138 95 5MB
German Pages 612 [613] Year 2014
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von Albrecht Beutel
174
Martin Keßler
Das Karlstadt-Bild in der Forschung
Mohr Siebeck
Martin Kessler, geboren 1975 in Coburg; 1995–2000 Studium der evangelischen Theologie in Heidelberg, Erlangen und München; 2001–2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter im SFB 482; 2006 Promotion; 2006–2009 Oberassistent in Basel; 2010–2012 Assistent in Göttingen; 2012–2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Karlstadt-Edition; 2013 Habilitation; seit 2014 Lehrstuhlvertretung in Bonn.
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. e -ISBN PDF 978-3-16-153184-2 ISBN 978-3-16-153175-0 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi bliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Stempel Garamond gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Meiner Claudia
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im SS 2013 von der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen als kirchenhistorische Habilitationsschrift angenommen. Daß dies möglich war, verdankt sich einer glücklichen Konstellation äußerer Umstände, vor allem aber einer Reihe von Personen, die diese für mich herbeigeführt haben. Ihnen möchte ich Dank sagen und zugleich die Umstände skizzieren, die zur Entstehung des Buches geführt haben. Diese anzudeuten, betrachte ich als eine Schuldigkeit gegenüber der älteren Forschung. In vielen Fällen rekonstruierte ich die greifbaren Veranlassungen und spezifischen Interessen der jeweiligen Studien. Für die jüngere und gegenwärtige Forschung sah ich davon weithin ab, möchte aber doch selbst über meinen Weg zu dem bearbeiteten Thema kurz Aufschluß geben. Zum Jahresbeginn 2010 eröffnete mir Prof. Dr. Thomas Kaufmann die Chance, als sein Assistent nach Göttingen zu wechseln. Daß ich dieses Angebot annehmen konnte, verband sich mit der Förderung und Unterstützung durch Prof. Dr. Martin Wallraff, dem ich für die gemeinsame Basler Zeit danken möchte. An die Zusammenarbeit in der Stadt, in der meine Frau und ich heirateten und unser ältester Sohn auf die Welt kam, denke ich gerne zurück. Nach einem halben Jahr in Göttingen bestätigte sich, was meine Frau schon lange geahnt hatte: daß sie, wie manch andere in ihrer Familie, Zwillinge bekommen würde. Nach deren Geburt im Februar 2011 suchte Thomas Kaufmann mit dem ihm eigenen fachlichen und sozialen Verantwortungsbewußtsein nach einem Weg, die familiären Herausforderungen mit einer längerfristigen beruflichen Anstellungsmöglichkeit zu verbinden, und bot mir eine Mitarbeiterstelle in der von ihm geleiteten Karlstadt-Edition an. Im April 2012 nahm dieses Langfristvorhaben der DFG seine Tätigkeit auf. Der Wechsel von der Lehre, akademischen Selbstverwaltung und Forschung in die reine Editionstätigkeit war für mich eine angenehme Überraschung: Mit dem besten aller Kollegen, Dr. Alejandro Zorzin, war es ein Vergnügen, in fachlicher Konzentration und freundschaftlichem Austausch die Grundlagen der Edition zu erarbeiten. Von ihm habe ich in vielerlei Hinsicht gelernt, wofür ich auch an dieser Stelle auf herzlichste danken möchte. Vor meinem Wechsel in die Projektarbeit hatte ich mich über die einschlägige Forschungsliteratur orientiert und registriert, daß man zu dem Autor der Standardreferenz zu Karlstadt, Hermann Barge, nicht einen Lexikonartikel auffinden kann. Diesen zu schreiben, war das einzige literarische Projekt, das ich mir neben der Doppelbelastung von Edition und Familie
VIII
Vorwort
gestatten wollte. Als ich meinem Freund Rudolf Smend, dem Alttestamentler, bei einem morgendlichen Gespräch von dieser literarischen Selbstbeschränkung erzählte, protestierte er, indem er aus dem Stehgreif den Eröffnungssatz für eine mögliche Habilitationsschrift entwarf, der nun an unscheinbarer Stelle in der Mitte des Buches steht. Aus dem vermeintlichen Einleitungssatz und der Reichhaltigkeit des Themas ergab sich eine ungeahnte literarische Produktivität, die vor allem ein Mensch ermöglichte. Während ich abends und an den Wochenenden, so viel ich konnte, an der Habilitationsschrift arbeitete, kümmerte sich meine Frau tags und nachts um die Familie. Für den Abschluß dieses Buches hat sie damit nicht weniger getan als ich. Von Herzen danke ich ihr dafür und kann ihren Namen in Gestalt der Widmung nur so nah wie möglich an das Titelblatt rücken. Mein Kollege Zorzin stellte früh den Kontakt zu Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer, Reutlingen, her, den ich anfangs für den größten Karlstadt-Forscher nach Barge hielt. Mit der Zeit erkannte ich, daß Barge der größte Karlstadt-Forscher vor Bubenheimer war. Mit der ihm eigenen Großzügigkeit und Uneigennützigkeit stand Ulrich Bubenheimer mir stets mit Auskünften zur Verfügung. Für sein Vertrauen und vielfältige Unterstützung, zu der auch die gestattete Einsichtnahme in seine Forschungskorrespondenz aus fünf Jahrzehnten gehört, danke ich sehr herzlich. Wertvolle Briefe aus ihrem Familienbesitz überließ mir Frau Marianne Müller, Zwickau, die Enkelin Otto Clemens und Tochter von Barges Patentochter. In freundschaftlicher Anteilnahme an meiner Arbeit überraschte sie mich immer wieder aufs neue mit bedeutsamen Quellenfunden. Für seine Vorkorrekturen der Abgabefassung vom 22. Januar 2013 danke ich meinem Vater, StD Pfr. Dr. Manfred Keßler, vielmals, für ihre aufmerksame Lektüre der schließlichen Druckfassung stud. theol. Aneke Dornbusch, Göttingen; stud. theol. Tim A. Matzko, Bonn, arbeitete der Indizierung zu. Überaus zügige und hilfreiche Gutachten lieferten Prof. Dr. Peter Gemeinhardt, Göttingen, und Prof. Dr. Volker Leppin, Tübingen. Die damalige Dekanin Prof. Dr. Christine Axt-Piscalar eröffnete das Habiliationsverfahren im Februar 2013 ebenso liebenswürdig und schnell, wie es ihr Nachfolger Prof. Dr. Andreas Grünschloß im Juli 2013 zum Abschluß brachte. Daß ich die Studie in den „Beiträgen zur historischen Theologie“ veröffentlichen darf, bedeutet mir sehr viel. Prof. Dr. Albrecht Beutel und Dr. Henning Ziebritzki danke ich vielmals für ihre Unterstützung. Eine Publikationsbeihilfe gewährte freundlicherweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft. So wichtig jede einzelne der erwähnten Personen für mich war und ist, möchte ich meine Danksagungen doch mit Prof. Dr. Thomas Kaufmann eröffnen und schließen. Er verstand es, aus einer schwierigen eine ideale Situation zu machen. Seine familäre Anteilnahme, sein persönliches Vertrauen und seine fachliche Unterstützung haben mich durch die letzten Jahre getragen. Göttingen, im September 2014
Martin Keßler
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Thema, Ansatz und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Karlstadt-Referenzen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert . . . . . . . 6
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.1. Max Goebels Aufsatzsequenz in den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ (1841–43) – Karlstadt als Sinnbild einer frühen Einheit reformierter und lutherischer Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.1.1. Textgenetische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.1.2. Max Goebels theologisches Profil (bis 1837) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.1.3. Karlstadt in Goebels „Die religiöse Eigenthümlichkeit der lutherischen und der reformirten Kirche“ (1836/37) . . . . . . . . . . . 23 1.1.4. Goebels Carlstadt-Aufsätze (1838/1841–43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.1.5. Die Wirkung der Aufsätze im Spätwerk von Goebel und bei Barge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.2. Karl August Credners Edition von „De canonicis scripturis“ (1847) – Karlstadts Beitrag zur neuzeitlichen Bibelkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.2.1. Credners „Einleitung in das Neue Testament“ (1836) . . . . . . . . . . 40 1.2.2. Credners Karlstadt-Edition (1847) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1.2.3. Wirkungen der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1.3. Wilhelm Heinrich Erbkams „Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation“ (1848) – Karlstadt als erster Repräsentant reformatorischer Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.3.1. Erbkams theologisches Profil in seinen Parallelen zu Goebel . . . . 51 1.3.2. Das Thema der Mystik in Erbkams Sektengeschichte (1848) . . . . . 53 1.3.3. Erbkams Karlstadt-Kapitel als Beginn einer lebens‑ und werkgeschichtlichen Forschung im 19. Jahrhundert (1848) . . . . . . 58 1.3.4. Erbkams lexikalische (1857, 1880) und methodische Präsenz . . . . 63
X
Inhalt
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.1. August Wilhelm Dieckhoffs Göttinger Licentiatenschrift (1850) – die erste theologische Habilitation zu Karlstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.1.1. Der Göttinger Qualifikationsvorgang (1850) . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.1.2. Dieckhoffs Veranlassung zur Karlstadt-Studie im Rahmen eines übergreifenden Forschungsvorhabens (1848) . . . . . . . . . . . . . 72 2.1.3. Die Licentiatenarbeit zur Willensfreiheit (1850) . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.1.4. Die Anschlußstudie zur „reformatorische[n] Abendmahlslehre“ (1854) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2.1.5. Dieckhoffs kirchenpolitisches Profil und literarische Reaktionen auf seine Monographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.2. Christian Gotthold Neudeckers unveröffentlichte Karlstadt-Studien (1850–1856) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.2.1. Die „Neudeckersche Sammlung“ in Gotha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2.2.2. Neudeckers Manuskript einer Karlstadt-Biographie . . . . . . . . . . . 86 2.3. Émile Nieds Straßburger Baccalaureatsarbeit „Essai sur la vie de Carlstadt“ (1854) – frühe Internationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.3.1. Émile Nied, der äußere Anlaß und die methodische Gestaltung der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.3.2. Konzeptioneller Ansatz und argumentative Spezifika . . . . . . . . . . 92 2.4. Eduard Hases Studie zu „Karlstadt in Orlamünde“ (1854) – landesgeschichtliche Interessen und gezielte Archivarbeit . . . . . . . . . . . . 94 2.4.1. Eduard Hase als Landeshistoriker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.4.2. Eduard Hases Karlstadt-Studie in den „Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2.5. Carl Friedrich Jägers Carlstadt-Studie (1856) – die erste theologische Monographie zu Karlstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2.5.1. Barges Negativurteil über Jäger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2.5.2. Wer war „C. F. Jäger“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.5.3. Ansatz und Gliederung der Carlstadt-Monographie . . . . . . . . . . . 113 2.5.4. Karlstadt und Luther nach Jägers Schilderungen . . . . . . . . . . . . . . . 115 2.5.5. Terminologisch, methodisch und inhaltlich weiterführende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2.5.6. Einzelne Reaktionen auf Jägers Monographie . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2.6. Eugen Labes’ Jenaer Stipendiatenrede „De Carolostadio“ (1861) und dessen Plan einer Karlstadt-Edition (1864) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2.6.1. Lebensgeschichtliche Hintergründe der Stipendiatenrede (bis 1861) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Inhalt
XI
2.6.2. Anspruch und Wirklichkeit des Labesschen Beitrages (1861) . . . . 129 2.6.3. Labes’ Einzeledition und das Vorhaben einer Karlstadt-Ausgabe (1864) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
3. Einzelstudien zu Karlstadt (1884–1898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.1. Theodor Koldes biographische und editorische Karlstadt-Arbeiten (1884, 1886, 1890) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.2. Martin von Nathusius’ Interpretation von Karlstadt als Vertreter „christlich-soziale[r …] Ideen“ (1897) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.3. Gustav Bauchs Studie zu „Andreas Carlstadt als Scholastiker“ (1898) . . 141
4. Tendenzen der „Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert“ in thetischer Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Hermann Barge (1870–1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1.1. Barges Leben und Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1.1.1. Lokale Kontinuitäten – Leben und Lehrtätigkeit in Leipzig . . . . . 153 1.1.2. Die Vielfalt in Barges Werk – Musik und Politik . . . . . . . . . . . . . . . 162 1.1.3. Barge als Historiker – zwischen Lamprecht und Maurenbrecher . 173 1.1.4. Barges fachwissenschaftliche Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . 181 1.1.5. Zusammenfassende Verbindungen im Lebenswerk und Vergessen nach dem Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1.2. Die Anregung zur Karlstadt-Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1.2.1. Karlstadt bei Lamprecht und Maurenbrecher . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1.2.2. Ludwig Kellers Einfluß auf Barge und dessen Berufung auf Alfred Hegler und Hermann Weingarten . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1.2.3. Toleranz und soziale Reform als ein inhaltliches Proprium des literarischen Gesamtwerkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1.2.4. Materiale und methodische Vorarbeiten (1898–1904) . . . . . . . . . . . 211 1.2.5. Arbeitsfortschritte nach Barges Briefen an Otto Clemen (1898– 1900) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1.2.6. Zusammenfassung der Anregungen und Anfänge um 1898 . . . . . . 225
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920) . . . . . . . . . 226 2.1. Der zeitliche Rahmen zwischen der Drucklegung und den ersten Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2.2. Das Vorfeld der Debatte – Reaktionen auf den Eröffnungsband (1905)
228
XII
Inhalt
2.2.1. Naumanns Eröffnungsrezension in der „Hilfe“– liberale Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2.2.2. Paulus’ Anzeige in „Der Katholik“ – katholische Kritik . . . . . . . 229 2.2.3. Eglis Würdigung in den „Zwingliana“ – reformierte Interessen . 230 2.2.4. Clemens Rezension in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ – Erwartung von Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2.2.5. Kalkoffs Anzeige im „Literarischen Zentralblatt“ – unbegrenzte Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2.2.6. Cohrs’ Besprechung für die „Theologische Literaturzeitung“ – vorsichtige Zurückhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2.2.7. Cauers Aufsatz in der Wochenschrift „Die Nation“ – ein Plädoyer für „Gemeindefreiheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2.2.8. Gess’ Anzeige im „Neue[n …] Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde“ – handwerkliche Fehler . . . . . . . . . . . . . . . 238 2.2.9. Naumanns und Paulus’ Eröffnungsrezensionen des zweiten Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2.2.10. Zusammenfassung einer zustimmenden Aufnahme . . . . . . . . . . . 240 2.3. Die Polarisierung – Reaktionen nach dem Erscheinen des zweiten Teils (1906) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2.3.1. Kaweraus Anzeige in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ – der Wendepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2.3.2. Koldes Anzeige in den „Beiträge[n] zur bayerischen Kirchengeschichte“ – eine von Kawerau unabhängige Abkehr . . 243 2.3.3. Köhlers Beitrag in der „Christliche[n] Welt“ – der Beginn einer jahrelangen Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2.3.4. Müllers Rezension in der „Historische[n] Zeitschrift“ – die Intensivierung der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2.3.5. Frühe Reaktionen auf Kawerau und Müller – Schmidts Rezension und die Folgeanzeigen von Gess und Clemen . . . . . . 251 2.3.6. Briegers Protest in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ – Verschärfung der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2.3.7. Scheels Tübinger Antrittsvorlesung – eine akademische Aktualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2.3.8. Zusammenfassung einer umgeschlagenen Debatte . . . . . . . . . . . . 257 2.4. Die Kontroverse zwischen Müller und Barge (1907–1910) . . . . . . . . . . . 258 2.4.1. Horsch und Johnson im „American Journal of Theology“ – mennonitische und baptistische Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2.4.2. Die Erwartung einer Kontroverse im deutschen Sprachraum . . . 260 2.4.3. Barges erste Antwort in der „Historische[n] Zeitschrift“ – sein Brechen des Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 2.4.4. Reaktionen – Köhlers Einschätzung und Hermelinks Übertragung in die „Historische Vierteljahrschrift“ . . . . . . . . . . . 265
Inhalt
XIII
2.4.5. Die monographische Reaktion – Müllers Buch von 1907 . . . . . . . 270 2.4.6. Barges erste Antworten – zwei Vorankündigungen und ein großer Aufsatz in der „Historische[n] Vierteljahrschrift“ . . . . . . 276 2.4.7. Köhlers Kommentierung des Aufsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2.4.8. Positionierungen zugunsten Müllers – Holls Besprechung in den „Preußische[n] Jahrbücher[n]“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2.4.9. Bosserts Auseinandersetzung mit Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2.4.10. Der Anschluß des „Theologische[n …] Literaturblatt[es]“ an Brieger und Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2.4.11. Cohrs’ Anschluß an Müller in seiner Folgerezension zu Barge . . 285 2.4.12. Briegers zweite Verschärfung der Debatte – seine Anzeige von Müller in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ . . . . . . . . . . . . 286 2.4.13. Barges erste Zusammenfassung der Debatte und argumentative Konsequenzen in der „Ehrengabe Karl Lamprecht“ . . . . . . . . . . 288 2.4.14. Köhlers theologische und Herres historische Ablehnung des Beitrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2.4.15. Magdalene von Tilings Beitrag zur Debatte – der Versuch einer kritischen Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2.4.16. Nikolaus Müllers Edition zur „Wittenberger Bewegung“ . . . . . . 298 2.4.17. Barges monographische Replik auf Müller – „Frühprotestantisches Gemeindechristentum“ . . . . . . . . . . . . . . . 299 2.4.18. Müllers abschließende Antwort – „Hier breche ich ab.“ . . . . . . . 307 2.4.19. Zusammenfassung – Konfrontationen, ein Ausgleichsversuch und der Gesprächsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2.5. Der Ausklang – Zusammenfassungen und Editionen (1910–1920) . . . . . 314 2.5.1. Gustav Kaweraus Zusammenfassung des „Streit[es]“ in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ und Barges „Entgegnung“ (1910) 315 2.5.2. Die Übertragung der Zusammenfassung in eine akademische Qualifikationsschrift – Volks Leipziger Dissertation (1910) . . . . 318 2.5.3. Heinrich Boehmers „Luther im Lichte der neueren Forschung“ – Zusammenfassungen zu Barge zwischen 1910 und 1918 . . . . . . . . 319 2.5.4. „American Journal of Theology“ (April 1911) – Zustimmung zu Barge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2.5.5. Troeltschs Votum für Barge in seinen „Soziallehren“ (1911/1912) 327 2.5.6. Gess’ Doppelrezension zu Barge und Nikolaus Müller (1911) . . 330 2.5.7. Der Anschluß an Müller (1911) und Barge (1912) in der „Historische[n] Zeitschrift“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2.5.8. Lietzmanns Edition einer Karlstadtschrift für die akademische Lehre (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2.5.9. Pallas’ „Literaturübersicht“ zur „Wittenberger Bewegung“ (1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2.5.10. Richard Wolffs Zusammenfassung für die „Jahresberichte der Geschichtswissenschaft“ (1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
XIV
Inhalt
2.5.11. Barges editorischer Anschluß an Nikolaus Müller und Lietzmann – „Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522“ (1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 2.5.12. Köhlers Forschungsbericht in den „Göttingische[n] gelehrte[n] Anzeigen“ (1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 2.5.13. Barges Repliken auf Köhler – unbeantwortet bleibende Proteste (1912–1914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 2.5.14. Pastors Überarbeitung von Janssens „Geschichte des deutschen Volkes“ (1915) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 2.5.15. Pallas’ Edition der Beutelordnung und der Aufschluß über Nikolaus Müllers Nachlaß (1915) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2.5.16. Martin Wählers landesgeschichtlicher Anschluß an Barge und Müller (1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 2.5.17. Gustav Kaweraus posthum gedruckte Rezension von Wähler in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ (1920) . . . . . . . . . . . . . . . . 358 2.5.18. Zusammenfassung – summarische Rückblicke, Barges letztes Votum und materiale Aufschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 2.6. Der persönliche Abschluß – Barges später Kontakt zu Müller (1935 f.)
361
3. Tendenzen der „Karlstadt-Luther-Kontroverse (1905–1920)“ in thetischer Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971) . . . 372 1.1. Erich Hertzschs Dissertation bei Karl Heussi (1932) – Karlstadts Orlamünder Zeit als ideale Realisierung von persönlicher Entwicklung und praktischem Ethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1.1.1. Hertzschs Interesse an Karlstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1.1.2. Ansatz und Ausführung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 1.1.3. Die Bedeutung von Hertzschs Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 1.2. Ernst Kählers Dissertation bei Ernst Wolf (1948/1952) – die historische Genese des theologischen Umschwungs 1517 als „Schlüssel“ zum reformatorischen Gesamtwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 1.2.1. Ernst Wolf und Karlstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 1.2.2. Kählers editorische und interpretative Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 1.2.3. Karlstadt in Kählers Gesamtwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 1.3. Friedel Kriechbaums Dissertation bei Karl Gerhard Steck (1965/67) – „Grundzüge“ einer theologischen Systematisierung zwischen 1517 und 1525 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 1.3.1. Karl Gerhard Steck und Karlstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
Inhalt
XV
1.3.2. Kriechbaums konzeptioneller und argumentativer Ansatz . . . . . . 398 1.3.3. Kriechbaums Karlstadt-Bild und einzelne Reaktionen . . . . . . . . . . 404
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer . . . . . . . . . 409 2.1. Ronald J. Siders Dissertation bei Jaroslav J. Pelikan (1969/74) – Karlstadts reformationsstrategische Spezifik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 2.1.1. Zur Veranlassung und Textgestalt der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 2.1.2. Siders Aufgabenstellung und Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . 414 2.1.3. Siders methodischer Ansatz und Hauptergebnisse . . . . . . . . . . . . . 416 2.1.4. Die Aufnahme von Siders Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 2.1.5. Siders Folgearbeiten zu Karlstadt und die Bedeutung seiner Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 2.2. James Samuel Preus’ Studie „Carlstadt’s Ordinaciones and Luther’s Liberty“ (1974) – Karlstadt als Vertreter sozialer und politischer Freiheit in der Wittenberger Bewegung 1521 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 2.2.1. Drucklegung und Forschungsansatz der Studie . . . . . . . . . . . . . . . 425 2.2.2. Anlage, Ausführung und Abschluß der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . 426 2.3. Max Steinmetz’ fachwissenschaftliches Gutachten zu Alfred Otto Schwedes Karlstadt-Roman „Der Widersacher“ (1973/1975) . . . . . . . . . 429 2.3.1. Zur Karlstadt-Forschung in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 2.3.2. Die Anregung eines Karlstadt-Romans im Berliner Union Verlag 430 2.3.3. Schwedes Exposé vom 4. März 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 2.3.4. Steinmetz’ Votum vom 29. März 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 2.3.5. Schwedes Methodik, Quellen und Positionierung im „Nachwort“ 439 2.3.6. Karlstadt, Luther und Müntzer in Schwedes Roman . . . . . . . . . . . 441 2.4. Ulrich Bubenheimers Dissertation bei Heiko A. Oberman (1971/77) – Karlstadts „Nomismus“ als Ausdruck rechtlicher Gelehrsamkeit . . . . . 446 2.4.1. Bubenheimers Weg zu Karlstadt und Barge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 2.4.2. Bubenheimers Abgabefassung (1971) und Drucklegung (1977) . . 448 2.4.3. Lebens‑ und werkgeschichtliche Periodisierung in der Monographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 2.4.4. Bubenheimers Studien zur Wittenberger Bewegung (1973–2012) . 455 2.4.5. Biographische Studien und Quellenfunde zu Karlstadt . . . . . . . . . 460 2.4.6. Das Verhältnis von Karlstadt und Luther als Forschungsaufgabe 471
3. Siders und Bubenheimers Arbeiten als Ausgangspunkte der neueren Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 3.1. Reaktionen von Rezensenten (1978–1981) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 3.2. Das Urteil des Folgeautors – Calvin Augustine Pater (1981/1984) . . . . . 476 3.3. Die Hauptlinien der Folgedissertationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
XVI
Inhalt
3.3.1. Armin Krause (1984/1990) und Volkmar Joestel (1991/1996) . . . . 478 3.3.2. Alejandro Zorzin (1989/1990) und Hans-Peter Hasse (1990/1993) 479 3.3.3. Ralf Ponader (1993) und Shinichi Kotabe (2005) . . . . . . . . . . . . . . . 483 3.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 1. Die Wege der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 2. Der Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 3. Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 1. Abkürzungen und Kurztitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 2. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 3. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 4. Gedruckte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 1. Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 2. Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 3. Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 4. Schriften Karlstadts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
Einleitung Die These „Ohne Karlstadt keine Reformation“1 mag wie eine spielerische Variation auf ein bekanntes Thema wirken. Anregend ist indes die im Kern berührte Frage, in welcher Hinsicht die Reformation einen anderen Verlauf hätte nehmen können ohne die Beteiligung Andreas Bodensteins (1486–1541), der nach seiner fränkischen Heimat Karlstadt genannt wurde. Die Überlegung zielt in das Zentrum einer Bestimmung von Einheit und Vielfalt der Reformation.2 So umstritten dieses Problem in der jüngeren Forschung ist und so unterschiedlich die Voten auch in internationaler Hinsicht ausfallen, so wenig läßt sich doch mit den Mitteln der Geschichtsschreibung eine abschließende Antwort formulieren. Wenn Kirchengeschichte eine historiographisch vermittelte Selbstverständigung christlicher Identitäten ist3, spiegelt sich allein in der Antwortvielfalt auf die Frage nach einer Einheit der Reformation ein Segment gegenwärtiger und historischer Selbstverständnisse des Christentums wider. Andreas Bodenstein, auf den fortan kurz als Karlstadt Bezug genommen wird, kommt in diesem Selbstverständigungsprozeß konfessionsübergreifend eine randständige Rolle zu. Im Zentrum der Debatte steht Luther. In Zustimmung, Ablehnung oder differenzierter Weiterführung werden Positionen diskutiert, die dessen Zentralität hervorheben. Luther als „die Schlüsselfigur der frühen Reformation“4 zu verstehen, hat seine volle Berechtigung. Karlstadts reformationsgeschichtliche Relevanz bewegt sich hingegen zwischen der einer „Randfigur“5 und der einer „Schlüsselfigur“. Einen signifikanten Akzent markiert bereits der Wechsel von dem bestimmten Artikel der Schlüsselfigur zu dem unbestimmten einer Schlüsselfigur. Gleichwohl wurde der Versuch unternommen, Karlstadt als die Schlüsselfigur der Reformationszeit zu interpretieren. Der wirkungsmächtigste Ansatz stammt von Hermann Barge (1870–1944). Die Bedeutung von dessen 1905 erschienener epochaler Karlstadt-Biographie faßte der beste materiale Kenner des Karlstadt1 Zur Genese des grundlegenden „Moellersche[n …] Satz[es]“ s. Moeller, Bewegung, S. 112, 115. 2 Für eine aus systematischer Hinsicht gebotene Miniatur s. Körtner, Theologie, S. 13–16. Ausgangspunkt der jüngeren Diskussionen ist Hamm/Moeller/Wendebourg, Einheit; knapp zusammengefaßt wurde der Band von Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation, S. 27 f. 3 Die Ausarbeitung dieser Überlegung behalte ich mir für einen anderen Zusammenhang vor. 4 Keineswegs affirmativ bietet diesen Wortlaut Oberman, Reformationen, S. 10. 5 Zur titelgebenden Formulierung s. mit Blick auf Hätzer Goeters, Hätzer.
2
Einleitung
schen Gesamtwerkes nach Barge, Ulrich Bubenheimer, zusammen: Barges Biographie ist „bis heute das grundlegende Standardwerk und der Ausgangspunkt für alle weitere Karlstadtforschung geblieben“6.
6
Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 5. Vgl. auch Hasse, Tauler, S. [13], Anm. 4.
1. Thema, Ansatz und Gliederung Der Karlstadt-Forschung vor, von und nach Barge gilt die vorliegende Arbeit. Sie untersucht mit Barge den „Ausgangspunkt für alle weitere Karlstadtforschung“ und den Höhepunkt aller modernen Wissenschaftskontroversen um den reformatorischen Stellenwert von Karlstadt (II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse7). Die anschließende Forschung wird bis Bubenheimer verfolgt, der als erster Wissenschaftler nach Barge einen vergleichbar umfassenden lebens‑ und werkgeschichtlichen Forschungsansatz aufnahm (III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge). Zugleich möchte die Studie mehr bieten als eine Geschichte der Karlstadt-Forschung von Barge bis Bubenheimer. Daß Barge nicht vom Himmel fiel, sondern seine Vorgeschichte im 19. Jahrhundert hatte, wird an einer wissenschaftsgeschichtlichen Rekonstruktion der früheren Wiederannäherungen an Karlstadt deutlich. Diese vollzogen sich zeitgleich mit, aber weithin unabhängig von Rankes Neubegründung der Reformationsgeschichte in den dreißiger Jahren des vorletzten Jahrhunderts (Kapitel I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert). Umfaßt der zeitliche Rahmen der Untersuchung somit zwei Jahrhunderte, die um 1800 einsetzen und mit den Arbeiten von Bubenheimer bis in die Gegenwart reichen, beschränkt sich die Heuristik nicht auf theologische Arbeiten zu Karlstadt. Die markantesten Beiträge werden so umfassend wie möglich erfaßt und in ihrer Entwicklung geschildert. Daraus ergibt sich ein zweifaches chronologisches Anordnungsmuster. Das erste gilt den Autoren und Autorinnen, die nach ihrem ersten literarischen oder publizistischen Reflex auf Karlstadt angereiht werden. Zum anderen bestimmen chronologische Längsschnitte die werkgeschichtlichen oder thematischen Entwicklungen der einzelnen Personen. Reaktionen oder Rezeptionsvorgänge werden in diese Zusammenhänge integriert. Zahlreiche Querverweise dienen dazu in den Anmerkungen und suchen den Haupttext um weitere syn‑ oder diachrone Verbindungslinien zu entlasten. Diese vorrangige Orientierung an Personen möchte eine additive Aufnahme von Einzelbeiträgen, wie sie ein knapper Forschungsbericht in Verbindung mit
7 Zu dem Begriff s. im Hauptkapitel III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 3. In der Einführung des betreffenden Kapitels finden sich weitere Hinweise zu den Schwerpunkten und der Anlage der gebotenen Ausführungen.
4
Einleitung
einer annotierten Bibliographie geboten hätte8, vermeiden. Zugleich erlaubt sie, die Genese der modernen Karlstadt-Forschung in eine Vielzahl von Einzelperspektiven auf persönlich und fachlich unterschiedliche Wege oder Zugänge zu Karlstadt zu öffnen. Konstitutiv einbezogen wird die Frage, was den betreffenden Forscher dazu veranlaßte, sich mit Karlstadt zu beschäftigen. Diese Methodik einer prosopographisch detaillierten Befragung wissenschaftlicher Gesamtwerke auf ihre Bezüge zu Karlstadt verbietet es, die Karlstadt-Forschung der Gegenwart in einer vergleichbaren Intensität zu schildern. Sie wäre am angemessensten in einem Literaturbericht9 zu behandeln, nicht aber in einer forschungsgeschichtlichen Arbeit. Daß Bubenheimer und der etwas frühere Ronald J. Sider von der gegenwärtigen Wissenschaftlergeneration selbst als der zentrale Einschnitt der jüngeren Forschungsgeschichte empfunden werden, wird eigens darzulegen sein. In diesen Zusammenhang gehen kurze Hinweise auf die neuerlichen Dissertationen zu Karlstadt ein. Eine abschließende „Standortbestimmung“ bezieht Grundzüge der jüngeren Forschung und Tendenzen der Wissenschaftsgeschichte aufeinander. Aus diesem 8 Dieses literarische Muster wählte Gäbler, Zwingli, für seine Zürcher Habilitationsschrift. Dieses verdienstvolle Instrument der Zwingli-Forschung liefert zugleich das Ideal für eine künftige Aufgabe der Karlstadt-Forschung. Auf das Vorhaben einer – im Unterschied zu Gäbler um Handschriften ergänzten – Karlstadt-Bibliographie wurde ich in der Korrespondenz von Ulrich Bubenheimer aufmerksam, Brief an Gerhard Müller (Abschrift im Besitz des Autors, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz), 24. März 1982, o. P.: „Im Rahmen der Vorbereitung einer Karlstadtbibliographie ist mir schon seit Abfassung dieses Manuskriptes [der ersten Fassung des späteren Beitrages Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988] neues handschriftliches Material in die Hände gekommen.“ Ausweislich mündlicher Auskünfte (am 19. August 2013) verfolgte Bubenheimer das Ziel eines biobibliographischen „Karlstadt-Repertoriums“, das in der „Bibliotheca dissidentium“ erscheinen sollte. Für dessen Anlage aufschlußreich ist (im Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, Briefwechsel mit André Séguenny) der maschinenschriftliche „Plan eines Karlstadt-Repertoriums (Biobibliographie) Stand: Oktober 1981“. Dieser erhellt, daß Bubenheimer eine zweigeteilte Gesamtanlage verfolgte. Der biographische Eröffnungsteil sollte neben den Grunddaten auch geographische Aufenthaltsorte, heraldische und ikonographische Materialien sowie Handschriftenproben aus den unterschiedlichen Lebensphasen enthalten. Der bibliographische Folgeteil sah eine detaillierte Erfassung des gedruckten Werkes vor, die unter Titelblattabdruck und „regestenähnlich[er]“ (ebd., S. 5) Kurzzusammenfassung einer inhaltlichen Erschließung vorgearbeitet hätte. Vorgesehen waren zudem „Bibliotheksnachweise sämtlicher bekannter Exemplare (mit Vermerk von Besonderheiten wie Vorbesitzer, Widmungen, handschriftliche Randbemerkungen usw.)“ (ebd.). Das gesamte „handschriftlichte […] Material“ sollte, einschließlich der Korrespondenz, gleichermaßen eingehend aufgenommen werden. Zudem sah Bubenheimer ein „Auswahlverzeichnis der Äußerungen von Zeitgenossen über Andreas Bodenstein (bis zu seinem Tod 1541)“ sowie eine „Bibliographie der Literatur über Andreas Bodenstein seit 1541 bis zur Gegenwart“ vor (ebd., S. 8). Eine Realisierung dieses in der Geschichte der Karlstadt-Forschung einzigartigen Vorhabens, das in weiten Teilen nur durch Bubenheimer hätte realisiert werden können, scheiterte an begrenzten personellen und finanziellen Kapazitäten, die weder durch den vorgesehenen Verlag noch beantragte Drittmittel zu erhöhen waren. 9 In diese Richtung geht der Beitrag von Looss, Forschung, von 1998. Weitere Neuerscheinungen werden in der vorliegenden Arbeit am Ende des Hauptkapitels III. Die KarlstadtForschung nach Barge und in der abschließenden „Standortbestimmung“ vermerkt.
1. Thema, Ansatz und Gliederung
5
Grund verzichtet das letzte Hauptkapitel auf eine eigene Zusammenfassung. Die beiden vorherigen Hauptkapitel und deren Unterkapitel oder Einzelabschnitte rücken am Ende der jeweiligen Gliederungssequenzen Kurzzusammenfassungen ein.
2. Karlstadt-Referenzen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert Der zeitliche Rahmen blendet das 16., 17. und 18. Jahrhundert aus. Dies ist berechtigt, weil gerade dem fortschreitenden 19. Jahrhundert eine bemerkenswerte Geschichtsvergessenheit gegenüber den großen Forschungsleistungen der Vorjahrhunderte eigen ist. Als ein blinder Fleck des aufbrechenden Historismus gibt sich der Glaube zu erkennen, in den Archiven und der jüngeren Literatur wirklich grundlegend Neues finden zu können. Allein die Literaturkenntnis des 18. Jahrhunderts hätte manchen Publizisten – darunter renommierte Reformationshistoriker – vor inhaltlichen oder materialen Neuentdeckungen geschützt10, die nun als Arabesken die Forschungsgeschichte des 19. Jahrhunderts zieren. In Teilen mochte dies unvermeidbar gewesen sein, wie auch heute eine instruktive Übersicht über die Karlstadt geltenden Schriften oder Bezugnahmen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts fehlt. Einer solchen kann und soll nicht vorgegriffen werden. Für einzelne Rückverweise der vorliegenden Arbeit auf frühere Entwicklungen mag es aber hilfreich sein, die Hauptreferenzen in der Auseinandersetzung mit Karlstadt vor 1800 kurz zu benennen und um weiterführende Aspekte zu ergänzen. Diese Übersicht ersetzt in einer forschungsgeschichtlichen Arbeit am sinnvollsten und vielleicht auch konsequentesten jenen Punkt, der in den Einleitungen zahlreicher Studien mit „Stand der Forschung“ überschrieben ist. Ausweislich der Referenzen des 19. und 20. Jahrhunderts verbinden sich die wirkungsgeschichtlich einflußreichsten Karlstadt-Bilder direkt oder indirekt mit Luthers Schrift „Wider die himmlischen Propheten“ von 1525.11 Eine systematische Kontextualisierung dieser Stellungnahme innerhalb der weiteren, nicht nur selektiv auszuwertenden Bezugnahmen Luthers auf Karlstadt wäre ein förderlicher Schritt in Richtung eines umfassenderen Gesamtbildes. Über Luther hinaus gibt es für das 16. und 17. Jahrhundert eine Vielzahl häresiologischer Typisierungen Karlstadts, die eigens erhoben und ausgedeutet werden müßten. 10 Die Formulierungen verstehen sich als Anklänge auf die Maxime von Heimpel, Rez. von der Heydte, S. 210: „Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen und ist das Elementarste an jenem zweckmäßigen Verhalten, das man etwas hochtrabend historische Methode zu nennen pflegt.“ 11 WA, Bd. 18, S. 62–214. Der Umstand wird in dieser Arbeit an zahlreichen Beispielen illustriert; s. zudem knapp Kaufmann, Bilderfrage, S. 415, Anm. 22. Für das Karlstadt-Bild der japanischen Kirchengeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert kam Kotabe, Laienbild, S. 10–12 mit Anm. 6, zu einem vergleichbaren Ergebnis.
2. Karlstadt-Referenzen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
7
Wichtige materiale Hinweise zur Wirkungs‑ und Rezeptionsgeschichte stellte Barge in seinem abschließenden Exkurs „Karlstadts Nachleben“12 zusammen. Den bedeutendsten Folgebeitrag legte Bubenheimer vor. Er wies eine Aufnahme mystischer Traktate von Karlstadt in der Geschichte des Pietismus nach, die insofern untergründig war, als seit Ende des 16. Jahrhunderts einzelne Texte Karlstadts Valentin Weigel zugesprochen oder ohne Autornennung empfohlen wurden.13 Für das frühe 17. Jahrhundert zeichnet sich ein Wiedererwachen biographischer Interessen an Karlstadt ab, das sich im Umfeld des Heidelberger Calvinismus und sog. Kryptocalvinismus literarisch vollzog.14 Das ausgehende 17. Jahrhundert sah die bedeutendste Einzeledition von Karlstadt-Briefen nach dessen Tod. 1671 veröffentlichte Johann Gottfried Olearius 49 Briefe an Spalatin, in deren Beilage sich zwei Briefe aus Karlstadts Korrespondenz mit Eck befinden. Diese Sammlung stellt bis heute die wichtigste Sequenz des Karlstadtschen Briefwechsels dar.15 1698 erschien sie in zweiter Auflage und wurde 1762 von dem Reformierten Daniel Gerdes mit punktuellen Ergänzungen der Annotationen nachgedruckt.16 Olearius’ Interesse an Karlstadt dürfte ein antiquarisches gewesen sein, insofern er die Karlstadt-Briefe in eine Kompilation weiterer Korrespondenzauszüge und Transkriptionen integrierte. Wichtig ist gleichwohl der Umstand, daß Olearius von seinem Leipziger Lehrer Jakob Thomasius auf den Quellenbestand der Karlstadt-Briefe hingewiesen und zur Edition aufgefordert wurde.17 Dessen Sohn Christian Thomasius gab 1705 einen namentlich nicht unterzeichneten, aber von ihm selbst verfaßten18 Aufsatz 12
Barge, Karlstadt, T. 2, S. [509]–522 („Exkurs VIII“). S. dazu Bubenheimer, Rezeptionsgeschichte 1997 und 1998. 14 Diese Bezüge verkannte Barge, Karlstadt, T. 1, S. 366, Anm. 124, indem er Melchior Adam und Abraham Scultetus nur unter heuristischen Gesichtspunkten auf seiner Suche nach biographischen Informationen über Karlstadt bewertete. Für einen bibliographischen Bezug auf Adam mit Kurzkommentar s. Köhler, Bodenstein 1792, S. 157, Nr. 4. 15 Olearius, Scrinium 1671, S. 1–85. Die Frage der Textvorlagen und persönlichen Verbindungen von Olearius arbeitet Dr. Alejandro Zorzin, Göttingen, derzeit im Rahmen einer Neuedition der Briefe detailliert auf. 16 Olearius, Scrinium 1698; Gerdes, Scrinium, S. 291–345. 17 S. Olearius, Scrinium 1671, o. P., die beiden Eröffnungsseiten der „Praefatio“ („Ad Lectorem Benevolum“). Zumindest einen Teil der Briefe besaß Jakob Thomasius demnach im Original oder in Abschriften. Auf diesen Zusammenhang war bereits Barge, Karlstadt, T. 1, S. 55, Anm. 61, aufmerksam geworden: „Ich citiere nach der ersten Ausgabe von Olearius. Dieser ist übrigens auf die Briefe Karlstadts von Thomasius, seinem Lehrer, hingewiesen worden.“ 18 Die Vermutung findet sich erstmals bei Köhler, Bodenstein 1792, S. 158: „Allem Ansehen nach hat Christian Thomasius diese Apologie gefertigt, oder doch Veranlassung dazu gegeben.“ Ausführlich legt Köhler dies, ebd., S. 98 f., nach einem kurzen Textauszug dar: „Diese Stelle und der ganze Aufsatz überhaupt athmet den Geist des freymüthigen Christian Thomasius. Durchaus herrscht der Ton und die Behandlungsart, die alle seine Schriften von den Werken seiner Zeitgenossen auszeichnen. Es ist also sehr glaublich, daß der Aufsatz entweder von ihm selbst, oder unter seiner Aufsicht geschrieben worden, so wie mehrere ähnliche Werke, z. B. Arnolds Kirchen= und Ketzerhistorie, ihm ihre Entstehung zu danken haben.“ Auf Köhler dürfte Barge, Karlstadt, T. 1, 354, Anm. 95, basieren, der erklärt: „In dem Verfasser, einem begeisterten 13
8
Einleitung
„Doctor Carolstads Geschichte und guter Nachruhm“ heraus, der ein flammendes Plädoyer für eine Neubewertung der geschichtlichen Gestalt darstellt und zu einer systematischen Suche nach dessen Schriften aufruft19. Christian Thomasius war nicht nur der akademische Lehrer von Gottfried Arnold20, der im zweiten Teil seiner „Unparteyischen Kirchen= und Ketzer=Historie“ 1699 eine epochale Umbewertung Luthers und Karlstadts vornahm.21 Er war auch Lobpreiser Karlstadts, werden wir keinen andern zu erblicken haben als den Herausgeber dieser Abhandlungen, Thomasius.“ Sicherheit in der Autorschaft eröffnet eine Auflösung des einzigen intertextuellen Hinweises der Ausführungen. Eine Spitzenpassage markiert die Zustimmung zu Karlstadts intendierter Schulreform, in der die Muttersprache Latein vollständig ersetzen sollte. Dieser Position schloß sich der Autor des Karlstadt-Portraits emphatisch an, Thomasius, Karlstadt, S. 107–211 [scil. 207–211], indem er forderte, ebd. S. 108 [scil. 208]: „Man solte das Latein nur darumb abschaffen/ weil es junge Leute hindert/ daß sie nicht recht Deutsch lernen/ geschweige daß so lange wir uns mit der Pabsts=Sprache schleppen/ wir des Pabsts arme Leute bleiben/ und das Pabsthum überm Halse behalten in secula seculorum. Aber hiervon künfftig ein mehrers im Albernen Latein.“ Für vergleichbare Ausführungen von Thomasius vgl. im zeitlichen Kontext des Karlstadt-Aufsatzes Schiewe, Sprachenwechsel, S. 96 f. Mit Blick auf Karlstadt erklärte Thomasius, Karlstadt, S. 211: „Man solte ihm nur wegen der guten Intention, heidnische und papentzende Schulen abzuschaffen/ eine eherne Gedechtnis=Seule auffrichten. Nun aber wird er deswegen noch in der Erden verflucht.“ Der antikatholische Sprachgebrauch des Wortes „papentzende“ ist für Thomasius spezifisch, s. dazu Blaufuss, Theologie, S. 113, Anm. 59. Auf die zuletzt zitierte Stelle von Thomasius bezieht sich Bubenheimer, wenn er verschiedentlich bemerkte, Bubenheimer, Karlstadt 1991, S. 63: „Die pietistische Karlstadtrenaissance gipfelte 1705 in einem Vorschlag aus dem Umkreis des Halleschen Pietismus, Bodenstein ein Denkmal zu errichten.“ Vgl. auch Bubenheimer, Karlstadtrezeption 1997, S. 426; Bubenheimer, Karlstadtrezeption 1998, S. 50. In Anbetracht der Bubenheimer noch unbekannten Autorschaft wäre zum einen Thomasius’ in der Forschung ambivalente Einordnung zwischen Aufklärung und Pietismus zu differenzieren, s. dazu Brecht, Halle, S. 503 f.: „Die Aussichten für ein kollegiales Auskommen beider [Thomasius und Francke] schienen günstig, zumal Thomasius für den radiakalen Pietismus mehrfach Sympathie gezeigt hatte. Trotz seiner Ablehnung überkommener Autorität und Vorurteile ist er nur mit Einschränkung ein Vertreter der Aufklärung zu nennen. Ihm fehlte noch der anthropologische Optimismus. […] Von 1700 bis 1702 hielt Thomasius Vorlesungen über das ‚Decorum‘, in denen nicht nur der pietistische Lebensstil kritisiert, sondern die freiere sittliche Haltung sogar biblisch begründet wurde.“ Auf Unterschiede zum Pietismus hebt Herrmann, Thomasius, S. 110–144, ab. Zum anderen scheint mir die betreffende Stelle mehr der Überzeugung Ausdruck geben zu wollen, daß Karlstadt anhaltendes Unrecht erleiden mußte, der Sache nach aber im Recht sei. Indes trat Thomasius 1705 für ein literarisches Denkmal ein, das Karlstadt errichtet werden sollte, indem er erstmals, wie unten zu zeigen sein wird (s. Anm. 52), die Vision einer Karlstadt-Edition entwickelte. 19 Thomasius, Karlstadt. 20 Die Rekonstruktion der Korrespondenz von Arnold durch Büchsel /Blaufuss, Briefwechsel, führt einen Brief an Thomasius von 1694 auf, der im Vorfeld von Arnold, Kirchen‑ und Ketzerhistorie, eine gezielte fachwissenschaftliche Rückfrage belegt, in der sich kirchengeschichtliche mit kirchenrechtlichen Aspekten berührten; s. dazu Büchsel / Blaufuss, Briefwechsel, S. 95 f. 21 Vgl. dazu u. a. Arnold, Kirchen‑ und Ketzerhistorie, T. 2, S. 232–241. Arnold bezog sich in seinen biographischen Daten für Karlstadt überwiegend auf Melchior Adam und verrät keine Kenntnis der Olearius-Briefe. Einen Überblick über die einschlägige Forschung zu Arnold bietet Moeller, Kirchengeschichte, S. 736–749. Grundlegend für weitere Forschung ist Blaufus s / Niewöhner, Arnold, obgleich die Bibliographie der „Arnold-Literatur 1714–1993“,
2. Karlstadt-Referenzen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
9
der Grabredner Veit Ludwig von Seckendorffs.22 Dieser hatte ein historiographisches Bollwerk gegen die neuere Geschichtsschreibung des französischen Katholizismus errichten wollen und dazu flächendeckend aus den sächsischen Archiven Materialen erheben lassen23, unter denen sich – neben vielem anderen – Karlstadt betreffende Dokumente befanden. Auf Seckendorffs Arbeiten rekurrierte Arnold24 im Rahmen seiner breiten Quellen‑ und Literaturbelege. Unabhängig von dieser Entwicklung vollzog sich in Orlamünde und Wittenberg eine lokalgeschichtliche Annäherung an die kirchlichen Amtsstrukturen, in denen Karlstadt gewirkt hatte.25 In Weimar bemühte sich der führende Archivar um eine breite Erschließung politisch und kirchenpolitisch relevanter Quellentexte zur sächsischen Geschichte, wozu eine detaillierte Rekonstruktion von den Konflikten um Karlstadts Rom-Reise gehörte.26 Den historiographischen Aufwertungen folgten scharfe akademische Proteste.27 Diese schlossen an frühere kontroverstheologische Behandlungen von
ebd., S. 415–424, einen restriktiven, nicht eigens erklärten Literaturbegriff vorauszusetzen scheint. Eine Ausarbeitung der Zusammenhänge zwischen Thomasius, Arnold und Seckendorf dürfte sich als lohnend erweisen. Nur auf einer Ebene allgemeiner Ähnlichkeiten der geschichtstheoretischen Konzeptionen beschäftige sich bisher Pott, Arnold, mit „Christian Thomasius und Gottfried Arnold“. Selbst der 1982 von Büchsel/Blaufuss veröffentlichte Brief von Arnold an Thomasius bleibt in diesem Beitrag von 1995 unberücksichtigt. Keine Vertiefung der persönlichen Bezüge zwischen Arnold und Thomasius bieten die Aufsätze in Lück, Thomasius. 22 S. dazu die bibliographische Aufnahme des betreffenden Druckes bei Strauch, Seckendorff, S. 187. 23 So ließe sich die archivalisch hervorragende Rekonstruktion von Strauch, Seckendorf, zusammenfassen. Unberücksichtigt bleibt in der Studie die lebens‑ und werkgeschichtliche Bedeutung Speners für Seckendorf, der eigens nachzugehen wäre. Auch die Verbindungen zwischen Christian Thomasius und Seckendorf deutet Strauch an, verhandelt sie aber nur auf einer Ebene methodischer oder enzyklopädischer Kongruenzen, ebd., S. 137: „Für Seckendorff verhält es sich damit genauso wie Christian Thomasius es später formulierte: ‚Die KirchenHistorie ist eine Erzehlung sowohl der göttlichen als menschlichen Wercke in der Kirche.‘“ Persönliche Zusammenhänge werden völlig ausgeblendet. 24 Für die zentrale Stelle bei Arnold in der Umbewertung Luthers (Arnold, Kirchen‑ und Ketzerhistorie, T. 2, S. 45 [Buch 16, Kap. 5, § 17]) legte Kaufmann, Anfang, S. 591 f., Anm. 7, einen detaillierten Vergleich mit Seckendorff vor. 25 Für Orlamünde s. 1702 Loeber, Orlamünde; mit Blick auf Wittenberg s. zunächst 1717 und dann 1730 Wernsdorff, Allerheiligen, S. 114–120. Wernsdorff hatte sich um eine detaillierte Rekonstruktion von Karlstadts akademischer und kirchlicher Laufbahn in Wittenberg bemüht. 26 S. dazu 1714 Müller, Staats-Cabinet, S. 315–341. Die amtlichen Bezüge der Veröffentlichung hält das Titelblatt fest: „von Johann Joachim Müllern/ Fürstl. Sächsis. Geheimen= und Lehr=Secretario, wie auch Gesamten Archivario zu Weimar“. Biographisch und beruflich detaillierte Informationen bietet Anon., Art. Müller 1751 (DBA, T. 1, Fichenr. 870, S. 367 f.). Demnach war bereits Müllers Vater, Johann Sebastian Müller, mit den Weimarer Archivalien betraut und zog seinen Sohn amtlich zu, bevor dieser schließlich – neben seinen juristischen Tätigkeiten – zum Amtsnachfolger wurde. Die biographisch weithin rezipierte Episode um Karlstadts Rom-Aufenthalt wurde erstmals von Müller archivalisch sensibel rekonstruiert. 27 Exemplarisch hierfür steht die Auseinandersetzung mit Arnold in Vehr, Carolostadio.
10
Einleitung
Karlstadt an28, richteten sich aber in besonderer Weise gegen Arnold. Einen guten Überblick über die historiographischen Referenzen der Zeit vermittelt Valentin Ernst Löschers – argumentativ differenzierte – Diskussion von Karlstadt in seiner „Außführliche[n] Historia Motuum zwischen den Evangelisch Lutherischen und Reformierten“ von 1707 und ausgeweitet 1720.29 Ebenfalls 1720 wurde anonym eine biographische Miniatur veröffentlicht, die Karlstadt unter Rekurs auf Luther in die Nähe gegenwärtiger „Pansophisten“30 rückte. Die kontroversen Neubewertungen von Karlstadt führten zu zwei gegenläufigen Bewegungen. Zum einen waren es orthodoxe Lutheraner wie Löscher, die ihre apologetischen Bemühungen mit Quelleneditionen verbanden.31 Diese Linie eines Wiederabdrucks Karlstadtscher Schriften ließe sich, mit veränderten publizistischen Interessen, bis zu Walchs Luther-Ausgabe Mitte des 18. Jahrhunderts ziehen.32 Zum anderen setzten etwa zeitgleich gezielte Bemühungen um biographische Portraits und bibliographische Kompilationen ein. Den Anfang macht der aus Bremen gebürtige und seit 1735 in Groningen lehrende Daniel Gerdes.33 1739 veröffentlichte er einen ersten, seinem Charakter nach lexikalischen Kurzbeitrag, der knappe biographische mit einzelnen bibliogra28 S.
dafür u. a. Lipsius, Carolostadius 1662; in einem Nachdruck s. Lipsius, Carolostadius 1708. Bibliographisch erfaßt und annotiert von Köhler, Bodenstein 1792, S. 157 f., Nr. 6. 29 Löscher, Historia 1707, S. [53]–59 („Cap. I. Von den Carlstädtischen Händeln“); Löscher, Historia 1720, S. [1]–55 („Cap. I. Von den Carlstädtischen Händeln“). Bibliographisch überaus ergiebig – und über Köhler, Bodenstein 1792 und 1794 hinausgehend – ist Fabricius, Notitiae, der jedoch nur bis 1728 bzw. 1730 reicht. 30 Anon., Lebens-Beschreibung, S. 2. 31 S. dazu Löscher, Reformations-Acta, und die Stücke, die in Löschers „Unschuldige Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen“ eingerückt wurden. Sehr gut verzeichnet finden sich die Beiträge der Periodika in Fabricius, Notitiae, T. 1 f. Mustergültige bibliographische Bezüge auf die einschlägigen Auszüge und Abdrucke bei Löscher und anderen bietet Riederer, Versuch. In Löscher, Reformations-Acta, T. 2, S. 66–171, dominiert mit dem Abdruck der „Apologeticae Conclusiones“ und der „Defensio“ die reformatorische Frühzeit. Diesen Schwerpunkt vertiefte Löscher ebd., T. 3, S. 289–330, 479–507, mit seinem Text zur Leipziger Disputation, der die Karlstadt geltenden Passagen (im Unterschied zur Ausgabe durch Walch von 1746) überwiegend bot. Löscher wurde erstmals auf das Freiberger Manuskript aufmerksam, das Seitz, Disputation, in seine spätere Edition einbezog, gegenüber anderen Textzeugen aber übermäßig abwertete. 32 Für Karlstadt einschlägig sind die beiden 1745 erschienenen Teile 15 und 16 von Walch, Luther. Wichtig ist zudem der 1746 folgende 18. Teil, der thematisch in den ebenfalls 1746 verlegten 19. Teil überging. Zentral ist Teil 20, der 1747 den „Schriften wider die Sacramentirer, Fanaticos, Juden und Türken“ galt. Übersetzt wurden damit u. a. Walch, Luther, T. 15, Sp. 657– 705, die „Apologeticae Conclusiones“ von 1518, die „Defensio“, ebd., Sp. 704–796. Abgedruckt in T. 20. sind Karlstadtsche Abendmahlstraktate. Auf eine vollständige bibliographische Aufnahme der Walchschen Stücke verzichtete Riederer. Keine entsprechenden Hinweise bot Riederer auch bei den „Apologeticae Conclusiones“ und der „Defensio“, den beiden größten Einzelstücken; für mehrere Briefe verwies er gleichwohl auf die „häll.[ische] Sam[m]lung der Schriften Lutheri“, s. Riederer, Versuch, S. 499. 33 Zu ihm s. im ganzen Witteveen, Gerdes; zum Anfang der Groninger Zeit s. ebd., S. 35. Die beste zeitgenössische Darstellung scheint mir in Strodtmann, Gerdes, von 1750 zu bestehen.
2. Karlstadt-Referenzen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
11
phischen Angaben verschränkte und um einen längeren Textauszug aus „De canonicis scripturis“ zur Bedeutung des Jakobusbriefs ergänzte.34 1749 legte Gerdes die erste lebens‑ und werkgeschichtliche Studie zu Karlstadt vor, führte sie aber nur bis 1522.35 Der zeitliche Rahmen dürfte daraus zu erkären sein, daß Gerdes die Olearius-Briefe einbezog36, die nur bis 1521 reichen, wie sich auch der Schwerpunkt der neuerlichen Nachdrucke auf die reformatorische Frühzeit beschränkte. In der anschließenden Literatur wird Gerdes’ Beitrag häufig nach dem Kolumnentitel als „Vita Carolostadii“ und nicht nach seiner Überschrift „Relatio historica de Andrea Bodenstein dicto Carolostadio“ zitiert. Auf Gerdes’ Neuausgabe der Olearius-Briefe 1762 wurde bereits verwiesen.37 Im Folgejahr erschien sein anfänglicher Kurzbeitrag zu Karlstadt in der dritten Edition einer enzyklopädischen Auswahl kleiner Beiträge38, womit der Text insgesamt viermal aufgelegt wurde. Von Gerdes führt eine persönliche Linie zu dessen Schweizer Freund39 Johann Conrad Füßlin40, von dem 1776 eine monographische, 120 Seiten umfassende „Lebensgeschichte“ Karlstadts41 in den Druck ging. Der Theologe Füßlin war im Vorjahr verstorben und hatte sich zwischen 1770 und 1774 mit einer dreibändigen „Neue[n] und unpartheyische[n] Kirchen‑ und Ketzer=Historie“42 in die Nachfolge Arnolds gestellt. Auch sein Karlstadt-Portrait erhob den programmatischen Anspruch, das Werk einer „unparteyische[n]“ Geschichtsschreibung zu sein: „Die Evangel.[isch] Lutherischen ziehen heftig über ihn [Karlstadt] loß und machen seine Ehre und guten Namen überaus verdächtig. Die Reformirten hingegen hielten es iederzeit für eine Schuldigkeit, ihn zu vertheidigen. Aus diesem einander zuwider lauffenden Betragen suchen die Röm.[isch] Catholischen Vortheil zu ziehen und der Protestanten 34 Gerdes, Karlstadt 1739. Für Gerdes’ Karlstadt-Studien wurde der Beitrag nicht von Witteveen, Gerdes, berücksichtigt. Der Auktionskatalog der posthum veräußerten Bibliothek von Gerdes ist erhalten als Gerdes, Bibliotheca. Die Schriften von Karlstadt sind nur sehr ungenau verzeichnet: ebd., S. 50, Nr. 432 „Carolstadii, Ulr. ab Hutten, aliorumque varii Tractatus“ und ebd., Nr. 433 „Varii Tractatus Carolostadii, welche bucher biblisch sein oder nicht. 1520. & alia.“ 35 Gerdes, Karlstadt 1749. Ausführlich dazu s. Witteveen, Gerdes, S. 201–203. In einer Rektoratsrede des Jahres 1753 berücksichtigte Gerdes Karlstadt ebenfalls, s. ebd., S. 56. Für eine Einordnung von Gerdes’ Interessen an Karlstadt in dessen historiographisches Gesamtwerk s. ebd., S. 227. 36 S. dazu nur Gerdes, Karlstadt 1749, S. 12, Anm. a; S. 15, Anm. a; S. 16, Anm. a; S. 23, Anm. a; S. 26, Anm. b. 37 Gerdes erkärte diesen Schritt aus der Seltenheit der früheren Drucke; dieser Argumentation folgte Witteveen, Gerdes, S. 233. 38 Nachgedruckt wurde der Beitrag von 1739 zunächst 1740, dann 1747 und schließlich 1763 (jeweils Gerdes, Karlstadt). 39 S. dazu Witteveen, Gerdes, S. 193 f. 40 Zu Füßlin s. Neff, Art. Füßlin (BAChr, T. 1, Fichenr. 133, S. 71 f.). 41 Füsslin, Carlstadt. 42 Füsslin, Kirchen‑ und Ketzerhistorie. Der dritte Teil gilt thematisch der Mystik und bewegt sich in einem – nicht chronologisch strukturierten – Spannungsfeld zwischen Bezugnahmen auf das Spätmittelalter bzw. die Reformation und die jüngere Geschichte. Karlstadt spielt im Zusammenhang der Mystik keine Rolle.
12
Einleitung
widersprechende Lehren zu verspotten. Ein unparteyischer Geschichtsschreiber wird iedoch bald einsehen, daß alle drey Parteyen, den Weg der Wahrheit verfehlen“.43
Füßlin übertraf Thomasius an Umfang und Gerdes im zeitlichen Rahmen. Die gebotenen Inhalte und literarischen Referenzen sind indes flächig erarbeitet und eröffnen dem Leser nur eingeschränkt Vertiefungsmöglichkeiten. Am ausführlichsten widmet sich Füßlin dem „bedauernswürdigen Streit“44 zwischen Karlstadt und Luther um das Abendmahl. Die beiden verbindend habe sich dieser in einer gemeinsamen Abgrenzung der „Protestanten“ von den „Römischkatholischen Gottesgelehrten“45 vollzogen. Innerprotestantisch trennend sei er aus dem spezifischen „Geist und [… der] Gemüths= und Denkungsart dieser beeden Männer“ erwachsen, aber doch Teil des einen „heilsamen Werk[es] der Reformation“46 gewesen. Von den biographischen Portraits zweigen sich die bibliographischen Kompilationen ab. Diesen Vorgang illustriert Füßlins Biographie, die keine Kenntnis der früheren Bemühungen um bibliographische Erfassungen des Karlstadtschen Gesamtwerkes verrät. Den Anfang dieser bedeutsamen Forschungstradition markiert der Aufsatz von Thomasius 1705. Thomasius relativierte als erster den Topos einer übermäßigen Seltenheit der Karlstadtschen Schriften: „Dieweil aber seine Schrifften/ so rar sie auch sind/ gleichwohl noch vorhanden sind“47. Sodann erstellte er ein „Verzeichnis aller Schrifften Doctor Carolstadts/ so viel man davon Nachricht haben können“, das er nach Jahren gliederte48. Nicht alle Drucke, von denen er wußte, nahm er in sein Verzeichnis auf. So kannte Thomasius etwa einen literarischen Hinweis auf den Augustin-Kommentar49, verzichtete aber auf eine bibliographische Konstruktion des betreffenden Titels. Umgekehrt führte er aber auch mindestens einen Titel an, den er erkennbar aus Arnolds „Kirchen= und Ketzer=Historie“ übernommen hatte.50 Selbst regte Thomasius gezielte Karlstadt-Studien in Basel an51 und hatte somit die Einseitigkeit der bekannten 43 Füsslin,
Carlstadt, S. 3 f. S. 69. 45 Ebd., S. 63. 46 Ebd., S. 71. 47 Thomasius, Karlstadt, S. 234. 48 Ebd., S. 236–247. 49 Vgl. dazu ebd., S. 189 f., mit ebd., S. 236 f. 50 Vgl. dazu ebd., S. 247, die bibliographische Angabe „Glaubensspiegel: wie sich der Glaub und Unglaub“ bis „Vor rauhe Christen etc.“ mit Arnold, Kirchen‑ und Ketzerhistorie, T. 2, S. 232. Die von Arnold gewählte Bezeichnung „Glaubens-Spiegel“ findet sich nicht in den bekannten Drucken (s. dazu Freys/ Barge, Verzeichnis, S. 311 f., Nr. 139 f.) und wurde von Thomasius in die Literaturangabe übernommen. Daß Thomasius Arnold voraussetzte, zeigt sich literarisch auch an den Ausführungen; vgl. dazu Thomasius, Karlstadt, S. 234, zum Stellenwert der „Römischen Rechte“ und der „Vortreffligkeit der Mosaischen Gesetze“ mit Arnold, Kirchen‑ und Ketzerhistorie, T. 2, S. 240, Nr. 21. 51 Thomasius, Karlstadt, S. 235: „Es würden endlich die Herren Professoren und Prediger zu Basel die Christliche und gelehrte Welt ihnen sehr verbindlich machen/ wenn sie ex Actis 44 Ebd.,
2. Karlstadt-Referenzen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
13
Überlieferungen in ihrer chronologischen Fixierung auf die kursächsische Zeit erkannt. Vor allem aber rief er zu nicht weniger als den Vorarbeiten für eine spätere Karlstadt-Gesamtausgabe auf: „Massen ich dieselben und alle curiöse Liebhaber der antiquität darum publico Reipub. Christianae et literariae nomine höchlich ersucht/ und gebeten haben wil/ damit dermahleins auch seine Schrifften völlig colligiret/ und durch den Druck der Nachwelt mit getheilt werden können.“52
Zwei Namen säumen den Weg in Richtung eines Werkverzeichnisses.53 Zunächst veröffentlichte Georg Christoph Kreysig 1757 in den „Dreßdener Gelehrte[n] Anzeigen“ in mehreren Fortsetzungen ein „Verzeichniß aller Schrifften D. Andreae Bodensteins von Carlstadt“.54 Kreysig – der namentlich nicht hervortrat55 – äußerte sich ablehnend über alle früheren Biographen Karlstadts. Diese wollte er zunächst nicht benennen56, führte sie aber schließlich doch auf 57. Sein Widerspruch galt im besonderen dem Beitrag von Thomasius. Gegen ihn pochte Kreysig abermals auf eine Seltenheit der Drucke, hielt eine Suche in Basel für aussichtslos, weil er von einer lokalen Zensur zu Lebzeiten Karlstadts ausging, und mißverstand Thomasius’ Vision einer Karlstadt-Edition als eine verlegerische Mißgeburt seiner Gegenwart: „da der Autor den Leser bereden wollen, daß sich ein Verleger zu Carlstadts Schrifen gefunden: und hat solche nicht alle gewust noch gehabt.“58 Im ganzen konnte Kreysig das Verzeichnis von Thomasius jedoch ausweiten; und akribisch vermerkte er auch die Fundorte der ihm bekannten Exemplare. Unabhängig von Kreysig, der im Jahr nach der Veröffentlichung starb, nahm der Altdorfer Theologe Johann Bartholomäus Riederer59 das „Vorhaben [auf], publicis etc. dasjenige suppliren wolten/ was an dieser Beschreibung annoch mangelt/ und von seinen Schrifften/ so der sel. Carolstadt bey Ihnen heraus gegeben/ uns alhier nachricht erthei len.“ 52 Ebd., S. 235 f. 53 Nicht weiterführend war hier Gerdes. Er setzte Thomasius zwar voraus, vgl. dazu Gerdes, Karlstadt 1749, S. 6, Anm. a, nahm sich der Aufgabe einer bibliographischen Vertiefung aber nicht an. Was er selbst 1739, 1740, 1747 und 1763 bot (jeweils: Gerdes, Karlstadt), war gegenüber Thomasius eklektisch. 54 Kreysig, Verzeichnis. Zu Kreysig (teils auch unter Kreyßig oder Kreyssig) s. Meusel, Art. Kreysig (für weitere Referenzen s. DBA, T. 1, Fichenr. 709, S. 413–421). 55 Die Auflösung des Pseudonyms „K. v. D.“ gelang Riederer, Versuch, S. 474. 56 Kreysig, Verzeichnis, Sp. 43 f.: „Dreyzehn Gelehrte haben dergleichen [Biographien] von ihm schon verfertiget, aber seine Schriften darzu wohl nicht gelesen, das doch sehr nöthig gewesen wäre […]. Ich will solche Lebens=Beschreibungen nicht eher specificiren, als biß es von mir verlangt wird; denn es mögte vielen zu trocken und nicht reitzend vorkommen, ohnerachtet ich weiß, daß manchem ein groser Gefallen dadurch geschehen mögte.“ 57 Ebd., Sp. 138–140. Vertiefungen bieten die Nr. 1, 3, 5, 8 f., 11 f. 58 Ebd., Sp. 45. 59 Zu Riederer vgl. Doering, Art. Riederer (für weitere Referenzen s. DBA, T. 1, Fichenr. 1035, S. 339–369). Unter den jüngeren buchwissenschaftlichen Arbeiten s. bes. Jürgensen, Norica, T. 1, S. 65 f.; T. 2, S. 1333.
