or weaken the comparison, and consequently the passion. (T 2.2.8.15; SBN 378)

»Aggressiv« versteht sich hier im Sinne der das Sozialleben immer wieder gefährdenden übermäßigen Selbstliebe, die sich in Affekten wie »[a]varice, ambition, vanity« (E2 9.5; SBN 271) 186

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Der ›vergleichende Blick‹ muss also, damit Neid entstehen kann, auf spezifische Eigenschaften oder Fähigkeiten anderer Menschen gerichtet sein, die der Betrachter auch in oder an sich selber vorzufinden meint. In diesem Fall gehen, so Humes These, in dessen Geist die sich entsprechenden Eindrücke von eigenen und bei anderen beobachteten Merkmalen eine unmittelbare Verknüpfung ein und rufen eine »association of ideas« hervor, »which renders the comparison so much more natural and efficacious.« (T 2.2.8.17; SBN 379) Die Folge davon ist, dass der Betrachter nicht davon ablassen kann, den ihm in spezifischen Aspekten so Nahestehenden argwöhnisch zu taxieren. Hume benennt verschiedene Faktoren, die das In-Beziehung-Setzen der Eigenschaften des Selbst und eines Anderen erschweren und die Entstehung von Neid hemmen können. So werde beispielsweise ein Dichter keinen Neid gegen seinen Fachgenossen hegen, sobald es sich bei diesem um einen Autoren »of a different kind, of a different nation, or of a different age« (T 2.2.8.15; SBN 378) handele. Eine weitergehende Erläuterung dieser Faktoren bietet Hume seinen Lesern nicht; entscheidend ist für seine Argumentation jedoch, dass, um das Entstehen von Neid zu verhindern, die Differenz innerhalb der zu vergleichenden Kriterien ausreichend groß sein muss, damit jede Möglichkeit der Assoziation ausgeschlossen ist,187 die Hume ja nicht nur bei der Gleichheit von Eigenschaften, sondern bereits bei ihrer Ähnlichkeit gegeben sieht. Hat sich, so schreibt er weiter, der Affekt des Neids aber bereits eingestellt, so folgt ihm das Bedürfnis bzw. der Ehrgeiz, das Gefühl der Unterlegenheit zu beseitigen: When it cannot break the association, it feels a stronger desire to remove the superiority; and this is the reason why travellers are commonly so lavish of their praises to the Chinese and Persians, at the same time, that they depriciate those neighbouring nations, which may stand upon a foot of rivalship with their native country. (T 2.2.8.17; SBN 379)

Sobald man sich die hier nicht ausgesprochene, aber offenbar auf ökonomische Beziehungen rekurrierende Überzeugung Humes verdeutlicht und durch einschlägige Forschungserträge188 ergänzt, dann lässt sich sein Beispiel folgendermaßen verstehen:

äußert. Menschen werden, so Hume, von diesen, aber auch von anderen mit dem Gefühl der Unlust begleiteten Affekten dazu gebracht, die Ursache ihrer Unzufriedenheit zu beseitigen. Erziehung und Gesetz obliegt es dann, die auf diesem Wege unvermeidlich sich anbahnenden Konflikte in sichere Bahnen zu lenken. 187 Die deutsche Übersetzung von Theodor Lipps ist demnach nicht präzise genug, da sie nicht zwischen dem ›anderen‹ und dem ›unterschiedlichen‹ differenziert: »Ein Dichter wird nicht leicht einen Philosophen beneiden, auch nicht einen Dichter anderer Art, oder einen, der einer anderen Nation oder einen, der einem anderen Zeitalter angehört.« [Hervorhebung von mir, M. B.] (TRN2, 113). 188 Zum Verhältnis Europas zu den asiatischen Ländern, besonders im Zeitalter der Aufklärung, siehe die umfassende Studie von Jürgen Osterhammel: Die Entzauberung Asiens. Europa und die

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IV. Hume und die Antike

Den Aufzeichnungen europäischer Reisender des 18. Jahrhunderts zufolge bietet sich ihnen in China und Persien ein ungewohnter, faszinierender Anblick, wiewohl die seit dem 17. Jahrhundert stark wachsende Anzahl von Reiseberichten aus verschiedenen Teilen Asiens den europäischen Gebildeten zunehmend mit den fremden Sitten vertraut zu machen versucht und, um nur das prominenteste Beispiel zu nennen, in Montesquieus 1721 anonym publizierten Lettres persanes eine satirisch-kritische Travestie erfährt. Obwohl also dem europäischen Betrachter Chinesen und Perser in ihrer Lebensweise fremd erscheinen, werden sie ungeachtet dessen als wichtige Handelspartner geschätzt und respektiert, von denen begehrte Artikel wie z. B. Textilwaren und Seide (Persien) bzw. Porzellan, Seide, Tee und Drogen (China) erworben werden können. Im Rahmen der bestehenden Kontakte zwischen Europa und Asien bildet

asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998. Osterhammel betont, dass »das 18. Jahrhundert machtpolitisch und ökonomisch eine Zeit des labilen Gleichgewichts zwischen Europa und Asien« gewesen sei, dem auch »ein geistiges Equilibrium« entsprochen habe (S. 35). Den Darstellungen nahezu aller schottischen Autoren fehle »ein schroffer Antagonismus zwischen Abendland und Morgenland« (S. 372). Vgl. aber dazu Humes (ästhetische) Abwertung der Chinesen und Perser gegenüber Chaldäern und Ägyptern in T 2.3.8.3; SBN 433. Während Osterhammel sein Ergebnis nicht belegt, bietet der Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences eine längere Passage, in der Hume die chinesische Kultur rückhaltlos anerkennt, wenn ihm auch die Unterlegenheit der chinesischen Wissenschaft erklärungsbedürftig scheint: »In CHINA, there seems to be a pretty considerable stock of politeness and science, which, in the course of so many centuries, might naturally be expect to ripen into something more perfect and finished, than what has yet arisen from them. But CHINA is one vast empire, speaking one language, governed by one law, and sympathyzing in the same manners. The authority of any teacher, such as CONFUCIUS, was propagated easily from one corner of the empire to the other. None had courage to resist the torrent of popular opinion. And posterity was not bold enough to dispute what had been universally received by their ancestors. This seems to be one natural reason, why the sciences have made so slow a progress in that mighty empire.« Hume ergänzt in einer Anmerkung: »If it be asked how we can reconcile to the foregoing principles the happiness, riches, and good polices of the CHINESE, who have always been governed by a sole monarch, and can scarce form an idea of a free government; I would answer, that tho’ the CHINESE government be a pure monarchy, it is not, properly speaking, absolute. This proceeds from a pecularity of the situation of that country: They have no neighbours, except the TARTARS, from whom they were, in some measure secured, at least seemed to be secured, by their famous wall, and by the great superiority of their numbers. By this means, military discipline has always been much neglected amongst them; and their standing forces are mere militia, of the worst kind; and unfit to suppress any general insurrection in countries so extremely populous.« (ES, 122) Im Gegensatz zur antiken griechischen Kultur bemängelt Hume also an China das Fehlen eines ›Wettbewerbs der Meinungen‹, den er für die Fortentwicklung der Wissenschaft für unerlässlich hält. Dass sich in China, abgesehen von der aus Humes Perspektive ›rückständigen‹ Wissenschaft, dennoch ein respektables Gemeinwesen herausbilden konnte, liegt daran, dass sich in ihm aufgrund seiner Größe keine absolute Monarchie entwickeln konnte. Zur Geschichte der Beziehung Englands zu China vgl. James Bromley Eames: The English in China, London 1974 (Reprint der Ausgabe 1909); speziell zu den Handelsbeziehungen vgl. S. 112 ff. Vgl. ebenso David Porter: »A Peculiar but Uninteresting Nation: China and the Discourse of Commerce in Eighteenth-Century England«, in: EighteenthCentury Studies 33 (2000), S. 181–199.

4. Über die Entstehungsbedingungen von Künsten und Wissenschaften

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sich jedoch kein Konkurrenzfeld heraus, das demjenigen vergleichbar wäre, auf welchem Länder wie z. B. Portugal, Spanien, Frankreich, England und die Niederlande um die Vorherrschaft im europäischen Handelsmarkt streiten.189 Die Pointe von Humes Formulierung liegt nun darin, dass die oben genannten Staaten ja nicht allein in Europa konkurrierende ›neighbouring nations‹ sind (in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht), sondern dass sie ihre Rivalität bei dem Versuch der Erschließung von Handelsmärkten z. B. auch im Indischen Ozean zusammenführt und quasi zu ›Nachbarn‹ werden lässt.190 Im Vergleich zu dieser auch abseits des Heimatlandes hergestellten Nähe müssen beispielsweise Chinesen und Perser den Europäern »different nations« bleiben und genießen so nicht den Status von Rivalen. Die konkurrierenden Stadtstaaten der griechischen Antike, mit denen sich Hume im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences auseinandersetzt, entwickelten also deshalb künstlerischen und wissenschaftlichen Ehrgeiz, weil sie entscheidende Gemeinsamkeiten teilten (»the ties of the same language and interest« [ES, 120]) und sich aus diesem Grunde eben nicht, in Humes Worten, als ›different‹, sondern als ›neighbouring nations‹ verstanden. Für den kulturellen Aufstieg der Griechen war aber ebenso, davon ist Hume überzeugt, eine liberale Diskussionskultur entscheidend, die das öffentliche, intellektuell-künstlerische Wetteifern zuließ und das Infragestellen gegensätzlicher Meinungen und Lehrsätze ermöglichte.191 189 Hume greift bei seiner Erklärung der Affekte Hass und Liebe durchaus auch auf Beispiele aus dem Handelsleben zurück: »Suppose, that two persons of the same trade shou’d seek employment in a town, that is not able to maintain both, ’tis plain the success of one is perfectly incompatible with that of the other, and that whatever is for the interest of either is contrary to that of his rival, and so vice versa. Suppose again, that two merchants, tho’ living in different parts of the world, shou’d enter into co-partnership together, the advantage or loss of one becomes immediately the advantage or loss of his partner, and the same fortune necessarily attends both. Now ’tis evident, that in the first case, hatred always follows upon the contrariety of interests; as in the second, love arises from their union.« (T 2.2.9.6; SBN 383). 190 Im Essay Of National Characters betont Hume, dass die Sitten und Gebräuche der kolonisierenden Nationen in die eroberten Gebiete transferiert werden: »The same set of manners will follow a nation, and adhere to them over the whole globe, as well as the same laws and language. The SPANISH, ENGLISH, FRENCH and DUTCH colonies are all distinguishable even between the tropics.« (ES, 205). 191 Der von Hume (freilich mit anderen Worten) beschriebene ›agonale Charakter‹ des griechischen Zusammenlebens ist von der Kulturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, vor allem von Jacob Burckhardt, erneut betont worden: »Gegenüber von Skythen wie von Asiaten ist der Grieche, wie gesagt, individuell, losgesprochen von allem Tun der Rassen und Kasten, mit Seinesgleichen in beständigem Wettstreit oder ›Agon‹, von den festlichen Wettkämpfen bis zur Geltung in der Polis, vom Ringplatze von Olympia bis auf die Agoren und in die Stoen der Vaterstadt und bis zum Kampf um die Überlegenheit im Gesang und in der bildenden Kunst.« (Jacob Burckhardt: Griechische Kulturgeschichte. Bd. 1 [1898]. Hg. v. Jakob Oeri, Berlin 1956, S. 295 [=Gesammelte Werke, Bd. 5]). Prominentester Kritiker dieser Position war Johan Huizinga, der dem Autor der Griechischen Kulturgeschichte vorwarf, das »Agonale« als ein auf die Griechen beschränktes Phänomen aufgefasst

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IV. Hume und die Antike

Humes Beifall für das (freilich von ihm weder historisch noch regional spezifizierte) Aufblühen der antiken griechischen Kultur verdeutlicht aber noch einen anderen Aspekt: Hume taxiert den Ehrgeiz der Philosophen und Künstler bzw. die dafür verantwortlichen Affekte wie Eifersucht und Neid in einer differenzierten Weise, die dazu zwingt, jene zu Beginn seines Essays akzentuierte, zunächst eindeutig erscheinende Gegenüberstellung von ›curiosity‹ und ›avarice‹, im Sinne des Vergleichs eines ›guten‹ und ›schlechten‹ bzw. eines gesellschaftsdienlichen und gesellschaftszerstörenden Affekts, erneut zu überdenken. Denn an dieser Stelle des Essays stellt sich Humes Auffassung so dar: Die beachtliche Dynamik, durch die er die intellektuell-ästhetische Kultur der griechischen Antike gekennzeichnet sieht, verdankt sich nicht etwa dem Affekt des Staunens oder einem Drang nach Erkenntnis und Gestaltung, sondern einer weitaus minder würdevollen Leidenschaft, nämlich einer immerzu sich bedroht fühlenden Eitelkeit, verbunden mit der Eifersucht auf das öffentliche Ansehen anderer. Darum spielt an diesem Punkt der Humeschen Darstellung, durchaus konsequent, der Affekt der ›curiosity‹ überhaupt keine Rolle mehr, den er als ohnehin nur in Maßen durchsetzungsfähig bewertet hatte. In Humes Erläuterungen scheint statt dessen das Handeln der Menschen von einer Melange aus Leidenschaften dominiert, die zum Hinschielen auf den eigenen Ruhm verführt.192 Überspitzt formuliert: Die antiken Künstler oder Philosophen üben ihre Tätigkeiten vorwiegend nicht um ihrer selbst willen aus, so dass deren Erträge auch weniger als Produkt reiner Neugier, sondern eher als das Resultat ihrer Eitelkeit und Eifersucht anzusehen sind.

zu haben. Huizinga, der das Spiel als wichtigstes Kulturelement herausstellt, bezieht sich in seinen Vorwürfen gegen Burckhardt auf soziologische und ethnologische Erkenntnisse, denen zufolge das Agonale als weit verbreiteter Kulturfaktor angesehen werden muss (Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbeck 1956 [niederl. Haarlem 1938], bes. S. 75 ff.). 192 Vgl. dazu die Ausführungen von Jean-Pierre Vernant: »In einer Gesellschaft, die sich durch fortwährende persönliche Duelle auszeichnet, in der man seine Konkurrenten in einem ständigen Wettstreit um Ruhm übertrumpfen muss, ist jeder den Blicken der anderen ausgesetzt und existiert nur durch diese Blicke. Man ist das, was die anderen in einem sehen. Die Identität des Individuums besteht in dem Grad der gesellschaftlichen Wertschätzung, die es genießt, und diese kann von Spott bis zur Lobrede, von der Verachtung bis zur Bewunderung reichen. Wenn der Wert eines Menschen in einem solchen Ausmaß von seinem Ruf abhängig ist, dann wird jeder öffentliche Angriff auf seine Würde, jede Handlung oder Äußerung, die sein Ansehen befleckt, sofern sie nicht öffentlich wiedergutgemacht wurde, von dem Betroffenen als erniedrigend oder vernichtend für sein Wesen, seinen inneren Wert empfunden, als Besiegelung seines Niedergangs betrachtet.« (Jean-Pierre Vernant: »Einführung: Der Mensch des antiken Griechenland«, in: ders. [Hg.]: Der Mensch der griechischen Antike, Frankfurt a. M. 1996 [zuerst Frankfurt a. M. 1993] [ital. Rom 1991], S. 7–30, hier S. 26). Im Unterschied zu Hume geht es Vernant darum, die Differenz zwischen dem »Inneren« des Menschen der Antike und dem des 20. Jahrhunderts zu betonen, während Hume eine zeitübergreifende Einheitlichkeit menschlichen Denkens und Handelns unterstellt.

4. Über die Entstehungsbedingungen von Künsten und Wissenschaften

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Die Antriebskraft der Philosophen und Künstler der griechischen Antike ist, so scheinen Humes Angaben nahezulegen, eng verwandt mit jener Leidenschaft, die er für das Entstehen kaufmännischen Engagements verantwortlich macht: ›avarice‹ bzw. ›avidity‹. Deshalb sei hier in aller Kürze nochmals an Humes Charakterisierungen dieser Affekte erinnert: »Avarice, or the desire of gain, is an universal passion, which operates at all times, in all places, and upon all persons.« (ES, 113) Und im Treatise ist zu lesen: »This avidity alone, of acquiring goods and possessions for ourselves and our nearest friends, is insatiable, perpetual, universal, and directly destructive of society.« (T 3.2.2.12; SBN 491) Anhand dieser Formulierung wird freilich sichtbar, worin für Hume die Differenz zwischen intellektuell-künstlerischem und ökonomischem Ehrgeiz bestanden haben muss. Denn Hume erkennt sehr wohl den gewichtigen Unterschied zwischen der ungebremsten Habsucht nach (materiellen) Gütern, die den Schaden und das Unglück anderer billigend in Kauf nimmt und damit das friedliche Zusammenleben aufs Spiel setzt, und dem hier am Beispiel der griechischen Antike dargestellten Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung, das zu individuellen wie kollektiven Höchstleistungen auf kulturellem Gebiet anspornt, ohne dabei jedoch für das Bündnis der Bürger untereinander gefährlich zu sein. Warum kann der Ehrgeiz so unterschiedliche Auswirkungen haben? Es gibt im Treatise einen Versuch, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Ob ein Affekt wie der Ehrgeiz eine gemeinschaftsfördernde oder aber eine gemeinschaftszerstörende Tendenz entwickelt, hängt nach Hume davon ab, ob er von Wohlwollen (›benevolence‹) begleitet wird oder nicht.193 Dieses Wohlwollen, so Hume, bestimme z. B. den Charakter von »generosity, humanity, compassion, gratitude, friendship, fidelity, zeal, disinterestedness« und »liberality« (T 3.3.3.3; SBN 603). Der Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences weiß freilich von einem ›gütigen Eifer‹ der antiken Philosophen oder Künstler nichts zu berichten, sondern schildert wenig rücksichtsvolle Durchsetzungsversuche: »[they] refused to yield the preference to those of the neighbouring republics […].« (ES, 121) Humes historische Recherchen stärken also in ihm die Überzeugung, dass das damalige Engagement in Philosophie und Kunst nicht ohne den eifersüchtigen Blick auf die wissenschaftlichen und künstlerischen Erfolge der Nachbarstaaten auskam, ja dass auch das intellektuell-künstlerische Leben in den Poleis selbst von »mutual jealousy« (ES, 120) geprägt war. Gemäß der im Treatise vorgenommenen Unterscheidung müsste also dieser mit Eifersucht gepaarte Ehrgeiz zu den Affekten gerechnet werden, die das soziale und

193 »Courage and ambition, when not regulated by benevolence, are fit only to make a tyrant and public robber. ’Tis the same case with judgment and capacity, and all the qualities of that kind. They are indifferent in themselves to the interests of society, and have a tendency to the good or ill of mankind, according as they are directed by these other passions.« (T 3.3.3.3; SBN 604) Vgl. dazu Rico Vitz: »Hume and the Limits of Benevolence«, in: Hume Studies 28 (2002), S. 271–295.

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IV. Hume und die Antike

kulturelle Leben gefährden. Es ist zudem auffällig, dass die Humeschen Schilderungen dieser antik-griechischen Variante von intellektuell-künstlerischem Ehrgeiz keinen einzigen Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer oder mehrerer der oben skizzierten Spielarten von ›benevolence‹ liefern. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus überraschend, dass dieser Essay, in augenfälligem Widerspruch zu Humes Annahmen im Treatise, über keine negativen Auswirkungen dieses Affekts zu berichten weiß, ganz im Gegenteil: Die mit Unterstützung dieser Leidenschaft erreichten Resultate, besonders in den Wissenschaften, seien auch jetzt noch »objects of our admiration.« (ES, 121) Mein Versuch, die von Hume in diesem Essay beschriebenen spezifischen Merkmale der griechischen Kultur mit den generalisierenden Lehrsätzen seiner Anthropologie in Einklang zu bringen, stößt an diesem Punkt offenbar auf Widerstand. Es mag hilfreich sein, zur Klärung dieses irritierenden Umstands die Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment auf weitere Textstellen seines Ouevres zu richten. Hume selbst betrachtete es stets als ausgemacht, dass seine ›science of Man‹ auch aus der Betrachtung historischer Phänomene zuverlässige Erkenntnisse gewinnen kann. So unterrichtet uns z. B. die erste Enquiry über den Nutzen der Geschichtsschreibung: Its chief use is only to discover the constant and universal principles of human nature, by showing men in all varieties of circumstances and situations, and furnishing us with materials from which we may form our observations and become acquainted with the regular springs of human action and behaviour. (E1 8.7; SBN 83)194

Zugleich vermerkt Hume an anderer Stelle, dass das Studium der Geschichte dem Anthropologen, der nach Gesetzmäßigkeiten und verursachenden Prinzipien des menschlichen Handelns forscht, neben den gleichmäßig wiederkehrenden Verhaltensweisen im Grunde nichts Überraschendes zu bieten hat.195 Mit dieser Überzeugung nimmt Hume implizit, zumindest für sein Werk, die Gewissheit in Anspruch, dass wohl ein Ergänzungs-, aber kein Widerspruchsverhältnis bestehen kann zwischen der Darstellung anthropologischer Kerngedanken, die von allem Konkreten abstrahiert, und der diese Kerngedanken mehr oder weniger ausführlich illustrierenden Schilderung historischer Sachverhalte. Aus dieser Annahme jedoch ergeben sich in seinen Schriften einige von ihm selbst niemals aufgelöste Spannungen zwischen dem Um ein weiteres Beispiel zu geben, sei eine Stelle aus der History angeführt. Im dritten Band setzt sich Hume mit den religiös motivierten Konflikten in England und Schottland zur Zeit Mary Stuarts auseinander. Die hier wirkenden Affekte werden für Hume durch Betrachtung des Geschichtsverlaufs erkennbar: »[W]hoever enlarges his view, and reflects on the situations, will remark the necessary progress of human affairs, and the operation of those principles which are inherent in human nature.« (HE III, 415, Kap. 38). 195 Vgl. E1 8.7; SBN 83. 194

5. Die affektregulierende Wirkung von Wissenschaft und Kunst

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Besonderen und dem Allgemeinen, denen im Folgenden weiter nachgegangen werden muss (siehe dazu auch Kap. IV. 10 und 13).

5. Die affektregulierende Wirkung von Wissenschaft und Kunst – The Sceptic Ein für die Klärung des oben formulierten Problems wichtiger anthropologischer Kerngedanke Humes besagt, dass sich die – produktive wie rezeptive – Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst generell affektregulierend auswirkt. Diese Auffassung wird z. B. im Essay The Sceptic vertreten, der 1742, also zusammen mit der hier zur Diskussion stehenden Abhandlung Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, veröffentlicht wurde. In The Sceptic kreist Humes Denken um die philosophiegeschichtlich vieldiskutierte Frage, welche allgemein-gesellschaftlichen, aber auch welche individuellen, d. h. emotionalen und intellektuellen Verfassungen von den Menschen erstrebt werden sollten, um sich glücklich zu fühlen. Für den schottischen Philosophen steht fest, dass sich individuelle Glücksempfindungen und der Wert des Zusammenlebens vor allem nach der auf das rechte Maß achtenden Lenkung der Leidenschaften196 bemessen lassen: To be happy, the passion must neither be too violent nor too remiss. In the first case, the mind is in a perpetual hurry and tumult; in the second, it sinks into a disagreeable indolence and lethargy. To be happy, the passion must be benign and social; not rough or fierce. The affections of the latter kind are not near so agreeable to the feeling, as those of the former. Who will compare rancour and animosity, envy and revenge, to friendship, benignity, clemency, and gratitude? (ES, 167)

In dieser Passage werden, der Humeschen Auffassung im Treatise entsprechend, Missgunst und Neid nochmals ausdrücklich als Affekte eingestuft, denen kein Wohlwollen eignet und die deshalb den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. Hume diskutiert im weiteren Verlauf dieses Essays nun die Frage, durch welche Art der geistigen Beschäftigung ein tugendhaftes Verhalten der Menschen gefördert werden kann, Die das Soziale gefährdende Potenz der Leidenschaften, deren Auswirkungen allein durch Besinnung auf die Tugend eingedämmt werden können, ist ein Topos, der Hume nicht zuletzt durch das Studium Ciceros vermittelt wurde, dessen Spuren sich aber bis auf Aristoteles, Platon und Solon zurückverfolgen lassen: »Die Begierden nämlich sind unersättlich und ruinieren nicht nur die einzelnen Menschen, sondern auch ganze Familien und bringen oftmals sogar den Staat selbst ins Wanken. Aus den Begierden entstehen Hass, Feindschaft und Zwietracht, dann Aufstand und Krieg.« (Marcus Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum. Über die Ziele des menschlichen Handelns. Hg., übers. und komm. v. Olof Gigon und Liala Straume-Zimmermann, München 1988, S. 45 [Buch I, 43]). Vgl. dort auch S. 430 f. 196

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which leads to action and employment, renders us sensible to the social passions, steels the heart against the assaults of fortune, reduces the affections to a just moderation, makes our own thoughts an entertainment to us, and inclines us rather to the pleasures of the society and conversation, than to those of the senses. (ES, 168)

So langt Hume auch bei der Überlegung an, welche Auswirkungen die Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft für den Affekthaushalt des Menschen haben mag. Er schreibt: It is certain, that a serious attention to the sciences and liberal arts softens and humanizes the temper, and cherishes those fine emotions, in which true virtue and honour consists. It rarely, very rarely happens, that a man of taste and learning is not, at least, an honest man, whatever frailties may attend him. The bent of his mind to speculative studies must mortify in him the passions of interest and ambition, and must, at the same time, give him a greater sensibility of all the decencies and duties of life. He feels more fully a moral distinction in characters and manners; nor is his sense of this kind diminished, but, on the contrary, it is much encreased, by speculation. (ES, 170)

Welche Schlüsse lassen sich nun aus den hier vorgestellten Äußerungen bezüglich des Bildes ziehen, das Hume von den spezifisch griechischen Leistungen in der Philosophie und den Künsten entwirft? Zunächst einmal konnten die Belegstellen aus dem Treatise und The Sceptic zeigen, dass Humes Anthropologie ein wissenschaftliches oder künstlerisches Tätigsein, das nicht zugleich auch von wohlwollenden Absichten getragen wird, überhaupt nicht vorsieht. Die Beschäftigung mit den ›sciences and liberal arts‹ kommt somit also einer moralischen Erziehung gleich, die nicht nur den professionellen Wissenschaftler oder Künstler zu tugendhaftem Verhalten anleitet, sondern auch den Dilettanten, der sowohl seine Kenntnisse als auch seinen Geschmack durch die Lektüre philosophischer und wissenschaftlicher Werke sowie durch die Betrachtung von Kunstwerken schult. Durch diese Beschäftigungen werden Selbstsucht und Ehrgeiz, mit Humes Worten, ›abgetötet‹ (›mortify‹). Diese drastische Ausdrucksweise könnte nun den (falschen) Schluss nahelegen, dass Hume die Hoffnung hegt, mit Hilfe der Wissenschaften, der Philosophie und den Künsten ließen sich die Menschen in gänzlich selbstlose Altruisten verwandeln. Doch seine historisch verfahrende Analyse von Tugenden und Lastern sowie der moralischen Urteile über sie ergibt ein weitaus differenzierteres Bild: »We make allowance for a certain degree of selfishness in men; because we know it to be inseperable from human nature, and inherent in our frame and constitution.« (T 3.3.1.17; SBN 583) Und wenige Zeilen später gesteht er unumwunden auch den nicht-wohlwollenden Leidenschaften ihre Existenzberechtigung zu: We are not, however, to imagine, that all the angry passions are vicious, tho’ they are disagreeable. There is a certain indulgence due to human nature in this respect. Anger

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and hatred are passions inherent in our very frame and constitution. […] [W]here they appear only in a low degree, we not only excuse them because they are natural; but even bestow our applauses on them, because they are inferior to what appears in the greatest part of mankind. (T 3.3.3.7; SBN 605)

Da die Affekte also, seien sie nun von Wohlwollen begleitet oder nicht, zur Grundausstattung des Menschen gehören (›our very frame and constitution‹), so lassen sich deren Auswirkungen allenfalls begrenzen, jedoch nicht vollständig eliminieren. Wenn Hume zufolge also keine kulturelle Tätigkeit jemals zu einer vollständigen Leidenschaftslosigkeit, vor allem in Bezug auf die übelwollenden Affekte, wird führen können (die in Humes Augen auch gar nicht erstrebenswert ist), so hält es der schottische Philosoph dennoch für notwendig und möglich, dass mit ihrer Hilfe sowie der von Erziehung und Gesetzgebung die sich agressiv gebärdenden Affekte wenigstens auf ein von der Gemeinschaft zu tolerierendes Maß zurückgestutzt werden. Der von ihm verwendete, aber hier nicht weiter spezifizierte Ausdruck ›degree‹ macht nun deutlich, dass sich Hume bei der Differenzierung von gesellschaftszerstörenden oder gesellschaftsfördernden Affekten offensichtlich einen gewissen Spielraum offenhält, der es ihm durchaus erlaubt, bei seiner Bewertung die in einer jeweiligen Gesellschaft jeweils vorherrschende Anschauung über das Förderliche oder Zerstörende miteinzubeziehen. Berücksichtigt man nun bei der erneuten Lektüre des Essays Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences diesen freilich dort nicht ausformulierten Gedanken einer in jeder Kultur spezifischen Annahme von Förderlichem und Schädlichem, so wäre es möglich, die antike griechische Gesellschaft mit Hume als eine Vielzahl von Gemeinwesen zu charakterisieren, die Eifersucht und kämpferischen Ehrgeiz bis zu einem bestimmten, von Hume nicht näher skizzierten Grade nicht nur duldeten, sondern zugleich auch förderten, da diese Affekte offenbar nicht als zerstörerisch, sondern eher als stimulierend empfunden wurden, solange sie freilich nicht in Extreme ausschlugen. Humes kaum verhohlene Bewunderung für die antiken griechischen Gemeinwesen rührt ersichtlich daher, dass sie, seiner Auffassung zufolge, die unausrottbaren und so stark auf den eigenen Vorteil bezogenen Affekte der Eitelkeit, des Ehrgeizes und der Eifersucht in kulturell fruchtbare Bahnen zu lenken vermochten, indem sie Anreiz und Möglichkeit zu öffentlichem Wettbewerb schufen.197 Die antiken gesell22 Jahre nach Erscheinen dieses Essays, im Jahr 1764, wird in Dresden die erste Auflage der Geschichte der Kunst des Altertums von Johann Joachim Winckelmann veröffentlicht. Ebenso wie Hume weist Winckelmann auf die den Künsten förderlichen politischen Zustände in Griechenland hin; vor allem in Athen hätten Künste und Wissenschaften nach der Vertreibung der Tyrannen »ihren vornehmsten Sitz« (S. 42) besessen. Winckelmann erklärt darüber hinaus den »Einfluss des Himmels« (S. 41), das jeweilige Klima, zum wichtigen Faktor, der die »Art, zu denken« (ebd.) 197

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schaftlich-politischen Einrichtungen ließen diese das Gemeinschaftsleben in vielen Fällen zerrüttenden Leidenschaften nicht nur bloß zu, sondern provozierten sie und nutzten sie als kulturelle Antriebskräfte. Der Wettbewerbsgeist, darauf weist Hume im zehnten Abschnitt der Natural History of Religion hin, durchwirkte in der Antike nicht nur die soziale, sondern auch die (vom Sozialen freilich nicht als strikt getrennt vorgestellte) religiöse Sphäre: [W]here the gods are conceived to be only a little superior to mankind, and to have been, many of them, advanced from that inferior rank, we are more at our ease, in our addresses to them, and may even, without profaneness, aspire sometimes to a rivalship and emulation of them. Hence activity, spirit, courage, magnanimity, love of liberty, and all the virtues which aggrandize a people. (NH, 163 f.)198

Hume geht, wie bereits dargelegt, davon aus, dass Affekte wie Eitelkeit, Ehrgeiz und Eifersucht als anthropologische Konstanten betrachtet werden müssen. Daher sind sich der antike und der moderne Mensch sehr nahe, wie Hume in der ersten Enquiry hervorhebt: Ambition, avarice, self-love, vanity, friendship, generosity, public spirit; these passions, mixed in various degrees, and distributed through society, have been, from the beginning of the world, and still are, the source of all actions and enterprizes, which have ever been observed among mankind. Would you know the sentiments, inclinations, and course of life of the GREEKS and ROMANS? Study well the temper and actions of the FRENCH and ENGLISH: You cannot be much mistaken in transferring to the former most of the observations, which you have made with regard to the latter. (E1 8. 7; SBN 83)

Dass gleichwohl im Rahmen historischer Forschung und aufmerksamer Beobachtung der eigenen Gesellschaft eine enorme Bandbreite in den Auswirkungen der Leidenschaften festzustellen ist, resultiert, so ließe sich Humes Auffassung deuten, nicht aus modifiziert habe. Im Gegensatz zu Humes Darstellung jedoch findet das Ringen um öffentliche Anerkennung in Winckelmanns Version gewissermaßen ›leidenschaftslos‹ statt: »Die Ehre und das Glück des Künstlers hingen nicht von dem Eigensinne eines unwissenden Stolzes ab, und ihre Werke waren nicht nach dem elenden Geschmacke oder nach dem übelgeschaffenen Auge eines durch die Schmeichelei und Knechtschaft aufgeworfenen Richters gebildet, sondern die Weisesten des ganzen Volkes urteilten und belohnten sie, und ihre Werke in der Versammlung aller Griechen und zu Delphos und zu Korinth waren Wettspiele der Malerei unter besondern dazu bestellten Richtern, welche zur Zeit des Phidias angeordnet wurden.« (S. 135) (Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst der Altertums [1764]. Hg. v. Ludwig Goldscheider, Wien 1934). 198 Die Stoßrichtung der Humeschen Argumentation zielt auf den von Hume abgelehnten Verhaltenskodex der »saints in popery«, die sich im Kontrast zu griechischen Heroen (wie z. B. Herkules oder Theseus) mit »whippings and fastings, cowardice and humility« erniedrigt hätten (NH, 164). Vgl. auch Anm. 118 dieser Studie.

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einer mutmaßlichen Uneinheitlichkeit der zugrundeliegenden Prinzipien der menschlichen Natur199, sondern, wie das Beispiel der griechischen Antike zeigt, aus den kulturell und historisch spezifischen Lenkungsmanövern innerhalb der verschiedenen menschlichen Gemeinschaften. Die besonders für die Entwicklung der Philosophie günstigen sozialen Zustände der Antike sind auch Gegenstand der Überlegungen im 11. Abschnitt der ersten Enquiry. Er ist als Wiedergabe eines Gesprächs des Autors mit einem Freund konzipiert und verhandelt in erster Linie die möglichen Probleme, die eine mangelnde Trennung philosophischer und religiöser Anschauungen hervorrufen kann, vor allem in Hinblick auf die ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Konsequenzen. Die Entstehung der Philosophie wird auch hier, wie im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, auf eine bestimmte politische Konstellation zurückgeführt: Our conversation began with my admiring the singular good fortune of philosophy, which, as it requires entire liberty above all other privileges, and chiefly flourishes from the free opposition of sentiments and argumentation, received its first birth in an age and country of freedom and toleration, and was never cramped, even in its most extravagant principles, by any creeds, confessions, or penal statutes. For […] there are scarcely any instances to be met with, in ancient history, of this bigotted jealousy, with which the present age is so much infested. (E1 11.2; SBN 132)

Wenn auch beide Gesprächspartner darüber uneins sind, welchen Einfluss die religiösen Überzeugungen auf das gesellschaftliche Leben haben, so können sie sich doch darauf verständigen, dass zumindest die Ausübung der Philosophie keinerlei Gefahr für den öffentlichen Frieden darstellt. Daher lautet die Empfehlung: I think, that the state ought to tolerate every principle of philosophy; nor is there any instance, that nay government has suffered in its political interests by such indulgence. There is no enthusiasm among philosophers; their doctrines are not very alluring to the people; and no restraint can be put upon their reasonings, but what must be of dangerous consequence to the sciences, and even to the state, by paving the way for persecution and oppression in points, where the generality of mankind are more deeply interested and concerned. (E1 11.29; SBN 147)

199 »We may, perhaps, make it a greater question, whether the causes, that produce the passion, be as natural as the object, to which it is directed, and whether all that vast variety proceeds from caprice or from the constitution of the mind. This doubt we shall soon remove, if we cast our eye upon human nature, and consider that in all nations and ages, the same objects still give rise to pride and humility; and that upon the view even of a stranger, we can know pretty nearly, what will either encrease or diminish his passions of this kind. If there be any variation of this particular, it proceeds from nothing but a difference in the tempers and complexions of men; and is besides very inconsiderable.« (T 2.1.3.4; SBN 280).

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Zwei Eigenschaften der Philosophie in der Auffassung Humes stechen hier heraus, die gemeinsam folgendes Bild ergeben: Einerseits können ihre Lehren keine Breitenwirkung erzielen, wie dies etwa diejenigen der Religion zu tun vermögen, daher ist die Sorge vor dem Einfluss falscher philosophischer Überzeugungen gänzlich unbegründet. Diese Einschätzung hatte Hume bereits im Treatise geäußert und dort in die Formel gekleidet: »Generally speaking, the errors in religion are dangerous; those in philosophy only ridiculous.« (T 1.4.7.13; SBN 272) Andererseits macht die obige Aussage die besondere Schutzbedürftigkeit der Philosophie deutlich: Jede Art der Zensur hätte auch für die anderen Wissenschaften, die nach Humes Überzeugung auf der Philosophie aufbauen, gefährliche Konsequenzen, nämlich deren Untergang. Damit aber würde, so Hume, zugleich das Gedeihen eines Staates selbst gefährdet. Der Blick zurück auf die griechisch-römische Antike verhilft Hume aber darüber hinaus auch zu der Einsicht, dass für das Entstehen und die Weiterentwicklung der damaligen kulturell prosperierenden Gemeinwesen (im Sinne von künstlerischer und wissenschaftlicher Reifung) in erster Linie sowohl die Existenz von Freiheit und Duldung als auch das Bewusstsein ihres Wertes entscheidend war; die in anderen Gesellschaften vorhandene überdurchschnittlich hohe Versorgung ihrer Mitglieder mit materiellen Gütern hatte keine ebenbürtigen Auswirkungen. So notiert Hume im Essay Of Civil Liberty: It had been observed by the ancients, that all the arts and sciences arose among free nations; and, that the PERSIANS and EGYPTIANS, notwithstanding their ease, opulence, and luxury, made but faint efforts towards a relish in those finer pleasures, which were carried to such perfection by the GREEKS, amidst continual wars, attended with poverty, and the greatest simplicity of life and manners. It had also been observed, that, when the GREEKS lost their liberty, though they increased mightily in riches, by means of the conquests of ALEXANDER; yet the arts, from that moment, declined among them, and have never since been able to raise their head in that climate. Learning was transplanted to ROME, the only free nation at that time in the universe; and having met with so favourable a soil, it made prodigious shoots for above a century; till the decay of liberty produced also the decay of letters, and spread a total barbarism over the world. From these two experiments, of which each was double in its kind, and shewed the fall of learning in absolute governments, as well as its rise in popular ones, LONGINUS200 thought himself sufficiently justified, in asserting, that the arts and sciences could never flourish, but in a free government […]. (ES, 89) 200 Humes Bezugnahme auf (Pseudo-)Longinus ist nicht unproblematisch, insofern dieser im 44. Kapitel seiner Schrift Vom Erhabenen, das das Gespräch zwischen ihm und einem (nicht näher spezifizierten) Philosophen wiedergeben soll, eben nicht den Mangel an Freiheit, sondern die durch übermäßigen Luxus hervorgerufene Genusssucht für den zunehmenden Verfall erhabener Rede verantwortlich macht: »›Überhaupt‹, schloss ich, ›ist das Verderben der Begabung unserer Genera-

5. Die affektregulierende Wirkung von Wissenschaft und Kunst

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Humes kulturgeschichtliche Darlegungen bezüglich der Künste und Wissenschaften sind, wie sich auch an diesem Beispiel zeigt, stets eng mit der Analyse politischer Vorgänge verknüpft, ja, ihr in den meisten Fällen sogar untergeordnet. Dieses Charakteristikum lässt sich nicht zuletzt in der History of England beobachten. Vor dem Hintergrund der eben skizzierten Annahmen Humes überrascht es nicht, dass er auch in seinem Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences den Niedergang der antiken Gelehrsamkeit in Verbindung bringt mit einer neuen, autoritativen Reglementierung von Reflexions- und Diskussionsmustern, die den zuvor bestehenden Diskursrahmen einer offenen Meinungspluralität zugunsten einer einheitlichen und für alle verbindlichen Lehre verengt: After the ROMAN christian, or catholic church had spread itself over the civilized world, and had engrossed all the learning of the times; being really one large state within itself, and united under one head; this variety of sects immediately disappeared, and the PERIPATETIC philosophy was alone admitted into all the schools, to the utter depravation of every kind of learning. (ES, 121)

Aus der hier eingenommenen, vor allem die Struktur des öffentlichen Lebens berücksichtigenden Perspektive und im Vergleich zum bereits in der griechisch-römischen Antike erreichten Niveau muss Humes Beurteilung der kirchlichen Hegemonie notwendig ungünstig ausfallen. Es sei aber nochmals daran erinnert, dass Hume an anderer Stelle seiner Arbeiten201, mit durchaus nicht vorwurfsvollem Ton, auf die konservatorischen Bemühungen des Klerus hinweist, die es diesem freilich ermöglichte, neben der Verfügungsgewalt zugleich die Deutungshoheit über die antiken Autoren zu erlangen. Nachdem nun einige Humesche Skizzen vorgestellt worden sind, in denen er die sozialen und intellektuellen Eigenheiten der griechisch-römischen Antike demonstriert, liegt nun die Frage nahe, ob er annimmt, dass sich aus diesen Beobachtungen eine von Zeiten und Kulturen abstrahierende notwendige Abhängigkeit eines hohen wissenschaftlich-künstlerischen Niveaus von politischer Freiheit einerseits und die Abhängigkeit wissenschaftlich-künstlerischen Banausentums von politischer Unfrei-

tion die Oberflächlichkeit, in der wir alle – wenige ausgenommen – dahinleben; um nichts anderes mühen und plagen wir uns ja als um Beifall oder Genuss, nicht aber um erstrebens- und achtungswerten Nutzen.‹« (Longinus: Vom Erhabenen. Griechisch/deutsch. Übers. u. hg. v. Otto Schönberger, Stuttgart 1988, S.109 [Kap. 44, 11]). 201 »This advantage [die Bewahrung der Aufzeichnungen älterer englischer Historiker, M. B.] we owe entirely to the clergy of the church of Rome, who, founding their authority on their superior knowledge, preserved the precious literature of antiquity from a total extinction, and, under shelter of their numerous privileges and immunities, acquired a security by means of the superstition which they would in vain have claimed from the justice and humanity of those turbulent and licentious ages.« (HE II, 505, Kap. 23).

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IV. Hume und die Antike

heit andererseits ableiten lässt. Diese Frage soll im folgenden noch genauer erörtert werden. Dazu ist jedoch die Aufmerksamkeit zunächst noch auf eine weitere in Humes Schriften behandelte Streitfrage zu richten: Wie ist, in Bezug auf Literatur und Kunst, der jeweilige Rang von Antike und Moderne zu bewerten? Muss den antiken Schriftstellern, Künstlern und Rhetoren ein absoluter Vorbildstatus im Hinblick auf ihre modernen Pendants eingeräumt werden? Und darf dieser Status – ohne weitere Differenzierungen – in gleichem Maße sowohl für griechische als auch für römische Autoren in Anspruch genommen werden? Mit der Humeschen Beantwortung dieser Fragen verbindet sich zugleich auch seine Einschätzung der europäischen kulturellen Verfassung seiner Zeit.

6. Zwischen den Stühlen. Humes Anthropologie- und Kulturverständnis im Spannungsfeld von Antike und Moderne a) Hume und die ›Querelle des Anciens et des Modernes‹ Wer gegen Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts die intellektuellen Debatten vor allem in Frankreich, aber auch in den anderen europäischen Ländern verfolgte, konnte nicht umhin, von einer Auseinandersetzung Notiz zu nehmen, deren Gegenstand die okzidentale Geistesgeschichte zwar auch schon früher begleitet hatte, nun aber, spätestens seit Charles Perraults Poème sur le siècle de Louis le Grand (1687), so an Schärfe gewann, wie sie in den vorhergehenden Auseinandersetzungen in dieser Form unbekannt war: Die sogenannte ›Querelle des Anciens et des Modernes‹202 wurde nicht zuletzt deshalb so erbittert geführt, weil, verkürzt gesagt, zwischen den Wortführern der ›Anciens‹, wie z. B. Boileau, La Fontaine, La Bruyère auf der einen, und den ›Modernes‹, wie Perrault, Fontenelle und Desmarest auf der anderen Seite, Aus der Fülle der einschlägigen Literatur zu diesem hier nur kurz zu streifenden Themenkomplex seien beispielhaft genannt: Richard Foster Jones: Ancients and Moderns. A Study of the Rise of the Scientific Movement in Seventeenth-Century England, 2. Aufl. Berkeley 1965 (1. Aufl. 1936) (vor allem zum Einfluss der Debatte in England); Paul Hazard: Die Krise des Europäischen Geistes, Hamburg 1965 (frz. Paris 1935), bes. S. 56–80; Hans Robert Jauß: »Ursprung und Bedeutung der Fortschrittsidee in der ›Querelle des Anciens et des Modernes‹«, in: Die Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt. Hg. v. Helmut Kuhn und Franz Wiedmann, München 1964, S. 51–72; Werner Krauss: »Der Streit der Altertumsfreunde mit den Anhängern der Moderne und die Entstehung des geschichtlichen Weltbildes«, in: ders./Hans Kortum (Hg.): Antike und Moderne in der Literaturdiskussion des 18. Jahrhunderts, Berlin (Ost) 1966, S. IX–LX; Arbogast Schmitt: Art. »Querelle des Anciens et des Modernes«, in: Manfred Landfester (Hg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 15/2, Stuttgart 2002, Sp. 607–622. Speziell zu Hume vgl. Ernest Campbell Mossner: »Hume and the Ancient-Modern Controversy, 1725–1752. A Study in Creative Scepticism«, in: The University of Texas Studies in English 27 (1949), S. 139–153. 202

6. Zwischen den Stühlen. Humes Anthropologie- und Kulturverständnis

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keine Einigkeit in der Frage hergestellt werden konnte, inwieweit die Literatur der Antike ein absolutes Schönheitsideal verkörpere und aus diesem Grund von gegenwärtigen Autoren weiterhin als verbindliches Vorbild zu berücksichtigen sei, oder ob die gegenwärtige Literatur nicht vielmehr das Niveau der Alten längst übertroffen habe und sich daher nicht mehr an sklavische Nachahmung halten müsse. Auch an Humes Reflexionen lässt sich ein Widerhall der Intensität dieser Diskussionen203 wahrnehmen: An verschiedenen Stellen sowohl seiner veröffentlichten Schriften als auch in seinen Briefen setzt er Antike und Moderne in Beziehung, zieht Vergleiche zwischen den Leistungen antiker und zeitgenössischer Persönlichkeiten aus dem politischen oder künstlerischen Leben; dabei reicht die Bandbreite von Schriftstellern, Rednern, Künstlern bis hin zu Philosophen. Er versucht darüber hinaus, die in diesem Zusammenhang erkennbaren verschiedenen Regierungsformen und sozialen Zustände einer vergleichenden Bewertung zu unterziehen. Denn eben diese politischen und sozialen Bedingungen sind nach Humes Überzeugung, wie weiter oben bereits gezeigt werden konnte, für den Grad der Produktivität einer Kultur konstitutiv, da sie ›zivilisierend‹ wirken. Damit betreibt Hume mehr als bloß vergleichende Literaturkritik: Ihn beschäftigt über ästhetische Spekulationen hinaus die viel allgemeinere Frage, ob die Antike der Gegenwart noch als Vorbild des ›guten Lebens‹ dienen kann. Anhand der Vielzahl von Vergleichsparametern gelingt es Hume, ein durchaus differenziertes Bild des Verhältnisses von ›Alten‹ und ›Modernen‹ zu zeichnen, das die Stärken und Schwächen der jeweiligen Epoche plastisch hervortreten lässt. Darüber

Im Essay Of the Independency of Parliament stellt Hume Überlegungen zu den unterschiedlichen Stilen an, mit denen rivalisierende Parteien ihre Meinung vertreten. Dabei zeigt er auch seine Vertrautheit mit den Auseinandersetzungen der ›Anciens et des Modernes‹; er thematisiert die Differenzen im Auftreten der beiden Lager: »In all controversies, we find, without regarding the truth of falsehood on either side, that those who defend the established and popular opinions, are always the most dogmatical and imperious in their stile: while their adverseries affect almost extraordinary gentleness and moderation, in order to soften, as much as possible, any prejudices that may lye against them. […] A like difference may be observed in the conduct of those French writers, who maintained the controversy with regard to ancient and modern learning. Boileau, Monsieur and Madame Dacier, l’Abbé de Bos, who defended the party of the ancients, mixed their reasonings with satire and invective; while Fontenelle, la Motte, Charpentier, and even Perrault, never transgressed the bounds of moderation and good breeding; though provoked by the most injurious treatment of their adversaries.« (ES, 608) Im Essay Of the Standard of Taste ergreift Hume die Partei der ›modernes‹, insofern er den antiken Schriftstellern vorwirft, sich nicht explizit gegen die von ihnen geschilderten Laster ausgesprochen zu haben: »The want of humanity and of decency, so conspicuous in the characters drawn by several of the ancient poets, even sometimes by HOMER and the GREEK tragedians, diminishes considerably the merit of their noble performances, and gives modern authors an advantage over them. We are not interested in the fortunes and sentiments of such rough heroes: We are displeased to find the limits of vice and virtue so much confounded […].« (ES, 246). 203

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hinaus nimmt er auch die Gelegenheit wahr, die ihm bedeutsam scheinenden gegenwärtigen kulturellen Besonderheiten der europäischen Länder in den Blick zu nehmen. Bereits ein flüchtiger Blick auf Humes Umgang mit den Begriffen ›Antike‹ und ›Moderne‹ zeigt, dass er unter ›der Antike‹ die griechisch-römische Antike versteht; als vorbildhafte Länder der Moderne gelten ihm Frankreich und England. Trotz der Kollektivsingulare ›Antike‹ und ›Moderne‹ ist sich Hume, wie später noch zu zeigen sein wird, ihrer internen Differenzen aber durchaus bewusst. Wie hoch Hume die Bedeutung der durch politisch-soziale Bedingungen geschaffenen Möglichkeit der Meinungsvielfalt als entscheidende Ausgangslage für kulturelle Prosperität veranschlagt, zeigt sich in seinem Verfahren, die Parallelisierung von Antike und Moderne im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences mit einem Hinweis auf die Ähnlichkeit der politischen Konstellationen einzufädeln. Es sei, so Hume, vor allem auf die Zurückdrängung des lange Zeit dominierenden Aristotelismus zurückzuführen, dass im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts eine Situation herrsche, die der des antiken Griechenlands durchaus nahekomme: »But mankind, having at length thrown off this yoke, affairs are now returned nearly to the same situation as before, and EUROPE is at present a copy at large, of what GREECE was formerly a pattern in miniature.« (ES, 121) Die bedeutsame Besonderheit des antiken Griechenlands hatte Hume kurz zuvor schon benannt: Die Aufteilung Griechenlands in kleinere Republiken habe dazu geführt, dass sich keine Autorität dazu habe aufschwingen können, die für Forschung und Bildung erforderliche Meinungspluralität einzudämmen (vgl. ES, 120). Humes Formulierung macht deutlich, dass die das jetzige Europa charakterisierende Situation in seinen Augen nicht als vollkommen neues Phänomen zu werten ist, sondern sich ihm, dem historisch versierten Beobachter, als Rückkehr (›return‹) zu antiken Verhältnissen darstellt. Diese Verhältnisse hatte Hume als von Eifersucht und Wetteifer gekennzeichnet beschrieben, und genau diesen Geist der Auseinandersetzung sieht er auch zwischen den Staaten Europas am Werk: We have seen the advantage of this situation in several instances. What checked the progress of the CARTESIAN philosophy, to which the FRENCH nation shewed such a strong propensity towards the end of the last century, but the opposition made to it by the other nations of EUROPE, who soon discovered the weak sides of that philosophy? The severest scrutiny, which NEWTON’S theory has undergone, proceeded not from his own countrymen, but from foreigners; and if it can overcome the obstacles, which it meets with at present in all parts of EUROPE, it will probably go down triumphant to the latest posterity. The ENGLISH are become sensible of the scandalous licentiousness of their stage, from the example of the FRENCH decency and morals. The FRENCH are convinced, that their theatre has become somewhat effeminate; by too much love and gallantry; and begin to approve of the more masculine taste of some neighbouring nations. (ES, 121)

6. Zwischen den Stühlen. Humes Anthropologie- und Kulturverständnis

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An Humes Beschreibungen fällt auf, dass sich der Ablauf des ›Wettbewerbs der Ideen‹ offenbar in einem wichtigen Punkt von dem des ›Wettbewerbs des Geschmacks‹ unterscheidet. Die Differenz scheint sich für Hume aus dem Umstand zu ergeben, dass die schärfste Kritik an den Lehren Descartes’ und Newtons (›opposition‹, ›severest scrutiny‹), wenn man den Ausgangspunkt des Widerspruchs berücksichtigt, aus anderen Ländern stammte.204 Nimmt man die Perspektive der Heimatländer dieser Wissenschaftler ein, wird man die Kritik als ›externe Korrekturimpulse‹ bezeichnen können. Im Gegensatz dazu scheint Humes Blick auf die seinerzeit aktuelle Lage des Theaters keine derartigen Auseinandersetzungen zu registrieren. Statt der externen, d. h. aus einem anderen Land lancierten Korrekturversuche fällt ihm die von Engländern und Franzosen geübte Kritik an der Theaterpraxis des eigenen Landes auf, die sich innerhalb der nationalen Grenzen hält, dabei jedoch durch das Beispiel aus dem Ausland (›example‹) stimuliert wird.205 Die Theater- und Wissenschaftskultur provoziert also in den Ursprungs- und Nachbarländern unterschiedliche Reaktionen. So antwortet die Kenntnisnahme von wissenschaftlichen Theorien des Auslands mit offensiv vorgetragenen Einwänden; im Tauziehen der Argumente wird ein Konkurrenzkampf erkennbar, mit dessen Darstellung Hume dem Leser die Parallele zur griechischen Antike einsichtig machen möchte. Anders, so seine These, verläuft hingegen die Be204 Die massivste Kritik am Descartes’schen Rationalismus und an seiner Lehre der angeborenen Ideen ist vom englischen Empirismus, besonders vom Werk John Lockes (An Essay Concerning Human Understanding [1690], 1.I–III) ausgegangen (und wurde von Hume im Treatise wieder aufgegriffen [vgl. T 1.3.14.10; SBN 160]). Newtons Gravitationslehre mit der Annahme eines Äthers hatte sich vor allem gegen die einflussreiche Theorie Descartes’ zu behaupten, der die Anziehung zwischen den Planeten auf die Existenz einer in wirbelförmiger Bewegung befindlichen Materie zurückführte. Auch der sog. ›Prioritätsstreit‹ zwischen Newton und Leibniz, der sich an der Frage entzündete, wer als erster den infinitesimalen Calculus entwickelt habe, gehört vermutlich in die Reihe der von Hume beschriebenen internationalen Debatten. Zur Beziehung Descartes’scher und Newtonscher Theorien vgl. Stephen F. Mason: Geschichte der Naturwissenschaft in der Entwicklung ihrer Denkweisen. Hg. v. Bernhard Sticker, Stuttgart 1961 (engl. 1953), Kap. 15 und 17. 205 Zur Kritik am Theater innerhalb Frankreichs z. B. durch Sainte Albine, Riccoboni und Diderot vgl. vor allem Erika Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters. Eine Einführung. Bd. 2: Vom ›künstlichen‹ zum ›natürlichen‹ Zeichen. Theater des Barock und der Aufklärung, 3. Aufl. Tübingen 1995 (1. Aufl. 1983), Kap. 2. Roy Porter beschreibt die ›Französisierung‹ des englischen Theaters zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Folge einer weite Bereiche der Kultur erfassenden ›Säkularisierung‹: Das kulturelle Leben Englands sei, im Gegensatz zu dem Frankreichs, weniger von höfischem Engagement als von einer breiten Öffentlichkeit getragen worden, habe damit aber auch zu einer Vulgarisierung der im Theater behandelten Stoffe geführt, was z. B. von Addison, Lady Montagu und Gibbon scharf kritisiert worden sei (English Society in the Eighteenth Century, 2. Aufl. Harmondsworth 1991 [1. Aufl. 1982], S. 230 ff.). Zum Theater der Aufklärung allgemein Kenneth Richards: Art. »theatre«, in: John W. Yolton/Roy Porter u. a. (Hg.): The Blackwell Companion to the Enlightenment, Oxford 1991, S. 519–523. Zum englischen Theater zur Zeit der Aufklärung s. Joseph Donohue (Hg.): The Cambridge History of British Theatre. Vol. II: 1660–1895, Cambridge 2004.

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kanntschaft mit fremder Theaterpraxis. Ihre Kenntnis münde nicht in einer unmittelbaren Replik, sondern setze einen vor allem emotional dirigierten Reflexionsprozess in Gang, der Fragen nach der möglichen Korrekturbedürftigkeit des eigenen Theaters verhandle: »The ENGLISH are become sensible […].«; »The FRENCH are convinced […] and begin to approve of the more masculine taste […].« (ES, 122) Die hier auf Humes Darlegungen basierende Skizze des im 17. und 18. Jahrhundert vorherrschenden Umgangs mit Wissenschaft und Theater lässt einen wesentlichen Unterschied zu den bereits zuvor von Hume erläuterten Zuständen der Antike sichtbar werden: Tragen die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen beider Epochen kämpferische Züge, so fehlt der Moderne jedoch offenbar eine Einrichtung, die den zu Ehren der Götter abgehaltenen Theateragonen der Antike entspricht. Inwieweit Hume diese Agone bekannt waren, lässt sich aus den Schriften und der Korrespondenz leider nicht entschlüsseln. Nach der für Hume entscheidenden, auf politischer Ebene verorteten Gemeinsamkeit zwischen dem modernen Europa und dem antiken Griechenland sollen nun weitere wichtige, auch das antike römische Reich berücksichtigende Vergleichsparameter dargestellt werden. Der ausschlaggebende Impuls, der das Selbstverständnis des frühen Hume prägt und für das Projekt seiner ›science of Man‹ von großer Bedeutung ist, liegt nach seinen eigenen Angaben eben in der Auseinandersetzung mit der antiken Philosophie begründet. b) »Schemes of Virtue & of Happiness, without regarding human Nature«. Humes Einspruch gegen die antike Philosophie Der älteste von Hume erhalten gebliebene Brief, den er am 4. Juli 1727, als Student der Rechte in Edinburgh, an seinen Freund Michael Ramsay richtete, gibt Auskunft über seine frühen Lesegewohnheiten und -vorlieben: »[J]ust now I am entirely confined to my self & Library for Diversion […]; for I take no more of them than I please, for I hate task-reading, & I diversify them at my Pleasure; sometimes a Philosopher, sometimes a Poet […].« (LH I, 10) Namentlich Cicero und Vergil gehörten in dieser Zeit zu seinem bevorzugten Lesestoff, wie er auch am Ende seines Lebens, in der 1776 verfassten Autobiographie My Own Life, bekennt: I passed through the ordinary course of education with success, and was seized very early with a passion for literature, which has been the ruling passion of my life, and the great source of my enjoyments. My studious disposition, my sobriety, and my industry, gave my family a notion that the law was a proper profession for me; but I found an unsurmountable aversion to every thing but the pursuit of philosophy and general learning; and while they fancied I was poring upon Voet and Vinnius, Cicero and Vergil were the authors which I was secretly devouring. (ML, 1)

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Im März/April 1734, nachdem Hume mittlerweile sein Studium in Edinburgh abgebrochen und zwei Krisen überwunden hatte, die seine geistige und körperliche Konstitution stark in Mitleidenschaft zogen, konzipierte er den Letter to a Physician. Der mutmaßliche Adressat dieses niemals abgesendeten Schriftstücks war wohl der Londoner Arzt Dr. George Cheyne206, den Hume, nun zu Besuch in der englischen Metropole, um ein Gespräch bat. In diesem Brief verknüpft Hume die Schilderung seiner Krankheitsgeschichte mit Hinweisen auf seinen intellektuellen Werdegang. Dieser Brief nimmt bereits wichtige methodologische Grundsätze der 5 Jahre später im Treatise ausformulierten ›sciene of Man‹ vorweg und zeigt den Versuch Humes, das von der antiken Philosophie für die Morallehre in Anspruch genommene Fundament in Zweifel zu ziehen. Über die Zeit nach seinem Studium berichtet Hume in diesem Brief: I was after that left to my own Choice in my Reading, & found it encline me almost equally to Books of Reasoning & Philosophy, & to Poetry & the polite Authors207. Every one, who is acquainted either with the Philosophers or Critics, knows that there is nothing yet establisht in either of these two Sciences, & that they contain little more than endless Disputes, even in the most fundamental Articles. […] There was another particular, which contributed more than any thing, to waste my Spirits & bring on me this Distemper, which was, that having read many Books of Morality, such as Cicero, Seneca & Plutarch, & being smit with their beautiful Representations of Virtue & Philosophy, I took the Improvement of my Temper & Will, along with my Reason & Understanding. (LH I, 13)

Doch Humes Versuch, seine Lebensführung an den antiken Morallehren auszurichten, scheitert. Er berichtet von körperlicher und geistiger Zerrüttung, und nachdem er sich davon erholt hat, unterzieht er die studierten Schriften einer elementaren Kritik: Having now Time & Leizure to cool my inflam’d Imaginations, I began to consider seriously, how I shou’d proceed in my Philosophical Enquiries. I found that the moral Philosophy208 transmitted to us by Antiquity, labor’d under the same Inconvenience

Vgl. LH I, 12, Anm. 2. Zum Begriff des »polite style« in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in Bezug auf Hume vgl. vor allem Adam Potkay: The Fate of Eloquence in the Age of Hume, Ithaca 1994, Kap. 2. 208 Der Begriff der »moral Philosophy« oder auch »moral Science« hat bei Hume sowohl eine enge (auf Ethik bezogen) als auch eine weitere Bedeutung (das Handeln, Denken und Fühlen des Menschen betreffend). An dieser Stelle, so meine Einschätzung, handelt es sich um die enge Bedeutung, da die praktisch umzusetzenden Tugendlehren der antiken Autoren auf dem Prüfstand stehen. Auch im Vergleich zwischen Antike und Moderne, den Hume in der zweiten Enquiry anstellt, bezieht er sich auf die Ethik: »Geometry, physics, astronomy, anatomy, botany, geography, 206 207

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that has been found in their natural Philosophy, of being entirely Hypothetical, & depending more upon Invention than Experience. Every one consulted his Fancy in erecting Schemes of Virtue & of Happiness, without regarding human Nature, upon which every moral Conclusion must depend. (LH I, 16)

Mit »Experience« und »human Nature« benennt Hume also hier schon die zwei wichtigsten, Methode und Gegenstand seines wissenschaftlichen Arbeitens bestimmenden Kategorien, die später den gesamten Treatise durchziehen werden. Es sind an dieser Stelle vor allem die Schriften der von (neu-)platonischem und stoischem Gedankengut beeinflussten Autoren wie Cicero, Seneca und Plutarch, denen Hume mangelnde Berücksichtigung der menschlichen Natur und der Erfahrung als einzig gültiger Methode vorwirft. Im Gegensatz zu dieser Briefpassage erwählt Hume in der Einleitung zum Treatise dieses Manko der antiken Autoren bemerkenswerterweise nicht mehr zu seinem Ausgangspunkt: Zwar nimmt er in einigen Kapiteln des Treatise implizit oder explizit auf Cicero, Seneca und Plutarch209 Bezug (besonders im 3. Buch, Of Morals); er führt jedoch den Impuls, der das ganze Unternehmen seiner ›science of Man‹ antreibt, in keiner Weise auf eine notwendige Kritik an antiken Erkenntnisgrundsätzen zurück, sondern auf »the present imperfect condition of the sciences« (T Introduction, 2; SBN xiii). Gewiss, Humes Hinweis auf Thales und Sokrates ließe sich als versteckte Kritik an der antiken Vernachlässigung der Erfahrung als Mittel der Erkenntnis werten:

navigation; in these we justly claim the superiority: But what have we to oppose to their moralists?« (E2 A Dialogue, 18; SBN 330). 209 Plutarch ist neben Cicero ein häufiger Referenzpunkt Humescher Überlegungen. So gibt er in einem Brief vom 12. April 1755 seinem Verleger Andrew Millar Auskunft über den Stand seiner Plutarch-Übersetzung (die jedoch nie veröffentlicht wurde): »I have made a Trial on Plutarch & find that I take Pleasure in it, but cannot yet form so just a Notion of the time & pains, which it will require, as to tell you what Sum of Money I wou’d think an Equivalent.« (LH I, 218) Auf die Frage seines Freundes und Rektors der Universität Edinburgh William Robertson nach einem geeigneten Projekt antwortet ihm Hume im Sommer 1759: »[…] I shall mention to you an idea which has sometimes pleased me, and which I had once entertained thoughts of attempting. You may observe that among modern readers, Plutarch is in every translation the chief favourite of the Ancients. Numberless translations, and numberless editions have been made of him in all languages; and no translation has been so ill done as not to be successful. Tho those who read the originals never put him in comparison with either with Thucydides or Xenophon, he always attaches more the reader in the translation; a proof that the idea and execution of his work is, in the main, happy. Now, I would have you think of writing modern lives, somewhat after that manner: not to enter into a detail of the actions, but to mark the manners of the great personages, by domestic stories, by remarkable sayings, and by a general sketch of their lives and adventures. […] In short, you might gather the flower of all modern history in this manner: the remarkable Popes, the kings of Sweden, the great discoverers and conquerors of the New World; even the eminent men of letters might furnish you with matter, and the quick despatch of every different work would encourage you to begin a new one.« (LH I, 315).

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An der Entwicklung des Denkens von Thales bis Sokrates liest Hume die zeitliche Distanz ab, die zwischen der Entstehung einer ›natural philosophy‹ und einer ›moral philosophy‹ lag. Die Erfahrung sei aber erst durch »my LORD BACON« (T Introduction, 7; SBN xvii) zum Instrument der Naturerkenntnis autorisiert worden, um dann von Philosophen wie Locke, Shaftesbury etc. auch auf die Wissenschaft vom Menschen angewandt zu werden. Die erfolgversprechende, weil auf die Erfahrung setzende Etappe dieser Disziplin beginnt demzufolge nicht schon in der Antike, bei Sokrates, sondern erst bei Locke und seinen Nachfolgern. Wird im Treatise die Rückbindung an antike Lehren in Bezug auf die ›science of Man‹ also nur en passant angesprochen, so geht Hume im 1740 veröffentlichten Abstract wieder etwas ausführlicher darauf ein. Wie der Treatise erschien auch diese Schrift anonym; sie war als Reaktion auf die unerwartet schlechte Aufnahme der Erstlingsschrift konzipiert und sollte auf vorgebrachte Einwände antworten. Dabei verwendet Hume Formulierungen, die als Echo auf den Letter to a Physician betrachtet werden können: Most of the philosophers of antiquity, who treated of human nature, have shown more a delicacy of sentiment, a just sense of morals, or a greatness of soul, than a depth of reasoning and reflection. They content themselves with representing the common sense of mankind in the strongest lights, and with the best turn of thought and expression, without following out steadily a chain of propositions, or forming the several truths into a regular science. (AB, 1)

Humes Kritik an den Philosophen des Altertums210 läuft also darauf hinaus, dass er ihnen zwar einerseits ein feines Gespür und einen rechtschaffenen Sinn in Fragen der Moral zubilligt, andererseits aber in all ihren Erwägungen zur menschlichen Natur eine gewisse Oberflächlichkeit und einen Mangel an Tiefe bemerkt. Diese Oberflächlichkeit, so Humes Überzeugung, hat die Herausbildung einer systematischen Wissenschaft (vom Menschen) verhindert, die aber nun, durch die Arbeiten der auch im Abstract genannten Vorbilder Bacon und Locke vorbereitet, in Angriff genommen werden kann.

