David Hume 3593348403


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David Hume
 3593348403

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Reihe Campus Einführungen Band 1059 Herausgegeben von Hans-Martin Lohmann (Heidelberg) Alfred Paffenholz (Bremen) Willem van Reijen (Utrecht) Martin Weinmann (Wiesbaden) In seiner Einführung zeigt Gilles Deleuze, daß der Empirismus des David Hume (1711-1776) andere Geheimnisse hat, als die Philosophiegeschichte wahrhaben will, wenn sie ihn als Gegenpol zum Rationalismus ad acta legen zu können glaubt. Humes Denken ist bis heute ein Unruheherd in der Philosophie geblieben. Diese Philosophie zeichnet uns eine seltsame und rätselhafte Science-fiction-Welt, die von Geschöpfen gesehen wird, die uns fremd scheinen, sich aber als merkwürdig verwandt entpuppen. Sie spürt Fragen nach, die ungewöhnlich, uns aber dennoch vertraut sind: Inwieweit kann man Besitzer der Meere sein, wieso kann in einem Rechtssystem der Boden wichtiger sein als die Oberfläche, andererseits aber auch die Farbe wichtiger als die Leinwand, auf die sie aufgetragen worden ist? Die berühmte Lehre von der Assoziation unserer Vorstellungen erweist sich als das Fundament, von dem aus die Fiktionen zu ermitteln sind, die in den Tatsachen des Rechts, der Moral und der Kultur Gestalt angenommen haben und unser Denken und Handeln becrfahrungskonstituierende, sind. Realitäten stimmende

Gilles Deleuze (1925-1995) ist einer der prominentesten Seine Denker der französischen Gegenwartsphilosophie. Einführung in das Denken David Humes gilt in Frankreich seit vielen Jahren als Standardwerk.

Gilles Deleuze

David Hume Aus dem Französischen von Peter Geble und Martin Weinmann

Campus Verlag Frankfurt/New York

Die französische Originalausgabe erschien 1953 unter dem Titel »Empirisme et Subjectivite. Essai sur la nature humaine selon Hume«. Copyright © 1953, 1988 bv Presses Universitaires de France, Paris. Die deutsche Ausgabe ist um den Anhang (Literatur, Zeittafel) erweitert, den Martin Weinmann zusammengstellt hat. Peter Gehle hat Kapitel 2 bis 7 übersetzt und den Anhang ergänzt. Redaktion: Martin Weinmann Dieses Buch erscheint im Rahmen eines 1985 getroffenen Abkommens zwischen der Wissenschaftsstiftung Maison des Sciences de l'Homme und dem Campus Verlag. Das Abkommen beinhaltet die Übersetzung und gemeinsame Publikation deutscher und französischer geistes- und sozialwissenschaftlicher Werke, die in enger Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen beider Länder ausgewählt werden. Cet ouvrage est publie dans le cadre d'un accord passe en 1985 entre la Fondation de la Maison des Sciences de l'Homme et le Campus Verlag. Cet accord comprend la traduction et la publication en commun d' ouvrages allemands et fran~ais dans de domaine des sciences sociales et humaines. Ils seront choisis en collaboration avec des institutions de recherche des deux pays. Die Deutsche Bibliothek-

CIP-Einheitsaufnahme

Deleuze, Gilles: David Hume / Gilles Deleuze. Aus dem Franz. von Peter Gehle und Martin Weinmann. - Dt. Erstausg. - Frankfurt/Main; New York : Campus Verlag, 1997 (Reihe Campus; Bd. 1059: Einführungen) Einheitssacht.: Empirisme et subjectivite ISBN 3-593-34840-3 NE:GT Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright© 1997. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Atelier Warminski, Büdingen Satz: Fotosatz L. Huhn, Maintal-Bischofsheim Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Dieses Buch wurde auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Printed in Germany

Inhalt

Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

1. Das Problem der Erkenntnis und das Problem

der Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

2. Die Welt der Kultur und die allgemeinen Regeln

30

3. Die Macht der Einbildungskraft über Moral und Erkenntnis . .

56

4. Gott und die Welt

83

5. Empirismus und Subjektivität

. 101

6. Die Prinzipien der menschlichen Natur

. 131

Schluß. Die Finalität

. 154

Anmerkungen

. 170

Literatur

. 181

Zeittafel

. 191

5

Siglen

MO

NR PÖEII

RE TRI TRII TRO

UN

6

Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, Stuttgart: Reclam 1984 Die Naturgeschichte der Religion, Hamburg: Meiner 1984 Politische und ökonomische Essays, Hamburg: Meiner 1988, Teilband 2 Dialoge über natürliche Religion, Hamburg: Meiner '1984 Ein Traktat über die menschliche Natur, 1. Band (Buch 1), Hamburg: Meiner 1978 Ein Traktat über die menschliche Natur, 2. Band (Buch II+III), Hamburg: Meiner 1978 Vom schwachen Trost der Philosophie, Göttingen: Steidel 1990 Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Hamburg: Meiner 11 1984

1. Das Problem der Erkenntnis und das Problem der Moral

Hume möchte mit seiner Philosophie eine Wissenschaft vom Menschen zustandebringen. Worin besteht sein fundamentaler Entwurf? Eine Wahl bestimmt sich immer danach, was sie ausschließt; ein historisches Projekt ist eine logische Substitution. Für Hume geht es darum, an die Stelle einer Psychologie des Geistes eine Psychologie der Affekt/des Geistes zu setzen. Die Psychologie des Geistes ist unmöglich und nicht konstituierbar, da sie in ihrem Gegenstand weder die Konstanz noch die Universalität aufweisen kann, die für eine Wissenschaft erforderlich wären; einzig eine Psychologie der Affekte vermag die wahre Wissenschaft vom Menschen zu konstituieren. Insofern ist Hume zuerst Moralist und Soziologe, erst in zweiter Linie Psychologe: Der Traktat wird zeigen, daß die zwei Grundformen, unter denen der Geist affiziert wird, die Affektivität und das Soziale sind. Beide implizieren sich wechselseitig und fundieren die Einheit des Gegenstands einer Wissenschaft, die Geltung beanspruchen darf. Auf der einen Seite verlangt und erwartet die Gesellschaft von jedem ihrer Glieder, daß sie gleichbleibende Verhaltensweisen und Affekte an den Tag legen, die Beweggründe und Ziele liefern und kollektive Charaktermasken prägen: »Ein Fürst, der seinen Untertanen eine Steuer auferlegt, erwartet ihre Fügsamkeit.« (TR II, 142) Auf der anderen Seite setzen die Affekte 7

Gesellschaft als jenes Mittel voraus, über das sie sich indirekt Befriedigung verschaffen können (TR II, 269). Nicht zuletzt erweist die Geschichte, daß der Zusammenhang zwischen dem Affektiven und dem Sozialen eine innere Einheit besitzt: Die Geschichte hat die politische Organisation und Institution zum Gegenstand, sie untersucht die Zusammenhänge der Beziehungen von Motiv und Handlung in größtmöglicher Konkretion, sie zeigt, wie einförmig menschliche Leidenschaften sind. Kurz, den Blickwinkel des Psychologen zu wählen drückt sich kurioserweise dadurch aus, daß man -bevor und damit man Psychologe sein kann - Moralist, Soziologe und Historiker sein muß. Hier findet der Inhalt des Projekts einer Wissenschaft vom Menschen die Basis, auf der allgemeinverbindliche Erkenntnis möglich wird: Der Geist muß notwendigerweise affiziert werden. Von sich aus und an sich selbst ist der Geist nicht Natur, kein Gegenstand der Wissenschaft. Die Frage, der Hume nachgehen wird, lautet: Auf welche Weise wird der Geist zur Natur des Menschen? Das Affiziertwerden durch Leidenschaften wie durch gesellschaftliche Zusammenhänge bildet freilich nur einen Aspekt der menschlichen Natur. Darüber hinaus gibt es den Verstand und die Ideenassoziation. Das aber, sagt Hume, ist nur ein herkömmliches Vorurteil: Der eigentliche Zweck des Verstandes liegt darin, die Leidenschaft gesellschaftlich akzeptabel zu machen und ein Interesse sozial zu artikulieren. Der Verstand spiegelt das Interesse. Wenn wir ihn andererseits als abgehobenen Bereich auffassen, dann dürfen wir das nur in der Manier eines Naturwissenschaftlers tun, der eine Bewegung in Komponenten zergliedert, sich dabei aber sehr wohl bewußt bleibt, daß sie in sich nicht zusammengesetzt und unteilbar ist (TR II, 237). Gehen wir nicht darüber hinweg, daß es bei Hume zwei nebeneinander existierende Gesichtspunkte gibt: Die Affekte und der Verstand erscheinen 8

- auf eine Weise, die zu bestimmen bleibt - als zwei verschiedene Teile; aber an sich ist der Verstand lediglich jene Bewegung der Affekte, durch die sie zu etwas Gesellschaftlichem werden. wie wir verstehen, daß der Verstand und die Affekte zwei voneinander getrennte Probleme bilden, werden wir begreifen, wie jener sich diesem unterordnet. Aus diesem Grund werden wir uns bei einer - auch und gerade spezifischen -Analyse der Verstandes vordringlich damit beschäftigen müssen, worin die allgemeine Relevanz der oben gestellten Frage liegt. Daß der Geist, die Einbildungskraft und die Vorstellung miteinander identisch seien, wiederholt Hume immer wieder. Der Geist ist nicht Natur, er hat keine eigene Natur. Er geht in der Vorstellung auf, die er hat. Die Vorstellung ist das Gegebene, und wie es gegeben ist, das macht die Erfahrung aus. Der Geist ist gegeben. Er besteht aus einer Ansammlung von Vorstellungen, die noch nicht einmal ein System bilden. Und unsere obige Frage könnte man auch so ausdrücken: Wie wird eine Ansammlung zu einem System? Die Ansammlung von Vorstellungen heißt Einbildung, wofern damit nicht ein Vermögen, sondern ein Reservoir, die Gesamtheit der Dinge im allgemeinsten Sinne bezeichnet wird, die das sind, was sie scheinen: eine Sammlung ohne Sammelalbum, eine Art Theater ohne Bühne, ein Fluß von Perzeptionen. »Der Vergleich mit dem Theater darf uns freilich nicht irreführen. Die einander folgenden Perzeptionen sind allein das, was den Geist ausmacht, während wir ganz und gar nichts von einem Schauplatz wissen, auf dem sich jene Szenen abspielten, oder von einem Material, aus dem dieser Schauplatz gezimmert wäre.« (TRI, 327 f.) Der Ort ist nicht von dem Geschehen verschieden, das sich an ihm abspielt, die Vorstellung wird nicht in einem Subjekt gegeben. Präzisiert kann die Frage also auch lauten: Wie wird der Geist Subjekt? Wie wird die Einbildungskraft zu einem Vermögen? 9

Zugegeben, Hume betont wieder und wieder, die Vorstellung sei in der Einbildungskraft. Aber die Präposition bedeutet hier nicht, daß die Vorstellung einem wie immer gearteten Subjekt inhäriert, sie ist vielmehr eine Metapher, die gerade ausschließen möchte, daß sich eine von der Bewegung der Vorstellung verschiedene Aktivität im Geist als solchem vollzöge, und darauf pocht, daß Geist und Vorstellung im Geist miteinander identisch sind. Sie besagt, daß die Einbildungskraft kein Faktor, kein Vermittler, keine bestimmende Bestimmung ist; sie ist ein Ort, den man verorten muß, den man zu fixieren hat und bestimmen kann. Nichts geschieht durch, alles geschieht in der Einbildung. Sie ist nicht einmal das Vermögen, das Vorstellungen formen könnte: Die Bildung der Vorstellung durch die Einbildungskraft ist lediglich die Reproduktion des Eindrucks in der Einbildung. Zwar hat sie ihre Aktivität; aber diese Aktivität ist selbst ohne Konstanz und Gleichförmigkeit, sie ist ein unkontrolliertes Phantasieren, die Bewegung der Ideen, die Gesamtheit ihrer Aktionen und Reaktionen. Als Ort der Vorstellungen ist die Phantasie die Versammlung voneinander getrennter Individuen. Als der Zusammenhang der Vorstellungen ist sie die Bewegung, die von einem Ende des Weltalls zum anderen eilt (TRI, 38) und feurige Drachen, geflügelte Rosse oder ungeheure Riesen (TR I, 20) erzeugt. Der Urgrund des Geistes ist zu delirieren, von Sinnen zu sein, oder, was in anderer Hinsicht auf dasselbe hinausläuft: Zufall und Indifferenz.' Von sich selbst aus ist die Einbildungskraft kein Naturvermögen, sondern Phantasie. Die Konstanz und Gleichförmigkeit liegen nicht in den Vorstellungen, die ich habe. Ebensowenig in der Art und Weise, wie

Vorstellungen von der Einbildungskraft miteinander verbunden werden: Diese Verbindung folgt dem Zufall (TRI, 20 f.). Die Allgemeinheit der Idee liegt nicht in etwas, was der Vorstellung eigentümlich wäre, ist kein Bestandteil der Einbildungskraft: Es ist eine Rolle, die jede Vorstellung un10

ter dem Einfluß anderer Prinzipien spielen kann, sie liegt nicht in der Natur bestimmter ausgezeichneter Ideen. Was sind nun diese anderen Prinzipien? Auf welche Weise wird die Einbildungskraft etwas der menschlichen Natur Eigentümliches? Konstanz und Gleichförmigkeit liegen einzig in der Art und Weise, wie Vorstellungen in der Einbildungskraft assoziiert werden. Die Assoziation greift mit ihren drei Prinzipien (Kontiguität, Ähnlichkeit, Kausalität) über die Einbildungskraft hinaus, sie ist etwas anderes als diese. Sie affiziert sie, in der Einbildungskraft findet sie ihren Bezugspunkt und ihren Gegenstand, aber in dieser liegt nicht ihr Ursprung. Die Assoziation ist ein Faktor, der Vorstellungen miteinander verknüpft, sie ist keine Qualität der Vorstellungen selbst. 2 Wir werden sehen, daß das Subjekt in Grundüberzeugungen, Glaubensgewißheiten und durch das Herstellen von Kausalitätsverbindungen das Gegebene überschreitet. Was ihm der Geist gibt, läßt es buchstäblich hinter sich: Ich glaube an etwas, was ich nie gesehen oder berührt habe. Aber das Subjekt kann das Gegebene nur insofern überschreiten, als es vorweg schon im Geist ein Effekt der den Geist überschreitenden, ihn affizierenden Prinzipien ist. Bevor es Glaubensüberzeugungen geben kann, haben alle drei Assoziationsprinzipien das Gegebene als System organisiert und der Einbildungskraft zu einer Konstanz verholfen, die sie nicht aus sich selbst schöpft und ohne die sie niemals jenes Vermögen der menschlichen Natur wäre, das den Vorstellungen ihren Ort und ihren Zusammenhang zuteilt. Dies sind ursprüngliche Qualitäten der menschlichen Natur, keine den Vorstellungen anhaftende Merkmale. 3 Der Vorrang der Kausalität rührt allein daher, daß sie uns die Existenz von etwas bestätigt, uns von etwas überzeugt, zumal sie die Objektvorstellung mit Dingkonstanz und Objektivität ausstattet, die sie nicht hätte, wenn sie lediglich aufgrund von Kontiguität oder Ähnlichkeit mit dem gegenwärtigen Ein11

druck assoziiert wäre (TRI, 99 f., 147, 149 f.). Aber die beiden anderen Prinzipien erfüllen mit der Kausalität zusammen eine gemeinsame Funktion: Sie legen den Geist vorweg fest, sie naturalisieren ihn; sie bereiten Glaubensüberzeugungen den Weg und begleiten sie. Hier haben wir die tragende, den Empirismus ausmachende Grundlage vor uns: Weil die menschliche Natur von ihren Prinzipien her den Geist übersteigt, übersteigt nichts im Geist die menschliche Natur; nichts ist tranzendental. Die Assoziation ist eine Regel der Einbildungskraft, kein Produkt oder Ausdruck ihres freien Gebrauchs. Sie leitet sie und gibt ihr Gleichförmigkeit und Maß (TRI, 21). In diesem Sinn werden die Vorstellungen im Geist, aber nicht durch den Geist miteinander verbunden.4 Das Wesen des Menschen liegt in der Einbildungskraft, der aber durch andere Prinzipien Konstanz und Festigkeit verliehen wird. Nun birgt diese Definition freilich eine Schwierigkeit. Warum liegt die Natur des Menschen eher in der Regeln unterworfenen Einbildungskraft als in der Regel selbst, begriffen als aktives Vermögen? Wie kann man von der Einbildungskraft behaupten, sie werde eine Natur, da sie doch keinen Grund ihres Werdens in sich birgt? Die Antwort ist einfach. Die Prinzipien beziehen sich notwendig auf den Geist, den sie affizieren, die Natur bezieht sich auf die Einbildungskraft, ihr ganzer Sinn liegt darin, sie zu bestimmen. Die Assoziation ist ein Naturgesetz; wie jedes Gesetz definiert sie sich über ihre Wirkungen, nicht über eine Ursache. Ebenso könnte, auf einer ganz anderen Ebene, von Gott als Ursache gesprochen werden; prästabilierte Harmonie und Finalität könnten sich fruchtbar gegenseitig in Geltung setzen.5 Hierin stimmen die Dialoge über natürliche Religion und die Essays Über Wunder und Über die Unsterblichkeit der Seele miteinander überein. Eine Ursache kann jederzeit als etwas gedacht werden, das an sich ist und alle Analogien übersteigt, durch die man etwas tatsächlich, in der Erfah12

rung und für den Verstand, einen bestimmten Inhalt gibt.• Das heißt aber auch, daß die Philosophie als Wissenschaft vom Menschen nicht nach der Ursache zu suchen hat, sondern Wirkungen erforschen muß. Die Ursache kann nicht erkannt werden; für Prinzipien gibt es keine Ursache, keinen Ursprung ihres Vermögens. Das Ursprüngliche ist ihre Wirkung auf die Einbildungskraft. Diese Wirkung der Ideenassoziation tritt in drei Formen in Erscheinung (TRI, 24). Entweder fungiert die Vorstellung, wenn in ihr alle Ideen, die sie in der Einbildung kraft Ähnlichkeit begleiten kann, vorstellig werden, als Allgemeinvorstellung. Oder die Verbindung von Vorstellungen durch den Geist erreicht eine vorher nicht vorhandene Ordnung/Regularität - Fälle, bei denen »die Natur gleichsam jeden immer auf diejenigen unter den einfachen Vorstellungen hinweist, welche sich am meisten dazu eignen, zu einer zusammengesetzten Vorstellung vereint zu werden« (TRI, 21): Substanz und Modus. Oder aber eine Vorstellung »zieht eine andere mit sich« (TRI, 24): Relation. Die Ideenassoziation bahnt in allen drei Fällen den Übergang von einer Vorstellung zur anderen; das Wesen des Verhältnisses liegt darin, den leichten Übergang zu ermöglichen (TR I, 340). Im Geist, der zur Natur geworden ist, kristallisiert sich eine

Neigung. Aber durch eben jenen Schritt, mit dem die Natur den Bezug auf die Vorstellung herstellt, indem sie sie im Geist assoziiert, erwirbt die Idee keine neue Qualität, die ihr eigentümlich wäre und die sie ihrem Gegenstand als Attribut beilegen könnte; es kommen keine neuartigen Vorstellungen zum Vorschein. Die Vorstellungen sind gleichförmig miteinander verknüpft, ohne daß jedoch ihre Verbindung selber Gegenstand einer Idee würde. Hume merkt zwar an, die Allgemeinvorstellung müsse gedacht werden, das sei aber nur von der Phantasie zu bewerkstelligen, in der Weise, daß eine bestimmte Einzelvorstellung mit einer bestimmten 13

Quantität und Qualität repräsentiert wird (TRI, 52). Einerseits kann die Einbildungskraft nicht an sich selbst Natur werden, ohne für sich Phantasie zu bleiben. Die Phantasie findet hier geradezu ganz neuen Auftrieb; sie wird immer neue Relationen geltend machen, sich in den Anschein von Natürlichkeit hüllen und allgemeine Regeln aufstellen, die das begrenzte Feld rechtmäßigen Erkennens überschreiten und die Erkenntnis über ihre eigenen Grenzen hinaustreiben. Sie wird ihre Erdichtungen und Vorurteile befördern: »Ein Irländer kann keinen Witz und ein Franzose kein gesetztes Wesen haben.« (TRI, 200) Um den Effekt dieser ausgreifenden Regeln zunichte zu machen, um die Erkenntnis auf sich zurückzubiegen, wird es notwendig, andere Regeln anzuwenden, die solche Fehler wieder zurechtrücken. Die Einbildungskraft wird, sofern sie der Phantasie nur ein wenig die Zügel schleifen läßt, unweigerlich jede Relation, der sie ansichtig wird, durch andere verstärken und verdoppeln und ihr selbst solche hinzudichten, die hier gar nicht hingehören.' Andererseits kann der Geist nicht durch die Prinzipien der Natur aktiviert werden, ohne dabei passiv zu bleiben. Er erleidet die Auswirkungen. Die Relation ist nicht das, was verbindet, sondern das, was verbunden wird; die Kausalität zum Beispiel ist Affekt, ein Eindruck der Selbstwahrnehmung (TRI, 224), eine Wirkung der Ähnlichkeit (TR I, 223). Sie ist innerlich gefühlt (TRI, 226). Sie ist eine Perzeption des Geistes, kein Schluß, den der Verstand gezogen hat: » Wir dürfen uns nicht begnügen, zu sagen, die Vorstellung der Ursache und Wirkung erwachse aus den konstant verbundenen Dingen, sondern wir müssen uns klar darüber sein, daß jene Vorstellung mit der Vorstellung dieser Dinge eine und dieselbe Sache ist[ ...].« (TRI, 143) Kurz, die notwendige Relation liegt im Subjekt, und zwar insofern es »betrachtender Geist« (TRI, 226) ist. Das ist der Grund, weshalb Hume bald auf die Paradoxie, die negative Seite, seiner 14

These pocht, bald auf ihre Orthodoxie, die positive, objektive Seite. Sofern die Notwendigkeit im Subjekt liegt, ist die Notwendigkeitsbeziehung die Konstanz eines Miteinander - Notwendigkeit ist nichts anderes (TR 1,226). Aber im Subjekt ist sie nur, insofern das Subjekt betrachtet, nicht sofern es handelt (TR II,145): Das konstante Miteinander macht die ganze Notwendigkeitsrelation aus.8 Bestimmung ist bei Hume nicht etwas Bestimmendes, sie ist etwas Bestimmtes. Wenn Hume von einem Akt oder einer Neigung des Geistes spricht, will er damit nicht sagen, daß der Geist aktiv, sondern daß er aktiviert und Subjekt geworden sei. Eine Subjektivität vorzuführen, die sich überschreitet und gleichwohl um nichts weniger passiv ist, darin liegt das kohärente Paradox der Humeschen Philosophie. Subjektivität wird als Effekt bestimmt, sie ist ein Eindruck der Selbstwahrnehmung. Der Geist wird Subjekt, indem er von den Prinzipien affiziert wird. Die Natur kann wissenschaftlich nur in ihren Wirkungen auf den Geist erforscht werden, die einzige und wahre Wissenschaft vom Geist muß jedoch die Natur zum Gegenstand haben. »Die menschliche Natur ist der einzige Gegenstand der Wissenschaft vom Menschen.« (TRI, 352)

Damit ist zweierlei gesagt, daß die Psychologie der Affektionen der Psychologie des Geistes ihren Wert abspricht und daß die Affektionen dem Geist seinen Rang verleihen. Darin liegt eine Zweideutigkeit. Bei Hume ist die ungleiche Entwicklung zweier sehr verschiedener Auffassungen zu beobachten. Einesteils ist die Psychologie des Geistes eine Psychologie der Ideen, einfacher oder kleinster Elemente, die unteilbar sind: Damit ist im wesentlichen der zweite Teil von »Über den Verstand« befaßt, der mit »Von den Vorstellungen des Raumes und der Zeit« überschrieben ist. Das ist die Linie des Atomismus. Anderenteils ist die Psychologie der 15

menschlichen Natur eine Psychologie der Neigungen, eigentlich fast mehr eine Anthropologie, eine Wissenschaft der Praxis, zumal der Moral, der Politik und der Geschichte, letzlich also geradezu eine Kritik der Psychologie, da sie die Wirklichkeit ihres Gegenstandes in allen Bestimmungen gegeben sieht, die nicht in einer Vorstellung liegen, in allen Qualitäten, die den Geist übersteigen. Diese zweite Auffassung ist die Linie der Assoziations/ehre. Assoziationismus und Atomismus miteinander zu vermengen ist ein merkwürdiger Widersinn. Aber weshalb findet die erste Auffassung - vor allem in der Theorie des Raums - bei H ume überhaupt einen Boden? Das haben wir bereits gesehen; zwar beinhaltet die Psychologie der Affektionen in sich die Kritik und den Abweis einer Psychologie des Geistes, die als Wissenschaft nicht möglich ist, gleichwohl haftet ihrem Gegenstand unvermeidlich der Verweis auf den Geist an, an dem sich Natur qualifiziert. Weil der Geist eine Ansammlung von Atomen ist, ist eine Psychologie im eigentlichen Sinn weder unmittelbar noch direkt möglich: Die Prinzipien machen aus dem Geist selbst nur dadurch einen Gegenstand möglicher Wissenschaft, daß sie ihm zunächst eine objektive Natur zuerteilen. Hume treibt also keine atomistische Psychologie, er weist im Atomismus einen Zustand des Geistes auf, der keine Psychologie zuläßt. Insofern wird man Hume kaum vorwerfen können, das wichtige Problem vernachlässigt zu haben, worin die Bedingungen einer Wissenschaft vom Menschen liegen. Man mag sich sogar fragen, ob moderne Autoren die Wendung der Humeschen Philosophie nicht wiederholen, wenn sie jede positive Errungenschaft der Wissenschaft vom Menschen mit einer Zuspitzung der Atomismuskritik in Bezug setzen, im Atomismus also weniger eine historische und einem bestimmten Kontext verpflichtete These sehen, sondern eine unmögliche Psychologie, eine Negativpsychologie, gegen die man mit konkreten Argumenten der Charakterologie und der Soziologie anzu16

gehen hat und der die Sachverhalte des affektiven und sozialen Lebens entgegenzuhalten sind. »Der Geist«, meinte Comte im Hinblick auf jene Negativpsychologien, »ist fast ausschließlich zum Gegenstand ihrer Spekulationen geworden, die verschiedenen affektiven Vermögen hat man fast vollständig vernachlässigt und dem Verstand subsumiert. Der Gesamtzusammenhang der menschlichen Natur wird in diesen hochtrabenden Systemen nur sehr unzureichend dargestellt.«'

Zumindest darin, daß eine Psychologie des Geistes unmöglich ist, stimmen alle Denker von Rang überein. Und das ist der Grund, weswegen sie sich mit solchem Nachdruck dagegen verwahren, Bewußtsein mit Erkenntnis gleichzusetzen. Dissens herrscht einzig in der Frage, welche Faktoren dem Geist eine Natur verleihen. Sofern körperliche oder materielle Faktoren dafür verantwortlich gemacht werden, hat die Psychologie der Physiologie zu weichen. Sofern eigentümliche Prinzipien in Ansatz gebracht werden, wird ein psychisches Äquivalent der Materie postuliert, das als einzig möglicher Gegenstand der Psychologie und als Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit gilt. Diesen letzteren, den schwierigeren und kühneren Weg schlägt Hume mit seiner Assoziationslehre ein. Daß er Sympathien für den Materialismus hegt, ist insofern verständlich, ebenso wie die Zurückhaltung, die er sich auferlegt. Bislang haben wir nur davon geredet, daß das Problem der Philosophie Humes folgendes sei: Wie kann der Geist zu einer Natur werden? Aber: Warum ist er dies? Auf einer anderen Ebene haben wir uns all dies noch einmal vorzunehmen. Humes Problem bezieht sich ausschließlich auf das Tatsächliche; es ist empirisch. Quid facti? Worin besteht die Tatsache der Erkenntnis? Im Transzendieren und Überschreiten; ich behaupte mehr, als ich weiß, mein Urteil geht über die Vorstellung hinaus. In anderen Worten: Ich bin ein Subjekt. 17

Wenn ich sage: »Caesar ist tot«, »Morgen wird die Sonne aufgehen« und »Rom existiert«, dann rede ich im allgemeinen, artikuliere einen Glaubenssatz und setze etwas in Bezug; dies ist eine Tatsache, eine Praxis. Was in der Erkenntnis ist die Tatsache? Tatsache ist, daß diese Praktiken sich nicht in Form einer Vorstellung ausdrücken lassen, ohne daß diese sofort widersprüchlich wird. Beispielsweise ist die abstrakte Allgemeinvorstellung mit der Natur der Vorstellung unvereinbar,10wie auch die wirkliche Verknüpfung von Vorstellungen mit Objekten, auf die man sie bezieht (TR 1,228). Die Unverträglichkeit ist um so durchgreifender, als sie unmittelbare und sofort im Ansatz ist.lt Hume gelangt zu diesem Punkt nicht nach langer Diskussion, es ist sein Ausgangspunkt; diesen Widerspruch festzustellen geschieht in einer selbstverständlichen Geste, mit der eine ursprüngliche Herausforderung vorgebracht wird, der einzige Angelpunkt, wo er in seiner Philosophie des Verstandes an ein anderes Denken appellieren kann: 12 »Zeigt mir jene Vorstellung, die ihr zu haben behauptet.« Der Einsatz, um den es bei dieser Herausforderung geht, ist die Psychologie des Geistes. Denn das Gegebene, die Erfahrung, hat nun zwei, einander gegenläufige Bedeutungen. Das Gegebene ist die Vorstellung, wie sie im Geist gegeben ist, und an ihr ist nichts, was über sie hinausgehen würde, nicht einmal und keinesfalls der Geist, der von nun an mit der Vorstellung identisch ist. Aber das Überschreiten ist seinerseits ebenfalls gegeben - in einem ganz anderen Sinn und auf ganz andere Weise: als Praxis, als Affektion des Geistes, als Eindruck der Selbstwahrnehmung; von den Affekten eine zutreffende Begriffsbestimmung zu geben, sagt Hume, ist unmöglich (TR II, 5). ähnlich ist man »um Worte verlegen«, wenn man etwas wiedergeben soll, was »jedermann in sich erlebt« - was nämlich den Glauben an eine Tatsache ausmacht (TRI, 132). Die empirische Subjektivität bildet sich nach Prinzipien, die den Geist affizieren, der Geist verfügt nicht über die Eigenschaften eines 18

vorgängigen Subjekts. Die wahre Psychologie, die Psychologie der Affektionen, ist deshalb bei jedem Schritt zugleich auch die Kritik einer falschen Psychologie des Geistes, die in der Tat unfähig ist, das konstitutive Element der menschlichen Wirklichkeit widerspruchsfrei zu erfassen. Aber warum muß denn nun die Philosophie diese Kritik leisten, das Überschreiten in einer Vorstellung ausdrücken, den Widerspruch erzeugen und offenlegen, daß Erkenntnis von Unvereinbarkeit gezeichnet ist? Der Grund liegt darin, daß das gegebene Überschreiten nicht in einer Vorstellung gegeben ist, sondern sich auf den Geist bezieht, den es bestimmt. Mithin ist der Geist Gegenstand einer Kritik und notwendiger Bezugspunkt. Darin liegt die Notwendigkeit der Kritik. Und deshalb ist Humes Verfahren, wo es sich um den Verstand handelt, immer dasselbe: Im Geist finden wir statt einer vermuteten Vorstellung immer nur eine Affektion des Geistes. Die Negation der Vorstellung einer Sache affirmiert die Identität der Eigenschaft jener Sache mit einem Eindruck der Selbstwahrnehmung. Für Existenz beispielsweise steht dann etwas anderes: die Allgemeinvorstellung, die notwendige Verknüpfung, das Ich, das Laster und die Tugend. In all diesen Fällen handelt es sich weniger um die Negation des Kriteriums der Vorstellung als um die Negation der zum Kriterium gemachten Idee; das Überschreiten ist immer und vorrangig in seiner negativen Beziehung zum Überschrittenen zu erfassen.13Im Gegenzug freilich findet der Geist in den Überschreitungsstrukturen eine Positivität, die ihm von außen zuwächst. Wie aber soll man nun die ganzen Schritte dieses Verfahrens mit Humes Prinzip zusammenbringen, wonach jede Vorstellung von einem ihr korrespondierenden Eindruck herstammt, mithin also jeder gegebene Eindruck sich in einer Vorstellung reproduziert, die ihn genau repräsentiert? Wenn beispielsweise die Notwendigkeit ein Eindruck der Selbstwahrnehmung ist, muß es notwendigerweise auch eine 19

Vorstellung von Notwendigkeit geben (TRI, 224 f.). Die Kritik, merkt Hume außerdem noch an, spricht nicht der Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung ihren Sinn ab, sie verhindert nur, daß sie in falschem Sinn angewandt wird (TR I, 220 f.). Eine Notwendigkeitsvorstellung gibt es wohl. Aber wenn man dabei von einem Eindruck der Selbstwahrnehmung reden darf, dann eigentlich nur in dem Sinne, daß die N otwendigkeitsbeziehung der Geist als affizierter ist, der Geist, der durch die Vorstellung eines Objekts (in bestimmten Zusammenhängen) genötigt wird, die Vorstellung eines anderen zu bilden. Der Eindruck der Notwendigkeit könnte nicht die Vorstellung als einer Qualität der Dinge hervorbringen, da sie eine Qualifizierung des Geistes ist. Das Eigentümliche von Selbstwahrnehmungen oder inneren Eindrücken liegt - Effekt der Prinzipien darin, den Geist auf unterschiedliche Weise als Subjekt auszubilden. Die Affektionen sind jener Punkt, an dem sich also die Idee dieser Subjektivität abzeichnet. Das Wort » Vorstellung« kann nicht mehr denselben Sinn haben. Die Psychologie der Affektionen wird die Philosophie eines konstituierten Subjekts sein. Genau diese Einsicht hat der Rationialismus über Bord geworfen. Humes Philosophie ist eine zugespitzte Kritik der Repräsentation. Hume liefert keine Kritik der Assoziationsbeziehungen, sondern eine Kritik der Repräsentationen, gerade weil diese die Assoziationsbeziehungen nicht präsentieren können. Indem er aus der Repräsentation ein Kriterium macht, indem er die Vorstellung im Verstand ansiedelt, hat der Rationalismus dasjenige in die Vorstellung gelegt, was sich in der ersten Bedeutung von Erfahrung nicht konstituieren läßt, was sich nicht ohne Widerspruch in eine Vorstellung kleiden läßt, die Allgemeinheit der Vorstellung selbst und die Existenz des Objekts, im Sinne von »fortwährend, notwendig oder wahr«; er hat die Bestimmtheit des Geistes in die äußeren Gegenstände verlegt und damit die Philoso20

phie um das Verständnis und den Sinn für das gebracht, was Praxis und Subjekt ausmacht. Geist ist ja in derTat nicht Vernunft, sondern vernünftig zu sein ist eine Affektion des Geistes. Insofern kann er von der Vernunft auch sagen, sie sei Instinkt," Gewohnheit oder auch Natur (TRI, 250). Vernunft ist »nichts anderes als eine allgemeine ruhige Ausgeglichenheit der Affekte, begründet auf die Betrachtung und Überlegung aus der Ferne«. (TR II, 337)

Die Vernunft ist eine Art von Gefühl. Wie die Methode der Philosophie von der Abwesenheit einer Vorstellung zur Anwesenheit eines Eindrucks schreitet, schreitet auch die Theorie der Vernunft von einem Skeptizismus zu einem Positivismus, von einem Skeptizismus der Vernunft zu einem Positivismus des Gefühls, das die Vernunft als Reflexion des Gefühls im durchgebildeten Geist in sich beschließt. Analog wie man Atomismus und Assoziationslehre voneinander unterschieden hat, sind zwei Bedeutungen von »Vorstellung«, also zwei Bedeutungen von »Eindruck« zu unterscheiden. In der einen Bedeutung haben wir die Vorstellung von Notwendigkeit nicht; in der anderen haben wir sie. Trotz der Textstellen, die Eindrücke der Sinneswahrnehmung und Eindrücke der Selbstwahrnehmung, Gefühlsvorstellungen und Reflexionsvorstellungen in einem Atemzug nennen und beide so gleichartig wie möglich erscheinen lassen wollen (TR 1, 72), unterscheiden sie sich doch wesentlich, wie das folgende Zitat belegt: »Das ist ja aber jederzeit notwendig, wenn eine neue Vorstellung der Reflexion entstehen soll. Möchte der Geist auch tausendmal alle seine der Sinnesempfindung entstammenden Vorstellungen betrachten, nie kann er aus ihnen eine neue originale Vorstellung herausklauben, es sei denn, 4aß die Natur ihn so organisiert hat, daß aus einer solchen Betrachtung zuerst für die Empfindung ein neuer originaler Eindruck entsteht.«"

21

Die Eindrücke der Sinneswahrnehmung sind nur der Ursprung des Geistes, die inneren Eindrücke der Selbstwahrnehmung bilden den Geist aus, sie sind die Auswirkungen der Prinzipien im Geist. Der Gesichtspunkt des Ursprungs -daß jede Vorstellung auf einen vorgängigen Eindruck zurückgeht und ihn repräsentiert - besitzt sicher nicht den zentralen Stel: lenwert, den man ihm immer zumessen wollte: Er sagt lediglich etwas über das Herkommen des Geistes und schließt aus, daß Vorstellungen die Dinge zu repräsentieren haben, wobei schleierhaft bliebe, wie Dinge und Vorstellungen einander ähneln können sollen. Worauf es eigentlich ankommt, sind die Selbstwahrnehmungen; an ihnen hängt, daß sich der Geist als Subjekt ausbildet. Das Wesentliche, wovon Wohl und Wehe der empiristischen Position abhängt, liegt nicht im Vorstellungsatomismus, sondern in der Assoziationslehre. Vordringlichstes Problem des Empirismus ist nicht das des Ursprungs des Geistes, sondern das der Konstitution des Subjekts. Und diese begreift er darüber hinaus als Effekt transzendenter Prinzipien, nicht als Produkt einer Genese. Die Schwierigkeit liegt also darin, zwischen den beiden Bedeutungen von »Vorstellung« beziehungsweise »Eindruck«, zwischen Ursprung und Qualifizierung einen ausweis baren Zusammenhang herzustellen. Was sie unterscheidet, haben wir im vorstehenden gesehen. Auf diesen Unterschied stößt Hume noch einmal, und zwar in Form einer Erkenntnisantinomie; sie bestimmt das Ich-Problem. Der Geist ist nicht Subjekt [sujet], er ist unterworfen [assujetti]. Und wenn sich im Geist kraft der Prinzipien das Subjekt konstituiert, dann erfaßt sich der Geist im selben Zug als ein Ich, weil er näher bestimmt (qualifiziert) ist. Wenn sich nun aber das Subjekt nur innerhalb einer Ansammlung von Vorstellungen ausbilden kann, wie kann dann die Vorstellungsresvoir sich selbst als ein Ich erfassen, wie kann sie kraft derselben Prinzipien »ich« sagen? Man versteht nicht recht, wie man von Ich-Tendenzen, vom Subjekt zum Ich gelangen kann. Wie kann es dazu kommen, daß Subjekt

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und Geist im Ich zusammenfallen können? Das Ich muß Vorstellungsresevoir und Tendenz, Geist und Subjekt zugleich sein. Es ist Synthesis, aber nicht nachvollziehbar, es umschließt, ohne beide miteinander versöhnen zu können, in seinem Begriff sowohl den Ursprung als auch die nähere Bestimmung. »Um es kurz zu sagen, so gibt es zwei Prinzipien, die ich nicht in Einklang bringen, von denen ich doch auch keines preisgeben kann; nämlich, daß alle unsere gesonderten Perzeptionen auch gesondert [oder für sich] bestehen können, und: daß der Geist nirgends eine reale Verknüpfung zwischen dem, was für sich bestehen kann, wahrzunehmen vermag.« (TRI, 363 f.)

Hume fügt an, daß es vielleicht eine Lösung gebe, sei nicht auszuschließen. Wir werden später sehen, was von einer solchen Hoffnung zu halten ist. Die menschliche Natur ist der eigentliche Gegenstand der Wissenschaft. Humes Philosophie setzt uns freilich auseinander, daß diese Natur von zweierlei Beschaffenheit sein kann, daß es zwei Arten von Affizierung gibt: zum einen die Effekte der Assoziation, zum anderen die des Affekts. In beiden Fällen handelt es sich um Systembestimmtheit, die des Verstandes und die der Affekte und Moral. In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Auf den ersten Blick scheint sich ein Parallelismus zu entfalten und sich präzise durchzuhalten. Glaube und Mitgefühl entsprechen einander. Darüber hinaus ist, wie die Analyse zeigt, all das, was dem Mitgefühl eigen ist und den Glauben übersteigt, dem analog, was der Affekt der Assoziation von Ideen hinzufügt (TR II, 51 f.). So wie, auf anderer Ebene, die Assoziation dem Geist eine notwendige Allgemeinheit, eine unverrückbare Regel für sein Bemühen um theoretische Erkenntnis beibringt, so verleiht ihm der Affekt den Inhalt einer Beständigkeit (TR II, 48), ermöglicht praktisches und moralisches Handeln 23

und gibt der Geschichte ihre Bedeutung. Ohne diese doppelte Bewegung würde es eine menschliche Natur gar nicht geben, die Einbildungskraft bliebe Phantasie. Mit diesen Entsprechungen hat es aber noch nicht sein Bewenden: Die Beziehung zwischen Motiv und Handlung ist gleichartig wie die Kausalitätsbeziehung,'" insofern ist die Historie geradezu als eine Physik des Menschen aufzufassen." Denn schließlich haben die allgemeinen Regeln, nach denen Einzelheiten der Natur bestimmt werden und eine Welt der Moralität errichtet wird, denselben Sinn, sie haben eine Ausweitungs- und eine Korrektivfunktion. Man hat noch nicht einmal ein Instrumentarium an der Hand, mit dem sich das System des Verstandes der Theorie und das System der Moral und der Affekte der Praxis zuordnen ließe. Es gibt sowohl eine Praxis des Verstands - sie steckt in dem, was man »Glaube« oder »Überzeugungen« nennt - als auch eine Theorie der Moral, die sich in juridischen und sozialen Institutionen verkörpert. Darüber hinaus verkörpert bei Hume die einzige mögliche Theorie immer eine Theorie der Praxis: Beim Verstand geht es ihm um das Wahrscheinlichkeitskalkül und allgemeine Regeln, bei der Moral und den Affekten um allgemeine Regeln und Gerechtigkeit. So wichtig diese Entsprechungen auch sein mögen, sie sind lediglich die Darstellung der Philosophie, die Form, in der ihre Ergebnisse angeordnet werden. Die Analogie zwischen den beiden konstituierten Bereichen darf uns nicht vergessen machen, welcher der beiden den anderen als ein philosophisches Arbeitsfeld hervorgebracht hat. Wir befassen uns also mit dem Beweggrund, dem Movens, der Philosophie. Über den Sachverhalt jedenfalls wird man sich leicht einigen: Hume ist vor allem anderen ein Moralist, ein politischer Denker, ein Historiker. Aber warum ist das so? Der Traktat beginnt mit dem System des Verstandes und stellt das Problem der Vernunft. Worin die Notwendigkeit einer solchen Problematisierung liegt, ist freilich nicht evi-

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dent; sie muß einen Ursprung haben, etwas, das man als die Triebfeder der Philosophie betrachten kann. Nur weil die Vernunft Probleme löst, ist sie nicht selbst ein Problem. Im Gegenteil, damit sich ein Problem der Vernunft bezüglich ihres eigenen Bezirks überhaupt stellen kann, muß ein der Vernunft unzugänglicher Bezirk sie vorgängig in Frage stellen. Der wichtige und zentrale Satz des Traktats lautet: »Es liegt nichts Gegensätzliches für die Vernunft darin, wenn ich lieber die Zerstörung der ganzen Welt will, als einen Ritz an meinem Finger.« 1'

Die Gegensätzlichkeit wäre überdies eine übergroße Beziehung. Nur aus dem Grund, daß die Vernunft nicht koextensiv zum Sein ist, weil sie nicht auf alles, was es gibt, anwendbar ist, kann sie sich zum Problem werden und sich die Wesensfrage stellen. In diesem Zusammenhang geht es um die Tatsache, daß sie die Praxis nicht bestimmt: Praktisch und technisch ist sie unzureichend. Zweifellos beeinflußt sie die Praxis, indem sie uns über die Existenz einer Sache in Kenntnis setzt, die den Gegenstand eines Affektes abgibt, und indem sie uns den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen oder das Mittel aufdeckt, einen Affekt zu befriedigen (TR II, 200). Aber daß sie eine Handlung hervorbringen könnte, daß sie die Affekte widerlegen oder zurückdrängen könnte, kann man nicht sagen. Der Widerspruch impliziert zumindest, daß Vorstellungen nicht mit den Gegenständen übereinstimmen, die sie repräsentieren; Ein Affekt ist ein originales Etwas, oder, wenn man will, eine Modifikation eines solchen, und besitzt keine repräsentative Eigenschaft, durch die er als Abbild eines anderen Etwas oder einer anderen Modifikation charakterisiert würde« (TR II, 153).

Moralische Kategorien lassen sich ebensowenig aus der Vernunft hervorbringen, denn sie erregen Affekte und erzeugen oder verhindern Handlungen (TR II, 197 f.). 25

Deswegen, weil Besitztümer nicht gestohlen, Versprechen nicht gebrochen werden, müssen Versprechen oder Eigentum noch lange nicht Naturgegebenheiten sein. Die Vernunft kann immer in Anwendung gebracht werden, aber sie wird auf eine Welt angewandt, die vorher schon da war, sie setzt eine ihr vorgeordnete Moral, eine Ordnung der Zwecke voraus (TR II, 210). Weil also Praxis und Moral der Vernunft ihrer Natur (nicht den situativen Umständen nach) indifferent sind, wird die Vernunft auf Abstand bedacht bleiben. Weil sie von außen geleugnet wird, wird sie sich auch innerlich verleugnen und sich als Irresein, als Skeptizismus entdecken. Und da Ursprung und Beweggrund dieses Skeptizismus außerhalb seiner, in der Indifferenz der Praxis liegen, bleibt die Praxis selbst auch gegenüber dem Skeptizismus indifferent: Als Heilmittel gegen Überspanntheit können wir jederzeit aussteigen und Tricktrack spielen (TR I, 347). Der Philosoph unterscheidet sich in seiner Haltung nicht von anderen Leuten; den Skeptiker nämlich zeichnet aus, daß sein Denken weder auf Widerlegung ausgerichtet ist, noch daß es zu festgefügten Positionen und Überzeugungen führt (UN 187). Wir stoßen also hier noch einmal auf den Schluß, den wir bereits oben ziehen konnten und den wir jetzt vervollständigen können: Skeptizismus und Positivismus wurzeln beide in derselben philosophischen Grundüberlegung. Der Positivismus der Affekte und der Moral führt zu einem Skeptizismus gegenüber der Vernunft; dieser verinnerlichte Skeptizismus läßt, zu einem Vernunftskeptizismus gediehen, seinerseits einen Verstandespositivismus entstehen, der, nach dem Bilde des ersteren, die Praxis zu einer Theorie liefert. 19 Nach dem Bilde, doch kein Ebenbild. Damit aber kann man nun den Unterschied zwischen dem System der Moral und dem des Verstandes genau bestimmen. In der Affektion liegt also zweierlei, die affektive wie die moralische Affektion und die Überschreitung, die eine Erkenntnisdimension

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hat. Daß die Prinzipien der Moral wie die ursprünglichen und natürlichen Qualitäten der Affekte den Geist - wie die Assoziationsprinzipien - überschreiten und affizieren, daran besteht kein Zweifel; das empirische Subjekt konstituiert sich im Geist kraft aller zusammengehörigen Prinzipien. Aber allein dank der (im übrigen ungleichen) Assoziationsprinzipien ist das Subjekt in der Lage, das Gegebene zu überschreiten: Es hält etwas für wahr, es glaubt. In eben diesem Sinne gehört das Überschreiten ausschließlich zum Belang der Erkenntnis: Es treibt die Idee über sich hinaus, weist ihr eine Rolle zu, stellt ihren Gegenstandsbezug her und verortet sie. Man kann geadezu sagen, daß das wichtigste im Verstandesbereich den Geist affizierende Prinzip sich primär im Tun, in der Bewegung eines Subjektes, das das Gegebene überschreitet, zeigt und untersucht werden kann: Das, worum es in einem Kausalzusammenhang geht, begreifen wir immer qua Schlußfolgerung. 20 Im Bereich der Moral liegen die Dinge völlig anders, selbst wenn sie sich analog in der Form einer Überschreitung darstellt (TR II, 210 ff.). Dort aber gibt es nichts, was sich schlußfolgern ließe. Die Moral läßt die Idee nur als Faktor ihrer Umstände zu und empfängt die Assoziation als ein von der menschlichen Natur hervorgebrachtes Element. Im Bereich des Verstandes hingegen ist die Assoziation ein konstitutives Element, das für die Konstitution der menschlichen Natur entscheidende Element. Was es mit dieser Dualität auf sich hat, wird deutlicher, wenn man sich die Unterscheidung vergegenwärtigt, die Hume in Bezug auf das Ich trifft'1, und die unterschiedliche Art und Weise, wie er die damit zusammenhängenden Probleme darstellt und behandelt. Es gibt also zwei Arten von Praxis, die sich von vornherein als sehr verschieden darstellen müssen. Die Praxis des Verstandes bestimmt die Natur im einzelnen, ihr Verfahren ist die Ausdehnung. Natur als Gegenstand der Physik ist partes extra partes. Das ist der Kernpunkt. Wenn wir die

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Dinge innerhalb ihrer Vorstellung nehmen, können »alle Gegenstände zueinander in die Beziehung von Ursache und Wirkung treten« (TRI, 234), da die Kausalbeziehung nicht eine ihrer Eigenschaften ist: Logisch gesehen kann irgendein beliebiges Etwas Ursache irgend eines anderen beliebigen Etwas sein. Wenn wir andererseits die Verbindung zweier Objekte betrachten, dann ist jeder der beiden numerisch verschiedenen Fälle, aus denen sie besteht, vom anderen unabhängig und hat keinerlei Einfluß auf ihn; sie sind »durch Zeit und Ort vollständig getrennt« (TRI, 223). Sie bilden die Bestandteile einer Wahrscheinlichkeit (TR I, 186 ); wenn nun Wahrscheinlichkeit in der Tat Kausalität voraussetzt, dann sind die Gewißheiten von Kausalerkenntnissen gleichwohl nur Konvergenzpunkte praktisch absoluter Wahrscheinlichkeiten (TR I, 179). Die Natur ist eine auf Ausdehnung beruhende Größe; insofern ist sie der Erfahrung und dem Kalkül zugänglich. Der Kernpunkt dabei ist, ihre Teile zu bestimmen: Darin besteht die Funktion allgemeiner Regeln im Bereich das Verstandes. In der Natur gibt es nichts Ganzes - weder zu entdecken noch zu erfinden. Totalität ist nur Ansammlung; Allgemeinregeln der Erkenntnis, sofern ihre Allgemeinheit ein Ganzes betrifft, unterscheiden sich nicht von den natürlichen Gesetzmäßigkeiten unseres Verstandes (TRI, 236). Die Schwierigkeit, sagt Hume, liegt nicht darin, sie zu ersinnen, sondern sie anzuwenden. Die Moral hingegen wird nicht in dieser, sondern in geradezu entgegengesetzter Weise praktiziert. Dort sind Teile unmittelbar gegeben, weder bedarf es der Schlußfolgerung noch der Anwendung. Während jene extensiv sind, verhalten sich diese exklusiv zueinander. Teile sind nicht partiell wie in der Natur, sondern parteiisch. In der Praxis der Moral besteht die Schwierigkeit darin, Parteilichkeit zu umschiffen oder abzuwenden. Hier kommt es auf das Erfinden an: Die Regeln der Rechtsordnung sind etwas Künstliches, »die

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Menschheit ist eine erfinderische Spezies« (TR II, 225). Das Wesentliche ist, Sittlichkeit als Rechtssystem zu errichten; Gerechtigkeit ist ein Schema (TR II, 241 ). Schemata sind Prinzip und Rückgrat der Gesellschaft: » ... ein einzelner Akt der Rechtlichkeit, an sich betrachtet, [kann] oftmals dem öffentlichen Wohl entgegen sein [...]. Nur das Zusammenwirken der Menschen nach einem allgemeinen Schema oder System des Handelns ist hier vorteilhaft.« (TR II, 333)

Es geht hier also nicht mehr um Überschreitung, sondern um Integration. Im Gegenzug zum Verstand, der immer von Teilen zu anderen Teilen weiterschreitet, antwortet das Gefühl auf Gesamtbefindlichkeiten. Insofern kommt den allgemeinen Regeln im Reich der Moral ein anderer Sinn zu.