14
Einleitung
analecta Carolostadiana zu sammeln“60. Die Initiative dürfte Teil einer weit umfassenderen Unternehmung gewesen sein. Über seine eigene Bibliothek hieß es posthum: „Die darin befindlichen Autographen Luthers und mehrerer seiner gelehrten Zeitgenossen wollte Riederer zur Herausgabe einer kritischen Bibliothek der Reformations=Urkunden benutzen. Indeß kam weder dieser Plan, noch die von ihm beabsichtigte vollständige Sammlung von Luthers Briefen zur Ausführung.“61
Riederer starb 1771 gerade fünfzigjährig. In welcher Intensität sich Riederer Karlstadt im Rahmen seiner reformationsgeschichtlichen Forschungen angenähert hatte, illustrieren auf beeindruckende Weise seine Studien zu den frühen Wittenberger Thesenreihen. Riederer war es darin 1767 gelungen, in einem Sammeldruck die als verloren geltenden 151 Thesen Karlstadts vom April 1517 zu identifizieren.62 1769, zwei Jahre vor seinem Tod, legte Riederer den „Versuch eines vollständigern Verzeichnisses von Andr. Carlstadts Schriften“ vor. Beiläufig verweist Riederers Einleitung auf die zeitgeschichtliche Relevanz einer kritischen Karlstadt-Forschung: „Dieses von guten und schlimmen Eigenschaften bekannten Mannes Schriften werden in unsern Zeiten immer wichtiger, da mancher so gar geneigt ist, denselben über die Gebür und mit Herabsetzung Lutheri zu erheben.“63 Ohne Bezug auf Kreysig, der Sache nach aber klar gegen diesen und für Thomasius votierte Riederer hinsichlich der Seltenheit der Schriften: „Manche darunter sind jedoch gar nicht selten; manche sind weniger selten, da sie zwey bis dreymal, oder noch öfter aufgelegt worden sind; manche hat man auch in neuern Zeiten wieder abdrucken lassen.“64 Ausdrücklich widersprach Riederer Kreysigs Annahme einer Basler Zensur gegen Karlstadt65 und konnte erstmals den zentralen Basler Druck, die „Axiomata“ von 1535, anführen66. Zahlreiche Korrekturen galten Kreysigs Liste, die einzelne Titel mehrfach verzeichnet und Veröffentlichungen von Johannes Draco, der ebenfalls aus Karlstadt stammte, Andreas Bodenstein zugewiesen hatte.67 Gewissenhaft zeigte Riederer an, welche Daten von Kreysig er in sein eigenes Verzeichnis übernahm.68 Bevor er diese chronologische Anordnung eröffnete, gab er erstmals Hinweis auf Karlstadts frühe Epigramme69. Riederer war sich der Vorläufigkeit seiner Ergebnisse bewußt, die er unter den bescheidenen Titel eines „Versuch[s]“ 60 Riederer,
Versuch, S. 474. Art. Riederer, S. 594 (DBA, T. 1, Fichenr. 1035, S. 366). 62 Riederer, Disputationen, S. 63 f. 63 Riederer, Versuch, S. 473. 64 Ebd. 65 Ebd., S. 475. 66 S. dazu ebd. und ebd., S. 498 („A. 1535“). 67 Ebd., S. 475 f. 68 Vgl. dazu ebd., S. 479. 69 Ebd., S. 477–479. 61 Doering,
2. Karlstadt-Referenzen zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert
15
stellte, und rief „andere zur Ergänzung“70 auf. Zu den Einzelschriften bot Riederer vorzügliche bibliographische Beschreibungen und detaillierte Verweise auf zeitgenössische Editionen oder Bezugnahmen. Einen guten Zugang eröffnete Riederer zu den disparaten Veröffentlichungen Löschers. Wertvoll ist auch die Übersicht der gedruckten Einzelbriefe, die verstreut erschienen waren.71 Bis zu dem 1904 von Ernst Freys und Hermann Barge vorgelegten „Verzeichnis der gedruckten Schriften des Andreas Bodenstein von Karlstadt“ sollte Riederer die beste bibliographische Referenz für Karlstadt-Texte bleiben.72 Zugleich gab es noch weitere Werkverzeichnisse, wie Andreas Gottlieb Maschs von 1774, die aus anderen kompilatorischen Traditionen und in Unkenntnis der Hauptergebnisse von Thomasius, Kreysig und Riederer erwachsen waren.73 Traten damit biographische Portraits und bibliographische Kompilationen als literarische Gattungen auseinander, suchte sie ein Mann wieder zusammen zu führen. Der Theologe Johann Friedrich Köhler74 veröffentlichte in seinem eigenen Periodikum einen gut 150seitigen Beitrag „Andreas Bodensteins von Karlstadt Leben, Meinungen und Schicksale“75, der die umfassendste Biographie zwischen Thomasius und Barge darstellt, sieht man von Jägers Monographie aus dem Jahr 1856 ab76. 1794 ließ Köhler einen kurzen Anschlußbeitrag „Zusätze zu Andreas Bodensteins von Karlstads Leben“77 folgen, der einleitend auf die Veranlassung der biographischen Studie einging: „Meine Absicht ging […] dahin, ein vollständiges Ganze aus den glaubwürdigsten Nachrichten zu entwerfen, und sowohl den Charakter des nicht ganz durch seine Schuld so 70
Ebd., S. 479. Ebd., S. 498 f. 72 Freys/Barge, Verzeichnis, arbeitete – neben zahlreichen anderen Referenzen – auch Hinweise auf Riederer gezielt ein. 73 Masch, Verzeichnis, steht in einer Linie u. a. zu Fabricius, Notitiae, womit Löscher – in einer Riederer, Versuch, vergleichbaren Weise – unter den neueren Referenzen dominierte. Daß indes Kreysig, Verzeichnis, nicht bekannt war, zeigt sich etwa an den zunächst von Thomasius, Karlstadt, S. 241, beigebrachten und dann von Kreysig, Verzeichnis, S. 107, Nr. 37, unter Berufung auf diesen abermals aufgeführten „Loci tres“ (vgl. dazu Riederer, Versuch, S. 486 f., Nr. 32), die bei Masch fehlen, aber auch an den nicht verzeichneten scholastischen Schriften. Nur bei Riederer hätte Masch zudem einen Hinweis auf die „Axiomata“, Riederer, Versuch, S. 498, Nr. 87, finden können, die Masch nicht anführt. Über Riederer wußte Masch immerhin, daß er verstorben war und, Masch, Verzeichnis, S. 607: „eine Nachlese zum Leben Carolstadii der gelehrten Welt versprochen“ hatte. Die Studie Riederer, Disputationen, kannte Masch; s. dazu Masch, Verzeichnis, S. 607 (zu Nr. 1). 74 Zu ihm s. Schnorr von Carolsfeld, Art. Köhler (für weitere Referenzen s. DBA, T. 1, Fichenr. 679, S. 390–396). 75 Köhler, Bodenstein 1792. 76 S. dazu ausführlich in Kap. I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert das Unterkap. 2.5. Carl Friedrich Jägers Carlstadt-Studie (1856) – die erste theologische Monographie zu Karlstadt. 77 Zu dieser Schreibweise des Titels s. Köhler, Bodenstein 1794, S. 239. Das Inhaltsverzeichnis des Bandes kündigt, o. P., grammatikalisch und im Rekurs auf den früheren Beitrag stimmiger an: „Zusätze zu Andreas Bodensteins von Karlstad Leben“. 71
16
Einleitung
übel berüchtigten Mannes, als den Gang seiner Unternehmungen in ein helleres Licht zu setzen“.78
1794 sah er Revisions‑ und Ergänzungsbedarf in Details79, sprach zeitgenössischen Bezugnahmen auf Karlstadt einen gewissen Wahrheitswert zu80 und entfaltete ein differenziertes Karlstadt-Bild exemplarisch an einem längeren Textauszug aus einem mystischen Traktat. Scharfe Kritik übte Köhler an Karlstadts Sprache81, würdigte aber den „entschlossenen, freymüthigen und unerschrockenen Mann, der, wo er Wahrheit zu sehen glaubte, keines Menschen Ansehen, und selbst die Allgewalt des Papsts nicht achtete.“82 Spätestens mit Köhler begegnet ein aufklärerisches Karlstadt-Bild, das den kompromißlosen Kämpfer für die selbst erkannte Wahrheit an der Größe und Grenze der historischen Person aufzuzeigen suchte. Seine literarischen Referenzen hatte Köhler transparent ausgewiesen und bot zu Riederer insofern eine gute bibliographische Ergänzung, als er eigene Literaturlisten kompilierte und annotierte.83 1792 erklärte er es zum mittelfristigen Ziel, ein „Verzeichniß der zahlreichen karlstadtischen Schriften […] mit einer kurzen Anzeige des Inhalts“84 zu verbinden. 1794 erwähnte er das Regestenprojekt einer thematischen und thetischen Erfassung des literarischen Gesamtwerkes nicht mehr. Den Schwerpunkt seiner ersten Bibliographie benannte Köhler in „Quellen und Hülfsmittel[n …], die zur Erläuterung der Lebensumstände und Schicksale Karlstadts dienen“85, den der zweiten mit „gröstentheils seine [Karlstadts] Meinungen und Streitigkeiten erläuterende Schriften“86. Ende des 18. Jahrhunderts lag beides vor: ein Werkverzeichnis, das die verstreuten Einzel‑ oder Teileditionen berücksichtigte, und eine Biographie, die über die jüngere sowie ältere Literatur orientierte. Wer sich an der Schwelle zum 19. Jahrhundert über Karlstadt informieren wollte, griff im besten Fall zu Riederer und Köhler.
78 Ebd.,
S. 239. Ebd., S. 241–253. 80 Ebd., S. 240. 81 S. dazu bes. ebd., S. 253, 261–263. 82 Ebd., S. 259. 83 Köhler, Bodenstein 1792, S. 156–161; Köhler, Bodenstein 1794, S. 264–267. 84 Köhler, Bodenstein 1792, S. 156. 85 Ebd. 86 Köhler, Bodenstein 1794, S. 264. 79
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert Betrachtet man das 19. Jahrhundert unter der Maßgabe einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Karlstadt, so war es ein kurzes Jahrhundert. Noch in die erste Hälfe des 18. Jahrhunderts gehören die durch Gerdes verbreiteten Bezüge auf die Schrift „De canonicis scripturis“, die dem Thema der biblischen Hermeneutik gelten. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden diese Impulse aufgenommen und argumentativ verstärkt. Auch die großen Gesamtdarstellungen zur Reformationszeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnen sich mit Blick auf Karlstadt nicht durch neue Akzente oder weiterführende Archivarbeiten aus. Ein einziges lebens‑ und werkgeschichtliches Portrait findet sich in der ersten Jahrhunderthälfte. Es wurde 1818 in ein Referenzwerk eingerückt und steht ganz in der Tradition von Riederer und Köhler, deren Ergebnisse es inhaltlich reproduzierte und in ein kleineres literarisches Format überführte.1 Ein ausführlicherer Beitrag, der gleichermaßen kompilatorisch Ergebnisse von Riederer, Füßlin und Köhler zusammenführte, blieb nach 1825 ungedruckt.2 1 Es handelt sich um den Beitrag Rotermund, Bodenstein, dessen biographischer Teil auf Köhler, Bodenstein 1792, basiert (augenfällig ist dies im Vergleich von Rotermund, Bodenstein, S. 69, mit Köhler, Bodenstein 1792, S. 3; Rotermunds abschließendes Pausanias-Zitat war einleitend von Köhler gewählt worden). Der bibliographische Anhang wiederholt das Karlstadtsche Werkverzeichnis von Riederer, Versuch. Die Zählung verschiebt sich gegenüber Riederer nur um eine Nummer, die Rotermund selbständig einfügte, Rotermund, Bodenstein, S. 70, Nr. „4. Seine [Karlstadts] Inaugural Disput.[ation] am 25. Oct. 1510. 1 Bog.[en] Fol.[io] es sind scholastisch theolog.[ische] Sätze, die an die Stiftskirche geheftet wurden.“ Die bibliographische Angabe kompilierte Rotermund aus Köhler, Bodenstein 1792, S. 19: „Er [Karlstadt] vertheidigte in dieser Absicht den 25. Oct. 1510, unter Martin Polichs Vorsitz, eine Inauguraldisputation, oder vielmehr nach damaliger Gewohnheit gewisse scholastische Sätze, die zuvor auf einem Bogen in Fol.[io] gedruckt an die Stiftskirche geheftet wurden.“ Rotermund (zu ihm s. am umfassendsten Rotermund, Art. Rotermund [DBA, T. 1, Fichenr. 1058, S. 117–125]) hatte damit nicht schlecht gearbeitet: Er hatte die beiden besten wissenschaftlichen Referenzen konsultiert und literarisch zusammengeführt. Seine Einordnung des Artikels in ein prosopographisches Nachschlagewerk diente einer Popularisierung bereits etablierter Wissensbestände. Diese Transmission zeitigte jedoch nur einen begrenzten Erfolg. Der einzige Karlstadt-Beitrag, der sich im 19. Jahrhundert mit einer positiven Bezugnahme auf Rotermund identifizieren läßt, ist Erbkam, Art. Karlstadt 1857, S. 409; für dessen seinerseits gegenüber Erbkam, Geschichte, verzögerte Wahrnehmung des Rotermund-Portraits s. unten Anm. 375. 2 Archivalisch erhalten hat sich in der UB Freiburg/ Breisgau, Hs. 747 (beschrieben in Hagenmaier, Handschriften, S. 126), ein Manuskript des Esslinger Konrektors Karl Pfaff, das Bl. [1r]: „Andreas Bodenstein von Karlstadt“ überschrieben ist. Wie die Texte des ausgehenden 18. Jahrhunderts gliedert sich Pfaffs Aufsatz in eine Lebensbeschreibung und ein Werkver-
18
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Beide Arbeiten stehen am Ende jenes langen 18. Jahrhunderts, das 1671 mit der Olearius-Edition anbrach und in dem sich eine kritische, quellenbezogene Karlstadt-Forschung aus antiquarischen, apologetischen und aufklärerischen Interessen an Karlstadt entwickelte. Den ersten wirklichen Einschnitt nach der Rückbezogenheit auf Riederer und Köhler markiert eine Aufsatzsequenz von Max Goebel, die 1841 zu erscheinen begann und drei Jahre zuvor konzipiert worden war. Bei ihr setzt dieses Kapitel ein. Ausführlich legt es dar, wie die unmittelbar anschließenden Arbeiten aus einer differenzierten Zustimmung zu oder aus einer dezidierten Ablehnung von Goebels Beiträgen entstanden. Zwischen 1848 und 1856 wurde Karlstadt zunehmend monographisch traktiert. Am Anfang dieses Zeitraums stehen ausführliche Einzelkapitel (wie 1848 bei Wilhelm Heinrich Erbkam oder 1854 bei August Wilhelm Dieckhoff), am Ende das voluminöse Buch von Carl Friedrich Jäger. In den beiden Jahrzehnten nach 1850 erschien zudem eine literarische Vielfalt von Texten, die Karlstadt im Rahmen akademischer Qualifikations‑ oder Gelegenheitsschriften bearbeiteten. Die beiden letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts werden im Zusammenhang geschildert, da größere Beiträge zu Karlstadt nicht mehr vorgelegt wurden. Die kleineren Studien sind aber in ihrem jeweiligen Forschungsprofil zumindest zu skizzieren, bevor sie in ihrer Bedeutung für die monumentale Biographie von Barge 1905 im anschließenden Hauptkapitel nochmals berührt werden. Die meisten der aufgeführten Arbeiten finden sich bei Barge erwähnt. Dies geschieht fast ausnahmslos knapp, ablehnend und beiläufig. Da ein erheblicher Teil der vorzustellenden Beiträge allenfalls durch Barge bekannt sein dürfte, zeichnis. Beide Teile sind von Riederer und Köhler abhängig. Illustrieren läßt sich dies am „Verzeichniß der Schriften Karlstadts“, ebd., Bl. 38r–41r. Dies entspricht bis auf eine Aufnahme den Titeln Riederers; ebd., Bl. 41r, fügt Pfaff nur Nr. „70. Von der Uneinigkeit der Lutheraner 1527. S. oben Note 72“ hinzu. Die betreffende Anm. findet sich ebd., Bl. 34r. Die dort gebotenen Informationen verzichten auf Literaturreferenzen, lassen sich aber – auch in ihrem Wortlaut – eindeutig dem Haupttext von Köhler, Bodenstein 1792, S. 143, zuweisen. Das Gutachten des angefragten Herausgebers, Karl Maria Alexander Freiherr von Reichlin-Meldegg, vom 27. Februar 1829 entbehrt angemessener Sorgfalt und fachlicher Kenntnis. Es lehnte den Beitrag ab und bemängelte u. a., ebd., o. P., daß Pfaff das „Verzeichniß der Schriften Bodensteins […] aus dem unvollständigen Verzeichniß von Riederer abgeschrieben hat“, und führt dagegen „das vollständige Verzeichniß von Kreyßig“ an. Riederer biete „nur 71 literarische Arbeiten“, Kreysig könne „die Zahl von 81 erreichen“. Hätte Reichlin-Meldegg nicht nur die Zahlen verglichen, sondern alleine die Anfängssätze von Riederers Beitrag gelesen, hätte er erkennen müssen, daß Riederer Kreysig vorausgesetzt und korrigiert hatte. Die Ablehnung des Beitrages war irrelevant. Das Journal „Schriften der Gesellschaft für Beförderung der Geschichtskunde zu Freiburg im Breisgau“ überlebte nicht seinen ersten Jahrgang. Pfaffs Anschreiben vom 3. August 1828, ebd., o. P., erklärte, den Text „schon vor 2 Jahren“ geschrieben und zunächst „fürs teutsche Museum bestimmt“ zu haben. Das ebenfalls in Freiburg von Ernst Münch herausgegebene „Teutsche […] Museum“ war nur 1824 und 1825 erschienen. Ernst Münch fungierte als Sekretär der Freiburger „Gesellschaft für Beförderung des Studiums der Geschichte“, die 1828 den Versuch unternahm, ein neues Periodikum zu begründen; zu diesem persönlichen Bezug s. den Eröffnungsjahrgang, o. P. („Vorbemerkung“).
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
19
wird auf dessen jeweiliges Urteil einleitend oder abschließend rekurriert. Für das chronologische Anordnungsmuster der behandelten Autoren gilt, daß die Forschungstendenzen aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, die nicht eigenständig darzustellen sind, in diejenigen späteren Zusammenhänge integriert werden, in denen sie literarisch aufgegriffen oder diskutiert wurden. So wird beispielsweise Rankes epochale, für Karlstadt aber weder durch spezifische Quellenarbeit noch durch signifikante Darstellungsaspekte einschlägige Reformationsgeschichte nicht in einem eigenen Kapitel behandelt, wohl aber in ihrer jeweiligen Bedeutung für mehrere der nachfolgenden Autoren (Goebel, Erbkam und Labes).
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848) 1.1. Max Goebels Aufsatzsequenz in den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ (1841–43) – Karlstadt als Sinnbild einer frühen Einheit reformierter und lutherischer Impulse Aus Goebels zentralen Beiträgen zu Karlstadt werden zunächst wichtige Selbstauskünfte zur Genese der Texte erhoben. Es folgt eine Kontextualisierung innerhalb der Lebens‑ und Werkgeschichte, in deren Zentrum eine große Monographie von 1837 steht. In ihr war bereits das Thema angelegt, das die Aufsatzsequenz der vierziger Jahre bearbeitete. Ein Vergleich mit Goebels Früh‑ und Spätwerk schließt sich an, bevor Barge auf seine Bezüge zu Goebel hinterfragt wird. 1.1.1. Textgenetische Hinweise Die drei Aufsätze von Max Goebel erschienen zwischen 1841 und 1843 in den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ und bilden thematisch, konzeptionell und publizistisch eine klare Einheit. Der Eröffnungsbeitrag stellte die Bezüge zwischen Karlstadt und Luther in den Vordergrund, indem er „Andreas Bodenstein, von Carlstadt, nach seinem Charakter und Verhältniß zu Luther“ zu profilieren suchte.3 Die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden bestimmt die beiden Folgeaufsätze. Zunächst ging „Andreas Bodenstein’s von Carlstadt Abendmahlslehre“ in diese Richtung, dann „Luthers Abendmahlslehre vor und in dem Streite mit Carlstadt“.4 Der erste Text wählte einen in sich geschlossenen lebensgeschichtlichen Rahmen und endet mit zeitgenössischen Erinnerungen an Karlstadt nach dessen Tod5. Bereits einleitend wurde aber eine mögliche Fortsetzung durch „eine genetische Darstellung der Abendmahlslehre Carlstadt’s“6 angekündigt. Der nächste Beitrag erklärte ebenfalls zu Beginn: „Die hier folgende Darlegung der Abendmahlslehre Carlstadt’s schließt sich auf das engste an an die […] gegebene
3 Goebel,
Carlstadt 1841. Carlstadt 1842; ders., Carlstadt 1843. 5 Goebel, Carlstadt 1841, S. 114. 6 Ebd., S. 88. 4 Goebel,
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
21
‚Schilderung Carlstadt’s […]‘ und bildet eigentlich nur die Fortsetzung dieses Aufsatzes.“7 Die aufschlußreichsten Ausführungen bietet der letzte Teil: „Die hier folgende Abhandlung ist gleichzeitig mit der über Carlstadt und seine Abendmahlslehre […] schon im Jahre 1838 geschrieben, vier Jahre nachher aber nicht nur vervollständigt, sondern auch völlig umgearbeitet worden. Sie soll das Gegenbild und die nothwendige Ergänzung der Darstellung der Lehre Carlstadt’s und dadurch einen zweiten Beitrag zur Geschichte des Abendmahlsstreites liefern. Sie geht daher auch absichtlich nicht weiter als 1525, bis zu welcher Zeit auch Luther seine Lehre unveränderlich fixirt, so wie auch vollständig entwickelt hat.“8
Die drei Aufsätze geben sich als Teile eines Manuskriptes zu erkennen, das Goebel 1838 erarbeitet hatte. Der dritte Text wurde stark redigiert; für die beiden früheren gilt dies nicht zwangsläufig9. Nicht weniger wichtig ist der Hinweis, daß das ursprüngliche Manuskript noch umfassender angelegt war. Goebel machte dies 1843 in einer eigenständigen Zählung seiner Abendmahlssequenz deutlich: „Zu einem dritten Beitrag ist bestimmt und bis zur Umarbeitung fertig: Zwingli’s Abendmahlslehre bis zum Streite, wobei auch übergangsweise Melanchthons’s Ansicht besprochen wird. Das Interesse, das ich bei diesen anfangs gar nicht zum Drucke bestimmten Untersuchungen hatte, war, die Reformation [wohl: Reformatoren] in ihren Aeßerungen über diesen Streitpunkt zu belauschen, so lange sie noch unbefangen waren und nur erst zum Bekennen, aber noch nicht zum Streiten über dieses geheimnißvolle Sacrament berufen waren.“10
Der Artikel dürfte nie erschienen sein.11 Das Anliegen des grundlegenden Manuskripts ist jedoch darin zu identifizieren, eine innerreformatorische Pluralität und friedliche Koexistenz unterschiedlicher protestantischer Positionen vor einer doktrinalen Fixierung auf konfessionelle Differenzen aufzuzeigen. 1.1.2. Max Goebels theologisches Profil (bis 1837) Dieses unionistische Anliegen als das große Thema und „eine harmonische Einheit“ „in Goebels Lebensweg, seine[r] kirchenpolitische[n] Wirksamkeit 7 Goebel,
Carlstadt 1842, S. 329. Carlstadt 1843, S. 314 f. 9 Einen Anhaltspunkt für den Charakter der Redaktion liefert Goebels Umgang mit dem 1839 erschienenen zweiten Band von Rankes „Deutsche[r] Geschichte im Zeitalter der Reformation“ (Ranke, Reformation). Dieser wurde nur in den Anmerkungstext des Eröffnungsaufsatzes eingearbeitet; dort heißt es, Goebel, Carlstadt 1841, S. 90, Anm. a: „Ranke’s treffliche Darstellung der Unruhen in Wittenberg […] kam mir erst nach Vollendung meiner Arbeit in die Hände, welche ich absichtlich ganz unverändert ließ.“ 10 Goebel, Carlstadt 1843, S. 315. 11 Weder in den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ noch anderswo ließ sich ein entsprechender Beitrag identifizieren. Ebenfalls nicht bibliographiert wurde er von Goeters, Goebel, S. 19. 8 Goebel,
22
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
und seine[n] historischen Arbeiten“12 aufgewiesen zu haben, ist das Verdienst J. F. Gerhard Goeters’. Dessen „biographische Skizze“ von 1959 ist nach wie vor grundlegend, wie auch der „Plan einer umfassenden biographischen und theologisch-historischen Würdigung des verdienten Mannes“13 noch immer einer Realisierung harrt.14 Bereits den Vater, Wilhelm Goeters, hatte die „Absicht, das Goebelsche Werk zu erneuern, […] sein Leben lang beschäftigt, dessen Erträgnisse hat aber der Krieg zunichte gemacht.“15 Um so wertvoller sind die Ausführungen von J. F. Gerhard Goeters zum Leben und den theologischen Einflüssen auf Goebel. Goebel wurde 1811 in ein Elternhaus geboren, in dem der Vater reformiert und die Mutter lutherisch war.16 „[N]ominell“ war der Sohn reformiert, „innerlich war die konfessionelle Spaltung bereits überwunden, indem die Eltern gemeinsam abwechselnd zum Abendmahl der reformierten und der lutherischen Gemeinde gingen.“17 Während seines Bonner Theologiestudiums wurde er als „Pflegesohn“ in das Haus von Karl Immanuel Nitzsch aufgenommen.18 Von dem Schleiermacher-Schüler tief geprägt, wechselte er auf dessen Betreiben zu Schleiermacher nach Berlin, scheint dort aber eher Anschluß an Hengstenberg gewonnen zu haben.19 Zeitlich nicht näher zu bestimmen ist, wann Goebel, zurück in Bonn, näheren Kontakt zu Karl Heinrich Sack fand.20 Der neben Nitzsch prägendste Lehrer wurde im Wittenberger Predigerseminar zwischen Ostern 1834 und Weihnachten 1835 Richard Rothe.21 In diese Zeit fallen die Vorarbeiten22 zu Goebels Erstlingswerk „Die religiöse Eigenthümlichkeit der lutherischen und der reformirten Kirche. Versuch einer geschichtlichen Vergleichung“.
12 Ebd.,
S. 17. S. 3. 14 Zur RGG3 steuerte Goeters, Art. Goebel, den letzten Goebel-Artikel zu einem der großen theologischen Referenzwerke bei. Die RGG4 verzichtet ebenso wie die TRE auf einen Eintrag, was durchaus repräsentativ für die nachlassende Beachtung Goebels in der Pietismusforschung ist. Wissenschaftsgeschichtlich sensibel ist Wallmann, Grundunterscheidung, S. 22, und Wallmann, Aufsätze 3, S. 2. 15 Goeters, Goebel, S. 2. 16 Ebd., S. 3. 17 Ebd. Vgl. hierzu auch direkt Goebel, Eigenthümlichkeit, S. XVI f.: „Ich stehe nämlich […] als Christ und als Theologe im eigentlichsten Sinne des Wortes in beiden Kirchen. […] Ich selbst bin aus einer gemischten Ehe entsprossen, jedoch reformirt getauft, und habe von der frühesten Jugend an in Cöln in einer nicht nur stets innerlich einigen und vereinigten, sondern auch äußerlich combinirten, und noch vor meiner Aufnahme in dieselbe durch die Confirmation, förmlich unirten evangelischen Gemeinde gelebt.“ 18 Goeters, Goebel, S. 3. 19 Ebd. 20 So dürften die Hinweise ebd., S. 4, aufzulösen sein. 21 Ebd., S. 4 f. 22 Ebd., S. 5. 13 Ebd.,
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
23
Das 1837 erschienene Buch widmete er den „theuern und verehrten Lehrern“ Nitzsch und Rothe.23 Das an Luthers Geburtstag „im dreihundertsten Jahre nach der Wittenbergischen Vereinigung“, also Ende 183624, unterzeichnete Vorwort25 führt den reformationsgeschichtlichen Schwerpunkt des Bandes auf die thematische Begrenzung von Rothes „Vorlesungen über die Geschichte des religiösen Geistes und Lebens in der christlichen Kirche“ zurück, die vor der Reformation abbrachen.26 Den „religiösen Geist der Reformation und der folgenden Jahrhunderte“ habe Goebel daher „aus eigener Forschung zu verstehen“ gesucht.27 Goeters charakterisierte die daraus erwachsene Monographie als eine „primär […] historische Arbeit“.28 Diese sei „[e]ntsprechend [Goebels …] Unionsauffassung, daß die geschichtlichen Konfessionen einander nicht aufsaugen sollten“, als „eine gerechte Konfessionsvergleichung eine Sache des Herzens und zugleich zwingender Notwendigkeit“ gewesen.29 Goebel widmete sein Werk Nitzsch und hob auf dessen Beispiel ab, „daß man beiden evangelischen Kirchen gemeinsam angehören kann“.30 Für sich betonte Goebel, „am liebsten ein ächter Lutheraner und ein ächter Reformirter zugleich, und vor allem ein ächter Christ“ sein zu wollen.31 1.1.3. Karlstadt in Goebels „Die religiöse Eigenthümlichkeit der lutherischen und der reformirten Kirche“ (1836/37) Dieses Ideal bestimmte die Monographie von 1837 im ganzen. Einleitend erklärte es Goebel zum „Zweck“ seiner „Untersuchung“, zur „Verständigung über beide Kirchen behufs gegenseitiger Anerkennung, und behufs ihrer Ausbildung zur Union“ beitragen zu wollen.32 Kirchenpolitisch schloß sich Goebel zurückhaltend dem Ansatz der Preußischen Union an33, vor allem aber suchte er eine grundlegende Orientierung über die historischen und systematischen Differenzen zwischen den protestantischen Konfessionen. Diese zu bestimmen und
23 Goebel,
Eigenthümlichkeit, S. [III]. den Jubiläen s. ebd., S. [IX]. Knapp und nüchern in der Datierung s. das Ende der eigentlichen „Vorrede“, ebd., S. XXIV: „Cöln, im November 1836.“ 25 Ohne diese Bezeichnung (unter eigener Überschrift steht nur die folgende „Vorrede“) ebd., S. [X]. 26 Ebd., S. [VI]. 27 Ebd. Präziser zur konkreten Veranlassung und Ausarbeitung des Textes wird die „Vorrede“ ebd., S. XI. 28 Goeters, Goebel, S. 13. 29 Ebd. 30 Goebel, Eigenthümlichkeit, S. [VIII]. 31 Ebd., S. XXIV. 32 Ebd., S. 10. 33 Ebd., S. 10 f.; S. 317, Anm. *. Ohne eine Erwähnung von Goebel s. Goeters/Mau, Union. 24 Zu
24
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
„für gebildete Laien, und vorzüglich für Repräsentanten unserer Gemeinden,“34 nachvollziehbar zu schildern, war die Aufgabe des Buches. In dieser Betonung eines laienchristlichen Elementes ist – im Rekurs auf Goebels eigene Konfessionstypologie – ein reformierter Impuls zu identifizieren, den Goebel in seiner größten, auch frauenemanzipatorischen Konsequenz im „Gemeindeleben in reformirten Ländern“ realisiert sehen wollte.35 Gleiches gilt für die „beruhigende, versöhnende Tendenz“36 von Goebels Studie, die mit einem weiteren der herausgearbeiteten reformierten Wesenszüge korrespondiert: „Dergleichen Friedensvorschläge kamen unaufhörlich und fast ausschließlich von reformirter Seite her, auf welcher also stets eine irenische (friedensstiftende) Tendenz war“.37 Die „Differenz“38 in der Abendmahlsfrage gestand Goebel ein, suchte sie jedoch auf eine „theologische […] und kirchliche […], nicht aber christliche“ zu reduzieren.39 Die Hervorhebung doktrinaler und institutioneller Verfassungsstrukturen entsprach Goebels Charakterisierung des Luthertums, das er durch „eine dogmatische Reformation der Kirche“40 innerlich erneuert als eine „ihrer äußeren Erscheinung nach […] gleichsam […] veredelte katholische Kirche“41 beschreiben konnte. „In der reformirten Kirche wurde dagegen, durch consequente Anwendung ihres Grundsatzes vollständiger Schriftgemäßigkeit, alles in der Schrift nicht Enthaltene verworfen […] und die heilige Schrift blieb nicht nur Glaubensnorm, sondern ward auch objectiv bindende Sittennorm, Cultusnorm, Verfassungsnorm, und die Reformation daher wesentlich auch eine Sittenreformation, eine Cultus= und Verfassungsreformation, und weniger eine Reformation der Kirche als eine Renovation des Christenthums.“42 34 Goebel, Eigenthümlichkeit, S. XIV. Einen vergleichbaren Adressatenbezug bietet auch ebd., S. XIX. 35 Für das Zitat im Zusammenhang s. ebd., S. 208 f.: „Die völlige Emancipation der Laien hat sich aber auch bis zu klar bewußter christlicher Selbstständigkeit der Frauen ausgebildet, deren bedeutender Einfluß auf das Gemeindeleben in reformirten Ländern nicht zu verkennen ist“. 36 Ebd., S. XII. 37 Ebd., S. 299. 38 Ebd., S. 301: „Wir erkennen also bei den Reformatoren und ihren wahren Nachfolgern nicht nur die wesentliche Differenz überhaupt vollkommen an […]. Auch können wir sehr gut erklären, begreifen und entschuldigen, daß Luther und die Lutheraner wegen dieser, allerdings eigentlich nur theologischen und kirchlichen, nicht aber christlichen Differenzen, die Reformirten überhaupt als christliche Brüder nicht anerkennen wollten“. 39 Im Zusammenhang s. ebd., S. 297: „Die Reformirten sahen, von Anfang an bis auf die neuesten Zeiten, in den Lutheranern immer nur Brüder, die im Ganzen mit ihnen übereinstimmten und gleichgesinnt waren, und außerdem noch eine, nicht gerade schlimme, lutherische Eigenthümlichkeit hatten, welche man bei einer etwaigen Vereinigung entweder leicht übersehen und tragen, oder auch anerkennen und beibehalten könne, da ja durch dieselbe der gemeinsamen reformirten, biblischen Eigenthümlichkeit kein Eintrag geschehe“. 40 Ebd., S. 124. 41 Ebd., S. 175. Vergleichbar ist auch ebd., S. 178: „An dieser auf diese Weise verbesserten katholischen Kirche (wie Luther sie viel lieber genannt sah, als nach seinem Namen: lutherische Kirche) hielten die Lutheraner nun aber fast eben so fest, wie römische Katholiken an ihrer Kirche“. 42 Ebd., S. 125.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
25
Die von Goebel seiner Konfessionstypologie zugrundegelegte Unterscheidung zwischen Lehre und Leben hatte unverkennbar einen pietistischen Hintergrund43 und wurde auch am Beispiel Speners in eine höhere Einheit überführt: Dieser sei „ein ächter und entschiedener Lutheraner“44 gewesen, zugleich aber für eine „ächt reformirte Strenge in Bezug auf die Auffassung und Befolgung der positiven biblischen Moralgesetze“45 eingetreten. Pietistisch vermittelt befürwortete Goebel eine reformierte „Sittenreformation“46 des Luthertums, die von der Gemeindebasis her unionistisch zu realisieren sei. So ausgleichend Goebel zwischen den protestantischen Konfessionen zu wirken suchte, sind seine Bewertungskriterien doch klar der reformierten Tradition zuzuweisen. Dieser schrieb er auch die theologische Zentralleistung zu, „das positive Schriftprincip, die Anerkennung des Wortes Gottes als unbedingter, positiver Norm und Quelle des christlichen Glaubens und Lebens“47, konsequent realisiert zu haben. Genetisch sei dieser Ansatz zwar auf Luther zurückzuführen48, entfaltet worden sei er aber – gleichermaßen von unten – durch „so Viele […] Gemüther“49, die ihren Repräsentanten in Zwingli fanden. Der Gesamtansatz von Goebel ist äußerst vielschichtig. In strukturellen Parallelen zeigte er Gemeinsamkeiten und Unterschiede der „beiden Reformationen und Kirchen“50 auf. „Luther’s Reformation“ sei ihrem politischen Hintergrund nach „monarchisch“51 und in der „Art und Weise“ ihres „Verfahrens […] conservativ, regressiv, defensiv, allmählich“52 gewesen. Die „reformirte Reformation“ hingegen habe von Anfang an für „demokratische“53 und „republikanische“54 Elemente gestanden und sei in ihrem strategischen Vorgehen „radikal, progressiv, offensiv, durchsetzend“55 gewesen. Seit jeher habe „die reformirte Kirche“ einen 43 Andeutungsweise hierfür s. ebd., S. 284: „Luther wird daher mit Recht ein Reformator der Lehre, Spener ein Reformator des Lebens […] genannt.“ 44 Ebd., S. 283. 45 Ebd., S. 288. Die Verbindung suchte Goebel genetisch nachzuweisen, ebd., S. 285: „Spener selbst war wesentlich von reformirtem Einflusse berührt“. Diese These wurde von Wilhelm Goeters aufgegriffen und wird heute von Wallmann differenziert vertreten. Alands Versuch, einen Gegenbeweis zu führen, dürfte als gescheitert anzusehen sein; vgl. dazu Wallmann, Aufsätze, S. 353 f. 46 Goebel, Eigenthümlichkeit, S. 286 f. 47 Ebd., S. 70. 48 Ebd., S. 52: „Mag daher auch die schweizerische Reformation mit Recht ihre ersten Anfänge noch über Luther hinaus datiren, so wird doch niemals geläugnet werden können, daß die Reformation, die überall wirklich gelungen ist, erst durch Luther angefangen worden ist. Darum heißt auch Luther mit vollem Recht in jeder Beziehung der erste Reformator.“ 49 Ebd., S. 70. 50 Ebd., S. 48. 51 Ebd., S. 38. 52 Ebd., S. 125. 53 Ebd., S. 39. 54 Ebd., S. 125: „die reformirte [Reformation hat] das republikanische Princip der Bewegung und Agilität durchzuführen gesucht.“ 55 Ebd.
26
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
„politischen“ und „kirchlich[en]“ „Liberalismus“56 vertreten, weshalb auch die Entwicklung moderner Demokratien „wesentlich“ mit der „Verbreitung ihrer Ideen“57 zusammenhinge. Lutheraner hätten hingegen politisch weitaus zögerlicher agiert.58 Personifiziert spitzte Goebel diese Unterschiede auf Luther und Zwingli zu.59 Einheit und Vielfalt der Reformation sah Goebel einerseits in den Werken, andererseits in den Naturellen der beiden Männer angelegt. Während „Luther als Reformator immer allein und selbstständig handelte“, sei Zwingli der „Repräsentant der allgemein verbreiteten, aber auch sehr zertheilten reformatorischen Bewegung“60 gewesen. Diese exklusive Spezifik Luthers und die inklusive Zwinglis machte Goebel an einer ansatzweise entfalteten Seelenlehre deutlich. Luther sei ein „Gemüthsmensch“61 gewesen, der „sobald er mit der ganzen Kraft seines Herzens eine Wahrheit erfaßt und sie seinem Verstande klar gemacht hat, für jede andere Auffassung derselben Wahrheit keinen Sinn mehr“ hatte.62 Zwingli indes, der „Verstandesmensch“63, habe „alle ihm vorkommenden Erscheinungen vorzugsweise und zuerst immer mit seinem Verstande [erfaßt], der bei ihm, seiner Klarheit, Festigkeit und Kraft wegen, bedeutend vorherrscht vor den andern Seelenthätigkeiten, und von seinem Gemüth oft getrennt erscheint“64.
Darin habe Zwingli „an Consequenz, an Mäßigung und Vorsicht den hierin lange nicht so fehlerfreien Luther weit übertr[offen]“.65 In diesen Portraits lehnte sich Goebel, wie er in einer Anmerkung kurz vermerkte, „größtentheils an die treffliche Vergleichung Hagenbachs […] an.“66 Liest man den korrespondierenden Abschnitt des Basler Kirchenhistorikers Karl Rudolf Hagenbach, so lassen sich charakteristische Elemente, auch der Reformationstypen, auf den Schleiermacherschüler67 zurückführen. Besonders 56
Ebd., S. 46. S. 42. 58 Ebd., S. 46. Zusammenfassend s. ebd., S. 196: „So wie die lutherische Kirche in ihrer äußeren Erscheinung, das monarchische Princip der Einheit und der […] Einschränkung, die reformirte dagegen das republikanische Princip der Manchfaltigkeit und der Freiheit repräsentirt“. 59 Ebd., S. 48 f.: „Wir müssen hier vor allem auf Luther und Zwingli einen Blick werfen, die wir als die Träger der großen Bewegungen und die Repräsentanten der beiden Richtungen ansehen können“. 60 Ebd., S. 49. 61 Ebd. 62 Ebd., S. 50. 63 Ebd., S. 49. 64 Ebd., S. 50. 65 Ebd., S. 50 f. 66 Ebd., S. 50, Anm. *. 67 Zu Hagenbach und dessen – von einer eigenständigen Herder-Lektüre motivierten –Weg in die Theologie und zu Schleiermacher vgl. kurz Kessler, Klassiker, T. 1, S. 2. Ausführlicher s. Kessler, Herder-Rezeption. 57 Ebd.,
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
27
auf die politischen Unterschiede in den Prägungen der beiden Reformatoren hatte Hagenbach bereits hingewiesen.68 Anders hatte er aber deren seelische Veranlagungen akzentuiert: „Luther hatte nicht mehr Gemüth (denn Verstand und Gemüth waren bei Zwingli im schönsten Gleichgewicht), sondern mehr Phantasie, als Zwingli, mehr Schwung des Geistes; Zwingli aber hatte in den einzelnen Fällen ein festeres, sichreres Urtheil. Er war nüchterner und besonnener und offenbar freier von Vorurtheilen […]; und wenn Luther nicht selten an die Schwärmerei streifte, […] so bleibt Zwingli immer in den Schranken der Mäßigung. […] Luther war eine durch und durch deutsche Natur, Zwingli ein ächter Schweizer.“69
Goebel überführte diese Elemente in ein offeneres, die jeweiligen Stärken und Schwächen ausgeglichener abwägendes Schema, das die nationaltypologische Grundierung ebenso zurücksetzte wie Hagenbachs Anschluß an Lavaters physiognomische Studien, die Zwinglis „durchdringenden Verstand“70 illustrativ belegen sollten. Zugleich trug Goebels Deutungsmuster die intendierte Union in sich: Wie Herz und Verstand eines ganzen Menschen gehörten auch Luther und Zwingli für das Christentum zusammen. Karlstadt stand in Goebels Konzeption für die anfängliche Inklusion eines reformierten Prinzips in die Wittenberger Reformation und eine nachfolgende Exklusion71 durch Luther. Goebel identifizierte in Karlstadts reformatorischem Frühwerk das „reformirte […] Schriftprincip, welches […] die biblische, apostolische Kirche […] wiederherstellen und erneuern wollte“72. Indem sich Luther dem „auf’s entschiedenste widersetzt“ habe, sei „die lutherische Reformation gewisser Maßen auf halbem Wege stehen geblieben […], und [habe] das Schriftprincip nur theilweise angewendet“.73 In Luthers Streit mit Karlstadt wollte Goebel die erste „entschiedene Verwerfung des reformirten Principes“ ausmachen, die zur Kontroverse mit den Schweizern und der „entschiedenste[n]
68 Hagenbach, Reformation, S. 105 f.: „Beide können als Repräsentanten ihres Volkes gelten. […] Luther, in monarchischen Verhältnissen lebend, Zwingli ein Sohn der Republik. […] Zwingli, unterstützt von einer liberalen Regierung“. Vgl. dazu Goebel, Eigenthümlichkeit, S. 49: Man kann „Luther und Zwingli als die Repräsentanten ihres Volkes und der unter ihnen herrschenden Gesinnungen betrachte[n]“. 69 Hagenbach, Reformation, S. 105. 70 Ebd. 71 Vgl. hierfür zunächst Goebel, Eigenthümlichkeit, S. 38: „So blieb Luther’s Reformation, nach dem sie die radikalen und fanatischen Bewegungen Carlstadt’s, der empörten Bauern und der Wiedertäufer ausgestoßen, und mit aller Gewalt des Wortes und des Schwerdtes unterdrückt hatte, stets in den Gränzen der Monarchie, und sie selbst in Bezug auf den Staat eine monarchistische, in Bezug auf das Kirchenregiment eine hierarchische.“ 72 Ebd., S. 102. Vgl. dazu auch ebd., S. 105, zu Karlstadts Wittenberger Reformen: „alles unter ausdrücklicher Berufung auf die heil.[ige] Schrift, ganz wie die Reformirten es in der Schweiz ohne viel Aufsehen thaten“. 73 Ebd., S. 102.
28
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Lossagung Luthers von denselben“ geführt habe.74 Deutlich erkennbar wird an dieser Qualifizierung Karlstadts, daß die beiden Reformationstypen – der lutherische und der reformierte – für Goebel keineswegs gleichwertig waren75, sondern unterschiedliche Konsequenzen im Umgang mit dem Schriftprinzip markierten. Karlstadt war nach Goebel von Luther „unterdrückt, aber nicht widerlegt“76 worden. Die äußere Lebensgeschichte interpretierte Goebel als geradezu symbolischen Ausweis für seine These einer Gleichsetzung von Karlstadts Position mit dem reformierten Prinzip: „die Schweizer [haben Karlstadt] als einen der Ihrigen wohlwollend aufgenommen […], bei welchen er auch, im Ganzen ruhig und zufrieden, bis an sein Ende gelebt hat.“77 Gegenüber Luther postulierte Goebel zudem eine zeitliche Priorität von Karlstadts zentralen theologischen Konsequenzen: Karlstadt sei „gewöhnlich voran[gegangen], als der raschere, kühnere, entschiedenere.“78 Festmachen wollte Goebel dies für das Schriftprinzip an den 380 Thesen des Jahres 151879, an der Gelübdekritik und den praktischen Reformen an der Allerheiligenkirche80. Luthers Ablehnung von Karlstadts Wirksamkeit suchte Goebel durchaus einfühlsam zu erklären, indem er ohne ausdrücklichen, aber im erkennbaren Anschluß an die Invocavit-Predigten ausführte, Luthers „subjektive Sache [sei] Sache des Volkes“ geworden, doch „sollten die Gewissen […] völlig frei bleiben, nichts mit äußerlicher Gewalt, alles durch innerliche Ueberzeugung geschehen; er vertraute […] auf die innere Kraft der göttlichen Wahrheit, durch welche mit der Zeit, allmählig, unter verschiedenen äußern Formen, auf die es ihm nicht ankam, von Neuem eine wahre, allgemeine, christliche Kirche entstehen werde“.81
Als zeitlichen Wendepunkt in Luthers Entwicklung benannte Goebel das Jahr 1522, ab dem Luther mehr situativ reagiert als eigeninitiativ agiert habe.82 Auch in Karlstadts Werk diagnostizierte Goebel einen Bruch, indem „Carlstadt […] früher, ganz consequent, in Orlamünde“ als Laie aufgetreten war, in Basel aber die „Wiedereinführung der auch von ihm abgelegten Doktorwürde“83 betrieben habe. Goebels Gesamtbild weist große Ähnlichkeiten zu demjenigen Gottfried 74 Ebd.,
S. 103. diese Richtung mochte Goebels formalisierende Bezeichnung als „Reformationsverfahren“ weisen; vgl. dazu ebd., S. 124 u. 126. 76 Ebd., S. 111. 77 Ebd., S. 103 f. 78 Ebd., S. 104. 79 Ebd. 80 Ebd., S. 105. 81 Ebd., S. 107 f. 82 Ebd., S. 130 f.: „So stand Luther noch 20 Jahre lang an der Spitze der von ihm angeregten großartigen Bewegung, aber von 1522 an mehr von ihr getragen und sie vor Verirrung bewahrend, als sie selbst mit sich fortreißend.“ 83 Ebd., S. 199. Zu der mit Blick auf Luther relevanten Unterscheidung einer frühen und einer späten Phase s. grundlegend Kaufmann, Anfang, S. 589–605, und knapp, Kessler, Luther. 75 In
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
29
Arnolds auf, doch muß die Frage nach den von Goebel für Karlstadt konsultierten Literaturreferenzen weithin offen bleiben84. Unzweifelhaft ist ein erheblicher Teil des Gesamtbildes eigener Quellenarbeit geschuldet. Einen Einblick in Goebels Arbeitsweise eröffnet sein durchschossenes, reich annotiertes Handexemplar, das J. F. Gerhard Goeters in der Bibliothek seines Vaters vorfand und dessen handschriftliche Zusätze er „zumeist in Erweiterungen der Quellenbelege und der Literaturstimmen“85 beschrieb. Goeters’ Charakterisierung ist für die Karlstadt betreffenden Einträge mustergültig. Die Zusätze verdeutlichen die Intensität86, mit der Goebel nach der Drucklegung mit Luthers Briefwechsel in der Ausgabe de Wettes87, dem „Corpus Reformatorum“88 84 Goebel, Eigenthümlichkeit, S. 102, bietet in Anm. * eine interessante Zusammenstellung: „Bemerkenswerth ist der Unterschied der Titel, Seckendorfs: Commentarius de Lutheranismo seu reformatione religionis. 1688, und der Reformirten: A. Sculteti Annales evangelii renovati 1618, und Gerdesii historia evangelii renovati 1744.“ Goebel führte die Autoren als Ausweis für das reformierte Schriftprinzip in der älteren Literatur an. Zugleich sind die benannten Werke für Karlstadt einschlägig. Alle drei Literaturangaben sind in der Titelaufnahme von Unschärfen bestimmt: Die Überschriften von Seckendorf und Gerdes sind am Anfang unvollständig, während Scultetus mit „Annales“ statt „Annalium“ verzeichnet wird. Alle Autoren und Werke spielen auch in den Karlstadt-Abschnitten von Arnold eine Rolle und könnten direkt oder indirekt mit diesem in Verbindung zu bringen sein. 85 Goeters, Goebel, S. 2: „In der Bibliothek meines verewigten Vaters Wilhelm G. Goeters fand ich eine Reihe von Büchern aus dem Besitze Goebels. Es sind dies die mit Notizpapier versehenen Handexemplare der Hauptschriften“. Ebd., S. 13 f., führt Goeters über „Die religiöse Eigenthümlichkeit“ aus: „Goebels Handexemplar weist viele Eintragungen auf. Sie bestehen zumeist in Erweiterungen der Quellenbelege und der Literaturstimmen. Eigentliche Korrekturen finden sich kaum. Nur an zwei Punkten sind die Erweiterungen besonders ins Auge fallend, dort wo vom Verhältnis zwischen Luther und Karlstadt und von der reformierten Kirchenzuchtpraxis die Rede ist. Und dies weist auf spätere Arbeiten Goebels hin, deren Entstehung hier ersichtlich ist“. Das Exemplar befindet sich nicht in der Privatbibliothek von Goeters, die als Depositum im LKA, Düsseldorf, aufbewahrt wird (zu korrigieren ist die Angabe von Ulrichs, Art. Goeters, Sp. 1063, der in der RGG4 erklärt, die Goetersche Bibliothek werde in der Landeskirchlichen Bibliothek, Düsseldorf, verwahrt). Interessanterweise ordnete Goeters das betreffende Handexemplar in den Nachlaß seines Vaters ein, der sich im LKA, Düsseldorf, befindet. Für Kopien aus dem Band, der unter der Signatur „7 NL 019 (Goeters, Wilhelm Prof.), 291“ geführt wird, danke ich dem Archivar Ulrich Dühr und der Sachbearbeiterin Tatjana Klein sehr herzlich. 86 Diese Aussage und die in den sieben nachfolgenden Anmerkungen aufgeführten Literaturreferenzen beziehen sich auf die reich annotierten S. 104–111 und S. 303–310 des benannten Handexemplars. 87 S. u. a. ebd., S. 107, 109, 111, 304, 308 (Marginalbemerkungen zum Originaldruck); S. 108– 111; 303–305, 308, 310 (durchschossene Blätter). 88 Einen Anhaltspunkt für die Datierung der Einträge bietet ebd. die S. 105, die in einer Marginalbemerkung auf „Mel. ed. Bretsch XI“ verweist. Der betreffende, von Bretschneider herausgegebene Band des CR erschien 1843. Für Melanchthon griff Goebel zudem auf Koethes Werkausgabe von 1829 zurück; eindeutig nachweisen läßt sich dies für die wörtlichen Entsprechungen von Goebels Handexemplar, S. 306 (durchschossenes Blatt), oben, schließend mit: „was ich nicht gewagt hatte. Köth. p 67“, mit Koethe, Melanchthon, S. 67. Interessant, da für den verlorenen Abschlußteil der Aufsatzsequenz aufschlußreich, sind die redaktionellen Ergänzungen zu Melanchthons Aussage (nach dem Wortlaut der Goebelschen Handschrift): „Das Sacrament hat keinen Nutzen, außer den von Gott angeordneten Gebrauch; und Christus
30
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
und Walch89 arbeitete, Gerdes’ biographisches Portrait von Karlstadt90 einsah und auf Seckendorf 91 zurückgriff. Erkennbar ist zudem das Interesse an jüngerer unionistischer Literatur92 und konfessionsvergleichenden Studien katholischer Theologen93. Nur kleinere sachliche Fehler sind in dem Handexemplar von Goebel korrigiert.94 Über Karlstadt hinaus benannte Goebel eine Vielzahl von Strukturelementen reformierter Traditionen, für die er u. a. einen biblischen „Rigorismus und Purismus“95 anführte, wobei er den Begriff des Puritanismus für die britischen Varianten reservierte96. Zugleich machte Goebel deutlich, wie konsequent er das reformierte Schriftprinzip auf der Seite der Sekten vertreten sah. Über die Zwickauer Propheten konnte er vergleichsweise beiläufig bemerken, daß diese als Kritiker der „allerdings nicht in der Schrift befohlenen Kindertaufe“97 auftraten. Auch „bei allen bedeutenderen Sekten“ suchte Goebel die „noch consequentere Durchführung des gemeinsamen positiven Schriftprincipes“ aufzuweisen.98 Im Ganzen ordnete Goebel Karlstadt dem reformierten Prinzip ebenso nach wie unter, fand in Luthers Verwerfung aber den zentralen historischen Ansatzpunkt, um eine gesamtreformatorische Einheit für die Wittenberger Zeit bis 1522 zu postulieren und die klassische Sicht auf das Sektenwesen geradezu zu invertieren, indem er ihm ein höheres Maß an reformatorischer Konsequenz zubilligte als der Wittenberger Reformation.99 Kirchenpolitisch war dies 1837 nicht ohne ist gegenwärtig, nicht des Brodtes sondern des Menschen wegen“; Goebels handschriftliche Anmerkung qualifiziert dies als einen „(ächt reformirten) Satz“. 89 Ausdrücklich s. ebd., S. 105 f.; 108–111 (durchschossene Blätter); S. 105 (marginal im Originaldruck) oder S. 111 (marginal und interlinear im Originaldruck). Auf Walch dürften sich zahlreiche der sonst mit römischer Band‑ und arabischer Seitenangabe bezeichneten Referenzen beziehen. 90 Ebd., S. 105 (durchschossenes Blatt). 91 Ebd. 92 So ist die Angabe „Hering II, 354. 383 ff. II, 384“ auf ebd., S. 310 (Marginalbemerkung zum Originaldruck), eindeutig aufzulösen durch den 1838 erschienenen Band von Hering, Unionsversuche. Darauf zu beziehen wird auch sein ebd., S. 305 (Marginalbemerkung zum Originaldruck): „Hering II, 188“. 93 So ist der fast eine volle Seite umfassende Text des durchschossenen Blattes, ebd., S. 104, ausgehend von der abschließenden Angabe „Möhler 268 f.“, als ein überwiegend wörtliches Exzerpt von Möhler, Symbolik, S. 268 f., nach der dritten Auflage von 1834 zu identifizieren. 94 Ebd., S. 105, hatte Goebel etwa Karlstadt 1521 f. als Probst der Allerheiligenkirche vorgestellt. Dies vermerkte er interlinear mit einem Fragezeichen und notierte am Rand: „er selbst sagt Archidiaconus W[a]lch XV, 2428“. 95 Goebel, Eigenthümlichkeit, S. 149; weiter in größerer Ausführlichkeit ebd., S. 145–158. 96 Vgl. hierfür u. a. ebd., S. 193, Anm. *. 97 Ebd., S. 106. 98 Ebd., S. 182. 99 Eine lohnende Fragestellung für die Troeltsch-Forschung wäre es, Max Goebels Arbeiten in ihren Bezügen zu Troeltsch und Weber detailliert zu untersuchen. In seinen „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ schloß sich Troeltsch dezidiert dem Spätwerk von Goebel an; vgl. dazu Troeltsch, Soziallehren, S. 802, Anm. 440, S. 832 f., Anm. 459, oder S. 861, Anm. 472 [sic – die Anmerkungsziffer wurde zweifach geboten]. Für Weber registrierte
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
31
Brisanz, da innerhalb der preußischen Union der Umgang mit den lutherischen Separatisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend entschieden war100. 1840101 votierte Goebel offen in einzelnen Rezensionen gegen „die separatistischen Haltungen der Wortführer der Altlutherischen Bewegungen […, denen er] völliges Verkennen der reformierten Eigenart“102 vorwarf. 1.1.4. Goebels Carlstadt-Aufsätze (1838/1841–43) Goebels Carlstadt-Aufsätze aus den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ wird man gemäß der textgenetischen Hinweise näher an „Die religiöse Eigenthüm lichkeit der lutherischen und der reformirten Kirche“ rücken können, als dies Goeters getan hatte103. Die Aufsatzsequenz gibt sich als die unmittelbare Folgearbeit der Monographie zu erkennen, die den Vergleich zwischen Luther und Zwingli aufnahm und in der historischen Tiefendimension zu schärfen beabsichtigte. Das Thema des Abendmahlsstreits war in der Monographie angelegt, aber weithin ausgespart geblieben, nachdem die zentralen argumentativen Differenzen weder für Karlstadt noch für Zwingli eigens benannt worden waren.104 Diese Defizite mochte Goebel gesehen und, wie er 1843 erkärte, mit „diesen anfangs gar nicht zum Drucke bestimmten Untersuchungen“105 für sich zu klären gesucht haben. Ein formales Charakteristikum dafür ist der schwache Ausweis literarischer Referenzen, der bei späteren Kritikern den Eindruck einer eingeschränkten Quellenarbeit106 erwecken mochte. In der Tat hatte Goebel keine Archivarbeit getrieben und „war auf die Quellenpublikationen seiner Zeit angewiesen“107, nur Ward einerseits eine indirekte, durch Ritschl vermittelte Rezeption, Ward, Weber, S. 300: „Für unser Thema ist die Tatsache bedeutsamer, daß Ritschl an verschiedenen Stellen seiner Abhandlung eine Typologie des christlichen Lebens skizzierte, die Max Goebels Darstellung der Religionsgemeinschaften des Rheinlandes nahekam. Einige Jahre später sollten auch Max Weber und Troeltsch diese Typologie rezipieren.“ Andererseits deutete Ward für zentrale Begrifflichkeiten einen möglicherweise direkten Rekurs auf Goebel an, ebd., S. 307: „Der Streit galt der Frage, ob das Christentum überhaupt ein innerweltliches Ideal besitze (ein Begriff, der zuvor von Max Goebel verwandt worden war).“ 100 Zur „lutherische[n] Separation“ s. Goeters / Mau, Union, S. 220–240. 101 Zu dem zeitlichen Kontext dieses Jahres s. ebd., S. 241 f. 102 Goeters, Goebel, S. 10. 103 Vgl. dazu nur knapp ebd., S. 14. 104 Entsprechend reserviert verhielt sich Goebel, Eigenthümlichkeit, S. 303 f., auch gegenüber einer vollen Identifizierung von Karlstadts Position im Abendmahlsstreit mit derjenigen der Schweizer. Im gedruckten Text erklärte er: „Zwingli fühlte sich […] veranlaßt, […] seine Ansicht auszusprechen, die mit Carlstadt zum Theil übereinstimmte“. Handschriftlich differenzierte Goebel in seinem Arbeitsexemplar weiter: „Dieselbe Ansicht, jedoch andere Gründe; Ka[rlstadt]s Gründe verwarfen sie. de W.[ettes Briefausgabe] III, 36 Wovon L.[uther] hier spricht, ist jedoch ungewiß.“ 105 Goebel, Carlstadt 1843, S. 315. 106 Vgl. hierfür knapp Goeters, Goebel, S. 14. 107 Ebd. Im Sinne der Archivarbeit dürfte Goeters Hinweis zu verstehen sein, ebd.: „[s]o fehlt hier – im Unterschied zu den späteren Arbeiten Goebels – eigene Quellenforschung.“ Daß
32
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
hatte diese aber sehr gewissenhaft studiert und in Auszügen in seine Darstellung integriert. Das Format der Aufsatzsequenz – deren Manuskript wohl auf 1838 datiert und möglicherweise die intendierte Folgestudie einschloß – erinnert in der äußeren Gestaltung an die Monographie von 1837. So eindeutig diese beiden Arbeiten ihre Veranlassungen in Goebels spezifischen Interessen gefunden hatten, so deutlich wurde „Die religiöse Eigenthümlichkeit der lutherischen und der reformirten Kirche“ doch in der Drucklegung für einen breiten, weder historisch noch theologisch gebildeten Leserkreis bestimmt. Die Studie von 1838, aus der sich die Aufsatzserie von 1841 bis 1843 entwickelte, mochte mit einem vergleichbaren Adressatenbezug konzipiert worden sein, wurde schließlich aber für ein Fachperiodikum redigiert. Gegenüber der Monographie von 1837 nimmt in den Texten von 1841 bis 1843 der Anteil der zitierten und ausgewiesenen Quellen ebenso signifikant zu wie die sich andeutenden Literaturkenntnisse. Zusätzlich zu den bereits zuvor benannten Autoren verwies Goebel auf – chronologisch angeordnet – Bullinger108, Arnold109, Löscher110, Füßlin111, Köhler112, Menzel113, Leo114 und Ranke115. Einen Teil der reformatorischen Drucke hatte er in „Bonn und Basel“116 eingesehen und eine kleinere Quellenedition von Strobel zur Wittenberger Bewegung117 registriert. Zudem hatte er Studien konsultiert, die ein reformatorisches Proprium in Kontinuitäten und Unterschieden zum Spätmittelalter darzustellen suchten.118 Rankes 1839 in der „Deutsche[n] Geschichte im Zeitalter der Reformation“ erschienene Rekonstruktion der „Wittenberger Unruhen“ arbeitete Goebel in den Goebel „die Quellenpublikationen seiner Zeit“ äußerst intensiv studiert hatte, war Goeters vollauf bewußt. 108 Goebel, Carlstadt 1843, S. 330, Anm. a. 109 Goebel, Carlstadt 1841, S. 92, Anm. a. 110 Ebd., S. 101. Goebel, Carlstadt 1842, S. 332: „sogar die Unschuldigen Nachrichten 1714“. 111 Goebel, Carlstadt 1841, S. 89; 92, Anm. a; S. 93, Anm. b cont.; S. 110. 112 Ebd., S. 89. 113 Ebd. Goebel rekurriert damit wohl auf Menzel, Reformation, von 1826. Karlstadt spielt bei Menzel eine untergeordnete Rolle, auf die Goebel in keinem Zusammenhang eingeht. 114 Goebel, Carlstadt 1841, S. 89. Goebel dürfte sich beziehen auf Leo, Universalgeschichte, von 1838, der sich seinerseits auf Menzel stützte; vgl. hierzu ausdrücklich Leo, Universalgeschichte, S. 110, Anm. *: „Wir folgen hier in der Darstellung aller dieser Wittenberger Verhältnisse [der von Ranke ein Jahr später als Wittenberger Unruhen bezeichneten Ereignisse] vornämlich Menzel’s Zusammenstellung, deren Vortrefflichkeit wir einzelner Mißgriffe im historischen Material und einiger bedeutenderen Abweichungen von der Gesinnung, die sie durchdringt, ohngeachtet in aller Weise anerkennen und rühmen müßen.“ 115 Goebel, Carlstadt 1841, S. 89. Zu Ranke s. auch ebd., S. 90, Anm. a; S. 103, Anm. a. 116 Ebd., S. 89. 117 Ebd. Es handelt sich um Strobel, Unruhen; vgl. dazu unten Anm. 594. 118 Wichtig für die Beweisführung war Carl Ullmanns „Johann Wessel, ein Vorgänger Luthers“, vgl. dazu Goebel, Carlstadt 1842, S. 331 mit Anm. a, mit Ullmann, Wessel, S. 326 f.; vgl. ferner Goebel, Carlstadt 1843, S. 337, Anm. a, mit Ullmann, Reformatoren. Einschlägig ist schließlich Goebels Rekurs, Goebel, Carlstadt 1843, S. 315 mit Anm. a, und ebd., S. 373, auf Rettberg, Occam.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
33
Eröffnungsteil seiner Aufsatzserie ein119, wobei sein besonderes Interesse nun einer nationaltypologisch vorteilhafteren Charakterisierung Karlstadts galt120. Goebels intensiviertes Quellenstudium zu Karlstadt hatte zur bemerkenswerten Folge, daß bereits der erste Aufsatz stillschweigende und schwerwiegende Korrekturen vornahm, mit denen er faktisch von Karlstadt abrückte. Das allgemeine Schema einer Implementierung reformierter Elemente in die frühe Wittenberger Reformation, wo sie „unbewußt und ungestört neben“ Luther wirksam gewesen seien, bevor dieser sie „bekämpfte und ausstieß“121, wiederholte Goebel mit programmtischer Emphase. Stark hob er auch auf die historische Bedeutung Karlstadts für „beide [protestantische] Kirchen […] in ihrer Separation wie in ihrer Union“122 ab. Mit dem reformierten Schriftprinzip identifizierte Goebel aber nicht mehr Karlstadt, sondern – deutlich nachgeordnet und nicht gerade auffällig – die Zwickauer Propheten: „Diese biblisch=mystischen Schwärmer hatten das reformirte Princip der völligen buchstäblichen Schriftmäßigkeit und der rücksichtslosen Verwerfung alles Unbiblischen, alles bloß Kirchlichen zu ihrem ausgesprochenen Principe gemacht und dabei jeder andern, menschlichen Auctorität gegenüber sich auf das Zeugniß des in ihnen wohnenden Geistes und der durch sie redenden Weissagungen berufen“.123
An der Zwickauer Variante des reformierten Schriftprinzips hatte Goebel einen klaren spiritualistischen Anteil ausgemacht. Für diesen standen 1841 jedoch nicht primär die Zwickauer, sondern Karlstadt. Der Begriff des Spiritualismus fällt nicht, Goebel spricht von den „Berufungen auf das innere Zeugniß des Geistes im Gegensatze gegen das äußere Zeugniß der Schrift“124. Eine solche Grenzüberschreitung lehnte er als „ebenso unreformirt [… wie] unlutherisch“125 ab. Wenn Goebel Karlstadt dennoch weiterhin positiv von Luther abzuheben suchte, so lag dies daran, daß er die frühere charaktertypologische Skizze von Zwingli auf Karlstadt übertrug und in allgemeine Strukturkonstanten theo119 Vgl. dazu oben Anm. 115. Bei Ranke als einschlägig anzusehen sind die Charaktertypologie Karlstadts, Ranke, Reformation, S. 18, der Vorstoß in der Zölibatskritik, ebd., S. 13 f., und die Feier des Abendmahls am Weihnachtstag 1521, ebd., S. 17 f. Vor allem rückte Ranke die Verbindung von Karlstadt zu den Zwickauer Propheten in den Vordergrund der als verhängnisvoll geschilderten Entwicklungen, ebd., S. 22 f., die durch Luthers persönliches Eintreten 1522 beendet wurden, ebd., S. 32: „Nie war Luther heldenmüthiger erschienen.“ 120 S. hierfür Goebel, Carlstadt 1841, S. 90, Anm. a: „Ich stimme im Ganzen […] mit den Worten Ranke’s überein: ‚C.[arlstadt] gehörte zu den nicht seltenen deutschen Naturen, die mit einer angeborenen Neigung zum Tiefsinne den Muth verbinden, Alles zu verwerfen, was man festgesetzt hat, oder Alles zu behaupten, was man verwirft, ohne daß sie doch das Bedürfniß hätten, sich zu voller Klarheit und allgemein gültiger Begründung ihrer Ideen zu erheben.‘“ Den betreffenden Wortlaut s. bei Ranke, Reformation, S. 18. 121 Goebel, Carlstadt 1841, S. 88. 122 Ebd. 123 Ebd., S. 104. 124 Ebd., S. 94, Anm. a. 125 Ebd.