Die hier erwähnten ›philosophers of antiquity‹ werden namentlich nicht identifiziert, wie überhaupt im ganzen Abstract kein antiker Philosoph namentlich genannt wird. Eine Nennung widerfährt jedoch ›modernen‹ Denkern wie Bacon, Butler, Descartes, Hutcheson, Leibniz, Locke, Malebranche, Mandeville und Shaftesbury. 210

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IV. Hume und die Antike

c) »Superior in philosophy, inferior in eloquence«. Zum Aufstieg und Niedergang der Redekunst Wenn es also Hume zufolge dem 17. und 18. Jahrhundert vorbehalten bleibt, den Beginn einer neuen, fundamentalen Wissenschaft vom Menschen einzuläuten, so gibt es andere in die Öffentlichkeit wirkende Disziplinen, in denen die Antike den modernen Zeiten weiterhin überlegen bleibt. Zu ihnen zählt Hume die Redekunst, die der Essay Of Eloquence thematisiert. Auch in diesem Text präsentiert Hume einige grundlegende anthropologische Positionen, so dass auf ihn nun genauer eingegangen werden soll, ohne dabei jedoch den für dieses Kapitel entscheidenden Bezug zur Antike aus den Augen zu verlieren. Nachdem Hume zunächst mit einem Hinweis auf die Unterschiede beginnt, die sich in den Sitten und Gebräuchen der Menschen der verschiedenen Epochen beobachten ließen (»a spectacle full of pleasure and variety« [ES, 97]), so führt er im Anschluss daran eine Differenzierung ein, mit der er das kulturelle Leben in zwei Ebenen aufteilt. Humes Absicht ist es, auf diese Weise einerseits auf die veränderlichen und andererseits auf die beharrenden Phänomene in der Kultur aufmerksam zu machen: »It may, however, be observed, that, in civil history, there is found a much greater uniformity than in the history of learning and science, and that the wars, negociations, and politics of one age resemble more those of another, than the taste, wit, and speculative principles.« (ES, 97) Hume grenzt also die politischen von den wissenschaftlichen Aktivitäten ab. Den letzteren schreibt er, aus historiographischer Perspektive betrachtet, eine höhere Individualität zu. Aus diesem Grund erhalten Wissenschaft und Gelehrsamkeit in der Humeschen Kulturauffassung den Status eines wichtigen Erkennungszeichens: Vor dem Hintergrund annähernd gleichförmiger Denk- und Verhaltensweisen, z. B. im politischen Bereich, heben sich die einzigartigen Leistungen der Gelehrten deutlich ab. Das Element ›Bildung und Gelehrsamkeit‹ bekam von Hume, wie bereits gezeigt werden konnte, auch im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences eine besondere Stellung im Ensemble der kulturellen Unternehmungen zugewiesen. Hume hatte dort (vgl. ES, 113) wegen der besonderen Sensibilität des für die Entwicklung von Bildung und Gelehrsamkeit ausschlaggebenden Affekts (›curiosity‹) die Notwendigkeit staatlicher Förderung unterstrichen. Davon grenzte er die nur vereinzelt der politischen Unterstützung bedürftige Handelstätigkeit ab, die er auf den allzeit wirkenden und kaum beeinflussbaren Affekt der Habgier zurückführte. Anthropologische Grundsätze werden nun auch in Of Eloquence bemüht, um die Differenz zu verdeutlichen: »Interest and ambition, honour and shame, friendship and enmity, gratitude and revenge, are the prime movers in all public transactions; and these passions are of a very stubborn and intractable nature, in comparison of the sentiments and understanding, which are easily varied by education and example.« (ES, 97) Auch hier zeigt sich die differenzierte Bewertung des Einflusses der Affekte

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auf das menschliche Handeln. Nach Humes Dafürhalten erzeugt der Mensch, der den öffentlichen Raum betritt, in sich sogleich ein ›Kräftefeld‹ von Affekten, deren Charakter sich vor allem durch seinen Bezug auf andere Menschen definiert. Das Einflussnehmenwollen, die Sorge um das eigene Ansehen, Zu- und Abneigung bestimmen das Handeln in der Öffentlichkeit, kurzum: bestimmend ist der Ehrgeiz nach gesellschaftlichem Erfolg und Anerkennung. Man kann zur Verdeutlichung der oben zitierten Passage nun noch einmal Humes Erläuterungen aus dem Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences heranziehen, die zwar nicht explizit auf die in Of Eloquence behandelte Gegenüberstellung von Politik und Wissenschaft Bezug nehmen, aber doch genau auf die hier zur Diskussion stehende Differenz zutreffen, die zwischen den das politische Handeln und den die Gelehrsamkeit leitenden Affekten besteht. Nach dieser Lesart sind die das öffentliche Auftreten dirigierenden Affekte »always of a grosser and more stubborn nature, less subject to accidents, and less influenced by whim and private fancy, than those which operate on a few only« (ES, 112), womit Hume z. B. auf den für die Herausbildung von wissenschaftlichem Ethos entscheidenden Affekt der Neugier anspielt, dessen Verallgemeinerbarkeit er jedoch weniger hoch einschätzt, da er stark von »the smallest incident in the health, education, or fortune of a particular person« (ebd.) abhängig sei. Für den Geschichtsschreiber folge daraus, dass er aus den Bildung und Gelehrsamkeit leitenden Prinzipien schwerlich »general maxims or observations« gewinnen könne: »Their influence at one time will never assure us concerning their influence at another; even though all the general circumstances should be the same in both cases.« (ebd.) Dem Affekt der Habgier ähnlich, den Hume in Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences ins Visier nahm, entpuppen sich nun auch die das politische Handeln sekundierenden Affekte als Leidenschaften, die auf die Durchsetzung von Interessen gerichtet sind und sich nicht wie die das wissenschaftliche Handeln begleitenden »sentiments and understanding« (ES, 98) durch Erziehung und Beispiel211 formen lassen. Diese Unterscheidungen gelten Hume als Grundlage, von der aus er es nun in Of Eloquence unternimmt, Antike und Moderne voneinander zu sondern. Als Vergleichsgegenstand gilt ihm das (von ihm unterstellte) jeweils erreichte Niveau der Beredsamkeit. Humes Urteil fällt eindeutig aus: »[I]t may be observed, that […] if we be superior in philosophy, we are still, notwithstanding all our refinements, much inferior in eloquence.« (ES, 98) Im Folgenden charakterisiert Hume die Antike als eine Epoche, die dem öffentlichen Auftreten und Handeln nebst den dazu erforderlichen Das Gegenstück zu dieser Aussage bildet Humes Überzeugung, dass die für die Wissenschaft notwendige Neugier »requires youth, leisure, education, genius, and example, to make it govern any person.« (ES, 113). 211

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rhetorischen Fähigkeiten eine größere Bedeutung beimaß, als es seine Zeit gegenwärtig tue212: »In ancient times, no work of genius was thought to require so great parts and capacity, as the speaking in public; and some eminent writers have pronounced the talents, even of a great poet or philosopher, to be of an inferior nature to those which are requisite for such an understanding.« (ES, 98) Hume gilt es als ausgemacht, dass Demosthenes und Cicero in ihrer Epoche als die herausragenden Vertreter der Redekunst betrachtet worden seien; andere Redner »were still esteemed much inferior to these great models of eloquence.« (ES, 98) Anhand einiger Passagen des Essays Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences konnte bereits gezeigt werden, dass Hume den politischen Gegebenheiten eines Gemeinwesens eine nicht unerhebliche Bedeutung für die Herausbildung künstlerischer und wissenschaftlicher Fertigkeiten beimisst. Das antike Griechenland und das antike Rom, so Hume, boten ihren herausragenden Künstlern, Politikern und Gelehrten optimale soziale Bedingungen zur Entfaltung ihres kreativen Potentials, und zwar auf unterschiedliche, von Hume idealtypisch skizzierte Weise: einerseits durch die Förderung des agonalen Prinzips, andererseits durch die Einrichtung von Gesetzen. Bei aller Anerkennung der daraus entstandenen Kulturgüter nimmt Hume aber auch von der ›Nachtseite‹ beider Gesellschaften Notiz: So wird auf die in Griechenland und Rom praktizierte Sklaverei und ihre Bewertung durch Hume an späterer Stelle noch genauer einzugehen sein. Zuvor jedoch sei auf den in Humes Augen gemeinsamen Nenner beider antiker Gesellschaften verwiesen: den hohen Stellenwert der öffentlichen Rede. Zum Beweis seiner Behauptung, dass annähernd identische politische Rahmenbedingungen nicht automatisch die gleichen Entwicklungen auf den Gebieten Bildung und Gelehrsamkeit zur Folge haben müssen, führt Hume die nach seiner Überzeugung nur Mittelmaß erreichende Beredsamkeit im England des 18. Jahrhunderts an, obwohl doch die äußeren Voraussetzungen denen der Antike nicht unähnlich seien: Of all the polite and learned nations, ENGLAND alone possesses a popular government, or admits into the legislature such numerous assemblies as can be supposed to lie under the dominion of eloquence. But what has ENGLAND to boast of in this particular? In enumerating the great men, who have done honour to our country, we exult in our poets and philosophers; but what orators are ever mentioned? (ES, 99)

Für Hume steht fest, dass die antiken Lehrmeister auf diesem Gebiet, wie Demosthenes und Cicero213, ihre Reden im Kontrast zu »our temperate and calm speak212 Auf die Bedeutung der öffentlichen Rede im England des 18. Jahrhunderts weist M. L. Clarke hin: »In England as in Athens or Rome public speaking was an essential part of public life, and Demosthenes and Cicero were the undisputed models of oratory.« (Greek Studies in England 1700–1830, Cambridge 1945, S. 13). 213 Humes Urteil über Cicero weist ihm zwar eine herausgehobene Stellung innerhalb der an-

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ers« (ES, 100) äußerst engagiert vortrugen; »the stile or species of their eloquence was infinitely more sublime than that which modern orators aspire to.« (ebd.) Beide hätten es vermocht, so versucht Hume anhand von Beispielen zu belegen, »[t]o inflame the audience, so as to make them accompany the speaker in such violent passions, and such elevated conceptions […].« (ES, 101) Die dazu notwendige Eindringlichkeit sei nur mit einer »vehemence of thought and expression« und »the vehemence of action« (ebd.) erreichbar gewesen: »[W]hat rendered them chiefly admirable, was that pathetic and sublime, which, on proper occasions, they threw into their discourse, and by which they commanded the resolution of their audience.« (ES, 108) Aber was, so fragt sich Hume, hat im Verlauf der Jahrhunderte bis hin zu seiner Zeit zu einem Niedergang der Redekultur geführt? Eine Veränderung der geistigen Kapazitäten kommt für ihn als Ursache eher nicht in Betracht; vorsichtig formuliert er: »The genius of mankind, at all times, is, perhaps, equal […].« (ES, 102) Er legt sich anschließend drei weitere Erklärungsversuche zur Beurteilung vor, die er aber, soviel sei jetzt schon gesagt, allesamt als unhaltbar verwirft. Die erste Hypothese geht von einer durch die historische Entwicklung hervorgerufenen größeren Vielschichtigkeit des modernen Lebens aus und betont, dass auch die moderne Legislative und die modernen Rechtsprechungsverfahren im Vergleich zu ihren antiken Pendants einen viel größeren Komplexitätsgrad erreicht hätten, so dass es für den heutigen Redner kein Leichtes mehr sei, sich in einem (für seine antiken Kollegen weitaus weniger) restringierten Redekontext auszuzeichnen. Hume weist dieses Argument mit dem Hinweis zurück, dass es zwar auf Gerichtsreden zutreffen möge, es aber die ebenso aussagefähigen und nicht dem Diktat der Rechtskonvention unterworfenen Debatten im Parlament unberücksichtigt lasse. Der zweite Erklärungsversuch verkehrt die Auffassung einer Überlegenheit der antiken Form der Beredsamkeit in ihr Gegenteil, und zwar mit der Begründung des »superior good sense of the moderns, who reject with disdain all those rhetorical tricks, employed to seduce the judges, and will admit of nothing but solid argument in any debate or deliberation.« (ES, 103) Dieser Argumentation entsprechend ist es also nicht ihr vermeintliches Unvermögen, welches die Moderne davon abhält, sich an den antiken Redemustern zu orientieren, sondern vielmehr (so lautet die unausgesprochene Prämisse) ihre größere Vernünftigkeit, die sich bewusst für »proper tiken Rhetorik zu, spart aber auch nicht mit Kritik. So erklärt Hume wenig später in Of Eloquence: »His figures are too striking and palpable: The divisions of his discourse are drawn chiefly from the rules of the schools: and his wit disdains not always the artifice even of a pun, rhyme, or jingle of words.« (ES, 105) Ähnlich heißt es in der History: » […] that tinsel eloquence which is observable in many of the Roman writers, from which Cicero himself is not wholly exempted, and which so much prevails in Ovid, Seneca, Lucan, Martial, and the Plinys.« (HE IV, 398, App. zu Kap. 49) Zur ambivalenten Haltung Humes zu Cicero vgl. auch Adam Potkay: »Classical Eloquence and Polite Style in the Age of Hume«, in: Eighteenth-Century Studies 25 (1991), S. 31–56, hier S. 47.

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expression« (ES, 104) und damit gegen die Verwendung bloß rhetorischen Blendwerks entscheidet. Hume stimmt der These des ›good sense‹ der Moderne zwar zu (wenn auch sehr vorsichtig: »Perhaps it may be acknowledged […].« [ebd.]); er zeigt ebenfalls Verständnis für das Misstrauen gegenüber allzu emphatischer Rede. Doch, so lautet Humes Einwand, das bedeute nicht, dass die Konzeption einer Rede nun auf das Hervorrufen von Leidenschaften gänzlich verzichten könne: »I see no reason, why it should make them despair absolutely of succeeding in this attempt. It should make them redouble their art, not abandon it entirely.« (ES, 104) Ein dritter Erklärungsversuch begründet die höhere Qualität der antiken Beredsamkeit mit ihrer vermeintlichen Notwendigkeit. Aufgrund der zahlreichen Verbrechen und der Unübersichtlichkeit in Staatsangelegenheiten seien in der Antike besondere Fertigkeiten in der Redekunst unentbehrlich gewesen: »Were there no VERRES or CATILINE, there would be no CICERO.« (ES, 106) Hume weist diese Argumentation als nicht stichhaltig zurück; die Moderne habe keinesfalls weniger Bedarf an stilistisch hochrangigen Gerichtsreden, jedoch fehle ihr die entsprechende Kapazität auf diesem Gebiet: »It would be easy to find a PHILIPP in modern times; but where shall we find a DEMOSTHENES?« (ebd.) Humes Vergleich der antiken und modernen Redekunst spitzt sich im Folgenden zu einer Gegenüberstellung von kraftvoller, mitreißender Rhetorik und einem bedächtigen, aber wirkungslosen Redefluss zu: »[A]ncient eloquence, that is, the sublime and passionate, is of much juster taste than the modern, or the argumentative and rational; and, if properly executed, will always have more command and authority over mankind.« (ES, 108)214 Die Überlegenheit der griechischen Rhetoren bestehe nun darin, so Hume weiter, dass sie eben beide Redeweisen, also sowohl die leidenschaftliche als auch die rational argumentierende, beherrschten.215 In einer Ergänzung, die

Im 10. Abschnitt der ersten Enquiry erwähnt Hume noch eine dritte Form der Rhetorik, und zwar die religiöse, die er mit deutlichem Missfallen schildert: »Eloquence, when at its highest pitch, leaves little room for reason or reflection; but addressing itself entirely to the fancy or the affections, captivates the willing hearers, and subdues their understanding. Happily, this pitch it seldom attains. But what a TULLY or a DEMOSTHENES could scarcely effect over a ROMAN or ATHENIAN audience, every Capuchin, every itinerant or stationary teacher can perform over the generality of mankind, and in a higher degree, by touching such gross and vulgar passions.« (E1 10.18; SBN 118). 215 Es ist wichtig zu bemerken, dass Hume der Antike, trotz zugestandener Überlegenheit in der Redekunst, doch auch eine Ungeschliffenheit und Respektlosigkeit attestiert. So heißt es in Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences: »It is difficult to pronounce any judgment concerning the refinements of the ancient republics in this particular: But I am apt to suspect, that the arts of conversation were not brought so near to perfection among them as the arts of writing and composition. The scurrility of the ancient orators, in many instances, is quite shocking, and exceeds all belief. […] I shall also be bold to affirm, that among the ancients, there was not much delicacy of breeding, or that polite deference and respect, which civility obliges us either to express or counterfeit towards 214

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Hume den 1742–1768 veröffentlichten Ausgaben des Essays Of Eloquence beigibt, versucht er zu erklären, warum es den Engländern schwerfällt, sich der erhabenen Redeweise der Antike zu bedienen: There are some circumstances, I confess, in the ENGLISH temper and genius, which are disadvantageous to the progress of eloquence, and render all attempts of that kind more dangerous and difficult among them than among any other nation. The ENGLISH are conspicuous of good-sense, which makes them very jealous of any attempts to deceive them by the flowers of rhetoric and elocution. They are also peculiarly modest; which makes them consider it as a piece of arrogance to offer any thing but reason to public assemblies, or attempt to guide them by passion or fancy. I may, perhaps, be allowed to add, that the people in general are not remarkable for delicacy of taste, or for sensibility to the charms of the muses. Their musical parts, to use the expression of a noble author, are but indifferent. Hence their comic poets, to move them, must have recourse to obscenity; their tragic poets to blood and slaughter: And hence their orators, being deprived of any such resource, have abandoned altogether the hopes of moving them, and have confined themselves to plain argument and reasoning. (ES, 622)

Diese Passagen, in denen Hume versucht, ›English temper and genius‹ zu skizzieren und den ungebildeten Geschmack der Engländer zu betonen, verweisen auf ein Thema, mit dem sich ein weiterer Essay intensiv beschäftigt und auf den zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer einzugehen sein wird, nämlich Of National Characters. Schon jetzt soll aber darauf hingewiesen werden, dass ›temper and genius‹ für Hume keine unveränderlichen, für alle Zeit festgeschriebenen Eigenschaften eines bestimmten Volkes sind, sondern als historisch spezifische Erscheinungen betrachtet werden müssen, die vor allem auf »moral […] causes« (ES, 198), d. h. auf kulturelle Einflüsse wie Erziehung, Beispiel und Bildung zurückzuführen sind. Daraus lassen sich folgende Schlussfolgerungen für das Verstehen der oben zitierten Passage und des gesamten Essays Of Eloquence, aber auch für Humes Auffassung von Kultur ziehen. Gewiss, Humes oben referierter Vergleich von Antike und Moderne konzentriert sich auf die virtuose Beredsamkeit. Das bedeutet für ihn jedoch nicht, die anderen kulturellen Erscheinungen völlig aus dem Blick zu verlieren. Denn Hume betrachtet die Redekunst als eine spezifische künstlerische Ausdrucksform, die durchaus mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen, wie z. B. dem Theater, in Beziehung gesetzt werden kann, insofern sich in jeder von ihnen der ›nationale Charakter‹, also der spezifische

the persons with whom we converse. CICERO was certainly one of the finest gentlemen of his age; yet I must confess I have frequently been shocked with the poor figure under which he represents his friend ATTICUS, in those dialogues, where he himself is introduced as a speaker.« (ES, 127 f.).

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IV. Hume und die Antike

›temper and genius‹ niederschlägt. Offenbar betrachtet Hume also künstlerische Ausdrucksformen als Index für den nationalen Charakter. Welche Grundsätze des Humeschen Konzepts von ›Kultur‹ lassen sich nun aus diesen Vorgaben ableiten? Für Hume besteht eine Kultur wie z. B. die des antiken Griechenlands, des antiken Roms, Englands oder auch Frankreichs keinesfalls nur in einer bloßen Ansammlung von beziehungslosen Gegenständen, Praktiken oder Auffassungen. Vielmehr betrachtet Hume die in einer jeweiligen Kultur gängigen Gegenstände, Praktiken oder Auffassungen als Elemente eines umfassenden Verweisungssystems, das beispielsweise den Namen ›griechische Kultur‹ oder ›englische Kultur‹ trägt. Diese Elemente sind in einem als netzförmig vorzustellenden Abhängigkeitsgefüge miteinander verknüpft, so dass Impulse, die auf eines seiner Elemente treffen, kurz- oder langfristig, je nach Intensität, auch die anderen erreichen werden. Auf diese Weise verbreitet sich der Impuls über weite Bereiche der Kultur, drückt ihnen gleichsam seinen Stempel auf und formt den im Humeschen Sinne je spezifischen ›temper and genius‹. Als in diesem Sinne wirkungsmächtige Impulse begreift Hume, seinen obigen Ausführungen zufolge, z. B. die Vorstellungen von ›good-sense‹ und ›modesty‹, denen er einen großen Einfluss auf die englische Kultur zuschreibt. Wenn der hier behandelte Gedanke eines Abhängigkeitsgefüges auch nicht notwendigerweise die vollständige Gleichrichtung aller einzelnen Elemente einer Kultur impliziert (da immer auch an das Wirken von gegenläufigen, miteinander konkurrierenden Impulsen zu denken ist), so ist Hume doch offensichtlich davon überzeugt, dass Kulturen in ihrer Gänze harmonische und für eine gewisse Zeit auch stabile Gebilde sind, in denen verschiedene Praktiken und Auffassungen gleichwohl miteinander konkurrieren können. Neben dem beständigen Vergleich der mit Hilfe der Namen ›Cicero‹ und ›Demosthenes‹ personifizierten antiken Redekunst und derjenigen seiner eigenen Zeit verliert Hume aber nicht die Differenz zwischen den beiden »great models of eloquence« (ES, 98) aus den Augen. Denn Demosthenes gilt ihm, trotz aller Verehrung für Cicero, als der bessere Redner. Cicero sei »too florid and rhetorical«, Demosthenes hingegen habe einen Stil der Rede entwickelt, der seine Wirkung auch auf heutige Leser nicht verfehlen könne: »the orations of DEMOSTHENES present to us the models, which approach the nearest to perfection.« (ES, 106) Hume legt Wert auf die Feststellung, dass Demosthenes in seinen Reden ein Niveau erreicht habe, das keine Konzessionen an den Publikumsgeschmack machte: »The GRECIAN adressed himself to an audience much less refined than the ROMAN senate or judges. The lowest vulgar of ATHENS were his sovereigns, and the arbiters of his eloquence. Yet is his manner more chaste and austere than that of the other [Cicero, M. B.].« (ES, 105)216 An dieser Stelle sei an die Gegenüberstellung von Demosthenes und Cicero in Plutarchs Parallelbiographien erinnert (an der sich Hume hier offenbar orientiert; vgl. auch Anm. 209). Zwar 216

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Dieser Hinweis ist Hume deshalb so wichtig, weil er ihm die Gelegenheit gibt, in einer Anmerkung diejenigen modernen Redner zu tadeln, die das niedrige Niveau ihrer Reden mit dem Hinweis zu entschuldigen versuchen, sie hätten auf den Publikumsgeschmack Rücksicht nehmen müssen: »It would be a strange prejudice in favour of antiquity, not to allow a BRITISH parliament to be naturally superior in judgment and delicacy to an ATHENIAN mob.« (ES, 105) In diesem Zusammenhang macht Hume eine kurze, aber aufschlussreiche Bemerkung, die erkennbar werden lässt, wie er die Beziehung zwischen den Rednern und der sie umgebenden Gesellschaft einschätzt: »The orators formed the taste of the ATHENIAN people, not the people of the orators.« (ES, 105) Wenn dieser Satz (wie mir scheint, zu Recht) als Bezugnahme auf die oben bereits erwähnte ›less refined audience‹ des Demosthenes gelesen werden muss, dann stellt sich folgende Frage: Haben nach Humes Ansicht die Redner, und besonders Demosthenes, nur deshalb die Deutungshoheit in Geschmacksfragen erlangen und als ›Erzieher‹ der Bürger Athens wirken können, weil diese ungebildet waren? Oder verbirgt sich hinter dieser beiläufigen Aussage eine vermutlich viel weitreichendere Ansicht Humes? Diese könnte etwa lauten: Nicht nur im Athen der Antike, sondern zu allen Zeiten und auch in ›gebildeten‹ Gesellschaften sind Redner bzw. alle mit Fragen des Geschmacks und der Bildung befassten Personen, wie z. B. Schriftsteller, Künstler und Philosophen, ihrer Zeit voraus und wirken als Gestalter des Geschmacks ihrer Epoche.217 Daher ist das von ihnen Geschaffene ein individuelles Zeichen ihrer Gebetont Plutarch zu Beginn des Demosthenes-Kapitels, nur die Taten und den politischen Stil von Demosthenes und Cicero bewerten zu wollen, sich aber darüber hinaus eines Urteils darüber zu enthalten, wessen Reden denn nun gewinnender oder kraftvoller gewesen seien. Damit geraten für ihn andere Qualitäten der Beredsamkeit in den Blick: »Die Rede des Demosthenes, fern von gesuchtem Schmuck und von allem Scherz, ist nur auf Ernst und Nachdruck abgezielt, und sie riecht nicht nach Lampendochten, wie Phytheas spottend sagte, sondern nach Wassertrinken, nach ernster Arbeit und nach der ihm nachgesagten Herbheit und düsteren Strenge seines Charakters. Cicero hingegen ließ sich durch seine Spottlust oftmals zu niedriger Spaßmacherei hinreißen, zog die ernsthaftesten Dinge ins Lächerliche und ließ vor Gericht, wenn er sich einen Vorteil davon versprach, selbst die Schicklichkeit außer acht […]. Aus ihren Schriften ist sodann zu ersehen, dass der eine das Selbstlob – wenn dieses um eines höheren Zweckes willen nicht zu umgehen war – in taktvoller und unanstößiger Weise handhabt und sich sonst zurückhaltend und maßvoll zeigt; Ciceros Hemmungslosigkeit im Reden über sich selbst verriet eine zügellose Ruhmsucht […]. Denn seinen Einfluss durch seine Beredsamkeit begründen muss der Staatsmann; aber den Ruhm der Beredsamkeit als solchen zu lieben und gierig nach ihm zu streben, ist unedel. Daher ist auf diesem Gebiete Demosthenes der Bedeutendere und Würdigere, wenn er seine Beredsamkeit ein Können nennt, das viel guten Willens von Seiten der Hörer bedürfe, und diejenigen, die sich deswegen aufblähten, für niedrig denkende Banausen hält – was sie ja auch wirklich sind.« (Plutarch: Große Griechen und Römer. Bd. IV. Eingel. u. übers. v. Konrat Ziegler, Zürich 1957, S. 307 ff.). 217 Es ist im Rahmen dieser Studie leider nicht möglich, genauer auf Gemeinsamkeiten und Differenzen der fast zeitgleich entstandenen Konzeptualisierungen des Geschmacks bei Hume und Herder einzugehen (bei letzterem einschlägig: »Ursachen des gesunknen Geschmacks bei den ver-

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IV. Hume und die Antike

staltungsabsicht, aber nicht die bloße Erfüllung bereits zuvor allgemein akzeptierter (vor allem ästhetischer) Richtlinien. Jedoch zeigt ein Blick auf die leider nur spärlich vorhandenen Äußerungen Humes, in denen er zur Frage nach der Beziehung des Künstlers zu seinem gesellschaftlichen Umfeld Stellung nimmt, dass dieser Versuch, die mutmaßliche Humesche Auffassung vom Künstler zu rekonstruieren, so nicht zu halten ist und einer Korrektur bedarf.

d) Humes Entzauberung der ›Inspiration‹ Wie an früherer Stelle bereits dargelegt, wendet sich Hume vor allem im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences gegen den Standpunkt, dass der Aufstieg und Niedergang von Künsten und Wissenschaften einem bloßen Zufall zuzuschreiben sei. Zur Begründung führt Hume folgende Überlegung an: Though the persons, who cultivate the sciences with such astonishing success, as to attract the admiration of posterity, be always few, in all nations and all ages; it is impossible but a share of the same spirit and genius must be antecedently diffused throughout the people among whom they arise, in order to produce, form, and cultivate, from their earliest infancy, the taste and judgment of those eminent writers. The mass cannot be altogether insipid, from which such refined spirits are extracted. (ES, 114)

Die hier vorgelegte Ansicht wirft nun ein anderes Licht auf den von Hume betonten Zusammenhang von herausragender Gelehrsamkeit und dem gesellschaftlichen Hintergrund, als es das zuvor angeführte Beispiel von Demosthenes und den anderen Rednern Athens tat. Denn hier geht Hume explizit davon aus, dass der Geschmack einer, sei es wissenschaftlichen oder künstlerischen, Ausnahmegestalt von gesellschaftlichen Vorgaben geformt wird.218 Humes Diktion stellt den Gelehrten als den Hüter und Pfleger der ihm anvertrauten Disziplin dar.219

schiednen Völkern, da er geblühet« [1755], in: Bernhard Suphan [Hg.]: Herders Sämmtliche Werke. Bd. 5, Berlin 1891, S. 595–655); bei beiden Autoren ist die Auffassung von ›Geschmack‹ eng an ihr jeweiliges Kulturverständnis gekoppelt. In der engeren Hume-Forschung ist, soweit ich sehe, das Verhältnis dieser beiden Philosophen noch nicht untersucht worden, auch nicht im Hinblick auf ihre Betonung der von Natur aus mangelhaften Ausstattung des Menschen (vgl. Anm. 290). 218 Diese Aussagen zeigten, so Astrid von der Lühe, dass Hume nicht mehr wie im Treatise an einer abstrakten Untersuchung des Geschmacksvermögens interessiert sei, sondern die Regeln des guten Geschmacks als das Ergebnis historisch und kulturell spezifischer Verhandlungsprozesse betrachte (David Humes ästhetische Kritik, Hamburg 1995, S. 174). 219 Die Schlusskadenz von Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences hebt noch einmal den Humeschen Vergleich von Kunst und Wissenschaft mit pflegebedürftigen Gewächsen hervor: »In short, the arts and sciences, like some plants, require a fresh soil; and however rich the land may be,

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Zugleich ist der Gelehrte selbst das wertvollste, weil seltene Gewächs auf gesellschaftlicher Flur, das von dieser seine kreativen Kapazitäten bezieht und darum seiner Pflege bedarf (›cultivate‹). Wie sehr Hume vom ›Verwurzeltsein‹ der Wissenschaftler und Künstler in ihren kulturellen Herkünften und Bezügen überzeugt ist, zeigen auch die folgenden Bemerkungen.220 Sie beziehen sich auf das (von Hume als vollständig ›diesseitig‹ aufgefasste) Geschehen der Inspiration: There is a God within us, says OVID, who breathes that divine fire, by which we are animated. Poets, in all ages, have advanced this claim to inspiration. There is not, however, any thing supernatural in the case. Their fire is not kindled from heaven. It only runs along the earth; is caught from one breast to another; and burns brightest, where the materials are best prepared, and most happily disposed. (ES, 114)

Das hier auf die Dichter bezogene Humesche Konzept der ›Inspiration‹ weiss folglich nichts von einem (in welcher Form auch immer) göttlichen Einfluss auf das menschliche Schaffen.221 Denn Hume behandelt die Entstehung und kulturspezifische Ausformung von Literatur als ein in erster Linie soziologisch zu erklärendes Phänomen: Hinter dem als ›Inspiration‹ bezeichneten Vorgang verbirgt sich nichts anderes als der durch einen signifikanten Sprachgebrauch begünstigte Transfer von Ideen zwischen Menschen, die die Einbildungskraft des Empfangenden zur selbständigen Weiterentwicklung animieren. Es lassen sich nun aus Humes Äußerungen zwei Voraussetzungen ableiten, die erfüllt sein müssen, damit Ideen auf diese Weise ›entflammend‹ wirken können. Die eine Voraussetzung betrifft die Form des Mitgeteilten, die andere die Sensibilität und Kreativität der aufnehmenden Person. Um sich eindrucksvoll mitteilen zu können ist zunächst, wie Hume in Of Eloquence betont hatte, ein den antiken Rednern ebenbürtiges Geschick im Vortrag vonnöten, »[t]o inflame the audience, so as to make them accompany the speaker in such violent passions, and such elevated conceptions […].« (ES, 101) Die eingängige Form von Gedankenanstößen allein reicht jedoch für ein ›Inspirationsgeschehen‹ noch nicht aus. Denn es bedarf zusätzlich – darauf weisen Humes

and however you may recruit it by art or care, it will never, when once exhausted, produce any thing that is perfect or finished in the kind.« (ES, 137). 220 Zum spezifischen Wechselverhältnis des Künstlers zu seiner Umgebung bemerkt Renée Bouveresse: »Hume est l’un des premiers à dire que le génie est l’expression d’un groupe, tout en soulignant par ailleurs l’action du génie sur son milieu.« (Esthétique, psychologie et musique. L’esthétique expérimentale et son origine philosophique chez David Hume, Paris 1995, S. 185.) 221 Zum Denkmodell der göttlichen Inspiration des Dichters, das auf Platon zurückgeht, vgl. Renate Schlesier: »Künstlerische Kreation und religiöse Erfahrung. Verwendungsgeschichtliche Anmerkungen zum Begriff der Inspiration«, in: Gert Mattenklott (Hg.): Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. Epistemische, ästhetische und religiöse Formen von Erfahrung im Vergleich, Hamburg 2004, S.177–194.

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Formulierungen ›best prepared‹ und ›happily disposed‹ hin – der bereits im Zusammenhang mit der Neugier genannten Trias von »education, genius, and example« (ES, 113). Ihr Vorhandensein ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass die innerlichen und äußerlichen Anreize, sprich: Neugier und ›Inspiration‹, eine produktive Wirkung entfalten können. Sie sind der ›fruchtbare Boden‹, der, um die oben von Hume genutzte agrarische Metapher aufzugreifen, von der Gesellschaft erst ›kultiviert‹ werden muss. In dieser Beziehung scheint es für Hume zwischen der Dichtkunst, bzw. allen schönen Künsten und der Wissenschaft keine Unterschiede zu geben: Ohne eine sorgfältige Grundlegung und Bildung sind in keiner Gesellschaft herausragende Ergebnisse in Kunst und Wissenschaft zu erwarten.

e) Agon oder Recht? Zur Humeschen Unterscheidung der griechischen und römischen Antike Auf Humes unterschiedliche Bewertung der Leistungen von Demosthenes und Cicero, bei der der Grieche ein besseres Ergebnis erzielen konnte, war soeben schon hingewiesen worden. Neben der unterschiedlichen Qualität der Rhetoren geraten auch andere Bereiche in Humes Blickfeld, anhand derer er zwischen der griechischen und der römischen Kultur zu differenzieren versucht. Obwohl er nicht selten generalisierend von ›antiquity‹ spricht und sich damit sowohl auf die griechische als auch auf die römische Antike bezieht, sind ihm die Unterschiede zwischen ihnen keinesfalls gleichgültig. Jedoch fällt es ihm, wie er zugibt, in manchen Fällen schwer, plausible Ursachen für diese Differenzen zu benennen: I doubt whether a satisfactory reason can be given, why ancient ROME, though it received all its refinements from GREECE, could attain only to a relish for statuary, painting and architecture, without reaching the practice of these arts: While modern ROME has been excited, by a few remains found among the ruins of antiquity, and has produced artists of the greatest eminence and distinction. (ES, 106)

Bereits zu einem früheren Zeitpunkt, im Historical Essay on Chivalry and Modern Honour, hatte Hume die Beziehung zwischen dem antiken Griechenland und Rom nicht nur als das Verhältnis von Gebendem und Empfangendem charakterisiert; von der Intimität beider Staaten überzeugt, hatte er die Griechen sogar zu ›Geburtshelfern‹ der Römer erklärt (vgl. EC, 57). Vor diesem Hintergrund ist das Erstaunen Humes verständlich, dass trotz dieser Nähe und Vertrautheit die bildenden Künste des antiken Roms offenbar nicht an das Niveau der künstlerischen Praxis der Griechen heranreichen konnten.222 Denn das Kriterium des zeitlichen und räumlichen Zusam222

Mit dem Essay Of Eloquence positioniert sich Hume also bereits 1742 für eine Kontroverse,

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menhangs spielt ja nicht nur in Humes Erkenntnistheorie eine große Rolle (mit ihm erklärt Hume die Assoziation bestimmter Vorstellungen [vgl. T 1.1.4.1; SBN 11]), sondern dient ihm auch als Erklärungsmuster in seinen Ansichten zu emotionalen und kulturellen Transfers. So lautet z. B. die achte Maxime im Essay Of National Characters: »Where several neighbouring nations have a very close communication together, either by policy, commerce, or travelling, they acquire a similitude of manners, proportioned to the communication.« (ES, 206) Individuelle sowie kollektive Gefühle, Ansichten und Sitten, aber auch intellektuell-ästhetische Errungenschaften wie Wissenschaften oder Künste, das möchte Hume zeigen, mögen in ihrer spezifischen Ausformung durchaus als Kennzeichen einer bestimmten Epoche oder Kultur genommen werden; sie dürfen darum jedoch nicht als unbewegliches kulturelles Kapital aufgefasst werden: Insofern Menschen Kontakt miteinander pflegen, sind all diese Dinge in ständiger Bewegung.223 Im zweiten Buch des Treatise hatte Hume als eine bedeutsame Ursache dieses Phänomens die in der menschlichen Natur verankerte Eigenschaft der ›sympathy‹ bestimmt. Denn der Kontakt zu anderen Menschen hat zur Folge, so Hume, dass über einen gewissen Zeitraum deren Überzeugungen und Gefühle übernommen werden224; daraus erkläre sich auch »the great uniformity […] in the humours and turn

die erst sechzehn Jahre später – mit der Publikation von Julien-David LeRoys Les Ruines des plus beaux monuments de la Grèce und den heftigen Gegenattacken Giovanni Battista Piranesis – als sogenannter ›Griechenstreit‹ die literarische Öffentlichkeit erreicht und in dessen Zentrum die Frage steht, ob von den Griechen oder von den Römern schönere Architektur geschaffen worden sei. Vgl. dazu: Marcel Baumgartner: Art. »Griechen-Römer-Antithese«, in: Manfred Landfester (Hg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 14, Stuttgart 2000, Sp. 253–266. 223 Dies gilt nicht zuletzt auch für Gesellschaften, die durch kriegerische Eroberungen miteinander verbunden sind, wie Hume bereits im Historical Essay on Chivalry and Modern Honour zeigt, ohne allerdings den ›sympathy‹-Begriff zu verwenden. So hätten sich z. B. die siegreichen Barbaren vom Luxus der von ihnen überwundenen Römer ›gefangennehmen‹ lassen, so dass das Verhältnis von Sieger und Besiegtem geradezu umgekehrt worden sei: »[T]hese polite & luxurious arts made them more easily conquered […] and produce a Conformity of Manners betwixt the Victors & the Vanquish’d.« (EC, 56). 224 Brian Kirby sieht eine Inkonsistenz in Humes ›sympathy‹-Konzept; er verstehe ›sympathy‹ einerseits als Gefühl, andererseits aber auch als Prinzip. Zudem, so Kirby, sei es falsch, ›sympathy‹ mit ›Kommunikation‹ gleichzusetzen, letztere sei vielmehr ihr Ziel (»Hume, Sympathy, and the Theater«, in: Hume Studies 29 [2003], S. 305–325, hier S. 308 bzw. S. 314). Hier übersieht Kirby, dass die Kommunikation für das Wirken des sympathy-Prinzips bei Hume eine unabdingbare Voraussetzung und nicht erst ihr Ergebnis ist. James Farr hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, Humes Theorie der ›sympathy‹ als ein hermeneutisches Konzept der Zeicheninterpretation zu begreifen: »In its methodological form his doctrine of sympathy is a prototype of the doctrine of verstehen.« (»Hume, Hermeneutics and History. A ›Sympathetic‹ Account«, in: History and Theory 17 [1978], S. 285–310, hier S. 288 f.). Eine eingehende Untersuchung des ›sympathy‹-Begriffs bei Hume findet sich in Philip Mercer: Sympathy and Ethics. A Study of the Relationship between Sympathy and Morality, with special Reference to Hume’s ›Treatise‹, Oxford 1972. Zur Verwendungsweise des Begriffs

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IV. Hume und die Antike

of thinking of those of the same nation […].« (T 2.1.11.2; SBN 316) Dieser Vorgang, so gibt Hume zu verstehen, geschieht ohne unser Zutun: A chearful countenance infuses a sensible complacency and serenity into my mind; as an angry or sorrowful one throws a sudden damp upon me. Hatred, resentment, esteem, love, courage, mirth and melancholy; all these passions I feel more from communication than from my own natural temper and disposition. (T 2.1.11.2; SBN 317)

Diese Übertragung (oder in seiner Diktion: ›Einflößung‹ [›infusion‹]) von Überzeugungen und Affekten lässt sich, so Hume, bei Mitgliedern sowohl kleinerer als auch größerer Gruppen beobachten: Die Bandbreite reicht von »friends and daily companions« (T 2.1.11.2; SBN 316) bis hin zu ganzen Nationen.225 Hume weist ausdrücklich darauf hin, dass die engen Kontakte zwischen den Menschen, nicht aber »soil and climate« (T 2.1.11.2; SBN 317) das Wirken von ›sympathy‹ ermöglichen: »The sentiments of others have little influence, when far remov’d from us, and require the relation of contiguity, to make them communicate themselves entirely.« (T 2.1.11.6; SBN 318) Daraus folgt, dass der Einflussbereich der ›sym-

,sympathy‹ bei anderen Autoren des 18. Jahrhunderts vgl. W. J. Bate: »The Sympathetic Imagination in Eighteenth-Century English Criticism«, in: Journal of English Literary History 12 (1945), S. 144–164. 225 Hume nutzt auch den Vergleich mit dem Spiegel, um sein sympathy-Konzept zu erläutern: »In general we may remark, that the minds of men are mirrors to one another, not only because they reflect each other’s emotions, but also because those rays of passions, sentiments and opinions may be often reverberated, and may decay away by insensible degrees.« (T 2.2.5.21; SBN 365) Im Folgenden beschränke ich mich darauf, dass Humesche ›sympathy‹-Konzept unter dem Aspekt der Übertragung von Ansichten, Stimmungen etc. zu betrachten, die seiner Ansicht nach als Ursache kultureller Homogenität anzusehen ist. Darüber hinaus ist unbestritten, dass dieses Konzept für Hume (wie auch für Adam Smith) ebenso ein wichtiger Bestandteil seiner Moralphilosophie ist: So versetzen wir uns bei der moralischen Beurteilung einer Situation mit Hilfe der ›sympathy‹ in die Lage der Betroffenen: »[S]ympathy is the chief source of moral distinctions […].« (T 3.3.6.1; SBN 618) Um die dabei unvermeidlich vorhandenen Distanzunterschiede (Verwandte stehen uns näher als Fremde) auszugleichen und zu einem »more constant and establish’d judgment« zu gelangen, korrigieren wir das Ungleichgewicht durch »intercourse of sentiments […] and conversation« und schaffen damit einen »general inalterable standard« (T 3.3.3.2; SBN 603) der Beurteilung. Zur Bedeutung der ›sympathy‹ für die Moralphilosophie Humes vgl. Johannes Rohbeck: Egoismus und Sympathie. David Hume’s Gesellschafts- und Erkenntnistheorie, Frankfurt a. M. 1978, Jennifer A. Herdt: Religion and Faction in Hume’s Moral Philosophy, Cambridge 1997, sowie jüngst Ulli F. H. Rühl: Moralischer Sinn und Sympathie. Der Denkweg der schottischen Aufklärung in der Moral- und Rechtsphilosophie, Paderborn 2005. Für die folgenden Überlegungen liegt das Augenmerk also, um eine Unterscheidung von Norbert Waszek aufzugreifen, auf der Position des jungen Hume (›sympathy‹ als Kommunikationsgeschehen), weniger auf dem des älteren (›sympathy‹ als Mitgefühl) (Man’s Social Nature. A Topic of the Scottish Enlightenment in its Historical Setting, Frankfurt a. M. 1986, S. 82 f.).

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pathy‹ prinzipiell nicht auf national bzw. regional definierte Gruppen begrenzt ist. Eine ausreichende Nähe zu Nachbarstaaten, so hatte Hume ja im Essay Of National Characters behauptet, könne ebenfalls zu einer Angleichung der Sitten führen. Aus dem zuletzt über das ›sympathy‹-Konzept Gesagten darf jedoch nicht geschlossen werden, dass Hume das Austauschgeschehen zwischen den Menschen nur als einen unbewussten Vorgang auffasst. Dass der teilweisen oder vollständigen Aneignung und Transformation fremden Gedankenguts und fremder Lebensweise häufig genug deren kritische Begutachtung vorausgeht, hatte Hume in einer bereits an früherer Stelle dieser Studie zitierten Passage aus Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences notiert: [W]here a number of neighbouring states have a great intercourse of arts and commerce, their mutual jealousy keeps them from receiving too lightly the law from each other, in matters of taste and of reasoning, and makes them examine every work of art with the greatest care and accuracy. (ES, 120)226

Bei diesen Vorgängen spielt die ›sympathy‹ für Hume offenbar keine Rolle, da er sie hier mit keinem Wort erwähnt. Sowohl seine Skizzen des agonalen Charakters der griechischen Antike als auch seine Beschreibungen des zwischen England und Frankreich zu beobachtenden nationalen Ringens um die Theorien Descartes’ und Newtons lassen folgende Überzeugung Humes deutlich werden: Kontakte zwischen unterschiedlichen Gruppen, seien es nun griechische Stadtstaaten, wissenschaftliche Lager oder auch ganze Kulturen, erweisen sich in intellektuell-ästhetischer Hinsicht immer dann als besonders fruchtbar, wenn sie mit kritisch-reflektierter Überprüfung von fremdem Gedankengut oder von ästhetischen Standards einhergehen. Zu einer solchen Überprüfung kommt es nach Hume aber mit ziemlicher Sicherheit dann, wenn ihr Verhältnis von gegenseitiger Skepsis und Eifersucht geprägt ist. Falls man das diesbezügliche Schweigen Humes richtig interpretiert, hat es eine solche Beziehung zwischen den antiken Römern und Griechen offenbar nicht gegeben. Humes in Of Eloquence geäußertes Bedauern, dass er keine Erklärung für die

Vor dem Hintergrund eben dieser Aussage müsste folgendes Urteil von Donald Livingston weiter spezifiziert werden: »Much of Hume’s philosophy is an attempt to show that what we call rationality in science, morals, politics, and religion is the result of a long, gradual, and largely unreflective evolution of conventions, the end of which is the coordination and satisfaction of conflicting human needs and desires. Principles of rationality are achievements of a largely unreflective process of social and historical evolution which Hume calls civilization.« (Philosophical Melancholy and Delirium. Hume’s Pathology of Philosophy, Chicago 1998, S. 58). Gewiss weiß Hume um die nicht vollkommen überschaubaren Prozesse der Planung und Ausführung menschlichen Handelns, dennoch wäre es unangemessen, ihm die Auffassung zu unterstellen, die an diesen Prozesses Beteiligten reflektierten nicht die von ihnen bewirkten sozialen und kulturellen Geschehnisse. 226

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IV. Hume und die Antike

Unterlegenheit römischer Kunst gegenüber der der Griechen anbieten könne, erweist sich aber als ungerechtfertigt, wenn man die Schlusspassagen von Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences betrachtet. Denn dort stellt Hume noch einmal die Bedeutung des Wetteifers als Grundlage kultureller Höchstleistungen heraus: »A noble emulation is the source of every excellence. Admiration and modesty naturally extinguish this emulation.« (ES, 135) Die römische Unterlegenheit versucht er dann wenig später mit dem Hinweis auf das Fehlen eben dieser Rivalität zu begründen: »Perhaps, it may not be for the advantage of any other nation to have the arts imported from their neighbours in too great perfection. This extinguishes emulation, and sinks the ardour of the generous youth. […] The same, perhaps, was the case of ROME, when it received the arts from GREECE.« (ES, 136) Es wäre Hume nun möglich gewesen, auf diese Aussagen zurückgreifen (was er aber nicht tut), um eine konsistente Erklärung zu konstruieren, nach der das fehlende künstlerische Engagement der Römer auf ihr unproduktives Verharren in bloßer Bewunderung für die Leistungen Griechenlands zurückzuführen ist (»admiration« [ES, 135], »a relish for statuary, painting and architecture, without reaching the practice of these arts« [ES, 106]). Des weiteren hätte Hume, um diesen künstlerisch folgenlosen Respekt zu begründen, einerseits den Römern eine zu große Bescheidenheit unterstellen können (angesichts des bereits von den Griechen Geleisteten), andererseits aber auch auf den hohen Grad ignoranter Saturiertheit hinweisen können, den er, wie eine frühe Arbeit, der Historical Essay on Chivalry and Modern Honour zeigt, spätestens gegen Ende des römischen Reiches feststellen zu können glaubt: »The antient Inhabitants were sunk into an irrecoverable Indolence & Inactivity, & having stupidly lost the perfection of these Arts transmitted to them by their Forefathers, cannot be suppos’d in a Condition of inventing new ones.« (EC, 56) Diese Formulierungen verdeutlichen die vierte Maxime, mit der Hume den Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences beschließt. Mit ihr präsentiert Hume ein zyklisches Modell vom Aufstieg, der Blüte und dem Verfall von Künsten und Wissenschaften: »[…] When the arts and sciences come to perfection in any state, from that moment they naturally, or rather necessarily decline, and seldom or never revive in that nation, where they formerly flourished.« (ES, 135)227 In der zunehmenden Perfektionierung der Künste und Wissenschaften, so Hume, stecke bereits der Keim ihres drohenden Verfalls. Denn eine derart avancierte Kultur führe dazu, dass sich angehende Wissenschaftler und Künstler nur zu oft von dem Anspruch, das bereits Erreichte überbieten zu müssen, überfordert fühlten und daher resignierten: die Gesellschaft sinkt von dem bereits erreichten Niveau ab. Zum allg. Überblick vgl. hierzu: Hermann Joseph Cloeren: Art. »Kulturzyklus, Kulturzyklentheorie«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Darmstadt 1976, Sp. 1350–1357. 227

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Dieser Blickwinkel Humes zeigt, dass er in den Bemühungen der Künste und Wissenschaften immer nur (qualitativ freilich unterschiedliche) Antworten auf immer gleichbleibende Problemstellungen erblickt; es kommt ihm aber nicht in den Sinn, sie zunächst einmal als Versuche anzusehen, völlig neue Fragen zu formulieren. Für Hume muss es daher undenkbar erscheinen, dass sich ein Künstler oder Wissenschaftler nicht an den Fragestellungen und Methoden seiner Vorgänger abarbeitet, sondern gänzlich neue Wege einschlägt (diese Absetzbewegung schließt natürlich eine vorhergehende gründliche Kenntnisnahme des von Anderen Geleisteten nicht aus). Dieser Humeschen Denkfigur liegt die (durchaus nicht relativistische) Annahme zugrunde, dass wissenschaftliche Erkenntnis, vor allem aber auch die künstlerische Produktion keine autonomen, von einer Teleologie freien Betätigungen sind, sondern letztlich immer als Suche nach dem einen Wahren bzw. dem einen Schönen verstanden werden müssen (die Skepsis Humes, ob die menschlichen Fähigkeiten überhaupt ausreichen, diese Ziele zu erreichen, ändert nichts an dem hier erhobenen Anspruch). So sehr Hume auch darum bemüht ist, zur Erklärung des jeweils erreichten Niveaus der Künste und Wissenschaften auf die historisch variablen sozialen, politischen, ökonomischen und religiösen Bedingungen einer Kultur zu verweisen, so rigoros und unhistorisch unterstellt er den daran Beteiligten, dass sie identische Ziele verfolgen. Dies muss er auch, da ansonsten seine Vorstellung vom nicht nur politschen und ökonomischen, sondern auch wissenschaftlichen und künstlerischen Wettbewerb ihre Berechtigung verlöre. Im Essay Of Refinement in the Arts nutzt Hume die Gelegenheit, die bereits zu römischer Zeit von Sallust formulierte Kritik zurückzuweisen, nach der allein der von den Griechen übernommene Luxus als Ursache dieses Verfalls zu bestimmen sei. In den 1752 bis 1754 publizierten Ausgaben dieses Essays heißt es daher: What has chiefly induced severe moralists to declaim against refinement in the arts, is the example of ancient ROME, which […] having learned from its conquered provinces the Grecian and Asiatic luxury, fell into every kind of corruption […]. All the LATIN classics […] universally ascribe the ruin of their state to the arts and riches imported from the East: Insomuch that SALLUST represents a taste for painting as a vice, no less than lewdness and drinking. […] [T]his author […] speaks contemptuously of the GRECIAN eloquence […]. But it would be easy to prove, that these writers mistook the cause of the disorders in the ROMAN state, and ascribed to the luxury and arts, what really proceeded from an ill modelled government, and the unlimited extent of conquests. (ES, 275)228

In den Ausgaben der Essays, die nach 1754 erscheinen, spricht Hume dann nur noch von »the example of ancient ROME, which […] having learned from its conquered provinces the Asiatic luxury« [Hervorhebung M. B.]. 228

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IV. Hume und die Antike

Wenn all diese Überlegungen nun, in denen Hume verschiedene Aspekte der griechischen und römischen Kultur abwägt, mit seiner bereits an früherer Stelle dieser Studie notierten Bewunderung der griechischen Stadtstaaten in Beziehung gesetzt werden, ergibt sich folgendes Bild: In Humes Augen war die auf Wettbewerb fußende Organisation der griechischen Stadtstaaten besonders dazu geeignet, die Urteilskraft ihrer Bewohner zu schulen und ihre Kreativität zu mobilisieren, und zwar in nahezu allen Bereichen des kulturellen Lebens, wodurch dieses entscheidend belebt wurde und der Nachwelt mustergültige Resultate hinterließ. Folgt man Humes Darstellungen, dann erachteten auch die Römer die öffentliche Auseinandersetzung als eine Gelegenheit zur persönlichen Auszeichnung, doch beschränkten sie ihren Ehrgeiz auf z. B. das politische oder juristische Feld. Da sie in den bildenden Künsten und den Wissenschaften – anders als die Griechen – keinen Wettbewerbsgeist entwickelten, boten ihnen diese Gebiete keine Gelegenheit, um fortwirkende Impulse zu setzen, so dass sie hier über einen bloßen Epigonenstatus nicht hinausgelangt sind.229 Dabei zeichnete sich doch das römische Staatswesen durch seine Rechtspflege aus und bot damit ideale Voraussetzungen für die Entstehung von Kunst und Wissenschaft, wie Hume nicht müde wird zu betonen. Man kann sich hier noch einmal die Trias von »curiosity, security, and law« (ES, 118) in Erinnerung rufen, die Hume im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences als notwendige Grundlagen eines jeden künftigen Fortschritts benennt. Das Gesetz steht hier an oberster Stelle: From law arises security: From security curiosity: And from curiosity knowledge. The latter steps of this progress may be more accidental; but the former are altogether necessary. […] [T]he greater refinements and improvements of human reason […] require curiosity, security, and law. (ES, 118)230

Für den Einzelnen bedeutet das: Der Mensch muss der Sorgen um die Sicherheit von Person und Besitz enthoben sein, so Humes Überzeugung, bevor er sich um die Befriedigung seiner (wissenschaftlichen bzw. künstlerischen) Neugier kümmern kann. Die römische Republik bot ihren Bürgern diese Freiheit. Es sei hier betont, dass sich diese Einschätzung Humes auf die Gebiete »statuary, painting and architecture« (ES, 106) bezieht. Seine Bewunderung der von ihm selbst als mustergültig empfundenen römischen Literatur, vor allem von Autoren wie Vergil, Terenz, Lukrez, Horaz und Cicero, bleibt davon unberührt. 230 Freilich geht Hume nicht davon aus, dass eine Gesellschaft, die sich Gesetze gibt, noch in einem Status des ›intellektuellen Vakuums‹ gefangen sein kann. So erklärt er im Essay Of Refinement in the Arts: »Laws, order, police, discipline; these can never be carried to any degree of perfection, before human reason has refined itself by excercise, and by an application to the more vulgar arts, at least, of commerce and manufacture. Can we expect that a government will be well modelled by a people, who know not how to make a spinning-wheel, or to employ a loom to advantage? Not to mention, that all ignorant ages are infested with superstition, which throws the government off its bias, and disturbs men in the pursuit of their interest and happiness.« (ES, 273). 229

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Doch Humes Hinweis, dass die Römer in den bildenden Künsten nur ein niedriges Niveau erreicht hätten, macht deutlich, dass die rechtliche Sicherheit der Person und des Besitzes noch keine hinreichende Bedingung dafür ist, dass sämtliche Gebiete der in einer bestimmten Kultur ausgebildeten Wissenschaften und Künste auch wirklich ihren Gipfelpunkt erreichen. Jede Gesellschaft, die sich durch Handel, Krieg oder sonstige Verbindungen dem Kontakt mit anderen Gruppierungen aussetzt, seien es nun benachbarte Stadtstaaten oder auch andere Kulturen, entwickelt spezifische Umgangsweisen mit ihren Kenntnissen des Fremden. Dabei kann die Bandbreite von ignoranter Vernachlässigung bis hin zu fortgesetzter Bezugnahme reichen. Nun scheint ein Blick in die Geschichte Roms Hume in der Ansicht zu bestärken, dass nach einem Transfer fremder Denk- und Verhaltensmuster in die eigene Kultur nicht automatisch die gleichen Konsequenzen eintreten, wie sie in der ursprünglichen Umgebung dieser Muster zu beobachten waren. Von einem geglückten, im Sinne eines auch künftig impulsgebenden Transfers (vor allem in Kunst und Wissenschaft, die hier ins Auge gefasst sind) möchte Hume offensichtlich erst dann sprechen, wenn sich die Auseinandersetzung nicht in einer blinden Reproduktion des bereits Vorhandenen erschöpft231, sondern dazu führt, dass eine ehrgeizige und kritische Überprüfung des Vorfindlichen in Gang gesetzt wird, aus der, so vermutet Hume, wiederum eigenständige, neue Maßstäbe setzende künstlerische oder wissenschaftliche Resultate entstehen können. Hume erwähnt es zwar nicht explizit, aber aus dem bisher Gesagten lässt sich auf seine Überzeugung schließen, dass für die kontinuierliche Lebendigkeit und Authentizität einer Kultur neben der gründlichen Begutachtung von Ideen und Kulturgütern anderer Gruppen natürlich auch die permanente Kritik der eigenen notwendig ist. Dieses Ideal hatte, so Hume, begünstigt von seiner geographischen232 und politischen Struktur, vor allem das antike Griechenland verwirklicht.

Hier ist noch einmal an die schon früher zitierte Passage aus dem Essay on Chivalry and Modern Honour zu erinnern, in der Hume griechische und gotische Architektur miteinander vergleicht und die Mängel der letzteren als Ergebnis der schlechten Nachahmung der ersteren ausweist (»unskillfully imitated«). Grund hierfür sei die Unfähigkeit gewesen, das Übernommene auch zu begreifen (»[I]gnorant how to preserve a just Mean; & giving an unbounded Liberty to their Fancy in heaping Ornament upon Ornament, they made the whole a heap of Confusion, & Irregularity.«) (EC, 58). 232 Dass im Vergleich von Antike und Moderne für Hume auch geographische Umstände zu berücksichtigen sind, belegt folgende Passage aus Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences: »If we consider the face of the globe, EUROPE, of all the four parts of the world, is the most broken by seas, rivers, and mountains; and GREECE of all the countries of EUROPE. Hence these regions were naturally divided into several distinct governments. And hence the sciences arose in GREECE; and EUROPE has been hitherto the most constant habitation of them.« (ES, 123) Humes in Bezug auf Rom durchaus zum Tragen kommende »interkulturelle Perspektive«, um eine Formulierung Walter Burkerts aufzugreifen (Die Griechen und der Orient. Von Homer bis zu den Magiern, München 231

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IV. Hume und die Antike

Humes Deutung läuft nun darauf hinaus, dass Rom, unter veränderten politischen Voraussetzungen und mit imperialer Gesinnung, zwar den Versuch unternahm, das kulturelle Erbe Griechenlands anzutreten, jedoch nicht in der Lage war, die errungenen gesetzlichen Prinzipien, die die Entstehung von Wissenschaft und Kunst förderten, aufrechtzuerhalten.233 Zudem sei es dem römischen Imperium, Humes Darstellungen zufolge, in den letzten Jahren seiner noch unbestrittenen Herrschaft immer schwerer gefallen, den eigenen kulturellen ›Unternehmungsgeist‹ lebendig zu erhalten, das heißt vor allem, kritisch mit sich selbst und der Verwaltung des griechischen Erbes umzugehen.

f ) Wie vorbildlich sind antike Kunst und Politik? Spätestens an dieser Stelle ist der Hinweis geboten, dass die Tatsache, dass Griechenland und Rom zu den kulturell tonangebenden Nationen heranwuchsen, sich für Hume trotz seiner bisher hier vorgetragenen Ansichten nicht von selbst versteht. Denn gerade die politischen Strukturen dieser antiken Gesellschaften, die Hume wiederholt als Grundbedingungen für das Aufblühen von Kunst und Wissenschaft ins Feld führt, werden von ihm durchaus in ihrer Ambiguität erkannt. So registriert Hume an ihnen neben den zu befürwortenden Seiten auch solche Aspekte, die diesen Aufschwung eigentlich hätten verhindern oder zumindest hemmen müssen. Dazu gehört z. B. der sich in straffer Staatsführung niederschlagende Glaube an eine ständige Bedrohung von Außen, die eine permanente Kriegsbereitschaft erforderlich machte und jeden Bürger in einen Soldaten verwandelte. Eine Rückkehr zu antiker Politik hält Hume aus diesem Grund nicht für empfehlenswert. So argumentiert er im Essay Of Commerce:

2003, S. 11 [zuerst Venedig 1999]), gibt er im Falle Griechenlands offensichtlich auf: Humes Griechen sind, der gängigen Auffassung seiner Zeit entsprechend, ›ursprünglich‹ und in ihrer Eigenart von anderen Kulturen unbeeinflusst. Jedoch findet sich in Humes Early Memoranda eine kurze Notiz, die zumindest seine Kenntnis der Gegenposition belegt: »Herodotus Reason very good why the Greeks borrow’d their Religion from the Aegyptians & not e contra. The Greek Sea Gods not known to the Aegyptians. Lib. 2.« (EM, 516). Zur Bedeutung der Early Memoranda für Humes religionsphilosophische Positionen vgl. Lothar Kreimendahl: »Humes frühe religionsphilosophische Interessen im Lichte seiner ›Early Memoranda‹«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 53 (1999), S. 553–568. 233 So berichtet Hume im ersten Band der History über die Zustände in Großbritannien, bevor die römische Herrschaft durch die Sachsen abgelöst wurde: »[M]ilitary despotism […] had taken place in the Roman empire, and […] had sunk the genius of men, and destroyed every noble principle of science and virtue.« (HE I, 194; App. I zu Kap. 3).

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[A]ncient policy was violent, and contrary to the more natural and usual course of things. It is well known with what peculiar laws SPARTA was governed, and what a prodigy that republic is justly esteemed by every one, who has considered human nature as it has displayed itself in other nations, and other ages. Were the testimony of history less positive and circumstantial, such a government would appear a mere philosophical whim or fiction, and impossible ever to be reduced to practice. And though the ROMAN and other ancient republics were supported on principles somewhat more natural, yet was there an extraordinary concurrence of circumstances to make them submit to such grievious burthens. They were free states; they were small ones; and the age being martial, all their neighbours were continually in arms. (ES, 259)

Auch wenn Hume annimmt, dass durch eine solche Situation der Gemeinsinn (»public spirit«, ebd.) belebt worden sei, so bezweifelt er doch, dass sich eine kriegerische Gemeinschaft, eben wegen der Erfordernis einer ständigen Wehrbereitschaft, ernsthaft auf die Pflege des Gewerbes oder der Künste einlassen konnte. Hume schätzt an den politischen Gegebenheiten im antiken Griechenland vor allem ihre kreativitätsstimulierende Wirkung, die sich vor allem in der Ermunterung zum intellektuell-ästhetischen Wettstreit bemerkbar macht. Daneben jedoch bringt er auch ihre destabilisierenden Auswirkungen zur Sprache. Denn der omnipräsente Geist des Wettkampfs, so argumentiert Hume in der History, habe im politisch-sozialen Umgang verhindert, dass sich in den Menschen ein Bewusstsein für notwendige Kontinuität und Stabilität der Regierungsgeschäfte habe entwickeln können.234 So sehr Hume einerseits das agonale Prinzip im künstlerisch-wissenschaftlichen Feld auch begrüßt, so vehement lehnt er es andererseits als leitende Maxime der Politik ab, soweit es nicht durch rechtliche Schranken kanalisiert wird: The noble and free genius of the ancients, which made the government of a single person be always regarded as a species of tyranny and usurpation, and kept them from forming any conception of a legal and regular monarchy, had rendered them entirely ignorant both of the rights of primogeniture and a representation in succession, inventions so necessary for preserving order in the lines of princes, for obviating the evils of civil discord and of usurpation, and for begetting moderation in that species of government by giving security to the ruling sovereign. (HE I, 469; Kap. 11)

Ein weiteres, von Hume scharf kritisiertes Attribut der antiken Politik ist die Sklaverei. Für Hume, das konnte auch schon an anderen Stellen gezeigt werden, ist das 234 Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Essay Of the Populousness of Ancient Nations: »In ancient history, we may always observe, where one party prevailed, whether the nobles or people (for I can observe no difference in this respect) that they immediately butchered all of the opposite party who fell into their hands, and banished such as had been so fortunate as to escape their fury. No form of process, no law, no trial, no pardon.« (ES, 407).

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IV. Hume und die Antike

Gedeihen von Kunst und Wissenschaft eng mit politischer Freiheit verknüpft. So weist er beispielsweise im 23. Kapitel seiner History, das die Regierungszeit Richards III. behandelt, auf die politischen Folgen hin, die das in adligen Kreisen zunehmend verbreitete Studium der Rechte (das Hume hier als ›art‹ begreift) mit sich gebracht habe: »One chief advantage which resulted from the introduction and progress of the arts was the introduction and progress of freedom; and this consequence affected men both in their personal and civil capacities.« (HE II, 510; Kap. 23) Nur wenige Zeilen später wirft Hume einen Blick zurück auf die griechische und römische Antike und stellt verwundert fest, dass die dort erreichten Fortschritte in den Künsten offenbar nicht zwangsläufig von der Abschaffung politischer Unfreiheit begleitet waren: It may appear strange that the progress of the arts, which seems, among the Greeks and Romans, to have daily increased the number of slaves, should in later times have proved so general a source of liberty; but this difference in the events proceeded from a great difference in the circumstances which attended those institutions. (HE II, 511; Kap. 23)

Der hier von Hume konstatierte Widerspruch zwischen künstlerisch-wissenschaftlichem Fortschritt und politischer Unfreiheit zwingt ihn, sich eingehender mit dem Phänomen der Sklaverei in der Antike auseinanderzusetzen. Daher sollen seine diesbezüglichen Überlegungen im Folgenden genauer betrachtet werden.