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2. Die Welt der Kultur

und die allgemeinen Regeln

Diese Bestimmungen der Moral sind erklärungsbedürftig. Das Wesen des moralischen Bewußtseins besteht darin, etwas gutzuheißen oder für schlecht zu befinden. Diesem Gefühl, das uns Lob oder Tadel aussprechen läßt, diesem Leiden am Laster und dieser Freude an der Tugend ist ein besonderer Grundzug eigen: Es tritt nur auf, wenn wir einen Charakter im allgemeinen betrachten und dabei von unserem eigenen besonderen Interesse absehen. 22 Was aber kann uns dazu veranlassen, ohne Rücksicht auf die Folgen den uns eigentümlichen Standpunkt aufzugeben und in einem »einfachen Akt des Begutachtens« einen Charakter im allgemeinen zu betrachten, anders gesagt, ihn so aufzufassen und zu erleben, wie er sowohl einem anderen als auch dem Betrachter selbst nützlich oder angenehm ist? Humes Antwort ist einfach: Es ist die Sympathie. Ein Paradox der Sympathie liegt freilich darin, daß sie uns zu einer moralischen Weite, einem Allgemeininteresse befähigt, diese Weite jedoch mit keiner wirklichen Ausweitung einhergeht, sowenig wie das Allgemeininteresse quantitativ zu begreifen ist. Um tatsächlich zu einem moralischen Faktor zu werden, muß sich die Sympathie auf die Zukunft erstrecken und darf nicht auf den gegenwärtigen Augenblick beschränkt bleiben; sie muß eine doppelte Sympathie sein, das heißt die Übereinstimmung der Eindrücke allein reicht nicht aus, hinzukommen muß das 30

Verlangen, den anderen glücklich zu sehen, der Schauder davor, ihm könnte ein Unglück zustoßen (TR II, 117). Und in der Tat: Sympathie ist ein Faktum, sie weitet sich ganz natürlich aus. Aber diese Ausweitung kann sich nicht behaupten, ohne anderes auszuschließen: Es wäre uns unmöglich, die Sympathie zu verdoppeln, »wofern wir dabei nicht durch einen gegenwärtigen Umstand, der uns lebhaft berührt, unterstützt würden« (TR II, 121), d.h. wir schließen die Fälle aus, bei denen ein solcher Umstand nicht gegeben ist. Ein solcher Umstand ist für die Einbildungskraft etwa der Grad bzw. das Ausmaß eines Unglücks (TR II, 123), für die menschliche Natur Kontiguität, Ähnlichkeit oder Kausalität. Die, die wir lieben, sind je nachdem Nahestehende, Verwandte oder Angehörige (TR II, 227). Kurzum, unsere naturgegebene Großmut ist begrenzt; was uns die Natur mitgibt, ist eine begrenzte Großmut (TR II, 340). Die Sympathie erstreckt sich ohne weiteres auf die Zukunft, doch nur in dem Maß, wie die Umstände ihre Ausweitung zulassen. Die Kehrseite des Allgemeininteresses, zu dem sie uns ermutigt, ist eine Parteilichkeit, eine »Ungleichheit der Zuneigung«, die sie unserer Natur als Grundzug einprägt: »sie läßt uns jede merkliche Überschreitung jenes (natürlichen) Grades von Parteilichkeit, sei es durch zu große Erweiterung oder durch zu große Einschränkung der Zuneigungen, schlecht und unsittlich erscheinen« (TR II, 232). Wir verurteilen Eltern, die Fremde ihren Kindern vorziehen. Nicht unsere Natur ist moralisch, sondern unsere Moral ist in unserer Natur. Eine der einfachsten, aber bedeutendsten Ideen Humes ist die, daß der Mensch weniger egoistisch als parteiisch ist. Den Gedanken, Eigennutz liege als letzte Triebfeder allem Handeln zugrunde, hält man oft für eine tiefe und philosophische Einsicht. Aber damit macht man es sich zu leicht. Ist nicht zu beobachten, daß »es nur wenige gibt, die nicht den größten Teil ihres Vermögens für das Vergnügen ihrer Frauen und die Erziehung ihrer Kinder ausge-

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ben, und nur den kleinsten Teil für ihren eigenen Gebrauch und ihre eigene Unterhaltung zurückbehalten.« (TR II, 230)

In Wahrheit ist der Mensch immer Angehöriger eines Clans, einer Gemeinschaft. Familie, Freundeskreis und Nachbarschaft, diese Kategorien sind bei Hume, lange bevor Tönnies in ihnen die Typen der Gemeinschaft erkannte, die natürlichen Bestimmungen der Sympathie. Und eben deshalb, weil das Wesen des Affekts, das Wesen des Einzelinteresses nicht der Egoismus, sondern die Parteilichkeit ist, kann die Sympathie ihrerseits weder über das Einzelinteresse noch über den Affekt hinausgehen. »Unser Pflichtgefühl folgt immer dem gewöhnlichen und natürlich~n Lauf unserer Affekte« (TR II, 227). Treiben wir es ruhig auf die Spitze, selbst wenn wir uns damit um die Früchte unserer Unterscheidung zwischen Egoismus und Sympathie zu bringen scheinen: Die Sympathie ist nicht weniger unsozial als der Egoismus. »Eine so edle Zuneigung macht die Menschen nicht für ausgedehnte Verbindungen geeignet, sondern steht derselben fast ebenso entgegen, wie die engherzigste Selbstsucht«. (TR II, 230, umgestellt)

Kein Mensch ist in seinen Sympathien und Zuneigungen einem anderen gleich; die Pluralität der Parteilichkeiten impliziert insofern Widerspruch und Gewalt (TR II, 337,356 f.). Darauf läuft jedenfalls unsere natürliche Verfaßtheit hinaus; auf dieser Ebene gibt es für die Menschen kein vernünftiges Miteinander. »Im übrigen hat jeder einzelne Mensch eine besondere Stellung zu anderen. Wir könnten aber gar nicht einigermaßen vernünftig miteinander verkehren, wenn jeder von uns Charaktere und Personen immer nur so betrachtete, wie sie von seinem besonderen Standpunkt aus erscheinen.« (TR II, 335)

Was will dann freilich, wenn das Mitgefühl dem Egoismus so sehr gleicht, Humes Bemerkung noch besagen, der Mensch sei nicht vom Egoismus, sondern vom Mitgefühl geleitet? Der 32

Gesellschaft mögen aus der Sympathie zwar ebensoviele Hindernisse erwachsen wie aus dem ungetrübtesten Egoismus, die Grundstruktur der Gesellschaft erscheint jedoch in einem völlig anderen Licht, je nachdem, ob man sie vom Standpunkt des Egoismus oder der Sympathie aus begreift. Egoismen müßten tatsächlich nur eine Einschränkung erfahren. Für die Sympathien gilt etwas anderes: Sie müssen integriert werden, und zwar in eine positive Totalität. Was Hume den Vertragstheorien vorwirft, ist, uns ein abstraktes und falsches Bild der Gesellschaft zu vermitteln, die Gesellschaft nur in negativer Weise zu definieren; in ihr nur einen Zwangszusammenhang zur Begrenzung von Egoismen und Interessen zu sehen, statt sie als ein positives System aus kunstvoll erfundenen Veranstaltungen zu begreifen. Deswegen ist es so wichtig, daran zu erinnern, daß der Mensch nicht von Natur aus egoistisch ist: Davon hängt für einen Begriff von Gesellschaft alles ab. Was wir in der Natur allenfalls finden, sind Familien; auch der Naturzustand ist immer schon etwas anderes als ein einfacher Naturzustand (MO, 111). Vor allen gesetzlichen Bestimmungen ist die Familie aus dem Geschlechtstrieb und der Sympathie zu erklären, aus der Sympathie der Eltern zueinander und aus der Zuneigung der Eltern für ihre Nachkommenschaft (TR II, 229). Hiervon ausgehend müssen wir das Problem der Gesellschaft zu verstehen versuchen, da diese ja in den Sympathien selbst und nicht im Egoismus auf ein Hindernis stößt. Zweifellos ist die Gesellschaft ursprünglich eine Vereinigung von Familien; aber eine Verbindung von Familien ist keine familiäre Verbindung. Zweifellos sind die Familien soziale Einheiten; doch ist diesen Einheiten eigen, sich nicht von sich aus zusammenzufügen; sie schließen sich gegenseitig aus, sie sind parteiisch, nicht partiell. Die Verwandten des einen sind immer die Fremden des anderen: Es ist die Natur selbst, in der der Widerspruch aufbricht. Das Problem der Gesellschaft ist insofern nicht das Problem der Grenzziehung, sondern das der Integration. Die Sympathien zu inte-

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grieren, heißt darauf hinzuarbeiten, daß die Sympathie ihre Widersprüchlichkeit, ihre natürliche Parteilichkeit überwindet. Diese Integration impliziert eine moralisch positive Welt und verwirklicht sich in der positiven Einrichtung einer solchen. Das heißt, die Welt der Moral läßt sich nicht auf einen moralischen Instinkt, auf die natürlichen Bestimmungen der Sympathie zurückführen. 23 Die Welt der Moral behauptet sich als wirklich, wenn sich der Widerspruch tatsächlich auflöst, wenn Verständigung möglich wird und an die Stelle der Gewalt tritt, wenn Eigentum den Neid ersetzt, wenn »wir trotz dieser Modifikationen unseres Mitgefühls denselben sittlichen Eigenschaften unseren Beifall zollen, in China wie in England.« (TR II, 334, umgestellt)

Mit einem Wort: »Das Mitgefühl ändert sich ohne eine Ä.nderung in unserer Achtung.« (TR II, 334)

Die Achtung ist das Integral der Sympathien. Das ist die Grundlage der Gerechtigkeit. Und diese Grundlage der Gerechtigkeit, die Gleichförmigkeit der Achtung, ist nicht das Ergebnis einer imaginären Reise, durch die wir uns traumverloren in ferne Zeiten und Länder versetzen, um Gestalten zu erschaffen, die wir wie Nahestehende, Gleichgestimmte und Anverwandte beurteilen: »Es ist nicht vorstellbar, wie eine wirkliche Empfindung oder Neigung jemals aus einem bewußt eingebildeten Interesse entstehen kann« (MO, 138 f.). Das moralische und soziale Problem besteht darin, von wirklichen, sich ausschließenden Sympathien zu einem wirklichen, die Sympathien einschließenden Ganzen überzugehen. Es geht darum, die Sympathie auszuweiten. Hier zeigt sich der Unterschied von Moral und Natur, oder besser: daß für die Natur und die Moral unterschiedliche

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Maßstäbe gelten. Die Wirklichkeit der Welt der Moral liegt in der Schaffung eines Ganzen, einer Gesellschaft, in der Einrichtung eines invariablen Systems; sie ist nichts Natürliches, sie ist etwas künstlich Erzeugtes. »Die Rechtsnormen können, da sie allgemein und vollständig unbeugsam sind, nicht aus der Natur hergeleitet und nicht das unmittelbare Erzeugnis irgendwelcher natürlicher Motive oder Neigungen sein« (TR II, 281, umgestellt).

Alle Elemente der Moralität (Sympathien) sind natürlich gegeben, sie sind aber nicht von sich aus in der Lage, eine Welt der Moral zu begründen. Die Parteilichkeiten und Interessen können, da sie sich ausschließen, nicht ohne weiteres eine Totalität bilden. Eine Ganzheit kann nur erfunden werden, wie auch die einzig mögliche Erfindung nur die einer Ganzheit ist. Diese Implikation macht deutlich, worin das moralische Problem im Kern besteht. Das Recht ist kein natürliches Prinzip, es ist eine Regel, ein Konstruktionsgesetz, dessen Funktion es ist, die Elemente, die Prinzipien der Natur selbst in einem Ganzen zu organisieren. Das Recht ist ein Mittel. Das moralische Problem ist das des Schematismus, das heißt des Aktes, durch den die natürlichen Interessen auf die politische, nicht naturgegebene Kategorie der Ganzheit oder Totalität bezogen werden. Die Welt der Moral ist eine künstlich errichtete Totalität, in der sich die besonderen Zwecke integrieren und zusammenfügen. Oder aber, was auf dasselbe hinausläuft, sie ist ein auf Mittelbarkeit beruhendes System, das uns befähigt, unser besonderes Interesse und das der anderen zu entwickeln und zu befriedigen. Sittlichkeit kann auch gedacht werden als ein auf seine Teile bezogenes Ganzes, als ein auf Zwecke bezogenes Mittel. Kurzum, das moralische Bewußtsein ist ein politisches Bewußtsein: Die wahre Moral ·ist die Politik, so wie der wahre Moralist der Gesetzgeber ist. Oder aber: Das moralische Bewußtsein ist eine Bestimmtheit des psychologischen 35

Bewußtseins, es ist das psychologische Bewußtsein, insoweit es ausschließlich unter dem Aspekt seines Erfindungsreichtums erfaßt wird. Das moralische Problem ist ein Problem des Ganzen und ein Problem der Mittel. Die Gesetzeswerke sind die großen Erfindungen; die wahren Erfinder sind nicht die Techniker, sondern die Gesetzgeber. Nicht Bacchus und Aeskulap, sondern Romulus und Theseus (PÖE I, 51). Ein auf gleichgerichteten Mitteln beruhendes System, ein determinierter Gesamtzusammenhang heißt eine Regel, eine Norm. Hume sagt: eine allgemeine Regel. Die Regel hat zwei Seiten: Form und Inhalt, Verständigung und Eigentum, System der guten Sitten und Sicherheit des Besitzes. In Gesellschaft sein heißt zunächst, den Versuch der Verständigung an die Stelle der Gewalt zu setzen: Das Denken eines jeden stellt sich das Denken der anderen vor. Unter welchen Bedingungen? Unter der Bedingung, daß ein jeder seine besonderen Sympathien in gewisser Weise hinter sich läßt und daß die Parteilichkeiten und Widersprüche, die sie zwischen den Menschen erzeugen, überwunden werden. Unter der Bedingung, daß die natürliche Sympathie außerhalb ihrer natürlichen Grenzen in einem künstlich erzeugten Rahmen zur Entfaltung kommt. Die Funktion der Regel ist es, einen verläßlichen gemeinsamen Standpunkt zu bestimmen, einen festen und abgeklärten Standpunkt, unabhängig von unserer gegenwärtigen Situation. »Bei der Beurteilung von Charakteren erscheint aber allen Betrachtern nur ein Interesse oder eine Lust im gleichen Lichte, nämlich das Interesse oder die Lust der Person, deren Charakter beurteilt wird, und andererseits derjenigen, die in Beziehung zu ihm stehen.« (TR II, 345)

Sicher berührt uns ein solches Interesse schwächer als unser eigenes, das unserer Nächsten, Gleichgestimmten und Anverwandten; wir werden sehen, daß es die ihm fehlende Lebendigkeit aus einer anderen Quelle schöpfen muß. Zumin36

dest hat es jedoch den praktischen Vorteil, ein allgemeines und unwandelbares Kriterium abzugeben, ein drittes Interesse, das nicht von Gesprächspartnern abhängt, einen Wert, - auch wenn das Herz keinen Anteil daran hat (TR II, 357). »Alles aber an menschlichen Handlungen, das bei der einfachen (uninteressierten) Betrachtung Unbehagen erregt, wird Unrecht genannt.« (TR II, 243)

Eine auf diese Weise aufgestellte Verpflichtung unterscheidet sich, da sie künstlich ist, wesentlich von der natürlichen Verpflichtung, vom natürlichen und besonderen Interesse, der Triebfeder jeder Handlung: Sie ist die moralische Verpflichtung oder das Pflichtbewußtsein. Das Eigentum, der Gegenpol, setzt ganz analoge Bedingungen voraus. »Ich sehe, es liegt in meinem Interesse, einen anderen im Besitz seiner Güter zu lassen, vorausgesetzt, daß er in gleicher Weise gegen mich verfährt.« (TR II, 233) Das Interesse eines Dritten ist hier ein allgemeines Interesse. Die Eigentumsgarantie ist jener künstlich erzeugte Tatbestand, aufgrund dessen sich die Handlungen eines jeden auf die Handlungen aller anderen beziehen. Mit ihr wird ein Schema etabliert, ein symbolischer Gesamtzusammenhang oder ein Ganzes. Im Eigentum erkennt Hume also ein wesentlich politisches Phänomen, das wesentliche politische Phänomen. Eigentum und Verständigung ergänzen sich, bilden die beiden Seiten einer Sozialwissenschaft.24 Das allgemeine Bewußtsein des allgemeinen Interesses muß sich kundtun, um wirksam zu werden (TR II, 233). Vernunft tritt hier als Verständigung zwischen · Eigentümern in Erscheinung. Wir sehen bereits an diesen ersten Bestimmungen, daß die Funktion der allgemeinen Regel eine doppelte ist, sie zielt zugleich auf Extension wie auf Korrektur. Sie korrigiert unsere Gefühle, indem sie uns über unsere gegenwärtige Situation hinweghilft. 25 Zugleich, ihrem Wesen gemäß, »reicht sie weiter als die Fälle, aus denen sie entsprang«. Obwohl 37

das Pflichtbewußtsein »aus der Betrachtung fremder Handlungen entstanden ist, unterlassen wir es nicht, dasselbe auch auf unsere eigenen Handlungen auszudehnen.« {TR II, 243, umgestellt) Schließlich ist die Regel das, was immer auch die Ausnahme in sich faßt; sie läfü uns mit dem anderen Sympathien empfinden, selbst wenn dieser nicht das Gefühl empfindet, das der jeweiligen Situation normalerweise entsprechen würde. »Ebenso wird jemand, den sein Unglück nicht niederdrückt, seiner Geduld wegen mehr beklagt.( ...) In dem in Rede stehenden Fall nun liegt eine Ausnahme vor. Aber die Einbildungskraft wird von der allgemeinen Regel bestimmt( ...), Es ist beim Mord ein erschwerender Umstand, wenn derselbe an schlafenden oder völlig ahnungslosen Personen verübt wird.« (TR II, 105)'"

Wir werden uns zu fragen haben, wie eine Regel zu erfinden überhaupt möglich ist. Das ist die Frage, auf die es ankommt. Wie kann man auf Mittelbarkeit beruhende Systeme bilden, wie kann man zu allgemeinen Regeln kommen? Wie lassen sich Gesamtzusammenhänge herstellen, die als Korrektive fungieren können und zugleich auf Erweiterung angelegt sind? Bereits an dieser Stelle können wir hierauf eine Antwort geben: Was wird denn genaugenommen erfunden? In seiner Theorie des künstlich Geschaffenen legt Hume ein umfassendes Konzept der Beziehungen zwischen Natur und Kultur, zwischen natürlicher Disposition und Institution vor. Zweifellos können sich die besonderen Interessen nicht auf natürliche Weise angleichen bzw. totalisieren. Andererseits verlangt die Natur gegenseitigen Ausgleich. Sonst könnte sich die allgemeine Regel niemals herausbilden, könnten Eigentum und Verständigung nicht einmal gedacht werden. Die Alternative, vor der die Sympathien stehen, ist folgende: Sie können sich entweder in einem künstlich geschaffenen Rahmen ausweiten oder aber sie zerstören sich durch ihre Widersprüchlichkeit. Die Alternative, vor der die

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Affekte stehen: Sie können künstlich, auf Umwegen befriedigt oder sie können gewaltsam unterdrückt werden. Bentham wird später noch genauer zeigen, daß das Bedürfnis zwar natürlich ist, daß Bedürfnisbefriedigung, jedenfalls Bedürfnisbefriedigung von einer gewissen Konstanz, jedoch nur auf künstlichem, industriellem und kulturellem Wege zu haben ist (TR II, 227 f.). Der Interessensausgleich ist somit etwas Künstliches, freilich in dem Sinn, daß mit ihm die -natürlichen Hindernisse beseitigt werden, die der natürlichen Angleichung derselben Interessen entgegenstehen. Mit anderen Worten, die Bedeutung des Rechts ist ausschließlich topologischer Natur. Der künstlich geschaffene Rahmen setzt und erfindet nichts anderes, kein anderes Prinzip als die Sympathie. Prinzipien lassen sich nicht erfinden. Was der Sympathie und dem Affekt durch den künstlichen Rahmen garantiert wird, ist eine Ausdehnung, durch die sie sich, frei von ihren natürlichen Begrenzungen, betätigen und natürlich entfalten können (TR II, 236, 373 f.). Die Affekte werden durch den Rechtssinn nicht begrenzt, sondern erweitert und ausgedehnt. Der Rechtssinn besteht in der Verlängerung von Affekt und Interesse, die lediglich als parteiliche Bewegungen negiert und niedergehalten werden. In diesem Sinn ist die Ausdehnung in sich eine Korrektur, eine Reflexion. »Es gibt also keinen Affekt, der fähig ist, die eigennützige Neigung im Zaum zu halten, außer dieser Neigung selbst, wenn man ihr nämlich eine neue Richtung gibt. Diese Richtungsänderung muß aber bei geringstem Nachdenken notwendig eintreten« (TR II, 236).

Man muß sich klarmachen, daß das Recht keine Reflexion über das Interesse ist, sondern eine Reflexion, eine Widerspiegelung des Interesses, ein Affekt, der gewissermaßen ins Geistige umgeschlagen ist. Die Reflexion ist ein operativer Vorgang der natürlichen Disposition, die sich selbst unterdrückt. »Die Abhilfe entspringt also nicht aus der Natur, sondern wird durch das künstlich Geschaffene hervorgebracht, oder, richtiger

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gesagt, die Natur sorgt für Abhilfe, indem sie uns das Unregelmäßige und U nzwcckmäßige in unseren Zuneigungen beurteilen und verstehen läßt«. (TR II, 232, verändert) 27

Die Reflexion der natürlichen Disposition ist die Bewegung, durch die sich die praktische Vernunft herausbildet, die Vernunft ist nur ein bestimmtes Moment der Affektionen des Geistes, eine ruhige, oder besser ruhiggestellte Affektion, »begründet auf die Betrachtung und Überlegung aus der Ferne«. Die wahre Dualität ist bei Hume nicht die zwischen Affektion und Vernunft, zwischen Natur und künstlich Geschaffenem, sondern die zwischen dem Gesamtzusammenhang der Natur, der das künstlich Geschaffene umfaßt, und dem Geist, den dieser Gesamtzusammenhang affiziert und determiniert. Daß der Rechtssinn sich nicht auf einen Instinkt zurückführen läßt, auf eine natürliche Verpflichtung, ändert nichts daran, daß ein moralischer Instinkt, eine natürliche Verpflichtung existiert, insbesondere eine natürliche Verpflichtung dem Recht gegenüber, sobald dieses sich herausgebildet hat. 28Daß die Achtung sich nicht ändert, wo sich die Sympathie ändert, daß ihr kein Abbruch geschieht, wenn die Großmut an ihre natürlichen Grenzen stößt, ändert nichts daran, daß das natürliche Mitgefühl oder die endliche Großmut die notwendige Voraussetzung und das einzige Grundelement der Achtung ist: Man empfindet Achtung aus Mitgefühl (TR II, 337). Daß die Rechtsordnung teilweise in der Lage ist, unsere Affekte zu bezwingen, bedeutet nicht, daß sie ein anderes Ziel verfolgen würde als ihre Befriedigung,29 einen anderen Ursprung hätte als ihre Determinierung:30Sie befriedigt sie lediglich indirekt. Das Recht ist kein natürliches Prinzip, es ist etwas künstlich Geschaffenes. Doch insofern die Menschheit eine erfinderische Gattung ist, ist sogar noch das künstlich Geschaffene Teil der Natur, ist die Sicherheit des Besitzes ein Naturgesetz." Wie Bergson sagen würde: Nicht die Gewohnheiten sind naturgegeben, 40

naturgegeben ist die Gewohnheit, Gewohnheiten anzunehmen. Die Natur erreicht ihre Ziele nur mittels der Kultur, die natürliche Disposition erlangt ihre Befriedigung nur mittels der Institution. In diesem Sinn ist die Geschichte ein Teil der menschlichen Natur. Umgekehrt gilt die Natur als Residuum der Geschichte; 32 sie ist das, wofür die Geschichte keine Erklärung hat, was sich nicht definieren läßt, was zu beschreiben auch ganz unnütz ist; sie ist das, was den unterschiedlichsten Arten, eine natürliche Disposition zu befriedigen, gemeinsam ist. Natur und Kultur bilden somit ein Ganzes, einen Komplex. Daher lehnt Hume sowohl die Thesen ab, die alles, einschließlich des Rechtssinns, vom Instinkt abhängig machen (TR II, 373 ), als auch die, die alles, einschließlich des Sittlichkeitsempfindens, der Politik und der Erziehung anlasten (TR II, 244). Die einen bieten uns, indem sie die Kultur unterschlagen, ein falsches Bild der Natur, die anderen verzerren, indem sie die Natur unterschätzen, die Kultur. Hume zentriert seine Kritik dabei insbesondere auf die Theorie des Egoismus (MO, Anhang II). Diese kann nicht einmal als eine Psychologie der menschlichen Natur Geltung beanspruchen, vernachlässigt sie doch das nicht weniger menschliche Phänomen der Sympathie. Versteht man unter Egoismus, daß jede Neigung auf Befriedigung aus ist, so bringt man lediglich das Identitätsprinzip A=A, das formale und inhaltsleere Prinzip einer Logik des Menschen, zumal eines ungebildeten, abstrakten, geschichts- und diff erenzlosen Menschen in Anschlag. Konkret kann Egoismus nur bedeuten, daß der Mensch bestimmte Mittel - im Gegensatz zu anderen, ebenfalls möglichen Mitteln - organisiert, um seinen Neigungen Befriedigung zu verschaffen. Damit ist dem Egoismus seine Stelle zugewiesen, die so bedeutend nicht ist. Erst von hier aus läßt sich der Sinn der politischen Ökonomie Humes erfassen. So wie er in die Natur eine Dimension der Sympathie einführt, so fügt Hume dem Interesse viele 41

andere, häufig widersprüchliche Motive hinzu (Verschwendung, Unwissenheit, Vererbung, Sitte, Gewohnheit, »Geist des Neides und der Tätigkeit, des Luxus und des Überflusses«). Niemals läßt sich die natürliche Disposition von den Mitteln ablösen, die organisiert werden, um sie zufriedenzustellen. Nichts steht Humes Position ferner als die Theorie des homo oeconomicus. Die Geschichte als wahre Wissenschaft der menschlichen Antriebe muß gegen den doppelten Irrtum einer abstrakten Ökonomie und einer verfälschten Natur Einspruch erheben. Hume konstruiert mithin einen sehr starken Begriff von Gesellschaft. Er formuliert eine Kritik der Vertragstheorie, die nicht nur die Utilitaristen, sondern auch die meist auf der Seite der Naturrechtsgegner stehenden Juristen nur aufzugreifen brauchen. Grundidee ist, daß sich Gesellschaftlichkeit nicht dem Gesetz, sondern der Institution verdankt. Das Gesetz stellt in der Tat eine Begrenzung der Unternehmungen und Handlungen dar und fixiert nur einen negativen Aspekt des Gesellschaftlichen. Der Fehler der Vertragstheorien ist der, uns eine Gesellschaft vorzuführen, die auf dem Gesetz beruht und kein anderes Ziel verfolgt, als gewisse im voraus existierende Naturrechte zu garantieren. Sie kennt keinen anderen Ursprung als den Vertrag: Das Positive liegt außerhalb eines Sozialen, welches seinerseits im Negativen, in der Begrenzung, in der Entfremdung liegt. Die ganze Kritik, die Hume am Naturzustand, am Naturrecht und am Vertrag übt, läuft auf den Nachweis hinaus, daß man das Problem anders herum anpacken muß. Das Gesetz kann nicht von sich aus Quelle der Verpflichtung sein, denn die im Gesetz artikulierte Pflicht setzt einen Nutzen voraus. Die Gesellschaft kann nicht im voraus existierende Rechte garantieren. Es zeigt sich sehr deutlich, wie in der von Hume vorlegten Theorie des Versprechens der Nutzen zu einem Prinzip wird, das zum Vertrag in Widerspruch steht (TR II,

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262 f.). Worin liegt der grundsätzliche Unterschied? Der Nutzen kommt aus der Institution. Die Institution setzt keine Grenzen wie das Gesetz, sondern ist im Gegenteil ein Handlungsmodell, eine regelrechte Unternehmung, ein erfundenes, auf positiven Mitteln beruhendes System, eine positive, auf indirekt wirkenden Mitteln aufbauende Erfindung. Tatsächlich kehrt diese Konzeption des Institutionellen das Problem um: Was außerhalb des Sozialen liegt, ist das Negative, der Mangel, das Bedürfnis. Das Soziale selbst ist schöpferisch, erfinderisch, positiv. Der Begriff der Konvention behält bei Hume gleichwohl eine große Bedeutung. Konvention ist jedoch nicht dasselbe wie Vertrag. Die Konvention zur Grundlage der Institution zu machen, bedeutet nur, daß jenes auf Mittelbarkeit beruhende System, das die Institution darstellt, ein indirektes, umwegiges, erfundenes, mit einem Wort, ein kulturelles System ist. »In ähnlicher Weise entstehen auch allmählich durch menschliche Übereinkunft, ohne Versprechungen, die Sprachen.« (TR II, 234)

Die Gesellschaft ist ein auf Nützlichkeitserwägungen beruhendes Gebilde aus Übereinkünften, nicht ein auf einem Vertrag beruhender Zwangszusammenhang aus Verpflichtungen. Das Gesetz ist somit sozial nicht primär; es setzt eine Institution voraus, die es begrenzt; ebenso ist der Gesetzgeber nicht derjenige, der Gesetze erläßt, sondern zunächst derjenige, der Institutionen gründet. Das Problem der Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft ist dadurch auf den Kopf gestellt: es geht nicht mehr um die Beziehungen zwischen den Rechten und dem Gesetz, sondern um die zwischen den Bedürfnissen und den Institutionen. Diese Vorstellung macht sowohl eine ganz andere Auffassung des Rechts als auch eine neue Sicht der Wissenschaft vom Menschen, nunmehr verstanden als eine Psycho-Soziologie, unumgänglich. Die Nützlichkeit, das Verhältnis der Institution zum Bedürfnis, ist somit ein fruchtbarer Grundsatz: Was 43

Hume eine allgemeine Regel nennt, ist eine Institution. Indes, wenn es auch zutrifft, daß die allgemeine Regel ein positives und funktionales System darstellt, dessen Prinzip in der Nützlichkeit liegt, so muß es sich doch erst noch zeigen, wie das Band beschaffen ist, durch das sie mit diesem Prinzip verbunden ist. »Man bedenke, daß, durch das Interesse mit diesem Interesse weicht, was wir bei 240 f., umgestellt)

obgleich die Normen der Rechtsordnung nur ins Dasein gerufen sind, ihr Zusammenhang einigermaßen eigenartig ist und von dem abanderen Gelegenheiten beobachten.« (TR II,

Natur und Gesellschaft bilden einen unauflöslichen Komplex, gleichwohl sollten wir nicht vergessen, daß man letztere nicht auf erstere zurückführen kann. Daß der Mensch eine erfinderische Gattung ist, ändert nichts daran, daß die Erfindungen Erfindungen sind. Mitunter wird dem Utilitarismus eine sogenannte »funktionalistische« These zugeschrieben, der zufolge die Gesellschaft sich aus der Nützlichkeit, der Institution, der natürlichen Disposition oder dem Bedürfnis ableiten läßt. Mag sein, daß diese These einmal vertreten wurde; mit Sicherheit aber nicht von Hume. Daß eine natürliche Disposition in einer Institution ihre Befriedigung findet, ist eine Tatsache. Wir sprechen hier von im eigentlichen Sinne sozialen Institutionen, nicht von staatlichen Institutionen. In der Ehe befriedigt sich der Geschlechtstrieb; im Eigentum der Geiz. Die Institution, ein Handlungsmodell, ist ein präfiguriertes System möglicher Befriedigung. Freilich kann man daraus nicht schließen, daß sich die Institution durch die natürliche Disposition erklären läßt. Ein auf Mittelbarkeit beruhendes System, sagt Hume, aber diese Mittel sind umwegig, indirekt; sie befriedigen die Neigung nicht, ohne sie zugleich zu zügeln. Nehmen wir eine Form der Ehe, eine Ordnung des Eigentums. Warum diese Ordnung, warum jene Form? Tausend andere

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sind möglich, die in anderen Epochen, in anderen Ländern Brauch sind. Das ist eben der Unterschied zwischen Instinkt und Institution: Institutionen treten dort auf, wo die Mittel, durch die eine Neigung ihre Befriedigung findet, weder durch die natürliche Disposition noch durch spezifische Merkmale bestimmt sind. »Auch stehen die Worte 'Erbschaft' und 'Vertrag' für unendlich komplizierte Begriffe; um sie genau zu definieren, haben sich selbst hundert Gesetzbücher und tausend Kommentarbände als nicht ausreichend erwiesen. Sollte die Natur, deren Instinkte beim Menschen alle einfach sind, so komplizierte und künstliche Dinge einschließen und ein rationales Wesen schaffen, ohne der Tätigkeit seines Verstandes irgend etwas zuzutrauen?( ...) Alle Vögel derselben Gattung bauen ihre Nester zu allen Zeiten und in allen Ländern auf die gleiche Weise; darin sehen wir die Macht des Instinktes. Menschen bauen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten ihre Häuser verschieden; darin erkennen wir den Einfluß des Verstandes und der Gewohnheit. Ein ähnlicher Schluß läßt sich ziehen, wenn wir den Fortpflanzungstrieb mit der Institution des Eigentums vergleichen.« (MO 123 f.)

Wenn die Natur das Prinzip der Ähnlichkeit und der Einheitlichkeit ist, ist die Geschichte der Ort der Unterschiede. Die natürliche Disposition ist allgemein, sie erklärt nicht das Besondere, auch wenn sie in diesem Besonderen die Form ihrer Befriedigung findet. »Die Regel, daß es Sicherheit des Besitzes geben müsse, ist nicht nur nützlich, sondern sogar absolut nötig für die menschliche Gesellschaft. Aber sie hat keinen praktischen Wert, solange sie so allgemein ausgedrückt bleibt.« (TR II, 245 f.)

Kurzum, der Nutzen erklärt nicht die Institution: weder der private Nutzen, da die Institution ihn zügelt, noch der allgemeine Nutzen, weil dieser bereits eine ganze institutionelle Welt voraussetzt, die er selbst nicht hervorbringen kann, mit der er lediglich verbunden ist (TR II, 223). Was erklärt dann die Institution in ihrem Wesen, in ihrem besonderen Cha-

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rakter? Hume hat uns eben auseinandergesetzt: Es ist die Vernunft und die Gewöhnung. An einer anderen Stelle sagt er: Es ist die Einbildungskraft, »oder die oberflächlicheren Eigenschaften unseres Denkens und Vorstellens« {TR II, 248, Anm.).

Genügt es zum Beispiel (oder etwa nicht), um Eigentümer einer verlassenen Stadt zu werden, seinen Speer gegen das Tor zu rammen (TR II, 252)? Indem man sich einfach auf natürliche Dispositionen und Bedürfnisse beruft, wird man keine Antwort auf diese Frage finden; man kommt nicht darum herum, das Verhältnis von natürlicher Disposition, Umständen und Einbildungskraft näher zu untersuchen. Und der Speer gehört zu den Umständen ... »Ist aber das Eigentum zweier Personen so vereinigt, daß es weder Teilung noch Trennung zuläßt,{ ...) so muß das Ganze{ ... ) dem Besitzer des bedeutenderen Teiles gehören{ ...) Die einzige Schwierigkeit besteht in einem solchen Falle darin, zu entscheiden, welches der bedeutendere, die Einbildungskraft am meisten anziehende Teil ist. {...) Die Oberfläche, so sagt das Zivilrecht, folgt dem Grund und Boden, die Schrift dem Papier, die Leinwand der Malerei. Diese Bestimmungen stimmen nicht recht überein und sind ein Beweis für die Gegensätzlichkeit der Voraussetzungen, aus denen sie hergeleitet wurden.« (TR II, 258, Anm., umgestellt)

Es ist keine Frage: Die Gesetze der Assoziation, die dieses Spiel der Einbildungskraft regeln, also das Prinzip der Vernunft und das Vorrecht der Phantasie, sind zugleich höchst oberflächlich und höchst ernst. Doch im Augenblick brauchen wir uns mit diesem Problem nicht zu beschäftigen. Wir wollen nur dies eine andeuten: Wodurch sich die Institution erklären läßt, ist nicht die natürliche Disposition und Neigung, sondern die Reflexion, die Widerspiegelung der Neigung in der Einbildungskraft. Man macht es sich oft zu leicht mit der Kritik der Assoziationslehre; nur allzu gern wird vergessen, daß die Ethnographie uns mit ihr wieder

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konfrontiert und daß man, wie Bergson des weiteren sagt, »bei den Primitiven viele Verbote und Vorschriften antrifft, die sich durch unbestimmte Gedankenassoziationen erklären«. Das trifft nicht nur für die Primitiven zu. Assoziationen sind zwar unbestimmt, aber nur insofern, als sie besondere sind und sich nach den Umständen richten. Die Einbildungskraft zeichnet sich durch die Hervorbringung äußerst unterschiedlicher Modelle aus: So werden die Institutionen von den Figuren bestimmt, die die Neigungen den Umständen entsprechend zeichnen, wenn sie sich in der Einbildungskraft reflektieren - in einer den Prinzipien der Assoziation unterworfenen Einbildungskraft. Dies bedeutet nicht, daß die Einbildungskraft ihrem Wesen nach aktiv ist, sondern nur daß sie nachklingt, daß sie nachhallt. Die Institution ist das Figurierte. Definiert Hume das Gefühl, weist er ihm eine doppelte Funktion zu: Das Gefühl setzt Ziele und reagiert auf Ganzheiten. Doch diese zwei Funktionen sind im Grunde nur eine: Ein Gefühl tritt dann auf, wenn die Ziele der Neigung zugleich Ganzheiten sind, auf die eine Sensibilität reagiert. Wie bilden sich diese Ganzheiten? Sie bilden sich, wenn die Neigung und ihre Ziele sich im Geist reflektieren. Da der Mensch keine Instinkte hat, da er durch den Instinkt nicht der Aktualität einer reinen Gegenwart verhaftet ist, hat er die formgebende Macht seiner Einbildungskraft entwickelt, hat er seine Neigungen in ein unmittelbares und direktes Verhältnis zur Einbildungskraft gesetzt. Somit vollzieht sich die Befriedigung der Neigungen beim Menschen nicht nach Maßgabe der Neigung selbst, sondern nach Maßgabe der reflektierten Neigung. Hierin liegt die Bedeutung der Institution, liegt ihr Unterschied zum Instinkt. Wir können somit den Schluß ziehen: Natur und Kultur, natürliche Disposition und Institution fallen zusammen, sofern sich die eine in der anderen befriedigt, sie fallen auseinander, sofern letztere sich nicht durch erstere erklärt. 47

Wenn wir das auf diese Weise definierte Problem des Rechts berühren, sind Begriffe wie Schema und Totalität um so mehr gerechtfertigt, als die allgemeine Regel niemals besondere Personen anzeigt; sie nennt keine Eigentümer. »Die Rechtsordnung sieht bei ihren Entscheidungen niemals darauf, ob bestimmte Gegenstände für bestimmte Personen geeignet oder ungeeignet sind.( ...) So geschieht\es, daß die allgemeine Regel: Der Besitz muß gesichert sein, nicht i~ Gestalt einzelner Urteile, sondern in Form allgemeiner Sätze aufgestellt wird, die sich auf die ganze Gesellschaft erstrecken, und weder durch Groll noch durch Gunst aufgehoben werden.« (TR II, 246,307 f.)

Wir haben gesehen, daß die Regel aufgrund von Interessen und Nützlichkeitkeitserwägungen aufgestellt und durch die Einbildungskraft bestimmt wird. Insofern bestimmt nicht sie reale Personen, sondern sie selbst wird bestimmt und modifiziert, indem ihr genau festgelegte Situationen und eventuell eintretende Umstände zugeordnet werden. So kommt es, daß die Sicherheit des Besitzes von verschiedenen Einzelrechten garantiert wird: durch unmittelbaren Besitz, Besitzergreifung, Verjährung, Zuwachs und Erbfolge. Wie aber kann die Unangemessenheit zwischen der wirklichen Person und der Situation, in die sie möglicherweise gerät, korrigiert werden? Diese Unangemessenheit kann selbst als ein Umstand, eine Situation angesehen werden. So wird etwa die Mobilität der Menschen geregelt durch die zugesagte Übertragung, wenn der Gegenstand, auf den sich die Übertragung bezieht, gegenwärtig oder individuell ist, und durch das Versprechen, wenn der Gegenstand entfernt oder allgemein ist (TR II, 267 f.).33 Wir müssen also drei gleichzeitig existierende Dimensionen der allgemeinen Regel unterscheiden: ihre Aufstellung, ihre Bestimmtheit, ihre Korrektur. Es bleibt eine Schwierigkeit: Die Sympathie hat durch die allgemeinen Regeln zwar die Beständigkeit, die Distanz und 48

die Gleichförmigkeit des wahren moralischen Urteils erworben, was sie dadurch an Ausdehnung gewonnen hat, hat sie jedoch an Lebendigkeit verloren. »Die Folgen des Verstoßes gegen die Rechtsordnung scheinen sehr fern zu liegen und scheinen darum einen unmittelbaren Vorteil, der aus demselben gewonnen werden kann, nicht aufzuwiegen.« (TR II, 284f., 287f.)