34
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
logischer Erkenntnis umdeutete. Entsprechend würdigte er an Karlstadt nun, gegenüber Zwingli eingeschränkt: „sein[en] natürliche[n …] rasche[n …] Charakter, sein[en] scharfe[n …] Verstand und seine unruhige Thatkraft […]. Daher wurzelte auch […] seine Mystik weniger im Herzen und Gefühle, wie bei Luther, als im Verstande und in der Erkenntniß, wie auch bei Zwingli“126.
Karlstadts Denken habe im ganzen einen Zug in die Spekulation gehabt.127 Theologisch seien daraus einerseits spiritualistische Tendenzen erwachsen, andererseits habe Karlstadt mit seiner rationalistischen Konsequenz dazu beigetragen, das reformierte Schriftprinzip mit auszubilden: „so wurde es seinem scharf scheidenden und rücksichtslos durchgreifenden Verstande auch nicht schwer, subjektiv das innerliche Zeugniß des Geistes über das äußerliche Zeugniß der Schrift zu stellen, und dabei dennoch der heiligen Schrift eine hohe Stellung, ja objectiv die einzige richterliche Auctorität in vollem Umfange und in jeder Beziehung einzuräumen.“128
An den Begriffen der „subjectiven“ Willkür und der „objectiven“ Norm machte Goebel die „principielle“129 Differenz zwischen Luther und Karlstadt fest. Diese habe sich erstmals in der Kanondiskussion130 aktualisiert und von dort mit innerer Zwangsläufigkeit131 zu den Streitigkeiten um die praktischen Reformen132 und die Abendmahlsfrage133 geführt. Das historische Recht sah Goebel auf Karlstadts Seite. Indem es Luther gelang, daß „dem Carlstadt von Amts wegen das Predigen und Schreiben untersagt wurde, war das reformirte Element in der lutherischen Reformation und Kirche unterdrückt, das subjective 126 Ebd., S. 91. Vgl. auch ebd., S. 92: „sein scharfer, geschwinder Verstand und sein hochfahrender, durchsetzender Charakter“, ebd., S. 93: „seinem scharf scheidenden und rücksichtslos durchgreifenden Verstande“, ebd., S. 107: „mit eigensinnigem Kopfe und einseitigem Verstande“. Vergleichbar ist auch im Folgebeitrag die Zusammenfassung seines Eröffnungsaufsatzes, die Goebel, Carlstadt 1842, S. 329, selbst bietet: „Carlstadt war, gleich Luthern, ein Anhänger der Mystik, […] mehr aber seiner Erkenntniß und seinem Verstande nach als in seinen Gefühlen und in seinem Herzen. […] Luthern dagegen [kam] Alles auf die Befriedigung seines und des christlichen Volkes Herzensbedürfnisses und auf die Schonung der Gewissen an“. 127 Bei Goebel, Carlstadt 1841, S. 91, wird dies über die Mystik Karlstadts festgestellt, ebd., S. 92, Anm. b, über den dogmatischen Ansatz. 128 Ebd., S. 93. 129 Ebd., S. 100: „diese principielle Verschiedenheit“; ebd., S. 101: „die principielle Differenz“. 130 Einschlägig hierfür ebd., S. 100 f.: „Bei Beantwortung der Frage nach der Kanonicität der biblischen Bücher verfährt nun Carlstadt durchaus nicht nach Luther’s subjectivem Glaubensprincipe, sondern allein nach den objectiven Regeln einer gründlichen historischen Kritik, und während Luther mit subjectiver Willkür sich einen Kern der heiligen Schrift auslas, […] fühlte Carlstadt das Bedürfniß, das äußerliche objective Zeugniß des heiligen Geistes, das geschriebene Wort Gottes […] von jedem nicht dazu gehörigen Menschenworte auf das sorgfältigste zu scheiden.“ 131 Ebd., S. 105 u. S. 111, spricht Goebel davon, die Entwicklung sei „nothwendig“ gewesen. Ein Jahr später wiederholte er dies, Goebel, Carlstadt 1842, S. 330. 132 Goebel, Carlstadt 1841, S. 105. 133 Ebd., S. 111.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
35
Princip der Lehre von der Rechtfertigung hatte den subjectiven Geist der Zwickauer, und das Festhalten an der objectiv gegebenen, historisch vorhandenen Kirche hatte das andere objective Princip des unbedingten Gehorsames gegen Gottes Wort überwunden“134.
Die Exklusion Karlstadts markierte einen Bruch, den Luther zu verschulden hatte: „Beide Principien mußten nun, nachdem sie nicht mehr zusammen geduldet wurden, neben einander sich geltend zu machen suchen, mußten getrennte Reformationen begründen, und dadurch verschiedene Kirchen bilden, die sich einander so lange befeinden müssen, bis sie gegenseitig die gleiche religiöse und politische Berechtigung ihrer verschiedenen Principien anerkannt haben.“135
Den Fluchtpunkt des Spiritualismus nahm Goebels historiographische Folgestudie auf, indem sie das Phänomen der unmittelbaren Inspiration im Bereich des Reformiertentums anhand der Cevennen-Propheten untersuchte.136 Die beiden Reformationstypen, für die zuvor Luther und Zwingli gestanden hatte, konnte Goebel zugleich an Luther und Karlstadt festmachen: Die Reformation Luthers sei „kirchlich […], conservativ […], subjectiv“ gewesen, die Karlstadts „biblisch […], radikal […] und objectiv“137. Nachdem Goebels Eröffnungsaufsatz zum Verhältnis von Karlstadt und Luther eingehend analysiert wurde, sollen die beiden Studien zur Abendmahlslehre in einem thesenhaften Vergleich zusammengefaßt werden. Goebel selbst wählte ein ausführliches und additives Vorgehen, indem er zunächst Karlstadts138 und dann „Luther’s Abendmahlslehre vor und in dem Streite mit Carlstadt“139 darstellte, um die jeweiligen Ergebnisse markant140, aber letztlich unvermittelt zu bündeln. Goebels eigentlicher Schlußteil, der Zwingli und Melanchthon diskutieren sollte, hätte vermutlich die Funktion einer Synthese übernommen und Kontinuitäten einer reformierten Abendmahlslehre im Luthertum an Melanchthon141 aufgezeigt. Die Unverbundenheit der beiden Mittelteile zu Karlstadt und Luther mochte teils bewußt gestaltet, teils der anfänglichen Ergebnisoffenheit der Einzelstudien während ihrer Erarbeitung geschuldet sein. Gerade der erste, kürzere Beitrag trägt einen erkennbaren Werkstattcharakter; besonders zeigt 134 Ebd.,
S. 105. S. 106. 136 S. dazu Goeters, Goebel, S. 14. 137 Goebel, Carlstadt 1841, S. 106. 138 Goebel, Carlstadt 1842. 139 Goebel, Carlstadt 1843. 140 Goebel, Carlstadt 1842, S. 337 f., bietet ein Zwischenfazit, das aufgrund der späteren Erkenntnis, daß Karlstadts Grundposition keine nennenswerte Entwicklung durchlaufen habe, abschließend weithin wiederholt wird, ebd., S. 353 f. Goebel, Carlstadt 1843, stellte die zentralen Einsichten ebenfalls am Ende zusammen, verdichtet sie aber zudem in einer instruktiven Tabelle, ebd., S. 377. 141 In diese Richtung weisen die handschriftlichen Einträge in Goebels Arbeitsexemplar, s. oben Anm. 88. 135 Ebd.,
36
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
sich dies an einer Sequenz von neun vollen, direkt aufeinanderfolgenden Seiten, die nur unkommentierte, lange Quellenzitate aus zwei Karlstadtschen Schriften bieten.142 Die beide Aufsätze zusammenbindende Grundthese ist, daß sich Karlstadt in der Abendmahlslehre bis Ende 1521 im Einvernehmen mit Luther glaubte143 und dazu, ausweislich Luthers damaliger Äußerungen, auch berechtigt war144. Während Karlstadt seine früh gefundene Position beibehalten habe, die „ihrem Principe, ihrer Tendenz und ihrem Inhalte nach echt religiös, biblisch und christlich, freilich auch einseitig, ungenügend und theilweise irrig“145 war, habe die Radikalität seiner praktischen Forderungen und Polemik während des Streits mit Luther zugenommen146. Für Luther hingegen rekonstruierte Goebel einen differenzierten Entwicklungsprozeß, der seit 1522 zu zuvor verworfenen Theorieangeboten der katholischen Sakramentslehre147 und scholastischen Argumentationsmustern, die nun gegen Karlstadt und die Schweizer gerichtet worden seien148, zurückführte. Im ganzen bestimmend sei wiederum „eine Principienfrage“ gewesen, indem Luther „sein positives Glaubens= und sein negatives Schriftprincip wiederholt geltend [gemacht habe] gegen das carlstadtische (reformirte) positive Schriftprincip“149. Auch in der Abendmahlsfrage diagnostizierte Goebel somit einen frühen Wittenberger Konsens, den Karlstadt zunächst mit und dann gegen Luther biblisch berechtigt vertreten habe. Goebels Karlstadt-Studien changieren im ganzen zwischen der Begeisterung, Karlstadt als frühen Wittenberger Repräsentanten späterer reformierter Impulse in einer anfänglichen Union mit Luther zu entdecken, und der Ernüchterung nach einem Quellenstudium Karlstadtscher Texte, die erhebliche argumentative Modifikationen nötig machten. Gewisse Spannungen seiner Grundthesen konnte Goebel nicht ausgleichen; so bleibt die zunächst gebotene, dann nur noch differenziert vertretene und schließlich wieder ausdrücklich hervorgehobene Identifizierung Karlstadts mit dem reformierten Schriftprinzip letztlich unbestimmt. 142 Goebel,
Carlstadt 1842, S. 340–348. Im ganzen umfaßt der Beitrag 26 Seiten. Carlstadt 1842, S. 331 f.; 337; zusammenfassend s. ebd., S. 353: „Carlstadt war anfangs in der Abendmahlslehre mit Luther nicht uneins.“ 144 Vgl. dazu kurz Goebel, Carlstadt 1843, S. 316: Das Jahr „1522 [… markiert] eine wichtige Epoche, einen entschiedenen Wendepunkt, weil Luther vor dieser Zeit seine Lehre vorzugsweise antithetisch gegen die herrschende katholische Lehre ausbildete, sich daher immer mehr und möglichst weit von derselben entfernte und – wie nachher auch Carlstadt und die Schweizer – eine wenigstens theilweise neue zu begründen versuchte, nach dieser Zeit aber, scheu geworden […] seine theilweise Uebereinstimmung mit der katholischen Lehre wieder hervorhob […] und dagegen in schroffen Gegensatz gegen deren Gegentheil, gegen Carlstadt und die Reformirten, trat.“ 145 Goebel, Carlstadt 1842, S. 348. 146 Knapp dazu ebd., S. 353. 147 Im ganzen trägt Goebel, Carlstadt 1843, die Umbildung einer anfangs abgelehnten katholischen Transsubstantiationslehre in eine reformatorische Konsubstantiationslehre vor. 148 Ebd., S. 373–375. 149 Ebd., S. 363. 143 Goebel,
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
37
1.1.5. Die Wirkung der Aufsätze im Spätwerk von Goebel und bei Barge Goebels Spätwerk, die „Geschichte des christlichen Lebens in der rheinisch= westphälischen evangelischen Kirche“ nahm in ihrem ersten, die „Reformationszeit oder die Kirchen unter dem Kreuze“150 überschriebenen Band von 1849 die früheren Bezüge auf Karlstadt nochmals summarisch auf. Zurückhaltend wurde die Ableitung zweier Reformationstypen – der kirchlichen Lehre und des gemeindlichen Lebens – aus den Wittenberger Unruhen wiederholt151. Miniaturhaft komprimiert und diplomatisch versiert betonte Goebel weitaus stärker Luthers „Heldenmuth“ – ein Begriff, der 1839 bei Ranke zu finden war152 – im Kampf gegen Fanatismus und Separatismus.153 Karlstadt rückte einerseits hinter 150 Begriffsgeschichtlich präsentierte Goebel den Vorschlag, als ersten Beleg für die Bezeichnung „Reformation“ einen Passus zu den Wittenberger Unruhen in einem Brief Melanchthons identifizieren zu wollen, Goebel, Geschichte 1, S. 99, Anm. 1. Den betreffenden Quellenbeleg hatte Goebel bereits ohne diesen Deutungsrahmen geboten in Goebel, Carlstadt 1841, S. 103. 151 Goebel, Geschichte 1, S. 109: „und dann brach Carlstadt los mit seinem Ungestüm, worauf dann auch bald die Zwickauer Schwärmer die Unordnung noch vermehren halfen. Da lenkte Luther entschieden ein, […] und bekannte sich von da an fortwährend und entschieden nur zu einer allmähligen, rücksichtsvollen und conservativen Reformation. Von nun an begab sich Luther eigentlich jeder direkten Einwirkung und Einführung der Reformation; er hat seitdem, außer in Wittenberg und in Sachsen selbst, nirgends die Reformation selber eingeführt, sondern dies seinen Freunden Bugenhagen, Melanchthon und Anderen überlassen müssen. Er drang von nun an durch Wort und Schrift nur auf reine Lehre und auf dieser gemäße Reinigung des Gottesdienstes […]. Dadurch bekam die lutherische Reformation und Kirche […] einen […] fast ausschließend dogmatischen Charakter; die Lehre wurde vor allem und übermäßig getrieben, und nach ihr auch der Gottesdienst eingerichtet; die Pflege des christlichen Lebens, die dasselbe schützende und fördernde Verfassung und Zucht wurden dagegen vernachlässigt und dem guten oder auch dem schlechten Willen der landesherrlichen kirchlichen Obrigkeit überlassen.“ 152 Vgl. dazu oben Anm. 119. 153 Goebel, Geschichte 1, S. 144: „Obschon Carlstadt damals schon die wirkliche Reformation des Gottesdienstes und des Einen Sacramentes, des heiligen Abendmahles, in Wittenberg begonnen und zwar zunächst so ausgeführt hatte, wie der lutherische Gottesdienst später wirklich eingerichtet worden ist, so forderten die Schwärmer außerdem auch noch Einrichtung des andern Sacraments, der Taufe“, und erhoben zahlreiche weitere Forderungen. Ebd., S. 144 f.: „Bekanntlich drangen Carlstadt und die Zwickauer Schwärmer, ungeachtet der Rath und die Universität anfangs auf ihre Seite sich neigten und sie schon einen großen Anhang gefunden hatten, mit ihrer stürmischen und fanatischen Reformation nicht durch; denn Luther […] warf sich mit christlichem Heldenmuthe und mit weiser Entschiedenheit der wild aufgeregten Menge entgegen. Es gelang ihm […] dieser bedenklichen Unruhen Herr zu werden. Er hatte dabei absichtlich sowohl Carlstadt als auch die Zwickauer persönlich noch geschont, obgleich er die separatistischen Absichten der letzteren mit tiefem Blicke erkannt hatte, und darum […] entschieden zurückwies“. Ebd., S. 145 f.: „So hat also Luther bei dieser Veranlassung für sich und für seine Reformation und Kirche das radikale und fanatische Element, das ihr ursprünglich nicht fremd war, verläugnet und überwunden, und später sogar mit Gewalt ausgestoßen; von da an blieb auch die lutherische Kirche und Lehre von allem gewaltsamen und schwärmerischen Fanatismus frei; sie entwickelte sich von nun aber auch nicht mehr frei und selbstständig von Innen heraus, sondern nur unter dem Schutze und nach dem Zuthun der weltlichen Obrigkeit […], während sie freilich dadurch ihren früheren populären und demokratischen Charakter aufgab und bei dem eigentlichen Volke an Beliebtheit und Anhänglichkeit verlor. Sie mußte dagegen von nun an mit den ebenbürtigen Wiedertäufern und noch mehr mit dem zugleich aus-
38
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Müntzer zurück154, was als Folge von Zimmermanns zeitgleich mit Goebels Aufsatzsequenz erschienener Bauernkriegsdarstellung interpretierbar ist155, andererseits gibt gerade der Müntzer-Abschnitt zu erkennen, wie sehr Goebel den historiographischen Ansatz von Gottfried Arnold zu erneuern suchte156. In Goebels letztem, aus dem Nachlaß herausgegebenen Buch war Karlstadt nur noch ein Beispiel für das epochenübergreifende Strukturmuster eines auf physische Gewalt verzichtenden kirchlichen Kampfes gegen mögliches „Verderben“.157 Barge beurteilte Goebels ersten Karlstadt-Aufsatz durchaus positiv. In einer Sammelanmerkung zu literarischen Vorgängern hob er Goebel 1905 als einzigen anerkennend hervor: „Besser [als Erbkam, Dieckhoff, Labes u. a.] ist die vorurteilslose Würdigung Karlstadts von M. Goebel“158. Den Beitrag zu Karlstadts Abendmahlslehre wertete er ab: „Die Abhandlung von M. Goebel […] ist inhaltlich dürftig und schon durch Dieckhoffs Darstellung überholt.“159 Die Ausführungen zu Luthers Abendmahlslehre erwähnte er mit keinem Wort und hatte sie wohl – als für Karlstadt nicht einschlägig – gar nicht zur Kenntnis genommen. Auffallend sind die Ähnlichkeiten zwischen Goebel und Barge in drei Bereichen. Zum einen weisen die ereignisgeschichtlichen Rekonstruktionen der Wittenberger Unruhen als eines theologischen Umschlagspunktes der inneren Entwicklung Luthers und der äußeren Karlstadts große Entsprechungen zueinander auf. Zum anderen erinnert Barges Bewertung von Luther als Repräsentant einer kirchengeschichtlich verhängnisvollen Reaktion seit 1522, vor allem aber Karlstadts programmatische Einordnung in die reformierte Tradition aufs frappierendste an Goebels Gesamtbild. Und schließlich sind die Charaktertypologien der beiden Reformatoren bei Goebel und Barge weithin vergleichbar. Beide Forscher wählten einen psychologisierenden Ansatz, um die reformationsgeschichtlichen Differenzen in ihrem letzten Grund zu erkären. Die Wesensmerkmale, die Barge für Karlstadt benennen sollte, beinhalten einen Zug ins Spekulative, eine scharfsinnige rationalistische Konsequenz und eine unerschütterliche Kom-
gestoßenen Grundsatze der reformirten Kirche – nämlich dem der positiven Schriftmäßigkeit und dem der Selbstständigkeit der christlichen Gemeinde – einen Kampf beginnen, welcher bis auf den heutigen Tag noch nicht beendet ist.“ 154 So wurde Karlstadt auch dem „§ 12. Thomas Münzer (1490–1525) und die Schwärmer“ untergeordnet; vgl. dazu ebd., S. 140–150. 155 S. zu den Erscheinungsjahren 1841 bis 1843 Barge, Vorwort, S. V. 156 Arnold ist Goebels wichtigste Referenz, s. dazu Goebel, Geschichte 1, S. 467 o. 150, Anm. 2, die dessen „[t]reffend[es] [… U]rtheil“ hervorhebt. 157 In Goebel, Geschichte 3, S. 353, heißt es über Tersteegen: „er sahe einen Theil der ihm anvertrauten Seelen durch bisherige treue Freunde von dem wahren Wege auf den Irrweg geführt und brauchte daher, ganz wie einst Luther wider Carlstadt, Zwingli wider die Wiedertäufer, Calvin wider die Libertiner, Spener wider die Separatisten, die ganze Gewalt seines Wortes, Gebetes und Einflusses, um diesem einbrechenden Verderben zu steuern.“ 158 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 183, Anm. 3. 159 Barge, Karlstadt, T. 2, S. 145, Anm. 1.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
39
promißlosigkeit in praktischen Angelegenheiten.160 Eigens hob Barge die Geschwindigkeit von Karlstadts Auffassungsgabe hervor. Diese Eigenschaft habe den Anschluß an Luther bestimmt, aber auch Karlstadts Priorität vor diesem in zahlreichen Einzelfragen begründet: „Es ist ein hervorstechender Wesenszug an ihm [Karlstadt], daß er die aus einem neuen Prinzip sich ergebenden logischen Folgerungen rasch durchzudenken pflegte und schnell die Schlacken der früheren rückständigen Anschauungen abstreifte.“161
Alle diese Elemente waren Barge in Goebels Aufsatz von 1841 begegnet. Gottfried Arnold spielte als gemeinsame Quelle sicher eine Rolle, kann die Kongruenzen einschließlich der psychohistorischen Zuspitzung nicht im ganzen erklären. Wichtig ist für Barges Anschluß an Goebel, daß er wohl nur dessen Aufsatzsequenz registriert hatte. Gerade „Die religiöse Eigenthümlichkeit“ von 1837 hätte die für Barge bedeutsame Interpretation Karlstadts als Vertreter späterer reformierter Anliegen mit dem Begriff eines biblischen „Purismus“ in weniger anachronistischer Weise präfiguriert, als sie die 1905 gewählte Begrifflichkeit des „Puritanismus“ implizierte. Goebels Spätwerk ist für Karlstadt wenig einschlägig. Das Frühwerk und die Aufsatzsequenz von 1841 bis 1843 bilden hingegen eine enge Einheit, die illustriert, wie Elemente der radikalpietistischen Kirchen‑ und Konfessionskritik unionistisch aktualisiert wurden. In seiner wirkungsgeschichtlichen Bedeutung für Barge kommt dem konzeptionellen und argumentativen Gehalt des Aufsatzes von 1841 höchste Bedeutung zu. Das Wesen von Karlstadts Charakter und dessen Beziehung zu Luther entwickelte Barge aus den darin vorgetragenen Deutungsmustern.
1.2. Karl August Credners Edition von „De canonicis scripturis“ (1847) – Karlstadts Beitrag zur neuzeitlichen Bibelkritik Eine Zäsur eigner Art markiert das Jahr 1847, in dem – einhundert Jahre nach Walch – erstmals eine umfangreiche Karlstadt-Schrift unter historisch-kritischen Gesichtspunkten ediert wurde. Der Herausgeber und Bearbeiter war der Gießener Kirchenhistoriker Karl August Credner, dessen Lebenszeit mit dem Geburtsjahr 1797162 ins 18. Jahrhundert zurückreichte und der entscheidende theo160 Die einschlägigen Zitate von Barge, die Karlstadts Unterschiede zu Luther illustrieren, sind in Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge in Anm. 43 zusammengestellt. 161 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 72 mit Anm. 14. 162 Die wichtigsten Darstellungen zu Credner erschienen in seinem Todesjahr, 1858, Anon., Credner, und einhundert Jahre nach seiner Geburt, 1897, Baldensperger, Credner. Die letztgenannte Darstellung ist lebens‑ und werkgeschichtlich detailliert und bezieht handschriftliche
40
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
logische Impulse in Göttingen von Johann Gottfried Eichhorn163 und Gottlieb Jakob Planck empfangen hatte. 1.2.1. Credners „Einleitung in das Neue Testament“ (1836) In Göttingen hatte der aus Waltershausen bei Gotha164 gebürtige Credner nach Studienaufenthalten in Jena und Breslau165 zwischen 1821 und 1825166 gelebt. Über die je eigene Bedeutung der beiden prägenden Theologen urteilte sein späterer Biograph: „Von Planck ist er wenig befriedigt. Hingegen gewinnt er einigen Geschmack an Eichhorn’s Theologie, für dessen Einleitung er Korrekturen besorgte und für den er auch nach seinem Wegzuge von Göttingen noch Hilfsarbeiten verrichtete.“167 Unklar bleibt, ob er Eichhorns zweite Auflage der „Einleitung in das Neue Testament“ überarbeitete, die zwischen 1820 und 1827 erschien, oder die vierte Auflage der „Einleitung in das Alte Testament“, die 1823 und 1824 verlegt wurde – oder ob er an beiden Arbeiten beteiligt war. Credner selbst wurde 1827 in Jena mit einer alttestamentlichen Arbeit promoviert168 und im Folgejahr mit einer Studie habilitiert, die den neutestamentlichen Schriften in der Wahrnehmung der ersten drei Jahrhunderte galt, womit er die exegetischen Disziplinen stark mit der Kirchengeschichte verband. Daß Credner 1832 als Kirchenhistoriker nach Gießen wechselte169, erwuchs aus keinen fachlichen Zwangsläufigkeiten, sondern hatte mit dem erfolglosen Ausgang eines Rufes nach Bonn170 und vergeblichen Bemühungen, nach Berlin171 zu wechseln, zu tun. Seine alt‑ und neutestamentlichen Studien wurden noch Jahrzehnte später von Exegeten wie Julius Wellhausen rezipiert172, und die Aufgabe seines eigentlichen Lebenswerkes fand Credner im Neuen Testament. Die Bezeichnung dieser Aufgabe fiel mit der Überschrift eines der Werke von Eichhorn überein, die Credner redigiert haben dürfte: „Einleitung in das Neue Materialien ein; eine Kurzzusammenfassung aus der Hand des Autors ist Baldensperger, Credner (DBA, T. 2, Fichenr. 241, S. 256–263). 163 Zu Eichhorn s. das Portrait von Smend, Alttestamentler, S. 25–37. 164 Baldensperger, Credner, S. 7. 165 Beide Studienorte erklärten sich aus lokalen Bezügen: Jena war die Landesuniversität, Breslau der Ort, an dem der Familienfreund „Augusti“, vgl. hierzu ebd., S. 8, wirkte. Es handelt sich dabei um den vormaligen Jenaer Privatdozenten Johann Christian Wilhelm Augusti, der dem Freundes‑ und Schülerkreis von Herder zuzuordnen ist; erstmals aufmerksam machte auf diese Verbindungen Kessler, Klassiker, T. 1, S. 3, Anm. 11; ausführlicher dazu s. Kessler, Herder-Rezeption; zu ideengeschichtlichen Verbindungen zur jüngeren Herderforschung s. Kessler, Rez. Cordemann, S. 164 f. 166 Baldensperger, Credner, S. 9. 167 Ebd. 168 Vgl. hierzu kurz die Bibliographie in ebd., S. [96]. 169 Ebd., S. 13. 170 Ausführlich hierzu s. ebd. 171 Anon., Credner, Sp. 1035. 172 Vgl. hierfür knapp Wellhausen, Samuelis, S. 199, oder Wellhausen, Evangelium, S. 42.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
41
Testament“. Unter diesem Titel legte Credner 1836 einen Eröffnungsband vor, der ein nicht weniger als grandioses Programm enthielt. Dieses beschrieb bereits der Eingangsparagraph: „§. 1. Das Neue Testament soll sein: eine Sammlung der apostolischen Schriften. Dasselbe gehört folglich in die Reihe der geschichtlichen Erscheinungen. [Vertiefend in Petit:] Keine Definition des N. T. ist zulässig, welche sich von der historischen Grundlage entfernt, oder die ursprüngliche Idee verkennt, von welcher die Sammlung ausgegangen ist. Dass diese Idee im Laufe der Zeit sich mehr und mehr verwischt hat, thut nichts zur Sache. Uns liegt fürs Erste nur daran zu wissen, was das N. T. sein soll, nicht was es wirklich ist. Die Richtigkeit der gegebenen Definition wird sich später, Abschnitt 3., ergeben.“173
Abschnitt drei verwies auf den dritten Schritt des Gesamtprogrammes. Dieses beabsichtigte, die „Einleitung in das N. T.“ in eine konsequent historische Betrachtung der eigenen Disziplin, der behandelten Texte und deren Auslegungsgeschichte zu überführen: „1. Geschichte der Einleitung in das N. T. 2. Geschichte der Entstehung der neutestamentlichen Schriften. 3. Geschichte der Sammlung oder des Kanons. 4. Geschichte der Ausbreitung oder der Uebersetzungen. 5. Geschichte der Erhaltung oder des Textes. 6. Geschichte des Verständnisses oder der Auslegung.“174
Mit seinem in zwei Abteilungen untergliederten Eröffnungsband hatte Credner einen substantiellen Anfangsbeitrag zu diesem Forschungsvorhaben geleistet. Auf gut 750 Seiten berührte er die Geschichte der Disziplin und behandelte den zweiten Themenbereich, der den klassischen, zuvor von Eichhorn und anderen175 traktierten Einleitungsfragen galt.176 Im Übergang zu seinem dritten Punkt, der Geschichte des neutestamentlichen Kanons, betrat Credner Neuland. Mit einer immensen Akribie widmete er sich der Aufgabe, deren fundamentale Bedeutung er früh erkannt hatte. Seine ersten, sich nur brieflich andeutenden Forschungsvorhaben aus einer Zeit vor 1821177 galten bereits der historischen Offenheit einer biblischen Kanonfrage im zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Die Jenaer Habilitationsschrift von 1828 weitete den Rahmen in das dritte Jahrhundert aus, verwies aber vor allem auf Justin, der Mitte des zweiten Jahrhunderts noch keinen neutestamentlichen Kanon 173 Credner,
Einleitung 1/1, S. [1]. S. 4. 175 Daß Eichhorn auch darin eine besondere Rolle spielt, zeigt die Intensität, mit der Credner der Urevangeliumshypothese nachging, vgl. ebd., S. 174–178, die Eichhorn – angeregt von Lessing, vgl. dazu, unter ausdrücklichem Bezug auf Credner, Danzel, Lessing, S. 144–147, sowie, in einem weiteren historischen Rahmen Smend, Alttestamenter, S. 32 f. – vertreten hatte. 176 In diesem Sinn lassen sich zusammenfassen Credner, Einleitung 1/1 f. 177 Baldensperger, Credner, S. 86: „Aus brieflichen Mitteilungen (1823) geht hervor, daß er seinen Blick damals schon auf manche andere altchristliche Urkunden gelenkt hatte: ganz unwahrscheinlich ist ihm, daß Celsus unsere 4 Evangelien gebraucht habe. Über Marcion hatte er ebenfalls eigene Ansichten gewonnen. A. Hahn war ihm aber mit seiner Veröffentlichung (de gnosi Marcionis, 1821) zuvorgekommen.“ 174 Ebd.,
42
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
gekannt habe178. Credner sah sehr scharf, daß die zeitgenössischen Differenzen zwischen Rationalisten und Supranaturalisten179 die Historizität des biblischen Kanons weithin ausblendeten, nachdem das protestantische Schriftprinzip in seiner pneumatologischen Begründung180 eine historiographische Hinterfragung der Kanongrenzen aufgehalten hatte. Äußerst früh verwies Credner auch auf altkirchliche Ansätze einer Bibelkritik, die Tendenzen der späteren Pentateuchforschung zumindest in Teilen vorweggenommen hatten.181 In diesem Zusammenhang mochte Planck seine Bedeutung für Credner gewonnen haben. In Plancks mehrfach aufgelegter „Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zu der Einführung der Konkordienformel“ konnte man lesen: „Zum bewundern kühne Meynungen für sein Zeitalter enthielt die Schrift: de Cánonicis scripturis, die er 1520 […] zu Wittenberg herausgab. Er bezweifelt darinn, ob Moses, die fünf Bücher, die wir unter seinem Nahmen haben, geschrieben habe, hält weder Samuel noch Esra für die Verfasser der ihnen zugeschriebenen Bücher, und vertheilt die Canonische[n] Bücher überhaupt in 3. Classen […]. [B]ehauptungen dieser Art würde ohne Zweifel noch die Kritik unseres Jahrhunderts für kühn halten, doch Carlstadts Kühnheit hatte wahrscheinlich ihren Grund nicht in seiner kritischen Gelehrsamkeit, sondern in seiner mystischen Theologie […]. Weitere Nachricht[en] von dieser Schrift Carlstadts stehen in den Unsch. Nachr. aus d. J. 1707. S. 548.“182
Bereits nach einem ersten Blick in Valentin Ernst Löschers abschließend benanntes Periodikum mußte Credner festgestellt haben, daß Planck Karlstadts Schrift nie in den eigenen Händen gehalten hatte.183 Credner ging dem gebotenen Hinweis mit der größten Gewissenhaftigkeit nach. In dem ersten Carlstadt-Aufsatz, „dieser sonst sehr beachtenswerthen Abhandlung“ seines Zeitgenossen Max Goebel erkannte er, daß auch dieser den Text nicht eingesehen hatte.184 1847 erklärte Credner schließlich, es habe ihn „viel Mühe und viel vergebliche Nachfragen gekostet, bevor es […] gelungen ist, 178 In diese Richtung geht der die gesamte Arbeit bestimmende zweite Teil „Justinus maryr evangelia num divinitus inspirata judicaverit?“ von Credner, Inspiratione, S. 24–60. 179 Ebd., S. [1] [„Exordium“]. 180 Ebd. 181 S. hierfür Credner, Essäer, S. 256–260. 182 Planck, Geschichte, S. 31 f., Anm. 41. 183 Eben diesen Schluß zieht Credner, Geschichte, S. 305, über das „schiefe […] Urtheil“ „des sonst so vorsichtigen Planck“ ebd., S. 306: „In solcher Weise hätte Planck weder über Karlstadt […] noch über die Schrift […] ein Urtheil fällen können, wenn er dieselben aus eigener Ansicht näher gekannt hätte, und bei der letzteren Schrift nicht ausschliesslich auf die unschul.[digen] Nachrichten beschränkt gewesen wäre.“ Ein Satzfehler ist ebd., S. 304–306, zu korrigieren: Anm. 2 dürfte ebd., S. 304, auf die Fußzeile von ebd., S. 306, gehören. Über Credner hinaus ließe sich ergänzen, daß ein weiterer Göttinger, Stäudlin, Dogmengeschichte, S. 219, sich 1800 auf den Wortlaut von Planck bezog und die Fortschreibung weiterführte. 184 Credner, Geschichte, S. 304.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
43
dieser Schrift habhaft zu werden.“185 Die Veröffentlichung fällt in eine Zeit, die von großer Unruhe bestimmt war. In den revolutionären Umbrüchen des Folgejahrs versuchte Credner ausgleichend zu wirken186, nachdem er selbst in einem langjährigen Konflikt und unter hohem persönlichen Einsatz für die hochschulpolitische Freiheit seiner Universität gegen einen ultramontanen Kanzler eingetreten war187. Innerprotestantische Auseinandersetzungen schlossen sich für Credner an188, die ihn „[a]ufs Tiefste und Schmerzlichste […] verwundet[en]“.189 Nach einer fortschreitenden Lähmung, trotz derer er seine Amtspflichten wahrnahm190, starb Credner 1857 ein halbes Jahr nach seinem 60. Geburtstag. „[N]och auf seinem Todesbette“ hatte er „an seiner Kanonsgeschichte diktier[t]“191, die 1860 aus seinem Nachlaß herausgegeben wurde. Das Veröffentlichungsformat als „Geschichte des Neutestamentlichen Kanon“ mit einem durch den Herausgeber nachgestellten „Anhang“ zum „Grundbestand des N. T. […] im Einzelnen“192 ließ nicht mehr den konstitutiven Bezug auf die 1836 begonnene „Einleitung in das Neue Testament“ erkennen. 1.2.2. Credners Karlstadt-Edition (1847) Seine Edition von Karlstadts „De canonicis scripturis“ rückte Credner 1847 in einen „Zur Geschichte des Kanons“ überschriebenen Band ein.193 Dieser enthielt fünf Einzelstudien, die alle „ursprünglich […] dem zweiten Bande meiner Einleitung oder der Geschichte des neutestamentlichen Kanons als Beilagen angefügt […] werden“194 sollten. Credners „Vorwort“ zu der umfänglichen Monographie verteidigte das Gesamtprogramm von 1836 gegen den Vorwurf einer „Unaus185 Ebd.,
S. 300. Baldensperger, Credner, S. 31. 187 Zu dem Vorgang im ganzen s. ebd., S. 23–31. 188 Ebd., S. 31–36. 189 So die Worte eines Freundes und Schülers, Anon., Credner, Sp. 1041 f., der die letzten Lebensjahre einer ausgreifenden Lähmung aus erschütternder Nähe schilderte, ebd., Sp. 1042 f. 190 Baldensperger, Credner, S. 36: „Im Jahr 1856, wo er zum achten Male das Dekanat führen sollte, ist nur noch sein Name mit zitternder Hand in’s Dekanatbuch eingetragen.“ 191 Ebd., S. 39 f. 192 Volkmar, Kanon; für eine kritische Distanz gegenüber dem Herausgeber s. Baldensperger, Credner, S. 64 und S. 88 f.: „Was diese von G. Volkmar im Jahre 1860 aus den nachgelassenen Papieren herausgegebene Geschichte des neutest.[amentlichen] Kanons betrifft, so kann man es nur schmerzlich bedauern, daß es dem Meister selbst, der wie kaum ein anderer zur Ausführung einer solchen Aufgabe vorbereitet war, nicht mehr vergönnt gewesen ist, die letzte Hand an sein Werk zu legen. Wieviel vollkommener es sich auch in Bezug auf die Anordnung und die Kapitelüberschriften gestaltet hätte, das geht doch schon aus dem Umstande hervor, daß es nach seinem Tode in mehreren Bearbeitungen vorlag, die gewiß nicht auf eine gegenseitige Ergänzung berechnet waren, sowie aus der Thatsache, daß er sich selbst solange Jahre hindurch zu einer Vollendung seiner Arbeit nicht entschließen konnte, weil er immer noch nach einer ihn zufriedenstellenden Form suchte.“ 193 Credner, Geschichte, S. [291]–412. 194 Ebd., S. VI [„Vorwort“]. 186
44
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
führbarkeit“195. Credner berief sich auf die Folgerichtigkeit seines induktiven Ansatzes196, dessen Realisierung durch äußere Schwierigkeiten aufgehalten worden sei. Sehr diskret197, deshalb aber nicht weniger pointiert deutete Credner die hochschulpolitischen Konflikte an: „ich [habe] keineswegs gefeiert“198. Allein die Karlstadt-Edition vermittelt einen Eindruck von dem eigentlichen Hindernis, das dazu führte, das sich Credner mehr als zwei Jahrzehnte mit Vorarbeiten zu seiner Kanongeschichte aufhielt: Seine Gründlichkeit199 ist überragend. Diese zeigt sich bereits in seiner Literatur‑ und Quellenbeschaffung. Von Planck aus mochte Credner leicht zu Füßlins Lebensbeschreibung von Karlstadt gefunden haben200, während der Hinweis auf Bullingers Reformationsgeschichte von Goebel stammen dürfte.201 Einzelnes erhob er aus Hottingers Kirchengeschichte.202 Äußerst akribisch hatte Credner zudem beide Beiträge von Köhler eingesehen (1792 und 1794)203, Riederer204, Kreysig205, Gerdes’ Lebensbeschreibung und Bibliographie206 sowie die Karlstadt betreffenden Editionen von Löscher207. Für Luther rekurrierte er auf Walch208, die Jenaer Ausgabe209 195
Ebd., S. [V]. „gemäss dem […] sachgemässe[n] Fortschritt vom Besonderen zum Allgemeinen“. 197 Ebd.: „Wer auch nur entfernt die bald amtlichen bald ausseramtlichen Geschäfte, Obliegenheiten, Störungen und Verwickelungen kennte, die mich seit mehr als zehn Jahren in Anspruch genommen und in meiner literarischen Thätigkeit gestört und gehemmt haben, würde einen solchen Aufschub gewiss leicht erklärlich finden.“ 198 Ebd., S. VI. 199 Diese Eigenschaft hebt auch Credners ungenannter Freund und Schüler mit einer begrifflichen Wiederholung hervor, Anon., Credner, Sp. 1037: „Sein tiefer Sinn für Wahrheit und Treue, seine daraus hervorgehende, sich auf das Geringfügigste erstreckende Gründlichkeit ließen ihn für jede einzelne That stets seine ganze Persönlichkeit in die Waagschale werfen und niemals resultatlos wirken. So wird es denn auch begreiflich, daß aus den Jahren 1832–1847 eine Auswahl wissenschaftlicher Werke vorliegt, welche überall die Züge seines Fleißes, seines reichen Wissens und seiner Gründlichkeit tragen. Durch seine ‚Beiträge zur Einleitung in die biblischen Schriften‘, durch sein Buch ‚zur Geschichte des Canons‘, vor allem durch sein Hauptwerk, die ‚Einleitung ins Neue Testament I.‘ eine auf tiefes Quellenstudium basirte, mit reicher Gelehrsamkeit ausgerüstete, selbst nach dem Zeugniß von Theologen anderer Richtung zwar in ‚freierem, aber doch vermittelndem und gemäßigtem Tone‘ gehaltene Schrift, – durch alle diese Werke hat sich Credner eine ehrenvolle Stelle in der Theologie und den Dank der Wissenschaften erworben.“ 200 Erwähnt wird der Text bei Credner, Geschichte, S. 297, Anm. 1. Auf Füßlin bezieht sich Planck, Geschichte, S. 30, Anm. 38. 201 Credner, Geschichte, S. 297, Anm. 1 cont., erwähnt das Werk, legt aber zugleich offen, es nicht eingesehen zu haben. 202 Ebd. 203 Ebd., S. 299 mit Anm. 2. Ebd., S. 304. 204 Ebd., S. 302, Anm. 1 cont.; S. 303 f. 205 Ebd., S. 303. 206 Ebd., S. 298, Anm. 2; S. 303. 207 Ebd., S. 302; 332, Anm. 2 cont; S. 372, Anm. 1. 208 Ebd., S. 373, Anm. 1. 209 Ebd. 196 Ebd.:
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
45
und den von de Wette herausgegebenen Briefwechsel210. Im heimatlichen Gotha, wo er das Gymnasium besucht hatte211, stieß Credner auf „noch ungedruckt[e]“ Karlstadt-Autographen.212 In Gotha hatte er auch Quellenarbeit mit weiteren Karlstadt-Drucken betrieben.213 Darunter hatte Credner zwei Texte von 1519 eingesehen, die „Epitome De impii iustificatione“214 und die „Epistola Andreae Carolostadii adversus ineptam et ridiculam Ionannis Eckii argutatoris, qui dixit, Lipsiae, cum urgeretur. Opus bonum esse a deo totum sed non totaliter“215. Im ganzen hätte man sich eine bessere materiale Grundlage für eine Einzeledition Mitte des 19. Jahrhundert schwerlich erarbeiten können. Credners „Vorbemerkungen“216 zu „De canonicis scripturis“ bieten mehr als nur eine Einführung. Sie ordnen die Karlstadtschrift in einen kirchenhistorischen Deutungsrahmen ein, der das dogmatisch konservative Profil der Reformation betonte, von dem sich ein konsequent historisches Denken erst weitaus später ablösen sollte. Die „evangelische Kirche“ behielt demnach einen erheblichen „Theil des dogmatischen Ausbaues der älteren katholischen Kirche unverändert“ bei217. Dazu habe der „auf dogmatischem, statt auf geschichtlichem Grunde […] auf[ge …]bau[te]“218 biblische Kanon gehört. Die Progression der historischen Bewegung sah Credner im Übergang von einer unkritisch rezipierten dogmatischen Tradition zum selbständigen Denken, das „Vernunftwahrheiten“ erschließt219. Große Bedeutung kommt dem Ideal eines freien, „denkende[n …] Leser[s] der Bibel“220 zu. In der Einleitung zu „De canonicis scripturis“ findet sich der Begriff dreimal.221 1841 und 1843 hatte ihn Credner in den Titel sei-
210
Ebd., S. 297, Anm. 1. Credner, S. 7. 212 Credner, Geschichte, S. 304, Anm. 1: „Anderes liegt noch ungedruckt in Bibliotheken z. B. in Gotha.“ 213 Ebd., S. X [„Vorwort“]: „Es war mir lange unmöglich den näheren Anlass zur Abfassung der […] Schrift Karlstadts zu finden. Erst als der Druck schon vorgerückt war, gelangte auf der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha noch eine seltnere kleine Schrift Karlstadts zu meiner Benutzung, welche den bis dahin vergebens gesuchten Aufschluss bot.“ 214 Ebd., S. 298, als „Epitomes [sic] de impii iustificatione“ aufgeführt. Zu dem Text vgl. zuletzt Bubenheimer, Müntzer, S. 179; zur Druckbeschreibung s. Freys /Barge, Verzeichnis, S. 161, Nr. 13. 215 Unter leicht verkürztem Titel aufgeführt auf Credner, Geschichte, S. 374, Anm. 1 cont. In seinem „Vorwort“ verwies Credner eigens auf die Bedeutung dieser Schrift für seine Datierung von „De canonicis scripturis“, s. ebd., S. X; s. dazu o. Anm. 213. Für Druckbeschreibungen s. Freys/Barge, Verzeichnis, S. 166–169, Nr. 24 f. 216 Credner, Geschichte, S. [393]–314. 217 Ebd., S. [393]. 218 Ebd., S. 295. 219 Ebd. So wichtig dieser Begriff für Lessing – und Bezugnahmen auf diesen, auch im 19. Jahrhundert, – ist, dürfte sich in ihm doch eher das für Credner einschlägige Profil des theologischen Rationalismus andeuten. 220 Ebd., S. 308. 221 Ebd. und zweimal ebd., S. 309. 211 Baldensperger,
46
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
nes Popularbuches für Einleitungsfragen aufgenommen: „Das Neue Testament nach Zweck, Ursprung, Inhalt für denkende Leser der Bibel“.222 In dem Band selbst schilderte er eine „geschichtliche“ „Betrachtung“ der „neutestamentlichen Schriften“ als das „geläuterte Streben des ächt christlichen Protestantismus“223. Das letzte Drittel der Karlstadt-„Vorbemerkungen“ referierte einen historischen Abriß der Vorläufer exegetischer Evangelien‑ und Pentateuchkritik.224 In diesen Zusammenhang ordnete Credner Karlstadt ein: Er habe „richtige […] Einsicht“ gewonnen und „einen richtigen Blick“225 gehabt. Dies anzuerkennen, seien aber die Zeitgenossen „weder geneigt, noch reif“226 gewesen. Zudem habe der Streit mit Luther jede historische Wirkung destruiert.227 Credners Gesamteinschätzung ist ausgewogen und differenziert. In der Ablehnung von Karlstadt sah er eine unkritische Voreingenommenheit des Luthertums, aber auch „die Rechtfertigung Karlstadts“ der „Reformirten“ sei „einseitig“ gewesen.228 Mit einer erstaunlichen Treffsicherheit diagnostizierte Credner, daß selbst die jüngsten reformationsgeschichtlichen Darstellungen – zu denen man 1847 immerhin Ranke zählen mußte – „nicht frei von einseitigen und schiefen Angaben über diesen Mann“229 seien. Eine unbefangene Annäherung an Karlstadt habe sich erst seit etwa 1750 entwickelt230. In besonderer Weise berief sich Credner auf Köhler231. Selbst schilderte er Karlstadt „als Protestant“ und Mann einer eigenen „freimüthigen Prüfung“232. Inhaltlich erschloß Credner „De canonicis scripturis“, „diese so beachtenswerthe Schrift“233, kaum, vielmehr verwies er auf sie, um die herausgestellte „Lücke“ kanontheoretischer Reflexionen in der Reformationszeit234 zu füllen. Bibliographische Erwähnungen der Schrift verfolgte Credner durch das 18. Jahrhundert, wobei die nur eingeschränkt wertvolle Inhaltsangabe von Planck den Endpunkt markierte235. Exegetisch hob Credner weniger auf Karl222 Credner,
Bibel, T. 1 f. T. 1, S. IV. 224 Credner, Geschichte, S. 307–315. 225 In der Reihenfolge der Zitate s. zunächst ebd., S. 294, dann S. 297. 226 Ebd., S. 295. 227 Ebd., S. 296. 228 Ebd. 229 Ebd. 230 Ebd., S. 300: „Abgesehen von den Gründen und Vorurtheilen, welche in den persönlichen Verhältnissen ihres Verfassers liegen, Verhältnisse, welche zu übersehen wenigstens seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine grössere Geneigtheit sich zeigte“. 231 Ebd., S. 299. 232 Ebd. 233 Ebd., S. 300. 234 Ebd.: „In solcher Weise […] ist Karlstadts Schrift […] entstanden, jedenfalls ein ebenso merkwürdiges als wichtiges und eine wesentliche Lücke in der Geschichte des Kanons ausfüllendes Glied, ohne welches nur mit Befremden die Frage gehört werden müsste: wie es doch gekommen, dass im Laufe der Reformation eine Betrachtung der Bibel gerade von dieser bedeutsamen Seite her, so ganz unangeregt und unversucht geblieben?“ 235 Ebd., S. 302–306. 223 Ebd.,
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
47
stadts Bedeutung für die Pentateuchkritik ab als auf dessen Evangelientheorie: „zur Erklärung dieses Verhältnisses [stellte er] eine Hypothese auf, welche mit der später so berühmt gewordenen Ur-Evangeliums-Hypothese sehr nahe sich berührt.“236 Credner entdeckte in Karlstadt den Vorläufer seines Lehrers Eichhorn. Zugleich berief er sich für seinen bibelkritischen Ansatz einer historischen und nicht dogmatischen Exegese auf den „Anfang […] der Reformation, als die Forschung noch freier war“237. Die historischen Einführungsfragen zur Schrift löste Credner sehr souverän. Die in Gotha eingesehene „Epistola Andree Carolostadii adversus ineptam et ridiculam inventionem Joannis Eckii argutatoris“ von 1519 war für Credner von größter Bedeutung, weil er darin einen ersten Hinweis auf eine geplante Schrift „de scripturis Canonis“ fand und das literarische Vorhaben in das Jahr 1519 frühdatieren konnte.238 1520 sei die Auseinandersetzung mit Luther um den Stellenwert des Jakobusbriefes hinzugekommen.239 Eine Abhängigkeit von „De captivitate babylonica“ – wie sie einige Autoren zuvor geboten hatten – sei „irrig“240. Für seine Textpräsentation wählte Credner ein Format, das die inhaltliche Erschließung erleichtern und eine formale Bezugnahme ermöglichen sollte. Er verzichtete auf einen Sachkommentar und die Auszeichnung der Seitenzählungen des Originaldrucks, verifizierte aber altkirchliche Zitate – besonders Augustins, aber auch Hieronymus’ – sowie Bibelstellen und integrierte eine Paragraphenzählung in den Haupttext. Neben der eingeschränkten inhaltlichen Annäherung an den edierten Text könnte man allenfalls monieren, daß Credner die deutsche Folgeveröffentlichung „Welche bucher Biblisch seint“ nicht vergleichend einbezog, sondern nur vorab bemerkte, er habe in dem Titel „nichts weiter Erhebliches […] gefunden, weshalb er nicht weiter berücksichtigt ist.“241 Im ganzen bleibt die editorische Leistung höchst beeindruckend. Sie verdankte sich einer gezielten Suche nach kanongeschichtlich bedeutsamen Dokumenten und zeugt von einer skrupulösen Gewissenhaftigkeit im historischen sowie methodischen Detail. Vor die eigene Auswertung des Textes, der deutlich genug in die Vorgeschichte der historischkritischen Bibelexegese eingeordnet wurde, trat das Anliegen, die entlegene Schrift verfügbar und für die Fachwissenschaft rezipierbar zu machen.
236 Ebd.,
S. 306. Ebd., S. 307. Rekurse auf Johann Philipp Gablers Altdorfer Antrittsvorlesung von 1787 finden sich nicht. 238 Ebd., S. 375, Anm. 1 cont. Für Titelbeschreibungen der betreffenden Drucke s. Freys / Barge, Verzeichnis, S. 166–168, Nr. 24 f. 239 Credner, Geschichte, S. 374, Anm. 1 cont. 240 Ebd. 241 Ebd., S. 302. Für Druckbeschreibungen der deutschen Ausgaben s. Freys / Barge, Verzeichnis, S. 177–179, Nr. 46–48. 237
48
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
1.2.3. Wirkungen der Edition Der Text verfehlte seine Wirkung nicht. Bereits für das Jahr 1855 läßt sich beobachten, wie sich Kritiker der alttestamentlichen Apokryphen programmatisch auf Karlstadt zu berufen suchten. Die eröffnete Front richtete sich gegen Theologen wie Hengstenberg, die für die Einheit der Schrift eintraten.242 1856 fand Credner, der sein letztes Lebensjahr durchlitt und dem es zu dieser Zeit „beinahe unmöglich [war, auch] nur einigermaßen deutlich zu reden oder zu schreiben“243, seinen literarischen Nachfolger. Jägers 1856 erschienene CarlstadtMonographie ging ausführlich auf „De canonicis scripturis“ ein und kritisierte die Crednersche Edition vernichtend. Zwei gravierende Fehler seien dem Herausgeber unterlaufen. Zum einen verwies Jäger auf einen Datierungsfehler: „Es ist unbegreiflich, wie Credner, der doch die Dedication der Carlstadtischen Schrift auch mit ihrem Datum abdrucken ließ und sie kennen mußte, den Angriff auf Luther motivirt sein läßt durch das, was dieser in seiner erst im October (!) 1520 erschienenen Schrift de captiv. Babyl. über den Jacobusbrief urtheilt.“244
Jäger hatte Credner nicht sorgfältig gelesen. Eine entsprechende Spätdatierung, wie sie sich in der früheren Literatur bisweilen mit einem angenommenen Druckjahr 1521 für Karlstadts Schrift verbunden hatte, war von Credner ausdrücklich zurückgewiesen worden.245 Nicht minder schockierend mußte auf einen unbefangenen Leser von Jägers Monographie der zweite herausgestellte Mangel wirken: „Zugleich mache ich darauf aufmerksam, daß die Crednerische Ausgabe der Carlstadtischen Schrift sogar die in der Originalausgabe, die ich von der öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart erhielt, in einem Anhang schon corrigirten Druckfehler unverbessert wiederholt und dadurch den Sinn mancher Stellen ganz entstellt.“246
1905 sollte Barge dieses Urteil wiederholen, ohne einen Hinweis auf Jäger zu formulieren: „Neu gedruckt ist die Schrift von K. A. Credner […], freilich mit all den Druckfehlern, die im Anhange des Originals schon verzeichnet waren.“247 Mit einer gewissen Fassungslosigkeit mag ein Bewunderer der Crednerschen Akribie über einen so elementaren Fehler staunen und sich mit einem Textvergleich der verfügbaren Originaldrucke mit der Edition von 1847 zu behelfen suchen. Das Ergebnis ist eindeutig: Von den 56 durch Karlstadt angezeigten Druckfehlern hatte Credner 52 in seinen Text eingearbeitet.248 Vier hatte er 242 Exemplarisch vgl. hierfür die Streitschrift von Keerl, Apokryphenfrage, mit dem vorangestellten Motto aus „De canonicis scripturis“. 243 Anon., Credner, Sp. 1042. 244 Jäger, Carlstadt, S. 93, Anm. *. 245 S. dazu oben Anm. 240. 246 Jäger, Carlstadt, S. 93, Anm. *. 247 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 186, Anm. 11. 248 Vgl. dazu den Wittenberger Originaldruck (für Druckbeschreibungen s. Freys/Barge,
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
49
übersehen oder nach einer kritischen Revision nicht übernommen. Einer davon befindet sich in einer Überschrift249, und nur auf dieser Ebene mochte sich Jägers flüchtige Orientierung über Credners Edition bewegt haben. Hätte Jäger den Anmerkungsteil eingesehen, wäre ihm nicht entgangen, daß Credner in zwei Zusammenhängen die Karlstadtsche „Errata“-Liste sogar textkritisch diskutierte und die vorgeschlagenen Korrigenda innerhalb eines Hieronymuszitates anhand verschiedener Editionen überprüft hatte.250 Jäger wird man keinen Vorwurf dafür machen dürfen, daß er es vorzog, mit einem Originaldruck zu arbeiten. Daß er aber Credners Edition so diskreditierte, daß es selbst Barge für unnötig hielt, die betreffenden Ausführungen zu überprüfen, hat die Wahrnehmung des Forschungsbeitrages nachhaltig beschädigt. Credners uneingeschränktes Verdienst bleibt es, die Aufmerksamkeit der theologischen und historischen Fachwelt Mitte des 19. Jahrhunderts auf Karlstadts Bedeutung für die neuzeitliche Bibelkritik gelenkt zu haben. Barge nahm dies wahr251 und schloß zustimmend252, wenn auch nicht immer nominell ausgewiesen253, an Credner an.254 Zugleich trug Credners Edition bis in jüngere Standardwerke der alttestamentlichen Forschungsgeschichte255, der Kanongeschichte256 Verzeichnis, S. 172 f., Nr. 34 f.; das von Jäger benutzte Stuttgarter Bibliotheksexemplar dürfte das der heutigen LB sein; dieses entspricht Freys / Barge, Verzeichnis, S. 172, Nr. 34, und wird unter der Sig. „Theol 4. 890“ aufbewahrt), Bl. N 2r, in der Reihenfolge der Karlstadtschen „Errata“-Liste mit Credner, Geschichte, S. 317, 326, 330, 333 f., 336, 339 f., 349 f., 355 f., 358, 363 f., 366–368, 376, 378, 382, 390 f., 392, 394 f., 396–403, 406. Sämtliche Lesarten finden sich bei Credner in der von Karlstadt korrigierten Textgestalt. Auszunehmen sind nur „E. 2. fa[cie]: 1 […] tractatione“, von Credner nicht berücksichtigt auf S. 349, „E. 3. fa[cie]: 2 […] addicit“, von Credner nicht geboten auf S. 352, „L 4 fa:ii […]: xiiii […] Gaio“, von Credner nicht geboten auf S. 401, und „M,1. fa. i. […] luce a lux“, von Credner nicht geboten auf S. 401. Gegen diese vier Versäumnisse stehen 52 korrigierte Fehler. 249 Es handelt sich um die erste Korrektur, die in der Voranm. als nicht übernommen aufgeführt wurde. 250 Credner, Geschichte, S. 392, Anm. 3, und S. 399, Anm. 3. 251 Im Anschluß an Credner hob Barge, Karlstadt, T. 1, S. 195 f. mit Anm. 36, auf Karlstadts Bedeutung für die spätere Evangelienkritik ab. 252 So erklärte Barge, Karlstadt, T. 1, S. 186, Anm. 11, über den Gesamtansatz: „Aber in der Würdigung der kritischen Leistung Karlstadts sticht Credners Unparteilichkeit wohlthuend von der Gehässigkeit Jägers ab.“ Ebd., S. 193, Anm. 29, zitierte Barge Credner ausführlich und betonte, daß dieser „[n]ur an Karlstadts Kampfesweise […] manches auszusetzen“ habe. 253 Ebd., S. 185, Anm. 10, präsentierte Barge die von Credner gebotene Datierung in das Jahr 1519 ohne einen Hinweis auf den literarischen Vorgänger. 254 Auf diese beiden Literaturreferenzen, Barge und Credner, wurde auch Smid, Canon, 1953 aufmerksam. Vor allem verwies er auf ein Exemplar von „Welche bucher Biblisch seint“, das nach der gebotenen Beschreibung dem Druck entspricht, den Freys/Barge, Verzeichnis, S. 177, als Nr. 46 verzeichneten. Eine inhaltliche Auswertung des Textes erfolgte nicht. 255 Vgl. dazu an zentraler Stelle im Jahr 2008, unter Rekurs auf Credners Paragrapheneinteilung, Hayes, Criticism, S. 987, Anm. 7. 256 Nur exemplarisch s. etwa Mühlenberg, Kanon, S. 137, Anm. 39, der eine sehr umsichtige Zitation wählte, indem er Textauszüge aus einem Originaldruck um die Paragrapheneinteilung von Credner ergänzte.