7. Does size really matter? Kultur und Barbarei in Of the Populousness of Ancient Nations a) Die Schattenseiten der Antike Hume verleiht seiner Verachtung der antiken Sklaverei an keiner Stelle seines Werkes so deutlich Ausdruck wie in Of the Populousness of Ancient Nations, der zugleich der umfangreichste seiner Essays ist und sich ebenfalls in die Reihe der Humeschen Arbeiten einreiht, in denen Antike und Moderne einander gegenübergestellt werden.235 Über seine Arbeit an diesem Essay gibt er im April 1750 in einem an den Eine ausführliche Untersuchung dieses Essays, der zuerst 1752 in den Political Discourses erschien, bietet Helmuth Schneider: »Schottische Aufklärung und antike Gesellschaft«, in: Peter Kneissl/Volker Losemann (Hg.): Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, S. 431–464. Schneiders Hinweis, dass die Humesche Aufwertung der Moderne gegenüber der Antike »keineswegs üblich« (ebd., S. 441) gewesen sei, erwähnt jedoch mit keinem Wort Humes Begeisterung für die Leistungen der Antike auf künstlerisch-kulturellem Gebiet. Vgl. dazu auch Anm. 145 dieser Studie. 235

7. Does size really matter? Kultur und Barbarei

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Londoner Arzt John Clephane gerichteten Brief Auskunft: Seine Absicht sei es, die u. a. von Isaak Vossius und Montesquieu vertretene These zu widerlegen, derzufolge die Bevölkerungszahlen der antiken Gesellschaften höher gewesen seien als die der jetzigen Nationen.236 Auf der Suche nach möglichen Einflussparametern, die für die Höhe der Bevölkerungszahl verantwortlich sein könnten, erwägt Hume zunächst die Relevanz von »general« und »particular physical causes« (ES, 378). Doch Abweichungen in der physisch-psychischen Verfasstheit der Menschen, auf die sich Hume mit diesen Formulierungen bezieht, schließt er sogleich als Ursache aus: »Stature and force of body, length of life, even courage and extent of genius, seem hitherto to have been naturally, in all ages, pretty much the same.« (ES, 378) Auch die Bedeutung von markanten Gefahren für Leib und Leben, wie z. B. das Auftreten von Krankheiten und Seuchen, schätzt Hume in dieser Hinsicht eher gering ein. Vielmehr ist er davon überzeugt, dass die Bevölkerungszahl in eben jenem Gemeinwesen am höchsten sein muss, welches allen seinen Bewohnern Gerechtigkeit widerfahren lässt und ihnen die angenehmsten Lebensbedingungen bieten kann. Daher hat jener Staat die meisten Einwohner, in dem »most happiness and virtue, and the wisest institutions« (ES, 382) anzutreffen sind. Ein auf die Bevölkerungszahlen zielender Vergleich von Antike und Moderne muss folglich, so Hume, in erster Linie auf »the domestic and political situation of these two periods«, mit anderen Worten: auf »moral causes« (ES, 383) achten. Und eben in dieser Perspektive gewinnt das Faktum der antiken Form der Sklaverei an Gewicht, die Hume als »[t]he chief difference between the domestic œconomy of the ancients and that of the moderns« (ES, 383) erachtet. Die Betrachtung von Herrschaftsbefugnissen in Antike und Moderne, die er an den Schriften von Sueton, Plutarch, Ovid, Strabon, Varro, Plinius d. Ä., Demosthenes, Isokrates und Aristoteles exemplifiziert, überzeugt Hume schnell von den »severe, […] barbarous manners of ancient times« (ES, 384): Das in der Antike verbreitete Haussklaventum ist für Hume ohne Wenn und Aber verurteilenswert237, da es die »eternal laws of reason and equity« (ES, 384) missachte und einer Menschengruppe auch noch das kleinste Quantum an Freiheit238 verweigert habe:

Vgl. LH I, 140. Wie virulent diese Debatte zu Humes Lebzeiten und auch danach noch war, wird aus dem Umstand ersichtlich, dass die Bedeutung hoher Bevölkerungszahlen für die wirtschaftliche Prosperität vor allem von späteren Theoretikern des Merkantilismus betont wird, so z. B. von Thomas Robert Malthus in An Essay on the Principle of Population von 1798. 237 Neben dem Haussklaventum erschreckt Hume zutieftst der antike (vor allem römische) Umgang mit Sklaven im Rahmen der öffentlichen Schaukämpfe: »The inhuman sports exhibited at ROME, may justly be considered too as an effect of the people’s contempt for slaves, and was also a great cause of the general inhumanity of their princes and rulers. Who can read the accounts of the amphitheatrical entertainments without horror?« (ES, 386). 238 Über die natürliche Gleichheit und Freiheit der Menschen, die allein durch Kultur weiter 236

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IV. Hume und die Antike

[T]o one who considers cooly on the subject it will appear, that human nature, in general, really enjoys more liberty at present, in the most arbitrary government of EUROPE, than it ever did during the most flourishing period of ancient times. […] As much as submission to a petty prince, whose dominions extend not beyond a single city, is more grievous than obedience to a great monarch; so much is domestic slavery more cruel and oppressive than any civil subjection whatsoever. The little humanity, commonly observed in persons, accustomed, from their infancy, to exercise so great authority over their fellow-creatures, and to trample upon human nature, were sufficient alone to disgust us with that unbounded dominion. Nor can a more probable reason be assigned for the severe, I might say, barbarous manners of ancient times, than the practice of domestic slavery; by which every man of rank was rendered a petty tyrant, and educated amidst the flattery, submission, and low debasement of his slaves. (ES, 383)

Die Moderne, so Hume, habe diese Form der Sklaverei weitgehend abgeschafft, wenn auch immer noch abschreckende Beispiele existierten: »The remains which are found of domestic slavery, in the AMERICAN239 colonies, and among some EU-

ausdifferenziert wird, äußert sich Hume auch im Essay Of the Original Contract: »When we consider how nearly equal all men are in their bodily force, and even in their mental powers and faculties, till cultivated by education; we must necessarily allow, that nothing but their own consent could, at first, associate them together, and subject them to any authority.« (ES, 467). 239 Das Gefühl der Überlegenheit, so Hume in der zweiten Enquiry, habe die Europäer dazu veranlasst, den Indianern Nordamerikas wie den Tieren jedes Selbstbestimmungsrecht abzusprechen und sie damit in einen Sklavenstatus (ähnlich wie die Frauen bei vielen Völkern) gedrängt: »The great superiority of civilized EUROPEANS above barbarous INDIANS, tempted us to imagine ourselves on the same footing with regard to them [animals, M. B.], and made us throw off all restraints of justice, and even of humanity, in our treatment of them. In many nations, the female sex are reduced to like slavery, and are rendered incapable of all property, in opposition to their lordly masters.« (E1 3.19; SBN 191) Vgl. dazu Knut Erik Tranöy: »Hume on Morals, Animals and Men«, in: Journal of Philosophy 66 (1959), S. 94–103; Arthur Kuflik: »Hume on Justice to Animals, Indians and Women«, in: Hume Studies 24 (1998), S. 53–70. Dass dieses Überlegenheitsgefühl nicht zuletzt auch religiöse Wurzeln hatte, vermerkt Hume im 48. Kapitel der History, das sich der Person Sir Walter Raleighs widmet: »When the courage and avarice of the Spaniards and Portuguese had discovered so many new worlds, they were resolved to show themselves superior to the barbarous heathens whom they invaded, not only in arts and arms, but also in the justice of the quarrel: they applied to Alexander VI., who then filled the papal chair, and he generously bestowed on the Spaniards the whole western, and on the Portuguese the whole eastern part of the globe.« (HE IV, 316; Kap. 48) Hume unterlässt es in einem späteren Kapitel nicht, die Kolonialpolitik James’ I., »established on the noblest footing that has been known to any age or nation«, gegenüber dem unzivilisierten Verhalten der Spanier abzugrenzen: »The Spaniards, being the first discoverers of the New World, immediately took possession of the precious mines which they found there; and, by the allurement of great riches, they were tempted to depopulate their own country as well as that which they conquered; and added the vice of sloth to those of avidity and barbarity, which had attended their adventures those renowned enterprises.« (HE IV, 395; App. zu Kap. 49) Dem unein-

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ROPEAN nations, would never surely create a desire of rendering it more universal.« (ES, 383) Hume setzt sich nun eingehend mit dem Argument auseinander, dass es gerade die weit verbreitete Sklavenhaltung gewesen sei, die in der Antike zu einer höheren Bevölkerungszahl geführt habe; bei den Berechnungen sei schließlich auch die große Zahl von Sklavenfamilien zu berücksichtigen. Hume weist dieses Argument mit einem Vergleich zurück, für dessen Drastik er sich sogleich entschuldigt: »The comparison is shocking between the management of human creatures and that of cattle; but being extremely just, when applied to the present subject, it may be proper to trace the consequence of it.« (ES, 387) Humes Argumentation möchte nachweisen, dass vor allem wirtschaftliche Überlegungen die Sklavenbesitzer dazu bewogen, durch rigide Verbote die Anzahl der zu versorgenden Sklaven nicht zu sehr in die Höhe schnellen zu lassen. Daher, so Hume, dürfe das Ausmaß der antiken Sklavenfamilien auch nicht überschätzt werden. Sklaverei, so lautet Humes Fazit, ist unter allen Umständen der Wohlfahrt eines Staates abträglich: »All I pretend to infer from these reasonings is, that slavery is in general disadvantageous both to the happiness and populousness of mankind, and that its place is much better supplied by the practice of hired servants.« (ES, 396) Die Antike hat sich nach Humes Ansicht noch eines weiteren, uneingeschränkt verurteilungswürdigen Mittels bedient, um sowohl die Zahl des eigenen als auch des fremden Nachwuchses gering zu halten, und zwar des Aussetzens der Nachkommenschaft: This practice was very common; and is not spoken of by any author of those times with the horror it deserves, or scarcely even with disapprobation. PLUTARCH, the humane, goodnatured PLUTARCH, mentions it as a merit in ATTALUS, king of PERGAMUS, that he murdered, or, if you will, exposed all his own children, in order to leave his crown to the son of his brother […]. It was SOLON, the most celebrated of the sages of GREECE, that gave parents permission by law to kill their children. (ES, 398)

In der Moderne, so betont Hume, sei die Sitte, den Nachwuchs auszusetzen, nur noch in China anzutreffen, das gegenwärtig auch als das bevölkerungsreichste Land geschränkten Herrschaftsanspruch in den Kolonien steht als Kontrast der von Hume im 26. Kapitel der History dargelegte zunehmende wirtschaftliche und politische Fortschritt in den europäischen Staaten entgegen, der aus den Entdeckungen Kolumbus’ und da Gamas resultierte: »The enlargement of commerce and navigation increased industry and the arts everywhere; […] in all places the condition of the people, from the depression of the petty tyrants by whom they had formerly been oppressed rather than governed, received great improvement; and they acquired, if not entire liberty, at least the most considerable advantages of it.« (HE II, 599; Kap. 26) Zum Bild des Indianers im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. V. G. Kiernan: »Noble and ignoble savages«, in: G. S. Rousseau/Roy Porter (Hg.): Exoticism in the Enlightenment, Manchester 1990, S. 86–116.

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IV. Hume und die Antike

gelte.240 Humes Verurteilung dieser »barbarous practice of the ancients« (ES, 399)241 zeigt hier sein aus moralischer Perspektive gefälltes Werturteil und sein normatives, nicht weiter erläutertes Kulturverständnis, das in der Auseinandersetzung mit kulturspezifischen Gebräuchen spezielle emotionale Reaktionen gebieterisch einfordert (»the horror it deserves«) und keine Relativierung, etwa durch den Hinweis auf ihre weite Verbreitung (»This practice was very common«), zulässt. Hier zieht sich Hume auf ein nicht weiter expliziertes, aber offenbar für immerfort gültig befundenes Beurteilungskriterium zurück, das diese Sitte als »barbarous« qualifiziert. Damit bringt er den von den Griechen geprägten Begriff, mit dem diese sich gegen ihre nicht-griechischen Nachbarn abzugrenzen versuchten, als Tadel gegen ihre Urheber (und gegen die Römer, die diesen Ausdruck ebenfalls verwendeten) in Stellung. Wie in Kürze noch zu zeigen sein wird, ist Humes Verwendung des Ausdrucks »barbarous« freilich nicht auf eine bestimmte Epoche begrenzt; dieser kann sowohl individuelle als auch kollektive Verhaltensweisen in der Antike und der Moderne bezeichnen, deren Spannbreite von bloßer Illiterarität bis hin zu gewalttätigen Exzessen reicht.

b) Von der überschaubaren Gemeinschaft zur modernen Großstadt Zum Abschluss seiner Untersuchung von »domestic life and manners« in Antike und Moderne kommt Hume zu dem Ergebnis: »[I]n the main, we seem rather superior, so far as the present question is concerned […].« (ES, 400) Die in dieser Formulierung angesprochene Vorläufigkeit des Ergebnisses erklärt sich daraus, dass Hume sich nach der Betrachtung des häuslichen Zusammenlebens ja noch mit den »political customs and institutions of both ages« (ebd.) auseinandersetzen, also quasi von der Mikro- zur Makroebene der Analyse wechseln will. Wie im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences findet auch in diesem Essay das die Antike lange Zeit dominierende Bild eines Nebeneinanders von überschaubaren, staatlich organisierten Gesellschaften Humes uneingeschränkte Zustimmung: Before the encrease of the ROMAN power, or rather till its full establishment, almost all the nations, which are the scene of ancient history, were divided into small territories or petty commonwealths, where of course a great equality of fortune prevailed, and the center of the government was always very near its frontiers. This was the situation of affairs not only in GREECE and ITALY, but also in SPAIN, GAUL, GERMANY, 240 Diesen Aspekt hatte Hume bereits in den Early Memoranda bedacht: »Perhaps the Custom of allowing Parents to murder their Infant Children, tho barbarous, tends to render a State Populous, as in China.« (EM, 503). 241 Eine Verurteilung der Gewohnheit des Aussetzens von Kindern findet sich auch in der zweiten Enquiry (E2 A Dialogue, 13; SBN 328).

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AFRIC, and a great part of LESSER ASIA: And it must be owned, that no institution

could be more favourable to the propagation of mankind. (ES, 401)

In Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences hatte Hume das erfolgreiche Zusammenspiel von Wettkampfgeist und Überschaubarkeit der griechischen Stadtstaaten, vor allem in kultureller Hinsicht, beschrieben. In Of the Populousness of Ancient Nations streicht Hume nun als Vorteil dieser Gemeinschaften (und damit bezieht er sich, wie oben gezeigt, nicht nur auf das antike Griechenland) vor allem ihre Eigenschaft heraus, den Einwohnern ein optimales Versorgungs- und Kontrollsystem bieten zu können, das in dieser Form in den großen Massenstädten der Moderne nicht möglich ist: Enormous cities are, besides, destructive to society, beget vice and disorder of all kinds, starve the remoter provinces, and even starve themselves, by the prices to which they raise all provisions. Where each man had its little house and field to himself, and each county had its capital, free and independent; what a happy situation of mankind! (ES, 401)

Mit dieser hier gezeichneten ›pastoralen Szene‹ eines vor allem agrarisch geprägten, übersichtlichen und sich selbst versorgenden Gemeinwesens (das auf »equality of fortune« [ES, 401] basiert) entwirft Hume ein durchaus im wörtlichen Sinne zu verstehendes ›gesundes‹ Gegenbild zu den ausufernden Tableaus der im 18. Jahrhundert beschleunigt wachsenden europäischen Metropolen, darunter natürlich besonders die Hauptstädte Paris und London.242 Solche Städte, die Hume hier offenbar im Sinn hat, erscheinen ihm wie Organismen, die unter der hypertrophen Bevölkerungszunahme sowohl in moralischer als auch in ökonomischer Hinsicht zu leiden haben. Allein die Bevölkerungszahlen der Länder stiegen zwischen 1700 und 1800 in England von ca. 4,5 Mill. auf ca. 10 Mill., in Frankreich während des gleichen Zeitraums von ca. 16 Mill. auf ca. 25 Mill. (vgl. Der große Ploetz, 32. neubearb. Aufl. Darmstadt 1998, S. 652). Vgl. auch die Zahlen bei Pierre Chaunu (Europäische Kultur im Zeitalter des Barock, Frankfurt a. M. 1989, frz. Paris 1966), der für London zwischen den Jahren 1700 und 1800 eine Zunahme der Bevölkerung von 400.000 auf 850.000 Einwohner angibt (S. 773); Paris habe mit 300.000 Einwohnern ihre führende Stellung als größte europäische Hauptstadt schon um 1675 an London mit seinen 400.000 Einwohnern abgegeben. Zur demographischen Entwicklung des 17. und 18. Jahrhunderts in Europa, China und Japan s. besonders Kap. 5: »Der Raum und die Menschen« (S. 227–318). Roger Emerson weist für Schottland eine Bevölkerungszunahme von 1,1 Mill. auf 1,63 Mill. in der Zeit von 1700 bis 1801 aus (»The contexts of the Scottish Enlightenment«, in: Alexander Broadie [Hg.]: The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment, Cambridge 2003, S. 9–30, hier S. 10). Der durch argrarische Ressourcenknappheit hervorgerufene Mobilitätszwang habe neben einer Zunahme von Auswanderern (vor allem nach Amerika) auch zu einer steigenden Zahl von Stadtbewohnern geführt. So habe sich die Zahl der Einwohner Aberdeens zwischen 1700 und 1750 von 10.000 auf 22.000 mehr als verdoppelt; in Glasgow sei die Einwohnerzahl zwischen 1700 und 1800 von 12.000 auf 80.000 angewachsen (S. 21 f.). 242

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IV. Hume und die Antike

Eine ›gesundes‹ Gemeinwesen stellt hingegen seine wirtschaftliche Autarkie unter Beweis; außerdem gehören »division of power and authority« (ebd.) zu seinen Kennzeichen. Im Gegensatz dazu muss Hume den modernen Gesellschaften in punkto ›Freiheit‹ ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Denn Europa bestehe nun allein aus einer Ansammlung großer Monarchien und kleinerer Fürstentümer, deren »absolute princes« (ES, 402) den Beispielen der Monarchen nachstrebten und damit ihr Volk in den Ruin trieben. Doch Hume kennt unter den gegenwärtigen Staaten auch rühmliche, weil seinem Ideal der Antike nahekommende Ausnahmen: SWISSERLAND alone and HOLLAND resemble the ancient republics; and though the

former is far from possessing any advantage either of soil, climate, or commerce, yet the numbers of people, with which it abounds, notwithstanding their enlisting themselves into every service in EUROPE, prove sufficiently the advantages of their political institutions. (ES, 403)243

Es gibt für Hume also (hier am Vergleich der Schweiz mit Holland exemplifiziert) keinen notwendigen Zusammenhang zwischen geographischen Vorteilen und der politischen Verfasstheit eines Staates. Aber so nachdrücklich Hume auch die vorteilhaften Aspekte der kleineren antiken Gemeinwesen hervorhebt, so entscheidend weist er auch auf ihre Makel hin: We may observe, that the ancient republics were almost in perpetual war, a natural effect of their martial spirit, their love of liberty, their mutual emulation, and that hatred which generally prevails among nations that live in close neighbourhood. Now, war in a small state is much more destructive than in a great one; both because all the inhabitants, in the former case, must serve in the armies; and because the whole state is frontier, and is all exposed to the inroads of the enemy. (ES, 404)

c) Rohe Sitten und grobschlächtiges Handwerk der Antike oder Der (fragile) Vorsprung der Moderne Wie bereits an ähnlich lautenden Passagen anderer Essays und auch der History gezeigt werden konnte (vgl. S. 177 der vorliegenden Arbeit), richtet sich auch hier Humes Kritik gegen das auf das Politische übergreifende agonale Prinzip der Antike, das nach 243 Holland dient Hume auch im Essay Idea of a Perfect Commonwealth (vgl. ES, 526) als Vorbild eines Gemeinwesens, das mit seinen politischen Institutionen vor allem wirtschaftlich ungemein erfolgreich ist, obwohl, wie Hume an anderer Stelle bemerkt, dieser Erfolg weniger ein Ergebnis der profitablen Verarbeitung eigener Rohstoffe ist, sondern mehr auf Handelstätigkeit beruht; die Holländer seien »the brokers, the factors, and carriers of others.« (ES, 330).

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Humes Darstellung keine rechtliche Verbindlichkeit habe gelten lassen und in seinen Auswüchsen maßlos gewesen sei.244 Im Gegensatz zu den Kriegen der modernen Zeit hätten sich die kämpferischen Auseinandersetzungen der Antike als weitaus ruinöser für alle Beteiligten erwiesen, und zwar aus folgenden Gründen: So sei z. B. die völlige Zerstörung und Plünderung (»distribution of plunder«, [ES, 404]) der eroberten Städte weit verbreitet gewesen. Das entscheidende Kennzeichen der Kriege der Antike besteht für Hume jedoch in ihrer Grausamkeit: Die Kämpfe gestalteten sich »much more bloody« und erreichten, wie Hume vermerkt, ein »degree of fury quite unknown to later ages.« (ES, 405) Auch die Berichte, nach denen sich die Bewohner von belagerten Städten lieber selbst töteten, als in die Hände der Angreifer zu fallen, ist für Hume ein Beleg für die Grausamkeit dieser Gefechte. Doch nicht nur die Sitten des antiken Krieges werden von Hume kritisiert: [I]t appears that ancient manners were more unfavourable than the modern, not only in times of war, but also in those of peace; and that too in every respect, except the love of civil liberty and of equality, which is, I own, of considerable importance. (ES, 406)

Hume fährt fort, mit Bezug auf antike Quellen wie z. B. Thukydides, Lysias, Cicero, Appian, Caesar, Plutarch, Diodorus Siculus und Titus Livius, das gewalttätige innenpolitische Kräftemessen vor allem in Griechenland zu schildern. Die dort an den Tag gelegte Rohheit der Griechen vertrage sich jedoch in keiner Weise, wie Hume erstaunt vermerkt, mit ihrer Selbstwahrnehmung: If such was the disposition of men’s minds among that refined people, what may be expected in the commonwealths of ITALY, AFRIC, SPAIN, and GAUL, which were denominated barbarous? Why otherwise did the GREEKS so much value themselves on their humanity, gentleness, and moderation, above all other nations? (ES, 413)

Humes Urteil über die Römer fällt aber keineswegs besser aus, denn auch die später von diesen unternommenen Versuche der Gesetzgebung, wenngleich an sich begrüßenswert, seien nicht uneingeschränkt erfolgreich gewesen und hätten blutige innenpolitische Auseinandersetzungen nicht verhindern können, da die bestehenden Gesetze es nicht vermochten, sich zu einem starken, belastbaren Gerüst für das Zusammenleben zu entwickeln. Hingegen habe die Moderne einen wirklichen Fortschritt erreicht, weil sich die heutigen Gesellschaften an der Verbindlichkeit von Gesetzen orientierten:

244 Für Henry Home, Lord Kames, ist diese Grausamkeit ein hinreichender Beweis für die generelle Unterlegenheit der Antike gegenüber der Moderne. Vgl. dazu George W. Stocking: »Scotland as the Model of Mankind: Lord Kames’ Philosophical View of Civilization«, in: Timothy H. H. Thoresen (Hg.): Toward a Science of Man. Essays in the History of Anthropology, The Hague 1975, S. 65–89, hier S. 75.

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IV. Hume und die Antike

At present, there is not one republic in EUROPE, from one extremity of it to the other, that is not remarkable for justice, lenity, and stability, equal to, or even beyond MARSEILLES, RHODES, or the most celebrated in antiquity. Almost all of them are welltempered Aristocracies. (ES, 416)

In einem weiteren Punkt sieht Hume die Antike der Moderne unterlegen, und das ist der Bereich des Handels und des Handwerks: »Trade, manufactures, industry, were no where, in former ages, so flourishing as they are at present at EUROPE.« (ES, 416) Eine nennenswerte Entwicklung des Handwerks in der Antike hätte Hume bei diesen instabilen Herrschaftsverhältnissen auch gar nicht erwartet: »The barbarity of the ancient tyrants, together with the extreme love of liberty, which animated those ages, must have banished every merchant and manufacturer, and have quite depopulated the state, had it subsisted upon industry and commerce.« (ES, 419) Vor allem die Erweiterung des technischen, machtpolitischen und ökonomischen Horizonts macht die Moderne gegenüber der Antike so überlegen, verwickelt sie aber zugleich auch in neue Abhängigkeiten: Our superior skill in mechanics; the discovery of new worlds, by which commerce has been so much enlarged; the establishment of posts; and the use of bills of exchange: These seem all extremely useful to the encouragement of art, industry, and populousness. Were we to strike off these, what a check should we give to every kind of business and labour, and what multitudes of families would immediately perish from want and hunger? And it seems not probable, that we could supply the place of these new inventions by any other regulation or institution. (ES, 420)

Diese Passage gehört zu den raren Beispielen Humescher Reflexionen über die Fragilität des bisher in der Kultur Erreichten. Hier halten seine Überlegungen zu den Vorzügen kultureller Errungenschaften der Moderne245 für einen Moment inne, um sich Klarheit über die Bedeutung ihres Besitzes und die möglichen Folgen ihres Verlustes zu verschaffen. Die für einen kurzen Augenblick sichtbar werdende Überzeugung Humes, nach der das kulturelle Niveau der Moderne auf ihren technischen, nautischen und ökonomischen Errungenschaften gründet, ruft an dieser Stelle keine bloß selbstgewisse und von sämtlichen Bedenken gereinigte Zufriedenheit mit dem von der europäischen Tradition Erreichten hervor. Statt dessen verleiht das Gedankenspiel des plötzlichen Verschwindens dieses kulturellen Besitzes den Humeschen Reflexio-

245 In der Querelle des Anciens et des Modernes war es besonders Charles Perrault, der nicht nur – wie Hume – die Moderne auf den Gebieten des Handwerks und der Technik gegenüber der Antike als überlegen ansah, sondern diese Überlegenheit auch für die moderne Kunst reklamierte. Vgl. dazu v. a.: Charles Perrault: Parallèle des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les Arts et les Sciences, Tome I, Paris 1688 (reprint: München 1964), S. 86–90.

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nen eine Tönung, die zugleich ein gewisses Erschrecken über die Abhängigkeit der Moderne von diesen Errungenschaften erkennen lässt.246 Blickt man zum Vergleich auf Humes Skepsis am Ende des ersten Buchs des Treatise, so muss man feststellen, das diese mit der soeben konstatierten Irritation ob der möglichen Brüchigkeit des kulturell Erreichten kaum etwas gemein hat: Denn wo nach Humes eigenen Worten dem erkenntnistheoretisch fundierten Zweifel umgehend ein Gegenspieler in Gestalt der Gewohnheit (›custom‹)247 erwächst, die den Menschen immer wieder zum Glauben an die Existenz der Außenwelt und ihrer Gesetzmäßigkeiten zwingt (vgl. T 1.4.7.9 f.; SBN 269), da lässt sich die Furcht vor dem möglichen Verlust schon sicher geglaubter kultureller Errungenschaften nicht einfach beruhigen. Denn es ist ja gerade Humes aus der Beschäftigung mit der Geschichte248 gewonnene Einsicht in die regelmäßige Wiederkehr nationaler Krisen, welche, durch zwischenstaatliche Konflikte und/oder instabile politische Verhältnisse hervorgerufen, Wie das Projekt der Aufklärung die durch sie hervorgerufenen Ängste und Befürchtungen der Menschen zu bekämpfen suchte, arbeitet Christian Begemann vor allem an der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts heraus: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung. Zu Literatur und Bewußtseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1987 (zugl. Diss. München 1985). Donald Livingston interpretiert die soziale Welt bei Hume als »an order of passion and thought, and of the reflective passions and thoughts men have about that order. Physical objects are, strictly speaking, not part of the social world. They become part of it only when they take on meaning to someone, that is, only when they become an object of some passion.« (Hume’s Philosophy of Common Life, Chicago 1984, S. 218). Dieser weitestgehende Ausschluss des Materiellen wird dem Humeschen Denken jedoch nicht gerecht: Hume bindet die Existenz zahlreicher sozial relevanter Leidenschaften (wie z. B. Stolz, Niedergedrücktheit, Habsucht, Neid) ja gerade an das Vorhandensein von belebten und unbelebten Gegenständen, auf die sich diese Leidenschaften beziehen. Die mit der Formulierung ›only when they take on meaning to someone‹ suggerierte Seltenheit ist für Hume in Wirklichkeit die Regel. Das zeigt sich beispielsweise zu Beginn des 2. Buches des Treatise, wo neben den eigenen geistigen und körperlichen Eigenschaften auch »country, family, children, relations, riches, houses, gardens, horses, dogs, cloaths« (T 2.1.2.5; SBN 279) als mögliche Ursachen des Stolzes benannt werden. Zur Bedeutung des Materiellen vgl. auch Anm. 15 dieser Arbeit. 247 Joao Paulo Monteiro gibt zu bedenken, dass der Begriff ›Gewohnheit‹ bei Hume strenggenommen ein theoretischer, aber kein empirischer Begriff sei: »Habit is not itself an observable – only repetition can thus be characterized.« (»Hume’s Conception of Science«, in: Journal of the History of Philosophy 19 [1981], S. 327–342, hier, S. 330). 248 Zum Vorwurf gegen Hume, er arbeite als Historiker nicht quellenkritisch genug, vgl. William Hunt: »Hume and Modern Historians«, in: A. W. Ward/A. R. Waller (Hg.): The Cambridge History of English Literature, Bd. 10: The Age of Johnson, Cambridge 1913, S. 279–296, hier S. 284 f., sowie Paul H. Meyer: »Voltaire and Hume as Historians. A Comparative Study of ›Essai sur les moeurs‹ and the ›History of England‹«, in: Publications of the Modern Language Association of America (= PMLA) 73 (1958), S. 51–68, hier S. 53. Dagegen argumentiert Ronald M. Stromberg (mit Blick auf Voltaire und Hume): »[T]he defects of their histories are really the result of other shortcomings, philosophic rather than technical. […] It was inevitable that the historians should not come to history with clean hands, but should have in their heads a framework already established, a picture of human nature not as it is but as it ought to be.« (»History in the Eighteenth Century«, in: Journal of the History of Ideas 12 [1951], S. 295–304, hier S. 298 ff.). 246

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IV. Hume und die Antike

nicht selten mit der Erfahrung des Verfalls von Künsten und Wissenschaften einhergehen und so die Fragilität von Kultur vor Augen führen.249

d) Unzuverlässige Historiker und die Verklärung der Vergangenheit Hume ist darum bemüht, nach Abwägung der einzelnen Argumente nun eine abschließende Beantwortung der diesen Essay leitenden Frage zu liefern, ob denn nun in der Antike oder in der Moderne die Bevölkerungszahl höher gewesen sei: Thus, upon comparing the whole, it seems impossible to assign any just reason, why the world should have been more populous in ancient than in modern times. The equality of property among the ancients, liberty, and the small divisions of their states, were indeed circumstances favourable to the propagation of mankind: But their wars were more bloody and destructive, their governments more factious and unsettled, commerce and manufactures more feeble and languishing, and the general police more loose and irregular. These latter disadvantages seem to form a sufficient counterbalance to the former advantages; and rather favour the opposite opinion to that which commonly prevails with regard to this subject. (ES, 420)

An dieser Schlussfolgerung wird nochmals Humes methodisches Prozedere in aller Deutlichkeit sichtbar: Seine vergleichende Demographie operiert nicht mit absoluten Zahlen, sondern konzentriert sich auf die Abwägung der für die Prosperität eines Gemeinwesens als relevant erachteten kulturellen Faktoren. Darum dirigiert Hume die Aufmerksamkeit seiner Leser in eine neue Richtung und führt sie weg von einer zunächst zu erwartenden quantitativen hin zu einer qualitativen Betrachtungsweise, die die Überlegenheit der modernen über die antike Kultur erweisen soll. Die Vernachlässigung der quantitativen Analyse hat einen guten Grund. Denn, so gibt Hume zu verstehen, die Frage nach dem Umfang der Bevölkerung lasse sich kalkulatorisch gar nicht entscheiden, da die antike Quellenlage nur unzureichende Auch in einem Brief an Turgot vom 16. Juni 1768 verleiht Hume seiner Überzeugung Ausdruck, dass er die Gefahr politischer Instabilität, die sich negativ auf Künste und Wissenschaften auswirken kann, auch im 18. Jahrhundert nicht als gebannt ansieht: »I know you are one of those, who entertain the agreeable and laudable, if not too sanguine hope, that human Society is capable of perpetual Progress towards Perfection, that the Encrease of Knowledge will still prove favourable to good government, and that since the Discovery of Printing we need no longer dread the usual Returns of Barbarism and Ignorance. Pray, do not the late Events in this Country appear a little bit contrary to your system? […] I mention not the Disturbances arising from foreign Wars, an incurable Evil, which often springs from the greatest & most unexpected absurdity, and discourages every Project for serving or improving human Society. You see, I give you freely my Views of things, in which I wish earnestly to be refuted: The contrary Opinion is much more consolatory, and is an Incitement to every Virtue and laudable Pursuit.« (LH II, 180 f.). 249

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Angaben biete: »The facts, delivered by ancient authors, are either so uncertain or so imperfect as to afford us nothing positive in this matter. […] It is to be remarked, that all kinds of numbers are uncertain in ancient manuscripts, and have been subject to much greater corruptions than any other part of the text […].« (ES, 421) Und zum Beweis dieser Behauptung überprüft Hume auf den restlichen Seiten des Essays die Zahlenangaben, die er den Werken Diodorus Siculus’, Theokrits, Polybios’, Appians, Plutarchs und zahlreicher anderer entnimmt, um diese Autoren als zwar mitreißend formulierende, jedoch wenig zuverlässige Gewährsmänner zu entlarven (vgl. ES, 421– 464). Die hierzu in Kontrast stehende Sorgfalt der modernen Historiker ist nach Hume jedoch nicht auf Veränderungen in der menschlichen Natur zurückzuführen, sondern als Folge einer neuzeitlichen Erfindung zu betrachten: In einer Anmerkung mutmaßt Hume, dass erst die schnelle Verbreitung des Buchdrucks250 der Historikerzunft das notwendige Forschungsmittel und -korrektiv an die Hand gegeben habe: In general, there is more candour and sincerity in ancient historians, but less exactness and care, than in the moderns. […] [T]he commonness of books, by means of printing, has obliged modern historians to be more careful in avoiding contradictions and incongruities. […] PLUTARCH and APPIAN seem scarce ever to have read CICERO’S epistles. (ES, 422)

Der Neigung, die Vergangenheit im Unterschied zur Gegenwart in einem vorteilhafteren Licht erscheinen zu lassen, seien auch urteilskräftige Historiker der Antike, wie z. B. Diodorus Siculus, erlegen, wofür man sie jedoch nicht anklagen dürfe, da der Hang zur Verklärung der Vergangenheit anthropologisch zu begründen sei: »The humour of blaming the present, and admiring the past, is strongly rooted in human nature, and has an influence even on persons endued with the profoundest judgment and most extensive learning.« (ES, 464) Die Überzeugung, dass der Vergangenheit Im Gegensatz zur vernünftig abwägenden Reflexion über die Vertrauenswürdigkeit historiographischer Dokumente, die durch die Erfindung des Buchdrucks, so Hume, massiv gefördert worden sei, sei mit Blick auf die Entwicklungen während der Reformationszeit ein anderer Effekt zu beobachten gewesen: Der Buchdruck habe weniger auf die Reflexion, sondern auf die Affekte stimulierend gewirkt: »The quick and surprising progress of this bold sect may justly in part be ascribed to the late invention of printing and revival of learning. Not that reason bore any considerable share in opening men’ eyes with regard to the impostures of the Romish church; […] neither is there any instance that argument has ever been able to free people from that enormous load of absurdity with which superstition has everywhere overwhelmed them; not to mention that the rapid advance of the Lutheran doctrine, and the violence with which it was embraced, proved sufficiently that it owed not its success to reason and reflection. The art of printing and the revival of learning forwarded its progress in another manner. By means of that art, the books of Luther and his sectaries, full of vehemence, declamation, and a rude eloquence, were propagated more quickly and in greater numbers. The minds of men, somewhat awakened from a profound sleep of so many centuries, were prepared for every novelty, and scrupled less to tread in any unusual path which was opened to them.« (HE III, 39 f., Kap. 29). 250

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IV. Hume und die Antike

(genauer: ihren kulturellen Produkten) zumeist mit größerer Achtung begegnet wird, hatte Hume bereits im 2. Buch des Treatise protokolliert. Denn obwohl unsere Aufmerksamkeit im Alltagsleben eher von zeitlich und räumlich Naheliegendem gefangengenommen werde, sei dennoch das Entfernte in der Lage, unsere Bewunderung zu erregen, da die Überbrückung von Zeit und Raum mit Hilfe der Vorstellungskraft in uns Gefühle der Achtung vor dem Fernen wecke, wobei wiederum dem zeitlichen Abstand der Vorrang vor dem räumlichen Abstand einzuräumen sei: Antient busts and inscriptions are more valu’d than Japan tables: And not to mention the Greeks and Romans, ’tis certain we regard with more veneration the Chaldeans and Egyptians, than the modern Chinese and Persians, and bestow more fruitless pains to clear up the history and chronology of the former, than it wou’d cost us to make a voyage, and be certainly inform’d of the character, learning and government of the latter. (T 2.3.8.3; SBN 433) [T]his is the reason why all the relicts of antiquity are so precious in our eyes, and appear more valuable than what is brought even from the remotest parts of the world. (T 2.3.8.10; SBN 436)

Humes Analyse ist sich also der Gefahr einer verklärenden Betrachtung der Vergangenheit durchaus bewusst; gerade deshalb ist es Hume wichtig, auch auf die aus seiner Sicht verurteilungswürdigen Aspekte eben der Antike hinzuweisen.

e) Of the Populousness of Ancient Nations und sein Pendant Der Essay Of the Populousness of Ancient Nations kann in gewissem Sinne als das Gegenstück zu Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences betrachtet werden. Beide Arbeiten nehmen spezifische Aspekte der griechischen und römischen Kultur in den Blick, und zwar mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Das komplexe Bild der griechisch-römischen Antike mit ihren Vorzügen und Unzulänglichkeiten wird aber erst dann sichtbar, wenn die Parallellektüre das Spannungsverhältnis beider Essays aufdeckt. Dabei fällt auf, dass Hume diese beiden Schriften nicht miteinander ›kommunizieren‹ lässt und die später erschienene jede Bezugnahme auf die frühere vermeidet.251 So schweigt sich Humes Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, der die politisch günstigen Bedingungen für die Entwicklung von Kunst und Wissenschaften herausarbeiten will (und in dem das antike Griechenland durchaus eine Vorbildfunktion einnimmt), über die später beklagten innenpolitischen Gewalttätigkeiten aus.

Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences erschien zuerst 1742, Of the Populousness of Ancient Nations wurde zuerst 1752 veröffentlicht. 251

7. Does size really matter? Kultur und Barbarei

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Auf der anderen Seite bekräftigt Hume in Of the Populousness of Ancient Nations nachdrücklich seine Ablehnung des agonalen Prinzips im politischen Feld, ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass es ja gerade dieses Prinzip war, das er in Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences zum wichtigsten Anreiz künstlerischer und wissenschaftlicher Betätigung bei den Griechen erklärt hatte. Aus diesem Grund muss eine Bewertung der Humeschen Ansichten zur Antike zuvor klären, ob sie sich auf ihre rein politischen Aspekte konzentrieren will (aus dieser Perspektive betrachtet wertet Hume die Antike als eine erfreulicherweise überwundene geschichtliche Etappe ab), oder ob sie ihre Leistungen auf künstlerisch-intellektuellem Gebiet würdigen möchte (in diesem Falle bleibt für ihn die Antike ein unüberbietbares Vorbild). Wird der Blick jedoch auf das jeweils erreichte Niveau von Wissenschaft und Technik gerichtet, so hat die Moderne freilich die Antike überrundet. Unabhängig davon, welchen dieser Schwerpunkte man mit Hume bei der Betrachtung der Antike fokussiert, wird folgendes Verfahren augenfällig: In den hier zur Diskussion stehenden Essays (dieser Sachverhalt ließe sich aber auch an den anderen Essays zeigen) gibt er das noch im Treatise praktizierte systematische Vorgehen im Sinne einer Vernetzung der einzelnen Aspekte auf, und lässt diese Schriften – ohne weitere Verweise einzufügen – unverbunden nebeneinander stehen. Dies ist jedoch weniger ein Zeichen von Nachlässigkeit (Hume nahm in seiner gesamten Schaffensphase seine Schriften regelmäßig zur Hand, um neue Korrekturen vorzunehmen), sondern mutmaßlich seinem Verständnis der Gattung ›Essay‹ geschuldet, das er in seiner 1742 publizierten Schrift Of Essay-Writing genauer darlegt. Hume betrachtet die literarische Form des Essays als die ideale Kombination aus gelehrter Abhandlung der Spezialisten und der Konversation gebildeter Kreise.252 252 Zugleich weist sich Hume selbst die Rolle des Botschafters zu, der zwischen der Welt der Gelehrsamkeit und der der Konversation vermittelt: »I shall give Intelligence to the Learned of whatever passes in Company, and shall endeavour to import into Company whatever Commodities I find in my native Country proper for their Use and Entertainment. The Balance of Trade we need not be jealous of, nor will there be any Difficulty to preserve it on both Sides. The Materials of this commerce must chiefly be furnish’d by Conversation and common Life: The manufacturing of them alone belongs to Learning.« (ES, 535) Hinter eben dieser Formulierung der gelehrten ›Verarbeitung‹ der gewöhnlichen Welt, so Giancarlo Carabelli, verberge sich Humes Verständnis von ›Kultur‹: »Hume defines culture with a positive connotation, as ›manufacture‹ […].« (On Hume and Eighteenth-Century Aesthetics. The Philosopher on a Swing, New York 1995, S. 44). Indem Carrabelli das Verhältnis von ›Company‹ und ›the Learned‹ in dasjenige von »society and culture« (ebd., S. 71) übersetzt, reduziert er unzulässigerweise Humes Kulturverständnis auf die bloße Hochschätzung von Gelehrsamkeit. Damit blendet er aber alle die von Hume ebenfalls zur Kultur gerechneten Facetten des ›common Life‹ aus, die die ›Nachtseiten‹ menschlichen Lebens zeigen: So ist auch beispielsweise der für Hume freilich wenig erbauliche Gedanke an die historischen Phasen der Überfeinerung einer Kultur (vgl. ES, 196) Teil seines Kulturverständnisses. Zur Selbststilisierung Humes als ›Botschafters zwischen den Welten‹ vgl. auch Ralph S. Pomeroy: »Hume’s Proposed League of the Learned and Conversible Worlds«, in: Eighteenth-Century Studies 19 (1985), S. 373–395.

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IV. Hume und die Antike

Wie im Essay, so müsse es das Ziel aller Gebildeten sein, auch den Gehalt der Konversation nicht auf »gossipping Stories« (ES, 534) zu beschränken; hierzu könne der wiederholte Bezug auf »History, Poetry, Politics, and the more obvious Principles, at least, of Philosophy« (ebd.) dienen. Zugleich aber sei der in den »Colleges and Cells« (ebd.) gepflegte Stil des Ausdrucks zu vermeiden und statt dessen »Liberty and Facility of Thought and Expression« anzustreben, »which can only be acquir’d by Conversation.« (ebd.) Diese Forderung nach Freiheit und Leichtigkeit der Gedanken und des Ausdrucks, so ließe sich argumentieren, schlägt sich auch in seinen Essays nieder, insofern sie eben keine erschöpfende Behandlung des jeweiligen Gegenstands zu geben beanspruchen; zudem treten sie als in sich abgeschlossene Arbeiten auf, ohne auch nur mit einer Zeile auf eine darüber hinausgehende Systematik zu verweisen.253

f ) Humes vergleichende Bewertung der Griechen und Römer Wer mit Blick auf diese spezifische Choreographie der Humeschen Essays die Frage zu beantworten sucht, wie Hume die griechische und die römische Antike in ihrem Verhältnis zueinander bewertet, muss berücksichtigen, dass der Autor seine Perspektiven häufig wechselt. Wenn er beispielsweise die gewalttätigen Auseinandersetzungen betrachtet, die sich zwischen den Anhängern rivalisierender Parteien in Griechenland und Rom abspielten, so vermag er zwischen beiden keinen Unterschied zu entdecken: »The maxims of ancient politics contain, in general, so little humanity and moderation, that it seems superflous to give any particular reason for the acts of violence committed at any particular period.« (ES, 414) Jedoch trennt er scharf zwischen Griechen und Römern, sobald es um die Einschätzung der jeweiligen künstlerischen Fähigkeiten geht: »[A]ncient ROME, though it received all its refinements from GREECE, could attain only to a relish for statuary, painting and architecture, without reaching the practice of these arts.« (ES, 106) Vor allem gegen Ende ihres Imperiums sei das künstlerische Niveau auf den Nullpunkt herabgesunken. Und obwohl Hume in den Early Memoranda (soweit diese kurzen Notizen einen solch weitreichenden Schluss rechtfertigen) von der Menschlichkeit der Römer überzeugt zu sein scheint (»Notwithstanding the Cruelty of the gladiatorian Spectacles, the Romans show many signs of Humanity.« [EM, 500]), so teilen doch seine folgenden Arbeiten offenbar diese Einschätzung nicht mehr. Im Gegenteil: Besonders der Essay Of the Populousness of Ancient Nations spricht den Römern oft jede Menschlichkeit ab (vgl. ES, 386 und 397). Zur charakteristischen Struktur der meisten der Humeschen Essays, gegenläufige, auf einen spezifischen Sachverhalt gerichtete Perspektiven zu synthetisieren, vgl. Giancarlo Carabelli: On Hume and Eighteenth-Century Aesthetics. The Philosopher on a Swing, New York 1995, S. 32 f. 253

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Zwar können auch die Griechen aus Humescher Sicht nicht als Vorbild für ›humanity‹ gelten, jedoch wird trotz aller Kritik ihren Künstlern und Gelehrten das Verdienst zugebilligt, innerhalb des von ihnen gestalteten Bereichs der Kultur Maßstäbe gesetzt zu haben, an denen sich auch das 18. Jahrhundert noch orientiert. Bis auf wenige Ausnahmen versagt Hume den Menschen der römischen Antike eine vergleichbare Anerkennung. Aus diesen Gründen führt ein Vergleich der Humeschen Beurteilungen Griechenlands und Roms, der die wechselnden Perspektiven in Rechnung stellt, zu dem Schluss, dass Hume die griechische Antike gegenüber der römischen höher schätzt. Die griechische Antike überzeugt Hume durch ihre von den Römern nicht mehr erreichte, geschweige denn übertroffene, künstlerisch-intellektuelle Vitalität, deren zugrundeliegendes Prinzip, der agon, sich aber nolens volens auch in der Politik bemerkbar macht. So sehr Hume die Antike nun als (stets kritisch zu überprüfende) Orientierungshilfe betrachtet, so deutlich tritt ihm auch die Distanz ins Bewusstsein, die zwischen ihr und der Moderne liegt. Ein Beispiel: In einem Brief vom 4. Oktober 1746 unterrichtet der schottische Philosoph seinen Bruder John Home of Ninewells über eine, so Hume, tragische Begebenheit. Denn Hume, der im September des gleichen Jahres für kurze Zeit den Posten eines Kriegsgerichtsrats innehat und in dieser Funktion eine (letzten Endes gescheiterte) Militärexpedition begleitet, deren Ziel es ist, französische Handelsstützpunkte in der Bretagne anzugreifen, wird Zeuge, wie Major Alexander Forbes, der seine militärischen Pflichten vernachlässigt zu haben glaubt, einen Selbstmordversuch unternimmt. Unverzüglich stillt Hume die arterielle Blutung. Den anschließenden Wunsch des Majors, »to unloosen this Bandages & hasten his Death, as the last Act of Friendship«, weist Hume aber mit den Worten zurück: »But alas! we live not in Greek or Roman times.« (LH I, 97) Auch wenn sich Hume also des zeitlichen (und ebenso sittlichen) Abstandes bewusst ist, der Antike und Moderne voneinander trennt, so bleiben seine Analysen nicht bei der Feststellung von Brüchen oder Diskontinuitäten stehen, sondern nehmen auch das Verbindende in den Blick. Erinnert sei nur an Humes Bemerkung, dass das Europa des 18. Jahrhunderts eine vergrößerte Kopie dessen darstelle, was das antike Griechenland im Kleinen gewesen sei (ES, 121). In dieser Feststellung hat Hume zwar primär die Vergleichbarkeit der politischen Gegebenheiten im Auge, jedoch lassen sich in seinen Schriften durchaus weitere Belegstellen ausfindig machen, aus denen hervorgeht, dass er ein Fortleben und eine Aktualität der Antike auch auf nicht-politischem Gebiet vermutet. Besonders die Humesche Korrespondenz ist reich an anekdotischen Anspielungen auf die Antike, die, wie häufig in Humes Briefen zu beobachten, zum großen Teil nicht frei von ironischen Untertönen sind. Diese Anspielungen, auf die im folgenden Abschnitt exemplarisch eingegangen werden soll, leisten zweierlei: Einerseits stellen sie einen (durchaus nicht nur) im Aufklärungszeitalter geläufigen, demonstrativ

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IV. Hume und die Antike

platzierten Beleg von Gelehrtheit dar, der darauf rechnet, von den Adressaten entschlüsselt zu werden. Andererseits sind Humes Anspielungen aber keineswegs bloß schmückendes Beiwerk, das selbstverliebt auf sich zurückverweist, sondern sie werden von ihm dazu benutzt, seinen Aussagen eine bildliche Kraft zu verleihen und sie somit anschaulicher zu machen.

8. Dr. Roebuck und der ›schottische Homer‹ Die folgende Anekdote findet sich in einem Brief Humes vom 2. Juli 1757, gerichtet an den mit ihm befreundeten Juristen Gilbert Elliot of Minto: Two or three Years ago, Jemmy Russell put a very pleasant Trick on an English Physician, one Dr Roebuck, who was travelling in this Country. Russell carry’d him out one day on horseback to see the Outlets of the Town, and purposely led him to Wilkie’s Farm. He saw the Bard at a small Distance sowing his Corn, with a Sheet about his Shoulders, all besmear’d with Dirt & Sweat, with a Coat & Visage entirely proportion’d to his Occupation. Russell says to his Companion, Here is a Fellow, a Peasant, with whom I have some Business: Let us call him. He made a Sign, & Wilkie came to them. Some Questions were ask’d him with regard to the Season, to his Farm & Husbandry, which he readily answer’d; but soon took an Opportunity of making a Digression to the Greek Poets, and enlarging on that Branch of Literature. Dr Roebuck, who had scarce understood his rustic English, or rather his broad Scotch, immediatly comprehended him, for his Greek was admirable: And on leaving him, he coud not forbear expressing the highest Admiration to Russell, that a Clown, a Rustic, a mere Hind, such as he saw this Fellow was, shou’d be possest of so much Erudition. Is it usual, says he, for your Peasants in Scotland to read the Greek Poets? O yes, replies Russell, very cooly, we have long Winter Evenings; and in what can they then employ themselves better, than in reading the Greek Poets? Roebuck left the Country in a full Perwasion that there are at least a dozen Farmers in every Parish who read Homer, Hesiod, & Sophocles, every Winter Evening to their Families; and, if ever he writes an Account of his Travels, it is likely he will not omit so curious a Circumstance. (LH I, 254)

Verschiedene Motive sind in dieser Episode anspielungsreich miteinander verknüpft. Ihre Komik bezieht die hier beschriebene Situation nicht zuletzt durch die von Russell gegenüber Roebuck verschwiegene Tatsache, dass es sich bei dem genannten William Wilkie (1721–1772) keineswegs um einen beliebigen Vertreter der von Roebuck für durchgehend gebildet gehaltenen schottischen Bauernschaft handelt, sondern um den durchaus herausragenden und als ›schottischen Homer‹ verehrten Autor der 1757 veröffentlichten Epigoniad: Als »gaunt, raw-boned […] and very rough mannered« (LH I, 253) beschrieben, bekleidete dieser aus ärmlichen bäuerlichen Verhältnissen

8. Dr. Roebuck und der ›schottische Homer‹

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stammende Poet ab 1759 den Lehrstuhl für Naturphilosophie in St. Andrews und fand in Hume einen seiner stärksten Fürsprecher.254 Des weiteren ist diese Erzählung sowohl ironisches Spiel mit als auch Fingerzeig auf das bereits um diese Zeit sprichwörtlich gewordene allgemein hohe Bildungsniveau der ländlichen wie auch städtischen schottischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert.255 Die großen Zentren Schottlands galten als Brutstätte weitreichender wissenschaftlicher Entdeckungen und Entwicklungen, so dass sie nicht ohne Grund als ›hotbed of

S. hierzu Gerhard Streminger: David Hume. Sein Leben und sein Werk. 2. unveränd. Aufl. Paderborn 1994 (1. Aufl. 1994), S. 470. Dass Hume sich hier wie andernorts die eifrige Unterstützung schottischer Literatur zur Aufgabe machte, ohne dabei jedoch ein Gespür für wahre (oder in Wilkies Fall: für mindere) literarische Qualität zu entwickeln, wird von David Daiches hervorgehoben (»The Scottish Enlightenment«, in: ders./Peter Jones/Jean Jones [Hg.]: A Hotbed of Genius. The Scottish Enlightenment 1730–1790, Edinburgh 1986, S.1–41, hier S. 16). In einem im April 1759 an die Herausgeber des Critical Review gerichteten Brief nimmt Hume Wilkie gegenüber den Kritikern in Schutz, und zwar mit Bezug zur Antike: »The author [ = Wilkie], inspired with the true genius of Greece, and smit with the most profound veneration for Homer, disdains all frivolous ornaments; and relying entirely on his sublime imagination, and his nervous and harmonious expression, has ventured to present to his reader the naked beauties of nature, and challenges for his partizans all the admires of genuine antiquity. […] He has drawn his personages, not only with all the simplicity of the Grecian heroes, but also with some degree of their roughness, and even of their ferocity. This is a circumstance which a mere modern is apt to find fault with in Homer, and which perhaps he will not easily excuse in his imitator. It is certain, that the ideas of manners are so much changed since the age of Homer, that though the Iliad was always among the ancients conceived to be a panegyric on the Greeks, yet the reader is now almost always on the side of the Trojans, and is much more interested for the humane and soft manners of Priam, Hector, Andromache, Sarpedon, Æneas, Glaucus, nay, even of Paris and Helen, then for the severe and cruel bravery of Achilles, Agamemnon, and the other Grecian heroes. Sensible of this inconvenience, Fenelon, in his elegant romance, has softened extremely the harsh manners of the heroic ages, and has contented himself with retaining that amiable simplicity by which those ages were distinguished. If the reader be displeased, that the British poet has not followed the example of the French writer, he must, at least, allow that he has drawn a more exact and faithful copy of antiquity, and has made fewer sacrifices of truth to ornament.« (PW IV, 433 f.) In diesen Zeilen ist unschwer Humes Wiederaufnahme des zentralen Themas seines Essay on Chivalry and Modern Honour wiederzuerkennen: die historischen Transformationen im Habitus von Kriegern der griechischen Antike bis zu den Rittern des Mittelalters. Im Unterschied aber zu diesem Essay legt Hume in diesem Brief den Schwerpunkt weniger auf den Sachverhalt selbst, sondern auf die (von ihm favorisierte) einfache, ungekünstelte Darstellung im griechischen Epos, die er gegen den ornamentalen Stil in Stellung bringt (im Essay on Chivalry and Modern Honour war es die gotische Architektur, der er ornamentale Züge unterstellte und gegenüber dem einfachen Stil der Antike abwertete). 255 Zum niederen und höheren Erziehungs- und Bildungswesen in Schottland vgl. v. a. William Ferguson: Scotland 1689 to the Present, Edinburgh 1968 (bes. Kap. 7); Donald J. Withrington: »Education and Society in the Eighteenth Century«, in: Nicholas T. Phillipson/R. Mitchison (Hg.): Scotland in the Age of Improvement, Edinburgh 1970, S. 169–199; Charles Camic: Experience and Enlightenment. Socialization for Cultural Change in Eighteenth-Century Scotland, Edinburgh 1983 (bes. Kap. 5). 254

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genius‹256 bezeichnet wurden, allen voran Edinburgh, das überdies von dem Maler Allan Ramsay den Titel ›Athens of Britain‹ verliehen bekam.257 Das Aufeinandertreffen von Dr. John Roebuck und William Wilkie erhält seine besondere Note dadurch, dass es in der Erzählung Humes der Kontaktaufnahme zweier Personen aus vermeintlich unterschiedlichen Kulturen gleicht. Russell ist der schottische Informant, der den auf unbekanntem Terrain reisenden Engländer Dr. Roebuck mit der ländlichen Bevölkerung Schottlands bekannt macht. Zunächst ist der Einheimische noch stummes Beobachtungsobjekt, bevor er nach seiner Arbeitsund Lebensweise befragt wird. Die dabei sich auf Seiten des befragenden Arztes herausstellenden Verständnisprobleme lassen sich jedoch überwinden, nachdem Dr. Roebuck verblüfft feststellt, dass es ein von beiden Parteien beherrschtes sprachliches Bezugssystem gibt: das Griechische, dessen Kenntnis hier in den Augen des Engländers ein Zeichen für Bildung ist.258 Die weiteren Erfahrungen lassen in Dr. Roebuck die Einsicht reifen, dass er seine vorgefasste Überzeugung revidieren muss. Der für ungeschlacht gehaltene schottische Landmann ist kultivierter als zunächst angenommen; doch nicht nur das: Nach Angaben des Informanten darf dieser Befund durchaus als repräsentativ auch für den Rest der Bevölkerung gelten. Die Pointe dieser von Hume beschriebenen Begegnung zweier Kulturen besteht darin, dass mit ihr die von Humeschem Argwohn begleitete

Zu dieser Redewendung und ihrer Entstehung vgl. u. a. David Daiches/Peter Jones/Jean Jones (Hg.): A Hotbed of Genius. The Scottish Enlightenment 1730–1790, Edinburgh 1986; Daniel Brühlmeier/Helmut Holzhey/Vilem Mudroch (Hg.): Schottische Aufklärung. »A Hotbed of Genius«, Berlin 1996. 257 S. dazu Nicholas Phillipson: »The Scottish Enlightenment«, in: Roy Porter/Mikulas Teich (Hg.): The Enlightenment in National Context, Cambridge 1981, S. 19–40, hier S. 19. 258 Colin Kidd unterstreicht die Bedeutung der ›classics‹ für die Schotten des 18. Jahrhunderts. Seine Studie ist aber allein auf die Bedeutung des Lateinischen für die schottischen intellektuellen Eliten des 18. Jahrhunderts fokussiert, die, so Kidd, die englische Sprache als fremd und den schottischen Dialekt als unkultiviert ablehnten, um sich dann das Lateinische als lingua franca zu erwählen (»The ideological significance of Scottish Jacobite Latinity«, in: Jeremy Black/Jeremy Gregory [Hg.]: Culture, Politics and Society in Britain, 1660–1800, Manchester 1991, S. 110–130). In Humes Korrespondenz kommt zum Ausdruck, dass er die lateinische Sprache gegenüber der griechischen für überlegen hält, insofern sie sich als langlebiger erwiesen habe. Am 24. Oktober 1767 schreibt Hume an Edward Gibbon: »Why do you compose in French, and carry faggots into the wood, as Horace says with regard to the Romans who wrote in Greek? I grant that you have a like motive to those Romans, and adopt a language much more generally diffused than your native tongue: but have you not remarked the fate of those two ancient languages in following ages? The Latin, though then less celebrated, and confined to more narrow limits, has in some measure outlived the Greek, and is now more generally understood by men of letters. Let the French, therefore, triumph in the present diffusion of their tongue. Our solid and increasing establishments in America, where we need less dread the inundiation of Barbarians, promise a superior stability and duration to the English language.« (LH II, 170). 256

8. Dr. Roebuck und der ›schottische Homer‹

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Beziehung zwischen Engländern und Schotten im 18. Jahrhundert zum Ausdruck gebracht und kommentiert wird. Schottland war im Jahre 1707 im Zuge der Zusammenfassung des englischen und schottischen Parlaments Bestandteil des ›Vereinigten Königreichs Großbritannien‹ geworden. Seiner anfänglichen wirtschaftlichen Unterlegenheit zum Trotz, die mit ein Grund dafür war, dass diese Union nicht von der gesamten Bevölkerung gutgeheißen wurde, erreichte das auf protestantischem Erbe fußende schottische Bildungswesen im Laufe des 18. Jahrhunderts ein vergleichsweise überragendes Niveau. Der allgemein hohe Bildungsgrad verband sich mit immenser wissenschaftlicher und ökonomischer Kreativität, so dass Schottland das zuvor noch tonangebende Nachbarland auf vielen Gebieten überholen konnte. Ein Großteil der englischen Bevölkerung weigerte sich jedoch lange Zeit, diese Leistungen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und betrachtete die Schotten weiterhin als die rohen, ungebildeten Bewohner im nördlichen Teil ihres Reiches. Dieses von Argwohn und zum Teil auch Feindseligkeit geprägte Verhältnis wurde auch von Hume registriert. Als der 54jährige in einem Brief an Adam Smith vom 5. November 1765 die Frage erwägt, in welchem Land er seinen zukünftigen Alterswohnsitz beziehen solle, gerät London bzw. England nicht einmal in die nähere Auswahl: »London is the Capital of my own Country; but it never pleased me much. Letters are there held in no honour: Scotsmen are hated: Superstition and Ignorance gain Ground daily.« (NL, 131)259 Wie Hume in seiner Anekdote über den ›schottischen Homer‹ William Wilkie treffend demonstriert, ist den Engländern vor allem der schwerverständliche Akzent der Schotten suspekt. Neben der Aussprache bietet offenbar auch die schottische Schreibweise spezifischer Begriffe Grund zur Beanstandung. So muss sich Hume häufig den Tadel seiner Gegner wegen der in seinen Schriften verwendeten ›Schottizismen‹ gefallen lassen. Der Stachel dieser Kritik260 steckt so tief, dass Hume, wie seine Korrespondenz belegt, sich wiederholt den Rat seiner Freunde erbittet, um seine

Gegenüber Gilbert Elliott of Minto findet Hume im September 1764 noch drastischere Worte: »I do not believe there is one Englishman in fifty, who, if he heard that I had broke my Neck to night, woud not be rejoice’d with it. Some hate me because I am not a Tory, some because I am not a Whig, some because I am not a Christian, and all because I am a Scotsman. Can you seriously talk of my continuing an Englishman? Am I, or are you, an Englishman? Will they allow us to be so? Do they not treat with Derision our Pretensions to that Name, and with Hatred our just Pretensions to surpass & to govern them? I am a Citizen of the World; but if I were to adopt any Country, it woud be that in which I live at present [Frankreich, M. B.], and from which I am determin’d never to depart, unless a War drive me into Swisserland or Italy.« (LH I, 470). 260 Zur Irritation des schottischen Selbstverständnisses, die aufgrund der Kritik an der schottischen Sprache durch die Engländer ausgelöst wurde, vgl. James G. Basker: »Scotticisms and the Problem of Cultural Identity in Eighteenth-Century Britain«, in: John Dwyer/Richard B. Sher (Hg.): Sociability and Society in Eighteenth-Century Scotland, Edinburgh 1993, S. 81–95. 259

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IV. Hume und die Antike

Arbeiten von diesen sprachlichen ›Unsauberkeiten‹ zu reinigen. Welche Bedeutung Hume der Beherrschung des richtigen Englisch in Wort und Schrift gerade für einen Schotten beimisst, geht ebenfalls aus einem Brief hervor, in dem Hume am 28. Juli 1767 seinem Bruder John Home of Ninewells in Bezug auf die Erziehung seines Sohnes rät: The Question is, whether he had better continue his Education in Scotland or in England. There are several Advantages of a Scots Education; but the Question is whether that of the Language does not counterbalance them, and determine the Preference to the English. He is now of an Age to learn it perfectly; but if a few Years elapse, he may acquire such an Accent, as he will never be able to cure of. It is not yet determin’d what Profession he shall be of; but it must always be of great Advantage to speak properly; especially, if it shou’d prove, as we have reason to hope, that his good Parts will open him the Road of Ambition. (LH II, 154)

In der überlieferten Ankedote wird Dr. Roebuck zur gemeinsamen Zielscheibe des Spottes von Russell und Hume: Er verkörpert den von den Schotten ungeliebten Engländer, dessen Ignoranz – die der schottischen Landbevölkerung von vornherein keinerlei Bildung zutraut – nur noch von seiner Naivität übertroffen wird, da er die Übertreibungen Russells ohne leisesten Zweifel für bare Münze nimmt. In Humes Darstellung dieser Episode zeigt sich Dr. Roebuck in seiner ganzen akademischen (und, wie in dieser Erzählung mitgelesen werden muss: auch ›englischen‹) Voreingenommenheit, da er es zum einen offenbar als selbstverständlich erachtet, dass allein die Kenntnis des Griechischen als Kriterium der Zivilisiertheit gilt, und zum anderen, da er, wie seine Reaktion auf Wilkie zeigt, das Vorhandensein dieser Kenntnis bei seinem schottischen Gesprächspartner zu keinem Zeitpunkt auch nur als möglich in Erwägung zieht. Im Kontakt von Arzt und Bauer büßt das Griechische seine von Roebuck mutmaßlich unterstellte Abgrenzungsfunktion ein: Es verliert die Aura des zunächst noch als exklusiv empfundenen Bildungsbesitzes und dient nurmehr zur bloßen Verständigung. Vor dem Hintergrund, dass die Kenntnis der griechischen Sprache und der in ihr transportierten Bildungsgehalte nun als Differenzkriterium obsolet geworden ist, zeichnen sich sowohl Roebucks Voreingenommenheit als auch seine Leichtgläubigkeit – durch eigenes Bekunden und die Neckereien Russells augenfällig geworden – umso schärfer ab. Die sprachliche Pattsituation zwischen Roebuck und Wilkie, so suggeriert Hume mit seiner Anekdote, gibt dem außenstehenden Betrachter Gelegenheit zu einem Kriterienwechsel: Durch ihn erscheint nun nicht mehr der des Griechischen Unkundige als ›unzivilisiert‹, sondern der sich überlegen Wähnende, der sich der eigenen Ignoranz und des eigenen Mangels an gesunder Skepsis nicht bewusst wird.

9. Griechen, Römer, Franzosen und moderne Barbaren

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9. Griechen, Römer, Franzosen und moderne Barbaren – Of National Characters Die in Humes Briefwechseln leitmotivisch bekundete Abneigung gegen die zeitgenössischen ›barbarischen‹ Engländer kann als das Gegenstück zu seiner beständigen Bewunderung der Franzosen betrachtet werden. Diese beiden Bewertungen sind wiederum Teil des umfassenderen Vergleichshorizonts von Antike und Moderne. Da Humes Ansicht zufolge England und Frankreich auf je unterschiedliche Weise das kulturelle Erbe Griechenlands und Roms angetreten haben, soll nun untersucht werden, wie er diese Traditionslinien nachzeichnet und welche Schwerpunkte sich dabei herausbilden. Dass die europäischen Künstler, Intellektuellen und Politiker des 17. und 18. Jahrhunderts zu Leistungen fähig waren und sind, die den Vergleich mit den in der Antike erbrachten nicht zu scheuen brauchen, steht für Hume außer Frage. Demzufolge muss die seiner Meinung nach von den Griechen und Römern vertretene anthropologische Maxime in die Irre gehen, gemäß der es nördlich von ihnen kein Volk geben könne, das ihnen an Geist und Geschliffenheit ebenbürtig sei: The GREEKS and ROMANS, who called all other nations barbarians, confined genius and a fine understanding to the more southern climates, and pronounced the northern nations incapable of all knowledge and civility. But our island has produced as great men, either for action or learning, as GREECE or ITALY has to boast of. (ES, 208)261

Die Auseinandersetzung Humes mit dieser antiken Position findet sich im 1748 publizierten Essay Of National Characters262 und ist Bestandteil eines umfassenderen Argumentationszusammenhangs. In diesem räumt Hume ein, dass sich bei der Betrachtung der verschiedenen Nationen spezifische Eigenschaften identifizieren lassen, zugleich warnt er aber auch vor deren Absolutsetzung: Diese berge immer die Gefahr Hume führt nicht weiter aus, auf wen er sich mit dieser pauschalen Aussage bezieht. Möglicherweise hatte er Aristoteles’ Politik, VII, 7, 1327b 20 f. vor Augen: »Die Völker in den kalten Gegenden nämlich und die diesbezüglichen in Europa sind von Mut erfüllt, stehen aber mehr im Denken und in der Kunst nach; daher verbleiben sie eher in Freiheit, doch zur Staatenbildung sind sie ungeeignet, und sie können nicht über ihre Nachbarn herrschen. Die Völker in Asien sind hingegen denkerisch begabt und künstlerische Seelen, doch mutlos; daher verbleiben sie beherrscht und in Sklaverei.« (Aristoteles: Politik. Übers. und hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1989, S. 336). 262 Clarence J. Glacken spricht von diesem Essay als »short masterpiece« und bemerkt eine Nähe des Humeschen Konzepts zu dem von John Locke: »What Hume had to say about culture (for this is really what he is talking about) is similar to the observations […] of his fellow empiricist, John Locke, almost sixty years earlier about the education of Hottentots and King Apochancana.« (Traces on the Rhodian Shore. Nature and Culture in Western Thought from Ancient Times to the End of the Eighteenth Century, 5. Aufl. Berkeley 1990 [1. Aufl. 1967], S. 585 f.). Der Unterschied liegt freilich in der vergleichsweise detaillierteren Ausarbeitung dieses Konzepts bei Hume. 261

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IV. Hume und die Antike

in sich, die Sensibilität für die ebenfalls vorhandenen individuellen Abweichungen abzuschwächen. Eine zweite, stärker spezifizierte Absicht dieses Essays ist es, die im 18. Jahrhundert am wirkungsmächtigsten von Montesquieu in De l’esprit des lois verfochtene These zu überprüfen, gemäß der sich die Unterschiede in den Lebens- und Verhaltensweisen der Völker, ihre spezifischen Fähigkeiten und Qualitäten auf das je vorherrschende Klima zurückführen lassen.263 Diese Betrachtungsweise (deren prominentesten zeitgenössischen Vertreter er in diesem Essay aber nicht mit Namen nennt) hält Hume jedoch für falsch, da das Klima zur Begründung nationaler Unterschiede keinen ausreichend potenten Faktor darstelle. Ein Beispiel: Wenn behauptet werde, dass die von langem Sonnenschein begünstigten Nationen einen feineren Geist, mithin auch eine weichere und melodiösere Sprache als die Völker des Nordens ausgebildet hätten, so gibt Hume zu bedenken: »[T]his observation holds not universally. The ARABIC is uncouth and disagreeable: The MUSCOVITE soft and musical. Energy, strength, and harshness form the character of the LATIN tongue: The ITALIAN is the most liquid, smooth, and effeminate language that can possible be imagined.« (ES, 209) Hume sieht den Unterschied zwischen dem Lateinischen und dem Italienischen als ausreichenden Beweis dafür an, dass die geographisch-klimatischen Bedingungen (von Hume als »physical causes« [ES, 198] bezeichnet)264 das Erscheinungsbild der Sprache offenbar nicht wesentlich beeinflussen. Dieses sei – so verrät der Fingerzeig auf ›[e]nergy, strength and harshness‹ in Bezug auf das Lateinische – vielmehr von Faktoren abhängig, die Hume im folgenden unter »moral causes« (ebd.) subsumiert. Unter ›moral causes‹ versteht Hume

263 Vgl. dazu v. a. das 14. Buch in De l’esprit des lois [1748], das die Beziehung von Klima und Regierungsform untersucht. Hume wurde 1748 während seines Aufenthaltes in Italien mit dieser Schrift bekannt und nahm dann am 10. April 1749 die Gelegenheit wahr, in einem Schreiben an Montesquieu auf einige seiner Meinung nach kritikwürdige Aspekte hinzuweisen (vgl. LH I, 133 ff.). In einer Anmerkung zu Of National Characters beruft sich Hume auf Strabon und seine Schrift Geographika als seinen antiken Verbündeten: »STRABO, lib. ii rejects, in a great measure, the influence of climates upon men. All is custom and education, says he. It is not from nature, that the ATHENIANS are learned, the LACEDEMONIANS ignorant, and the THEBANS too, who are still nearer neighbours to the former. Even the difference of animals, he adds, depends not on climate.« (ES, 202) Zu dieser Debatte vgl. Christopher J. Berry: »›Climate‹ in the Eighteenth Century«, in: Texas Studies in Literature and Language 16 (1974), S 281–291 (zu Hume S. 288). 264 »By physical causes I mean those qualities of the air and climate, which are supposed to work insensibly on the temper, by altering the tone and habit of the body, and giving a particular complexion, which, though reflection and reason may sometimes overcome it, will yet prevail among the generality of mankind, and have an influence on their manners.« (ES, 198) Vgl. dazu auch die im vier Jahre später publizierten Essay Of the Popolousness of Ancient Nations ebenfalls angewandte Unterscheidung zwischen ›physical‹ und ›moral causes‹ (v. a. ES, 378 und 383), hier bezogen auf die mutmaßlichen Bevölkerungszahlen.

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all circumstances, which are fitted to work on the mind as motives or reasons, and which render a peculiar set of manners habitual to us. Of this kind are, the nature of the government, the revolutions of public affairs, the plenty of penury in which the people live, the situation of the nation with regard to its neighbours, and such like circumstances. (ES, 198)

Vor dem Hintergrund der auch in den anderen Essays vertretenen Standpunkte nimmt es nun nicht wunder, dass Hume diesen »moral causes« (ES, 198) eine eindeutig größere Wirksamkeit in Bezug auf die Denkweise der Menschen einräumt als er es bei den »physical causes« (ebd.) zu tun gewillt ist. Die unterschiedlichen Auswirkungen dieser ›moral causes‹ auf die geistige Physiognomie der Individuen, so Hume, machen sich auf verschiedenen Ebenen bemerkbar. So entscheide z. B. die jeweils für den Broterwerb auf sich zu nehmende Arbeitsbelastung darüber, ob jemand darüber hinaus auch die intellektuelle Spannkraft aufbringen könne, um am wissenschaftlich-künstlerischen Leben teilzunehmen.265 Ebenso sei unstrittig, dass mit der politischen Unfreiheit auch dem für die wissenschaftliche Produktion notwendigen geistigen Elan Fesseln angelegt seien: As poverty and hard labour debase the minds of the common people, and render them unfit for any science and ingenious profession; so where any government becomes very oppressive to all its subjects, it must have a proportional effect on their temper and genius, and must banish all the liberal arts from among them. (ES, 198)

Das bislang über ›moral causes‹ Gesagte könnte zu dem (unzutreffenden) Fazit verleiten, dass Hume diesen Begriff allein für die Bezeichnung der politisch-ökonomischen Gegebenheiten einer Gesellschaft verwendet, von denen er eine bestimmte Wirkung auf die Geisteshaltung ihrer Bewohner erwartet. Eine solche Fixierung auf die vermeintliche Konkurrenzlosigkeit der Wirkungsmacht politisch-ökonomischer Strukturen aber würde diese Strukturen (als primäre Orientierungspunkte menschlichen Denkens und Handelns) vor allen anderen Möglichkeiten der Bezugnahme privilegieren. Damit bestünde aber die Gefahr, in der Auseinandersetzung mit der Frage nach möglichen Ursachen für die Herausbildung spezifischer Geisteshaltungen die Bedeutung zu unterschätzen, der dem direkten Kontakt der Menschen untereinander zukommt.