Es geht nicht mehr - wie eben noch - darum, die Regel näher zu bestimmen, sondern ihr die fehlende Lebendigkeit zu vermitteln. Es geht nicht mehr darum, die Rechtsordnung auszudifferenzieren, sondern darum, sie zu unterstützen, sie mit Leben zu erfüllen (TR II, 294 ). Mit Hilfe der Einbildungskraft alle möglichen, in den Geltungsbereich der Rechtsordnung fallenden Situationen aufzulisten, war unzureichende Hilfskonstruktion; nun muß aus diesem tungsanspruch eine wirkliche Beziehung zu den Dingen werden. Es muß das Kunststück vollbracht werden, aus dem Nächsten den Fernsten und aus dem Fernsten den Nächsten zu machen. »(Die Menschen) können ihre Naturen nicht ändern. Sie können nur ihre Beziehungen zu den Dingen ändern, indem sie Einhaltung der Rechtsnormen zum unmittelbaren, ihre Verletzung zum entfernteren Interesse bestimmter Personen machen.« (TR II, 287)

Man begegnet hier wieder dem Prinzip, das jeder ernstzunehmenden politischen Philosophie zugrundeliegt. Die wahre Moral richtet sich nicht an die Kinder in der Familie, sondern an die Erwachsenen im Staat. Sie besteht nicht darin, die Natur des Menschen zu ändern, sondern darin, solche objektiven künstlichen Bedingungen herzustellen und zu erfinden, daß die negativen Aspekte dieser Natur nicht überhandnehmen. Diese Erfindung ist für Hume wie für das ganze 18. Jahrhundert eine politische und nur eine politische. Die Regierenden, »zufrieden mit ihrem gegenwärtigen Zustand im Staat«, erfassen das allgemeine Interesse unter 49

dem Aspekt des Unmittelbaren, begreifen das Recht als das wertvollste Gut, das sie haben; für sie ist der Fernste zum Nächsten geworden. Umgekehrt sehen die Regierten den Nächsten zum Fernsten werden, da sie »sich( ...) selbst( ...) die Macht nehmen, die Gesetze der Gesellschaft zu übertreten« (TR II, 306, umgestellt). Regierung und Eigentum stehen zueinander ungefähr im selben Verhältnis wie Glaube und Abstraktion; im zweiten Fall handelt es sich darum, Rollen zu verteilen, im ersten Fall darum, Lebendigkeit zu vermitteln. Daher vervollständigt die Untertanentreue die Liste der allgemeinen Regeln. Auch auf dieser Ebene stößt die Vertragstheorie auf Kritik. Es ist ausgeschlossen, die Regierung auf Versprechungen zu gründen, da Versprechungen Funktionen der Rechtsordnung sind, die ihrerseits ohne Untertanentreue keinen Bestand hat. Recht und Regierung haben die gleiche Quelle, »sind erfunden, um ähnlichen Übelständen abzuhelfen«. Nur daß die eine eine Ausdehnung erfindet, die andere eine Lebendigkeit. Die rechtliche Verbindlichkeit des Gesetzes, daß Versprechungen einzuhalten sind, ist gerade dadurch, wenn auch auf einer anderen Ebene, ein Effekt der Institution der Regierung, und nicht deren Ursache (TR II, 296 ff.). Die Unterstützung der Rechtsordnung ist mithin von deren Bestimmtheit unabhängig, sie ist ein zusätzlicher Faktor. Das ist jedoch nur ein Grund mehr, daß sie ihrerseits eigens bestimmt und im einzelnen ausgeführt werden muß. Auch bleibt es ihr, wie jeder Bestimmtheit, nicht erspart, eine sie selbst betreffende Unangemessenheit beseitigen zu müssen, d.h. sich selbst zu korrigieren. Die Bestimmungen der Souveränität sind dauerhafter Besitz, Zuwachs, Besitzergreifung und Erbfolge. Die Korrektur der Souveränität besteht, in seltenen und genau umgrenzten Fällen, in einem gewissen Recht auf Widerstand, in der Legitimität der Revolution. Es bleibt festzuhalten, daß die erlaubten Revolutionen keine politischen sind: In der Tat ist das Hauptproblem des Staates kein Repräsen50

tationsproblem, sondern ein Glaubensproblem. Der Staat hat nach Hume nicht das allgemeine Interesse zu repräsentieren, sondern aus dem allgemeinen Interesse einen Gegenstand des Glaubens zu machen, indem er ihm, und wäre es nur durch sein Sanktionspotential, jene Lebendigkeit verleiht, die allein das besondere Interesse für uns auf natürliche Weise besitzt. Wenn die Regierenden, statt ihr Verhältnis zu den Dingen zu ändern, statt ein unmittelbares Interesse an der Verwirklichung der Rechtsordnung zu gewinnen, die Verwirklichung einer falschen Rechtsordnung auf der Grundlage ihrer eigenen unmittelbar gebliebenen Affekte betreiben, dann und nur dann ist der Widerstand im Namen einer allgemeinen Regel legitim (TR II, 301 ff.). An dem Punkt, an dem wir uns befinden, hat eine erste Serie von Regeln dem Interesse eine über den eigentlichen Anlaß hinausgehende Ausdehnung verschafft, eine Allgemeinheit, die es von sich aus nicht besaß: In dieser Bewegung ist der Besitz Eigentum geworden, ist die Sicherheit des Besitzes entstanden. Eine zweite Serie von Regeln hat diesem allgemeinen Interesse eine Präsenz verliehen, eine Lebendigkeit, die es ebenfalls von sich aus nicht hatte. Doch die Hindernisse, die die Gesellschaft überwinden mußte, erschöpften sich nicht im unsicheren Besitz der Güter, im abstrakten Charakter des allgemeinen Interesses. Hinzu kam die Knappheit der Güter (TR II, 231 ). Und die Sicherheit, weit davon entfernt, dieses Hindernis zu beseitigen, verschärfte zuletzt sogar die Knappheit der Güter, indem sie das Eigentum unter Bedingungen stellte, durch die die Bildung großer Besitztümer begünstigt wurden. Hume vertritt häufig die Vorstellung, daß das Eigentum durch eine innere Dialektik Ungleichheit erzeugt und entwickelt (MO, 114; PÖE II, 221 ). Es bedarf somit einer dritten Serie, die zugleich die Ungleichheit und die Begrenztheit abstellt. Diese Regeln sind der Gegenstand der politischen Ökonomie. Zur Sicherheit des Besitzes und zur Un-

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tertanentreue der Regierung gegenüber gesellt sich zuletzt die Prosperität des Handels; dieser »vermehrt den Fleiß, indem er ihn schnell von einem Mitglied des Staates zum anderen trägt und nichts davon verschwinden oder ungenutzt bleiben läßt« (PÖE II, 225). Wir geben lediglich das Hauptthema von Humes Ökonomie an. Nicht anders als die beiden vorhergehenden Serien von Regeln wird die Prosperität des Handels bestimmt und korrigiert. Seine Bestimmungen Geldzirkulation, Kapital, Außenhandel zeigen uns seine Beziehung zum Eigentum an. Die Korrekturen werden uns eher seine Beziehung zum Staat aufzeigen, eine akzidentelle Beziehung, die äußerlich ist. Der Handel setzt das Eigentum voraus, impliziert ein im voraus existierendes Eigentum: Ökonomisch steht an erster Stelle die Grundrente. Die Bedeutung des Handels im allgemeinen liegt darin, für den Grundbesitz, der ein politisches Phänomen ist, ein ökonomisches Gleichgewicht sicherzustellen, das er von sich aus nicht besitzt. Der Zinssatz ist ein prägnantes Beispiel. Von sich aus stellt »in zivilisierten und bevölkerungsreichen Nationen« das Eigentum eine Klasse von Eigentümern einer Klasse von Bauern gegenüber, die einen schaffen »eine große Nachfrage nach Darlehen«, die anderen verfügen nur über »geringe Reichtümer, um diese Nachfrage zu befriedigen«. Es ist die Zunahme von Gewerbe und Handel, die diesen Widerspruch - viele Darlehenswünsche, geringe Reichtümer - überwindet, indem sie ein »Finanzinteresse« entstehen läßt: »Dies schafft eine Reihe von Verleihern und senkt den Zinssatz« (PÖE II, 222). Die Beziehung zwischen Handel und Staat hat man prinzipiell verstanden, sowie man sich klarmacht, daß durch die Prosperität des Handels ein Arbeitskapital angehäuft wird, das den Wohlstand und das Glück der Untertanen ausmacht, das der Staat jedoch bei Bedarf immer einfordern, für sich reklamieren kann. 52

»Es ist gewaltsam und in den meisten Fällen undurchführbar, wenn man einen Landarbeiter zu großer Anstrengung zwingen wollte, damit er aus dem Boden mehr erntet, als er für den eigenen Unterhalt und den seiner Familie braucht. Stellt Waren und Bequemlichkeiten bereit, und er wird es von allein tun. Danach wird man ohne Schwierigkeiten einen Teil seiner überschüssigen Arbeit beanspruchen und ohne den erhofften Gewinn im Dienst der Öffentlichkeit einsetzen können.« (PÖE II, 184) Der unmethodische und regellose Staat agiert roh und gewaltsam; seine Handlungen resultieren aus wiederholten Zufallsentscheidungen, denen seine Untertanen ausgeliefert sind und die der menschlichen Naturwiedersprechen. Im methodischen Staat entsteht dagegen eine ganze Theorie des Zufalls, der Gegenstand korrigierender Regeln ist: Ein solcher Staat verlegt die mögliche Bestätigung seiner Macht in den Handel und eröffnet damit seinen Untertanen die Möglichkeit einer tatsächlichen Prosperität, beides in Übereinstimmung mit der Natur. Es ist häufig bemerkt worden, daß bei Hume und den Utilitaristen das ökonomische und das politische Denken stark voneinander abweichen. In seinem Buch über den Utilitarismus unterscheidet Halevy" drei Strömungen: in der Moral die natürliche Verschmelzung der Interessen (Sympathie); in der Politik den künstlichen Ausgleich der Interessen; in der Ökonomie die mechanische Angleichung der Interessen. Wir haben gesehen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen: Es handelt sich nicht um drei »Strömungen«. Halten wir zuletzt fest, daß die Mechanik der Ökonomie nicht weniger künstlich ist als der künstliche Rahmen der Gesetzgebung: Der Handel ist nicht weniger eine Institution als das Eigentum; ja, er setzt es voraus. Doch die Ökonomie braucht, so erklärt man uns, weder einen Gesetzgeber noch einen Staat. Und ohne Zweifel ist es ein unübersehbares Merkmal jener Periode des Frühkapitalismus, nicht

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erkannt, nur in Ausnahmefällen geahnt zu haben, daß das Interesse der Grundbesitzer, der Kapitalisten und insbesondere das der Arbeiter nicht ein und dasselbe ist. Das Prinzip dieser, in anderer Hinsicht so konkreten Konzeption muß in einer Vorstellung gesucht werden, die bei Hume häufig auftaucht. Beim Eigentum haben wir es mit einem Quantitätsproblem zu tun, so sagt man uns: Die Güter sind knapp, und sie sind unsicher, weil sie knapp sind. Das ist der Grund, weswegen das Eigentum nach einem Gesetzgeber und einem Staat ruft. Im Gegensatz dazu geht von der Geldmenge, egal ob Geld im Überfluß vorhanden oder knapp ist, keine Wirkung aus: Das Geld ist der Gegenstand einer Mechanik. Man kann sagen, daß das wesentliche und beinahe einzige Thema der ökonomischen Essays Humes im Nachweis besteht, daß die Wirkungen, die man gemeinhin der Geldmenge zuschreibt, in Wirklichkeit von anderen Ursachen abhängen. Das ist der konkrete Kern dieser Ökonomie: die Vorstellung, daß das ökonomische Handeln eine qualitative Motivation impliziert. Hume, empfänglich für den Unterschied zwischen Handel und Eigentum unter dem Gesichtspunkt der Menge, schließt daraus jedoch, daß sich die quantitative Übereinstimmung der ökonomischen Aktivitäten in einer Gesellschaft mechanisch herstellt, ganz im Gegensatz zu dem, was für das Eigentum gilt. Vor diesem Hintergrund läßt sich eine Tabelle der allgemeinen Regeln oder der moralischen Kategorien auf stellen:

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Die Rechtsordnung

Die Regierung

Der Handel

Ergänzung der allgeInhalt der allgemei- Unterstützung der meinen Regel: Prosnen Regel: Sicherheit allgemeinen Regel: Untertanentreue ge- perität des Handels des Besitzes genüber der Regierung Bestimmung der all- Bestimmung der Un- Bestimmung der Ergemeinen Regel terstützung: dauergänzung: Geldumdurch allgemeine hafter Besitz, Zulauf, Kapital usw. Regeln: unmittelba- wachs usw. rer Besitz, Besitzergreifung usw. Korrektur der voran- Korrektur: Widergegangenen Bestim- stand mung durch allgemeine Regeln: Versprechen, Übertragung

Korrektur: Steuern, Staatsdienst usw.

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3. Die Macht der Einbildungskraft über Moral und Erkenntnis

Zunächst erklärt uns Hume, die allgemeine Regel sei im wesentlichen die Einheit einer Reflexion und einer Extension. Beide sind in der Tat identisch: Der Affekt greift über sich hinaus, weil er sich reflektiert; das ist das Prinzip, das der Aufstellung der Regel zugrundeliegt. Dann aber sagt uns Hume, daß zwei Arten von Regeln unterschieden werden müssen, die miteinander nicht identisch sind: solche, die determinieren und solche, die korrigieren. Die ersteren zielen stärker auf Extension als auf Reflexion: »Es gibt ein Gesetz der menschlichen Natur, (...) nämlich das Gesetz, daß die Menschen in hohem Grade durch allgemeine Regeln sich bestimmen lassen, daß wir unsere Grundsätze häufig festhalten über die Gründe hinaus, die uns zuerst veranlaßten, sie aufzustellen. Wenn sich Fälle in vielen Umständen gleichen, so sind wir geneigt, sie unter denselben Gesichtspunkt zu stellen, ohne zu sehen, daß sie zugleich in den wesentlichsten Umständen verschieden sind.« (TR II, 303) Das Eigentümliche dieser Regeln ist es, ihren Geltungsbereich über die Umstände hinaus auszudehnen, aus denen sie entstanden sind. Sie kennen weder eine Ausnahme noch bekommen sie das Akzidentelle zu fassen, das sie mit dem Allgemeinen bzw. dem Wesentlichen auf eine Stufe stellen: Das ist der Nachteil der Kultur. Die zweiten, die korrigierenden Regeln hingegen zielen stärker auf Reflexion als auf Extension. Sie korrigieren 56

genau den Geltungsbereich der ersteren. Statt das Akzidentelle mit dem Allgemeinen zu vermengen, geben sie sich als allgemeine Regeln zu erkennen, die sich auf das Zufällige bzw. die Ausnahme beziehen. » Wir pflegen allgemeine Regeln zu bilden, mit denen wir über das Fundament hinausgehen, auf das sie sich gründen. Und wir lassen von solchen Regeln nicht leicht eine Ausnahme zu, außer wenn diese Ausnahme wieder den Charakter einer allgemeinen Regel hat und auf sehr zahlreichen und allgemeinen Vorkommnissen beruht.« (TR II, 303 f.)

Diese Regeln definieren den Status einer Erfahrung, die über alle nur denkbaren Fälle Rechenschaft ablegt; die Ausnahme ist letzten Endes ein natürlicher Gegenstand und wird durch Gewöhnung und Einbildungskraft zum Gegenstand einer Erfahrung und eines Wissens, einer Kasuistik. Wir werden hier mit zwei Vorstellungen konfrontiert, die es miteinander zu versöhnen gilt: Extension und Reflexion sind identisch, zugleich aber auch verschieden. Anders gesagt: Zwei Arten von Regeln unterscheiden sich, ja bekämpfen sich; und dennoch haben sie denselben Ursprung, ihnen liegt dasselbe Prinzip zugrunde. So sind wir auf das Grundproblem zurückverwiesen: Wie ist die Regel möglich? Wir gehen von der Einheit aus: Die Regel ist zugleich Extension und Reflexion des Affekts. Der Affekt reflektiert sich. Aber wo? Und worin? In der Einbildungskraft. Die allgemeine Regel ist der in der Einbildungskraft reflektierte Affekt. Zweifellos zeichnen sich die Eigenschaften des Affekts als natürliche Prinzipien dadurch aus, daß sie den Geist affizieren, qualifizieren. Doch umgekehrt reflektiert der Geist seinen Affekt, seine Affektionen: »Alle Dinge, die den Sinnen angenehm sind, sagen bis zu einem gewissen Grad auch der Einbildungskraft zu und geben dem Geist einen Widerschein der Befriedigung, die sie bei wirklicher Be-

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rührung mit den körperlichen Organen gewähren.« (TR II, 92, umgestellt)

Indem er sich reflektiert, erweitert sich der Affekt in dieser Reproduktion seiner selbst, befreit sich von den Begrenzungen und Umständen seiner eigenen Gegenwärtigkeit; er öffnet sich einem großen künstlich geschaffenen Bereich, der Welt der Kultur, in den er sich bildlich hineinprojizieren und grenzenlos ausbreiten kann. Das reflektierte Interesse geht über seine Parteilichkeit hinaus. Das heißt, die Einbildung verschafft sich, indem sie sich mit dem Bild der Affekte und ihrer Gegenstände füllt, »gewisse Affekte, die ihr eigentümlich sind« (TR II, 338). In der Reflexion verbildlicht sich der Affekt und affiziert sich die Einbildungskraft: Die Regel ist möglich. Die wirkliche Definition der Regel lautet: Sie ist ein Affekt der Einbildungskraft. »Die Einbildungskraft hält sich eben an die allgemeine Betrachtung der Dinge.« (TR II, 340) Dementsprechend sind drei Typen von Regeln zu unterscheiden. Zunächst die Regel des Geschmacks. Wir stoßen hier auf das selbe Problem, nur in einer anderen Form: Wie gelingt es dem Gefühl, seine Unbeständigkeit zu überwinden, um zu einem ästhetischen Urteil zu werden? Die Affekte der Einbildungskraft erwarten von ihrem Gegenstand nicht die gleiche Wirksamkeit, die gleiche Anpassung, die wirklichen Gegenständen eigen ist; »diese Affekte werden durch kräftige und lebhafte Vorstellungen in Bewegung gesetzt, die weniger sind als Glauben, also kein Bewußtsein vom wirklichen Dasein ihres Gegenstandes in sich schließen« (TR II, 338 f.). Auch eine Tugend in Lumpen bleibt noch eine Tugend; ein fruchtbarer, wenn auch zur Zeit verlassener Boden ruft den Gedanken hervor, wie glücklich mögliche Bewohner auf ihm leben könnten. »Gefühle müssen das Herz ergreifen, um auf unsere Affekte zu wirken; aber sie brauchen nicht über die Einbildungskraft hinauszugehen, um unser Geschmacksurteil zu bestimmen.« (TR II, 340)

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Daher ist der Geschmack keine Empfindung des Herzens, sondern eine der Einbildungskraft. Das ist eine Regel. Eine Regel beruht im allgemeinen auf der Unterscheidung zwischen einem Vermögen und seiner Ausübung, welche allein die Einbildungskraft treffen kann, da sie die Leidenschaft und ihren Gegenstand reflektiert, sie ihrer Gegenwärtigkeit enthebt und im Modus des Möglichen wieder aufgreift. Die Ästhetik ist die Wissenschaft, die sich der Dinge und Lebewesen unter dieser Kategorie des Vermögens bzw. der Möglichkeit vergewissert. So kann ein stattlicher Mann, zu lebenslänglicher Haft verurteilt, sehr wohl zum Gegenstand eines ästhetischen Urteils werden, und zwar nicht nur deswegen, weil seine Kraft und seine Gewandtheit, seine körperlichen Fähigkeiten lediglich in der Einbildung, nicht aber aktuell zur Entfaltung kommen, sondern weil die Einbildungskraft gerade für diese Fähigkeiten Affekte entwickelt (TR II, 338). Diese These entwickelt Hume detailliert am Beispiel der Tragödie. Das Problem ist folgendes: Wie ist es möglich, daß uns die Aufführung von an sich unangenehmen und düsteren Leidenschaften Freude bereitet? Je mehr der Dichter uns anzurühren, zu erschrecken, zu empören vermag, »desto zufriedener sind wir« (Essays: Of Tragedy). Es genügt nicht, bemerkt Hume und kritisiert dabei eine These von Fontenelle, zu sagen, daß die Leidenschaften in den Tragödien lediglich erdichtet und abgeschwächt sind. Das hieße nur eine Seite der Lösung zu sehen, die negative und weniger bedeutende Seite. Zwischen dem Realen und der Kunst besteht kein gradueller Unterschied; der graduelle Unterschied ist nur die Bedingung für einen Wesensunterschied. »Die tragischen Dichtungen beruhigen die Affekte nicht allein dadurch, daß sie die Trauer vermindern und abschwächen; dies geschieht vielmehr, wenn man so sagen kann, durch die Einflößung eines neuen Gefühls.« (Essays: OfTragedy, 161)

Es genügt nicht, daß sich die Leidenschaft verbildlicht und dabei die Einbildungskraft zugleich affiziert wird. Die 59

Tragödie, die die Affekte bildhaft in Szene setzt, unterhält die Einbildungskraft der Zuschauer mit Affekten. So wie das reflektierte Interesse seine Parteilichkeit überwindet, so verändert der reflektierte Affekt seine Qualität: Die Traurigkeit oder Düsterkeit einer dargestellten Leidenschaft geht unter in der Freude über ein beinahe grenzenloses Spiel der Einbildungskraft. Der Kunstgegenstand hat somit eine ihm eigene Seinsweise, die weder die des wirklichen Gegenstands ist noch die des Gegenstands der gegenwärtigen Leidenschaft: Der geringere Grad an Glaubwürdigkeit ist die Bedingung für eine andere Art des Für-Wahr-Haltens. Das Kunstwerk hat seinen eigenen Glauben. Auf den zweiten Regeltyp, die Regel der Ungebundenheit, wollen wir nur kurz hinweisen. Wir fühlen, daß der Wille, eine Art Affekt, »in jeder beliebigen Richtung leicht beweglich ist, daß er auch in der Richtung, in der er tatsächlich nicht wirkte, ein Abbild seiner selbst aus sich hervorgehen läßt.« (TR II, 146)

Schließlich die Regel des Interesses und der Pflicht. »Zwei Gegenstände sind nicht nur dann miteinander durch die Beziehung von Ursache und Wirkung verknüpft, wenn der eine eine Bewegung oder Tätigkeit irgend welcher Art an dem anderen hervorruft, sondern auch schon, wenn er imstande ist, dies zu tun.( ...) Ein Herr ist derjenige, der durch seine Stellung, die entweder in Gewalt oder Übereinkommen ihren Ursprung hat, die Macht besitzt, in gewissen Fällen das Tun eines anderen, den wir dann Diener nennen, zu bestimmen.« (TRI, 23, umgestellt)

Präziser analysiert Hume ein anderes Beispiel einer auf Pflicht beruhenden Beziehung - die Bindung der Frau an ihren Mann. Auch dem, der sie noch so leidenschaftlich liebt, kann die Frau keine Gewißheit, keine vollständige Sicherheit bieten: Die Anatomie steht dem entgegen; der Ehemann kann denn auch niemals sicher sein, ob seine Kinder seine eigenen sind (TR II, 323). In der Einbildungskraft re-

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flektiert, wird diese Ungewißheit sublimiert und nimmt einen kulturellen und sozialen Iuhalt an, erscheint als Forderung nach spezifisch weiblichen Tugenden: Die Frau als Objekt einer möglichen Leidenschaft hat stets züchtig, bescheiden und zurückhaltend zu sein. »Und ist eine allgemeine Regel einmal festgestellt, so sind die Menschen geneigt, dieselbe festzuhalten, auch wo die Gründe, denen sie zuerst entsprang, nicht mehr bestehen. So können auch die ausschweifendsten Junggesellen nicht umhin, durch Fälle von Lüsternheit oder Schamlosigkeit bei Frauen sich verletzt zu fühlen.« (TR II, 325)

Es ist somit die Einbildungskraft, die eine Reflexion über den Affekt ermöglicht. Die allgemeine Regel ist die Nachwirkung der Affektion im Geist, in der Einbildungskraft. Regeln sind reflektierende Verfahren, Ideen der Praxis. Also müssen wir unser erstes, zu einfach geratenes Schema abändern. Wir hatten gesehen, daß die Prinzipien der Natur, die Eigenschaften der Affekte ausschließlich in ihren Wirkungen auf den Geist untersucht werden durften. Doch diese Wirkung bestand allein darin, daß die Einbildungskraft affiziert und fixiert wurde. Das war eine einfache Wirkung. Jetzt sehen wir, daß es darüberhinaus eine komplizierte Wirkung gibt: Die Einbildungskraft reflektiert die Affektion, die Affektion wirkt im Geist nach. In dem Maße, wie die Prinzipien der Moral und der Affekte auf den Geist einwirken, hört der Geist auf, Phantasie zu sein: Er wird fixiert und damit Teil der menschlichen Natur. In dem Maße jedoch, wie er die Affektionen, die ihn fixieren, reflektiert, ist er auf dieser anderen Ebene unvermindert Phantasie, wenngleich auf eine neue Art. Die Phantasie zieht aus den Prinzipien ihrer Transformation neue Kraft. Etwas in den Affektionen entzieht sich der Reflexion. Das, was sich nur sehr widersprüchlich reflektieren läßt, ist das, wodurch die tatsächliche Reichweite der Affektionen definiert wird: die Aktualität der Grenzen, der Akt, durch den sie den Geist in der einen oder anderen Form 61

fixieren. Indem die Einbildungskraft ihre eigenen Fixierungen reflektiert, macht sie sie dehnbar, befreit sich aus den Formen und wirft sie ab. Das heißt: Sie macht aus der Grenze einen Gegenstand der Phantasie, sie überspielt die Grenze, indem sie den Zufall als wesentliches Moment einführt, sie trennt das Vermögen von seiner aktuellen Ausübung. Diese Trennung ist, so erklärt Hume, eine Vorspiegelung der Phantasie.35Die Macht der Einbildungskraft besteht darin, sich die Macht einzubilden. Kurzum, der Affekt kann in der Einbildungskraft nicht reflektiert werden, ohne daß die Einbildungskraft den Affekt über sich hinausgreifen läßt. Die allgemeine Regel ist diese absolute Einheit einer Reflexion des Affekts in der Einbildungskraft und einer Extension des Affekts durch die Einbildungskraft. Insofern sind Reflexion und Aff ekt ein und dasselbe. Gleichzeitig aber auch wieder nicht, denn es bedarf späterer Korrekturen, um in diesem neuen Bereich einer gewissen Strenge Geltung zu verschaffen. Dieses Mal ist die Reflexion eine Reflexion über die vorangegangene Reflexion oder, wenn man so will, Reflexion über das reflektierte Interesse. Warum in beiden Fällen das gleiche Wort Reflexion? Weil die eben erwähnte Extension per se bereits eine Korrektur ist: Sie überwand die Parteilichkeit der natürlichen Affekte. Da sie aber die Natur nicht überwand, ohne Wesen und Akzidens zusammenfallen zu lassen, erforderte sie für und in der neu errichteten Ordnung eine neuerliche Korrektur: Denn diese neue Ordnung ist eine verbindliche Ordnung. In der Tat, das Kunstwerk allein unter dem Aspekt der Phantasie, der Oberflächlichkeit und des Illusorischen aufzufassen, genügt nicht: Es ist ebenso Teil der verbindlichen Welt der Kultur. Die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur ist genau die zwischen einfacher und komplizierter Wirkung. Wenn Hume in seinem gesamten Werk ein nicht nachlassendes Interesse für die Probleme der Psychologie der Tiere zum Ausdruck bringt, so wohl deswegen, weil das Tier ein

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Naturwesen ohne Kultur ist: Die Prinzipien wirken zwar auf seinen Geist ein, haben aber keine andere als eine einfache Wirkung. Da es keine allgemeinen Regeln kennt, von den Instinkten in der Gegenwart festgehalten wird, ihm beständige Phantasie und reflektierende Verfahren fehlen, kennt das Tier auch keine Geschichte. Genau hier liegt das Problem: Wie läßt sich erklären, daß sich Kultur bzw. Geschichte beim Menschen in der gleichen Weise bilden wie die Phantasie: nämlich durch den Nachhall der Affektionen im Geist? Wie läßt sich erklären, daß der flatterhafteste Leichtsinn und der verbindlichste Ernst eine Einheit bilden? Wir haben gesehen, daß die Affekte, sofern sie reflektiert werden, sich notwendigerweise in der Phantasie reflektieren. Tatsächlich jedoch wirken sie in einer bereits fixierten und affizierten, naturalisierten Phantasie nach, die zwar nicht durch die Eigenschaften der Affekte fixiert ist, wohl aber durch jene anderen Prinzipien der Natur, die für eine andere Ebene gelten, durch die Assoziationsweisen. Deswegen kommt es zur Regelbildung. Nur unter dieser Bedingung zeichnen die Affekte beständige und feststehende Figuren in die Einbildungskraft. Hume weist ausdrücklich darauf hin: »Die Natur sorgt für Abhilfe, indem sie uns das Unregelmäßige und Unzweckmäßige in unseren Zuneigungen beurteilen und verstehen lehrt.« (TR II, 232; Hervorhebung G.D.)

Bereits für die Ästhetik gilt, daß sich der Affekt vermittels der Prinzipien der Assoziation reflektiert und diese Prinzipien bereits einige Darstellungsregeln liefern: »Jedes Stück Literatur ist( ...) nichts als eine Kette von Propositionen und Räsonnements« (TRO, 92). Die Regeln des Eigentums, der Besitzergreifung, des Zuwachses, der Erbfolge usw. werden, wie wir gesehen haben, ebenfalls durch die Prinzipien der Assoziation bestimmt: »Jemand, der einen Hasen bis zur äußersten Erschöpfung gehetzt hat, würde es als Rechtswidrigkeit ansehen, wenn ein anderer ihm 63

zuvorkäme und seine Beute ergriffe. Wenn aber derselbe Mensch im Begriff steht, einen Apfel zu pflücken, den er unmittelbar greifen kann, und ein anderer, der schneller ist als er, kommt ihm zuvor und ergreift von demselben Besitz, so hat er keinen Grund sich zu beklagen. Für diesen Unterschied besteht kein anderer Grund als der, daß der Hase nicht an sich etwas Stillstehendes, sondern sein Stillstand Wirkung einer Anstrengung des Jägers ist; dadurch entsteht zwischen dem Jäger und dem Hasen eine enge Beziehung, die in dem anderen Falle fehlt.« (TR II, 251, Anm.)

Das gesamte Recht baut auf der Assoziationslehre auf. Von einem Schiedsrichter, einem Richter verlangen wir nichts anderes, als daß er die Ideenassoziation anwende, daß er erkläre, mit wem bzw. womit die Sache im Geist eines allgemeinen Beobachters in Verbindung steht. »Nach der allgemeinen Ansicht der Philosophen und Zivilrechtslehrer kann das Meer nicht Eigentum irgend einer Nation werden, und zwar weil es unmöglich ist, von demselben Besitz zu ergreifen oder in so bestimmten Zusammenhang mit ihm zu treten, daß ein Eigentumsrecht darauf begründet werden könnte. Wo dieser Grund aufhört, da beginnt sofort das Eigentum. Die eifrigsten Verfechter der Freiheit des Meeres geben meist zu, daß Meeresarme und Meerbusen als Zuwachs den Eigentümern des umliegenden Festlandes gehören. Diese Meeresteile nun sind genau genommen mit dem Lande nicht enger verbunden oder vereinigt, als der Stille Ozean; aber in der Einbildungskraft besteht allerdings eine solche besondere Verbindung; und da sie gleichzeitig als etwas Untergeordnetes erscheinen, so werden sie natürlicherweise als ein Zuwachs betrachtet.« (TR II, 256f.). Kurzum, für die Bestimmung der Regeln des Eigentums wie für das Verständnis der Geschichte bedient sich die Einbildungskraft im wesentlichen der Prinzipien der Assoziation, ihre Norm ist die des leichten Vorstellungsübergangs. 36 In der Einheit, die sie zusammen mit der einfachen Wirkung der Prinzipien der Assoziation bildet, erscheint die Einbildungskraft tatsächlich

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als konstituierende Einbildungskraft; sie ist dem Anschein nach konstituierend. Man vergesse jedoch nicht, daß selbst in diesem Fall letztendlich die Phantasie es ist, die die Prinzipien der Assoziation benutzt: Auf der Ebene der Erkenntnis wurde sie von ihnen fixiert, nunmehr bedient sie sich ihrer, um die Welt der Kultur auszumalen und zu bestimmen. Wir erkennen den grundlegenden Zusammenhang zwischen dem Kunstwerk und der Phantasie, den Anteil des verbindlichsten Ernstes und des flatterhaftesten Leichtsinns. »Ich habe den Verdacht, daß die Regeln, die das Eigentum bestimmen, hauptsächlich durch die Einbildungskraft oder die oberflächlicheren Eigenschaften unseres Denkens und Vorstellens festgesetzt werden.« (TR II, 248, Anm.) Ebenso müssen die Urteile, die die logische Struktur eines Werkes ausmachen, nicht immer die »richtigsten und genauesten« sein; nur plausibel müssen sie sein, »wie sehr sie auch unter dem Farbenkleid der Phantasie verborgen sein mögen« (TRO, 92). Hinter den bestimmten Inhalten der Regeln des Eigentums und der Souveränität wuchert die Phantasie; genauer, sie verstärkt noch die Mängel dieser Regeln 37 bzw. ihre Widersprüche untereinander. 18 Deswegen gibt es Prozesse, deswegen können sich juristische Auseinandersetzungen endlos in die Länge ziehen. So läßt sich in dem Beispiel einer Besitzergreifung, dem der Stadt und der Lanze, »der Streit( ...) nicht entscheiden. Und zwar deshalb nicht, weil es bei der ganzen Frage auf die Einbildungskraft ankommt, und diese im fraglichen Fall keinen bestimmten und genauen Anhaltspunkt besitzt, von dem aus sie ihr Urteil sprechen könnte.« (TR II, 252, Anm.) Letztendlich ist der Historiker ratlos (TR II, 315). Die Ratlosigkeit des Historikers trifft sich mit dem Skeptizismus des Philosophen und bildet zu ihm ein Gegenstück Hierin liegt auch der Grund, weswegen die Bestimmungen der Re-

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gel korrigiert und zum Gegenstand einer weiteren Reflexion, einer Kasuistik oder einer Theorie des Akzidentellen werden müssen; die Kluft zwischen den Prinzipien des Verstandes und dem neuen Bereich, in dem die Phantasie sie zur Anwendung bringt, muß geschlossen werden. Die Illusion der Phantasie ist die Wirklichkeit der Kultur. Die Wirklichkeit der Kultur ist vom Standpunkt des Verstandes aus eine Illusion, dennoch behauptet sie sich in einem Bereich, in dem der Verstand die Illusion nicht zu zerstreuen vermag und das auch nicht muß. So ist etwa die Notwendigkeit einer Handlung nach der Auffassung des Verstandes weder eine Eigenschaft der Handlung noch des Handelnden, sondern eine des denkenden Wesens, das sie in Erwägung zieht; ebenso gilt, daß wir, insofern wir als Handelnde eine Handlung ausführen, keine Notwendigkeit empfinden können und uns völlig frei glauben (TR II, 145 f.). In dieser Hinsicht ist die Illusion nicht weniger wirklich als der Verstand, der sie zu entlarven sucht; die Kultur ist eine unterschobene Erfahrung und doch auch eine wahre Erfahrung. Der Verstand ist nur dann berechtigt, Kritik zu üben, wenn wir die Potentiale der Kultur fälschlicherweise in ein wirkliches Sein umzuwandeln versuchen, wenn wir die allgemeinen Regeln mit wirklichem Dasein ausstatten wollen (TR II, 145). Darüberhinaus vermag der Verstand nichts. Er stellt seine Assoziationsprinzipien zur Verfügung, damit die Welt der Kultur bestimmt werden kann; und er korrigiert die Ausdehnung, die diesen Prinzipien hiermit widerfährt, indem er eine ganze Theorie der Ausnahme aufstellt, die dann aber selbst Teil der Kultur wird.

Der Kern des Problems steckt im Verhältnis zwischen Affekt und Einbildungskraft. In der Bestimmung dieses Verhältnisses liegt die wirkliche Originalität der Theorie der Affekte. Welcher Art ist die einfache Beziehung zwischen Einbildungskraft und Affekt, die diesen befähigt, in jener seine

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komplexe Wirkung zu entfalten? Wie die Assoziationsweisen übersteigen die Prinzipien des Affekts den Geist und fixieren ihn. »Hätte die Natur dem Geist keine primären Qualitäten gegeben, so könnte er niemals sekundäre haben, weil in solchem Falle der Geist keine Grundlage für seine Tätigkeit hätte, also niemals anfangen könnte, sich zu betätigen.« (TR II, 9)

Diese Eigenschaften des Affekts fixieren die Einbildungskraft jedoch nicht auf die gleiche Weise wie die Assoziationsweisen. Diese eröffneten den Vorstellungen der Möglichkeit nach reziproke Beziehungen, jene geben diesen Beziehungen eine Richtung, einen Sinn, weisen ihnen eine Wirklichkeit zu, eine eindeutige Bewegung, mithin einen vorläufigen Zielpunkt. So ist zum Beispiel das Ich Gegenstand des Stolzes und der Bescheidenheit aufgrund einer natürlichen und ursprünglichen Disposition, die die Einbildungskraft mit einem Hang, mit einer bestimmten Neigung versieht. Die Vorstellung oder vielmehr der Eindruck des Ich (TR II, 49) hält den Geist fest. »Ist jemand mein Bruder, so bin ich ja freilich auch sein Bruder; aber obgleich die Verwandtschaft eine gegenseitige ist, so hat sie doch eine sehr verschiedene Wirkung auf die Einbildungskraft.« (TR II, 72)

Die Einbildungskraft geht mit Leichtigkeit vom Entferntesten zum Nächsten über, von meinem Bruder zum Ich, nicht aber vom Ich zu meinem Bruder. Ein anderes Beispiel: »Die Menschen bekümmern sich weit mehr um solche Dinge, die in Raum und Zeit nicht allzu weit von ihnen abliegen« (TR II, 167, umgestellt).

Die Einbildungskraft besitzt weiterhin den Drang, von der Gegenwart in die Zukunft zu springen; »wir rücken unser Dasein lieber nach vorwärts, als daß wir es zurückschieben« (TR II, 170). Man sieht, wie sich die beiden unterschiedli-

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chen Affektionen, das Verhältnis und der Affekt, zueinander ins Verhältnis setzen: Zunächst werden in der Einbildungskraft aufgrund der Ideenassoziation die Vorstellungen miteinander verbunden; der Affekt verleiht diesen Verbindungen sodann einen Sinn und versieht die Einbildungskraft mit einer Ausrichtung. So daß der Affekt in einem gewissen Sinn der Ideenassoziation bedarf, umgekehrt aber die Assoziation den Affekt voraussetzt. Assoziieren sich die Vorstellungen, so nur im Zusammenhang mit einem Ziel oder einer Intention, einer Finalität, welche allein der Affekt den menschlichen Handlungen vermitteln kann (MO, 48). Da der Mensch Affekte hat, assoziiert er seine Vorstellungen. »Man kann an diesen beiden Assoziationsarten beobachten«, sagt Hume, nämlich an der Ideenassoziation im Erkenntnisvermögen und an der Assoziation der Eindrücke in der Einbildungskraft, »daß sie einander sehr unterstützen und fördern« (TR II, 13, Übersetzung verändert). Die Einbildungskraft folgt somit der Geneigtheit, die sie durch den Affekt ausbildet; das Verhältnis, das der Affekt ermöglicht, ist, dadurch daß es nunmehr eindeutig ist, ein wirkliches Verhältnis, es ist nicht mehr nur ein Bestandteil, ein Begleitumstand des Affekts. Das ist die einfache Einwirkung des Affekts auf die Einbildungskraft. Darüber hinaus ist die Einbildungskraft aber auch die Instanz, in welcher sich der Affekt und seine Begleitumstände vermittels der Assoziationsprinzipien reflektieren, um die allgemeinen Regeln aufzustellen und das Entfernteste, das Abgelegenste über die Geneigtheit der Einbildungskraft hinaus aufzuwerten. Das ist die komplexe Wirkung. Einerseits wird das Mögliche wirklich, andererseits wird das Wirkliche reflektiert. Ließe sich an dieser Stelle nicht auch das Problem des Ichs lösen, indem wir der Hoffnung Humes einen Sinn verleihen? Wir können jetzt sagen, worin die Idee der Subjektivität besteht. Das Subjekt ist keine Eigenschaft, sondern die 68

Qualifizierung einer Ansammlung von Vorstellungen. Wenn wir sagen, die Einbildungskraft sei von den Prinzipien affiziert, so soll das heißen, daß ein beliebiger Gesamtzusammenhang als parteiisches, gegenwärtiges Subjekt qualifiziert wird. Die Vorstellung der Subjektivität ist dann die Reflexion der Affektion in der Einbildungskraft, es ist die allgemeine Regel selbst. Die Vorstellung ist hier nicht länger der Gegenstand eines Gedankens, die Eigenschaft einer Sache, sie ist nicht repräsentativ. Sie ist eine Regel, ein Schema, eine Konstruktionsregel. Insofern die Idee der Subjektivität die Parteilichkeit des Subjekts, dessen Idee sie ist, hinter sich läßt, schließt sie im Hinblick auf jede nur denkbare Ansammlung das Prinzip und die Regel einer möglichen Übereinstimmung zwischen den Subjekten ein. Demzufolge findet das in der Sphäre des Verstandes ungelöst gebliebene Problem des Ichs einzig in der Kultur eine moralische und politische Lösung. Wir hatten gesehen, daß sich Ursprung und Affektion in einem Ich nicht vereinigen konnten, da auf dieser Ebene die ganze Differenz zwischen den Prinzipien und der Phantasie fortbesteht. Faktisch und aktuell konstituiert sich das Ich in der Synthese der Affektion mit ihrer Reflexion, in der Synthese einer Affektion, die die Einbildungskraft fixiert und einer Einbildungskraft, die die Affektion reflektiert. Somit hat die praktische Vernunft die Aufgabe, ein Ganzes der Kultur und der Moralität herzustellen. Daß dieses Ganze wiederum in Einzelheiten zerfällt, ist hierzu kein Widerspruch, da das Einzelne aus allgemeinen Bestimmungen besteht, nicht aus Teilen (TR II, 307 f.). 39 Wie aber vollzieht sich dieser Aufbau? Möglich gemacht wird er durch die schematisierende Einbildungskraft. In diesem Schematismus äußern und manifestieren sich die drei Eigenschaften der Einbildungskraft: Sie ist reflektierend, ihrem Wesen nach überschüssig, dem Anschein nach konstituierend. Den Gegenpol bildet die theoretische Vernunft, der es um die Be69

stimmung der Einzelheiten der Natur geht, das heißt um die Bestimmung der Teile, die der Berechnung unterworfen sind. Wie ist diese Bestimmung ihrerseits möglich? Sicher nicht auf dieselbe Weise wie der Aufbau eines Ganzen aus Kultur und Moralität, da wir ja gesehen haben, daß das System des Verstandes und das System der Moral etwas anderes sind als mit dem Geist gleichgeschaltete Affektionen. Es muß einen besonderen Schematismus der theoretischen Vernunft geben. Dieser Schematismus ist hier nicht mehr das Konstruktionsprinzip eines Ganzen, sondern die Basis der Bestimmung der Teile. Die Assoziationsprinzipien haben die Funktion, die Einbildungskraft zu fixieren. Die Assoziation muß jedoch nicht wie der Affekt reflektiert werden, um zur Ruhe zu kommen und die Vernunft zu begründen: Sie ist unmittelbar ruhig, »sie wirkt unvermerkt und ruhig auf den Geist« (TR II, 65).

Die Vernunft ist somit die Natur gewordene Einbildungskraft, sie entspricht der Gesamtheit der einfachen Wirkungen der Assoziation, der allgemeinen Vorstellungen, Substanzen, Verhältnisse. Freilich gibt es in dieser Hinsicht zwei Arten von Vernunft, da es ja auch zwei Arten von Beziehungen gibt. Man muß unterscheiden zwischen Relationen von Vorstellungen, »solchen, welche durchaus durch die Natur der Vorstellungen bedingt sind, die wir miteinander vergleichen« (Ähnlichkeit, Verhältnisse der Quantität, Grade einer Eigenschaft, Gegensätzlichkeit), und Relationen von Gegenständen, »solchen, welche sich verändern können, ohne irgend welche gleichzeitige Veränderung in den betreffenden Vorstellungen« (zeitliche und räumliche Beziehungen, Identität, Kausalität) (TRI, 93). Parallel dazu unterscheiden sich zwei Arten von Vernunft, jene, die mittels unbedingter Gewiiiheit vorgeht (Intuition oder Demonstration) (TR I, 94 f.), und jene, die mit bloßen Wahrscheinlichkeiten operiert (TR

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I, 172) (Erfahrungsvernunft, Verstand).4° Zweifellos sind diese zwei Arten der Vernunft nichts anderes als verschiedene, von den jeweiligen Beziehungsarten abhängige Weisen ihres Gebrauchs; sie haben mithin eine gemeinsame Wurzel, den Vergleich, so daß ihre jeweiligen Überzeugungen nicht ohne Beziehung zueinander sind (Gewißheit und Glaube) (TR I, 111 ). Nichtsdestoweniger sind sie verschieden. Hat man zum Beispiel nachgewiesen, daß die Kausalität nicht Gegenstand einer Gewißheit oder einer Erkenntnis ist, so bleibt doch immer noch die Frage, ob der Verstand, der sie zum Gegenstand hat, sie auch erzeugt (TRI, 119 f.), oder ob sie sich nicht doch aus der Wahrscheinlichkeitserkenntnis ableitet (TR I, 120). Auch auf diese letzte Frage wird die Antwort negativ lauten müssen; doch die Argumente, auf die sich diese neuerliche Verneinung stützt, machen uns zugleich den Unterschied zwischen den beiden Dimensionen der Vernunft deutlich. Das Prinzip, dessen Wirkung die kausale Beziehung ist, bildet sich nur allmählich aus. Die menschliche Natur bringt hier ihre Wirkung nicht ganz allein hervor. »Aber ist die Hervorbringung solcher Wirkungen durch Erfahrung und Beobachtung im letzten Grunde verständlicher als ihre unmittelbare Hervorbringung durch die Natur?« (TRI, 240)

Die menschliche Natur geht den Umweg über die Naturbeobachtung, über die Erfahrung der Natur. Das ist nach Hume das Wesentliche. »Da die Gewohnheit, die die Assoziation von Vorstellungen mit einem gegenwärtigen Eindruck hervorbringt, aus der häufigen Verbindung von Gegenständen sich ergibt, so kann sie nur nach und nach ihre höchste Höhe erreichen; jeder neue Fall, der sich unserer Beobachtung darbietet, muß ihre Kraft steigern.« (TRI, 179, verändert)

Gerade hier wird deutlich, warum die Kausalität sich nicht aus der Wahrscheinlichkeitserkenntnis ableitet (TRI, 121). 71

Tatsächlich muß jede bestimmte Stufe einer Gewohnheit als Wahrscheinlichkeit bezeichnet werden,' 1 wobei nicht vergessen werden darf, daß die Wahrscheinlichkeit die Gewohnheit als Prinzip voraussetzt, da auf jeder Stufe beim Anblick eines Gegenstands lediglich auf die Existenz eines anderen Gegenstands geschlossen wird, analog zu dem, der gewohnheitsmäßig mit dem ersten verbunden ist (TR I, 120). Das Paradox der Gewohnheit besteht darin, daß sie sich stufenweise herausbildet und zugleich ein Prinzip der menschlichen Natur ist. »Die Gewohnheit ist ja eben gar nichts, als einer der wirkenden Faktoren der Natur; sie schöpft ihre ganze Macht aus dieser Quelle.« (TRI, 240; UN 55)

Ein Prinzip ist die Gewohnheit, Gewohnheiten anzunehmen. Genau genommen ist die allmähliche Herausbildung selbst ein Prinzip, sofern man sie allgemein betrachtet. In Humes Empirismus wird die Genese stets ausgehend von Prinzipien und als Prinzip verstanden. Die Kausalität aus der Wahrscheinlichkeit abzuleiten heißt diese allmähliche Herausbildung eines Prinzips, von dem die Vernunft abhängt, mit der Entwicklung eines Gedankens zu verwechseln. Tatsächlich rührt die auf Erfahrung beruhende Vernunft aus der Gewohnheit, nicht umgekehrt. Die Gewohnheit ist die Wurzel der Vernunft, das Prinzip, dessen Wirkung jene ist (TRI, 240). In ihrem anderen, mit den Vorstellungsverbindungen zusammenhängenden Gebrauch jedoch wird die Vernunft unmittelbar von den entsprechenden Prinzipien bestimmt, ohne allmähliche Herausbildung und unter der alleinigen Mitwirkung der menschlichen Natur. Von daher die berühmten Texte über die Mathematik (UN 35). Die Definition der Beziehungen von Vorstellungen, »solchen, welche durchaus durch die Natur der Vorstellungen bedingt sind, die wir miteinander vergleichen«, will nicht besagen, daß die Assozia72

tion hier mehr als anderswo eine Eigenschaft der Vorstellungen selbst ist, noch daß die Mathematik ein System analytischer Urteile sei. Ganz gleich, ob es sich um Beziehungen von Vorstellungen oder um Beziehungen in der Welt der Gegenstände handelt, Beziehungen sind ihren Begriffen stets äußerlich. Hume möchte dies sagen: Was im Geist Vorstellungen in Beziehung setzt, sind die Prinzipien der menschlichen Natur, die »ganz allein« auf die Vorstellungen einwirken, ganz im Gegensatz zu dem, was in unterschiedlicher Weise für die drei Verbindungen in der Welt der Gegenstände gilt, wo die Naturbeobachtung selbst als Prinzip wirkt. Zur Logik der Mathematik, von der wir später sprechen werden, muß somit eine Logik der Physik oder der Existenz hinzutreten, die effektiv allein durch allgemeine Regeln ausgefüllt werden kann (TRI, 233-237). Unter dem Gesichtspunkt der Beziehung ist es allein die Physik, die Gegenstand eines Schematismus ist. 42 Wenn wir sagen, ein Prinzip der Natur, die Gewohnheit, würde allmählich herausgebildet, so heißt das in erster Linie, daß die Erfahrung selbst ein Prinzip der Natur ist. »Die Erfahrung ist das Prinzip, das mich davon in Kenntnis setzt, daß Gegenstände in der Vergangenheit miteinander verbunden waren. Gewohnheit ist das andere Prinzip, das mich veranlaßt, in Zukunft die gleiche Verbindung zu erwarten; beide gemeinsam wirken auf die Einbildungskraft.« (TRI, 343, verändert)

Halten wir zweitens fest, daß die Gewohnheit ein anderes Prinzip als die Erfahrung ist, auch wenn sie sie voraussetzt. Und tatsächlich wird das, was ich mir angewöhne, niemals die Tatsache erklären, daß ich mir etwas angewöhne, niemals wird eine Wiederholung als solche einen Progreß bewirken. Die Erfahrung macht uns mit gewissen Verknüpfungen bekannt. Ihr Wesen ist die Wiederholung vergleichbarer Fälle. Ihre Wirkung ist die Kausalität als philosophische Beziehung: Die Einbildungskraft wird zu einem Verstehen. Doch 73

dies erklärt uns nicht, wie dieses Verstehen dazu kommt, einen Schluß zu ziehen und über Ursachen und Wirkungen zu urteilen. Der wahre Inhalt der Kausalität, wohlgemerkt des Wortes, ist in der Erfahrung nicht konstituierbar, weil er in gewisser Hinsicht selbst die Erfahrung konstituiert.4 3 Nicht ein Urteil macht das Urteilen möglich; das Urteilen ist dem Verstand nicht unmittelbar gegeben. Der Verstand muß von einem anderen Prinzip als dem der Erfahrung die Befähigung erhalten, aus der Erfahrung selbst Schlüsse zu ziehen, über die Erfahrung hinauszugehen und aus ihr Folgerungen abzuleiten. Eine Wiederholung ist als solche kein Progreß, sie bildet nichts aus. Die Wiederholung vergleichbarer Fälle bringt uns nicht voran, denn der zweite Fall unterscheidet sich vom ersten nur dadurch, daß er später kommt, aus ihm ist keine neue Vorstellung zu gewinnen (TR I, 118). Gewohnheit ist keine Mechanik der Quantität. »Hätten die Vorstellungen in der Einbildung nicht mehr Zusammenhang, als die äußeren Gegenstände für den Verstand zu haben scheinen, so könnten wir nie von den Ursachen auf die Wirkungen schließen, noch an eine nicht wahrgenommene Tatsache glauben.« (fR I, 123f.)

Hier haben wir den Grund, warum die Gewohnheit als anderes Prinzip erscheint bzw. die Kausalität als natürliche Beziehung, als Assoziation der Vorstellungen (TR I, 125 f.). Die Wirkung dieses anderen Prinzips ist folgende: Aus der Einbildung wird ein Glaube (TRI, 140f.)," weil zwischen dem Eindruck eines Gegenstands und der Vorstellung eines anderen ein gewohnheitsmäßiger Übergang hergestellt wird. So zeichnet sich eine doppelte Implikation ab. Einerseits erlaubt die Gewohnheit dem Verstand, eine Erfahrung zu beurteilen, sie macht aus dem Glauben einen möglichen Akt des Verstandes. Der Verstand, sagt Hume, beruht wie das Gedächtnis und die Sinne »auf der Einbildungskraft, auf der Lebhaftigkeit unserer Vorstellungen« (TRI, 343). Anderer-

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seits setzt die Gewohnheit Erfahrung voraus. Die Gegenstände verbinden sich zwar in der Einbildungskraft, allerdings erst nach der Entdeckung des Zusammenhangs zwischen den Gegenständen. Die Gewohnheit ist, wenn man so will, die Erfahrung selbst, insofern sie die Vorstellung eines Gegenstands mit Hilfe der Einbildungskraft und nicht mit Hilfe des Verstandes hervorruft (TR I, 119). Aus der Wiederholung wird ein Progreß, ja sogar eine Produktion, sowie man aufhört, sie an den Gegenständen zu messen, an denen sie nichts ändert, nichts entdeckt und nichts hervorruft, und sie stattdessen in bezug auf den Geist untersucht, dem sie bewußt wird und in dem sie einen neuen Eindruck hervorruft, »eine Nötigung, unsere Gedanken von einem Gegenstand auf einen anderen übergehen zu lassen« (TRI, 224), »die Vergangenheit auf die Zukunft zu übertragen« (TRI, 184),

eine Erwartung, eine Neigung. Jedenfalls sind Erfahrung und Gewohnheit zwei verschiedene Prinzipien, nicht anders als der sich der Beobachtung präsentierende Zusammenhang und der vom beobachtenden Geist vollzogene Zusammenhang. In diesem Sinne definiert Hume Kausalität stets in einer doppelten, eng miteinander verknüpften Weise: als Vereinigung einander ähnlicher Gegenstände (TRI, 228) und als Schlußfolgerung des Geistes von einem Gegenstand auf einen anderen (TRI, 232 f.). Die Analogie zwischen dem künstlich Geschaffenen (moralische Welt) und der Gewohnheit (Welt des Wissens) drängt sich geradezu auf. Beide Instanzen stehen in ihren Welten am Ursprung allgemeiner Regeln, extensiver wie korrigierender. Sie funktionieren jedoch nicht auf die gleiche Weise. Im System der Moral war die Voraussetzung der Regeln die Reflexion der allgemeinen Prinzipien der Natur in der Einbildungskraft. Jetzt, im System des Wissens, liegt ihre Voraussetzung in der Besonderheit eines Prinzips, und zwar 75

nicht nur insofern es die Erfahrung (oder etwas Äquivalentes) voraussetzt, sondern auch insofern es überhaupt ausgebildet werden muß. Man muß jedoch hinzufügen, daß diese Herausbildung natürlich ihre Gesetze hat, durch die die legitime Ausübung eines Urteile fällenden Verstandes definiert wird. Wir haben gesehen, daß die Prinzipienbildung ein Bildungsprinzip ist. Der Glaube, sagt Hume, entspringt den Prinzipien einer Natur, die vorsichtig zu Werke geht (TRI, 162). Qua Definition ist die Vorstellung, an die wir glauben, diejenige, die mit einem gegenwärtigen Eindruck verbunden ist, diejenige, die auf diese Weise die Einbildungskraft fixiert, diejenige, der der Eindruck seine Lebendigkeit überträgt. Diese Übertragung wird zwar durch die Ähnlichkeit und die Kontiguität (TRI, 151) verstärkt, sie findet ihr Gesetz jedoch ganz wesentlich in der Kausalität, in der Gewohnheit, also letztlich in der Wiederholung von Fällen, bei denen erfahrungsgemäß zwei Gegenstände in einem Zusammenhang stehen. Allerdings liegt genau hierin die Schwierigkeit. Die

Gewohnheit selbst ist ein anderes Prinzip als die Erfahrung, die Einheit von Erfahrung und Gewohnheit ist nicht gegeben. Die Gewohnheit kann von sich aus eine falsche Erfahrung vortäuschen, ja sogar hervorrufen und »durch eine Wiederholung [von Vorstellungen], die nicht durch die Erfahrung gegeben ist« (TRI, 193), einen Glauben hervorbringen. Das ist jedoch ein unzulässiger Glaube, eine Erdichtung der Einbildungskraft. »Die Gewohnheit, sich eine Verbindung der Qualitäten mit einer Substanz einzubilden, hat dieselbe Wirkung, die die Gewohnheit, sie zu beobachten, haben würde.« (TR I, 291 f.) Die Einbildungskraft läßt sich durch das Prinzip der Gewohnheit nicht fixieren, ohne es zugleich dazu zu benutzen, ihre eigenen Phantasien durchzusetzen, ihre Fixierung zu überwinden und sich von der Erfahrung abzulösen.