50
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
und der ökumenischen Diskussion257 dazu bei, „De canonicis scripturis“, auch in der englischsprachigen Forschung258, zu einem der am meisten beachteten Texte von Karlstadt werden zu lassen. Für die Karlstadt-Forschung nach Barge wurde die Crednersche Ausgabe insofern bedeutsam, als über ihrer Lektüre Ulrich Bubenheimer 1969 zu seinem Dissertationsthema und einem jahrzehntelangen Arbeitsgebiet fand.259
1.3. Wilhelm Heinrich Erbkams „Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation“ (1848) – Karlstadt als erster Repräsentant reformatorischer Mystik Nach der Behandlung von Karlstadt in einer Aufsatzsequenz und einer Einzeledition vollzog sich schon bald die Ausweitung zum ausführlichen Kapitel einer Monographie. Dieses findet sich 1848 in Wilhelm Heinrich Erbkams „Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation“. Eine Kenntnis Credners läßt sich nicht aufweisen260, und auf Goebel bezog sich Erbkam nur an zwei Stellen, die ablehnend zu sein scheinen. Zum einen wurde Goebel vorgehalten, die Umstände um Karlstadts Romreise unerwähnt gelassen zu haben; da diese Vorgänge „für die Charakteristik des Mannes nicht unwichtig“261 seien, sei mithin ein vorteilhafteres Charakterbild entstanden. Zum anderen diskutierte Erbkam Goebels Gesamtanliegen kritisch abwägend: „Es ist nicht abzuleugnen, was Goebel in der oben angeführten Abhandlung über Carlstadt (Stud. u. Kritiken 1841 […]) besonders durchführt, daß C.[arlstadt] das reformirte Element vertritt, aber es ist darum noch nicht richtig, ihn zum Vorkämpfer desselben zu machen, denn er vertritt es weder rein, noch ist überhaupt eine solche abstrakte Schriftmäßigkeit das wahre Kennzeichen der reformirten Eigenthümlichkeit.“262
257
Vgl. Lohse, Kanon, S. 181, Anm. 35. dazu etwa Sider, Karlstadt 1974, S. 88, Anm. 11. 259 Die Auskunft verdanke ich Ulrich Bubenheimer brieflich (am 13. April 2013): „Ich hatte aus der UB Tübingen 1969 das Buch Credners ausgeliehen […]. Darin las ich Karlstadts ‚De canonicis scripturis libellus‘. Da ich mich davor intensiv mit Silvester Prierias beschäftigt hatte (ich sollte ja auf Obermans Vorschlag hin über ihn meine Dissertation schreiben), erkannte ich bei der Lektüre, dass Karlstadt darin – ohne Namensnennung – auf ein Disputationserlebnis mit Prierias in Rom anspielt. Das überraschte mich, ich begann, mich mit Karlstadts Romreise zu beschäftigen und stieß dabei auf Barges Siena-Theorie. Damit war der Einstieg in mein neues Dissertationsthema gegeben.“ Bubenheimers Erinnerungen werden von dem betreffenden Kapitel seiner Dissertation bestätigt: Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. [67]–70; im Wortlaut der Abgabefassung ders., Karlstadt 1971, S. 74–77. 260 Vgl. dazu Erbkam, Geschichte. 261 Ebd., S. 181, Anm. 1 cont. 262 Ebd., S. 188, Anm. 1. 258 Vgl.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
51
Beide Referenzen bezogen sich alleine auf den Eröffnungsaufsatz von Goebel, und es gibt keine Anzeichen, daß Erbkam die beiden Folgeaufsätze registriert hatte. In der Formulierung „reformirte […] Eigenthümlichkeit“ deutet sich indes eine Vertrautheit mit Goebels Monographie von 1837263 an. Dem Grundansatz von Goebel, ein „reformirte[s] Element“ mit Karlstadt zu identifizieren, stimmte Erbkam ausdrücklich zu. Auf eine bezeichnende Weise hatte Erbkam damit einen Anschluß an Goebel vollzogen, der Gemeinsamkeiten in der Sache, aber Unterschiede in der Ausführung voraussetzte. 1.3.1. Erbkams theologisches Profil in seinen Parallelen zu Goebel Tatsächlich sind die Parallelen in den theologischen Entwicklungen von Goebel und Erbkam frappierend. Wie Goebel war Erbkam „nach seiner Familientradition reformierter Herkunft“ und „als entschiedener Vertreter der Union“ persönlich offen, „das heil.[ige] Abendmahl [nicht] nur nach spezifisch reformiertem Ritus zu empfangen“.264 Akademisch studierte Erbkam, wie Goebel, in Bonn und Berlin, wo Erbkam die überwiegende Zeit seiner Kindheit und Jugend verbracht hatte. Sein Onkel mütterlicherseits war der Bonner Theologe Karl Heinrich Sack265, in dessen Haus der Schüler noch vor seinem Abitur Aufnahme fand und „unter der Leitung Sacks seine theologischen Studien“ aufnahm.266 Bestimmend wurde während dieser Bonner Zeit neben Bleek auch für Erbkam vor allem Nitzsch, in dessen Haus der ein knappes Jahr jüngere Goebel wohnte267. Wie Goebel studierte Erbkam268 sodann bei Schleiermacher und während Goebel in Berlin zudem Lehrveranstaltungen von Hengstenberg besuchte, näherte sich
263 Goebel,
Eigenthümlichkeit. präzisesten Ausführungen zu Erbkam bietet lexikalisch der Königsberger Fakultätskollege David Erdmann, Art. Erbkam (DBA, T. 2, Fichenr. 334, S. 322–325), auf die sich die meisten der in den nachfolgenden Anmerkungen gebotenen biographischen Daten beziehen. Ein Vergleich mit dem Nachruf von Eilsberger, Erbkam, erweist jedoch, daß Erdmann gerade die lebensgeschichtlichen Daten aus diesem Nachruf von 1884 übernommen hatte, der in Details genauer ist und an dessen Wortlaut sich Erdmann orientierte. Wo es erforderlich ist, wird aus diesem Grund ergänzend auf Eilsberger rekurriert. 265 Ausführlich auf diese Verwandschaftsverhältnisse geht Eilsberger, Erbkam, S. [17], ein. 266 Erdmann, Art. Erbkam, S. 448. Die Formulierung findet sich bereits bei Eilsberger, Erbkam, S. [17], der das Abitur auf das Jahr 1828 präzisiert. 267 Vgl. dazu die Geburtsdaten für Erbkam ebd.: „8. Juli 1810“; für Goebel s. Goeters, Goebel, S. 3: „13. März 1811“. Die von Kuhn, Biedermann, S. 217, Anm. 67, für Erbkam falsch ausgewiesenen Lebensdaten „1780–1846“ lassen sich in ihren fehlerhaften Bezügen nicht rekonstruieren, da jede Literaturangabe fehlt. Möglicherweise unterlief Kuhn eine Verwechslung von Erbkam mit Marheineke. 268 Erbkams Nachschriften zur Ästhetik wurden 1842 für die posthume Ausgabe der „Vorlesungen über die Aesthetik“ mit herangezogen, vgl. dazu Lommatzsch, Schleiermacher, S. IX. Weitere Erbkamsche Aufzeichnungen wurden u. a. für die „Dialektik“ (1839) von Jonas und „Die praktische Theologie“ (1850) von Frerichs herangezogen. 264 Die
52
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Erbkam Marheineke und Neander269 an. In den vierziger Jahren kehrten sich die Bezüge zu Hengstenberg um, als der publizistisch bereits erfahrene Goebel 1844 gegen seinen akademischen Lehrer Stellung bezog270 und Erbkam mit seiner literarischen Erstlingsschrift Hengstenberg und andere gegen den Verein der sog. „Lichtfreunde“ in Schutz nahm271. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Goebel und Erbkam betrifft die Zeit nach dem Ende ihres jeweiligen Theologiestudiums: Beide besuchten das Wittenberger Predigerseminar und empfingen dort – auch für ihre historiographischen Arbeiten – zentrale Anregungen von Richard Rothe.272 Erbkams späterer Königsberger Fakultätskollege Erdmann faßte diese Bedeutung zusammen: „Rothe hat einen bleibenden Einfluß auf seine [Erbkams] theologische Richtung gewonnen und seine Studien auf dem Gebiete der Kirchengeschichte und des kirchlichen Lebens besonders dahin gelenkt, daß er sich mit den Erscheinungen der protestantischen Mystik und dem daraus entsprungenen Sektenwesen näher befaßte. Diesem Gebiet gehörte schon der Stoff an, mit dessen Bearbeitung er sich, als er nach Vollendung des Wittenberger Seminarkurses 1837 in Berlin das Licentiatenexamen bestanden hatte, in Breslau habilitieren wollte: Leben und Lehre des Kaspar Schwenckfeld. Aber statt in Breslau, wo die Verhandlungen darüber ohne Erfolg waren, habilitierte er sich in dem heimatlichen Berlin 1838 als Privatdocent der Theologie.“273
In seiner zehn Jahre später erschienenen „Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation“ rückte Erbkam drei Hauptkapitel zu Einzelpersonen ein: Karlstadt, Sebastian Frank und Schwenckfeld.274 Sollten Goebel und Erbkam einander weder in Bonn noch in Berlin begegnet sein, hatten sie spätestens in Wittenberg miteinander Bekanntschaft schließen müssen. Goebel war dort zwischen Ostern 1834 und Weihnachten 1835275, Erbkam trat „1834, nach Schleiermachers Tod [12. Februar 1834], […] in das Predigerseminar zu Wittenberg ein“276. Falls Erbkam ebenfalls Mitglied des „dort bestehenden theologischen Verein[s … gewesen war], welcher sich unter der freundschaftlichen Leitung des verehrten Herrn Professor Dr. Lommatzsch zu gegenseitiger, brüderlicher Anregung und Förderung in christlicher Wissenschaft gebildet hat“, 269 Erdmann,
Art. Erbkam, S. 448. dazu Goeters, Goebel, S. 11. 271 Erdmann, Art. Erbkam, S. 448 f. 272 Für Goebel vgl. dazu oben die Anm. 21–26. 273 Erdmann, Art. Erbkam, S. 448. Zur Frage nach Erbkams Abgabefassung der Promo tionsschrift s. unten Anm. 308. Den genauen Titel der von Maron nicht aufgefundenen und von Erdmann nicht eigens verzeichneten Handschrift bietet Eilsberger, Erbkam, S. 18: „De vita et doctrina Casparis Schwenckfeldii commentatio historico-theologica“. 274 S. hierfür in Erbkam, Geschichte, die Kap. 2–4 des „Erste[n …] Buch[es]“. 275 S. oben Anm. 21. 276 Eilsberger, Erbkam, S. 18. Erdmann, Art. Erbkam, S. 448, formulierte im Anschluß daran, aber in der Interpunktion und im Sinn weniger genau: Erbkam „besuchte […] nach Schleiermachers Tode 1834 doch zunächst noch das Predigerseminar in Wittenberg“. Zur Gestaltung der Einrichtung unter Rothe vgl. insgesamt Weyel, Bildung, S. [121]–134. 270 Vgl.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
53
lernte Erbkam sogar die handschriftliche Vorfassung von Goebels späterer Monographie, den „Versuch über die religiöse Eigenthümlichkeit der reformirten Kirche, im Vergleich mit der lutherischen Kirche“, vom Jahresende 1835 kennen.277 Die gegenüber diesen biographischen Parallelen und bildungsgeschichtlichen Überschneidungen schwachen literarischen Verbindungen zwischen Goebel und Erbkam lassen vermuten, daß ihre persönlichen Beziehungen von einer gewissen Distanz bestimmt waren. Ungeachtet dessen bleibt für die historiographischen Hauptwerke beider zu konstatieren, daß diese aus einem nicht nur vergleichbaren, sondern sogar weithin gemeinsamen theologischen, konfessionellen und kirchlichen Umfeld erwachsen waren. 1.3.2. Das Thema der Mystik in Erbkams Sektengeschichte (1848) Die „Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation“ erschien 1848, ein Jahr, nachdem Erbkam als Nachfolger des nach Bonn berufenen Isaak August Dorner278 nach Königsberg gewechselt war. Acht Jahre wirkte Erbkam dort als außerordentlicher Professor, 1855 übernahm er ein Ordinariat279 und versah dieses bis zu seinem Tod 1884 zusammen mit weiteren kirchlichen Ämtern. Die reformatorische Sektengeschichte blieb Erbkams einzige Monographie, sieht man von Separatveröffentlichungen früherer und späterer Gelegenheitsschriften280 ab. 277
Für beide Zitate s. Goebel, Eigenthümlichkeit, S. [XI] [„Vorrede“]. S. hierfür Erdmann, Art. Erbkam, S. 449 f. 279 Ebd. 280 Erdmann benennt ebd. eine knappe Anzahl entsprechender Veröffentlichungen. Auf Erdmann düften die tendenziösen Ausführungen von Tilitzki, Albertus-Universität, S. 33 u. S. 29, Anm. 124 cont., basieren, der die Monographie als „eine […] voluminös-positivistische […] Fleißarbeit zur ‚Geschichte der protestantischen Sekten‘“ charakterisiert. Als Ausweis einer wissenschaftlichen Dürftigkeit und mangelnden literarischen Produktivität der Königsberger theologischen Fakultät benennt Tilitzki u. a. Erbkam, „der nach 1850 lediglich einige RE-Artikel sowie zwei adadem.[ische] Reden über Melanchthon und Schleiermacher veröffentlichte.“ Exemplarisch verdichtet sich hier die Schwäche von Tilitzkis makrohistorischem Ansatz, der auch im Detail pointieren möchte, dies aber auf keiner prosopographisch angemessenen Materialbasis unternehmen kann. Nicht nur die Einschätzung der Monographie verrät keinerlei inhaltliche Kenntisnahme, auch die weiteren bibliographischen Angaben wurden ungeprüft, vor allem aber ungenau übernommen. Daß Tilitzki Erdmann, Art. Dieckhoff, konsultiert hatte, erweist Tilitzki, Albertus-Universität, S. 33, Anm. 141; bei Erdmann, Art. Dieckhoff, S. 450, liest man aber: „Noch ist zu erwähnen seine Beteiligung an Sammelwerken, besonders an der Herzogschen theologischen Realencykloädie.“ Ausdrücklich verweist Erdmann damit auf weitere unselbständige Veröffentlichungen neben der RE, deren sieben Beiträge von Erbkam sich für beide Auflagen leicht (Mitarbeiterverzeichnis, RE1, S. 619, und Mitarbeiterverzeichnis, RE2, S. 726) hätten erfassen lassen. Auf Anhieb finden sich auch in der ADB (den Hinweis darauf bieten Weder, Art. Erbkam [DBA, T. 2, Fichenr. 334, S. 326]: „Zahlreiche biographische Beiträge zur preuß. Kirchengesch. i. d. A. D. B.“ und Eilsberger, Erbkam, S. 19) nicht weniger als 14 Artikel von Erbkam, die ausgeprägte Forschungsinteressen in der Königsberger 278
54
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Das Buch umfaßte knapp 600 Seiten und bot formal wie argumentativ einen Dreischritt. Bevor dieser einsetzte, sensibilisierte eine „Vorrede“281 den Leser auf eine thematische Verschiebung gegenüber der titelgebenen Überschrift: Weniger werde eine Geschichte der reformatorischen Sekten, als vielmehr eine reformatorische Geschichte der religiösen Mystik geboten.282 Die ein knappes Drittel des Gesamtbuches umfassende „Einleitung“ grundierte sodann den vorausgesetzten Mystikbegriff. Definitorisch legte Erbkam Wert darauf, das Phänomen der Mysik primär religiös, und nicht etwa philosophisch oder psychologisch283 zu deuten. Dies richtete sich vor allem gegen die Mystikinterpretation der Hegelschule, die den idealistischen Einheitsgedanken in mittelalterlichen Denkern wie Meister Eckhart präfiguriert sehen wollte.284 Die Mystik selbst bestimmte Erbkam geradezu naturreligiös als das allgemeine285 Prinzip einer „Unmittelbarkeit [… des] religiösen Bewußtseins“286, womit er den religionstheoretischen Ansatz von Schleiermacher mystisch akzentuierte. Für seine Klassifizierung mystischer Phänomene griff Erbkam auf seinen Wittenberger Lehrer Rothe zurück, der 1845 zwischen „Selbstbewußtsein“ und „Selbstthätigkeit“287 unterschieden hatte, um das religiöse Leben des einzelnen in seinen inneren und äußeren Dimensionen zu umreißen. Den unterschiedlichen Ansatzpunkten in der jeweiligen „Persönlichkeit“288 korrespondierten die beiden Haupttypen der Kirchen‑ und Theologiegeschichte verraten. Eilsberger, Erbkam, S. 19, skizziert zudem den Nachlaß von Erbkam und listet aus diesem detailliert die ungedruckten Manuskripte auf, die kontinuierliche Vortragstätigkeiten sowie deren thematische Schwerpunkte dokumentieren. So bereichernd zahlreiche Erhebungen von Tilitzki sein mögen und so anregend viele der postulierten Verbindungslinien sind, wird man die jeweiligen Einzelangaben doch einer konsequenten kritischen Revision unterziehen müssen. Allein im Falle von Erbkam deuten sich inhaltliche Fehlurteile und gravierende methodische Mängel an. Gegen eine flächige Darstellung spricht nichts; das nötige Maß an Zurückhaltung gegenüber dem historischen Detail, vor allem aber den berührten Personen sollte jedoch gewahrt bleiben. 281 Erdmann, Art. Erbkam, S. 450. 282 Erbkam, Geschichte, S. [III], argumentierte differenzierter, indem er den von seiner Darstellung ausgeschlossenen Sekten der „Socinianer und Antitrinitarier“ unterstellte, von keinem „eigenthümlichen religiösen Prinzip“ auszugehen, sondern von „philosophischen Reflexionen“. 283 Ebd., S. 23–25. 284 Vgl. dazu besonders deutlich ebd., S. 16, Anm. 1. Erbkam bezieht sich auf Hegels 1832 gedruckte „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“. 1831, im Todesjahr Hegels, studierte Erbkam ausweislich seiner Schleiermacher-Mitschriften in Berlin; vgl. dazu das oben in Anm. 268 erwähnte Heft zu Schleiermachers Dialektik. 285 Vgl. dazu ausdrücklich Erbkam, Geschichte, S. 14: „Es darf wohl jetzt als allgemein zugestanden angesehen werden, daß die Mystik auf einem allgemeinen, naturgemäßen religiösen Grundtriebe ruht, der zwar leicht der mannichfachsten Entartung ausgesetzt ist, und wohl nirgends in völliger Reinheit zur Erscheinung gekommen ist, dennoch aber so wenig an sich selbst als eine Verirrung anzusehen ist, daß wo er gänzlich fehlte, eine wesentliche Seite des religiösen Lebens verkümmert wäre.“ 286 Ebd., S. 13. 287 Ebd., S. 40 mit Anm. 1. 288 Zu den beiden „Seite[n] der Persönlichkeit“ s. u. a. ebd., S. 55; in der Übertragung auf
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
55
Mystik, die Erkbkam als „intellektuelle Mystik“289 und „ethische Mystik“290 bezeichnete, während die „pantheistische Mystik“ einen epochenübergreifenden Grundzug in der Geschichte der Mystik markiert, der als unwesentlich291 abgelehnt wird. Die zuletzt benannte Erscheinungsform führte Erbkam als eine übersteigerte Gestalt der „intellektuellen Mystik“ auf den Neuplatonismus292 zurück und erkannte sie in der „deutschen Mystik“293, der „theologia deutsch“, und der „katholische[n]“294 oder „kirchliche[n] Mystik“295. So sehr sich Erbkam für alle Erscheinungen der Mystik, in der „Einleitung“ zunächst zwischen Antike und Mittelalter, bemühte, die Berechtigung des religiösen Grundansatzes zu betonen, lehnte er die „pantheistische Mystik“ doch letztlich ab. In ihr sah er die gefährliche Tendenz einer „Auflösung“ der konstitutiven Basis des religiösen Lebens, der „Persönlichkeit“296. Erbkams „Erstes Buch“ stellte die Wesensverwandtschaft zwischen Mystik und „Protestantismus“297 heraus, insofern die Rechtfertigungslehre – wie das Wesen der wahren Mystik – auf eine intellektuelle und ethische Einheit des Menschen vor Gott abhebe.298 Drei ausführliche Schilderungen von Vertretern reformatorischer Mystik schlossen sich an: zuerst, „[a]ls der Erste, welcher innerhalb des Gebietes der reformatorischen Bewegung das mystische Prinzip mit Entschiedenheit vertritt,“ oder kurz als der „erste Repräsentant protestantischer Mystik“299 Karlstadt. Sodann folgte als „der erste Repräsentant der pantheistischen Mystik“300 „in der protestantischen Welt“301 Sebastian Franck. Nach diesen beiden Vertretern einer intellektuellen Mystik302 stand das umfangreichste Einzelkapitel der gesamten Monographie: „Caspar Schwenkfeldt“. die Mystik s. u. a. ebd., S. 73. Die Einführung des Begriffs der „Persönlichkeit“ nimmt Erbkam ebd., S. 40, vor. 289 Vgl. dazu in der „Einleitung“ u. a. ebd., S. 94, 104, 109. 290 Ebd., ebenfalls nur in der „Einleitung“, u. a. S. 88, 102, 104, 110, 116. 291 Vgl. dazu ausdrücklich im Kontext der Hegelkritik ebd., S. 16, Anm. 1. 292 Ebd., S. 124. 293 Ebd., S. 185. 294 Ebd., S. 166. Ferner ebd., S. 111. 295 Ebd., S. 153. 296 Vgl. hierfür alleine ebd., S. 259. 297 Der Begriff findet sich vielfach, u. a. ebd., S. 1–9, 324, 359 f., 455. Besonders häufig ist der Wortgebrauch im Eingangspassus. 298 Ebd., S. [165]: „Denn nur in der göttlichen Persönlichkeit findet die menschliche die wahre Einheit ihrer ethischen und intellektuellen Funktion […]. So ist die von Gott erfüllte, mit ihm verbundne Persönlichkeit der Ausgangspunkt der Reformation. Hiemit ist der Punkt angedeutet, wo sich die Mystik und die Reformation nothwendig berühren mußten.“ Ebd., S. 166: „In der Rechtfertigung durch den Glauben an Christum ist der Persönlichkeit diese freie Stellung zu Gott gegeben […]. Es ist klar, daß hierin eine wirkliche Durchdringung des ethischen und intellektuellen Prinzips gegeben ist.“ 299 Das erste Zitat s. ebd., S. 174, das zweiten ebd., S. 286. 300 Ebd., S. 289. 301 Ebd. 302 Vgl. hierfür ebd., S. 174: „Zu jenen ist [sic] Carlstadt und Sebastian Frank zu zählen“.
56
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Es umfaßt über 130 Seiten, Karlstadt kommt auf 112 Seiten – was Erbkam als zu ausführlich empfand303 –, Franck auf gerade 70 Seiten. Das gesamte zweite Buch, das eine breite Vielfalt reformatorischer Devianz zum Aufweis sakramentskritischer Konsequenzen mystischer Religiosität304 zusammenführte, lag bei 107 Seiten. Erbkam nahm die Asymmetrie seiner Darstellung selbst wahr und bemühte sich, die eigene Ausführlichkeit aus der zeitgenössischen Forschungs‑ und Quellenlage zu erklären305. Mit diesem Argument hätte er aber entweder in gleicher Weise sein zweites Buch aufwerten oder eine Begründung für die exemplarische Schwerpunktsetzung des ersten Buches liefern müssen. Tatsächlich deutet sich in Erbkams Gesamtkomposition eine klare Zweiteilung an, wenn er über Schwenckfeld feststellt: „Er ist nemlich unverkennbar ein entschiedener Repräsentant der intellektuellen Mystik, während die Wiedertäufer dem Zuge der ethischen Mystik gefolgt sind.“306 Ausnahmslos stellte Erbkams erstes Buch Vertreter der intellektuellen Mystik dar, während sein zweites Buch den praktischen Reformforderungen der ethischen Mystik galt. Zugleich positionierte Erbkam „Carlstadt und Sebastian Frank“ auf der einen und „Melchior Hoffmann und David Joris“ auf der anderen Seite: „Zwischen beiden in der Mitte steht Caspar Schwenkfeld“.307 Dieser markierte für Erbkam das Ideal einer Synthese zwischen intellektueller und ethischer Mystik, was nicht überrascht, führt man sich vor Augen, daß sich Erbkam zum Zeitpunkt der Monographie seit mehr als zehn Jahren überwiegend mit Schwenckfeld beschäftigt hatte. Nachvollziehbarerweise war es vor allem die Schwenckfeld-Forschung, die sich später positiv auf Erbkam bezog308, wie bereits im Erscheinungsjahr Ferdi303 Ebd., S. V („Vorrede“) (s. dazu u. Anm. 305). Ebd. erklärt Erbkam zudem: „ich [habe es] auch für zweckmäßig gehalten, durch wörtliche Mittheilungen aus den seltenen Schriften einzelner Hauptrepräsentanten jedem Leser die Mittel in die Hand zu geben, sich selbst ein Urtheil über sie zu bilden. Vielleicht ist indeß, namentlich bei Carlstadt, in dieser Beziehung zu viel geschehen.“ 304 So könnte man das inhaltlich nicht bezifferte Kapitel zusammenfassen; zur impliziten Teleologie von Erbkams Mystikverständnis s. ebd., S. 172 f.: „Als aber die Sacramente dem Strome der Verinnerlichung und Subjektivität nicht weichen wollten, als die Reformation grade in ihnen den Wendepunkt zur Kirchlichkeit fand, so wendete sich die Mystik gegen sie besonders, und suchte sie zu Reflexen ihrer subjektiven Erfahrung herabzusetzen. Dabei ist es nicht zufällig, daß grade die Kindertaufe der Punkt war, den sie am eifrigsten bestritt.“ 305 Ebd., S. V („Vorrede“): „Was den eigentlichen Inhalt des Werkes betrifft, so wird man mir den Vorwurf machen können, dessen Gewicht ich selbst fühle, nämlich den, daß das erste Buch zu ausführlich, das zweite zu kurz ist. Indessen hat mich dabei die Rücksicht auf die gegenwärtige Beschaffenheit unserer Kenntniß des behandelten Stoffs geleitet.“ Für die Fortsetzung dieser Passage s. den Text o. in Anm. 303. 306 Erbkam, Geschichte, S. 359. Ohne abermaligen Hinweis auf die Wiedertäufer wiederholte Erbkam dieses Urteil ebd., S. 473. 307 Ebd., S. 174. 308 Knapp dazu in einer sehr guten problemorientierten Zusammenfassung Maron, Schwenckfeld, S. 22 f. und ebd., S. 24 f., mit präzisen forschungsgeschichtlichen Hinweisen zum 19. Jahrhundert. Ausweislich ebd., S. 23, Anm. 38, unternahm Maron den erfolglosen Versuch, in Berlin die Abgabefassung von Erbkams Licentiatenarbeit zu Schwenckfeld zu finden.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
57
nand Christian Baur den Fortschritt rühmte, den die Ablehnung des Schwärmerbegriffs durch die – gleichwohl anders zu begründende – Kategorie der Mystik im Werk von Schwenckfeld bedeutete.309 Konfessionelle Lutheraner, wie der im Folgekapitel zu schildernde Dieckhoff, lehnten die Arbeit – in die Luther nur indirekt eingegangen war – dezidiert ab. Gut fünfzig Jahre später sollte Heinrich Boehmer sogar die gezielte Gegenthese zur Bearbeitung für eine akademische Qualifikationsschrift aufgeben, indem er Schwenckfeld in seinen Kongruenzen zu Luther untersuchen ließ310. Zeitgleich dazu faßte Troeltsch das sektentypologische Potential von Erbkam messerscharf zusammen, als er in seinen „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ auf das „geistreiche Buch von Erbkam [verwies], das viele gute Einsichten enthält“.311 Sein Gesamturteil, daß Erbkam „den Sachverhalt schließlich doch ganz schief konstruiert“ habe, wurde von der Täuferforschung aufgenommen312, die in Erbkams knappen und wenig konzisen Ausführungen des zweiten Buches ohnehin die schwächsten Passagen des Werkes zur Grundlage hatte, um an der Monographie von 1848 anzuschließen. Gewürdigt wurde gleichwohl, daß Erbkam „als einer der ersten Zur epochalen Bedeutung Erbkams für die Franck-Forschung s. summarisch Dellsperger, Franck, S. 16. 309 S. Maron, Schwenckfeld, S. 24. Bei Baur handelt es sich um den Beitrag Baur, Mystik, auf den gegen Ende dieses Unterkapitels rekurriert wird. 310 Zu Boehmers Anregung der Arbeit von Ecke s. ebd., S. 26. Zur Arbeit von Ecke s. im übernächsten Hauptkapitel III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 219. Zu Boehmers intensiver Auseinandersetzung mit der Karlstadt-Kontroverse um Hermann Barge s. im nachfolgenden Hauptkapitel II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse das Unterkapitel 2.5.3. Heinrich Boehmers „Luther im Lichte der neueren Forschung“ – Zusammenfassungen zu Barge zwischen 1910 und 1918. 311 Troeltsch, Soziallehren, S. 802, Anm. 440 cont. Ebd. faßte Troeltsch als die Hauptthesen von Erbkam zusammen: „Die Täufer seien ethische Mystik, die Spiritualisten aber intellektualistische Mystik.“ Troeltsch gehört damit zu den wenigen Lesern Erbkams, die dessen grundlegende Systematik richtig erkannt haben. Für Troeltschs weitere Bezüge auf Erbkam s. ebd., S. 796, Anm. 434; S. 798, Anm. 438; S. 861, Anm. 472 cont. Keine entsprechende Struktur in Erbkams Darstellung konnte etwa einer der frühen Rezensenten 1851 erkennen, Herzog, Rez. Erbkam, zunächst S. 147 f., und dann S. 150: „Nach dieser Auseinandersetzung müssen wir annehmen, daß die beiden Klassen der protestantischen Mystiker gar nicht streng von einander geschieden sind […]. So hat sich diese Sucht zu schematisiren selbst gerichtet. Was in dem vorliegenden Werke Theoretisches sich findet, muß daher als mißlungen bezeichnet werden.“ Johann Jakob Herzog nahm gleichwohl den hohen Wert der Einzelstudien wahr und trug dazu bei, diese Arbeiten von Erbkam lexikalisch verfügbar zu machen; vgl. dazu Erbkams Beiträge zur RE1 und RE2 (s. oben Anm. 280). 312 S. hierfür den Beitrag von Neff, Art. Ebkam (BAChr, T. 1, Fichenr. 113, S. 419): „Sein interessantes Buch hat für die Geschichte des Täufertums nur noch antiquarischen Wert. Vgl. auch Ernst Troeltsch […] S. 802.“ Ausdrücklich über Erbkams Ausführungen zur Täufergeschichte erklärt auch Neff, ebd.: „im zweiten Teil seines Buches [gibt er] in gedrängter Kürze eine Geschichte des Täufertums. Die ihm zur Verfügung stehenden Quellen sind gründlich benutzt. Da er sie aber etwas einseitig verwertet und z. B. Urteile Bullingers als unanfechtbare geschichtliche Wahrheiten behandelt und ihm ferner wichtige, erst durch neuere Forschungen bekannt gewordene Quellen verschlossen sind, ist er nicht imstande, ein richtiges Bild der Täufergeschichte zu geben.“
58
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
protestantischen Theologen den hoch zu schätzenden Versuch unternommen hat, eine durchaus selbständige, möglichst objektive Darstellung der Geschichte der ‚Wiedertäufer‘ zu geben.“313 1.3.3. Erbkams Karlstadt-Kapitel als Beginn einer lebens‑ und werkgeschichtlichen Forschung im 19. Jahrhundert (1848) Erbkams umfangreiches Karlstadt-Kapitel markiert im 19. Jahrhundert die erste ausführliche Studie zur Lebens‑ und Werkgeschichte.314 In ihrer materialen Heuristik und quellenkritischen Grundtendenz sind die Ausführungen vorzüglich erarbeitet. Wie selbstverständlich und darin geradezu nahtlos schloß Erbkam an die bibliographischen und biographischen Ergebnisse des ausgehenden 18. Jahrhunderts an, indem er die Arbeiten von Riederer315 und Köhler316 zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung nahm, punktuell revidierte317, vor allem aber inhaltlich vertiefte und um weitere Informationen ergänzte. Mit einer immensen Akribie hatte Erbkam nach Exemplaren von Karlstadt-Drucken gesucht, diese eingesehen318 und Bezugnahmen auf Karlstadt in den Editionen des 18. und 19. Jahrhunderts gesammelt. Am intensivsten wertete er die ersten sechs Bände des „Corpus Reformatorum“319 und de Wettes Ausgabe der Luther-Briefe320 aus. Für die Karlstadt-Briefe bezog er sich auf deren früheste Edition durch Olearius321, kannte aber zugleich die Arbeiten von Gerdes322. Eines der ältesten
313
Ebd.
314 Erbkam,
Geschichte, S. 263, hatte dies nicht vorrangig intendiert: „Es liegt nicht in der Absicht unserer Darstellung, eine ausführliche Lebensgeschichte Carlstadts zu liefern.“ Seine Gesamtkonzeption folgt indes einem klaren chronologischen Anordnungsmuster, in dem sich lebens‑ und werkgeschichtliche Aspekte verschränken. 315 S. ebd., u. a. S. 179, Anm. 1; S. 204, Anm. 3 cont.; S. 205, Anm. 1; S. 286, Anm. 1. 316 S. dazu u. a. ebd., S. 177, Anm. 1; S. 178, Anm. 1; S. 180, Anm. 1; S. 204, Anm. 2; S. 206, Anm. 1; S. 208, Anm. 3; S. 214, Anm. 2; S. 263, Anm. 1; S. 264, Anm. 1; S. 282, Anm. 1; S. 285, Anm. 3. 317 Einschlägig hierfür ist etwa ebd., S. 208, Anm. 3, oder S. 214, Anm. 2. 318 Einsichtnahmen verraten weniger die Beschreibungen von Widmungen, als vielmehr die gebotenen Blattzählungen. Vgl. dafür u. a. ebd., S. 181, Anm. 1; S. 187, Anm. 1; S. 189, Anm. 1 f.; S. 190, Anm. 1; S. 191, Anm. 1; S. 193, Anm. 1 f.; S. 194, Anm. 1 und 3; S. 195, Anm. 1; S. 198, Anm. 2; S. 199, Anm. 1; S. 200–203, Anm. 1; S. 205, Anm. 1; S. 222–260; S. 268–271; S. 273, Anm. 1; S. 275, Anm. 1; S. 279, Anm. 1. 319 Ebd., S. 183, Anm. 1; S. 200, Anm. 3 cont.; S. 204, Anm. 2; S. 207 f., Anm. 1 f.; S. 208, Anm. 1; S. 208 f., Anm. 3; S. 209, Anm. 1; S. 210, Anm. 1 f.; S. 211 f., Anm. 1 f.; S. 215, Anm. 143; S. 284, Anm. 1. 320 Ebd., S. 179, Anm. 1; S. 182, Anm. 1; S. 198, Anm. 1; S. 199, Anm. 1; S. 203 f., Anm. 1–3; S. 204, Anm. 1; S. 205, Anm. 1; S. 218, Anm. 1; S. 219, Anm. 1 f.; S. 220, Anm. 1.; S. 231, Anm. 2; S. 273, Anm. 3; S. 279, Anm. 2; S. 282, Anm. 1. 321 Ebd., S. 179, Anm. 1; S. 182, Anm. 1; S. 187, Anm. 1; S. 194, Anm. 2. 322 Ebd., S. 179, Anm. 1; S. 180, Anm. 1; S. 204, Anm. 3 cont.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
59
Kurzbiogramme zu Karlstadt, dasjenige Adams323, hatte er ebenso registriert wie die biographische Studie Füßlins324. Die kontroverse Aufnahme des KarlstadtBildes von Gottfried Arnold war ihm aus Vehrs Greifswalder Disputation von 1708 vertraut.325 Für Einzelstücke konsulierte er die Jenaer Luther-Ausgabe326, die Publikationen von Löscher327 sowie deren Nachfolgeperiodika328, Walch329, Seckendorf 330 und Kompilationen von Strobel331, Johann Erhard Kapp332, Veesenmeyer333 und Schelhorn334. Für Luthers Tischreden griff er auf eine jüngere Edition zurück335. Bedeutsam ist, daß Erbkam Karlstadts Bezüge zu Müntzer nach Seidemanns Biographie von 1842 schilderte und damit auf die Materialien aufmerksam machte, die eine klare Distanzierung Karlstadts von dem radikalen Kurs Müntzers belegen.336 Während Ranke nominell nur am Rande erwähnt wurde337, fällt auf, wie viele lokal-338 und regionalhistorische339 Studien Erbkam auf Bezüge zu Karlstadt überprüft hatte. Ein besonderer Schwerpunkt zeichnet sich in den Literaturreferenzen zur oberdeutschen340 und schweizerischen Reformationsgeschichte341 ab. Die detaillierte Übersicht belegt, daß Erbkam über die Literatur‑ und Quellengrundlage von Riederer und Köhler deutlich hinausging. Zudem läßt sie erkennen, wie viel Jäger 1856 von Erbkams Heuristik profitieren konnte, so wenig er dies auch ausweisen sollte. Und schließlich deutet sich, noch so zurückhaltend, eine besondere Aufgeschlossenheit für reformierte Traditionen und die letzten 323
Ebd., S. 285, Anm. 2.
324 Ebd.
325 Ebd.,
S. 175, Anm. 1. Ebd., S. 218, Anm. 1; S. 218 f., Anm. 3. 327 Ebd., S. 198, Anm. 2; S. 199, Anm. 3; S. 205, Anm. 1; S. 281, Anm. 1; S. 285, Anm. 2. 328 Ebd., S. 221, Anm. 1; S. 263, Anm. 1. 329 Ebd., S. 190, Anm. 2; S. 196, Anm. 2; S. 200, Anm. 2; S. 281, Anm. 1; S. 282, Anm. 2. 330 Ebd., S. 180, Anm. 1; S. 266, Anm. 2; S. 274, Anm. 1; S. 276, Anm. 1. 331 Ebd., S. 213, Anm. 1; S. 215, Anm. 5; S. 263, Anm. 1. Es handelt sich um Strobel, Unruhen; vgl. dazu unten Anm. 594 332 Ebd., S. 205, Anm. 1; S. 276, Anm. 2; S. 280, Anm. 2. 333 Ebd., S. 277, Anm. 2. 334 Ebd., S. 276, Anm. 2. 335 Ebd., S. 179, Anm. 1. 336 Ebd., S. 221, Anm. 1; S. 263, Anm. 1; S. 264, Anm. 2; S. 265, Anm. 1; S. 267, Anm. 2; S. 275, Anm. 1. 337 Ebd., S. 199, Anm. 3. 338 Für Braunschweig s. ebd., S. 214, Anm. 2; für Orlamünde (Loeber) s. ebd., S. 266, Anm. 2; S. 267, Anm. 1 u. 4; S. 270, Anm. 2; S. 274, Anm. 1. 339 Ebd., S. 277, Anm. 3; S. 278, Anm. 1–3; S. 280, Anm. 1 f. (Ostfranken; in dieser und den beiden folgenden Anmerkungen beziehen die in Klammern nachgestellten Angaben auf die zuvor benannten Referenzen, obwohl diese durch Semikola von dem Klammerzusatz getrennt sind); S. 283, Anm. 1 f.; S. 284, Anm. 2 (Niederdeutschland); S. 283, Anm. 2 (Ostfriesland). 340 Ebd., S. 277, Anm. 3 cont. 341 Ebd., S. 219, Anm. 3; S. 271, Anm. 1 f.; S. 272, Anm. 1 f.; S. 285, Anm. 4 (Füßlin); S. 286, Anm. 2; S. 284, Anm. 3; S. 285, Anm. 1 (Hottinger); S. 284, Anm. 3 (Ruchat); S. 282, Anm. 1 (Werkausgabe von Zwingli); S. 286, Anm. 1 (Bullinger-Biographie). 326
60
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Lebensjahre von Karlstadt an. Im Vordergrund der Arbeit steht gleichwohl, den übergeordneten Ansatz stringent verfolgend, Karlstadts Mystik. Diese wurde in einer langen, formal nicht hervorgehobenen und chronologisch in die Lebensgeschichte integrierten Passage geschildert, die in der Mitte des Kapitels steht und fast die Hälfte von dessen Umfang füllt.342 Das Zentrum dieser Darstellung reicht von dem Vorfeld des ersten Abschieds aus Wittenberg343 bis zum Ende der Orlamünder Zeit. Karlstadts „innere Entwicklung“344 suchte Erbkam in Teilen aus äußeren Umständen abzuleiten345. Vor allem diente ein persönliches Charakterbild346 für den Aufweis gewisser Zwangsläufigkeiten der inneren und äußeren Entwicklung. Diese Verbindung dreier Elemente – Mystik, Orlamünde und Psychologie – wurde im 20. Jahrhundert in vergleichbarer Weise von Hertzsch präsentiert, ohne daß sich literarische Bezüge zu Erbkam nachweisen ließen347. Für Erbkam war die Teleologie von Karlstadts Entwicklung auch eine andere als diejenige, die Hertzsch benennen sollte: Beide votierten zwar für eine Synthese von intellektuellen und ethischen Elementen in Karlstadts Mystik.348 Hertzsch sah diese als gelungen an, Erbkam als mißglückt, da das spekulative Element349 das praxisbezogene stets dominiert habe350. Zudem betonte Erbkam den Rückfall von Karlstadt nach dessen mystischer Periode in einen Fanatismus, in dem er bereits zuvor verfangen gewesen sei.351
342 Der
Abschnitt beginnt ebd., S. 221, mit: „In diese Zeit seines zurückgezogenen Lebens fallen diejenigen Schriften von ihm, in denen er sich am meisten mit den Problemen der mystischen Theologie beschäftigte.“ Das Ende könnte man mit ebd., S. 270 oder S. 271, ansetzen, wo eine Rückkehr in den „fanatischen Eifer“, der während der mystischen Phase gefehlt habe, diagnostiziert wird. 343 Vgl. dazu ebd., S. 220. 344 Ebd., S. 189; 216. 345 Ebd. 346 Ebd., S. 263. 347 Dies gilt für das Gesamtwerk von Hertzsch zu Karlstadt: Hertzsch, Karlstadt; ders., Luther und ders., Art. Karlstadt. 348 S. dazu Erbkam, Geschichte, S. 185 f.: „Vor allem nämlich wurde Carlstadt dahin geführt, die ethischen Momente der deutschen Mystik weiter zu entwickeln und von daher den Stoff seiner eignen mystischen Entwickelung zu entnehmen. […] So nahm er die pantheistischen Elemente der Mystik vollständig in sich auf, und indem er die intellektuelle Seite übergehend, die ethische hervorhob, gelangte er zu jener abstrakten Entgegensetzung von Gott und Welt, die sich in dem absoluten Willen Gottes gegenüber der willenlos passiven Kreatur ausspricht.“ 349 Vgl. dazu u. a. ebd., S. 183: „Diesen Gegensatz der Unendlichkeit Gottes und der Endlichkeit der Kreatur, wie er zunächst aus metaphysischer Spekulation über das Wesen der Gottheit hervorgegangen ist, übertrug er auf das religiöse und ethische Verhältniß Gottes zum Menschen.“ 350 Für Erbkam vgl. alleine die Belege in der Voranmerkung, für Hertzsch s. im Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge Anm. 44–50. 351 Vgl. für den begrifflichen Bezug auf diesen Fanatismus die beiden Stellen ebd., S. 215, und ebd., S. 271, die Erbkams Ausführungen zur Mystik von Karlstadt wie eine Klammer umschließen.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
61
Grundlage dieser verhängnisvollen Dynamik seien Charakterschwächen von Karlstadt gewesen. „Eitelkeit“352, „Ruhmsucht“353 und „Ehrgeiz“354 diagnostizierte Erbkam für die scholastische Frühzeit und erkannte diese Eigenschaften in Karlstadts reformationsgeschichtlichen Initiativen wieder. Keinen Zweifel hatte Erbkam daran, daß Karlstadt als Person vollauf verantwortlich für seinen schweren Lebensweg war und die Mystik letztlich verraten habe: „man würde sein Schicksal tragisch nennen können, wenn es nicht so sehr selbst verschuldet wäre durch Eitelkeit und ruhmbegieriges Vordrängen, und wenn er mehr mit dem siegesfreudigen Bewußtsein eines unverstandnen Rechts untergegangen wäre.“355
Dennoch betonte er die äußeren Umstände: „Carlstadt fiel dieser Zeit zum Opfer; sein Schicksal ist typisch geworden für alle Erscheinungen der protestantischen Mystik in der Reformation. Sie fanden nirgends eine Heimath“356. Mit dieser paradigmatischen Geltung beschloß er sogar sein Karlstadt-Kapitel: „So endete dieser erste Repräsentant protestantischer Mystik. Aus der Heimat verwiesen, und der inneren Richtung seines tiefern Lebens entfremdet, ist er gleichsam zu einem bedeutungsvollen Zeichen gesetzt, um den Weg anzudeuten, den die Mystik in diesem Zeitalter gehen sollte.“357
Den persönlichen, positiv konnotierten Ansatzpunkt für die Mystik erblickte Erbkam in Karlstadts „Tiefsinn“358. Der Begriff ist in Rankes Karlstadt-Charakteristik zentral und war Erbkam entweder direkt oder unter Vermittlung Goebels begegnet.359 Für Erbkam stand fest, daß Karlstadt tiefsinnig, aber nicht ausreichend tiefsinnig gewesen war: „Wäre er mit größerem Tiefsinn und mit reicherer religiöser Erfahrung ausgestattet gewesen, so hätte ihn dieß dahin führen müssen, die pantheistische Grundlage der deutschen Mystik aufzuheben, […] dazu fehlte es ihm aber an jeglicher innern Befähigung“.360
Das scholastische Erbe und der persönliche Charakter von Karlstadt verhinderten es demnach, daß Karlstadt zum eigentlichen Wesen der Mystik vordrang. Für Erbkam war Karlstadt der erste, der einen entsprechenden Versuch unternahm,
352 Ebd.,
S. 175, 180, 187. S. 175. Vgl. ferner ebd., S. 177. 354 Ebd., S. 175. 355 Ebd., S. 187. 356 Ebd., S. 186. 357 Ebd., S. 286. 358 Ebd., S. 178: „Denn wie derselbe unstreitig mit einer Anlage zum Tiefsinn begabt war“. Für Erbkam war der Tiefsinn eine Voraussetzung für jede mystische Veranlagung, s. dazu die Eingangspassage des Buches, ebd., S. 24. 359 S. dazu oben Anm. 120. Gegen eine literarische Abhängigkeit von Goebel spricht, daß Erbkam mit der zweiten Auflage von Rankes Reformationsgeschichte arbeitete, Goebel mit der ersten. 360 Ebd., S. 185. 353 Ebd.,
62
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
blieb aber auch in seiner mittleren Phase „ein von der Mystik beherrschter, paradoxiensüchtiger Scholastiker“361. Erbkam schrieb somit alles andere als eine Apologie Karlstadts. Er verfaßte eine Apologie der Mystik, und er ordnete Karlstadt in diese ein. Bei aller persönlichen und theologischen Kritik – in der Erbkam aufbot, was man bei Luther finden konnte, vom alttestamentlichen Legalismus362 bis hin zum Spiritualismus363, – konnte Karlstadt in seiner der Mystik untergeordneten Funktion doch zum Aufweis von deren Geschichte werden. Die sich daraus ergebenden argumentativen Spannungen irritierten bereits zeitgenössische Kritiker364, und noch Hermann Barge lehnte die Arbeit von Erbkam 1905 ebenso kurz wie bestimmt ab. Erbkam und seinen literarischen Nachfolgern Dieckhoff und Jäger sei es „von vornherein darum zu tun [gewesen], Karlstadt unter konfessionell lutherischen Gesichtspunkten zu bekämpfen.“365 Barge verkannte Erbkams konfessionelles und historiographisches Profil vollauf, wozu Erbkams programmatischer Anschluß an Luthers „unwiderstehliche […] Beredtsamkeit“ und theologische Opposition zu Karlstadt in der „bekannte[n] Schrift wider die himmlischen Propheten“366 seinen Anteil geleistet haben mochte. Vielleicht interpretierte er auch Erbkams Annäherung von Mystik und Rechtfertigungslehre367 im Sinne einer lutherischen Engführung368, nicht aber in einer Wahrnehmung jenes kritischen Potentials, durch das sich spätere Arbeiten – wie diejenigen William Wredes oder Albert Schweitzers369 – auszeichnen sollten. In seinem eigenen Anliegen, individuelle Religiosität auch außerhalb der etablierten Kirchen und Konfessionen zu respektieren, hätte Barge in Erbkam einen Vorläufer finden können.
361 Ebd.,
S. 197 f. S. 188. 363 Der Begriff findet sich in der Tat bereits bei Erbkam – und nicht, wie bisweilen angenommen, erst bei Hegler – s. ebd., S. 261: „eine nothwendige Consequenz aus dem spiritualistischen Dualismus Carlstadts“, und ebd., S. 273: „Consequenz seiner spiritualistischen Richtung“. 364 Dies gilt besonders für Herzog, Rez. Erbkam, und Baur, Mystik. Eilsberger, Erbkam, S. 18, zitiert eine „uns vorliegende Besprechung aus den Studien und Kritiken“, deren Wortlaut („daß viele gute feine Ideen und Anschauungen in dieser Darstellung enthalten sind“) sich allerdings eindeutig Herzog, Rez. Erbkam, S. 132, zuweisen läßt („daß viele gute und feine Ideen und Anschauungen in dieser Darstellung enthalten sind“) und damit dem „Allgemeine[n …] Repertorium für die theologische Literatur und kirchliche Statistik“ entstammt. Eilsberger konnte ausweislich ebd., S. 19, den Nachlaß von Erbkam durchsehen und stieß möglicherweise auf eine unbezeichnete Rezension, deren fehlerhafte Zuschreibung andernfalls schwer erklärlich wäre. 365 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 183, Anm. 3. 366 Erbkam, Geschichte, S. 278. 367 S. oben Anm. 298. 368 Kritik an Luther übte Erbkam demgegenüber nachgeordnet in Erbkam, Geschichte, S. 279, Anm. 1. 369 Vgl. dazu unten in Kap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 816, die sich im weiteren Kontext mit der Frage nach der Mystik des Apostels Paulus verbindet. 362 Ebd.,
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
63
1.3.4. Erbkams lexikalische (1857, 1880) und methodische Präsenz Der vielleicht aufmerksamste Rezensent von Erbkam war der Erlanger Kirchenhistoriker Johann Jakob Herzog. Deutlich nahm er die theoretischen und konzeptionellen Schwächen des Buches wahr370, erkannte aber zugleich den materialen Wert der Einzelstudien. Zu Herzogs 1854 zu erscheinen beginnender „Real=Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ steuerte Erbkam sieben Artikel bei371. Drei von diesen haben klare geographische Bezüge zu Königsberg372, wie auch Erbkams Sequenz von 14 Theologenportrais in der „Allgemeine[n] Deutsche[n] Biographie“373 aus erkennbaren Lokalverbindungen erwachsen ist. Die drei übrigen von Herzog herausgegebenen Artikel sind thematisch eindeutig in der Sektengeschichte von 1848 angelegt: Karlstadt, Schwenckfeld und Müntzer. Diese Auswahl läßt sich kaum anders erklären, als daß der Herausgeber Herzog den von ihm rezensierten Autor angefragt hat. Erbkam konnte die genannten Beiträge nicht nur in der ersten Auflage des Referenzwerkes veröffentlichen, er durfte sie auch für die zweite Auflage erneuern. Lexikalisch bedeutete dies, daß Erbkams erster Artikel von 1857 und sein 1880 folgender die theologischen Standardreferenzen waren, bis Hermann Barge 1901 das betreffende Lemma für die dritte Auflage bearbeitete.374 Diese Wirkungsmacht von Erbkam illustriert auf bezeichnende Weise der KarlstadtArtikel in der „Allgemeine[n] Deutsche[n] Biographie“, den 1876 Heinrich Heppe – eben ein Theologe – erarbeitet hatte, und darin biographische Fehlinformationen bietet, die sich nur aus einer literarischen Orientierung an dem Erbkam-Beitrag von 1857 erklären lassen.375 Erbkams Lexikonartikel von 1857
370
Vgl. dazu oben knapp Anm. 311. Einen Schritt in diese Richtung hatte 1848 auch bereits Baur, Mystik, S. 471, unternommen, dessen Kritik nicht so weit ging wie diejenige Herzogs. 371 Vgl. dazu Mitarbeiterverzeichnis, RE1, S. 619.; Mitarbeiterverzeichnis, RE2, S. 726. 372 Namentlich sind dies die in der Erstauflage ebd. aufgeführten Beiträge „Schönherr und seine Anhänger in Königsberg“, „Sendomir“ und „Polocz“. 373 Ohne die Beiträge im einzelnen zu bibliographieren, handelt es sich um Studien zu Daniel Heinrich Arnoldt, Heinrich Lysius, Ludwig von Borowski, Friedrich Samuel Bock, Johannes Ernst Grabe, Jakob Elsner, Karl Johann Cosack, Georg Colbe, Ludwig August Kähler (zu dessen familiären Bezügen zu dem späteren Karlstadt-Forscher Ernst Kähler s. unten in Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge Anm. 92), Michael Lilienthal, Theodor Christoph Lilienthal, Johann Latermann, Martin Sylvester Grabe (1627–1686) und Martin Sylvester Grabe (1674–1727). 374 In der benannten Reihenfolge s. Erbkam, Art. Karlstadt 1857; ders., Art. Karlstadt 1880, und Barge, Karlstadt, Art. 1901. 375 Vgl. nicht nur die Namensbezeichnung von Karlstadt in Heppe, Art. Karlstadt, S. 8, mit Erbkam, Art. Karlstadt 1857, S. 395, und Erbkam, Art. Karlstadt 1880, S. 523, S. 523, sondern vor allem die Annahme eines doppelten Romaufenthaltes von Karlstadt: Heppe, Art. Karlstadt, S. 8. Heppe erklärt, Karlstadt habe unmittelbar nach dem „eigentlichen Schulunterricht in seiner Heimath […] in Rom […] scholastische Theologie und canonisches Recht studirt“, und benennt, ebd., eine zweite Romreise für das Jahr 1515. Angelegt ist diese Fehlinformation in Erbkam, Art. Karlstadt 1857, S. 395: „Die erste wissenschaftliche Bildung scheint er [Karlstadt] sich in
64
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
ist eine bemerkenswerte sachliche Integrationskraft hinsichtlich der seit 1848 erschienenen Karlstadtliteratur eigen. Die sich massiv von ihm distanzierenden Studien von Dieckhoff und Jäger arbeitete er nüchtern ein; auf den im folgenden zu schildernden positiven Anschluß durch Ferdinand Christian Baur verwies er hingegen nur nominell376. Den Wert der archivalischen Erhebungen durch Hase nahm Erbkam umgehend wahr und hob ihn ausdrücklich hervor.377 Neben der lexikalischen Bedeutung, die Erbkam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zukam, wurde er auch in methodischer Hinsicht prägend. Präfiguriert findet sich dies in einem Literaturbericht von Ferdinand Christian Baur, der 1848 Neuerscheinungen zur Mystik galt. Erbkam wurde darin kritisch rezensiert378, vor allem aber nahm Baur in einem eigenen Karlstadt-Kapitel sehr ausführlich Karlstadt-Zitate von Erbkam auf, die dieser präsentiert und bisweilen etwas anders interpretiert hatte. In methodisch vergleichbarer Weise knüpfte auch der reformierte Theologe und direkte Schleiermacher-Schüler Alexander Schweizer379 mit seinem monumentalen Werk „Die protestantischen Centraldogmen in ihren Entwicklungen innerhalb der reformirten Kirche“ 1854 an die im folgenden zu behandelnde Göttinger Licentiatenarbeit von Dieckhoff und die Studien von Erkbam an, indem er die gebotenen Materialauszüge thematisch aufeinander bezog.380 Erbkam selbst hatte seine materiallastige Textgestalt mit
seinem Vaterlande erworben zu haben, später aber führte ihn sein Wissenstrieb nach Rom, wo er das kanonische Recht und die scholastische Theologie studirte.“ Zur Romreise des Jahres 1515 vgl. sodann ebd., S. 396. Chronologisch weniger eindeutig war noch Erbkam, Geschichte, S. 177, der nur auf die Romreise des Jahres 1515 verwiesen hatte; andere Fehlurteile deuten sich ebd., S. 267, an, wenn Erbkam annimmt, Karlstadt habe nach seiner Rückreise von Rom „eine Zeitlang“ in Orlamünde gewohnt und seitdem „daselbst ein Haus“ besessen. Hätte Heppe wirklich, wie er Heppe, Art. Karlstadt, S. 15, angibt, sich nur auf Jäger und Riederer gestützt, wäre ihm dieser Fehler nicht unterlaufen. Jäger, Carlstadt, S. 4 f., ist eindeutig in seiner Schilderung der Romreise und deren Umstände für das Jahr 1515. 1792 erklärte gleichwohl schon Köhler, Bodenstein, S. 6, über Karlstadt: „Außer der Philosophie und Gottesgelahrtheit beschäftigte er sich, besonders zu Rom, wo er vor seiner Ankunft in Sachsen lebte, mit Erlernung der päpstlichen Rechte“. Die irrtümliche Angabe übernahm Rotermund, Bodenstein, S. 62, der 1818 ausführte: „Nachdem er den ersten Grund der Studien in seinem Vaterlande gelegt hatte, begab er sich in fremde Länder, besuchte die berühmtesten hohen Schulen, und besonders Rom, um die päbstlichen Rechte und die scholastische Theologie nach damaliger Art zu studiren, und wurde Baccalaureus biblicus“. 1848 kannte Erbkam diese Referenz noch nicht; 1857 bezog er sie in seinen Artikel ein – und nur von dort hatte Heppe die Fehlangabe in ihren wörtlichen Entsprechungen zu Erbkam übernehmen können. 376 Erbkam, Art. Karlstadt 1857, S. 409, liest „Bauer“; Erbkam, Art. Karlstadt 1880, S. 532, korrigiert dies. 377 Vgl. dazu unten Anm. 676. 378 Die Auseinandersetzung mit Erbkam bestimmt den überwiegenden Teil des Beitrages und beginnt mit Baur, Mystik, S. 455. Ebd., S. 467, hob Baur besonders auf die „Einseitigkeit“ des Erbkamschen Mystikbegriffs ab. 379 Zu Schweizer vgl. Christ, Art. Schweizer (DBA, T. 2, Fichenr. 1205, S. 420–428). 380 Vgl. hierzu in einer sachlichen Selbstbeschränkung Schweizer, Centraldogmen, S. 65–70.
1. Theologische Wiederannäherungen (1838–1848)
65
der schlechten Verfügbarkeit der Texte begründet.381 Diesem Beispiel382 folgten in weniger als zehn Jahren Dieckhoff und Jäger. Beide legten Studien vor, die über weite Strecken aus Materialkompilationen bestanden. Dies mußte nicht zwangsläufig mit dem Vorbild Erbkams zusammenhängen und mochte seine Gründe auch in den jeweiligen Stadien der persönlichen Texterfassung haben. Bezeichnend ist dieses formale Charakteristikum aber doch für eine Sequenz von Forschungsbeiträgen, die sich so nur in der Mitte des 19. Jahrhunderts und im direkten Anschluß an Erbkam findet. Was sein eigenes theologisches Profil anging, sah Erbkam sehr genau, daß sich seine historiographischen Arbeiten am ehesten auf Impulse des radikalen Pietismus zurückführen ließen.383 Dies nahm nicht nur er wahr. Auf seine Apologie der Mystik folgte ebenso schnell wie direkt eine apologetische Reaktion des konfessionellen Luthertums.
381
S. dazu o. Anm. 303 u. 305. trat Erbkam für eine Modernisierung der „Orthographie und Interpunktion“ ein; s. Erbkam, Geschichte, S. 189 f., Anm. 2. 383 S. hierfür u. a. ebd., S. 17, Anm. 1: „So vor allem von Gottfr.[ied] Arnold. In seiner Historie und Beschreibung der mystischen Theologie, Frankfurt 1703, setzt er die myst.[ische] Theologie der Schul=Theologie entgegen“. Daß Arnold Schwenckfeld wertschätzte, war Erbkam bekannt; s. dazu ebd., S. 415, Anm. 1. 382 Editionsphilologisch
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864) 2.1. August Wilhelm Dieckhoffs Göttinger Licentiatenschrift (1850) – die erste theologische Habilitation zu Karlstadt August Wilhelm Dieckhoff wurde 1898, vier Jahre nach seinem Tod, lexikalisch als „hervorragender lutherischer Theolog der Neuzeit“384 gewürdigt. In dem Epitheton deutet sich das „konfessionell-konservativ[e]“ Profil an, das Ernst Wolf später deutlicher hervorheben sollte.385 In der Frage der Schriftautorität trat Dieckhoff während der späten fünfziger Jahre gegen die „subjektive[n]“ Akzente Erlanger Theologen wie Johann Christian Konrad von Hofmann an386, löste sich aber später von einer biblischen Verbalinspiration, was ihn in „lebhafte […] Auseinandersetzung[en]“ mit Missouri-Lutheranern führte387. Dieckhoff war biographisch und akademisch eben ein Kind Göttingens, wo der am 5. Februar 1823 gebürtige Adelebsener388 1842 immatrikuliert389, 1850 habilitiert und 1854 zum außerordentlichen Professor ernannt wurde, bevor
384
Schmidt, Art. Dieckhoff, S. 641 (DBA, T. 2, Fichenr. 268, S. 191). Art. Dieckhoff, Sp. 190 (DBA, T. 2, Fichenr. 268, S. 197). Ernst Wolf dürfte auf Dieckhoff im Zuge seiner Staupitz-Studien aufmerksam geworden sein. 1927 würdigte er die Vorarbeiten von Dieckhoff in Wolf, Staupitz, S. 4, als „sehr sorgfältig, auch den dogmengeschichtlichen Rahmen erweiternd“. 386 Wolf, Art. Dieckhoff, Sp. 190. 387 Ebd., Sp. 191. Vgl. dazu auch Anon., Art. Dieckhoff (DBA, T. 3, Fichenr. 173, S. 415). Diesem Aspekt widmete sich die bisher einzige Dissertation, die zu Dieckhoff entstand, Uhlig, Streitfragen, und als solche „[z]um Rostocker Universitätsjubiläum 1969“ angeregt wurde, vgl. dazu Haendler, Rostock, S. 138. Haendler war ausweislich des handschriftlichen Eintrages in der Abgabefassung von Uhlig, Streitfragen (Exemplar der UB Rostock) Erstgutachter der Arbeit. 388 Lexikalische Norm ist, Dieckhoff sei gebürtig aus Göttingen, vgl. dazu u. a. Schmidt, Art. Dieckhoff, S. 641, oder Uhlig, Streitfragen, S. 2. Zu präzisieren wäre nach dem Dieckhoffschen Promotionsgesuch vom 28. März 1850 im UA Göttingen, Theol. Prom 0040, daß Dieckhoff aus Adelebsen stammte; s. hierfür die Briefunterschrift „Augustus Guilelmus Dieckhoff. Adelebsensis. E collegio Repetent.“ S. zudem den Hinweis der Göttinger Matrikel in der Folgeanmerkung, die als Vater den „Obervoigt in Adelebsen“ benennt und ein Abitur „mit Ausz.[eichnung]“ für Clausthal aufführt. Schließlich führt auch das Titelblatt der Göttinger Dissertation Dieckhoff, Carolostadio, als Autor „Augustus Guilielmus Dieckhoff Adelebsensis“ auf. 389 Ebel, Matrikel, S. 60, Nr. 40869 (unter dem 26. Oktober 1842 als Nr. 18). 385 Wolf,
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
67
er 1860390 als Professor für historische Theologie nach Rostock wechselte. Ein Zeitgenosse charakterisierte Dieckhoffs methodischen Ansatz dahingehend, „seine prinzipiellen Erörterungen dogmengeschichtlich […] fundier[t zu haben], namentlich durch Rückgang auf Luthers Lehre und deren Genesis“391. Dieses Interesse, systematische mit historischen Fragen zu verbinden, läßt sich schon für die Lehrveranstaltungen392 des Repetenten nachweisen, als der er zwischen Ostern 1847 und Ostern 1850 in Göttingen wirkte393. Auch seine Ernennung zum außerordentlichen Professor hob 1854 einerseits die Lehrpflicht für „Kirchen= und Dogmengeschichte“ hervor, zugleich aber „in ähnlicher Weise, wie solches früher in Betreff des Professors Dunker geschehen, […] es nicht ausgeschlossen sein solle, dem früher von demselben geäußerten Wunsche gemäß, die Vertretung der systematischen Theologie durch akademische Vorträge zu unterstützen“394.
Im gleichen Jahr bot Dieckhoff auch selbst Reflexionen, die seine historische Rekonstruktion der „evangelische[n] Abendmahlslehre im Reformationszeitalter“ in ihrer Bedeutung für gegenwärtige dogmatische Interessen erläuterten: „die Geschichte ihrer constitutiven Entwicklung im Reformationszeitalter [ist] die nothwendige Voraussetzung für die dogmatische Bearbeitung der Abendmahlslehre. Erst in ihrer Entwickelungsgeschichte finden wir das innere Verständniß der gewordenen Dogmen, ohne welches die dogmatische Arbeit ohne Halt und Boden ist. […] Aus demselben Grunde ist es vor Allem nothwendig, die ersten Entwickelungen genau zu prüfen; nur da wird man die innere Genesis der verschiedenen Lehrgestaltungen und ihre principielle Bedeutung sicher erfasssen.“395
390 Schmidt, Art. Dieckhoff, S. 641, nennt 1860 als Jahr des Wechsels; der Hinweis von Wolf, Art. Dieckhoff, Sp. 190, auf das Jahr 1861 ist unzutreffend, s. hierzu das Rostocker Professorenbuch, das für den 20. Oktober 1860 die lebensgeschichtliche Station benennt: „ordentlicher Professor der Theologie in Rostock an Stelle von Wiggers“; s. hierfür Falkenberg, Professoren, S. 380. Zu Wiggers vgl. kurz Haendler, Rostock, S. 133–136. Die Umstände der Berufung nach Rostock schildert ausführlich Uhlig, Streitfragen, S. 2–5. 1856 hatte die Erlanger Fakultät zeitweilig beabsichtigt, Dieckhoff zu berufen; vgl. dazu Wischmeyer, Facultas, S. 98, Anm. 214. Einen Ruf nach Wien schlug Dieckhoff 1865 aus; s. Falkenberg, Professoren, S. 380. 391 Schmidt, Art. Dieckhoff, S. 643. 392 Dies dokumentiert im UA Göttingen, Theol. SA 56.1 ein Schreiben Gieselers vom 5. Februar 1849 an die theologische Fakultät, das ersucht, „Symbolik“ lehren zu dürfen, „sofern man dieselbe als eine historische Disciplin betrachte[n]“ könne. Der benannte Brief befindet sich in einer Sammlung von Archivalien zur Repetentenzeit von Dieckhoff, die auf Titelblatt sowie Paginierung verzichtet und zwischen „Gerhard Uhlhorn“ und „Karl Ferdinand Hermann Messner“ eingeordnet ist. 393 Die auf vier Semester befristete Repetentenstelle wurde um ein Jahr (Ostern 1849 bis Ostern 1850) verlängert; vgl. zu dem Vorgang und den oben genannten Daten die in der Voranm. vermerkten Archivalien. 394 S. hierfür das ministerielle Schreiben an die theologische Fakultät vom 21. Dezember 1854, UA Göttingen, SA 0014, ohne weitere Bezeichnung, Bl. 1r. 395 Dieckhoff, Abendmahlslehre, S. [III], IV („Vorwort“).
68
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
2.1.1. Der Göttinger Qualifikationsvorgang (1850) Dieses fachliche Profil weist bereits Dieckhoffs Dissertation auf, mit der er den Grad eines Licentiaten erhielt und zugleich habilitiert wurde.396 Den förmlichen Antrag auf Promotion zum Licentiaten reichte Dieckhoff am 28. März 1850 ein.397 Als Referent des Vorgangs fungierte in seiner Funktion als Dekan der theologischen Fakultät Johann Georg Reiche398, der zwei Tage zuvor das ihm mündlich vorgetragene Anliegen in einem Schreiben an die Kollegen präzisierte: „Der bisherige Repetent Dieckhoff wünscht als Licentiat der Theologie zu promovieren und sich zugleich als theol.[ogischer] Privatdocent zu habilitieren“.399 Die gedruckte Abgabefassung der Qualifikationsarbeit wurde von Dieckhoff mündlich für die Woche nach Ostern in Aussicht gestellt, weshalb Reiche das Examen für die darauffolgende Woche projektierte.400 Als exegetische Prüfer waren Redepennig und Lücke vorgesehen, für die Kirchen‑ und Dogmengeschichte Gieseler, während Ehrenfeuchter die systematische sowie möglicherweise praktische Theologie anvertraut werden sollte.401 Die entscheidenden Hinweise zur Promotion regte im Umlaufverfahren Gieseler an. Dieser gab zu bedenken: „daß nach unsern Statuen zwischen Doctor= und Licentiatenexamen kein Unterschied ist, und daß ein […] promovierter Licentiat, wenn seine äußere Stellung es gestattet, beantragen kann als Doctor promoviert zu werden“.402 Diesem Votum schloß sich die Fakultät, federführend wiederum unter Reiche, an403 und plante das „Licentiaten und Doctor Examen“404 von Dieckhoff. Unstimmigkeiten entstanden jedoch darüber, welche Fächer zu examinieren seien, ob eine fachliche Beschränkung der venia legendi nach Überprüfung aller theologischen Disziplinen gerechtfertigt werden könne und ob alle Fakultätsmitglieder an dem Examen teilnehmen müßten. Die Diskussion erwies sich als schwierig, da im Umlaufverfahren immer nur Einzelpunkte berührt wurden und keiner der Beteiligten auf alle Fragen im Zusammenhang einging. Der Sache nach setzte sich Gieseler, der zu diesem Zeitpunkt als Rektor der Universität fungierte, gegen den zögerlichen Dekan durch. Gieseler votierte früh für eine Überprüfung
396 Die einschlägigen Dokumente sind zusammengeführt im UA Göttingen, Theol. Prom 0040 unter der Überschrift „Acten, Dieckhoffs Promotion zum Licentiaten und Habilitation. 20. April 1850 betreffend“. 397 Ebd. 398 Vgl. dazu die erste Unterschrift unter dem im Faszikel enthaltenden Folgedokument vom 26. März 1850: „Reiche“ , S. [2]. 399 Ebd., S. [1]. 400 Ebd. 401 Ebd. 402 Ebd., S. [3]. 403 S. hierfür ebd., S. [3], 4. Das Datum ist nicht eindeutig zu lesen, dürfte sich aber auf den 28. März 1850 belaufen. 404 Ebd., S. [3].
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
69
sämtlicher Disziplinen unter Zuziehung „alle[r] Facultätsglieder“405 und ließ die Frage nach einer fachlichen Spezialisierung der zu verleihenden venia offen406. Eine „mündliche […] Berathung“407 brachte am 9. April408 eine Entscheidung im Sinne Gieselers, während die Frage diziplinärer Einschränkungen künftiger Privatdozenten späteren Änderungen der Statuten vorbehalten bleiben sollte409. Dieckhoff verhielt sich gegenüber der Rückfrage des Dekans, welches Fach er zu vertreten wünsche, unbestimmt. Reiche referierte, er „habe […] die Antwort erhalten, daß er [Dieckhoff] sich bisher im gesamten Gebiete der Theologie […] zu befestigen gesucht habe, daß er aber künftig sich hauptsächlich der systematischen Theologie widmen, für seine Vorlesungen aber die historische Darstellung der verschiedenen Lehrbegriffe wählen werde.“410
Für sein Examen erhielt Dieckhoff das Prädikat „superato cum laude“411, nachdem Lücke die Leistung im mündlichen Teil hervorgehoben hatte, in dem „Dieckhoff länger, schärfer und umfassender geprüft“ worden sei als ein Mitexaminant, und der Dekan über die schriftliche Arbeit erklärt hatte, sie „zeug[e …] von gründlichem Studium und eindringendem Scharfsinn“412. In einem späteren Schreiben an das Universitätskuratorium würdigte Reiche die „lateinische, gründliche und wohlgeschriebene Abhandlung“413. Das Diplom datiert auf den Tag der öffentlichen Disputation414, den 20. April 1850, und benennt einzig den theologischen Licentiatentitel415. Die anschlie405
Ebd., S. 5. „wenn auch dieselbe [die Licentiatenwürde] zunächst nur gesucht wird, um eine begrenzte licentia privatim docendi zu erlangen“. 407 In der Hand Gieselers, ebd. S. [8] u. 408 Zu dem Datum s. die Zusammenfassung der „gestrigen Sitzung“ von Reiche, ebd., o. P., die mit dem 10. April 1850 unterschrieben wurde. 409 Ebd., Vorder‑ und Rückseite. 410 Ebd., Rückseite; vor bzw. über dem Wort „Lehrbegriffe“ befindet sich eine unklare Steichung oder Ergänzung. 411 Ebenfalls ebd., o. P., Reiches Beschlußvorlage vom 14. April. 412 Ebd. 413 Vgl. dazu den undatierten Briefentwurf des Dekans, Johann Georg Reiche, an das Universitätskuratorium, der unter dem 21. April 1850 in das fakultätsinterne Umlaufverfahren ging, in: UA Göttingen, Theol. PA 0177, o. P. 414 Als Opponenten bei der Disputation fungierten Henricus Kreibohm und der Mitrepetent Gerhard Uhlhorn, s. dazu UA Göttingen, Theol. Prom. 0040, „Theses, quas summe venerabilis theologorum ordinis auctoritate atque consensu in academia Georgia Augusta pro licentiati in theologia gradu rite obtinendo die XX. m. aprilis a. MDCCCL publice defendet Augustus Guilelmus Dieckhoff, repetentium collegio adscriptus […], Göttingen [1850]“. Die beiden ersten Thesen berührten die Dissertation thematisch und öffneten sich mit den Folgethesen in exegetische Schwerpunkte: „I. Lutherana de servo arbitrio doctrina ab omni errore minime libera est. II. Vera de arbitrio humano doctrina non tam ex singulis scripturae sacrae locis quam ex vera vitae per Christum regneratae idea eruenda est.“ Zur Nähe und den Unterschieden zwischen der ersten These und der Dissertation s. bei Dieckhoff, Carolostadio, S. [1]: „Ab initio vero defensoribus lutheranae de servo arbitrio doctrinae maximae difficultates ea re parabantur, quod haec ipsa doctrina ab omni errore minime libera erat.“ 415 UA Göttingen, Theol. Prom 0040, o. P. 406 Ebd.:
70
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
ßende Korrespondenz der Fakultätsvertreter galt der venia legendi.416 Keine Rolle spielte darin eine mögliche disziplinäre Beschränkung der Lehrbefugnis. Vielmehr sollte eine auf zwei Jahre befristete venia417 baldmöglichst, noch vor Ableistung der ausstehenden Auflagen einer „Probelection und Predigt“ erteilt werden, nachdem sich Dieckhoff bereits als Repetent durch Lehrveranstaltungen und Predigten in der Universitätskirche418 ausgezeichnet hatte.419 Das Universitätskuratorium genehmigte den Fakultätsantrag am 2. Mai420 1850 und verlängerte die venia, auf neuerlichen Antrag Dieckhoffs und der Fakultät, am 2. Februar 1852 „ohne Zeitbeschränkung“421. Eine disziplinäre Spezialisierung wird auch in den Schreiben des Universitätskuratoriums nicht angedeutet. Im ganzen dürfte sich somit die Position von Gieseler durchgesetzt haben, der die Frage einer Fachbeschränkung der Lehrbefugnis offengelassen hatte. Die einzige Einschränkung mußte darin bestanden haben, daß in Göttingen eine Habilitation in der systematischen und praktischen Theologie im 19. Jahrhundert grundsätzlich ausgeschlossen war.422 Daß dies auch für Dieckhoff galt, deutet sich in der Meldung an, die 1851 im „Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur“ erschien: „Die vorläufige venia docendi erhielt für das Gebiet der exegetischen und historischen Theologie im Apr.[il] 1850 der bisher.[ige] Repetent Lic. th. A. W. Dieckhoff“.423 Der vordergründig einzige Rückschlag, den Gieseler im Promotionsverfahren von Dieckhoff hatte hinnehmen müssen, bestand darin, daß dieser nicht mit dem Licentiaten‑ zugleich den Doktortitel erhielt. Noch vor dem entscheidenden Treffen der Fakultätsmitglieder über die Geschäftsordnung der Prüfung hatte Gieseler seine anfängliche Forderung wiederholt und sich auf das Regulativ vom 28. März 1831 berufen, nach dem „die Licentiatenwürde, sobald der Licentiatus die in den Statuten bestimmten Staatsämter bekleide, Anspruch auf die Doctor416
Zusammengefaßt finden sich die Dokumente im UA Göttingen, Theol. PA 0177. entsprach dem für Habilitationen grundlegenden Regulativ vom 28. März 1831 UA Göttingen, Kur 4198, Bl. 3v (§ 4): „die venia legendi [wird] vorläufig auf 1 oder 2 Jahre ertheilt, je nachdem die Qualification desselben nur für befriedigend oder für ausgezeichnet gut zu halten ist.“ 418 Dazu war Dieckhoff nach dem auch für die Repetentenstelle maßgeblichen Regulativ vom 28. März 1831 „alle acht Wochen“ verpflichtet, UA Göttingen, Kur 4198, Bl. 7r. 419 Der Briefentwurf von Reiche, der unter dem 21. April in das Umlaufverfahren ging, befindet sich im UA Göttingen, Theol. PA 0177, o. P., (s. dazu oben Anm. 413). 420 Ebd., erstes Dokument in der Sammlung. 421 Ebd., Schreiben des Universitätskuratorium an die theologische Fakultät. 422 Vgl. hierfür das betreffende Regulativ vom 28. März 1831 im UA Göttingen, Kur 4198, Bl. 4r: „Nur einem Doctor der Theologie kann die licentia privatim docendi zugleich für alle Fächer der Theologie, einem Licentiaten dagegen nur für die exegetische und historische Theologie ertheilt werden. Die systematische und praktische Theologie darf außer den ordentlichen und außerordentlichen Professoren der Theologie, kein Privatdocent ohne besondere Erlaubniß der Theologischen Facultät lesen.“ 423 Leipziger Repertorium 1851, S. 276 f. 417 Dies
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
71
würde gebe.“424 Möglicherweise wurde Gieseler schlicht auf den Umstand verwiesen, daß Dieckhoff – der als Repetent Empfänger eines Stipendiums gewesen war und sich zum Zeitpunkt der Prüfung in der dritten Woche nach Ende der Förderzeit befand – die besagten Voraussetzungen nicht erfüllte425. Die eigentliche Konsequenz für Dieckhoff mußte die gewesen sein, daß er sich nur mit der Doktorwürde für alle Fächer der Theologie – einschließlich der systematischen – hätte habilitieren können. Dieses Ziel dürfte Gieseler mit seinem Insistieren auf das Habilitationsregulativ in der Verleihung des Doktortitels und mit seinem Taktieren im fachlichen Ausweis der Lehrbefugnis verfolgt haben.426 Ihrem akademischen Status nach war und blieb Dieckhoffs Dissertation – oder wie sie der Verfasser selbst später nennen sollte: „Inauguraldissertation“427 – demnach eine Licentiatenarbeit, die aufgrund des beantragten Promotionsverfahrens und der abgeleisteten mündlichen Prüfungen Grundlage der Habilitation wurde. Der von Dieckhoff später geführte Doktortitel steht in keiner direkten Verbindung zum Göttinger Qualifikationsvorgang, sondern folgte 1856 aus der Greifswalder Ehrenpromotion im Rahmen des 400. Gründungsjubiläums der Universität.428 Das Göttinger „Promotionsverfahren“ des Jahres 1850 entsprach weithin demjenigen von Ernst Troeltsch, das vierzig Jahre später stattfand und mit vorzüglicher Akribie von Friedrich Wilhelm Graf rekonstruiert wurde.429 Strukturell unterschiedlich sind der Versuch Gieselers, die Promotion titularisch mit der Verleihung des Doktorgrades aufzuwerten, die umfassendere theologische Lehrbefugnis, die Dieckhoff mit der historischen Spezialisierung auch für die exegetischen Fächer erhielt, und die intensivere Begutachtung seiner schriftlichen Arbeit, die Troeltsch 1891 erfuhr430. Im Falle von Dieckhoff lagen zwischen dem 424
UA Göttingen, Theol. Prom. 0040, Gieselers Anmerkung zu Reiches Umlaufschreiben vom 28. März 1850 (zu dem Datum s. oben Anm. 403), S. 5. Gieseler bezieht sich auf das Regulativ, auf das für Troeltsch 1982 Graf, Licentiatus, S. 88 f. aufmerksam machen sollte. Ebd., Anm. 64, erklärt Graf: „Die Handschrift des Regulativs wurde nun von H. Renz im Göttinger Universitätsarchiv (Az.: 4 II/63) aufgefunden und mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.“ Die Signatur ist zu korrigieren auf die Akte des Universitätskuratorium „Kur 4 II a 63“ und wurde mittlerweile umsigniert auf UA Göttingen, Kur 4198. Der Wortlaut in dem betreffenden Manuskript lautet, ebd., Bl. 2r: „Die Licentiaten=Würde giebt nur dan[n] Anspruch auf die Doctor=Würde, wenn der Licentiat irgend eins der, in den Statuten der theologischen Facultät bestimmten Staatsämter bekleidet, die zur Erlangung dieser Würde qualificiren.“ 425 Die Ausführungen der Statuten der theologischen Fakultät vom 3. August 1737 lauten, Ebel, Privilegien, S. 99 (§ 9): „Conveniens Officium existimetur Ephoria Eclesiastica [sic], Concionatoris Aulici munus, Pastoratus in Urbe majori, Archi-Diaconatus in simili urbe, Professio in Acedemia et Gymnasio Academico, Directio Gymnasii, et si quod aliud officium est similis vel majoris momenti, non autem minoris.“ 426 S. dazu oben Anm. 422. 427 Dieckhoff, Abendmahlslehre, S. 300, Anm. *. 428 Zu Datum und Anlaß s. Falkenberg, Professoren, S. 380. 429 Graf, Licentiatus, S. 88–102. Grundlegend unter den gedruckten Quellen und wichtig für die äußeren Rahmenbedingungen in Göttingen ist Daude, Rechtsverhältnisse, S. 75–78. 430 Vgl. dazu ebd., S. 94–96.