Hume geht nicht davon aus, dass sich das Projekt der Aufklärung allein auf bloße Bildungsarbeit reduzieren lässt; die Beseitigung sozialer Barrieren hält er für ebenso entscheidend. So notiert er am 16. Juni 1768 in einem Brief an Turgot: »[These Evils] proceed from the still imperfect State of our Knowledge: That is very true; but will Men ever reach a much more perfect State; while the rich have so many more alluring Appetites to gratify than that for Knowledge, and the poor are occupyed in daily Labour, and Industry.« (LH II, 181). 265

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Eben dieser Tendenz einer ausschließlichen Fixierung auf politisch-ökonomische Gegebenheiten möchte Humes Anthropologie entgegenarbeiten, indem er unter der Bezeichnung ›moral causes‹ neben den jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen auch den alltäglichen Umgang der Menschen berücksichtigt. Er greift damit auch in diesem Essay das zuvor schon erläuterte Konzept der ›sympathy‹, das er im Treatise (vgl. T 2.1.11.2; SBN 316) entwickelt hatte, wieder auf: The human mind is of a very imitative nature; nor is it possible for any set of men to converse often together, without acquiring a similitude of manners, and communicating to each other their vices as well as virtues. The propensity to company and society is strong in all rational creatures; and the same disposition, which gives us this propensity, makes us enter deeply into each other’s sentiments, and causes like passions and inclinations to run, as it were, by contagion, through the whole club or knot of companions. Where a number of men are united into one political body, the occasions of their intercourse must be so frequent, for defence, commerce, and government, that, together with the same speech or language, they must acquire a resemblance in their manners, and have a common or national character, as well as a personal one, peculiar to each individual. (ES, 202)

Somit sieht Hume die von Montesquieu aufgestellte Behauptung widerlegt: »If we run over the globe, or revolve the annals of history, we shall discover every where signs of sympathy or contagion of manners, none of the influence of air or climate.« (ES, 204) Eine stichprobenartige Überprüfung der Sitten verschiedener Länder und Zeiten bieten die restlichen Seiten dieses Essays an, in denen ein zeitliches und räumliches Spektrum von der Antike bis zur Moderne und von Asien bis nach Europa umfasst wird. Besonders das chinesische Reich sieht Hume als Beispiel für ein Territorium an, dessen Bewohner trotz variantenreicher klimatischer Bedingungen einen einheitlichen nationalen Charakter aufwiesen, und zwar, so Hume, aufgrund spezifischer, seit langer Zeit wirkender politischer Prinzipien (vgl. ES, 204). Ein weiteres Indiz, das gegen die Stichhaltigkeit der Klimatheorie spricht, zeigt sich Hume für in folgender Beobachtung: Nicht nur die Bewohner weit auseinanderliegender Staaten, sondern auch die kleinerer, aneinander grenzender Gemeinwesen zeigen einen mitunter stark differierenden Charakter. Somit kommen die geographisch-klimatischen Umstände unmöglich als Ursache für die Unterschiede im Verhalten der Bewohner der antiken griechischen Städte Athen und Theben in Betracht: »ATHENS and THEBES were but a short day’s journey from each other; though the ATHENIANS were as remarkable for ingenuity, politeness, and gaiety, as the THEBANS for dulness, rusticity, and phlegmatic temper.« (ES, 204) Hatte Hume an anderer Stelle die Bewohner des antiken Griechenlands generell als Individuen beschrieben, die Auseinandersetzungen kriegerischer, wissenschaftlicher oder künstlerischer Art nicht scheuten, ja diese sogar anstrebten, so präsentiert

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sich ihm beim Blick auf das Griechenland seiner eigenen Zeit eine gänzlich andere Geisteshaltung. Anlass hierfür ist sein Vergleich der modernen Griechen mit den Türken. Aus ihm gewinnt er die Erkenntnis, dass zwei den selben Boden bewohnende Nationen gleichwohl unterschiedliche Charaktere ausbilden können, wenn sie aufgrund sprachlicher oder religiöser Überzeugungen voneinander getrennt bleiben: »The integrity, gravity, and bravery of the TURKS, form an exact contrast to the deceit, levity, and cowardice of the modern GREEKS.« (ES, 205)266 Und nur wenige Zeilen später heißt es: The ingenuity, industry, and activity of the ancient GREEKS have nothing in common with the stupidity and indolence of the present inhabitants of those regions. Candour, bravery, and love of liberty formed the character of the ancient ROMANS; as subtilty, cowardice, and slavish disposition do that of the modern. (ES, 206)

Der Kontrast zwischen den unterschiedlichen Zuschreibungen (z. B. antike vs. moderne Griechen und Römer) zeigt, dass Hume die nationalen Eigenschaften nicht als naturgegebene und konstante Kennzeichen der verschiedenen Völker begreift: Eine historische Perspektive führt dem Betrachter die langfristige Abschwächung einer vormals dominanten nationalen Eigenart oder Sitte vor Augen und schützt so vor dem voreiligen Trugschluss, es hier mit (vermeintlich) gleichbleibenden nationalen Eigenheiten zu tun zu haben. Das Phänomen der auf lange Sicht unausbleiblichen Veränderung nationaler Eigenschaften beobachtet Hume aber freilich nicht nur bei den antiken Griechen und Römern, sondern auch bei den im 18. Jahrhundert dominierenden Nationen, die er als moderne Nachfolger der Griechen und Römer betrachtet: bei den Franzosen und den Engländern. An den modernen Franzosen imponieren Hume vor allem die (an dieser Stelle nicht weiter spezifizierten) Aspekte »civility, humanity, and knowledge« (ES, 206). Diese Eigenschaften setzt Hume in Kontrast zur »ignorance, barbarity, and grossness« (ebd.) ihrer Vorfahren, der vormals auf französischem Gebiet lebenden Gallier. Zu einem besseren Verständnis der Humeschen Auffassung von ›civility, humanity, and knowledge‹ kann ein kurzer Seitenblick auf einen vier Jahre später, also 1752 publizierten Text, den Essay Of Refinement in the Arts267, beitragen. In diesem untersucht Hume das Beziehungsgeflecht von ›industry, knowledge, and humanity‹ und verwendet dabei eine ähnlich lautende Formulierung:

Der Mut ist, nach Humes Ansicht, eine der unbeständigsten nationalen Eigenschaften: »In general, we may observe, that courage, of all national qualities, is the most precarious; because it is exerted only at intervals, and by a few in every nation; whereas industry, knowledge, civility, may be of a constant and universal use, and for several ages, may become habitual to the whole people.« (ES, 212). 267 Dieser Essay trug bis 1760 den Titel Of Luxury. 266

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In times when industry and the arts flourish, men are kept in perpetual occupation, and enjoy, as their reward, the occupation itself, as well as those pleasures which are the fruit of their labour. The mind acquires new vigour; enlarges its powers and faculties; and by an assiduity in honest industry, both satisfies its natural appetites, and prevents the growth of unnatural ones, which commonly spring up, when nourished by ease and idleness. […] The more these refined arts advance, the more sociable men become: nor is it possible, that, when enriched with science, and possessed of a fund of conversation, they should be contented to remain in solitude, or live with their fellow-citizens in that distant manner, which is peculiar to ignorant and barbarous nations. They flock into cities; love to receive and communicate knowledge; to show their wit or their breeding; their taste in conversation and living, in clothes or furniture. Curiosity allures the wise; vanity the foolish; and pleasure both. Particular clubs and societies are every where formed: Both sexes meet in an easy and sociable manner; and the tempers of men, as well as their behaviour, refine apace. So that, beside of the improvements which they receive from knowledge and the liberal arts, it is impossible but they must feel an encrease of humanity, from the very habit of conversing together, and contributing to each other’s pleasure and entertainment. Thus industry, knowledge, and humanity, are linked together by an indissoluble chain, and are found, from experience as well as reason, to be peculiar to the more polished, and, what are commonly denominated, the more luxurious ages. (ES, 270 f.)

Für Hume, das zeigen diese Ausführungen, besteht ein notwendiger Zusammenhang (›indissoluble chain‹) zwischen Kunst- bzw. Gewerbefleiß268 und der mit ihm einhergehenden Kultivierung des Geistes. Folge von beidem wird dann ein spezifisches Rudolf Metz ist daher davon überzeugt, dass Humes Kulturverständnis zutiefst von ökonomischen Gesichtspunkten geprägt gewesen sei: »Es ist das Kul tu r pro b l em aus der historischen Perspektive gesehen, das Humes Denken nunmehr beschäftigt, und es ist bezeichnend, daß sich ihm dieses gerade von der ökonomischen Seite her zuerst gestellt hat. Daher ist es auch durchaus ökonomisch geschaut und findet seinen Ausdruck in dem ständig wiederkehrenden Begriff der Verfe in er u ng (refinement) oder der Erhöhung und Steigerung der Kultur durch die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung.« (David Hume. Leben und Philosophie, Stuttgart 1968 [Repr. d. Ausg. 1929], S. 309). Und in der dazugehörigen Anmerkung fügt er hinzu: »Anstelle des von ganz anderem Sinngehalt erfüllten Terminus Kultur wäre daher besser Zivilisation zu setzen, wie ja Humes Denken das, was wir heute unter Kultur verstehen, noch in keiner Weise erfaßt hat.« (S. 395) Die bislang in dieser Studie vorgestellten Ergebnisse sollten deutlich gemacht haben, dass Humes Nachdenken über kulturelle Prozesse nicht allein und in erster Linie ökonomische Fragestellungen in den Mittelpunkt rückt, sondern, so zeigt z. B. ein Blick in die Publikationsgeschichte der Essays, mit dem Begriff ›refinement‹ ebenso Fragen der Geschmacksbildung erörtert. Das erste Auftauchen des Begriffs ›refinement‹ im Werk Humes lässt sich genau lokalisieren: Im 1742 publizierten Essay Of Simplicity and Refinement versucht Hume zu bestimmen (ohne ökonomische Rahmenbedingungen auch nur zu erwähnen), inwiefern literarische Kunstwerke den Balanceakt zwischen Natürlichkeit und Verfeinerung meistern müssen, um unangenehme »excesses in these opposite characters« (ES, 193) zu vermeiden. Ebenso wäre gegen Metz auf den Essay Of the Delicacy of Taste and Passion 268

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Arbeitsethos sein: Die rechtschaffene Arbeit jedes Einzelnen, so Humes Überzeugung, lässt falsche Begehrlichkeiten nicht entstehen; statt ihrer wird sich, so sein Optimismus, ein gesellschaftsdienliches Engagement ausbilden.269 Humes Ideal lässt sich des weiteren wie folgt skizzieren: In einem kultivierten Zeitalter dient das Netz der gesellschaftlichen Beziehungen, durch ›conversation‹ und ›communication‹ geknüpft, einerseits dem Austausch von Wissen, ermöglicht andererseits aber auch die stolze Zurschaustellung eigenen Geschmacks und eigener Bildung. Zum Zwecke unterhaltender und/oder gelehrter Konversation, an der sich Männer und Frauen beteiligen, schließen sich Menschen zu Gemeinschaften zusammen, in denen sich ›humanity‹ im Interesse ihrer Mitglieder füreinander bekundet. Notwendige Bedingung für diese sowohl Wissen als auch Humanität und Fleiß fördernden Prozesse ist nach Humes Darstellung ein gewisses Maß an intellektueller und emotionaler Intimität zwischen den Menschen, die bei ›ignorant and barbarous nations‹, so seine Überzeugung, nicht zu finden ist. Inwieweit besteht nun eine Analogie zwischen diesen generellen Aussagen bezüglich ›industry, knowledge, and humanity‹ und Humes expliziten, die Franzosen des 18. Jahrhunderts betreffenden Ausführungen zu ›civility, humanity, and knowledge‹? Zeigt das Verhalten der Franzosen in Humes Augen Merkmale eines ›polished age‹? Zur Beantwortung dieser Fragen können auch die Briefe Humes entscheidende Hinweise liefern. Nachdem Hume bereits von 1734 bis 1737 in Paris, in Reims und als Student in La Flèche gelebt hatte, hielt er sich noch einmal, zwischen 1763 und 1766, hauptsächlich in Paris auf und bekleidete in dieser Zeit nacheinander das Amt eines Privatsekretärs und das des britischen Botschafters. Die Eindrücke dieses zweiten Frankreichaufenthaltes fasst er in seiner 1777 von Adam Smith veröffentlichten Autobiographie My Own Life wie folgt zusammen: »There is, however, a real satisfaction in living at Paris, from the great number of sensible, knowing, and polite company with which that city abounds above all places in the universe. I thought once of settling there for life.« (ML, 6 f.)

hinzuweisen (1741 erschienen), in dem Hume ›refinement‹ sehr wohl im Sinne einer Verfeinerung versteht, die nicht auf zivilisatorische Errungenschaften abhebt (Ökonomie, Technik etc.), sondern sich auf ›Kultur‹ (im wohl von Metz intendierten Sinne von ›Bildung‹) bezieht: »[…] [N]othing is so proper to cure us of this delicacy of passions, as the cultivating of that higher and more refined taste, which enables us to judge of the characters of men, of compositions of genius, and of the productions of the nobler arts.« (ES, 6) Zum puritanischen Erbe in Humes Konzept der Arbeit als tugendfördender Aktivität vgl. E. J. Hundert: »The Achievement Motive in Hume’s Political Economy«, in: Donald Livingston/Marie Martin (Hg.): Hume as Philosopher of Society, Politics and History, Rochester 1991, S. 40–44. 269 In diesen und den folgenden Sätzen ist unschwer das Echo von Humes Cicero-Lektüre vernehmbar; gerade im ersten Buch von De officiis unterstreicht der römische Philosoph wiederholt die Verpflichtung zu gemeinschaftsdienlichem Handeln.

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Die Absicht, wenn auch noch nicht in Paris, so doch auf jeden Fall in Frankreich sich niederzulassen, wird zum ersten Mal in einem Brief Humes an John Clephane vom 20. April 1756 greifbar: »Were I to change my habitation, I would retire to some provincial town in France, to trifle out my old age, near a warm sun in a good climate, a pleasant country, and amidst a sociable people.« (LH I, 232) Neben ihrer Geselligkeit fasziniert Hume an den Franzosen vor allem der seiner Ansicht nach unprätentiöse Umgang mit ihrer Gelehrsamkeit. Auf dieses Merkmal richtet er gleich bei der Ankunft seine Aufmerksamkeit; nicht zuletzt beeindruckt ihn der Unterschied zum als gekünstelt empfundenen Verhalten der Engländer. So notiert Hume in einer Nachricht an William Robertson vom 1. Dezember 1763 aus Paris: I feel little inclination to the factious barbarians of London; and have ever desired to remain in the place where I am planted. How much more so, when it is the best place in the world! […] However, I can not forbear observing, on what a different footing learning and the learned are here, from what they are among the factious barbarians above mentioned. (LH I, 417)

Der Unterschied zwischen den ›zivilisierten Franzosen‹ und den ›barbarischen Engländern‹ wird von nun an zum regelmäßig wiederkehrenden Topos in seiner Korrespondenz.270 Dabei sind es nicht Wissbegierde oder ökonomischer und politischer Ehrgeiz, die Hume an den Engländern vermisst271, sondern die geschmackssichere

Bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Frankreich in den 30er Jahren stellte Hume Überlegungen zu den unterschiedlichen Höflichkeitsformen an. So lässt er seinen Freund Michael Ramsay am 12. September 1734 aus Rheims wissen: »[T]he French have more real Politeness & the English the better Method of expressing it. By real Politeness I mean Softness of Temper, & a sincere Inclination to oblige & be serviceable; which is very conspicuous in this Nation, not only among the high but low, insomuch that the Porters & Coachmen here are civil, & that not only to Gentlemen but likewise among themselves, so that I have not seen one Quarrel in France, tho’ they are every where to be met with in England. By the Expressions of Politeness, I mean these outward Deferences & Ceremonies, which Custom has invented, to supply the Defect of real Politeness or Kindness, that is unavoidable towards Strangers & indifferent Persons even in men of the best Dispositions of the World.« (LH I, 20) Und rechtfertigend fügt er hinzu: »You may perhaps wonder that I who have stay’d so short time in France & who have confest that I am not Master of their Language, shou’d decide so positively of their manners: but you’ll please to observe that ’tis with Nations as with particular Man, where one Trifle frequently serves more to discover the Character, than a whole Train of Actions.« (ebd., 21). 271 Dies schon deshalb nicht, da er in der programmatischen Einleitung des Treatise den Engländern zugutehält, über die besten Rahmenbedingungen für das Entstehen der ›science of Man‹ zu verfügen: »So true it is, that however other nations may rival us in poetry, and excel us in some other agreeable arts, the improvements in reason and philosophy can only be owing to a land of toleration and of liberty.« (T, Introduction, 5; SBN xvii) So kann Hume im Essay Of Civil Liberty mit der gleichen, letzten Endes religionssoziologischen Argumentation England auch zu den führenden Handelsnationen rechnen, wenn die zunehmende Rivalität Frankreichs ihn auch zu nötigen scheint, 270

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Kennerschaft in Fragen der Literatur. Bei den Franzosen hingegen habe sich diese Fähigkeit erhalten, wie Hume am 26. April 1764 gegenüber Hugh Blair zu berichten weiß: »The Taste for Literature is neither decayd nor depravd here, as with the Barbarians who inhabit the Banks of the Thames.« (LH I, 436) Die spezifischen Unzulänglichkeiten des englischen Geschmacks werden von Hume freilich schon im 1742 publizierten Essay Of Civil Liberty272 angeprangert. Humes vergleichende Kritik reflektiert dabei die von ihm festgestellten Unterschiede im kulturellen Niveau der modernen europäischen sowie der antiken Nationen: But the most eminent instance of the flourishing of learning, in absolute governments, is that of FRANCE, which scarcely ever enjoyed any established liberty, and yet has carried the arts and sciences as near perfection as any other nation. The ENGLISH are, perhaps, greater philosophers; the ITALIANS better painters and musicians; the ROMANS were greater orators: But the FRENCH are the only people, except the GREEKS, who have been at once philosophers, poets, orators, historians, painters, architects, sculptors, and musicians. With regard to the stage, they have excelled even the GREEKS, who far excelled the ENGLISH. And, in common life, they have, in a great measure, perfected that art, the most useful and agreeable of any, l’Art de Vivre, the art of society and conversation. If we consider the state of the sciences and polite arts in our own country, HORACE’S observation, with regard to the ROMANS, may, in a great measure, be applied to the BRITISH. –Sed in longum tamen ævum / Manserunt, hodieque manent vestigia ruris. The elegance and propriety of style have been very much neglected among us. We have no dictionary of our language, and scarcely a tolerable grammar. The first polite prose we have, was writ by a man who is still alive. As to SPRAT, LOCKE and, even TEMPLE, they knew too little of the rules of art to be es-

diese Begründung preisgeben zu müssen: »It has become an established opinion, that commerce can never flourish but in a free government; and this opinion seems to be founded on a longer and larger experience than the foregoing, with regard to the arts and sciences. If we trace commerce in its progress through TYRE, ATHENS, SYRACUSE, CATHARGE, VENICE, FLORENCE, GENOA, ANTWERP, HOLLAND, ENGLAND, & c. we shall always find it to have fixed its seat in free governments. The three greatest trading towns now in Europe, are LONDON, AMSTERDAM, and HAMBURGH; all free cities, and protestant cities; that is, enjoying a double liberty. It must, however, be observed, that the great jealousy entertained of late, with regard to the commerce of FRANCE, seems to prove, that this maxim is no more certain and infallible than the foregoing, and that the subjects of an absolute prince may become our rivals in commerce, as well as in learning.« (ES, 92) Donald W. Livingston versucht nachzuweisen, dass Humes Abscheu gegen die britischen ›Barbaren‹ nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund seiner Unterstützung der amerikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen gesehen werden muss; auch die strenge Prinzipientreue der englischen Parteien sei Hume ein Dorn im Auge gewesen (»Hume, English Barbarism and American Independence«, in: Richard B. Sher/Jeffrey R. Smitten [Hg.]: Scotland and America in the Age of the Enlightenment, Edinburgh 1990, S. 133–147, hier S. 133 f.). 272 Dieser Essay war zunächst noch mit Of Liberty and Despotism betitelt.

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teemed elegant writers. The prose of BACON, HARRINGTON, and MILTON, is altogether stiff and pedantic; though their sense be excellent. Men, in this country, have been so much occupied in the great disputes of Religion, Politics, and Philosophy, that they had no relish for the seemingly minute observations of grammar and criticism. And though this turn of thinking must have considerably improved our sense and our talent of reasoning; it must be confessed, that, even in those sciences above-mentioned, we have not any standard-book, which we can transmit to posterity: And the utmost we have to boast of, are a few essays towards a more just philosophy; which, indeed, promise well, but have not, as yet, reached any degree of perfection. (ES, 90 ff.)

Die auf Frankreich273 bezogene Bewertung der kulturellen Leistungen diverser europäischer Staaten, die Hume in einer hierarchischen Anordnung zu fixieren sucht, macht sich sowohl eine synchrone als auch eine diachrone Perspektive zu eigen. So

Am Beispiel Frankreichs meint Hume in diesem Essay zeigen zu können, dass die noch vom Menschen der Antike für gültig empfundenen Zusammenhänge, »freie (im Sinne von: republikanische) Nationen = Prosperität von Künsten und Wissenschaften« und »unfreie (im Sinne von: absolutistisch regierte) Nationen = Niedergang von Künsten und Wissenschaften« nicht ohne weiteres verallgemeinert und auf die folgenden Epochen übertragen werden dürfen. Zwar könne man, so Hume, den Niedergang der vormals im antiken Griechenland und Rom gesetzten Standards in Wissenschaft und Kunst durchaus mit dem zunehmenden Verlust ihrer politischen Freiheit begründen: »It had been observed by the ancients, that all the arts and sciences arose among free nations; and, that the PERSIANS and EGYPTIANS, notwithstanding their ease, opulence, and luxury, made but faint efforts towards a relish in those finer pleasures, which were carried to such perfection by the GREEKS, amidst continual wars, attented with poverty, and the greatest simplicity of life and manners. It had also been observed, that, when the GREEKS lost their liberty; though they increased mightily in riches, by means of the conquests of ALEXANDER; yet the arts, from that moment, declined among them, and have never since then been able to raise their head in that climate. Learning was transplanted to ROME, the only free nation at that time in the universe; and having met with so favourable a soil, it made prodigious shoots for above a century; till the decay of liberty produced also the decay of letters, and spread a total barbarism over the world.« (ES, 89) Wie aber wolle man auf diese Weise erklären, dass einige italienische Fürstenstaaten des 15. Jahrhunderts trotz ihres ähnlichen Schicksals eine kulturelle Blüte erleben konnten? »But what would these writers have said, to the instances of modern ROME and of FLORENCE? Of which the former carried to perfection all the finer arts of sculpture, painting, and music, as well as poetry, though it groaned under tyranny, and under the tyranny of priests: While the latter made its chief progress in the arts and sciences, after it began to lose its liberty by the usurpation of the familiy of MEDICI. ARIOSTO, TASSO, GALILEO, more than RAPHAEL, and MICHAEL ANGELO, were not born in republics.« (ES, 90) Diese Passage stellt einen Sonderfall dar, da hier die sonst in Humes Formulierungen festgefügte Allianz von ›arts‹ und ›sciences‹ aufgehoben wird: Diese Allianz konnte zwar im von den Medici kontrollierten Florenz, nicht aber im päpstlich regierten Rom Bestand haben. Daher spricht Hume im Zusammenhang mit Rom nur von der Perfektion der bildenden Künste, nicht aber von der der Wissenschaft. Für Hume steht mit Blick auf Frankreich fest, dass z. B. ökonomische und künstlerische Prosperität in der Moderne nicht auf freie Gemeinwesen beschränkt bleibt, sondern auch in absolutistisch regierten Nationen möglich ist. »It may now be affirmed of civilized monarchies, what was formerly said in praise of republics alone, that they are a government of Laws, not of 273

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fokussiert die synchrone Perspektive des schottischen Philosophen das Frankreich, England und Italien des 18. Jahrhunderts; seine diachrone Perspektive nimmt das moderne Frankreich und England sowie das antike Rom und Griechenland in den Blick. Doch Hume berücksichtigt bei seinem Vergleich nicht allein die historischen Vorzeichen, sondern unterscheidet auch zwischen Detail- und Gesamteindrücken. Wie gelingt es Hume, Frankreich als kulturell herausragende Nation darzustellen? Im nicht weiter spezifizierten Detailvergleich einzelner Disziplinen wie Philosophie, Malerei, Musik und Redekunst sieht Hume Frankreich gegenüber England, Italien und dem antiken Rom als unterlegen an. Doch könnten diese Nationen, so der schottische Philosoph weiter, eben nur in einer dieser Disziplinen glänzen. Die Stärke Frankreichs hingegen zeige sich darin, dass seine Bewohner zu einem breiten Spektrum kultureller Aktivitäten befähigt seien: Sie seien zugleich Philosophen, Dichter, Redner, Historiker, Maler, Architekten, Bildhauer und Musiker. Dieses vielseitige, an mehreren Fronten operierende kulturelle Engagement verbindet sie mit den von Hume geschätzten Griechen und stellt beide auf die gleiche Stufe. Mit diesem Hinweis aber scheinen für Hume die zuvor genannten Unvollkommenheiten der Franzosen auf speziellen Gebieten der Kultur nicht weiter von Belang zu sein. Denn der für diese Überzeugung wichtige Rückgriff auf das Vorbild Griechenlands zeigt an, dass sich Humes Einschätzung kultureller Leistungsfähigkeit nicht an partikularer Überlegenheit orientiert (wie sie England, Italien oder das antike Rom jeweils vorweisen können). Statt dessen, so ließe sich Humes Anspruch formulieren, soll der Bewertung immer ein möglichst vollständiges Gesamtbild des kulturellen Lebens einer Nation zugrundegelegt werden. Diese Forderung nach einem generalisierenden Blickwinkel konzentriert sich, wie die Beispiele Griechenland und Frankreich erkennen lassen, vor allem auf ihre künstlerischen und wissenschaftlichen Aktivitäten; andere Passagen des Humeschen Werks zeigen aber, dass in seiner Beurteilung auch die politischen, ökonomischen und religiösen Gesichtspunkte eine wichtige Rolle spielen.274 Men. They are found susceptible of order, method, and constancy, to a surprizing degree. Property is there secure; industry encouraged; the arts flourish; and the prince lives secure among his subjects, like a father among his children.« (ES, 94). 274 Gleichwohl macht Hume in einem Brief an Horace Walpole vom 20. November 1766 deutlich, dass er insbesondere den Stand von Kunst und Wissenschaft als Indikator der Fortschrittlichkeit einer Nation ansieht: »For my part, I can scarce acknowledge any other ground of distinction between one age and another, than their diffrent progress in learning and in the arts. I do not say between one man and another; because the qualities of the heart and temper and natural understanding are the most essential to the personal character; but being, I suppose, almost equal among nations and ages, do not serve to throw a peculiar lustre on any.« (LH II, 111) Mit dieser Formulierung greift Hume die einleitenden Worte seines Essays Of National Characters von 1748 auf, in denen er davor warnt, nationale Unterschiede auf Kosten individueller Abweichungen zu verabsolutieren: »The vulgar are apt to carry all national characters to extremes; and having once

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IV. Hume und die Antike

Vor dem Hintergrund dieser Maßgabe gehören für Hume offenbar nur die antiken Griechen und die modernen Franzosen zu denjenigen Nationen, die, im Vergleich zu anderen, gerade aufgrund ihres breit gefächerten Tätigkeitsspektrums nicht bloß relative, sondern absolute kulturelle Bedeutsamkeit erlangt haben. Da Frankreich und Griechenland, so Humes implizite These, auf diesem Niveau bereits angelangt sind, ändert eine noch obendrein hinzutretende partikulare Überlegenheit des einen nichts mehr an dem vorbildhaften Status des anderen. Daher werden die Leistungen der Griechen auf dem Theater durch den Hinweis Humes, dass sie von den Franzosen auf diesem Gebiet überrundet worden seien, nicht zurückgestuft, sondern werden eher als anspruchsvoller Kontrast (›even the Greeks‹) zu den Erfolgen der französischen Bühne genutzt, die so nochmals eine Aufwertung erfahren. Dass Nützliches (im Sinne des sozial Förderlichen) und Angenehmes durchaus auf einer Linie liegen können, zeigt sich für Hume in der nur von den Franzosen in dieser Form veredelten ›Lebenskunst‹ des geselligen Umgangs und der gebildeten Konversation.275

established it as a principle, that any people are knavish, or cowardly, or ignorant, they will admit of no exception, but comprehend every individual under the same censure. Men of sense condemn these undistinguishing judgements […].« (ES, 197). 275 Die doppelte Aufgabe, die Hume hier dem geselligen Umgang und der gebildeten Konversation zuweist, ordnet Horaz in seiner Ars Poetica der Dichtkunst zu: »Aut prodesse volunt aut delectare poetae / aut simul et iucunda et idonea dicere vitae.« (V. 333 f.) »Entweder nützen oder erfreuen wollen die Dichter oder zugleich, was erfreut und was nützlich fürs Leben ist, sagen.« (Quintus Horatius Flaccus: Ars Poetica. Die Dichtkunst. Lateinisch/Deutsch. Übers. und mit einem Nachwort hg. v. Eckart Schäfer, Stuttgart 1972). Zum Motiv des ›aut prodesse aut delectare‹ vgl. auch Konrad Adam: Docere – delectare – movere. Zur poetischen und rhetorischen Theorie über Aufgaben und Wirkung der Literatur, Diss. Kiel 1971. Geselliger Umgang und gebildete Konversation gehörten im 18. Jahrhundert nicht zuletzt zum Erscheinungsbild der zumeist von Frauen geführten Salons in allen größeren europäischen Städten. Nur der weiblichen Gewandtheit und Geschicklichkeit sei es gelungen, so Roger Chartier, »das den gelehrten Auseinandersetzungen innewohnende ›Spannungsverhältnis‹ (um mit Elias zu reden) in den Grenzen der Zivilisiertheit zu halten.« (»Der Gelehrte«, in: Michel Vovelle [Hg.]: Der Mensch der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1998 [zuerst 1996] [ital. Rom 1992], S. 122–168, hier S. 138. Die Beiträge dieses Bandes konzentrieren sich auf die Aufklärung in Frankreich). Vor allem in den 60er Jahren konnte Hume in Frankreich Bekanntschaft mit dem von der Comtesse de Boufflers-Rouverel geführten ›Salon der vier Spiegel‹ machen (s. hierzu E. C. Mossner: The Life of David Hume, 2. Aufl. Oxford 1980 [1. Aufl. 1954], S. 425 ff.). Auf die französischen Salons (und die Frauen) zielt auch Humes Bemerkung im (nach 1742 nicht mehr publizierten) Essay Of Essay-Writing: »[…] I am of Opinion, that Women, that is, Women of Sense and Education (for to such alone I address myself ) are much better Judges of all polite Writing than Men of the same Degree of Understanding […]. In a neighbouring Nation, equally famous for good Taste, and for Gallantry, the Ladies are, in a Manner, the Sovereigns of the learned World, as well as of the conversible; and no polite Writer pretends to venture upon the Public, without the Approbation of some celebrated Judges of that Sex.« (ES, 536) Bei aller Hochschätzung ist Humes Vertrauen in die Urteilskraft der Frauen freilich nicht unbegrenzt: »There is only one subject, on which I am apt to distrust the Judgement of Females, and that is, concerning Books of Gallantry and Devotion […]. As the Fair Sex have a great Share of the tender and amorous Disposition, it perverts their

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Beides ist auch Kennzeichen von Zivilisiertheit und Humanität, die den Franzosen von Hume sechs Jahre später im Essay Of National Characters (1748) attestiert wird (vgl. ES, 206).276 Da für Hume Geselligkeit und Konversation das Grundgerüst sozialen Handelns darstellen, kann er sie zu Recht als die nützlichsten Künste betrachten, die allen anderen Künsten, wie der zuvor genannten Malerei, Musik oder Bildhauerei noch vorgeordnet sind.277 Mit welchen gebildeten Franzosen Hume in Paris Umgang pflegt, berichtet er Hugh Blair im Dezember 1763: The Men of Letters here are really very agreeable; all of them Men of the World, living in entire or almost entire Harmony among themselves, and quite irreproachable in their Morals. […] Those whose Persons & Conversation I like best are d’Alembert, Buffon, Marmontel, Diderot, Duclos, Helvetius; and Old President Henaut […]. (LH I, 419)

Und er fügt hinzu: But, tho’ I know you will laugh at me, as they do, I must confess, that I am more carry’d away from their Society than I should be, by the great Ladies, with whom I became acquainted at my first Introduction to Court, and whom my Connexions with the English Ambassador will not allow me entirely to drop. (LH I, 420) Judgment on this Occasion, and makes them be easily affected, even by what has no Propriety in the Expression nor Nature in the Sentiment.« (ES, 537) Und in der Natural History of Religion sind es die Frauen, denen Hume eine größere Anfälligkeit für den Aberglauben attestiert: »What age or period of life is the most addicted to superstition? The weakest and most timid. What sex? The same answer must be given.« (NH, 144) Die von Hume des öfteren behauptete Divergenz zwischen dem von ihm offenbar zum Richtmaß erhobenen männlichen und dem davon abweichenden weiblichen Affekthaushalt wird vor allem in den Beiträgen des von Anne Jaap Jacobson herausgegebenen Sammelbandes Feminist Interpretations of David Hume, University Park 2000, heftig kritisiert. Vgl. auch Louise Marcil Lacoste: »The Consistency of Hume’s Position Concerning Women«, in: Dialogue 15 (1976), S. 425–440. Zur Salonkultur in Frankreich vgl. Dena Goodman: »Enlightenment Salons: The Convergence of Female and Philosophic Ambitions«, in: Eighteenth-Century Studies 22 (1989), S. 329–350, sowie Roger Chartier: Die kulturellen Ursprünge der französischen Revolution, Frankfurt a. M. 1995 (frz. Paris 1990). Zum auch von Hume besuchten und »Laboratorium« genannten Salon der Julie de Lespinasse vgl. Verena von der Heyden-Rynsch: Europäische Salons. Höhepunkte einer versunkenen weiblichen Kultur, Reinbek 1995 (zuerst München 1992), S. 84 ff. 276 Zivilisiertheit ist für Hume eng mit Urbanität verknüpft: Er geht, wie ein Beispiel der History zeigt, davon aus, dass geschliffene Umgangsformen (zumal in England) eher in den Städten als auf dem Lande anzutreffen sind. Der Vergleich von Gegenwart und dem Beginn des 17. Jahrhunderts fördert Folgendes zutage: »The country life prevails at present in England beyond any cultivated nation of Europe […]. The increase of arts, pleasures, and social commerce was just beginning to produce an inclination for the softer and more civilized life of the city.« (HE IV, 379; App. zu Kap. 49). 277 Paris erscheint Hume unter diesem Gesichtspunkt, wie er Colonel Isaac Barré am 16. Juli 1764 bekennt, als »the Center of Arts, of Politeness, of Gallantry, and of good Company.« (NL, 85).

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IV. Hume und die Antike

Die Reize weiblicher Gesellschaft aber, so vertraut Hume dem Baron Mure of Caldwell in einem Brief vom 28. März 1764 an, bestehen für ihn nicht etwa in ihrem ansprechenden Äußeren, sondern in ihrer Gebildetheit und ihrem an antike römische Priesterinnen erinnernden Auftreten: Society is certainly on a very agreeable Footing in this part of the World; and there are particularly more Women of Sense and Taste and Knowledge than any where else. You would take them all for Vestals by the Decency of their Behaviour in Company. (LH I, 431)

Den Engländern wirft Hume wiederholt fehlenden Geschmack in Fragen der Literatur vor. Wieder ist es Hugh Blair, dem er in einem am 6. April 1765 verfassten Brief aus Paris die Unterschiede zwischen Engländern und Franzosen auseinandersetzt: Shall I begin with the Points, in which it most differs from England, viz, the general Regard pay’d to Genius and Learning; the universal and professed, tho’ decent, Gallantry of the Fair Sex; or the almost universal Contempt of all Religion, among both Sexes, and among all Ranks of Men? Or shall I mention the Points in which the French begin to concur with the English, their Love of Liberty for Instance? […] There is a very remarkable Difference between London and Paris, of which I gave warning to Helvetius when he went over lately to England, and of which, he told me, on his Return he was fully sensible. If a man have the Misfortune, in the former place, to attach himself to Letters, even if he succeeds, I know not with whom he is to live, nor how he is to pass his time in a suitable Society. The little Company, there, that is worth conversing with, are cold & unsociable or are warmd only by Faction and Cabal; so that a Man, who plays no part in public affairs, becomes altogether insignificant and if he is not rich, he becomes even contemptible: Hence that Nation are relapsing fast into the deepest Stupidity, Christianity & Ignorance. But in Paris, a man that distinguishes himself in Letters, meets immediatly with Regard & Attention. (LH I, 497 f.)

Werden in diesem Brief also die für Hume entscheidenden Vorzüge des aktuellen geistigen Klimas Frankreichs278 im Gegensatz zu demjenigen Englands betont, so notiert Hume in seiner History, mit Blick auf den Beginn der Frühen Neuzeit in EuroIn einem Brief an Horace Walpole vom 20. November 1766 nimmt Hume den vereinzelt zu beobachtenden Überschwang der Franzosen bei der Bewunderung intellektueller Brillianz mit einem – nicht überraschenden – Hinweis auf die Antike in Schutz: »You blame France for its fond admiration of men of genius; and there may no doubt be, in particular instances, a great ridicule in these affectations: but the sentiment in general was equally conspicuous in ancient Greece, in Rome during its flourishing period, in modern Italy, and even perhaps in England about the beginning of this century. If the case be now otherwise, it is what we are to lament and be ashamed of. Our enemies will only infer, that we are a nation which was once at best but half civilised, and is now relapsing fast into barbarism, ignorance, and superstition.« (LH II, 111). 278

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pa, eine genau entgegengesetzte Situation: In dieser Zeit sei für die Entwicklung von Wissenschaft und Kunst (als ›Kunst‹ wird hier freilich nur die Literatur erwähnt) die Orientierung am Vorbild Italiens entscheidend gewesen, bei der sich die Engländer vor den Franzosen ausgezeichnet hätten: »The arts and sciences were imported from Italy into this island as early as into France, and made at first more sensible advances. Spenser, Shakespeare, Bacon, Johnson, were superior to their contemporaries who flourished in that kingdom.« (HE VI, 345, Kap. 71) Danach jedoch seien das späte 17. und jetzt auch das 18. Jahrhundert, so Hume, Zeugen des überwältigenden Siegeszugs der kulturellen Produktivität der Franzosen geworden, die sich damit als würdige Erben Griechenlands erwiesen hätten. Über die Engländer jedoch heißt es: […] [T]he productions of literature still wanted much of that correctness and delicacy which we so much admire in the ancients, and in the French writers, their judicious imitators. It was, indeed, during this period, chiefly, that that nation left the English behind them in the production of poetry, eloquence, history, and other branches of polite letters, and acquired a superiority which the efforts of English writers during the subsequent age did more successfully contest with them. (ebd.)

Hier gilt es zu beachten, dass Hume den auf die Franzosen bezogenen Ausdruck ›to imitate‹ nicht pejorativ verwendet (etwa im Sinne eines Vorwurfs des die eigene Einfallslosigkeit kaschierenden Nachbildens); dieser Ausdruck muss vielmehr vor dem Hintergrund seines ›sympathy‹-Konzepts gelesen werden, in dem die ›imitation‹ ein anthropologisch zentraler und keinesfalls verwerflicher Aspekt ist.279

Dieser Aspekt, mit dem sich Hume auf die Poetik des Aristoteles bezieht (ohne diese Schrift freilich beim Namen zu nennen), wird von ihm auch im Essay Of National Characters betont: »The human mind is of a very imitative nature; nor is it possible for any set of men to converse often together, without acquiring a similitude of manners, and communicating to each other their vices as well as virtues.« (ES, 202) Das Verhältnis von Humes ›sympathy‹-Konzept zu humanwissenschaftlichen Fragestellungen des 20. Jahrhunderts, die die ›imitatio‹ bzw. die ›mimesis‹ als entscheidende anthropologische Kategorie begreifen, ist bislang unerforscht (vgl. z. B. Helmuth Plessner: »Zur Anthropologie der Nachahmung« [1948], »Der imitatorische Akt« [1961], in: ders.: Ausdruck und menschliche Natur [= Gesammelte Schriften, Bd. 7]. Hg. v. Günter Dux, Odo Marquard und Elisabeth Ströker, Frankfurt a. M. 2003 (zuerst Frankfurt a. M. 1982), S. 389–398 bzw. 446–457. Das von Christoph Wulf skizzierte Konzept der »sozialen Mimesis« wäre ebenfalls auf seine mögliche Anschlussfähigkeit an dasjenige Humes zu überprüfen: »Die Bedeutung mimetischer Prozesse für die gesellschaftliche und soziale Organisation der Menschen scheint in Vergessenheit geraten zu sein, wenngleich dieses sich in einer historischen Rekonstruktion sozialer Verhältnisse nachweisen ließe. Zwar sind mimetische Prozesse auch im sozialen Bereich wahrgenommen, doch selten in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Wissenschaften vom Menschen erkannt worden; Mimesis findet vor allem im Bereich der Kunst und der Dichtung Anwendung.« (»Mimesis«, in: Gunter Gebauer/Dietmar Kamper u. a.: Historische Anthropologie. Zum Problem der Humanwissenschaften heute oder Versuche einer Neubegründung, Reinbek 1989, S. 83–125, hier S. 113.) Vgl. ebenso Gunter Gebauer/Christoph Wulf: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft, Reinbek 1992. 279

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IV. Hume und die Antike

Hume hat sein negatives Urteil über die Engländer zeit seines Lebens nicht korrigiert.280 Noch rund drei Jahre vor seinem Tod, am 16. Januar 1773, schreibt er in verbittertem Ton an den Reverend Thomas Percy: My notion is, that the uncultivated Nations are not only inferior to civiliz’d in Government, civil, military, and eclesiastical; but also in Morals; and that their whole manner of Life is disagreeable and uneligible to the last Degree. I hope it will give no Offence (and whether it do or not, I must say it) if I declare my Opinion, that the English, till near the beginning of the last Century, are very much to be regarded as an uncultivated Nation; and that even When good Queen Elizabeth sat on the Throne, there was very little good Roast Beef in it, and no Liberty at all. […] I am only sorry to see, that the great Decline, if we ought not rather to say, the total Extinction of Literature in England, prognosticates a very short Duration of all our other Improvements, and threatens a new and a sudden Inroad of Ignorance, Superstition and Barbarism. There cannot be a stronger Symptom of this miserabl[e] Degeneracy, than the Treatment which I have met with for telling them Truth in these particulars. (NL, 198 f.)

Auch diese Formulierungen machen deutlich, dass Hume ›Kultur‹ als ein komplexes und bewegliches Gefüge von miteinander in Beziehung stehenden Verhaltensweisen und Anschauungen begreift. Sollten sich Veränderungen in einem Bereich dieses Gefüges ergeben, so zöge das unweigerlich Konsequenzen in einem anderen Bereich nach sich: Man könnte also geradezu von einem ›organischen Zusammenhalt‹ der Kultur sprechen. Wie Humes Einschätzung des zeitgenössischen Englands zeigt, kann dieser Konnex einerseits die Chance der wechselseitigen Förderung bieten, aber andererseits auch die Gefahr der gegenseitigen Hemmung in sich bergen. Für das England seiner Gegenwart befürchtet Hume Letzteres, da er sich dort weder von den tonangebenden Institutionen, seien sie bürgerlicher, militärischer, oder kirchlicher Natur, noch auch vom allgemeinen Niveau die für die Kultivierung des Zusammenlebens erforderlichen Impulse erwartet.

Gegenüber dem ›durchschnittlichen‹ englischen Selbstverständnis, das um die Mitte des 18. Jahrhunderts von der »englischen Superiorität« gegenüber Frankreich und der Antike überzeugt ist, bildet Hume offenbar eine Ausnahme, indem er das antike Griechenland und das moderne Frankreich, nicht aber das moderne England als vorbildlich begreift. Vgl. dazu Bärbel Czennia: »Nationale und kulturelle Identitätsbildung in Großbritannien 1660–1750. Eine historische Verlaufsbeschreibung«, in: Ulrike-Christine Sander/Fritz Paul (Hg.): Muster und Funktionen kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung. Beiträge zur internationalen Geschichte der sprachlichen und literarischen Emanzipation, Göttingen 2000, S. 355–390 (hier S. 367). Obwohl sich Czennia in ihrer Studie mit dem (englischen) »Entwurf eines distinktiven Nationalcharakters« (ebd., S. 374) auseinandersetzt, fehlt überraschenderweise jeder Hinweis auf den in dieser Hinsicht einschlägigen Humeschen Essay Of National Characters. Wie französische Aufklärer (so z. B. Voltaire) sich mit einer geschichtsphilosophischen Hilfskonstruktion ihrer eigenen Überlegenheit gegenüber anderen Nationen versichern, 280

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10. Über die Ungleichheit der Menschen. Teil 1: Die Bedeutung von Fußnoten Wenn Hume als einzig ausschlaggebende Ursache für nationale Unterschiede die über menschliche Interaktionen wirksamen (und damit in ihrer Kombinationsfülle prinzipiell nicht limitierten) moral causes ins Feld führt und im gleichen Atemzug die von anderen Autoren behauptete Bedeutung von physical causes (wie z. B. das Klima) negiert, so scheint er sich damit gleichsam von allen essentialistischen Konzepten des Menschen zu distanzieren, die mit Blick auf die weitgehende Konstanz klimatischer Bedingungen eine Unveränderlichkeit nationalspezifischer Charaktereigenschaften postulieren. Humes engagierte, differenzierende Analyse der moral causes legt eher die Vermutung nahe, dass seine Anthropologie die Bildung von nationalen Charakteren als einen sehr komplexen, multikausalen und prinzipiell niemals abgeschlossenen Prozess auffasst. Doch dem aufmerksamen Leser von Of National Characters entgeht nicht die mittlerweile berühmt-berüchtigte Anmerkung, deren Wortlaut den soeben noch unterstellten, Humes Schreiben befeuernden antiessentialistischen Impetus wieder in Frage stellt. Sie hat nicht zu Unrecht innerhalb der engeren Hume-Forschung, aber auch darüber hinaus, heftige Debatten ausgelöst281, da sie unweigerlich die folgende Frage provoziert: Warum widerspricht Hume in dieser kurzen Passage seiner an anderen hat Jochen Schlobach herausgearbeitet (»Der Universalitätsanspruch der französischen Aufklärung«, in: ders./Siegfried Jüttner [Hg.]: Europäische Aufklärung(en). Einheit und nationale Vielfalt, Hamburg 1992, S. 188–202). 281 Hingewiesen sei hier nur auf die Diskussionen bei Franz K. Stanzel: »Schemata und Klischees der Völkerbeschreibung in David Hume’s Essay ›Of National Characters‹«, in: Paul G. Buchloh/Inge Leimberg/Herbert Rauter (Hg.): Studien zur englischen und amerikanischen Sprache und Literatur. FS für Helmut Papajewski, Neumünster 1974, S. 363–383; Richard H. Popkin: »Hume’s Racism«, in: The Philosophical Forum 9 (1977), S. 211–226; John Immerwahr: »Hume’s Revised Racism«, in: Journal of the History of Ideas 53 (1992), S. 481–486; Robert Palter: »Hume and Prejudice«, in: Hume Studies 21 (1995), S. 3–23; Emmanuel C. Eze: »Hume, Race, and Human Nature«, in: Journal of the History of Ideas 61 (2000), S. 691–698; Aaron Garrett: »Hume’s Revised Racism Revisited«, in: Hume Studies 26 (2000), S. 171–177. Es fällt allerdings auf, dass die drei bis zum jetzigen Zeitpunkt publizierten Arbeiten, die eine möglichst lückenlose Gesamtdarstellung von Humes Leben und Lehre versuchen (Ernest Campbell Mossner: The Life of David Hume, 2 Aufl. Oxford 1980 [zuerst Edinburgh 1954]; Gerhard Streminger: David Hume. Sein Leben und sein Werk. 2. unveränd. Aufl. Paderborn 1994 [1. Aufl. 1994]; Roderick Graham: The Great Infidel. A Life of David Hume, East Linton 2004), auf diese Anmerkung entweder gar nicht eingehen (Mossner und Streminger), oder sie aber, wie z. B. Graham, mit dem Hinweis erklären: »[…] Hume was, with very limited experience, merely reflecting the views of his time. In 1758 he published Of the Populousness of Ancient Nations which contained a lengthy condemnation of slavery, so there is some mitigation of his patronising comments.« (S. 165) Die Behauptung Grahams, dass Hume hier lediglich eine auch von Zeitgenossen vertretene Auffassung reflektiere (vgl. hierzu: Margaret Hunt: »Racism, Imperialism and the Traveler’s Gaze in Eighteenth-Century England«, in: Journal of British Studies 32

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IV. Hume und die Antike

Stellen seines Werks wiederholt mit Nachdruck vertretenen anthropologischen Kernüberzeugung, dass die physisch-psychische Verfasstheit aller Menschen eine einheitliche sei? In der letzten, von Hume autorisierten Fassung dieses Essays von 1777282 heißt es in der besagten Anmerkung:

[1993], S. 333–357), wird dem Status dieser Anmerkung sicher nicht gerecht. Denn Hume verankert sie fest in diesem Essay, obwohl ihm kaum entgangen sein dürfte, dass eine solche Überzeugung die von ihm an anderer Stelle behauptete Universalität der menschlichen Natur in Frage stellt. Es geht hier also um das Problem einer Ausnahme, mit der Hume diesen Universalitätsanspruch wieder relativiert, nicht aber, wie Graham suggeriert, um die moralisch relevante Frage, ob sich Hume nun von der Praxis der Sklaverei distanziert oder nicht. Im Gegensatz zu den soeben genannten Interpreten Humes erhebt George Holland Sabine mit Bezug auf Humes ›sympathy‹-Konzept einen anderen Vorwurf: »Naturally he fails to recognize any hereditary similarities inherent in different races. […] He conceives imitation much too superficially.« (»Hume’s Contribution to the Historical Method«, in: Philosophical Review 15 [1906], S. 17–38, hier S. 24). 282 Die in Bd. 3 der Philosophical Works (hg. v. Green und Grose) abgedruckte Version dieser Anmerkung, die sich auf den Text der Ausgabe von 1753/54 stützt, lautet hingegen: »I am apt to suspect the negroes, and in general all the other species of men (for there are four or five different kinds) to be naturally inferior to the whites. There never was a civilized nation of any other complexion than white, nor even any individual eminent either in action or speculation. No ingenious manufactures amongst them, no arts, no sciences. On the other hand, the most rude and barbarous of the whites, such as the ancient GERMANS, the present TARTARS, have still something eminent about them, in their valour, form of government, or some other particular. Such a uniform and constant difference could not happen, in so many countries and ages, if nature had not made an original distinction betwixt these breeds of men. Not to mention our colonies, there are NEGROE slaves dispersed all over EUROPE, of whom no one ever discovered any symptoms of ingenuity; tho’ low people, without education, will start up amongst us, and distinguish themselves in every profession. In JAMAICA indeed they talk of one negroe as a man of parts and learning; but ’tis likely he is admired for very slender accomplishments, like a parrot, who speaks a few words plainly.« (PW III, 252) Im Vergleich zu diesen Äußerungen sind Humes Formulierungen in der Fassung der Ausgabe von E. F. Miller etwas zurückhaltender, wenn freilich auch an der generellen Tendenz seiner Argumentation, der natürlichen Überlegenheit der Europäer, festgehalten wird. Zur Geschichte des Rassismus allgemein vgl. George L. Mosse: Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt a. M. 1990 (zuerst Königstein/Ts. 1978) (engl. New York 1978); Robert Miles: Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg 1991 (engl. London 1989); zuletzt George M. Fredrickson: Rassismus. Ein historischer Abriß, Hamburg 2004 (engl. Princeton 2002). Zum Rassismus zur Zeit der Aufklärung vgl. Harold E. Pagliaro (Hg.): Racism in the Eighteenth Century, Cleveland 1973, sowie Emmanuel Chukwudi Eze: Race and the Enlightenment. A Reader, Oxford 1997. Über die Rassendiskussion u. a. bei Diderot, Rousseau, Voltaire und Kant vgl. die Arbeit von Gudrun Hentges: Schattenseiten der Aufklärung. Die Darstellung von Juden und »Wilden« in philosophischen Schriften des 18. und 19. Jahrhunderts, Schwalbach/Ts. 1999. Zum Verständnis von »Rasse« bei Linné, Maupertuis, Buffon, Kant, Forster, Blumenbach, von Soemmering u. a. vgl. die Materialsammlung bei Robert Bernasconi (Hg.): Concepts of Race in the Eighteenth Century. 8 Vols., Bristol 2001. Imanuel Geiss geht in seiner Studie auf David Hume ein, allerdings mit hanebüchenen Zuschreibungen (die dieser vermutlich amüsiert zur Kenntnis genommen hätte): »Der schottische Bischof (sic) und Philosoph des Rationalismus (sic) David Hume (1711–1776) kannte ebenfalls vier oder fünf Rassen.« (Geschichte des Rassismus, Frankfurt a. M. 1988, S. 149).

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I am apt to suspect the negroes to be naturally inferior to the whites. There scarcely ever was a civilized nation of that complexion, nor even any individual eminent either in action or speculation. No ingenious manufactures amongst them, no arts, no sciences. On the other hand, the most rude and barbarous of the whites, such as the ancient GERMANS, the present TARTARS, have still something eminent about them, in their valour, form of government, or some other particular. Such a uniform and constant difference could not happen, in so many countries and ages, if nature had not made an original distinction between these breeds of men. Not to mention our colonies, there are NEGROE slaves dispersed all over EUROPE, of whom no one ever discovered any symptoms of ingenuity; though low people, without education, will start up amongst us, and distinguish themselves in every profession. In JAMAICA, indeed, they talk of one negroe as a man of parts and learning; but it is likely he is admired for slender accomplishments, like a parrot283, who speaks a few words plainly. (ES, 208)

Diese Passage zeigt, wie eng benachbart Humes Konzepte von Anthropologie und Kultur sind: Über ›Kultur‹ verfügen allein die ›civilized nations‹, also die Menschen der europäischen und asiatischen Staaten, denn nur bei ihnen sind offenbar die biologisch-anthropologischen Voraussetzungen vorhanden, unter denen der Prozess der Zivilisierung, d. h. der Prozess einer sich zunehmend den Gesetzen unterstellenden Gemeinschaft, erfolgreich sein kann. Das Humesche Verständnis von ›Kultur‹ ist hier mit Emphase vorgetragen, denn es bezieht sich nicht auf jedwede ideelle oder materielle Lebensäußerung, sondern verbindet sich mit der Vorstellung von einem zwar nicht näher definierten, sich aber augenfällig am Beispiel europäischer Länder des 18. Jahrhunderts orientierenden Mindestniveau des Handwerks, der Künste und der Wissenschaften. Humes These lautet nun, dass an eben dieses Mindestniveau, für dessen Erreichen offenbar kognitive Fähigkeiten wie »speculation« oder »ingenuity« notwendig sind, die Lebensgestaltung der als »negroes« benannten Völker284 nicht heranreicht, so dass bei ihnen nicht von ›Kultur‹ gesprochen werden sollte.285

Es lässt sich nicht eindeutig bestimmen, inwieweit Hume bei der Abfassung dieses Essays die von John Locke überlieferte Anekdote des »very intelligent rational parrot« (An Essay Concerning Human Understanding. Hg. v. Alexander Campbell Fraser. 2 Bde. Bd. 1, New York 1959, S. 446 [Buch 2, Kap. 27, Abschn. 9]) vor Augen hatte. Locke greift dabei auf die Berichte William Temples (1628–1699) (Memoirs of what passed in Christendom from 1672 to 1679) zurück, in denen u. a. von einem Papagei die Rede ist, der nicht nur stereotype Antworten geben konnte, sondern zu flexibler Konversation fähig war. 284 Zum Konzept des ›negroes‹ vgl. David Brion Davis: The Problem of Slavery in Western Culture, 3. Aufl. Ithaca 1967, Kap. 15: »The Changing Image of the Negro«, S. 446–482 (zu Hume S. 457 ff.). 285 In Deutschland war es vor allem der Göttinger Philosoph Christoph Meiners (1747–1810), der das Verhalten der Afrikaner in Analogie zum Tierreich beschrieb und, wie Hume, ihre kulturelle 283

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IV. Hume und die Antike

Wie begründet Hume nun seine Behauptung? Als Basis seiner Argumentation dient ihm, wie sich aus den Formulierungen ersehen lässt, das aus gegenwärtigen und historischen Quellen gewonnene und aus aller Welt zusammengetragene Beobachtungsmaterial (»There scarcely ever was…«, »Such a uniform and constant difference […] in so many countries and ages…«, »no one ever discovered…«). Diese Beobachtungsdaten vermitteln Hume einen Überblick über das weite Spektrum der Erscheinungsformen von ›Kultur‹ und eine Einsicht in ihre, so Humes Überzeugung, graduell-qualitativen Unterschiede. Aus diesen Daten leitet Hume nun ein folgenschweres Fazit ab. Denn er geht davon aus, dass die durch Beobachtung wahrgenommenen, historisch und geographisch sich konstant zeigenden Differenzen des kulturellen Niveaus nicht auf kulturelle, sondern auf biologische Ursachen zurückzuführen sind. An diesem Punkt der Darstellung ist der Hinweis erforderlich, dass sich in dem hier zur Debatte stehenden Essay Of National Characters nicht nur ein, sondern gleich zwei unterschiedliche anthropologische Prinzipien identifizieren lassen, mit denen Hume kulturelle Unterschiede zu erklären versucht. So beruft er sich, wie bereits gezeigt, zum einen auf das Prinzip der ›sympathy‹, um die Entstehung spezifischer nationaler Eigenheiten plausibel zu machen. Da diese Eigenheiten durch den offensichtlich wechselhaften, auf immer neue Anknüpfungspunkte sinnenden Kontakt der Völkerschaften modelliert werden, tragen sie den Stempel permanenter Vorläufigkeit. Es ist zudem erkennbar, dass Humes anthropologischer Grundgedanke der ›sympathy‹ frei von jeder Teleologie ist: Mit der ›sympathy‹ beschreibt er zwar den Mechanismus der gegenseitigen Beeinflussung, ohne ihn jedoch mit der Vorgabe eines Ziels zu befrachten, auf das der Kontakt der Menschen unausweichlich zusteuern müsste. Dieses Fehlen einer Teleologie im ›sympathy‹-Konzept korrespondiert mit Unterlegenheit postulierte. Meiners schreibt 1790 im Göttingischen Historischen Magazin: »In eben dem Verhältnisse, in welchem die Neger gefühlloser sind, als die Europäer, in eben dem Verhältnisse sind sie auch weniger verständig, oder geistreich, und so wie ihre Gefühllosigkeit gegen Ebenmaaß und Schönheit sie zur Erfindung von Künsten und Kunstwerken unfähig macht, so macht die natürliche Beschränktheit ihrer Erkenntniß=Kräfte sie zur Erfindung und selbst zur Erlernung von Wissenschaften untüchtig.« (Ueber die Natur der afrikanischen Neger, und die davon abhangende Befreyung, oder Einschränkung der Schwarzen. Mit einem Nachwort hg. v. Frank Schäfer, 3. Aufl. Hannover 2000 [1. Aufl. 1997], S. 39). Zur Bedeutung Meiners für die deutsche Anthropologie vgl. auch Werner Krauss: Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Die Frühgeschichte der Menschheit im Blickpunkt der Aufklärung. Hg. v. Hans Kortum und Christa Gohrisch, München 1979 (zuerst Berlin [Ost] 1978), darin bes. das Kapitel: »Die deutsche Anthropologie am Ende des 18. Jahrhunderts« (S. 103–118). Vgl. auch Susanne Zantop: »Ansichten und Angesicht. Forster und Meiners als physiognomische Grenz-Gänger«, in: Renate Schlesier/Ulrike Zellmann (Hg.): Reisen über Grenzen. Kontakt und Konfrontation, Maskerade und Mimikry, Münster 2003, S. 165–177. Ebenfalls im Essay Of National Characters beschreibt Hume die in moralischer Hinsicht desaströse Auswirkung des Alkohols auf die Schwarzafrikaner: »You may obtain any thing of the NEGROES by offering them strong drink; and may easily prevail with them to sell, not only their children, but their wives and mistresses, for a cask of brandy.« (ES, 214).

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dem weiteren Befund, dass Hume offenbar auch kein Interesse daran zeigt, nach einem ›ursprünglichen‹ nationalen Charakter zu forschen, so als könne man mit diesem gleichsam den ›wahren, authentischen‹ Wesenszug eines Volkes erfassen. Statt dessen gibt Hume in der spezifischen Ausformulierung seines ›sympathy‹-Konzepts zu erkennen, dass er sich mehr für die historisch beobachtbaren Transformationen von Verhaltensweisen und die diese erklärende Mechanik interessiert als für Fragestellungen, die sich mit dem politischen oder kulturellen Ur- bzw. Naturzustand beschäftigen, die seiner Ansicht nach ohnehin nur spekulativ zu beantworten sind.286 Dieses ›sympathy‹-Konzept, das, genau betrachtet, Aussagen über Relationen, aber nicht über substanzielle Eigenheiten trifft, wird nun im Essay Of National Characters von einer zweiten These flankiert, die in Humes bisherigen anthropologischen Aussagen nicht geäußert worden war. Neben ihrer von Hume ins Auge gefassten Aufgabe, ein erklärendes Prinzip für die Beobachtungsdaten eines bestimmten Phänomenbereichs anzugeben, transportiert diese These aber auch einen von Hume nicht weiter explizierten Hintergedanken. Mit ihr reagiert Hume unverkennbar auf ein Defizit des oben genannten ›sympathy‹-Konzepts. Der Grundgedanke dieses Konzepts lautet vereinfacht: Lebensweisen, Ansichten sowie wissenschaftlich-künstlerische Fähigkeiten und Fertigkeiten der Völker sind das (mehr oder weniger) flüchtige Ergebnis ihrer sozialen Kontakte. Daraus ließe sich folgern, dass auch die beobachtbaren kulturellen Differenzen zwischen verschiedenen Nationen einen flüchtigen, nur vorübergehenden Charakter haben. Doch genau an diesem Punkt gerät das ›sympathy‹-Konzept offenbar mit den oben wiedergegebenen Beobachtungen Humes »in so many countries and ages« (ES, 208) in Konflikt. Denn der Vergleich der kulturellen Niveaus von ›negroes‹ und anderen Völkern zeigt ihm immer nur »a uniform and constant difference […]« (ebd.) an, oder, mit anderen Worten: die konstante Inferiorität der ›negroes‹. Durch eben diese Konstanz aber wird das ›sympathy‹-Konzept massiv in Frage gestellt, das ja von mittel-, wenigstens aber von langfristig zu erwartenden Umgestaltungen in der kulturellen Physiognomie der Völker ausgeht.

Bereits im dritten Buch des Treatise hatte sich Hume gegen die Annahme vom ›Goldenen Zeitalter‹ bzw. vom kriegerischen Naturzustand abgesetzt und ein von Anfang an geselliges Zusammenleben der Menschen für wahrscheinlicher gehalten: »[W]e may conclude, that ’tis utterly impossible for men to remain any considerable time in that savage condition, which precedes society; but that his very first state and situation may justly be esteem’d social. This, however, hinders not, but that philosophers may, if they please, extend their reasoning to the suppos’d state of nature; provided they allow it to be a mere philosophical fiction, which never had, and never cou’d have any reality […] not unlike that of the golden age, which poets have invented; only with the difference, that the former is describ’d as full of war, violence and injustice; whereas the latter is painted out to us, as the most charming and most peacable condition, that can possibly be imagin’d. […] This, no doubt, is to be regarded as an idle fiction […].« (T 3.2.2.14 f.; SBN 493 f.). 286

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Hume ist sich des weiteren bewusst, dass diese konstante Einförmigkeit nicht mit dem etwaigen Fehlen von Einflussfaktoren begründet werden kann, denn: »[T]here are NEGROE slaves dispersed all over EUROPE, of whom no one ever discovered any symptoms of ingenuity; though low people, without education, will start up amongst us, and distinguish themselves in every profession.« (ES, 208) Nicht also das bloße Vorhandensein einer signifikanten kulturellen Differenz bringt Hume hier dazu, die zuvor behauptete Allgemeingültigkeit des ›sympathy‹-Konzepts einzuschränken, sondern die Hartnäckigkeit, mit der sich, seinen Beobachtungen zufolge, ein massiver Unterschied des kulturellen Niveaus über Zeiten und Orte stabil hält. Doch der freie menschliche Gestaltungsbereich, die Kultur, kann, so Humes implizite These, eine solche Stabilität nicht begründen; allein die Natur vermag es, Kontinuitäten zu schaffen. Da sich an dieser Stelle die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Kultur in Humes Konzeption von Mensch und Welt aufdrängt, und weil Humes diesbezüglicher Standpunkt eng mit seinem Verständnis von Körper und Geist des Menschen verbunden ist, sollen nun in den nächsten zwei Abschnitten (11 und 12) die in dieser Hinsicht wesentlichen Äusserungen Humes kurz vorgestellt werden, um dann, an diese Positionen anknüpfend, erneut auf das Problem der von Hume offenbar doch nicht als gleichförmig begriffenen menschlichen Natur einzugehen.