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»Diese Gewöhnung kommt in ihrer Wirkung derjenigen, die aus der beständigen und untrennbaren Verbindung von Ursachen und Wirkungen entsteht, nicht nur sehr nahe, sondern sie überwiegt dieselbe in vielen Fällen.« (TRI, 158)

Die auf diese Weise erzeugten, vom Standpunkt eines strengen Verstandesgebrauchs unzulässigen und dennoch unvermeidlichen Glaubenssätze bilden die Gesamtheit der extensiven und überschüssigen allgemeinen Regeln, die Hume die unphilosophische Wahrscheinlichkeitserkenntnis nennt. »Ein Irländer kann keinen Witz und ein Franzose kein gesetztes Wesen haben.« Infolgedessen kann sich der Verstand, trotz des äußeren Anscheins, nicht auf die Natur verlassen, um die Gesetze seines rechtmäßigen Gebrauchs einer unmittelbaren Bestimmung zu unterziehen. Sie können nur das Produkteiner Korrektur, einer Reflexion sein: von daher die zweite Serie der allgemeinen Regeln. Nur in dem Maße, wie der Verstand durch eine neue Operation den Glaubensakt verantwortungsbewußt einkalkuliert und ihn mitsamt seinem Prinzip in den Grenzen der früheren Erfahrung festhält, wird es gelingen, die rechtmäßigen Bedingungen des Glaubens selbst zu erkennen und anzuwenden - wozu es jedoch der Herausbildung der Regeln der philosophischen Wahrscheinlichkeitserkenntnis oder der Wahrscheinlichkeitsrechnung bedarf. (Wenn die extensiven Regeln des Affekts in der Welt der Moral korrigiert werden müssen, freilich erst nachdem sie vermöge der Assoziationsprinzipien bestimmt worden sind, so nicht allein deswegen, weil in diesem Fall die Phantasie diese Prinzipien benutzt und sie dabei auf einer ihnen wesensfremden Ebene einsetzt, sondern auch deswegen, weil die Kausalität bereits per se auf der ihr eigenen Ebene auf phantastisch-extensive Weise benutzt wird. Wenn der Verstand die extensiven Regeln des Affekts korrigieren und die Natur der Moral in Frage stellen kann, so deswegen, weil er zunächst die Ausdehnung der Erkenntnis selbst korrigieren muß.) 77

Unzulässige Glaubenssätze, durch keine Erfahrung gestützte Wiederholungen und unphilosophische Wahrscheinlichkeitserkenntnis speisen sich aus zwei Quellen, der Sprache und der Einbildungskraft. Es sind fiktive Kausalitäten. Die Sprache erzeugt von sich aus einen Glauben, indem sie an die Stelle der beobachteten Wiederholung eine gesprochene Wiederholung setzt, an die Stelle des vorhandenen Gegenstands das Hören eines bestimmten Wortes, das uns die entsprechende Vorstellung lebendig vor Augen führt. »Wir haben( ...) eine auffallende Neigung, alles zu glauben, was erzählt wird, selbst wenn es sich um Gespenster, Zaubereien und Ungeheuer handelt, und mag das Erzählte noch so sehr mit der täglichen Erfahrung und Beobachtung im Widerspruch stehen.« (TRI, 154)

Der Philosoph glaubt letztendlich, wo er von verborgenen Fähigkeiten und Qualitäten spricht, daß diese Worte »einen verborgenen Sinn haben, den wir durch Nachdenken meinen aufdecken zu können« (TRI, 294). So wie Lügner durch häufiges Wiederholen zuletzt selbst an ihre Lügen glauben (TRI, 160). Nicht nur die Leichtgläubigkeit erklärt sich so aus der Macht der Worte, sondern sogar die Erziehung (TR I, 158), die Beredsamkeit und die Dichtung (TRI, 164). »Wir haben uns eben einmal an die Namen Mars,Jupiter, Venus gewöhnt; ( ...) die beständige Wiederholung dieser Vorstellungen macht, daß dieselben sich dem Geist aufdrängen, und die Einbildung beherrschen( ...). Die mancherlei Einzelheiten eines Stückes treten dadurch, daß sie in einem Gedicht oder einer Darstellung vereinigt sind, in eine Art Beziehung zueinander( ...). Solche durch die Phantasie erzeugte Lebhaftigkeit der Vorstellungen ist ja in vielen Fällen sogar größer als diejenige, die in Gewohnheit und Erfahrung ihren Ursprung hat.« (TRI, 165 ff., umgestellt).

Kurzum, die Worte erzeugen einen »Schatten des Glaubens« (TRI, 168), eine »Fälschung« (TRI, 170), die philosophisch die strengste Sprachkritik notwendig macht. An78

dererseits verführt uns die Phantasie dazu, Essentielles und Akzidentelles miteinander zu vermengen. Eine falsche Überzeugung hängt in der Tat stets von Zufälligkeiten ab: Sie hängt nicht von Beziehungen in der Welt der Gegenstände ab, sondern von der »augenblicklichen Gemütsverfassung und Stimmung der Persönlichkeit« (TR I, 168). Die Phantasie interpretiert das Auftreten von Umständen, die einen Gegenstand nur zufällig begleiten, so, als wiederholte sich dieser Gegenstand tatsächlich in der Erfahrung (TR I, 201 f.). So etwa bei einem Mann, der von einem Schwindel erfaßt wird: »Die ihn umgebenden Umstände, die Tiefe und die damit verbundene Vorstellung des Stürzens wirken so mächtig auf ihn ein, daß ihr Einfluß durch die entgegengesetzten Umstände, die Tragkraft und Festigkeit des Eisens, die ihm vollkommene Sicherheit geben sollten, nicht aufgehoben werden kann.« (TRI, 202)

Die Einbildungskraft produziert also im System des Verstandes wie im System der Moral stets einen Überschuß. Freilich gibt es auch einen Unterschied. Im Überschuß der Erkenntnis begegnen wir nicht mehr der Positivität der Kunst, sondern nur noch der N egativität des Irrtums und der Lüge. Deshalb zielt die Korrektur nicht mehr auf die Einführung qualitativer Strenge, sondern auf die Aufdeckung eines Irrtums durch quantitative Berechnung. In der Welt der Erkenntnis, im Fall des Verstandes, sind die extensiven Regeln nicht mehr die Kehrseite einer Reflexion der Prinzipien in der Einbildungskraft, sie drücken lediglich die Unmöglichkeit einer vorgreifenden, auf das Prinzip hinzielenden Reflexion aus. »Wenn wir uns gewöhnt haben, einen Gegenstand mit einem anderen verbunden zu sehen, so geht unsere Einbildungskraft vom ersten auf den zweiten über vermöge einer natürlichen Übergangstendenz, welche der Überlegung vorauseilt und durch sie nicht aufgehoben werden kann.« (TRI, 201)

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Die Einbildungskraft bildet keinen Glauben aus, ohne ihn zu verfälschen, d.h. ohne das Akzidentelle mit dem Allgemeinen zu vermengen. Die Gewohnheit ist ein Prinzip, das sich nur auf die Erfahrung berufen kann, indem sie, von fiktiven Wiederholungen ausgehend, sie verfälscht. Von daher die Notwendigkeit einer nachträglichen Reflexion, die nur als Korrektur auftreten kann, als eine Subtraktion, eine zweite Art von Regeln, als ein quantifiziertes Unterscheidungskriterium zwischen dem Allgemeinen und dem Akzidentellen: »Diese Regeln sind gegründet auf die Natur unseres Verstandes und auf unsere Erfahrungen über die Art, wie derselbe in unseren Urteilen über Gegenstände sich betätigt.« (TRI, 203) Den Glauben in den Grenzen des Verstandes festzuhalten, die Übereinstimmung der Gewohnheit mit der Erfahrung zu garantieren, das ist der Gegenstand der philosophischen bzw. der WahrscheinlichWahrscheinlichkeitserkenntnis keitsrechnung, das ist das Mittel, Fiktionen und Vorurteile aufzulösen. Mit anderen Worten, das Urteilen darf, um uneingeschränkt legitim zu sein, »nicht direkt auf der Gewohnheit beruhen, sondern in einer mittelbaren Weise« (TR I, 183). Zweifellos liegt das Eigentümliche des Glaubens, des Schließens, des Urteilens darin, die Erfahrung zu überschreiten, die Vergangenheit auf die Zukunft zu übertragen; gleichwohl muß der Gegenstand des Glaubens so bestimmt sein, daß er mit einer früheren Erfahrung in Übereinstimmung steht. Die Erfahrung ist partes extra partes, die Gegenstände sind im Verstand getrennt: »Übertragen wir nun die Vergangenheit auf die Zukunft, das Bekannte auf das Unbekannte, so muß offenbar jede dieser bereits von uns gemachten Erfahrungen das gleiche Gewicht haben, so daß auch hier nur eine größere Anzahl von Erfahrungstatsachen einer Seite das Übergewicht verschaffen kann.« (TRI, 187) Die Anzahl der früheren Erfahrungen, gensätzlichkeit und ihre quantitative

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ihre teilweise GeÜbereinstimmung

müssen bestimmt werden. Wenn Glauben ein Akt der Einbildungskraft ist, so ist es nur folgerichtig, daß sich die übereinstimmenden Bilder, die der Verstand liefert, und die übereinstimmenden Teile der Natur in der Einbildungskraft in ein und derselben Vorstellung verschmelzen; dennoch muß diese Vorstellung sowohl Inhalt wie Maß ihrer Lebendigkeit in den vielen vergleichbaren Teilen finden, die der Verstand uns getrennt vor Augen führt (TRI, 192 f.). Somit bestätigt sich die Notwendigkeit einer Kritik der Regeln durch die Regeln. Das Problem ist, daß insofern »eine Art von Widerstreit zwischen unseren allgemeinen Regeln« (TRI, 204) besteht, als die beiden Sorten von Regeln, die extensiven und die korrigierenden, die unphilosophische und die philosophische Wahrscheinlichkeitserkenntnis, nichtsdestoweniger die Wirkung ein und desselben Prinzips, nämlich der Gewohnheit, sind. Sie haben denselben Ursprung. » Der Schluß aus allgemeinen Regeln ist eine sehr unphilosophische Art der Wahrscheinlichkeitserkenntnis, und doch können wir nur durch solche Schlüsse die hier in Rede stehenden und alle anderen unphilosophischen Wahrscheinlichkeitsurteile berichtigen.« (TR I,

205)

Da sich die Gewohnheit jedoch nicht allein aus der Erfahrung wiederholt beobachteter Fälle bildet - schließlich sind noch andere Wiederholungen an ihrem Entstehen beteiligt-, ist die Übereinstimmung der Gewohnheit mit der Erfahrung wissenschaftlich zu erreichen, das heißt es ist eine Aufgabe, die zu bewältigen ist. Diese Aufgabe wird insofern bewältigt, als der Glaube nur noch ein Akt ist, der einem bestimmten Objekt gilt, in Übereinstimmung mit der Natur des Verstandes, in Übereinstimmung mit der Erfahrung beobachteter Wiederholungen (TRI, 204). Diese Bestimmung bildet den Sinn der korrigierenden Regeln; sie erkennen die Kausalität in den Einzelheiten der Natur, sie erlauben es uns fest81

zustellen, »wann sie [die Gegenstände, A.d.Ü.] wirklich Ursachen und Wirkungen heißen dürfen« (TRI, 234), sie entlarven die unzulässigen Glaubenssätze.4 5 Kurzum, die Gewohnheit übt auf die Einbildungskraft und auf das Urteilsvermögen gegensätzliche Wirkungen aus: Ausdehnung und Korrektur der Ausdehnung (TRI, 202).

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4. Gott und die Welt

Wenn wir nach einem Beispiel suchen, das alle Bedeutungen in sich vereinigt, die wir sukzessive den allgemeinen Regeln zugewiesen haben, so brauchen wir uns nur der Religion zuzuwenden. Vier Arten von Regeln sind zu unterscheiden: extensive und korrigierende Regeln des Affekts, extensive und korrigierende Regeln des Wissens. Nun partizipiert die Religion sowohl an der Erkenntnis wie am Affekt. Und tatsächlich hat das religiöse Gefühl zwei Pole: den Polytheismus und den Theismus. Die zwei entsprechenden Quellen sind die Eigenschaften des Affekts einerseits, die Assoziationsweisen andererseits (NR 6-9). Der Theismus entspringt der Einheit der Naturerscheinungen, einer Einheit, die allein durch die Ähnlichkeit und die Kausalität in den Phänomenen gewährleistet wird; der Polytheismus entspringt sowohl der Verschiedenartigkeit der Affekte als auch ihrer Irreduzibilität. In beiden Fällen erweist sich die Religion als ein System extensiver Regeln. So gilt im einen Fall, daß das religiöse Gefühl zwar dem Affekt entspringt, selbst aber kein Affekt ist. Es ist kein ursprünglicher Instinkt, erklärt uns Hume, kein erster Eindruck der Natur; das religiöse Gefühl hat, anders als die Selbstliebe oder der Geschlechtstrieb, keine natürliche Bestimmung; es ist ein kultureller Sachverhalt, ein Gegenstand für die Geschichtsschreibung (NR 2). Die Götter 83

des Polytheismus sind ein Echo, eine Ausdehnung, eine Widerspiegelung der Affekte; ihr Himmel ist nichts anderes als unsere Einbildungskraft. Hier begegnen wir wieder dem Grundzug der extensiven Regel: Das religiöse Gefühl vermengt das Akzidentelle mit dem Wesentlichen. Sein Ursprung liegt in der Vielfalt und Widersprüchlichkeit des menschlichen Lebens, im Wechsel von Glück und Unglück, von Hoffnung und Furcht (NR, 9). Das religiöse Gefühl wird geweckt durch eigenartige Begebenheiten, die sich in der Erfahrungswelt unter außergewöhnlichen und phantastischen Umständen ereignen, d.h. durch Phänomene, die wir genau deswegen als Wesenheiten auffassen, weil uns ihre Ursachen unbekannt sind (NR, 27 f.). Auf dieser Vermengung beruht der Aberglaube und der Götzendienst. »Grausamkeit und Launenhaftigkeit; diese Eigenschaften können wir allgemein, wenn auch vielleicht unter anderem Namen, als den herrschenden Charakterzug der Gottheit in volkstümlichen Religionen wahrnehmen.« (NR, 68)

Götzendiener ist, wer dem »künstlichen Leben« dient (MO, 258-280), wer aus dem Außergewöhnlichen ein Wesen macht, wer »einen unmittelbaren Dienst am Höchsten Wesen« sucht. Er ist ein Mystiker, ein Fanatiker oder auch nur abergläubisch. Solche Naturen stürzen sich gerne in kriminelle Unternehmungen; ihnen allen ist gemeinsam, daß moralische Handlungen für sie ein Ungenügen haben. Das ist im übrigen das Unbefriedigende an der Sittlichkeit; Sittlichkeit hat keinen Glanz, Prestige verschafft nur das Laster: »Die Menschen fürchten sich sogar davor, für gutmütig gehalten zu werden, weil ihnen dies als Mangel an Verstand angerechnet werden könnte. Und manche prahlen mit Ausschweifungen, die sie nicht begangen haben.« (TR II, 361)

Aber auch im anderen Fall, beim Gegenpol des Theismus, handelt es sich um ein System extensiver Regeln. Hier ist es die Erkenntnis, die von der Ausdehnung betroffen ist.

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Auch hier definiert sich die Religion als Überschuß der Einbildungskraft, als Fiktion, als Schatten des Glaubens. Sie beruht auf einer gesprochenen Wiederholung, einer mündlichen oder schriftlichen Überlieferung. Priester sprechen; Wunder beruhen auf menschlichen Zeugnissen (UN, 128), sie sind nicht unmittelbarer Ausdruck einer Wirklichkeit, sondern berufen sich nur auf jene Übereinstimmung, die wir im allgemeinen zwischen Zeugnis und Wirklichkeit zu finden gewohnt sind. Zudem vermengt die Religion in den auf Analogie beruhenden Gottesbeweisen der Analogie zwischen einer Maschine und der Welt - das Allgemeine und das Akzidentelle: Sie sieht nicht, daß die Welt nur eine sehr entfernte Ähnlichkeit mit den Werken menschlicher Erfindung aufweist, daß sie ihnen nur in den akzidentellen Begleitumständen ähnlich ist (RE, 25, 59). Warum wird der Analogie ausgerechnet das technische Tun des Menschen zugrundegelegt und nicht andere, in ihrer Parteilichkeit sich kaum unterscheidende Schöpfungsprozesse wie etwa die Zeugung oder das Wachstum? 46 Und schließlich überschreitet die Religion in den auf Kausalität beruhenden Beweisen die Grenzen der Erfahrung. Sie behauptet, Gott aus seinen Wirkungen, der Welt oder der Natur, herzuleiten. Doch im einen Fall überhöht sie wie Cleanthes (RE, X, insbesondere 88) die Schöpfungswirkung derart, daß sie jegliche Unordnung leugnet, die Gegenwart und Stärke des Bösen völlig verkennt und zuletzt Gott als angemessene Ursache einer willkürlich idealisierten Welt konstituiert. Und auch im anderen Fall, wo sie sich wie Demea (RE, 87) stärker auf die Ursache stützt, bildet sie sich zunächst einen gleichfalls maßlos überhöhten Gott, den sie dann, zum Ausgleich dieser Unangemessenheit, wieder auf die Erde herabsteigen und dort ungeahnte Wirkungen vollbringen läßt, deren wesentlichste darin besteht, Zukunft zu ermöglichen. Auf diese Weise macht die Religion vom Prinzip der Ursache einen falschen Gebrauch. Mehr noch,

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die Religion kennt überhaupt nur einen unrechtmäßigen und fiktiven Gebrauch der Kausalität. »Nur wo zwei Gattungen von Gegenständen in regelmäßigem Zusammenhang angetroffen werden, können wir die eine aus der anderen herleiten; kommt aber eine Wirkung vor, die ganz einzigartig ist und in keine bekannte Gattung eingeordnet werden kann, so darf nach meiner Ansicht über ihre Ursache überhaupt keine Vermutung oder Ableitung gebildet werden.« (UN, 173)

Mit anderen Worten, physisch gegebene Objekte und Wiederholung sind strikt innerweltliche Phänomene. Welt als solche ist prinzipiell einzig. Sie ist eine Fiktion der Einbildungskraft, niemals Gegenstand des Verstandes; die Kosmologien sind immer Phantasiegebilde. Die Theorie der Kausalität operiert jedoch bei Hume anders als bei Kant auf zwei Ebenen: auf der Ebene der Bestimmung der Bedingungen, unter denen Kausalbeziehungen im Bereich der Erfahrung legitim sind, und auf der Ebene der Kritik ihres illegitimen, sich nicht auf den Erfahrungsbereich erstreckenden Gebrauchs. Die Religion ist somit ein doppeltes System extensiver Regeln. Wie aber wird sie korrigiert? Es ist nicht zu übersehen, daß sie, sowohl im Bereich der Erkenntnis wie in der Kultur, eine ganz besondere Stellung einnimmt. Eine Korrektur findet zweifellos statt. In der Welt der Erkenntnis betrifft sie das Wunder: Eben dadurch, daß sie sich auf eine Erfahrung beruft, wird die auf menschlichem Zeugnis beruhende Evidenz zu einer auf Berechnung beruhenden Wahrscheinlichkeitserkenntnis, zu einem von zwei Gliedern einer Subtraktion, deren anderes Glied die entgegengesetzte Evidenz ist (UN, 130). In der Kultur bzw. in der moralischen Welt kommt es nicht vor, daß die korrigierenden Regeln die Ausnahme unterschlagen; sie erkennen und verstehen sie, indem sie eine Theorie der Erfahrung bilden, in der alle denkbaren Fälle eine ihre lntelligibilität garantierende Regel 86

finden und dem Statut des Verstandes unterstellt werden. In einem Essay analysiert Hume ein Beispiel dieser Theorie der Ausnahme: Der Selbstmord ist keine Verletzung unserer Pflichten gegenüber Gott, noch unserer Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Der Selbstmord ist eine Möglichkeit des Menschen, nicht gottloser als »Häuser zu bauen«, zu der er in Ausnahmesituationen greifen muß (NR, 96). Die Ausnahme wird ein Gegenstand der Natur. »Ein Mensch, der aus dem Leben tritt, fügt der Natur, oder wenn man so will ihrem Schöpfer, keinen Schaden zu. Er folgt dem Impuls dieser Natur, indem er den einzigen Weg wählt, den sie ihm läßt, um seinen Leiden zu entkommen;( ...) sterbend erfüllen wir eines ihrer Gebote.« (NR, eigene Übersetzung, Zitat nicht auffindbar)

Die Frage ist jedoch die: Was bleibt nach der Korrektur der Religion von der Religion selbst bestehen? Die Korrektur scheint in beiden Fällen ein totale Kritik; sie läßt nichts übrig. Vom Wunder bleibt nichts, es verschwindet in einer unverhältnismäßigen Subtraktion. Die Formen der Extension, die wir zuvor untersucht haben, das Recht, die Regierung, der Handel, die Kunst, die Sitten, ja sogar die Freiheit, besaßen eine eigene Positivität, die durch die Korrekturen bestätigt und verstärkt wurde: Aus ihnen setzte sich die Welt der Kultur zusammen. Dagegen scheint Hume die Religion und alles, was sich auf sie bezieht, aus der Kultur auszuschließen. Es bedeutet nicht dasselbe, wenn im Bereich der Religion mit einigen Worte ein Gegenstand geheiligt wird bzw. wenn im Bereich des Sozialen und des Rechts, ebenfalls mit einigen Worten, eine Abmachung getroffen wird, durch die sich die Natur der auf einen bestimmten Gegenstand bezogenen Handlungen ändert (MO, 120). Die Philosophie vollendet sich hier in einem praktischen Kampf gegen den Aberglauben. Die korrigierenden Regeln am entgegengesetzten Pol, die wirkliche Erkenntnis erst möglich machen, indem sie uns Kriterien und Gesetze für ihren Gebrauch an

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die Hand geben, haben zwangsläufig zur Folge, daß aus dem derart definierten Bereich jeder fiktive Gebrauch der Kausalität, angefangen bei der Religion, ausgeschlossen wird. Kurzum, es hat den Anschein, als hätte die Religion in der Ausdehnung nur das Oberflächliche behalten und alles Verbindliche eingebüßt. Man versteht unschwer warum. Die Religion ist zwar eine Extension der Leidenschaft, eine Widerspiegelung der Leidenschaften in der Einbildungskraft. In ihr gelangen die Affekte jedoch nicht in einer durch die Assoziationsprinzipien stabilisierten Einbildungskraft zur Widerspiegelung, wodurch Verbindlichkeit erst möglich wäre. Mit Religion haben wir es dann zu tun, wenn sich die Affekte in der bloßen Einbildungskraft, in der puren Phantasie widerspiegeln. Warum? Weil unter einem anderen Gesichtspunkt die Religion per se nichts anderes ist als der phantasievolle Gebrauch der Assoziationsprinzipien Ähnlichkeit und Kausalität. Bleibt also von der Religion rein gar nichts übrig? Wie aber ist dann die Kehrtwendung am Ende des Essays über die Unsterblichkeit und über das Wunder zu erklären? An Wunder zu glauben ist ein falscher Glaube, aber auch ein wahres Wunder. »Wen der Glaube bewegt, ihr [der christlichen Religion, A.d.Ü.] zuzustimmen, der ist sich eines fortgesetzten Wunders in seiner eigenen Person bewußt, das alle Prinzipien seines Verstandes umkehrt und ihn bestimmt, das zu glauben, was dem Gewohnten und der Erfahrung am meisten widerstreitet.« (UN 155)

Sicher ist hier ein ironischer Unterton Humes herauszuhören, vielleicht handelt es sich auch um eine gewisse Vorsichtsmaßnahme. Aber selbst wenn dem so sein sollte, der eigentlich philosophische Inhalt der Texte der Dialoge ist damit nicht erklärt. Tatsächlich hat die Religion eine Rechtfertigung, doch nur in ihrer ganz besonderen Stellung, außerhalb der Kultur, außerhalb der wahren Erkenntnis.

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Wir haben gesehen, daß die Philosophie über die Ursache der Prinzipien, über den Ursprung ihrer Macht nichts zu sagen vermag. Das ist die Domäne Gottes. Wir können uns nicht der Prinzipien der Assoziation bedienen, um die Welt als Schauplatz göttlichen Tuns zu erkennen, noch weniger dazu, um Gott als Schöpfer der Welt zu erkennen; stets aber können wir Gott negativ denken, als Ursache der Prinzipien. Insofern ist der Theismus gültig. Und insofern kehrt auch die Finalität wieder. Sie wird gedacht, nicht erkannt, und zwar als ursprüngliche Übereinstimmung der Prinzipien der menschlichen Natur mit der Natur selbst. » Wir finden hier also eine Art prästabilisierter Harmonie zwischen dem Laufe der Natur und der Abfolge unserer Vorstellungen« 47

l n der Finalität, so lautet das Postulat, haben wir die ursprüngliche Einheit des Ursprungs und der qualitativen Bestimmtheit vor uns. Die Vorstellung Gottes als einer ursprünglichen Übereinstimmung ist ein Gedanke von etwas Allgemeinem; einen erkenntnisrelevanten Inhalt kann sie nur dann bekommen, wenn die Erkenntnis verkürzt wird und sie sich für diese oder jene Erscheinungsweise, die die Erfahrung uns vor Augen führt, entscheidet und mit ihr identifiziert; wenn sie sich durch eine notwendig partielle Analogie bestimmen läßt. » In diesem kleinen Winkel der Welt allein gibt es vier Prinzipien: Vernunft, Instinkt, Zeugung, Wachstum«,

und aus jedem einzelnen läßt sich ein in sich stimmiger Diskurs über den Ursprung der Welt ableiten (RE, 61). Nur wenn er als solcher gedacht und nicht erkannt wird, ist der Ursprung alles zugleich- Materie, Leben und Geist und allen Gegensätzen, jenseits von Gut und Böse, gegenüber völlig indifferent (RE, 102).Jede einzelne Betrachtungsweise hat nur die Funktion, uns die anderen, ebenfalls möglichen Betrachtungsweisen überwinden zu helfen, wobei sie uns 89

daran erinnert, daß es sich stets nur um partielle Analogien handelt. In mancher Hinsicht ist Finalität eher elan vital als Schöpfungsplan und Vorsehung einer unbegrenzten Intelligenz (Dialoge, Siebter Teil). Man mag einwenden, daß jede Ordnung aus einem Entwurf hervorgeht; aber das heißt, das Problem als gelöst vorauszusetzen (RE, 60ff.), das heißt, jede Finalität auf eine Intention zu reduzieren und zu vergessen, daß die Vernunft nur eine Vorgehensweise unter anderen ist. » Warum sollte ein geordnetes System nicht so gut aus dem Bauch wie aus dem Gehirn hervorgesponnen werden können?« (RE, 64, umgestellt)

Was wird in dieser neuen Situation aus der Vorstellung von Welt? Ist sie weiterhin nichts anderes als eine bloße Fiktion der Phantasie? Wir haben bisher zwei fiktive Verwendungsweisen des Kausalitätsprinzips kennengelernt. Die erste definiert sich durch Wiederholungen, die nicht auf Erfahrung beruhen; die zweite definiert sich durch einen besonderen Gegenstand, der nicht wiederholt werden kann und eigentlich kein wirklicher Gegenstand ist: die Welt. Nun gibt es nach Hume eine dritte fiktive bzw. überschüssige Kausalität. Sie drückt sich aus im Glauben an die gesonderte und dauernde Existenz der Körper. Wenn wir einerseits Gegenständen eine dauerhafte Existenz zuschreiben, so deswegen, weil sie uns eine Art von kausalen Schlüssen gestatten, die die Stimmigkeit gewisser Eindrücke zur Grundlage haben (TR I, 260); trotz der Diskontinuität meiner Perzeption muß ich »die dauernde Existenz von Gegenständen voraussetzen( ... ), um ihr vergangenes und ihr gegenwärtiges Auftreten zu verknüpfen und sie in eine Verbindung miteinander zu bringen, wie sie mir durch die Erfahrung als ihrer besonderen Natur und den begleitenden Umständen entsprechend bezeichnet worden ist.« (TRI, 262)

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So löst sich der Widerspruch auf, der entstehen kann, wenn zwei Objekte der Erfahrung nach zusammenhängen, und dennoch nur eines dieser Objekte - ohne sein Gegenstück in der Wahrnehmung auftaucht. 48 Er löst sich jedoch nur mit Hilfe einer Fiktion der Einbildungskraft auf: Das Schlußfolgern ist hier fiktiv, das Kausaldenken geht über seinen eigentlichen Geltungsbereich hinaus, es greift über die Prinzipien hinaus, die die Bedingungen seines allgemein legitimen Gebrauchs bestimmen und es in den Grenzen des Verstandes halten. In der Tat verleihe ich dem Objekt eine größere Kohärenz und Regelmäßigkeit, als ich im Verlauf meiner Wahrnehmung beobachte. »Nun beruht alles Schließen, das Tatsachen betrifft, einzig auf der Gewohnheit, die Gewohnheit aber kann nur die Wirkung wiederholter Wahrnehmungen sein. Es kann also diese über die Wahrnehmungen hinausgehende Gewohnheit und Art der Schlußfolgerung nicht die direkte und natürliche Wirkung der konstanten Wiederholung und Verbindung sein.« (TRI, 264)

Andererseits beruht aber auch die Annahme einer gesonderten Existenz auf einem falschen Gebrauch der Kausalität, einer fiktiven und widersprüchlichen Kausalität. Wir behaupten ja tatsächlich eine kausale Beziehung zwischen Objekt und Wahrnehmung, erfassen es aber niemals unabhängig von seiner Wahrnehmung. Wir vergessen, daß die Annahme einer Kausalitätsbeziehung nur dann legitim ist, wenn frühere Erfahrungen uns lehren, daß zwei Existenzen beständig miteinander verbunden sind (TR I, 280). Kurzum, Beständigkeit und Gesondertheit sind unmittelbar Fiktionen, Vorspiegelungen der Einbildungskraft, da sie etwas meinen und bezeichnen, wovon definitionsgemäß weder für die Sinne noch für den Verstand eine Erfahrung möglich ist. Dies alles scheint den Glauben an die dauerhafte und gesonderte Existenz zu einem besonderen Fall einer extensiven Regel zu machen. Auf den ersten Blick zielen die Texte, die 91

die Konstitution dieses Glaubens und die Herausbildung der Regeln betreffen, in die gleiche Richtung. Die Einbildungskraft bedient sich stets der sie fixierenden Prinzipien, der Kontiguität, der Ähnlichkeit und der Kausalität, um ihre Grenzen zu überschreiten, um diesen Prinzipien über die Bedingungen ihres Gebrauchs hinaus Geltung zu verschaffen.'" So ist angesichts kohärenter Veränderungen die Einbildungskraft nur allzu gern bereit, ihnen zunächst eine dauerhafte Existenz anzudichten und ihnen sodann eine desto größere Kohärenz zuzuschreiben (TR I, 264 f.). Beständigkeit und Ähnlichkeit von Erscheinungen verführen die Einbildungskraft dazu, diesen ähnlichen Erscheinungen die Identität eines unveränderlichen Objekts zuzuschreiben und ihnen dann eine dauerhafte Existenz anzudichten, um den Gegensatz zwischen der Identität ähnlicher Wahrnehmungen und der Diskontinuität der Erscheinungen zu beseitigen (TRI, 273). Doch dieser Parallelismus zwischen Glaube und Regel ist nur ein scheinbarer. Die beiden Probleme hängen zwar zusammen, unterscheiden sich indes grundlegend. Im Gegensatz zu den extensiven Regeln wird die Fiktion einer Kontinuität nicht korrigiert, kann und darf nicht korrigiert werden; sie steht somit zur Reflexion in einer anderen Beziehung. Auch hat sie, was die Einbildungskraft anlangt, einen völlig anderen Ursprung als die allgemeinen Regeln. Beginnen wir mit dem zweiten Punkt. Die extensiven Regeln und der Glaube an die Existenz der Körper unterscheiden sich durch zwei Merkmale. Zunächst ist der Zweck der extensiven Regeln der Erkenntnis eine besondere Bestimmung. Dieser Bestimmung verleiht die Einbildungskraft die Wertigkeit eines Gesetzes, indem sie aus den Prinzipien, denen sie ihre Fixierung verdankt, die Kraft schöpft, sich über die Prinzipien hinaus auszudehnen. Dabei beruft sie sich auf eine Scheinerfahrung, das heißt sie führt dem Verstand den Inhalt einer bloßen Phantasie als einen in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden 92

Gegenstand vor. Die Einbildungskraft gibt als allgemeingültige Erfahrung aus, was nichts anderes ist als der rein akzidentelle Inhalt einer Erfahrung, die sich den Sinnen allein durch das zufällige Zusammentreffen von Ereignissen aufgedrängt hat. Im Gegensatz dazu wird die dauerhafte und gesonderte Existenz von der Einbildungskraft dem Verstand nicht als etwas vorgeführt, was den Gegenstand einer möglichen Erfahrung ausmachen könnte, noch kritisiert der Verstand - im Widerstreit mit der Einbildungskraft - diese als Scheinerfahrung. Sie ist unmittelbar das, wovon es keine Erfahrung gibt, weder für die Sinne noch für den Verstand. Sie ist kein besonderer Gegenstand, sie ist Grundmerkmal der Welt im allgemeinen. Sie ist kein Gegenstand, sondern der Horizont, den jeder Gegenstand voraussetzt. (Zweifellos war das bereits beim religiösen Glauben der Fall. Dieser scheint uns jetzt aber gerade weniger eine extensive Regel zu sein als eine Verbindung zwischen den Regeln und dem Glauben an die Existenz der Körper. Wenn er mit den Regeln in Zusammenhang steht, so deswegen, weil er die Welt als ein besonderes Objekt behandelt, weil er sich auf eine Erfahrung der Sinne und des Verstandes beruft.) - Im nächsten Schritt, beim Glauben an die Existenz der Körper, wird die Fiktion zu einem Prinzip der menschlichen Natur. Das ist der entscheidende Punkt. Der ganze Sinn der Prinzipien der menschlichen Natur liegt in der Tat darin, die Anhäufung der Vorstellungen, aus denen sich der Geist zusammensetzt, zu einem System umzuformen, einem System des Wissens und der Gegenstände des Wissens. Um ein System überhaupt zu ermöglichen, genügt es jedoch nicht, die Vorstellungen im Geist zu assoziieren, darüber hinaus müssen die Wahrnehmungen als vom Geist getrennt erfaßt, die Eindrücke den Sinnen gewissermaßen entrissen werden. Wir müssen dem Gegenstand der Vorstellung eine Existenz geben, die nicht von den Sinnen abhängig ist. Die Gegenstände des Wissens müssen wirklich Gegenstände sein. Hierzu 93

genügen die Prinzipien der Assoziation nicht, sowenig wie die Lebendigkeit des Eindrucks oder der einfache Glaube. Das System ist vollständig, wenn wir die »Diskontinuität der Erscheinungen« dadurch beseitigen, »daß wir ein dauerndes Ding erdichten, das jene Zwischenräume ausfüllt, und so unseren Wahrnehmungen vollkommene und vollständige Identität sichert.« (TRI, 275)

Mit anderen Worten, das System findet seinen Abschluß in der Identität von System und Welt. Nun haben wir aber gesehen, daß das System eine Hervorbringung der Prinzipien der Natur ist und die Welt (Beständigkeit und Gesondertheit) unmittelbar eine Fiktion der Einbildungskraft. Das ist die notwendigerweise zum Prinzip gewordene Fiktion. Im Fall der allgemeinen Regeln bezieht die Fiktion ihren Ursprung und ihre Kraft aus der Einbildungskraft, insofern diese sich der sie fixierenden Prinzipien bedient, um über sie hinauszugehen. Im Fall des Glaubens an die Beständigkeit wird aus der Kraft der Fiktion die Kraft eines Prinzips. Mit der Fiktion der Welt ist die Einbildungskraft wirklich konstituierend und schöpferisch geworden. Die Welt ist eine Vorstellung. Gewiß, die Kontinuität wird von Hume stets als eine überschüssige Wirkung der Kausalität, der Ähnlichkeit und der Kontiguität vorgeführt, als Ergebnis ihrer illegitimen Ausdehnung (TRI, 330f.). In Wirklichkeit treten hier jedoch Kontiguität, Ähnlichkeit und Kausalität nicht eigentlich als Prinzipien in Erscheinung, sondern werden als das Merkmal gewisser Eindrücke behandelt, nämlich genau jener, die den Sinnen entrissen werden müssen, um die Welt zu konstituieren. 50 Was als Prinzip behandelt wird, ist der Glaube an die Existenz der Körper und an das, wovon er abhängt.51 Der Glaube an die Existenz der Körper weist mehrere Momente auf: zunächst das Identitätsprinzip, ein Produkt der Fiktion, durch die wir die Zeitvorstellung auf ein unver94

änderliches und dauerhaftes Objekt anwenden; dann die Verwechslung, wenn wir ähnliche Eindrücke deshalb als identisch ansehen, weil der leichte Vorstellungsübergang zwischen ihnen, ein Effekt der Ähnlichkeit, der Wirkung gleicht, die die Betrachtung des identischen Gegenstands auslöst; schließlich eine neuerliche Fiktion, die der dauerhaften Existenz, der es bedarf, um den Widerspruch zu beseitigen, der sich zwischen der Diskontinuität der Eindrücke und der Identität auftut, die wir ihnen beigelegt haben (TRI, 266). Und das ist nicht alles. Es mag seltsam erscheinen, daß Hume im Verlauf weniger Seiten die Versöhnung, die die Fiktion einer dauerhaften Existenz bewirkt, zunächst für hinreichend 52 hält, und dann wieder für so mißlungen, daß andere Fiktionen, andere Versöhnungen notwendig werden.'3 Einerseits verträgt sich die dauerhafte Existenz ausgezeichnet mit der Diskontinuität der Erscheinungen; sie kann auf durchaus legitime Art und Weise die diskontinuierlichen Bilder und die vollkommene Identität, die wir ihnen zuweisen, zur Deckung bringen. Andererseits ist diese Identitätszuweisung nichtsdestoweniger falsch; unsere Wahrnehmungen sind tatsächlich diskontinuierlich, und die Behauptung einer dauerhaften Existenz verschleiert einen unrechtmäßigen Gebrauch der Prinzipien der menschlichen Natur. Mehr noch, dieser Gebrauch ist selbst ein Prinzip. Der Gegensatz siedelt im Innersten, im Herzen der Einbildungskraft. Aus dem Unterschied von Einbildungskraft und Vernunft ist ein Gegensatz geworden. »Die Einbildungskraft sagt uns, daß die einander ähnlichen Wahrnehmungen dauernde und ununterbrochene Existenz besitzen, und wenn sie entschwinden, nicht vernichtet werden. Die Überlegung sagt uns, daß auch die einander ähnlichen Wahrnehmungen in ihrer Existenz Unterbrechungen erfahren und voneinander verschieden sind.« (TR 1,283)

Der Widerspruch, sagt Hume, behauptet sich zwischen Ausdehnung und Reflexion, zwischen Einbildungskraft und 95

Vernunft, zwischen den Sinnen und dem Verstand. 54 Freilich sind diese Ausdrücke nicht sehr gut gewählt, denn sie treffen ebenso auf die allgemeinen Regeln zu. An einer anderen Stelle sagt Hume prägnanter: zwischen den Prinzipien der Einbildungskraft und den Prinzipien der Vernunft (TR 1, 283). In den vorangegangenen Kapiteln haben wir wiederholt auf den Gegensatz zwischen Vernunft und Einbildungskraft, zwischen menschlicher Natur und Phantasie hingewiesen. Wir haben dabei gesehen: wie die Prinzipien der Natur die Einbildungskraft fixieren; wie die Einbildungskraft jenseits dieser Fixierung wieder einsetzt; schließlich wie die Vernunft dieses Wiedereinsetzen korrigiert. Doch nun haben wir es damit zu tun, daß aus dem Gegensatz ein wirklicher Widerspruch geworden ist: In letzter Sekunde fängt sich die Einbildungskraft wieder, und zwar an einem exakt zu benennenden Punkt. Diese letzte Sekunde ist zugleich ein erstes Mal. Zum ersten Mal widersetzt sich die Einbildungskraft als ein Prinzip, als Weltprinzip, den Prinzipien, die sie fixieren, und den Operationen, die sie korrigieren. Da die Fiktion, zusammen mit der Vorstellung der einen Welt, in den Rang eines Prinzips erhoben wurde, reiben sich die Prinzipien der Assoziation mit der Fiktion, treten zu ihr in einen Gegensatz, ohne sie zerstören zu können. Ein tiefer Gegensatz bildet sich zwischen der konstituierten und der konstituierenden Einbildungskraft, zwischen den Prinzipien der Assoziation und der zum Naturprinzip gewordenen Fiktion. Genau deswegen, weil die Fiktion, die Ausdehnung Prinzip geworden ist, kann sie von der Reflexion nicht verstanden oder korrigiert, geschweige denn zerstört werden (TRI, 282). Zwischen Extension und Reflexion muß eine neue Beziehung gefunden werden. Diese Beziehung ist nicht die, welche die gewöhnliche Denkform unterstellt, die die dauerhafte Existenz behauptet, sondern die, welche uns die philosophische Denkform vorschlägt, die die unabhängige und 96

gesonderte Existenz behauptet: Die Gegenstände und die Wahrnehmungen sind verschieden; die Wahrnehmungen werden unterbrochen und vernichtet, die Gegenstände sind »ununterbrochen« und besitzen »dauernde Existenz und Identität« (TRI, 279). »Diese Annahme befriedigt unsere Vernunft, sofern sie die von uns abhängigen Wahrnehmungen unterbrochen und verschieden sein läßt, und ist zu gleicher Zeit der Einbildungskraft konform, sofern sie etwas anderem, das wir nun als den ,Gegenstand, bezeichnen, eine dauernde Existenz zuschreibt.« (TRI, 283)

Doch dieses ästhetische Wechselspiel zwischen Einbildungskraft und Vernunft führt zu keiner Versöhnung, in ihm steckt nach wie vor ein Widerspruch, dessen Bestandteile wir nur allmählich erfassen (TRI, 284). Zudem steigert es die Schwierigkeiten um ein weiteres, da es, wie wir gesehen haben, einen zusätzlichen illegitimen Gebrauch der Kausalität impliziert (TRI, 280). Das philosophische System empfiehlt sich ursprünglich weder der Vernunft noch der Einbildungskraft. Es ist das »widernatürliche Ergebnis aus zwei Voraussetzungen, die einander entgegengesetzt sind, vom Geist zu gleicher Zeit anerkannt werden, und nicht imstande sind, sich gegenseitig zu vernichten.« (TR I, 283)

Der Geist deliriert. Wenn aus der Fiktion ein Prinzip geworden ist, hört die Reflexion zwar nicht auf zu reflektieren, sie kann aber keine Korrekturen mehr herbeiführen. Sie geht dann Kompromisse ein, die man nur als Wahnwitz bezeichnen kann. Philosophisch gesprochen ist der Geist nur noch ein Irrsinn, von Demenz geschlagen. Geschlossene Systeme, Synthesen und Kosmologien sind nur imaginär möglich (RE, 64: Kritik der Kosmologien). Mit dem Glauben an die Existenz der Körper erhebt sich die Fiktion selbst zum Prinzip und stellt sich damit in einen Gegensatz zu den Prinzipien der 97

Assoziation: Letztere werden nicht nachfolgend, wie im Fall der extensiven Regeln, sondern prinzipiell überschritten. Das ist der Triumph der Phantasie. Es ist dem Geist zur Natur geworden, sich seiner Natur zu widersetzen und seiner Phantasie freien Lauf zu lassen. In dieser Hinsicht ist noch der Verrückteste ganz natürlich (TRI, 288f., 292f.). Das System ist der entfesselte Irrsinn. Der erste Schritt in Richtung auf dieses Von-Sinnen-Sein besteht für Hume in der Annahme einer unabhängigen Existenz. In diesem Zusammenhang untersucht er dann die Art und Weise, wie die unabhängige Existenz in der alten und in der modernen Philosophie Gestalt annimmt. Die alte Philosophie bildet den Wahn der Substanzen, der substantiellen Form, der Akzidenzien, der verborgenen Eigenschaften aus (TRI, 287 ff.): »Gespenster der Dunkelheit« (TRI, 2%). Doch auch die neue Philosophie hat ihre Phantome; sie glaubt die Vernunft auf ihrer Seite zu haben, wenn sie primäre und sekundäre Qualitäten unterscheidet, und ist letztendlich nicht weniger verrückt als die Philosophie der Alten (TRI, 295 ff.). Wenn der Geist auf diese Weise von Sinnen kommt und sich als Delir äußert, so deswegen, weil er in seinem Kern schwachsinnig und zunächst dement ist (TR I, 341 f.: Beschreibung der Demenz). Wird die Ausdehnung zum Prinzip, steht sie nicht mehr auf derselben Seite wie die Reflexion: Es stehen sich dann zwei Prinzipien gegenüber, die einander nicht zerstören können. »Wir können unmöglich richtige und regelrechte Schlüsse aus Ursachen und Wirkungen ziehen und zu gleicher Zeit an die dauernde Eidstenz der Materie glauben. Wenn nun dem so ist, wie sollen wir jene beiden Antriebe der Einbildungskraft gegeneinander ausgleichen? Welchem von ihnen sollen wir uns überlassen?« (TRI, 344, umgestellt)

Das Schlimme ist, daß sich diese zwei Prinzipien gegenseitig implizieren. Der Glaube an die Existenz der Körper geht 98

immer mit Kausalitätsdenken einher. Die Prinzipien der Assoziation, insofern sie das Gegebene als System konstituieren, verlangen andererseits, das Gegebene als eine Welt vorzustellen. Somit gibt es keine Wahl zwischen dem einen oder dem anderen Prinzip, sondern nur eine zwischen einem Alles oder Nichts, zwischen dem Widerspruch oder dem Nichts. »Es bleibt uns also nur die Wahl zwischen falscher Erkenntnis oder gar keiner.« (TR 1,346)

Das ist der Zustand der Demenz, des Schwachsinns. Zu hoffen, man könnte im Geist die Vernunft und den Wahnsinn trennen, man könnte die dauerhaften, unaufhaltsamen und allgemeinen Prinzipien des Geistes und seine veränderlichen, phantastischen und unregelmäßigen Prinzipien (TR I, 295 f.) auseinanderhalten, ist deswegen vergeblich. Die moderne Philosophie nährt diese Hoffnung, und das ist ihr Fehler. Wir haben nicht die Mittel, für den Verstand oder gegen die Eingebungen der Einbildungskraft zu optieren. »Der Verstand wendet sich, wenn er für sich allein und nach seinen allgemeinsten Prinzipien tätig ist, gegen sich selbst, und zerstört jede Gewißheit, in der Philosophie wie im gewöhnlichen Leben.« (TRI, 345, umgestellt)

Die Funktion des Verstandes als Reflexion über etwas ist ausschließlich eine korrigierende Funktion; allein auf sich bezogen kann der Verstand nur eines: endlos seine Korrekturen korrigieren, so daß jede Gewißheit, selbst in praktischen Dingen, angeschlagen wird und verloren geht (TR I, 243 f.). Somit sind wir auf drei kritische Zustände des Geistes gestoßen. Die Indifferenz und die Phantasie bilden den dem Geist eigentümlichen Rohzustand, wie er sich unabhängig von den äußeren Prinzipien, die ihn vermittels der Assoziation der Vorstellungen fixieren, darbietet. Die Schwäche des 99

Geistes, seine Demenz rührt aus dem Widerspruch zwischen den Prinzipien, deren Wirkung er unterliegt, und der Fiktion, die er als ein Prinzip behauptet. Das Von-Sinnen-Sein, das Delir ist das System der fiktiven Versöhnungen zwischen den Prinzipien und der Fiktion. Ein einziger Rückhalt, eine einzige Positivität bietet sich dem Geist, und das ist die Natur, die Praxis, eine Praxis der Moral und als deren Ebenbild eine Praxis des Verstandes. Anstatt die Natur auf den Geist zu beziehen, muß der Geist auf die Natur bezogen werden. »Ich darf gewiß, ja ich muß dem Drange der Natur folgen, und mich meinen Sinnen und meinem Verstand unterwerfen. In dieser blinden Unterwerfung zeige ich ja eben meine skeptische Neigung und meine skeptischen Grundsätze am vollkommensten.« (TRI, 347)

Die Demenz ist die auf den Geist bezogene menschliche Natur, so wie der gesunde Menschenverstand der Geist ist, der sich auf die menschliche Natur bezieht; die eine ist die Kehrseite des anderen. Deswegen muß man die Demenz und die Einsamkeit bis zum Ende durchschreiten, um den Elan des gesunden Menschenverstands zu finden. Die Selbstaffektionen des Geistes lassen sich nicht explizieren, ohne auf einen Widerspruch zu stoßen: Der Geist ist identisch mit der Vorstellung, und die Affektion läßt sich in der Vorstellung nicht ohne einen entscheidenden Widerspruch zum Ausdruck bringen. Dagegen konstituiert der Geist, der sich auf seine Affektionen bezieht, den ganzen Bereich der allgemeinen Regeln und des Glaubens, eine mittlere und gemäßigte Region, in der der Widerspruch zwischen der menschlichen Natur und der Einbildungskraft auftritt oder fortbesteht, durch eine mögliche Korrektur jedoch geregelt bzw. durch die Praxis aufgelöst werden kann. Kurzum, Wissenschaft und Leben gibt es nur auf der Ebene allgemeiner Regeln und Glaubensüberzeugungen.