72
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Einreichen der gedruckten Studie am 11. April 1850431 und der Verleihung des Licentiats gerade neun Tage; auf den Folgetag der Promotionsurkunde datieren die beiden knappen Äußerungen des Dekans zum Wert der Dissertation.432 Weder einen beauftragten Korrektor, noch einen eigenen Betreuer dürfte die Arbeit gehabt haben. Aufgrund seines besonderen Engagements während des Promotionsvorgangs liegt es nahe, in Gieseler einen persönlichen und vielleicht sogar fachlichen Förderer Dieckhoffs zu vermuten. Die Interessen von Dieckhoff gingen jedoch bereits früh in Richtung der Systematik und damit über das engere Arbeitsgebiet von Gieseler hinaus. Einen aufschlußreichen Hinweis bietet Dieckhoffs Folgestudie über „Die Waldenser im Mittelalter“, die 1851 die Widmung voranstellt: „Dem Herrn Abt Lücke seinem hochverehrten Lehrer, als Zeichen der innigsten Dankbarkeit und Ergebenheit zugeeignet“.433 Lücke war im Promotionsverfahren weniger deutlich für Dieckhoff eingetreten, hatte aber den Vorschlag Gieselers, eine venia legendi für alle theologischen Fächer nicht auszuschließen, grundsätzlich in Betracht gezogen434. Ungeachtet dieser sich andeutenden Nähe zu Lücke hat, was Graf über die Veranlassung von Troeltschs Göttinger Licentiatenschrift formulierte, seine Gültigkeit auch für die von Dieckhoff bearbeitete Aufgabenstellung: „Da es den heutigen ‚Doktorvater‘ damals noch nicht gab, sind Ursprung und Vermittlung dieser Themenwahl möglicherweise in einer anderen Richtung zu suchen.“435 2.1.2. Dieckhoffs Veranlassung zur Karlstadt-Studie im Rahmen eines übergreifenden Forschungsvorhabens (1848) Im Falle von Dieckhoff ist nicht der „Ursprung“, wohl aber die „Vermittlung“ seiner „Themenwahl“ in den „Göttingische[n] gelehrte[n] Anzeigen“ zu finden. Für diese rezensierte Dieckhoff zwischen dem 20. und 25. November 1848436 431 Zu diesem Datum s. UA Göttingen, Theol. PA 0177, den Briefentwurf des Dekans Reiche an das Universitätskuratorium vom 21. April 1850, o. P. Das Vorwort der Druckfassung datiert auf den 8. April 1850, s. Dieckhoff, Carolostadio, S. IV. 432 S. oben Anm. 412 f. 433 Dieckhoff, Waldenser, S. [III]. Auf eine Widmung verzichtet die 1854 nachfolgende große Monographie Dieckhoff, Abendmahl. 434 UA Göttingen, Theol. Prom. 00400, Anmerkung Lückes zum Umlaufschreiben von Reiche vom 28. März 1850 (zu dem Datum s. oben Anm. 403), S. 4: „Wird ein Lic. in allen Fächern von sämtl.[ichen] Mitgliedern examinirt, so sehe ich nicht ein, warum seine Licenz nicht auf alle Fächer der Theologie ausgedehnt werden soll. Ich bin der Ansicht, entweder allgemeine Licenz und dann Prüfung in allen Theilen der Theologie oder beschränkte Licenz und dann eine Commißion.“ 435 Graf, Licentiatus, S. 91. Das für Habilitationen grundlegende Regulativ vom 28. März 1831 hielt entsprechend offen fest, UA Göttingen, Kur 4198, Bl. 2v u. 3r: „Als thema dieser Ausarbeitung ist dem Candidaten eine Entwicklung seiner Ansichten über die BehandlungsArt des wissenschaftlichen Fachs zu empfehlen, in welchem er zu dociren beabsichtigt.“ 436 Dieckhoff, Rez. Erbkam. Bibliographisch nicht erfaßt wurde die Rezension in der bislang einzigen Dissertation zu Dieckhoff von Uhlig, Dieckhoff, vgl. dazu S. VI f., die dafür
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
73
ausführlich Erbkams „Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation“. Die umfangreichste Karlstadt-Darstellung der letzten Jahrzehnte hatte Dieckhoff nicht nur gelesen, sondern einer sehr forcierten Kritik unterzogen. Deren positionelle Ausformung und quellenbasierte Fundierung gibt zu erkennen, daß Dieckhoff sich bereits eingehend mit Karlstadt beschäftigt haben mußte, bevor er die im selben Jahr erschienene Monographie von Erbkam anzeigte. Bezeichnend ist zudem die thematische Beschränkung von Dieckhoffs in drei Fortsetzungen gedruckter Rezension. Sie widmete sich zunächst dem von der „Vorrede“ skizzierten Gesamtansatz, hinterfragte den in der „Einleitung“ entfalteten Mystikbegriff, bemängelte die Kürze des Eingangskapitels zum „Verhältnis der Reformation zur Mystik“ und konzentrierte sich sodann ganz auf das Folgekapitel zu „Carlstadt“. Nicht besprochen wurde damit mehr als die Hälfte der Monographie, während mehr als die Hälfte der Rezension alleine dem Kapitel zu Karlstadt galt437. Dieckhoff begründete sein Vorgehen damit, daß die Ausführungen zu Karlstadt als exemplarischer Ausweis für das gesamte Buch dienten438 und „wir doch […] unsern Lesern das eigene Lesen […] nicht ersparen zu können glaubten.“439 Dieckhoff lieferte die thematisch sehr stark auf Karlstadt fokussierte Rezension im letzten Viertel seiner ursprünglichen Repetentenförderzeit von zwei Jahren bzw. nach der wenig später gewährten Verlängerung um ein weiteres Jahr in der zweiten Hälfte seines Stipendiums. Ausweislich der detaillierten Quellenstudien zu Karlstadt, die in die Anzeige eingingen, war Dieckhoff nicht durch Erbkam auf Karlstadt gestoßen, hatte dessen Interpretation aber zum Anlaß genommen, seinen eigenen Ansatz in wesentlichen Zügen zu umreißen. Grundsätzlich votierte Dieckhoff dagegen, die Mystik als „ein eigentlich religiöses Princip“440 anzuerkennen, das sich auf eine allgemeine „Unmittelbarkeit des religiösen Lebens“441 im Sinne eines „naturgemäßen, religiösen Grundtriebe[s]“442 reduzieren ließe. Diese Ausblendung der äußeren Rahmenbedingungen und der natürlichen, sozialen und ethischen Dimensionen jedes religiösen Lebens sah Dieckhoff als den „Grundirrthum der eigentlichen Mystik“ an.443 S. VII–XII auf verdienstvolle Weise Beiträge verzeichnet, die sich auf Dieckhoff beziehen. Der zeitliche Schwerpunkt liegt erkennbar auf den 1880er Jahren und erlaubt darüber hinaus weitreichende materiale Ergänzung. 437 In der Rezension gelten mehr als 17 Seiten Karlstadt (Dieckhoff, Rez. Erbkam, S. 1869– 1885), weniger als 13 dem allgemeinen Mystikbegriff in der „Vorrede“ und „Einleitung“ (ebd., S. 1857–1869). 438 Ebd., S. 1869: „Es wird schon hieraus klar werden, daß unser kurz zuvor über die Darstellung des V[er]f[asser]s überhaupt ausgesprochenes Urtheil nicht ungegründet ist.“ 439 Ebd., S. 1885. 440 Ebd., S. 1857. 441 Ebd., S. 1860. 442 Ebd. 443 Besonders s. hierfür ebd., S. 1863: „Wir sehen gerade in der vermeinten Erfahrung eines unvermittelten Hineintretens Gottes in die menschliche Seele den Grundirrthum der eigentlichen Mystik, und wie sich in dieser Täuschung der Mittelpunkt alles mystischen Lebens zeigt,
74
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
„Aufdeckung der Möglichkeit und […] Entstehungsweise“ dieser „Selbsttäuschung“444 erklärte Dieckhoff zur psychologischen und nicht etwa theologischen Aufgabe.445 Seinen eigenen argumentativen Ansatzpunkt fand Dieckhoff bei Luther, der in „Wider die himmlischen Propheten“ jede reine Innerlichkeit abgelehnt und auf die stets vorgängige äußerliche Vermittlung des Evangeliums hingewiesen habe446. Aus dieser literarischen und argumentativen Referenz speiste sich auch Dieckhoffs Kritik an Karlstadt.447 Mit ihm hätten „die zerstörerischen Uebergriffe der mystischen Richung [… auf ] die bestimmtere Erfassung des Objectiv=Kirchlichen in seiner wahren Bedeutung bei den reformatorischen Männern“ begonnen.448 Diesen prinzipiellen Gegensatz wollte Dieckhoff bereits in Karlstadts frühester reformatorischer Position erkennen, um daraus „in geschichtlicher Weise die eigentlichen Trennungspunkte zwischen der Mystik und der durch die Reformatoren festgehaltenen Wahrheit des christlichen Lebens deutlich zu erkennen“.449 Die Spezifik von Karlstadts Mystik habe keineswegs in einem allgemein pantheistischen Ansatz450 bestanden. Vielmehr habe seine „mystische […] Denkweise“451 eine Diastase „zwischen Aeußerem und Innerem“452 vorausgesetzt und innerreformatorisch zur Ablehnung aller gemeinschaftsstiftender „Offenbarungs[‑]“453 und sakramentaler „Gnadenmittel“454 um welchen sich die charakteristischen Eigenthümlichkeiten desselben sammeln, welche alle auf einem Abbrechen oder Ueberspringen derjenigen in der sittlichen Welt natürlich geordneten Vermittlungen beruhen, durch die das Göttliche in der Seele des Menschen aufgenommen oder in’s menschliche Leben handelnd hinein gebildet werden soll“. 444 Ebd., S. 1862. Der Begriff der „Selbsttäuschung“ findet sich bereits bei Erbkam, Geschichte, S. 23, und wandte sich dort gegen bestimmte Teile der mystischen Tradition. Dieckhoff nahm diese Selbstkritik des Apologeten einer reformatorischen Mystik auf und richtete sie gegen die Mystik im ganzen. 445 Dieckhoff, Rez. Erbkam, S. 1862. Auch dies ist bereits bei Erbkam, Geschichte, S. 23– 25, angelegt, wo Erbkam aber betonte, eine psychologische oder philosophische Annäherung an das Phänomen reiche nicht aus, um dessen wahre religiöse Natur zu erfassen. 446 Dieckhoff, Rez. Erbkam, S. 1873 f. 447 Vgl. hierfür ebd., S. 1870, wirft Dieckhoff Erbkam vor, „die bekannten Urtheile Luthers in seiner berühmten Schrift wider die himmlischen Propheten so ganz unberücksichtigt [gelassen zu haben …], in denen mit so meisterhafter, überraschender Wahrheit und Bestimmtheit die Grundirrthümer der durch Carlstadt angeregten Schwärmerei hervorgehoben sind.“ Auf Luthers Schrift hatte sich Erbkam, Geschichte, u. a. S. 278 u. 280, selbstverständlich bezogen, aber in ablehnender Tendenz, ebd., S. 280, der „heftigsten Schmähungen“. 448 Dieckhoff, Rez. Erbkam, S. 1866. 449 Ebd., S. 1869. 450 Ebd., S. 1870: „Wir müssen daher sagen, daß es nicht genug war, darauf hinzuweisen, daß Carlstadts Mystik ihren Grund in der Auffassung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch habe, […] wonach aller Accent allein auf das Creatursein des Menschen gelegt und der Mensch als Creatur Gott gegenüber als nichts, Gott aber als derjenige betrachtet wird, der allein Alles in Allem ist.“ 451 Ebd., S. 1875. 452 Ebd., S. 1873. 453 Ebd. 454 Ebd., S. 1872.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
75
geführt. Deutlich zu erkennen ist, wie konsequent Dieckhoff einerseits von einer auf Luther und den Bekenntnisschriften fundierten Ekklesiologie ausging und andererseits die Schrift „Wider die himmlischen Propheten“ ausdeutete, um das Phänomen der Mystik im allgemeinen anhand des konkreten Beispiels von Karlstadt zu bekämpfen. Falsch waren für Dieckhoff nicht erst die späten Konsequenzen, in denen sich Karlstadt als „[S]piritualist“455 oder als Vertreter eines „mystisch gefärbte[n …] und begründete[n …] Rationalismus“456 erwiesen habe. Falsch seien von Anfang an die Voraussetzungen der Mystik gewesen, die „gegen die Objectivität im Äußereren“457 einseitig das Innere betonten. Hinsichtlich der Karlstadtschen Gesamtentwicklung votierte Dieckhoff für ein Kontinuitätsmodell, das man mit der Metaphorik eines Eisberges verdeutlichen kann. Mit dem „so entscheidenden Jahre 1521“458 gab sich der eigentliche Gipfel zu erkennen, indem die „bekannten Streitigkeiten“459 „nach der entscheidenden Wittenberger Katastrophe“460 das kirchenpraktische Destruktionspotential von „Carlstadts falsche[r] Mystik“461 zum Vorschein brachten. Der gewaltige Körper der falschen Grundprämissen lag davor und danach zwar unter der Oberfläche verborgen, wurde aber im Licht der späteren Entwicklungen in seiner Größe und Gefahr abschätzbar. Dieckhoff selbst war völlig klar, daß der historiographische Nachweis für die Stimmigkeit dieser Einschätzung noch ausstünde. Für seine Rezension konstatierte er: „Wir können hier diese Untersuchung nicht selbst führen“462, suchte aber im letzten Drittel seiner Anzeige anhand einer überwiegend aus Karlstadt-Drucken geschöpften Zitatkompilation komparativ aufzuzeigen, daß schon in den Äußerungen des Jahres 1520 der im Folgejahr hervortretende und sich danach weiter erhebende Ansatzpunkt einer falschen Innerlichkeit zu belegen sei.463 Dieckhoff wandte sich damit gegen eine psychologisierende Deutung Karlstadts464 und forderte eine systematisch-theologische Konturierung von dessen grundlegender Position ein, die historisch-genetisch zu verfolgen und zu vertiefen sei. Das Phänomen der Mystik als solches zu schildern und zu begründen, erklärte er gleichwohl zur Aufgabe eines Psychologen. Im ganzen wird Dieckhoffs 1848 verfolgtes Forschungsvorhaben zu Karlstadt deutlich. Es suchte eine kritische – systematisch fundierte und werkgeschichtlich 455 Ebd.,
S. 1878. S. 1879. 457 Ebd., S. 1880. 458 Ebd., S. 1871. 459 Ebd. 460 Ebd., S. 1882. 461 Ebd., S. 1872. 462 Ebd., S. 1874. 463 Vgl. hierfür ebd., S. 1881–1885. 464 In dieser Hinsicht übte Dieckhoff ausdrücklich Kritik an Erbkam, indem er darauf abhob, ebd., S. 1871, daß es nicht hinreiche, Karlstadts Entwicklungen aus „verletzte[r] Eitelkeit des eigensinnigen Mannes und [… der] Suche nach Paradoxien“ zu erklären. 456 Ebd.,
76
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
aktualisierte – Revision des theologischen Ansatzes von Karlstadt im Anschluß an Luthers „Wider die himmlischen Propheten“. Thematisch ergab sich daraus eine Zuspitzung auf die Abendmahlsfrage. Auch dem „Grunddogma der neuen Kirche, der Rechtfertigungslehre“465, sollte ein Vergleich gelten. Komparativ angelegt wollte Dieckhoff eine frühe von einer späten Phase im Gesamtwerk von Karlstadt unterscheiden, wobei das Jahr 1521 die Trennungslinie markierte.466 2.1.3. Die Licentiatenarbeit zur Willensfreiheit (1850) In dieses Forschungsprogramm fügte sich die Licentiatenarbeit von 1850 ein, erweist sich aber als weniger einschlägig als die 1854 folgende große Studie zur „evangelische[n] Abendmahlslehre im Reformationszeitalter geschichtlich dargestellt“. Bevor auf dieses zweibändig geplante und nur in einem voluminösen Eröffnungsband erschienene Werk einzugehen ist, gilt es, die knapp 80seitige Qualifikationsschrift467 zu umreißen. Konzeptionell fand sie ihren Ausgangspunkt ebenfalls bei Luther und einer seiner Schriften des Jahres 1525. Aus „De servo arbitrio“ übernahm Dieckhoff hinsichtlich der Heilsvermittlung die Verneinung des menschlichen Willens, die für Luther das Fundament seiner gesamten Lehre über das christliche Leben und den Glauben gewesen sei468. Die Licentiatenarbeit bot einen Beitrag zur Vorgeschichte dieses Ansatzes, indem sie den Streit zwischen Karlstadt und Eck auf der Leipziger Disputation in den Mittelpunkt rückte. Dieckhoff würdigte diese Auseinandersetzung als erste doktrinale Fixierung eines Bruchs zwischen lutherischer und scholastischer Theologie.469 Keinen Zweifel ließ Dieckhoff aber schon in seiner „Praefatio“ daran, das „falsum Carolostadii principium“ aufdecken470 zu wollen, das in Leipzig gewirkt und verhindert habe, daß weder die Lehre Luthers richtig bestimmt noch diejenige der Scholastiker „mit wahren Argumenten“ zurückgewiesen worden sei471. Dieckhoff bildete drei Hauptkapitel, indem er zunächst Karlstadts Lehre vom menschlichen Willen, dann Ecks Lehre von der Willensfreiheit und schließlich 465 Ebd.,
S. 1883. ähnlichen Ansatz verfolgte später Kriechbaum, die diese Rezension von Dieckhoff kannte; vgl. dazu im Hauptkapitel III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 183. 467 Bibliographisch erfaßt wurde die Arbeit von Uhlig, Streitfragen; vgl. dazu ebd., S. VI, mit ebd., S. 18. Barge setzte sich mit der Arbeit knapp auseinander, Barge, Karlstadt, T. 1, S. 183, Anm. 3; er hob inhaltlich andere Schwerpunkte hervor, als sie im folgenden verfolgt werden, und konzentrierte sich vor allem auf den Ausweis einer konfessionalistischen Voreingenommenheit Dieckhoffs. 468 Der letzte Halbsatz gibt den Eröffnungssatz der Dissertation wieder, Dieckhoff, Carolostadio, S. [1]: „Nemo est quin sciat, sententiam Lutheri de arbitrio humano totius ejus de vita et fide christiana doctrinae fundamentum esse.“ 469 Ebd., S. [III]. 470 Ebd.; ebd., S. IV, vgl. auch den zweifachen Hinweis auf die „errores“ von Karlstadt. 471 Für das Zitat (in Übersetzung) und weitere Paraphrase s. ebd., S. [III], IV. 466 Einen
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
77
beider Diskussion auf der Leipziger Disputation behandelte. Eine sechsseitige „Conclusio“ suchte Luthers Lob über Karlstadts Auftreten in Leipzig situativ einzuschränken472 und Melanchthon das sorgsamere Urteil zuzusprechen, insofern dieser in der Disputation eine Alternative zweier in die Irre führender und vom „wahren Ziel“ ableitender Wege erkannt habe473. Ein Vergleich mit Luther bestimmte den Anfang der Studie, bevor sich diese ganz auf eine „comparatio […] inter Carolostadii et Eckii sententiam“474 konzentrierte. Das falsche „principi[um]“475 sah Dieckhoff in Karlstadts fundamentaler Betonung der Differenz zwischen Gott und Mensch476, in der Luthers Sünden‑ und Bußverständnis keine angemessene Rolle gespielt477 und eine eigene Heilslehre überflüssig gemacht habe478. Dies hielt Dieckhoff nicht davon ab, in den 380 Thesen, die er nach der Ausgabe von Walch zitierte, vordergründig richtig erscheinende Ausführungen über die Natur guter Werke zu finden479, dem falschen Gesamtansatz aber zu subsumieren480. In die letzte Anmerkung des Eröffnungskapitels zu Karlstadt ging eine knappe Auseinandersetzung mit Erbkams Ansatz ein.481 Eck wurde, auf der Editionsgrundlage von Löscher, als Beispiel für eine gleichermaßen falsche Sünden‑ und Erlösungslehre geschildert, nun aber in der Fortführung eines scholastischen Rationalismus482. Für die Leipziger Disputation bezog sich Dieckhoff teils auf die Edition durch Löscher483, teils auf eine Kompilation Seidemanns aus dem Jahr 1843484. In den Voten Karlstadts wollte Dieckhoff die zuvor identifizierten theologischen Defizite wiedererkennen485, orientierte sich weithin am Disputationsverlauf und integrierte die thematisch weiterreichenden Ausführungen von Karlstadt und Eck in eine umfangreiche Anmerkung am Ende seines letzten Kapitels486. Die Licentiatenarbeit hatte sich damit auf einen dogmatischen Einzeltopos beschränkt, die 380 Thesen auf diesen befragt und den verfügbaren Text der Leipziger Disputation sondiert. Im ganzen blieb die Studie hinter dem Gesamtprogramm des Jahres 1848 zurück, erneuerte aber den Ansatz, von Luther aus 472 Ebd.,
S. 75 f. Ebd., S. 76. 474 Ebd., S. 6. 475 Ebd., S. 10; 14. 476 Ebd., S. 9. 477 Ebd., S. 10. 478 Ebd., S. 12–14. 479 Ebd., S. 14 f. 480 Ebd., S. 18, Anm. 1. 481 Ebd., S. 19, Anm. 1. 482 Ebd., S. 24, Anm. 1. 483 Ebd., S. 42, Anm. 1. 484 Ebd., S. 21, Anm. 1: „Cf. Seidemann: die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresd. u. Leipz. 1843, p. 22 sq.“ 485 Besonders zentral hierfür s. ebd., S. 51. 486 Ebd., S. 68–72, Anm. 1. 473
78
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
die theologische Lehre systematisch zu fundieren und historisch-genetisch zu verfolgen. Zugleich mag es berechtigt sein, die Arbeit nicht ausschließlich als materialdogmatisch oder arbeitspragmatisch motiviert anzusehen, sondern als den zentralen, über die Rezension von 1848 hinausgehenden Methodenversuch zu interpretieren, in die reformatorische Frühzeit von Karlstadt vorzustoßen, um von dort aus die Kontinuitätsthese eines fehlerhaften Grundprinzips auszuweisen. In diesem Sinn, der sich in einem späteren Rekurs Dieckhoffs auf seine Erstlingsschrift andeutet487, wäre die Licentiatenarbeit eine folgerichtige Anschlußstudie zu der 1848 für Karlstadts reformatorische Frühzeit thetisch vertretenen Konzeption. Eine zeitgenössische Rezension läßt sich finden. Sie erschien noch im Jahr der Drucklegung, 1850, im „Leipziger Repertorium“. Der namentlich nicht ausgewiesene Autor lobte die materialreiche488 Arbeit als „wohlgerathene, tüchtige Inauguralschrift“489 und vermutete einen größeren Forschungszusammenhang: „wie es scheint, [ist die Schrift] nur Vorläuferin ausführlicherer Studien über das in ihr nach einer Seite hin berührte wichtige Thema. Denn Luthers wahre und wohlverstandene Meinung von dem arbitrio humano war für das Reformationswerk von grösster Bedeutung.“490
Der Rezensent hatte somit registriert, daß Luthers als zentral vorausgesetztes Freiheitsverständnis auf bezeichnende Weise ausgespart blieb, und nahm gerade deshalb wohl eine Anschlußstudie zu Luthers „De servo arbitrio“ an. Gewürdigt wurde bereits für die Qualifikationsschrift der apologetische Ansatz aus lutherischer Perspektive: „Genauer, als es bisher geschehen ist, zeigt der V[er]f.[asser] das falsche Princip auf, welches Carlstadt, namentlich bei der Leipziger Disputation mit Eck, der Ansicht Luthers untergelegt hatte, und erwirbt sich dadurch um die richtige Beurtheilung der ganzen Carlstadtschen Richtung ein namhaftes Verdienst.“491
487 1854 verwies Dieckhoff auf seine Dissertation in Dieckhoff, Abendmahlslehre, S. 300, als Ausweis dafür, daß Karlstadt „den Mittelpunkt der evangelischen Lehre, […] das Materialprincip derselben, seine Fassung und theologische Begründung“ verfehlt habe. Ohne Bezug auf seine Arbeit, aber im anschließenden Kontext, erklärt Dieckhoff, ebd.: „Von Anfang an, gleich in seinem Streite mit Eck, gründet Carlstadt die neue Lehre von der Gerechtigkeit allein aus Gnaden nicht sowohl auf die Sätze von der rechten Herzensbuße, von denen Luther ausgeht, als vielmehr auf den metaphysisch=ethischen Satz, daß nur das gut sei, was nicht die Creatur, sondern allein Gott selbst in der Creatur thue, und daß das, was Gott thue, gut sei, wie es auch immer erscheinen möge.“ 488 Leipziger Repertorium 1850, S. 127 f.: „Ueberall wird auf die besten Quellen zurückgegangen und dadurch, dass das Wichtigste aus ihnen wörtlich herüber genommen wird, dem Leser der Prüfstein, dessen er bedarf, in die Hand gegeben.“ 489 Ebd., S. 127. 490 Ebd. 491 Ebd.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
79
2.1.4. Die Anschlußstudie zur „reformatorische[n] Abendmahlslehre“ (1854) Vier Jahre später trat Dieckhoff mit dem ersten Band seiner Studien zur „reformatorische[n] Abendmahlslehre“ hervor, deren Drucklegung zwei Monate vor dem Antrag der Fakultät auf Ernennung zum außerordentlichen Professor lag492. Das knapp 700 Seiten umfassende Buch war nicht Dieckhoffs erste größere historische Arbeit. Bereits ein Jahr nach seiner Habilitation hatte er eine gut 400seitige Monographie zur Geschichte der Waldenser493 veröffentlicht, die quellenkritisch auf eine Spätdatierung der für die mittelalterlichen Entwicklungen herangezogenen Dokumente abhob. Das Buch zur Abendmahlslehre494 nahm beide Tendenzen auf, die Frage nach vorreformatorischen Tendenzen und die Explikation eines lutherischen Propriums im Unterschied zur innerreformatorischen Vielfalt. Im Mittelpunkt der Darstellung steht das Abendmahlsverständnis Luthers, das auf gut einhundert Seiten entfaltet wird495, nachdem die mittelalterlichen Ausführungen in die „Einleitung“496 integriert worden waren und bevor ein umfangreiches Einzelkapitel „Carlstadt und Luther“497 folgte. Zusammen machten die beiden Kapitel zu Luther und Karlstadt die Hälfte des gesamten Bandes aus. Bereits die Unterkapitel zu dem Karlstadtteil lassen erkennen, wie konsequent Dieckhoff nun seinen Ansatz des Jahres 1848 umsetzte: Geschildert wurde auf 50 Seiten „Carlstadt’s Abendmahlslehre in der früheren und in der späteren Periode, vor und nach 1522“498; im selben Umfang schloß sich ein Unterkapitel zu „Luther wider die himmlischen Propheten“499 an. Die Ausführungen bieten einen wichtigen Aufschluß über Dieckhoffs mögliche Erstveranlassung zu seinem Forschungsansatz. Bereits die erste Anmerkung des Lutherkapitels hebt auf einen einzigen literarischen Vorläufer in der Bearbeitung der gestellten Aufgabe ab: „Die Darstellung in Max Goebel’s Aufsatze: Luther’s Abendmahlslehre vor und in dem Streite mit Carlstadt […], die einzige näher eingehende, hat die der Geschichtsforschung hier vorliegende Aufgabe keineswegs gelöst, und bedarf auch in den Hauptpunkten der Berichtigung.“500 492 Vgl. dazu die Unterschrift des „Vorwort[es]“, ebd., S. IV, mit dem Datum des oben in Anm. 394 benannten Antrages. 493 Dieckhoff, Waldenser. Knapp dazu: Uhlig, Streitfragen, S. 10–13. 494 Eine flächige Paraphrase bietet Uhlig, Streitfragen, S. 17–22, der selbstkritisch vermerkt, ebd., S. 20: „Die unübersehbare Fülle von Literatur zum Problem konnte nicht verarbeitet werden.“ Auf die unten herauszustellende Bedeutung von Goebel für Dieckhoff wurde Uhlig nicht aufmerksam. 495 Dieckhoff, Abendmahlslehre, S. 167–274. 496 Ebd., S. [3]–153. 497 Ebd., S. [299]–428. 498 Ebd., S. 302–351. 499 Ebd., S. 368–418. 500 Ebd., S. 167, Anm. *.
80
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Der Widerspruch zu Goebel bestimmt auch Dieckhoffs Äußerungen zu Karlstadt.501 Hatte jener für die Frühzeit eine Konvergenz zwischen Karlstadt und Luther in einem reformierten Abendmahlsverständnis konstatiert, bevor Luther seit 1522 mit seiner Opposition gegen Karlstadt einen Rückfall in die scholastische Reaktion vollzogen habe, invertierte Dieckhoff dieses Gesamtbild. Auch er statuierte für die Frühzeit eine Kongruenz der Abendmahlslehren, erklärte den Konsens aber aus Luthers Position, die Karlstadt „in Abhängigkeit von Luther“502 vertreten habe, bevor er „später ganz“ mit dieser „Entwicklung […] abgebrochen“503 habe. Zugleich aktualisierte Dieckhoff sein zuerst 1848 vorgetragenes Kontinuitätsmodell eines mystischen Selbstbetruges, der unter der ruhigen Oberfläche einer vermeintlichen Eintracht bereits vorhanden gewesen sei: „Der eigenthümliche mystische Irrthum Carlstadt’s ist noch nicht die Grundlage seiner Lehrconstruktion geworden, sondern bricht nur in der eigenthümlichen Behandlung der Lehre Luther’s, und zwar nur in der Spitze der Lehre hervor, aber richtet sich hier zerstörend gegen den innersten Mittelpunkt der evangelische Lehre.“504
Konkret führte Dieckhoff nun auch für Karlstadts Abendmahlslehre aus, daß diese eine „mystische Theorie“ gewesen sei, die ihrerseits die „Rechtfertigungslehre [als] den Mittelpunkt des wahren evangelischen Systems verkennt und zerstört“.505 Einen äußeren Einfluß auf Karlstadts Abendmahlstheologie wollte Dieckhoff in Wessel Gansfort506 und dem Hoen-Brief 507 erkennen, den er für Luther eingehend diskutiert hatte508 und dessen Verbreitung in Wittenberg er für Sommer 1522509 annahm. Mit dieser Datierung – und nicht nur der äußeren Ereignisgeschichte der Wittenberger Bewegung – könnte auch zusammenhängen, 501
Bibliographiert wurde Goebels Beitrag zu Karlstadts Abendmahlsverständnis ebd., S. 305, Anm. *. Der oben geschilderte Widerspruch von Dieckhoff findet sich ebd., S. 320. Ablehend s. auch ebd., S. 197, Anm. *. Für zustimmende Bezugnahmen s. ebd., S. 305, Anm., *; S. 319. 502 Ebd., S. 320. Vgl. dazu auch ebd.: „Die Abendmahlslehre Carlstadt’s in jener früheren Zeit hat sich uns als eine solche erwiesen, die abhängig von Luther’s Lehrfassung diese zu ihrer Grundlage und zu ihrem Stoffe hat.“ Zuvor s. bereits ebd., S. 302: „Carlstadt’s Lehre vom Abendmahl in der Zeit vor der Wittenberger Katastrophe steht in der engsten Abhängigkeit von der Lehre Luther’s, wie sie zuerst 1520 im Sermon vom N. Testament dargelegt war.“ 503 Ebd., S. 320. 504 Ebd. 505 Ebd., S. 311. Vgl. später auch ebd., S. 326: „Es ist offenbar, daß in diesem System der rechtfertigende Glaube, überall der Glaube als aneignender, wie er die Seele des wahren evangelischen Systems bildet, keinen Platz mehr haben kann.“ 506 S. hierzu ebd., S. 329, Anm. *: „In der Art, wie der prophetische Psalm, wo Christus als Teraph bezeichnet wird, von Carlstadt gebraucht wird, tritt recht deutlich die Abhängigkeit desselben von der Darstellung der Wessel’schen Schrift hervor: vgl. Wessel de sacr. euch. cap. 14 f.“ Angelegt ist diese geneteische Verbindungslinie in Ullmann, Reformatoren, S. 568 f., und bei Max Goebel (s. dazu oben Anm. 118). 507 Vgl. hierzu Dieckhoff, Abendmahlslehre, S. 239, 338. 508 S. dazu bes. ebd., S. 278 f., Anm. * cont. 509 S. dazu bes. ebd., S. 279, Anm. * cont.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
81
daß Dieckhoff den zentralen Einschnitt in Karlstadts Entwicklung in das Jahr 1522 legte und damit später ansetzte als in seiner Erbkam-Rezension von 1848. Für die Annahme, Dieckhoff habe Goebels Interpretation der Jahre 1841 bis 1843 gezielt widersprechen wollen, finden sich weitere Anhaltspunkte im Text. Zunächst ohne, später mit ausdrücklicher Namensnennung von Goebel wird dessen These einer Rückkehr von Luther zu Argumentationsbeständen der Scholastik nach 1522 abgelehnt. Dieckhoff betonte demgegenüber, daß Luther nie einen radikalen Bruch von dieser vollzogen und vielmehr seit den reformatorischen Anfängen einen modifizierten Anschluß gesucht habe.510 Während Goebel für Luther zunächst eine Ablehnung der Transsubstantiation und dann eine Umformung zur Konsubstantiation ausgemacht hatte, lehnte Dieckhoff – ohne explizite Bezugnahme auf Goebel – eine solche Entwicklungsstufe ab, bevor sie definitorisch nicht eindeutig fixiert sei511, und votierte hinsichtlich der ersten Abendmahlstheologie Luthers für einen eigenständigen Anschluß an die Transsubstantiationslehre512. Die Auseinandersetzung mit Erbkam tritt demgegenüber stark zurück. Nur der kurze bibliographische Hinweis findet sich, man könne „Ueber Carlstadt’s frühere Lebensgeschichte“ näheres in Erbkams Monographie erfahren513. Der Ansatz, Karlstadt als Vertreter eines „mystischen Grundirrthum[s]“514 zu schildern, richtete sich aber antithetisch und – ausweislich der Rezension von 1848 – forschungspositionell eindeutig gegen Erbkam. In seiner Monographie zur Abendmahlslehre identifizierte Dieckhoff Luther mit der Erkennntis, in Karlstadts Mystik „die eigentliche Quelle aller einzelnen Irrthümer“515 bestimmt zu haben. Den Nachweis für eine solche Mystikkritik blieb das Kapitel „Luther wider die himmlischen Propheten“516 schuldig, doch trat Dieckhoffs 510 Ebd., S. 173: „Das Alte gilt für ihn, so lange und so weit er es nicht reformirt *). [Mit Anm.] *) Aus diesem Verhältniß Luther’s zur Scholastik folgt, daß auch die spätere lutherische Theologie nicht darin irrte, daß sie bei der Aufstellung eines Systems der Dogmatik zur Ergänzung für den Inhalt desselben in den Inhalt des scholastischen Systems zurückgriff, sondern allein in der Art, wie sie dies that, indem er ihr nicht gelang, das Alte mit dem Neuen vollkommen zu durchdringen und reformatorisch neu umzugestalten.“ Mit Blick auf die Abendmahlstheologie hält Dieckhoff die engen Verbindungen bereits für die Anfänge fest, ebd., S. 184, Anm. *: „Luther hängt in dieser Beziehung in der bestimmteren Fassung seiner Sätze noch von der Scholastik ab.“ Den namentlichen Bezug auf Goebel bietet ebd., S. 197, Anm. *: „Sehr unglücklich hat dagegen M. Goebel fehlgegriffen, der […] mit allem Nachdruck Luther’s in dieser Schrift dargelegte Lehre als eine neue geltend machen will, als eine solche, die in der damaligen Zeit ganz neu und unerhört, ohne allen Zusammenhang mit Tradition und Kirchenlehre unmittelbar aus der Schrift geschöpft sei. ‚Ob sie in irgend einem Scholastiker vorkommt, weiß ich nicht, glaube es aber nicht u.s.w.‘“ 511 Ebd., S. 409, Anm. *: Es „ist […] nöthig, daß man die Begriffe scharf fasse.“ 512 Ebd., S. 231, Anm. *; S. 248 f. 513 Ebd., S. [299], Anm. *. 514 Ebd., S. 368. 515 Ebd. 516 Ebd., S. 368–418.
82
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Abendmahlsstudie im ganzen dafür ein, die objektivierbaren Dimensionen des religiösen Lebens sakramental und ekklesiologisch zu betonen. Gegenüber dem individualreligiösen Ansatz von Erbkam, der die subjektive Unabhängigkeit in der Gottesbeziehung auch für die Reformation herauszustellen suchte, ist die Opposition von Dieckhoff eindeutig zu erkennen. 2.1.5. Dieckhoffs kirchenpolitisches Profil und literarische Reaktionen auf seine Monographie Im ganzen richtete sich Dieckhoffs Arbeit somit gegen Goebel und Erbkam, die beide als profilierte Befürworter der preußischen Union einzuschätzen sind.517 Die naheliegende Annahme, in Dieckhoff einen Gegner der Union zu vermuten, bestätigt sich. Für das Jahr 1858 rekonstruierte die bislang einzige Dissertation zu Dieckhoff dessen Position innerhalb einer Konferenz, indem sie mehrere Einzelvoten von ihm zusammenfaßte: „Mit seiner Haltung hat Dieckhoff nicht die Union bejaht: Er wendet sich klar gegen sie. Er plädiert auch nicht für eine Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten.“518 Vielmehr „äußert [er] die Gewißheit, das Ende der Union sei nahe, die konfessionalistische Tendenz werde sich durchsetzen.“519 Dieckhoff gehörte nicht zu dem radikalsten Flügel der Unionsgegner. Mit der um eine ansatzweise Anerkennung bemühten Feststellung: „Die Reformierten gehören zum Leibe Christi“, lehnte er eine Häretisierung oder Exkommunikation520 von Reformierten ab. Für eine Abendmahlsgemeinschaft mit Lutheranern aus unierten Kirchen sprach sich Dieckhoff aus; zur Frage eines gemeinsamen Abendmahlsempfangs mit Reformierten schwieg er.521 Die fachwissenschaftlichen Reaktionen auf die Monographie von 1854 waren überwiegend, aber nicht ausschließlich positiv. Eine Rezension im „Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur“ referierte den Aufbau und einzelne Thesen der Arbeit, empfahl vor allem aber den „bereits rühmlich bekannte[n] V[er]f.[asser]“522 und dessen „Untersuchung […] der allseitigen 517 Für Goebel wurde dies zuvor ausführlich dargelegt; zu Erbkam vgl. oben den Haupttext zu Anm. 264 sowie – unter den nötigen Vorbehalten gegenüber dieser Arbeit (s. oben Anm. 280) – die jüngste Universitätsgeschichte der Königsberger Albertina, Tilitzki, AlbertusUniversität, S. 28: „Die fünf Ordinarien […, darunter] der Kirchenhistoriker Wilhelm Heinrich Erbkam, […] waren nicht allein um ihrer ohnehin bescheidenen wissenschaftlichen Meriten willen nach Königsberg berufen worden, sondern als treue Anhänger und Verteidiger der preußischen ‚Union‘, in der Lutheraner und Reformierte seit 1817 unter einem Kirchendach zusammenlebten.“ 518 Uhlig, Streitfragen, S. 41. 519 Ebd. 520 Ebd. 521 Ebd. 522 Anon., Rez. Dieckhoff 1855a, S. 315.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
83
Beachtung des theologischen Publicums aufs Angelegentlichste.“523 Die „Protestantische Kirchenzeitung“ lobte die Studie ebenfalls, kritisierte aber deren Weitschweifigkeit und „allzugroße Ausführlichkeit der Darstellung, deren Hauptzweck und Verdienst, die organische Entwicklung der Abendmahlslehre zum Bewußtsein zu bringen, sich auch mit weniger umfangreichem Stoff erreichen ließ[e]“.524 Barge kannte alle für Karlstadt einschlägigen Arbeiten von Dieckhoff.525 Sein zu Goebel negativ und zu Dieckhoff positiv anmutendes Urteil, daß mit den Arbeiten von diesem die Aufsätze von jenem „überholt“ seien, wurde bereits zitiert.526 Die Wertschätzung dürfte sich auf die Quellenarbeiten beschränkt haben.527 Tatsächlich galt ihm Dieckhoff als einer der „neuere[n] orthodoxe[n] Dogmatiker“528 und derjenigen Karlstadt-Interpreten, denen es „von vornherein darum zu tun [ist], Karlstadt unter konfessionell lutherischen Gesichtspunkten zu bekämpfen.“529 Ohne Namensnennung, aber unzweifelhaft auf Dieckhoff zu beziehen ist Barges Kommentar zur Diskussion um Karlstadts Verständnis einer „innerliche[n]“, geistlichen Sündenvergebung: „Das hieß freilich – in der Terminologie der lutherischen Orthodoxie gesprochen – sich ‚zu der falschen Mystik Karlstadts‘ bekennen.“530 Dieckhoff war für Barge – positionell zutreffend – ein „Verfechter“ „der leiblichen Präsenz“531 im Abendmahl. Zugleich erhob Barge gegen Dieckhoff den Vorwurf, eine „Würdigung der religiösen Motive, die [Karlstadts] Ausbildung [der Abendmahlslehre] zugrunde liegen“, nicht behandelt zu haben.532 Diese Kritik ist nüchtern formuliert und erwuchs ihrerseits aus dem später auszuführenden Anliegen von Barge, den religiösen Standpunkt von Karlstadt neben einem reformatorischen und katholischen Frömmigkeitstypus als
523 Ebd.,
S. 316. Rez. Dieckhoff 1855b, Sp. 647. Der Autor scheint bezüglich Dieckhoff über nähere Informationen verfügt zu haben; einleitend erklärt er, ebd., Sp. 645, daß der „zweite […] Theil in diesem Jahre erscheinen soll[e]“; diese Information findet sich nicht in dem angezeigten Band. 525 Für die Rezension von 1848 s. Barge, Karlstadt, T. 1, S. 304, Anm. 152, für die Licenti atenarbeit von 1850 s. ebd., S. 183, Anm. 3, und für die Monographie von 1854 die übrigen in den nachfolgenden Anmerkungen ausgewiesenen Referenzen. 1901 bibliographierte Barge in seinem ersten Lexikonartikel zu Karlstadt nur die Rezension und die Monographie; vgl. hierfür Barge, Art. Karlstadt 1901, S. 73. 526 S. dazu oben Anm. 159. 527 Dies deutet sich auch an in Barge, Karlstadt, T. 1, S. 304, Anm. 152; T. 2, S. 147, Anm. 2 u. 4; S. 159, Anm. 27; S. 161 mit Anm. 37. 528 Vgl. dazu Barge, Karlstadt, T. 2, S., S. 236 mit Anm. 217. 529 Ebd., T. 1, S. 183, Anm. 3. 530 Ebd., T. 2, S. 236. Der Zusammenhang ist Urbanus Rhegius’ publizistische Reaktion auf Karlstadt in der Frühphase des Abendmahlsstreites, ebd., S. 234–237, mit der sich bereits Dieckhoff auseinandergesetzt hatte, vgl. dazu ebd., S. 235, Anm. 215. 531 Ebd., S. 237, mit Anm. 318. 532 Ebd., S. 145, Anm. 1. 524 Anon.,
84
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
grundsätzlich gleichwertig zu etablieren533. In historischen Einzelfragen konnte Barge Sachkritik an Dieckhoff üben534 und argumentative Systematisierungen als schlicht „irrig“535 bezeichnen. Im ganzen ist für Dieckhoff festzuhalten, daß er Goebel als literarische Referenz zu Karlstadts Abendmahlslehre vollauf verdrängte, wobei in der nachfolgenden Forschung unbeachtet blieb, daß Dieckhoff dessen Ansatz nicht nur historiographisch, sondern auch kirchenpolitisch verwarf. Gegen die unionistischen Anliegen von Goebel und Erbkam vertrat Dieckhoff einen lutherischen Standpunkt, den Barge durchaus zutreffend benannte, ohne jedoch die zeit‑ und forschungsgeschichtlichen Dimensionen der Karlstadt-Debatte Mitte des 19. Jahrhunderts als historiographische Positionierungen innerhalb der Unionsdiskurse wahrzunehmen. Methodisch lehnte Dieckhoff die psychologisierenden Interpretationsansätze von Goebel und Erbkam ab und trat für eine systematisch-theologische Beurteilung des Karlstadtschen Gesamtwerkes ein, das er als den konsequenten Ausdruck falscher Prämissen einheitlich zu verstehen suchte.
2.2. Christian Gotthold Neudeckers unveröffentlichte Karlstadt-Studien (1850–1856) 2.2.1. Die „Neudeckersche Sammlung“ in Gotha Der erste Autor, der das literarische Projekt einer Karlstadt-Biographie verfolgte, war Christian Gotthold Neudecker. Bekannt wurde er durch die Herausgabe von „Georg Spalatin’s historische[m …] Nachlaß und Briefe“, deren einziger Band zu „Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte von Georg Spalatin“ 1851 erschien.536 Noch zu Lebzeiten vermachte er seine umfangreichen Materialsammlungen zu Spalatin „der herzoglichen Bibliothek in Gotha, wo [… sie] als ‚Neudeckersche Sammlung Spalatinischer Briefe und Schriften‘ zu künftiger wissenschaftlicher Benutzung bereit liegt.“537 Daß der heute in der Forschungsbibliothek Gotha aufbewahrte Bestand auch ein Abschriften-Faszikel „Carlstadiana“ enthält, war bereits Hermann Barge bekannt.538 Im Vorwort seiner Karlstadt-Biographie539 schloß er sich dem di-
533 Vgl. zu diesen frühen Impuls im Werk Barges in Kap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse Anm. 171 und 285–293. 534 Vgl. etwa zum Verhältnis der Straßburger zu Karlstadt kurz Barge, Karlstadt, T. 2, S. 231, Anm. 204. 535 Ebd., T. 1, S. 183, Anm. 3. 536 Neudecker / Preller, Spalatin. 537 Schumann, Art. Neudecker, S. 755. 538 S. dazu im Folgekapitel die Anm. 384. 539 Barges Wortlaut s. ebd.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
85
stanzierenden Urteil von Kolde an. Dieser hatte 1883 über die Vorarbeiten des 17 Jahre zuvor verstorbenen Forschers erklärt: „Bekanntlich hat Neudecker an eine Herausgabe desselben [des Briefwechsels von Spalatin] gedacht und zu dem Ende eine große, jetzt auf der Gothaer Bibliothek befindliche Sammlung derselben zurechtgebracht; leider sind aber die Abschriften vielfach ungenau, besonders unsicher auch in der Datirung, nicht selten auch ohne Angabe des Fundorts, so daß diese Sammlung nur mit Vorsicht zu benutzen ist, aber, wenn sie auch längst nicht vollständig, doch als ein dankenswerter Grundstock bezeichnet werden kann.“540
Barge verdankte den Vorarbeiten Neudeckers mehr, als er zugab. Im Vorwort seiner Karlstadt-Biographie gab er an, bei Neudecker „kein Stück“ gefunden zu haben, „das dem Verfasser nicht sonst schon bekannt gewesen wäre“.541 Ein briefliches Selbstzeugnis belegt indes, daß Barge die „Neudeckersche Sammlung“ vor seinen Archivstudien in Weimar konsultiert hatte.542 Neudeckers Abschriften hatten für Barge eine zumindest heuristische Bedeutung. Eine genaue Sichtung der Neudeckerschen „Carlstadiana“ ergibt, daß sich diese auf Weimarer Archivalien beschränken und nur in einem Fall ein Dokument einbeziehen, das bei Barge unerwähnt blieb.543 Es handelt sich um ein Autograph, das von Karlstadt nicht unterzeichnet wurde, von Neudecker, der mit zeitgenössischen Handschriften vertraut war, aber auch ohne eine Unterschrift eindeutig Karlstadt zugewiesen werden konnte.544 Eine akribische Auswertung der nachgelassenen Materialien hätte zudem erkennen lassen, daß Neudecker das ambitionierte Projekt einer Karlstadt-Biographie zunächst aufgenommen und dann aufgegeben hatte. Unter den unabgeschlossenen Manuskripten der Sammlung befinden sich die Einleitung und drei ausgearbeitete Eröffnungskapitel eines Werkes, dessen Haupttext gut 50 Seiten umfaßt, zu denen eingelegte „Beibl.[ätter]“545 mit Materialzusätzen und der nachgestellte Anmerkungsteil tritt. Chronologisch reicht Neudeckers Darstellung in das Jahr 1519. Die Qualität der Ausführungen übertrifft in Teilen diejenige von Jägers 1856 gedruckter Monographie, reicht in der Quellenarbeit abschnittsweise an Barge heran und ergänzt diesen durch andere Schwerpunkte. 540 Kolde,
Analecta, S. VIII, Anm. 1. auch hierfür die Ausführungen des Folgekapiteles im Anschluß an Anm. 384. 542 Ebd. 543 Für die Gothaer Abschrift s. FB Gotha, Chart. A 1289 II, Bl. 66v, ein knappes Bedenken von Karlstadt zur Jurisdiktion am Allerheiligenstift, das in den weiteren Kontext der von Barge nur ansatzweise ausgewerteten kirchenrechtlichen Gutachten gehört; vgl. dazu u. a. Barge, Karlstadt, T. 1, S. 58 f.; 61, Anm. 79. Die Weimarer Vorlage läßt sich identifizieren in ThHSA, Ernestinisches Gesamtarchiv, O 209, Bl. 73 (handschriftliche Zählung in Bleistift) bzw. Bl. 71 (gestempelte Zählung). 544 Für eine nach Schreibern alphabetisch sortierte Sammlung von Autographen-Faksimiles s. aus dem Nachlaß von Neudecker FB Gotha, Chart. A 1289 III; ein Schreiben Karlstadts befindet sich darin als Bl. 11r, 11v. 545 Für diese Überschrift vgl. exemplarisch FB Gotha, Chart. A 1289 I, Bl. 1093r. 541 Vgl.
86
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
2.2.2. Neudeckers Manuskript einer Karlstadt-Biographie Daß die handschriftlichen Vorarbeiten für eine Karlstadt-Biographie abbrachen, dürfte mehr mit Neudeckers Lebens‑ und Berufssituation als Entwicklungen der Forschungslage zusammenhängen. Seine letzte große Veröffentlichung war der eingangs benannte Spalatin-Band aus dem Jahr 1851. Überblickt man Neudeckers Publikationen im ganzen546, fällt deren Großteil in die Zeit vor 1842. Diese hatte Neudecker als Privatgelehrter und Publizist verlebte, bevor er in den Gothaer Schuldienst wechselte. 1855 wurde er zweiter Rektor einer Vorstadtschule, 1860 Direkter der Bürgerschule.547 Über diese bis zu seinem Tod 1866 währende Zeit wurde von einem Kenner der Verhältnisse geurteilt: „Neudeckers schriftstellerische Arbeit trat neben seiner Lehr= und Aufsichtsthätigkeit mehr in den Hintergrund, und kein umfangreiches Werk ist in dieser letzten Periode seines Lebens vollendet worden.“548 Die Werke, die Neudecker als freischaffender Schriftsteller und nach seinem Wechsel in den Schuldienst bis zur Veröffentlichung des Spalatin-Bandes abschloß, bezeugen kein spezifisches Interesse an Karlstadt.549 Zugleich belegt eine 1846 gedruckte Monographie, daß Neudecker kirchenpolitische Anliegen von Unionisten aufnehmen und historiographisch verfolgen konnte.550 Die fragmentarische Biographie dürfte zwischen 1850 und 1856 entstanden sein. Der terminus post quem ergibt sich aus einer Literaturreferenz der Einleitung, die Dieckhoffs Göttinger Qualifikationsschrift von 1850 als „die neueste Abh[an]dl[un]g“ benennt.551 Als terminus ante quem legt sich spätestens das Jahr 1856 mit der Monographie von Jäger nahe. Daß diese unerwähnt bleibende Studie einen Abbruch des Manuskriptes motiviert haben mag, ist unwahrscheinlich. Bereits Dieckhoffs Folgestudie von 1854 wird nicht benannt552; gleiches gilt aber auch für Erbkams Monographie von 1848.553 Keine Hinweise finden sich auf eine Kenntnis der archivalisch einschlägigen Veröffentlichung von Hase, die 1854 erschien und seit 1857 lexikalisch empfohlen wurde.554 Von Goebel kannte 546
Eine instruktive Zusammenstellung bietet Schumann, Art. Neudecker, S. 754 f. S. 754. 548 Ebd. 549 Dies gilt in thematischer Einschlägigkeit besonders für Neudecker, Reformation. 550 Vgl. hierfür Neudecker, Pacification, mit den programmatischen Ausführungen ebd., S. V–VIII. Positionell stand Neudecker hier, ebd., S. VI, am ehesten für die „freiere evangelisch= protestantische Richtung“, hatte er zuvor, ebd., S. V, doch über das Wesen der Reformation selbst ausgeführt: „Die Reformation war ein Product der besonnenen freieren evangelischen Richtung und lediglich aus dieser ist Alles hervorgegangen, was wir in der Entwicklung des staatlichen, kirchlichen und socialen Lebens Großes und Erhabenes kennen. Nicht sie, sondern die Reaction, hat zu allen Zeiten Unfrieden und Spaltung im Staate und Kirche geschaffen“. 551 FB Gotha, Chart. A 1289 I, Bl. 1126r. 552 Dieckhoff, Abendmahlslehre. 553 Erbkam, Geschichte. 554 Vgl. dazu in diesem Kap. Anm. 676. 547 Ebd.,
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
87
Neudecker den Eröffnungsaufsatz der Karlstadt-Sequenz555, den er in einzelnen Fragen mit den Ausführungen von Ranke verglichen hatte556. Drei arbeitspragmatische Spezifika sind für die Handschrift charakteristisch. Zum einen läßt sich nachweisen, daß die Abschriftensammlung „Carlstadiana“ angelegt wurde, nachdem die Arbeit an der Biographie aufgenommen worden war. Deutlich wird dies an den Anmerkungen, die sich in der Quellenarbeit auf gedruckte Ausgaben des 18. Jahrhunderts beschränken, bevor die einschlägigen archivalischen Signaturen des Ernestinischen Gesamtarchives interlinear nachgetragen wurden.557 Neudeckers Weg zu Karlstadt verlief somit von den edierten Dokumenten zu den archivalischen. Sodann ist auffallend, daß Neudecker in einem weitaus höheren Maße Karlstadts Korrespondenz als dessen gedruckte Werke auswertete. Eine Ausnahme stellt der heute als „Himmel‑ und Höllenwagen“ bekannte illustrierte Einblattdruck dar, auf den Neudecker näher einging, doch spielte auch in diesem Zusammenhang der Briefwechsel mit Spalatin eine besondere Rolle.558 Die Vermutung liegt nahe, daß der um eine systematische Erfassung der Spalatin-Korrespondenz bemühte Neudecker über die von Olearius gedruckten Karlstadt-Briefe an Spalatin auf das weithin vernachlässigte Forschungsgebiet der Karlstadt-Biographik aufmerksam geworden war. Drittens und letztens ist bezeichnend, daß Neudeckers fragmentarische Karlstadt-Biographie in einem höheren Maße Quellen‑ als Literaturarbeit betrieb. Dies führte zu bisweilen vorzüglichen Rekonstruktionen, u. a. zeitgenössischer Namensvarianten für Karlstadt559, dessen akademischer Promotionen nach dem Wittenberger Dekanatsbuch560, amtlicher Vorgänge aus archivalischer Überlieferung561 und ereignis‑ bzw. werkgeschichtlicher Hinweise aus den Olearius-Briefen562. Zugleich begrenzte der heuristische Fokus die erzielbaren Resultate, insofern diese eher aus quellenbasierten Einzelstudien bestehen mußten als aus einer Quellen‑ und Literaturarbeit aufeinander beziehenden Synthese.563 Neudeckers selektive Wahrnehmung und eingeschränkte Wertschätzung literarischer Vorarbeiten läßt 555 Für einen ersten Hinweis auf Goebel, Carlstadt 1841, s. FB Gotha, Chart. A 1289 I, Bl. 1126r. 556 Ebd., Bl. 1126v. 557 Besonders einschlägig ist ebd., Bl. 1132r. 558 Ebd., Bl. 1121r–1123r. 559 Vgl. hierfür die Übersicht ebd., Bl. 1094r. 560 S. hierfür die Referenzen ebd., Bl. 1128v. 561 Exemplarisch s. dazu die kirchenrechtlichen Konflikte am Allerheiligenstift, ebd., Bl. 1124r–1125r. 562 Für die 151 Thesen s. ebd., Bl. 1116r, für den Augustin-Kommentar ebd., Bl. 1118r. 563 Exemplarisch könnte auch hierfür auf die 151 Thesen verwiesen werden, die seit 1767 durch Riederer identifiziert worden waren (vgl. dazu in der Einleitung Anm. 62). Ohne Einsichtnahme werden die scholastischen Schriften aufgeführt. Weder die „Defensio“ noch die „Apologeticae conclusiones“ werden inhaltlich berührt, wobei sich im Falle der zuletzt benannten Schrift eine zunehmende Genauigkeit in der bibliographischen Titelerfassung nachweisen läßt; vgl. dazu ebd., Bl. 1123r, mit der aufgrund ihrer Flüchtigkeit wohl früher anzusetzenden Notiz ebd., Bl. 1143r.
88
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
sich am Umgang mit Köhler illustrieren. Dessen Eröffnungsbeitrag von 1792 kannte er, nicht aber die zwei Jahre später erschienene Fortsetzung.564 Neudecker würdigte die Studie als „eine fleißige Arbeit, aber nicht frei von Parteilichkeit, ungerechten Anschuldigungen u.[nd] ohne klare Uebersicht“.565 Erkennbar ist, daß Neudecker methodische und konzeptionelle Kritik erhob, während seine eigenen positionellen Prämissen unbestimmt blieben. Vergleichbar verhielt es sich mit dem Beitrag von Goebel, den Neudecker als eine seltene biographische Detailstudie aus „neuester Zeit“566 „[b]esonders […] zu erwähnen“567 sich anschickte, ohne jedoch zustimmend oder ablehnend auf dessen Grundtendenz einzugehen. Ausgearbeitet und redigiert liegen vier Abschnitte vor. Eine „Einleitung“568 entwickelt eine allgemeine Reformationstheorie, die die reformatorischen Umbrüche als einen Emanzipationsprozeß „der Freiheit der christlichen Kirche“ schilderte; dieser habe sich als „Kampf zwischen dem Alten und Erstorbenen mit dem Neuen und Lebenskräftigen“ vollzogen.569 Die Zentralfigur als „Hauptführer der Reformation in Deutschland war der große Luther“.570 Gemeinsame Ziele und Interessen verbanden weitere Mitkämpfer mit Luther; in ihren intellektuellen und praktischen Fähigkeiten standen diese jedoch weit unter ihm: „Um ihn scharte sich eine Anzahl Männer aus allen Ständen, die von gleichem Streben und gleichem Geiste […] erfüllt waren, wenn schon viele von ihnen weniger begabt waren als er, den kräftigen zum Durchgreifen geeigneten Character nicht hatten, den er besaß.“571
Karlstadt gehörte für Neudecker in diese Gruppe sekundärer Gestalten um Luther: „Solche Naturen sind wohl im Stande, Vorhandenes zu zerstören, nicht aber Beßeres an deßen Stelle zu setzen, ein neues, festes Gebäude auf sicherem Grunde aufzuführen. Zu diesen Naturen gehörte in der Zeit der Reformation auch Andreas Bodenstein von Carlstadt, ein Mann, in deßen Character die bezeichnete Eigenthümlichkeit sehr scharf hervortritt“572.
Methodisch ist in dem Ansatz ein Anschluß an Goebel zu erkennen, insofern die charaktertypologische Ausdeutung dominiert. Im Unterschied zu Goebel verzichtet Neudeckers Charakterstudie indes auf den Anspruch theologischer Vermittlungsversuche und eine Hervorhebung positiver Attribute. Deutlich wird dies an der konzessiven Formulierung, Karlstadt habe mit der Reformation 564 S.
ebd., Bl. 1126r, für den betreffenden Hinweis auf Köhler, Bodenstein 1792. FB Gotha, Chart. A 1289 I, Bl. 1126r. 566 Ebd., Bl. 1094r. 567 Ebd., Bl. 1126r. 568 Ebd., Bl. 1091r. 569 Ebd. 570 Ebd., Bl. 1091v. 571 Ebd. 572 Ebd., Bl. 1092v. 565
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
89
„trotz seiner mannichfachen geistigen Befähigung, seiner nicht geringen Kraft des Verstandes“ gebrochen, nach der als Zusatz gestrichen wurde: „und seiner lebhaften Phantasie und seines tiefen Gefühls“573. Die eigene Motivation zur Abfassung einer Karlstadt-Biographie schilderte Neudecker im Einleitungspassus aus einer kritischen Objektivität, einem schieren Forschungsdesiderat und einer sich verbreiternden Quellenlage.574 Für die drei ersten Hauptkapitel wählte Neudecker reformationsgeschichtlich naheliegende Einschnitte. Ein „Erstes Capitel“ zeichnete „Carlstadts Lebensverhältniße u[nd] Bildung bis zu seinem Auftreten als academischer Lehrer in Wittenberg“575 nach. Das „Zweite […] Capitel“ schilderte die Wittenberger Frühzeit bis zu dem Anschluß an Luther: „Carlstadts Auftreten und Wirksamkeit in Wittenberg – erste Veranlagung u.[nd] Spur zu seinem späteren Uebertritte zu Luthers Theologie u.[nd] zur Mystik – Neue Reise nach Rom und Rückkehr“.576 Das „Dritte“, bereits abgebrochene „Capitel“ sollte bis 1519 reichen: „Carlstadts neue Thätigkeit in Wittenberg, Uebertritt zu Luthers Theologie und Mystik, Betheiligung an Luthers Sache bis zur Streitigkeit mit Eck“.577 Neudecker legte alles Andere als eine Apologie Karlstadts vor. Er trieb akribische Kleinarbeit, deren quellenkritischer Wert an exemplarischen Rekonstruktionen der berührten Archivalien zu ermessen wäre. Im besonderen gilt dies für die Streitigkeiten um die Investiturrechte des Archidiakons, die Karlstadt mit dem Kapitel des Allerheiligenstifts auf der einen und dem Kurfürsten auf der anderen Seite führte.578 An dieser Stelle bricht das Manuskript ab. Daß die anfallende Materialarbeit Neudecker überforderte, ist nicht anzunehmen, da er die betreffenden Archivalien in Weimar aufsuchte und transkribierte. Auch wurde das Projekt der Karlstadt-Biographie nicht überstürzt abgebrochen, wie die mehrfachen Überarbeitungen und inhaltlichen Erweiterungen des Manuskriptes ebenso belegen wie die disparaten Materialsammlungen im Anhang des Fragmentes. Literarisch blieben Neudeckers Bemühungen um eine Karlstadt573 Ebd.
574 Für den ersten Aspekt s. ebd.: „um so mehr werden wir aber auch im Stande sein, uns von schiefen oder einseitigen Urtheilen über ihn fern zu halten, die sich selbst bis auf die neueste Zeit herab über ihn erhalten haben, weil sie ohne nähere Prüfung aller zu berücksichtigenden Umstände und Verhältniße seinen Gegnern nur nachgesprochen wurden.“ Für den zweiten Hinweis s. ebd.: „Es ist wohl auffallend, daß Carlstadt in dem angedeuteten Sinne bis jetzt noch keine Biographie gefunden hat. Die Notizen, die sich verstreut in älteren Werken über ihn vorfinden, sind überhaupt gar nicht Biographien zu nennen, wenn schon sie diesen Namen oft führen“. Für die abschließende Motivation s. die Köhlers quellenkritische Arbeiten einschränkende Bemerkung, ebd., Bl. 1094r, daß „dem Verfaßer die in unserer Zeit erschienenen urkundlichen Werke nicht zu Gebote standen, welche die verschiedenen Theile der Reformationsgeschichte so sehr erweitert, aufgehellt und klarer bestimmt haben.“ 575 Ebd., Bl. 1094r. 576 Ebd., Bl. 1097v. 577 Ebd., Bl. 1110v. 578 Vgl. dazu oben Anm. 543. Der Wert der Rekonstruktionen wird im Rahmen einer Edition der betreffenden Archivalien zu bestimmen sein.