11. Humes Verständnis von ›Kultur‹ und ›Natur‹ Humes Gegenüberstellung und argumentative Nutzbarmachung seiner Beobachtungen bezüglich Stabilität und Wandel der Kultur stehen in enger Beziehung zu seinem Verständnis der Beziehung von ›Natur‹ und ›Kultur‹, das im Folgenden genauer beleuchtet werden soll, bevor wieder auf Humes spezifische Beurteilung der ›negroes‹ zurückzukommen ist. Bei den nachstehenden Ausführungen gilt es, folgenden Umstand zu berücksichtigen: Zwar spricht Hume regelmäßig von ›nature‹ oder auch ›human nature‹ (so dass sich die Interpretation seines Naturkonzepts ohne Schwierigkeit dieser Begriffe bedienen kann), jedoch finden sich in seinen Schriften, wie schon an früherer Stelle dieser Studie betont, keine damit vergleichbaren, durchgängig verwendeten Bezeichnungen für das hier in Rede stehende Konzept von ›Kultur‹287, so dass dieses 287 Die gelegentlich benutzten Ausdrücke ›civilization‹ und ›civility‹ (die Fundstellen sind den Indices von E2, 278 und ES, 665 zu entnehmen) stellen bereits einen Sonderfall der Bezeichnung von ›Kultur‹ dar, da sie ein im Unterschied zur ›barbarity‹ hohes Niveau der Kultur bezeichnen. Die ›civility‹ einer Gemeinschaft zeigt sich für Hume vor allem in der Ausbildung und Akzeptanz einer stabilen rechtlichen und administrativen Infrastruktur. Im 3. Buch des Treatise vermerkt Hume in einer Anmerkung: »In the following discourse natural is also oppos’d sometimes to civil, sometimes to moral. The opposition will always discover the sense, in which it is taken.« (T 3.1.2.9; SBN 475) Im Unterschied zur Ausgabe des Treatise von Selby-Bigge/Nidditch findet sich der indexikalische

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entweder über Ersatzbegriffe oder aber, wie bislang schon geschehen, über den Humeschen Umgang mit kulturkonstitutiven Phänomenen (wie z. B. Literatur, Recht, Kunst, Religion etc.) erschlossen werden muss. Der Essay Of National Characters zeigt deutlich, dass Hume sein Reflexionsobjekt ›Mensch‹ hier zwar besonders unter dem Aspekt ›Kultur‹ betrachtet, ohne jedoch den Aspekt der ›Natur‹ aus den Augen zu verlieren. Der Mensch ist für Hume, wie nicht zuletzt seine wiederholte Rede von der »menschlichen Natur« im Treatise und in den Enquiries hervorhebt, nicht bloß ein Kultur-, sondern auch ein Naturwesen. Dies besagt, dass die menschliche Natur als ein Teilaspekt des größeren Komplexes ›Natur‹ aufzufassen ist, der wiederum auch das nichtmenschliche Leben, wie z. B. Pflanzen und Tiere, umfasst.288 Hume versteht die Natur gleichsam als eine schöpferische Instanz, die die von ihr hervorgebrachten Lebewesen in unterschiedlichem Ausmaß dirigiert und dabei im Großen wie im Kleinen nach spezifischen Prinzipien verfährt.289 Denn nicht alle Lebewesen, so Hume, würden von den gleichen Prinzipien geleitet. Dies zeige sich z. B. an der im Vergleich zum Menschen größeren Instinktgebundenheit der Tiere, die dazu noch über eine bessere organische Ausstattung verfügten. Die deutlichsten Ausführungen Humes zu diesem Thema finden sich sowohl im 3. Buch des Treatise290 als auch in den ersten Zeilen des 1742 veröffentlichten Essays

Eintrag ›civil‹ in der nun zur Referenzedition erklärten Ausgabe von D. F. Norton/M. J. Norton nicht. 288 Vgl. diesbezüglich die Darstellung unterschiedlicher Betrachtungsweisen von ›Natur‹ im 18. Jahrhundert bei Keith Thomas: Man and the Natural World. Changing Attitudes in England 1500–1800, Middlesex 1983. Zu der von Hume im 9. Abschnitt des ersten Enquiry (›Of the Reason of Animals‹) verfochtenen These, derzufolge die Grundlage der Erkenntnis bei Mensch und Tier die gleiche ist (nämlich die Empirie) und der Unterschied in den Denkakten nur als gradueller, aber nicht als kategorialer anzusehen ist, vgl. Michael J. Seidler: »Hume and the Animals«, in: Southern Journal of Philosophy 15 (1977), S. 361–372; Antony E. Pitson: »The Nature of Humean Animals«, in: Hume Studies 19 (1993), S. 301–316. 289 Scharfe Kritik am Naturbegriff Humes übt Robert Reininger: »Jene menschliche Natur steht aber bei Hume noch vor dem Hintergrunde eines umfassenderen, beinahe mystischen Naturbegriffs, in dem die metaphysikfeindliche Philosophie Humes ihre metaphysische Verankerung findet. Es ist jene ›Natur‹, welche nach Art einer Vorsehung mit zweckvoller Absichtlichkeit in uns wirkt, deren ›Weisheit‹ uns in zielsicheren Instinkten einen zuverlässigeren Führer auf den Lebensweg mitgegeben hat […]. Diese metaphysische und metapsychische Natur, welche unter dem Namen einer ›unveränderlich wirkenden Naturordnung‹ auch in der Religionsphilosophie den abergläubischen Vorstellungen entgegengestellt wird, unterscheidet sich, wie man mit Recht bemerkt hat, vom Gott des Deismus nur dem Namen nach.« (Locke, Berkeley, Hume, München 1922, S. 202). 290 Der organische Nachteil des Menschen, seine Bedürftigkeit, wird im 3. Buch des Treatise zum Argument für die Notwendigkeit seiner Vergesellschaftung: »Of all the animals, with which this globe is peopled, there is none towards whom nature seems, at first sight, to have exercis’d more cruelty than towards man, in the numberless wants and necessities, with which she has loaded him, and in the slender means, which she affords to the relieving these necessities. In other creatures these two particulars generally compensate each other. If we consider the lion as a voracious and carnivo-

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The Stoic. Beide Male greift Hume das schon antiken Denkern bekannte Konzept des ›Mängelwesens Mensch‹ auf, das in der Neuzeit vor allem in Herder seinen wichtigsten Fürsprecher fand, bevor im 20. Jahrhundert mit Arnold Gehlen dann auch der Terminus ›Mängelwesen‹ Einzug in die Diskussionen hielt.291 In The Stoic schreibt Hume: There is this obvious and material difference in the conduct of nature, with regard to man and other animals, that, having endowed the former with a sublime celestial spirit, and having given him an affinity with superior beings, she allows not such noble faculties to lie lethargic or idle; but urges him, by necessity, to employ, on every emergence, his utmost art and industry. Brute-creatures have many of their necessities supplied by nature, being cloathed and armed by this beneficient parent of all things: And where their own industry is requisite on any occasion, nature, by implanting instincts, still supplies them with the art, and guides them to their good, by her unerring precepts. But man, exposed naked and indigent to the rude elements, rises slowly from that helpless state, by the care and vigilance of his parents; and having attained his utmost growth and perfection, reaches only a capacity of subsisting, by his own care and vigilance. Every thing is sold to skill and labour; and where nature furnishes the materials, they are still rude and unfinished, till industry, ever active and intelligent, refines them from their brute state, and fits them for human use and convenience. (ES, 146)

Hume begreift die Menschen in ihrem Denken, Handeln und Wollen als von zwei Einflussfaktoren, nämlich von Natur und Kultur, durchdrungen. In dieser Betrachtungsweise versteht Hume ›Natur‹ und ›Kultur‹ weniger als jeweils unterschiedliche Lebensräume, die die Kulissen für menschliches Handeln abgeben, sondern vielmehr als Kräfte, die auf die vielfältigen menschlichen Bemühungen der Lebensbewältigung, -gestaltung und -deutung Einfluss nehmen.292 Versucht man zunächst, Aus-

rous animal, we shall easily discover him to be very necessitous; but if we turn our eye to his make and temper, his agility, his courage, his arms, and his force, we shall find, that his advantages hold proportion with his wants. The sheep and ox depriv’d of all these advantages; but their appetites are moderate, and their food is of easy purchase. In man alone, this unnatural conjunction of infirmity, and of necessity, may be observ’d in its greatest perfection. Not only the food, which is requir’d for his sustenance, flies his search and approach, or at least requires his labour to be produc’d, but he must be possess’d of cloaths and lodging, to defend him against the injuries of the weather; tho’ to consider him only in himself, he is provided neither with arms, nor force, nor other natural abilities, which are in any degree answerable to so many necessities.« (T 3.2.2.2; SBN 484) Man beachte, dass Hume hier mit ›natural abilities‹ in erster Linie körperliche Fähigkeiten oder Ausstattungsmerkmale im Auge hat. 291 Zur Geschichte und Problematik der divergenten Verwendungsweisen dieses Begriffs vgl. W. Brede: Art. »Mängelwesen«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Darmstadt 1980, Sp. 712–713. 292 Damit soll nicht behauptet werden, dass es in Humes Schriften keine Passagen gäbe, in

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gangspunkt und Stoßrichtung dieser Kräfte zu skizzieren, so lassen sich folgende idealtypische Merkmale feststellen: Die Natur bzw. ihr gleichsam in den Menschen wirkender ›Ableger‹, die menschliche Natur, reguliert mit ihren Prinzipien die Abläufe des im Menschen vor sich gehenden Erkenntnis- und Affektgeschehens, indem sie, so Humes Ansicht, eine Mechanik bereitstellt, die Körper wie Geist des Menschen gleichermaßen strukturiert.293 So heißt es beispielsweise in der ersten Enquiry: They [the philosopher and the physician, M. B.] know, that a human body is a mighty complicated machine: That many secret powers lurk in it, which are altogether beyond our comprehension: That to us it must often appear very uncertain in its operations: And that therefore the irregular events, which outwardly discover themselves, can be no proof, that the laws of nature are not observed with the greatest regularity in its internal operations and government. The philosopher, if he be consistent, must apply the same reasoning to the actions and volitions of intelligent agents. (E1 8.14; SBN 87)

Meint Hume hier also mit ›Natur‹ eine innerhalb der Menschen zu verortende, von menschlicher Willkür unbeeinflusste Steuerungsinstanz, so erscheint ihm ›Kultur‹ vielmehr als das von Menschen geschaffene und von Außen auf sie einwirkende Moder die Natur etwa als von der Zivilisation noch weitgehend unberührte Umwelt geschildert wird; jedoch tritt dieses Verständnis bezüglich seiner Häufigkeit hinter dem der Natur als einer wirkenden Kraft zurück. Im 10. und 11. Teil der Dialogues Concerning Natural Religion beispielsweise debattieren Demea, Philo und Cleanthes über das Elend des Menschen und haben dabei offenbar das Bild einer offensichtlich für den Menschen nicht eben lebensgünstigen natürlichen Umwelt vor Augen, deren Unbill nur durch Kultivierung bzw. Sozialisierung einigermaßen beizukommen ist: »Observe too, says PHILO, the curious artifices of nature, in order to embitter the life of every living being. The stronger prey upon the weaker, and keep them in perpetual terror and anxiety. […] Consider the innumerable race of insects, which either are bred on the body of each animal, or flying about infix their stings in him. These insects have others still less than themselves, which torment them. And thus on each hand, before and behind, above and below, every animal is surrounded with enemies, which incessantly seek his misery and destruction. Man alone, said DEMEA, seems to be, in part, an exception to this rule. For by combination in society, he can easily master lions, tigers, and bears, whose greater strength and agility naturally enable them to prey upon him.« (DR, 96) Und wenig später gibt Philo zu bedenken: »Besides, we must consider, that, according to the present oeconomy of the world, the course of nature, though supposed exactly regular, yet to us appears not so, and many events are uncertain, and many disappoint our expectations. Health and sickness, calm and tempest, with an infinite number of other accidents, whose causes are unknown and variable, have a great influence both on the fortunes of particular persons and on the prosperity of public societies: And indeed all human life, in a manner, depends on such accidents.« (DR, 108). 293 Diese Mechanik lässt sich nach Hume besonders gut bei der fast instinktgleich verfahrenden Gewohnheit (›custom‹) beobachten: »It is more conformable to the ordinary wisdom of nature to secure so necessary an act of the mind, by some instinct or mechanical tendency, which may be infallible in its operations, may discover itself at the first appearance of life and thought, and may be

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ment. In Humes Augen fallen unter ›Kultur‹, so ließe sich sagen, all die von den Menschen hervorgebrachten und (in größerem oder kleinerem Ausmaß) auf sie zurückwirkenden Manifestationen ihres Denkens, Glaubens und Wollens, gleich, ob sie nun ideelle, materielle oder performative Gestalt annehmen. Humes doppelte Sichtweise betont den Reziprozitätscharakter von Kultur, indem sie sie zum einen als das von Menschen Hervorgebrachte, zum anderen aber auch als eine wirkende Kraft begreift: Ob man ein zu einem bestimmten Zeitpunkt in den sozialen Verkehr tretendes Erzeugnis nun zur Architektur, Politik, Religion, Moral, Ökonomie, Literatur, Wissenschaft, bildenden Kunst oder zum Schaupiel rechnet, ob es sich dabei z. B. um einen mathematischen Lehrsatz, ein Gedicht, einen Triumphbogen oder den rituellen Vollzug eines Gottesdienstes handelt: Es wird von nun an zum Gegenstand der bewussten oder unbewussten Rezeption, der Interpretation sowie zum Ausgangsbzw. Referenzpunkt weiterer Produktion. Die Entsprechung zu der hier offenbar werdenden Differenz zwischen den Humeschen Konzepten von ›Natur‹ (als einer invarianten, stets gleichförmig im menschlichen Inneren wirkenden Instanz) und dem von ›Kultur‹ (das sich bei Hume aus der Unmenge der von Menschen hervorgebrachten Einzelphänomene ergibt) ist nicht zuletzt an folgendem Umstand zu bemerken: So spricht Hume in seinen Schriften einerseits ausnahmslos von ›der Natur‹ im Singular, andererseits jedoch stellt er das von ihm als ›Kultur‹ Begriffene in seiner ganzen Pluralität dar: eine heterogene, z. T. durch Konkurrenz geprägte Gemengelage aus menschlichen Anschauungen, Tätigkeiten oder Erzeugnissen, in der etwaige Gemeinsamkeiten allenfalls als national geprägte Spezifikationen zu identifizieren sind. Wenn im Zusammenhang der Interpretation Humescher Auffassungen also von ›der Kultur‹ die Rede ist, so ist hierbei nicht an eine einzige, unveränderliche Größe zu denken, sondern vielmehr an das mit dem Ausdruck ›die Kulturen‹ weitaus treffender bezeichnete Nebeneinander und (da Hume seine Arbeiten stets auch historisch perspektiviert) Nacheinander der vielfältigen und untereinander konkurrierenden Manifestationen menschlichen Denkens und Handelns.

independent of all the laboured deductions of the understanding. As nature has taught us the use of our limbs, without giving us the knowledge of the muscles and nerves, by which they are actuated; so has she implanted in us an instinct, which carries forward the thought in correspondent course to that which she has established among external objects; though we are ignorant of those powers and forces, on which his regular course and succession of objects totally depends.« (E1, 5.22; SBN 55) Wenig später benutzt Hume eine weitere Formulierung, die anzeigt, dass er von einer (wenn auch menschlichem Geist nicht vollständig ersichtlichen) Mechanik der Naturverläufe überzeugt ist: »The scenes of the universe are continually shifting, and one object follows another in an uninterrupted succession; but the power of force, which actuates the whole machine, is entirely concealed from us.« (E1, 7.8; SBN 63) [Hervorhebung M. B.].

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Wo die Natur, so Humes Ansicht, für eine allgemeine Verbindlichkeit der von ihr geschaffenen Prinzipien sorgt, und dies nicht zuletzt auch in Bezug auf den Menschen294, da offenbart die vom Menschen gestaltete Kultur zwei gegenläufig erscheinende Effekte in sich, denn sie verbindet und differenziert die Menschen zugleich. Einerseits verbindet die Kultur, da sie unter den Menschen sowohl diskursive als auch nicht-diskursive Verständigungsprozesse über vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Interpretationen der Welt sowie über verbindliche Werte und Ziele in Gang setzt und repräsentiert; die Geschichtsschreibung ist diejenige Disziplin, die über die Entstehung, die Modifikation und den Verfall solch unterschiedlicher Werte-, Glaubens- oder Zweckbündnisse Auskunft gibt (und damit natürlich selbst auch Teil des Verständigungsprozesses ist). Andererseits aber, so zeigen Humes Analysen von Vergangenheit und Gegenwart, lässt sich die Kultur stets auch als (intellektuelles wie körperliches295) Kräftemessen auffassen, in dem sich diverse Werte-, Glaubens- oder Zweckgemeinschaften den Anspruch auf Deutungshoheit streitig machen. Der Wettbewerb unterschiedlicher politischer, ästhetischer, wirtschaftlicher296, wissenschaftlicher oder auch religiöser Maximen (der, so zeigt die Geschichte, nicht selten mit roher Gewalt ausgetragen wird) führt zu Parteienbildung, die die Gesellschaft segmentiert und differenziert. Des weiteren sind noch die jenseits aller Fraktionen stehenden Vorstöße Einzelner auf politischem, wissenschaftlichem oder künstlerischem Gebiet zu berücksichtigen. Auch die gesellschaftliche Stratifizierung anhand von Eigentumsverhältnissen, so Hume, dürfe als eine wichtige Antriebsfeder der Kultur297 nicht vergessen werden. 294 »Now ’tis obvious, that nature has preserv’d a great resemblance among all human creatures, and that we never remark any passion or principle in others, of which, in some degree or other, we may not find a parallel in ourselves.« (T 2.1.11.5; SBN 318). 295 Dass Hume in der Kultur keinesfalls bloß eine von allem Körperlichen gereinigte, nur geistige Kraftprobe erblickt, zeigen nicht zuletzt seine drastischen Darstellungen von kriegerischen Auseinandersetzungen in seiner History (vgl. HE I, 149; HE I, 210; HE II, 640 sowie HE V, 139). 296 Wirtschaftlicher Wettbewerb, so Hume im 3. Buch des Treatise, ist in erster Linie eine Folge von Güterknappheit und menschlichem Neid: »They [the poets, M. B.] easily perceiv’d, if every man had a tender regard for another, or if nature supply’d abundantly all our wants and desires, that the jealousy of interest, which justice supposes, cou’d no longer have place; nor wou’d there be any occasion for those distinctions and limits of property and possession, which at present are in use among mankind.« (T 3.2.2.16; SBN 494) Dies ist auch ein Grund, warum Hume den Gedanken eines von Eigentumsstreitereien freien Naturzustands oder den des ›Goldenen Zeitalters‹ nur als »idle fiction« (ebd.) betrachten kann. 297 Im 2. Buch des Treatise bestimmt Hume das Eigentum als wichtigen Faktor der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung: »Men cannot live without society, and cannot be associated without government. Government makes a distinction of property, and establishes the different ranks of men. This produces industry, traffic, manufactures, law-suits, war, leagues, alliances, voyages, travels, cities, fleets, ports, and all those other actions and objects, which cause such a diversity, and at the same time maintain such an uniformity in human life.« (T 2.3.1.9; SBN 402) Diese Differenzierung erfasst, so Hume, den ganzen Menschen: »The skin, pores, muscles, and nerves of a day-labourer are

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IV. Hume und die Antike

All die hier genannten Konkurrenzverhältnisse lassen sich, so Hume, nicht nur innerhalb jeder einzelnen Kultur aufspüren, sondern bestimmen auch die Beziehungen der Kulturen untereinander.298 Für Humes Überzeugung der stetigen, aber, wie bereits betont, keiner Teleologie folgenden Ausdifferenzierung der Kulturen ist nicht zuletzt sein Grundgedanke von Bedeutung, der sich auf die Mobilität der Menschen299 und damit auch eines Großteils ihrer ideellen, materiellen und performativen Erzeugnisse bezieht. Hume ist davon überzeugt, dass diese Mobilität nicht nur Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenführt, die ansonsten durch geographische, politische oder ethnische Gräben getrennt sind, sondern dass sie in Verbindung mit dem bereits mehrfach erwähnten und in jedem Menschen anzutreffenden Prinzip der ›sympathy‹ (vgl. a. T 2.1.11.2; SBN 316) auch die Ursache dafür ist, dass die Verbreitung von Ideen, Sprachen, Sitten sowie künstlerischen oder wissenschaftlichen Fertigkeiten zumeist nicht auf einen bestimmten geographischen, politischen oder ethnischen Raum begrenzt bleibt: Die ›Kultur‹ mit ihren vielen Facetten, so zeigt Humes Blick in die Geschichte, ist ein hybrides Konstrukt, ein durch Interaktion der Menschen in Gang gehaltenes Austauschgeschehen von kulturellen Versatzstücken.300 different from those of a man of quality: So are his sentiments, actions and manners. The different stations of life influence the whole fabric, external and internal […].« (T 2.3.1.9; SBN 402) Auch im 3. Buch des Treatise ist die gesellschaftliche Differenzierung mit der Eigentumsfrage verknüpft: »Different parts of the earth produce different commodities; and not only so, but different men both are by nature fitted for different employments, and attain to greater perfection in any one, when they confine themselves to it alone. All this requires a mutual exchange and commerce; for which reason the translation of property by consent is founded on a law of nature, as well as its stability without such a consent.« (T 3.2.4.1; SBN 514). 298 Auch die Beziehungen der Staaten sieht Hume von der Natur beeinflusst. Im Essay Of the Jealousy of Trade ist sie nicht die Kraft, die für Gleichförmigkeit sorgt, sondern die Ursache von (für die kulturelle Entwicklung notwendigen) Differenzen: »Nature, by giving a diversity of geniuses, climates, and soils, to different nations, has secured their mutual intercourse and commerce, as long as they all remain industrious and civilized. Nay, the more the arts encrease in any state, the more will be its demands from its industrious neighbours.« (ES, 329). 299 In den Dialogues äußert Philo den Verdacht, dass eine an der Beibehaltung ihres Einflusses interessierte Priesterschaft aufgrund der zunehmenden Mobilität der Menschen, aus der Skeptizismus und Relativierung religiöser Ansichten resultieren, notwendig zu stärkerem Dogmatismus tendieren muss: »But at present, when the influence of education is much diminished, and men, from a more open commerce of the world, have learned to compare the popular principles of different nations and ages, our sagacious divines have changed their whole system of philosophy, and talk the language of STOICS, PLATONISTS, and PERIPATETICS, not that of PYRRHONIANS and ACADEMICS.« (DR, 41). 300 Wie wichtig dieses Austauschgeschehen für England war, betont Hume im Essay Of the Jealousy of Trade: »Compare the situation of GREAT BRITAIN at present, with what it was two centuries ago. All the arts both of agriculture and manufactures were then extremely rude and imperfect. Every improvement, which we have since made, has arisen from our imitation of foreigners; and we ought so far to esteem it happy, that they had previously made advance in arts and ingenuity. But

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Dabei ist es für Humes Verständnis dieses Prozesses unerheblich, ob es sich bei dieser Interaktion um einen bewussten oder unbewussten, einen friedfertigen oder kriegerischen Vorgang handelt. Der Transfer sowie die Adaption kultureller Versatzstücke unterliegen, so Humes Auffassung, prinzipiell keiner Begrenzung301, wenngleich seine konkreten historischen Momentaufnahmen zeigen, dass beispielsweise eine produktive Adaption fremder wissenschaftlicher Errungenschaften nur dann zu erwarten ist, wenn günstige, individuelle Vorraussetzungen wie »youth, leisure, education, genius, and example« (ES, 113) gegeben sind. Ähnliches gilt auch für die Kunst. Diese Einschränkung aber zeigt an, dass Humes Blick auf die Menschen diese keinesfalls bloß als ununterscheidbar agierende Träger und Ausführende eines nationalspezifischen Kulturkonzepts betrachtet, obwohl seine Anthropologie gleichwohl davon ausgeht, dass ihr Denken und Handeln allgemeinverbindlichen Prinzipien folgt. Statt dessen schärft Hume seinen Lesern ein, bei der Beurteilung nationaler Charaktere die individuellen Eigenheiten der Beobachteten nicht zu vernachlässigen: Where a number of men are united into one political body, the occasions of their intercourse must be so frequent, for defence, commerce, and government, that, together with the same speech or language, they must acquire a resemblance in their manners, and have a common or national character, as well as a personal one, peculiar to each individual. (ES, 20)

Die vorliegende Studie hat im Verlauf der Rekonstruktion der Humeschen Auffassung des Verhältnisses von ›Kultur‹ und ›Natur‹ beide Kräfte um der Anschaulichkeit willen getrennt betrachtet. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Trennung nur eine this intercourse is still upheld to our great advantage: Notwithstanding the advanced state of our manufactures, we daily adopt, in every art, the inventions and improvements of our neighbours.« (ES, 328 f.). 301 Humes Schriften sind reich an Belegstellen für diese These. Es sei hier nur an die Passagen der History of England erinnert, in denen Hume seine Darstellung der Entwicklung Englands zu einem militärisch, wissenschaftlich und ökonomisch erfolgreichen Gemeinwesen gerade auf diese These stützt. So heißt es z. B. im ersten Band über Alfred den Großen (848–899): »He invited, from all quarters, industrious foreigners to repeople his country, which had been desolated by the ravages of the Danes. […] He prompted men of activity to betake themselves to navigation, to push commerce into the most remote countries, and to acquire riches by propagating industry among their fellow-citizens. […] Even the elegancies of life were brought to him from the Mediterranean and the Indies; and his subjects, by seeing those productions of the peaceful arts, were taught to respect the virtues of justice and industry, from which alone they could arise.« (HE I, 109; Kap. 2). Und nachdem Hume die Angelsachsen dieser Zeit als »rude, uncultivated people, ignorant of letters, unskilled in the mechanical arts, untamed to submission under law and government, addicted to intemperance, riot, and disorder« beschrieben hat, erachtet er deren Unterwerfung durch die Normannen als ersten Schritt der Verbesserung: »The Conquest put the people in a situation of receiving slowly from abroad the rudiments of science and cultivation, and of correcting their rough and licentious manners.« (HE I, 222; App. 1).

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interpretatorische Hilfskonstruktion ist. Für den schottischen Philosophen sind in dem empirisch zugänglichen Untersuchungsgegenstand ›Mensch‹ (in Humes Worten: »men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures« [T Introduction, 10; SBN xix]) beide Aspekte immer schon aufs engste miteinander verbunden. Jeder einzelne Mensch, so ließe sich eine Grundüberzeugung Humes formulieren, ist Schauplatz des Zusammenwirkens von ›Natur‹ und ›Kultur‹. Dieses Zusammenwirken zeigt zugleich ein Miteinander von Allgemeinem und Besonderem, von Überzeitlichem und Historischem, und zwar in folgender Hinsicht: Laut Humes Anthropologie greifen die in jedem Menschen wirksamen, die Verstandesprozesse und das Affektgeschehen dirigierenden Prinzipien auf die individuellen Erfahrungen des Einzelnen zurück, die dieser, dem Zustand seiner zu einem bestimmten Zeitpunkt durch Anlage und Erziehung ausgebildeten kognitiven, sensiblen und affektiven Fertigkeiten entsprechend, in einem bestimmten soziokulturellen Umfeld sammeln konnte.302 Folgt man Humes im Treatise dargelegten Standpunkt, dann können diese affektiven und kognitiven Vorgänge nicht der zugrundeliegenden Mechanik, wohl aber der in ihnen verarbeiteten Inhalte wegen als individuell bezeichnet werden; aus diesen Vorgängen ergeben sich die ebenso individuellen Anschauungen, Motivationen und Handlungen.303 Da Menschen jedoch, so lautet eine weitere Überzeugung Humes, für gewöhnlich nicht in der Isolation leben, sondern in kleineren oder größeren gesellschaftlichen Verbänden beheimatet und daher durch zahlreiche Lebenszusammenhänge mit ihren Mitmenschen verbunden sind, kann die Besonderheit der oben bereits genannten Perzeptionsinhalte keine absolute, sondern nur eine relative sein. Wenn man diese These in die Nähe zum ›sympathy‹-Konzept304 rückt, das sie Vgl. dazu Simon Evnine: »Hume, Conjectural History, and the Uniformity of Human Nature«, in: Journal of the History of Philosophy 31 (1993), S. 589–606. 303 Die Individualität jeder Handlung betont Hume im 3. Buch des Treatise: »If we consider the ordinary course of human actions, we shall find, that the mind restrains not itself by any general and universal rules; but acts on most occasions as it is determin’d by its present motives and inclination. As each action is a particular individual event, it must proceed from particular principles, and from our immediate situation within ourselves, and with respect to the rest of the universe.« (T 3.2.6.9; SBN 531). 304 Den locus classicus zu dieser These enthält das 2. Buch des Treatise, der hier darum ausführlich zitiert sei: »In all creatures, that prey not upon others, and are not agitated with violent passions, there appears a remarkable desire of company, which associates them together, without any advantages they can ever propose to reap from their union. This is still more conspicuous in man, as being the creature of the universe, who has the most ardent desire of society; and is fitted for it by the most advantages. We can form no wish, which has not a reference to society. A perfect solitude is, perhaps, the greatest punishment we can suffer. Every pleasure languishes when enjoy’d apart from company; and every pain becomes more cruel and intolerable. Whatever other passions we may be actuated by; pride, ambition, avarice, curiosity, revenge or lust; the soul or animating principle of them all is sympathy; nor wou’d they have any force, were we to abstract entirely from the thoughts and sentiments of others. Let all the powers and elements of nature conspire to serve 302

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ergänzt, so wird Humes Manöver verständlich: Er versucht, seine Beobachtungen bezüglich lokal- bzw. kulturtypischer Denk- und Verhaltensmerkmale theoretisch zu fundieren, indem er das Vorhandensein dieser Merkmale auf die Ähnlichkeit der Perzeptionen von Mitgliedern einer Gesellschaft zurückführt, die in wechselseitigem Kontakt stehen. An diesem Punkt der Darstellung wird deutlich, dass dem Konzept der Perzeptionen nicht nur eine Schlüsselfunktion in Humes Erkenntnistheorie zukommt305 (dessen Stärken und Schwächen in der Forschungsliteratur hinlänglich diskutiert worden sind)306, sondern dass dieses Konzept auch für das Verständnis der Humeschen Auffassung von der Doppelnatur des Menschen als Natur- und Kulturwesen von großer Bedeutung ist. Diese Art der Doppelnatur des Menschen stellt für Hume offenbar einen viel größeren Reflexionsanreiz dar als das von vielen, vor allem in der Traditon der Pythagoreer und Platon stehenden Denkern erörterte Leib-Seele-Problem.307

and obey one man: Let the sun rise and set at his command: The sea and rivers roll as he pleases, and the earth furnish spontaneously whatever may be useful or agreeable to him: He will still be miserable, till you give him some one person at least, with whom he may share his happiness, and whose esteem and friendship he may enjoy.« (T 2.2.5.15; SBN 363) Im 3. Buch heißt es dazu: »[W]e may conclude, that ’tis utterly impossible for men to remain any considerable time in that savage condition, which precedes society; but that his very first state and situation may justly be esteem’d social.« (T 3.2.2.14; SBN 493). 305 Die Perzeptionen sind, nimmt man Humes Äußerungen ernst, der hauptsächliche Untersuchungsgegenstand des Treatise: »[…] my philosophy, which pretends only to explain the nature and causes of our perceptions, or impressions and ideas.« (T 1.2.5.26; SBN 64). 306 Vgl. dazu beispielsweise Panayot Butchvarov: »The Self and Perceptions. A Study in Humean Philosophy«, in: Philosophical Quarterly 9 (1959), S. 97–115; Aleksandar Pavkovic: »Hume’s Argument for the Dependent Existence of Perceptions. An Alternative Reading«, in: Mind 91 (1982), S. 585–592; William Davie: »Hume on Perceptions and Persons«, in: Hume Studies 10 (1984), S. 125–138; Robert McRae: »Perceptions, Objects and the Nature of Mind«, in: Hume Studies, Supplement (1985), S. 150–167; Howard Seeman: »Questioning the Basis of Hume’s Empiricism. ›Perceptions‹, what are they?«, in: Nous 20 (1986), S. 391–399; Saul Traiger: »The Ownership of Perceptions. A Study of Hume’s Metaphysics«, in: History of Philosophy Quarterly 5 (1988), S. 41–51. Einen Überblick über die verschiedenen Konzepte von ›Perzeption‹ im 18. Jahrhundert bietet Karl M. Figlio: »Theories of Perception and the Physiology of Mind in the Late Eighteenth Century«, in: History of Science 12 (1975), S. 177–212. Es sei nur nebenbei bemerkt, dass das Historische Wörterbuch der Philosophie zwar einen von Wolfgang Janke verfassten Artikel zur Begriffsgeschichte von ›Perzeption‹ verzeichnet (Bd. 7. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Darmstadt 1989, Sp. 382–386), dieser allerdings keinen einzigen Hinweis auf Hume enthält. 307 Einen historischen Überblick über divergente Antwortversuche von der Antike bis zur Gegenwart liefert der Artikel »Leib-Seele-Verhältnis« von R. Specht und Th. Rentsch im Historischen Wörterbuch der Philosophie. Bd. 5. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Darmstadt 1980, Sp. 185–206.

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IV. Hume und die Antike

12. Hume über das Verhältnis von Körper und Geist Diese Fragestellung, die in der Neuzeit vor allem durch die wirkungsmächtigen Schriften René Descartes’ zugespitzt wurde, findet bei Hume durchaus ihr Echo, etwa indem er die Qualität der Wahrnehmung als von körperlichen Dispositionen abhängig erklärt308, eine strukturelle Analogie zwischen den Funktionsweisen von ›body‹ und ›mind‹ annimmt309 und dem Willen einen Einfluss auf den Körper zugesteht. Zu einem abschließenden Urteil jedoch über die für das Verhältnis von Körper und Geist ausschlaggebenden Prinzipien kann sich Hume nicht durchringen.310 Denn weitaus mehr als die Beziehung von Körper und Geist beschäftigt ihn seine (freilich niemals explizit formulierte) These, gemäß der sich im Menschen die Kräfte von Natur und Kultur kreuzen. Als Schnittpunkt dieser Kräfte begreift Hume jedoch nicht den Körper, sondern den Geist des Menschen, genauer: seine Perzeptionen, denn sie lassen sich als Verbindung von naturbestimmten Assoziationsabläufen mit kulturspezifischen Eindrucks- bzw. Vorstellungsinhalten auffassen. In mindestens zweifacher Hinsicht, und zwar sowohl bei der Analyse der unter der Bezeichnung ›human nature‹ firmierenden Prinzipien des Geistes als auch bei den Versuchen, historische Vorgänge und kulturelle Verhaltensweisen zu erklären, operieren Humes Schriften mit den Hierzu s. z. B. Buch 1 des Treatise: »This opinion is confirm’d by the seeming encrease and diminuition of objects, according to their distance; by the apparent alterations in their figure; by the changes in their colour and other qualities from our sickness and distempers; and by an infinite number of other experiments of the same kind; from all which we learn, that our sensible perceptions are not possest of any distinct or independent existence.« (T 1.4.2.45; SBN 211) Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund des Humeschen Konzepts vgl. John P. Wright: »Metaphysics and Physiology. Mind, Body, and the Animal Economy in Eighteenth Century Scotland«, in: M. A. Stewart (Hg.): Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment, Oxford 1991, S. 251–301. 309 Auch hier ist die folgende, schon an früherer Stelle dieser Arbeit zitierte Passage einschlägig: »They [the philosopher and the physician, M. B.] know, that a human body is a mighty complicated machine: That many secret powers lurk in it, which are altogether beyond our comprehension: That to us it must often appear very uncertain in its operations: And that therefore the irregular events, which outwardly discover themselves, can be no proof, that the laws of nature are not observed with the greatest regularity in its internal operations and government. The philosopher, if he be consistent, must apply the same reasoning to the actions and volitions of intelligent agents.« (E1, 8.14; SBN 87). 310 »This influence [of volition over the organs of the body, M. B.], we may observe, is a fact, which, like all other natural events, can be known only by experience, and can never beforeseen from any apparent energy or power in the cause, which connects it with the effect, and renders the one an infallible consequence of the other. The motion of our body follows upon the command of our will. Of this we are every moment conscious. But the means, by which this is effected; the energy, by which the will performs so extraordinary an operation; of this we are so far from being immediately conscious, that it must for ever escape our most diligent enquiry. […] [I]s there any principle in all nature more mysterious than the union of soul with body; by which a supposed spiritual substance acquires such an influence over a material one, that the most refined thought is able to actuate the grossest matter?« (E1, 7.10 f.; SBN 64 f.). 308

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Perzeptionen als wichtigem Bezugspunkt und weisen damit eindeutig den Geist des Menschen als den entscheidenden Untersuchungsgegenstand aus. Die Kehrseite dieser besonderen Aufmerksamkeit für den Geist kommt nun darin zum Ausdruck, dass Aussagen Humes, die den Stellenwert des menschlichen Körpers innerhalb des kulturellen Lebens betreffen, äußerst spärlich gesät sind. Im sechsten Abschnitt seiner zweiten Enquiry geht Hume z. B. auf solche menschlichen Eigenschaften ein, die Gegenstand der Wertschätzung werden können. Dabei fällt sein Blick zum einen auf »manners and behaviour«, wie z. B. »discretion, caution, enterprize« (E2 6.21; SBN 242), aber auch auf »the influence of bodily endowments, and of the goods of fortune, over our sentiments of regard and esteem […].« (E2 6.23; SBN 244) Broad shoulders, a lank belly, firm joints, taper legs; all these are beautiful in our species, because signs of force and vigour. Ideas of utility and its contrary, though they do not entirely determine what is handsome or deformed, are evidently the source of a considerable part of approbation or dislike. In ancient times, bodily strength and dexterity, being of greater use and importance in war, was also much more esteemd and valued, than at present. (E2 6.25 f.; SBN 244 f.)

Die kulturell abhängige Wertschätzung körperlicher Eigenschaften wird, so Hume, von ästhetischen Gesichtspunkten geleitet, die aber zugleich auch utilitaristische Gesichtspunkte sind. Hier ist an das bereits zu Humes Geschmacksverständnis Gesagte zu erinnern: Schön ist das, was nützlich ist oder als solches vorgestellt werden kann. Die Bedeutsamkeit des menschlichen Körpers für die Kultur beginnt für Hume noch vor aller Gesellschaft und Kultur, nämlich dort, wo die naturbedingte Begrenztheit, Schwäche und Hinfälligkeit des einen durch den Verbund vieler kompensiert wird und somit die Errichtung eines Gemeinwesens, mithin das Entstehen von Kultur, ermöglicht. In man alone, this unnatural conjunction of infirmity, and of necessity, may be observ’d in its greatest perfection. […] [T]o consider him only in himself, he is provided neither with arms, nor force, nor other natural abilities, which are in any degree answerable to so many necessities. ’Tis by society alone he is able to supply his defects, and raise himself up to an equality with his fellow-creatures, and even acquire a superiority above them. By society all his infirmities are compensated; and tho’ in that situation his wants multiply every moment about him, yet his abilities are still more augmented, and leave him in every respect more satisfy’d and happy, than ’tis possible for him, in his savage and solitary condition, ever to become. When every individual person labours apart, and only for himself, his force is too small to execute any considerable work […]. ’Tis by this additional force, ability, and security, that society becomes advantageous. (T 3.2.2.2 f.; SBN 485)

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IV. Hume und die Antike

Mit dem Ausdruck ›force‹ bezeichnet Hume die bei körperlicher Arbeit aufzuwendende Kraft. Ihr in jedem Individuum zur Verfügung stehendes Potential ist jedoch durch die Natur limitiert. Erst die Bündelung von mehreren Kräften und das arbeitsteilige Vorgehen können diese natürliche Beschränkung kompensieren und es einem Gemeinwesen gestatten, sich eine solide Infrastruktur aufzubauen und z. B. durch die ›Schlagkraft‹ einer Armee zu erhalten, so dass die verschiedenen Bedürfnisse der Menschen dauerhaft befriedigt werden können.311 Zwar gibt Hume an dieser Stelle keine weiteren Hinweise, doch ließe sich im Hinblick auf Projekte, die gemeinsame Kraftanstrengungen erfordern, etwa an die gemeinsame Errichtung von Häusern, an die kollektive Bewirtschaftung von Ländereien, an den vereinten Ausbau von Verkehrswegen und an die Konstruktion größerer Transport- und Verkehrsmittel wie z. B. Schiffe denken. In dieser Hinsicht betrachtet Hume den Körper (genauer: seine Arbeitskraft) zweifelsohne als einen unentbehrlichen Pfeiler von Kultur (im emphatischen Sinne), insofern erst sein Tätigwerden die notwendige Stabilität für andere kulturelle Betätigungen schafft. Doch so nachdrücklich Hume einerseits die im wahrsten Sinne des Wortes ›grundlegende‹ Bedeutung des Körpers bei der Konstitution von Gemeinwesen hervorhebt, so zurückhaltend äußert er sich andererseits, wenn es um die Funktion des Körpers auf zwei Gebieten geht, die er, neben der Wissenschaft, als vielsagende Indikatoren von Kultur betrachtet: die (bildende) Kunst und das Handwerk. In diesen Bereichen, so legen seine Ausführungen nahe, scheint die virtuose Beherrschung des Körpers wenn schon nicht verzichtbar, so doch zumindest nicht weiter untersuchenswert zu sein. Darum werden in seinen Abhandlungen nicht etwa die manuelle Geschicklichkeit oder ›force‹ der Künstler oder Handwerker erwähnt, sondern ihre ›conceptions‹ und ihr ›genius‹. Künstlerische oder handwerkliche Meisterstücke jeglicher Art, die das kulturelle Ansehen einer Region prägen, sind demnach zuallererst ›geistige‹ Werke in dem Sinne, dass sich ihre Vortrefflichkeit, eine adäquate Ausführung vorausgesetzt, an der ihnen zugrundeliegenden Konzeption bemisst. Im Essay Of Refinement in the Arts macht Hume mit seinen Formulierungen deutlich, dass er bei allen im weitesten Sinne kulturellen Tätigkeiten letztlich ihr geistiges Moment vor Augen hat:

311 Statt der individuellen, schwachen Körper bildet sich als Kompensat der aus vielen Menschen bestehende ›politische Körper‹ heraus: »Where a number of men are united into one political body, the occasions of their intercourse must be so frequent, for defence, commerce, and government, that, together with the same speech or language, they must acquire a resemblance in their manners, and have a common or national character, as well as a personal one, peculiar to each individual.« (ES, 202) Dass die Aufgabe eines ›politischen Körpers‹ in erster Linie darin bestehe, die Sicherheit von Leib, Leben und Eigentum seiner Bewohner zu schützen, ist die zentrale Lehre des Leviathan (1651) von Thomas Hobbes (vgl. dazu Anm. 320).

12. Hume über das Verhältnis von Körper und Geist

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The same age, which produces great philosophers and politicians, renowned generals and poets, usually abounds with skilful weavers, and ship-carpenters. We cannot reasonably expect, that a piece of woollen cloth will be wrought to perfection in a nation, which is ignorant of astronomy, or where ethics are neglected. The spirit of the age affects all the arts; and the minds of men, being once roused from their lethargy, and put into a fermentation, turn themselves on all sides, and carry improvements into every art and science. Profound ignorance is totally banished, and men enjoy the privilege of rational creatures, to think as well as to act, to cultivate the pleasures of the mind as well as those of the body. (ES, 270 f.)

Auch an dieser Stelle wird Humes ›organizistisches‹ Kulturverständnis deutlich. Gemäß dieser Überzeugung wirken sich die in einem Gemeinwesen angesammelten Fertigkeiten und Kenntnisse, einerlei, ob sie politischer, wissenschaftlicher, handwerklicher oder künstlerischer Natur sind, nicht nur förderlich auf die jeweiligen Betätigungsfelder, sondern auf alle gesellschaftlichen Kräfte aus. Obwohl Hume das ›sympathy‹-Konzept hier mit keiner Silbe erwähnt, ist es doch in seiner Formulierung des ›spirit of the age‹ und den Beschreibungen der aktivierten ›minds of men‹ anwesend. Wenn die von Susanne Fischer besorgte deutsche Übersetzung dieses Essays den ›spirit of the age‹ mit »Zeitgeist« (PÖE, 193) wiedergibt, so darf dabei freilich nicht an eine Verwendung dieses Begriffs im Sinne Hegels312 gedacht werden: Humes ›spirit of the age‹ ist nicht etwa der auf ein Telos der Geschichte hin sich entfaltende objektive Geist, der sich Stück um Stück in den Erscheinungen des Alltags manifestiert, sondern bezeichnet schlicht das (von Hume zweifellos für erkennbar gehaltene) Gesamtbild von wissenschaftlichen und künstlerischen Einsichten, Fertigkeiten und sittlichen Umgangsformen, wie es sich zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einem bestimmten Gemeinwesen beobachten läßt und dieses charakterisiert. Hume fasst diesen ›spirit‹ als das immer neu zur Disposition stehende Produkt vorhergehender kultureller Verhandlungprozesse auf (seien sie friedlich oder kriegerisch, bewusst oder unbewusst ausgetragen), aber nicht als einen hinter den Kulissen der Geschichte tätigen Agenten. Humes Formulierungen lassen zunächst im Unklaren, wie umfangreich er den Geltungsbereich dieses ›spirit‹ veranschlagt: Erfasst dieser sogenannte ›spirit of the age‹ gar ein ganzes Zeitalter oder ist sein Einfluss als regional begrenzt zu denken (da Hume auch den weniger umfangreichen Begriff ›nation‹ gebraucht)? Gemäß dem an anderer Stelle zum Konzept von ›sympathy‹ Gesagten (vgl. z. B. ES, 202) lässt sich der Geltungsbereich dieses Prinzips nicht auf das Territorium nur eines Gemeinwesens beschränken (dies wäre allenfalls, so steht zu vermuten, durch die völlige Isolierung Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte [1832– 1845]. Hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1992 (1. Aufl. 1970) [= Werke, Bd. 12], hier bes. die Abschnitte A–C der »Einleitung«. 312

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IV. Hume und die Antike

seiner Bewohner zu bewerkstelligen). Es lässt sich jedoch eine Passage in Humes Werk ausfindig machen – am Beginn des Essays Of the Populousness of Ancient Nations –, in der er auf historisch überlieferte, jedoch nicht näher spezifizierte Beobachtungsdaten anspielt, die ihm nicht nur die zyklische Abfolge von Aufstieg und Verfall der Kulturen vor Augen führen, sondern ihm offensichtlich auch von Fällen lokaler Begrenzung kulturellen Wachstums berichten: The arts and sciences, indeed, have flourished in one period, and have decayed in another: But we may observe, that, at the time when they rose to greatest perfection among one people, they were perhaps totally unknown to all the neighbouring nations; and though they universally decayed in one age, yet in a succeeding generation they again revived, and diffused themselves over the world. (ES, 378)

Mit dieser Formulierung gibt Hume eindeutig zu verstehen, dass aus seiner Sicht die bloß räumliche Nähe zweier Nationen noch keine hinreichende Bedingung dafür ist, dass sich zwischen ihnen ein fruchtbarer Austausch kultureller Praktiken oder Wissensbestände entwickeln muss. Zwar gibt Hume an dieser Stelle keine weiteren Hinweise darauf, warum es in den von ihm angeführten (anonym bleibenden) Fällen offenbar nicht zu einem Transfer wissenschaftlicher oder künstlerischer Erkenntnisse gekommen ist. Doch lassen z. B. seine bereits früher analysierten Bemerkungen zum Konkurrenzverhältnis zwischen England und Frankreich (vgl. S. 152 dieser Studie) den Schluss zu, dass nach seiner Überzeugung ein Diffusionsgeschehen von Ideen, Stimmungen oder Ansichten erst dann kulturell produktiv wirken kann, wenn es von einer interessierten, wohl auch durch Wettbewerbsgeist angestachelten intellektuellen Auseinandersetzung der je betroffenen Individuen getragen wird. Vor diesem Hintergrund wäre zu folgern, dass sich alle drei von Hume benannten Prozesse – die Diffusion, das Absterben und die Wiederbelebung von Künsten und Wissenschaften – auf die vorhandene (oder abwesende) Bereitschaft und das Engagement jedes Einzelnen zurückführen lassen, diese menschlichen Tätigkeitsfelder – um Humes Metaphern aufzunehmen – ›lebendig‹ zu halten. Auch an dieser Stelle ist an den Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences zu erinnern, in dem Hume – mit Blick auf die Wissenschaft – über die Bedeutung der sie leitenden Neugierde Folgendes formulierte: »But curiosity, or the love of knowledge, has a very limited influence, and requires youth, leisure, education, genius, and example, to make it govern any person.« (ES, 113) Das von der Natur eingerichtete Wirken der ›sympathy‹ ist für Hume ein wesentliches Konstituens von Kultur, insofern es für die zum Gedeihen einer Kultur notwendige Kommunikation von (produktiven) Haltungen, Meinungen und Leidenschaften innerhalb einer Gemeinschaft verantwortlich ist (wenngleich Hume auch die Verbreitung von hemmenden Faktoren auf die ›sympathy‹ zurückführt). Dem von der Natur abstammenden, konstanten und universell wirkenden Prinzip der ›sym-

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pathy‹ stehen die kulturell variablen Inhalte des durch dieses Prinzip Vermittelten entgegen. Wie in Bezug auf einen anderen Essay Humes schon gezeigt werden konnte (vgl. S. 218 der vorliegenden Studie), trägt der in jeder Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichte Status immer den Stempel des Vorläufigen: Anschauungen und Motivationen jedes Einzelnen sind diesem zunächst nur für den Moment der Beobachtung zuzurechnen, da kaum auszumachen ist, ob sie auch für den Rest seines Lebens Bestand haben werden. Denn im Gegensatz zu den im Inneren wirkenden, für sie mitverantwortlichen Prinzipien sind Anschauungen und Motivationen, so Hume, immer historisch variabel.313 In historischer Betrachtung zeigen die verschiedenen Kulturen also nichts anderes als ein Bild perpetuierten Wandels. Dem gegenüber gehören die von der Natur dirigierten Prinzipien – die aber, wie oben gezeigt wurde, durchaus auch an der kulturellen Gestaltung menschlichen Lebens beteiligt sind – dem Bereich des Dauernden und Konstanten an. Gewiss ist sich Hume schon im Treatise über die Schwierigkeit jedes Versuchs im Klaren, aus partikularen, empirisch gewonnenen Daten ein Urteil über Konstanten in der Natur abzuleiten, da ein streng angewendetes empirisches Verfahren stets damit rechnen muss, dass zukünftige Erfahrungen die bisher gewonnenen Erkenntnisse korrigieren können. So legt Hume im 3. Buch des Treatise Rechenschaft ab über die Schwierigkeiten des Naturbegriffs: I wou’d reply, that our answer to this question depends upon the definition of the word, nature, that which there is none more ambiguous and equivocal. […] [N]ature may […] be oppos’d to rare and unusual; and in this sense of the word, which is the common one, there may often arise disputes concerning what is natural or unnatural; and one may in general affirm, that we are not possess’d of any very precise standard, by which these disputes can be decided. Frequent and rare depend upon the number of examples we have observ’d; and as this number may gradually encrease or diminish, ’twill be impossible to fix any exact boundaries betwixt them. (T 3.1.2.7 f.; SBN 473 f.)

Als ›Natur‹ oder das ›Natürliche‹ betrachtet Hume also das Gewöhnliche, das sich über einen längeren Zeitraum als stets gleichförmig Erweisende; dazu gehören für ihn die das Denken und Fühlen des Menschen steuernden ›principles of the mind‹, die das Leben von Flora und Fauna bestimmende Ordnung sowie die – von Galilei, Newton,

So beginnt der Essay The Platonist mit der Beobachtung: »To some philosophers it appears matter of surprize, that all mankind, possessing the same nature, and being endowed with the same faculties, shoud yet differ so widely in their pursuits and inclinations, and that one should utterly condemn what is fondly sought after by another. To some it appears matter of still more surprize, that a man should differ so widely from himself at different times; and after possession, reject with disdain what, before, was the object of all his vows and wishes.« (ES, 155). 313

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IV. Hume und die Antike

Boyle und anderen Forschern beschriebenen – konstant bleibenden Eigenschaften und Verhaltensweisen von festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffen.

13. Über die Ungleichheit der Menschen. Teil 2: Die Relativität der Universalität Nachdem nun in aller Kürze die Humeschen Reflexionen zum Verhältnis von Natur und Kultur sowie der Beziehung von Körper und Geist vorgestellt worden sind, soll nun erneut die in der Hume-Forschung umstrittene, für das Verständnis von Humes Anthropologie aufschlussreiche Anmerkung in Of National Characters (vgl. ES, 208) unter die Lupe genommen werden. Die dort vorgenommene Unterscheidung zwischen ›negroes‹ und ›whites‹ sowie die Behauptung einer natürlichen Inferiorität der ersteren steht in auffälligem Widerspruch zu der von Hume sonst vertretenen Auffassung einer universellen menschlichen Natur. Die Unterlegenheit der ›negroes‹ auf handwerklichem, künstlerischem und intellektuellem Gebiet ist für Hume ein empirisch überprüfbares Faktum, das er, hierin den Standpunkten anderer Polygenisten wie Lord Kames, Christoph Meiners und Georg Forster folgend314, auf eine ursprüngliche Differenz ihrer Natur gegenüber derjenigen der Europäer zurückführt: »Such a uniform and constant difference could not happen, in so many countries and ages, if nature had not made an original distinction between these breeds of men.« (ES, 208) Dieser Unterschied ist offenbar von äußeren Einflüssen gänzlich unabhängig und daher nicht mit der von Hume ebenfalls konstatierten Ungleichheit des »temper« (vgl. z. B. ES, 198) identisch: Die je spezifische Ausprägung des ›temper‹ wird, so Humes Ansicht, von kontingenten »physical causes« wie »qualities of the air and climate« (ebd.) verursacht, die sich auf den Körper auswirken und eine Veränderung der Sitten hervorrufen können. Diese Differenz in der menschlichen Natur lässt sich nach Hume auch nicht mit der Beobachtung unterschiedlicher menschlicher Charaktere begründen.315 Vgl. hierzu George W. Stocking: »French Anthropology in 1800«, in: ders.: Race, Culture, and Evolution. Essays in the History of Anthropology, Chicago 1982 (zuerst New York 1968), S. 13–41 u. 313–319, bes. S. 38 f., sowie »The Persistence of Polygenist Thought in Post-Darwinian Anthropology«, ebd., S. 42–68 u. 319–324. 315 »The most irregular and unexpected resolutions of men may frequently be accounted for by those, who know every particular circumstance of their character and situation. A person of an obliging disposition gives a peevish answer: But he has the toothake, or has not dined. A stupid fellow discovers an uncommon alacrity in his carriage: But he has met with a sudden piece of good fortune. Or even when an action, as sometimes happens, cannot be particularly accounted for, either by a person himself or by others; we know, in general, that the characters of men are, to a certain degree, inconstant and irregular. This is, in a manner, the constant character of human nature; though it be applicable, in a more particular manner, to some persons, who have no fixed rule for their conduct, 314

13. Über die Ungleichheit der Menschen

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Mit Blick auf die in den letzten beiden Abschnitten herausgearbeiteten Humeschen Überzeugungen hinsichtlich des Verhältnisses von Natur und Kultur lässt sich nun feststellen, dass der schottische Philosoph offenbar zum Gefangenen der von ihm selbst zur Differenzierung von ›Natur‹ und ›Kultur‹ (bzw. ›Gesellschaft‹) ins Feld geführten Dichotomie von ›Konstanz‹ und ›Wandel‹ geworden ist. Denn gemäß dieser Unterscheidung ist er nun gezwungen, die sich auf lange Sicht als konstant erweisenden Phänomene dem Wirken der Natur zuzuschreiben, die wechselhaften Phänomene des menschlichen Zusammenlebens hingegen (wie z. B. veränderliche Stile in der Kunst, der Musik, der Architektur oder der Mode sowie Umgestaltungen der politischen oder wissenschaftlichen Ansichten) von ihrem Einfluss auszunehmen und sie kulturellen Faktoren zu unterstellen. Hier kann die Natur nach Humes Verständnis allenfalls indirekt einwirken, insofern das von der Natur zu verantwortende Prinzip der ›sympathy‹ die entscheidende Grundlage für die Verbreitung der in einer Kultur vorherrschenden Ansichten, Meinungen etc. darstellt. Mit diesem Konzept der ›sympathy‹ hat Hume einen von ihm selbst in seiner Wirkungsmacht als bedeutend eingeschätzten Aspekt der menschlichen Natur in den Mittelpunkt seiner Anthropologie gerückt316, der, obgleich ›von Haus aus‹ zur Natur gehörend und daher Allgemeinverbindlichkeit stiftend, in seinem Wirken jedoch Wandel und Plastizität sowohl des Individuums als auch ganzer Kulturen ermöglicht.317 In der hier zur Diskussion stehenden Anmerkung von Of National Characters spricht Hume der als ›negroes‹ bezeichneten Gruppe den Besitz genau dieser ›quality‹ offenbar ab, da er auf das Ausbleiben von »symptoms of ingenuity« (ES, 208) auch bei denen verweist, die seit längerer Zeit europäischen Einflüssen ausgesetzt sind und bei denen gemäß des ›sympathy‹-Konzepts Zeichen der ›Angleichung‹ zu erwarten gewesen wären. Abgesehen von Humes Voreingenommenheit – dass er sich nämlich but proceed in a continued course of caprice and inconstancy. The internal principles and motives may operate in a uniform manner, notwithstanding these seeming irregularities; in the same manner as the winds, rain, clouds, and other variations of the weather are supposed to be governed by steady principles; though not easily discoverable by human sagacity and enquiry.« (E1, 8.15; SBN 88) Verhaltensvariationen stellen für Hume also keine Ursache dar, an der Regelmäßigkeit der in der menschlichen Natur wirkenden Prinzipien zu zweifeln. 316 »No quality of human nature is more remarkable, both in itself and in its consequences, than that propensity we have to sympathize with others, and to receive by communication their inclinations and sentiments, however different from, or even contrary to our own.« (T 2.1.11.2; SBN 316). 317 In diesem Zusammenhang ist der Hinweis wichtig, dass Hume zwar im Treatise auf eine qualitative Beurteilung dieser Kapazität verzichtet, er in den Essays (so z. B. in Of Refinement in the Arts) aber das ›sympathy‹-Geschehen oftmals mit einem Fortschrittsgedanken verbindet. Anhand seiner Darstellungen des Mittelalters, nicht zuletzt in der History, wird jedoch deutlich, dass Hume mit dem ›sympathy‹-Konzept nicht allein eine allgemeine Anhebung des intellektuellen Niveaus zu erklären versucht, sondern dieses ebenso gut für das Absinken in ›superstition and barbarity‹ verantwortlich zu machen weiß.

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IV. Hume und die Antike

diese Angleichung nur in einer Richtung, auf einen europäischen ›Standard‹ hin, erfolgend denken kann – lassen sich aber in anderen Schriften Humes solche Passagen ausfindig machen, in denen er die (für ihn freilich niemals fragliche) Andersartigkeit der ›negroes‹ nicht auf anthropologische Unterschiede qua Natur, sondern auf kontingente kulturelle bzw. klimatische Bedingungen zurückführt. So geht Hume beispielsweise in der ersten Enquiry erneut auf die bereits den Treatise intonierende Kardinalfrage seiner Erkenntnistheorie ein, wie das Verhältnis von Eindrücken und Vorstellungen zu beschreiben sei: Kann der Mensch über Vorstellungen verfügen, ohne zuvor Eindrücke empfangen zu haben? Hume verneint diese Frage mit dem Nachweis der zeitlichen Priorität der Eindrücke. Dass es für den Menschen neben der Empirie keine weitere Quelle der Erkenntnis geben kann, zeigt Hume, indem er solche Beispiele anführt, in denen aufgrund mangelnder Erfahrungsmöglichkeit oder fehlender Sinne die vollständige Bandbreite der Wahrnehmung behindert ist. Hume notiert: […] If it happen, from a defect of the organ, that a man is not susceptible of any species of sensation, we always find, that he is as little susceptible of the correspondant ideas. A blind man can form no notion of colours; a deaf man of sounds. Restore either of them that sense, in which he is deficient; by opening this new inlet for his sensations, you also open an inlet for the ideas; and he finds no difficulty in conceiving these objects. The case is the same, if the object, proper for exciting any sensation, has never been applied to the organ. A LAPLANDER or NEGROE has no notion of the relish of wine. (E1 2.7; SBN 20)

Wo dem Blinden und dem Tauben spezifische Sinneserfahrungen aufgrund von Organdefekten für immer versagt sind, fehlen dem Lappen und dem ›negroe‹ allein die notwendigen Erfahrungsgelegenheiten. Der Blinde und der Gehörlose werden also, in Humes Terminologie, niemals einen Geschmack (›taste‹) für Farben oder Töne bzw. für ihre möglichen kunstvollen Mischungen und Kombinationen entwickeln können; jedoch ist es für Hume durchaus denkbar, dass die Lappen bzw. ›negroes‹ differenzierte Urteile über Weine fällen könnten, wenn sie die Gelegenheit hätten, sich einen hinreichend großen Erfahrungsschatz anzueignen. Eine dem europäischen Menschen vergleichbare Lernfähigkeit (die hier implizit vorausgesetzt wird) wird ihnen an dieser Stelle also nicht generell abgesprochen. Das zweite Beispiel ist dem Essay Of Commerce entnommen. Die letzten Absätze dieser Arbeit widmet Hume der Frage, inwiefern der Reichtum oder die Armut einer Nation bzw. einer bestimmten sozialen Schicht von der Form der Regierung oder auch vom Vorkommen wichtiger Rohstoffe abhängig ist. Er schließt diesen Essay mit den Worten:

13. Über die Ungleichheit der Menschen

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What is the reason, why no people, living between the tropics, could ever attain to any art or civility, or reach even any police in their government, and any military discipline; while few nations in the temperate climates have been altogether deprived of these advantages? It is probable that one cause of this phænomenon is the warmth and equality of weather in the torrid zone, which render clothes and houses less requisite for the inhabitants, and thereby remove, in part that necessity, which is the great spur to industry and invention. Curis acuens mortalia cora. Not to mention, that the fewer goods or possessions of this kind any people enjoy, the fewer quarrels are likely to arise amongst them, and the less necessity will there be for a settled police or regular authority to protect and defend them from foreign enemies, or from each other. (ES, 267)

Aus diesen Aussagen Humes lässt sich ebenfalls nicht die Überzeugung ableiten, dass in Bezug auf ›people, living between the tropics‹ (zu denen auch die ›negroes‹ zu zählen sind, mit deren Sklavenschicksal Hume durch seinen 1734 in Bristol für kurze Zeit ausgeübten Beruf als Kaufmannsgehilfe in Kontakt kam)318 als Ursache für das Fehlen von ›art‹, ›civility‹, ›police‹, ›military discipline‹, ›industry‹ oder ›invention‹ eine gegenüber den Europäern andere ›Natur‹ vermutet werden müsse. In Humes Augen ist die Friedfertigkeit des ›guten Wilden‹, der – wie es in vergleichbarer Weise auch Louis-Armand de Lahontan bezüglich der kanadischen Stammesgruppen formulierte319 – keinen Neid und keine Eifersucht gegenüber seinem Nächsten verspürt, offenbar als Folge spezifischer sozialer Bedingungen zu betrachten, die – im Gegensatz zu europäischen Verhältnissen – das Aufkommen von Eigentumsstreitigkeiten verhindern.320 Über den ›Dreieckshandel‹ seines dort ansässigen Arbeitgebers Michael Millar (Güter, Sklaven und Zucker) vgl. die Hinweise bei Gerhard Streminger: David Hume. Sein Leben und sein Werk. 2. unveränd. Aufl. Paderborn 1994 (1. Aufl. 1994), S. 129 f. Zur Bedeutung Bristols für den maritimen Handelsverkehr im 18. Jahrhundert vgl. Kenneth Morgan: »Bristol and the Atlantic Trade in the Eighteenth Century«, in: English Historical Review 107 (1992), S. 626–650. Zu den neuen europäischen Konsumerwartungen dieser Epoche vgl. Sidney W. Mintz: Sweetness and Power. The Place of Sugar in Modern History, New York 1985, S. 74 ff. 319 Vgl. hierzu Karl-Heinz Kohl: »Ethnographie als Zivilisationskritik. Zu Louis-Armand de Lahontans ›Nouveaux Voyages dans l’Amérique Septentrionale‹«, in: ders.: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1986 (zuerst Berlin 1981), S. 63–76, bes. S. 69. 320 Die Frage nach dem Ursprung von Eigentumsverhältnissen und das Problem ihrer rechtlichen und institutionellen Absicherung bilden den wesentlichen Kern der Naturrechtslehren des 17. und 18. Jahrhunderts. Besonders Thomas Hobbes hatte in seinem Leviathan von 1651 die wirkungsmächtige Überzeugung vertreten, dass Leben und Eigentum jedes Einzelnen sowohl im Natur- als auch im Gesellschaftszustand durch Konkurrenz, Misstrauen und Ruhmsucht der anderen bedroht seien. Diese Ansicht einer von Grund auf misstrauischen und feindlichen Gesinnung der Menschen wurde von Hume stets zurückgewiesen. Zum Zusammenhang der Naturrechtslehren mit den Debatten über die Entstehung des Eigentums vgl. Crawford B. Macpherson: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes bis Locke, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1990 (1. Aufl. 1973) (engl. Oxford 1962). 318

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IV. Hume und die Antike

Es ist folglich nicht eine durch natürliche Anlagen bedingte Lernunfähigkeit, die Hume den Bewohnern der Tropen unterstellt, sondern schlicht die durch mangelnde Notwendigkeit ausbleibende Übung ihrer geistigen Kapazitäten, die in seinen Augen (bis jetzt) verhindert hat, dass diese Menschen einen den Europäern vergleichbaren Fleiß und Erfindungsreichtum entwickeln konnten. Nicht biologische, sondern sozial-klimatische Differenzen sind also zu bedenken, wenn es gilt, kulturelle Unterschiede zu erklären. Das jeweilige Klima, so Humes Ansicht, nimmt keinen direkten Einfluss auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen, sondern formt die Kulisse, vor der kulturelles Handeln in Erscheinung tritt und auf die es sich, den klimatischen Ansprüchen antwortend, bezieht. Die beiden Beispiele zeigen deutlich, dass Hume zwar fraglos von einer kulturell-zivilisatorischen Differenz zwischen den Europäern und den Bewohnern der tropischen Gebiete ausgeht; gewiss ist er auch von der Überlegenheit des europäischen Kulturniveaus überzeugt. Dennoch bleibt die von ihm in der Anmerkung zu Of National Characters gelieferte Begründung dieser Auffassung – mit Rekurs auf den natürlichen, kulturell nicht zu beeinflussenden Unterschied der geistigen Fähigkeiten – in seinem Werk singulär und findet keine Unterstützung durch weitere Belegstellen. Falls man Hume bei der Abfassung seiner Schriften ein sorgfältiges Vorgehen nicht absprechen möchte und daher wenig für die Annahme spricht, dass ihm der in dieser Anmerkung zutage tretende Widerspruch zu seinen anderen Aussagen, in denen er die Universalität der menschlichen Natur behauptet, verborgen geblieben sein sollte (auch seine zeitlebens vorgenommene intensive Korrekturarbeit lässt das unbeabsichtigte Passierenlassen eines solchen Widerspruchs eher unwahrscheinlich erscheinen)321, dann ließe sich als plausible, wenn auch nicht gänzlich befriedigende Erklärung für das gleichzeitige Bestehen dieser Auffassungen noch das Argument aufbieten, dass sich Hume mit dem als ›universell‹ bezeichneten Erklärungsmodell – entgegen dem mit dieser Fomulierung verbundenen Totalitätsanspruch – letzten Endes nur auf solche Territorien bzw. Menschengruppen beziehen will, die seiner Aus diesem Grund ist auch der Position Franz K. Stanzels zu widersprechen, der vorschlägt, »zwischen dem Philosophen und dem Essayisten Hume einen Trennstrich zu ziehen. Der Essayist Hume schrieb offensichtlich für ein anderes Publikum als der Philosoph und verwendete eine andere Rhetorik, unbekümmerter, essayistischer, vielleicht eine etwas weniger verantwortungsbewußte Rhetorik als jene des Philosophen.« (»Schemata und Klischees der Völkerbeschreibung in David Hume’s Essay ›Of National Characters‹«, in: Paul G. Buchloh/Inge Leimberg/Herbert Rauter [Hg.]: Studien zur englischen und amerikanischen Sprache und Literatur. FS für Helmut Papajewski, Neumünster 1974, S. 363–383, hier S. 381). Abgesehen von der mehr als zweifelhaften Identifizierung des Essays mit ›Unbekümmertheit‹ (was hier offenbar soviel wie ›intellektuelle Nachlässigkeit‹ meint) lässt diese Behauptung Humes Schrift Of Essay-Writing völlig unberücksichtigt: In ihr legt Hume dar, dass er die literarische Form des Essays als die ideale Kombination aus gelehrter Abhandlung der Spezialisten und der Konversation gebildeter Kreise versteht, nicht jedoch als leichtfertig zusammengeschriebenes Gegenstück zu ersterer. Vgl. hierzu auch Anm. 253 dieser Arbeit. 321

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Meinung nach für ›belangreiche‹ und ›wertvolle‹ kulturelle Entwicklungen verantwortlich zu machen sind. Dazu gehören für ihn, mit unterschiedlicher Gewichtung, die antiken griechischen und römischen Gemeinwesen, die europäischen Staaten der Neuzeit sowie, mit Abstrichen, einzelne Völker Asiens.322 Die als ›negroes‹ Bezeichneten hingegen wären in dieser Formulierung nicht mit einbegriffen: Sie können Hume als vernachlässigbar gelten, da sie in seinen Augen zwar eine anthropologisch erwähnenswerte Kuriosität darstellen, in kultureller Hinsicht jedoch vollkommen bedeutungslos sind.323 Ihre Marginalität liegt für Hume ja gerade im Ausnahmestatus ihres Geistes begründet, der es ihnen verwehrt, im kulturellen Konzert der Völker eine entscheidende Rolle zu spielen. Denn ›negroes‹ können, so Humes Ansicht, aufgrund ihrer geistigen Struktur keine den anderen Völkern vergleichbare kulturelle Plattform etablieren, die notwendig wäre, um von ihr aus sukzessive die bereits gesammelten Erfahrungen und Wissensbestände systematisch und akkumulativ auszubauen; daher auch seine Behauptung, dass man in einer solchen Gesellschaft keine institutionell verankerten wissenschaftlichen, künstlerischen oder politischen Aushandlungsprozesse zu beobachten vermöge. Dieser fehlenden kulturellen Agilität im Innern, so eine weitere Überzeugung Humes, muss notwendig eine Kraftlosigkeit nach Außen korrespondieren: Eine in ihrem Innern ästhetisch, wissenschaftlich oder auch politisch impulslose Gesellschaft kann auch anderen Gemeinwesen keine Anregungen bieten. Diese Erklärungsversion ist mit anderen, in seinem Werk verstreuten Ansichten über die unterschiedlichen, von den einzelnen Nationen erbrachten Beiträge zur kul-

Im Vergleich zu den Europäern, so Hume, wirken die Chinesen nicht in gleichem Maße inspirierend auf die kulturelle Entwicklung der gesamten Menschheit ein: »The skill and ingenuity of EUROPE in general surpasses perhaps that of CHINA, with regard to manual arts and manufactures […].« (ES, 313) Gerhard Streminger beklagt hier den ›blinden Fleck‹ Humes: »Seine Gleichgültigkeit im Umgang mit Völkern, die nicht zum europäischen Kulturkreis zählen, wirkt inmitten von so viel Behutsamkeit besonders befremdend und verhängnisvoll, und diese Gleichgültigkeit läßt seine Betonung der eigenen Unparteilichkeit zuweilen als scheinheilig erscheinen.« (»David Hume als Historiker«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 40 (1986), S. 161–180, hier S. 176). Stremingers unglückliche Formulierung legt den (falschen) Schluss nahe, dass Hume ein Vertreter der Kulturkreislehre avant la lettre gewesen sei. 323 Inwieweit von Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts vor allem das Fehlen einer eigenständigen ›schwarzen‹ Literatur und Geschichtsschreibung als Mangel von Kultur betrachtet wurde, arbeitet Henry Louis Gates, Jr. in Figures in Black. Words, Signs, and the ›Racial‹ Self, Oxford 1987, heraus (zu Hume, Kant und Hegel vgl. v. a. S. 17–21). David Brion Davis vermisst zu Recht einen schlüssigen Beweis dafür, dass Bildungsbemühungen bei ›negroes‹, wie Hume behauptet, erfolglos bleiben müssen: »Above all, he offered no proof that Africans could not be educated and improved. About 1730 a Negro had attended meetings of the Royal Society and had been rejected for membership only because of his color. The trouble was that Negroes had been universally treated as inferiors, and had never been given a chance.« (The Problem of Slavery in Western Culture, 3. Aufl. Ithaca 1967, S. 458). 322

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IV. Hume und die Antike

turellen Entwicklung durchaus kompatibel. Dennoch vermag auch sie nicht vollständig zu überzeugen, da sie voraussetzt, dass Hume in dieser Anmerkung einen von anderen Stellen seines Werks völlig abweichenden Gebrauch des Begriffs ›universal‹ macht, um die Behauptung der unterschiedlichen ›menschlichen Naturen‹ überhaupt erst aufstellen zu können. Doch außer dieser einen Passage in der Anmerkung spricht keine andere Belegstelle aus seinem Werk dafür, dass die Annahme berechtigt ist, Hume sei generell von der Existenz unterschiedlicher menschlicher Naturen überzeugt.324 Offenbar haben die in der Anmerkung formulierten Reflexionen keine weiteren Spuren hinterlassen. Hume hat sich im Laufe seines publizistischen Werdegangs – nicht zuletzt aufgrund der Missachtung, die seinem Treatise von Seiten der wissenschaftlichen Öffentlichkeit entgegengebracht wurde – in verschiedenen literarischen Gattungen versucht und zunehmend die eingängigere Form des Essays favorisiert. Mit dieser Wahl der Darstellung hat er jedoch nie den Anspruch seines Arbeitens aufgegeben, mit anthropologischen Reflexionen für die ›moral sciences‹ das zu leisten, was frühere Forscher wie z. B. Galilei, Newton oder Boyle auf dem Gebiet der ›natural philosophy‹ verwirklicht hatten: die erfolgreiche Etablierung einer auf Erfahrung basierenden, deduktiv verfahrenden Methode des Erkenntnisgewinns, die den Phänomenen der Natur die Wirkungsweise der ihnen zugrundeliegenden Prinzipien zu entlocken vermag.325 Es sind zwei von Hume niemals in Frage gestellte Prämissen, die die kontinuierliche Grundlage seines Forschens bilden. Die erste Prämisse lautet: Auch im Bereich des menschlichen Denkens, Handelns und Fühlens wirken solche, dem Bereich der Natur analoge Prinzipien – daher schließt der schottische Philosoph, wie an ande-

324 Der in Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences konstatierte Unterschied der Geschlechter liegt quer zu der hier zur Diskussion stehenden, von Hume behaupteten rassischen Differenz: »As nature has given man the superiority above woman, by endowing him with greater strength both of mind and body; it is his part to alleviate that superiority, as much as possible, by the generosity of his behaviour, and by a studied deference and complaisance for all her inclinations and opinions. Barbarous nations display this superiority, by reducing their females to the most abject slavery; by confining them, by beating them, by selling them, by killing them. But the male sex, among a polite people, discover their authority in a more generous, though not a less evident manner; by civility, by respect, by complaisance, and, in a word, by gallantry.« (ES, 133). 325 Vgl. hierzu John Immerwahr: »The Anatomist and the Painter. The Continuity of Hume’s ›Treatise‹ and ›Essays‹«, in: Hume Studies 17 (1991), S. 1–14; sowie Timothy H. Engström: »Foundational Standards and Conversational Style: The Humean Essay as an Issue of Philosophical Genre«, in: Philosophy and Rhetoric 30 (1997), S. 150–175. Für Engström ist der ironische Charakter der Essays ein zentrales Kennzeichen des Humeschen Philosophierens überhaupt: »Irony is a ›method‹ that goes more than one way at a time, drawing out ambiguities beneath a simple surface text or proposition and illuminating clarities beneath apparent confusions or contradictions.« (ebd., S. 165) Die nun bereits klassische Untersuchung zum Stilmittel der Ironie bei Hume liefert John Valdimir Price: The Ironic Hume, Austin 1965.