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5. Empirismusund Subjektivität

Das Wesen des Empirismus müßte sich, so hatten wir angenommen, am Problem der Subjektivität festmachen lassen. Zunächst werden wir uns jedoch zu fragen haben, wie Subjektivität überhaupt zu definieren ist. Das Subjekt definiert sich durch und als eine Bewegung, als sich selbst entfaltende Bewegung. Was zur Entfaltung kommt, ist das Subjekt. Das ist der einzige Inhalt, der der Idee der Subjektivität gegeben werden kann: Vermittlung, Transzendenz. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Bewegung der Selbstentfaltung bzw. des Anders-Werdens eine doppelte ist: Das Subjekt geht über sich hinaus, das Subjekt reflektiert sich. Hume hat diese zwei Dimensionen erkannt und sie als die wesentlichen Grundzüge der menschlichen Natur herausgestellt: Schlußfolgern und Erfinden, Glaube und künstlich Geschaffenes. Man sollte sich deshalb davor hüten, der so oft strapazierten Analogie zwischen Glauben und Sympathie eine zu große Bedeutung beizumessen. Nicht daß diese Analogie unbegründet wäre. Der Glaube ist zwar ein auf Erkenntnis zielender Akt des Subjekts, das ist richtig, nur manifestiert sich im Gegenzug das moralische Handeln des Subjekts nicht in der Sympathie selbst, sondern in den künstlichen Erzeugnissen bzw. in der Erfindungsgabe; die Sympathie, die Entsprechung des Glaubens, ist lediglich ihre notwendige Bedingung. Kurzum, 101

Glauben und Erfinden ist, was das Subjekt zum Subjekt macht. Aus etwas Gegebenem schließe ich auf die Existenz von etwas anderem, das nicht gegeben ist: Ich glaube »Cäsar ist tot« bzw. »Rom hat existiert«, »die Sonne wird aufgehen« und »Brot macht satt«. In ein und demselben Vorgang und zeitgleich mit ihm fälle ich ein Urteil und setze mich als Subjekt: indem ich über das Gegebene hinausgehe. Ich behaupte mehr, als ich weiß. So daß das Problem der Wahrheit als das kritische Problem der Subjektivität benannt und zur Darstellung gebracht werden muß: Mit welchem Recht behauptet der Mensch mehr, als er weiß? Zwischen den sinnlichen Eigenschaften der Natur und ihren Mächten stellen wir qua Schlußfolgerung eine Verknüpfung her, eine Verknüpfung, die nicht bekannt ist. »Zeigt sich ein neuer Gegenstand, mit gleichartigen sinnlichen Eigenschaften begabt, so erwarten wir gleichartige Kräfte und Vermögen und sind einer gleichen Wirkung gewärtig. Von einem Körper, der die gleiche Farbe und Festigkeit wie das Brot besitzt, erwarten wir die gleiche Ernährung und Erhaltung.« (UN, 48). Wir sind auch noch in einer anderen Weise Subjekt, durch und im moralischen, ästhetischen oder gesellschaftlichen Urteil. Das Subjekt reflektiert sich und reflektiert selbst: Es setzt aus dem, wodurch es im allgemeinen affiziert wird, ein Vermögen frei, das unabhängig ist von der aktuellen Ausübung, d.h. eine reine Funktion; zugleich geht es über seine eigene Parteilichkeit hinaus." Dadurch werden Kunstschöpfungen und Erfindungen erst möglich. Das Subjekt erfindet, es ist »kunstschaffend«. Darin liegt die doppelte Kraft der Subjektivität: glauben und erfinden; geheime Vermögen unterstellen, abstrakte, distinkte Vermögen voraussetzen. In diesem zweifachen Sinn ist das Subjekt normativ: Es schafft Normen bzw. allgemeine Regeln. Für diese doppelte Kraft, diese zweifache Anwendung der allgemeinen Regeln muß eine Erklärung ge102

funden werden; wir müssen ihre Grundlage, ihre Berechtigung, ihr Prinzip ausfindig machen. Das ist das Problem. Denn nichts entzieht sich unserer Erkenntnis so radikal wie die Mächte der Natur (UN, 41), und nichts ist für unseren Verstand flüchtiger als die Unterscheidung zwischen einem Vermögen und seiner Ausübung (TR II, 43). Mit welchem Recht setzen wir sie voraus, und mit welchem Recht unterscheiden wir sie? Glauben bedeutet, von einem Teil der Natur einen anderen Teil, der nicht gegeben ist, abzuleiten. Und Erfinden bedeutet, Vermögen zu unterscheiden, funktionelle Totalitäten zu konstituieren, Totalitäten, die ebenfalls in der Natur nicht gegeben sind. Das Problem ist folgendes: Wie kann sich im Gegebenen ein Subjekt so konstituieren, daß es über das Gegebene hinausgeht? Zweifellos ist auch das Subjekt gegeben. Zweifellos ist, was über das Gegebene hinausgeht, ein Gegebenes, doch auf eine andere Art, in einem anderen Sinn. Dieses Subjekt, das erfindet und glaubt, konstituiert sich im Gegebenen in einer Weise, daß es aus dem Gegebenen selbst eine Synthese, ein System macht. Das gilt es zu erklären. In dem so gestellten Problem entdecken wir den eigentlichen Kern des Empirismus. Von der Philosophie allgemein läßt sich sagen, daß sie stets eine Ebene der Analyse einzunehmen suchte, von der aus die Untersuchung, d.h. die Kritik der Bewußtseinsstrukturen angegangen und durchgeführt und das Ganze der Erfahrung gerechtfertigt werden kann. Es ist zuvorderst diese Verschiedenheit der Ebenen, die die Lagerbildung in der kritischen Philosophie bestimmt. Die Position der transzendentalen Kritik nehmen wir dann ein, wenn wir auf einer methodisch eingeschränkten Ebene, die uns gleichwohl eine wesentliche Gewißheit, eine Wesensgewißheit gibt, fragen: Wie kann es ein Gegebenes geben, wie kann sich etwas einem Subjekt geben, wie kann das Subjekt sich etwas geben? Hier ist die kritische Einstellung die einer konstruktiven Logik, die ihrem Typ nach auf die Mathematik zurückgeht. Da103

gegen ist die Kritik eine empirische, wenn man sich auf einen rein immanenten Standpunkt stellt, der eine Beschreibung ermöglicht, die ihre Regel in festlegbaren Hypothesen und ihr Vorbild in der Physik findet, und die hinsichtlich des Subjekts die Frage stellt: Wie konstituiert es sich im Gegebenen? Die Konstruktion des Gegebenen weicht der Konstitution des Subjekts. Das Gegebene ist nicht mehr einem Subjekt gegeben, das Subjekt konstituiert sich im Gegebenen. Humes Verdienst ist es, dieses empirische Problem unverstellt aufgezeigt und es gleichzeitig vom Transzendentalen, aber auch vom Psychologischen ferngehalten zu haben. Aber was ist das Gegebene? Es ist, sagt uns Hume, der Fluß des sinnlich Wahrnehmbaren. Ein Bestand von Eindrücken und Abbildern, ein Gesamt von Perzeptionen. Es ist die Gesamtheit dessen, was erscheint, ein Sein, das dem Schein gleich ist,56 es ist die Bewegung, die Veränderung, ohne Identität noch Gesetz. Man spricht von Einbildungskraft, von Geist, und bezeichnet damit nicht eine Fähigkeit, ein Organisationsprinzip, sondern eine bestimmte Gesamtheit, einen bestimmten Bestand. Der Empirismus geht von dieser Erfahrung eines Bestandes aus, von einer bewegten Folge distinkter Perzeptionen. Er geht von ihnen aus, insofern sie unterschieden sind, insofern sie unabhängig sind. Tatsächlich lautet sein Prinzip, d.h. das konstitutive Prinzip, das die Erfahrung einem Statut unterstellt, keineswegs »jede Vorstellung stammt von einem Eindruck«, was sich nur als Regulierung verstehen ließe, sondern: »alle trennbaren Gegenstände sind unterscheidbar und alle unterscheidbaren Gegenstände sind trennbar.«

Das ist das Prinzip der Differenz. »Denn wie wäre es möglich, daß wir trennten, was nicht unterscheidbar ist oder unterschieden, was nicht verschieden ist?« (TRI, 32)

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Somit besteht die Erfahrung aus der Sukzession, aus der Bewegung der trennbaren Vorstellungen, sofern sie verschieden sind, und aus den unterschiedenen Vorstellungen, sofern sie trennbar sind. Von dieser Erfahrung muß ausgegangen werden, weil sie die Erfahrung ist. Sie setzt nichts anderes voraus, ihr geht nichts anderes voraus. Sie impliziert kein Subjekt, dessen Affektion sie wäre, keine Substanz, deren Modifizierung, deren Modus sie wäre. Wenn jede unterscheidbare Perzeption eine getrennte Existenz ist, gilt: »Die Perzeption erscheint aber eines-Trägers ihrer Existenz überhaupt unbedürftig.« (TRI, 305)"

Der Geist ist mit der Vorstellung im Geist identisch. Wenn wir das Wort Substanz beibehalten und weiterhin gebrauchen wollen, müssen wir es so verwenden, wie es angebracht ist:. nicht in bezug auf einen Träger, von dem wir keine Vorstellung haben, sondern in bezug auf jede einzelne Perzeption, und wir müssen sagen, daß »jede Perzeption offenbar eine Substanz und jeder gesonderte Teil einer Perzeption eine gesonderte Substanz ist.« (TRI, 317 f.)

Der Geist ist nicht Subjekt, er bedarf keines Subjekts, dessen Geist er wäre. Die Kritik Humes insgesamt, und insbesondere die des Prinzips des zureichenden Grundes, insofern sie Sophismen und Widersprüche angreift,5"läuft darauf hinaus, daß das Subjekt etwas ist, das über das Gegebene hinausgeht, und daß wir nicht bereits dem Gegebenen die Fähigkeit zuschreiben dürfen, über sich selbst hinauszugehen. Andererseits dient der Geist auch nicht der Repräsentation der Natur. Die Perzeptionen sind nicht nur die einzigen Substanzen, sondern auch die einzigen Gegenstände (TRI, 269). Der Negation des Prinzips des zureichenden Grundes entspricht die Negation der primären Qualitäten (TRI, 257, 296301): Die Perzeption erlaubt uns keine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Qualitäten. Die Philosophie der Erfah105

rung ist nicht nur die Kritik einer Philosophie der Substanz, sondern auch die Kritik einer Philosophie der Natur. Die Vorstellung ist also nicht die Repräsentation eines Gegenstands, sondern die eines Eindrucks; was den Eindruck selbst angeht, so ist er nicht repräsentativ, es geht ihm nichts voraus,59er ist angeboren.6° Sicherlich gibt es eine Natur, gibt es reale Vorgänge, haben die Körper Kräfte. Doch wir müssen »uns in unseren Spekulationen über die Betrachtung der sinnlichen Erscheinungsweise der Objekte beschränken und dürfen uns auf Untersuchungen über die realen Eigenschaften und Wirkungsweisen derselben nicht einlassen« (TR I, 87 Anm., verändert). In diesem »Skeptizismus« steckt weniger ein Verzicht als eine Forderung- eine Forderung, die sich mit der zuvor erhobenen deckt. Die beiden Kritiken überschneiden sich in einer Weise, daß sie sich zuletzt kaum noch unterscheiden. Warum? Weil die Frage nach einer bestimmbaren Beziehung mit der Natur ihre Voraussetzungen hat: Sie versteht sich nicht von selbst, sie ist nicht gegeben, sie kann nur von einem Subjekt gestellt werden, einem Subjekt, das den Wert des Systems seiner Urteile hinterfragt, d.h. die Legitimität der Transformation, die es dem Gegebenen angedeihen läih bzw. der Organisation, in die es das Gegebene einbindet. Das wirkliche Problem besteht also darin, im entscheidenden Augenblick, und nur dann, eine gedankliche Übereinstimmung herzustellen zwischen den unbekannten Mächten, von denen die uns gegebenen Erscheinungen abhängen, und den transzendenten Prinzipien, die die Konstitution eines Subjekts in diesem selben Gegebenen bestimmen, zwischen den Mächten der Natur und den Prinzipien der menschlichen Natur, zwischen der Natur und dem Subjekt. Was das Gegebene an und für sich angeht, so ist es weder Repräsentation der Natur, noch Modifizierung des Subjekts. Man könnte einwenden, daß sich das Gegebene doch zumindest den Sinnen zeige, Organe oder sogar ein Gehirn voraussetze. Das mag richtig sein, doch muß unter allen 106

Umständen vermieden werden, bereits dem Organismus eine Organisation zu unterstellen, die dieser erst annimmt, wenn das Subjekt selbst zum Geist, d.h. zu einer Organisation gekommen ist, die von denselben Prinzipien abhängt wie das Subjekt selbst. So versucht Hume in einem wichtigen Text eine physiologische Erklärung der Assoziation, der Subjektivität, zu geben: »Beim Vollzug einer Vorstellung strömen die Lebensgeister in die benachbarten Bahnen ein und wecken andere, ihr verwandte Vorstellungen.« (TR 1, 82, umgestellt)

Diese Erklärung bezeichnet Hume selbst als »bestechend und plausibel«; doch wie er sagt, habe er sich ihrer lieber nicht bedient. Wenn er sie doch einmal heranzieht, so nicht um die Assoziation selbst, sondern um die aus der Assoziation herrührenden Irrtümer zu erklären. 61 Denn eine solche zerebrale Organisation setzt, wo sie uns ein zutreffendes physiologisches Modell des assoziativen Prozesses bietet, nichtsdestoweniger die Prinzipien voraus, von denen dieser abhängt und von denen er mithin keine Rechenschaft geben kann. Kurzum, der Organismus und die Sinne weisen nicht von sich aus die Merkmale einer menschlichen Natur oder eines Subjekts auf; sie empfangen sie notwendigerweise von woanders her. Die Mechanismen des Körpers können nicht von sich aus die Spontaneität des Subjekts erklären. An und für sich ist ein Organ lediglich ein Bestand von Eindrücken, erfaßt in der Mechanik ihres Erscheinens: »Äußere Gegenstände werden gesehen, empfunden, stellen sich dem Geiste dar, d.h. sie treten zu einem zusammenhängenden Haufen von Perzeptionen in eine solche Beziehung( ...)« (TRI, 275).

Mit einem Wort, und damit kommen wir wieder auf die gleiche Schlußfolgerung zurück: Das Gegebene, der Geist, der ein Bestand von Perzeptionen ist, kann sich auf nichts anderes berufen als auf sich selbst. 107

Doch wenn er sich auf sich selbst beruft, worauf kann er sich dabei eigentlich berufen? Der Bestand der Perzeptionen ist schließlich von großer Willkürlichkeit geprägt und jede Vorstellung, jeder Eindruck kann verschwinden und ohne weiteres als vom Geist losgetrennt gedacht werden (TR I, 275). Wie kann man vom Gegebenen im allgemeinen bzw. vom Geist sprechen? Welche Beschaffenheit hat der Geist? Auch ist der Geist als Geist nicht unter dem Aspekt der Qualität zu betrachten, sondern unter dem Gesichtspunkt der Quantität. Es ist nicht die repräsentative Qualität der Vorstellung, die uns an diesem Punkt wichtig ist, sondern ihre Teilbarkeit. Das Grundprinzip des Empirismus,das Differenzprinzip, sagte es uns bereits;darin lag sein Sinn. Das Invariante des Geistes ist nicht diese oder jene Vorstellung, sondern die kleinste Vorstellung. Eine Vorstellung mag auftauchen oder verschwinden, irgendeine wird sich immer finden lassen; es kann jedoch vorkommen, daß sich keine allerkleinste finden läßt. » Wenn wir die unendlichen geistigen Vermögen leugnen, so nehmen wir notwendig an, daß der Geist in der Teilung seiner Vorstellungen einmal ein Ende erreichen müsse« (TR I, 42). Was in einer solchen Vorstellung zählt, ist nicht, daß sie dies oder jenes repräsentiert, sondern daß sie unteilbar ist: »Wenn man mir von dem tausendsten oder dem zehntausendsten Teil eines Sandkornes spricht, so habe ich eine bestimmte Vorstellung von diesen Zahlen und ihren verschiedenen Verhältnissen; aber die Bilder, welche ich mir in meinem Geist mache, um mir jene Gegenstände selbst zu vergegenwärtigen, sind um nichts voneinander verschieden, noch sind sie kleiner als das Bild, durch welches ich mir das Sandkorn selbst vergegenwärtige ( ...). Was wir aber auch in betreff des Dinges selbst denken mögen, in der Vorstellung eines Sandkorns sind zwanzig, oder gar tausend, zehntausend oder eine unendliche Zahl von verschiedenen Vorstellungen ebensowenig unterscheidbar als voneinander trennbar.«

Diese Reflexion, die gerade die Vorstellung bzw. den Eindruck mit dem Kriterium der Teilung in Verbindung 108

bringt;z werden wir das Moment des Geistes nennen. Der Geist, das Gegebene beruft sich nicht auf diese oder jene Vorstellung, sondern auf die allerkleinste, die dazu dient, das Sandkorn oder einen Teil desselben zu repräsentieren. Das ist der Grund, weswegen das Problem des Statuts des Geistes schließlich mit dem Problem des Raums zusammenfällt. Einerseits veranlaßt uns die Ausdehnung zu der Frage: Ist sie unendlich teilbar oder nicht? Andererseits ist das, was die in ihrer Unteilbarkeit erfaßten unteilbaren Vorstellungen in einer gewissen Weise erst konstituiert, eben diese Ausdehnung. Diese beiden Thesen stellt Hume als die beiden, eng miteinander verknüpften Teile eines Systems vor (TRI, 57). Sehen wir uns zunächst den ersten Teil an.63 Wenn wir sagen, der Geist habe eine begrenzte Kapazität, so sagen wir zugleich, »die Einbildungskraft erreiche ein Minimum« (TR I, 42). Dieses Minimum nennt Hume »Einheit« (TRI, 46), »unteilbare Punkte« (TR I, 48), »Eindrücke von Atomen oder Körperchen« (TRI, 56), »begrenzende Vorstellung« (TR I, 62). Nichts Kleineres; und unter »nichts« darf man nicht nur keine andere Vorstellung verstehen, sondern im allgemeinen überhaupt nichts."' Die Grenzvorstellung ist absolut unteilbar. Ist sie für den Geist unteilbar, so ist sie an sich unteilbar, da sie eine Vorstellung ist. Existenz als solche kommt nur der Einheit zu (TRI, 46). Dadurch besitzt und zeigt der Geist Objektivität. Humes eigentliches Thema, in dem die Mängel der Sinne und die Objektivität des Gegebenen versöhnt werden, ist folgendes: Ohne Zweifel gibt es kleinere Dinge als die, die unseren Sinnen als kleine Dinge erscheinen, und doch gibt es nichts Kleineres als den Eindruck, den wir von diesen Körpern haben, oder die Vorstellung, die wir uns von ihnen machen. 65 Was den zweiten Teil der These angeht,66 so ist er unverkennbar ein Echo des ersten. Die kleinste Vorstellung, der kleinste Eindruck ist weder ein mathematischer noch ein physikalischer Punkt, sondern ein sinnlich wahrnehmbarer Punkt (TR I, 108). Der 109

physikalische Punkt ist bereits ausgedehnt, er ist noch teilbar; der mathematische Punkt ist ein Nichts. Zwischen beiden gibt es ein Mittleres, und nur ihm allein kommt Wirklichkeit zu; zwischen einer wirklichen Ausdehnung und einem Nichtseienden gibt es eine wirkliche Existenz, deren Ausdehnung sich gerade erst herausbildet. Der sinnlich wahrnehmbare Punkt oder das Atom ist sichtbar und berührbar, farbig und fest. Er hat von sich aus keine Ausdehnung, dennoch existiert er. Er existiert, und wir haben gesehen warum; in der Möglichkeit seiner Existenz, im Grund seiner unterschiedenen Existenz entdeckt der Empirismus ein Prinzip. Er ist nicht ausgedehnt, weil keine Ausdehnung als solche ein Atom, ein Körperchen, eine minimale Vorstellung, ein einfacher Eindruck ist. »Spielt man fünf Noten auf einer Flöte, so geben sie uns den Eindruck und die Vorstellung der Zeit; dabei ist aber die Zeit kein sechster Eindruck, welcher sich dem Gehör oder einem anderen Sinne darböte« (TR I, 54 ); auch die Raumvorstellung ist lediglich eine Vorstellung sichtbarer oder berührbarer Punkte, die in einer gewissen Weise angeordnet sind (TRI, 74). Der Raum gibt sich in der Anordnung der sichtbaren und tastbaren Objekte zu erkennen, die Zeit in der wahrnehmbaren Folge wechselnder Objekte. Somit ist das Gegebene nicht Teil des Raums, sondern der Raum ist Teil des Gegebenen. Raum und Zeit sind im Geist. Halten wir dennoch den Unterschied zwischen Zeit und Raum fest. Der Raum macht sich uns nur durch zwei Sinne bemerkbar, den Gesichts- und den Tastsinn. Damit eine Raumvorstellung entstehen kann, müssen die einfachen Eindrücke bzw. die Teile unserer Eindrücke in einer gewissen Weise angeordnet sein, in einer Weise, die uns die anderen Sinne 67 wie auch die in der Bewegung entstehenden Muskeleindrücke nicht vermitteln. 68 Die Ausdehnung ist folglich nur eine Eigenschaft bestimmter Perzeptionen (TR I, 312 f.). Dies gilt für die Zeit, die jedes beliebige Konglomerat von 110

Perzeptionen als eine faktisch ihm zugehörige Eigenschaft behauptet, nicht in gleicher Weise (TRI, 51 f.). »Wir finden, daß in unserem Geist eine ununterbrochene Folge von Perzeptionen stattfindet. Darnach ist uns die Vorstellung der Zeit stets gegenwärtig.« (TRI, 88)

Das Gegebene muß somit durch zwei objektive Merkmale definiert werden: durch die Unteilbarkeit eines Elements und durch die Anordnung der Elemente, durch Atom und Struktur. Wie Laporte feststellte, ist es völlig falsch, wenn behauptet wird, in Humes Atomismus sei das Ganze lediglich die Summe seiner Teile. Im Gegenteil, die Teile in ihrer Gesamtheit definieren sich durch ihren zeitlichen und räumlichen Erscheinungsmodus, einen objektiven und spontanen Modus, der sich in keiner Weise einer reflexiven oder konstruktiven Anstrengung verdankt. Hume bringt dies - in bezug auf den Raum selbst zum Ausdruck, in einer Formulierung, deren Schlußpassage gleichermaßen beachtet werden sollte: »Die Perzeption besteht aus Teilen; diese Teile sind so angeordnet, daß sie uns das Bild der Entfernung und des Nebeneinander, der Länge, Breite und Dicke geben.« (TRI, 312)

Hier haben wir uns nun die Frage zu stellen, was wir eigentlich sagen wollen, wenn wir von »Subjekt« sprechen. Wir wollen damit sagen, daß sich die Einbildungskraft aus einem einfachen Bestand von Vorstellungen in eine Fähigkeit verwandelt; der geordnete Bestand wird ein System. Das Gegebene wird von einer Bewegung erfaßt, die über das Gegebene hinausgeht; der Geist wird menschliche Natur. Das Subjekt erfindet, es glaubt; es ist Synthese, Synthese des Geistes. Hier stellen sich nun drei Probleme. Zunächst: Welches sind die Grundzüge des Subjekts, wenn es glaubt und erfindet? Dann: Welches sind die Prinzipien, aufgrund derer sich das Subjekt auf diese Weise konstituiert? Welches sind die Fak111

toren, unter deren Einwirkung sich das Subjekt transformiert hat? Schließlich: Welches sind die verschiedenen Momente dieser Synthese, die vom Subjekt im Geist vollzogen wird? Welches sind die Momente des Systems? Beginnen wir mit dem ersten Problem. So, wie wir bereits eingangs nicht umhin konnten, den Geist unter drei Gesichtspunkten zu untersuchen, in bezug auf sich selbst, in bezug auf die Sinnesorgane und in bezug auf die Zeit, so müssen wir uns nun fragen, was aus diesen drei Instanzen wird, wenn der Geist selbst Subjekt wird. Betrachten wir zunächst den Bezug zur Zeit. Der in der Erscheinungsweise seiner Perzeptionen erfaßte Geist war im wesentlichen Sukzession, Zeit. Von einem Subjekt sprechen, heißt jetzt, von einer Dauer, einer Gepflogenheit, einer Gewohnheit, einer Erwartung sprechen. Die Erwartung ist Gewohnheit, die Gewohnheit ist Erwartung: Diese beiden Bestimmungen, der Druck der Vergangenheit und das Drängen (elan) in die Zukunft sind die zwei Aspekte derselben grundlegenden Dynamik im Zentrum der Philosophie Humes. Man tut den Texten keine Gewalt an, wenn man aus dem Begriffspaar Gew,ohnheit-Erwartung die meisten Merkmale einer Bergsonschen Dauer, einer Bergsonschen Erinnerung herausliest. Die Gewohnheit ist die konstitutive Wurzel des Subjekts; das Subjekt ist in seiner Wurzel eine Zeitsynthese, eine Synthese von Gegenwart und Vergangenheit im Hinblick auf die Zukunft. Wo Hume die beiden Operationen der Subjektivität, das Glauben und das Erfinden, untersucht, zeigt er dies sehr genau. Beim Erfinden wissen wir, worum es geht: Jedes Subjekt reflektiert sich, d.h. es geht über seine Parteilichkeit und seine unmittelbare Begierde hinaus, indem es Eigentums- und Institutionalisierungsregeln aufstellt, die ein Einvernehmen zwischen den Subjekten erst möglich machen. Aber worauf können sich dieses vermittelte Einvernehmen und diese allgemeinen Regeln in der menschlichen Natur gründen? Hume greift hier auf eine 112

einfache juristische Theorie zurück,. die später von vielen Utilitaristen weiterentwickelt werden wird: Jeder Mensch verläßt sich darauf, daß er behalten darf, was er besitzt (TR II, 248).69 Das Prinzip der enttäuschten Erwartung spielt in einer Logik des Eigentums die Rolle des Prinzips des Widerspruchs, die Rolle eines synthetischen Widerspruchsprinzips. Bekanntlich gibt es Hume zufolge mehrere durch komplizierte Beziehungen determinierte Umstände, die Eigentum entstehen lassen: die der Gesellschaft vorgängige Besitzverteilung, die mit der Gesellschaft institutionalisierten Formen der Besitzergreifung, Ersitzung, Zuwachs, Erbfolge. Es ist jedoch nur die Dynamik der Gewohnheit und der Erwartung, die aus diesen Verhältnissen einen Rechtstitel auf Eigentum her"orgehen läßt. Die Originalität Humes liegt in der Theorie dieser Dynamik: Die Erwartung ist die von der Gewohnheit vollzogene Synthese von Vergangenheit und Gegenwart. Die Erwartung, der Vorgriff auf die Zukunft, ist diese Synthese der Zeit, die das Subjekt im Geist konstituiert. »Die Macht der Gewohnheit ist so groß, daß sie uns nicht nur mit dem, was wir längere Zeit genossen haben, aussöhnt, sondern auch eine Zuneigung zu diesem Besitz in uns erweckt, so daß wir ihn anderen Dingen vorziehen, die vielleicht mehr Wert haben, uns aber nicht so vertraut sind.« (TR II, 247 f.)

Das bedeutendste Beispiel hierfür ist der juristische Tatbestand der Ersitzung: In diesem Fall verwandelt das Subjekt das Besitzverhältnis nicht nur durch eine Synthese der Zeit in einen Rechtstitel auf Eigentum, sondern dieses Verhältnis definiert sich selbst nur durch die Zeit und durch nichts anderes als die Zeit. »Alles entsteht freilich in der Zeit, aber es steht ebenso fest, daß nichts Wirkliches durch die Zeit hervorgebracht wird; daraus folgt, daß Eigentum, da es durch die Zeit geschaffen wird, nichts Wirkliches in den Gegenständen ist, sondern das Erzeugnis unserer Gefühle, auf die allein die Zeit einen Einfluß ausübt.« (TR II, 254)

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Besser läßt es sich wohl nicht zum Ausdruck bringen, daß die Zeit und das Subjekt in einer Weise aufeinander bezogen sind, daß sich das Subjekt als Synthese der Zeit erweist, und daß diese Synthese allein produktiv, schöpferisch, erfinderisch ist. Beim Glauben verhält es sich nicht anders. Wir wissen, daß die Glaubensüberzeugung lediglich eine lebhafte Vorstellung ist, die durch eine Kausalbeziehung mit einem gegenwärtigen Eindruck verbunden ist. 70 Der Glaube ist ein Gefühl, eine besondere Art und Weise, wie uns eine Vorstellung anmutet (TR 1, 353). Der Glaube ist eine »vielmehr empfundene, als bloß vorgestellte« (TRI, 359) Vorstellung, eine lebhafte Vorstellung. Also müssen wir, wollen wir dieses Gefühl analysieren, die Kausalbeziehung hinterfragen, ist sie es doch, die der Vorstellung die Lebhaftigkeit des gegenwärtigen Eindrucks "vermittelt. In dieser Analyse entdeckt das Gefühl seine Quelle: Es offenbart sich aufs neue als das Produkt der Synthese der Zeit. Was ist die Kausalbeziehung in ihrem Kern? Sie ist »jene durch die Gewohnheit hervorgerufene Geneigtheit, von einem Gegenstand auf die Vorstellung desjenigen Gegenstandes überzugehen, der ihn gewöhnlich begleitete.« (TRI, 224) Wir begegnen hier erneut jener dynamischen Einheit von Gewohnheit und natürlicher Disposition, jener Synthese einer Vergangenheit und einer Gegenwart, die die Zukunft konstituiert, jener synthetischen Identität einer früheren Erfahrung und einer Anpassung an die Gegenwart (TRI, 140). »So ist die Gewohnheit die große Führerin im menschlichen Leben.( ...) Ohne den Einfluß der Gewohnheit( ...) würden (wir) niemals die Mittel den Zwecken anzupassen wissen, noch unsere natürlichen Kräfte zur Erzeugung irgend einer Wirkung anzuwenden verstehen. Es wäre auf einmal mit allem Handeln und mit dem besten Teil geistiger Arbeit vorüber.« (UN, 57 f.)

Kurzum, die Synthese besteht darin, die Vergangenheit als Regel der Zukunft zu setzen (UN, 49). Beim Glauben wie 114

beim Eigentum stoßen wir stets auf dieselbe Transformation: Die Zeit war Struktur des Geistes; jetzt stellt sich das Subjekt als Synthese der Zeit dar. Um den Sinn dieser Transformation zu verstehen, darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Geist von sich aus die Erinnerung einbegreift, und zwar in dem Sinn, den Hume dem Wort verleiht: Im Bestand der Perzeptionen wurden die Sinneseindrücke, die Vorstellungen der Erinnerung und die Vorstellungen der Einbildungskraft nach dem Grad ihrer Lebhaftigkeit unterschieden (UN, 61 f.). Erinnern heißt das erneute Auftreten eines Eindrucks in Form einer noch lebhaften Vorstellung. Von sich aus bewirkte sie jedoch noch keine Synthese der Zeit; sie überwand die Struktur nicht, ihre Rolle bestand im wesentlichen darin, die verschiedenen Strukturen des Gegebenen zu reproduzieren.7) Es ist im Gegenteil die Gewohnheit, die sich als Synthese erweist; und Gewohnheit ist gleichbedeutend mit Subjekt. Erinnerung ist die ehemalige Gegenwart, ~icht die Vergangenheit. Nicht einfach, was gewesen ist, ist als Vergangenheit zu bezeichnen, sondern was nötigt, was wirkt, was drängt, was in irgendeiner Weise Gewicht hat. Insofern ist die Gewohnheit für die Erinnerung nicht nur, was das Subjekt für den Geist ist, sondern mehr noch, die Gewohnheit kann überhaupt leicht auf jene Dimension des Geistes verzichten, die man Erinnerung nennt; die Gewohnheit bedarf der Erinnerung nicht. Gewöhnlich verzichtet sie auf die eine oder andere Weise auf sie: Das eine Mal wird sie von keinem Aufruf einer Erinnerung begleitet,72 das andere Mal ist eine besondere Erinnerung, die aufgerufen werden könnte, überhaupt nicht vorhanden (TRI, 143). Mit einem Wort, die Vergangenheit als Vergangenheit ist nicht gegeben; sie wird aufgrund bzw. mittels einer Synthese konstituiert, die dem Subjekt seinen wahren Ursprung, seinen wahren Quellgrund allererst vermittelt. Es bleibt zu präzisieren, was unter dieser Synthese von Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen ist. Das ist weit115

hin unklar. Denn wenn wir Vergangenheit und Gegenwart auf der Seite des Subjekts veranschlagen, so ergibt sich die Synthese von ganz allein, sie ist bereits vollzogen; das Problem ist verschwunden. Und da die Zukunft durch diese Synthese von Vergangenheit und Gegenwart konstituiert wird, gibt es folglich auch kein Problem der Zukunft mehr. Wenn Hume uns sagt, daß die größte Schwierigkeit darin liege, zu erklären, wie die Vergangenheit als Regel für die Zukunft zu konstituieren sei, so ist für uns nicht ersichtlich, worin die Schwierigkeit liegen soll. Hume selbst fühlt sich bemüßigt, uns zu überzeugen, daß es ihm nicht darum gehe, Paradoxa aufzustellen (TRI, 225 ff.) » Vergeblich behauptet man, die Natur der Körper aus vergangener Erfahrung kennen gelernt zu haben. Ihre verborgene Natur und folglich alle ihre Wirkungen und Äußerungen können wechseln, ohne jeden Wechsel in ihren sinnlichen Eigenschaften. Das trifft manchmal und für manche Gegenstände zu; warum sollte es nicht immer und für alle Gegenstände zutreffen? Welche Logik, welches Verfahren der Begründung sichert uns gegen diese Annahme? Mein Handeln, sagt man, widerlegt meine Zweifel. Aber dies heißt die Absicht meiner Frage verkennen. Als Handelnder bin ich über den Punkt vollständig im reinen, aber als Philosoph, der einige Wißbegierde, um nicht zu sagen Zweifelsucht (Skeptizismus) sein eigen nennt, wünsche ich die Grundlage dieser Ableitung kennen zu lernen.« (UN, 49; Hervorhebung G.D.)

Im Handlungsvollzug gibt es tatsächlich kein Problem; da Vergangenheit und Gegenwart gegeben sind, ist zugleich auch die Synthese gegeben. Das Problem liegt woanders. Gegenwa'rt und Vergangenheit, erstere verstanden als Ausgangspunkt eines Elans, letztere als Gegenstand einer Beobachtung, sind keine Merkmale der Zeit. Sie sind das Produkt der Synthese, wäre wohl zu sagen, sie sind nicht die Elemente, aus denen sie gebildet wird. Aber auch das wäre noch ungenau. Tatsächlich konstituieren sich, unter dem Einfluß bestimmter Prinzipien, Vergangenheit und Gegenwart in der 116

Zeit; die Synthese ist selbst nur diese Konstitution, diese Organisation, diese doppelte Affektion. Das Problem stellt sich somit folgendermaßen: Wie konstituieren sich in der Zeiteine Gegenwart und eine Vergangenheit? Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Analyse der Kausalbeziehung und ihrem wesensmäßigen Dualismus eine besondere Bedeutung zu. Einerseits stellt uns Hume die Erfahrung als ein Prinzip vor, das eine Vielfalt, eine Wiederholung vergleichbarer Fälle artikuliert; im wahrsten Sinn des Wortes affiziert dieses Prinzip die Zeit einer Vergangenheit. Andererseits sieht er in der Gewohnheit ein weiteres Prinzip, das uns nötigt, von dem einen Gegenstand zu dem anderen, der ihn begleitete, überzugehen, ein Prinzip, das die Zeit als fortwährende Gegenwart organisiert, der wir uns anpassen können und müssen. Beziehen wir uns auf die Unterscheidungen, die Hume dort einführt, wo er »den Schluß vom Eindruck auf die Vorstellung« analysiert, 73 so können wir folgende Definitionen geben: Der Verstand ist der Geist selbst, der Geist, der unter dem Einfluß des Prinzips der Erfahrung die Zeit als eine der Beobachtung unterworfene Vergangenheit reflektiert; die Einbildungskraft ist ebenfalls Geist, der jedoch unter dem Einfluß des Prinzips der Gewohnheit die Zeit als eine bestimmte, von seinen Erwartungen erfüllte Zukunft reflektiert. Der Glaube ist die Klammer zwischen diesen beiden konstituierten Dimensionen. Den Glauben in eine Formel fassend, schreibt Hume: Indem beide Prinzipien »gemeinsam auf die Einbildungskraft wirken, veranlassen sie mich, gewisse Vorstellungen in kräftigerer und lebhafterer Art zu vollziehen als andere, welche nicht so glücklich sind, von jener Wirkung betroffen zu werden.« (TRI, 343)

Wir haben soeben gesehen, wie sich die Zeit transformiert, wenn sich das Subjekt im Geist konstituiert. Wir können zum zweiten Punkt übergehen. Was wird aus dem Organismus? Eben noch erschien er nur als der Mechanismus der 117

unterschiedlichen Perzeptionen. Wenn wir nun sagen, das Subjekt konstituiere sich im Geist, so wollen wir damit sagen, daß der Organismus unter dem Einfluß der Prinzipien eine doppelte Spontaneität entwickelt. Zum einen eine die Spontaneität der Relation." »Beim Vollzug einer Vorstellung strömen die Lebensgeister in die benachbarten Bahnen ein und wecken andere, ihr verwandte Vorstellungen.« (TRI, 82, umgestellt) Damit die Lebensgeister genau in den benachbarten Bahnen, in die sie einströmen, Vorstellungen finden, die mit der ursprünglichen Vorstellung, also mit der, die der Geist zu sehen wünschte, verwandt sind, müssen, wie wir bereits festgestellt haben, vorgängig die Vorstellungen im Geist selbst miteinander assoziiert sein; der Mechanismus der unterschiedlichen Perzeptionen muß im Körper selbst von einer physischen Spontaneität der Beziehungen gewissermaßen durchkreuzt werden, von einer Spontaneität des Körpers, die von denselben Prinzipien wie die Subjektivität abhängt. Der Körper war zunächst nur Geist, ein Bestand von Vorstellungen und Eindrücken, mit Blick auf den Mechanismus ihrer unterschiedlichen Hervorbringung; jetzt ist der Körper das Subjekt selbst, mit Blick auf die Spontaneität der Beziehungen, die es unter dem Einfluß der Prinzipien zwischen den Vorstellungen herstellt. Zum anderen eine Spontaneität der Disposition. Wir haben gesehen, welche Bedeutung bei Hume der Unterscheidung zwischen zwei Arten von Eindrücken zukommt, den Eindrücken der Sinneswahrnehmung und den Eindrücken der Selbstwahrnehmung. Daran hängt alles. Denn die Eindrücke der Sinneswahrnehmung prägen nur den Geist, verleihen ihm lediglich einen Ursprung, während die Eindrücke der Selbstwahrnehmung das Subjekt im Geist konstituieren, den Geist als je verschiedenes Subjekt qualifizieren. Zwar stellt uns Hume diese Eindrücke der Selbstwahrnehmung als Teil des Bestandes vor; nichtsdestoweniger ist vorgängig not118

wendig, daß sie geprägt werden. Und gerade in ihrer Prägung hängen sie von einem besonderen Prozeß ab, von Prinzipien, die die Prinzipien der Subjektivität sind. »Möchte der Geist auch tausendmal alle seine der Sinnesempfindung entstammenden Vorstellungen betrachten, nie kann er aus ihnen eine neue originale Vorstellung herausklauben, es sei denn, daß

die Natur ihn so organisiert hat, daß aus einer solchen Betrachtung zuerst für die Empfindung ein neuer originaler Eindruck entsteht.« (TRI, 54; Hervorhebung

G.D.)

Das Problem besteht also darin, herauszufinden, welche neue Dimension die Prinzipien der Subjektivität dem Körper hinzufügen, wenn sie im Geist die Eindrücke der Selbstwahrnehmung konstituieren. Die Eindrücke der Sinneswahrnehmung definierten sich durch einen Mechanismus und verwiesen auf den Körper als das Prozedere dieses Mechanismus; die Eindrücke der Selbstwahrnehmung definierten sich durch eine Spontaneität, durch eine Disposition, und verwiesen auf den Körper als biologische Quelle dieser Spontaneität. Diese neue Dimension des Körpers analysiert Hume bei der Untersuchung der Affekte. Der Organismus ist so beschaffen, daß er Affekt produziert; er weist eine eigene, besondere Disposition für den jeweiligen, als »eine ursprüngliche innere Bewegung« (TR II, 17) betrachteten Affekt auf. Beispielsweise beim Hunger, Durst oder dem sexuellen Begehren (TR II, 130-133). Nun könnte man einwenden, daß es sich nicht bei allen Affekten so verhält. Es gibt Affekte wie den Stolz und die Demut, die Liebe und den Haß, die Liebe zwischen den Geschlechtern, die Freude und den Kummer, denen keine körperliche Disposition im besonderen entspricht. Dies deswegen, weil die Natur in diesem Fall den Affekt nicht »unmittelbar aus sich selbst« hervorbringt, sondern »dazu der Mitwirkung anderer Ursachen bedarf« (TR II, 17). Diese Ursachen sind natürlich, aber nicht ursprünglich (TR II, 10). Mit anderen Worten, hier 119

wird die Rolle der körperlichen Disposition lediglich von einem äußeren Objekt übernommen, das den Affekt unter bestimmbaren natürlichen Bedingungen hervorbringen wird. Das bedeutet, daß auch in diesem Fall das Phänomen des Affekts nur vor dem Hintergrund der körperlichen Disposition zu verstehen ist: »Die Natur hat dem Körper gewisse Triebe und Tendenzen verliehen( ...). In gleicher Weise nun verfuhr sie mit dem Geist.« (TR II, 102) Und welches ist ganz allgemein der Sinn der Disposition? Vermittelt durch den Affekt ruft sie spontan das Auftreten einer Vorstellung hervor, die Vorstellung des Gegenstands, der dem Affekt entspricht (TR II, 16f., 133). Bleibt der letzte Gesichtspunkt, der allgemeinste: Ohne jedes weitere Kriterium haben wir nun das Subjekt mit dem Geist zu vergleichen. Aber gerade weil dies der allgemeinste Gesichtspunkt ist, konfrontiert er uns auch schon mit dem zweiten erwähnten Problem: Welches sind die Prinzipien, die das Subjekt im Geist konstituieren? Was veranlaßt den Geist, sich zu transformieren? Die Antwort Humes ist, wie wir gesehen haben, einfach: Was den Geist in ein Subjekt verwandelt, was ein Subjekt im Geist konstituiert, sind die Prinzipien der menschlichen Natur. Diese Prinzipien unterteilen sich in zwei Arten: einerseits die Prinzipien der Assoziation, andererseits die Prinzipien des Affekts, die in gewisser Hinsicht in der allgemeinen Form eines Nützlichkeitsprinzips dargestellt werden könnten. Das Subjekt ist die Instanz, die unter der Einwirkung eines Nützlichkeitsprinzips ein Ziel, eine Absicht verfolgt, im Hinblick auf ein Ziel Mittel organisiert und unter der Einwirkung der Prinzipien der Assoziation zwischen den Vorstellungen Verbindungen herstellt. Aus dem Bestand wird so ein System. Das Nebeneinander der Perzeptionen wird dann zu einem System, wenn die Perzeptionen organisiert und miteinander verbunden sind. 120

Betrachten wir nun das Problem der Relationen, der Beziehungen. Wir brauchen nicht über Belanglosigkeiten zu streiten; wir brauchen uns nicht zu fragen: Angenommen, die Beziehungen hängen nicht von den Vorstellungen ab, können wir dann noch davon ausgehen, daß sie, für alles weitere und gerade deswegen, vom Subjekt abhängen? Das ist evident; wenn die Ursache der Relationen nicht in den Eigenschaften der Vorstellungen selbst, den Relata der Relationen, liegt, wenn sie andere Ursachen haben, so bestimmen diese anderen Ursachen ein Subjekt, das ganz allein die Beziehungen herstellt. Gerade in der Behauptung, ein wahres Urteil sei keine Tautologie, kommt die Beziehung der Wahrheit zur Subjektivität zum Ausdruck. Die wirklich grundlegende Aussage ist mithin die: Die Beziehungen sind den Vorstellungen äußerlich. Und wenn sie äußerlich sind, leitet sich davon das Problem des Subjekts, so wie es der Empirismus stellt, wie von selbst ab: Es muß in der Tat geklärt werden, von welchen anderen Ursachen es abhängt, d.h. wie sich das Subjekt im Bestand der Vorstellungen konstituiert. Die Beziehungen sind den aufeinander bezogenen Termen äußerlich: Wenn James sich einen Pluralisten nennt, sagt er im Prinzip nichts anderes; das gleiche gilt, wenn sich Russell einen Realisten nennt. Wir müssen in diesem Satz den gemeinsamen Punkt aller empiristischen Theorien sehen. Es trifft zu, daß Hume zwei Arten von Relationen unterscheidet: »solche, welche sich verändern können, ohne irgend welche gleichzeitige Veränderung in den betreffenden Vorstellungen« (Identität, zeitliche und räumliche Beziehungen, Kausalität) und »solche, welche durchaus durch die Natur der Vorstellungen bedingt sind, die wir miteinander vergleichen« (Ähnlichkeit, Widerstreit, Grade einer Eigenschaft, Verhältnisse der Quantität oder Zahl) (TRI, 93). Die letzteren scheinen insofern den Vorstellungen nicht äußerlich zu sein. Genau das war die Überzeugung Kants, als er 121

Hume vorwarf, die Mathematik als ein System analytischer Urteile darzustellen. Dem ist jedoch nicht so. Jede Beziehung ist ihren Termen äußerlich. » Wir

müssen bedenken, daß Gleichheit, als eine Art der Beziehung, genau genommen keine Eigenschaft der Figuren selbst ist, sondern erst durch den Vergleich, den der Geist zwischen diesen anstellt, zustande kommt.« (TRI, 65)

Die Vorstellung kann, wie wir gesehen haben, in zweierlei Hinsicht betrachtet werden, kollektiv und individuell, nach ihrer Distribution oder nach ihrer Besonderheit, als Element des definierbaren Bestandes, in den sie durch ihre Erscheinungsweise eingelassen ist, und in ihren eigenen Wesenszügen. Das ist der Ursprung der Unterscheidung zwischen den zwei Typen von Beziehungen. In beiden Fällen ist die Relation jedoch der Vorstellung gleichermaßen äußerlich. Sehen wir uns den ersten Typ an. Was uns die räumlichen und zeitlichen Beziehungen in verschiedenen Formen vorführen (Entfernung, Nebeneinander, früheres oder späteres Auftreten ... usw.), ist die Beziehung eines variablen Gegenstands zu dem Gesamtzusammenhang, in den er integriert ist, zu der Struktur, in die er durch seine Erscheinungsweise eingelassen ist. Man könnte einwenden, daß uns der Geist an und für sich bereits die Begriffe der Entfernung und der Nachbarschaft zur Verfügung gestellt hat (TRI, 312). Das ist sicher so, aber auf diese Weise stellte er uns nur den Stoff zu einer Konfrontation zur Verfügung, kein aktuelles Prinzip. Was die benachbarten oder entfernten Gegenstände überhaupt nicht erklären, ist, daß Entfernung und Nachbarschaft Relationen sind. Im Geist waren Raum und Zeit nur eine Komposition. Wie werden sie zu einer Relation? Und unter welchem Einfluß einem dem Geist äußerlichen Einfluß, da ihm der Geist (wie sie und mit ihnen) gleichfalls unterliegt und in diesem Zwang eine Beständigkeit erlangt, die er von sich aus nicht besitzt? Noch klarer ist das Besondere der Re122

lation am Problem der Identität zu erkennen. Tatsächlich ist hier die Beziehung Fiktion: Wir wenden die Zeitvorstellung auf einen invariablen Gegenstand an, wir vergleichen die Repräsentationen des invariablen Gegenstands mit der Folge unserer Perzeptionen (TR I, 88 f.). Am eindeutigsten ist wohl der Fall der Kausalität, von der wir wissen, daß dort die Herstellung der Relation ein Überschreiten ist (TRI, 100). Wenn im Vergleich dazu die Beziehungen des zweiten Typs weitaus undurchsichtiger sind, so deswegen, weil dieser zweite Beziehungstyp nur die Merkmale von zwei oder mehreren individuell betrachteten Vorstellungen miteinander in Beziehung setzt. Ähnlichkeit vergleicht dem strengen Wortsinn nach Eigenschaften; Proportionen vergleichen Quantitäten; und die Grade einer Eigenschaft Intensitäten. Es darf nicht verwundern, daß sich in diesem Fall die Beziehungen nicht ändern können, ohne daß sich zugleich die Vorstellungen ändern: In der Tat, was in Erwägung gezogen wird, was der Gegenstand des Vergleichs ist, ist diese oder jene objektiv unterscheidbare Vorstellung, nicht aber ein faktisch bestimmbarer, immer aber willkürlicher Bestand von Vorstellungen. Nichtsdestoweniger sind diese Beziehungen nach wie vor äußerlich. Daß besondere Vorstellungen einander ähneln, erklärt nicht, daß Ähnlichkeit eine Beziehung ist, d.h. daß eine Vorstellung im Geist eine andere ähnliche erwecken kann. Daß Vorstellungen unteilbar sind, erklärt nicht, daß die sie konstituierenden Einheiten addiert und subtrahiert werden können, daß sie eine Gleichung bilden und in ein System von Operationen eintreten, noch daß die Ausmaße, die sie andererseits aufgrund ihrer Anordnung aufweisen, gemessen und bewertet werden können. Wir erkennen hier die zwei unterschiedlichen Probleme der Arithmetik und der Geometrie. Kurzum, stets setzt die Beziehung eine Synthese voraus, die weder durch die Vorstellung noch durch den Geist erklärt werden kann. Die Beziehung bezeichnet in einem gewissen Sinn »jenen besonderen Um123

stand, hinsichtlich dessen wir es für richtig halten, zwei Vorstellungen zu vergleichen« (TRI, 24 f.). Der Ausdruck »es für richtig halten« könnte nicht besser gewählt sein: Es handelt sich in der Tat um ein normatives Urteil. Das Problem besteht darin, herauszufinden, welches die Normen dieses Urteils, dieser Entscheidung sind, welches die Normen der Subjektivität sind. Allenfalls könnte man vom Voluntarismus Humes sprechen, liegt doch die Schwierigkeit darin, die Prinzipien dieses Willens, Prinzipien, die unabhängig von den Merkmalen des Geistes existieren, ausfindig zu machen. Diese Prinzipien sind zunächst die Assoziationsprinzipien: Kontiguität, Ähnlichkeit und Kausalität. Selbstverständlich müssen diese Begriffe in einer anderem Weise aufgefaßt werden als eben noch, als sie nur Beispiele für Beziehungen darstellten. Die Beziehungen sind eine Wirkung der Assoziationsprinzipien. Und gerade diese Prinzipien geben dem Geist Beständigkeit, verleihen ihm Natürlichkeit. Jedes einzelne scheint sich ganz besonders an einen bestimmten Aspekt des Geistes zu wenden: die Kontiguität an die Sinne, die Kausalität an die Zeit und die Ähnlichkeit an die Einbildungskraft (TRI, 21 f.). Gemeinsam ist ihnen, daß sie eine Qualität bezeichnen, die den Geist auf natürliche Weise von einer Vorstellung zu einer anderen leitet (TRI, 21). Uns ist bekannt, welcher Sinn diesem Wort Qualität unterlegt werden muß: Daß eine Vorstellung auf natürliche Weise eine andere nach sich zieht, ist keine Eigenschaft der Vorstellung, sondern eine der menschlichen Natur. Allein die menschliche Natur ist qualifizierend. Was der bloße Bestand von Vorstellungen tatsächlich niemals erklären wird, ist, daß die gleichen einfachen Vorstellungen sich regelmäßig zu komplexen Vorstellungen gruppieren; die Vorstellungen, die »am geeignetsten sind, sich in einer komplexen Vorstellung zu vereinen«, müssen jedem Einzelnen bezeichnet werden. Und diese Vorstellungen werden im Geist nicht bezeichnet, ohne daß der Geist zugleich Subjekt wird, ein Subjekt, dem diese 124

Vorstellungen bezeichnet werden - ein Subjekt, das spricht. Beides geschieht gleichzeitig: Vorstellungen werden im Geist bezeichnet und der Geist selbst wird Subjekt. Kurzum, die Assoziationsprinzipien haben komplexe Vorstellungen zur Folge: Relationen, Substanzen und Modi, allgemeine Vorstellungen. Unter dem Einfluß der Assoziationsprinzipien werden die Vorstellungen miteinander verglichen, gruppiert und aufgerufen. Dieses Verhältnis, oder vielmehr dieser innere Zusammenhang zwischen komplexen Vorstellungen und Subjekt, wird uns in der Sprache vorgeführt, denn indem es spricht, bezeichnet das Subjekt gewissermaßen die Vorstellungen, die ihm selbst bezeichnet werden. Die Beziehungen sind ihren Termen äußerlich. Das heißt, Vorstellungen reflektieren weder die Eigenart der an ihnen vollzogenen Operationen noch die zwischen ihnen hergestellten Beziehungen. Die Prinzipien der menschlichen Natur, die Prinzipien der Assoziation sind notwendige Bedingungen der Beziehungen. Aber ist dadurch das Problem gelöst? Als Hume die Beziehung definierte als »jenen besonderen Umstand, hinsichtlich dessen wir es für richtig halten, zwei Vorstellungen zu vergleichen«, fügte er hinzu, »auch bei willkürlicher Vereinigung zweier Vorstellungen in der Einbildungskraft«, d.h. auch wenn die eine die andere nicht auf natürliche Weise nach sich zieht. Tatsächlich aber reicht die Assoziation zur Erklärung der Beziehungen nicht aus. Zweifellos ist sie es allein, die sie ermöglicht. Und zweifellos lassen sich allein auf sie die unmittelbaren oder direkten Beziehungen zurückführen, also jene, die zwischen zwei Vorstellungen zustandekommen, ohne daß sich eine andere Vorstellung aus dem Bestand der Vorstellungen zwischen sie schiebt. So erklärt sie etwa die Beziehung zwischen zwei unmittelbar nebeneinander liegenden Abstufungen von Blau, von zwei benachbarten Gegenständen usw.; man könnte also sagen, sie erklärt, daß A=B und daß B=C. Was sie jedoch nicht erklärt, ist, daß A=C oder daß die Entfernung selbst ei125

ne Beziehung ist. 75 Wir werden noch sehen, daß Hume eine natürliche Beziehung nennt, was durch die Assoziation zu erklären, eine philosophische Beziehung, was durch sie allein nicht zu erklären ist. Er hebt häufig einen Punkt hervor, dem größte Bedeutung zukommt, nämlich daß es der Natur eigentümlich sei, natürlich, leicht und unmittelbar zu sein. In den Vermittlungen verliert sie ihre Kraft und Lebhaftigkeit, ihre Wirkung. Die Vermittlungsschritte erschöpfen sie, bei jedem einzelnen läßt sie etwas von sich zurück: »Wo dem Geist seine Objekte nicht bequem und leicht erreichbar sind, haben die gleichen Faktoren nicht die gleiche Wirkung wie dann, wenn die vorgestellten Objekte in natürlicher Weise von ihm erfafh werden können; es ergibt sich in jenem Fall für die Einbildungskraft kein Gefühl, das den Vergleich aushielte mit demjenigen, das sonst ihre Urteile und Meinungen begleitet.« (TRI, 248)

Wie lassen sich dann aber die eigentlichen Vermittlungen rechtfertigen, die Verbindungen, die zwischen entfernten Gegenständen zustandekommen? Die Ähnlichkeit, sagt uns Hume, begründet nicht immer »eine Verknüpfung oder Assoziation von Vorstellungen( ...). Wenn eine Eigenschaft sehr allgemein und sehr vielen Einzeldingen gemeinsam ist, so weist sie den Geist nicht unmittelbar auf eines von diesen (Einzeldingen) hin. Indem sie zwischen zu vielen gleichzeitig die Wahl läßt, hindert sie vielmehr die Einbildungskraft, sich einem bestimmten Gegenstand zuzuwenden.« (TRI, 25 f.; Hervorhebung G.D.)