90
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Biographie folgenlos. Sie dokumentieren den Forschungsimplus einer gezielten Quellenarbeit, die unvollendet, unbeachtet und unveröffentlicht blieb. Methodisch war sie dem charaktertypologischen Ansatz von Goebel verbunden, wahrte jedoch eine kritische Distanz gegenüber Karlstadt. Neudeckers Studie rückte damit näher an die älteren Werke des Luthertums579, in deren Kontinuität auch die jüngste von Neudecker konsultierte Karlstadt-Publikation stand, Dieckhoffs Qualifikationsschrift von 1850.
2.3. Émile Nieds Straßburger Baccalaureatsarbeit „Essai sur la vie de Carlstadt“ (1854) – frühe Internationalisierung Der Straßburger „Essai sur la vie de Carlstadt“ mag im deutschen Sprachraum allenfalls aus einer forschungspositionellen Anmerkung von Barge bekannt sein, in der dieser seine jüngeren literarischen Vorgänger im Zusammenhang diskutierte. Zu dem 60 Druckseiten langen Text von 1854 heißt es kritisch: „Bei E. Nied […] sind die Konturen zu wenig scharf gezeichnet, als daß man aus ihnen das echte Bild Karlstadts erkennen könnte.“580 2.3.1. Émile Nied, der äußere Anlaß und die methodische Gestaltung der Studie Den äußeren Anlaß der Studie benennt das Titelblattt klar: Es handelt sich um eine Baccalaureatsarbeit, die bei der Straßburger „faculté de théologie protestante“ gedruckt eingereicht und ausweislich der handschriftlichen Einträge in einer der Abgabefassungen am 7. August 1854 öffentlich verteidigt wurde.581 Der als Autor firmierende „Émile Nied, de Barr (Bas-Rhin)“ ist aufgrund der Ortsangabe eindeutig zu identifizieren. Emil Nied wurde am 11. Februar 1830 gut 30 Kilometer südwestlich von Straßburg geboren und starb am 2. Januar 1890.582 Mit dem Baccalaureat beschloß er sein Straßburger Studium und wirkte zwischen 1855 und 1890 in verschiedenen Kirchen‑ und Schulämtern im Elsaß. Seit 1866 hatte er leitende Funktionen in Straßburg inne, wo er zuletzt Pfarrer und Konsistorialpräsident an einer der historisch bedeutendsten Kirchen der Stadt war, der protestantischen Église Saint-Pierre-le-Jeune583. Seiner Herkunft nach dürfte Nied zweisprachig aufgewachsen sein. Dies zeichnet sich in seinen Veröffentlichungen ab, die in einzelnen Titeln französisch, überwiegend aber auf 579 Eine wichtige Referenz für Neudecker ist die Greifswalder Dissertation von Vehr, s. dazu oben in der Einleitung Anm. 27. 580 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 183, Anm. 3. 581 S. hierfür das Titelblatt von Nied, Carlstadt. Dieses Datum bieten und bestätigen Anon., Art. Nied (BAChr, T. 1, Fichenr. 273, S. 68), sowie Leipziger Repertorium 1855, S. 250. 582 Anon., Art. Nied. 583 S. hierfür die äußeren Daten ebd.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
91
deutsch erschienen.584 Für den Carlstadt-„Essai“ ist dies insofern bedeutsam, als Nied die ihm bekannte Diskussion des deutschsprachigen Raums in der für ihn naheliegenden Verbindung zweier Sprachkulturen einer ansatzweisen Internationalisierung öffnete. Die formale Gestaltung des Druckes spiegelt den äußeren Anlaß wider. Eine abschließende Thesenreihe dürfte Grundlage der mündlichen Verteidigung gewesen sein.585 Offenkundig wollte sich Nied vorbehalten, die Diskussion seiner historischen Themenstellung in Fragen der kirchenpolitischen Gegenwart586 oder in allgemeine Erwägungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Leben587 zu überführen. Sowohl die Aufgabe als auch die literarische Bezeichnung „Essai“ hat Nied wohl selbst gewählt. Ersteres deutet sich in den einleitenden Reflexionen an, die „le choix de notre sujet“ zu legitimieren suchen588. Letzteres ist an der Gattungsvielfalt der Baccalaureatsarbeiten abzulesen, die im zeitlichen Umfeld in Straßburg eingereicht wurden.589 Die literarische Selbsteinordnung als „Essai“ ist sicher nicht überzubewerten, mag aber zumindest in Teilen erklären, weshalb Nieds Ausweis der Quellen‑ und Literaturreferenzen insgesamt schlank ausfällt. Als Quellen benannte Nied die Briefedition durch Olearius und die Materialkompilationen von Löscher und Riederer nur summarisch vorab590. Vergleichbar unspezifisch verwies er auf die ersten Bände des „Corpus reformatorum“591 und die Luther-Ausgabe de Wettes592. Genaue und ausführliche Verweise bot er an einer Stelle auf Seckendorf 593, mehrfach auf den von Strobel edierten mutmaßlichen Zeugenbericht zu den Wittenberger Unruhen594, vor allem aber auf Karlstadts mystische Traktate und weitere Texte der Jahre 1523 bis 1525.595 Daß Nied Quellenarbeit an Schriften von Karlstadt betrieben hatte, steht außer Frage, 584 Vgl. dazu die Bibliographie ebd. Auffällig ist besonders, daß Nieds autobiographischer „Lebenslauf“ deutsch abgefaßt wurde, ebd. Gleiches gilt, ebd., für die „Erinnerungen 1830– 1880“. 585 Nied, Carlstadt, S. 61–63. 586 S. hierfür ebd., S. 63, die These IX, die – Rückfragen oder Anmerkungen förmlich herausfordernd – aus einem unkommentierten Zitat von Edmond de Pressensé besteht. 587 S. besonders ebd., S. 63, These X. 588 Ebd., S. [1]. 589 S. hierfür Leipziger Repertorium 1855, S. 250, das für das Jahr 1854 u. a. aufführt: sieben „essai“, vier „études“, zwei „Notice“ und eine „diss. crit.-exégét.“ 590 In dieser Reihenfolge s. Nied, Carlstadt, S. 6, Anm. 1, und S. 7, Anm. 1; S. 6, Anm. 3; S. 5, Anm. 1. 591 Ebd., S. 4, Anm. 1; S. 23, Anm. 1 cont. 592 Ebd., S. 21, Anm. 1; S. 22, Anm. 1; S. 26, Anm. 2. Bei letztgenannter Referenz ist die Präzision auffallend, mit der Nied zudem auf die Altenburger Luther-Ausgabe verweist. 593 Ebd., S. 24, Anm. 1. 594 Ebd., S. 17, Anm. 1 f., und S. 19, Anm. 1. Kritisch ediert wurde der Text Strobel, Unruhen, durch Müller, Bewegung 1911, S. 151–164, Nr. 68. Als Autor identifizierte Müller Ambrosius Wilken. 595 Für eine wiederum summarische bibliographische Erfassung der mystischen Traktate der Jahre 1523 f. s. Nied, Carlstadt, S. 25; präzise Zitate und weitere Quellenhinweise bietet Nied ebd., S. 35–53.
92
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
während die literarischen Vorlagen für die ereignisgeschichtlichen Schilderungen weithin unbestimmt bleiben müssen. Füßlins Darstellung596 kommt für die gebotene Lebensgeschichte von Karlstadt Bedeutung zu, doch auch die jüngere Literatur hatte Nied eingesehen. Von den Neuerscheinungen hatte Nied die drei einschlägigen Autoren konsultiert, deren Reihenfolge man nach den Gewichtungen der ausgewiesenen Bezüge zu Erbkam, Dieckhoff und Goebel variieren könnte. Auf Erbkam griff Nied bei einzelnen biographischen Details zurück.597 Dieckhoffs Göttinger Qualifikationsschrift von 1850 wurde an zentraler Stelle der Einleitung als Ausweis für Karlstadts „esprit d’opposition“ angeführt.598 Auf Goebel rekurrierte Nied im letzten Drittel seiner Arbeit vergleichsweise beiläufig „en général“ zur Sakramentslehre und „en général“ zu Karlstadt599. 2.3.2. Konzeptioneller Ansatz und argumentative Spezifika Mit seiner Titelformulierung betonte Nied, für Karlstadts Leben vorrangig auf die Jahre „1521–1525“ eingehen zu wollen. Tatsächlich bot er einen Abriß der gesamten Biographie, indem das erste der insgesamt acht Kapitel bis 1521 und das letzte von 1525 bis 1541 reichte. Die knappe „Préface“ erklärte das Eröffnungskapitel zum bescheidenen Ersatz für eine anderweitige Einleitung600, während der Schlußabschnitt „les graves vérités“ durch eine schlichte Benennung der elementaren Fakten von Karlstadts Leben aufweisen sollte601. Die sechs Hauptkapitel widmen sich einer allgemeinen Charakterisierung von Karlstadt (II), den Wittenberger Unruhen (III), Karlstadts Mystik (IV), der Orlamünder Zeit (V), der Abendmahlskontroverse (VI) und dem Bauernkrieg (VII). Die Hauptthese von Nied ist bereits auf dem Titelblatt angelegt. Dieses präsentiert als Motto ein Wort von Schleiermacher über „Die Fanatiker zur Zeit der Reformation“ und deren „Sünde“602. Wie ein roter Faden durchzieht das Interpretationsmuster, in Karlstadt einen Fanatiker der Reformationszeit zu sehen, die Arbeit. Die persönliche Verfallsgeschichte erwächst in Nieds ansprechender Erzählung aus einer Verbindung innerer Anlagen und äußerer Umstände603, be596 Zitiert
als „Fusslin“ ebd., S. 58, Anm. 1. S. 5, Anm. 2; S. 23, Anm. 1. 598 Zitiert als „Diekhoff“ ebd., S. 8, Anm. 1. 599 Die Wiederholung dieses Wortlautes s. ebd., S. 45, Anm. 1. 600 Ebd., S. 2. 601 Ebd., S. 3. 602 S. hierfür das Titelblatt und die Wiederholung des Mottos ebd., S. [4]. 603 Vgl. hierfür besonders ebd., S. 7 und S. 9. Nieds Erklärung von Ursache und Wirkung bewegt sich von innen nach außen: So sei Karlstadts Charakter von einer besonderen Leidenschaftlichkeit gewesen, s. ebd., S. 11: „son caractère vif et emporté“, und habe über einen starken Eifer verfügt, s. ebd., S. 12: „son zèle“. Die äußere Bestätigung seiner Positionen während der Anfangszeit der Wittenberger Unruhen habe es ihm erlaubt, sich als Führer des Protestantismus zu sehen, ebd., S. 20: „il se voyait le chef du protestantisme. Mais ce ne fut qu’un rêve.“ Während 597 Ebd.,
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
93
ginnt als Ausprägung eines „fanatisme“604 mit den Wittenberger Unruhen Ende 1521 hervorzutreten und zeitigt die verhängnisvollsten Folgen, bevor die Schweizer Jahre den Lebensbogen zur glücklichen Ausgangssituation eines akademisch begabten und gesellschaftlich geachteten Mannes zurückführten. „Heureux, s’il en avait pu effacer le milieu!“605, rief Nied gegen Ende aus, nachdem er schon anfangs erwogen hatte: „Heureux, si les circonstances et la tendance de son esprit ne l’eussent entraîné à de funestes erreurs!“606 Nied gab sich mit diesem Ansatz als ein Mann des Ausgleichs zu erkennen. Den jeweiligen Grund für die vorteilhaften oder unglücklichen Entwicklungen wollte er aus einer Verbindung innerer und äußerer Momente erheben. Die Frühzeit der Beziehung zwischen Karlstadt und Luther sei von einem gegenseitigen Nehmen und Geben bestimmt gewesen, wobei Karlstadt mehr empfangen als eingebracht habe.607 In einer Goebel vergleichbaren Weise hob Nied aber auf Karlstadts Priorität in der Kritik an den Gelübden und den sich ergebenden Konsequenzen für die Fragen des Klosterwesen und der Ehe ab.608 In begrifflicher Nähe zu Goebel suchte Nied subjektive und objektive Anteile an den unterschiedlichen theologischen Lösungswegen zu identifizieren.609 Wie Goebel würdigte Nied die schnelle Auffassungsgabe Karlstadts und dessen intellektuelle Konsequenz610. Zugleich schilderte Nied die Wittenberger Unruhen als Lehrstück dafür, daß man nichts überstürzen dürfe.611 Goebels These, in Karlstadt den Reformierten unter den Lutheranern zu erblicken, referierte Nied ohne namentliche Hervorhebung abschließend612. Auch das Postulat einer grundsätzlichen Einheit mit Luther bis 1521 wiederholte Nied.613 In einer nicht unbeträchtlichen Spannung hierzu stand Nieds einleitende Feststellung, daß doktrinale Differenzen Karlstadt und Luther von Anfang an getrennt hätten614. Wie dieses kritische Profil an Dieckhoff erinnern mochte, besaß die Einschätzung, daß man Karlstadt nicht konfessionell festlegen könne615, Ähnlichkeit zu den Ausführungen von Erbkam616. Zwilling von diesem Traum erwacht sei und sich bescheiden mit einem Pfarramt begnügt habe, sei Karlstadt in seinem Fanatismus gefangen geblieben, ebd., S. 21: „Zwilling […] échangea la rôle ambitieux de réformateur fanatique contre la modeste place de pasteur, Carlstadt resta invariablement attaché à ses anciennes idées.“ 604 In einer Kurzzusammenfassung von Nied s. ebd., S. 2; innerhalb des Erzählflusses erstmals zentral ebd., S. 8. 605 Ebd., S. 57. 606 Ebd., S. 7. 607 Ebd., S. 5. 608 S. hierfür ebd., S. 13. 609 Ebd. Vgl. auch ebd., S. 61 (These II). 610 Ebd., S. 2. 611 Ebd., S. 59. 612 Ebd. 613 Ebd., S. 40: „Jusqu’en 1521 il avait été d’accord avec les principes de Luther“. 614 Ebd., S. 8 f. 615 S. ebd., S. 58. 616 Vgl. hierfür, mit Blick auf die Rothenburger Zeit, Erbkam, Geschichte, S. 278, Anm. 3.
94
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Dennoch war Nieds Studie mehr als nur ein Füllhorn, das von jedem etwas bot. Sie war ein moderates Plädoyer für Goebel, das die Einwände der Kritiker Erbkam und Dieckhoff aufzunehmen suchte. Daß es Nied nicht gelang, die Differenzen vollständig aufzulösen, mochte Ausdruck einer allgemeinen Grundüberzeugung sein, der Extreme als solche verdächtig waren. An Nieds Disputationsthesen ist zumindest auffällig, daß Unterschiede zwischen Karlstadt und Luther kaum mehr thematisiert wurden und die Opposition zwischen „les faits objectifs (catholicisme)“ und „[l]es faits subjectifs […] (Carlstadt)“617 in den Vordergrund traten. Nieds Votum bezüglich dieser weit auseinanderstrebenden Grundtypen galt einer goldenen Mitte: „Le vrai est entre les deux: une foi qui les allie dans une juste mesure.“618 Auch mit Blick auf Karlstadt bedeutete dies eine differenzierte Apologie. Diese im französischsprachigen Raum wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit und sprachlich sowie stilistisch auf erheblichen Niveau619 unternommen zu haben, ist das Verdienst von Nied.
2.4. Eduard Hases Studie zu „Karlstadt in Orlamünde“ (1854) – landesgeschichtliche Interessen und gezielte Archivarbeit Völlig unabhängig von den wiedererwachenden theologischen Interessen und deren ansatzweiser Vermittlung in den französischen Sprachraum erschien 1854 eine der gewichtigsten Quellenstudien des 19. Jahrhunderts zu Karlstadt. Sie umfaßt in den „Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes“ gut 80 Seiten und zerfiel in einen darstellenden Teil620 und einen materialen Anhang, der 31 diplomatisch transkribierte „Urkunden“621 zur übergeordneten Themenstellung „Karlstadt in Orlamünde“ präsentierte. 2.4.1. Eduard Hase als Landeshistoriker Als Autor zeichnete „Dr. E. Hase“. Dieser ist – wie in der Karlstadt-Forschung erstmals 1984 durch Calvin Augustine Pater geschehen622 – als Eduard Friedrich 617 Ebd., 618 Ebd.
S. 61 (These II).
619 Anon., Art. Nied, hält für „1855 den Preis Schmutz“ fest, eine hochdotierte und renommierte Auszeichnung für die Bearbeitung wissenschaftlicher Preisaufgaben. Die KarlstadtStudie gibt einen Eindruck davon, wie literarisch ansprechend und wissenschaftlich akribisch Nied Texte konzipieren konnte. 620 Hase, Orlamünde, S. 42–85. 621 Ebd., S. 85–125. 622 S. hierfür nur kurz: Pater, Karlstadt, S. 316. Danach s. „Hase, Eduard F.“ bei Zorzin, Karlstadt, S. 259, oder „Hase, Eduard“ 1993 bei Hasse, Tauler, S. 215. Keine Auflösung der
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
95
Hase aufzulösen. Der bezeichnete Autor war promovierter Jurist und, wie er selbst für 1851 festhielt, „Privatdocent […] der Rechte und außerordentliche[r …] Beisitzer des Spruchcollegiums an der Universität Halle“623. Seine Forschungen hatten einen klaren rechtshistorischen Schwerpunkt.624 Die „Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes“ wurden in Altenburg verlegt und waren das Organ einer Altenburger Gesellschaft. Die Zeitschrift gehörte zu den wichtigsten Druckerzeugnissen des dortigen Verlegers Heinrich August Pierer.625 Hase unterstützte die „Mittheilungen“ über viele Jahrzehnte durch Einzelstudien, die meist aus eingehender Archivarbeit erwachsen waren. Anhand der „Mittheilungen“ läßt sich der Berufsweg von Hase in seinen wesentlichen Entwicklungen nachvollziehen. Noch vor September 1851626 war er demnach von der Hallenser Universität an das Altenburger Landesgericht gewechselt. Dort wirkte er zunächst als „Landesjustizassessor“627 und begann verstärkt zu Altenburg zu publizieren628. Bereits von Halle aus hatte Hase rechtshistorische Studien zu Altenburg vorgelegt629 und eine korrespondierendes Mitgliedschaft der „Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft“630 gepflegt, worin sich familiäre Verbindungen zur Stadt andeuten mögen. Dem Altenburger Landesgericht blieb Hase verbunden; als Landesgerichtspräsident und gehobener Justizrat631 starb er 1885632. Bis in sein Todesjahr hatte er die „Mittheilungen“ gut zwei Jahrzehnte als Schriftführer redigiert.633 Eine hohe Anzahl von Einzelstudien, Miszellen und gedruckten Vorträgen ist von Hase in den „Mittheilungen“ aus drei Jahrzehnten zu finden. Sein Forschungsprofil wurde in einem zeitgenössischen Verzeichnis von landeshistorischen Wissen-
Initiale „E.“ bieten Barge, Karlstadt; Hertzsch, Karlstadt; Sider, Karlstadt 1974 oder Bubenheimer, Karlstadt 1977. 623 Vgl. hierfür das unter „Dr. Ed. Friedr. Hase“ firmierende Titelblatt von Hase, Jus. 624 Deutlich wird dies an der 1847 erschienenen Arbeit Hase, Iuris Romani, die bereits mit „Dr. Eduardus Hase“ unterzeichnet wurde. In Betracht zu ziehen wäre, ob es sich bei dieser Studie um die Dissertation von Hase handelt. 625 Vgl. hierfür kurz Wolf, Altenburg, S. 45. 626 Vgl. hierfür Back, Jahresbericht, S. 429: „Herr Dr. Hase früher Priv. Doz. in Halle, jetzt Landes=Justizassessor hier, ist aus der Reihe der korrespondierenden in die der einheimischen Mitglieder getreten.“ Die geschilderten Entwicklungen beziehen sich, ebd., S. 427, auf „die Zeit vom 29. Sept. 1850 bis dahin 1851“. 627 Den Titel bieten die Autorenzeilen von Hase, Altenburg 1853b, S. [347], und Hase, Altenburg 1853c, S. [461]. 628 S. hierfür den Beitrag Hase, Altenburg 1853a, S. 73. 629 Hase, Altenburg 1853a, S. [73]. 630 S. dafür oben Anm. 626. 631 S. hierfür die Angaben in Richter, Verzeichnis, S. 32. 632 Das Todesjahr bietet Wolf, Altenburg, S. 45. 633 Ebd. Der Band des Jahres 1862, mit dem Hases Schriftleitung einsetzte, dokumentiert in besonderer Weise auch dessen literarische Produktivität.
96
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
schaftlern ausgewiesen als „Landes-K.[unde], Geneal.[ogie], Rechtsgesch.[ichte]: H[er]z[o]gt.[um] Sachsen-Altenburg.“634 2.4.2. Eduard Hases Karlstadt-Studie in den „Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes“ Der Ausgangspunkt von Hases 1854 gedruckter Karlstadt-Studie dürfte in genau dieser Verbindung von rechts‑ und landeshistorischen Interessen mit präziser Archivarbeit zu identifizieren sein. Am 18. Juni 1851 hatte Hase in der „Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes“ erstmals „über Stadtrechte im Altenburger Lande überhaupt und über die von Orlamünde insbesondere“ referiert.635 Von der Altenburger Rechtsgeschichte war Hase auf die Verbindung zu Orlamünde gestoßen. Diese vertiefte er in seinem Folgevortrag am 18. Februar 1852 „über die Orlamündaschen Stadtrechte“636. Die 1854 erschienene Karlstadt-Studie mußte sich aus den anschließenden archivalischen Recherchen in Weimar637 zur Orlamünder Rechtsgeschichte abgezweigt haben. Im Jahr der Veröffentlichung beging der 1824638 geborene Hase seinen 30. Geburtstag. Der Beitrag zeugt von fachwissenschaftlicher Reife und methodischem Geschick. Aus dem verfügbaren Quellenmaterial wählte Hase knapp die Hälfte der erhaltenen Dokumente639 und präsentierte diese in vorzüglichen Transkriptionen640. Die Notwendigkeit einer Auswahledition und fachlichen Selbstbeschränkung in der Kommentierung sah er deutlich: „Eine […] Darstellung in ihrem ganzen Umfange zu liefern kann nicht in unserer Aufgabe liegen. Sie würde voraussetzen, daß dabei auf den Inhalt der Karlstadtischen Lehrmeinungen und ihre innere Verschiedenheit von den Lutherischen Lehrsätzen eingegangen 634 Richter,
Verzeichnis, S. 32. Den Hinweis bietet Back, Jahresbericht, S. 430. 636 Löbe, Jahresbericht, S. 439. 637 Vgl. hierfür knapp Hase, Orlamünde, S. 49 f.: „Durch eine besondere Vergünstigung ist […] mir die Erlaubniß zu Theil geworden, aus dem Großherzoglichen und Herzoglichen Gesamtarchive zu Weimar eine ganze Reihe von Urkunden zu erhalten […]. Diese Schriftstücke stellen sich als nichts anderes, als die Originalakten dar“. Zur heutigen Quellenlage der 31 Dokumente vgl. kurz Anm. 640. Für eingehendere Informationen bleibt die Neuedition der Texte im Rahmen der Karlstadt-Edition abzuwarten. 638 Dieses Geburtsjahr nennt Wolf, Altenburg, S. 45. 639 Hase, Orlamünde, S. 50, benennt „mehr als 70 eigenhändige […] Schreiben und Rückschreiben Karlstadts, Spalatins, des Kurfürsten Friedrich und Herzogs Johann, in Eingaben des Raths zu Orlamünda und mehreren umliegenden Ortschaften, in den darauf ergangenen Rescripten […] und […] in Berichten und Antworten der Universität zu Wittenberg“. 640 Dies ergibt ein exemplarischer Vergleich der beiden ersten Briefen, die Hase edierte (beide von Karlstadt an Kurfürst Friedrich von Sachsen, nach dem 4. Juni 1516, ebd., S. 85–87, Nr. I f.), mit den Vorlagen, die im ThHSA Weimar im alten Ernestinischen Gesamtarchiv, Sig. O 624 (Bl. 1 f. in alter, gestempelter Zählung bzw. nach neuer Zählung in Bleistift Bl. 2 f.) zu identifizieren sind. 635
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
97
würde, einer Arbeit, welcher die Kräfte eines Laien in keiner Weise gewachsen wären. […] Lediglich die äußeren Thatsachen sind es daher, mit deren Mittheilungen wir uns […] zu beschäftigen gedenken, während wir eine tiefer eingehende Beurtheilung vom kirchlichen oder theologischen Standpunkt aus kundigeren Händen überlassen müssen.“641
Die angedeutete Bescheidenheit ehrte Hase um so mehr, als er theologiegeschichtlich vorzüglich gebildet war. Die einschlägigen jüngeren Beiträge waren ihm bestens vertraut. So hatte er Erbkams umfängliches Karlstadt-Kapitel gelesen642, Goebels Aufsatz-Sequenz registriert643 und Seidemanns „Münzer“-Buch konsultiert644. Von den älteren Beiträgen zu Karlstadt hatte er die ausführlichste Gesamtdarstellung des 18. Jahrhunderts, Köhler645, herangezogen, die Kontroverse um Arnold und Thomasius anhand der Greifswalder Dissertation von 1708 kennengelernt646 und war – wahrscheinlich von dort – auf Seckendorf 647 zurückgegangen. An zeitgenössischen Editionen arbeitete er souverän mit Walch und de Wette648. Aufgrund seiner Veröffentlichung in einem „vaterländischen“649 Periodikum entschied sich Hase für einen lokal‑ und regionalgeschichtlichen Einstieg. Dazu thematisierte er den „unruhigen Geist“650 des Bauernkriegs im „Ostkreise“651, bevor er auf den „Westkreis“652 zu sprechen kam und dort Karlstadts früheres Wirken hervorhob: „Hier hatte ein Jahr vorher in Orlamünde der bekannte Feind und Widersacher Luthers Karlstadt seinen Sitz aufgeschlagen, sich eigenmächtig in das Pfarramt eingedrängt und mit Hülfe treuer Anhänger in Jena und Kahla eine außerordentliche Tätigkeit entwickelt.“653
Deutlich schilderte er die unmittelbaren und anhaltenden Folgen von Karlstadts Wirksamkeit: „Allein der Samen, den er gesäet, war schon zu weit gediehen, und weder die kräftige Rede des Reformators, noch die Strenge des Kurfürsten hatte, wie die späteren Ereignisse darlegten, den durch den Fanatismus Karlstadts angeregten bösen Geist ersticken können.“654 641 Hase,
Orlamünde, S. 50. S. hierfür den literarischen Niederschlag in ebd., S. 51, Anm. 14; S. 58, Anm. 22 f.; S. 61, Anm. 31; S. 64, Anm. 43; S. 66, Anm. 47 f.; S. 82, Anm. 84; S. 63, Anm. 40. 643 Ebd., S. 49, Anm. 12. 644 Ebd., S. 49; S. 63, Anm. 37; S. 69, Anm. 59. 645 Ebd., S. 48, Anm. 8, sowie S. 52, Anm. 15. 646 S. ebd., S. 48, Anm. 8: „J. A. Vehr, dissertatio de Caro[l]ostadio, Gryphiswald. 1708.“ 647 Ebd., S. 49; S. 52, Anm. 15. 648 Für Walch s. u. a. ebd., S. 49, Anm. 9; für de Wette alleine ebd., Anm. 10. 649 Hase selbst bot mehrfach die Bezeichnung der „vaterländischen Geschichte“; vgl. hierfür ebd., S. 50, oder ebd., S. 46: „die Aufmerksamkeit des vaterländischen Geschichtsfreundes“. 650 Ebd., S. 42. 651 Ebd. 652 Ebd., S. 45. 653 Ebd., S. 46. 654 Ebd. 642
98
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Mit einer interessanten Verschiebung der klassische Perspektive von Luther auf Karlstadt655 faßte Hase zunächst aus dessen Sicht zusammen: „Karlstadt trat dabei als der Chorführer einer Geistesrichtung auf, welche im Widerspruch gegen die vermeintlichen Irrlehren der Wittenberger Theologen die Reformation in ganz anderm Geiste auffaßte, die Lehren Luthers und Melanchthons für noch lange nicht entschieden genug erklärte und vielmehr, unter Benutzung verstandener Stellen hauptsächlich des alten Testamentes, nur in einem radikalen Umsturz aller socialen, wie kirchlichen Verhältnisse das wahre Ziel der Reformation erblickte.“656
Erst später referierte Hase die klassischen Einschätzungen Luthers, die Karlstadt in größte Nähe zu Müntzer rückten657. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hase schon längst das „heldenmüthige Auftreten Luthers“ in Jena und Orlamünde gegen Karlstadt unzweideutig gepriesen658, gleichermaßen sachlich aber auch auf jenen 1842 von Seidemann veröffentlichten Brief Karlstadts verwiesen659, der dessen persönliche Distanzierung von Müntzers gewaltsamen Umsturzplänen dokumentiert. Ausdrücklich erklärte Hase dies zu einer „Ehrenrettung Karlstadts“660, um den von Karlstadt repräsentierten Reformationstyp zu präzisieren als „die Durchführung seine[r …] mystischen Glaubensrichtung, in Verbindung freilich mit mancherlei persönlichen Interessen“661. Licht und Schatten heben sich nicht nur in diesem Urteil, sondern auch in Hases Gesamtbild von Karlstadt ab. Es beinhaltet eine breite charaktertypologische Ausdeutung662. In ihr begegnet Karlstadt als ein von rastlosem Ehrgeiz und dem Drang nach äußerer Anerkennung getriebener Mann663. In Karlstadts Bedeutung für die Wittenberger Unruhen wollte Hase diesen „fanatischen Eifer“664 wiedererkennen. Nicht weniger ausführlich schilderte Hase jedoch die zeitgenössische Wertschätzung, die Karlstadt vor seinem Bruch mit Luther 655 Später unternahm Hase einen vergleichbaren Perspektivenwechsel auf Karlstadts Ausweisung aus Sachsen, ebd., S. 83. 656 Ebd., S. 47. 657 Ebd., S. 70, Anm. 61. Für einen weiteren Bezug auf Luthers dafür einschlägige Schrift von 1525 s. ebd., S. 54, Anm. 18. 658 Ebd., S. 57. 659 Ebd., S. 69, Anm. 59. 660 Ebd., S. 69. 661 Ebd. 662 Hase bezeichnet diese Sequenz selbst im Rückblick, ebd., S. 56, als „Charakterisirung des Mannes“. 663 S. hierfür bes. ebd., S. 55. Ebd., S. 52, verweist Hase zudem auf „Eitelkeit“ und „Eigennutz“. Ebd., S. 54, Anm. 18, läßt in dem Aufsatz bereits früh erkennen, wie bewußt Hase die historische Genese und wirkungsmächtige Verbreitung einzelner dieser Topoi wahrnahm. Historisch nicht hinterfragt wird dagegen die Beziehung von Karlstadt zu den „Zwickauer Propheten“, die Luther vorsichtig angedeutet hatte; s. ebd., S. 56: „Als darauf zu Weihnachten 1521 die Zwickauer Propheten in Wittenberg eintrafen, schloß er [Karlstadt] sich ihnen sofort an.“ 664 Ebd., S. 56.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
99
erfahren hatte. So stellte er für die Jahre nach 1516 fest: „Karlstadt erscheint während dieser Zeit Luther an Ansehen fast ebenbürtig.“665 „[B]is in das Jahr 1523“ habe Karlstadt „als einer der berühmtesten Gelehrten der Wittenberger Universität [ge]glänzt“.666 Luthers „Anerkennung“ und „Uebereinstimmung“ mit Karlstadt faßte Hase zusammen: „so spricht sich in vielfachen Aeußerungen eine hohe Achtung vor den Talenten Karlstadts aus, dessen Schriften Luther nur mehr Verständlichkeit wünschte, da doch sonst so viel Gelehrsamkeit und Genie aus ihnen hevorleuchte.“667
Eine differenzierte „Charakterisirung“ Karlstadts war für Hase insofern von Bedeutung, als sie „die erste Ursache seines Weggangs von Wittenberg enth[ielt]“.668 Hases Begründungsmuster des Konfliktes zwischen Karlstadt und Luther bot deutliche Züge dessen, was 1932 durch Hertzsch „von der Psychoanalyse her“ weitergeführt und 1980 sowie 1981 von Bubenheimer „psychohistorisch“669 erprobt wurde. Bubenheimers Überlegungen, einen möglichen Rangkonflikt aus einer Altersdifferenz ableiten zu können, ist bereits bei Hase angelegt: zweifelhaft sei, „daß der weit ältere Karlstadt die Superiorität des jüngeren Collegen sofort anerkannt haben sollte.“670 Hases Umgang mit den tradierten Karlstadt-Bildern ist ein kritischer Grundzug eigen, der nach der Genese einzelner Topoi fragte und die historische Vielfalt der verfügbaren Quellenbestände wahrzunehmen suchte671. In gleicher Weise besteht auch das Proprium der Studie nicht nur in der Edition der Weimarer Aktenstücke. Diese umfaßt zwar die Hälfte der Druckseiten, doch integrierte Hase bereits in seinen ersten, darstellenden Teil eine zusammenfassende Interpretation der berührten Vorgänge. Diese im einzelnen zu schildern, erübrigt sich, da die Chronologie der Ereignisse von den nachfolgenden biographischen Gesamtdarstellungen wiederholt wurde. Barge stützte sich breit auf Hases Vorarbeiten672,
665 Ebd.,
S. 53. Ebd., S. 51. 667 Ebd., S. 53. 668 Ebd., S. 56. 669 Vgl. dazu im Hauptkap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge Anm. 79. 670 Hase, Orlamünde, S. 52. 671 Ebd., S. 74, Anm. 70, konfrontierte Hase Luthers Schilderung der Gespräche im Jenaer „Schwarzen Bären“ mit derjenigen Martin Reinhardts und diagnostizierte Einseitigkeiten auf beiden Seiten. 672 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 52, Anm. 54; S. 54, Anm. 59; S. 63, Anm. 84; ebd., T. 2, S. 96, Anm. 1; S. 97, Anm. 3; S. 98, Anm. 5; S. 101, Anm. 14; S. 102, Anm. 15; S. 104, Anm. 23; S. 106, Anm. 28–30; S. 107, Anm. 32 f.; S. 108, Anm. 34; S. 109, Anm. 37 f.; S. 110, Anm. 39–45; S. 111, Anm. 47; S. 112, Anm. 45; S. 113, Anm. 54; S. 115, Anm. 59; S. 119, Anm. 70; S. 120, Anm. 76; S. 122, Anm. 78; S. 123, Anm. 80; S. 125, Anm. 57; S. 129, Anm. 93; S. 130, Anm. 95; S. 134, Anm. 101; S. 137, Anm. 110; S. 138, Anm. 113 f.; S. 139, Anm. 115; S. 143, Anm. 130; S. 218, Anm. 176. 666
100
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
ergänzte sie punktuell673 und konnte nur zwei Lesefehler674 und eine sachliche Abweichung675 ausmachen. Auch lexikalisch wurde der Beitrag von Hase sehr früh rezipiert. Bereits drei Jahre nach der Veröffentlichung hob Erbkams Karlstadt-Artikel in der Erstauflage der „Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ den Wert der geleisteten Archivarbeit deutlich hervor.676 Die Bedeutung von Hases Studie mag eine dreifache sein. Zuvorderst dürfte sie die erste Archivarbeit sein, die im 19. Jahrhundert zu Karlstadt gedruckt wurde. Mit dem Ernestischen Gesamtarchiv zeigten Hases Textfunde zugleich den umfangreichsten Handschriftenbestand an, auf den sich Barges Biographie fünf Jahrzehnte später beziehen konnte677. Zweitens stellt der Beitrag von 1854 eine quellengesättigte historische Miniatur zur Reformation im Saaletal dar. In dieser Hinsicht sollte Hases Beitrag die Jenaer Dissertation von Hertzsch in ihren durch einen weiteren Autor vermittelten landesgeschichtlichen Bezügen prägen678 und damit eine der einflußreichsten theologischen Studien des 20. Jahrhunderts679 zur Fokussierung auf die Orlamünder Zeit inspirieren. Drittens und letztens markiert der Aufsatz von Hase den geradezu singulären Fall einer aus archivalischen Quellenfunden erwachsenen Annäherung an Karlstadt, die in ihren grundlegenden Fragestellungen kaum von konfessionellen oder sozialpolitischen Anliegen bestimmt war und sich mit einem hohen Maß an Konsequenz um historisch abwägende Urteile über die berührten Sachverhalte bemühte. Abschließend mag auch angemerkt werden, daß Hase – bei aller Konzentration auf die Quellentexte und bei aller Sensibilität der Textinterpretation – mit einer menschlichen Anteilnahme über das Schicksal und die Umstände von Karlstadts Ausweisung aus Sachsen schrieb680.
673 Hierfür sind im ganzen die weiteren Dokumente zu nennen, die Barge einbezog; exemplarisch s. Barge, Karlstadt, T. 2., S. 139, Anm. 119. 674 Ebd., S. 98, Anm. 6; S. 129, Anm. 93. 675 Ebd., S. 99, Anm. 8. 676 Vgl. hierfür Erbkam, Art. Karlstadt 1857, S. 404 mit Anm. *. Eine starke Akzentuierung bedeutete die Fußnote, mit der Erbkam die im Haupttext gebotene Literaturreferenz noch eigens erläuterte: „Der Verfasser dieses Aufsatzes, Herr Appellationsgerichtsrath Dr. Hase in Altenburg hat Gelegenheit gehabt, das Großherzogliche Archiv zu Weimar einzusehen, und theilt daraus eine Menge werthvoller Urkunden über den Aufenthalt Karlstadts’s in Orlamünde mit.“ Im ganzen beschränkte sich Erbkam auf fünf Anmerkungen; sein gesamter Beitrag verteilte diese auf insgesamt 16 Seiten. Erbkams Folgeartikel in der zweiten Auflage der „RealEncyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ bot diese Hervorhebung nicht mehr, verzichtete aber auch grundsätzlich auf einen eigenen Anmerkungsapparat; s. hierfür Erbkam, Art. Karlstadt 1880, bes. S. 528. 677 Vgl. hierzu – ohne Bezug auf Hase – das unten in Anm. 832 ausgewiesene Zitat von Barge. 678 S. hierfür im nachfolgenden Hauptkap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 28. 679 Vgl. in selben Hauptkapitel den Abschnitt um die Anm. 78 f. 680 Hase, Orlamünde, S. 82, 84.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
101
2.5. Carl Friedrich Jägers Carlstadt-Studie (1856) – die erste theologische Monographie zu Karlstadt 2.5.1. Barges Negativurteil über Jäger Im Vorwort zu Barges 1905 Epoche machender Karlstadt-Biographie findet sich ein vernichtendes Verdikt über den unmittelbaren Vorgänger: „Alle, die über jene Zeit [die Reformation] arbeiten, dürften darin übereinstimmen, daß die letzte monographische Arbeit über Karlstadt von Jäger (1856) als ein – auch für seine Zeit – durchaus unzulängliches und unkritisches Buch anzusehen ist.“681
Jeder, der einmal in Barges Werk gelesen hat, dürfte wenig Lust verspüren, Jägers Studie überhaupt zur Hand zu nehmen. Wie ein Subtext durchziehen scharfe Abgrenzungen gegen Jäger den Bargeschen Anmerkungsteil. Freundlich mochte noch das Urteil über die gebotene Quellenarbeit zu den „Apologeticae Conclusiones“ anmuten: „Jägers aller Orten von Ausfällen gegen Karlstadt durchsetzte Inhaltsangabe der Thesen bietet einen mustergültigen Beleg dafür, wie eine historische Darstellung nicht gehalten sein soll.“682 Deutlicher wurde Barge, wenn er Jäger bewußte683, konfessionell motivierte684 „Gehässigkeit“685 vorwarf und den Beitrag nicht einer kritischen Geschichtsschreibung, sondern positioneller Apologetik zuordnete. Die Jägerschen Materialarbeiten schilderte er in ihrer editionsphilologischen Methodologie als völlig verfehlt686 und warnte grundsätzlich vor ihnen: „wer Jägers Inhaltsangaben kennt, weiß, daß sie zur Lektüre nicht einladen.“687 Auf gut 140 der 1100 Seiten seiner beiden Bände bot Barge Kostproben Jägerscher Fehlleistungen. An einer Hand abzählen lassen sich hingegen die Stellen, an denen Barge Jäger im eigenen Haupttext zitierte688, unkommentiert in den Anmerkungen benannte689 oder zugestand, eigene Be681 Barge,
Karlstadt, T. 1, S. VI („Vorwort“). Ebd., S. 118, Anm. 148. 683 Ebd., S. 196, Anm. 37: „Das Verfahren Jägers grenzt an bewußte Fälschung.“ 684 Vgl. auch hierfür ebd., S. 183, Anm. 3: „H. W. Erbkam, […] Dieckhoff […] und Jägers Monographie. Allen dreien ist es von vornherein darum zu tun, Karlstadt unter konfessionell lutherischen Gesichtspunkten zu bekämpfen.“ 685 Ebd., S. 186, Anm. 11. 686 Ebd., S. 232, Anm. 124: „Vergl. das ausführliche Exzerpt bei Jäger […]. Freilich ist es mit allen Mängeln behaftet, die den Inhaltsangaben Karlstadtscher Schriften bei Jäger eignen: willkürliche Weglassungen (insbesondere auch der Überschriften), eine ungereimte Orthographie (weder die originale, noch die moderne), Mangel an Absätzen, der die Übersichtlichkeit zerstört.“ Ebd., S. 174, Anm. 125: „die ausführlichen Exzerpte Jägers […] reichen nicht weiter, als bis zu dieser Stelle. Er hat also unr [scil. nur] den dritten Teil der Schrift gelesen, von deren Inhalt er deshalb ein ganz unvollständiges Bild gibt.“ 687 Ebd., T. 2, S. 279, Anm. 323. Zwei Jahre später, in seinem Aufsatz Barge, Wittenberg, S. 260, faßte Barge seine Einschätzung von Jäger abermals zusammen, indem er auf dessen: „von tendenziösen Ausfällen strotzende[s …] Referat“ verwies. 688 Ich finde nur Barge, Karlstadt, T. 1, S. 161, Anm. 85. 689 Ebd., S. 194, Anm. 30; S. 229, Anm. 118. 682
102
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
obachtungen vorweg genommen zu haben690. Wie eine Pointe wirkt demgegenüber die einzige ausdrückliche Zustimmung, die Barge in den Haupttext seiner Arbeit einrückte: „Bez.[üglich] dieser Annahme befinde ich mich ausnahmsweise einmal in Übereinstimmung mit Jäger“.691 2.5.2. Wer war „C. F. Jäger“? Indem Jäger für Barge zur grandiosen Negativfolie und zu dem Autor werden sollte, auf den er sich nach Karlstadt und Luther am häufigsten bezog, verblieb die Carlstadt-Monographie von 1856 seither ebenso unbeachtet wie deren Autor. Biographisch ist Jäger bis heute nicht zu greifen. Die Vermutung liegt nahe, daß seine Initialen „C. F.“ mit Carl Friedrich aufzulösen seien692. Die klassischen Mittel der Personenrecherche liefern jedoch keine einschlägigen Datensätze für den betreffenden Zeitraum und Ortsbezug693. Immerhin weist das Titelblatt der Studie Jäger als „Repetenten am evangel.[isch]=theologischen Seminar zu Tübingen“ aus694. Die gleiche Bezeichnung findet sich auch in der ebenfalls unter „C. F. Jäger“ 1857 in Stuttgart erschienenen Studie „Die Grundbegriffe der christlichen Sittenlehre nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche, auf’s Neue untersucht“, die damit zweifelsfrei demselben Autor zuzuweisen ist.695 Einen inhaltlichen Rückbezug auf die Studie des Vorjahres bietet zudem die Titelseite der Sittenlehre. Diese trägt das unbezeichnete „Motto: ‚Sie haben die Schriften mit heiliger Schrift vermählt und ist offenbar, daß aus dieser Vermählung rothwelsche Kinder gewachsen seyn.‘“ Die Formulierung stellt eine Allusion auf Karlstadts 1520 gedruckte Schrift „Bedingung: Andres Bodenstein von Carolstat: Doctor und Archidiacon zu Vuittemberg“ dar, von der 690 Ebd.,
S. 268, Anm. 70; ebd., T. 2, S. 5, Anm. 14. T. 1, S. 491. 692 Bibliographisch verzichten fast alle Kataloge – einschließlich des der für die Verwaltung von Personendaten zuständigen Nationalbibliothek in Leipzig – auf eine Auflösung der Initialen; einzig der hbz-Verbundkatalog schreibt die Carlstadt-Monographie „Karl Friedrich Jaeger“ zu, ohne jedoch biographische Angaben oder Hinweise auf weitere Veröffentlichungen des bezeichneten Autors bieten zu können. Auffällig ist zudem, daß es der hbz-Eintrag versäumt, die aufgeführten Vornamen formal stimmig als Ergänzungen von Initialen auszuweisen. Keine Anhaltspunkte lassen sich somit ausmachen, die es erlaubten, in den vorgenommenen Vervollständigungen mehr als nur Konjektur oder bibliographische Flüchtigkeit zu sehen. 693 Für den besagten Zeitraum gibt es kein gedrucktes Württemberger Pfarrerbuch. Weder lexikalisch noch im DBA oder BAChr ist ein Datensatz geographisch oder chronologisch stimmig mit einem Theologen zu verbinden, der 1856 in Tübingen oder der näheren Umgebung einzuordnen ist, dessen Vornamen die Initialen C. oder K. und F. aufweisen. So war etwa Karl Friedrich Philipp Jäger (1809–1894), Anon., Art. Jäger (BAChr, T. 1, Fichenr. 186, S. 371), von „1851–57 Pf. in Gerstheim“, was gut 130 km westlich von Tübingen im Elsaß liegt. 694 Jäger, Carlstadt, [Titelblatt]. 695 Die Studien Jäger, Carlstadt, und Jäger, Sittenlehre, erschienen zudem beide im Stuttgarter „Verlag von Rudolf Besser“. Weitere Monographien von „C. F. Jäger“ wurden bei Besser nicht verlegt. 691 Ebd.,
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
103
Jäger 1856 den betreffenden Auszug paraphrasiert und formal unzutreffend als Zitat ausgewiesen hatte.696 Beide Werke gehen somit auf einen zumindest 1856 und 1857 in Tübingen „am evangel.[isch]=theologischen Seminar“ wirkenden „Repetenten“ Jäger zurück, der unter dieser Bezeichnung auch 1857 mit einem systematisch-theologischen Aufsatz in den „Jahrbücher[n] für deutsche Theologie“ debütierte697. Zu hinterfragen ist, ob die institutionelle Anbindung nicht einen Bezug auf das Tübinger Stift beschreiben könnte, das 1806 unter der Bezeichnung „Königlich-Theologisches Seminar“ aus dem kirchlichen in einen staatlichen Verantwortungsbereich überführt worden war698. Dort läßt sich tatsächlich für die Jahre von 1851 bis 1857 ein Carl Friedrich Jäger als Repetent nachweisen, der als Student dem Stiftsjahrgang 1843 angehörte.699 Mit diesem Jahr als möglichem Zeitpunkt des Studienbeginns und den geographischen sowie landeskirchlichen Bezügen, die sich für Jägers biographischen Hintergrund aus der Förderung durch das Stift ergeben, mag man dem Autor näher kommen. Wahrscheinlich ist eine Geburt Mitte der 1820er Jahre im Königreich Württemberg. Denkbar ist zudem ein elterliches Pfarrhaus für die Kindheit und Jugend. Und schließlich ist aufgrund der nicht realisierten akademischen Karriere, deren Ambitionen die beiden Studien dokumentieren, eine spätere pfarramtliche Tätigkeit anzunehmen. Unter den württembergischen Pfarrern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mag es den Anschein erwecken, als habe es zwei Karl Friedrich Jäger gegeben, die beide 1825 geboren wurden, beide als Dekane fungierten, der eine in Tuttlingen, der andere in Kirchheim unter Teck, und von denen der eine 1893700 und der andere 1903701 starb. Familiengeschichtliche Datensammler der Gegenwart führen sogar Datensätze, bei denen dieselbe Ehefrau – mit einem Unterschied von fünf Jahren im Hochzeitstermin – bisweilen dem Kirchheimer,
696 Vgl. hierfür Karlstadt, Bedingung, Bl. A3r : „das ist/die heydnische schrifften/mit heyliger schrifft vormelung / rodtwelsche kinder odder wort gewachsen sein“ mit Jäger, Carlstadt, S. 143: „Dazu komme der weitere Umstand, daß gerade diese Mönche und ihres Gleichen ‚die heidnischen Schrifften mit heiliger Schrift vermählt und ist offenbar, das auß solcher Vermählung rothwelsche Kinder gewachsen sein.“ Für eine Druckbeschreibung der beiden bekannten Ausgaben s. Freys/Barge, Verzeichnis, S. 173 f., Nr. 36 f. 697 Jäger, Natur, S. 115, ist überschrieben: „von C. F. Jäger, Repetenten am evangelisch= theologischen Seminar zu Tübingen.“ 698 Mayer, Stift, S. 58. 699 Auf diese Daten beschränkte sich zunächst die freundliche Auskunft der Archivarin des Tübinger Stifts, Beate Martin, die für mich Leube, Verzeichnis, S. 394, eingesehen hatte. Aus der späteren Archivarbeit vor Ort ergab sich eine Präzisierung des Anstellungsdatums. Im Archiv des evangelischen Stifts Tübingen R 1 2/3, Bl. [1], ist in einer Repetentenliste verzeichnet: „Karl Jäger eingetr.[eten] d. [en] 18 Oct.[ober] 1851. Diac.[on] in Weinsberg.“ Keine weitere Erwähnung ist zu finden in ebd., R 1 3/1. 700 Dieses Datum bietet für den Tuttlinger Dekan ein biographisches Portrait zu dessen Bruder: Hegele, Jäger, S. 249 (DBA, T. 2, Fichenr. 645, S. 111). 701 Vgl. hierfür die Folgeanm.
104
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
bisweilen dem Tuttlinger Dekan zugewiesen wird.702 Außer Frage dürfte stehen, daß es sich um eine Person handelt, deren biographische Daten in Kleinigkeiten fehlerhaft überliefert wurden.703 Einen chronologisch und geographisch stimmigen Gesamtrahmen stecken die weiteren Aufsätze ab, die in den „Jahrbücher[n] für Deutsche Theologie“ unter „C. F. Jäger“ erschienen. Nach dem ersten Beitrag in diesem Periodikum 1857 veröffentlichte Jäger dort 1865, 1867, 1869, 1875 und 1876 weitere systematische Studien vorrangig propädeutischen Inhaltes, die bei einer starken Orientierung an Kant einsetzen und eine zunehmende Annäherung an Themen Schleiermachers dokumentieren704. Der Text von 1865 führt seinen Autor als „Helfer in Weinsberg“ auf 705. 1867 wird er als „Dekan in Bra[c]kenheim (Würtemberg)“ bezeichnet706, was sich in leichten orthographischen Variationen bis zu dem letzten Text von 1876707 wiederholt. Der geographische Raum dieser Amtstätigkeiten fügt sich in einen engen Kreis um Kirchheim am Neckar.708 Als Amtzeit des Brackenheimer Dekans „Karl Friedrich Jäger“ wird 1866 bis 1880 benannt709. Ein möglicher Amtswechsel in das Dekanat von Tuttlingen läßt sich für die Jahre 1880 bis 1897710 gleichermaßen bestätigen. In den „Theologische[n] Studien aus Württemberg“, die von dem Tuttlinger „Diaconus Knapp“ mitherausgegeben wurden711, veröffentlichte von dem ersten Jahrgang 1880 bis zu dem letzten 1889: „C. F. Jäger, Dekan in Tuttlingen.“712 Die Identität mit dem Autor der CarlstadtMonographie dürfte aufgrund der persönlichen, literarischen und publizistischen Kontinuitäten der „Jahrbücher für Deutsche Theologie“ außer Frage stehen. Kein anderer „C. F. Jäger“ publizierte dort im betreffenden Zeitraum. Das en702 Vgl. hierfür http://www.ahnenforschung-kunert.de/vtheologefrau1.pdf (Zugriffsdatum: 5. September 2013), S. 7: „Jäger, Sofie Theodora, geb. Stang [sic], *1832–1895. Ehe: Gerlingen, 01. 10. 1852, mit Karl Friedrich Jäger, Dekan in Tuttlingen“ mit http://www.ahnenforschungkunert.de/vtheologe1.pdf (Zugriffsdatum: 5. September 2013), S. 17: „Jäger, Carl Friedrich, Dekan a.D. in Kirchheim / Teck, *1825–1903. Ehe: 01. 10. 1857, mit Sofie Teodora, geb. Stange“. 703 Die Abweichung 1893 zu dem breiter dokumentierten Todesjahr 1903 beschränkt sich, setzt man eine flüchtig abgekürzte oder ungenau entzifferte handschriftliche Vorarbeit voraus, auf eine einzige Ziffer (03 gelesen als 93). 704 In der benannten Reihenfolge gilt dies ab 1865 für die Texte von Jäger: Religion, Axiome, Logik, Systematik, Glaubenslehre (jeweils Titelstichwort). 705 Jäger, Religion, S. 716. 706 Jäger, Axiome, S. 499. 707 Jäger, Glaubenslehre, S. 353: „Decan in Brackenheim (K. Würtemberg)“. Zuvor: ders., Logik [1869], S. 583: „Decan in Brackenheim (Würtemberg)“; ders., Systematik [1875], S. 177: „Dekan in Brackenheim“. 708 Weinsberg liegt ca. 20 km nordöstlich von Brackenheim, das 8 km nordöstlich von Kirchheim am Neckar entfernt ist. 709 S. hierfür Sigel, Generalmagisterbuch, S. 16. Für Kopien aus diesem im LKA Stuttgart vorhandenen Typoskript danke ich der Archivarin Brigitta Häberer sehr herzlich. 710 Ebd. 711 Vgl. hierfür das Titelblatt des Gründungsjahrganges von 1880. 712 Für das Zitat s. den ersten Beitrag von 1880: Jäger, Schuld. 1882 folgte ders., Bösen, 1883 ders, Kinder, 1886 ders., Kirche, 1887 ders., Davididen, und 1889 ders., Täufer.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
105
zyklopädische und methodologische Selbstverständnis des Tübinger „Repetenten“ von 1857, mit seinem ersten Aufsatz einen „kritisch-apologetische[n …] Versuch“713 vorzulegen, wiederholte der „Helfer in Weinsberg“ 1865, indem er eine „apologetisch=kritische Skizze“714 beizusteueren beanspruchte. Gewißheit bieten die beiden Artikel, die Jäger zu der ersten Auflage von Herzogs „Real= Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ 1855 und 1856 beisteuerte.715 Das 1866 kompilierte Mitarbeiterverzeichnis führt zu „Jäger, C. Fr.“ aus: „Dekan in Bra[c]kenheim (Württemberg)“.716 Auf den ersten der beiden Artikel hatte sich der Autor der Carlstadt-Monographie 1856 in einer Fußnote bezogen: „Vergl. in Herzogs Realencyklopädie meine Abhandlung über ‚Gelübde‘ gegen den Schluß.“717 Steht somit fest, daß der frühe Carlstadt-Forscher zeitweilig Dekan in Brackenheim und später von Tuttlingen wurde, erschließt sich seine Lebensgeschichte leicht. In Tuttlingen wurde er Amtsnachfolger von Julius Hartmann718, der sich 1840 und 1842 durch Brenz-Studien reformationsgeschichtlich ausgewiesen hatte719. Hartmann hatte diese mit dem 1794 geborenen württembergischen Pfarrer Karl Friedrich Jäger veröffentlicht, der 1842 früh verstorben war, nachdem er sich als Regional‑ und Landeshistoriker von seinem ca. 10 km nördlich von Weinsberg gelegenen Pfarramt einen Namen gemacht hatte.720 Die beiden bekanntesten seiner vier Söhne721 dürften Otto Heinrich Jäger (1828–1912)722 und Gustav Eberhard Jäger (1832–1917)723 sein: Otto Jäger wurde als Zürcher Philosoph und Pädagoge ein früher Pionier der schulisch institutionalisierten Gymnastik und profilierter Gegenspieler des Turnvaters Jahn724. Zeitgenossen bezeichneten ihn aufgrund seines fachlichen Engagments kurz als „Turnjäger“725. 713 Jäger,
Natur, S. 115. Jäger, Religion, S. 716. 715 Der 1855 veröffentlichte Text Jäger, Art. Gelübe, wird S. 788 unterzeichnet mit „C. F. Jäger“, der Beitrag des Folgejahres ders., Art. Häresie, S. 469, mit „C. Jäger“. Beide Artikel boten knappe Bezüge auf Karlstadt: ders., Art. Gelübe, S. 787; ders., Art. Häresie, S. 467. 716 Mitarbeiterverzeichnis, RE1, S. 626. 717 Jäger, Carlstadt, S. 176, Anm. *. 718 Zu diesem vgl. kurz Anon., Art. Hartmann (DBA, T. 3, Fichenr. 354, S. 88). 719 Hartmann/Jäger, Brenz. Jäger selbst hatte bereits 1828 veröffentlicht: Jäger, Reformationsgeschichte; im Anhang ist für die Geschichte des Bauernkrieges eine ausführliche Quellenedition zu Weissenhorn von Interesse; vgl. ebd., S. [289]–360. 720 Zu Jäger s. bes. Hartmann, Jäger (DBA, T. 1, Fichenr. 596, S. 370–375). Zur Versetzung von der Gemeinde Bürg, auf die sich die Ortsangabe im Haupttext bezieht, 1841 nach Münchingen s. Hegele, Jäger, S. 248 f. 721 Auf vier Söhne und zwei Töchter verweist, ohne namentliche Benennung, Hartmann, Jäger, S. 823. 722 Zu den Lebensdaten und dem Bezug auf den Vater s. Hegele, Jäger, S. 248. 723 Am konzisesten zu dessen Biographie in der gesamten Vielfalt seiner akademischen und unternehmerischen Aktivitäten ist Kracik, Gesundheitsschutz, S. 9–11, deren Arbeit im ganzen eine bemerkenswerte Materialkompilation und kulturgeschichtliche Kontextualisierung bietet. 724 Vgl. zu alldem, mit ausführlicher Bibliographie, Hegele, Jäger. 725 Sigel, Generalmagisterbuch, S. 16. 714
106
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Dennoch galt er bisweilen nur als der „Bruder des ‚Wolljägers‘“726, ja des „Seelenjäger[s]“727, nachdem sein Bruder Gustav mit radikalen Forderungen zur Lebensführung, konkreten Kleidungsangeboten und unternehmerischem Geschick für eine hygienewissenschaftlich fundierte Wollmode eingetreten war. Zu seinen internationalen Verehrern gehörte Oscar Wilde, der „Greek principles of beauty with the German principle of health“ in Jägers Vorschlägen vereint sah.728 Eine Hermeneutik des Verdachts legt nahe, unter den zwei namentlich unbekannten Brüdern jenen Carl Friedrich zu vermuten, der auf die Rufnamen des Vaters getauft möglicherweise der älteste der vier Söhne war. In der Biographie Ottos wird man fündig, wenn es über seine Brüder heißt: „Der älteste, Karl Friedrich (1825–1893 [scil. 1903]), starb als Dekan in Tuttlingen“.729 Der am 3. September 1825730 geborene Carl Friedrich Jäger erlebte die Arbeit und den Abschluß der Brenzstudien bis zu dem Jahr 1842, in dem sein Vater starb, aus einer geographischen Distanz zum Elternhaus. Über alle Kinder des verstorbenen Pfarrers Jägers heißt es, daß sie „seinen beweglichen kritischen Geist, aber auch seine Gründlichkeit und Ausdauer bei der Verfolgung ihrer Lebensziele geerbt hatten.“731 Carl Friedrich war der einzige der vier Brüder, der das Studienfach des Vaters aufnahm und abschloß. Die Entscheidung dazu fiel während der Schulzeit und stellte eine Verbindung aus elterlichen Interessen und „eigener Neigung“ dar.732 Wie seine Brüder besuchte er nach dem ersten Unterricht durch den Vater „die lateinische Schule in dem benachbarten Neuenstadt“733. Während dieser Zeit lebte er bei seiner Familie, bevor er 1839 in das 726
S. hierfür Hegele, Jäger, S. 249, 265. Sigel, Generalmagisterbuch, S. 16. 728 Strachan/Nally, Advertising, S. 272, Anm. 71. 729 Hegele, Jäger, S. 249. 730 S. hierfür Landesamt, Königreich, S. 524. Präzise s. auch Sigel, Generalmagisterbuch, S. 18. Der Geburtsort Bürg bei Neckarsulm findet sich in der Promotionsakte von Jäger im Archiv des Evangelischen Stifts Tübingen, E 1 322/1, o. P.: „Testimonia publica candidatorum examinandorum Jäger – Schweizer 1847“: „Jäger, Carolus, natus Bürgii 3 Sept. 1825, pastoris münchingensis defuncti filius.“ Den genauesten biographischen Aufschluß eröffnet Jägersche Personalakte, die im LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, erhalten ist. Für den freundlichen Hinweis auf diesen Bestand danke ich der Archivarin Brigitta Häberer. 731 Hegele, Jäger, S. 249. 732 LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 11/2, Bewerbung Jägers um das Diakonat Tuttlingen, 22. März 1855, in der Beilage handschriflicher Lebenslauf, Bl. 1r: „Von meinen Eltern eigener Neigung gemäß für den Beruf eines evangelischen Prediger bestimmt“. Offener ist die Auskunft Jägers im handschriftlichen Lebenslauf bei seiner Anmeldung zur landeskirchlichen Prüfung, 31. Juli 1847, ebd., Nr. 1/3, Bl. 1r: „seit meinem neunten Jahr besuchte ich die Präceptoratsschule zu Neuenstadt an der Linde O. A. Neckarsulm um mich meinem schon früh gefaßten Entschluß zum Studium der Theologie treu bleibend, auf die Prüfung zur Aufnahme in ein niederes theologisches Seminar vorzubereiten.“ 733 Vgl. dazu die Ausführungen in der Voranm. Das oben gebotene Zitat stammt aus einem handschriftlichen Lebenslauf aus der Anstellungszeit als Stiftsrepetent, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 10/2, Bl. 1r. Mit dieser Selbstaussage stimmt überein Hartmann, Jäger, S. 823: „Er [der Vater Jäger] schickte die [Kinder …], meist schon in die Elemente der alten Sprachen einge727
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
107
Kloster Maulbronn zog.734 Dort verfolgte Jäger mathematische Interessen735, die er während seines Studiums weiter pflegte736 und im Privatunterricht eines Bruders – vermutlich Otto Heinrichs – fortsetzte.737 Die Aufnahme in das Tübinger Stift zum Studienbeginn 1843 mußte für die Familie eine Entlastung sein. Im Jahr nach dem Tod des Vaters dürfte die Dringlichkeit für den ältesten Sohn, einen zügigen Abschluß zu erzielen und die verwitwete Mutter und fünf Geschwister738 nicht finanziell zu belasten, hoch gewesen sein. Auch deshalb ist die Zeit zwischen dem Studienbeginn 1843 und der Anstellung als Stiftsrepetent 1851 ungewöhnlich lange. Wie für seinen Vater739 wurde bei einzelnen seiner Brüder auf deren schwache gesundheitliche Konstitution verwiesen740. Auch für Carl Friedrich Jäger traf dies zu. Das Studium scheint noch unbelastet gewesen zu sein. Er absolvierte es in der Regelstudienzeit von acht Semestern. Der Schwerweiht, in die benachbarte Schule zu Neuenstadt, in welcher er längere Zeit den sehr gewissenhaften Präceptor durch Ertheilung von Unterricht in der allgemeinen und deutschen Sprachlehre nach Becker’schen Grundsätzen unterstützte.“ Anders verhält es sich mit dem drei Jahre jüngen Bruder Otto Heinrich, über den berichtet wird, Hegele, Jäger, S. 249, er habe „die Lateinschule in Korntal und schließlich das Eberhard=Ludwig=Gymnasium in Stuttgart“ besucht. 734 Vgl. dazu knapp den handschriftlichen Lebenslauf bei der Anmeldung zur landeskirchlichen Prüfung, 31. Juli 1847, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 1/3, Bl. 1r: „Nachdem ich die zweimalige Prüfung nicht erfolglos bestanden, kam ich im Jahr 1839 in das niedere theologische Seminar zu Maulbronn, wo ich mich in der letzten Hälfte meines vierjährigen Aufenthalts hauptsächlich mit niederer und höherer Mathematik beschäftigte, welches Studium ich auch nach der auch glücklich bestandenen Konkursprüfung erfolgter Aufnahme in das ev.[angelisch] theologische Seminar zu Tübingen 1843 neben den philosophischen Studien die ersten anderthalb Jahre über fortsetzte.“ Zu Hinweisen auf Maulbronn s. im Archiv des evangelischen Stifts Tübingen E 1 322/1, o. P., „Anmerkungen über die Anlagen und Fortschritte der Seminar= Zöglinge zu Maulbronn in Gesang und in der Instrumental=Musik. Sommerhalbjahr 1843; „Jäger“ wird darin als Nr. 10 aufgeführt. Sodann wird in derselben Archiveinheit, o. P., eine Liste von Neuzugängen „im Herbst 1843“ geboten; unter der ersten Rubrik „Von denen, die aus dem […] Seminar Maulbronn aufgenommen werden“, befindet sich an neunter Stelle „Jaeger“. 735 S. dazu die Ausführungen der Voranm. 736 Vgl. die Selbstauskunft in dem handschriftlichen Lebenslauf zur Bewerbung um das Diakonat in Tuttlingen, 22. März 1855, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 11/2, Bl. 1r, 1v: „In den ersten anderthalb Jahren widmete ich mich hier [in dem 1843 begonnen Studium] vorzugsweise dem philosphischen und dem schon in niedern Seminar mit Vorliebe (neben griechischer Sprache) von mir betriebenen Studium der höhern Mathematik, und in den übrigen dreieinhalb Jahren neben Exegese vorzugsweise dem Studium der Kirchen= und Dogmengeschichte“. 737 S. dazu die Ausführungen aus dem handschriftlichen Lebenslauf aus der Anstellungszeit als Stiftsrepetent ebd., Nr. 10/2, Bl. 1r (der betreffende Textauszug steht im folgenden Haupttext, der durch Anm. 753 ausgewiesen wird). Zu dem Hinweis auf Otto Heinrichs Schulbesuch in Stuttgart s. oben Anm. 733. 738 Hinzu mochten weitere Verwandte gekommen sein, die Jägers Vater aufgrund familiärer Schicksalsschläge in sein Pfarrhaus aufgenommen hatte; zu Lebzeiten des Vaters gehörten dazu dessen Vormundschaften für Kinder eines verstorbenen Schwagers sowie die Pflege seiner Schwiegermutter und deren Schwester; vgl. hierfür Hartmann, Jäger, S. 323. 739 Ebd., S. 320: „Das zärtliche Kind flößte seinen Eltern längere Zeit Besorgnisse ein; mehr als einmal fürchtete man für sein Leben.“ 740 Vgl. hierfür die für Otto Heinrich Jäger angedeutete Lungenschwäche: Hegele, Jäger, S. 249.