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rer Stelle dieser Studie bereits demonstriert wurde326, die Kategorie des Zufalls aus dem menschlichen Erfahrungs- und Wirkungsbereich aus. Die zweite Prämisse besagt: Weil die Existenz solcher Prinzipien bereits vorausgesetzt ist, kann sich die von Hume als neu betrachtete, auf Beobachtung basierende Humanwissenschaft auf die Aufgabe konzentrieren, die spezifische Art und Weise der Wirkung dieser Prinzipien aufzudecken. Die Legitimität dieser beiden Ausgangspunkte stellt Hume auch in den Essays nicht in Frage, selbst wenn er dort menschliches Denken, Handeln und Fühlen nicht streng systematisch analysiert (wie es noch der Treatise und – bereits weniger straff – die Enquiries getan hatten), sondern seine Reflexionen auf zumeist sehr detaillierte Beobachtungen des gegenwärtigen und vergangenen ›common life‹ gründet. Im Vergleich zu den Abschnitten des Treatise oder der Enquiries sind die Essays, oberflächlich betrachtet, in Bezug auf die Vielfalt der in ihnen verhandelten Sujets und die (für das Genre ›Essay‹ typische) offenere Form der Darstellung untereinander weitaus weniger eng verknüpft; gleichwohl erweist sich bei genauerem Hinsehen auch hier die Humesche Grundüberzeugung von der Unverzichtbarkeit seiner oben beschriebenen forschungsleitenden Prämissen als ein wichtiges Bindeglied. Daher konnten auch solche Erklärungsversuche nicht überzeugen, die den Ausnahmestatus der irritierenden Fußnote in Of National Characters damit begründen, dass Hume bei der Konzeption seiner Essays weniger konzentriert vorgegangen sei als bei der Abfassung seiner übrigen Schriften. Aus welcher Perspektive diese Anmerkung also auch betrachtet wird: Das in ihr dargestellte Theorem bleibt ein im Humeschen Gesamtkonzept kaum zu integrierender Fremdkörper. Sein singuläres Erscheinen macht es aber für den Interpreten der Humeschen Schiften zu einem besonders aufschlussreichen Gegenstand, insofern hier ein von Hume nicht weiter reflektiertes Dilemma an die Oberfläche gerät. Dieses ergibt sich aus dem Zusammentreffen der Ergebnisse seines empirisch-induktiven Vorgehens mit einer diesen Ergebnissen offenbar vorausliegenden (und sich ihren Anforderungen daher widerständig erweisenden) anthropologischen Grundüberzeugung, gemäß der Denken, Handeln und Fühlen jedes Einzelnen der Lenkung universal gültiger Prinzipien unterliegt. So sträubt sich Hume in der hier zur Diskussion stehenden Passage zwar einerseits nicht dagegen, geradlinig die Konsequenzen seiner Beobachtungen anzuerkennen (auf diesem Wege gelangt er zu der für ihn unumgänglichen Annahme, dass es bezüglich der menschlichen Natur rassische Spezifitäten geben müsse), andererseits sieht er sich in seinen übrigen Schriften aber offenbar nicht dazu veranlasst, seine immer wieder mit Nachdruck vorgetragene Überzeugung von der Universalität der menschlichen Natur und der in ihr wirkenden Prinzipien preiszugeben. 326

Vgl. hierzu S. 113.

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IV. Hume und die Antike

14. Religion als Fessel des Fortschritts? Die Auseinandersetzung mit den religiösen Überzeugungen seiner Zeitgenossen und der Menschen vergangener Zeiten sowie ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen in Kultpraxis und Lebensführung bildet zweifellos einen konstanten Interessenschwerpunkt der Schriften Humes.327 Seine Untersuchungen decken ein breites historisches Spektrum ab: Sie widmen sich sowohl antiken als auch mittelalterlichen und neuzeitlichen religiösen Ansichten und befragen die Zeugnisse der unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften auf spezifische und gemeinsame Merkmale. Im Mittelpunkt stehen dabei die polytheistischen Religionen der griechisch-römischen Antike sowie die monotheistischen Religionen, wie das Judentum, das katholische bzw. protestantische Christentum sowie der Islam. Immer wieder richten sich Humes Bemühungen darauf, die diversen Facetten des religiösen Glaubens, den er als weitverbreitetes (aber nicht universelles)328 kulturelles Phänomen betrachtet, auf die im Geiste des Menschen wirkenden Prinzipien und spezifische soziokulturelle Bedingungen zurückzuführen. Die besondere Gemengelage aus beidem, aus Prinzipien und soziokulturellen Bedingungen, nicht aber »an original instinct or primary impression of nature« (NH, 134), sind nach Hume für das kulturelle Phänomen Religion verantwortlich. Aus dieser Perspektive betrachtet, kann die Untersuchung menschlicher Religiosität wichtige Einsichten zutage fördern, um der Lehre von der menschlichen Natur schärfere Konturen zu verleihen. Ausführliche Illustrationen und Analysen religiös geprägter Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen notiert Hume vor allem in der 1757 gedruckten, aber wohl schon 1749 konzipierten Natural History of Religion sowie in den Dialogues Concerning Natural Religion, die postum 1779 veröffentlicht wurden, deren Entstehungsgeschichte sich aber bis in das Jahr 1751 zurückverfolgen lässt.329 Diese Sonderstellung der J. C. A. Gaskin vertritt den Standpunkt, dass die Auseinandersetzung mit der Religion der zentrale Gegenstand der Humeschen Philosophie sei: »In the totality of his work Hume wrote more about religion than about any other single philosophical subject.« (J. C. A. Gaskin: Hume’s Philosophy of Religion, 2. Aufl. London 1988 [1. Aufl. 1978], S. 1). 328 So hebt Hume beispielsweise schon in der Einleitung der Natural History of Religion hervor: »Some nations have been discovered, who entertained no sentiments of Religion, if travelers and historians may be credited; and no two nations, and scarce any two men, have ever agreed precisely in the same sentiments.« (NH, 134) Wie an vielen anderen Stellen seines Werkes bleibt auch hier unklar, auf wen er sich mit der Formulierung ›travelers and historians‹ bezieht. Da Hume zu erkennen gibt, dass er von der Glaubwürdigkeit ihrer Berichte nicht vollständig überzeugt ist, und da ihn das (mutmaßliche) Fehlen religiöser Überzeugungen offenbar auch nicht in seinen weiteren Reflexionen irritiert, steht zu vermuten, dass er die Existenz einer Gesellschaft ohne Religion für sehr unwahrscheinlich hält. Am Ende der Natural History kommt Hume mit der gleichen Skepsis nochmals auf diese Fragestellung zurück: »Look out for a people, entirely destitute of religion: If you find them at all, be assured, that they are but a few degrees removed from brutes.« (NH, 185). 329 Zur Entstehungsgeschichte der Natural History of Religion vgl. die Einleitung zur deutschen 327

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Natural History und der Dialogues impliziert jedoch nicht, dass er in seinen übrigen Schriften, sei es z. B. im Treatise, in den Enquiries, in den Essays oder auch in der History, auf eine Darstellung und Bewertung der verschiedenen Ausprägungen der Religiosität der Menschen und der Abwägung ihrer Bedeutung für die jeweilige Kultur und Gesellschaft verzichtet hätte.330 Gleichwohl behandelt Hume in den zuletzt genannten Schriften die religionsphilosophischen Fragestellungen weniger in systematischer Hinsicht, sondern nutzt den exemplarischen Charakter von en passant erwähnten Beobachtungen religiös geprägter Verhaltensweisen, um das Wirken der von ihm jeweils thematisierten Prinzipien des menschlichen Geistes zu verdeutlichen. Das sein gesamtes Schaffen bestimmende Projekt einer Wissenschaft vom Menschen, das beabsichtigt, mit den Mitteln der Erfahrung und Beobachtung zu einer vertieften Einsicht in die Operationen des menschlichen Geistes zu gelangen, stellt für Hume zugleich den Schlüssel zum Verständnis der spezifischen Form religiöser Überzeugungen dar. Bereits im Vorwort des Treatise unterstreicht er die bedeutende Rolle, die in seinen Augen dieser Wissenschaft zukommt, wenn es um die philosophische Absicherung der natürlichen Religion geht: »Even Mathematics, Natural Philosophy, and Natural Religion, are in some measure dependent on the science of Man; since they lie under the cognizance of men, and are judged of by their powers and faculties.« (T Introduction, 4; SBN xv) Hume bindet somit seine Beobachtungen des Menschen als eines animal credens an die Erkenntnisse seiner Erkenntnistheorie und Affektlehre zurück, um deren systematische Detailanalyse er sich vor allem im Treatise und in den Enquiries bemüht. Mit dieser Stellungnahme macht Hume darüber hinaus deutlich, dass er gewillt ist, den Geltungsanspruch seiner Erkenntnisse über den Bereich von »Logic, Morals, Criticsm, and Politics« (T Introduction, 5; SBN xvi) hinaus zu erweitern. Zudem wird nochmals sein selbstgestecktes Ziel, Grundlagenwissenschaft zu betreiben, deutlich

Ausgabe von Lothar Kreimendahl (NGR, VI ff.). Mit Blick auf die Dialogues Concerning Natural Religion vgl. die Einleitung der deutschen Ausgabe von Günter Gawlick (DNR, IX ff.). 330 Lothar Kreimendahl erinnert daran, dass Hume bereits in seinen Early Memoranda (deren erste Einträge wohl aus dem Jahr 1729 stammen) religionsphilosophische Fragestellungen gestreift hatte, deren intensivere Bearbeitung dann aber späteren Arbeiten vorbehalten bleiben sollte (»David Hume: ›Dialoge über natürliche Religion‹«, in: ders.: Hauptwerke der Philosophie. Rationalismus und Empirismus, Stuttgart 1994, S. 385–418, hier S. 386 ff.). Zur Bedeutung der Early Memoranda für die Interpretation der späteren Arbeiten Humes vgl. auch Lothar Kreimendahl: »Humes frühe religionsphilosophische Interessen im Lichte seiner ›Early Memoranda‹«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 53 (1999), S. 553–568; ders.: »Hat Hume William Kings ›De origine mali‹ gelesen? Die Notizen zur Theodizee in den ›Early Memoranda‹ und ihre Quelle«, in: Vernunftkritik und Aufklärung. Studien zur Philosophie Kants und seines Jahrhunderts. Hg. v. Michael Oberhausen, Stuttgart 2001, S. 233–250; ders.: »Bayles Bedeutung für den jungen Hume. Die Quelle der Reflexionen zur Philosophie in Humes ›Early Memoranda‹«, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 83 (2001), S. 64–83.

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ausgesprochen: Sichere Erkenntnisse auf den Gebieten der Mathematik, der Naturwissenschaften und der natürlichen Religion sind, so Humes Überzeugung, nicht unabhängig von der Kenntnis des menschlichen Erkenntnis- und Affektvermögens zu gewinnen (und das gilt mutatis mutandis auch für alle anderen Wissenschaftszweige). Daher muss der Beschäftigung mit Gegenständen aus diesen Bereichen zunächst die kritische, empirisch-induktive Überprüfung und Feststellung der besonderen Eigenschaften, Fähigkeiten und Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Geistes vorausgehen. Aus dieser Forderung folgt auch, dass sich zukünftige Debatten über mathematische Probleme, über wirkende Kräfte in der Natur oder über die Wesenseigenschaften eines göttlichen Urhebers der Welt nach den Ergebnissen dieser Analyse werden richten müssen. Anders formuliert: Hume meldet mit Blick auf die Voreiligkeit, mit der auch einige seiner Zeitgenossen ihre alleinige Aufmerksamkeit auf die außerhalb des Menschlichen liegenden Forschungsgegenstände richten, Bedenken an, indem er dazu auffordert, zunächst die Erkennenden selbst, ihre geistigen Kapazitäten und Begrenztheiten sowie ihre daraus resultierenden Haltungen und Einstellungen eben diesen Gegenständen gegenüber als das maßgebliche Untersuchungsobjekt anzusehen. Je konzentrierter Hume seinen Blick auf »men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures« (T Introduction, 10; SBN xix) richtet, desto deutlicher zeigen sich ihm die Mechanismen des menschlichen Geistes, von deren Kenntnis er sich eine Antwort auf die Frage erhofft, warum Menschen verschiedener Zeiten und Kulturen zu unterschiedlichen Auffassungen über die Welt gelangen, und wie diese Ansichten sich wiederum zu dominierenden Überlieferungen verfestigen können. Vor diesem Hintergrund erweckt vor allem der Wesenszug des Menschen, Traditionen zu erzeugen und ihnen verhaftet zu sein, das Interesse Humes. Unter dem Einfluss dieser frühen forschungstheoretischen Weichenstellung erhält seine Beschäftigung mit der Religion ihre spezifisch anthropologische Prägung: Der Schlüssel zum Verständnis der Funktionsweise von Religionen, so Humes Ansicht, liegt allein in der genauen Beobachtung der gläubigen Menschen und ihres Umgangs mit Glaubenssätzen und Kultpraktiken. Humes primäres Untersuchungsmaterial setzt sich dabei aus den schriftlich vermittelten Zeugnissen vergangener Epochen und Kulturen zusammen; so lassen sich beispielsweise in der Natural History of Religion mindestens 60 verschiedene Autoren identifizieren, aus deren Werken Hume zitiert oder auf die er anspielt.331

331 Vgl. dazu NGR, 131–135. Gleichwohl ist der Einwand Craig Waltons berechtigt, Hume habe in der Natural History trotz der gebotenen Fülle zuwenig Sorgfalt auf eine ausgewogene Auswahl des Materials gelegt; so habe er z. B. Indien und China aus seinen Überlegungen ausgeblendet. Walton kommt zu dem Ergebnis, dass die History of England in Bezug auf die religionsphilosophischen Ansichten Humes weitaus ergiebiger sei als die Natural History (»Hume’s ›England‹ as a

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Wer die Humeschen Analysen von Religionen bzw. der Religiosität zu interpretieren versucht, wird rasch des (im Rahmen dieser Arbeit kaum annähernd auszuschöpfenden) Material- und Anspielungsreichtums seiner religionsphilosophischen Schriften gewahr, aufgrund dessen sie als weit mehr zu betrachten sind als bloß abstrakte Studien der mannigfaltigen Erscheinungsformen des menschlichen Geistes: Indem sie dem Interpreten Humes das bunte Panorama einer spezifischen (hier: religiösen) Form kultureller Praxis vor Augen stellen, offenbaren sie ihren ›deskriptiven Surplus‹: Humes anthropologische Studien dokumentieren zugleich einen historisch wie systematisch bedeutsamen Aspekt von Kultur. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll nun, neben den von Hume skizzierten anthropologischen Voraussetzungen der Religion, ihre Relevanz für die betreffende Kultur erörtert werden. Humes spezifische Forschungshaltung zeigt sich darin, dass er sich kaum veranlasst sieht, die von antiken wie zeitgenössischen Denkern als zentral empfundene und unterschiedlich beantwortete Frage nach der Existenz und den Eigenschaften eines oder mehrerer in den Religionen verehrten göttlichen Wesen beantworten zu müssen332, genauer: Seine Neugier reizt vielmehr die Tatsache, dass solche Fragestellungen überhaupt formuliert und diverse Wege ihrer Beantwortung gesucht werden. Hume analysiert religiöse Phänomene mit der Absicht, menschliche Denk- und Verhaltensweisen zu begreifen, nicht, um ein bestimmtes Gottesverständnis zu verteidigen. Damit fällt bei Hume die Religion in den Zuständigkeitsbereich der Anthropologie, nicht der Theologie. Dieser Schritt Humes erhält seine Brisanz nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Theodizeedebatten des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts333, zu deren einNatural History of Morals«, in: Nicholas Capaldi/Donald W. Livingston [Hg.]: Liberty in Hume’s ›History of England‹, Dordrecht 1990, S. 25–52, hier S. 34). 332 In der Natural History of Religion bekennt sich Hume eher beiläufig und ohne jeden Überzeugungseifer zu einem aufgeklärten Theismus (»The whole frame of nature bespeaks an intelligent author; and no rational enquirer can, after serious reflection, suspend his belief a moment with regard to the primary principles of genuine Theism and Religion.« [NH, 134]), den er als »so conformable to sound reason« (NH, 165) bezeichnet. Lothar Kreimendahl hat auf das bis heute nicht obsolete Forschungsdesiderat hingewiesen (NGR, XXVI), das sich aus dieser physikotheologischen Überzeugung Humes ergibt; sie lässt sich nur schwer mit der von Philo in den Dialogues vollzogenen Kritik dieser Position in Beziehung setzen, die aber, trotz allen kompositorischen Taktierens Humes, durchaus diesem selber zugerechnet werden kann. In der Tat wird der in den Dialogues von Cleanthes formulierte physikotheologische Gottesbeweis durch Philo nahezu vollständig entkräftet. Zwar könne zugestanden werden, dass es eine ursprüngliche Ursache dieses Universums geben müsse (die man ›Gott‹ nennen könne), doch seien darüber hinausgehende Annahmen über ihr Wesen (Intelligenz, Güte, etc.) nicht statthaft (DR, 44). Dieser Kritik vermögen weder Cleanthes noch Demea überzeugende Argumente entgegenzusetzen. 333 Vgl. hierzu Lothar Kreimendahl: »Hume über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee um 1748«, in: ders. (Hg.): Aufklärung und Skepsis. Studien zur Philosophie und Geistesgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Günter Gawlick zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1995,

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flussreichsten und meistzitierten Exponenten sicherlich der französische Philosoph und Theologe Nicolas Malebranche sowie der deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz zu zählen sind.334 Daher soll in aller Kürze auf einen bestimmten Aspekt ihrer Konzepte eingegangen werden, um Humes Gegenposition deutlicher hervortreten zu lassen. Beide, Malebranche und Leibniz, verfolgten das Ziel, die Kluft zu schließen, die, durch den zunehmenden Fortschritt der Naturwissenschaften verursacht, zwischen dem Vertrauen auf menschliche Vernunfterkenntnis und dem Glauben an göttliche Offenbarungswahrheiten entstanden war. Immer deutlicher zeichnete sich, aus ihrer Perspektive, eine zunehmende Gefährdung des religiösen Glaubens durch den Anspruch der menschlichen Vernunft ab, mit ihrer Hilfe die Aussagen der Heiligen

S. 145–172. Zu den einzelnen Aspekten der Theodizeedebatten dieser Zeit allg. vgl. u. a. Friedrich Billicsich: Das Problem des Übels in der Philosophie des Abendlandes. 3 Bde., Wien 1936–59; Frank Edward Manuel: The Eighteenth Century Confronts the Gods, Cambridge (MA) 1959; Walter Sparn: Leiden – Erfahrung und Denken. Materialien zum Theodizeeproblem, München 1980; CarlFriedrich Geyer: »Das ›Jahrhundert der Theodizee‹«, in: Kant-Studien 73 (1982), S. 393–405; ders.: Leid und Böses in philosophischen Deutungen, Freiburg 1983; ders.: »Das Theodizeeproblem – ein historischer und systematischer Überblick«, in: Willi Oelmüller (Hg.): Theodizee – Gott vor Gericht?, München 1990, S. 9–32; Hans-Gerd Janssen: Gott – Freiheit – Leid. Das Theodizeeproblem in der Philosophie der Neuzeit, Darmstadt 1989; Thomas Schumacher: Theodizee. Bedeutung und Anspruch eines Begriffs, Frankfurt a. M. 1994 (zugl. Diss. Freiburg 1992); Armin Kreiner: Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente, Freiburg 1997; S. J. Barnett: The Enlightenment and religion. The myths of modernity, Manchester 2003. 334 Vgl. hierzu Georg Stieler: Leibniz und Malebranche und das Theodiceeproblem, Darmstadt 1930; Richard A. Brooks: Voltaire, Leibniz and the Problem of Theodicy. From Oedipe to Candide, New York 1959. Malebranche wird im ersten Enquiry (E1, 7.25n16; SBN 73), aber auch im Letter from a Gentleman to His Friend in Edinburgh wegen der von Hume für falsch gehaltenen Annahme der Existenz von »occasional Causes« (ABR, 114) kritisiert. Von den im engeren Sinne religionsanthropologisch ausgerichteten Schriften Humes erwähnen nur die Dialogues, nicht aber die Natural History of Religion Leibniz und Malebranche. In den Dialogues präsentiert Demea Malebranche als diejenige Autorität, die »equally celebrated for piety and philosophy« (DR, 43) gewesen sei. Philo wiederum macht Leibniz den Vorwurf, in seinen Überlegungen zur Theodizee das Elend menschlichen Lebens ignoriert zu haben: »Leibnitz has denied it; and is perhaps the first, who ventured upon so bold and paradoxical an opinion; at least, the first, who made it essential to his philosophical system.« (DR, 96) Bei der Bewertung der jeweiligen Äußerungen in den Dialogues ist aber zu beachten, dass keine von ihnen vorschnell als Humesche Position zu identifizieren ist; Humes Textregie verhindert solche eindeutigen Zuweisungen. Zum Problem der in der Forschungsliteratur zu Hume emsig diskutierten Identifizierung vgl. die Darstellungen und weiteren bibliographischen Hinweise von Günter Gawlick in der Einleitung zur deutschen Ausgabe der Dialogues (DNR, XXXIII ff.). Gary Shapiro schlägt vor, die Dialogues nicht als mehr oder weniger kunstvoll arrangiertes »storehouse of arguments in natural theology«, sondern als »a metaphilosophical discussion concerning the viability of the purist model of philosophical discourse« zu lesen, die ein Modell dafür sei, wie sich Hume eine Debatte unter ›men of letters‹ vorstelle (»The Man of Letters and the Author of Nature. Hume on Philosophical Discourse«, in: The Eighteenth Century. Theory and Interpretation 26 [1985], S. 115–137, hier S.117).

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Schrift überprüfen und nach eingehender Untersuchung die bis dahin unbezweifelten Wahrheiten als Irrtümer zurückweisen zu können. Während Leibniz bemüht war, die Möglichkeit des harmonischen Miteinanders von Offenbarungswahrheiten und Erkenntnissen menschlicher Vernunft zu verteidigen, setzte Malebranche alle Energie daran, den Primat der Offenbarungswahrheiten gegen alle bloß vernünftige Erkenntnis durchzusetzen, und zwar mit dem Hinweis auf die begrenzte Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Malebranche hatte 1680 in seinem Traité de la nature et de la grace versichert, dass durch richtigen Gebrauch der Vernunft nicht nur die Existenz Gottes, sondern auch seine herausragende Eigenschaft, die Güte, zu deduzieren sei, in Zweifelsfällen habe die Heilige Schrift als letzte Instanz zu gelten. Auf ihrem Weg zur Erkenntnis Gottes und seines Wirkens in der Welt müsse die menschliche Vernunft, da ihre Fähigkeiten begrenzt seien, der immer drohenden Gefahr ihres möglichen Fehlgehens eingedenk bleiben: Die unermessliche Distanz zwischen der Kreatur ›Mensch‹ und Gott als ihrem Schöpfer verhindere, dass der Mensch gottgleiche Einsicht in den Lauf der Welt gewinne; nur allzu oft gerate die Vernunft in die Irre und lasse falsche Vorstellungen vom Wesen Gottes und der Bestimmung des Menschen entstehen. Trotz dieser Skepsis kann sich Malebranche nicht von dem Standpunkt trennen, die Erfüllung ihrer vornehmsten Aufgabe, der Schau Gottes, sei prinzipiell möglich. Ganz in der Tradition Augustins stehend übernimmt Malebranche dessen Kennzeichnung des Menschen als eines Wesens, das auf Gott hin ausgerichtet und dessen vornehmste Aufgabe die fortwährende Suche nach seinem Schöpfer sei. Die Religiosität ist für Malebranche somit ein mit seiner Geschöpflichkeit verbundener Wesenszug des Menschen. Da Malebranche ihren göttlichen Ursprung niemals in Frage stellt, tritt sie in seinen Überlegungen auch nicht als der Analyse bedürftiger Forschungsgegenstand in Erscheinung. Die Bedenken, mit denen Malebranche die zum Teil schwankenden Suchbewegungen der menschlichen Vernunft betrachtete und vor denen er die Offenbarungswahrheiten in Schutz zu nehmen müssen glaubte, teilte Leibniz nicht. Hatte Malebranche seinen Traité vor allem in der religionsapologetischen Absicht verfasst, »den Schwierigkeiten einiger Philosophen gerecht zu werden, die […] nicht alle die Ansicht vertraten, welche die Religion uns von der Güte Gottes zu haben lehrt«335, und zu zeigen versucht, dass philosophische Spekulationen auf diesem Gebiet in die Irre führen, so betrachtete Leibniz die Philosophie als ein geeignetes Mittel zur Wiederbelebung einer Religion, die »ganz gegen den Willen unseres göttlichen Meisters

Nicolas Malebranche: Abhandlung von der Natur und der Gnade [1680]. Hg. v. Stefan Ehrenberg, Hamburg 1993, S. 7. 335

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[…] auf bloße Zeremonien zusammengeschrumpft« sei; zusätzlich habe man »die Lehre mit bloßen Formeln überladen.«336 Leibniz hatte sich mit seinen 1710 veröffentlichten Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l’Homme et l’Origine du Mal auf ein philosophisches Kräftemessen eingelassen, zu dem er sich durch Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique, 1702 vollständig erschienen, herausgefordert sah. Bayle337, an den Schriften Montaignes geschult, stand den Fähigkeiten der menschlichen Vernunft skeptisch gegenüber; keinesfalls sei sie dazu berufen, dem widervernünftigen Terrain der Religion ein festes Fundament bieten zu können. Für Bayle stand fest: Offenbarungs- und Vernunftwahrheiten sind unvereinbar. Die so gerechtfertigte Trennung der Kompetenzen von Theologie und Philosophie rief Leibniz’ Widerspruch hervor. Seine Metaphysik lieferte die Argumente dafür, dass die Einheit allen Seins als von der göttlichen Vernunft bestimmt gedacht werden konnte. Die von Gott in Form der prästabilierten Harmonie organisierten Beziehungen der Substanzen seien in ihrer Vielfalt für die begrenzt leistungsfähige menschliche Vernunft zwar nicht vollständig überschaubar, dennoch dürfe sich der Glaube eines letztlich vernunftgemäßen Aufbaus der Welt sicher sein. »[E]chte Frömmigkeit«, so konnte Leibniz daher formulieren, bestehe »in einer aufgeklärten Liebe, deren Feuer vom Lichte der Erkenntnis durchglüht ist.«338 Die Glaubenssätze der Religion, so Leibniz’ Überzeugung, brauchen also keinesfalls den Vorwurf zu fürchten, unvernünftig zu sein. Vielmehr sind für Leibniz diese Sätze (da ja – aus der für ihn allein relevanten göttlichen Perspektive betrachtet – kein Existentes unvernünftig sein kann) als Vervollständigung des beschränkten, mit den Mitteln der Philosophie bewerkstelligten Nachvollzugs der Welt anzusehen, wenn sie freilich oft auch die menschliche Vernunft übersteigen mögen: Die Glaubenssätze der Religion sind daher nicht un-, sondern allenfalls übervernünftig. Leibniz begreift, wie

Gottfried Wilhelm Leibniz: Versuche in der Theodizee über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels [1710]. Übers. v. Arthur Buchenau, 2. erg. Aufl. Hamburg 1968 (1. Aufl. 1925), S. 5. 337 Auf den kaum zu unterschätzenden Einfluss, den die Schriften Bayles nicht nur auf Leibniz, sondern auch auf den jungen Hume ausübten (vgl. z. B. Humes Brief an Michael Ramsay vom März 1732; LH I, 12), kann in dieser Arbeit nur hingewiesen werden. Detaillierte Untersuchungen dazu bei Pierre Courtines: »Bayle, Hume and Berkeley«, in: Revue de la Litterature Comparée 21 (1947), S. 416–428; Richard H. Popkin: »Bayle and Hume«, in: Felsefe arkivi 21 (1970), S. 29–38; Jean Paul Pittion: »Hume’s Reading of Bayle: An Inquiry into the Source and Role of the Memoranda«, in: Journal of the History of Philosophy 15 (1977), S. 373–386; Harry M. Bracken: »Bayle, Berkeley, and Hume«, in: Eighteenth-Century Studies 11 (1978), S. 227–245; Lothar Kreimendahl: »Bayles Bedeutung für den jungen Hume. Die Quelle der Reflexionen zur Philosophie in Humes ›Early Memoranda‹«, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 83 (2001), S. 64–83. 338 Gottfried Wilhelm Leibniz: Versuche in der Theodizee über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels [1710]. Übers. v. Arthur Buchenau, 2. erg. Aufl. Hamburg 1968 (1. Aufl. 1925), S. 4. 336

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auch Malebranche, Vernunft und Glauben von ihrem göttlichen Ursprung her. In der Erkenntnis Gottes fallen Aufgabe und Ziel von Vernunft und Glauben zusammen. Sie sind beide ohne die Existenz Gottes nicht denkbar: »[D]ie Vernunft [ist] ebenso eine Gottesgabe […] wie der Glaube […].«339 Von der Auffassung des religiösen Glaubens als einer ›Gottesgabe‹ ist nun freilich Humes Überzeugung weit entfernt.340 Zwar gehören für ihn die Vernunft und der religiöse Glaube zu den auffälligen Erkennungszeichen des Menschen, deren Wirken deutliche Spuren in den Ansichten und Praktiken unterschiedlicher historischer und kultureller Zusammenhänge hinterlassen hat und Rückschlüsse auf ihnen zugrundeliegende geistige Vorgänge ermöglicht. Doch sind darüber hinausgehende Annahmen über einen (vermeintlich) göttlichen Ursprung dieser menschlichen Kapazitäten, so Humes Auffassung, mit Hilfe der Erfahrung nicht verifizierbar und daher unzulässig. Mit gleicher Verve erteilt Hume allen metaphysischen Spekulationen über den Ursprung und die elementare Beschaffenheit des menschlichen Geistes eine klare Absage. So formuliert er im Treatise: »[A]ny hypothesis, that pretends to discover the ultimate original qualities of human nature, ought at first to be rejected as presumptious and chimerical.« (T Introduction, 8; SBN xvii) Jeder Versuch, das Phänomen des religiösen Glaubens zu erklären, muss daher, wie andere Zweige der Wissenschaft vom Menschen auch, von einer »observation of those particular effects« (ebd.) ihren Ausgang nehmen. Unter dem Einfluss dieser früh vorgenommenen Weichenstellung erhält Humes Auseinandersetzung mit religiösen Phänomenen ihre spezifisch anthropologische Note: Allein in der genauen Beobachtung der gläubigen Menschen und ihres Umgangs mit Glaubenssätzen und Kultpraktiken liegt der Schlüssel zum Verständnis der Entstehungs- und Existenzbedingungen von Religion. Eben darin liegt auch der Grund für die im Vergleich zu Malebranche und Leibniz ungleich stärkere Berücksichtigung, die die religiösen Zeugnisse diverser Epochen und Kulturen in den Schriften Humes erfahren. Einem Arzt vergleichbar, taxiert Hume die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Religion als besonders aussagekräftige Symptome, die sowohl Auskunft über geistige Prozesse als auch über kulturelle Hintergründe geben.341

Ebd., S. 61. Peter Harrison hat in diesem Zusammenhang von der »secularisation of talk about religion« gesprochen (›Religion‹ and the Religions in the English Enlightenment, Cambridge 1990, S. 172). Zur Verdrängung des göttlichen Wirkens auch aus der Historiographie des 18. Jahrhunderts vgl. Hugh Trevor-Roper: »The Historical Philosophy of the Enlightenment«, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 27 (1963), S. 1667–1687, hier S. 1669. 341 Diese Lesart legt z. B. die Schlussbetrachtung der Natural History of Religion nahe, in der es heißt: »Survey most nations and most ages. Examine the religious principles, which have, in fact, prevailed in the world. You will scarcely be persuaded, that they are any thing but sick men’s dreams: Or perhaps will regard them more as the playsome whimsies of monkies in human shape, 339 340

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IV. Hume und die Antike

Da Hume die Analyse der religiösen Anschauungen und Praktiken also in erster Linie aus dieser diagnostischen Perspektive betrachtet, von der er sich Aufschlüsse sowohl über intakte als auch über ›pathologische‹ geistige Vorgänge verspricht, sind seinen Arbeiten die theologisch-apologetischen Zielsetzungen, wie sie beispielsweise bei Malebranche und Leibniz zu beobachten sind, fremd. Dabei ist sein Ringen mit religionsphilosophischen Fragestellungen keinesfalls nur theoretischer Natur. Kontinuierlich hat Hume die gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen religiöser Überzeugungen im Blick; wiederholt warnt er vor dem zerstörerischen Potential, das in den Streitigkeiten der verschiedenen religiösen Parteien zutage trete und sich nicht selten in gewalttätigen Auseinandersetzungen entlade.342 So nimmt es nicht weiter wunder, dass besonders in den Schriften zur Religionsphilosophie der andernorts beobachtbare ironisch-gelassene Duktus Humes an polemischer Schärfe zunimmt.343 Sich auf die empiristisch-skeptischen Grundsätze

than the serious, positive, dogmatical asservations of a being, who dignifies himself with the name of rational.« (NH, 184) Medikalisiertes Vokabular nutzt Hume auch in der Selbstbeschreibung seines Projekts, das er im Abstract u. a. mit folgenden Worten skizziert: »He proposes to anatomize human nature in a regular manner, and promises to draw no conclusions but where he is authorized by experience.« (AB, 2) Vgl. hierzu Anm. 125 der vorliegenden Arbeit. Das Denkmodell einer Verbindung von ›Religiosität‹ und ›Krankheit‹ findet sich in der Form ›Religion als Neurose‹ auch bei Sigmund Freud (vgl. dazu Renate Schlesier: Mythos und Weiblichkeit bei Freud, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1990 [1. Aufl. 1981]). 342 Minutiöse Schilderungen dieser Auseinandersetzungen finden sich vor allem in der History. Aus der Vielzahl möglicher Belege seien nur einige angeführt. So berichtet Hume im Kapitel über Mary Tudor und die von ihr angeordneten Protestantenverfolgungen im Januar 1555: »[…] England was soon filled with scenes of horror, which have ever since rendered the Catholic religion the object of general detestation, and which prove that no human depravity can equal revenge and cruelty covered with the mantle of religion.« (HE III, 364, Kap. 37), und: »Human nature appears not, on any occasion, so detestable, and at the same time so absurd, as in these religious persecutions, which sink men below infernal spirits in wickedness, and below the beasts in folly.« (HE III, 366, Kap. 37) Auch unter der sich anschließenden Regentschaft Elisabeths habe es keinen religiösen Frieden gegeben: »[A] garb, a gesture, nay, a metaphysical or grammatical distinction, when rendered important by the disputes of theologians and the zeal of the magistrate, is sufficient to destroy the unity of the church, and even the peace of society.« (HE III, 530, Kap. 40) Ebenso hätten auch im 17. Jahrhundert, unter Karl I., religiöse Fehden nicht der Vergangenheit angehört, wie Hume vermerkt: »The altercation of discourse, the controversies of the pen, but, above all, the declamations of the pulpit, indisposed the minds of men towards each other and propagated the blind rage of party. Fierce, however, and inflamed as were the dispositions of the English by a war both civil and religious, that great destroyer of humanity, all the events of this period are less distinguished by atrocious deeds, either of treachery or cruelty, then were ever any intestine discords which had so long a continuance […].« (HE V, 139, Kap. 56). 343 Für Gilles Deleuze zeigt Humes Umgang mit der Religion, dass es ihm nicht nur um einige wenige Korrekturen, sondern um »totale Kritik« gehe; Hume »scheint […] die Religion, und alles, was sich auf sie bezieht, aus der Kultur auszuschließen.« (David Hume. Aus d. Franz. v. Martin Weinmann und Peter Geble, Frankfurt a. M. 1997 [frz. Paris 1953], S. 87). In der Tat greift Hume

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seiner Anthropologie stützend, mit der er die Eigenarten des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns betrachtet und die Spannbreite des dem Menschen zugänglichen Erfahrungs- und Wissensbereichs ausmisst, weist der schottische Philosoph all jene Deutungsansprüche diverser religiöser Lehren (vor allem die des Katholizismus) zurück, die seiner Ansicht nach eben diese Grenzlinien des Erkennbaren missachten und damit bei den Gläubigen falsche – abergläubische – Vorstellungen hervorrufen. Hintergrund dieser Manöver, so Hume, sei der Wille der vom Aberglauben der Menge abhängigen Priesterschaft (»one of the grossest Inventions of a timorous and abject Superstition« [ES, 617]), ihre Vormundschaft über die Gläubigen zu behaupten und die eigene Machtstellung zu festigen.344 Für Hume liegen die Mechanismen und desaströsen Folgen der priesterlichen Winkelzüge klar auf der Hand: Statt die Gläubigen mit angemessenen (d. h. idealerweise mit solchen der Humeschen Philosophie kompatiblen) Ansichten über die Welt und ihren Gesetzmäßigkeiten vertraut zu machen und sie auf diese Weise intellektuell und moralisch zu stärken (wie es das Humesche Bildungsideal vorsieht345), leisten

in seiner Kritik religiöser Vorstellungen die fundamentalen Komponenten an, auf die sie nicht verzichten können, wenn sie damit nicht auch zugleich den Charakter des Religiösen einbüßen wollen. 344 In den 1748 bis 1760 erschienen Versionen des Essays Of Superstition and Enthusiasm, der zum ersten Mal 1741 publiziert wurde, differenziert Hume: »By Priests I understand only the Pretenders to Power and Dominion, and to a superior Sanctity of Character, distinct from Virtue and good Morals. These are very different from Clergymen, who are set apart by the Laws to the care of sacred Matters, and the conducting our public Devotions with greater Decency and Order. There is no Rank of Men more to be respected than the latter.« (ES, 617) Hume betrachtet vor allem »[m]odern Judaism and Popery« als »most barbarous and absurd Superstitions that have yet been known to the World«; sie seien »most enslav’d by their Priests.« (ebd.) Neben Humes notorischer Kritik am Katholizismus fallen vor allem seine abschätzigen Urteile über das Judentum ins Auge, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch näher betrachtet werden sollen. Zur für die Aufklärung spezifischen Ausweitung des Begriffs ›Aberglauben‹ auch auf den Priestertrug vgl. Burkhard Gladigow: Art. »Aberglaube«, in: Hubert Cancik/Burkhard Gladigow/Matthias Laubscher (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 1, Stuttgart 1988, S. 387–388; sowie Gottfried Küenzlen: Art. »Aberglaube. I. Religionswissenschaftlich«, in: Religion in Geschichte und Gegenwart [RGG]. Bd. 5. 4., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 2002, Sp. 55–56 (hier Sp. 55). Auch in den religionshistorischen Analysen Eduard Meyers spielt das Konzept von der Machtstellung des Priesterstandes eine zentrale Rolle, vgl. dazu Renate Schlesier: »Religion als Gegenbild: Zu Eduard Meyers Geschichtstheorie« [1990], in: dies.: Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800, Frankfurt a. M. 1994, S. 65–122. Rudolf Lüthe vertritt mit Blick auf Hume die Auffassung, es sei »der wesentliche Zweck seiner Kritik der superstition die Herausarbeitung des machtpolitischen Nutzens, den diese Geisteshaltung für die Kirche und ihre Vertreter« habe; Hume sei »mehr an der (politischen) Funktion des Aberglaubens interessiert als an eben [seinen] Inhalten.« (David Hume. Historiker und Philosoph, Freiburg/München 1991, S. 151). Meines Erachtens tritt für Hume neben die machtpolitische Frage aber auch gleichberechtigt diejenige nach den Implikationen abergläubischer Vorstellungen für die wissenschaftlich-künstlerische Produktivität. 345 In diesem Bildungsideal sind theoretisches und praktisches Wissen aufeinander bezogen. So heißt es beispielsweise im Essay Of Refinement in the Arts: »Laws, order, police, discipline; these can

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IV. Hume und die Antike

sie durch irrige, der Vernunft widerstrebende Lehrmeinungen falscher Religion und Aberglauben Vorschub und sind nicht zuletzt für das Heraufbeschwören religiöser Streitigkeiten verantwortlich.346 Humes scharfer Tadel des Machtmissbrauchs jeglicher Priesterschaft im allgemeinen (und der katholischen im besonderen) lässt sich gewiss mit keinem anderen Schriftstück so anschaulich dokumentieren wie mit dem kurzen Essay Of Superstition and Enthusiasm, dessen erste Fassung 1741 publiziert wurde und damit den frühesten uns bislang bekannten Text Humes darstellt, der ausschließlich einem religiösen Gegenstand gewidmet ist. Er enthält bereits wichtige, auch spätere Arbeiten prägende Leitgedanken (u. a. zur Rolle der Affekte bei der Entstehung von Religion), so dass er nun in aller Kürze vorgestellt und auf seine Implikationen für Humes Auffassung von Anthropologie und Kultur hin befragt werden soll. Der sich daran anschließende Blick auf die Natural History of Religion nimmt dann Humes Versuch ins Visier, mit dem ihm zur Verfügung stehenden historiographischen und ethnographischen Material einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Religion zu geben. In diesem Zusammenhang wird dann auch wieder auf das Bild einzugehen sein, das sich Hume von der Antike macht. In Of Superstition and Enthusiasm reflektiert Hume über die möglichen Ursachen der Entstehung von Aberglauben und Schwärmerei347 sowie, und dieser zentrale Aspekt soll hier weiter verfolgt werden, »their different influence on government and society.« (ES, 75) Beide, den Aberglauben und die Schwärmerei, bezeichnet Hume als »corruptions of true religion.« (ES, 73) Hume expliziert seine Auffassung von ›wahrer Religion‹ zwar im weiteren Verlauf dieses Essays nicht genauer, doch werden ihre Umrisse erkennbar, insofern er die ›wahre Religion‹ gemeinsam mit »sound reason and philosophy« (ES, 75) sowie »common rules of reason, morality, and prudence« (ES, never be carried to any degree of perfection, before human reason has refined itself by exercise, and by an application to the more vulgar arts, at least, of commerce and manufacture.« (ES, 273) Und auch in diesem Essay weist Hume auf die Gefahr eines religiös verbrämten Aberglaubens hin, wenn er fortfährt: »[A]ll ignorant ages are infested with superstition, which throws the government off its bias, and disturbs men in the pursuit of their interest and happiness.« (ebd.). 346 Zur Instrumentalisierung religiöser Dispute zugunsten eigener Interessen schreibt Hume in Of Parties in General: »[T]his keenness assisted the priests in their policy, of begetting a mutual hatred and antipathy among their deluded followers.« (ES, 63). 347 Sowohl ›Aberglauben‹ (›superstition‹) als auch ›Schwärmerei‹ (›enthusiasm‹) sind ihrer Entstehung nach pejorativ wertende Bezeichnungen (vgl. dazu: Lutz Röhrich: Art. »Aberglaube. 1. Etymologie und Begriff«, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart [RGG]. Bd. 1. 3., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1957, Sp. 53–54; Wolfgang Trillhaas: Art. »Enthusiasmus«, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart [RGG]. Bd. 2. 3., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1958, Sp. 496; dieser Verwendungsweise schließt sich auch Hume an. Zur Bedeutung des Begriffs ›enthusiasm‹ im 18. Jahrhundert vgl. Karl Tilman Winkler: »Enthusiasmus und gesellschaftliche Ordnung. ,Enthusiasm‹ im englischen Sprachgebrauch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts«, in: Aufklärung 3 (1988), S. 29–47.

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77) als wirksame Phalanx von Gegenmitteln gegen Aberglauben und Schwärmerei betrachtet.348 Bei genauerem Hinsehen jedoch stellt sich heraus, dass Hume den Begriff der ›true religion‹ dem der ›philosophy‹ subsumiert. Der auf den ersten Blick hilfreich scheinenden Geste, mit der seine Philosophie den Schulterschluss mit der Religion sucht, um diese von verderblichen Einflüssen zu reinigen, liegt die Voraussetzung zugrunde, dass die Religion eine spezifische Form der Philosophie darstellt. So wendet sich das Humesche Verständnis von ›true religion‹, wie es in diesem Essay und in anderen Arbeiten zum Ausdruck kommt, gegen die für das Selbstverständnis vieler Religionen konstitutive, von Hume jedoch als ›unvernünftig‹ gebrandmarkte Ausrichtung auf einen Bereich der Transzendenz, zu dem sich die Gläubigen sowohl mittels bestimmter Überzeugungen als auch diverser Praktiken in Beziehung zu setzen versuchen. ›True religion‹, die nach Humes Ansicht ›gesunde‹, weil von abergläubischen und schwärmerischen Ansichten und Verhaltensweisen gereinigte Form der Religion, kann am Ende aus nichts weiter als aus einer Sammlung von Überzeugungen über Mensch und Welt sowie Vorschriften bezüglich des Verhaltens ihnen gegenüber bestehen, deren Fundament mit den Erkenntnissen seiner Philosophie identisch ist und daher, so Humes Anspruch, der Überprüfung durch Erfahrungs- und Vernunfturteile zugänglich sein muss. Eine Überbietung dieser Kapazitäten, etwa durch das Mittel der Offenbarung, schließt Hume für die ›true religion‹ kategorisch aus.349 Eine ähnliche Formulierung (»just reasoning and sound philosophy«) wird im elften Abschnitt der ersten Enquiry (›Of a Particular Providence and of a Future State‹) von Humes fiktivem Dialogpartner verwendet (dessen Auffassungen als diejenige Humes angesehen werden können, vgl. E1, 49). In der Debatte über die (Un-)Möglichkeit, mittels Analogieschluss die Eigenschaften des höchsten Wesens bestimmen zu können, wird die schroffe Trennung von Religion und Philosophie aufgehoben: »All the philosophy, therefore, in the world, and all the religion, which is nothing but a species of philosophy, will never be able to carry us beyond the usual course of experience, or give us measures of conduct and behaviour different from those which are furnished by reflections on common life.« (E1 11.27; SBN 146) In den Dialogues erkennt Philo zwar die Möglichkeit der begrifflichen Bestimmbarkeit von ›wahrer Religion‹ an, schätzt ihre Existenzchancen aber vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den bisher bekannten religiösen Überzeugungen für gering ein: »True religion, I allow, has no such pernicious consequences: But we must treat of religion, as it has commonly been found in the world; nor have I any thing to do with that speculative tenet of theism, which, as it is a species of philosophy, must partake of the beneficial influence of that principle, and at the same time must lie under a like inconvenience, of being always confined to very few persons.« (DR, 125) Zum obskuren Charakter des Begriffs ›true religion‹ bei Hume vgl. auch M. A. Box: The Suasive Art of David Hume, Princeton 1990, S. 209. 349 Gegen Ende des 12. Teils der Dialogues versucht Philo, das sich in der Diskussion herauskristallisierende, vergleichsweise ›blutleere‹ und folgenlose Konzept von ›true religion‹ bzw. ›natural theology‹ in Worte zu fassen: »If the whole of natural theology, as some people seem to maintain, resolves itself into one simple, though somewhat ambiguous, at least undefined proposition, that the cause or causes of order in the universe probably bear some remote analogy to human intelligence: If this proposition be not capable of extension, variation, or more particular explication: If it afford 348

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IV. Hume und die Antike

Der Beginn des Essays Of Superstition and Enthusiasm zeigt, dass Hume auf seine bereits im Treatise erarbeiteten Einsichten, besonders hinsichtlich der menschlichen Affektprozesse, zurückgreift, um die anthropologischen Entstehungsbedingungen von Aberglauben und Schwärmerei plausibel zu machen: The mind of man is subject to certain unaccountable terrors and apprehensions, proceeding either from the unhappy situation of private or public affairs, from ill health, from a gloomy and melancholy disposition, or from the concurrence of all these circumstances. In such a state of mind, infinite unknown evils are dreaded from unknown agents; and where real objects of terror are wanting, the soul, active to its own prejudice, and fostering its predominant inclination, finds imaginary ones, to whose power and malevolence it sets no limits. As these enemies are entirely invisible and unknown, the methods taken to appease them are equally unaccountable, and consist in ceremonies, observances, mortifications, sacrifices, presents, or in any practice, however absurd and frivolous, which either folly or knavery recommends to a blind and terrified credulity. Weakness, fear, melancholy, together with ignorance, are, therefore, the true sources of SUPERSTITION. (ES, 73 f.)

Für Hume, dessen Formulierung des ›mind of man‹ auf den Menschen in seiner Allgemeinheit zielt, stellen also Angst und Schrecken zwei elementare, weil sowohl historisch als auch geographisch universell beobachtbare Reaktionen auf (mitunter schmerzhafte) Erfahrungssituationen dar: In den Verwicklungen und Rückstößen der undurchschaubaren sozialen Interaktionen sowie der jederzeit drohenden Erfahrung körperlicher Versehrtheit zeigen sich drastisch die Grenzen jeglichen Ringens um Autonomie; nach Hume kann es dem Menschen als soziales und verwundbares Lebewesen nie erspart bleiben, gegen die Schranken seines eng bemessenen Gestaltungsspielraums anzurennen. Die hier zutage tretende Perspektive Humes zeigt also, dass ihm der stets riskante Charakter menschlicher Interaktion keineswegs fremd ist. Auch wenn er in anderen Zusammenhängen mit optimistischem Zutrauen das menschliche Handeln (sei es in kulturellen Formationen wie der Politik, der Öko-

no inference that affects human life, or can be the source of any action or forbearance: And if the analogy, imperfect as it is, can be carried no farther than to the human intelligence; and cannot be transferred, with any appearance of probability, to the other qualities of the mind: If this really be the case, what can the most inquisitive, contemplative, and religious man do more than give a plain, philosophical assent to the proposition, as often as it occurs; and believe that the arguments, on which it is established, exceed the objections which lie against it?« (DR, 129) Zur Kritik am reduzierten Religionsbegriff Humes und seiner auch von J. C. A. Gaskin (Hume’s Philosophy of Religion, 2. Aufl. London 1988 [1. Aufl. 1978]) und Josef Buchegger (David Humes Argumente gegen das Christentum, Frankfurt a. M. 1987) nicht geleisteten Überprüfung vgl. die Studie von Axel Wengenroth: Science of Man. Religionsphilosophie und Religionskritik bei David Hume und seinen Vorgängern, Frankfurt a. M. 1997 (zugl. Diss. Mainz 1996).

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nomie, der Wissenschaft oder der Kunst) als durch »industry, […] business and labour« (ES, 420) angetriebene Gestaltungsmacht preist, so ist er sich zugleich der unvorhersehbaren Widerstände und Konflikte bewusst, die gesellschaftliches Handeln begleiten können und kontinuierlich die störungsfreie Umsetzung eigener Vorhaben behindern. Anders gewendet: In dieser Passage ist ›Kultur‹ für Hume kein gefahrloser Schutzraum und auch kein bloß zu benutzendes, vollständig berechenbares Instrument, das der konfliktfreien Wunscherfüllung der an ihr Beteiligten dient, sondern die stets überraschende und sich durch ständige Bewegung auszeichnende Vielzahl von Handlungsprozessen sowie affirmativen und kritischen Bezugnahmen, in deren Folge der Erwerb, die schrittweise Akkumulation, der Verlust und die Differenzierung von kulturellen Kenntnissen, Praktiken und Artefakten eintritt. Neben den aus Humes Sicht geographisch wie historisch omnipräsenten Affekten wie Angst und Schrecken bedarf es zur Entstehung des Aberglaubens aber noch einer weiteren Komponente. Denn damit Angst und Schrecken ihren Einfluss auf den jeweils Affizierten geltend machen können, muss noch dessen Unwissenheit (›ignorance‹) hinzutreten. Unwissenheit jedoch zählt für Hume nicht, wie die Affekte der Angst und des Schreckens, zur anthropologischen Grundausstattung jedes Menschen, sondern ist eine von Humes Beschreibungskategorien für ein kulturell bedingtes Phänomen. Unwissenheit äußert sich in mangelnden Kenntnissen über Ursache-Wirkungszusammenhänge (vor allem solche von Naturereignissen), und kann sowohl bei Individuen als auch bei ganzen Gesellschaften angetroffen werden. Auf den engen Zusammenhang von fehlender Bildung und der Entstehung des Aberglaubens weist Hume auch an anderen Stellen seines Werkes hin, so beispielsweise im 1752 erschienenen Essay Of Refinement in the Arts: »[A]ll ignorant ages are infested by superstition, which throws the government off its bias, and disturbs men in the pursuit of their interest and happiness.« (ES, 273) Für fehlendes Erfahrungswissen und unzureichenden Vernunftgebrauch lassen sich nach Humes Ansicht jedoch nicht die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Geistes, wie etwa beim Affektgeschehen, verantwortlich machen. Für Hume weist mangelnde Bildung immer auf ein kulturelles Umfeld hin, das auch in anderen Bereichen defizitär ist, in dem »youth, leisure, education, genius, and example« (ES, 113) unbekannt sind: individuelle und soziale Bedingungen, die Hume für die Etablierung von Bildung als unabdingbar ansieht.350 Für Hume steht fest, dass in historischen Perioden und Gesellschaften, in denen ein kulturell vermitteltes, institutionell verankertes Ensemble von Wissensbeständen zur Aufklärung eines Phänomens dem Einzelnen oder der Gemeinschaft nicht zur Verfügung steht, die menschliche Einbildungskraft das In den letzten Kapiteln dieser Studie konnte gezeigt werden, inwiefern die ›negroes‹ für Hume offenbar eine Ausnahme darstellen; bei ihnen, so seine Ansicht, vermögen auch kulturelle Einflüsse keine Änderung ihrer (unterstellten) minderen geistigen Fähigkeiten zu bewirken. 350

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IV. Hume und die Antike

Steuer ergreift, um mit den von ihr erzeugten Vorstellungsbildern diesen von Angst begleiteten Erklärungsnotstand zu beenden. Der Preis dafür jedoch ist hoch, wie Hume vermerkt, denn die jetzt angebotene Erklärungsalternative einer ›unsichtbar wirkenden Kraft‹, womöglich genährt durch die Erzählungen von Priestern, liefert den Ängsten, statt sie zu bekämpfen, eher neue Nahrung und führt – aus Humescher Sicht – zu absurden Bewältigungsversuchen wie Zeremonien und Opferhandlungen. Diese Kritik Humes trifft sämtliche ritualisierten Handlungen der ihm bekannten Religionen.351 In seinen Augen manifestiert sich der Aberglaube also nicht allein in einer spezifischen Rezeptionshaltung, die die Wahrnehmung unerklärlicher Ereignisse mit unterschiedlichen, auf höhere Mächte sich berufenden Erklärungsmodellen beantwortet, sondern auch in den rituellen Performanzen, die diesen Modellen korrespondieren. Obwohl Hume keinen Hehl daraus macht, dass er diese Handlungen durchweg für absurd und wertlos hält, erkennt er ihre Bedeutsamkeit für die Gläubigen an. Einer-

Hume ist davon überzeugt, dass rituelle Handlungen notwendige Begleiter bestimmter religiöser Überzeugungen sind, und zwar aufgrund ihrer die religiöse Vorstellungswelt belebenden Wirkung. So heißt es beispielsweise im Abschnitt ›Of the causes of belief‹ des Treatise: »The ceremonies of the Roman Catholic religion may be consider’d as experiments of the same nature. The devotees of that strange superstition usually plead in excuse of the mummeries, with which they are upbraided, that they feel the good effect of those external motions, and postures, and actions, in inlivening their devotion, and quickening their fervor, which otherwise wou’d decay away, if directed entirely to distant and immaterial objects. We shadow out the objects of our faith, say they, in sensible types and images, and render them more present to us by the immediate presence of these types, than ’tis possible for us to do, merely by an intellectual view and contemplation.« (T 1.3.8.4; SBN 99) Im Essay The Sceptic schreibt Hume: »To render the passion of continuance, we must find some method of affecting the senses and imagination, and must embrace some historical, as well as philosophical account of the divinity. Popular superstitions and observances are even found to be of use in this particular.« (ES, 167) Der Katholizismus, so zeigt der Treatise, ist für Hume keine ›true religion‹, sondern Aberglauben (›superstition‹). Ein weiteres Beispiel für die Verstärkung von (religiösen) Vorstellungen liefert Hume die Beobachtung der Reaktionen von Pilgern, die einen heiligen Ort besuchen: »[I]t has been remark’d among the Mahometans as well as Christians, that those pilgrims, who have seen Mecca or the Holy Land are ever after more faithful and zealous believers, than those who have not had that advantage. A man, whose memory presents him with a lively image of the RedSea, and the Desert, and Jerusalem, and Galilee, can never doubt of any miraculous events, which are related either by Moses or the Evangelists.« (T 1.3.9.9; SBN 110) Welche Form der religiösen Praxis einsetzt, wenn die Fähigkeiten zur künstlerischen Sichtbarmachung der Gottheit fehlen, beschreibt Hume in der Natural History so: »Painters too and sculptors came in for their share of profit in the sacred mysteries; and furnishing men with sensible representations of their divinities, whom they cloathed in human figures, gave great encrease to the public devotion, and determined its object. It was probably for want of these arts in rude and barbarous ages, that men deified plants, animals, and even brute, unorganized matter; and rather than be without a sensible object of worship, affixed divinity to such ungainly forms. Could any statuary of SYRIA, in early times, have formed a just figure of APOLLO, the conic stone, HELIOGABALUS, had never become the object of such profound adoration, and been received as a representation of the solar deity.« (NH, 152). 351

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seits ist er von der Wirkungslosigkeit dieser Praktiken überzeugt (eben darauf bezieht sich sein Vorwurf der Absurdität), andererseits ist ihm ihr Auftreten mit Hilfe der ›science of Man‹ durchaus erklärbar. Mit dieser Einsicht nun erschöpft sich sein Interesse an religiösen Vorstellungen; zugleich markiert sie die Grenze der Humeschen Religionsphilosophie: Zwar richtet sich Humes Neugierde auf die für die Entstehung und Formung religiöser Vorstellungen verantwortlichen geistigen und sozialen Mechanismen sowie auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen, doch sucht man in seinen Schriften vergeblich nach einer z. B. detaillierten Analyse des Bedeutungsgehalts unterschiedlicher religiöser Vorstellungsmotive oder einer Untersuchung der Abläufe religiöser Praktiken. Dieser Verzicht zeigt deutlich, dass es nicht seine Absicht ist, solche Vorstellungen und Praktiken um ihrer selbst willen zu untersuchen. Vor dem Hintergrund des bislang zur Humeschen Religionsphilosophie Gesagten schält sich nun die Einsicht heraus, dass die von ihm getroffene Feststellung »The mind of man is subject to certain unaccountable terrors and apprehensions« (ES, 73) keinesfalls so verstanden werden darf, als betrachte er Angst und Schrecken als Affekte, die ihren Einfluss auf die Menschen in immer gleicher Stärke – unabhängig von historischen, geographischen und kulturellen Gegebenheiten – geltend machten. Wie oben bereits gezeigt wurde, vertritt er zwar die Auffassung, dass die häufig mit Schrecken verbundene Einsicht in die soziale Verstricktheit und körperliche Hinfälligkeit zu den epochen- und kulturübergreifenden Erfahrungen jedes Menschen gehört, doch bedeutet das für ihn nicht, dass der jeweilige Grad der affektiven Reaktionen, in Hinsicht sowohl auf Einzelne als auch auf ganze Gesellschaften, über alle Epochen hinweg unverändert bleibt. Darauf deutet ebenfalls der von ihm verwendete Ausdruck des ›state of mind‹ hin. Mit ihm verbindet Hume die Überzeugung von der Entwicklungs- und zugleich auch Bildungsfähigkeit des menschlichen Geistes. Ihr zufolge zieht bei jedem Menschen die zunehmende Einsicht in Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der belebten und unbelebten Welt entsprechende affektive Reaktionen nach sich, so dass sich ein durch Bildung aufgeklärter Geist gegen den Einfluss von Angst und Schrecken bis zu einem gewissen Grade zu wehren vermag.352

Hume verdeutlicht einen solchen Bildungsverlauf am Beispiel Englands. Im Essay Of National Characters notiert er: »[W]e may observe that our ancestors, a few centuries ago, were sunk into the most abject superstition, last century they were inflamed with the most furious enthusiasm, and are now settled into the most cool indifference with regard to religious matters, that is to be found in any nation of the world.« (ES, 206) Diese Passage wurde der 1753/54 veröffentlichten Ausgabe dieses Essays hinzugefügt, in der ersten Fassung von 1748 fehlt sie noch. Es stellt sich die Frage, ob diese Behauptung Humes, die religiöse Gleichgültigkeit in Großbritannien betreffend, mit ironischem Unterton zu lesen ist oder nicht. Denn sicher hatte Hume noch nicht seine vergebliche Bewerbung um den Lehrstuhl für Logik an der Universität Glasgow vergessen (1752), die nicht zuletzt von der »violent and solemn remonstrances of the clergy« (LH I, 164) attackiert wurde; auch seine Sorge über ein (zu frühes) Erscheinen der Dialogues Concerning Natural Religion begründet 352

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Diesen Prozess der ›rationalen Bändigung‹ von hemmenden Affekten möchte Humes Philosophie unterstützen. Daher findet sich das Motiv der ›Zähmung der Affekte‹ bei Hume nicht nur im Zusammenhang mit der Analyse von Religion (und hier besonders mit Blick auf den Aberglauben), sondern stellt überhaupt ein wichtiges Element seiner Vorstellung von kultureller Entwicklung dar, so z. B. im Sinne der Zivilisierung des Zusammenlebens und der sozialen Austauschprozesse durch Gesetze353 sowie einer Modulierung des Temperaments durch Bildung.354 Auch sprachliche und theatrale Kunstwerke zielen ja darauf, so Hume, die Gefühle der Rezipienten kontrolliert anzusprechen355 (wenn auch ohne erzieherische Ambitionen). Gleichwohl gesteht der schottische Philosoph ein, dass das affektive Anregungspo-

Hume mit der von ihm erwarteten Reaktion auf die (religionskritischen) Inhalte. So schreibt er kurz vor seinem Tod, am 8. Juni 1776, an seinen Verleger William Strahan: »I have hitherto forborne to publish it, because I was of late desirous to live quietly, and keep remote from all Clamour: For though it be not more exceptionable than some things I had formerly published; yet you know some of these were thought very exceptionable; and in prudence, perhaps, I ought to have suppressed them.« (LH II, 323) Diese Beispiele zeigen, dass Hume auch in Großbritannien keineswegs mit einer unbeschränkten religiösen Toleranz rechnete. 353 Im dritten Buch des Treatise beschreibt Hume, wie durch Übereinkunft Eigentumsverhältnisse abgesichert und Befürchtungen seines gewaltsamen Verlustes entkräftet werden können: »This can be done after no other manner, than by a convention enter’d into by all the members of the society to bestow stability on the possession of those external goods, and leave every one in the peaceable enjoyment of what he may acquire by his fortune and industry. By this means, every one knows what he may safely possess; and the passions are restrain’d in their partial and contradictory motions.« (T 3.2.2.9; SBN 489) Im Zusammenhang mit der Hinrichtung Charles’ I. reflektiert Hume in der History über die Aufgabe der Regierung und kommt zu dem Ergebnis: »Government is instituted in order to restrain the fury and injustice of the people […].« (HE V, 296, Kap. 59). 354 John Tibetot, Earl of Worcester, wird in Humes History als Ausnahme von der Regel dargestellt, »that knowledge had not produced on this nobleman himself the effect, which naturally attends it, of humanizing the temper and softening the heart […].« (HE II, 459, Kap. 22). 355 In der zweiten Enquiry kennzeichnet Hume das Theater als den Ort höchster Affektempfindlichkeit: »A man, who enters the theatre, is immediately struck with the view of so great a multitude, participating of one common amusement; and experiences, from their very aspect, a superior sensibility or disposition of being affected with every sentiment, which he shares with his fellow-creatures. […] Every movement of the theatre, by a skilful poet, is communicated, as it were by magic, to the spectators; who weep, tremble, resent, rejoice, and are enflamed with all the variety of passions, which actuate the several personnages of the drama.« (E2 5.24 f.; SBN 221 f.) Und über die Dichtkunst heißt es: »It is the business of poetry to bring every affection near to us by lively imagery and representation, and make it look like truth and reality: A certain proof, that, wherever that reality is found, our minds are disposed to be strongly affected by it.« (E2 5.30; SBN 222 f.) Es fällt auf, dass Hume nicht dem Schauspieler, sondern dem Dramatiker die ›magische‹ Fähigkeit zuspricht, Affekte beim Zuschauer zu erzeugen. Die sprachliche Komposition, nicht aber die körperliche Aktion ist für Hume das entscheidende Element des Dramas. Zur Parallelisierung von Dichtung und Malerei bei Hume (»All poetry, being a species of painting , brings us nearer to the object than any other species of narration […].«) vgl. E1 3.11 (nicht in SBN).