Die meisten Einwände gegen die Assoziationslehre laufen auf das Argument hinaus, die Assoziationsprinzipien erklärten allenfalls die Form des Denkens im allgemeinen, nicht aber seine besonderen Inhalte; die Assoziation erkläre lediglich die Oberfläche unseres Bewußtseins, »die Kruste«. In diesem Punkt treffen sich so verschiedene Autoren wie Bergson und Freud. Bergson schreibt in einem berühmten Text: »Man würde vergeblich nach zwei Vorstellungen suchen, die nicht untereinander irgendeinen ähnlichen Zug hätten oder sich nicht ir-

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gendwo berührten. Handelt es sich um die Ähnlichkeit: So groß auch die Unterschiede sein mögen, welche zwei Bilder trennen, man wird immer, wenn man nur weit genug zurückgeht, eine gemeinsame Art finden, zu der sie gehören, und folglich auch eine Ähnlichkeit, die ihnen als Bindestrich dient.( ...) Das kommt darauf hinaus, dals es zwischen zwei beliebigen zufällig ausgewählten Vorstellungen immer Ähnlichkeit und wenn man will auch Kontiguität gibt, so da{{durch die Entdeckung einer Beziehung der Kontiguität oder der Ähnlichkeit zwischen zwei einander folgenden Vorstellungen noch durchaus keine Erklärung dafür gegeben ist, warum die eine die andere hervorruft. Die eigentliche Frage ist, zu wissen, wie die Auswahluntereiner Unendlichkeit von Erinnerungen, welche alle von irgendeiner Seite der gegenwärtigen Wahrnehmung ähnlich sind, sich vollzieht, und warum eine einzige unter ihnen, und gerade nur diese, an das Licht des Bewußtseins auftaucht.« (Henri Bergson, Materie und Gedächtnis, Frankfurt am Main 1964, S. 175)

Das Mindeste, was sich sagen läßt, ist, daß Hume als erster diesen Gedanken gefaßt hat. Die Assoziation der Vorstellungen gibt bei ihm tatsächlich von den Gewohnheiten des Denkens Rechenschaft, von den alltäglichen Auffassungen des gesunden Menschenverstands, den gängigen Vorstellungen, Vorstellungskomplexen, die den allgemeinsten und beständigsten Bedürfnissen entsprechen, die allen Geisteshaltungen und allen Sprachen gleichermaßen gemein sind.76 Was sie dagegen nicht erklärt, das ist der Unterschied zwischen unterschiedlichen Geisteshaltungen. Der besondere Werdegang eines Geistes muß untersucht werden, es gilt eine ganze Kasuistik aufzustellen: Warum evoziert eine Perzeption in einem einzelnen Bewußtsein (und zu einem gegebenen Zeit. punkt) diese, nicht aber jene Vorstellung? Die Assoziation der Vorstellungen erklärt nicht, daß diese, nicht aber jene evoziert wird. Auch muß unter diesem Gesichtspunkt die Beziehung als »dieser besondere Umstand« definiert werden, »hinsichtlich dessen wir, auch bei willkürlicher Vereinigung zweier Vorstellungen in der Einbildungskraft, sie zu-

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fällig miteinander vergleichen« (TR I, 24 f.; Hervorhebung G.D.). Obwohl es zutrifft, daß die Assoziation notwendig ist, um jedwede Beziehung im allgemeinen möglich zu machen, so liefert sie doch keine Erklärung für die Beziehungen im besonderen. Was der Beziehung ihren zureichenden Grund gibt, ist der Umstand. Dieser Begriff des Umstands taucht in der Philosophie Humes ständig auf. Er steht im Zentrum der Geschichte, er macht eine Wissenschaft des Besonderen, eine differentielle Psychologie erst möglich. Wenn Freud und Bergson zeigen, daß die Assoziation der Vorstellungen lediglich das Oberflächliche in uns erklärt, den Formalismus des Bewußtseins, so wollen sie im wesentlichen sagen, daß allein die Affektivität den einzelnen Inhalt, den tiefen, den besonderen, rechtfertigen kann. Sicherlich haben sie damit recht. Doch Hume hat nie etwas anderes gesagt. Er war nur der Ansicht, daß das Oberflächliche, das Formale auch erklärt werden müßte, und daß diese Aufgabe in gewisser Weise am allerwichtigsten wäre. Für alles Weitere beruft er sich auf den Umstand. Und dieser Begriff bezeichnet bei ihm stets die Affektivität. Man muß die Vorstellung, derzufolge die Affektivität eine Sache der Umstände ist, wörtlich nehmen. Diese sind genau die Variablen, die unsere Affekte, unsere Interessen definieren. So verstanden bewirkt ein Gesamtzusammenhang von Umständen stets die Singularisierung eines Subjekts, da er einen bestimmten Zustand seiner Affekte und seiner Bedürfnisse repräsentiert, eine Aufteilung seiner Interessen, eine Verteilung seiner Glaubenssätze und seiner Lebhaftigkeiten.77Wie wir sehen, müssen sich die Prinzipien der Affekte mit den Prinzipien der Assoziation vereinigen, damit sich das Subjekt im Geist konstituiert. Wenn auch die letzteren erklären, daß die Vorstellungen sich assoziieren, so können doch nur die ersteren erklären, warum zu einem gegebenen Zeitpunkt diese, nicht aber jene Vorstellung assoziiert wurde. 128

Nicht nur die Beziehungen bedürfen der Umstände. Bei den Substanzen, den Modi und den allgemeinen Vorstellungen verhält es sich nicht anders. »Da( ...) die Einzeldinge von uns auf Grund der Ähnlichkeit, die sie miteinander haben, zusammengefaßt und mit einem allgemeinen Ausdruck bezeichnet werden, so muß eben diese Bezeichnung (der Ähnlichkeit) ihr Auftreten in der Einbildungskraft erleichtern und bewirken, daß sie im gegebenen Fall leichter zur Hand sind. (...) Nichts ist bewunderungswürdiger als die Bereitschaft, mit der die Einbildungskraft ihre Vorstellungen herbeiholt, gerade in dem Augenblick, wo sie nötig oder nützlich werden.« (TRI, 38; Hervorhebung G.D.)

In jedem Fall, das ist nicht zu übersehen, präsentiert sich das Subjekt im Geist unter der Wirkung zweier miteinander verknüpfter Typen von Prinzipien. Es ist, als gäben die Prinzipien der Assoziation dem Subjekt seine notwendige Form, während die Prinzipien des Affekts ihm seinen besonderen Inhalt verliehen. Letztere funktionieren wie ein Individualisierungsprinzip des Subjekts. Diese Dualität bedeutet indes keinen Gegensatz zwischen dem Besonderen und dem Universellen. Die Prinzipien des Affekts sind nicht weniger universell und beständig als die Prinzipien der Assoziation: Sie legen Gesetze fest, bei denen die Umstände lediglich die Rolle von Variablen spielen; sie betreffen zwar das Individuum, freilich genau in dem Sinn, wie eine Wissenschaft des Individuums dies leisten kann und leistet. Wir müssen uns daher beim dritten und letzten Problem, das uns zu lösen bleibt, fragen, welches der Unterschied und welches die Einheit dieser zwei Typen von Prinzipien ist - eine Einheit, die in jeder Phase ihres vereinten Wirkens zu beachten und nachzuweisen ist. Doch bereits jetzt ist abzusehen, wie diese Einheit im Subjekt zum Ausdruck kommen wird: Wenn die Beziehung nicht von den Umständen zu trennen ist, wenn das Subjekt sich nicht von einem besonderen Inhalt trennen kann, der ihm im strengen Wortsinn wesentlich ist, so des129

wegen, weil die Subjektivität in ihrem Wesen praktisch ist. Im Verhältnis von Anlaß und Handlung, von Mittel und Zweck offenbart sich ihre definitive Einheit, d.h. die Einheit der Beziehungen und der Umstände: Das Verhältnis von Mittel und Zweck, von Anlaß und Handlung ist zwar eine Beziehung, aber auch noch etwas anderes. Daß es keine theoretische Subjektivität gibt und geben kann, bildet den Grundsatz des Empirismus. Und bei genauerer Betrachtung ist das nur eine andere Art zu sagen, daß sich das Subjekt im Gegebenen konstituiert. Wenn sich das Subjekt im Gegebenen konstituiert, gibt es in der Tat kein anderes Subjekt als ein praktisches.

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6. Die Prinzipien der menschlichen

Natur

Der Atomismus ist die Theorie der Vorstellungen und besagt, daß den Vorstellungen die Relationen äußerlich sind, die Assoziationslehre ist die Theorie der Relationen und besagt, daß die Relationen den Vorstellungen äußerlich, d.h. von anderen Ursachen abhängig sind. In beiderlei Hinsicht ist, wie wir gesehen haben, den Einwänden gegenüber, die man immer wieder gegen Humes Empirismus vorgebracht hat, Skepsis angebracht. Wir brauchen Hume allerdings auch nicht als Ausnahme und Opfer darzustellen, das unter der ewigen Ungerechtigkeit seiner Kritiker zu leiden gehabt hätte. Allen großen Philosophen ergeht es so. Allerdings nimmt doch wunder, wie im allgemeinen die Einwände beschaffen sind, die immer wieder gegen Descartes, Kant, Hegel usw. vorgebracht wurden. Philosophische Einwände lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Die einen, die meisten, sind nur dem Namen nach philosophisch. Sie bestehen darin, eine Theorie zu kritisieren, ohne die Eigenart des Problems in Betracht zu ziehen, auf das sie eine Antwort gibt und dem sie ihren Grund und ihre Struktur verdankt. So wirft man Hume vor, das Gegebene »atomisiert« zu haben, und glaubt, ein garizes System an den Pranger zu stellen, indem man den Nachweis zu führen versucht, daß dessen Grundlage eine persönliche Entscheidung Humes, eine Marotte Humes oder des Zeitgeists ist. Was ein Philosoph sagt, wird so dar131

gestellt, als würde es von ihm getan oder gewollt. Als ausreichende Kritik der Theorie bietet man uns eine fiktive Psychologie der Absichten des Theoretikers. Der Atomismus und die Assoziationslehre werden auf diese Weise als abwegige Konzepte behandelt, die ihre Urheber von vornherein disqualifizieren. »Hume hat das Gegebene pulverisiert.« Was glaubt man damit erklären zu können? Ist damit überhaupt etwas gesagt? Eine philosophische Theorie muß doch von ihren begrifflichen Grundlagen her verstanden werden: Sie entsteht nicht von selbst oder aus reinem Vergnügen. Es genügt auch nicht zu sagen, sie sei eine Antwort auf ein bestimmte Anzahl von Problemen. Zwar würde damit der Theorie ihre Notwendigkeit bescheinigt, indem sie zu etwas ins Verhältnis gesetzt wird, das ihr als Grundlage dienen könnte, dieses Verhältnis wäre jedoch eher ein wissenschaftliches als ein philosophisches. In Wirklichkeit ist eine philosophische Theorie eine entfaltete Frage und nichts anderes: Ihr Wesen besteht nicht darin, ein Problem zu lösen, sondern darin, die notwendigen Implikationen einer ausformulierten Frage so weit wie möglich zu entfalten. Sie zeigt uns, was die Dinge sind, was die Dinge notwendigerweise sind, vorausgesetzt, die Frage ist gut und folgerichtig. In Frage stellen bedeutet, Dinge in solcher Weise einer Frage auszusetzen, ja zu unterwerfen, daß sie gezwungen und genötigt werden, uns ihr Wesen, ihre Eigenart zu enthüllen. Die Frage kritisieren bedeutet, zu zeigen, unter welchen Bedingungen sie möglich ist und als gut gestellt gelten darf, also zu zeigen, daß die Dinge nicht das wären, was sie sind, wenn die Frage nicht eben diese Frage wäre. Beide Operationen sind also in Wirklichkeit identisch und bestehen stets darin, die Implikationen eines Problems folgerichtig zu entfalten und der Philosophie als Theorie einen Sinn zu geben. In der Philosophie sind die Frage und die Kritik der Frage eins; oder, wenn man so will, es gibt keine Kritik der Lösungen, sondern nur eine Kritik der Probleme. 132

Wenn etwa bei Descartes der Zweifel problematisch ist, so nicht einfach deswegen, weil er vorläufig ist, sondern weil er die weitestgehende Formulierung der Bedingungen des Problems ist, dem das cogito antwortet, oder vielmehr die weitestgehende Formulierung der Frage, deren erste Implikationen das cogito entfalten wird. Man sieht, wie nichtig die meisten der gegen die großen Philosophen vorgebrachten Einwände sind. Man erklärt ihnen: Die Dinge sind nicht so. Aber in Wirklichkeit geht es nicht darum, zu wissen, ob die Dinge so sind oder nicht, sondern darum, zu wissen, ob die Frage, die den Dingen ihre Gestalt gibt, eine gute, eine folgerichtige Frage ist oder nicht. Man hält Hume vor, daß das Gegebene kein Haufen von Atomen sei bzw. daß die Assoziation den besonderen Inhalt eines Gedanken nicht erklären könne. Daß man beim Lesen des kritisierten Texts auf die ausdrückliche Zurückweisung all dieser Einwände stößt, die gleichwohl später vorgebracht werden, darf also nicht verwundern. In Wahrheit ist nur eine einzige Art von Einwand berechtigt, und zwar der, der im Nachweis besteht, daß die von einem bestimmten Philosophen gestellte Frage keine gute Frage ist, daß sie nicht die Eigenart der Dinge aufdeckt, daß sie anders, daß sie besser gestellt sein müßte oder daß überhaupt eine andere Frage gestellt werden müßte. Nur auf diese Weise bringt ein großer Philosoph gegenüber einem anderen einen Einwand vor: zum Beispiel, wenn Kant, wie wir später sehen werden, Hume kritisiert. Wir wissen zwar, daß eine philosophische Theorie von psychologischen und insbesondere von soziologischen Faktoren beeinflußt wird; sie betreffen jedoch nichts anderes als die Frage selbst, und auch dies nur insofern, als sie ihr eine Motivation geben; sie sagen uns nicht, ob es eine wahre oder eine falsche Frage ist. Bei unseren Einwänden gegen Hume haben wir also keine freie Wahl. Es geht nicht darum, zu sagen: Er hat das Gegebene pulverisiert, er hat es atomisiert. Es geht allein darum, herauszufinden: Wird die Frage streng und in 133

aller Konsequenz gestellt? Hume stellt die Frage nach dem Subjekt und situiert sie in folgenden Begriffen: Das Subjekt konstituiert sich im Gegebenen. Er expliziert die Möglichkeitsbedingungen, die Kritik der Frage, in folgender Form: Die Relationen sind den Vorstellungen äußerlich. Was den Atomismus und die Assoziationslehre angeht, so sind das nur ausgeführte Implikationen dieser Frage. Wenn wir etwas einwenden wollen, so muß diese Frage beurteilt werden und nichts anderes: Etwas anderes gibt es nicht. Wir wollen uns an dieses Urteil nicht heranwagen; das ist Sache der Philosophie, nicht der Geschichte der Philosophie. Es genügt uns, zu wissen, daß der Empirismus zu definieren ist, daß er sich allein durch die Setzung eines genau umrissenen Problems und durch die Darstellung der Bedingungen dieses Problems definiert. Eine andere Definition ist nicht möglich. Die klassische, durch die Kantische Tradition verbürgte Definition des Empirismus ist: eine Theorie, nach der alle Erkenntnis nicht nur mit der Erfahrung anhebt, sondern sich aus ihr ableitet. Aber warum sollte der Empirist das sagen? In Beantwortung welcher Frage? Zweifellos hat diese Definition zumindest den Vorzug, einen Widersinn zu vermeiden: Würde man den Empirismus kurzerhand als Theorie darstellen, derzufolge alle Erkenntnis mit der Erfahrung beginnt, gäbe es keine Philosophie, keinen Philosophen, Platon und Leibniz eingeschlossen, die diese Position nicht vertreten würden. Dennoch ist sie in keiner Weise zufriedenstellend: zunächst, weil Erkenntnis für den Empirismus nicht dasjenige ist, um das sich alles dreht, sondern nur das Mittel zu einer praktischen Tätigkeit; sodann, weil Erfahrung für den Empiristen und besonders für Hume nicht diesen eindeutigen und konstituierenden Charakter hat, den man ihr beimißt. »Erfahrung« hat bei Hume zwei streng definierte Bedeutungen, in keiner hat sie jedoch einen konstituierenden Charakter. Wenn wir den Bestand der distinkten Perzeptionen Erfahrung nennen, müssen wir der ersten Be134

deutung zufolge anerkennen, daß sich die Beziehungen nicht von der Erfahrung ableiten; sie sind die Wirkung der Assoziationsprinzipien, der Prinzipien der menschlichen Natur, die in der Erfahrung ein Subjekt konstituiert, das imstande ist, über die Erfahrung hinauszugehen. Verwenden wir das Wort in der zweiten Bedeutung, um die verschiedenen in der Vergangenheit erfolgten Verknüpfungen der Gegenstände zu bezeichnen, müssen wir ebenfalls anerkennen, daß die Prinzipien nicht aus der Erfahrung geschöpft werden, daß im Gegenteil die Erfahrung selbst als Prinzip verstanden werden muß (TRI, 343). »In der Tat ist aber, wenn wir die Sache recht betrachten, auch die Vernunft gar nichts als ein wunderbarer und unfaßbarer Instinkt unserer Seele,der uns in einer Vorstellungsreihevon Vorstellung zu Vorstellung weiter leitet und diese Vorstellungen mit bestimmten Eigenschaften ausstattet, entsprechend der jedesmaligen Stellung und Beziehung derselben zueinander. Freilich entsteht dieser Instinkt aus früherer Beobachtung und Erfahrung. Aber ist die Hervorbringung solcher Wirkungen durch Erfahrung und Beobachtung im letzten Grunde verständlicher als ihre unmittelbare Hervorbringung durch die Natur? Was die Gewohnheit kann, das kann sicherlich auch die Natur. Die Gewohnheit ist ja eben gar nichts, als einer der wirkenden Faktoren der Natur; sie schöpft ihre ganze Macht aus dieser Quelle.« (TR 1,240; Hervorhebung G.D.)

Wir erkennen, warum Hume kein Interesse für die Probleme der Genese, für die rein psychologischen Probleme aufbringt. Relationen sind nicht das Produkt einer Genese, sondern der Effekt von Prinzipien. Die Genese selbst läßt siclr auf Prinzipien zurückführen, sie erklärt nur den besonderen Charakter eines Prinzips. Der Empirismus ist kein Genetismus; wie jede andere Philosophie widersetzt er sich dem Psychologismus. Kurzum, es scheint unmöglich, den Empirismus als eine Theorie zu definieren, derzufolge sich Erkenntnis von der Erfahrung ableitet. Da ist der Begriff des »Gegebenen« 135

schon passender. Doch auch das »Gegebene« hat zwei Bedeutungen: Gegeben ist der Bestand der Vorstellungen, die Erfahrung; gegeben in diesem Bestand ist aber auch das Subjekt, das über die Erfahrung hinausgeht, gegeben sind die Relationen, die von den Vorstellungen unabhängig sind. Das heißt, daß sich der Empirismus in Wirklichkeit nur als Dualismus definieren läßt. Die empirische Dualität ist die zwischen den Termen und den Relationen, oder genauer, zwischen den Ursachen der Perzeptionen und den Ursachen der Relationen, zwischen den verborgenen Mächten der Natur und den Prinzipien der menschlichen Natur. Allein dieser Dualismus, in all seinen möglichen Formen, kann den Empirismus definieren und ihn in die grundsätzlichen Frage kleiden: »Wie konstituiert sich das Subjekt im Gegebenen?«, wobei das Gegebene das Erzeugnis der Mächte der Natur ist, und das Subjekt das Produkt der Prinzipien der menschlichen Natur. Wenn sich eine Schule empiristisch nennt, kann sie dies legitimerweise nur unter der Voraussetzung tun, daß sie zumindest bestimmte Formen dieser Dualität zur Entfaltung bringt. Oft nennen sich die modernen logischen Denkschulen legitimerweise empiristisch, weil sie von der Dualität der Relationen und Terme ausgehen. Zwischen den Relationen und den Termen, dem Subjekt und dem Gegebenen, den Prinzipien der menschlichen Natur und den Mächten der Natur manifestiert sich in den unterschiedlichsten Formen ein und derselbe Dualismus. Somit sehen wir nunmehr, welches das Kriterium des Empirismus ist. Man wird jede Theorie nicht-empiristisch nennen, derzufolge sich die Relationen auf die eine oder andere Weise aus der Natur der Dinge ergeben. Dieses Verhältnis von Natur und menschlicher Natur, von Mächten, die die Ursache des Gegebenen sind, und Prinzipien, die ein Subjekt im Gegebenen konstituieren, darf durchaus als Übereinstimmung gedacht werden. Denn die Übereinstimmung ist ein Faktum. Aus dem Problem dieser 136

Übereinstimmung bezieht der Empirismus eine ausgesprochene Metaphysik. Es ist das Problem der Finalität: Welche Übereinstimmung gibt es zwischen dem Bestand der Vorstellungen und der Assoziation der Vorstellungen, zwischen der Regel der Natur und der Regel der Repräsentationen, zwischen der Regel der Reproduktion der Phänomene in der Natur und der Regel der Reproduktion der Repräsentationen iltl-Geist? Wenn wir sagen, daß Kant das Wesen der Assoziationslehre verstanden hat, so deswegen, weil er die Assoziationslehre vor dem Hintergrund dieses Problems verstanden hat und weil seine Kritik bei den Bedingungen dieses Problems ihren Ausgang nimmt. Hier die Passage, in der Kant seine Kritik in bewundernswerter Weise entwickelt: »Es ist zwar ein bloß empirisches Gesetz, nach welchem Vorstellungen, die sich oft gefolgt oder begleitet haben, mit einander endlich vergesellschaften und dadurch in eine Verknüpfung setzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser Vorstellungen einen Übergang des Gemüts zu der andern, nach einer beständigen Regel, hervorbringt. Dieses Gesetz der Reproduktion setzt aber voraus: daß die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen seien, und daß in dem Mannigfaltigen ihrer Vorstellungen eine, gewissen Regeln gemäße, Begleitung oder Folge statt finde; denn ohne das würde unsere empirische Einbildungskraft niemals etwas ihrem Vermögen Gemäßes zu tun bekommen, also, wie ein totes und uns selbst unbekanntes Vermögen im Inneren des Gemüts verborgen bleiben. Würde der Zinnober bald rot, bald schwarz, bald leicht, bald schwer sein,( ...) so könnte meine empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bei der Vorstellung der roten Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu bekommen; oder würde ein gewisses Wort bald diesem, bald jenem Dinge beigelegt, oder auch eben dasselbe Ding bald so, bald anders benannt, ohne daß hierin eine gewisse Regel, der die Erscheinungen schon von selbst unterworfen sind, herrschte, so könnte keine empirische Synthesis der Reproduktion statt finden. Es muß also etwas sein, was selbst diese Reproduktion der Erscheinungen möglich macht, dadurch, daß es der Grund a priori ei-

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ner notwendigen synthetischen Einheit derselben ist.( ...) Wenn wir nun dartun können, daß selbst unsere reinsten Anschauungen a priori keine Erkenntnis verschaffen, außer so fern sie eine solche Verbindung des Mannigfaltigen enthalten, die eine durchgängige Synthesis der Reproduktion möglich macht, so ist diese Synthesis der Einbildungskraft auch vor aller Erfahrung auf Prinzipien a priori gegründet, und man muß eine reine transzendentale Synthesis derselben annehmen, die selbst der Möglichkeit aller Erfahrung (als welche die Reproduzibilität der Erscheinungen notwendig voraussetzt) zum Grunde liegt.« (Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1. Aufl., »Von der Synthesis der Reproduktion in der Einbildung«, in: Werke, Band 2, Wiesbaden 1956, S. 163 f.)

Das vorrangige Interesse dieses Textes liegt darin, das Problem dort anzusiedeln, wo es hingehört, auf der Ebene der Einbildungskraft. In der Tat ist der Empirismus eine Philosophie der Einbildungskraft, keine Philosophie der Sinne. Wir wissen, daß die Frage: Wie konstituiert sich das Subjekt im Gegebenen? bedeutet: Wie wird aus der Einbildungskraft ein Vermögen? Nach Hume wird die Einbildungskraft in dem Maße zu einem Vermögen, in dem sich ein auf bestimmten Prinzipien beruhendes Gesetz der Reproduktion der Vorstellungen, eine Synthesis der Reproduktion konstituiert. Wo setzt nun Kants Kritik an? Kant läßt keinen Zweifel daran, daß die Einbildungskraft tatsächlich das Terrain ist, auf dem das Problem der Erkenntnis am besten abgehandelt werden kann. Von den drei Synthesen, die er unterscheidet, stellt er uns selbst die Synthese der Einbildungskraft als die Grundlage der beiden anderen dar. Was Kant Hume jedoch vorwirft, ist, auf diesem gutgewählten Terrain das Problem schlecht gestellt zu haben: Die Art, in der Hume das Problem gestellt hat, d.h. sein Dualismus, zwinge dazu, das Verhältnis zwischen dem Gegebenen und dem Subjekt als Übereinstimmung des Subjekts mit dem Gegebenen, der menschlichen Natur mit der Natur zu begreifen. Wenn sich aber das Gegebene nicht selbst und vorweg nach eben 138

jenen Prinzipien richten würde, nach denen sich auch die Verknüpfung der Anschauungen für ein empirisches Subjekt richtet, könnte das Subjekt diese Übereinstimmung niemals bemerken, es sei denn, auf absolut zufällige Art und Weise. Es bekäme, obwohl es das Vermögen dazu hätte, nicht einmal die Gelegenheit, seine Anschauungen den Regeln gemäß zu Verbinden. 78 Für Kant muß das Problem daher anders herum gestellt werden: Das Gegebene ist auf das Subjekt zu beziehen, die Übereinstimmung ist als Übereinstimmung von Gegebenem und Subjekt, von Natur und vernunftbegabtem Wesen zu begreifen. Warum? Weil das Gegebene kein Ding an sich, sondern ein Gesamtzusammenhang von Phänomenen ist, ein Gesamtzusammenhang, der als Naturzusammenhang nur mittels einer Synthesis a priori dargestellt werden kann. Diese wiederum macht in der empirischen Einbildungskraft nur unter der Bedingung eine Regel der Vorstellungen möglich, daß sich vorgängig in der Natur selbst eine Regel der Phänomene bildet. So sind bei Kant die Relationen insofern von der Natur der Dinge abhängig, als die Dinge, als Phänomene, eine Synthese voraussetzen, die sich aus derselben Quelle speist wie die Synthese der Relationen. Deswegen ist die kritische Philosophie kein Empirismus. Die Implikationen dieses nunmehr umgekehrt gestellten Problems sind folgende: Es gibt ein a priori, d.h. es muß eine produktive Einbildungskraft, eine transzendentale Tätigkeit angenommen werden." Die Transzendenz war der empirische Tatbestand, das Transzendentale ist das, was die Transzendenz immanent macht: etwas = X. 80 Oder, was auf dasselbe hinausläuft, etwas im Denken geht über die Einbildungskraft hinaus, ohne sich von ihr ganz ablösen zu können: Die Synthesis a priori der Einbildungskraft verweist uns auf eine synthetische Einheit der Apperzeption, die sie einschließt. 81 Kehren wir nun zu der Frage zurück, die Hume gestellt hat, zu der Form, in der er sie gestellt hat und in der wir sie 139

nun besser verstehen können: Wie kann sie weiterentwickelt werden? Bei Hume wie bei Kant entspringen die Prinzipien der Erkenntnis nicht der Erfahrung. Bei Hume geht im Denken jedoch nichts über die Einbildungskraft hinaus, ist nichts transzendental, denn die Prinzipien sind bei ihm lediglich Prinzipien unserer Natur, sie machen Erfahrung möglich, ohne zugleich Gegenstände für diese Erfahrung selbst notwendig zu machen. Es gibt nur einen Ausweg, der es Hume erlaubt, die Übereinstimmung der menschlichen Natur mit der Natur als etwas anderes als eine zufällige, unbestimmte, kontingente Übereinstimmung darzustellen: die Finalität. Wenn sich für uns Finalität, d.h. die Übereinstimmung des Subjekts mit dem Gegebenen, mit den Mächten des Gegebenen, mit der Natur, in so vielen Formen ausdrückt und ergibt, so deswegen, weil jede dieser Ausdrucksformen einem Moment des Subjekts entspricht, einer Phase, einer Dimension. Das praktische Problem eines Bandes zwischen den verschiedenen Momenten der Subjektivität muß der Behauptung der Finalität vorausgehen, weil es sie konditioniert. Wir werden somit die Momente des allgemeinen Wirkens der Prinzipien im Geist rekapitulieren und für jedes dieser Momente die Einheit der Prinzipien der Assoziation und der Prinzipien des Affekts aufweisen müssen, eine Einheit, die dem Subjekt seine wechselnden Strukturen vermittelt. Das Subjekt ist gleichsam Resonanz, der immer tiefer in die Dichte des Geistes reichende Nachhall der Prinzipien. »Betrachten wir aber den menschlichen Geist, so finden wir, daß er in bezug auf die Affekte nicht die Natur eines musikalischen Blasinstrumentes hat, das in der Aufeinanderfolge der Noten jedesmal sofort den Klang verliert, wenn der Luftstoß (der ihn erregte) aufhört; er gleicht vielmehr einem Saiteninstrument, bei dem die Schwingungen nach jedem Strich (noch eine Zeitlang) fortfahren, ihren Klang zu erzeugen, und ihn nur allmählich und unmerklich ersterben lassen.« (TR II, 180)

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Zunächst müssen wir klarstellen, daß das Subjekt, insofern es der Effekt der Prinzipien im Geist ist, nichts anderes ist als der Geist als aktivierter Geist. Somit erübrigt sich die Frage, ob bei Hume das Subjekt aktiv oder passiv ist. Es ist eine Scheinalternative. Hielten wir an ihr fest, müßten wir weitaus stärker die Passivität als die Aktivität des Subjekts hervorheben, da letztere ja eine Wirkung der Prinzipien ist. Das Subjekt ist der durch die Prinzipien aktivierte Geist: Der Begriff der Aktivierung macht die Alternative hinfällig. In dem Maße, wie die Prinzipien wirken und sich so der Dichte des Geistes einprägen, gewinnt das Subjekt, das diese Wirkung ja selbst ist, an Aktivität, verliert es an Passivität. Anfangs war es passiv, zuletzt ist es aktiv. Dies bestärkt uns in der Auffassung, daß die Subjektivität ein Prozeß ist und daß wir eine Bestandsaufnahme der verschiedenen Momente dieses Prozesses durchführen müssen. Um mit Bergson zu sprechen, könnten wir sagen, daß das Subjekt zunächst ein Eindruck ist, ein von den Prinzipien hinterlassener Eindruck, daß es sich jedoch zunehmend in eine Maschine verwandelt, die imstande ist, mit diesem Eindruck zu arbeiten. Wir müssen mit dem bloßen Eindruck beginnen und von den Prinzipien ausgehen. Die Prinzipien, erklärt uns Hume, wirken im Geist. Welcher Art ist dieses Wirken? Die Antwort ist eindeutig: Die Wirkung des Prinzips ist stets ein Eindruck der Selbstwahrnehmung. Die Subjektivität ist somit Eindruck der Selbstwahrnehmung und nichts anderes. Wo Hume den Eindruck der Selbstwahrnehmung definiert, sagt er uns gleichwohl, daß er aus bestimmten Eindrücken der Sinneswahrnehmung hervorgeht (TR II, 3). Dieses Hervorgehen, diesen Prozeß zu erklären, sind die Eindrücke der Sinneswahrnehmung jedoch nicht imstande; sie vermögen nicht einmal zu erklären, warum gerade sie und keine anderen aus dem Bestand der Eindrücke ausgewählt wurden. »Bestimmte« Eindrücke der Sinneswahrnehmung sind somit aufgerufen, die Vorlage abzugeben, aus der die Eindrücke 141

der Selbstwahrnehmung hervorgehen; wodurch aber werden sie aufgerufen? Damit zum Beispiel benachbarte oder vergleichbare Eindrücke ausgewählt werden können, müssen Ähnlichkeit und Kontiguität Prinzipien sein. Damit die Eindrücke der Selbstwahrnehmung aus bestimmten Eindrücken der Sinneswahrnehmung hervorgehen, muß dem Geist ein entsprechendes Vermögen innewohnen, muß er eine Konstitution besitzen, die ihm nicht von sich aus zu eigen ist, eine Natur (TRI, 54 f. ). So hat das Prinzip eine mittlere Stellung zwischen dem Geist und dem Subjekt, zwischen Eindrücken der Sinneswahrnehmung und den Eindrücken der Selbstwahrnehmung, und bewirkt, daß diese aus jenen hervorgehen. Es ist die Regel des Prozesses, das konstituierende Element der Konstitution des Subjekts im Geist, das Prinzip seiner Natur. Wir sehen also, daß es zwei Arten gibt, das Prinzip zu definieren: Es durchsucht den Bestand der Eindrücke, wählt, bezeichnet und ruft unter den Eindrücken der Sinneswahrnehmung bestimmte auf; indem es dies tut, konstituiert es in Verbindung mit diesen ausgewählten Eindrücken Eindrücke der Selbstwahrnehmung. Es übt also gleichzeitig zwei Funktionen aus: eine selektive und eine konstituierende. Entsprechend der ersten Funktion sind die Prinzipien des Affekts diejenigen, die die Eindrücke von Schmerz oder Lust auswählen (TR II, 5); die Prinzipien der Assoziation ihrerseits wählen die Wahrnehmungen aus, die sich in einem Komplex verbinden müssen (TR I, 24). Indem sie den Prozeß der Eindrücke der Selbstwahrnehmung bestimmen, entwickeln die Prinzipien keine Virtualitäten, die in den Eindrücken der Sinneswahrnehmung enthalten wären; in ihnen steckt nichts Virtuelles. Es sind die Prinzipien selbst, die die Eindrücke der Selbstwahrnehmung erzeugen und hervorbringen; sie bringen sie allerdings so hervor, daß sie mit bestimmten Eindrücken der Sinneswahrnehmung in Verbindung stehen. Die Funktion des Prinzips im allgemeinen besteht somit 142

darin, Sinneswahrnehmungen zu bezeichnen und, von ihnen ausgehend, einen Eindruck der Selbstwahrnehmung hervorzubringen. Wie sieht die Liste der Prinzipien aus? Da sie für die menschliche Natur Gesetze sind und eine Wissenschaft vom Menschen ermöglichen sollen, können sie begreiflicherweise nicht sehr zahlreich sein. 82 Andererseits brauchen wir uns nicht verpflichtet zu fühlen, ihre genaue Anzahl oder ihre besondere Eigenart nachzuweisen; auch Kant erklärt weder die Anzahl noch die Art der Kategorien. Mit nem Wort, die Liste der Prinzipien konfrontiert uns mit einem Faktum. Gehen wir von den Assoziationsprinzipien aus. Hume unterscheidet deren drei, Kontiguität, Ähnlichkeit und Kausalität. Die Assoziation hat zunächst drei Wirkungen: allgemeine Vorstellungen, Substanzen, natürliche Beziehungen. In allen drei Fällen besteht die Wirkung in einem Eindruck der Selbstwahrnehmung, in einem Affekt, nem ruhigen Affekt, einer Nötigung, der der Geist unterliegt was Hume eine Neigung nennt, eine Gewohnheit, eine Befindlichkeit, eine Disposition. Dieser Eindruck der Selbstwahrnehmung im Geist wird durch das Prinzip konstituiert, so als ginge er aus Sinneswahrnehmungen hervor. Das gleiche gilt für Allgemeinvorstellungen: Das Prinzip der Ähnlichkeit bezeichnet bestimmte vergleichbare Vorstellungen und macht ihre Zusammenstellung unter einem Namen möglich; ausgehend von diesem Namen und zusammen mit einer bestimmten Vorstellung aus dieser Gruppe, einer besonderen, durch diesen Namen erweckten Vorstellung, erzeugt es eine Gewohnheit, eine Macht, eine Kraft, jede andere Vorstellung derselben Gruppe, einen Eindruck der Selbstwahrnehmung, aufzurufen (TR I, 34 f.). Auch bei den Substanzen verklammern die Prinzipien der Kontiguität und der Kausalität bestimmte Vorstellungen miteinander; und wenn wir eine neue Vorstellung entdecken, die durch eben diese Prinzipien mit den vorhergehenden Vorstellungen verbunden ist, sind wir genötigt, sie als der Gruppe zugehörig zu 143

verstehen, so als wäre sie seit jeher ein Teil von ihr (TR I, 27ff.). Zuletzt, bei den natürlichen Beziehungen, bezeichnet jedes der drei Prinzipien bestimmte Vorstellungen und stellt zwischen ihnen einen leichten Übergang her. Es ist wohl wahr, daß das Wirken der Prinzipien häufig schwerer zu begreifen ist. Zunächst haben die Prinzipien andere Wirkungen, die wir noch nicht untersucht haben und die zu den bereits erwähnten hinzukommen. Es sind die abstrakten Vorstellungen, die Modi und die philosophischen Beziehungen. Bei den abstrakten Vorstellungen sind die Schwierigkeiten noch vergleichsweise gering, denn der einzige Unterschied zu den Allgemeinvorstellungen besteht darin, daß in ihrem Fall zwei verschiedene Ähnlichkeiten in Erscheinung treten und getrennt erfaßt werden (TRI, 40). Das Problem ist also das der Modi und der philosophischen Beziehungen. Die philosophischen Beziehungen verhalten sich zu den natürlichen Beziehungen wie die Modi zu den Substanzen. Es hat den Anschein, als würden die Assoziationsprinzipien ihre erste Funktion, ihre selektive Funktion aufgeben, als würde etwas anderes als diese Prinzipien diese Funktion übernehmen und die passenden Sinneswahrnehmungen bezeichnen und auswählen. Dieses »andere« ist die Affektivität, der Umstand. Die philosophische Beziehung unterscheidet sich von der natürlichen Beziehung genau dadurch, daß sie sich außerhalb der Grenzen der natürlichen Selektion bildet. Dabei geht der Eindruck der Selbstwahrnehmung aus Vorstellungen hervor, die wir, zumal sie in der Einbildungskraft wiUkürlich vereinigt sind, nur hinsichdich eines besonderen Umstands miteinander zu vergleichen belieben (TRI, 24f.). Auch im Fall der Modi werden die Sinneswahrnehmungen, die einfachen Vorstellungen, aus denen die Eindrücke der Selbstwahrnehmung hervorgehen, nicht länger durch Kontiguität und Kausalität vereinigt, sondern sind »auf verschiedene Gegenstände verteilt«. Zumindest werden bei ihnen Kontiguität und Kausalität nicht mehr als 144

»die Grundlage der zusammengesetzten Vorstellung« angesehen. »Die Vorstellung des Tanzes ist ein Beispiel der ersten, die der Schönheit ein Beispiel der zweiten Art der Modi.« (TRI, 29)

Kurzum, es zeigt sich, daß das Assoziationsprinzip sich auf seine .zweite, die konstituierende Funktion beschränkt, während die erste Funktion von den Umständen bzw. von der Affektivität übernommen wird. Die Kausalität muß gesondert betrachtet werden. Nach Hume ist der Glaube von zwei Prinzipien abhängig: von der Erfahrung und der Gewohnheit (TRI, 343). Was haben sie in dieser Liste zu suchen? Um dies zu verstehen, muß man sich in Erinnerung rufen, daß nicht nur aus dem Kausalitätsprinzip eine Beziehung hervorgeht, sondern darüber hinaus aus der Beziehung eine Schlußfolgerung. Die Kausalität ist die einzige Beziehung, aus der sich auf etwas schließen läßt. Was wir natürliche Beziehung nennen müssen, ist hier paradoxerweise die Schlußfolgerung aus der Beziehung. Aus diesem Grund weist uns Hume darauf hin, daß wir nur dem Anschein nach die normale Reihenfolge umkehren, wenn wir erst die Schlußfolgerung prüfen, bevor wir die Beziehung erklärt haben."' Doch wenn es auch zutrifft, daß die Natur der Beziehung, als natürliche Beziehung, von der Natur der Schlußfolgerung abhängt, so gilt doch, daß die Schlußfolgerung sich aus der Beziehung ableitet, d.h. daß die natürliche Beziehung die philosophische Beziehung in einer Hinsicht voraussetzt: Daß sich die Gegenstände in der Einbildung notwendigerweise miteinander vereinigen, geschieht nur infolge ihrer beständigen Verbindung in der Erfahrung (TRI, 126). Aufgrund der besonderen Situation der Kausalität ist bereits hinreichend deutlich, daß sich unter dieser Kategorie die natürliche und die philosophische Beziehung nicht so einfach verteilen wie im vorangegangenen Fall. In der Tat hat es ganz den Anschein, als verkörperten 145

sich beide Funktionen des Prinzips hier in zwei verschiedenen Prinzipien. Das Prinzip der Erfahrung ist selektiv: Es präsentiert bzw. bezeichnet uns eine »Wiederholung gleicher Gegenstände, die (durchweg) in gleichen Beziehungen der Aufeinanderfolge und räumlichen Nachbarschaft stehen« (TRI, 222).

Dies ist die Kausalität als philosophische Beziehung: Die Wirkung der Erfahrung ist nicht einmal ein Eindruck der Selbstwahrnehmung, das Prinzip ist rein selektiv. Konstituierend dagegen, freilich erst im Anschluß daran, ist das Prinzip der Gewohnheit: Seine Wirkung ist eine natürliche Beziehung, ein Eindruck der Selbstwahrnehmung, der sich als Erwartung oder Glauben äußert. Geht man von der Beziehung zur Schlußfolgerung, von der philosophischen Beziehung zur natürlichen Beziehung über, so wechselt man die Ebene: Man muß gewissermaßen wieder bei Null anfangen und sich auf dieser anderen Ebene - wenngleich an Erfahrung reicher - die Gesamtheit der zuvor erzielten Ergebnisse neu aneignen. 84 Die Kausalität wird stets auf zwei nicht voneinander zu trennende Weisen zu definieren sein, und zwar so, »daß die Beziehung das eine Mal als eine philosophische, das andere Mal als eine natürliche gefaßt wird, also das eine Mal als eine Aufeinanderbeziehung zweier Vorstellungen, das andere Mal als eine Assoziation zwischen denselben« (TRI, 229).