108
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
punkt lag im Bereich der Dogmatik und Dogmengeschichte, sein Hauptlehrer war Ferdinand Christian Baur.741 Persönlich dürfte Jäger mit Baur, der seit 1837 zweiter und seit 1842 erster Stiftsinspektor war742, mit Studienbeginn bekannt geworden sein. Für Jägers spätere Auseinandersetzung mit Karlstadt mochte diese Verbindung insofern bedeutsam gewesen sein, als Baur 1848 kritisch auf Erbkams Karlstadt-Verständnis reagiert hatte.743 Jäger hatte zu diesem Zeitpunkt seine Studien in Tübingen beendet. Er legte das landeskirchliche Examen im September 1847744 ab, nachdem er bereits vorab Vorkehrungen getroffen hatte, ein weiteres Studienjahr in Tübingen zu verbringen745. Das zusätzliche Studienjahr ließ sich realisieren, nicht jedoch der Wunsch eines anschließenden Auslandsaufenthaltes746. September 1848 begann Jäger sein Vikariat bei einem Onkel mütterlicherseits, der als Pfleger bereits 1842 die Verantwortung für die verwaisten Kinder übernommen hatte.747
741 Im Archiv des evangelischen Stifts Tübingen, E 1 322/1, befindet sich ein CollegienVerzeichnis Jägers, o. P.; daraus geht hervor, daß Jäger vom WS 1843/44 bis zum WS 1846/47 studierte. Bei Baur besuchte er in drei Semestern (SS 1845, WS 1845/46, SS 1846) insgesamt fünf Lehrveranstaltungen. Über sämtliche dieser Vorlesungen ließ sich Jäger prüfen. Von dem Gros der sonstigen Lehrveranstaltungen hebt sich dies ab. Die meisten weiteren Lehrveranstaltungen besuchte Jäger im Alten Testament bei Heinrich Ewald (WS 1843/44, WS 1844/45, SS 1845, SS 1846). Ein handschriftliches Verzeichnis von Jäger, das sich im LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 1/1, befindet, weicht in den gebotenen Angaben ab. Sein Quellenwert ist niedriger anzusetzen, da diese Liste im Rückblick erstellt wurde, das Verzeichnis des Stifts hingegen sukzessive. Die Liste des Stifts ist zudem umfassender, da sie Auskunft über abgelegte Prüfung bietet. Schließlich ist die Liste des LKA Stuttgart in einem amtlichen Zusammenhang zu sehen, insofern Jäger mit ihr ausweislich des Begleitschreibens das Ziel verfolgte, im Zuge der Examensanmeldung eine neutestamentliche Vorlesung erlassen zu bekommen, für die auf besondere Studienschwerpunkte im Neuen Testament verwiesen wird (zusätzliche Informationen werden für das SS 1847 geboten, in dem Jäger zudem angab, Hebräisch und Pädagogik studiert zu haben). 742 S. dazu knapp Mayer, Stift, S. 69 f. 743 Vgl. dazu oben die Anm. 309, 364, 370 u. 378. 744 S. die „Vicariats-Tabelle“ vom 11. November 1848, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 4. 745 Handschriftlicher Lebenslauf bei der Anmeldung zur landeskirchlichen Prüfung, 31. Juli 1847, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 1/3, Bl. 1r, 1v: „nach Ablauf der vierjährigen Studienzeit unterziehe ich mich der ersten Dienstprüfung, hoffe aber meinem Wunsch gemäß noch ein Jahr auf hiesiger Hochschule verweilen zu können, um mir eine genaue Kenntniß der gegenwärtigen Lebensfragen für Kirche und Wissenschaft durch Studium der neuern Dogmen= und Kirchengeschichte, sowie des Kirchenrechts beider Confessionen zu erwerben.“ 746 Handschriftlicher Lebenslauf zur Bewerbung um das Diakonat in Tuttlingen, 22. März 1855, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 11/2, Bl. 1v: „Mitte September 1848 trat ich bei einem Oheim mütterlicher Seite, Pfarrer Stange in Gerlingen, Oberamt Leonberg, als Vicar ein, da meine ökonomischen Verhältnisse mich genöthigt hatten, auf den Plan einer wissenschaftlichen Reise ins Ausland zu verzichten.“ 747 Zu den verwandtschaftlichen Verhältnissen s. die Voranm. S. ferner den handschriftlichen Lebenslauf bei der Anmeldung zur landeskirchlichen Prüfung, 31. Juli 1847, ebd., Nr. 1/3, Bl. 1r, zum Tod des Vaters, „worauf ein Oheim, Pfarrer Stang zu Gerlingen […] die Pflichten als Pfleger übernahm.“
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
109
Die Zeit bei Karl Friedrich Stange748 in Gerlingen war für Jäger von bildungs-, lebens‑ und familiengeschichtlicher Bedeutung. In fachlicher Hinsicht fand er „[h]ier“, wie er später festhielt, „Zeit und Gelegenheit ueber den kirchlichen Geschäften das Studium des Kirchenrechts fortzuführen und das Studium der Reformationsgeschichte und der Schriften unserer Reformatoren aufzunehmen.“749 Während seiner Einstellung als Stiftsrepetent, 1851, erklärte Jäger entsprechend: „Meine wissenschaftlichen Studien haben sich in der letzten Zeit hauptsächlich auf Reformationsgeschichte bezogen, und ich gedenke sie in dieser Weise fortzusezen.“ Lebensgeschichtlich einschneidend war aber, daß Krankheiten Jägers Vikariat zunehmend belasteten und schließlich beendeten. Die halbjährlichen „Vicaritats-Tabelle[n]“ des Onkels deuten eine fortschreitende Lungenschwäche an, zu der ein „reizbares Nervensystem“ trat.750 Am 17. Juli 1850 konnte die Situation nicht aufrecht erhalten werden; nach einer Behandlung in Stuttgart mußte Jäger sein Vikariat auf ärztliches Anraten aufgeben; zunächst zog er zu einem Schwager nach Winterlingen751, dann zu der Mutter nach Stuttgart. Aus einem Rückblick schilderte Jäger diesen Einbruch fünf Jahre später: „In dieser Thätigkeit wurde ich jedoch durch ein im Frühjahr 1850 beginnendes Nervenleiden unterbrochen, welches mich nöthigte im Mai 1850 zur Herstellung meiner Gesundheit zu meiner Mutter heimzukehren und bis ins Frühjahr 1851 jeglicher Arbeit mich zu enthalten: im Sommer 1851 war ich soweit in der Besserung, daß ich in Stuttgart mit Ertheilung von Privatunterricht die Rückkehr zum Dienst in der evangelischen Landeskirche einleiten und dadurch auch die Lage meiner durch diese meine Krankheit schwer betroffenen Mutter wieder etwas erleichtern konnte.“752
Ein wohl etwas früheres Selbstzeugnis bringt das Ausmaß einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit zum Ausdruck:
748 Die Schreibweise auch seines Nachnamens variert; die oben gebotene Gestalt folgt seinem handschriftlichen Eintrag in der „Vicariats-Tabelle“ vom 11. November 1848, ebd., Nr. 4. 749 Handschriftlicher Lebenslauf zur Bewerbung für das Diakonat Münchingen, 4. Juni 1855, ebd., Nr. 14/2, Bl. 1v. 750 Die Entwicklung stellt sich nach den Schilderungen des Onkels wie folgt dar: „VicariatsTabelle“ vom 11. November 1848, ebd., Nr. 4, Bl. 1r: „Er geniest einer guten Gesundheit.“ „Vicariats-Tabelle“ vom 23. April 1849, ebd., Nr. 5, Bl. 1r: „Seine Gesundheit ist gut, jedoch hat er eine etwas schwache Brust.“ „Vicariats-Tabelle“ vom 11. November 1849, ebd., Nr. 6, Bl. 1r: „Er geniest einer guten Gesundheit, hat jedoch eine etwas schwache Brust“. „Vicariats-Tabelle“ vom 23. April 1850, ebd., Nr. 7, Bl. 1r: „Seine Gesundheit war in der letzten Zeit, da er eine etwas schwache Brust u. ein reizbares Nervensystem hat, infolge einer nun stärker erlittenen Erkältung, etwas angegriffen[,] doch hat er sich […] wieder erholt“. 751 S. dazu das Schreiben Stanges an das zugehörige Dekanat, 17. Juli 1850, ebd., Nr. 8/2. Der Schwager wird als Bilhuber benannt. Es dürfte sich um Karl August Edmund Bilhuber handeln, der Sophia U. Jaeger geheiratet hatte. S. dazu die genealogischen Angaben http://wc.roots web.ancestry.com/cgi-bin/igm.cgi?op=GET&db=airriess_family&id=I2389 (Zugriffsdatum: 7. September 2013). 752 Handschriftlicher Lebenslauf zur Bewerbung um das Diakonat in Tuttlingen, 22. März 1855, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 11/2, Bl. 2r.
110
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
„Im Frühjahr 1850 aber wurde ich durch ein sehr hartnäckiges Nervenleiden genöthigt, diese Stellung zu verlassen. Nachdem ich ein volles Jahr durch Krankheit an jeglicher Arbeit gehindert gewesen, begann ich im Frühjahr 1851 wieder, so gut es ging, mit Unterricht meines Bruders in der Mathematik meine Arbeiten und hielt mich noch bis ins Spätjahr 1851 in Stuttgart auf, in welcher Zeit ich durch Ertheilung einiger Privatstunden mich wieder an anhaltendes Studieren gewöhnte.“753
Der Wiedereinstieg in das Berufsleben glückte am 8. Oktober 1851 mit der Berufung zum Stiftsrepetenten.754 Jäger wurde Nachfolger August Dillmanns, der kurz zuvor habilitiert worden war und um seine Entlassung gebeten hatte.755 Jägers Repetentenzeit brachte akademische Lehrerfahrung756, verschiedene Veröffentlichungen757 und 1853 die zweite kirchliche Dienstprüfung mit sich. Eine vollständige Wiederherstellung der alten Arbeitskraft gelang erst „seit dem dritten Jahr“ im Stift, also 1854.758 Das Folgejahr brachte einen weiteren Einschnitt mit sich: Nach vier Jahren im Amt oblag es den Repetenten, sich um eine „definitve Anstellung“ zu bemühen.759 Jäger bewarb sich erstmals am 22. März 1855 um ein Diakonat.760 Nach 15 erfolglosen Bemühungen gelang ihm der Wechsel in ein Pfarramt am 11. Oktober 1857.761 Zehn Tage zuvor hatte er eine Tochter seines Onkel, vormaligen Pflegers und pfarramtlichen Mentors geheiratet.379
753 Handschriftlicher
Lebenslauf aus der Tübinger Repetentenzeit, ebd., Nr. 10/2, Bl. 1r. Schreiben des Königlichen Studienrats an das Königliche evangelische Konsitorium, 8. Oktober 1851, ebd., Nr. 8. 755 Ebd. 756 Handschriftlicher Lebenslauf zur Bewerbung um das Diakonat in Münchingen, 4. Juni 1855, ebd., Nr. 14/2, Bl. 2v: „es gelang mir auch [… die] Ausarbeitung und Haltung von Vorlesungen (über Logik und Kirchenrecht, je zweimal)“. 757 Daß die oben gebotenen bibliographischen Recherchen für die Frühzeit annähernd vollständig sein dürften, erweisen Selbstaussagen, wie die des handschriftlichen Lebenslaufes zur Bewerbung um die Helferstelle von Liebenzell, 16. Oktober 1856, ebd., Nr. 20/2, Bl. 2r: Neben der ethischen Monographie habe er „auch einzelne Aufsäze in theologischen Zeitschriften und encyklopädischen Werken einrücken lassen“ Letzterer Hinweis muß den Artikeln in Herzogs RE1 gelten (s. dazu oben Anm. 715). 758 S. hierfür die Selbstauskunft im handschriftlichen Lebenslauf zur Bewerbung um das Diakonat in Münchingen, 4. Juni 1855, ebd., Nr. 14/2, Bl. 2v. 759 Vgl. dazu ausdrücklich den handschriftlichen Lebenslauf zur Bewerbung um das Diakonat in Tuttlingen, 22. März 1855, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 11/2, Bl. 2v. 760 Ebd. In dieser Hinsicht zu korrigieren sind die Angaben im Lebenslauf von Jägers 1895 verstorbener Frau, Stang, Andenken, S. 12: „Ihr häusliches Leben führte sie zuerst in Weinsberg, wo ihr Gatte als Diakonus von Weinsberg und Pfarrrer von Ellhofen von 1852–66 sein erstes geistliches Amt begleitete.“ Die Angabe des Amtsbeginns 1852 weicht auch von den Daten ab, die Sigel, Generalmagisterbuch, S. 18, bietet. 761 Zu dem Datum s. ebd., 28/1, die Vereidigung zum Diakon in Weinsberg. Zuvor s. die in Anm. 759 erwähnte Bewerbung und die Folgebemühungen: LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 11/2 (Diakonat Aalen), Nr. 13 (Diakonat Geislingen), Nr. 14/2 (Diakonat Münchingen), Nr. 15/2 (Diakonat Reutlingen), Nr. 16/2 (Diakonat Freudenstadt), Nr. 17/2 (Helferstelle Weinsberg), Nr. 18/2 (Helferstelle Sindelfingen), Nr. 19 (Helferstelle Pfullingen), Nr. 20/2 (Helferstelle Liebenzell), Nr. 21/2 (Stadtpfarrstelle Wildberg), Nr. 22/2 (Helferstelle Weil754
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
111
Die Carlstadt-Studie erschien 1856 als Jägers monographisches Erstlingswerk, nachdem er immerhin fünf Jahre als Stiftsrepetent gearbeitet hatte. Von „mehrjährige[n …] Studien über den berüchtigten Gegner Luthers“763 berichtete auch ein Fortsetzungsaufsatz, den Jäger Mitte 1856 in die „Deutsche […] Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben“ einrückte. Anfang und Anspruch dieser Aufsatzsequenz bleiben rätselhaft. Eine Gesamtüberschrift kündigte „Ergänzende und berichtigende Beiträge zur Geschichte des Andreas Bodenstein und des Carlstadtischen Streits“ an und wollte diese in mehrere „Artikel“ untergliedern; der „[e]rste“ von diesen galt „Carlstadts Stellung in Wittenberg vor dem Eckischen Streit“.764 Auf drei Hefte verteilt erschien zwischen dem 26. Juli765 und dem 9. August766 nur dieser Beitrag. Schon nach einer Woche korrigierte die Redaktion die Ankündigung weiterer Artikel und beendete eine weitere Woche später die Aufsatzsequenz.767 Es ist gut möglich, daß die Hauptüberschrift wirklich nur falsch gesetzt worden war. Denkbar ist aber auch, daß sich die Redaktion von Jäger getäuscht fühlte, dessen Eröffnungsbeitrag vom 26. Juli erklärte: „da eine monographische Bearbeitung meines Gegenstandes aus verschiedenen Gründen unterbleiben mußte, so muß ich mich damit begnügen, in Form einzelner Notizen die Resultate meiner Untersuchungen mitzutheilen.“768 Jägers Monographie war zu diesem Zeitpunkt schon lange im Druck, vielleicht sogar bereits erschienen: Das Vorwort datierte auf „Mai 1856“ und setzte eine Korrektur sämtlicher Druckbogen voraus769. Wahrscheinlich deutet heim), Nr. 23/2 (Stadtpfarrstelle Ellwangen), Nr. 24/2 (Stadtpfarrstelle Esslingen) u. Nr. 25/2 (zweite Helferstelle Esslingen). 762 Das Datum folgt den Angaben von Sigel, Generalmagisterbuch, S. 18.; auf die familären Bezüge weist bereits der posthum veröffentlichte Lebenslauf von Jägers Ehefrau hin, Stang, Andenken, S. 12: „mit dem ihr durch verwandtschaftliche Beziehungen schon von Jugend auf befreundeten Karl Friedrich Jäger“. Noch als Repetent kündigte Jäger die Eheschließung an und ersuchte um einen kirchlichen Dispens, s. dazu sein Schreiben vom 31. August 1857, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 27, Bl. 1r: „da ihr [der zukünftigen Ehefrau Sophia Theodoras] Vater der Bruder meiner Mutter ist, so ist bereits ein Gesuch um Dispensation von dem Ehehindernis der Blutsverwandtschaft eingereicht.“ Diese familiären Verbindungen mögen bei Jägers Gattin zudem mütterlicherseits bedingt gewesen sein, da ihre Mutter eine geborene Jäger war; s. hierfür Stang, Andenken, S. 12. 763 Jäger, Bodenstein 1, S. 233. 764 Ebd. 765 Ebd. 766 Jäger, Bodenstein 3, S. 250. 767 Jäger, Bodenstein 2, S. 247, Anm. 1, vermerkt zu dem Titel „Carlstadts Stellung in Wittenberg vor dem Eckischen Streit“: „So wolle man auch den Titel des Aufsatzes in der vorigen Nummer berichtigen. Die Redakt.[ion]“. Als Untertitel war diese Überschrift bereits zuvor wortidentisch gewählt worden, weshalb die redaktionelle Anmerkung letztlich nur eine Streichung des vormaligen Obertitels andeuten kann. Bestätigung findet dies darin, daß sich keine weiteren Beiträge von Jäger anschlossen. 768 Jäger, Bodenstein 1, S. 233. 769 Jäger, Carlstadt, S. VI. In Betracht zu ziehen ist natürlich auch, daß die Zeitschrift ein deutlich älteres Manuskript von Jäger veröffentlichte, das noch nicht von der Realisierung
112
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
sich in der geplanten Aufsatzsequenz von 1856 eine mißlungene publizistische Doppelstrategie an. Wie Jäger thematisch zu Carlstadt gelangt war, läßt sich nicht rekonstruieren. Von seinem Vater mochte er kirchengeschichtliche Interessen aufgenommen haben; in den Brenz-Bänden spielt der „berüchtigte […] Carlstadt“ indes nur eine ephemere Rolle770. Womöglich hatte es Jäger als Notwendigkeit angesehen, sich mit einer dogmenhistorischen Arbeit zu empfehlen, bevor er glaubte, jene systematischen Fragen verfolgen zu dürfen, die seine weiteren Studien bestimmen sollten. Sowohl in der Monographie771 als auch der abgebrochenen Aufsatzsequenz772 deutet sich eine scharfe Abgrenzung von Erbkam an. Dies verbindet Jäger mit seinem akademischen Hauptlehrer Baur.773 Eine Qualifikationsschrift scheint weder die Carlstadt-Monographie noch die „Sittenlehre“ gewesen zu sein.774 In seinen späteren Veröffentlichungen und Amtsbezügen findet sich kein Hinweis auf einen das kirchliche Examen überschreitenden akademischen Grad. Eben dies war in gewisser Hinsicht in der Lebensgeschichte des Vater präfiguriert: Dieser hatte mit seinen Studien eine überregionale wissenschaftliche Anerkennung gefunden, die Mitgliedschaften in gelehrten Vereinigungen, wie der Leipziger „Deutsche[n] Gesellschaft“, einschloß775. Das publizistische Profil des Sohnes deutet mit zwei Lexikonartikeln, einem Aufsatz, einem Fortsetzungsaufsatz und zwei Monographien innerhalb zweier Jahre konkretere Bemühungen um eine akademische Laufbahn an. Enzyklopädisch stehen sie für eine Verbindung von dogmenhistorischen mit dogmatischen Fragen. Lebens‑ und vielleicht
einer monographischen Drucklegung ausgehen konnte. Dagegen sprechen die Kongruenzen zwischen dem Eingangsteil des Artikels und der „Vorrede“ hinsichtlich der Danksagungen und Beschreibungen der Materialarbeiten. 770 S. hierfür Hartmann/Jäger, Brenz, Bd. 2, S. 126, die auf eine briefliche Empfehlung Brenz’ verweisen, die Antonius Bodenstein gilt, einem Neffen des umstrittenen Reformators. Ulrich Bubenheimer wurde auf diesen von der Karlstadt-Forschung bislang unberücksichtigen Text bereits in seinem archivalischen Original aufmerksam (so mündlich am 13. September 2012 mit genauen Angaben zum Fundort). Gezielte Einsichtnahme in diese Studie des Vaters verrät in einem anderen Zusammenhang Jäger, Art. Häresie, S. 469. 771 Vgl. hierfür unten Anm. 806. 772 Jäger, Bodenstein 1, S. 237; Jäger, Bodenstein 3, S. 250. 773 S. dazu oben Anm. 743. 774 Im UA der Eberhard Karls Universität Tübingen läßt sich nach freundlicher Auskunft des Archivdirektors Dr. Michael Wischnath (brieflich am 11. September 2013) kein Hinweis auf „eine Promotion oder ein Promotionsgesuch Jägers […] weder bei der Ev.-theol. Fakultät noch bei der Philosophischen Fakultät nachweisen.“ 775 Weit ausführlicher als das Titelblatt des letzten zu Lebzeiten gedruckten Werkes, Hartmann/Jäger, Brenz, Bd. 2, ist Hartmann, Jäger, S. 824: „Die deutsche Gesellschaft zu Leipzig, die Gesellschaft zur Beförderung der Geschichtskunde zu Freiburg im Breisgau, die (unter dem Minister v. Stein gegründete) Gesellschaft für die Herausgabe der Quellenschriftsteller der deutschen Geschichte zu Frankfurt; der würtemb.[ergische] Verein für Vaterlandskunde, die historisch=theologische Gesellschaft zu Leipzig nahmen ihn nach einander zu ihrem Mitglied auf.“
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
113
auch werkgeschichtlich aufschlußreich sind die unglücklichen Umstände, in denen sich Jäger zwischen 1850 und 1854 befand. Seine Auseinandersetzung mit der Reformationsgeschichte wurde 1848 aufgenommen und 1850 unterbrochen. Erst 1854 fand er zu seiner vollen Arbeitskraft zurück. Seit 1855 stand die Anstellung als Repetent unter dem Vorbehalt einer aktiven Suche nach einer Festanstellung. Aus Jägers gesundheitlichen und beruflichen Einschränkungen mag sich manche Unzulänglichkeit der Monographie eher erklären lassen als aus den fachlichen oder methodischen Gesichtspunkten, die Barge anführte. 2.5.3. Ansatz und Gliederung der Carlstadt-Monographie Schließt man von dem in den Aufsätzen wiederholten Selbstverständnis, „kritisch-apologetisch“ bzw. „apologetisch=kritisch“776 zu arbeiten, auf eine vergleichbare Zuspitzung der Carlstadt-Monographie, wird man bereits von dem Eröffnungssatz der „Vorrede“ eines besseren belehrt: „Man ist gewohnt, bei Monographien apologetische Motive vorauszusezen, zumal wenn sie von einer Persönlichkeit handeln, deren Name noch bis auf den heutigen Tag kirchlichen Hader wach ruft. Wer mit dieser Erwartung vorliegende Schrift zur Hand nimmt, dürfte sich wohl etwas enttäuscht finden. Es ist nicht die Begeisterung für Carlstadts widerborstiges Wesen, der diese Schrift ihre Entstehung verdankt.“777
Mit dem Anspruch, Karlstadt kritisch begegnen zu wollen, stellte sich Jäger seinen Lesern vor und ließ keinen Zweifel daran, daß auch eine charaktertypologische Aufwertung für ihn indiskutabel sei778. Außer Frage stand damit von vornherein, daß Jägers Ankündigung, „in einer Reihe nicht unwesentlicher Punkte wesentliche Berichtigungen und Ergänzungen“779 zu bieten, aus keiner anderen Motivation erwachsen war als derjenigen einer kritischen Textinterpretation780. Die Veranlassung zur eigenen Arbeit erklärte Jäger aus Karlstadts Bezügen zu den Hauptereignissen und wichtigsten Repräsentanten der frühen Reformationsgeschichte.781 Zugleich verwies er auf eine problematische Quellenlage, in der 776 S.
dazu oben die Anm. 713 f. Carlstadt, S. III. 778 Daß dies auszudrücken Jägers Anliegen ist, unterstreicht auch der Beginn des eigentlichen Haupttextes, der ebenfalls einleitend erklärt, ebd., S. 1: „der Mann, dessen Wirksamkeit wir beschreiben, ist […] ein Charakter, für den man sich, je genauer man ihn kennt, desto weniger begeistern kann“. 779 Ebd., S. III. 780 Vgl. dazu auch ebd. 781 Vgl. hierfür ebd.: „Der Antrieb zu Ausarbeitung und Veröffentlichung dieser Schrift war gegeben durch das Bedürfniß, die Thätigkeit eines Mannes, an den so wichtige Ereignisse sich knüpfen“, mit ebd., S. 1: „der Mann […] ist […] dennoch eine historisch merkwürdige und bedeutende Persönlichkeit, an welche sich eine Reihe der wichtigsten, epochemachenden Ereignisse, die durch sie provocirt wurden, knüpfen (der Eckische Streit, der völlige Umsturz des altkatholischen Cults und der damit zusammenhängenden Sitten, und endlich selbst der die 777 Jäger,
114
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
zahlreiche Schriften Karlstadts nur schwer zugänglich seien und eine durch das „Corpus Reformatorum“ angekündigte Edition „wohl nicht mehr“ erscheinen würde782. Unklar bleibt, woraus Jäger seine Annahme eines entsprechenden Editionsvorhabens ableitete.783 In jedem Fall war das Fehlen einer Gesamtausgabe für Jäger das zentrale Argument, mit dem er zunächst seine Entscheidung begründete, über weite Strecken Materialkompilationen zu präsentieren, und dann den Anspruch, „unter Vermeidung reflektierender Erörterungen die ursprünglichen Quellen selbst zum Wort kommen [zu] lassen“784. Im Ganzen wählte Jäger einen chronologischen Aufriß, in den er mehr die Werk‑ als die Lebensgeschichte785 Karlstadts integrierte. Einleitungsfragen zu den behandelten Texten diskutierte er entweder im Haupttext oder im Anmerkungsteil.786 Hier wie dort bot er auch sachliche Erläuterungen, die sich zwischen historischen Kontextualisierungen, dogmatischen Typisierungen und persönlichen Distanzierungen bewegen. Formal untergliederte Jäger seine 500 Seiten umfassende Monographie in neun Kapitel von unterschiedlicher Länge. Vier Kapitel bewegen sich bei jeweils etwa 100 Seiten, deren Feingliederung das Reformationskirche in zwei Lager spaltende Abendmahlsstreit), die zugleich eine in der ersten Zeit der Reformation weit verbreitete Richtung zum Theil in geistvoller Weise repräsentiert, und durch die persönliche Berührung mit Luther und Melanchthon vielfach in den Lebensgang dieser Männer eingegriffen hat.“ 782 S. ebd., S. IV; zudem später ebd., S. 504, Anm. *: „Sollte je die beabsichtigte Herausgabe der Schriften und Briefe Carlstadts im Corpus Reformatorum zu Stande kommen, so wäre dabei die in Zürich befindliche Simlerische Sammlung von Briefen und Gutachten aus der Reformationszeit besser zu benüzen, als es bei der Herausgabe von Melanchthons Briefen geschehen ist; es finden sich dort viele ungedruckte Briefe Carlstadts“. 783 Die programmatischen Ausführungen zum Gesamtvorhaben CR, Bd. 1/1, col. XIX u. XX, benennen 1834 eine gestaffelte Vorgehensweise, die von Melanchthon zu Calvin fortschreitet, danach Luther und Zwingli sowie schließlich, ebd., col. XX, „denique aliorum libros“ edieren werde. Abgesehen von einer eigenen Ausgabe Luthers und den – namentlich nicht näher spezifizierten – „anderen“ Autoren wurde diese Maßgabe sehr konsequent umgesetzt. 1856 war dies noch nicht absehbar – erschienen war aber soeben Bd. 25. Mit diesem stand der Abschluß der ersten, Melanchthon geltenden Serie kurz vor dem Abschluß und der Übergang zur zweiten, Calvin gewidmeten Sequenz unmittelbar zu erwarten. Zeitgenössische Rezensenten wiederholten Jägers Ausführungen zu einem entsprechenden Editionsprojekt im „Corpus Reformatorum“ unkritisch: Anon., Rez. Jäger 1858, Sp. 88: „Im Corpus Reformatorum war eine Ausgabe derselben versprochen, aber diese steht wohl noch in weiter Ferne“. 784 Jäger, Carlstadt, S. V. 785 Jäger selbst äußerte sich nicht zu dieser Gewichtung, erhob aber auch an keiner Stelle seines Buches den Anspruch, eine Biographie vorzulegen. Deutlich insistierte er darauf, die Werke vollständig vorstellen und inhaltlich vortragen zu wollen. Kein Zweifel kann aufgrund dieses Vorhabens und dessen Umsetzung daran bestehen, daß Jäger eine Werkgeschichte indentierte und realisierte. Ein Mißverständnis liegt somit vor, wenn ein zeitgenössischer Rezensent von „Carlstadts Biographie“ schreibt, Anon. Rez. Jäger, Sp. 88, und auch wenn er später kritisierte, ebd., Sp. 90: „In Jägers Monographie ist weniger Carlstadts Leben als seine Schriften berücksichtigt“. 786 Für das erste Vorgehen vgl. etwa Jäger, Carlstadt, S. 381, für das zweite ebd., S. 358, Anm. *.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
115
vorangestellte „Inhalts-Verzeichniß“ aufzeigt.787 Es handelt sich dabei um das Eingangs‑ und die drei Abschlußkapitel. Anfang und Ende der Arbeit sind damit von großen Themenkomplexen bestimmt. Im Vordergrund des ersten Kapitels steht die Auseinandersetzung mit Eck, die Karlstadt nach seinem Anschluß an Luther gesucht hatte. Das Schlußkapitel schildert mit dem Abendmahlsstreit den endgültigen Bruch mit Luther. Jägers Gesamtnarrativ galt somit letztlich Karlstadts Annäherung an Luther, dem gemeinsamen öffentlichen Kampf, den verborgenen Differenzen788 und deren fortschreitender Explikation. Der zeitliche Rahmen von Jägers Monographie beschränkte sich deutlicher, als es die Kapitelüberschriften auszuweisen vermochten, auf die Jahre zwischen 1518 und 1528. Fünf Seiten vor Schluß „entwich Carlstadt aus dem sächsischen Gebiet“789; drei Seiten später konstatierte Luther, daß Carlstadt „in der Universität zu Basel […] dem gemeinen Mann“ am wenigsten „schadt“; nach einer Überleitung von zwei Sätzen konstatierte Jäger Karlstadts Tod790. 2.5.4. Karlstadt und Luther nach Jägers Schilderungen Das Verhältnis zwischen Karlstadt und Luther zu bestimmen und anhand der verfügbaren Quellentexte zu belegen, war das eigentliche Thema von Jäger. Dies verband sich mit eingehenden Charakterstudien, die Jäger stets – was Barge fünf Jahrzehnte später besonders erzürnen sollte – an historische Bezugstexte rückzubinden suchte. Luther, der „Reformator“, lieferte das Muster „eines zum Frieden geneigten, versöhnlichen Geistes“791 und eines Mannes von „heiterem Lebesinn“792. Karlstadt hingegen habe im Zuge der Leipziger Disputation zunächst der „Ruf eines Reformators“793 angehaftet, bevor er sich selbst „zur Rolle eines Reformators aufgeschwungen“794 habe. Luthers Priorität vor Karlstadt stand für Jäger außer Frage; er betonte sie in argumentativer, chronologischer und sprachlicher Hinsicht.795 Er ging sogar so weit, Karlstadts zentralen Beitrag zur späteren Pentateuchkritik, das Hinterfragen einer mo787 Zum Inhaltsverzeichnis s. ebd., S. VII f. Als umfangreiche Kapitel ließen sich hervorheben Kap. 1 (71 S.), Kap. VII (96 S.), Kap. VIII (107 S.), Kap. IX (100 S.). 788 Vgl. hierfür ebd., S. 393: „Wir können schon in dieser Schrift Carlstadts Ansäze seiner nachmals ausgesprochenen Abweichung von Luthers Lehre vom Sacrament bemerken, aber sie sind noch versteckt unter der Polemik gegen das Meßopfer, der sie als Prämissen dienen müssen.“ 789 Ebd., S. 500. 790 Für beides s. ebd., S. 503. 791 Ebd., S. 341, Anm. *. Ausführlich zu diesem Wesenszug vgl. ebd., S. 206: „obwohl er die Differenz der Principien erkannte, so wollte er doch nicht angreifen und Zwietracht beginnen, wo noch Versöhnung gehofft werden konnte.“ 792 Ebd., S. 487, Anm. **. 793 Ebd., S. 50. 794 Ebd., S. 67. 795 Vgl. hierfür nur exemplarisch ebd., S. 9, Anm. *; S. 232; S. 330, Anm. *; S. 468, Anm. *.
116
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
saischen Verfasserschaft in „De canonicis scripturis“796, hypothetisch Luther zuzuschreiben797. Die Grunddifferenz der späteren „Gegner“798 erklärte Jäger aus inneren und äußeren Gründen, theologischen Eigenheiten und kontingenten Entwicklungen799, aber auch aus reformationstypologisch divergierenden Positionen. So meinte Jäger in den Wittenberger Unruhen einen durch Karlstadt repräsentierten Ansatz der „separatistischen Winkelreformationen“ von Luthers intendierter, „die ganze christlich=katholische Kirche umfassende[r], aus freier Begeisterung der ganzen Christenheit hervorgehende[r] Reformation“800 unterscheiden zu können. Einheit und Vielfalt der Reformation wurden somit anhand der Differenz zwischen Kirche und Sekte aktualisiert. Gegen Karlstadt spricht nach Jäger nicht nur dieser Grundzug zur sektiererischen Spaltung801, sondern auch dessen demagogische Tendenz802 zur revolutionären Massenagitation803. Zugleich illustrierte Jäger die Spezika von Karlstadt und Luther anhand zweier religionstheoretischer Grundtypen: „während Carlstadt gar nicht daran denkt, daß es in Sachen der Religion nicht blos auf objektive Wahrheit […] ankomme, […] so faßt dagegen Luther gerade [… das] subjektive Moment in’s Auge […:] Es ist die Freiheit des subjektiven Gewissens, für welche Luther hier schon gegen den rücksichtslosen Radicalismus Carlstadts auftritt“.804
Entscheidend dafür sei Karlstadts Verständnis der Mystik gewesen. Zehn Jahre nach den betreffenden Ausführungen von Erbkam, dessen fachliche Solidität Jäger – bei klarer Abhängigkeit im Detail805 – herabzustufen suchte806, war diese 796 Smend, Entstehung, S. 36, schildert den Stellenwert von Karlstadts Ausführungen innerhalb der neuzeitlichen Entwicklungen. 797 Jäger, Carlstadt, S. 120, Anm. *: „Wer es gewesen ist, der in Wittenberg diese Hypothese von der Abfassung des Pentateuchs durch Esra aufgestellt, sagt Carlstadt nicht […]. Es könnte […] vermuthet werden, daß Luther diese Hypothese über den Pentateuch vorübergehend aufgestellt.“ 798 Ebd., S. 492. 799 Eine eher relativierende Passage bietet ebd., S. 417. 800 Ebd., S. 292, Anm. *. 801 Vgl. hierfür auch ebd., S. 506, die „Verbindung mit separatistischen und anabaptistischen Ideen“. 802 In diese Richtung gehen ebd., S. 473, Anm. *: „Diese Stelle ist ein Beweis, wie Carlstadt die Massen aufzuhezen wußte gegen seine Gegner.“ Als Folgeerscheinungen benennt Jäger ebd., S. 483, u. a. die Publizistik von Valentin Ickelsamer. 803 Ebd., S. 162: „Carlstadt wendet sich zwar auch an die Obrigkeit, aber in letzter Instanz an die Massen: er ist ein kirchlicher Revolutionär, ein politischer Revolutionär ist er jedoch nie geworden.“ Unter Ausdeutung des mystischen Erbes s. auch ebd., S. 406, sowie im Rahmen eines abschließenden Gesamtprofils ebd., S. 504. Auf einen polarisierenden „Ton“ Karlstadtscher Predigten suchte Jäger aus den inhaltlichen Entwicklungen der Flugschriften zu schließen, vgl. ebd., S. 276 f. 804 Ebd., S. 204 f. 805 Vgl. dazu unten Anm. 1040. 806 S. u. a. Jäger, Carlstadt, S. 221, Anm. *: „Ich begreife nicht, wie Erbkam in diesen beiden gut bezeugten Nachrichten einen Widerspruch finden kann“; S. 316, Anm. *: „dieß hat Erbkam und ihm folgend Schweizer übersehen“; S. 344, Anm. *, wirft Jäger flüchtige Lektüre vor: „was
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
117
Lesart nicht neu. Jäger hob einen historischen und einen systematischen Zusammenhang hervor. Der geschichtliche Vorgänger, auch in der Erschließung der Mystik, sei Luther gewesen.807 Während Luther jedoch die religiöse Innerlichkeit der Mystik für das Leben des einzelnen erschlossen habe, sei Karlstadt der Vertreter einer „praktischen Mystik“808. In ihrer letzten Konsequenz betrachtete Jäger zwar „alle Mystik [als] pantheistisch“, die entweder den Weg der Weltverneinung gehen oder den positiven Offenbarungsgehalt einer göttlichen Inkarnation in Christus als weltimmanent anerkennen müsse.809 Ein zu extremer Weltbezug, der aus einer geistlichen Abwendung praktische Reformen abzuleiten suche, habe aus einer christlich legitimen Gestalt der Mystik hingegen jene „Principien des Carlstadtischen Bildersturms [gemacht], der nur die praktisch gewordene Mystik ist“.810 Den Umschlagspunkt meinte Jäger in Karlstadts Sabbatschrift genau fixieren zu können: „Die negative, abstrakte und dualistische [Welt und religiöse Innerlichkeit scharf trennende] Richtung der Mystik konnte in jener aufgeregten Zeit, wo die Massen schon zu gewaltsamen Reformen bereit waren, nicht in einsiedlerischer Zurückgezogenheit sich genügen und mit Carlstadts Charakter vertrug sich auch eine solche Stellung nicht auf die Dauer; wo aber diese mystische Richtung reformatorisch thätig wird, muß sie ihrem innersten Wesen gemäß puritanisch und gewaltsam=revolutionär auftreten, die mystische Abstraktion wird in der Praxis zum Radicalismus, der fanatisch und rücksichtslos alle gewohnten Formen kirchlichen Lebens zertrümmert.“811
Nur zum Teil erklärte Jäger diese unheilvolle Entwicklung aus systemimmanenten Tendenzen oder situativen Konstellationen. Einen nicht unerheblichen Faktor machte er in Karlstadts Charakter aus. Den Bruch mit Luther begründete Jäger, unter Rekurs auf einzelne Dokumente, aus einem „eiteln, geckenhaften Uebermuth“812 oder „böswillig[em]“ Mißverstehen813. Daß Karlstadt es auch in anderen Zusammenhängen „nicht [habe] lassen [können], sich mit schlechten in seiner freilich von Erbkam auch in unbegreiflicher Weise mißverstandenen Schrift ‚von Mannigfältigkeit […]‘ sich findet“; S. 426, Anm. *: „Erbkam hat die Stelle falsch gefaßt“; S. 502, Anm. *: „Erbkams Zeitangabe ist falsch.“ 807 Ebd., S. 9: „ein […] 1518 gehaltener Sermon Carlstadts […], welcher sogar die Ideen der von Luther wieder belebten Mystik enthält.“ 808 Ebd., S. 139. 809 Ebd., S. 338. 810 Ebd., S. 365. Vgl. auch ebd., S. 199: „Wir haben schon oben gesehen, wie Carlstadt, ausgehend von seinen mystischen Ideen einer Abkehr des Geistes von allem Creatürlichen, den Heiligen= und Bilderdienst angreift“. 811 Ebd., S. 406. Vgl. auch ebd., S. 504: „dieses Princip besteht in der unvollkommenen Verbindung eines Augustinismus […] mit einem dualistischen Mysticismus, […] der seiner Natur nach quietistisch, wenn er zum Handeln gedrängt wird, in der Verwirklichung seiner Abstraktionen revolutionär wird. Der theokratisch=biblische Radicalismus ist die Form, in welcher die entgegengesetzten Elemente des Augustinismus und Mysticismus in der Praxis zusammentreffen.“ 812 Ebd., S. 414, Anm. *. 813 Ebd., S. 443, Anm. *.
118
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
lügnerischen Ausreden zu behelfen, wie er ja schon früher gethan hat und später […] wieder versuchte“814, band Jäger an eine philologische Argumentation zurück815. 2.5.5. Terminologisch, methodisch und inhaltlich weiterführende Aspekte Diese Ausführungen mochten im einzelnen noch so angreifbar und revisionsbedürftig sein. Via negationis nahmen sie in vielerlei Hinsicht zentrale Thesen und Anliegen von Barge vorweg. Zuvorderst beschränkte sich Jägers Studie nicht auf eine schlichte Wiederholung etablierter Topoi konfessioneller Polemik, sondern suchte diese quellenkritisch zu fundieren. Ein historistisches Objektivitätsideal816 ist bei Jäger noch nicht in der Intensität zu greifen, die Barge später einfordern sollte. Doch ein kritischer Ansatz ist der Jägerschen Monographie eigen. Jägers Hauptthesen zur Verhältnisbestimmung zwischen Luther und Karlstadt beantwortete Barge 1905 mit den korrespondierenden Gegenthesen, während die kirchengeschichtlichen Opponenten Barges seit 1906 für Positionen eintraten, die denjenigen Jägers zumindest strukturell entsprachen817. Auch wenn weder hier noch dort auf Jäger rekurriert wurde, führte der Widerspruch gegen Barge zwangsläufig zu einer Jäger vergleichbaren Thetik. Die Verbindungslinien zwischen Jäger und Barge werden terminologisch darin am deutlichsten, daß Barges titelgebende Rede von Karlstadts „Puritanismus“ bereits bei Jäger angelegt ist818. Auch Barges ekklesiologische Betonung eines „Gemeindechristentum[s]“ hatte schon bei Jäger eine ähnliche Akzentuierung gefunden. In größerer Nähe zu den angelsächsischen Klassifizierungen kirchlicher Organisationsformen sprach Jäger von dem „independentischen Grundzug“ in Karlstadts Gemeindeverständnis.819 Ein zentrales Hauptkapitel, das Jäger abgelöst von äußeren Ereignissen aus Karlstadts persönlicher und publizistischer 814
Ebd., S. 371, Anm. *. Klage über eine hohe Anzahl von Druckfehlern in seinen Texten quittierte Jäger mit dem Hinweis, ebd.: „Eine so bedeutende Textentstellung, wie sie Carlstadt hier behauptet, habe ich in der sehr großen Anzahl von Originaldrucken, die ich gelesen, nirgends gefunden.“ Die Argumentation ist wenig stichhaltig, da Jäger – im Unterschied zu Karlstadt – keinerlei inhaltliche Anhaltspunkte für mögliche Druckvorlagen haben konnte. 816 Ebd., S. IV: „der Verfasser [hofft] einen Beitrag geliefert zu haben zu Gewinnung einer vom Streit kirchlicher Parteien nicht zu erschütternden Grundlage fester historischer Thatsachen, welche immer das beste Mittel ist, solchen Streit auf die Punkte zu confiniren, auf die er seiner Natur nach gehen darf und gehen muß. Da der Verfasser wünschte, der widerstreitenden Auffassung kirchlicher Parteien mit authentischen Zeugnissen und sicheren Thatsachen gegenüberzutreten, […] hat der Verfasser […] sich bemüht, […] so vollständige Auszüge mitzutheilen.“ 817 Besonders gilt dies für die zeitliche und argumentative Priorisierung Luthers, die das Gros der im nachfolgenden Hauptkapitel geschilderten Kontroverse ausmachen sollte. 818 S. hierfür das oben mit Anm. 811 ausgewiesene Zitat des Haupttextes sowie Jäger, Carlstadt, S. 405: „Dieser Puritanismus wendet sich aber auch noch speciell gegen die Heiligen= und Engelfeste“. 819 Ebd., S. 409. 815 Karlstadts
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
119
Entwicklung gebildet hatte, galt „Carlstadt als ‚Neue[m …] Lai‘ und mystische[m …] Schriftsteller“820. Bereits hier trat in den Vordergrund, was Barge später als „laienchristliche[s]“ Element in Karlstadts Theologie bezeichnen sollte.821 Im gleichen Zug gilt es, den grundlegenden fachlichen Unterschied zwischen Jäger und Barge zu betonen. Barge schrieb als Historiker, Jäger als Dogmatiker. Sein Vorgehen war – wie in den gebotenen Bestimmungen der Mystik oder der Religion – deduktiv, indem er allgemeine Grundformen eines Phänomens charakterisierte, bevor er diese am historischen Beispiel illustrierte. Sein erklärter Anspruch war es, für „Theologen und Historiker“822 zu schreiben; bisweilen nahm er sogar Sprachhistoriker in seinen Adressatenkreis auf.823 Vor allem suchte er aber Dogmengeschichtler824 und Dogmatiker als Leser für seine Arbeit zu gewinnen. Augenfällig wird dies an der einzigen Indizierung des Buches, der nachgestellten Sachrubrizierung eines „Dogmatische[n …] Register[s]“825, und der einleitenden Erklärung, daß für Karlstadt ein „dogmatische[s …] System“ nicht „[ge]geben“ werden könne, weil er über „ein eigentliches System […] nicht“826 verfügt habe. Der Ansatz des Historikers zeigt sich in der Quellenarbeit. Für diese hatte Jäger ausschließlich auf gedruckte Quellen rekurriert, die er in Tübingen und Stuttgart einsehen konnte.827 Weitere Leihgaben oder Abschriften erhielt er „durch die gütige Vermittlung des Herrn Prof. Auberlen aus Basel“, den er aus gemeinsamen Tübinger Studien‑ und Stiftsjahren gekannt haben dürfte.828 Die einzigen Handschriftenfunde „erhielt“ Jäger – möglicherweise auch durch Auberlen – erst, nachdem schon die erste Hälfe des Buches gesetzt war829. Jäger 820
Ebd., S. 300 (Kap. VIII.). s. dazu das folgende Hauptkapitel. Für Barges Vorgänger einschlägig ist Jäger, Carlstadt, S. 152 f.; bei allen Abhängigkeiten von Luther wird hier Carlstadt eine gewisse „Eigenthümlich[keit]“ konzediert. 822 Ebd., S. [III]. 823 Ebd., S. 326, Anm. *: „Diesen ganzen Passus theile ich deßhalb mit, weil er vielleicht den deutschen Philologen noch unbekannt und als ein Zeugniß von den Dialektdifferenzen und dem Wörterschaz der verschiedenen Dialekte jener Zeit von Werth sein dürfte.“ Zu Beginn seiner abgebrochenen Aufsatzsequenz betonte Jäger diese Verbindung sehr deutlich, Jäger, Bodenstein 1, S. 233: „Ich fand nun bei genauerem Studium dieser Quellen manches für den Theologen und Literaturhistoriker nicht Unwichtige“. 824 So verspricht Jäger ebd., S. IV: „manche interessante Ausbeute für den Dogmenhistoriker“. Auch das nachgestellte Register gelte vor allem „dem Dogmenhistoriker“, ebd., S. VI. 825 Ebd., S. 519–521. 826 Ebd., S. V. 827 Ebd.; s. zudem Jäger, Bodenstein 1, S. 233. 828 Jäger, Carlstadt, S. V; vgl. dazu in vergleichbarer Weise Jäger, Bodenstein 1, S. 233. Daß Auberlen ein Studienfreund von Jäger war, ist überaus wahrscheinlich. Auberlen war als Student seit 1841, zwei Jahre vor Jäger, im Tübinger Stift. Zudem war er einer von Jägers Amtsvorgängern als Stiftsrepetent, als der er bis 1851 fungierte. Zu den beiden Daten s. Fabri, Art. Auberlen, S. 215 f. (DBA, T. 2, Fichenr. 46, S. 209 u. 211). 829 Jäger, Carlstadt, S. 506, Anm. *: „Die hier folgenden Beilagen erhielt ich erst, nachdem der Druck des Buchs mehr denn zur Hälfte vollendet war […]. Die Briefe sind handschriftlich 821 Ausführlich
120
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
integrierte sie nicht in den Haupttext830, sondern bildete einen materialen Anhang. Der Hinweis auf die Zürcher Bestände831 hat deshalb keinen geringeren Wert. Fünfzig Jahre später sollte Barge, ohne jede Erwähnung der Erstanzeige durch Jäger, erklären, seine wichtigsten Archivalien im Ernestischen Gesamtarchiv Weimar und in der Zürcher „Collectio Simleriana“ aufgefunden zu haben.832 Für die gedruckten Werke Karlstadts bildeten die von Jäger konsultierten Bibliotheksbestände eine erstaunlich gute Grundlage. So konnte er in Tübingen wie selbstverständlich die beiden scholastischen Frühwerke Karlstadts einsehen833, die selbst bibliophilen Sammlern und Antiquaren des 17. und 18. Jahrhunderts oft nur namentlich bekannt waren. Auf Grundlage dieser glücklichen Konstellation wurde auch Gustav Bauch vierzig Jahre später dazu angeregt834, die von Jäger nur knapp angezeigten Schriften inhaltlich zu erschließen. Seine eigenen bibliographischen Referenzen beschränkte Jäger auf Kurztitel, die nicht eigens aufgelöst wurden. Erkennbar ist, wie gezielt Jäger die älteren Vorarbeiten und gedruckten Materialsammlungen zu Karlstadt konsultiert hatte. Demnach rekurriert er – in einer chronologischen Anordnung der betreffenden Autoren – auf Scultetus835, Löscher836, Thomasius837, Müller838, Riederer839, Strobel840 und Köhler841. Für die von Olearius veröffentlichten Karlstadt-Briefe an Spalatin griff er auf die in ihren Anmerkungen leicht erweiterte Ausgabe von Gerdes842 zurück. An kritischen Editionen arbeitete er mit Walch843, den beiden ersten Bänden des „Corpus Reformatorum“844 und de Wettes Luther-Ausgabe845. In philologischer Hinsicht bewegte er sich damit auf der Höhe der Zeit, die – drei Jahrzehnte vor der Begründung der Weimarana – gleichwohl in eine andere Ära fällt als diejenige, der Barge zwei Jahrzehnten nach Beginn jener intensiven editorischen Erschließung Luthers angehörte. Auffällig ist, wie scharf auch Jäger in der Simlerischen Sammlung [in Zürich] zu finden.“ Die dort verfügbaren Carolostadiana umreißt Jäger ebd., S. 504, Anm. *. 830 S. hierzu Jäger, Carlstadt, S. VI: „Endlich muß ich den Leser um Entschuldigung bitten, daß ich in einem Anhang Einiges nachliefere, was im Text nicht mehr benüzt werden konnte“. 831 S. dazu oben Anm. 829. 832 Barge, Karlstadt, T. 1, S. VII. 833 S. hierfür Jäger, Carlstadt, S. 1–3. 834 Bauch, Carlstadt. 835 Vgl. u. a. Jäger, Carlstadt, S. 51 (diese und die nachfolgenden Seitenangaben ließen sich gewiß erweitern, genügen hier jedoch als Tendenzangaben). 836 Ebd., S. 1, 3, 6 f., 11, 14–17, 19–22, 24, 26, 37, 47, 53, 93. 837 Ebd., S. 9, 207. 838 Ebd., S. 5. 839 Ebd., S. 7, 17, 34, 42, 202, 207, 216, 262, 310. 840 Ebd., S. 253 f., 257, 498. 841 Ebd., S. 2, 173, 219. 842 Ebd., S. 11, 69. 843 Ebd., S. 25, 68. 844 Ebd., S. 41, 54, 176, 187, 205, 220, 228 f., 254, 257, 259, 289, 298 f., 302, 426, 448. 845 Ebd., S. 19, 33, 50, 55, 67, 139, 299, 417, 427.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
121
sich von seinen unmittelbaren Vorgängern in der Karlstadtforschung abgrenzte. Erbkam, an dessen vorzüglichen Heuristik Jäger anschließen konnte, warf er ähnliche Mängel vor846, wie sie Barge ihm später vorhalten sollte; und auch Credners Edition von „De canonicis scripturis“ wurde von Jäger vernichtend kritisiert847. In einer Barge vergleichbaren Weise richtete sich der kritische Impetus von Jäger besonders gegen die kurz zuvor erschienene Forschungsliteratur. Von Hases 1854 gedruckter Studie „Karlstadt in Orlamünde“ hatte Jäger keine Notiz genommen.848 Dies dürfte dem außerhalb Sachsens als eher entlegen anzusehenen Publikationsort geschuldet sein. Hinzu kommt, daß bis zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Karlstadt-Beiträge erschienen waren, die auf Hase hätten rekurrieren können. Jägers Lücke illustriert somit eher die aufwendigen Rezeptionswege, die im Kontext der Zeit vorauszusetzen waren, als ein bibliographisches Versäumnis. Inhaltlich hatte Jäger eine Vielzahl neuer Ergebnisse aufzubieten. Exemplarisch hervorzuheben sind zumindest einzelne Punkte. Dazu zählt die Frühdatierung der Kontroverse zwischen Luther und Karlstadt um die kanonische Dignität des Jakobusbriefes von 1520 ins Vorjahr mit den „Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis“849. Quellenkritisch sind Umdatierungen einzelner der von Olearius edierten Karlstadtbriefe aufzuführen.850 „De canonicis scripturis“ unterzog Jäger einem ansatzweisen Textvergleich mit der späteren volkssprachlichen Fassung.851 Als erster stellte er genetische Überlegungen zur Wittenberger „Gemeindeordnung“ an, indem er Carlstadts „Von abtuhung der Bylder“ in den zeitlichen Kontext einbezog.852 Barges stärkster Textbeleg für seine Spätdatierung der schließlich aufgefundenen Beutelordnung basierte auf dieser Kombination, während die Forschung nach Barge dieses Argument nicht aufgreifen, in ihren Ergebnissen aber – wie zu zeigen sein wird853 – strukturell die Positionen Jägers wiederholten sollte. Zugleich hatte Jäger begonnen, das publizistische Gesamtwerk Karlstadts quantifizierend zu klassifizieren. So konnte er – fünf Jahrzehnte vor der Wiederentdeckung des Augustin-Kommentars durch Barge – die Schrift „De canonicis scripturis“ aufgrund ihres Umfanges 846 S.
dazu oben Anm. 806. hierfür ebd., S. 93, Anm. *. Im Unterkapitel zu Credner wurde oben die Berechtigung der Beschuldigungen überprüft, s. dazu die Anm. 244–250. 848 S. hierfür das unmittelbare Vorkap. 849 Jäger, Carlstadt, S. 93, Anm. *. Zuletzt zu druckgeschichtlichen Fragen des Luthertextes: Spehr, Konzil, S. 167 f., Anm. 273. 850 Jäger, Carlstadt, S. 141, Anm. *. 851 Ebd., S. 116, Anm. *; S. 122, Anm. *; S. 124, Anm. *; S. 126, Anm. *; S. 127, Anm. **. Das methodische Vorbild hierfür dürfte Erbkam, Geschichte, S. 119 f., gewesen sein. 852 Vgl. hierfür Jäger, Carlstadt, S. 261–276. 853 Vgl. zu dem Abschluß der Diskussion unten im Kap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse das Unterkap. 2.5.15. Pallas’ Edition der Beutelordnung und der Aufschluß über Nikolaus Müllers Nachlaß (1915). 847 Vgl.
122
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
als „Carlstadts Hauptwerk“854 bezeichnen. Tendenzen einer von inhaltlichen Kritierien abgelösten formalisierenden Beschreibung des Karlstadtschen Publikationsprofils bietet auch seine Entdeckung einzelner literarischer „Pause[n]“855. Ohne jede Referenz auf Jäger übernahm Barge sowohl den Begriff als auch den beschriebenen Umstand856, und von Barge ließ sich Alejandro Zorzin 1990 dazu anregen857, „Publikationspausen“ im „literarischen Werk Karlstadts“ zwischen 1518 und 1525858 zu identifizieren. Auch Karlstadts bis 1988 als verloren geltender und seitdem kontrovers diskutierter859 Beitrag zur Tauffrage zeichnete sich zumindest als ein Indikator thematischer Interessen auf dem heuristischen Problemhorizont von Jäger860 ab. So deutlich Jäger tradierte Topoi aus der gegen Karlstadt gerichteten Polemik übernahm861, so konsequent bemühte er sich um deren quellenkritische Fundierung. Auf innovative Weise lösten sich davon Beobachtungen und Bezeichnungen, die in Richtung kirchensoziologischer Typisierungen religiöser Phänomene und formalisierender Klassifizierungen der Karlstadtschen Publizistik wiesen. 2.5.6. Einzelne Reaktionen auf Jägers Monographie Weder von Barge noch von Zeitgenossen erhielt Jäger angemessene Anerkennung. Das Potential zu einer eigenen Karlstadt-Luther-Kontroverse bot die Monographie von 1856 nicht: Eine Konfrontation der beiden Protagonisten miteinander hatte die Studie zwar gesucht, aber in einer konsequenten Distanz zu Karlstadt geschildert. Dem widersprechen konnte nur eine positionell oder programmatisch für Karlstadt eintretende Forschung, und diese gab es im Kontext der Zeit nicht. Einen Ansatzpunkt dazu hätten allenfalls die frühen Arbeiten 854 Jäger, Carlstadt, S. 92. Daß Jäger die Schrift nicht aus inhaltlichen, sondern aus formal quantifizierenden Kriterien entsprechend einschätzte, erhellt ebd., S. 145: „Carlstadt [begann] die Abfassung der Schrift von päpstlicher Heiligkeit […]. Sie ist verhältnißmäßig umfangreich (nächst der Schrift über den Canon eine der größten Schriften Carlstadts, sie umfaßt 66 Seiten im Quart)“. 855 Zu dem Begriff s. ebd., S. 172, Anm. *, sowie ebd., S. 300: „Auch seine schriftstellerische Thätigkeit pausierte fast ein ganzes Jahr.“ In einer inhaltlichen Weiterführung s. ebd., S. 369: „Mit dieser Schrift [von 1523] begann nun Carlstadt auf’s Neue öffentlich in gedruckten Schriften seine Ansichten geltend zu machen.“ 856 Vgl. hierzu u. a. Barge, Karlstadt, T. 1, S. 244: „Daß eine Ruhepause in Karlstadts literarischer Tätigkeit […] eintrat, ist nicht zufällig.“ Mit ausdrücklicher Hervorhebung dieses Umstandes s. das Inhaltsverzeichnis des betreffenden Bandes, ebd., S. X. 857 Im Gespräch (am 24. Oktober 2012) erinnerte sich Alejandro Zorzin, von einer Bemerkung Barges für den Sachverhalt sensibilisiert worden zu sein. 858 Vgl. hierfür grundlegend Zorzin, Karlstadt, S. 85. 859 Zu dem Gesamtkomplex s. den zusammenfassenden Beitrag von Zorzin, Diskussion. 860 Jäger, Carlstadt, S. 464, Anm. *. 861 So verwies Jäger u. a., ebd., S. 418, auf Karlstadts „alttestamentlich=gesetzliche[n] Standpunkt“, dessen, ebd., S. 128: „unevangelische[n …], gesetzliche[n …], biblische[n …] Radicalismus“, oder, ebd., S. 369, „schwärmerischen Geist“.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
123
von Max Goebel bieten können, doch hatte sich dieser selbst von seinen anfänglichen Thesen entfernt. Dennoch wurde Jägers Buch nicht nur positiv aufgenommen. Dies illustrieren zwei anonyme Rezensionen von 1857 und 1858. Die erste erschien am 22. Februar 1857 im „Literarische[n …] Centralblatt für Deutschland“.862 Sie hob Jägers „Fleiß“863 hervor und bemühte sich, die „gegenwärtige Schrift als eine Materialsammlung für eine künftige Monographie über Carlstadt [zu] betrachten“864, wobei unterschiedliche Ausarbeitungsgrade des gebotenen Materials diagnostiziert wurden. Als „eine der beachtenswerthesten und auch der äußeren Form nach am meisten durcharbeiteten“ „Darstellung[en]“ wurde die Diskussion um die „Autorität des Bibelcanons“ gewürdigt.865 Auch weitere Abschnitte wurden als „interessante Ergänzungen der bisherigen Darstellungen“866 empfohlen. Im ganzen folgte aber das vernichtende Urteil, „daß es dem Verf.[asser] nicht möglich geworden ist, seinen Stoff zu bewältigen und dem Leser ein übersichtliches Bild von Carlstadt’s eigenthümlichen Anschauungen zu verschaffen. Was uns geboten wird, ist fast nichts, als das rohe Material, hie und da mit dankenswerthen Erläuterungen, noch öfter freilich mit polemischen, nicht selten ziemlich geschmacklosen, Glossen, Ausrufungszeichen u.s.w. durchwebt.“867
Jägers grundsätzliche Ablehnung von Karlstadt habe ein differenziertes Gesamtbild verhindert.868 Dazu hätte gehören müssen, so gibt der Rezensent zu erinnern, daß „der Gegensatz gegen das Carlstadt’sche Treiben doch auch andererseits die Luther’sche Reformation seit den Wittenberger Stürmen zu unbedingterer Unterordnung unter die Autorität des geschriebenen Buchstabens genöthigt, als in dem ursprünglichen Reformationsgedanken gelegen war, und somit die ungetrübte Anerkennung des in der bekämpften Richtung enthaltenen Wahrheitselements gehindert“869
habe. Was in Ansätzen870 an den zehn Monate später verstorbenen Goebel erinnern mochte, wurde abschließend um einen Hinweis ergänzt, der dem Thema von Erbkam korrespondierte: „namentlich die Mystik Carlstadt’s [hätte] ganz 862 Anon.,
Rez. Jäger 1857. Sp. [113]: „Mit anerkennenswerthem Fleiße“, ebd., Sp. [114]: „trotz des großen, auf das Studium seiner Schriften verwendeten, Fleißes“. 864 Ebd., Sp. [113]. 865 Ebd., Sp. [114]. 866 Ebd. 867 Ebd. 868 Ebd. 869 Ebd., Sp. [115]. 870 Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen auf der Hand: Die Betonung von Luthers reaktiven und reaktionären Verhaltens auf die Vorstöße von Karlstadt hatte Goebel ebenso betont wie das daraus resultierende Profil einer „Luther’schen Reformation“. Gerade das Schriftprinzip hatte Goebel aber in einer konsequenteren Verwirklichung bei Karlstadt gesehen – und nicht bei Luther. 863 Ebd.,
124
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
anders gewürdigt werden müssen, als dies von Jäger geschehen ist“871. Denkbar ist, daß der Beitrag von Erbkam stammt; in jedem Fall dürfte der Rezensent sowohl mit Goebels als auch Erbkams Studien zu Karlstadt bekannt gewesen sein. Die zweite Rezension folgte 1858 in der „Protestantische[n] Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland“.872 Ausführlich gewürdigt wurde zwar der lebens‑ und werkgeschichtliche Ertrag der Studie sowie Jägers „fleißige Genauigkeit, welche uns Carlstadts Schrifen durch die reichsten Auszüge zugänglich gemacht hat.“873 Als konzeptionell mißglückt sah der Rezensent aber die Materiallastigkeit des Darstellungsformates an. Gewünscht hätte er sich eine biographische oder dogmatische Fokussierung, die für theologische Fachvertreter und einen breiten Leserkreis, kurz: „für einen ehrlichen Christenmenschen“874, besser lesbar gewesen wäre. Zugleich bemängelte der Referent, daß Jäger ein zu einseitiges Negativbild gezeichnet habe: „Es wird wenige geben, die sich für Carlstadt begeistern können; aber man erwartet nicht, daß jemand die Biographie eines Mannes schreibt, den er verächtlich findet. Carlstadt ist durchweg im ungünstigsten Lichte dargestellt, nicht selten gehässig. Seinem Biographen hat Carlstadt nichts recht gemacht“.875
Geradezu invertiert findet sich sogar der Einwand, den Kawerau später gegen Barges positive Aufwertung von Karlstadt876 ins Feld führen sollte: „die Darstellung Jägers ist Apologie Luthers und oft ungerechte Anklage gegen Carlstadt“877. Vernichtend ist auch das Schlußurteil: „sein dogmatischer Standpunct hat ihm alle unbefangene Würdigung fremder Individualität unmöglich gemacht, und dem Werk etwas von dem Character einer Parteyschrift gegeben.“878 Eine eigentümliche Paradoxie spiegelt sich darin wider, daß der erklärte Karlstadt-Kritiker Jäger während der nachfolgenden Jahre und Jahrzehnte in mancherlei Hinsicht positionelle Annäherungen an Karlstadt vollzog. Bereits erwähnt wurde879, daß der „Karlstadt-Jäger“, wie man den Autor der ersten theologischen Karlstadt-Monographie in Anlehnung an die Beinamen seiner Brüder bezeichnen könnte, seiner Folgestudie ein nicht ausgewiesenes Karlstadt-Zitat als Motto voranstellte. Die Aufsätze der beiden nächsten Jahrzehnte könnte man durchaus in einen Karlstadt nicht unähnlichen Entwicklungsbogen von der Wissenschaftstheorie zur Wissenschaftskritik einordnen880. Als Dekan trat er 871 Anon.,
Rez. Jäger 1857, Sp. [115]. Rez. Jäger 1858. 873 Ebd., Sp. 91. Als eine zusammenfassende Würdigung der wesentlichen Inhalte der Studie ließen sich ebd., Sp. 88–90, lesen. 874 Ebd., Sp. 91. 875 Ebd. 876 Vgl. dazu das folgende Hauptkapitel II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse, Anm. 514. 877 Anon., Rez. Jäger 1858, Sp. 91. 878 Ebd., Sp. 92. 879 S. dazu oben Anm. 696. 880 Als wissenschaftstheoretisch ließen sich die frühen Aufsätze verstehen; für einen gewis872 Anon.,
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
125
schließlich sogar – Karlstadts Positionen der frühen zwanziger Jahre in Teilen vergleichbar – den Bemühungen eines zeitgenössischen Künstlers, „Gott Vater bildlich darzustellen“, als „ungehörig“881 entgegen. Der Entwurf des schwäbischen Genremalers Jakob Grünenwald für ein Fresko in der Tuttlinger Stadtkirche scheiterte 1881 an diesem Protest und blieb unausgeführt.882 Als Jäger 1897 in Pension ging883, hatte Barge, wie im nächsten Hauptkapitel wahrscheinlich zu machen sein wird, mit seiner Arbeit zu Karlstadt noch nicht begonnen. In einer merkwürdigen Gleichzeitigkeit überschnitten sich seit 1898 Barges frühe Karlstadt-Studien mit den letzten Lebensjahren von Jäger, die er im Altersruhesitz in Kirchheim unter Teck bis zu seinem Tod am 29. August 1903884 verbrachte. Ungeachtet der späteren Kritik von Barge und der skeptischen Reaktionen von Zeitgenossen war Jägers Buch bis 1905 die monographische Standardreferenz zu Karlstadt.885 Dies läßt sich für eine theologische Studie von 1897 aufzeigen886; aber auch einer der renommiertesten Tübinger Historiker des aussen Endpunkt s. den Aufsatz von 1875 Jäger, Systematik, S. 206: „Die Zahl der Menschen, welchen die Wahrheit und das ernstliche Streben nach immer tieferem Eindringen in die Geheimnisse der göttlichen Lebensoffenbarung ein Heiligthum ist, war von jeher in den Kreisen der Theologen eine Minderheit, welche sich zu wehren hat nicht bloß gegen den brutalen Dogmatismus herrschsüchtiger Kirchenpolitiker, sondern auch gegen den auf den Geschmack des Pöbels und der Halbwelt speculirenden Cynismus der Negativen. Dieses Kreuz zu tragen, darf man sich nicht scheuen und es ist das kein Schaden: es kommt die Stunde, wo die Machtansprüche der Hierarchen und die frivolen Witze ihrer Antipoden lahm sein werden; dann soll die Gemeinde im Kreise der Theologen noch ein Häuflein ehrlicher Leute auf ihrem Posten ausharrend finden, sie wird froh an ihnen sein und an der Arbeit, welche sie inzwischen besorgt haben. So ist’s bisher noch immer gegangen und so wird’s auch künftig gehen.“ 1887 vgl. Jäger, Davididen, S. 65: Seit der zunächst von Judenchristen vertretene „theokratisch= zentripedale Zug Gemeingut aller christlichen Kreise geworden war […,] besteht in der christlichen Kirche ein nie ganz zu unterdrückendes Mißtrauen sowohl gegen jede, die Pflicht und das Bedürfnis gliedlicher Einordnung ins Ganze der Christenheit außer Acht lassende Fortschrittsbestrebung, als gegen kastenartig sich der Gemeinde gegenüber stellende kirchliche Zunftherrschaft.“ Vergleichbare Abgrenzungen gegen den „altersschwachen Scholasticismus einer in den Schranken formalistischer Forschungsmethode befangene Zunftwissenschaft“ bietet 1882 auch Jäger, Bösen, S. 267; positionell weiterführend tritt er hier aber für die Verbindung „eine[r] lebenskräftige[n] Theologie und Philosophie [… ein], die Ergebnisse logischer Zergliederung der Vorstellungen und Begriffe in Vergleich […] mit dem [stellt], was unsere fünf Sinne uns lehren.“ 881 Erwähnt wird dies von Scheible-Schober, Genremaler, S. 176, im Kommentar zu F. 2: „Entwurf für ein Wandgemälde der ev. Stadtkirche in Tuttlingen“. 882 Ebd. 883 Sigel, Generalmagisterbuch, S. 18. 884 Ebd. 885 Durchaus bescheiden äußerte sich Jäger dazu am 31. Januar 1865 im handschriftlichen Lebenslauf seiner Bewerbung um das Dekanat von Münchingen, LKA Stuttgart, A 27 Bü 1468, Nr. 29, Bl. 1v, in dem er erwähnte, „zwei eingehende Monographien [veröffentlicht zu haben], die eine kirchengeschichtlicher Art, die andere in die systematische Theologie einschlagend, […] welche jezt noch gebraucht werden“. 886 S. hierfür besonders Nathusius, Ideen; für weitere Hinweise zu dieser Studie s. das folgende Unterkapitel 3.2.
126
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
gehenden 19. Jahrhunderts, Dietrich Schäfer, rühmte Jägers Monographie 1892 als „treffliche Arbeit“ und nahm sie gegen die „direkte Polemik“ eines kirchengeschichtlichen Kollegen in Schutz887. Bei allem Revisionsbedarf im einzelnen würdigte schließlich die bis heute wichtigste Studie zu „Andreas Carlstadt als Scholastiker“ von Gustav Bauch 1898 das „fleissige Buch von C. F. Jäger“888.