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tential des Theaters und der Dichtung nicht mit demjenigen des ›richtigen‹ Lebens konkurrieren kann.356 Der allein von der Philosophie zu bekämpfende Aberglaube357, der, so Hume, als Element fast aller Religionen zu betrachten ist358, kommt aber nicht allein den Machtbestrebungen religiöser, sondern auch weltlicher Autoritäten359 entgegen: Superstition […] steals in gradually and insensibly; renders men tame and submissive; is acceptable to the magistrate, and seems inoffensive to the people: Till at last the priest, having firmly established his authority, becomes the tyrant and disturber of human society, by his endless contentions, persecutions, and religious wars. (ES, 78)

Das Gefährliche dieses mit Furcht verbundenen Glaubens an übernatürlich wirkende Kräfte, so Humes Auffassung, ist seine Eigenschaft, sich unmerklich zu habitualisieren360 und so eine Wahrnehmungs- und Empfindungshaltung zu etablieren, die eine nüchterne, vorurteilsfreie Beurteilung von natürlichen oder auch gesellschaftlichen Vorgängen unmöglich macht. Eine solche, sich gleichsam wie eine Infek-

Dass die Wirkung von Affekten durch den Charakter der Authentizität eines wahrgenommenen Vorgangs bestimmt wird, macht Hume im Abstract am Beispiel der Dichtung deutlich: »Poetry, with all its art, can never cause a passion, like one in real life. It fails in the original conception of its objects, which never feel in the same manner as those which command our belief and opinion.« (AB, 22) Dies gilt, Humes Ausführungen im Treatise zufolge, auch für das Theater, so dass es dort möglich ist, die im richtigen Leben als unangenehm empfundenen Affekte durchaus zu goutieren: »A passion, which is disagreeable in real life, may afford the highest entertainment in a tragedy, or epic poem. In the latter case it lies not with that weight upon us: It feels less firm and solid: And has no other than the agreeable effect of exciting the spirits, and rouzing the attention.« (T 1.3.10.10; SBN 631). 357 Hierzu einschlägig sind Humes Ausführungen zu Beginn der ersten Enquiry (vgl. E1 1.11; SBN 11), aber auch gegen Ende des ersten Buchs des Treatise (vgl. T 1.4.7.13; SBN 271). Gerade in diesen Passagen übernimmt der Begriff ›superstition‹ die Funktion eines ›umbrella term‹, der all jene von Hume als irrig empfundenen Anschauungen bezeichnet, die, seien sie nun religiös motiviert oder nicht, von seiner Philosophie bekämpft werden sollen. ›Superstition‹ stellt somit einen von Hume unspezifisch gebrauchten Kampfbegriff dar. 358 »As superstition is a considerable ingredient in allmost all religions, even the most fanatical; there being nothing but philosophy able entirely to conquer these unaccountable terrors […].« (ES, 75). 359 Die Erfahrung zeigt Hume jedoch, dass sich aus der Liaison zwischen der Regierungsgewalt und dem ihr nützlichen Aberglauben, als einer besonderen Form der Religion, niemals ein Verhältnis der vollständigen Beherrschung und Instrumentalisierung letzterer wird ergeben können. Im erst posthum (1777) erschienenen Essay Of the Origin of Government notiert Hume: »Religion also, in most countries, is most commonly found to be a very intractable principle; and other principles or prejudices frequently resist all the authority of the civil magistrate […].« (ES, 41). 360 Vgl. NH, 173: »The less importunate and assuming any species of superstition appears, the less will it provoke men’s spleen and indignation, or engage them into enquiries concerning its foundation and origin.« 356

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tion361 einnistende Haltung hat jedoch nicht nur bedenkliche Konsequenzen auf politisch-sozialem Gebiet (etwa die hier von Hume genannte, allein auf Angst beruhende Unterwürfigkeit und Zahmheit gegenüber der regierenden Gewalt), sondern führt auch auf anderen kulturellen Feldern, wie z. B. den Wissenschaften, zu Hemmung und Rückschritt.362 In einem solchen geistigen Klima kann sich keine unabhängige Wissenschaft entwickeln: Die Zuverlässigkeit des in den Wissenschaften notwendigen Tatsachenurteils werde durch den Aberglauben massiv beeinträchtigt. Im Gegensatz zu dieser für Hume fast zwangsläufig eintretenden Behinderung der Wissenschaft durch den Aberglauben stellt sich die Situation der Künste unter diesen Bedingungen etwas differenzierter dar. Dieser Schluss liegt nahe, wenn man auch andere Passagen seines Werkes in diese Überlegungen mit einbezieht. So ist Hume z. B. – mit Blick auf die Rezeption von Kunstwerken – davon überzeugt, dass künstlerische Höchstleistungen immer und überall als solche anerkannt werden, unabhängig von der jeweils herrschenden Religion: Auch wenn der religiöse Glaube die Gestalt des Aberglaubens annehme, könne er das Geschmacksurteil nicht korrumpieren.363 Hume fordert zudem, dass die religiösen Überzeugungen der Künstler bei der Beurteilung eines Kunstwerks keine Rolle spielen dürften, solange diese Überzeugungen das Werk nicht in einer Weise beeinträchtigen, die uns dann dazu zwingt, das Kunst-

So bezeichnet Hume in der History den Aberglauben auch als »general contagion« (HE I, 389, Kap. 8). Vgl. dazu auch Anm. 167. 362 Laut Hume ist vor allem das Mittelalter von Aberglauben durchdrungen gewesen. So ist etwa in der History über das 12. Jahrhundert in England zu lesen: »The spirit of superstition was so prevalent that it infallibly caught every careless reasoner, much more every one whose interest and honor and ambition were engaged to support it. All the wretched literature of the times was enlisted on that side; some faint glimmering of common-sense might sometimes pierce through the thick cloud of ignorance, or, what was worse, the illusions of perverted science, which had blotted out the sun and enveloped the face of nature. […] Folly was possessed of all the schools as well as all the churches; and her votaries assumed the garb of philosophers, together with the ensigns of spiritual dignities.« (HE I, 388 f., Kap. 8) Zur ebenfalls dunklen Epoche des 13. Jahrhunderts (»deepest abyss of ignorance and superstition«) vgl. HE I, 634, Kap. 12. Die Bestimmung des Aberglaubens als ›Verdunklung des Geistes‹ ist ein bei Hume häufig wiederkehrender Topos. Zum Gebrauch der Lichtmetaphorik im 18. Jahrhundert allg. vgl. Ulrich Im Hof: »Enlightenment – Lumières – Illuminismo – Aufklärung. Die ›Ausbreitung eines besseren Lichts‹ im Zeitalter der Vernunft«, in: Maja Svilar (Hg.): »Und es ward Licht«. Zur Kulturgeschichte des Lichts, Bern 1983, S. 115–135. 363 Diese Auffassung möge eine Passage aus dem Essay Of the Standard of Taste belegen, die an früherer Stelle dieser Arbeit bereits herangezogen wurde: »The same HOMER, who pleased at ATHENS and ROME two thousand years ago, is still admired at PARIS and at LONDON. All the changes of climate, government, religion, and language, have not been able to obscure his glory.« (ES, 233) Vgl. auch Anm. 115 dieser Arbeit. Jedoch ist zu beachten, dass Hume für die Gültigkeit eines Geschmacksurteils ein (nicht näher spezifiziertes) Bildungsniveau fordert, das er bei abergläubischen Menschen nicht vermutet. In diesem Sinne dürfte es in Humes Augen zwar nicht unmöglich, aber doch wenig wahrscheinlich sein, auf einen abergläubischen, aber dennoch geschmackssicheren Menschen zu treffen. 361

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werk in moralischer Hinsicht zu verurteilen.364 Daher gilt: Wenn ein Kunstwerk, das religiöse Motive aufweist, den Rezipienten nur zu (nüchterner) Reflexion veranlasst, so besteht keine Veranlassung, es abzulehnen; es wird dann an den Regeln des Geschmacks gemessen, die auch für solche Kunstwerke gültig sind, die keine Bezüge zur Religion aufweisen. Allerdings – und an dieser Stelle schlägt die sonst von Hume verfochtene werkimmanente Betrachtungsweise abrupt in eine wirkungsästhetische um – darf das Kunstwerk nicht dazu geeignet sein, abergläubische Vorstellungen hervorzurufen oder gar abergläubische Praktiken zu provozieren. Nun besitzen seiner Ansicht nach die Werke religiöser Kunst, auf die er bei seinen Überlegungen explizit anspielt, gerade nicht die Eigenschaft, zu nüchterner Reflexion anzuregen. So notiert er im Essay Of Tragedy über die christliche Malerei, die er offenbar als Prototyp religiöser Kunst betrachtet (da sie die einzige ist, über die er einige Worte verliert): »As [most painters] wrought much for churches and convents, they have chiefly represented such horrible subjects as crucifixions and martyrdoms, where nothing appears but tortures, wounds, executions, and passive suffering, without any action or affection.« (ES, 224)365 Solche Bilder – mögen sie auch im Hinblick auf In Of the Standard of Taste liest man in Bezug auf die Dichtung: »Of all speculative errors, those, which regard religion, are the most excusable in compositions of genius; nor is it ever permitted to judge of the civility or wisdom of any people, or even of single persons, by the grossness or refinement of their theological principles. […] On this account, all the absurdities of the pagan system of theology must be overlooked by every critic, who would pretend to form a just notion of ancient poetry […]. No religious principles can ever be imputed as a fault to any poet, while they remain merely principles, and take not such strong possession of his heart, as to lay him under the imputation of bigotry or superstition. Where that happens, they confound the sentiments of morality, and alter the natural boundaries of vice and virtue. They are therefore eternal blemishes, according to the principles abovementioned; nor are the prejudices and false opinions of the age sufficient to justify them.« (ES, 247) In der History allerdings vertritt Hume die Auffassung, dass sich das moralische Gefühl nicht durch religiöse Einflüsse beirren lasse: »So deeply are the sentiments of morality engraved in the human breast that it is difficult even for the prejudices of false religion totally to efface them […].« (HE IV, 40, Kap. 41) Mehr noch: der religiöse Glaube, wie er von der Mehrzahl der Menschen praktiziert wird, ist für Hume kein Garant dafür, dass das Handeln auch moralisch einwandfrei ist: »Thus the motives of vulgar superstition have no great influence on general conduct; nor is their operation very favourable to morality, in the instances where they predominate.« (DR, 125). 365 Vgl. hierzu auch die Erläuterungen zu Humes Geschmacksbegriff in Kap. III.4 der vorliegenden Studie. Der Grund, warum Hume im Zusammenhang mit der Religion nicht näher auf die Musik, zumal in ihrer rein instrumentellen Form, eingeht (Musik ist in seinen Schriften ein generell stark vernachlässigter Gegenstand), mag darin bestehen, dass sie seiner Ansicht nach (im Gegensatz zu Malerei, Theater oder Dichtung) zu wenig anschaulich ist, um religiöse Vorstellungen wecken oder auch nur wachhalten zu können. Für Hume hat Musik weder die Aufgabe noch das Potential, Reflexion zu provozieren; ihre Wirkung (wie der der Schönheit überhaupt) erschöpft sich darin, unterhaltend zu sein. So äußert sich beispielsweise Philo im 10. Abschnitt der Dialogues: »Our sense of music, harmony, and indeed beauty of all kinds, gives satisfaction, without being absolutely necessary to the preservation and propagation of the species.« (DR, 100). 364

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Farbgebung, Linienführung, Bildaufteilung etc. ausgewogen komponiert sein und ein Maximum an Natürlichkeit (im Sinne von ›Realismus‹) aufweisen – hält Hume allein schon wegen ihres grausamen Sujets für nicht goutierbar. Hinzu kommt, dass er das dort geschilderte, religiös motivierte Verhalten der Märtyrer oder Heiligen in ethischer Hinsicht keinesfalls billigen kann. Von Kirchen und Klöstern in Auftrag gegeben, sollen diese Darstellungen, so scheint Humes unausgesprochener Verdacht zu lauten, einer Affektschulung dienen, die Haltungen wie Duldsamkeit, Gottvertrauen und Ergebenheit fördert. Hinter ihnen verbergen sich aber die von Hume strikt abgelehnten »monkish virtues«366, die er nicht für geeignet hält, einem Gemeinwesen dauerhaft Ordnung und Struktur zu verleihen. Letzten Endes bleiben Humes Schriften eine Antwort auf die Frage schuldig, ob er ›religiöse Kunst‹ nicht doch für ein ›hölzernes Eisen‹ hält – gerade auch vor dem Hintergrund der soeben benannten ethischen Ansprüche, die er an ein Kunstwerk stellt und denen religiöse Kunst nach seiner Überzeugung nicht zu entsprechen vermag. Wenn, wie Hume vermutet, künstlerische Erzeugnisse (z. B. der Malerei, der Bildhauerei oder der Dichtung) als Gradmesser für die Beschaffenheit der jeweiligen Kultur angesehen werden können, in der sie entstanden sind, dann müssen ihm Märtyrerabbildungen wie die soeben geschilderten als Symptome eines tiefen Aberglaubens erscheinen, in dem er sowohl die Künstler als auch die Betrachter gefangen sieht. Damit steht für Hume zugleich fest, dass die gesteigerte Produktion und Bewunderung solcher Werke in unaufgeklärten Zeiten oder Kulturen weniger künstlerischen als religiös-abergläubischen Maßstäben geschuldet ist. Greift man nun auf Humes Überlegungen zu den Aufgaben von Philosophie und Wissenschaften zurück, dann lässt sich der Schluss ziehen, dass im Zuge des Aufklärungsprozesses nicht nur religiös-abergläubischen Vorstellungen und Praktiken, sondern auch der ihnen korrespondierenden Form der Kunst sukzessive der Nährboden entzogen wird. In einer aufgeklärten Kultur, so würde Humes Prognose lauten, vermag religiöse Kunst (in Gestalt der oben erwähnten Märtyrerbildnisse beispielsweise) keine religiös konnotierten Affekte mehr auszulösen: Sowohl der fromme Künstler als auch der ehrfürchtig oder andachtsvoll staunende Betrachter werden dann einem Produzenten- und Rezipiententypus gewichen sein, dessen Geschmack und Intellekt ihm gebietet, sich ganz von den ehemals bewunderten Sujets fernzuhalten. Allenfalls könnte es dann noch geschehen, dass sich Künstler wie Betrachter in nüchterner, aber keinesfalls religiös affizierter Weise mit den von der Tradition überlieferten Motiven auseinandersetzen. Der Drang nach Unabhängigkeit und die Ablehnung von Autoritäten ist das Kennzeichen der zweiten von Hume genannten Form unechter Religion, der Schwärmerei, zu deren Anhängern er z. B. die Independenten, Quäker und Presbyterianer zählt.367 366

Vgl. hierzu auch Anm. 118 dieser Studie.

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Die Schwärmerei bildet, nicht zuletzt auch in sprachlicher Hinsicht, das Pendant zum Aberglauben: But the mind of man is also subject to an unaccountable elevation and presumption, arising from prosperous success, from luxuriant health, from strong spirits, or from a bold and confident disposition. In such a state of mind, the imagination swells with great, but confused conceptions, to which no sublunary beauties or enjoyments can correspond. Every thing mortal and perishable vanishes as unworthy of attention. And a full range is given to the fancy in the invisible regions or world of spirits, where the soul is at liberty to indulge itself in every imagination, which may best suit its present taste and disposition. Hence arise raptures, transports, and surprising flights of fancy; and confidence and presumption still encreasing, these raptures, being altogether unaccountable, and seeming quite beyond the reach of our ordinary faculties, are attributed to the immediate inspiration of that Divine Being, who is the object of devotion. In a little time, the inspired person comes to regard himself as a distinguished favourite of the Divinity; and when this frenzy once takes place, which is the summit of enthusiasm, every whimsy is consecrated: Human reason, and even morality are rejected as fallacious guides: and the fanatic madman delivers himself over, blindly, and without reserve, to the supposed illapses of the spirit, and to inspiration from above. Hope, pride, presumption, a warm imagination, together with ignorance, are therefore, the true sources of ENTHUSIASM. (ES, 74)

Wie Hume zuvor die Unwägbarkeiten und Schicksalsschläge des menschlichen Lebens, mithin also unerwartete und besorgniserregende Situationen, zum wichtigen Nährboden für abergläubische Vorstellungen rechnet, so richtet er nun bei der Analyse der Schwärmerei seinen Blick auf das andere Extrem der menschlichen Affektskala: Ein Mensch mit überbordendem Selbstvertrauen, der jede Unternehmung zu einem glücklichen Ende führen kann, wird versucht sein, seinen Erfolg allein auf eigene Begabung und Fertigkeit zurückzuführen – und dabei die wahre Ursache und Zufälligkeit verkennen. Eine lebhafte Phantasie kann in solchen Momenten die Vorstellung nähren, von einer Gottheit begünstigt worden zu sein, oder sogar dazu führen, in den von der Vgl. hierzu auch Humes Darstellung der Independenten und Presbyterianer in seiner History (HE V, 184 f., Kap. 57): »In proportion to its degree of fanaticism, each sect became dangerous and destructive, and, as the Independents went a note higher than the Presbyterians, they could less be restrained within any bounds of temper and moderation.« Die Quäker stellen für Hume eine (anerkennenswerte) Ausnahme dar, insofern sie sich mit ihrer pazifistischen Haltung der Humeschen Historiographie geradezu entziehen: »The Quakers, however, are so considerable, at least so singular, as to merit some attention; and as they renounced by principle the use of arms, they never made such a figure in public transactions as to enter into any part of our narrative.« (HE V, 453, Kap. 62). 367

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Phantasie erzeugten Vorstellungen die Botschaft einer Gottheit zu sehen. Im Gegensatz nun zu dem abergläubischen Menschen, der, so Hume, sich aus Furcht dem (vermeintlichen) Schutz einer Priesterschaft unterstellt, ihren Erklärungen Vertrauen schenkt und ihren rituellen Weisungen folgt, verlässt sich der Schwärmer (›enthusiast‹) ganz auf seine ›innere Stimme‹. Der Abergläubische wird aus Angst dazu getrieben, sich dem Reglement einer Glaubensgemeinschaft zu unterwerfen, deren rituelle Praktiken ihm die Besänftigung des Zorns der gefürchteten, unsichtbaren Macht versprechen. Affektgeleitet, so Hume, ist auch der Schwärmer; jedoch führt ihn die von der Phantasie erhitzte Leidenschaft dazu, auf seiner Individualität zu beharren: [A]ll enthusiasts have been free from the yoke of ecclesiastics, and have expressed great independence in their devotion; with a contempt of forms, ceremonies, and traditions. […] The fanatic consecrates himself, and bestows on his own person a sacred character, much superior to what forms and ceremonious institutions can confer on any other. (ES, 75 f.)

In anthropologischer (d. h. für Hume: die Mechanismen und Antriebskräfte ihres Zustandekommens betrachtender) Hinsicht ist der Unterschied zwischen dem Aberglauben und der Schwärmerei unerheblicher als ihre Gemeinsamkeiten: Denn sowohl bei dem Abergläubischen als auch bei dem Schwärmer ist die Wahrnehmung der Welt verzerrt, und zwar durch eine (in ihren Vorzeichen freilich entgegengesetzt ausgerichtete) Konstellation von Affekten; bei beiden ist zudem noch das Merkmal der ›ignorance‹ anzutreffen (das Hume aber, wie oben bereits gezeigt, unter die kulturell bedingten Erscheinungen verbucht). Ganz anders hingegen lautet Humes Ergebnis bezüglich der Spuren, die der Aberglaube und das Schwärmertum in der Kultur hinterlassen haben; hier macht er gravierende Unterschiede aus. Wo der Aberglaube, unterstützt durch priesterliches Engagement, sich unaufdringlich, aber hartnäckig im Geist der Menschen festsetze und ein Klima der Unsicherheit und Selbstverleugnung erzeuge (mit den oben bereits genannten Folgen), mache sich die Schwärmerei in der Öffentlichkeit durch »fury […] like that of thunder and tempest« (ES, 77) bemerkbar, verbunden mit »the most cruel disorders in human society« (ebd.). Zunächst also von heftigerer Leidenschaft als der Aberglaube getragen, so Hume, kühle sich der religiöse Fanatismus jedoch vergleichsweise schnell wieder ab und hinterlasse die von ihm zuvor ergriffenen Menschen in »the greatest remissness and coolness in sacred matters […]: No rites, no ceremonies, no holy observances, which may enter into the common train of life, and preserve the sacred principles of oblivion.« (ebd.) Diese Indifferenz gegenüber religiösen Angelegenheiten unterstreiche, so Hume, die tolerante Haltung der Schwärmer. Im Gegensatz dazu fördere der Aberglaube die Unduldsamkeit: »[S]uperstition is an enemy to civil liberty, and enthusiasm a friend to it.« (ES, 78)

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Als Basis für diese generalisierende Behauptung dienen Hume Beispiele aus England und Frankreich. Wie sich in England der (zunächst politisch begründete) Konflikt zwischen Whigs und Tories dann auch mit einer Auseinandersetzung der verschiedenen Konfessionen gemischt habe, so sei der in Frankreich zu beobachtende Streit zwischen Molinisten und Jansenisten von Beginn an religiös motiviert gewesen. Die abergläubischen Molinisten zeigten bei dieser Gelegenheit ihr wahres Gesicht: Sie seien, so Hume, »tyrants of the people«; die schwärmerischen Jansenisten hingegen »preserve alive the small sparks of the love of liberty« (ES, 79). Im 17. Jahrhundert, so behauptet Hume in der History, habe man vor allem am Beispiel Österreichs sehen können, wie sehr der Gegensatz der Konfessionen sich auch in politischen Oppositionen niedergeschlagen habe: As the house of Austria, throughout all her extensive dominions, had ever made religion the pretence of her usurpations, she now met with resistance from a like principle; and the Catholic religion, as usual, had ranged itself on the side of the monarchy; the Protestant, on that of liberty. (HE IV, 322, Kap. 48)

Der Essay Of Superstition and Enthusiasm verdeutlicht in besonderem Maße eine leitende Annahme Humes, von der auch seine anderen religionsphilosophischen Schriften ausgehen: Wer soziale Vorgänge, gleich welcher Epoche oder Gesellschaft, mit aufmerksamem Blick verfolgt, muss notwendig erkennen, dass eine gewissenhafte Überprüfung der in ihnen herrschenden religiösen Überzeugungen unentbehrlich ist. Aber nicht etwa deshalb, weil man diese Überzeugungen ernst nehmen und von ihnen zuverlässige Auskünfte über gesellschaftliche oder natürliche Phänomene, geschweige denn dem Gemeinschaftsleben dienliche Handlungsdirektiven erwarten dürfte – in diesen Fällen orientiere man sich besser am gesunden Menschenverstand oder an einer skeptisch-empiristischen Philosophie368 –, sondern weil eben diese Vorstellungen

Der ›common sense‹, so Philo in den Dialogues, sei ohnehin die verlässlichste Hilfe in solchen Fragen des Alltags: »So long as we confine our speculations to trade, or morals, or politics, or criticism, we make appeals, every moment, to common sense and experience, which strengthen our philosophical conclusions, and remove (at least, in part) the suspicion, which we so justly entertain with regard to every reasoning, that is very subtile and refined.« (DR, 37) In der Natural History behauptet Hume sogar, dass der ›natural belief‹ des Alltags den ›religious belief‹ in Schach zu halten vermag: »We may observe, that, notwithstanding the dogmatical, imperious style of all superstition, the conviction of the religionists, in all ages, is more affected than real, and scarcely ever approaches, in any degree, to that solid belief and persuasion, which governs us in the common affairs of life. Men dare not avow, even to their own hearts, the doubts which they entertain on such subjects: They make a merit of implicit faith; and disguise to themselves their real infidelity, by the strongest asseverations and most positive bigotry. But nature is too hard for all their endeavours, and suffers not the obscure, glimmering light, afforded in those shadowy regions, to equal the strong impressions, made by common sense and by experience. The usual course of men’s conduct belies their words, and shows, that their assent in these matters is some unaccountable operation of the 368

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das je spezifisch beobachtbare Handlungsgeflecht in einer Kultur in entscheidendem Maße mitgestalten.369 In diesem Sinne sind Humes Ausführungen als Warnungen zu verstehen, religiöse Ansichten nicht zu unterschätzen und sie etwa als bloß folgenlose Spekulationen oder Gedankenspiele einzustufen, mit denen die Menschen ihre Mußestunden verbringen. Vielmehr ist mit diesen Vorstellungen ein Deutungsrahmen gegeben, der über die Art und Weise entscheidet, wie die Menschen einer bestimmten Gesellschaft sowohl intellektuell-diskursiv als auch affektiv370 mit einem ganzen Cluster von Wahrnehmungen (der belebten und unbelebten Welt sowie des sozialen Gefüges) umgehen und darauf bezogene Handlungsmuster ausbilden. Als prägnanteste Exempla der politischen Auswirkungen des Gegensatzes von Aberglauben und Schwärmerei, die Of Superstition and Enthusiasm skizziert, hat Hume vor allem die Spannungen zwischen Katholizismus und Protestantismus (bzw. dessen regionale Varianten) vor Augen.371 Aber machen sich, nach seiner Ansicht, die Differenzen von Katholizismus und Protestantismus auch auf anderen kulturellen Ebenen, so etwa der wissenschaftlich-künstlerischen, bemerkbar? Seine diesbezüglichen Äußerungen sind rar und nicht systematisch ausgearbeitet, was als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass ihm dieser Aspekt von Religion (im Gegensatz zur Verbindung von Religion und Politik) weniger erwähnenswert erscheint. So notiert Hume in der History: mind between disbelief and conviction, but approaching much nearer to the former than to the latter.« (NH, 172) Trotz seines Vertrauens in die Durchsetzungskraft des ›common sense‹ lässt Hume bemerkenswerterweise nicht davon ab, eindringlich vor den Verirrungen und Gefahren religiöser Überzeugungen zu warnen und mit philosophischem Gepäck gegen sie ins Feld zu ziehen. Zu den zwei Formen des ›belief‹ vgl. auch Terence Penelhum: »Natural Belief and Religious Belief in Hume’s Philosophy«, in: Philosophical Quarterly 33 (1983), S. 166–181. Zu den unterschiedlichen und daher innerhalb der schottischen Aufklärung umstrittenen Konzepten von ›common sense‹ vgl. S. A. Grave: The Scottish Philosophy of Common Sense, Oxford 1960. 369 In der History formuliert Hume: »Disputes concerning religious forms are in themselves the most frivolous of any, and merit attention only so far as they have influence on the peace and order of civil society.« (HE V, 485, Kap. 63) Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die eine Einschränkung anzeigende Formulierung ›only so far‹ als Humesche Ironie zu lesen ist, da nicht zuletzt die History unausgesetzt die ruinösen Folgen religiös motivierter Fehden schildert. 370 Über die enorme Bedeutung von Affekten bei der Ausbildung von Religiosität schreibt Hume in einem Brief an Gilbert Elliot of Minto vom 18. Februar 1751: »[I]t was neither by Reasoning or Authority we learn our Religion, but by Sentiment. […] But to all Appearance the Sentiment of Stockholm, Geneva, Rome antient & modern, Athens, & Memphis, have the same Characters.« (LH I, 151). 371 M. Andreas Weber weist zu Recht darauf hin, dass aus diesem speziellen Fall nicht geschlossen werden darf, dass Hume durchweg den ›Aberglauben‹ mit dem Katholizismus und den ›Enthusiasmus‹ mit dem Protestantismus identifiziert (David Hume und Edward Gibbon. Religionssoziologie in der Aufklärung, Meisenheim 1990, S. 43). In der Tat können sich ›superstition‹ und ›enthusiasm‹ für Hume auch in nichtreligiösen Zusammenhängen finden, wie z. B. der Philosophie.

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The universal and uncontradicted prevalence of one opinion in religious subjects can be owing at first to the stupid ignorance alone and barbarism of the people, who never indulge themselves in any speculation or inquiry; and there is no expedient for maintaining that uniformity, so fondly sought after, but by banishing forever all curiosity and all improvement in science and cultivation. (HE III, 361, Kap. 37)

Dieser mit Blick auf die Religionsstreitigkeiten des 16. Jahrhunderts erhobene Vorwurf (Humes Invektiven entzünden sich hier an der Intoleranz des Bischofs von Winchester, dem späteren Lordkanzler Stephen Gardiner [~1483–1555]) zielt auf den weiter oben beschriebenen (katholischen) Aberglauben, zu dessen Kennzeichen es gehörte, so Hume, religiös Andersdenkende unerbittlich zu verfolgen. Die erzwungene Einheit in Glaubensfragen habe, wenn auch nicht auf die verschiedenen Zweige der Kunst, so doch zumindest auf Bildung und Wissenschaften hemmend gewirkt, insofern der hierfür erforderliche Widerspruchsgeist unterdrückt worden sei. Desgleichen findet sich in der History eine Notiz, die Auskunft über Humes Einschätzung der wirtschaftlichen Prosperität einer mehrheitlich protestantisch geprägten Gesellschaft gibt. Im 17. Jahrhundert, so der schottische Philosoph, sei den Bewohnern der Niederlande mehr an bürgerlicher Rechtschaffenheit denn an Rechtgläubigkeit gelegen gewesen: The Dutch began to be more intent on commerce than on orthodoxy; and thought that the knowledge of useful arts and obedience to the laws formed a good citizen, though attended with errors in subjects where it is not allowable for human nature to expect any positive truth or certainty. (HE IV, 501, Kap. 52)

Im protestantisch geprägten Milieu der Niederlande, so die hier zugrundeliegende Ansicht Humes, seien Handel und Gewerbefleiß stimuliert worden, nicht jedoch das Eifern gegen abweichende religiöse Vorstellungen.372 Zieht Hume daraus den Schluss, dass in einer protestantisch ausgerichteten Gesellschaft eine im Vergleich zu katholischen Gemeinwesen intensivere Hinwendung zu Gelehrsamkeit und Forschung vorhanden sein muss? Diese Frage lässt sich allein anhand des obigen Zitats aus der History nicht beantworten. Zweierlei aber ist festzuhalten: Humes Nachdenken über Religion operiert überwiegend mit Dichotomien373 (die ›wahre Religion‹ steht der ›falschen Religion‹ gegenüber, ›Aberglaube‹ der ›Schwärmerei‹, ›Tyrannei‹ der ›Frei-

In der Natural History of Religion schreibt Hume: »And if, among CHRISTIANS, the ENGLISH and DUTCH have embraced the principles of toleration, this singularity has proceeded from the steady resolution of the civil magistrate, in opposition to the continued efforts of priests and bigots.« (NH, 162). 373 Dieses Vorgehen ist ein Charakteristikum auch anderer Bereiche der Humeschen Philosophie, so z. B. im Treatise, wo er mit den Kontrasten von ›impressions‹ und ›ideas‹, ›memory‹ und ›imagination‹, ›pride‹ und ›humility‹, ›vice‹ und ›virtue‹ und anderen arbeitet. 372

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heit‹, und ›Katholizismus‹ dem ›Protestantismus‹). Indem Hume diese Zuordnungen dann auch auf die politische Ebene projiziert, kristallisieren sich für ihn einerseits Affinitäten zwischen Katholizismus und Monarchie sowie andererseits solche zwischen Protestantismus und Republik heraus.374 Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass Hume aus diesen Affinitäten keinesfalls einen notwendigen Entstehungszusammenhang ableitet: Weder geht er davon aus, dass die Monarchie aus dem Katholizismus erwachsen, noch, dass die Republik dem Protestantismus entsprossen ist. Wenn man Hume anhand seiner hier zusammengetragenen, aber von ihm nicht systematisierten Erörterungen die Überzeugung unterstellt, dass es einen Konnex von ›Protestantismus, Freiheit und republikanischer Regierungsform‹ auf der einen sowie von ›Katholizismus, Unfreiheit und Monarchie‹ auf der anderen Seite gebe, so ließe sich in einem nächsten Schritt eine Auffassung heranziehen, mit der er im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences die Frage zu beantworten sucht, welche Regierungsform dem künstlerischen bzw. dem wissenschaftlichen Vorwärtskommen am meisten dient. Hume erklärt (auch hier wieder streng dichotomisch): »A strong genius succeeds best in republics: A refined taste in monarchies. And consequently the sciences are the more natural growth of the one, and the polite arts of the other.« (ES, 126) Führt man die bislang gesammelten Behauptungen zusammen (was Hume selbst nicht tut), ergibt sich folgendes Bild: Republiken sind vornehmlich protestantisch geprägt, ökonomisch liberal und der Entfaltung der Wissenschaften förderlich; Monarchien hingegen sind weitestgehend Verfechter des Katholizismus, beschneiden die Freiheit der wissenschaftlichen Betätigung, unterstützen aber die Künste. Genau zu diesem polarisierenden (und holzschnittartigen) Fazit kann sich Hume aber gerade nicht durchringen, obwohl, wie oben gezeigt, ein Interpret seiner Schriften die einzelnen Beobachtungen zu Religion, Politik, Ökonomie, Kunst und Wissenschaft durchaus in einer Weise zueinander in Beziehung setzen kann, die eine solche Schlussfolgerung plausibel erscheinen lässt.375 Zweifellos sind in seinem Werk »[T]he Catholic religion, as usual, had ranged itself on the side of the monarchy; the Protestant, on that of liberty.« (HE IV, 322, Kap. 48) Über die weiteren Zusammenhänge dieser Äußerung vgl. auch S. 267 dieser Arbeit. Auch in Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences zieht Hume diese Verbindung: »Not to mention, that monarchies, receiving their chief stability from a superstitious reverence to priests and princes, have commonly abridged the liberty of reasoning, with regard to religion, and politics, and consequently metaphysics and morals.« (ES, 126). 375 Tatsächlich jedoch, so zeigt eine Passage aus Of the Rise and Progress of the Arts and Scienes, sind für Hume die Affinitäten zwischen Monarchie und Kunst bzw. zwischen Republik und Wissenschaft nicht religiös begründet: »[I]n a republic, the candidates for office must look downwards, to gain the suffrages of the people; in a monarchy, they must turn their attention upwards, to court the good graces and favour of the great. To be successful in the former way, it is necessary for a man, to make himself useful, by his industry, capacity, or knowledge: To be prosperous in the latter way, it is requisite for him to render himself agreeable, by his wit, complaisance, or civility. A strong genius 374

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unschwer Stellen ausfindig zu machen, in denen er, mit Blick auf die Neuzeit, die Behinderung wissenschaftlichen Fortschritts mit der Vorherrschaft des Aberglaubens (das bedeutet für Hume: des Katholizismus) in Verbindung bringt. Doch eine über diesen speziellen Fall hinausgehende und dabei auch andere Glaubensrichtungen einbeziehende, gründlich kommentierende Erörterung der Wechselbeziehung von religiösen Überzeugungen, Kunst und Wissenschaft sucht man in seinen Texten vergeblich. Vielmehr vermitteln Humes Beobachtungen und Überlegungen im Essay Of Civil Liberty von 1742 den Eindruck, als sei er sich keinesfalls sicher, ob man aufgrund der Feststellung, welche religiösen Überzeugungen die jeweils zu untersuchende Gesellschaft dominieren und welches Regierungssystem die Staatsgeschicke lenkt, überhaupt verlässliche Aussagen über den zu erwartenden kulturellen Charakter dieser Gesellschaft treffen kann. Daher bleibt er skeptisch. Hume notiert: The three greatest trading towns now in Europe, are LONDON, AMSTERDAM, and HAMBURGH; all free cities, and protestant cities; that is, enjoying a double liberty. It must, however, be observed, that […] this maxim is no more certain and infallible than the foregoing, and that the subjects of an absolute prince may become our rivals in commerce, as well as in learning. (ES, 92)

In dieser Passage, wo es um Prognosen bezüglich der kulturellen Auswirkungen geht, die von der religiösen und politischen Ausrichtung eines Gemeinwesens zu erwarten sind (genauer: um die Frage nach seiner zukünftigen ökonomischen und intellektuellen Leistungsfähigkeit), nimmt Hume davon Abstand, aus seinen Beobachtungen Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, da er offenbar den Verdacht hegt, sie könnten von künftigen Erfahrungen nicht mehr gedeckt sein. Im Gegensatz zu seinen Analysen auf dem Gebiet der ›science of Man‹, im Rahmen derer er den innermenschlich begrenzten Mechanismus der ›principles of the mind‹ auszuloten versucht und – von widersprechenden Beobachtungen offenbar wenig beeindruckt – von dem gleichsam berechenbaren Funktionieren des ›mind of man‹ ausgeht, ist er sich bei seiner Untersuchung umfangreicherer und ›personalintensiverer‹ kultureller Phänomene ansucceeds best in republics: A refined taste in monarchies.« (ES, 126) Entscheidender jedoch als die (an anderer Stelle wieder in Zweifel gezogene) Behauptung von Affinitäten sind Humes Aussagen über die notwendigen Fähigkeiten, die ein Künstler oder ein Wissenschaftler per se aufweisen muss, bzw. über die Aufgaben, die Kunst und Wissenschaft generell in der Gesellschaft zu erfüllen haben: Die wissenschaftliche Erkenntnis muss sich durch ihre Nützlichkeit ausweisen, die Kunst hingegen nimmt eine, im Rahmen der Geschmacksgrenzen verbleibende, unterhaltende Funktion wahr. Unter dem ›genius‹ des Wissenschaftlers ist hier keine frei flottierende, gleichsam aus dem Nichts schöpfende Erfindungsgabe zu verstehen, sondern eine durch Fleiß und zunehmende Kenntnis systematisch vertiefte Einsicht in die Möglichkeiten der Nutzbarmachung von Erkenntnissen (zum Humeschen ›genius‹-Konzept vgl. auch Anm. 114 dieser Studie). Der ›refined taste‹ des Künstlers basiert für Hume, wie schon in Kap. III. 4 dieser Studie erläutert, auf einem durch das intensive Studium unterschiedlicher Kunstwerke geschärften Urteilsvermögen.

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scheinend deren höherer Komplexität bewusst (wie hier z. B. die Verknüpfung von religiösen Überzeugungen, politischer Konstitution und ökonomischem Handeln in einem Gemeinwesen).376 Die im Essay Of Superstition and Enthusiasm niedergelegten Erkenntnisse über die anthropologischen Bedingungen der Entstehung von Aberglauben und Schwärmerei sowie deren Auswirkungen auf das soziale und kulturelle Leben greift Hume auch in der Natural History of Religion wieder auf, bettet sie dort allerdings in einen größeren historischen Zusammenhang ein. In dieser Schrift setzt sich Hume mit der Frage auseinander, ob die Religion ihren Ursprung in der menschlichen Natur hat und welche Gründe für die Unterschiede in den religiösen Überzeugungen der Menschen verantwortlich sind: »What those principles are, which give rise to the original belief, and what those accidents and causes are, which direct its operation, is the subject of our present enquiry.« (NH, 134) Um diese Frage beantworten zu können, nimmt Hume die Entwicklungsgeschichte religiöser Überzeugungen näher unter die Lupe.377 Seine besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Beobachtung, dass sich in der Geschichte der Menschheit polytheistische und monotheistische Ansichten378 offenbar abwechseln, und zwar in einer an »flux and reflux« (NH, 158) gemahnenden Abfolge.379 Die Entwicklung vom Poly- zum Monotheismus führt Hume dabei auf den »natural progress of human thought« (NH, 135) zurück: »The mind rises gradually, from inferior to superior: By abstracting from what is imperfect, it forms an idea Diese Beobachtung widerspricht nicht der folgenden Behauptung, die Hume im 1741 publizierten Essay That Politics May Be Reduced to a Science äußert: »So great is the force of laws, and of particular forms of government, and so little dependence have they on the humours and tempers of men, that consequences almost as general and certain may sometimes be deduced from them, as any which the mathematical sciences afford us.« (ES, 16) Aus der Kenntnis der in einer Gesellschaft gültigen Gesetze sowie der Kompetenz- und Machtverteilung lassen sich, so Humes Überzeugung, recht genau die Entwicklung von Parteienbildung voraussagen sowie mögliche Konfliktfelder benennen. Der ›Mechanismus‹ dieser Vorgänge ist aber offensichtlich weniger komplex als das umfassendere Wechselspiel der Bereiche Politik, Ökonomie, Kunst und Wissenschaft. Zu dieser Differenz vgl. auch Duncan Forbes: Hume’s Philosophical Politics, Cambridge 1975, S. 120. 377 Wie sich diese genealogische Methode Humes im 19. Jahrhundert als leitendes Paradigma der Religionskritik durchsetzt, arbeitet Elisabeth Heinrich heraus (Religionskritik in der Neuzeit. Hume, Feuerbach, Nietzsche, Freiburg/München 2001). 378 Vgl. dazu: Walter Holsten/Friedrich Baumgärtel/Werner Schmauch: Art. »Monotheismus und Polytheismus«, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart [RGG]. Bd. 4. 3., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1960, Sp. 1109–1116 (zu Humes Natural History Sp. 1110). 379 Nach Hume ist diese Abfolge jedoch nur bei den ›vulgar‹ zu finden, die, ausgehend von polytheistischen Vorstellungen, durch Angst und Schmeichelei schrittweise zu der Ansicht von »god as the prince or supreme magistrate of the rest« (NH, 155) gelangen, wobei mit dem weiter präsent gehaltenen Glauben an eine »subordinate tutelar divinity« (ebd.) der Rückfall in den Polytheismus schon wieder vorbereitet ist. Bei denjenigen allerdings, die durch »principles of reason and true philosophy« (ebd.) zu einer theistischen Überzeugung gelangt sind, ist, bedingt durch diese Fundierung, ein Rückfall in polytheistische Vorstellungen unwahrscheinlich. 376

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of perfection […].« (NH, 136) Die Entwicklung religiöser Vorstellungen verknüpft Hume dabei mit einem generellen Fortschritt in der Lebensführung; genau so werde man bei der Beschäftigung mit der Geschichte zunächst auf Gesellschaften treffen, die in »huts and cottages« leben und »agriculture« (ebd.) betreiben, bevor später dann solche Kulturen ins Blickfeld geraten, die »palaces« errichten und Kenntnisse der »geometry« (ebd.) besitzen.380 Humes Ziel ist es, anhand einer vergleichenden Betrachtung von Antike, Mittelalter und Neuzeit und mit Rückgriff auf eigene anthropologische Kerngedanken die spezifischen Merkmale der jeweils vorherrschenden religiösen Ansicht zu ermitteln sowie die jeweils typischen, auch in anderen kulturellen Bereichen beobachtbaren Effekte dieser religiösen Überzeugungen herauszuarbeiten. Bereits jetzt ist festzuhalten, dass sich Hume zwar um eine – seinen Kenntnissen entsprechende – differenzierende Darstellung der auch widersprüchlichen Aspekte der religiösen Überzeugungen der Antike und der eigenen Zeit bemüht, im Hinblick auf das Mittelalter aber über pauschale Urteile nicht hinauskommt. Aus der historiographischen Überlieferung gehe eindeutig hervor, so Hume, dass der Polytheismus die »first and most ancient religion of mankind« (NH, 135) gewesen sei: Seine Spuren ließen sich bis ins Altertum zurückverfolgen, man müsse aber mit seiner Existenz auch in noch weiter zurückliegenden Zeiten rechnen. Mit dieser Ansicht setzt er sich in Widerspruch zu deistischen Lehrmeinungen, die den Monotheismus als die ursprüngliche Religionsform betrachten und von einem nachträglichen Aufkommen polytheistischer Ansichten ausgehen, die dann als ›Entartung‹ des ursprünglichen Glaubens betrachtet werden.381 Der Polytheismus ist für Hume ein Symptom von Unwissenheit und Barbarei. Seine Verbreitung sei weder historisch noch regional begrenzt; nicht nur bei den antiken Völkern, sondern auch zu anderen Zeiten und bei anderen Nationen seien »idolaters« (ebd.) anzutreffen. So erinnert Hume daran, dass man beispielsweise auch im (unaufgeklärten) mittelalterlichen Europa nicht nur den christlichen Gott verehrt, sondern zugleich auch an die Existenz Hume möchte diesen Vergleich offenbar nur als Verdeutlichung verstanden wissen; gleichwohl ließe sich der Schluss ziehen, dass das Vorhandensein poly- oder monotheistischer Vorstellungen mit diesen unterschiedlichen Kenntnissen korreliert. Dann aber müsste Hume erklären können, wie sich beispielsweise die ägyptischen polytheistischen Anschauungen mit den bereits ausgefeilten geometrischen Fertigkeiten jener Zeit vertragen. Zur Verehrung von Katze, Ibis und Krokodil bei den Ägyptern vgl. NH, 169 f. 381 Vgl. dazu Wilhelm E. Mühlmann: Art. »Urmonotheismus«, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart [RGG]. Bd. 6. 3., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1963, Sp. 1197–1199. Mühlmann verweist auf Joseph François Lafitau, der mit seiner Schrift Moeurs des Sauvages ameriquains, comparèes aux mœurs des premiers temps [Paris 1724] als erster neuzeitlicher Verfechter der These vom Urmonotheismus gelten könne. Da Hume weder in seinen veröffentlichten Schriften noch in seiner Korrespondenz auf Lafitau verweist, scheint er mit diesem für die Geschichte der Anthropologie wichtigen Werk nicht vertraut gewesen zu sein. 380

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von »fairies, goblins, elves, sprights« (NH, 144) geglaubt habe, und noch heute ließe sich der Polytheismus bei den »savage tribes of AMERICA, AFRICA, and ASIA« (NH, 135) beobachten. Mit dieser Form des Kulturvergleichs, der von der ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹ ausgeht, offenbaren sich die evolutionistischen Züge der Humeschen Kulturauffassung.382 Diesem Vergleich liegt die Annahme zugrunde, dass die Vergleichsgrößen, also die einer bestimmten Kultur zugehörigen Menschen (im obigen Fall die Bevölkerung Europas zur Zeit des Mittelalters sowie die Angehörigen der ›wilden Stämme‹ Amerikas, Afrikas und Asiens im 18. Jahrhundert), die gleichen biologischen und kognitiven Ausstattungsmerkmale besitzen. Mit Blick auf den Treatise und die Enquiries wären hier die ›principles of the mind‹ zu nennen, die Hume als allgemein erachtet.383 Die zweite, einen solchen Vergleich ermöglichende Annahme besagt, dass im Zuge der Fortentwicklung (in Humes Worten: »the improvement of human society, from rude beginnings to a state of greater perfection« [ebd.]) die einzelnen Gesellschaften diverse Prozessabschnitte durchlaufen, ohne dass aber alle Gesellschaften die einzelnen Stufen (›states‹) zum gleichen Zeitpunkt erreichen. Hume zweifelt keinen Moment daran, dass seine europäischen Zeitgenossen den ›savage Im dritten Buch des Treatise bezeichnet Hume das früheste Stadium der Gesellschaft daher nicht zufällig als »infancy of society« (ein Topos der aufklärerischen Geschichtsphilosophie, der Spuren noch in den Schriften von Marx und Freud hinterlassen hat). Diesen kindlichen Zustand meint Hume besonders bei den zeitgenössischen Bewohnern Amerikas beobachten zu können: »An Indian is but little tempted to dispossess another of his hut, or to steal his bow, as being already provided of the same advantages […].« (T 3.2.8.1; SBN 539) Den Aspekt der Genügsamkeit hatte Hume bereits in Of Commerce mit Blick auf die »people, living between the tropics« (ES, 267) hervorgehoben, um deren (vermeintlich) fehlenden industriellen Ehrgeiz zu begründen. Zum Konzept der ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹ in der Anthropologie vgl. Johannes Fabian: Time and the Other. How Anthropology Makes Its Object, New York 1983. Jürgen Osterhammel geht von einer »radikalen Ablehnung jedweden evolutionistischen Denkens« bei Hume aus, »objektive Gesetzmäßigkeiten des Geschichtsverlaufs waren dem Humeschen Verständnis fremd.« (»Nation und Zivilisation in der britischen Historiographie von Hume bis Macaulay«, in: Historische Zeitschrift 254 [1992], S. 281–340). Die Natural History zeigt das Gegenteil. 383 »It sometimes happens, I own, that the religious arguments have not their due influence on an ignorant savage and barbarian; not because they are obscure and difficult, but because he never asks himself any question with regard to them. Whence arises the curious structure of an animal? From the copulation of its parents. And these whence? From their parents? A few removes set the objects at such a distance, that to him they are lost in darkness and confusion; nor is he actuated by any curiosity to trace them farther. But this is neither dogmatism nor scepticism, but stupidity; a state of mind very different from your sifting, inquisitive disposition, my ingenious friend.« (DR, 57) Cleanthes’ in den Dialogues wiedergegebene Erklärung des fehlenden Forschungsehrgeizes bei ›Wilden‹ und ›Barbaren‹ spricht nicht gegen die Universalität der Prinzipien, sondern unterstreicht Humes Ansicht, dass die Herausbildung einer forschenden Neugierde, die die Unwissenheit beseitigt, eine historisch späte Erscheinung ist. Zum historischen Wandel des ›curiositas‹-Konzepts vgl. allg. Hans Blumenberg: Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt a. M. 1973 (zu Hume S. 233 f.). 382

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tribes‹ in der Entwicklung weit voraus sind. Da sich aufgrund dieser Schieflage ein synchroner Vergleich verbietet, kommt nur noch eine diachrone Gegenüberstellung in Frage, in der Hume die ›savage tribes‹ mit »[our] ancestors in EUROPE« (NH, 144) in Beziehung setzt und davon überzeugt ist, dass die Glaubenssysteme afrikanischer Stämme um 1757 (dem Erscheinungsjahr der Natural History) denen der Europäer um 1200 annähernd entsprechen. Wie im zuvor bereits erörterten Essay Of Superstition and Enthusiasm greift Hume auch hier, in der Analyse der Entstehung des Polytheismus, auf ein Erklärungsmuster zurück, das das Geflecht von unzureichendem Wissen und universal verbreiteter Affektkonstitution als Grundlage der Entwicklung religiöser Überzeugungen deutet. Im Unterschied zum oben erwähnten Essay jedoch sind es nun vor allem die mythologischen Überlieferungen der antiken griechischen und römischen Religion, anhand derer Hume die Entstehung des Polytheismus sowie dessen weitere Entwicklung hin zu monotheistischen Gottesvorstellungen skizziert. Der Polytheismus, von Hume als Form von »superstition« (NH, 142) aufgefasst, entsteht in dem Augenblick, da die von Angst und Sorge begleitete Erfahrung von unverstandenen und daher als bedrohlich empfundenen Naturvorgängen die noch nicht durch Einsicht gereifte Einbildungskraft dazu veranlasst, sich diese Ereignisse als von rivalisierenden Mächten oder Wesen verursacht vorzustellen. Ihren Niederschlag finden diese Vorstellungen dann im Mythos.384 Nicht erst Hume weist auf die Angst als den entscheidenden Anstoß für die Entstehung von Religion (genauer: für die Entstehung des Aberglaubens) hin; vor ihm hatten bereits Autoren wie beispielsweise Lukrez385 und Thomas Hobbes386 diesen Christoph Jamme stellt Hume und dessen Mythoskonzept in eine Tradition der Mythosinterpretation, die in der Neuzeit mit Vico ihren Anfang nimmt und dann über de Brosses, Herder, Heyne und Frazer bis hin zu Freud und Horkheimer/Adorno führt (»Gott an hat ein Gewand«. Grenzen und Perspektiven philosophischer Mythos-Theorien der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1991, S. 88 ff.). Vgl. auch Gustavo Costa: Art. »myth«, in: John William Yolton/Roy Porter/Pat Rogers/Barbara Maria Stafford (Hg.): The Blackwell Companion to the Enlightenment, Oxford 1991, S. 347–349. Nach Andrew Skinner ist Vico, im Gegensatz zu Montesquieu, von den schottischen Gelehrten und Historikern nicht wahrgenommen worden (»Economics and History. The Scottish Enlightenment«, in: Scottish Journal of Political Economy 12 [1965], S. 1–22, hier S. 4). Auch in Humes Werk lässt sich kein expliziter Hinweis auf Vico ausfindig machen. 385 Vgl. De rerum natura [~ 50 v. Chr.], V. Gesang, 1161 ff. Zur Vorprägung dieses Konzepts in der griechischen Antike vgl. Renate Schlesier: Art. »Angst«, in: Hubert Cancik/Burkhard Gladigow/Matthias Laubscher (Hg.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Bd. 1, Stuttgart 1988, S. 455–471, hier S. 465. Es fällt auf, dass Hume die Nähe der eigenen Position zu derjenigen von Lukrez nicht zum Thema macht; statt dessen wirft er ihm den inkonsequenten Gebrauch von Allegorien vor (vgl. NH, 151). 386 Vgl. Leviathan, ore the Matter, Forme, and Power of a Commonwealth, Ecclesiasticall and Civill [1651], Buch I, Kap. 12. Auf Hobbes nimmt Hume in der Natural History, im Gegensatz zu Lukrez, weder direkt noch in Anspielungen Bezug. 384

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Gedanken in ihren kosmologischen bzw. staatsphilosophischen Überlegungen verankert. Dass man, so Hume, in den Erzählungen der »popular systems of theology« (NH, 144) zumeist auf Götter in menschlicher Gestalt und mit menschlichen Verhaltensweisen treffe, erkläre sich aus der Neigung der Menschen, »to conceive all beings like themselves« (NH, 141).387 Unkenntnis der Zweckursachen und die daraus resultierende Angst bewege ungebildete Menschen außerdem dazu, der anthropomorph vorgestellten Gottheit Launenhaftigkeit und Grausamkeit zu unterstellen. Selbst die Griechen der Antike seien von solch rohen Vorstellungen (»dæmonism« [NH, 178]) nicht frei gewesen. Zur Erklärung der Entstehung der Mythen führt Hume, neben dem Rekurs auf seine Lehre von den kognitiven und affektiven Mechanismen des menschlichen Geistes, die Begründung an, dass den »fables of HERCULES, THESEUS, BACCHUS« (NH, 137)388 wohl ursprünglich historische Berichte zugrunde gelegen hätten, die aber durch fehlerhafte mündliche Überlieferung im Laufe der Zeit entstellt worden

Auf diese These Humes nimmt Edward Burnett Tylor Bezug, wenn er bei der Erörterung des Animismus protokolliert: »Hume[’s] ›Natural History of Religion‹ is perhaps more than any other work the source of modern opinions as to the development of religion […].« (Primitive Culture. Researches into the Development of Mythology, Philosophy, Religion, Language, Art, and Custom. In two Volumes. Vol. I, 6. Aufl. London 1920 [1. Aufl. 1871], S. 477). Die Ähnlichkeit Tylors und Humes – mit Blick auf den Gestus zu Beginn von Primitive Culture und des Treatise – ist augenfällig (so geht es Tylor beispielsweise um die »investigation of laws of human nature« (ebd., S. 3), dabei sei es notwendig »to treat mankind as homogeneous in nature, though placed in different grades of civilization.« (ebd., S. 7) Es wäre lohnend, die Bezüge zwischen Hume und Tylor weiter zu verfolgen, was im Rahmen dieser Studie aber nicht mehr zu leisten ist. Mit der menschlichen Neigung zum Anthropomorphismus erklärt sich für Hume auch erst die Notwendigkeit der Theodizee, da die aus dem menschlichen Bereich bekannten und nun der Gottheit in überhöhtem Maße (fälschlich) zugeschriebenen Eigenschaften wie Weisheit und Güte gegen berechtigte Einwände verteidigt werden müssen. Im 11. Abschnitt der ersten Enquiry heißt es: »The great source of our mistake in this subject, and of the unbounded licence of conjecture, which we indulge, is, that we tacitly consider ourselves, as in the place of the Supreme Being, and conclude, that he will, on every occasion, observe the same conduct, which we ourselves, in his situation, would have embraced as reasonable and eligible.« (E1 11.27; SBN 145 f.) Zur Differenz der anthropomorph gedachten Götterwelt der Griechen und der zunächst unpersönlich vorgestellten numen der Römer vgl. Holger Sonnabend: »Religiosität. Antike«, in: Peter Dinzelbacher (Hg.): Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1993, S. 104–120, hier S. 114. Mit Blick auf die zu Beginn dieses Kapitels vorgestellten Positionen von Malebranche und Leibniz lässt sich nun festhalten, dass Hume die in den Theodizeedebatten verhandelten Fragestellungen nur als Scheinprobleme betrachten kann, da sie einer mangelnden Einsicht in die menschliche Natur entspringen. 388 Der Ausdruck ›Mythos‹ war, darauf weist James Engell hin, in der englischen Literatur des 18. Jahrhunderts noch nicht geläufig: »The eighteenth century and the romantics never speak of myth or myths, the closest usage is fable. Not until the 1820s and 1830s did myth and mythic enter the language. For the eighteenth century mythology carries assumptions that are often overlooked. It implies a body of interconnected creations and, according to Johnson’s Dictionary, their ›explication‹, or unfolding. The connected creations give each other resonance and meaning (Duff ’s ›system 387

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seien.389 In seiner Darstellung, Analyse und Bewertung der antiken griechischen und römischen Mythologie greift Hume auf eine Vielzahl von Autoren zurück, darunter z. B. Hesiod, Homer, Euripides, Herodot, Thukydides, Platon, Aristoteles, Xenophon, Dionysios von Halikarnassos, Diodorus Siculus, Strabon, Caesar, Longinus, Seneca, Ovid, Sextus Empiricus, Epikur, Cicero und Plutarch. Trotz aller Wertschätzung der mythologischen Erzählungen übt Hume durchaus Kritik, so vor allem an den häufig gezwungen wirkenden Allegorien bei »HOMER and other mythologists« (NH, 150); daneben moniert er »mistakes so gross and palpable« (NH, 151), die er an den von Hesiod, Homer, Plutarch und Lukrez überlieferten Genealogien aufdecken zu können glaubt. Die »fables of the pagan religion«, so Hume, seien »light, easy, and familiar« (NH, 173) gewesen; aufgrund der vielen amourösen Erzählungen, die auch den Barden gegenwärtiger Zeiten noch als Vorlage dienten, könne man sogar von einer »true poetical religion« (ebd.) sprechen.390 Mit eben dieser Bezeichnung markiert Hume

of ingenious fiction‹). We are really verging on a structuralist view of mythology.« (Forming the Critical Mind. Dryden to Coleridge, Cambridge [MA] 1989, S. 92). 389 Die Entstehung von Mythen lässt sich für Hume jedoch keinesfalls nur auf Unachtsamkeit bei der Überlieferung zurückführen, sondern ist auch Ergebnis dichterischen oder priesterlichen Gestaltungswillens: »Most of the divinities of the ancient world are supposed to have once been men, and to have been beholden for their apotheosis to the admiration and affection of the people. The real history of their adventures, corrupted by tradition, and elevated by the marvellous, became a plentiful source of fable; especially in passing through the hands of poets, allegorists, and priests, who successively improved upon the wonder and astonishment of the ignorant multitude.« (NH, 151) Hume bezieht sich hier auf die antike Theorie des Euhemerismus; zu ihrer Bedeutung für die religionskritischen Überlegungen Eduard Meyers vgl. Renate Schlesier: »Religion als Gegenbild: Zu Eduard Meyers Geschichtstheorie« [1990], in: dies.: Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800, Frankfurt a. M. 1994, S. 65–122. Den Begriff ›priest‹ bezieht Hume hier nicht notwendigerweise auf die an anderer Stelle attackierten engstirnigen Glaubenshüter der christlichen Tradition, sondern wohl eher auf die toleranten Vertreter der ›ancient world‹: »Even priests, in those ages, could, it seems, allow salvation to those of the different communion.« (NH, 161) Die Verzauberungskraft mythologischer Erzählungen bemisst sich für Hume, auch das wird hier deutlich, nicht zuletzt an der Empfänglichkeit der ›ignorant multitude‹. Zur lateinischen Form der mythologischen Eigennamen vgl. M. L. Clarke: Greek Studies in England 1700–1830, Cambridge 1945: »Greece was seen through the medium of Rome; it was part of the classical tradition, the tradition of the later antiquity recovered at the Renaissance and as yet unbroken. It is significant that Greek and Roman mythology were confused together, and the gods and goddesses were known by their Latin names. […] It was not until well into the ninetheenth century, after Thirlwall and Grote had accustomed their readers to the original names of the deities, that Greek mythology was separated from Roman.« (S. 159) Auch Hume differenziert in Bezug auf den Mythos nicht zwischen der griechischen und römischen Antike. 390 Vgl. hierzu die (freilich aus einem anderen philosophischen Zugriff erfolgende) Einschätzung Hegels, dass »die Völker zu der Zeit, als sie ihre Mythen dichteten, in selbst poetischen Zuständen lebten […].« (Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I [= Werke in 20 Bänden, Bd. 13]. Hg. v. Eva Moldenhauer, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1992, S. 405). Zuvor war dieser

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IV. Hume und die Antike

für sich eine offenbar wichtige Differenz, und zwar eine Differenz zwischen einem Glaubenssystem, das, wie die antike Religion, durch Erzählungen Ängste zerstreut, ja sogar Heiterkeit schafft (»Who could forbear smiling, when he thought of the loves of MARS and VENUS, or the amorous frolics of JUPITER and PAN?« [ebd.]), und einem anderen System, das diese Ängste mit Schilderungen von »devils, or seas of brimstone, or any object that could much terrify the imagination« (ebd.) weiter schürt (in diesem Bild sind unschwer v. a. christlich-apokalyptische Motive mittelalterlicher Höllendarstellungen zu identifizieren).391 Gewiss: ihrem Wesen nach sind beide religiösen Vorstellungen, ob antik oder christlich, ob polytheistisch oder monotheistisch, für Hume zunächst einmal nichts anderes als verschiedene Formen des Aberglaubens. Doch abgesehen von der mit dieser Bezeichnung verbundenen Kritik an ihren Vorstellungsinhalten, die Hume in beiden Fällen als das Ergebnis völlig inadäquater, die wahren Zusammenhänge verkennender Interpretationen weltlicher Vorgänge begreift, weist der betonte Kontrast von ›Heiterkeit‹ und ›Angst‹ auf einen entscheidenden Aspekt der Wirkung religiöser Vorstellungen hin.392 Die Art und Weise, wie Hume hier die mythologischen Überlieferungen ins Licht setzt, erweckt den Eindruck, dass er die antike Religion als ›heiteren Glauben‹ betrachtet (ob diese Auffassung Humes begründet ist, steht hier nicht zur Debatte)393, dem es aufgrund seiner Beschaffenheit gelang, einer wichtigen Triebfeder seines Ursprungs, der menschlichen Angst, ihre verstörende Energie weitgehend zu nehmen. Das Reziprozitätsverhältnis von Affekt und religiöser Vorstellung führt hier also zu einer gewissen ›Entschärfung‹ des ersteren. Ganz anders hingegen beurteilt Hume die Wirkung der mittelalterlichen, christlichen Glaubensvorstellungen. Führt man seine in Of Superstition and Enthusiasm artikulierte Einschätzung des von Priestern funktionalisierten Aberglaubens mit den oben genannten Bildmotiven zusammen, dann ergibt sich der (an dieser Stelle von

Topos schon für Giambattista Vico zentral, vgl. dazu Renate Schlesier: »Mythos«, in: Christoph Wulf (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim 1997, S. 1079–1086; sowie Markus Edler: Der spektakuläre Sprachursprung. Zur hermeneutischen Archäologie der Sprache bei Vico, Condillac und Rousseau, München 2001. 391 Vgl. hierzu jüngst Peter Dinzelbacher: Himmel, Hölle, Heilige. Visionen und Kunst im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 80ff, sowie ders.: Angst im Mittelalter. Teufels-, Todes- und Gotteserfahrung. Mentalitätsgeschichte und Ikonographie, Paderborn 1996. 392 Vgl. hierzu auch Donald T. Siebert: »Hume on Idolatry and Incarnation«, in: Donald Livingston/Marie Martin (Hg.): Hume as Philosopher of Society, Politics and History, Rochester 1991, S. 57–74. 393 So steht jedoch beispielsweise für Christian Böhme außer Frage, dass, abgesehen von sporadischen Versuchen, die Existenz der Götter als bloßes Produkt menschlicher Ängste zu erklären, »für die Mehrheit der antiken Bevölkerung die Furcht vor den Göttern eine Selbstverständlichkeit blieb.« (»Ängste und Hoffnungen. Antike«, in: Peter Dinzelbacher (Hg.): Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, Stuttgart 1993, S. 275–285, hier S. 278.

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Hume freilich nicht ausdrücklich formulierte) Vorwurf, dass die Schilderungen von Teufeln und anderen Schreckgesichtern die abergläubische Furcht nicht etwa zu bannen vermochte, sondern, von den Priestern bewusst zur Kontrolle der Gläubigen eingesetzt, diese eher perpetuierte: Affekt und Vorstellung schaukeln sich hier in ihrer Eindringlichkeit (›vivacity‹) gegenseitig auf. Falls man der hier vorgeschlagenen Interpretation folgt und auch andere Ansichten Humes über die Gemütsart der Griechen und christlicher Gläubiger in Betracht zieht394, dann werden zwei unterschiedlich perspektivierte Formen des Aberglaubens erkennbar, die auch im Hinblick auf ihre soziokulturellen Konsequenzen differieren. 394 Die diesbezüglichen Äußerungen Humes sind – zugegeben – alles andere als homogen. Je nach Perspektive wird der Leser von Of National Characters zunächst über die zwischen Athenern und Thebanern bestehenden Differenzen unterrichtet (»[T]he ATHENIANS were as remarkable for ingenuity, politeness, and gaiety, as the THEBANS for dulness, rusticity, and a phlegmatic temper.« [ES, 204]), um dann über den generellen Gemütszustand der Griechen Folgendes zu erfahren: »The FRENCH, GREEKS, EGYPTIANS, and PERSIANS are remarkable for gaiety.« (ES, 208) (Dass sich Hume mit dieser Feststellung nicht auf die zeitgenössischen Griechen bezieht, wird durch folgende Bemerkung ersichtlich: »The ingenuity, industry, and activity of the ancient GREEKS have nothing in common with the stupidity and indolence of the present inhabitants of those regions.« [ES, 206]) Die Frage, ob Hume die den antiken Griechen unterstellte Heiterkeit nun als unmittelbares Echo ihrer religiösen oder politischen Lebensbedingungen begreift, lässt sich freilich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Da er mit diesem Essay jedoch die Absicht verfolgt, in Bezug auf die Entstehungs- und Transformationsprozesse nationaler Charaktere den Primat der ›moral causes‹ vor den ›physical causes‹ herauszustellen, lässt sich vermuten, dass für ihn in Bezug auf die Beschaffenheit des Gemüts auch die religiösen Bedingungen (als eine Spezies der ›moral causes‹) eine entscheidende Rolle spielen. Im gleichen Essay drückt Hume zudem in einer Anmerkung seine Überzeugung aus, dass die innerhalb klerikaler Kreise aufgestellten Glaubens- und Verhaltensnormen bestimmte, nämlich ängstliche und demütige Gemütshaltungen fördern bzw. (da Hume diese Haltungen als ›unnatürlich‹ empfindet) das Fingieren solcher Haltungen provoziert: »It must […] happen, that clergymen, being drawn from the common mass of mankind, as people are to other employments, by the views of profit, the greater part, though no atheists or free-thinkers, will find it necessary, on particular occasions, to feign more devotion than they are, at that time, possessed of, and to maintain the appearance of fervor and seriousness, even when jaded with the exercises of their religion, or when they have their minds engaged in the common occupations of life. […] [I]n order to support the veneration paid them by the multitude, they must not only keep a remarkable reserve, but must promote the spirit of superstition, by a continued grimace and hypocrisy. […] The ambition of the clergy can often be satisfied only by promoting ignorance and superstition and implicit faith and pious frauds. […] Because all their credit and livelihood depend upon the belief, which their opinions meet with; and they alone pretend to a divine and supernatural authority, or have any colour for representing their antagonists as impious and prophane. The Odium Theologicum, or Theological Hatred, is noted even to a proverb, and means that degree of rancour, which is the most furious and implacable. […] The temper of religion is grave and serious; and this is the character required for priests, which confines them to strict rules of decency, and commonly prevents irregularity and intemperance amongst them. The gaiety, much less the excesses of pleasure, is not permitted in that body; and this virtue is, perhaps, the only one which they owe to their profession.« (ES, 199 ff.) Im zwölften Kapitel der Dialogues erinnert Philo an »that gloom and melancholy, so remarkable in all devout people.« (DR, 128).