Die Schwierigkeit ist schlicht und einfach folgende: Da sich die beiden Aspekte des Prinzips in zwei unterschiedlichen Prinzipien verkörpert haben, folgt der zweite Aspekt zwar stets dem ersten, ist von ihm jedoch nicht mehr abhängig. Die Gewohnheit kann sich in der Tat ein Erfahrungsäquivalent bilden und sich auf fiktive Wiederholungen stützen, durch die sie vom Realen unabhängig wird. Der Sinn der Assoziationsprinzipien liegt jedenfalls darin, im Ausgang von den bezeichneten Sinneseindrücken ei146

nen Eindruck der Selbstwahrnehmung zu konstituieren. Der Sinn der Prinzipien des Affekts ist derselbe. Die aufgenommenen Eindrücke sind hier freilich die von Schmerz und Lust; doch auch ausgehend von Schmerz und Lust wirkt das Prinzip nach wie vor als »natürlicher Trieb«, als »Instinkt«, der einen Eindruck der Selbstwahrnehmung hervorbringt. Halten wir dennoch eine neue Ausnahme fest: Es gibt Affekte, die aus ihren Prinzipien entstehen, ohne daß diese sie aus vorangegangenen Schmerzen oder Lüsten hervorgehen lassen. Dies ist bei rein physiologischen Bedürfnissen, bei Hunger, Durst und beim sexuellen Begehren der Fall: »Genau genommen freilich erzeugen diese Affekte das Gut und das Übel, und gehen nicht, wie die anderen Affekte, aus demselben hervor.« (TR II, 179)

Dies vorausgeschickt, unterscheidet Hume zwei Arten von Affekten: »Unter direkten Affekten verstehe ich solche, die unmittelbar aus einem Gut oder einem Übel, aus Schmerz oder Lust entspringen; unter indirekten Affekten dagegen verstehe ich solche, die auf derselben Grundlage beruhen, bei denen aber noch andere Momente mitwirken.« (TR II, 5) Wie dem auch sei, jeder Affekt hat immer eine Ursache, eine Vorstellung, die ihn auslöst, einen Eindruck, dem er entspringt, es gibt immer eine Lust oder einen Schmerz, die vom Affekt selbst unterschieden sind. lnsof ern besteht jeder Affekt in einem Eindruck der Selbstwahrnehmung, in einem besonderen Gefühl, einem angenehmen oder unangenehmen, das aus diesem - unterschiedenen - Schmerz oder jener Lust hervorgeht. Davon ausgehend müssen wir zwei Fälle beachten, zwei Arten von Eindrücken der Selbstwahrnehmung, zwei Kategorien von Gefühlen: Die einen lenken den Geist auf das Gute oder das Übel, auf die Lust oder den Schmerz, durch die sie hervorgebracht werden; die anderen lenken den Geist auf die Vorstellung des Gegenstands, die 147

sie selbst hervorbringen (TR II, 7). Wir haben es hier mit zwei Kategorien von Prinzipien, mit zwei Kategorien von Eindrücken der Selbstwahrnehmung zu tun. Einmal ist das Prinzip des Affekts ein »ursprünglicher Instinkt«, aufgrund dessen der erregte Geist danach trachtet, sich mit dem Guten zu vereinigen und das Übel zu vermeiden (TR II, 7), das andere Mal weist eine natürliche Organisation einer besonderen Gefühlserregung eine gewisse Vorstellung zu, »die von ihr jederzeit unfehlbar hervorgerufen wird« (TR II, 17). Auf diese Weise unterscheiden sich direkte und indirekte Affekte. Also gibt es ebensoviele direkte Affekte als es Existenzweisen für Gut und Böse, aus denen sie hervorgehen, gibt: Ist das Gut und das Übel gewiß, verbreiten sich Freude oder Trauer; sind sie ungewiß, Hoffnung oder Furcht; werden sie nur erwogen, entsteht Begehren oder Abscheu; sind sie von uns abhängig, erwacht der Wille (TR II, 178). Man unterscheidet ebensoviele indirekte Affekte als es Gefühlserregungen gibt, die die Vorstellung eines Gegenstands hervorrufen. Zwei Paare dabei sind grundlegend: Stolz und Kleinmut, wenn das angenehme bzw. unangenehme Gefühl die Vorstellung des Ich hervorruft, Liebe und Haß, wenn es die Vorstellung einer anderen Person hervorruft. Warum werden diese letzteren Affekte »indirekt« genannt? Der Grund ist der: Insofern der Eindruck der Selbstwahrnehmung eine Vorstellung hervoruft, muß der Sinneseindruck, durch den er hervorgerufen wird, einem Gegenstand entspringen, der selbst mit dieser Vorstellung verbunden ist. Damit Stolz aufkeimen kann, muß die Lust, aus der der Affekt hervorgeht, ihre Quelle in einem Gegenstand finden, der mit uns in Zusammenhang steht. »Ebenso macht uns die Schönheit oder Häßlichkeit unserer Person, unserer Häuser, unserer Equipagen, unseres Hausrats stolz bzw. niedergedrückt. Dieselben Eigenschaften dagegen, auf Gegenstände übertragen, die nicht mit uns in Beziehung stehen, wirken auf keinen dieser Affekte auch nur im geringsten hin.« (TR II, 15)

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In diesem Sinne gehen die indirekten Affekte aus dem Guten bzw. dem Übel hervor, wobei »aber noch andere Momente mitwirken«: Zur Beziehung, die die Eindrücke verbindet, muß eine Beziehung, die die Vorstellungen verbindet, hinzukommen. Beim Stolz »erzeugt die Eigenschaft, die auf den Affekt hinwirkt, zunächst unabhängig von diesem einen diesem Affekt ähnlichen Eindruck; der Gegenstand, dem die Eigenschaft anhaftet, hängt mit dem eigenen Selbst, dem Objekt des Affektes, zusammen« (TR II, 19). Die Prinzipien des indirekten Affekts können ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie von den Assoziationsprinzipien unterstützt werden, zumindest von Kontiguität und Kausalität (TR II, 35 f.). Es versteht sich von selbst, daß die direkten und indirekten Affekte sich nicht ausschließen, sondern ihre jeweiligen Prinzipien zusammenwirken: » Vorausgesetzt aber, ein unmittelbarer Eindruck von Lust oder Unlust ist vorhanden, und derselbe wird durch einen Gegenstand erweckt, der mit uns selbst oder anderen zusammenhängt; dann hindert dies nicht bloß nicht das Eintreten der Zuneigung oder der Abneigung mit den daraus folgenden Gefühlserregungen, sondern durch das Zusammenwirken mit gewissen ruhenden Faktoren des menschlichen Geistes werden nun außerdem die neuen Eindrücke von Stolz und Kleinmut, Liebe und Haß erregt. Die Zuneigung (oder Abneigung), die uns an den Gegenstand bindet, bzw. von ihm trennt, fährt (dabei) fort zu wirken, aber in Verbindung mit diesen indirekten Affekten, die aus einem doppelten Zusammenhang, einerseits von Eindrücken, andererseits von Vorstellungen, entstehen.« (TR II, 177 f.)

Die unmittelbare Originalität der Theorie Humes liegt jedoch darin, den Unterschied zwischen den direkten und indirekten Affekten als eine Dualität aufgezeigt und aus dieser Dualität sogar eine Untersuchungsmethode des Affekts im allgemeinen gemacht zu haben, anstatt die einen durch die anderen zu verstehen oder zu erzeugen. Die Originalität der Theorie der Affekte bei Hume liegt 149

darin, daß sie den Affekt nicht als eine erste Bewegung, als eine erste Kraft darstellt, deren wachsender Kompliziertheit der Philosoph more geometrico in dem Maße zu folgen hätte, wie andere Faktoren auf sie einwirken (die Repräsentation des Gegenstands, die Einbildungskraft, die Rivalität der Menschen usw.), sondern als eine einfache Bewegung an sich, die der Philosoph wie ein Physiker als ein Kompositum betrachtet, das aus zwei gesonderten Teilen zusammengesetzt ist. Es handelt sich nicht um eine logische oder mathematische Ableitung der Affekte, sondern um eine physikalische Zerlegung des Affekts, der Bewegung der Leidenschaft. Aber sind, allgemein gesprochen, Verstand und Affekt nicht ihrerseits die Produkte einer Zerlegung, einer Unterteilung einer bereits einfachen Bewegung? »Die menschliche Natur besteht nun einmal aus zwei Hauptfaktoren, die zu allen ihren Handlungen notwendig sind, nämlich aus den Neigungen und dem Verstande; nur die blinden Betätigungen der ersteren, ohne Leitung des letzteren, machen die Menschen für die Gesellschaft untauglich. Wir können aber die Erfolge, die aus der getrennten Wirkung dieser zwei Faktoren des Geistes entstehen, getrennt betrachten. Solche Freiheit ist den Naturwissenschaften erlaubt und darf darum auch den Moralphilosophen zugestanden werden. Es ist bei ersteren sehr üblich, eine beliebige Bewegung so zu betrachten, als bestände sie aus zwei gesonderten Komponenten, obgleich sie gleichzeitig anerkennen, dag sie in sich selbst nicht zusammengesetzt, sondern unteilbar sind.« (TR II, 237)

Die gesamte Philosophie Humes und der Empirismus im allgemeinen ist ein »Physikalismus«. Tatsächlich muß für Prinzipien, deren Wesen nur physikalisch ist, eine volle physikalische Anwendung gefunden werden. Wie Kant anmerkt, haben die Prinzipien bei Hume ein ausschließlich physikalisches, empirisches Wesen. Wir wollten nichts anderes zum Ausdruck bringen, als wir das empirische Problem so definierten, daß es sich sowohl gegen eine transzendentale 150

Deduktion wie eine psychologische Genese sträubt. In der Frage des Empirismus »Wie konstituiert sich das Subjekt im Gegebenen?« müssen wir zweierlei unterscheiden: Einerseits wird die Notwendigkeit behauptet, auf Prinzipien zurückgreifen zu müssen, um die Subjektivität verstehen zu können, andererseits jedoch wird die Übereinstimmung der Prinzipien mit diesem Gegebenen, in dem sie das Subjekt konstituieren, außer acht gelassen. Die Prinzipien der Erfahrung sind keine Prinzipien für die Gegenstände der Erfahrung, sie garantieren nicht die Reproduktion der Gegenstände in der Erfahrung. Eine solche Konstellation war offensichtlich nur möglich, wenn für die Prinzipien eine ebenfalls physikalische Anwendung gefunden werden konnte, die mit der gestellten Frage zwingend zusammenhängt. Nunmehr ist diese physikalische Anwendung genau bestimmt. Die menschliche Natur ist der transformierte Geist; diese Transformation wird in bezug auf den Geist, der sie an sich erfährt, als unteilbar erfaßt, da er dann als ein Ganzes funktioniert, in bezug auf die diese Transformation stiftenden und sie tragenden Prinzipien hingegen als zerlegbar. Schließlich ist eben diese Auffassung noch um einen Aspekt zu ergänzen: Das Subjekt ist der aktivierte Geist; und diese Aktivierung wiederum wird in bezug auf die Prinzipien, die sie hervorbringen, als eine Passivität des Geistes erfaßt, in bezug auf den Geist, der sie an sich erfährt, als eine Aktivität. Das Subjekt zerfällt somit in ebensoviele Spuren, als von den Prinzipien im Geist hinterlassen werden. Das Subjekt zerfällt in Eindrücke der Selbstwahrnehmung und in Eindrücke, die von den Prinzipien hinterlassen wurden. Dennoch ist in bezug auf den Geist, dessen Transformation die Prinzipien zusammen betreiben, das Subjekt selbst unteilbar, unzerlegbar, aktiv und umfassend. Um die beiden Standpunkte zu vereinbaren, genügt es daher nicht aufzuzeigen, daß die Prinzipien eine gleichgerichtete Wirkung haben, so wenig wie es genug ist, aufzuzeigen, daß sie ein gemeinsa151

mes Merkmal besitzen, nämlich ausgehend von Sinneswahrnehmungen einen Eindruck der Selbstwahrnehmung zu konstituieren. Es genügt nicht einmal der Nachweis, daß sie sich wechselseitig implizieren, daß sie sich gegenseitig unter verschiedenen Aspekten voraussetzen. Die einen müssen letztendlich den anderen absolut untergeordnet werden. Die Elemente der Zerlegung können nicht den gleichen Wert haben: Es gibt immer einen rechten und einen linken Teil. Zu diesem Punkt kennen wir die Antwort Humes: Die Beziehungen finden ihre Richtung, ihren Sinn im Affekt; die Assoziation setzt Entwürfe, Ziele, Absichten, Gelegenheiten voraus, praktisches Leben, Affektivität. Wenn der Affekt, entsprechend den besonderen augenblicklichen Umständen und Bedürfnissen, die Assoziationsprinzipien in ihrer ersten Funktion ersetzen kann, wenn er ihre selektive Funktion übernehmen kann, so deswegen, weil diese Prinzipien die Sinneswahrnehmungen nicht selektionieren, ohne nicht bereits von sich aus den Notwendigkeiten des praktischen Lebens, den allgemeinsten, den beständigsten Bedürfnissen unterworfen zu sein. Kurzum, die Prinzipien des Affekts sind absolut vorrangig. Zwischen der Assoziation und dem Affekt besteht dieselbe Beziehung wie zwischen dem Möglichen und dem Realen, wobei das Reale selbstverständlich dem Möglichen vorausgeht; die Assoziation gibt dem Subjekt eine mögliche Struktur, allein der Affekt gibt ihm ein Sein, eine Existenz. Ihren Sinn, ihr Schicksal findet die Assoziation in ihrem Verhältnis zum Affekt. Man sollte nicht vergessen, daß bei Hume der Glaube buchstäblich für die Sympathie steht, die Kausalität für das Eigentum. Man spricht bei Hume häufig von einer Kritik der Relationen und stellt dabei die Theorie des Verstandes als eine Kritik der Relationen dar. In Wirklichkeit wird nicht die Relation einer Kritik unterworfen, sondern die Repräsentation, von der uns Hume zeigt, daß sie kein Kriterium für die Relationen selbst sein kann. Relationen sind nicht Gegenstandei152

ner Repräsentation, sondern Mittel einer Aktivität. Die gleiche Kritik, die die Relation der Repräsentation entzieht, schlägt sie der Praxis zu. Was angeprangert und kritisiert wird, ist die Vorstellung, das Subjekt könne ein erkennendes Subjekt sein. Die Assoziationslehre steht für den Utilitarismus. Die Assoziation der Vorstellungen definiert kein Erkenntnissubjekt, sondern im Gegenteil einen Komplex von möglichen Mitteln für ein praktisches Subjekt, dessen wirkliche Ziele allesamt affektiver, moralischer, politischer und ökonomischer Natur sind. Somit demonstriert diese Unterordnung der Assoziation unter den Affekt bereits in der menschlichen Natur selbst eine Art sekundärer Finalität, die uns auf das Problem der primären Finalität vorbereitet, auf die Übereinstimmung zwischen der menschlichen Natur und der Natur.

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Schluß Die Finalität

Ihrer Natur entsprechend fixieren die Prinzipien den Geist auf zwei höchst unterschiedliche Weisen. Die Assoziationsprinzipien stellen zwischen den Vorstellungen natürliche Beziehungen her. Sie bilden im Geist ein ganzes Netz, gleichsam ein Kanalsystem: Der Übergang von einer Vorstellung zur anderen ist kein zufälliger mehr, sondern eine Vorstellung zieht - von einem Prinzip geleitet - ganz natürlich eine andere nach sich, sie wird ganz selbstverständlich von einer anderen begleitet. Kurzum, die Einbildungskraft ist unter diesem Einfluß Vernunft geworden, die Phantasie hat Beständigkeit gewonnen. Das alles haben wir bereits gesehen. Hume macht jedoch eine wichtige Anmerkung: Wäre der Geist nur auf diese Weise festgelegt, gäbe es keine Moral, hätte es Moral niemals gegeben. So lautet das erste Argument, das uns darüber aufklärt, daß Moral nicht der Vernunft entspringt. Tatsächlich ist die Beziehung nicht einsinnig und darf nicht mit einer Richtung verwechselt werden. Relationen setzen zwischen Vorstellungen eine Bewegung in Gang, eine Art Pendelbewegung, die bewirkt, daß eine Vorstellung nicht nur zu einer anderen führt, sondern de jure die zweite auch zur ersteren führt: Die Bewegung verläuft in beiden Richtungen. Wie aber können Relationen, die ihren Termen doch äußerlich sind, den Vorrang eines Terms vor dem anderen, die Unterordnung des einen unter den ande154

ren festlegen? Es ist evident, daß das Handeln solche Doppeldeutigkeit nicht duldet: Es verlangt einen Ausgangspunkt, einen Ursprung, auch etwas, worin es einen Zweck sieht, etwas, hinter das nicht zurückgegangen werden kann. Für sich genommen beschränkten sich die Beziehungen darauf, Handeln ad infinitum möglich zu machen, ohne daß jemals eine Handlung realisiert worden wäre. Handeln entsteht nur durch Ausrichtung. Und die Moral gleicht dem Handeln - dadurch entzieht sie sich den Beziehungen. Ist es moralisch gesehen dasselbe, eine Wohltat mit einem schlechten Dienst zu entgelten bzw. einen schlechten Dienstmiteiner Wohltat zu erwidern? (MO, 218) Indem man einräumt, daß dies, obwohl die gleiche Beziehung der Gegensätzlichkeit vorliegt, nicht dasselbe ist, hat man bereits den radikalen Unterschied zwischen Moral und Vernunft anerkannt. Man wird einwenden: daß immerhin eine der Relationen, die Kausalitätsbeziehung, in einer zeitlichen Synthese bereits das Prinzip der Unumkehrbarkeit impliziert. Das ist auch unbestritten: Deswegen nimmt sie im Vergleich zu allen anderen Beziehungen eine herausragende Stellung ein; die entscheidende Frage ist jedoch, welche Wirkung in meinem Interesse liegt, so daß ich deren Ursache ausfindig zu machen suche: »Es kann für uns nicht die geringste Wichtigkeit haben, zu wissen, daß diese Gegenstände Ursachen sind und jene Wirkungen, wenn die Ursachen und die Wirkungen uns gleichgültig sind.« (TR II, 152)

Der Geist muß somit noch auf andere Weise fixiert werden. Und zwar müssen die Prinzipien des Affekts gewisse Eindrücke bezeichnen, die er als unsere Handlungsziele festlegt. Es handelt sich nicht mehr darum, den Geist in Beziehungen einzubetten, den Geist anzubinden, sondern ihn buchstäblich festzunageln. Es handelt sich nicht mehr um feste Beziehungen, sondern um Fixpunkte. Im Geist selbst gibt es Ein155

drücke, die man Lust und Schmerz nennt. Doch daf~ die Lust ein Gut und der Schmerz ein Übel ist, daß wir die Lust anstreben und den Schmerz meiden, ist kein Inhalt von Schmerz oder Lust selbst, sondern ein Werk der Prinzipien. Das ist der erste Tatbestand, hinter den wir nicht zurück können: »Treibt man seine Nachforschungen weiter und will wissen, warum er den Schmerz hasse, so wird er unmöglich einen Grund angeben können. Dies ist ein letzter Zweck und er wird niemals auf ein noch anderes Objekt zurückgeführt.« (MO, 224 f.)

Indem sie aus der Lust ein Ziel machen, statten die Prinzipien des Affekts das Handeln mit einem Prinzip aus, sie machen die Aussicht auf Lust zu einem Handlungsmotiv (TR II, 152). Der Zusammenhang zwischen dem Handeln und der Beziehung ist somit unübersehbar. Das Wesen des Handelns liegt im Mittel-Zweck-Verhältnis. Handeln heißt, Mittel bereitzustellen, um einen Zweck zu erreichen. Und dieses Verhältnis ist etwas gänzlich anderes als eine Relation. Ohne Zweifel umfaßt es die Kausalbeziehung: Jedes Mittel ist eine Ursache, jeder Zweck ist eine Wirkung. Die Kausalität zeichnet sich gegenüber den anderen Beziehungen in besonderer Weise aus: »Ein Kaufmann wünscht das Gesamtergebnis seiner Abrechnung mit irgend einer Person zu kennen. Warum? Weil er erfahren will, ob die Summe, die er ausgeben muß zur Begleichung seiner Schuld und indem er die Waren auf den Markt bringt, eben denselben Effekt haben wird, wie alle einzelnen Artikel der gelieferten Ware zusammengenommen. So beeinflußt abstraktes oder demonstratives Denken niemals irgendwelche unserer Handlungen anders, als durch Regelung unseres Urteils über Ursachen und Wirkungen.« (TR II, 51 f.)

Damit jedoch eine Ursache als Mittel angesehen werden kann, muß die Wirkung, die sie hervorruft, unser Interesse wecken, d.h. die Vorstellung der Wirkung muß zunächst als 156

Zweck unseres Handelns gesetzt werden. Das Mittel geht über die Ursache hinaus: Die Wirkung, die sie erzeugt, muß als etwas Gutes angesehen werden; das Subjekt, das sie aus sich heraussetzt, muß mit ihr eins sein wollen. Das Verhältnis von Mittel und Zweck ist keine einfache Kausalitätsbeziehung, sondern ein Nützlichkeitsverhältnis, wobei sich der Nutzen durch seine Eigenschaft, seine Disposition, »Gutes zu fördern« definiert. Eine Ursache ist nur für das Subjekt ein Mittel, das danach strebt, mit der Wirkung eins zu sem. Wie erklären sich diese subjektiven Tendenzen, mit dem Guten eins sein zu wollen, das Gute zu fördern? Es sind die Wirkungen der Prinzipien der Affektivität, es sind die Eindrücke der Selbstwahrnehmung, der Affekte. Nützlich ist daher nicht allein diese oder jene Ursache, sofern sie eine bestimmte Wirkvng hervorbringt, die als etwas Gutes gesetzt wurde, sondern auch diese oder jene natürliche Disposition, Gutes zu fördern, diese oder jene Eigenschaft, sofern sie mit bestimmten Umständen übereinstimmt. Es gibt zwei Arten, menschliche Eigenschaften wie Wut, Vorsicht, Mut, Diskretion usw. zu betrachten: generisch, als universell mögliche Antworten auf gegebene Lebensumstände; differentiell, als gegebene Charakterzüge, die den jeweiligen Umständen entsprechen oder nicht entsprechen (MO, 177). Unter diesem Gesichtspunkt kann ein Charakterzug nützlich oder schädlich sein. »Der beste Charakter, wäre er nicht für die menschliche Natur allzu vollkommen, ist tatsächlich jener, der von keiner bestimmten Veranlagung beherrscht wird, sondern abwechselnd Unternehmungsgeist und Vorsicht anwendet, je nachdem, ob das eine oder das andere für den bestimmten beabsichtigten Zweck nützlich ist. (... ) Fabius, sagt Machiavelli, sei vorsichtig; Scipio wagemutig; und beide waren erfolgreich, weil die Lage Roms während der jeweiligen Zeit ihres Oberbefehls ihrer Begabung besonders angemessen war; beide hätten Mißerfolg gehabt, wären diese Situationen ver-

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tauscht gewesen. Derjenige ist glücklich, dessen Lebensumstände zu seinem Wesen passen; aber derjenige nimmt einen höheren Rang ein, der sein Wesen den gegebenen Umständen anpassen kann.« (MO, 161)

Sofern Nützlichkeit Zweck-Mittel-Verhältnisse bezeichnet, bezeichnet sie auch das Verhältnis von Individualität und historischer Situation. Der Utilitarismus umfaßt sowohl eine Bewertung des historischen Geschehens als auch eine Theorie des technischen Handelns. Was wir nützlich nennen, sind nicht nur Dinge, sondern auch Affekte, Gefühle oder Temperamente. Mehr noch, unser Moralurteil erstreckt sich nicht nur auf die Nützlichkeit von Dingen, sondern auch in einer noch zu bestimmenden Weise - auf die Nützlichkeit von Temperamenten (MO, 134 f.). Dies ist nun das zweite Argument, weswegen sich die Moral als Handlungsnorm nicht auf die Vernunft zurückführen läßt. Die Vernunft hat eine doppelte Funktion. Sie klärt uns über Ursachen und Wirkungen auf, sie sagt uns, ob wir »Mittel wählen, die für den beabsichtigten Zweck( ...) ausreichen«; wobei ein Zweck natürlich überhaupt erst gesetzt sein muß. Darüberhinaus bedarf es der Vernunft aber auch, damit wir uns auf alle Umstände einlassen können und uns im Leben zurechtfinden; das Gefühl, das in Zusammenhang mit der Gesamtheit der Lebensumstände entsteht, hängt freilich von einer »natürlichen Konstitution des Geistes« ab. »Es ist erforderlich, daß sich hier ein Gefühl einstellt, damit den nützlichen gegenüber den schädlichen Tendenzen der Vorzug gegeben wird.« (MO, 216)

Nicht zufällig ist es der Moral erlaubt, sich über genau die Gegenstände zu äußern, zu denen die Vernunft nichts zu sagen hat. Wie aber äußert sie sich? Welchen Diskurs hält sie über die Zwecke und die Temperamente? Noch wissen wir es nicht, allenfalls dies: »Der Verstand, weil kühl und gleichgültig, liefert kein Handlungsmotiv und weist nur dem von 158

Begierde oder Neigung empfangenen Impuls den Weg, indem er uns die Mittel zur Erreichung des Glücks und Vermeidung des Unglücks zeigt. Der Geschmack, da er Lust oder Unlust bringt und dadurch Glück oder Unglück schafft, wird zu einem Handlungsmotiv und ist der erste Antrieb oder Impuls zum Begehren oder Wollen.« (MO, 225 f.) Unsere erste Schlußfolgerung muß somit folgendermaßen lauten: Die zusammenhängenden Prinzipien machen aus dem Geist selbst ein Subjekt, aus der Phantasie eine menschliche Natur; sie begründen ein Subjekt im Gegebenen. Denn ein Geist, der mit Zwecken und Beziehungen versehen ist, und zwar mit Beziehungen, die diesen Zwecken entsprechen, ist ein Subjekt. Hierin liegt aber auch eine Schwierigkeit: Das Subjekt wird zwar im Gegebenen mit Hilfe der Prinzipien konstituiert, aber als Instanz, die genau über dieses Gegebene hinausgeht. Das Subjekt ist die Wirkung der Prinzipien im Geist, doch es ist der Geist, der Subjekt wird, er geht in letzter Instanz über sich selbst hinaus. Kurzum, man muß sich deutlich machen, daß das Subjekt mit Hilfe der Prinzipien konstituiert wird und in der Phantasie seine Grundlage hat. In bezug auf die Erkenntnis sagt uns Hume das ausdrücklich:: »Das Gedächtnis, die Sinne und der Verstand beruhen alle auf der Einbildungskraft.« (TRI, 343, verändert)

Was macht der Geist als Subjekt? Er verleiht »gewissen Vorstellungen größere Lebhaftigkeit ( ... ) als anderen« (TR 1, 343). »Darüber hinausgehen« heißt nichts anderes. Wenn der Geist eine »größere Lebhaftigkeit« zu verleihen vermag, so zweifellos deshalb, weil die Prinzipien ihn fixieren, indem sie zwischen den Vorstellungen Beziehungen herstellen und weil sie ihn aktivieren, insofern sie der Lebhaftigkeit des Eindrucks Kommunikations-, Distributions- und Repartionsgesetze zuweisen; in der Tat ist eine Relation zwischen 159

zwei Vorstellungen auch die Qualität, mit deren Hilfe ein Eindruck der Vorstellung etwas von seiner Lebhaftigkeit übermittelt (TRI, 147; UN, 67 ff.). Freilich ist diese Lebhaftigkeit an sich kein Produkt der Prinzipien; sie ist, als Grundmerkmal des Eindrucks, Erbteil und Gegebenheit der Phantasie, eine unmittelbare und nicht ableitbare Gegebenheit. Sie ist der Ursprung des Geistes. Folglich suchen wir im Bereich der Erkenntnis eine Formel für die Tätigkeit des Geistes, wenn er Subjekt wird, eine Formel, die für alle Wirkungen der Ideenassoziation Gültigkeit besitzt. Hume liefert sie uns: »Über etwas hinausgehen« heißt immer, von Bekanntem auf Unbekanntes zu schließen (MO, 221 ). Diesen Schritt nennen wir Schematismus des Geistes (allgemeine Regeln). Dieser Schematismus ist seinem Wesen nach extensiv. Jede Erkenntnis ist in der Tat ein System, das sich aus den Beziehungen zwischen seinen Teilen aufbaut, so daß sich jeder Teil ausgehend von einem anderen bestimmen läßt. Eine der bedeutendsten Ideen Humes, die er insbesondere gegen die Möglichkeit einer Kosmologie bzw. Theologie in Anschlag gebracht hat, ist die, daß es keine intensive Erkenntnis gibt, daß die einzig mögliche Erkenntnis extensiv ist, von Teil zu Teil schreitend. Dieser extensive Schematismus kennt jedoch zwei Typen, die den zwei Arten von Relationen, den Verhältnissen zwischen Tatsachen und den Beziehungen zwischen Vorstellungen entsprechen. Hume erklärt, daß wir beim Erkenntnisakt einmal von bekannten zu unbekannten Sachverhalten schreiten, das andere Mal von bekannten zu unbekannten Beziehungen. Wir haben hier eine für Hume sehr wichtige Unterscheidung zwischen Beweis und Gewißheit. Die erste Operation, die des Beweises oder der Wahrscheinlichkeitserkenntnis, entfaltet unter der Wirkung der Prinzipien einen Schematismus der Ursache, den wir in den vorangegangenen Kapiteln hinreichend analysiert haben. Wie aber bildet sich der Schematismus der 160

zweiten Operation aus? Der eine ist seinem Wesen nach physikalisch, der andere wesentlich mathematisch. » Wer sich theoretisch mit Dreiecken oder Kreisen beschäftigt, betrachtet die verschiedenen bekannten und gegebenen Relationen, in denen die Teile dieser Figuren zueinander stehen, und erschließt daraus irgendeine unbekannte Relation, die auf den erstgenannten beruht.« (MO, 220)

Dieser zweite Schematismus scheint sich uns nicht mehr auf die Ursache, sondern auf die Allgemeinvorstellung zu beziehen. Die Funktion der Allgemeinvorstellung liegt weniger darin, eine Vorstellung zu sein, als die Regel zur Hervorbringung einer benötigten Vorstellung (TRI, 38). Im Kausalitätsverhältnis bringe ich einen Gegenstand als Gegenstand des Glaubens hervor, ausgehend von einem anderen besonderen Gegenstand und in Übereinstimmung mit den Regeln der Beoba.chtung. Die mathematische Funktion der Allgemeinvorstellung ist eine andere, sie besteht darin, eine Vorstellung als einen Gegenstand der Gewißheit hervorzubringen, ausgehend von einer anderen Vorstellung, welche ihrerseits als eine Konstruktionsregel begriffen wird. » Wenn wir eine große Zahl, wie z.B. tausend, nennen, hat unser Geist gewöhnlich keine adäquate Vorstellung von ihr, sondern besitzt nur die Fähigkeit, eine solche durch die adäquate Vorstellung der Zehner, die die Zahl in sich schließt, zu erwecken.« (TRI, 37, umgestellt)

Doch in beiderlei Gestalt ist dieser Schematismus der Erkenntnis im allgemeinen nicht nur extensiv, insofern er sich aus Teilerkenntnissen aufbaut, er ist es auch, insofern er überschüssig ist. Für sich genommen ist die Lebhaftigkeit nicht das Resultat der Prinzipien; die Eindrücke der Sinneswahrnehmung stehen am Ursprung des Geistes, sie sind Erbteil der Phantasie. Sowie die Beziehungen hergestellt sind, neigen diese Eindrücke dazu, jede Vorstellung, die sich mit ihnen verbindet, mit ihrer Lebhaftigkeit anzustecken 161

(TRI, 147): in Humes Empirismus nicht anders als im Rationalismus, wo die Möglichkeiten mit aller Kraft zum Sein streben. Nun sind nicht alle Beziehungen im Hinblick auf die menschliche Natur von gleichem Wert, wir wissen, daß nicht von allen die Wirkung ausgeht, »unsere Vorstellungen stärker und lebendiger zu machen« (TR I, 147), und daß Glaubenssätze nur rechtens sind, wenn sie sich nicht von der Kausalität frei machen: Zweifellos ist jede Relation zwischen zwei Vorstellungen auch jene Qualität, mit deren Hilfe der Eindruck die Vorstellung stärkt, die mit ihr verbunden ist; dennoch muß die Vorstellung fest und beständig und ein für allemal zusammenhängend sein (TR I, 149 f.). Mehr noch, die Eindrücke begnügen sich nicht damit, die Beziehungen zu erzwingen, sie fingieren sie, sie fabrizieren sie in ihrem Aufeinandertreffen. So steht es also um das Subjekt, das bedrängt, von Trugbildern gequält und von der Phantasie angestachelt wird. Seine jeweiligen Affekte und Dispositionen führen es darüberhinaus dazu, Fiktionen zu begünstigen. Mit einem Wort, wir sind nicht nur Subjekt, wir sind etwas anderes, wir sind auch stets ein seinem Ursprung verhaftetes Ich. Tatsache ist, daß es unrechtmäßige Glaubensinhalte, absurde Allgemeinvorstellungen gibt. Die Prinzipien stellen zwischen den Vorstellungen Beziehungen her, in deren Gesetzmäßigkeit es liegt, den Eindruck mit Lebhaftigkeit auszustatten; freilich muß sich die Lebhaftigkeit diesen Gesetzen ausnahmslos fügen. Deshalb gibt es im Schematismus der Erkenntnis stets überschüssige Regeln, die von anderen Regeln korrigiert werden müssen: Der Schematismus der Ursache muß mit der Erfahrung übereinstimmen, der Schematismus der Allgemeinvorstellung muß mit dem Raum übereinstimmen, in der zweifachen Gestalt, die diesen definiert, als geometrische Struktur und als arithmetische Einheit (TRI, 63-67). So setzt sich im Ich oder vielmehr im Subjekt selbst der große Widerstreit zwischen Subjekt und Phantasie fort, zwischen den Prinzipien der menschlichen 162

Natur und der Lebhaftigkeit der Einbildungskraft, zwischen den Prinzipien und den Fiktionen. Wir wissen, daß für jeden Erkenntnisgegenstand die Fiktion wirksam korrigiert werden kann, auch wenn sie mit dem nächsten Gegenstand ohne weiteres erneut entstehen kann. Wir wissen jedoch auch, wie sich in der Welt im allgemeinen, in der jeder Gegenstand erkannt wird, die Fiktion der Prinzipien bemächtigt und sie radikal in ihren Dienst stellt. Versuchen wir nun, der Aktivität des Geistes im Affekt nachzugehen. Die Prinzipien des Affekts fixieren den Geist, indem sie ihm Ziele setzen, und sie aktivieren ihn, weil die Aussicht auf diese Ziele zugleich Motive, Handlungsanreize, Neigungen und besondere Interessen umfaßt. Kurzum, sie verleihen unserem Geist eine »natürliche Konstitution«, ein ganz.es Arsenal von Affekten. Im Geist konstituieren sie Affektionen, denen sie ein »entsprechend begrenztes Objekt« (MO, 153) zuweisen. Dieses Objekt ist jedoch immer in ein System von Sachverhalten und gegebenen Beziehungen eingefügt. Auch hier stoßen wir wieder auf den grundlegenden Unterschied zwischen Erkenntnis und Affekt: Im Affekt sind, jedenfalls de jure, alle Beziehungen, alle Sachverhalte bereits gegeben: Agrippina ist die Mutter von Nero; aber »als Nero Agrippina tötete, waren ihm alle Beziehungen zwischen ihm und ihr und alle Umstände der Tat vorher bekannt; aber das Motiv der Rache oder der Furcht oder der Selbstsucht siegte in seinem grausamen Herzen« (MO, 221 f.).

Mithin umfaßt die natürliche Konstitution des Geistes unter der Wirkung der Prinzipien des Affekts nicht nur die Bewegung einer Affektion, die ihrem Gegenstand folgt, sondern auch die Reaktion eines Geistes, der auf die als bekannt vorausgesetzte Totalität der Tatbestände und Beziehungen antwortet. Mit anderen Worten, unsere Neigungen bilden sich im Hinblick auf ihre Gegenstände einen allgemeinen Überblick; sie werden nicht nur von den besonderen Ver163

knüpfungen, von den Lockungen augenblicklicher Freuden gelenkt (MO, 164). Wir stoßen hier im Bereich des Affekts wie im Bereich der Erkenntnis, doch in einer anderen Weise - auf die Phantasie als eine irreduzible Gegebenheit. Denn wenn die Affektion, die ihrem Gegenstand folgt, im Hinblick auf diesen Gegenstand sogar zu einem allgemeinen Überblick imstande ist, so deshalb, weil sich beide in der Einbildungskraft, in der Phantasie reflektieren. Wenn die Prinzipien des Affekts den Geist festlegen, bringen sie zugleich auch die Affekte dazu, im Geist nachzuhallen, sich auszudehnen, sich zu reflektieren. Die Reaktion des Geistes auf die Gesamtheit der Sachverhalte ist mit dieser Reflexion des Affekts im Geist identisch; eine derartige Reaktion ist produktiv, eine derartige Reflexion heißt Erfindung. »Es ist von der Natur weise eingerichtet, daß persönliche Bindungen gewöhnlich stärker sind als allgemeine Ansichten und Überlegungen; sonst würden sich unsere Neigungen und Handlungen aus Mangel an einem entsprechend begrenzten Objekt zerstreuen und verlieren. (...) Dennoch sind wir, wie bei allen sinnlichen Wahrnehmungen, auch hier fähig, durch Reflexion diese Ungleichheiten zu korrigieren und an einem allgemeinen Maßstab von Laster und Tugend festzuhalten, der hauptsächlich auf der allgemeinen Nützlichkeit basiert.« (MO, 153, Anm.)

Das Allgemeininteresse ist erfunden: Es ist der Nachhall des besonderen Interesses in der Einbildungskraft, die Bewegung einer Leidenschaft, die ihre Parteilichkeit überwindet. Ein Allgemeininteresse existiert nur aufgrund der Einbildungskraft, von Kunstmitteln oder der Phantasie; nichtsdestoweniger ist es als Menschlichkeit, als Kultur Teil der natürlichen Konstitution des Geistes. Es ist die Reaktion des Geistes auf die Totalität der Sachverhalte und Beziehungen; es weist dem Handeln des Geistes eine Regel zu, in deren Namen er Gut und Böse im allgemeinen auseinanderhalten kann; wir sind in der Lage, Nero zu verurteilen. Also beruht die Aktivität des Geistes im Bereich des Affekts wie in dem 164

der Erkenntnis auf der Phantasie. Es gibt somit einen moralischen Schematismus. Nach wie vor besteht jedoch ein Unterschied: Es ist nicht mehr ein extensiver, sondern ein intensiver Schematismus. Die Aktivität des Geistes besteht nicht mehr darin, von Teil zu Teil zu schreiten, von bekannten zu unbekannten Beziehungen, von bekannten zu unbekannten Sachverhalten, sondern auf die als bekannt vorausgesetzte Totalität der Sachverhalte und Beziehungen zu reagieren. »Von erkannten oder angenommenen Ereignissen und Relationen führt uns der erstere [der Verstand, A.d.Ü.] zur Entdeckung der verborgenen und unbekannten; nachdem alle Ereignisse und Relationen vorliegen, läßt uns der letztere [der Geschmack, Übersetzer] aus dem Ganzen ein neues Gefühl des Tadels oder der Billigung empfinden.« (MO, 226)

Der Kreis als Gegenstand der Erkenntnis ist eine Beziehung zwischen Teilen, der Ort der Punkte, die von einem gemeinsamen Punkt, Mittelpunkt genannt, gleich weit entfernt sind; als Gegenstand etwa des ästhetischen Empfindens wird er als ein Ganzes aufgefaßt, auf das der Geist aufgrund seiner natürlichen Konstitution reagiert (MO, 222 f.). Dem auf die Erkenntnis abzielenden Text Humes, demzufolge die Regeln des Verstandes in letzter Instanz auf der Einbildungskraft beruhen, antwortet nunmehr ein anderer Text, demzufolge die Regeln des Affekts in letzter Instanz auch auf der Einbildungskraft beruhen (TR II, 248 f.). In beiden Fällen beteiligt sich die Phantasie an der Gründung einer Welt, der Welt der Kultur und der Welt der unterschiedenen und kontinuierlichen Existenz. Und wie wir wissen, finden wir im Schematismus der Moral wie in dem der Erkenntnis überschüssige und korrigierende Regeln vor. Allein, das Verhältnis, das diese beiden Arten von Regeln zueinander unterhalten, ist im Bereich der Erkenntnis und in dem der Moral nicht dasselbe. Die überschüssigen Regeln der Erkenntnis widersprachen den Prinzipien der Assozia165

tion unmittelbar; sie zu korrigieren hieß, ihre Fiktionen zu bemängeln; unter dem Gesichtspunkt der Prinzipien war die Setzung einer unterschiedenen und kontinuierlichen Welt im Grunde lediglich das allgemeine Residuum eben jener Fiktion auf einer Ebene, auf der sie nicht mehr korrigiert werden konnte. Zweifellos nötigen auch die überschüssigen moralischen Regeln die Affekte, zeichnen auch sie eine ganze fiktive Welt; diese Welt befindet sich jedoch in Übereinstimmung mit eben diesen Prinzipien des Affekts, widerspricht nur der Begrenztheit ihrer Wirkung. Indem sie die Affekte, die sich als besondere Interessen gegenseitig ausschließen, in ein Ganzes integriert, erzielt die Fiktion hier zusammen mit dem Allgemeininteresse - eine Angleichung des Affekts an sein Prinzip, der Gesamtwirkungen an ihre Ursache, eine Gleichheit zwischen der Wirkung der Prinzipien und den Prinzipien selbst. So herrscht zwischen der Fiktion und den Prinzipien des Affekts Harmonie. Aus diesem Grund kann das Problem eines Verhältnisses zwischen den Prinzipien der menschlichen Natur im allgemeinen und der Phantasie nur in der besonderen Perspektive der Beziehung der Prinzipien untereinander verstanden und gelöst werden kann. Wenn wir als Erkennende uns mit unseren Überzeugungen an die Kausalität halten, dabei aber auch eine unterschiedene und kontinuierliche Existenz annehmen müssen; wenn uns die menschliche Natur keine Wahl läßt, obwohl sich unter dem Gesichtspunkt der Assoziation beides widerspricht, so deswegen, weil diese Prinzipien nicht das Geheimnis der menschlichen Natur umschließen. Das heißt ein weiteres Mal nichts anderes, als daß die Assoziation für den Affekt ist. Wenngleich die Prinzipien der menschlichen Natur im Geist getrennt wirken, konstituieren sie doch ein Subjekt, das als Ganzes funktioniert. Die abstrakten Ideen sind den Bedürfnissen des Subjekts unterworfen, die Relationen sind seinen Zielen unterworfen. Diese Einheit eines Subjekts, das als ein Ganzes funktioniert, 166

nennen wir intentionale Finalität. Versteht man die Assoziationslehre als eine Psychologie der Erkenntnis, geht deren Bedeutung verloren. Tatsächlich ist die Assoziationslehre lediglich eine Theorie all dessen, was praktisch ist, also eine Theorie des Handelns, der Moral, des Rechts. Wir haben zu zeigen versucht, daß beide Aspekte des Subjekts letztendlich identisch sind: Das Subjekt ist das Produkt der Prinzipien im Geist, es ist aber auch der Geist, der über sich selbst hinausgeht. Der Geist wird Subjekt durch die Wirkung der Prinzipien, so daß das Subjekt sowohl durch die Prinzipien konstituiert wird als auch in der Phantasie seinen Grund hat. Wie das? Von sich aus ist der Geist kein Subjekt: Er ist ein gegebener Bestand an getrennten Eindrücken und Vorstellungen. Der Eindruck definiert sich durch seine Lebhaftigkeit; die Vorstellung als eine Reproduktion des Eindrucks. Das heißt aber bereits, daß der Geist von sich aus zwei grundlegende Merkmale aufweist: Resonanz und Lebhaftigkeit. Man erinnere sich an die Metapher, die den Geist mit einem Schlaginstrument vergleicht. Wann wird er Subjekt? Wenn er seine Lebhaftigkeit so mobilisiert, daß ein Teil, der die Lebhaftigkeit als Merkmal aufweist (Eindruck), sie einem anderen Teil (Vorstellung) übermittelt, und andererseits, wenn alle Teile zusammen, indem sie etwas Neues produzieren, Resonanz erzeugen. Das sind die zwei Modi des Über-sich-Hinausgehens: Glaube und Erfindung; ihre Beziehung zu den ursprünglichen Merkmalen des Geistes ist unübersehbar. Diese beiden Modi sind als die durch die Prinzipien herbeigeführten Modifikationen zu begreifen, als die Wirkungen der Prinzipien im Geist, der Prinzipien der Assoziation und der Prinzipien des Affekts. Man soll nicht fragen, was Prinzipien sind, sondern was sie tun. Es sind keine Wesen, sondern Funktionen. Sie definieren sich durch ihre Wirkungen. Diese Wirkungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Prinzipien konstituieren im Gegebenen ein Subjekt, das erfindet und 167

glaubt. Insofern sind die Prinzipien Prinzipien der menschlichen Natur. Glauben heißt etwas erwarten. Einer Vorstellung die Lebhaftigkeit des mit ihr verbundenen Eindrucks vermitteln, heißt etwas erwarten, über die Erinnerung und die Sinne hinausgehen. Hierfür muß es freilich zwischen den Vorstellungen Relationen geben, beispielsweise muß die Wärme mit dem Feuer verknüpft sein - was nicht nur das Gegebene impliziert, sondern das Wirken der Prinzipien, die Erfahrung als Prinzip, die Ähnlichkeit und die Kontiguität. Und das ist nicht alles; wenn wir von weitem Feuer sehen, müssen wir an die Wärme glauben: Das sagt uns die Gewohnheit. Tatsache ist, daß das Gegebene, selbst bei vergleichbaren Fällen, weder zur Erklärung für die Relationen zwischen den getrennten Teilen des Gegebenen noch für den Übergang von einem Teil zu einem anderen ausreicht. »Kann ich mir nicht klar und deutlich vorstellen, daß ein Körper, der aus den Wolken fällt und in jeder anderen Hinsicht dem Schnee ähnlich ist, doch wie Salz schmeckt oder sich wie Feuer anfühlt? Gibt es einen verständlicheren Satz als die Behauptung, daß alle Bäume im Dezember und Januar blühen und im Mai und Juni welken werden?« (UN, 46)

Das Subjekt erwartet nicht nur, es erhält sich auch selbst (UN, 68); d.h. es reagiert auf die Totalität der Teile des Gegebenen, sei es aus Instinkt, sei es durch Erfindungsgabe. Tatsache ist auch hier, daß das Gegebene seine getrennten Bestandteile niemals zu einem Ganzen vereinigt. Kurzum, indem wir glauben und erfinden, machen wir aus dem Gegebenen selbst eine Natur. Damit erreicht Hurnes Philosophie ihren äußersten Punkt: Diese Natur stimmt mit dem Sein überein; die menschliche Natur stimmt mit der Natur überein. Wie aber ist das zu verstehen? Wir stellen im Gegebenen Beziehungen her, wir bilden Totalitäten; diese sind nicht vorn Gegebenen abhängig, sondern von Prinzipien, die uns bekannt sind, sie sind rein funktional. Und diese Funktionen 168

stimmen mit den verborgenen Mächten überein, von denen das Gegebene abhängt, die uns jedoch unbekannt sind. Diese Übereinstimmung zwischen der intentionalen Finalität und der Natur nennen wir Finalität. Diese Übereinstimmung kann nur gedacht werden; ein zweifellos überaus bescheidener und inhaltsarmer Gedanke. Die Philosophie muß sich als Theorie dessen konstituieren, was wir tun, nicht als Theorie dessen, was ist. Was wir tun, hat seine Prinzipien; und das Sein kann immer nur begriffen werden als Gegenstand einer synthetischen Beziehung mit den Prinzipien dessen, was wir tun.