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IV. Hume und die Antike

So konzeptualisiert Hume den heiteren Aberglauben der Antike, der die Menschen seiner Ansicht nach weder in der Ausübung der Künste und Wissenschaften behinderte (zumindest wird dies von Hume nicht eigens thematisiert), noch eine Atmosphäre übersteigerter religiöser Besorgnis erzeugte. Damit zeichnet Hume ein Bild der griechisch-römischen Antike als einer Kultur, die sich von einer (die früheren Gesellschaften noch bestimmenden) religiösen Furchtsamkeit schon weitestgehend wieder befreit hatte, ja sich sogar zuweilen in den Wettbewerb mit den Göttern hineinbegab.395 Die Mythologie (als eine harmlose Manifestation des Aberglaubens, deren Vorzug es sei, der Vernunft nicht zu widersprechen396 und, darüber hinaus, auch gegenwärtige künstlerische Produktivität zu stimulieren) begreift Hume als das ausschlaggebende Mittel dieser Entlastung von Ängsten. Gewiss: Die Antike gilt ihm deshalb noch lange nicht als aufgeklärtes Zeitalter397, das sich mit der Moderne messen könnte Die Religion der Antike, so Humes Ansicht, erzeugte bei ihren Anhängern nicht Kleinmut, sondern eher die Bereitschaft zur Konfrontation mit dem Göttlichen: »[W]here the gods are conceived to be only a little superior to mankind, and to have been, many of them, advanced from that inferior rank, we are more at our ease, in our addresses to them, and may even, without profaneness, aspire sometimes to a rivalship and emulation of them. Hence activity, spirit, courage, magnanimity, love of liberty, and all the virtues which aggrandize a people.« (NH, 163 f.) Zum Wettbewerbsgeist der Antike vgl. u. a. S. 171 dieser Studie. In der zweiten Enquiry lässt Hume den Dialogpartner Palamedes darlegen, wie wenig die antike Religion, im Vergleich zum modernen Christentum, das moralische Verhalten ihrer Anhänger zu steuern versuchte: »You know, that religion had, in ancient times, very little influence on common life, and that, after men had performed their duty in sacrifices and prayers at the temple, they thought, that the gods left the rest of their conduct to themselves, and were little pleased or offended with those virtues or vices, which only affected the peace and happiness of human society. In those ages, it was the business of philosophy alone to regulate men’s ordinary behaviour and deportment […]. Its place is now supplied by the modern religion, which inspects our whole conduct, and prescribes an universal rule to our actions, to our words, to our very thoughts and inclinations; a rule so much the more austere, as it is guarded by infinite, though distant, rewards and punishments; and no infriction of it can ever be concealed or disguised.« (E2 A Dialogue, 53; SBN 341 f.) So habe sich auch die Intensität philosophischer und religiöser Debatten im Laufe der Epochen verändert, wie Hume in Of Parties in General anmerkt: »Sects of philosophy, in the ancient world, were more zealous than parties of religion; but in modern times, parties of religion are more furious and enraged than the most cruel factions that ever arose from interest and ambition.« (ES, 63). 396 Die in der »ancient heathen mythology« geschilderten Begebenheiten seien durchaus vorstellbar; »the whole mythological system is so natural, that […] it seems more than probable, that, somewhere or other, it is really carried into execution.« (NH, 165). 397 Als ›aufgeklärt‹ wäre im Sinne Humes eine Gesellschaft zu bezeichnen, die sich, frei von Vorurteilen und Fraktionen jeder Art, um die Förderung der Künste und Wissenschaften bemüht, die sozialen Interaktionen durch gerechte Gesetze absichert und die moralisch-sittliche Erziehung ihrer Mitglieder vorantreibt. Die von Hume unterstellte ungebrochene Vorherrschaft des Mythos als dominierendem Deutungsmuster führt in seinen Augen dazu, dass die griechisch-römische Antike diese Kriterien nicht in allen Belangen erfüllt. Es spricht jedoch für ihn nichts dagegen, dass Zeitalter Ovids trotz dieser Einschränkung als »learned age« (NH, 147) zu bezeichnen. 395

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(dazu erscheinen ihm vor allem die zu jener Zeit kursierenden epistemologischen und moralphilosophischen Konzepte als noch nicht avanciert genug), doch würdigt er die seiner Ansicht nach vor allem in griechischen Stadtstaaten existierenden ›agonalen‹ Bedingungen, unter denen, wie er in Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences schreibt, »the sciences, not being dwarfed by the restraint of authority, were enabled to make such considerable shoots« (ES, 121). Vor dem Hintergrund des in der Natural History Explizierten wird nun deutlich, dass sich Hume mit dieser Formulierung auch auf die Abwesenheit religiöser ›authority‹ bezieht. Im Unterschied zu den launigen religiösen Vorstellungen der Antike nimmt Hume mit Blick auf das Mittelalter eine Form des Aberglaubens ins Visier, die – seiner Deutung gemäß – die Konstitution der mittelalterlichen Kultur bis auf den Grund mit Furcht und Unterwürfigkeit imprägnierte. Abgesehen davon, dass dieser Aberglauben aufgrund seiner Vernunftwidrigkeit bereits aus epistemologischen Gesichtspunkten von Hume als inakzeptabel eingestuft wird (»[O]ne may safely affirm, that all popular theology, especially the scholastic, has a kind of appetite for absurdity and contradiction.« [NH, 166]), sind es vor allem die ausnahmslos negativ beurteilten kulturellen Auswirkungen, aufgrund derer Hume diese Form der religiösen Vorstellungen nicht tolerieren kann. Wo in seinen Augen die antike Mythologie – über ihre damalige kosmologische und genealogische Orientierungsfunktion hinaus – einen ästhetischen Mehrwert aufweist und auch nachfolgenden Sprach- und Bildkünstlern noch als schätzenswerte Inspirationsquelle dienen kann, da gebricht es den von ihm erwähnten Beispielen christlicher Kunst an beidem: Weder an ihren Inhalten noch an der Darstellung kann Hume Erbauliches oder Unterhaltendes erkennen, noch auch erachtet er sie als geschmackvoll genug, um sie der Nachahmung empfehlen zu können. Dabei leugnet Hume keinesfalls die Affinitäten zwischen antiker Mythologie und z. B. christlichen Heiligenviten; die »heroes in paganism« entsprächen den »saints in popery« sowie den »holy dervises in MAHOMETANISM«: »The place of HERCULES, THESEUS, HECTOR, ROMULUS, is now supplied by DOMINIC, FRANCIS, ANTHONY, and BENEDICT.« (NH, 164) Die entscheidende Differenz bestehe jedoch darin, dass im Zuge dieser Ersetzung von Leitfiguren, die den Wechsel der religiösen Vorstellungen anzeigt und begleitet, zugleich die antiken Tugenden des Mutes und der Freiheitsliebe der mediävalen Frömmigkeit – in Gestalt von »cowardice« und der »abject submission and slavish obedience« (ebd.) – gewichen seien. Die immense Bedeutung dieses Wechsels erstreckt sich nach Humes Ansicht nicht nur auf das Gebiet der Religion, sondern ergreift auch andere kulturelle Bereiche, nicht zuletzt auch die Politik. Im direkten Vergleich der spezifischen Eigenheiten der beiden Religionsformen ›Polytheismus‹ und ›Monotheismus‹ (für Hume idealtypisch greifbar in den Überlieferungen der antiken Mythologie einerseits und der jüdisch-christlichen sowie der

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IV. Hume und die Antike

islamischen Tradition andererseits) falle als wesentliche Differenz die größere Toleranz der »idolaters« (NH, 161)398 (z. B. in Fragen der Kultpraxis) gegenüber der Intoleranz, dem »sacred zeal399 and rancour« der »sects« (ebd.) auf; die Unduldsamkeit des »Theism« (NH, 160) spiegele sich nicht zuletzt sowohl im jüdischen und islamischen Bilderverbot als auch im Eifer der christlichen Inquisition wider. Für die Toleranz des antiken Polytheismus macht Hume auch den vorwiegend mündlichen Verbreitungsweg der Mythen verantwortlich, der ihre Kanonisierung und Dogmatisierung verhindert habe. Kanonbildung und Dogmatismus hingegen sind für Hume

398 In Of Parties in General betont Hume, dass die Antike nicht als vollständig, sondern nur als vergleichsweise tolerant zu bezeichnen sei. Mit Blick auf die Römer schreibt er: »[I]t is a vulgar error to imagine, that the ancients were as great friends to toleration as the ENGLISH or DUTCH are at present. The laws against external superstition, amongst the Romans, were as ancient as the time of the twelve tables; and the JEWS as well as CHRISTIANS were sometimes punished by them; though, in general, these laws were not rigorously executed.« (ES, 61). 399 Der Begriff des ›Eiferers‹ (›zealot‹) spielt für Hume vor allem in My Own Life eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, seine Gegner zu benennen; vgl. dazu ML, 2 und 8. 400 Humes Darstellung der Juden als Religionsgemeinschaft berücksichtigt verschiedene historische Stationen, kommt aber über Generalisierungen (›the JEWS‹) nicht hinaus. So seien die Juden, wie Hume im 10. Abschnitt der ersten Enquiry schreibt, in biblischen Zeiten »barbarous and ignorant people« (E1.10.40; SBN 130) gewesen, deren Wunderberichten daher kein Glauben zu schenken sei. Die History schildert, wie die Juden vor allem im Mittelalter das Opfer unzähliger Pogrome und »most barefaced acts of tyranny and oppression« wurden (vgl. HE I, 437, Kap. 10; HE I, 553, App. II; HE I, 608, Kap. 12; HE I, 632, Kap. 12; sowie HE II, 13, Kap. 13, wo Hume von den Juden als »nation« spricht). »800.000 Jews chas’d from Spain by Ferdinand the Catholic.« (EM, 508): Diese Zahl hielt Hume in den Early Memoranda für notierenswürdig. In Of National Characters referiert Hume dann eine offenbar gängige Ansicht seiner Zeitgenossen (»[T]he JEWS in EUROPE […] are […] much noted for fraud […].« [ES, 205]), wobei er diese von allem Religiösen absehende Zuschreibung mit keiner Silbe kommentiert. Um den religiösen Eifer geht es jedoch in der folgenden Äußerung, die Juden und Moslems in einem Atemzug nennt: »The implacable narrow spirit of the JEWS is well known. MAHOMETANISM set out with still more bloody principles; and even to this day, deals out damnation, though not fire and faggot, to all other sects.« (NH, 162) Bezeichnenderweise bindet Hume den Bericht seines Engagements für den holländischen Ökonomen und Philosophen Isaac de Pinto mit (nicht geschmackssicherem) ironischen Unterton an die Leidensgeschichte ›der Juden‹ zurück. So schreibt Hume am 14. März 1764 aus Paris an seinen Vorgesetzten, den Staatssekretär Richard Aldworth Neville: »Manifold have been the persecutions, dear Sir, which the unhappy Jews, in several ages, have suffered from the misguided zeal of the Christians, but there has at last arisen a Jew capable of avenging his injured nation, and striking terror into their proud oppressors; this formidable Jew is Monsr. de Pinto, and the unhappy Christian, who is chiefly exposed to all the effects of his cruelty, is your humble servant [d. i. Hume, M. B.].« (LH I, 423) Hume bezieht sich hier auf die zahlreichen Anfragen und Bitten, die de Pinto wegen einer Pension an ihn richtete. Der Austausch zwischen de Pinto und Hume ist dokumentiert und ausgewertet von Richard H. Popkin: »Hume and Isaac de Pinto«, in: Texas Studies in Literature and Language 12 (1970), S. 417–430; sowie ders.: »Hume and Isaac de Pinto, II. Five New Letters«, in: William B. Todd (Hg.): Hume and the Enlightenment. Essays presented to Ernest Campbell Mossner, Edinburgh 1974, S. 99–127.

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spezifische Kennzeichen monotheistischer Religionen, die, wie das Judentum400, das Christentum und der Islam401, zugleich auch Glaubensgemeinschaften sind, für die die Orientierung an heiligen Schriften (Thora, Bibel und Koran) zentrale Bedeutung hat. Aus den zurückliegenden Betrachtungen lässt sich nun folgendes Fazit ziehen: Humes Analysen gehen von der Grundüberzeugung aus, dass es zur Erklärung der Religiosität des Menschen nicht des Rückgriffs auf wie auch immer geartete Offenbarungswahrheiten bedarf. Mehr noch: die von verschiedenen Religionen erhobenen Ansprüche, die Welt zu deuten und verbindliche Handlungsdirektiven aufzustellen, haben sich, so Hume, zunächst der Überprüfung durch die Philosophie zu unterziehen. Hume weist im Laufe seiner Ermittlungen den größten Teil der Lehrsätze heiliger Schriften entweder als widersinnig (Bibel) oder moralisch bedenklich (Koran) zurück bzw. ignoriert sie in weiten Teilen völlig – um sich aber dennoch selektiv auf sie zu beziehen, wenn es der Stärkung seiner Argumente dient.402 Hume hält sich in seinen Untersuchungen von schriftexegetischen Debatten fern und konzentriert sich statt dessen auf die anthropologischen und – historisch perspektivierten – soziokulturellen Bedingungen, unter denen Religion ausgeübt wird. Da die religiösen Überzeugungen,

In Of the Standard of Taste macht Hume unmissverständlich klar, dass er die Lehre des Korans ablehnt: »The admirers and followers of the ALCORAN insist on the excellent moral precepts interspersed throughout that wild and absurd performance. […] Let us attend to his narration; and we shall soon find, that he bestows praise on such instances of treachery, inhumanity, cruelty, revenge, bigotry, as are utterly incompatible with civilized society.« (ES, 229) Von dieser Schelte abgesehen, entdeckt Hume eine offenbar vom Glauben unabhängige Differenz im Umgang mit Andersgläubigen. So unterscheidet er im 5. Kapitel der History, das sich mit der Zeit der Kreuzzüge befasst, zwischen den Arabern (»They gave less disturbance to those zealous pilgrims who daily flocked to Jerusalem; and they allowed every man, after paying a moderate tribute, to visit the holy sepulchre, to perform his religious duties, and to return in peace.«) und den Türken (»But the Turcomans, or Turks, […] rendered the pilgrimage much more difficult and dangerous to the Christians. The barbarity of their manners, and the confusions attending their unsettled government, exposed the pilgrims to many insults, robberies, and extortions […].«) (HE I, 278, Kap. 5) Wie aus einem Brief vom 16. August 1760 ersichtlich wird, wertet er die jüdische und arabische Literatur im Vergleich zu den Liedern Ossians ab: »None of the specimens of barbarous poetry known to us, the Hebrew, Arabian, or any other, contained this species of beauty; and if a regular epic poem, or even anything of that kind, nearly regular, should also come from that rough climate or uncivilized people, it would appear to me a phenomenon altogether unaccountable.« (LH I, 330) Hume nutzt den Vergleich also, um seinen Zweifel bezüglich des behaupteten Alters und damit der Echtheit der Lieder Ossians auszudrücken. Zur Rezeption und Bewertung des Islam im 17. und 18. Jahrhundert vgl. Ian Richard Netton: »The mysteries of Islam«, in: G. S. Rousseau/ Roy Porter (Hg.): Exoticism in the Enlightenment, Manchester 1990, S. 23–45. 402 So z. B. im Essay Of Suicide, in dem Hume behauptet, dass die freiwillige Beendigung eines als unerträglich empfundenen Lebens weder aus Sicht der Heiligen Schrift noch aus der des ›common sense‹ als verbrecherische Handlung zu betrachten ist (vgl. ES, 588). 401

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neben anderen Faktoren, auf die soziokulturellen Bedingungen zurückwirken, sind sie an der stetigen Modulation der Bedingungen ihres eigenen Zustandekommens beteiligt. Mit diesem dialektischen Verständnis ersetzt Hume ein bei Autoren wie z. B. Augustinus, Malebranche und Leibniz beobachtbares teleologisch-hierarchisches Erklärungsmodell von (christlicher) Religion, demzufolge die Menschen, insofern sie an ein göttliches Wesen glauben, ihrer von diesem Wesen definierten, in heiligen Schriften gedeuteten Bestimmung gerecht werden, durch ein nicht-teleologisches, dynamisches Modell, das den Anspruch erhebt, die Entstehung und Veränderung mono- und polytheistischer Glaubensanschauungen erklären zu können. Diesem Modell zufolge ist sowohl der Inhalt als auch der Wandel von verschiedenen religiösen Vorstellungen als ein sich ständig neu konstituierendes Produkt nicht-transzendenter Faktoren zu begreifen, als welche einerseits die affektive und kognitive Grundausstattung des Menschen, andererseits aber auch das soziokulturelle Umfeld anzusehen sind. Damit fußt die Religiosität nach Humeschem Verständnis auf zwei Säulen, deren Unterschied in der Konstanz der Affekt- und Verstandesprinzipien einerseits und der (historisch wie lokalen) Variabilität des im engeren oder weiteren kulturellen Gesichtsfeld Liegenden andererseits besteht. Bezüglich dieser Merkmale unterscheiden sich also religiöse Vorstellungen in keiner Weise von solchen Auffassungen, die sich auf andere Wissens- oder Erfahrungsfelder beziehen, wie z. B. die Kunst, die Politik oder die Wissenschaften. Ferner gilt auch für die religiös geprägten Vorstellungen, dass sie als je spezifische, nur ihrem jeweiligen ›Inhaber‹ zugehörige und im Laufe der Zeit sich verändernde Bewusstseinsinhalte zu betrachten sind, die mit einem ebenfalls je spezifischen Grad von Affekten aufgeladen sind: So sind abergläubische Vorstellungen zumeist von Angst begleitet, der Schwärmer wiederum zeigt überheblichen Stolz und Selbstüberschätzung. Die kulturelle Bedeutung der Religion und ihr markanter Unterschied zu anderen Deutungs- und Handlungsentwürfen aber erschließt sich für Hume aus der Einsicht, dass der Charakter religiöser Vorstellungen eben nicht dem Ermessen jedes Einzelnen anheimgestellt bleibt, sondern durch eine sich dazu berufen fühlende Priesterschaft der Kontrolle unterworfen und in einen institutionellen Rahmen gegossen wird. Dies lässt sich nach Hume besonders anhand der monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam beobachten. Im Unterschied aber zu den in einer Gesellschaft verbindlichen gesetzlichen oder moralischen Anforderungen beanspruchen Religionen (wenn diese Anforderungen nicht aus ihnen hergeleitet werden) eine über diesen Rahmen hinausgehende Deutungshoheit. Dieser Anspruch aber, so Humes Kritik, entbehrt sowohl jeder empirisch überprüfbaren als auch logischen Grundlage. Da Hume sich zum Ziel gesetzt hat, die für die Entstehung und Veränderung religiöser Auffassungen verantwortlichen Mechanismen aufzudecken, zeigt sich ein auffälliges Desinteresse für Fragen nach der Bedeutung dieser Vorstellungen und

14. Religion als Fessel des Fortschritts

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Praktiken. So beschränken sich beispielsweise seine Betrachtungen zur Bedeutung von religiösen Zeremonien in der katholischen Kirche auf Reflexionen über ihre Funktion für die Gläubigen, nämlich »inlivening their devotion, and quickening their fervor« (T 1.3.8.4; SBN 99; vgl. a. Anm. 351 dieser Studie). Ebenso geht Hume der Frage nach der Bedeutung der antiken Mythen aus dem Weg, indem er sich mit dem Problem ihrer Genese beschäftigt und sich dann mit der Begründung des menschlichen Hangs zum Anthropomorphismus begnügt. Hume liegt es offenbar fern, sich die Perspektive der Gläubigen zu eigen zu machen, um die religiösen Vorstellungen gleichsam ›von innen heraus‹ zu betrachten. Sein Ziel ist nicht die Interpretation und das Verstehen von Vorstellungsinhalten, sondern das Erklären der für ihr Zustandekommen relevanten Prozesse sowie die zu erwartenden soziokulturellen Konsequenzen. Die Fragen »Wie kommt es dazu?« und »Wozu führt das?« verdrängen die Frage »Was bedeutet es?«.

V. Das Werk Humes und die Bedeutung seiner Schriften als anthropologische und kulturwissenschaftliche Studien

Die vorliegende Studie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Konzepte von ›Anthropologie‹ und ›Kultur‹ in den Schriften des schottischen Philosophen David Hume herauszuarbeiten. Sie ging dabei von der These aus, dass die entlang dieser Konzepte sich konstituierende Kohärenz seines Werkes erst dann zum Vorschein kommt, wenn sich die Analyse von der in der Rezeptionsgeschichte des Humeschen Oeuvres lange Zeit dominierenden einseitigen Fixierung auf seine Epistemologie verabschiedet und an seine Stelle die integrative Untersuchung seiner Reflexionen zu ästhetischen, politischen, religiösen, ökonomischen und historischen Fragestellungen setzt. Mit dieser Vorgabe sollten die Humeschen Erklärungsversuche erkenntnistheoretischer Probleme, wie er sie vornehmlich im Treatise und in der ersten Enquiry anbietet, jedoch keinesfalls für belanglos erklärt und beiseite geschoben werden; tatsächlich war im Laufe der vorliegenden Studie wiederholt auf einige der dort verhandelten Grundannahmen Humes einzugehen. Nicht zuletzt spielen Fragen nach natürlichen Grenzen oder kultur- und gesellschaftsspezifischen Hindernissen der Erkenntnis bei seinen religionsphilosophischen Überlegungen eine entscheidende Rolle. Zugleich konnte diese Untersuchung jedoch auch deutlich machen, dass die von Hume unter der Bezeichnung ›science of Man‹ subsumierten epistemologischen Grundsätze keinesfalls die einzig wichtigen Elemente im theoretischen Fundament seiner Anthropologie sind. So ist es für das Verständnis des Humeschen Bildes vom Menschen und seiner Auffassung von ›Kultur‹ unabdingbar, die für beide Vorstellungen zentralen Konzepte der ›sympathy‹ und des ›taste‹ zu berücksichtigen. Humes Nachdenken über die verstandesleitenden Prinzipien nimmt vor allem diejenigen Kennzeichen des Menschen in den Blick, die dem Philosophen Universalität verbürgen: die unabhängig von Epoche oder Kultur bestehenden Mechanismen der Assoziation von Perzeptionen (das sind Vorstellungen, aber auch Affekte) oder auch das Prinzip des ›belief‹. Hingegen rechnet Hume ›sympathy‹ und ›taste‹ zwar auch zu den Universalia (da niemand sich – es sei denn durch völlige Isolation – den Auswirkungen der ›sympathy‹ entziehen kann und Geschmacksurteile unausweichlich gefällt werden), doch erwähnt er sie nicht im Zusammenhang historisch und kulturell invarianter Kennzeichen des Menschen, sondern zieht sie zur Erklärung der Plastizität und Spezifität des Einzelnen bzw. auch ganzer Kulturen heran. Der jeweilige Geschmack eines Menschen ist demnach das Ergebnis seiner individuellen Entwicklung in und Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden Kultur, genauer: mit den von ihm als ethisch und ästhetisch

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V. Das Werk Humes und die Bedeutung seiner Schriften

relevant erachteten Sachverhalten, die er ablehnend oder zustimmend registriert und aus deren kumulativer und abwägender Kenntnisnahme sich im Laufe der Zeit, so Humes Auffassung, sein verfeinerter Geschmack herausbildet. Der Ausdruck »Sachverhalt« umfasst dabei sowohl materielle als auch ideelle, sowohl statisch fixierte als auch performativ inszenierte kulturelle Ausdrucksformen, wie z. B. Gemälde, soziale Umgangsformen, Gebäude, Epen, Theateraufführungen oder Gedichte. Von diesem anthropologischen Leitgedanken Humes (der Bildungsfähigkeit des Geschmacks) leitet sich nun der normative Zug seiner Kulturauffassung ab: Da nach Humes Überzeugung jede reflektierende Rezeption eines kulturellen Artefakts bzw. einer Handlung an der Bildung des Geschmacks beteiligt ist (und der jeweilige Entwicklungsstand des Geschmacks seinerseits rezeptionsleitend wirkt), kommt es darauf an, sich vor allem mit den vortrefflichen Beispielen aus Kunst, Wissenschaft, Politik, Geschichte und Philosophie vertraut zu machen, um den Geschmack an ihnen zu schulen. Ziel der Geschmacksbildung bzw. -verfeinerung soll die vollkommene, nicht zu Extremen neigende, stets den Gemeinnutz im Auge behaltende Persönlichkeit sein, die differenzierend zu urteilen wie zu handeln versteht. »Urteilen« und »handeln« ist hier sowohl in ethischer als auch in ästhetischer Hinsicht zu verstehen und schließt die künstlerische Produktion mit ein. So formuliert Hume in der ersten Enquiry: The most perfect character is supposed to lie between those extremes; retaining an equal ability and taste for books, company, and business; preserving in conversation that discernment and delicacy which arise from polite letters; and in business, that probity and accuracy which are the natural result of a just philosophy. (E1 1.5; SBN 8)

Doch nicht jeder, der in engem Kontakt mit der eigenen oder fremden Kultur steht, besitzt deshalb auch schon einen urteilssicheren Geschmack. Es gibt in dieser Hinsicht, so lautet Humes unausgesprochene Überzeugung, keinen Automatismus, der garantierte, dass es zur Verfeinerung des Geschmacks bereits ausreicht, in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die reich an künstlerischer oder wissenschaftlicher Produktivität ist und zahlreiche vorbildliche Personen des öffentlichen Lebens ihr eigen nennen kann. Niemand, so Humes Annahme, wird sich ethisches oder ästhetisches Unterscheidungsvermögen erwerben, der sich bloß wahl-, kritik- und führungslos den Eindrücken wissenschaftlicher Theorien, eigenen oder fremden Lebensgewohnheiten oder auch den Werken der Literatur und Kunst überlässt. Geschmack ist, so Humes Auffassung, ohne den persönlichen Einsatz nicht zu haben; er will selbst von denen noch erarbeitet sein, die sich bereits fortdauernd in einem kulturell vielseitigen und stimulierenden Milieu bewegen. Doch auch diese Aussage bedarf einer Einschränkung. Denn wie an einer früheren Stelle dieser Studie bereits dargelegt wurde, geht Humes Anthropologie, ohne in der Argumentation überzeugen zu können, davon

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aus, dass es Differenzen in der menschlichen Natur gibt, die rassisch begründet sind und auch durch Erziehung und Beispiel nicht überbrückt werden können. ›Negroes‹ werden, so Humes Ansicht, niemals wissenschaftlichen oder künstlerischen Elan entfalten, und auch die Versuche, ihren Geschmack zu bilden, scheinen ihm zum Scheitern verurteilt zu sein. Geschmacksbildung vollzieht sich für Hume im reflektierenden Vergleichen verschiedener Sitten, wissenschaftlicher Überzeugungen und diverser Kunstwerke unterschiedlichen Niveaus, das durch kundige Belehrung flankiert wird. Aus diesem Grunde sind für Hume auch die ›Kulturvermittler‹ ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Gemeinwesens; zu ihnen zählt er die Lehrenden in den Schulen und Universitäten, die den Geschmack ihres Publikums erziehenden Künstler sowie die Essayisten als ›Botschafter zwischen der geselligen und der gelehrigen Welt‹ – also beispielsweise auch er selbst. Aber es gilt auch hier wieder, eine Einschränkung zu berücksichtigen: Denn nicht alle Kunstschaffenden, Gelehrten oder politisch tätigen Persönlichkeiten eignen sich aus Humescher Sicht als Orientierungshilfe in Fragen des ethischen oder ästhetischen Geschmacks. Humes Forderung nach einer stets vergleichend verfahrenden Auseinandersetzung mit diversen kulturellen Erzeugnissen oder Praktiken entspringt deshalb auch keineswegs einem relativistischen Standpunkt bezüglich ethischer oder ästhetischer Urteile, denn der Vergleich soll qualitative Unterschiede nicht etwa nivellieren, sondern vielmehr den Blick für sie schärfen. Die vorliegende Studie konnte anhand mannigfacher Zusammenhänge zeigen, dass sich Hume vor allem von der analytisch-kritischen Auseinandersetzung mit gewissen (nicht allen) künstlerischen, wissenschaftlichen oder auch politischen Entwürfen der antiken griechischen und römischen Kultur eine effektive Schulung des Geschmacks sowohl seiner Zeitgenossen als auch künftiger Generationen verspricht. Obwohl Hume einerseits jeden Versuch, die Entwicklung sozialer und politischer Prozesse teleologisch zu interpretieren, als unhaltbar, wenn nicht gar vermessen betrachtet (was ihn freilich nicht daran hindert, Prognosen zu wagen), so hält er andererseits unbeirrt an der Überzeugung fest, dass über kurz oder lang bestimmte kulturelle Hervorbringungen der Antike, wie z. B. die rhetorischen Exempla Demosthenes’ oder Ciceros, die griechische Architektur oder auch die Homerischen Epen sich in der ästhetischen Beurteilung werden durchsetzen können: Ihre Anerkennung ist, so Humes Ansicht, dem Wechsel der Moden enthoben. In ähnlicher Weise gilt dies auch für spezifische Verhaltensweisen, die, so Humes Ansicht, unabhängig von der Epoche, der Kultur und dem jeweiligen Bildungsgrad des Beurteilenden nicht anders denn als mustergültig einzustufen sind. Wo nach Hume das ästhetische Geschmacksurteil allen (künstlichen bzw. künstlerischen) Gebilden unvermeidlich Achtung zollen müsse, die »plain, simple, regular, but withal majestic & beautyful« seien und sich an »Nature & a just Simplicity« orientierten (EC, 58), könne das ethische Geschmacksurteil nicht umhin, »approbation and ap-

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plause« den Verhaltensweisen zu spenden, die »sociable, good-natured, humane, merciful, grateful, friendly, generous, beneficent« (E2 2.1; SBN 176) seien; nicht zuletzt Perikles könne daher als nachahmungswürdiges Beispiel gelten (hier folgt Hume dem Periklesbild Plutarchs). Humes Anthropologie begreift die Ausbildung bzw. Verfeinerung des je individuellen Geschmacks als einen für das Gedeihen einer kulturellen Gemeinschaft notwendigen rezeptions- und handlungskonstituierenden Vorgang, ohne dass dabei die epistemische Validität ästhetischer und ethischer Urteile eine entscheidende Rolle spielen müßte. Hume wertet diese als Äußerungen sui generis: Sie korrespondieren spezifischen Affekten des Wohlwollens oder Missfallens und sind der Humeschen Lehre gemäß Aussagen, die weder als ›wahr‹ noch als ›falsch‹ bezeichnet werden können (im Unterschied etwa zu Feststellungen, die die Existenz oder Beschaffenheit von Gegenständen, Sachverhalten oder Prozessen betreffen, die Untersuchungsobjekte der Wissenschaften sind). Gleichwohl ist Hume davon überzeugt, dass begründete (also auf variantenreicher Erfahrung und Studium basierende) ästhetische oder ethische Urteile nicht weniger Anspruch auf Verbindlichkeit geltend machen können als die durch sorgfältige Beobachtung gewonnenen und zu Gesetzen ausformulierten Erkenntnisse der Wissenschaften. Menschliche Gesellschaften müssen in Humes Augen als durch spezifische ideelle, institutionelle und materielle Rahmungen geprägte, historisch sich verändernde Denk- und Handlungsspielräume angesehen werden, deren jeweilige Struktur von den Fähigkeiten und dem Willen zur Gestaltung der in ihnen lebenden Menschen abhängig ist. Die dafür unumgänglichen intra- und transkulturellen Aushandlungsund Austauschvorgänge bedienen sich dabei, darüber ist sich Hume im Klaren, unterschiedlicher Beglaubigungs- und Überzeugungsstrategien: So heben sich beispielsweise naturwissenschaftliche Debatten von ökonomischen, juristischen oder politischen Erörterungen ab, wie sich auch theologische von ethischen oder ästhetischen Disputen unterscheiden; dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in Streitfragen wechselweise an die ›Vernunft‹, an ›Erfahrung und gesunden Menschenverstand‹ oder auch an den ›guten Geschmack‹ appelliert wird. Humes Schriften skizzieren oft genug, wie sich bei den menschlichen Versuchen, die vergangene und gegenwärtige Welt wissenschaftlich-diskursiv, künstlerisch oder auch religiös zu erkennen, zu deuten und einzurichten, interpretative Verwerfungen, Gegensätze und Parteiungen herausbilden, die nicht selten gewalttätige Konfrontationen nach sich ziehen. Eine Kultur stellt für Hume daher auch keine statische, homogene Formation aus Menschen und ihren Ideen, Handlungen, Institutionen und künstlichen sowie künstlerischen Erzeugnissen dar, sondern vielmehr ein durch wechselnde Spannungsintensität gekennzeichnetes Beziehungsgeflecht von Deutungsansprüchen, innerhalb derer sich die Menschen stets von Neuem über die ihr Handeln leitenden ethischen,

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ästhetischen, religiösen, politischen, ökonomischen und rechtlichen Vorstellungen sowie deren praktische Umsetzung zu verständigen suchen.403 Dabei überlagern sich sowohl partikular als auch kollektiv verfolgte Zielsetzungen. Diese zwischen Zustimmung und Abwehr, zwischen Affekt und Reflexion oszillierenden Spannungen, auch dies eine Einsicht Humes, definieren nicht bloß die innere Dynamik einer Kultur, sondern bestimmen auch ihre Relation zu anderen. In diesem Zusammenhang kann Humes Appell, sich um sorgfältige Schulung der ästhetischen und ethischen Urteilsfähigkeit zu bemühen (der, wie soeben404 bereits dargelegt, trotz der antimetaphysischen Stoßrichtung der Humeschen Philosophie von der unhinterfragten und kaum problematisierten Vorstellung der Existenz zeitlos gültiger Maßstäbe zur Beurteilung des Schönen und Hässlichen sowie des Guten und des Bösen ausgeht), als Versuch betrachtet werden, gleichsam ›natürliche‹, weil ihrem Wesen nach immer schon verbindliche Standards zu etablieren, an denen sich diesbezügliche Verhandlungen zu orientieren haben. Nach Humeschem Verständnis entwickelt ein derart durch Studium und Erziehung gefestigter, idealerweise bei allen Mitgliedern der Gesellschaft ausgebildeter Geschmack offenbar eine Kohäsionskraft, die (ungeachtet der zwangsläufigen Meinungsdifferenzen in Detailfragen) einen ästhetischen und ethischen Grundkonsens bewirken kann, der – gemeinsam mit dem durch Recht und Gesetz aufgespannten Rahmen – als Gegengewicht zu Eigendünkel und Missachtung anderer betrachtet werden kann. Von dieser vermuteten Kohäsionskraft abgesehen, differenziert Hume durchaus zwischen der Notwendigkeit des Bestehens einer Rechts- und Gesetzesordnung (deren Existenz für ihn einerseits unabdingbar, andererseits aber auch stets gefährdet ist und notfalls mit Gewalt verteidigt werden muss – zum Schutz der ›Zivilisiertheit‹) und der für das gesicherte, weil gesetzlich geregelte Zusammenleben vergleichsweise minder bedeutungsvollen (wenngleich von Hume nicht weniger nachdrücklich verlangten) Ausbildung des Geschmacks. Dementsprechend gesteht Hume vor allem den ästhetischen Debatten einen ungleich größeren Spielraum zu als den Auseinandersetzungen im politischen Bereich: Betrachtet er die ästhetischen Konfrontationen eher als er-

In dieser Hinsicht weist Humes Verständnis von Kultur Ähnlichkeiten mit dem Kulturbegriff des amerikanischen Kulturanthropologen Clifford Geertz auf: »The concept of culture I espouse […] is essentially a semiotic one. Believing, with Max Weber, that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it therefore not an experimental science in search of law but an interpretive one in search of meaning.« (»Thick Description: Toward an Interpretive Theory of Culture«, in: ders.: The Interpretation of Cultures, New York 2000 [zuerst 1973], S. 3–30, hier S. 5.) Im Unterschied jedoch zu Geertz, der auf diesem Kulturverständnis aufbauend seine Methode der ›dichten Beschreibung‹ zu etablieren versucht, zieht Hume diese Konsequenz nicht: für ihn bleibt die Suche nach den Gesetzmäßigkeiten menschlichen Denkens und Fühlens weiterhin forschungsleitend. 404 Vgl. dazu S. 284 der vorliegenden Studie. 403

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wünschtes Stimulans für (künstlerischen) Eifer und Ehrgeiz (hierin orientiert er sich an seiner Auffassung vom agonalen Charakter der griechischen Antike), so gewahrt er an politischen Unstimmigkeiten zumeist ihr bedrohliches Potential des Entgleisens in gewalttätige Aktionen. Eine ähnlich verheerende Sprengkraft sieht Hume in den religiösen Überzeugungen, vor allem denen des Aberglaubens. Wie Humes Anthropologie den Geschmack als eine (bis auf die in Kap. IV.10. dieser Studie analysierte Ausnahme der ›negroes‹) universelle Kapazität des Menschen begreift – und in der konkreten Darstellung diese Universalität anhand des Beobachtungsmaterials wieder in je partikulare, je nach Epoche, Kultur und Bildungsgrad der Individuen unterschiedene Niveaus des Geschmacks auflöst –, so wird auch die ›sympathy‹ von Hume als ein universelles, alle Menschen betreffendes Prinzip begriffen, dessen konkretes Zutagetreten sich dessenungeachtet als gleichzeitige Expansion und Diversifizierung von Überzeugungen, Affekten und Sitten bemerkbar macht. Da Hume das ›sympathy‹-Geschehen nicht nur als ein mit mechanischer Notwendigkeit und quasi unbewusst sich ereignendes Vorkommnis ansieht, sondern auch die aktive, reflexive Auseinandersetzung des Einzelnen mit fremden kulturellen Einflüssen dazu zählt, geht dieses Konzept weit über jeden bloßen Schematismus hinaus, der sich allzu leichtfertig nur auf die (vermeintlich) kongruenten kulturellen Phänomene verschiedener Epochen und Gesellschaften konzentriert und sie auf ein mechanisches, vom einzelnen Individuum unabhängiges Diffusionsgeschehen zurückführen will. Humes Konzept der ›sympathy‹ entbindet den Interpreten kultureller Phänomene jedoch nicht von der Aufgabe, mit Blick auf zunächst nicht offensichtliche Kontakte von Kulturen bzw. ihrer Vertreter nach möglichen, spezifischen Transformationsprozessen zu forschen, aus denen fremde kulturelle Formen und Inhalte in der bewusstkritischen Aneignung verändert hervorgehen. Ob kulturelle Auseinandersetzungen nun, sei es unter kriegerischen oder friedlichen Umständen, bewusst gesucht werden oder sich unvorbereitet ereignen: Sie gewinnen ihre Dynamik, so Humes Ansicht, eben auch durch die provozierte Kreativität, die durch die explizite Ablehnung und Bekämpfung gegnerischer Konzepte und deren Umsetzung freigesetzt wird. Leider lassen die Humeschen Schriften keine eindeutige Antwort auf die Frage zu, ob er der ›Gegnerschaft‹ oder eher der ›Gefolgschaft‹ einen größeren Anteil am Prozess der kulturellen Verfeinerung zubilligt. Ohne eine ablehnend-kritische Haltung Einzelner oder ganzer Gruppen gegen etablierte künstlerische, wissenschaftliche, religiöse, politische und ökonomische Konzepte jedoch, soviel ist sicher, wäre die empirisch belegbare Formenvielfalt und ständige Veränderung von Kultur(en) für Hume nicht denkbar. Aus diesem Grund betrachtet Hume den intensiven Kontakt von Kulturen als notwendige (und wenn nicht schon vorhandene, dann zu forcierende) Praxis, die der Überprüfung, Verteidigung oder Revision der eigenen Positionen und Handhabungen sowie der Konturierung des Geschmacks dient. Diese Zusammenhänge verdeutlichen, dass eine Untersuchung der Humeschen

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Anthropologie (hier beispielhaft an den Konzepten ›taste‹ und ›sympathy‹ dargelegt) nicht auf eine Analyse seines Verständnisses von ›Kultur‹ verzichten kann. Wie die vorliegende Studie zu vermitteln suchte, bewegen sich Humes Analysen (mit freilich variabler Gewichtung) stets im Spannungsfeld von konkreten Beobachtungen einerseits und abstrakt-universellen Schlussfolgerungen andererseits; seine individuellen und spezifischen Erfahrungen mit und Vorstellungen von Kultur vermengen sich dabei mit den als »Prinzipien« bezeichneten Regelhaftigkeiten menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns. Als eine für die Beziehung von Humescher Anthropologie und Kulturauffassung zwar bedeutungsvolle, von ihm aber offenbar nicht weiter verfolgte Erschütterung ist die in Kapitel IV.10 dieser Arbeit diskutierte Anmerkung im Essay Of National Characters anzusehen. An ihr lässt sich der Stellenwert der Humeschen Kulturauffassung innerhalb seiner Philosophie deutlich ablesen: Da Hume sein vergleichsweise dünnes Beobachtungsmaterial (voreilig) in die verallgemeinernde Feststellung überführt, dass ›negroes‹ unfähig zur Herausbildung von Kultur seien (genauer: zur Herausbildung dessen, was er unter ›Kultur‹ versteht) und von ihnen auch keine Verfeinerung des Geschmacks zu erwarten sei, sieht er sich (freilich nur in diesem Essay) dazu aufgefordert, einen Kernsatz seiner Anthropologie modifizieren zu müssen. Da die Lebensweise der ›negroes‹ nicht seinen Vorstellungen von ›Kultur‹ entspricht, setzt er seinen an anderen Stellen gebetsmühlenartig vorgetragenen anthropologischen Lehrsatz von der Universalität der ›human nature‹ im Falle der ›negroes‹ außer Kraft: Die Zugehörigkeit zu einer Rasse entscheidet nun mit darüber, ob ›Kultur‹ entstehen kann oder nicht. Die in Kapitel II dieser Studie versuchte kursorische Musterung der Darstellungen zur Geschichte anthropologischen Denkens hatte ergeben, dass Hume in ihnen (wenn überhaupt) aus zweierlei Gründen für erwähnenswert gilt: Zum einen aufgrund seines »racial determinism« (Harris), zum anderen wegen seines Konzepts des »diffusionism« (thematisiert bei Hodgen und Garbarino). Doch keiner dieser genannten Autoren macht sich die Mühe, etwa den spezifischen Charakter des Humeschen Diffusionskonzepts herauszuarbeiten oder auch das Spannungsverhältnis zwischen Humes Anthropologie und seiner Kulturauffassung darzulegen, das seinem »racial determinism« zugrundeliegt. So bleibt z. B. festzuhalten, dass Humes Konzept des Diffusionismus frei von jeder Frage nach dem ›Ursprungsort‹ kultureller Phänomene wie auch frei von jeder Teleologie ist. Zudem geht Humes Konzept über den Gedanken einer bloßen Imitation hinaus, so dass es (wie in einer detaillierteren, hier nicht mehr zu leistenden Analyse noch zu zeigen wäre) mit seiner Betonung der selektiven und aktiven Transformation offenbar größere Affinitäten zu den ethnologischen Entwürfen von Kroeber, Vierkandt, Leroi-Gourhan oder Kramer aufweist als zu den um die ›Kulturkreislehre‹ sich gruppierenden Überzeugungen von Frobenius, Graebner, 405

Vgl. hierzu Bernhard Streck: Art. »Diffusion«, in: ders. (Hg.): Wörterbuch der Ethnologie,

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Jensen oder Schmidt.405 Haben nun die unterschiedlichen, im Rahmen der vorliegenden Studie durchgeführten makro- und mikroskopischen Untersuchungen des Humeschen Oeuvres zu Erkenntnissen geführt, die es abschließend erlauben, eine Beantwortung der Frage zu versuchen, warum Hume in seinen Schriften von den Begriffen »Anthropologie« (›anthropology‹) und »Kultur« (›culture‹) keinen Gebrauch macht? Augenscheinlich sind für diesen Verzicht gleich mehrere Faktoren verantwortlich zu machen. Zunächst zeigt der Blick auf die Entstehungs- und Verlaufsgeschichte des Humeschen Schaffens, dass an ihrem Anfang die methodologische Entscheidung steht, eine ›science of Man‹ zu etablieren, die nicht allein die von den zeitgenössischen ›natural sciences‹ bereits erfolgreich praktizierten Verfahren der Beobachtung und des Experiments übernimmt, sondern die sich zudem auch die von diesen Wissenschaften angestrebte Zielvorgabe (nämlich die Aufdeckung von Gesetzmäßigkeiten natürlicher Prozesse) auf die Fahnen schreibt. Dahinter verbirgt sich die Überzeugung, dass sich die »principles of human nature« (T Introduction, 6 und 7; SBN xvi) analog zu den Gesetzen der Natur verhalten: sie sind durch Beobachtung ableitbar, universell gültig, und ihre Kenntnis lässt nicht allein Voraussagen menschlicher Denk- und Handlungsprozesse zu, sondern mag zum Teil sogar deren Manipulation gestatten. Doch im Laufe seiner wissenschaftlichen Entwicklung gehen Humes anthropologische Analysen weit über den engen Bereich der von der ›science of Man‹ zunächst fokussierten Erkenntnisgegenstände (»the extent and force of human understanding« [T Introduction, 4; SBN xv]) hinaus; es kommen ökonomische, historische, moralphilosophische, ästhetische, religionstheoretische und soziologische Gesichtspunkte hinzu. Damit aber hat die sich in seinen Schriften nun dokumentierende wachsende Aufmerksamkeit für die historischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen menschlichen Lebens auch solche Wirkfaktoren zu berücksichtigen, die sich mit dem beschränkten, die universelle Natur des Menschen betonenden Deutungsrahmen der ›science of Man‹ nicht mehr bewältigen lassen. Indem Hume seinen Blick auf den Menschen als Kulturwesen zur dominierenden Perspektive erhebt, macht sich auch die Differenz zwischen den Humeschen Vorstellungen von ›Natur‹ (hier als eine invariante, stets gleichförmig im menschlichen Inneren wirkende Instanz verstanden) und dem von ›Kultur‹ (das ist für ihn die Unmenge der von Menschen hervorgebrachten Einzelphänomene) verstärkt geltend. Es mag kein Zufall sein, dass Hume zwar den Begriff »(menschliche) Natur« verwendet, jedoch nicht den der »Kultur«: ersterer lässt sich (im Sinne von ›universal wirkendem Prinzip‹) von Hume mühelos als (seinen eigenen) wissenschaftlichen AnKöln 1987, S. 33–37, hier S. 35 f.; sowie Renate Schlesier: »Anthropologie und Kulturwissenschaft in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg«, in: Christoph König/Eberhard Lämmert (Hg.): Konkurrenten in der Fakultät. Kultur, Wissen und Universität um 1900, Frankfurt a. M. 1999, S. 219–231.

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sprüchen genügender Terminus handhaben, der die Kraft bzw. das Prinzip beschreibt, welches die im menschlichen Denken und Handeln erkennbaren Gesetzmäßigkeiten erklärt. Der Kulturbegriff hingegen ist offenbar von Hume nicht in gleicher Weise operationalisierbar (und wird vermutlich deshalb auch nicht verwendet), da er dem schottischen Philosophen allenfalls dazu dienen könnte, der Pluralität und Heterogenität menschlicher Anschauungen sowie den komplexen Wechselverhältnissen von Tätigkeiten und Erzeugnissen einen Namen zu geben: der Vielgestaltigkeit von Kultur ist mit einer ›moral science‹ (die sich am naturwissenschaftlich geprägten Verständnis von ›science‹406 orientiert) letztlich nicht beizukommen. »Kultur« bezeichnet daher, aber erklärt nichts; vielmehr ist der Terminus (wie auch das, was er bezeichnet) selbst höchst erklärungs- und auslegungsbedürftig. Trifft diese Vermutung zu, so lässt sich auch begründen, warum Hume vom Terminus der ›anthropology‹ Abstand nimmt: Für Hume ist eine ›science of Man‹ (die sich mit ›the extent and force of human understanding‹ beschäftigt) durchaus möglich; zugleich mag Hume offenbar aber auch (ohne es jemals zu notieren) die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Unmöglichkeit ahnen, eine Wissenschaft vom Menschen zu begründen, die, mit dem Namen ›anthropology‹ versehen, sowohl den zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Paradigmen genügt als auch die natürlichen und die kulturell bedingten Phänomene in jeder Beziehung zu erfassen vermag. Der amerikanische Kulturanthropologe Clifford Geertz hatte in seinem 1966 publizierten Essay The Impact of the Concept of Culture on the Concept of Man den Denkern des Aufklärungszeitalters vorgeworfen, ein Bild von der menschlichen Natur entworfen zu haben, vor dessen Hintergrund die lokalen und kulturellen Spezifitäten nur als »reflections, distortions, approximations«407 gewertet werden könnten. Betrachtet man dann aber die von Geertz vorgeschlagene Alternative, so lässt sich vor dem Hintergrund der in der vorliegenden Studie herausgearbeiteten Ergebnisse feststellen, dass Humes Vorgehen dem von Geertz formulierten Ideal recht nahe kommt und er somit offenbar ein eher ›unzeitgemäßer‹ Anthropologe der Aufklärungsepoche gewesen ist: Man is to be defined neither by his innate capacities alone, as the Enlightenment sought to do, nor by his actual behaviors alone, as much of contemporary social science seeks to do, but rather by the link between them, by the way in which the first is transformed into the second, his generic potentialities focused into his specific performances. It is in man’s career, in its characteristic course, that we can discern, however

Vgl. dazu Sydney Ross: »›Scientist‹: The Story of a Word«, in: Annals of Science 18 (1962), S. 65–85. 407 Clifford Geertz: »The Impact of the Concept of Culture on the Concept of Man« [1966], in: ders.: The Interpretation of Cultures, New York 2000 (zuerst 1973), S. 33–54, hier S. 51. 406

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dimly, his nature, and though culture is but one element in determining that course, it is hardly the least important. As culture shaped us as a single species – and is no doubt still shaping us – so too it shapes us as separate individuals. This, neither an unchanging subcultural self nor an established cross-cultural consensus, is what we really have in common.408

Es gehört nun zu den signifikanten Merkmalen der anthropologischen Reflexionen Humes, genau dieses von Geertz akzentuierte Spannungsverhältnis von ›potentiality‹ und ›performance‹ ernstzunehmen und seinen Implikationen vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer und kultureller Zusammenhänge nachzugehen. Man muss sich diese Besonderheit des Humeschen Philosophierens vor Augen führen, um zu begreifen, warum Humes Aufmerksamkeit keinesfalls nur der ›Natur‹, sondern auch der ›Kultur‹ des Menschen gilt – ohne dass Hume freilich (und das trennt ihn von Anthropologen späterer Generationen wie z. B. Geertz) über einen Kulturbegriff verfügt. Warum dies so ist, hat diese Arbeit zu zeigen versucht.

408

Ebd., S. 52.

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Abramson, Kate 79 Achilles 195 Acosta, José de 48 Adam, Konrad 210 Addison, Joseph 153 Adorno, Theodor W. 19, 275 Aeneas 103, 195 Aesculap 131 Agamemnon 195 Albert, Hans 16 Alberti, Leon Battista 66 Alembert, Jean Baptiste Le Rond de 32, 211 Alexander der Große 148, 208 Alexander VI. (Rodrigo Borgia) 180 Alfred der Große 227 Amadis de Gaule 102, 104 f. Anchises 103 f. Andromache 195 Ankermann, Bernhard 33 Antonius 281 Apochancana 199 Apollo 258 Appian von Alexandria 185, 189 Ariosto, Ludovico 73, 208 Aristoteles 44, 74, 143, 179, 199, 213, 277 Attalus 181 Atticus, Titus Pomponius 163 Augustus 77, 115 Augustinus 249, 284 Ayer, Alfred J. 57 Babcock, R. W. 59

Bacchus 131, 276 Bacon, Francis 38, 81, 89, 157, 208, 213 Baecker, Dirk 26 Baier, Annette C. 88 Barber, Giles 47 Barfoot, Michael 45 Barker, Ernest 129 Barnard, Alan 38 f. Barnett, S. J. 248 Barré, Isaac 211 Basker, James G. 197 Bate, Walter Jackson 170 Battersby, Christine 38, 126 Baumann, Uwe 97 Baumgärtel, Friedrich 272 Baumgartner, Marcel 169 Bausinger, Hermann 20 Bayle, Pierre 245, 250 Begemann, Christian 187 Benedikt von Nursia 281 Bennett, Jonathan 57 Benzenhöfer, Udo 31 Berg, Eberhard 50 Berkeley, George 57, 221, 250 Bernasconi, Robert 216 Berry, Christopher J. 56, 200 Billicsich, Friedrich 248 Bitterli, Urs 37, 48 Blair, Hugh 207, 212 Blumenbach, Johann Friedrich 216 Blumenberg, Hans 274 Boccaccio, Giovanni 79 Böhme, Christian 278 Boileau, Nicolas 73, 150 f. Bollenbeck, Georg 20

Bongie, Laurence L. 32 Boufflers-Rouverel, Amélie de 210 Bougainville, Louis-Antoine de 49 f. Bouveresse, Renée 167 Box, M. A. 255 Boyle, Robert 45 f., 85, 236, 242 Bracken, Harry M. 250 Brackert, Helmut 26 Brandt, Reinhard 17 Braudy, Leo B. 116 Brede, W. 222 Brenner, Peter 48 Broadie, Alexander 61, 183 Bromley Eames, James 138 Brooks, Richard A. 248 Brosses, Charles de 49, 275 Brown, Stuart 38, 71 Brühlmeier, Daniel 17, 196 Bry, Theodor de 47 Bryson, Gladys 34 Buchegger, Josef 256 Buckle, Stephen 20 Buffon, George-Louis Leclerc de 32 f., 49, 211, 216 Bumke, Joachim 103 Burckhardt, Jacob 19, 139 f. Burkert, Walter 175 Burnet, James (Lord Monboddo) 36 Busse, Wilhelm 97 Butchvarov, Panayot 229 Butler, Joseph 81, 157 Caesar, Julius 106, 185, 277

330 Camic, Charles 195 Capaldi, Nicholas 13, 38, 46, 81, 125 f., 247 Capella, Galeazzo 31 Carabelli, Giancarlo 59, 73, 191 f. Carroll, Noel 71 Catilina, Lucius Sergius 162 Ceres 131 Chamley, Paul E. 35 Chappey, Jean-Luc 32 Charles I. 260 Charlesvoix, FrançoisXavier de 49 Charon 95 f., 98 Charpentier, Marc-Antoine 151 Chartier, Roger 47, 210 f. Chaunu, Pierre 183 Cheyne, George 28, 97, 155 Christ, Karl 97, 116, 178 Cicero, Marcus Tullius 26, 66, 74, 97, 126 f., 143, 154 ff., 160-165, 168, 174, 185, 189, 205, 277, 289 Clarke, M. L. 99 f., 105, 160, 277 Claudius, Tiberius Nero Germanicus 77 Clephane, John 27, 179, 206 Clerk, Robert 35 Cloeren, Hermann Joseph 172 Cohen, Ralph 71, 78 Coleridge, Samuel Taylor 35, 277 Condillac, Étienne Bonnot de 32 f., 278 Condorcet, Marie Jean Antoine de 38, 109 f. Conway, Henry Seymour 49

Namenregister Cook, James 50 Copley, Stephen 35 Corneille, Pierre 73 Costa, Gustavo 275 Costelloe, Timothy M. 60 Courtines, Pierre 250 Czennia, Bärbel 214 Dacier, Anne 151 Daiches, David 195 f. Damrosch, Leo 116 Danford, John W. 118 Darnton, Robert 47 Davie, William 78, 229 Davis, David Brion 217, 241 Degérando, Joseph Marie 37 Deleuze, Gilles 252 Demosthenes 160, 162, 164 ff., 168, 179, 289 Descartes, René 74, 153, 157, 171, 230 Desmaizeaux, Pierre 96 Desmarest, Henry 150 Diderot, Denis 32, 153, 211, 216 Diemer, Alwin 40, 44 Dinzelbacher, Peter 276, 278 Diodorus Siculus 185, 189, 277 Dionysios von Halikarnassos 277 Dominikus (Domingo de Guzmán) 281 Domitianus, Titus Flavius 108 Donohue, Joseph 153 Dryden, John 99, 125, 277 Dubos, Jean-Baptiste 151 Duchet, Michèle 32, 37 Duclos, Charles-Pinot 211 Duff, William 276 Ebert, Theodor 44

Edler, Markus 33, 278 Elias, Norbert 210 Elisabeth I. von England 214, 252 Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel 51 Elliot of Minto, Gilbert 194, 197, 268 Emerson, Roger 183 Engell, James 276 Engström, Timothy H. 242 Epikur 74, 277 Erdheim, Mario 48 Erickson, Paul A. 37 f. Erwin, Timothy 35 Euripides 277 Evnine, Simon 228 Eze, Emmanuel Chukwudi 216 Fabian, Bernhard 47 Fabian, Johannes 274 Farr, James 169 Feest, Christian F. 48 Feilbogen, Sigmund 35 Fénelon, François 195 Ferdinand II. von Aragon 282 Ferguson, Adam 20, 34 f., 37 ff., 97 Ferguson, William 195 Fieser, James 17 Figlio, Karl M. 229 Fink-Eitel, Hinrich 48 Fischer, Susanne 131 f., 233 Fischer-Lichte, Erika 153 Fögen, Marie Theres 130 Fontenelle, Bernard le Bovier de 150 f. Fontius, Martin 59 Forbes, Alexander 193 Forbes, Duncan 272 Force, James E. 38

Namenregister Forster, Georg 50, 216, 218, 236 Fosl, Peter S. 126 Foster Jones, Richard 150 Fox, Christopher 39 Fracastoro, Girolamo 119 Franklin, Benjamin 47, 50 Franziskus (Franz von Assisi) 281 Frazer, James George 275 Fredrickson, George M. 216 Freud, Sigmund 87, 252, 274 f. Friday, Jonathan 24 f. Frobenius, Leo 293 Galilei, Galileo 122, 208, 235, 242 Gama, Vasco da 181 Garbarino, Merwyn S. 33, 293 Gardiner, Stephen 269 Garrett, Aaron 215 Garve, Christian 17 Gaskin, John Charles Addison 244, 256 Gates, Henry Louis, Jr. 241 Gawlick, Günter 17, 126, 245, 247 f. Gay, Peter 38, 87 Gebauer, Gunter 213 Geertz, Clifford 84, 291, 295 f. Gehlen, Arnold 222 Geiss, Imanuel 216 Gerland, Georg 33 Gethmann, C. F. 44 Geyer, Carl-Friedrich 248 Gibbon. Eward 16, 38, 97, 115 f., 153, 196, 268 Gill, Michael 25 Ginsberg, Robert 71 Girtler, Roland 37 Glacken, Clarence J. 199

Gladigow, Burkhard 253, 275 Glaubitz, Nicola 59 Glaukos 195 Gogarten, Hermann 21 Gómara, Francisco López de 48 Goodman, Dena 211 Gorgias 44 Graebner, Fritz 33, 293 Gräfrath, Bernd 62 Graham, Roderick 215 f. Grave, S. A. 268 Gregory, John 81 Greve, Anna 47 Grote, George 277 Gusdorf, Georges 16 Haakonssen, Knud 35 Hall, Roland 13 Hanley, Ryan Patrick 133 Hansen, Klaus P. 26 Harrington, James 208 Harris, Marvin 36, 38, 293 Harrison, Peter 251 Harvey, William 46 Hazard, Paul 150 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 21, 56, 233, 241, 277 Heinrich, Elisabeth 272 Heinrich von Veldeke 103 Hektor 195, 281 Helena 195 Helvétius, Claude Adrien 32, 36 f., 211 f. Hemingway, Andrew 59 Hénault, Charles-JeanFrançois 211 Hentges, Gudrun 216 Heraklit 44 Herder, Johann Gottfried 19, 26, 37, 165 f., 222, 275 Herdt, Jennifer A. 170

331 Herkules 102, 105, 146, 276, 281 Herodot 33 f., 176, 277 Hesiod 194, 277 Heyden-Rynsch, Verena von der 110, 211 Heyne, Christian Gottlob 275 Hilgers-Schell, Hannelore 19 Hipple, Walter John 59 Hobbes, Thomas 38, 129, 232, 239, 275 Hodgen, Margaret T. 33 f., 48, 293 Holbach, Paul Henri Thiry de 37 Holsten, Walter 272 Holthoon, F. L. Van 35 Holzhey, Helmut 17, 196 Home, Henry (Lord Kames) 16, 24, 96, 185 Home, John 120, 193, 198 Homer 72 ff., 102, 105, 107, 151, 175, 194 f., 197, 262, 277, 289 Honigmann, John J. 24, 37 Hope, Vincent A. 35 Horaz 70, 73, 115, 174, 196, 207, 210 Horkheimer, Max 275 Huizinga, Johan 139 f. Hundert, E. J. 205 Hunt, Margaret 215 Hunt, William 187 Hurd, Richard 100 Hurlbutt III, Robert H. 38 Hutcheson, Francis 13, 35, 61 f., 72, 81, 126, 157 Huxel, Kirsten 82 Im Hof, Ulrich 262 Immerwahr, John 215, 242 Iser, Wolfgang 35 Isokrates 179

332 Jacobson, Anne Jaap 211 James I. 180 Jamme, Christoph 275 Janke, Wolfgang 229 Janssen, Hans-Gerd 248 Jardine, Nicholas 33, 81 Jason 102, 105 Jauß, Hans Robert 112, 150 Jensen, Adolf Ellegard 294 Jessop, Thomas Edmund 13 Jesus 79 Johnson, Peter 114 Johnson, Samuel 31 f., 116, 125, 187, 276 Jones, Jean 195 f. Jones, Peter 26, 39, 65, 126, 195 f. Jordan, Will R. 79 Lespinasse, Julie de 110, 211 Julius Agricola 108 Jupiter 278 Justinian I. 118 Jüttner, Siegfried 215 Kant, Immanuel 13, 19, 26, 82, 216, 241, 245 Karuth, Marianne 19 Kemp, Jonathan 129 Kepler, Johannes 122 Kidd, Colin 196 Kiernan, V. G. 181 King, William 245 Kirby, Brian 169 Kivy, Peter 62, 71 Klass, Tobias Nikolaus 113 Klein, Hannelore 59 Klemme, Heiner 17 Kluckhohn, Clyde 26 Knight, Harriet 45 Kohl, Karl-Heinz 48, 239 Köhler, Werner 120 Kolumbus, Christoph 181 Konfuzius 138

Namenregister Korsmeyer, Carolyn W. 71 Kouli-Kan, Thamas 72 Kramer, Fritz W. 293 Krauss, Werner 150, 218 Kreimendahl, Lothar 17, 176, 245, 247, 250 Kreiner, Armin 248 Kroeber, Alfred Louis 26, 293 Küchler Williams, Christiane 50 Küenzlen, Gottfried 253 Kuflik, Arthur 180 Kuhn-Chen, Barbara 97 Kuhns, Richard 38, 87 Kulenkampff, Jens 71 La Bruyère, Jean de 150 Lacoste, Louise Marcil 211 Lafitau, Joseph François 38, 48 f., 273 La Fontaine, Jean de 150 La Hontan, Louis-Armand de Lom d’Arce, Baron de 48, 239 La Motte, Antoine Houdar de 151 Lancelot de Lake 102, 104 f. Landmann, Michael 32 Las Casas, Bartolomé de 48 Laura 79 Leibniz, Gottfried Wilhelm 153, 157, 248-252, 276, 284 Lepenies, Wolf 33, 35 Leroi-Gourhan, André 293 LeRoy, Julien-David 169 Léry, Jean de 48 Letwin, Shirley Robin 69 Levinson, Jerrold 71 Lévi-Strauss, Claude 36, 84 Lichtenberg, Georg Christoph 18 f. Lind, James 50 Linden, Mareta 31

Linné, Carl von 216 Lipps, Theodor 137 Livingston, Donald W. 15, 18, 22, 171, 187, 205, 207, 247, 278 Livius 115, 185 Locke, John 32, 35-38, 57, 72, 81, 92, 129f., 153, 157, 199, 207, 217, 221, 239 (Pseudo-) Longinos 73 f., 148f., 277 Loptson, Peter 126 Lough, John 32 Lovejoy, Arthur O. 20 Lucanus, Marcus Annaeus 161 Lühe, Astrid von der 60, 62, 68, 166 Lukian 95 Lukrez 73, 174, 275, 277 Lüthe, Rudolf 21, 38, 59, 253 Luther, Martin 189 Lysias 185 Macpherson, Crawford B. 239 Mahlke, Kirsten 48, 78 Malebranche, Nicolas 157, 248 f., 251 f., 276, 284 Malherbe, Michel 14 Malinowski, Bronislaw 29, 84 Mall, Ram Adhar 39 Malthus, Thomas Robert 179 Mandeville, Bernhard de 25, 38, 62, 81, 157 Manuel, Frank Edward 248 Markus, R. I. 62 Markus, Thomas A. 65 Marmontel, Jean-François 211 Marquard, Odo 31, 213 Mars 278

Namenregister Marshall, David 71 Martial 161 Martin, Marie A. 15, 18, 35, 205, 278 Marx, Karl 274 Mason, Stephen F. 153 Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de 216 McLachlan, Christopher 71 McRae, Robert 229 Meek, Ronald L. 34 Meier, Mischa 118 Meiners, Christoph 24, 217 f., 236 Mercer, Philip 169 Merrill, Kenneth 78 Metz, Rudolf 13, 204 f. Meyer, Annette 91 Meyer, Eduard 253, 277 Meyer, Paul H. 187 Michelangelo Buonarroti 208 Miles, Robert 216 Millar, Andrew 156 Millar, John 37 f. Millar, Michael 239 Milton, John 73, 99, 208 Mintz, Sidney W. 239 Mitchison, R. 195 Montagu, Mary Wortley 153 Montaigne, Michel Eyquem de 48 f., 250 Monteiro, Joao Paulo 187 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat 34 f., 37 f., 49, 138, 179, 200, 202, 275 Mooij, J. J. A. 71 Moore, James 81 Moravia, Sergio 32, 34 Morgan, Kenneth 239 Morrow, Glenn R. 35 Moses 258 Mosse, George L. 216 Mossner, Ernest Campbell

13, 16, 32, 35, 99 f., 150, 210, 215, 282 Mudroch, Vilem 17, 196 Mühlmann, Wilhelm E. 32, 273 Müller, Klaus E. 33 f. Mure of Caldwell, William 212 Murphy, Liam D. 37 f. Narroll, Raoul 33 Nero 77 Netton, Ian Richard 283 Neville, Richard Aldworth 282 Newton, Isaac 38, 45 f., 72, 87, 122, 152f., 171, 235, 242 Niedermann, Joseph 26 Nietzsche, Friedrich 19, 113, 272 Norton, David Fate 17, 29, 31, 62, 64, 81, 126, 221 Noxon, James 85 Nussbaum, Felicity A. 36 Oake, Roger B. 49 Oelkers, Jürgen 35 Osborne, Harold 71 Ossian 283 Osterhammel, Jürgen 137 f., 274 Ovid 70, 115, 161, 167, 179, 277, 280 Oviedo y Valdés, Gonzalo Fernández de 48 Pagliaro, Harold E. 216 Palter, Robert 215 Pan 278 Panaitios 126 Paris 195 Parmenides 44 Pavkovic, Aleksandar 229 Penelhum, Terence 268 Percy, Thomas 214

333 Perikles 290 Perrault, Charles 64, 150 f., 186 Perrault, Claude 64 Perseus 102, 105 Peter I. der Große 129 Petrarca, Francesco 79 Pflaum, Georg Michael 19 Phidias 146 Philipp von Makedonien 162 Phillipson, Nicholas T. 195 f. Phytheas 165 Pinheiro, Teresa 48 Pinto, Isaac de 282 Piranesi, Giovanni Battista 169 Pitson, Antony E. 221 Pittion, Jean Paul 250 Platon 44, 74, 77, 143, 156, 167, 226, 229, 235, 277 Plessner, Helmuth 213 Plinius der Ältere 161, 179 Plinius der Jüngere 161 Plutarch 97, 155 f., 164 f., 179, 181, 185, 189, 277, 290 Pollard, Sidney 112 Polybios 189 Pomeroy, Ralph S. 191 Pompa, Leon 21 Pope, Alexander 73, 99 Popkin, Richard H. 29, 215, 250, 282 Porter, David 138 Porter, Roy 39, 153, 181, 196, 275, 283 Potkay, Adam 74, 155, 161 Priamos 195 Price, John Valdimir 14, 16, 126, 242 Protagoras 44 Racine, Jean 73

334 Raleigh, Walter 180 Ramsay, Allan 196 Ramsay, Michael 154, 206, 250 Ransom, Harry 16 Raphael 208 Raphael, D. D. 35 Rapin de Thoyras, Paul 27 Ratzel, Friedrich 33 Rauhut, Franz 26 Reininger, Robert 221 Rentsch, Th. 229 Riccoboni, Francesco 153 Richard III. 178 Richards, Kenneth 153 Richetti, John J. 57 Risse, Wilhelm 40 Ritter, Joachim 31, 59, 112, 172, 222, 229 Rivers, Isabel 47, 62 Robertson, Henry 38 f. Robertson, William 156, 206 Robinet, J. B. 32 Robison, Wade L. 81 Roebuck, John 194, 196, 198 Rogers, Pat 275 Rohbeck, Johannes 112, 270 Röhrich, Lutz 254 Romulus 131, 281 Rose, Mary Carman 74 Ross, Sydney 40, 295 Rothacker, Erich 19 Rotzoll, Maike 31 Rousseau, G. S. 181, 283 Rousseau, Jean-Jacques 26, 32 ff., 36 ff., 129, 216, 278 Rühl, Ulli F. H. 62, 170 Rupp-Eisenreich, Britta 33 Russell, Jeremy 194, 196, 198 Russell, Paul 129

Namenregister Sabine, George Holland 24, 216 Sahagún, Bernadino de 48 Sainte-Albine, Pierre Rémond de 153 Sallust 173 Sampson, Ronald Victor 112 Sandys, John Edwin 97 Sapadin, Eugene 45 Sarpedon 195 Schiller, Friedrich 26, 35 Schlesier, Renate 9, 15, 36, 48 ff., 167, 218, 252 f., 275, 277 f., 294 Schlobach, Jochen 215 Schmauch, Werner 272 Schmidt, Wilhem 294 Schmitt, Arbogast 150 Schmitz, Carl August 26 Schnädelbach, Herbert 23 Schneider, Helmuth 44, 97, 178 Schrader, Wolfgang H. 62 Schumacher, Thomas 248 Schümmer, Friedrich 59 Schümmer, Volker 19 Schwabe, Karl-Heinz 16 Secord, Jim A. 33, 81 Seeman, Howard 229 Seidler, Michael J. 221 Seneca 97, 155 f., 161, 277 Sextus Empiricus 277 Seymour-Smith, Charlotte 33 Shaftesbury, 3rd Earl of (Anthony Ashley Cooper) 38, 61f., 72, 81, 157 Shahan, Robert W. 78 Shakespeare, William 73, 99, 213 Shapiro, Gary 248 Siebert, Donald T. 278 Skinner, Andrew S. 35, 275 Smith, Adam 34 f., 39, 59,

62, 95, 97, 170, 197, 205 Soemmering, Samuel Thomas von 216 Sokrates 44, 156 f. Solon 143, 181 Sonnabend, Holger 276 Sophokles 194 Spadafora, David 35, 112 Sparn, Walter 248 Sparry, Emma C. 33, 81 Specht, Rainer 229 Spenser, Edmund 105, 213 Sprat, Thomas 207 Stafford, Barbara Maria 275 Stafford, J. Martin 62 Stagl, Justin 33 Stanzel, Franz K. 215, 240 Starobinski, Jean 19 f. St. Clair, James 50 Stewart, John Benjamin 81 Stewart, M. A. 45, 230 Stieler, Georg 248 Stierle, Karlheinz 59 Stocking, George W. 26, 34 f., 39, 185, 236 Stökl, Günther 129 Strabon 179, 200, 277 Strahan, William 95, 260 Streck, Bernhard 33, 293 Streminger, Gerhard 21, 195, 215, 239, 241 Stromberg, Ronald M. 187 Stückelberger, Alfred 44 Stuart, Mary (Maria I.) 142 Sueton 179 Suhr, Martin 44 Sullivan, M. G. 27 Szczekalla, Michael 21 Tacitus 70 Talmor, Sascha 71 Tasso, Torquato 73, 208 Taylor, W. L. 35 Teich, Mikulas 196

Namenregister Temple, William 207, 217 Tenbruck, Friedrich 22 Terenz 74, 174 Thales von Milet 156 f. Theokrit 189 Theseus 102, 105, 131, 146, 276, 281 Thirlwall, Connop 277 Thomas, Keith 221 Thukydides 156, 185, 277 Tibetot, John (Earl of Worcester) 260 Livius 115, 185 Todd, William B. 13, 282 Todorov, Tzvetan 48 Traiger, Saul 229 Tranöy, Knut Erik 180 Trevor-Roper, Hugh 251 Trillhaas, Wolfgang 254 Tudor, Mary 252 Turgot, Anne Robert Jacques 36, 38, 112, 188, 201 Turnbull, George 61 Tylor, Edward Burnett 33, 276 Varro, Marcus Terentius 179 Venus 278 Vergil 51, 73, 103 ff., 115, 154, 174 Vermeulen, Han F. 39

Vernant, Jean-Pierre 140 Verres 162 Vespasian, Titus 108 Vico, Giambattista 21, 26, 33, 37 f., 275, 278 Vierkandt, Alfred 293 Vinnius, Arnold 154 Vitruv 64, 66 Vitz, Rico 141 Voet, Johannes 154 Voget, Fred 34, 112 Voigt, Ulrich 56 Voltaire 32, 36 ff., 73, 187, 214, 216, 248 Vossius, Isaak 179 Vovelle, Michel 210 Vyverberg, Henry 91 Waal Malefijt, Annemarie de 36 f. Walde, Alois 43 Waller, A.R. 187 Waller, Edmund 125 Walpole, Horace 209, 212 Walton, Craig 246 Warburg, Aby 19 Warburton, William 101 Ward, A. W. 187 Waszek, Norbert 17, 35, 170 Weber, Andreas M. 16, 116, 268 Weber, Max 23, 52, 291

335 Wefelmeyer, Fritz 26 Weinsheimer, Joel C. 91 Wengenroth, Axel 81, 256 Werner, John M. 47 Wertz, S. K. 20f., 46, 112 Wexler, Victor 20 Whewell, David A. 59 Wieand, Jeffrey 71 Wilhelm I. der Eroberer 116 Wilkie, William 194-198 Winch, Raymond 57 Winckelmann, Johann Joachim 145 f. Winkler, Karl Tilman 254 Wissler, Clark 33 Withrington, Donald J. 195 Wokler, Robert 39 Wood, Paul B. 81 Wright, John P. 230 Wulf, Christoph 35, 213, 278 Wuthenow, Ralf Rainer 48 Xenophon 156, 277 Xerxes I. 34 Yolton, John William 153, 275 Zantop, Susanne 218 Zimmermann, Willi 129