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Anmerkungen

1 TRI, 172 f.: Die Indifferenz als »natürlicher Zustand« des Geistes. 2 Die wesentliche Textpassage lautet: »Da alle einfachen Vorstellungen durch die Einbildungskraft getrennt und in einer beliebigen Form wieder vereint werden können, so würde nichts unerklärlicher sein als die Art, wie dieses Vermögen tatsächlich zu wirken pflegt, wenn dasselbe nicht zugleich von einigen allgemeinen Prinzipien beherrscht wäre, welche es befähigen, immer und überall in gewissem Maße mit sich selbst in Übereinstimmung zu erscheinen. Beständen die Vorstellungen vollkommen lose und zusammenhanglos nebeneinander, so würde nur der Zufall sie verbinden.« (TRI, 20) 3 TRI, 21 und 295: Mit dem »Entschwinden« dieser Prinzipien müßte »die menschliche Natur alsbald zugrunde gehen«. 4 TRI, 24: Jener »Faktor, vermöge dessen Vorstellungen in der Einbildungskraft miteinander verknüpft erscheinen( ...).« 5 Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand: Finalität ist die Übereinstimmung der Prinzipien der menschlichen Natur mit der Natur selbst:» Wir finden hier also eine Art prästabilierter Harmonie zwischen dem Laufe der Natur und der Abfolge unserer Vorstellungen.« (UN 68) 6 Dialoge über natürliche Religion, RE 76 ff. 7 TRI, 310: »Auch wenn wir wirkliche Gegenstände [frei] zusammenordnen, so verfehlen wir nie, ähnlichen ihre Stelle nebeneinander oder wenigstens an einander entsprechenden Punkten anzuweisen. Weshalb? Doch nur weil es uns Befriedigung gewährt, die Beziehung des Nebeneinander zur Bezie170

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hung der Ähnlichkeit oder die Ähnlichkeit der Lage zu der Ähnlichkeit der Eigenschaften hinzuzufügen.« Vgl. auch TR II, 248 ff., Anm. TR II, 137: »Jeder Gegenstand wird durch ein absolutes Fatum zu einer bestimmten Stärke und Richtung seiner Bewegung genötigt und kann von der festen Linie, in der er sich einmal bewegt, ebenso wenig abweichen, als er sich in einen Engel oder Geist oder irgend eine höhere Substanz verwandeln kann. Die Tätigkeiten der Materie müssen also als Beispiele notwendiger Tätigkeiten angesehen und alles, was in dieser Hinsicht der Materie gleichsteht, muß als notwendig angesehen werden.« [Hervorhebungen: G.D.] Vgl. A. Comte, Cours de philosophie positive, Schleicher, Band III, S. 41 TRI, 32: »Dies wäre eine contradictio in adiecto; es läge darin der offenkundigste aller Widersprüche, daß nämlich ein Ding sowohl sein als nicht sein könne.« Den unmittelbar widersprüchlichen Charakter, den in der Philosophie Humes eine als Vorstellung ausgedrückte Praxis bekommt, hat M. Laporte herausgearbeitet. In diesem Sinne ließe sich die Paradoxie der Abstraktion auf die Formel bringen, wie 1 zu 2 zu machen ist, während die Paradoxie der notwendigen Beziehung lautete, wie 2 zu 1 gemacht werden kann. Vgl. sein: Le probleme de l'abstraction. Vgl.TRI, 342: über die »menschenleere Einsamkeit«, in die seine Philosophie führt; sowie TRI, 215: über die Zwecklosigkeit »langer Überlegungen«. In bezug auf abstrakte Allgemeinvorstellungen sind, wie uns Hume unmißverständlich sagt, seine Ausführungen nur nachzuvollziehen, wenn man einen kritischen Standpunkt eingenommen hat: »Vielleicht können diese[ ...] Überlegungen dazu dienen, alle Bedenken gegen die von mir betreffs unserer abstrakten Vorstellungen aufgestellte Hypothese zu beseitigen, trotz des Gegensatzes, in dem sie zu der Anschauung steht, die bisher in der Philosophie die herrschende gewesen ist. Aber, die Wahrheit zu sagen, ich setze mein Vertrauen hauptsächlich in das, was ich bereits betreffs der Unmöglichkeit allgemeiner Vorstellungen, so wie sie der gewöhnlichen Anschauungsweise zufolge gefaßt werden müßten, festgestellt habe.« (TRI, 39) Die Kritik an einer Psychologie des Geistes muß man schon im

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Rücken haben, wenn man verstehen will, was Affektion des Geistes ist. TRI, 240: »Inder Tat ist aber, wenn wir die Sache recht betrachten, auch die Vernunft gar nichts als ein wunderbarer und unfaßbarer Instinkt unserer Seele, der uns in einer Vorstellungsreihe von Vorstellung zu Vorstellung weiter leitet und diese Vorstellungen mit bestimmten Eigenschaften ausstattet, entsprechend der jedesmaligen Stellung und Beziehung derselben zueinander.« TRI, 54 (Hervorhebungen: G.D.) sowie TR II, 17. TR II, 144: Der »Gefangene sieht auf dem Wege zum Schafott seinen Tod sicher voraus, ebensosehr wegen der Festigkeit und Treue seiner Wachen, als wegen der Wirkung des Beiles oder des Rades«. Zwischen moralischer und physikalischer Gewißheit ist kein Wesensunterschied; vgl.TRI, 231. UN 100:»Diese Berichte über Kriege, Umtriebe, Parteiungen und Umwälzungen sind ebensoviel Sammlungen von Erfahrungstatsachen, aus denen der Politiker oder der Vertreter der Geisteswissenschaft die Prinzipien seiner Lehre feststellt; in der gleichen Art wie der Physiker oder Naturforscher das Wesen der Pflanzen, Mineralien und anderer äußerer Gegenstände durch die Erfahrungstatsachen kennenlernt, die er hierzu zusammenstellt.« Und weiter: »Es widerspricht nicht der Vernunft, wenn ich meinen vollständigen Ruin auf mich nehme, um das kleinste Unbehagen eines Indianers oder einer mir gänzlich unbekannten Person zu verhindern.« (TR II, 154) Und als genaues Gegenstück legt sich umgekehrt die Vernunft die Frage vor, worin die Grundlage des moralisch Guten liegt (TRI, 349). TRI, 229: »Der Gang unserer Untersuchung, insonderheit der Umstand, daß wir erst prüften, was wir aus der fraglichen Beziehung erschließen können, ehe wir das Wesen dieser Beziehung verständlich machten, dieser Gang unserer Untersuchung würde nicht gerechtfertigt gewesen sein, wenn es möglich gewesen wäre, anders vorzugehen.« TRI, 328: »Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir unterscheiden zwischen der persönlichen Identität, soweit sie unser Denken und unsere Einbildungskraft, und derselben Identität, soweit sie unsere Affekte und den Anteil, den wir an uns selbst nehmen, betrifft.«

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22 »Nur wenn wir einen Charakter im allgemeinen, ohne Beziehung auf unsere besonderen Interessen, betrachten, erzeugt er das unmittelbare Bewußtsein oder Gefühl, auf Grund deren wir ihn als sittlich gut oder schlecht bezeichnen.« (TR II, 214) 23 »Diejenigen, die den Sinn für das Sittliche auf ursprüngliche Instinkte des menschlichen Geistes zurückführen, mögen für die Statuierung dieser Ursache der Tugend genügend sichere Argumente haben; aber es fehlt ihnen der Vorteil, den diejenigen haben, die jenen Sinn aus dem extensiven Mitgefühl mit der Menschheit erklären.« (TR II, 373) 24 »Dies veranlaßt uns, ebenso wie wir die natürlichen Rechtsnormen einführen, um das Eigentum in der Gesellschaft zu sichern, und die Gefährdung desselben durch den Eigennutz zu verhindern, so auch Regeln der guten Lebensart aufzustellen, um den Konflikten, die aus dem menschlichen Stolz entspringen würden, vorzubeugen und den Verkehr angenehm zu machen und zu verhüten, daß er verletze.« (TR II, 351) 25 »Die Erfahrung lehrt uns, schnell in solcher Weise unsere Gefühle zu berichtigen; oder wenigstens unsere Sprache, wenn die Gefühle allzu hartnäckig und unveränderlich sein sollten« (TR II, 336). 26 »Der mitgeteilte Affekt der Sympathie empfängt zuweilen Kraft aus der Schwäche seines Ursprungs, ja er entsteht sogar durch eine Übertragung von Affekten, die gar nicht vorhanden sind.« (TR II, 104) 27 Im nächsten Kapitel werden wir sehen, wie »beurteilen und verstehen« selbst zu verstehen ist. 28 »Wenn auch die Rechtsordnung etwas künstlich Gemachtes ist, so ist doch das Gefühl für ihre Sittlichkeit natürlich. Der Zusammenschluß der Menschen zu einem feststehenden System der Lebensführung macht die der Rechtsordnung gemäßen Akte für die Gesellschaft segensreich. Hat aber die Rechtsordnung einmal diese Tendenz (der Förderung des Wohles der Gesellschaft), so spenden wir ihr Beifall.« (TR II, 373 f.) 29 Alles, was die Moralisten und Staatsmänner bewirken können, ist, daß sie »uns lehren, daß wir unsere Bedürfnisse auf indirekte und künstliche Weise besser befriedigen können, als wenn wir ihnen ganz den Zügel schießen lassen.« (TR II, 269) 30 »So gewiß sie [die allgemeinen Regeln, G.D.] den Affekten der Menschen Zwang auferlegen, so sind sie doch in Wahrheit Er-

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zeugnisse dieser Affekte, und nur ein kunstvolleres und verfeinertes Mittel zu ihrer Befriedigung.« (TR II, 274) »So gewiß die Regeln der Rechtsordnung künstlich sind, so sind sie doch nicht willkürlich. Es ist daher auch die Bezeichnung derselben als Naturgesetze nicht unpassend, wenn wir unter natürlich das verstehen, was irgend einer Spezies gemeinsam ist« (TR II, 227). Das ist das Thema von »Ein Dialog« (MO, 258-280). Insofern benennt das Versprechen doch Personen: TR II, 307f. D. Halevy, La formation du radicalismephilosophiq1te,t.I. »Als von dem 'Verstande' gesprochen wurde, bemerkte ich, daß der Unterschied, den wir zuweilen zwischen einer Macht und deren Ausübung machen, ganz hinfällig ist; weder der Mensch noch irgend ein anderes Wesen kann jemals im Besitze irgend einer Fähigkeit gedacht werden, wenn diese nicht ausgeübt und betätigt wird. Bei richtigem philosophischem Denken wenigstens verhält es sich genau so. Aber dies ist sicherlich nicht die Philosophie unserer Affekte. Viele Dinge wirken auf sie vermöge der Vorstellung oder der Annahme einer Macht, ohne dag doch dabei an einen tatsächlichen Gebrauch derselben gedacht zu werden brauchte.« (TR II, 43) » Man sagt, wir besäßen etwas, nicht nur wenn wir es unmittelbar in Händen haben, sondern auch, wenn wir so zu ihm stehen, daß wir die Macht haben es zu benutzen; daß wir es von der Stelle bewegen, verändern und zerstören können, je nach unserem augenblicklichen Gefallen und Vorteil. Diese Beziehung nun ist eine Art Beziehung zwischen Ursache und Wirkung.« (TR II, 250) Hinsichtlich des einfachen Übergangs vgl. 252 Anm., 261,314,319. Von daher kommt es zu Streitigkeiten und Gewalttätigkeiten: »Der Versuch einer Lösung dieser Schwierigkeiten vermöge vernünftiger Überlegung und aus dem Prinzip des Allgemeinwohls heraus gelingt nicht. Und meinen wir die Lösung in der Einbildungskraft zu finden, so ist zu bedenken, daß die Eigenschaften, welche auf dieses geistige Vermögen wirken, so unmerklich und allmählich ineinander übergehen, daß es unmöglich ist, ihnen bestimmte Grenzen oder Endpunkte zu setzen.« (TR II, 251 Anm.) Zur Souveränität: » Wenn aber diese Rechtsansprüche sich in verschiedenem Grade mischen und entgegenstehen, so erzeugen

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sie allerlei Verlegenheiten und können oft weniger durch Argumente von Rechtsgelehrten und Philosophen entschieden werden, als durch die Schwerter der Heere.« (TR II, 315) 39 Vgl. TR II, 246: »Die Rechtsordnung sieht bei ihren Entscheidungen niemals darauf, ob bestimmte Gegenstände für bestimmte Personen geeignet oder ungeeignet sind, sondern sie richtet sich nach weitergehenden Gesichtspunkten.« 40 Das Wort » Verstand« wird von Hume meistens in bezug auf Relationen von Gegenständen verwendet. Das ist aber keine absolute Regel: so TRI, 225. 41 »Ehe es [unser Urteil, G.D.] aber diese Höhe der Vollkommenheit erreicht, geht es durch verschiedene niedrigere Stufen hindurch; auf jeder derselben hat es nur die Geltung einer Vermutung oder eines Wahrscheinlichkeitsurteils.« (TRI, 179) 42 Und doch gibt es durchaus einen Schematismus der Mathematik. Die Vorstellung eines Dreiecks, die Vorstellung einer großen Zahl ist keine angemessene Vorstellung, sondern das Vermögen, eine Vorstellung hervorzubringen; vgl.TRI, 35, 37. Diesen Schematismus untersuchen wir jetzt jedoch nicht, weil er nicht.unter den Gesichtspunkt der Beziehung fällt, sondern unter den der allgemeinen Vorstellung. 43 »Daher ist es unmöglich, daß irgendwelche Erfahrungsbegründungen diese Ähnlichkeit der Vergangenheit mit der Zukunft belegen können, denn all diese Begründungen beruhen ja auf der Voraussetzung dieser Ähnlichkeit.« (UN, 49) 44 Vgl. »der Glaube ist ein Akt des Geistes, der auf Gewohnheit beruht« (TRI, 156); »der Glaube entsteht nur aus der Kausalität« (TRI, 147, verändert). 45 »Der große Unterschied hinsichtlich dessen, was wir im einen und im anderen Falle [einer poetischen Begeisterung und einer ernsten Überzeugung, GD] innerlich erleben, ist bis zu einem gewissen Grade auf Überlegung und allgemeine Regeln zurückzuführen. Wir finden, daß die Lebhaftigkeit, welche die Auffassung bloßer Erdichtungen durch die Macht der Poesie und Beredsamkeit in uns gewinnt, ein bloß zufälliges Moment ist.« (TRI, 170, umgestellt) 46 » Warum sollte ein geordnetes System nicht so gut aus dem Bauch wie aus dem Gehirn hervorgesponnen werden können?« (RE, 64, umgestellt) 47 »Und obgleich die Macht und die Kräfte, welche den ersteren

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[den Lauf der Natur; A.d.Ü.) regieren, uns völlig unbekannt sind, so haben doch unsere Gedanken und Vorstellungsbilder, wie wir sehen, diesselbe Bahn verfolgt wie die anderen Naturwerke.« (UN 68) »Ich bin gewohnt, wenn ich diesen bestimmten Ton höre, zu gleicher Zeit diesen bestimmten Gegenstand in Bewegung zu sehen. Hier aber habe ich nicht zu gleicher Zeit diese beiden Wahrnehmungen gemacht. Daraus ergibt sich ein Widerspruch der Beobachtungen, es sei denn, daß ich annehme, die Türe existiere noch und sei geöffnet worden, ohne daß ich es wahrnahm.« (TRI, 262) »Die Gegenstände, welche veränderlich sind oder Unterbrechungen erleiden und doch angeblich mit sich identisch bleiben, haben in der Tat immer nur das Besondere, aus einer Aufeinanderfolge von Elementen zu bestehen, die durch Ähnlichkeit, Kontiguität oder Ursächlichkeit miteinander verknüpft sind.« (TRI, 330) »Da alle Eindrücke innere und vorübergehende Existenzen sind und als solche erscheinen, so muß der Gedanke ihrer gesonderten und dauernden Existenz auf einem Zusammentreffen gewisser Eigenschaften der Eindrücke mit Eigenschaften der Einbildungskraft beruhen; und da dieser Gedanke sich nicht auf alle Eindrücke erstreckt, so muß er durch solche Eigenschaften von Eindrücken bedingt sein, die bestimmten Eindrücken eigentümlich sind.« (TRI, 258; vgl.TRI, 330 f.) Der Skeptiker »kann nicht umhin, dem Satz, daß Körper existieren, zuzustimmen (...). Die Natur hat uns eben in dieser Hinsicht keine Wahl gelassen.« {TR l, 250) »So ist zu bemerken, daß was wir Geist nennen, nichts ist als ein Haufen oder ein Zusammen von verschiedenen Perzeptionen, das durch gewisse Beziehungen zur Einheit verbunden ist und von dem man, ob zwar fälschlich, annimmt, daß es sich einer vollkommenen Einfachheit und Identität erfreue. Da nun jede Perzeption von jeder anderen unterscheidbar ist und als für sich existierend betrachtet werden kann, so kann nichts Ungereimtes darin liegen, wenn wir eine bestimmte Perzeption von dem Geist losgetrennt( ...) denken.« {TR 1,275) Die Fiktion einer dauerhaften Existenz: »auch dieser Gedanke ist ja, ebensogut wie jener Gedanke der Identität, ein irrtümlicher« (TRI, 277).

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54 »Wir können unter Voraussetzung keiner der erwähnten Anschauungen die Aussagen, sei es des Verstandes, sei es der Sinne, gegen Zweifel schützen« (TR 1,287). Was hier auf die Sinne verweist, ist die Wahrnehmung selbst, der man dauerhafte Existenz zuschreibt. »Mit dem Vorstehenden haben wir einen direkten und vollkommenen Gegensatz zwischen unserer Vernunft und unseren Sinnen, oder richtiger ausgedrückt, zwischen den Schlüssen, die wir aus Ursachen und Wirkungen ziehen, und denen, die uns von der dauernden und unabhängigen Existenz der Körper überzeugen, statuiert.« (TRI, 302 f.) 55 Vgl. Kapitel 3 (TR II, 92ff., 339-341). 56 »Alles, was ins Bewußtsein tritt, ist tatsächlich eine Perzeption, es kann darum nicht als etwas anderes von uns unmittelbar erlebt werden.« (TRI, 254) 57 »Jede Vorstellung, die (von anderen) unterscheidbar ist, ist durch die Einbildungskraft (von ihnen) trennbar; und( ...) jede Vorstellung, die durch die Einbildungskraft (von anderen) trennbar ist, kann auch (diesen gegenüber) als für sich existierend gedacht werden.« (TRI, 75, umgestellt) 58 »So finden wir denn auch bei näherer Untersuchung, daß jeder demonstrative Beweis, der für die Notwendigkeit von Ursachen vorgebracht worden ist, trügerisch und sophistisch ist.« (TRI, 107ff.) 59 »Da die Eindrücke den ihnen entsprechenden Vorstellungen vorangehen, so müssen gewisse Eindrücke (zuerst da sein, d.h.) ohne ihnen vorangehende Perzeptionen in der Seele auftauchen.« (TR II, 4) 60 »Wird unter angeboren das verstanden, was ursprünglich, d.h. von keiner vorangegangenen Auffassung das Abbild ist, dann können wir wohl behaupten, daß alle unsere Eindrücke angeboren und unsere Vorstellungen nicht angeboren sind.« (UN, 23, Anm.) 61 »Nachdem ich aber alle die Vorteile, die ich hieraus für die Erklärung der Beziehungen zwischen den Vorstellungen hätte ziehen können, mir habe entgehen lassen, muß ich hier, wie ich fürchte, darauf zurückkommen, um die Irrtümer zu erklären, die aus dem Vorhandensein dieser Beziehungen entstehen.« (TR I, 82 f.) 62 »Mit den Eindrücken der Sinne ist es genau so ...« (TRI, 42).

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63 TRI, » Von den Vorstellungen des Raumes und der Zeit«, 1.,2. und 4. Abschnitt. 64 »Nichts kann kleiner sein, als gewisse Vorstellungen ... « (TRI, 43). 65 »Der einzige Mangel an unseren Sinnen ist der, daß sie uns Bilder vorspiegeln in Größenverhältnissen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, daß sie als klein und nicht zusammengesetzt erscheinen lassen, was in Wirklichkeit groß und aus einer beträchtlichen Zahl von Teilen zusammengesetzt ist.« (TRI, 43) 66 TRI, »Von den Vorstellungen des Raumes und der Zeit«, 3. und 5. Abschnitt. 67 » Wenn wir einen Geschmacksreiz größer oder kleiner werden lassen, so ist dies nicht dasselbe, als wenn wir einen sichtbaren Gegenstand größer oder kleiner machen; und wenn verschiedene Töne zu gleicher Zeit unser Ohr treffen, so werden wir nur durch Gewohnheit und Überlegung veranlaßt, uns (gleichzeitig) eine Vorstellung von der bestimmten (wechselseitigen) Entfernung der Körper zu machen, von denen sie herrühren.« (TRI, 306f.) 68 Auffällig ist, daß Hume in diesem wie im vorangegangenen Text kaum danach fragt, in welcher Weise genau die Eindrücke des Gesichts- und des Tastsinns angeordnet sind, im Gegensatz zur Anordnung der Gegebenheiten der anderen Sinne. Der Grund dürfte darin liegen, daß sich Hume nicht für das rein psychologische Problem zu interessieren scheint (IR I, 77f.). 69 Vgl. insbesondere Burke, für den die Verjährung das Eigentumsrecht begründet. 70 »Nun lehrt aber die Erfahrung, daß der Glaube nur aus der Beziehung der Ursächlichkeit entsteht, daß wir von einem Gegenstand keinen Schluß auf einen anderen ziehen können, es sei denn, daß die Gegenstände durch diese Beziehung miteinander verbunden sind.« (TRI, 147) 71 »Die hauptsächliche Leistung der Erinnerung besteht überhaupt nicht im Festhalten einzelner Vorstellungen, sondern im Festhalten ihrer Ordnung und wechselseitigen Stellung.« (TRI, 19) 72 » Die Vorstellung des Sinkens ist so eng mit der des Wassers verbunden und die Vorstellung des Erstickens so eng mit der des Sinkens, daß der Geist den Übergang ohne Hilfe der Erinnerung vollzieht.« (TRI, 142) 73 TRI, 3. Teil, 6. Abschnitt: Der Unterschied zwischen Verstand und Einbildungskraft, 123; zwischen der Kausalität als philoso-

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phischer Beziehung und der Kausalität als natürlicher Beziehung, 125f. 74 Wir verwenden das Wort Spontaneität entsprechend der folgenden Vorstellung: Wenn die Prinzipien ein Subjekt im Geist konstituieren und dieses Subjekt Verbindungen zwischen den Vorstellungen herstellt, so geschieht dies gleichzeitig. 75 »So werden die Philosophen Entfernung als eine Beziehung gelten lassen, weil wir durch Vergleich von Gegenständen eine Vorstellung von ihr erhalten; während wir in der Sprache des gewöhnlichen Lebens von Dingen sagen, sie seien voneinander so weit als möglich entfernt, hätten also möglichst geringe Beziehung zueinander.« (TRI, 25) 76 »Vielmehr dürfen wir das vereinigende Prinzip nur als eine sanfte Macht ansehen, welche für gewöhnlich die Herrschaft hat und unter anderem der Grund dafür ist, daß Sprachen einander so genau entsprechen.« (TRI, 21) 77 Hinsichtlich der Verbindung von Umstand und Glauben, wie auch der differentiellen Bedeutung des Umstands selbst vgl. TR I, 114: »Waren zwei Menschen bei einem und demselben Vorgang zugegen, so geschieht es häufig, daß der eine sich desselben besser erinnert als der andere, und die größte Mühe hat, denselben seinem Gefährten ins Gedächtnis zurückzurufen. Vergeblich erwähnt er allerlei Umstände, macht die Zeit, den Ort, die Gesellschaft, was gesagt oder jenem getan wurde, namhaft; bis er endlich das Glück hat, auf einen Umstand zu stoßen, der seinem Freund das Ganze lebendig macht und ihn dadurch an jeden einzelnen Umstand genau erinnert.« 78 »Aber jene empirische Regel der Assoziation, die man doch durchgängig annehmen muß, wenn man sagt: daß alles in der Reihenfolge der Begebenheiten dermaßen unter Regeln stehe, daß niemals etwas geschieht, vor welchem nicht etwas vorhergehe, darauf es jederzeit folge: dieses, als ein Gesetz der Natur, worauf beruht es, frage ich, und wie ist selbst diese Assoziation möglich? Der Grund der Möglichkeit der Assoziation des Mannigfaltigen, so fern es im Objekte liegt, heißt die Affinität des Mannigfaltigen. Ich frage also, wie macht ihr euch die durchgängige Affinität der Erscheinungen (dadurch sie unter beständigen Gesetzen stehen, und darunter gehören müssen) begreiflich?« (Kant, a.a.O., S. 171) 79 »Die Einbildungskraft ist also auch ein Vermögen einer Synthesis a priori, weswegen wir ihr den Namen der produktiven Ein-

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bildungskraft geben, und, so fern sie in Ansehung alles Mannigfaltigen der Erscheinung nichts weiter, als die notwendige Einheit in der Synthesis derselben zu ihrer Absicht hat, kann diese die transzendentale Funktion der Einbildungskraft genannt werden.« (Kant, a.a.O., S. 178) Vgl. Empirischer Realismus und transzendentaler Idealismus. »Diese synthetische Einheit setzt aber eine Synthesis voraus, oder schließt sie ein, und soll jene a priori notwendig sein, so muß letztere auch eine Synthesis a priori sein. Also beziehet sich die transz. Einheit der Apperzeption auf die reine Synthesis der Einbildungskraft, als eine Bedingung a priori der Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannigfaltigen in einer Erkenntnis.« (Kant, a.a.O., S. 174) »Im übrigen sehen wir ja auch im Verlauf der Natur überall mannigfaltige Wirkungen auf wenigen einfachen Prinzipien beruhen. Es ist ein Zeichen von Unerfahrenheit, wenn ein Naturforscher zu immer anderen Gründen seine Zuflucht nimmt, wo es sich darum handelt, verschiedene Wirkungen zu erklären. Wieviel mehr wird dies zutreffen, wenn es sich um den Menschengeist handelt. Er ist ja ein so begrenztes Wesen, daß man ihn für unfähig halten muß, die ungeheure Masse von Prinzipien zu umfassen( ...)« (TR II, 11). »Der Gang unserer Untersuchung, insonderheit der Umstand, daß wir erst prüften, was wir aus der fraglichen Beziehung erschließen können, ehe wir das Wesen dieser Beziehung verständlich machten, dieser Gang unserer Untersuchung würde nicht gerechtfertigt gewesen sein, wenn es möglich gewesen wäre, anders vorzugehen. In der Tat ist aber das Verständnis für die Natur der fraglichen Beziehung so sehr von der Einsicht in die Beschaffenheit jener Schlüsse abhängig, daß wir uns genötigt gesehen haben, in dieser scheinbar sachwidrigen Weise vorzugehen. Dabei mußten wir zugleich bestimmte Ausdrücke anwenden, schon ehe wir imstande waren, sie vollkommen zu definieren oder ihren Sinn festzustellen.« (TRI, 229) »In ähnlicher Weise müssen auch wir jetzt von der direkten Betrachtung der Frage nach der Natur der notwendigen Verknüpfung, die in unserer Vorstellung der Ursache und Wirkung enthalten ist, absehen und versuchen, andere Fragen zu finden, deren Untersuchung uns einen Fingerzeig für die Aufklärung der hier vorliegenden Schwierigkeit geben kann.« (TRI, 105)

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Literatur

Schriften von Hume Von den Schriften Humes, der fast alle seine Werke zeitlebens immer wieder überarbeitet und ergänzt hat, gibt es bis heute keine vollständige, historisch-kritische Gesamtausgabe, weder in englischer noch in deutscher Sprache.

Ausgaben in englischer Sprache Die englischen Originaltexte liegen in einer Werkausgabe vor, die Ende des letzten Jahrhunderts erschienen ist und bis heute die umfassendste und vollständigste ist: The Philosophical Works of David Hume, Edited by T.H. Green and T.H. Grose, 4 Bde., London 1874-75. Von ihr ist ein unveränderter Nachdruck (Aalen: Scientia 1964) greifbar. Darüber hinaus sind die einzelnen Hauptwerke Humes in folgenden, dem Stand der modernen Hume-Philologie verpflichteten Standardausgaben verfügbar:

A Letter from a Gentleman to His Friend in Edinburgh, Edited by Ernest C. Mossner and John V. Price, Edinburgh 1967 A Treatise of Human Nature, Edited, with an analytical index by LA. Selby-Bigge, 2nd Edition, with text revised and variant readings by P.H. Nidditch, Oxford 1978. - Textvarianten gibt: P.H. Nidditch, An Apparatus of Variant Readings of Hume's ,Treatise of Human Nature,, Including A Catalogue of Hume's Manuscript Amendements, Sheffield 1976

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An Abstract of a Book, lately published; Entituled, A Treatise of Human Nature, etc. wherin the chief argument of that book is farther illustrated and explained, in: A Treatise of Human Nature, Edited, with an analytical index by L.A. Selby-Bigge, 2nd Edition, with text revised and variant readings by P.H. Nidditch, Oxford 1978, S. 641-662. -Textvarianten gibt: R.W. Connon, Same Hume MS Alterations on a copy of the ,Abstract,, in: J. Hist. Phil. 14, 1976, S. 353-356 Dialogues Concerning Natural Religion, Edited, with an introduction by Norman Kemp Smith, Oxford 1935, London 2 1947, Indianapolis 12 1977 Early Memoranda, 1729-1740: The complete Text, Edited, with foreword by Ernest Campbell Mossner, in: Journal of the History of Ideas, 9, 1948, S. 492-518 Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Moral, Reprinted from the posthumous edition of 1777 and edited with introduction, comparative tables of contents, and analytical index by L.A. Selby-Bigge. 3rd edition with text revised and notes by P.H. Nidditch, Oxford 1975 My Own Life, in: Ernest Campbell Mossner, The life of David Hume, 2nd edition Oxford 1980, S. 611-615 New Letters of David Hume, Edited by R. Klibansky and E.C. Mossner, Oxford 1954 The History of England, From the Invasion of julius Caesar to the Revolution in 1688, 6 Bde., Edited by Duncan Forbes, Indianapolis 1985 The Letters of David Hume, Edited by J.Y.T. Greig, 2 Bde., Oxford 1932 The Natural History of Religion, Edited by A. Wayne Colver, Dialogues Concerning Natural Religion, Edited by John Vladimir Price, Oxford 1976

Übersetzungen Eine nach einheitlichen Grundsätzen erstellte deutsche Werkausgabe von Humes Schriften in deutscher Sprache gibt es nicht; in Einzelausgaben, die teilweise auf älteren, immer wieder überarbeiteten Übersetzungen beruhen, liegen aber alle klassischen philosophischen Hauptwerke übersetzt vor.

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Chronologisch nach dem Erscheinungsdatum der Originalausgaben geordnet, sind folgende Werke in deutscher Übersetzung im Buchhandel lieferbar:

1739-40. A Treatise of Human Nature, Beeing an Attempt to lntroduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects -

Ein Traktat über die menschliche Natur, Band 1 (I), Band 2 (II,III), übersetzt, mit Anmerkungen und Register versehen von Theodor Lipps, Hamburg: Meiner 1904/1906; Mit neuer Einführung und Bibliographie herausgegeben von Reinhard Brandt, Hamburg: Meiner 1973, Philosophische Bibliothek 283 a+b

Der Traktat ist in drei Bücher gegliedert: I Über den Verstand, II Über die Affekte, III Über Moral; wie Galilei oder Newton die Phänomene der Natur in einfachste Elemente zergliedert haben, will Hume in seinem frühen Hauptwerk die empirischen Gesetze der menschlichen Natur aufdecken. Die Phänomene, deren Prinzipien und Gesetze die »moral philosophy« zu finden hat, sind nicht die Körper, ihre Eigenschaften und Relationen, sondern Bewußtseinsinhalte. - Bitter konstatierte Hume den völligen Mißerfolg seines anonym veröffentlichten Werkes: »totgeboren aus der Drukkerpresse gefallen, ohne auch nur die Auszeichnung zu erreichen, ein Murren unter den Zeloten hervorzurufen«. Der Traktat gilt heute gegenüber den späteren Versuchen, die seine Philosophie populärer darstellen sollten und seinen Ruhm begründeten, als sein wichtigstes und systematischstes Buch. Alle drei Bücher des Traktats hat H. in späteren Werken grundlegend überarbeitet und in neuen Fassungen herausgegeben. Die erste deutsche Übersetzung ist 1790 erschienen.

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1740. An Abstract of a Book lately Published; entituled [sie], a Treatise of Human Nature, etc., sowie: A Letter from a Gentleman to his Friend in Edinburgh (1745) -

Abriß eines neuen Buches: Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. (1740). Brief eines Edelmannes an seinen Freund (1745), übersetzt und mit einer Einleitung herausgegeben von Jens Kulenkampff, Hamburg: Meiner 1980, Philosophische Bibliothek 320

Der Abriß, eine anonyme Selbstanzeige, faßt einige zentrale Ausführungen aus dem Traktat zusammen: die Analyse von Kausalschluß und Glauben. Der Brief, eine im Zusammenhang mit einer letztlich gescheiterten Lehrstuhlbesetzung in Edinburgh notwendig gewordene Verteidigungsschrift, richtet sich gegen den Vorwurf des Skeptizismus und Atheismus.

1141, 1742, 1748. Essays: Moral and Political, bzw.: Political Discourses (1752) -

Politische und ökonomische Essays, 2 Teilbände, mit einer Einleitung herausgegeben von Udo Bermbach, Hamburg: Meiner 1988, Philosophische Bibliothek 405 a+b ·- Vom schwachen Trost der Philosophie, Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Jens Kulenkampff, Göttingen: Steidl 1990 Der Essayist Hume ist im deutschen Sprachraum sehr zu Unrecht vernachlässigt worden. Hume hat mehrere Essaybände veröffentlicht (1741, 1742, 1748), an denen er bis zu seinem Tod Korrekturen vorgenommen und alte durch neue Texte ersetzt hat. Sie brachten den lang ersehnten Erfolg und machten ihn in Europa schlagartig bekannt. Eine erste deutsche Ausgabe mit 26 Essays erschien 1756, die »Politischen Diskurse« lagen bereits 1754 vor. Die beiden verfügbaren Neuübersetzungen beinhalten nicht alle, aber die meisten Essays.

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1748. Philosophical Essays Concerning Human Understanding; ab der 6. Auflage als: An Enquiry Concerning Human Understanding (1758) -

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Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, übersetzt von Raoul Richter (1907); mit einer Einleitung und einer Bibliographie neu herausgegeben von]. Kulenkampff, Hamburg: Meiner 1984, Philosophische Bibliothek 35 Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, übersetzt und herausgegeben von Herbert Herring, Stuttgart: Reclam 1994, Universal-Bibliothek Nr. 5489

Die Untersuchung ist im wesentlichen eine Neufassung des ersten Buches des Traktats(» Über den Verstand«). Gegenüber dem Traktat arbeitet H. hier heraus, daß sein Skeptizismus kein absoluter, sondern ein partieller ist; der Humesche Empirismus erhält eine naturalistische Komponente, indem bestimmte Grundüberzeugungen, beispielsweise der Glauben an die Gleichförmigkeit der Natur, als »natürliche Grundwahrheiten« eingeführt werden. - Die erste deutsche Übersetzung erschien 1755. Mit diesem Text wurde H.s Philosophie als erkenntnistheoretische Position bekannt und berühmt, lange Zeit galt er als sein zentrales Hauptwerk.

1751. An Enquiry Concerning the Principles of Moral -

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Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, übersetzt, mit Einleitung und Register versehen von Carl Winkler, Hamburg: Meiner 1929, Reprint 1972, Philosophische Bibliothek 199 Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, übersetzt und herausgegeben von Gerhard Streminger, Stuttgart: Reclam 1984, Universal-Bibliothek Nr. 8231

Das Werk ist im wesentlichen eine Neufassung des dritten Buchs des Traktats (»Über Moral«). Hume hielt es »von all seinen Schriften, den historischen, philosophischen und literarischen, für seine unvergleichlich beste«. - Die erste deutsche Übersetzung erschien 1756 unter dem Titel »Sittenlehre der Gesellschaft«.

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1757. The Natural History of Religion -

Die Naturgeschichte der Religion, übersetzt und herausgegeben von Lothar Kreimendahl, Hamburg: Meiner 1984, Philosophische Bibliothek 341. - Der Band enthält auch die Essays »Über Aberglaube und Schwärmerei«, »Über die Unsterblichkeit der Seele«, »Über Selbstmord«.

Zwar habe die Religion kein direktes Fundament in der Natur des Menschen, dennoch gebe es einen »natürlichen Fortschritt« im menschlichen Denken vom Polytheismus primitiver Kulturen zum Theismus der zivilisierten Völker. Der Theismus freilich ist nach Hume als Volksreligion in seinen praktischen Konsequenzen schädlicher als der Polytheismus: »Die Korruption des Besten bringt das Schlechteste hervor.« Je mehr positive Attribute die Menschen ausschließlich der Gottheit zuschreiben, desto weniger trauen sie sich selbst zu, je mehr sie sich vom Willen der Gottheit abhängig wähnen, desto weniger folgen sie ihren eigenen moralischen Empfindungen. - Diese Schrift ist Teil der »Four Dissertations« von 1757, neben der »Naturgeschichte der Religion« enthält sie »Über die Gefühle« (Neufassung des II. Buchs des Traktats), »Über die Tragödie« sowie »Über die Regeln des Geschmacks«. Die erste deutsche Übersetzung der Einzelschrift erschien noch im selben Jahr wie die Originalausgabe.

1779. Dialogues Concerning Natural Religion -

Dialoge über natürliche Religion, übersetzt von F. Paulsen (1877, '1905); neu bearbeitet und herausgegeben von Günter Gawlick, Hamburg: Meiner 4 1980, Philosophische Bibliothek

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Dialoge über natürliche Religion, übersetzt von N. Hoerster, Stuttgart: Reclam 1981, Universal-Bibliothek Nr. 7692

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Ähnlich wie im offensichtlichen Vorbild der Dialoge, Ciceros »De natura deorum«, unterhalten sich ein religiöser Fundamentalist (Demea), ein aufgeklärter Deist (Cleanthes) und ein »unvorsichtiger Skeptiker« (Philo) über die Frage, inwiefern die Attribute

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Gottes mit Hilfe der natürlichen Vernunft erkannt werden können. H. benützt die Dialogform, um den eigenen Standpunkt in fast rätselhafter Weise offen zu lassen. Es ist schwer entscheidbar und immer wieder darüber gestritten worden, ob sich H. in einem der Protagonisten ein Sprachrohr schaffen oder ob er mit dem Dialog der diskutierten Fragen demonstrieren die Unentscheidbarkeit wollte. - Die erste deutsche Übersetzung der Dialoge erschien berühmteste Echo hat diese 1781. Das philosophiegeschichtlich Schrift wohl-in Kants »Kritik der reinen Vernunft« und seinen »Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik« gefunden.

Schriften über Hume Die Sekundärliteratur über den größten Philosophen des angelsächsischen Sprachraums füllt ganze Bibliotheken, ist aber gut erschlossen. von Die ältere Sekundärliteratur erschließt die BIBLIOGRAPHIE R. Metz, »Bibliographie der Hume-Literatur« (in: Literarische Berichte aus dem Gebiet der Philosophie, Heft 15/16, 1928, S. 39-50), den anschließenden Zeitraum erfaßt R. Hall, »Fifty Years of Hume Scholarship. A Bibliographical Guide«, Edinburgh 1978. In den seit 1975 erscheinenden »Hume Studies« werden in jedem Jahrgang die neuesten Publikationen über Hume dokumentiert. An deutschsprachigen EINFÜHRUNGENzu Hume liegen u.a. vor: Gerhard Streminger, »Hume. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten«, Reinbek: Rowohlt 1986 (Rowohlts Monographien), die am Leitfaden seiner Biographie einen Überblick über Humes Schriften gibt; sowie Jens Kulenkampff, »David Hume«, München: C.H. Beck 1989 (Beck'sche Reihe - Große Denker). Eine BIOGRAPHIEhat E.C. Mossner, The Life of David Hume, Oxford '1980 vorgelegt.

Gesamtdarstellungen A.J. Ayer: David Hume, Oxford 1980 N. Capaldi: David Hume: The Newtonian Philosopher, Boston 1975

187

E. Craig: David Hume. Eine Einführung in seine Philosophie, Frankfurt/M. 1979 R. Metz: David H ume. Leben und Philosophie, Stuttgart 1929 D.F. Norton (Hrsg.): The Cambridge Companion to Hume, New York 1993 M.A. Stewart/J.P. Wright (Hrsg.): Hume and Hume's Connexions, U niversity Park 1995 G. Streminger: David Hume, Sein Leben und sein Werk, Paderborn 1994 E. Topitsch / G. Streminger: Hume. Darmstadt 1976

Rezeption in Deutschland I. Berlin: »Hume und die Quellen des deutschen Antirationalismus«, in: ders., Wider das Geläufige. Aufsätze zur Ideengeschichte, Frankfurt/M. 1981, S. 259-290 R. Brandt/ H. Klemme: David Hume in Deutschland, Marburg 1989 W. Farr (Hrsg.): Hume und Kant. Interpretation und Diskussion, Freiburg/München 1982 G. Gawlick / L. Kreimendahl: Hume in der deutschen Aufklärung. Umrisse einer Rezeptionsgeschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987 R.A. Mall: Experience and Reason. The Phenomenology of Husserl and its Relation to Hume's Philosophy, Den Haag 1973 R.T. Murphy: Hume and Husserl. Towards radical Subjectivism, Den Haag 1980 R.D. Rollinger: Meinong and Husserl on Abstraction and Universals. From »H ume Studies I « to the » Logical Investigations II«, Amsterdam 1993

TheoretischePhilosophie A.C. Baier: A progress of Sentiments: Reflections on H ume's » Treatise«, Cambridge 1991 T.L. Beauchamp / A. Rosenberg: Hume and the Problem of Causation, Oxford 1981

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L. Kreimendahl: Humes verborgener Rationalismus, Berlin, New York 1982 W. Stegmüller: Das Problem der Induktion. Humes Herausforderung und moderne Antworten, Darmstadt 1975 D.C. Stove: Probability and Hume's Inductive Scepticism, Oxford 1973 G. Strawson: The Secret Connexion. Causation, Realism, and David Hume, Oxford 1989 W. Waxman: Hume's Theory of Consciousness, New York 1994 J. Wilbanks: Hume's Theory of Imagination, Den Haag 1968

PraktischePhilosophie W. Brand: Hume's Theory of Moral Judgement. A Study in the Unity of »A Treatise of Human Nature«, Dordrecht 1992 R.D. Broiles: The Moral Philosophy of David Hume, Den Haag 2 1969 N. Capaldi: Hume's Place in Moral Philosophy, New York 1989 A. Flew: David Hume. Philosopher of Moral Sense, Oxford 1986 B. Gräfrath: Moral Sense und Praktische Vernunft. David Humes Ethik und Rechtsphilosophie, Stuttgart 1991 K. Haakonssen (Hrsg.): Political Essays. David Hume, New York 1994 J. Harrison: Hume's Moral Epistemology, Oxford 1976 J. Harrison: Hume's Theory of Justice, Oxford 1981 J.L.Mackie: H ume's Moral Theory, London 1980 P. Mercer: Sympathy and Ethics. A study of relationship between sympathy and morality, with special ref erence to H ume 's »Treatise«, Oxford 1972 G. Müller: David Humes Typologie der Philosophen und der Lebensformen, Frankfurt/M. 1980 J. Rohbeck: Egoismus und Sympathie. David Humes Gesellschaftsund Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. - New York 1978

Religionsphilosophie

J. Buchegger:

David Humes Argumente gegen das Christentum, Frankfurt/M. 1987

189

A. Flew: Hume's Philosophy of Belief A study of bis first »Inquiry«, London 1961 J.C.A. Gaskin: Hume's Philosophy of Religion, Houndmills 1988 N. Hoerster: »David Hume. Existenz und Eigenschaften Gottes«. In: J. Speck (Hrsg.), Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Neuzeit I, Göttingen 1979, S. 240-275 R.H. Hurlbutt: Hume, Newton and the Design Argument, Lincoln 1965 D.-J. Löwisch: »Kants Kritik der reinen Vernunft und Humes Dialogues concerning Natural Religion«. In: Kantstudien, 56, (t 965/66), S. 170-207 D.F. Norton: David Hume. Common-Sense Moralist, Sceptical M etaphysician, Princeton t 982 S. Tweyman: Scepticism and Belief in Hume's »Dialogues concerning Natural Religion«, Dordrecht 1986 - (Hrsg.): Da1.1idHume. »Dialogues concerning natural religion« in focus, London 1991 M.A. Weber: David Hume und Edward Gibbon. Religionssoziologie in der Aufklärung, Frankfurt/M. 1990 K.E. Yandell: Hume's »lnexplicable Mystery«. His Views an Religion, Philadelphia 1990

Ein Beispiel dafür, in welch unvermuteten Zusammenhängen Hume auftauchen kann Dieter Straub: Eine Geschichte des Glasperlenspiels. lrreversibilität in der Physik: Irritationen und Folgen, Basel 1990

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Zeittafel

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H. wird am 7. Mai in Edinburgh geboren; er verbringt seine

Kindheit in Ninewells und Edinburgh; seinen Vater verliert er mit zwei Jahren, von seiner Mutter wird er streng calvinistisch erzogen. Der Zwölfjährige kommt für zwei Jahre auf das College in Edinburgh; nach Rückkehr in seinen Heimatort Ninewells beginnt H. ab Herbst das Studium der Rechte an der Universität Edinburgh, das er gegen den ausdrücklichen Wunsch seiner Familie im Frühjahr abbricht und nach Hause zurückkehrt, wo er eine schwere, mit psycho-somatischer Erkrankung verbundene seelische Krise durchmacht. H. beginnt sich mit der stoischen Philosophie zu beschäftigen und geht im Herbst erneut nach Edinburgh, wo er sich erholt; nach seiner Rückkehr ins Elternhaus im Frühjahr durchleidet er eine zweite Depressionsphase und entscheidet sich im Sommer für die Philosophie - für ihn offensichtlich eine unter großen inneren Konflikten vollzogene Abkehr von der anerzogenen calvinistischen Religion. H. verläßt Schottland, reist zunächst nach London, arbeitet einige Monate als Schreibgehilfe bei einem Kaufmann in Bristol und fährt dann nach Frankreich; Aufenthalte in Paris und Reims. Im Sommer zieht sich H. nach La Fleche zurück, wo er eineinhalb Jahre bleibt und am Traktat über die menschliche Natur arbeitet, seinem ersten philosophischen Hauptwerk. 191

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Die ersten beiden Bücher (»Über den Verstand«; »Über die Affekte«) des Traktats erscheinen anonym in London. Sein großes Hauptwerk und frühes »Chef d'Oeuvre« findet in der literarischen Öffentlichkeit keine Beachtung. H. kehrt, nachdem der dritte Band des Traktats (»Über Moral«) erschienen ist, nach Schottland zurück. Bewerbung um den Lehrstuhl für Ethics and Pneumatical Philosophy an der Universität Edinburgh; der Verfasser des Traktats wird (1745) abgelehnt. St. Albans, in der Nähe Londons, bis April 1747: Tutor und Pfleger des Marquis von Annandale. Tod der Mutter. Privatsekretär General Sinclairs, Militärexpedition an die Küste Frankreichs. Aufenthalte in Irland und London. Rückkehr nach Schottland. H. begleitet Sinclair bei einer Gesandtschaftsreise an die Höfe in Wien und Turin. Die Untersuchung über den menschlichen Verstand und Drei Essays erscheinen. Rückkehr nach Ninewells. Literarische Arbeit. H. lernt Adam Smith kennen. H. wird Sekretär der Philosophischen Gesellschaft von Edinburgh. Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral erscheint. Vergebliche Bewerbung um den Lehrstuhl für Logik an der Universität Glasgow. Die Politischen Diskurse erscheinen. H. beginnt an seiner Geschichte Englands zu arbeiten, die in mehreren Bänden (1754/ 56/ 58/ 59/ 61) erscheint; für das Quellenstudium ist ihm von großem Nutzen, daß er fünf Jahre, bis 1757, als Bibliothekar am Juristenkollegium in Edinburgh arbeitet. Politisch setzt er sich zwar mit seiner Geschichte zwischen alle Stühle, das Werk wurde dennoch ein großer Verkaufserfolg und machte seinen Verfasser zum bis dahin bestbezahlten Autor Großbritanniens. - Nach H.s Tode sind mindestens 170 Neuauflagen erschienen; Winston Churchill schreibt in seiner Autobiographie, sein historisches Wissen in der Studienzeit hauptsächlich aus diesem Werk bezogen zu haben. Erbitterte Auseinandersetzungen innnerhalb der schottischen Kirche über den »Freidenker« H. beginnen. Die katholische Kirche setzt alle Werke von H. auf ihren Index librorum prohibitorum.

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H. geht als Privatsekretär des britischen Botschafters nach Frankreich; hochwillkommen, sind für »Le bon David« die Türen der literarisch-philosophischen Salons der französischen Hauptstadt weit offen; er verkehrt mit Rousseau, dem Kreis um die Encyclopedie, mit Diderot und d'Alembert. 1765 übernimmt H. für einige Monate das Amt des britischen Botschafters in Paris. - Es sind jene Jahre seines Lebens, in denen er im Glanz der Öffentlichkeit steht und zur politisch und literarisch anerkannten Figur wird. H. kehrt nach London zurück, in Begleitung von J.-J. Rousseau, dem er in England eine Zuflucht zu finden hilft. Nach ihrem Zerwürfnis wird der Briefwechsel zwischen H. und Rousseau veröffentlicht. H. wird im Februar für fast ein Jahr Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt in London. H. zieht sich nach Schottland zurück, läßt sich ein Haus bauen, schließt die Dialoge über natürliche Religion ab und widmet sich der Überarbeitung fast aller seiner Schriften (mit Ausnahme des Traktats). Er verbringt seine letzten Lebensjahre hochgeachtet im Kreis seiner Freunde, um ihn hatten sich die glänzendsten Köpfe seiner Zeit und der »schottischen Aufklärung« versammelt; zum Kreis um H. zählen unter anderen der Ökonom Adam Smith, Adam Ferguson und John Miliar, Mitbegründer der modernen Soziologie, der neben Hume berühmteste Historiker seiner Zeit, Edward Gibbon, sowie der Begründer der modernen Geologie James Hutton. Der Gesundheitszustand Humes, der schon mehrere Jahre an einem Darmgeschwür litt, verschlechtert sich; am 4. Juli 1776, dem Tag der amerikanischen U nabhängigkeitserklärung, gibt H. ein großes Essen, mit dem er sich, wie berichtet wird, mit der Heiterkeit und Gelassenheit eines Sokrates oder Epikur im Kreis seiner Freunde vom Leben verabschiedet. Einige Wochen später, am 25. August 1776, stirbt David Hume. Erst posthum erscheinen die Dialoge über natürliche Religion, an denen H. immer wieder gearbeitet (1749-52; 1761-62; 1776), dessen Publikation er aber zurückgehalten hatte, um nicht weitere Angriffe von fanatisch-orthodoxen Vertretern des Klerus auf sich zu ziehen. Adam Smith, den

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er testamentarisch mit der posthumen Publikation betrauen wollte, fürchtete selbst noch als posthumer Herausgeber des Vermächtnisses seines Freundes, einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt zu sein, und riet deshalb von einer Veröffentlichung ganz ab. Das Werk wurde schließlich von H.s Neffen 1779 herausgegeben.

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Was ist Buddhismus? 1996. 224 Seiten Reihe Campus Einführungen, Band 1089 ISBN 3-593-35582-5

Der Buddhismus ist nicht nur Religion, er ist auch Psychologie und Philosophie. Achtsamkeit, präzises Beobachten, Nachdenken und Erkennen spielen eine große Rolle auf dem Weg des Menschen zum Erwachen. Der buddhistischen Lehre zufolge ist die Welt »leer«. Erst im Bewußtsein entsteht die Konstruktion einer in Ich und Andere gespaltenen Welt. Peter Gäng gibt hier einen lebendige~ und gut verständlichen Einblick in die philosophische und praktische Weisheit des Buddhismus. »Auch wenn in dieser Einführung sichtbar werden wird, daß es sich beim Buddhismus um ein hochentwickeltes System philosophischer und psychologischer Forschung handelt, sollte nie vergessen werden, daß die buddhistische Lehre sich selbst immer als ein Mittel zur Befreiung verstanden hat, nicht als eine Theorie, die ihren Zweck in sich selbst hätte.« (Aus der Einleitung)

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