2.6. Eugen Labes’ Jenaer Stipendiatenrede „De Carolostadio“ (1861) und dessen Plan einer Karlstadt-Edition (1864) In einem einzigen bibliothekarisch erfaßten Exemplar hat sich eine Veröffentlichung von 1861 erhalten, die „De Carolostadio“ überschrieben ist.889 Der in Jena verlegte und in der dortigen Landes‑ und Universitätsbibliothek unter den theologischen Dissertationen aufbewahrte lateinische Text890 umfaßt 28 Druckseiten. Ein zusätzliches Titelblatt weist den theologischen Baccalaureus „Eugenius Labes“ als Autor aus. 2.6.1. Lebensgeschichtliche Hintergründe der Stipendiatenrede (bis 1861) Der Name Labes ist aus kirchenamtlichen Funktionen in der Superintendentur Weimar vertraut. 1801 investierte Johann Gottfried Herder als Generalsuperintendet von Sachsen-Weimar einen Adjunkten Labes in Niederroßla891. An der Weimarer Garnisonskirche hatte ein weiterer Familienangehöriger zwanzig Jahre zuvor gewirkt, bevor dieser in eine Pfarrstelle auf dem Land wechselte892. Robert Justus Eugen Labes, der Autor der Karlstadt-Schrift von 1861, wurde am 19. April 1834 in ein Weimarer Landpfarrhaus geboren.893 Sein Vater war
887 Vgl.
hierfür unten Anm. 968. Zu Schäfer s. unten Anm. 966. hierfür Bauch, Carlstadt, S. 37. 889 Labes, Carolostadio. Archivalisch ließ sich ein zweites Exemplar im UA Jena, Bestand M, Nr. 381, unter der Bl.-Zählung 126 identifizieren. 890 Vgl. hierfür die Signatur: „8 Diss. theol. 68 (6)“. 891 Zu den genaueren Angaben s. Kessler, Klassiker, T. 1, S. 165; T. 2, S. 704. 892 Vgl. hierzu ebd., T. 1, S. 139, 164. 893 Für den Geburtstag und ‑ort Anon., Art. Labes 1913, S. 158. Die Auflösung der Vornamen folgt den Matrikel[n], Leipzig, S. 412, und findet – wie auch das Geburtsdatum – Bestätigung durch das Album, Kloster Roßleben, S. 116, Nr. 1402. Aus der späteren Selbstangabe „Sohn des Pastor Labes in Nohra (S=Weimar)“, Stadtschule Rostock, 1868, S. 17, ergibt sich, daß er ein Sohn des Pfarrers Christian Wilhelm Heinrich Labes gewesen sein muß, der verzeichnet wird im Staats-Handbuch, Sachsen-Weimar-Eisenach 1835, S. 211, und dem nächstfolgenden Staats-Handbuch, Sachsen-Weimar-Eisenach 1840, S. 244. Geburtstag und Geburtsort, nicht aber die eigenen Vornamen oder diejenigen des Vaters, bietet der handschriftliche Lebenslauf von Labes im Zuge seines Jenaer Promotionsverfahrens im UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 130r–131v; hier: Bl. 130r. 888 S.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
127
Pastor in der Gemeinde Nohra894, die fünf Kilometer westlich von Weimar liegt. Im nächstgelegenen Ort Ulla war fünf Jahrzehnte zuvor Wilhelm Martin Lebe recht de Wette im benachbarten Pfarrhaus zur Welt gekommen.895 Die Bildungs‑ und Berufswege der beiden Landeskinder weisen aufgrund ihrer vergleichbaren sozialen Hintergründe mancherlei Parallelen auf. Beide absolvierten das Weimarer Wilhelm-Ernst-Gymnasium896, beide studierten in Jena897, Labes zudem in Leipzig898, und beide wurden an der Salana promoviert899. Im Vor‑ bzw. Nachfeld ihrer Promotionen erfuhren auch beide die Förderung des Lynckerschen Stipendiums. Dieses war von dem 1726 verstorbenen Jenaer Juristen Christoph 894 S. Stadtschule Rostock, 1868, S. 17: „Sohn des Pastor Labes in Nohra (S=Weimar)“, was der knappen handschriftlichen Selbstauskunft im UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 130r, vergleichbar ist: „Eugen Labes, Sohn des Landpfarrers Labes, ward in Nohra bei Weimar geboren“. 895 Vgl. hierfür knapp Smend, Alttestamentler, S. 40. Zu den lokalen Bezügen s. Kessler, Klassiker, T. 1, S. 138. Nach wie vor grundlegend zu de Wette ist Smend, de Wette. Zur Vorgeschichte dieser Basler Dissertation und der davon ausgehenden „zweiten de Wette-[…] Renaissance“ s. Kessler, Wissenschaftsförderung, hier: S. 35. 896 Für de Wette ist hier und in den folgenden Ausführungen nur summarisch auf die Referenzen in der Voranm. zu verweisen. Für Labes s. Stadtschule Rostock, 1868, S. 17. Zur Geschichte der Einrichtung s. Francke, Weimar. Labes hatte zudem zeitweilig die Schule im Kloster Roßleben besucht; s. hierfür Album, Kloster Roßleben, S. 116, Nr. 1402. Labes’ Selbstauskunft hält dies ebenfalls fest: UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 130r: „Den ersten Unterricht empfing er vom Vater, kam leidlich vorbereitet auf die Klosterschule Rosleben, mit deren Lehrer er stets noch als er die Schule verlassen im freundlichen Verkehre blieb. Da er weimarisches Landeskind war, machte er das Abiturientenexamen auf der Schule zu Weimar, wo er zuvor noch ein Jahr die Oberprima besucht und besonders von H.[ermann] Sauppe, dem derzeitigen Director, eine Anregung erhielt.“ 897 Zu Labes s. die Selbstauskunft im UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 131v: „In Jena trieb er außer der Theologie philosophische und literarische Studien, angeregt durch Professor Kuno Fischer, historische Studien unter der Leitung von Professor Adolf Schmidt. Nach 1 ½ Jahren bestand er dann die theologische Staatsprüfung“. 898 S. hierfür Blecher/ Wiemers, Matrikel, S. 412. Labes Selbstauskunft erklärt dies aus familiären Verbindungen, UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 130v, 131v: „Zwei Jahre besuchte er die Universität Leipzig, welche er auf Wunsch seiner Eltern wählte, weil er in seinem Onkel Superintendent Großmann daselbst einen väterlichen Freund fand, der das Studium des jungen Studenten leitete und ihm ein Vorbild für Wissenschaft und Leben blieb. Außer der theologischen Fachwissenschaften trieb er daselbst vorzüglich Philologie, nebst Literatur und Archäologie; in das Studium der letzteren war Herr Auerbach ein erwünschter Führer.“ Großmann dürfte als Christian Gottlob Leberecht Großmann zu identifizieren sein, der heute für seine Gründung des Gustav-Adolf-Vereins am bekanntesten sein mag; zu ihm s. Müller, Art. Großmann (DBA, T. 2, Fichenr. 484, S. 303 f.). Großmann war – wie de Wette – Anfang des 19. Jahrhunderts Empfänger des Lynckerschen Stipendiums (für dessen Rede s. Grossmann, Oratio), und wird als möglicher Respondent für de Wettes Disputation von 1805 genannt; vgl. dazu Rotter, Großmann, S. 43. Labes’ Wechsel von Leipzig nach Jena dürfte nicht nur mit dem kirchlichen Examen in Weimar bzw. dem theologischen Baccalaureat in Jena zusammenhängen, sondern auch mit dem Tod Großmanns, der 1857 verstarb. 899 Für Labes s. Stadtschule Rostock, 1868, S. 17. Ob Labes in Jena zudem, wie zuvor de Wette, als Privatdozent wirkte, bedarf weiterer Überprüfung, dürfte aber unwahrscheinlich sein. Der Titel wird auf www.blumenorden.de/Mitgliederliste.htm (Zugriffsdatum: 14. September 2013) genannt, fehlt aber in Labes Selbstauskunft: Stadtschule Rostock, 1868, S. 17.
128
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Nikolaus Freiherr von Lyncker begründet worden, der „zwei Stipendien, jedes zu 100 meißnischen Gulden ([1838 im Gegenwert von] 87 Rthlr. 12 Gr.) für zwei Theologie Studirende aus[setzte], die über die gewöhnliche akademische Studienzeit hinaus, die theologische Wissenschaft tiefer erfassen wollen“900. Zu den Pflichten eines der auf drei oder vier Jahre geförderten Landeskinder901 gehörte es, „jährlich am 30. Mai in der akademischen Kirche eine öffentliche lateinische Rede zum Andenken an die Augsburgische Confession über irgend einen beliebigen Gegenstand aus der Reformationsgeschichte in Gegenwart der theolog.[ischen] Facultät zu halten. […] Zum Redeact wird durch ein Programm des Professors der Beredsamkeit eingeladen, die Rede selbst aber auf Kosten des Stipendienfonds gedruckt.“902
De Wette übernahm die Rede 1806, im Jahr nach seiner theologischen Promotion903. Labes gestaltete sie 1861904, nachdem er seit 1859 in Jena als Collaborator im Pfarr‑ und als Lehrer im Schuldienst gewirkt hatte.905 Seine Dissertation in der philosophischen Fakultät folgte gut zwei Jahre auf die Lynckersche Stipendiatenrede vom 30. Mai 1861.906 Für beide dürfte ihre jeweilige Promotion mit dem Lynckerschen Stipendium in Verbindung zu bringen sein. Förderungsziel war es, „einen Grad der theologischen Facultät, mindestens das Baccalaureat 900 Anon., Statistik, S. 163. Als Gründungsjahr benennt ebd. 1734. Baumgart, Stipendien, S. 417 f., differenziert zwischen dem „v. Lynkersche[n …] Stipendium für Theologen“ und demjenigen „für Studirende aller Facultäten“. Ersteres sei „laut Stiftungsbrief vom 26. Juni 1725“, letzteres „laut Vergleich von 1735“ eingerichtet worden. Die oben gebotenen Ausführungen von Anon., Statistik, S. 163, korrespondieren dem von Baumgart zuerst genannten Stipendium, dessen Gründung somit in das Jahr 1725 zu datieren sein dürfte und durch den benannten „Vergleich“ 1735 in zwei Stipendien aufgeteilt wurde. Zwei Stipendien benennt auch Anon., Statistik, S. 163, ist in der Beschreibung des zweiten aber weitaus genauer als Baumgart, der zu diesem so gut wie keine Informationen bietet. Ergänzende Informationen bietet er zu dem ersten und weiß für das Jahr 1885 zu berichten: „Die Einzahlung der Stipendiengelder ist seit mehreren Jahren verweigert und deshalb das Stipendium nicht zu verleihen gewesen; die Schuldner sind verklagt.“ 901 Baumgart, Stipendien, S. 417. 902 Anon., Statistik, S. 163 f. 903 Zur Promotion vgl. zuletzt Mathys, Dissertatio; zu de Wettes Stipendiatenrede s. kurz Rogerson, Founder, S. 62 mit Anm. 2. 904 Den direkten Bezug stellt das Titelblatt her, indem es über die „oratio“ erklärt: „quam in memoriam Augustinae Confessionis e lege beneficii Lynckeriani die XXX. M. Maii hora XI a. MDCCCLXI in templo Paulino academico habuit Eugenius Labes“. 905 Stadtschule Rostock, 1868, S. 17. Ausführlicher ist hierzu die Selbstauskunft im UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 131r, 131v: Nach dem Examen „wurde [er] als Collaborator an der Stadtkirche angestellt und zu diesem Beruf ordiniert. Das Lynkersche Stipendium ermöglichte die Fortsetzung der Studien sowie einen pädagogischen Kursus von 1½ Jahren im Seminar von [… Karl Volkmar] Stoy. Durch die Freundlichkeit [u. a. …] der Herren Fischer [… und] Schmidt […] war es ihm erlaubt […] sich […] am Quell der Wissenschaft noch zu erfrischen auch nachdem er als Student exmatriculiert war.“ 906 Deutlich wird dies aus der Kombination der Selbstangabe, ebd., mit dem Ausweis des Titelblattes von Labes, Carolostadio, das außer dem theologischen Baccalaureus keine weiteren akademischen Titel aufführt.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
129
zu erwerben“.907 Im Falle der Nichterreichung drohte die Rückzahlung der Stipendiengelder.908 2.6.2. Anspruch und Wirklichkeit des Labesschen Beitrages (1861) Bereits über die Schulzeit von Labes, der sich unter den Pseudonymen „P. O. Eta“ und „Max Maisang“909 einen Namen als Dichter machen sollte, heißt es, daß er „häufig Gelegenheit hatte, bei außerordentlichen Festakten sein poetisches Talent zu bekunden.“910 Zwischen Dichtung und Wahrheit bewegt sich auch die Stipendiatenrede von 1861. Der Titel „De Carolostadio“ kann als eine sachlich angemessene Formulierung gelten, die sich in die Reihe der früheren Qualifikationsschriften einfügt: 1708 hatte ihn bereits die Greifswalder Disputation von Vehr911 und 1850 die Göttinger Arbeit von Dieckhoff 912 geboten. Labes’ Anrede der Zuhörer913 dokumentiert die akademische Zielgruppe seines Beitrages. Mit rednerischem Geschick ging Labes einleitend auf mögliche Einwände gegenüber seiner Themenstellung ein.914 Deren Wahl erklärte er einerseits aus Jenaer Lokal‑ und Thüringer Regionalbezügen915, andererseits aus einer günstigen Quellenlage. So habe er, gefördert von leitenden Archivaren in Weimar, Akten einsehen können, die für Karlstadts Lebens‑ und die Orlamünder Entwicklungsgeschichte von Bedeutung seien.916 Motivation zu seiner Arbeit sei nicht etwa das Interesse an einer einseitigen Ehrenrettung917 gewesen, sondern genuine Wahrheitsliebe918 und historischer Gerechtigkeitssinn919. Von dort aus würden sich Korrekturen am etablierten Bild des ketzerischen, ja heidnischen Eiferers ergeben920. Labes’ 907
Baumgart, Stipendien, S. 417. In wörtlicher Entsprechung – und damit wohl aus der Stiftungsurkunde zitierend – dazu s. Anon., Statistik, S. 163. 908 Baumgart, Stipendien, S. 417. 909 Anon., Art. Labes 1936. 910 Anon., Art. Labes 1876 (DBA, T. 1, Fichenr. 729, S. 98). 911 Vehr, Carolostadio. 912 Dieckhoff, Carolostadio. 913 Labes, Carolostadio, S. [3]: „Ordinis theologorum venerabilis decane maxime spectabilis, professores summe venerandi, doctores amplissimi peritissimi commilitones humanissimi!“ 914 Ebd., S. [3], 4. 915 Ebd., S. 4. 916 Ebd.: „Altera, qua permotus sum, caussa erat fontium quaedam opportunitas, qua mihi per viros maxime honorandos, penes quos est huius thesauri custodia, licuit e communi quod Vimariae est tabellario cognoscere litterarum monumenta, quae pertinent cum ad Carolostadii vitam, tum ad eas quas Orlamundae movit turbas.“ 917 Labes weist ebd., S. 5, das Interesse an einer „satisfactio“ zurück. 918 Ebd.: „ratione liberum, quae nullum nisi veritatis habet scopum“. 919 Vgl. hierfür ebd. das semantische Feld von „iustita“, „diiudicandis“, „iudicavit iustitia“ und „iusto iudicio“. 920 Ebd., S. 6: „ante oculos ponere imaginem Carolostadii, qui multis non notus est nisi vir fanaticus et altercator, qui saepissime non iudicatur nisi catharus atque paganus.“
130
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Ausführungen konzentierten sich inhaltlich auf Karlstadts Lebensgeschichte bis zur Orlamünder Zeit. Souverän schilderte er die Entwicklung des Scholastikers zum gefeierten Gelehrten, die Auseinandersetzungen mit Luther und deren Kulminationspunkte im Jenaer Saaletal.921 Abschließend erwähnte er die Ausweisung aus Sachsen und das friedliche Lebensende des in Basel hochgeachteten Mannes.922 Deutlich grenzte sich Labes von Jäger ab. Sowohl im Haupttext923 als auch im Anmerkungsteil924 wies er an zentralen Stellen die Schilderung von Jäger massiv zurück. Gegen die jüngste Karlstadt-Monographie trat er mit eigener Quellen‑ und Archivarbeit an. In diesen zwei Aspekten, der Frontstellung zu Jäger und dem Anspruch auf eigenständige Materialarbeit, erweist sich Labes’ Beitrag indes als hochproblematisch. Als harmlos mag noch gelten, daß Labes mit ausführlichen KarlstadtZitaten arbeitete, die als direkt aus den Quellen geschöpft angezeigt werden925, tatsächlich aber flüchtige926 und fehlerhafte Auszüge927 aus Jägers Monographie darstellen. Biographische Korrekturen, die Labes in chronologischer Hinsicht präsentierte, finden sich gleichermaßen schon bei Jäger.928 Weitaus gravierender ist, daß das inhaltliche Proprium von Labes’ Rede eine Paraphrase der ereignisgeschichtlichen Synthese und edierten Quellen von Hase ist, ohne daß dessen Aufsatz auch nur erwähnt würde929. Bis hinein in die Konzeption und einzelne 921
Ebd., S. 7–30. S. 30. 923 Ebd., S. 11, 24. 924 Ebd., S. 10, Anm. *; S. 11, Anm. *. 925 Vgl. hierfür ebd., S. 7 unten u. S. 8 oben, mit dem Wortlaut von Jäger, Carlstadt, S. 2; vgl. weiter Labes, Carolostadio, S. 10 f., mit Jäger, Carlstadt, S. 2 f.; und vgl. schließlich Labes, Carolostadio, S. 23, mit Jäger, Carlstadt, S. 297. 926 Falsch abgeschrieben wurde alleine die Quellenangabe, Labes, Carolostadio, S. 7, Anm. *. 927 Einschlägig auch hierfür ist der Vergleich der in Anm. 925 angezeigten Texte. 928 Vgl. hierfür Labes, Carolostadio, S. 9, mit Jäger, Carlstadt, S. 222, Anm. *. 929 Nicht als Hinweis auf Hase darf mißverstanden werden die Literaturangabe im Text von Labes, Carolostadio, S. 4: „qua de re vide Mittheilungen der Gesch.‑ und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes Bd. II. S. 33“. Hases einschlägige Studie erschien im vierten Band des Periodikums auf den S. 42–125. Die von Labes hervorgehobene Stelle bietet „Einige Bemerkungen in geschichtlicher und antiquarischer Beziehung, gesammelt auf einer Reise durch den westlichen Theil des Herzogthums Altenburg. Vorgetragen vom Regierungsrath Wagner in der Gesellschaftsversammlung den 18. Dezember 1844“ und hebt den Wert der – für Labes’ Darstellung überhaupt nicht herangezogenen – Orlamünder Archive hervor: „Um so wichtiger aber sind die dortigen Archive und die in denselben aufbewahrten andern Gegenstände. Jedenfalls aber ist es höchst wünschenswerth, daß wohl Untersuchungen in der Oertlichkeit, als in den Archiven dort vorgenommen werden, um die reichen Schätze des Archivs gangbar zu machen und der Landesgeschichte neue Quellen zu öffnen. Schon die Sagen der dortigen Gegend verdienen gesammelt und aufbewahrt zu werden, wie noch so manche dort im Munde der Bewohner sind, von denen ich nur die einen von Luther bei Gelegenheit der Karlstadt’schen Unruhen verfluchten, verschütteten Brunnen erwähne, den man, so nothwendig man dessen auf jener Höhe bedarf, der gemeinen Rede nach noch jetzt nicht wieder zu öffnen wagt.“ 922 Ebd.,
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
131
Formulierungen läßt sich die Abhängigkeit verfolgen.930 Besonders die Schilderung der Jenaer Vorgänge und Luthers Visitationsreise ins Saaletal lesen sich wie eine Zusammenfassung Hases.931 Was nach heutigen Maßgaben ein glattes Plagiat darstellen würde, mochte für Labes – nach den ihm bekannten juristischen Diskussionen – weder den Status des Betrugs noch den einer Fälschung gehabt haben932. Vielleicht wäre es sogar nicht ganz verfehlt, Labes’ sorgsame Inszenierung wissenschaftlicher Eigenleistungen, zu der immerhin der „Professor […] der Beredsamkeit“933 eingeladen hatte, als ein gewagtes rhetorisches Kunststück zu interpretieren. Zwei Jahre später zögerte er aber nicht, die Rede zusammen mit einer weiteren Stipendiatenrede934 als philosophische Dissertation in Jena einzureichen und „auf Ehrenwort und an Eides statt“ zu versichern, „die beiliegende Arbeit […] selbst ohne fremde Hilfe gefertigt zu haben“.935 930 Vgl. hierfür alleine bei beiden den Übergang von der allgemeinen Einleitung zu dem Regionalbezug unter Rückgriff auf eine Samenmetaphorik, die Karlstadt als Keim der verhängnisvollen Entwicklungen illustriert; bei Hase s. oben Anm. 654, bei Labes, Carolostadio, S. 4: „Thuringia enim erat, ut ita dicam, ager, in quo semina, quae iecit Carolostadius radices egerunt et nostra urbs, et ea, quae vicina nobis est Orlamunda, testes fuere motuum, qui orti sunt Carolostadio auctore“. 931 Besonders stark s. hierfür Labes, Carolostadio, S. 27–29, einschließlich der auch bei Hase schon diskutierten Verhältnisbestimmung zu Müntzer und des Hinweises auf die Edition des betreffenden Karlstadt-Briefes durch Seidemann. 932 Diskutiert wurden diese beiden Vergehen von Ortloff, Fälschung, mit Blick auf die „Fälschung der Autograpiien“ im Jenaer „Organ für Autographensammler und Autographenhändler“ 1860, zu dem Labes selbst als Autor beitrug, s. hierfür im betreffenden Heft: Labes, Autographensammeln. 933 S. oben Anm. 902. 934 Der Text befindet sich im UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 125–2–125–11. Das Titelblatt dieses Druckes fehlt und wurde durch ein Titelblatt mit Autornennung („auctore Eugenio Labesio“), ebd., Bl. 125r, und ein Titelblatt mit der reinen Überschrift ersetzt, ebd. Bl. 125–1r. Beide Titelblätter verweisen auf die Reden nur im summarischen Zusammenhang: „Dissertatio historica de ecclesia feliciter instaurata cujus altera pars est de poesi satirica altera de Carolostadio“. Der erste Text umfaßt 20 Seiten, ist in Weimar gedruckt und beschäftigt sich mit deutschsprachiger Dichtung der Reformationszeit. Die Anrede entspricht überwiegend der des Karlstadt-Beitrages, und auch die Einleitung stellte den Bezug zwischen dem gewählten Thema und der Stiftungsauflage in vergleichbarer Weise her, ebd. Bl. 125–2r: „lucem purae religionis Augustanae confessionis e tenebris servatum demonstrandi.“ Da die Ausführungen zum Lynckerschen Stipendium ausführlicher sind, könnte angenommen werden, daß der Text älter als die Karlstadt-Rede ist. Dafür mag auch sprechen, daß der Beitrag zu Karlstadt im Druck nachgestellt wurde. Der erste Beitrag kann frühestenfalls in das Jahr 1859 fallen, nachdem Labes erst im Juli 1858 das theologische Baccalaureat erworben hatte; s. hierfür die betreffende Urkunde vom 10. Juli 1858 im UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 123v. Eine gezielte Überprüfung der Lynckerschen Stipendienreden von 1859 und 1860 ergibt, daß Labes die Rede im Mai 1859 gehalten und unter dem Titel Labes, Satiren, veröffentlicht hatte. Labes war demnach zwischen 1859 und 1861 Empfänger des Lynckerschen Stipendiums, wobei die Förderung in der zweiten Jahreshälfte 1858 begonnen und noch bis in das Jahr 1862 gereicht haben mochte. 935 So erklärte Labes’ handschriftlicher Antrag auf Eröffnung seines Promotionsverfahren, der in der philosophischen Fakultät am 9. Juli 1863 präsentiert wurde; s. hierfür UA Jena, Bestand M, Nr. 381, Bl. 127r. Das Verfahren wurde ungemein schnell eingeleitet und abgeschlossen. Der Historiker Adolf Schmidt, der 1860 als Nachfolger seines Lehrers Droysen nach Jena
132
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Ungeachtet des methodischen Vorgehens und dessen möglicher Bewertung hatte sich Labes mit einem wortmächtigen Beitrag vor der Jenaer theologischen Fakultät für Karlstadt verwandt, die Forschungsergebnisse von Hase in ein anderes literarisches Format überführt und eine universitäre Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren versucht, daß das reformationsgeschichtliche Potential der Weimarer Archivbestände noch nicht erschöpft sei. 2.6.3. Labes’ Einzeledition und das Vorhaben einer Karlstadt-Ausgabe (1864) Daß es Labes tatsächlich ein besonderes Anliegen war, die Aufmerksamkeit der theologischen Fachwissenschaft auf die Archivalien des Ernestinischen Gesamtarchivs zu lenken, belegt ein Aufsatz, der drei Jahre später in der „Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie“ erschien. Bereits der Titel hielt die wesentlichen Daten fest: „Eine ungedruckte Rechtfertigungsschrift Andreas Bodenstein von Carlstadt’s, in Betreff der Abendmahlslehre gerichtet an den Kanzler Brück in Weimar, aus dem Sächsisch-Ernestinischen Communarchiv zu Weimar“936. Der Aufsatz präsentierte eine Transkription von Karlstadts Brief an Brück vom 12. August 1528. Voran stand eine knapp zweiseitige Einleitung. Diese postulierte für die allgemeine Geschichtswissenschaft einen Vorsprung in der „gerechte[n] Würdiberufen worden war, vgl. dazu knapp Landwehr, Schmidt, S. 21 (DBA, T. 1, Fichenr. 1114, S. 89), trat als Dekan und Referent am 10. Juli 1863 für seinen „uns allen – wie ich nicht zweifle – wohlbekannten“ Schüler (s. dazu oben Anm. 897) Labes ein, ebd., Bl. 124r. Von den „wegen eines Mißverständnisses“ fehlenden Leipziger Studienunterlagen könne aufgrund der Jenaer Baccalaureats-Urkunde abgesehen werden. Auch empfiehlt er, ebd., auf das nicht eingereichte Führungszeugnis zu verzichten, „da wir wissen, was wir an ihm haben“. Fachlich habe er selbst, ohne inhaltlichen Einfluß zu nehmen, die Entstehung beider Arbeiten begleitet. Seinem Vorbild, ebd., „mit gutem Gewissen für die Promotion [zu] stimmen“, folgten die beteiligten Kollegen am selben Tag. Die später gedruckte Urkunde, ebd., Bl. 133v, hält den 10. Juli 1863 als Tag der Promotion fest. Ebenfalls am 10. Juli wurde die Promotionsgebühr erstattet und quittiert, ebd., Bl. 132r. An dem Verfahren waren keine der drei Theologen beteiligt, denen Labes seine erste Abhandlung, Labes, Satiren, gewidmet hatte, die ihrerseits zur ersten Hälfte der Dissertation wurde (vgl. dazu oben Anm. 934): „J.[ohann] C.[arl] E.[duard] Schwarz. C.[arl] Hase. C. Grüneisen“. Zu Schwarz, zu diesem Zeitpunkt Jenaer Stadtpfarrer, Superintendent und praktischer Theologe vgl. kurz Peter, Art. Schwarz (T. 2, Fichenr. 1203, S. 77; für weitere Referenzen s. DBA, T. 1, Fichenr. 1160, S. 143; T. 3, Fichenr. 838, S. 399); zu Hase s. zuletzt Herbst, Hase; offen muß bleiben, ob sich „C. Grüneisen“ tatsächlich auf den Stuttgarter Oberhofprediger Carl Grüneisen beziehen mag, zu diesem vgl. kurz Mosapp, Art. Grüneisen (DBA, T. 2, Fichenr. 487, S. 341–344; für weitere Referenzen s. BAChr, T. 1, Fichenr. 154, S. 180; DBA, T. 1, Fichenr. 430, S. 324; T. 3, Fichenr. 326, S. 173). In dessen Werken findet sich 1828 ein kurzer Verweis auf Karlstadt in Grüneisen, Gottheit, S. 119. Zu Labes’ enzyklopädischem Veständnis der Kirchengeschichte zwischen allgemeiner Universalhistorie und Theologie s. den Beitrag Labes, Kirchengeschichte, der ausweislich des Titelblattes in die Zeit nach der Promotion fällt; keinen näheren Aufschluß über die Datierung eröffnet der Druckort Warmbrunn, der von Jena fast 350 km und von dem späteren Wirkungsort Rostock gut 500 km entfernt liegt. 936 Labes, Rechtfertigungsschrift.
2. Theologische Reaktionen und literarische Weiterführungen (1848–1864)
133
gung“ Karlstadts und einen Nachholbedarf seitens der Theologie.937 Namentlich hob Labes das Vorbild Rankes hervor938, das nicht näher erläutert wurde und für Karlstadt auch nicht unbedingt einschlägig war939, dessen tertium comparationis aber in den Weimarer Archivalien liegen mochte, die Ranke erstmals systematisch für die Reformationsgeschichte erschlossen hatte. Sachlich und knapp schilderte Labes demgegenüber die schwierige Quellenlage zu Karlstadt, die er in ihrem letzten Grund auf die Zensur zu Lebzeiten zurückführte. Für die Theologie leitete er daraus eine Bringschuld ab, die er mit einem persönlichen Angebot verband: „Um so näher liegt wohl dem Theologen der Jetztzeit die Aufgabe, Alles zu sammeln, was eine gerechte Würdigung Carlstadt’s ermöglicht. Ein Scherflein beizutragen zur Lösung dieser Aufgabe, war auch das Bestreben des Herausgebers nachstehender Abhandlung, der eine Anzahl seltener Schriften Carlstadt’s gesammelt hat und beabsichtigt, wenn ihm das nöthige Interesse von anderer Seite entgegen kommt, wenigstens die bedeutenderen Schriften Carlstadt’s in einer Gesammtausgabe zu veröffentlichen und zu der gründlichen Biographie Carlstadt’s von Jäger einige Ergänzungen zu geben.“940
Der Vorschlag markierte – ungeachtet des vordergründigen Lobes – einen indirekten Widerspruch gegen Jäger, der zehn Jahre zuvor die Materiallastigkeit seiner Monographie aus dem Fehlen einer Gesamtedition auf absehbare Zeit abgeleitet hatte941. Als Vorbild mochte Labes tatsächlich die Luther-Ausgabe de Wettes angesehen haben, mit der dieser seine Zeit bis zu dem Ruf nach Basel überbrückt hatte. Auf de Wettes Edition hatte Labes für seine Stipendiatenrede rekurriert. Bezeichnenderweise hatte er keine andere Luther-Ausgabe konsultiert. Dieses Versäumnis erwies sich als der entscheidende Fehler seines Beitrags von 1864. Wie Enders 1895 summierte, hätte Labes den betreffenden Text in fast allen großen Luther-Editionen finden können, beginnend mit der Wittenberger Ausgabe und schließend mit derjenigen Walchs.942 Zugleich monierte Enders, Labes habe „sich […] nicht selten verlesen und Worte ohne Sinn“943 gegeben. Außer Frage dürfte damit stehen, daß Labes seinen Weimarer Quellenfund ohne Kenntnis der früheren Editionen erarbeitet hatte. Barge verhielt sich 1905 gegenüber den Arbeiten von Labes äußerst diskret. Über die Stipendiatenrede vermerkte er in seinem ersten Teil nur knapp: „E. La937 Ebd., S. 99: „Die Historiker haben […] das Ihrige gethan, Carlstadt’s Bedeutung in ein helleres Licht zu setzen, von Theologen ist hierzu nur eben der Anfang gemacht.“ 938 Ebd. 939 Vgl. dazu Anm. 119. 940 Labes, Rechtfertigungsschrift, S. 99 f. 941 S. dafür oben Anm. 784. 942 Enders, Briefwechsel, S. 339, zählt zur Druckgeschichte des betreffenden Stückes auf: „2. Luthers Werke, ed. Wittenb. IX, 272; 3. Jen. IV, 375b; 4. Altenb. IV, 438; 5. Leipz. XIV, 692; 6. Walch XV, 2478; 7. Labes, eine ungedruckte (!!) Rechtfertigungsschrift“. 943 Ebd., S. 339 f.
134
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
bes, De Carolostadio (Jena 1861) schmeckt zu sehr nach einer Ehrenrettung.“944 Später deutete er an, daß er auf die literarische Abhängigkeit aufmerksam geworden war945, ließ die Edition von 1864 aber unerwähnt und bot nur einen Hinweis auf Enders946. Labes lebte zu diesem Zeitpunkt noch. 1868 war er als Lehrer an die Rostocker Stadtschule gewechselt.947 Am 8. Juni 1915948 starb er 81jährig als pensionierter Oberlehrer949. Seine Beiträge zur Karlstadt-Forschung mag man als unwesentliche Arabesken ansehen. Sie dokumentieren einerseits aber einen reformationsgeschichtlichen Widerspruch gegen Jäger und andererseits, auf ihre Weise, einen Anschluß an die archivalischen Arbeiten von Hase. Nachdem Hase die Monographie von Jäger 1854 noch nicht kennen konnte und Jäger die Studie von Hase zwei Jahre später nicht registriert hatte, war es vielleicht die eigentliche Leistung von Labes, beide Ansätze miteinander verbunden zu haben.
944
Barge, Karlstadt, T. 1, S. 183, Anm. 3. T. 2, S. 107, Anm. 33: „Für das Folgende vergl. auch die auf den Briefen bei Hase beruhende kurze Darstellung von Eugenius Labes, De Carolostadtio (Rede) Jena, 1861 S. 26 f.“ 946 Ebd., S. 389 f. mit Anm. 157. 947 Stadtschule Rostock, 1868, S. 17. 948 Anon., Art. Labes 1936. 949 Ebd. 945 Ebd.,
3. Einzelstudien zu Karlstadt (1884–1898) Zwei Gemeinsamkeiten verbindet die zurückliegende Sequenz theologischer Wiederannäherungen an Karlstadt miteinander: Sämtliche Beiträge sollten 1905 von Barge nur knapp diskutiert werden; und gegen alle Autoren – bis auf Hase sowie, eingeschränkt, Goebel – grenzte sich Barge deutlich ab. In den zwei Jahrzehnten vor Barges Biographie erschienen aus drei Richtungen neuere Arbeiten zu Karlstadt, die für Barge positiv von Bedeutung werden sollten. Diese konstitutiven Bezüge zu Barges Monographie werden in das nachfolgende Hauptkapitel integriert. Zugleich gilt es, die Chronologie der einschlägigen Veröffentlichungen vor Barges Biographie nicht vorzeitig abzubrechen. Zumindest knapp sind daher die drei wichtigsten Neuansätze einer Beschäftigung mit Karlstadt nach Labes und vor Barge zu skizzieren. Im Unterschied zu den betreffenden Ausführungen des Folgekapitels, das die Verbindungen zu Barge untersucht, wird hier verstärkt nach den Veranlassungen der jeweiligen Studien gefragt.
3.1. Theodor Koldes biographische und editorische Karlstadt-Arbeiten (1884, 1886, 1890) An erster Stelle ist nach seinem zeitlichen und fachlichen Vorrang Theodor Kolde zu nennen. Der 1880 nach Erlangen berufene Kirchenhistoriker950 hatte, das Luther-Jubiläumsjahr 1883 leicht verpassend, zwischen 1884 und 1893 seine große Luther-Biographie veröffentlicht. Im Eingangsband übte er Kritik an Jäger und mahnte eine material ausgeweitete Revision an.951 Selbst präsentierte er zwei Jahre später eine lebensgeschichtliche Detailstudie zu Karlstadts Dänemark-Aufenthalt. 1890 machte er die wichtigste materiale Neuentdeckung in der Zeit vor Barge und nach Riederer, indem er Karlstadts 151 Thesen vom April 1517 nach einer in Berlin verwahrten Handschrift und einem Pariser Druck edieren konnte, wozu sein Leipziger Kollegen Theodor Brieger einen wichtigen druckgeschichtlichen Hinweis lieferte. 950 Vgl.
dazu am ausführlichsten Jordan, Art. Kolde, S. 143 (DBA, T. 2, Fichenr. 740, S. 205). dazu und zu weiteren Kolde geltenden Ausführungen im nachfolgenden Hauptkapitel II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 342–344. 951 S.
136
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
In ihrer Entstehung geben sich der erste und der dritte Beitrag als Nebenprodukte anderer reformationsgeschichtlicher Studien zu erkennen. So brachte seine Luther-Biogaphie Kolde auf eine lebensgeschichtliche Orientierung zu Karlstadt und der ihn betreffenden Quellenlage. Die Edition der 151 Thesen ging aus Koldes Revision der Plittschen Ausgabe von Melanchthons „Loci Communes […] in ihrer Urgestalt“ hervor.952 In diese Überarbeitung integrierte Kolde 1889953 als „Beilage“ „Melanchthons Baccalaureatsthesen vom 9. September 1519“, die er nach jener Handschrift954 edierte, aus der er im Folgejahr weitere Thesenreihen publizierte955. Unter diesen befanden sich die Karlstadtschen Thesen vom Frühjahr 1517956. Von Brieger auf den Pariser Druck hingewiesen957, konnte Kolde die Handschrift textkritisch mit zumindest einem Druck abgleichen. Die betreffenden Veröffentlichungen von Kolde und Brieger erschienen 1890. Beide Beiträge verwiesen kurz auf Riederer958, dem die Identifizierung der Karlstadtschen Thesen nach einem Leidener Druck bereits 150 Jahre zuvor gelungen war. Anders verhält es sich mit dem biographischen Kurzbeitrag zu „Carlstadt und Dänemark“.959 Er erhellt, daß Kolde bis zu einem bestimmten, darin aber letztlich doch sehr begrenzten Grad in die Forschungsgeschichte zu Karlstadt vor Jäger eingedrungen war. Konsultiert hatte Kolde Gerdes, Füßlin und Köhler.960 Riederer spielte 1886 bei Kolde noch keine Rolle und war möglicherweise auch erst 1890 von Brieger eingebracht worden. Mit einer hellsichtigen Wahrnehmung für literarische Abhängigkeiten hatte Kolde jedenfalls ausgemacht, daß die wesentlichen Daten zu Karlstadts Dänemark-Aufenthalt erstmals von Köhler geboten worden waren. Dessen grundlegende Literaturreferenz, einen 1747 in Kopenhagen veröffentlichten Aufsatz, sah Kolde ein und druckte daraus die beiden zentralen Briefdokumente von 1521 ab.961 Wenn Kolde 1884 konstatierte: „Ungehobenes Material über Carlstadt findet sich noch allerorten“962, mochte er sich nicht ausschließlich auf archivalisches Material963 bezogen haben, sondern 952 Ausdrücklich
hierzu s. Kolde, Disputationsthesen, S. 449 mit Anm. 2. hierfür Plitt / Kolde, Urgestalt, S. VII. 954 Ebd., S. 250 mit Anm. 1. 955 Kolde, Disputationsthesen, S. 450–471. 956 Ebd., S. 450–456. 957 Publizistisch wurde dies im Anschluß eigens dokumentiert in Brieger, Thesen, S. 480. 958 Kolde, Disputationsthesen, S. 449 f.; Brieger, Thesen, S. 480. 959 Kolde, Dänemark. 960 Ebd., S. 283, Anm. 1 f. und 5. 961 Daß diese Lesart des Koldeschen Beitrages – der die Textgrundlage seiner Edition nicht eigens benennt – zutrifft, belegt der Vergleich von ebd., S. 289–292, mit Gram, Reformatione, S. 14 f., und ebd., S. 17. Ergänzungen nach der Handschrift bot zuerst Schäfer, Dänemark, S. 312, Anm. 1. 962 S. hierfür im nachfolgenden Hauptkapitel II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 344. 963 Den 1878 erfolgten Abdruck eines zuvor unbekannten Karlstadt-Briefes von 1521 hatte Kolde zudem registriert; zu dem Text s. Waltz, Epistolae, Nr. 10, S. 128–130. 953 S.
3. Einzelstudien zu Karlstadt (1884–1898)
137
könnte auch Funde wie die eigenen eingeschlossen haben, die sich aus der Forschungsgeschichte des 18. Jahrhunderts ergaben. In seiner Lesart der beiden Texte lag Kolde freilich falsch. Er interpretierte sie als Ausweis dafür, „dass Carlstadt die projektierte Fahrt nach Dänemark nie angetreten und alle an seinen dortigen Aufenthalt geknüpften Vermutungen keinen historischen Hintergrund haben.“964 Die Möglichkeit eines nur kurzen Aufenthaltes in Kopenhagen hatte Kolde nicht in Betracht gezogen, als er auf die gute Bezeugung für Karlstadts Wittenberger Präsenz im engen zeitlichen Anschluß965 verwies. Schon 1892 wurde Koldes Fehlschluß von dem Tübinger Historiker Dietrich Schäfer966 offengelegt, der sachlich anhand einer präzisen Quellenanalyse Koldes methodische und interpretatorische Fehler aufzeigte.967 Schäfers Interesse galt darin weniger Karlstadt als den berührten dänischen Historikern und in gewisser Hinsicht auch Jäger, dessen „treffliche Arbeit“968 er von Kolde nicht hinreichend969 gewürdigt sah. Für einen prospektiven Karlstadt-Forscher, wie ihn Hermann Barge in den ausgehenden neunziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts darstellte, mußte Kolde dennoch die erste Adresse für fachliche Rücksprache sein. Archivalisch wird darzulegen sein, daß Barge diesen Kontakt tatsächlich suchte970.
3.2. Martin von Nathusius’ Interpretation von Karlstadt als Vertreter „christlich-soziale[r …] Ideen“ (1897) In ihren Bezügen zu Barge nicht klar zu bestimmen, im Sinne eines neu akzentuierten Karlstadt-Bildes aber hervorzuheben ist die 1897 gedruckte Studie zu den „Christlich-socialen Ideen der Reformationszeit und ihre[r] Herkunft“.971 Martin von Nathusius legte sie in seinem zehnten Jahr als Greifswalder Lehrstuhlinhaber für praktische Theologie vor.972 In seiner Fakultät wirkte Nathusius neben Hermann Cremer, in dessen Periodikum „Beiträge zur Förderung
964 Kolde, 965 Ebd.
Dänemark, S. 285.
966 Zu Schäfer s. knapp Anon. Art. Schäfer (DBA, T. 2, Fichenr. 1127, S. 100; für weitere Referenzen s. ebd., S. 101–127; T. 1, Fichenr. 1085, S. 456; T. 3, Fichenr. 784, S. 199–209). 967 Schäfer, Dänemark. 968 Ebd., S. 318. 969 Daß Schäfer Jägers Ausführungen im Detail kritisieren konnte, erweist ebd., S. 313. 970 S. hierfür im nachfolgenden Hauptkapitel II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 339–348. 971 Vgl. dazu knapp ebd. die Anm. 321–323. 972 Zu diesen Angaben vgl. Kögel, Art. Nathusius, S. 193 (DBA, T. 2, Fichenr. 936, S. 171). Zu Nathusius s. grundlegend Schlag, Nathusius. Für eine knappe werk‑ und zeitgeschichtliche Kontextualisierung des Beitrages zu Karlstadt s. ebd., S. 349.
138
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
christlicher Theologie“973 die 160 Seiten umfassende Abhandlung als eigenständiges Heft erschien. Nathusius und Cremer verband das konservative Profil der zeitgenössisch als positiv bezeichneten Theologie, die sich in Greifswald besonders durch Kritik an Albrecht Ritschl und den diesem verpflichteten liberalen Impulsen profilierte974. Im Jahr der Veröffentlichung der Karlstadt berührenden Untersuchung war Nathusius „Mitbegründer der strenggläubigen kirchlich= sozialen Konferenz, die im Gegensatz zum national=sozialen Verein und zum evangelisch=sozialen Kongreß den Zeitfragen ohne Parteipolitik näher[zutreten]“975 suchte. Diese Opposition – namentlich gegen Naumann und Harnack, der das thetische Proprium der Studie „strikt“ in Naumanns Zeitschrift „Hilfe“976 zurückweisen sollte – bestimmte auch die geschichtlichen Ausführungen zur Reformationszeit. Offen benannte Nathusius seine „Aufgabe“ darin, „eine richtige Theorie der Stellung der Kirche gegenüber den socialen Bewegungen der Gegenwart aufzustellen.“977 Zur Lösung sollten alle theologischen Disziplinen ineinander greifen978, was zur „Veranlassung“979 der historischen Studie geführt habe. So dezidiert Nathusius eine politische Autonomie religiös motivierten Sozialengagements für seine Gegenwart ablehnte, so deutlich erblickte er vergleichbare Tendenzen der Separation in den sektiererischen und „schwärmerischen“ Entwicklungen des 15. und 16. Jahrhunderts.980 Historiographisch korrespondierte dem, daß Nathusius aufs heftigste Max Goebels These und die Folgearbeiten von Ludwig Keller981 ablehnte, nach denen die Wiedertäufer als integraler Teil der Reformationsgeschichte zu deuten seien.982 Für Nathusius „handelt[e]“ es sich historisch ebenso wie „heute […] um das Entweder=Oder der Auffassungen“983. 973 Zu dem Periodikum und dessen Bedeutung innerhalb der sog. Greifswalder Schule vgl. ausführlich Kessler, Lissabon. 974 Für den zuletzt in Berlin wirkenden Cremer-Schüler Wilhelm Lütgert – auch in der schulinternen Kritik an Cremer, die aus den vordergründigen Hinweisen auf Ritschl zunehmend hervortreten konnte – s. ebd. 975 Anon., Art. Nathusius (DBA, T. 2, Fichenr. 936, S. 163). 976 Für Harnacks Replik s. Schlag, Nathusius, S. 350 f.; das Zitat nimmt den Wortlaut von Schlag auf, ebd. S. 351. 977 Nathusius, Ideen, S. 164. 978 Ebd.: „Und wir Systematiker der praktischen Theologie sind bei all ihren Fächern durchaus auf die Geschichte angewiesen. Nun kann unmöglich geleugnet werden, daß das praktisch kirchliche Verhalten immer bestimmt wird durch die Form der dogmatischen Auffassung des Christentums. Gleiche oder ähnliche Verschiebungen der Glaubenslehre werden immer gleiche oder ähnliche Verirrungen oder Gefahren auf praktischem Gebiete mit sich führen.“ 979 Ebd. 980 Diese Parallelisierung deutet sich an ebd., S. 167. 981 S. hierfür zusammenfassend ebd., S. 165 f. Zuvor einschlägig u. a. ebd., S. 13, Anm. 3; S. 21, Anm. 2; im Anschluß: ebd., S. 166, Anm. 1. 982 Vgl. hierfür ein kurzes Zitat Goebels ebd., S. 10, Anm. 1, das kommentiert wird: „Die ganze vorliegende Arbeit ist eine fortgehende Widerlegung dieses Satzes.“ Im Haupttext s. zudem ebd., S. 165. 983 Ebd., S. 167.
3. Einzelstudien zu Karlstadt (1884–1898)
139
Gegenüber diesen kirchenpolitischen Anliegen und konzeptionellen Prämissen überrascht die ungeheure Sensibilität und quellenkundliche Akribie, mit der sich Nathusius um Annäherungen an einzelne Figuren des 16. Jahrhunderts bemühte.984 Im Falle von Karlstadt985 beschränkte er sich auf Literaturarbeit; die Ausführungen von Erbkam dürfte er gekannt haben986, fast ausschließlich bezog er sich aber auf die Monographie von Jäger. In dieser war eine Betonung von Karlstadts Sozialreformen innerhalb der Wittenberger Bewegung des Frühjahres 1522 angelegt.987 Nathusius rückte diese Tendenzen als Karlstadts entscheidenden Beitrag zur Reformation in den Vordergrund. Dabei kam dem Interpretationsschema von gedanklicher Vorbereitung durch Luther und der ausführenden „That“ Karlstadts eine große Bedeutung zu.988 Im 20. Jahrhundert sollte dieses Argumentationsmuster – ohne erkennbare Bezüge auf Nathusius – unter den Kritikern Barges aktualisiert und ausgeweitet werden. Für Nathusius wurde Karlstadt in seinem praktischen Anschluß an Luther zu einem „Hauptvertreter christlich=sozialer Ideen im Reformationszeitalter“989. Persönlich würdigte er Karlstadts „sittlichen Ernst“990, dessen „evangelisch=sittliche Anschauungen“991, die „echt christlichen Gedanken“992, den „echt socialen Geist“ und mithin die „christlich=socialen Ideen“, aus denen das Wittenberger Reformwerk erwachsen sei. Theologisch konnte Nathusius deutliche Kritik üben. So bot er – mit Jäger – die klassischen Topoi, Karlstadt stünde für einen „gesetzliche[n …] biblische[n …] Radikalismus“993, habe sich in doktrinalen Fragen von Anfang an in einem tiefgreifenden Unterschied zu Luther befunden994 und sei gewaltaffin gewesen995. Zugleich hob er die Bedeutung der Mystik für Karlstadt pointiert hervor: „Er war zwar an Luthers Hand in die Mystik hinein, aber nicht wieder herausgekommen.“996 Während Luther eine in sich geschlossene Theologie der evangelischen Freiheit und „tief innerlichen Erfahrung“ begründet habe997, sei Karlstadt der 984 Als herausragend können die eigenständigen und eingehenden Studien zu Johann Locher gelten, s. ebd., S. 107 f. Charakteristisch ist auch die Auseinandersetzung mit Ickelsamer, u. a. ebd., S. 106 f. 985 Der zentrale Abschnitt konzentriert sich ebd. auf S. 108–125. 986 S. hierfür ebd., S. 18, Anm. 1, oder S. 19, Anm. 2 u. 4. Die Referenzen auf Dieckhoff, ebd., S. 18, Anm. 1, oder S. 37, Anm. 2 u. 4, sind für Karlstadt nicht einschlägig. Gleiches gilt für Füßlin, vgl. hierfür ebd., S. 12, Anm. 1; S. 22, Anm. 1 u. 3; S. 24, Anm. 1; S. 26, Anm. 3; S. 37, Anm. 3; S. 45, Anm. 1; S. 146, Anm. 3. 987 S. dazu oben Anm. 852. 988 Für Luther s. ebd., S. 109; für Karlstadt ebd., S. 114; für beide im Zusammenhang s. ebd. 989 Ebd., S. 108. 990 Ebd., S. 113, 124. 991 Ebd., S. 113. 992 Ebd., S. 116. 993 Ebd., S. 109. 994 Ebd., S. 109 f. 995 Ebd., S. 110, 119. 996 Ebd., S. 109 in Verbindung mit S. 119. 997 Im Zusammenhang s. hierfür ebd.
140
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Befürworter einer äußerlichen Gesetzlichkeit ohne systematischen Zusammenhang998 und eigene Erfahrungstiefe gewesen. Positive Würdigung und kritische Distanzierung verbanden sich bei Nathusius eng miteinander: „Aus Carlstadt hätte wohl etwas werden können.“999 Methodisch reflektiert ist, daß sich Nathusius grundsätzlich dagegen verwahrte, von einer Beurteilung des Karlstadtschen Charakters auf Grundzüge seiner Theologie zu schließen1000. Um so stärker betonte der praktische Theologe – neben den prinzipiellen Differenzen zu Luther – den genetischen Einfluß der Zwickauer Propheten1001 auf Karlstadts fortschreitende Entfernung von den vielversprechenden Anfängen. Insgesamt verfolgte Nathusius einen differenzierenden Ansatz, der Licht und Schatten im reformatorischen Werk von Karlstadt auszuweisen und die jüngeren Tendenzen „eine[r] ausgleichende[n] Gerechtigkeit gegen ihn“1002 aufzunehmen suchte. In der zeitgenössischen theologischen Enzyklopädie wäre Nathusius’ Beitrag am ehesten wohl der konfessionellen Apologetik1003 zuzuordnen. Diese Einschätzung ließe sich nicht nur an Nathusius’ Karlstadt-Bild aufweisen, sondern auch an dessen Diskussion von Wilhelm Zimmermanns „Geschichte des großen Bauernkrieges“1004, die auf ihre Weise die übergeordnete Frage einer Verhältnisbestimmung von Reformationsgeschichte und sozialrevolutionären Umbrüchen vorgab. An Karlstadt machte Nathusius – gegen Zimmermann – eine frühe Verankerung von Sozialreformen in der Wittenberger Reformation fest und betonte deren kirchlich inklusiven Charakter gegen die von Zimmermann akzentuierten sozialpolitischen Ablösungsprozesse. So sehr dies Nathusius’ kirchenpolitischer Position entsprach, so deutlich stechen die Unterschiede zu Barge heraus, der acht Jahre später – politisch von Naumanns Seite aus – Karlstadt erneut darstellen und weitere drei Jahrzehnte später Zimmermanns Bauernkriegsgeschichte neu herausgeben sollte1005.
998 Ebd., S. 125: „Bei seiner unklaren, halb rationalistischen, halb schwärmerischen Theologie, seiner mangelnden Unterscheidung von Gesetz und Evangelium kam er nicht hinaus über die Erregung socialer Unzufriedenheit und hat so ein gutes Stück der Schuld daran zu tragen, daß das neu aufgegangene Licht des Evangeliums bei den Gegnern und Zweiflern kompromittiert wurde.“ 999 Ebd. 1000 Dieser Gedanke findet sich ebd., S. 108. 1001 Ebd., S. 119. 1002 Ebd., S. 110. 1003 Zur Geschichte dieser heute weithin vergessenen theologischen Disziplin vgl. umfassend den vormaligen Inhaber eines der letzten entsprechend titulierten Lehrstühle: Sparn, Apologetik. 1004 Als einschlägig hierfür s. Nathusius, Ideen, S. 147, Anm. 1; S. 156, Anm. 1; S. 164, Anm. 1. 1005 Vgl. hierfür im folgenden Hauptkapitel II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 215.
3. Einzelstudien zu Karlstadt (1884–1898)
141
3.3. Gustav Bauchs Studie zu „Andreas Carlstadt als Scholastiker“ (1898) 1898 erschien in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ der bis heute einzige Beitrag zu „Andreas Carlstadt als Scholastiker“.1006 Er wurde von dem 1848 geborenen Breslauer Realschulprofessor Gustav Bauch1007 vorgelegt, der sein Geschichts‑ und Geographie-Studium 1872 in Göttingen1008 beendet hatte und anschließend unter der Förderung von Georg Waitz promoviert1009 worden war. Wohl noch im selben Jahr1010 wechselte Bauch in den Breslauer Schuldienst, den er bis zur Pensionierung 1920 versah.1011 Nach seinem Tod 1924 erinnerte sich ein enger Vertrauter daran, daß Bauchs Amtszeit in zwei Phasen zerfallen war: eine erste, in der „er völlig im Lehrberuf auf[ging]“ und darauf hoffte, „im Schuldienst eine leitende Stellung zu gewinnen“, und eine zweite, in der er nach diversen erfolglosen Bewerbungen „sein Interesse immer mehr der wissenschaftlichen Forschungsarbeit zu[wandte], die ihn zu fesseln begann, als er mit den Schätzen der Breslauer Stadtbibliothek an Drucken des 16. Jahrhunderts bekannt wurde.“1012 Der Einschnitt dürfte um das Jahr 1880 anzusetzen sein, mit dem einige kleinere Aufsätze zu erscheinen begannen1013. Für die Folgezeit kann man an den Veröffentlichungen1014 ablesen, wie Bauch zu seinem Hauptthema einer Geschichte des Humanismus fand und zugleich den Fokus seiner Untersuchungen geographisch ausweitete. Am Anfang standen prosopographische Studien zum Breslauer Humanismus1015, die in Abhandlungen zur „Geschichte des Humanismus an der Ostsee“ und „des Humanismus im deutsch=polnisch=ungarischen Osten“1016 übergingen, bevor sich Beiträge zum „Leipziger Frühhumanismus“ oder den „Anfänge[n] des Humanismus in Ingolstadt“1017 anschlossen. Diese fügten sich in die übergeordnete Aufgabenstellung einer „Geschichte des deutschen Frühhumanismus“1018 ein, die als solche „Torso“ bleiben mußte. Für seine 1006
Bauch, Carlstadt. hierfür Anon., Art. Bauch (DBA, T. 2, Fichenr. 73, S. 40). 1008 Schwarzer, Bauch, S. 180. 1009 Ebd. Vgl. zudem Bauch, Historia, S. 64. Die Drucklegung der Dissertation erfolgte 1873, die Promotion dürfte noch 1872 stattgefunden haben; s. hierfür die Angaben von Schwarzer, Bauch, S. 180, die nahelegen, daß Bauch seit 1872 im Schuldienst tätig war. 1010 S. hierfür die Hinweise der Voranm. 1011 Schwarzer, Bauch, S. 184. Die Lehrtätigkeit wurde nur 1915 bis 1917 von Fronteinsätzen unterbrochen, wie auch der Student 1866 am Deutschen und 1871 am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen hatte, s. ebd. 1012 Ebd. 1013 Ebd. 1014 Am detailliertesten s. Schwarzer, Bauch, S. 184–187. Eine abgekürzte Bibliographie bietet Anon., Art. Bauch 1914; knapper sind die Angaben in Anon., Art. Bauch 1911. 1015 Vgl. hierfür ebd. die Studie zu Corvinus. 1016 Für beides s. ebd., S. 185 1017 Für beides s. ebd., S. 186. 1018 Ebd., S. 182. 1007 S.
142
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
literarische Ausarbeitung wählte Bauch jedoch eine Lokalgliederung, deren Anfang er mit Wittenberg nahm und die er mit Krakau forsetzte. Das Manuskript „Wittenberg. Humanismus I“ wurde 1902 abgeschlossen und nachweislich noch 1933 in der Breslauer Stadtbibliothek aufbewahrt.1019 In diesen Zusammenhang gehört der Carlstadt-Aufsatz von 1898. Mit der Studie „Wittenberg und die Scholastik“ hatte Bauch seine betreffenden Lokalstudien im Vorjahr eröffnet.1020 Daraus zweigte sich der Beitrag zu Karlstadt ab, der die wesentlichen Inhalte und Ergebnisse des Vorgängerbeitrages ausführlicher und mit Quellennachweisen darlegte.1021 Bauchs Beschäftigung mit Karlstadt konzentrierte sich auf zwei Zusammenhänge. Zum einen bot sie eine detaillierte Rekonstruktion dessen universitären Bildungsweges, indem sie aus den verfügbaren Universitätsmatrikeln und Dekanatsbüchern die Studienorte, akademischen Grade und vertretenen Ämter für die Zeit zwischen 1502 und 15221022 so exakt wie möglich erhob. Über die korrespondierende Quellen‑ und Literaturlage war Bauch methodisch bestens instruiert, nachdem er seit 1897 die „Akten und Urkunden der Universität Frankfurt a. O.“ herauszugeben begonnen hatte, einschließlich des „älteste[n] Decanatsbuch[es] der philo s.[ophischen] Fakultät“ und einer Übersicht der „artist.[isch]=philos.[ophischen] Promotionen“.1023 Für die Karlstadt geltenden Einträge zog Bauch nicht nur das 1838 von Förstemann edierte theologische Dekanatsbuch heran1024, sondern im Hallenser Manuskript auch das der juristischen Fakultät1025. Der zweite Schwerpunkt von Bauchs Studie galt einer inhaltlichen Erschließung der beiden scholastischen Frühwerke von Karlstadt. Zumindest das erste konnte Bauch in der Breslauer Universitätsbibliothek einsehen1026, für das zweite mochte 1019 Für das Jahr 1925 s. ebd., S. 187; für 1933 s. Gurlitt, Reformationszeit, S. 7, Anm. 3. Daß Manuskripte von Bauch heute in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Wroclaw aufbewahrt werden, bestätigte mir (brieflich am 26. April 2013) freundlich Herr Arkadiusz Cencora von der Wissenschaftlichen Information. Bedauerlicherweise teilte mir Jan Marian Przytulski von der Handschriftenabteilung (brieflich am 22. Mai 2013) mit, daß sich darüber kein „Wittenberg. Humanismus I“ überschriebenes Manuskript befinde. 1020 Bauch, Scholastik. 1021 Vgl. dafür insbesondere ebd., S. 317–323, mit Bauch, Carlstadt. Auffällig ist, daß der Beitrag Bauch, Scholastik, der 1897 gedruckt wurde, seitengenau aber schon auf den Aufsatz Bauch, Carlstadt, verweisen konnte, der erst 1898 ausging; für diese betreffenden Angaben s. Bauch, Scholastik, S. 317, Anm. 73 f.; S. 320, Anm. 79. Ungeachtet der genauen Umstände der Drucklegung steht außer Frage, daß Bauch den Abschnitt zu Karlstadt aus dem größeren Manuskript zur Scholastik herausnahm und separat veröffentlichte. Eine auf Abschnitte des Haupttextes abgekürzte Fassung verblieb in Bauch, Scholastik, während Bauch, Carlstadt, die Quellen‑ und Literaturnachweise zusammen mit weiteren thematischen Ausführungen zu Karlstadt verband. Bauchs Publikationsmodus mochte damit zusammenhängen, daß der Aufsatz „Wittenberg und die Scholastik“ mit 55 Seiten bereits sehr umfangreich ausgefallen war. 1022 Für das erste Datum s. Bauch, Carlstadt, S. 37, für das zweite ebd., S. 38. 1023 Summarisch hierfür s. Schwarzer, Bauch, S. 185. 1024 Vgl. dazu Bauch, Carlstadt, S. 39, Anm. 2. 1025 Ebd., S. 50, Anm. 2. 1026 S. hierfür ebd., S. 40, Anm. 6.
3. Einzelstudien zu Karlstadt (1884–1898)
143
gleiches gegolten haben. Philosophiegeschichtlich ordnete er beide Schriften in den Kontext der zeitgenössischen Logik ein, indem er die argumentativen Schlüsselbegriffe identifizierte, die von Karlstadt berührten Autoren benannte und mit Hilfe von Prantls „Geschichte der Logik“ kurz diskutierte, deren einschlägige Bände 1867 und 1870 erschienen waren1027. Für die Erstlingsschrift „De intentionibus“ diagnostizierte Bauch eine synthetische Methode, die von der Diskussion unterschiedlicher Positionen zu einem eigenen Begriffsverständnis fortschreitet1028, während der Folgebeitrag der „Distinctiones“ durch einleitende Begriffsbestimmungen analytischer angelegt1029 sei. Als Grundtendenz erkannte Bauch für beide Arbeiten einen positionell synthetisierenden Ansatz, der einen thomistisch akzentuierten Integrationskurs gegenüber nominalistischen Tendenzen suchte.1030 Mit Kritik an Karlstadt sparte Bauch nicht. So kommentierte er den Umstand, daß Prantl Karlstadts Texte nicht berücksichtigt habe: „Carlstadt kann man hierzu nur höchlichst gratulieren, denn seine Schwächen wären dann auf das schonungsloseste aufgedeckt worden.“1031 Inhaltlich und argumentativ bemängelte er, „dass er [Karlstadt] aus dem Hundertsten ins Tausendste kommt, und dass sein Gang trotz vorangestellter Disposition wegen Mangel einer klaren, übersichtlichen Anordnung kaum zu verfolgen ist.“1032 Formal hatte Bauch ebenfalls mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Bei „De intentionibus“ klagte er über „die bis zu einer widerwärtigen Stenographie verwendeten Abkürzungen“1033. Dies konfrontierte er mit dem zeitgenössischen Lob, das beide Werke empfingen1034. Wichtige Belege benannte Bauch zudem für Karlstadts Engagement in einer Halberstädter Disputation 1510 und im Wittenberger juristischen Disputationswesen für 1511.1035 Höchst anregend ist Bauchs – von ihm selbst verworfene – Überlegung, in diesen diskursiven Kontexten „die Wurzel“ für Karlstadts disziplinenübergreifenden Ansatz einer Integration von Theologie und 1027
Für Bauchs Bezüge auf die Bände 3 und 4 s. ebd., S. 41, Anm. 2 f. S. 41. 1029 Vgl. hierfür ebd., S. 47. 1030 Für die „Distinctiones“ vgl. dazu ebd.: „Der Versuch, das scotistische Thema in thomistischem Sinne zu behandeln, um es dem thomistischen logischen Apparate einzuverleiben, war Carlstadt vorbehalten.“ Für „De intentionibus“ s. ebd., S. 43 f.: „Als Resultat der Betrachtung bleibt nur, daß Carlstadt, indem er den Anspruch erhebt, ein wahrer Thomist zu sein, wenn er auch Polich und Capreolus lobend anführt, sich den Thomisten strenger Observanz, Petrus Nigri und den Montanern, nicht unbedingt anschliesst, sondern gegen sie mehr als gegen die Vertreter anderer Systeme polemisiert, und daß er dafür als seine Gewährsmänner nicht bloss, sondern als Hauptquellen seines Thomismus Pseudo-Thomas und Armand von Beauvoir benutzt. Ja er brandschatzt hier und da selbst Scotus, Tararetus und Occam, allerdings mit der Unterstellung, dass sie solche gute Gedanken aus dem hl. Thomas geschöpft hätten.“ 1031 Bauch, Carlstadt, S. 41. 1032 Ebd., S. 42. 1033 Ebd., S. 41, Anm. 1. 1034 Ebd., S. 44 f.; S. 49. 1035 Ebd., S. 50. 1028 Ebd.,
144
I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert
Jura zu vermuten.1036 Karlstadts altphilologische Bildung schilderte Bauch in der Latinität und Hebraistik als deutlich ausbaufähig.1037 Gegenüber diesen weithin negativen Ergebnissen schloß Bauch mit einer konkreten Überlegung zur Frage, weshalb Karlstadt 1511 in das Archidiakonat und bald schon das Rektorat befördert worden sei: Nach der Enttäuschung über das kurze Zwischenspiel des Erfurter „‚Modernus‘ Trutfetter“1038 sei bewußt „ein erprobter Antiquus, der Thomist Andreas Carlstadt“1039 gewählt worden. Die formal und argumentativ schwierige Aufgabe einer inhaltlichen Annäherung an die scholastischen Traktate hatte Bauch in eine bildungsgeschichtliche Studie zu Karlstadt und eine universitätsgeschichtliche Miniatur zu Wittenberg geöffnet. Die Qualität der eigenen Arbeit verführte ihn nicht dazu, sich abfällig über Jäger zu äußern. Einzelne sachliche Fehler vermerkte er nüchtern1040, was auch seiner Ankündigung entsprach, „in manchen Punkten eine […] Erweiterung und Berichtigung [… Jägers] bieten [zu] wollen“.1041 Für die theologische Gesamtcharakteristik von Karlstadt rekurrierte Bauch auf Jäger1042 und würdigte dessen „fleissige[s] Buch“1043. Barge wiederum pries die Carlstadt-Studie von Bauch als „treffliche […] Abhandlung“, in der „die Lebensumstände Karlstadts vom Jahre 1499 bis zum Jahre 1511 mit großer Sorgfalt zusammengetragen“ seien, während „die Angaben über Karlstadts erste Wittenberger Zeit bei C. F. Jäger […] flüchtig zusammen1036
Ebd., S. 51. S. 52–55. Ebd., S. 55: „Übrigens zeigen auch seine Briefe einen Fortschritt in der Latinität.“ Ebd., S. 54: „Das Merkwürdige bei dem ganzen Buche ist aber, wenn auch schülerhaft und keineswegs vehementer eruditum, […] die erste hebräisch gedruckte, in Blockdruck hergestellte, Schriftprobe in Wittenberg, vier Zeilen, die wir hier wegen ihrer Ehrwürdigkeit mit allen ihren kindlichen Unvollkommenheiten folgen lassen“. Das Thema der Hebraistik bearbeitete 1984 ein Aufsatz des Tübinger Alttestamentlers und Judaisten Hans Peter Rüger, der im fachlichen Austauch u. a. mit Ulrich Bubenheimer entstanden war. S. dazu Rüger, Hebraist, S. 297, Anm. *. Knapp führte Rüger die Belege für Karlstadts hebräische Sprachkenntisse seit der scholastischen Phase an, rekonstruierte die literarischen Bezüge und mahnte eine Berücksichtigung des zeitgenössischen Kontextes an, ebd., S. 307 f.: „In Anbetracht dessen wird man gut daran tun, sich jeder negativen Wertung der Hebräischkenntnisse Karlstadts zu enthalten und sich mit der Feststellung zu begnügen, daß er bereits in Wittenberg die Fundamente legte, auf denen er als Professor für Altes Testament in Basel (1534–1541) aufbauen konnte“. Gegenüber dem an der klassischen Antike geschulten Bildungsideal des 19. Jahrhunderts trat bei Rüger als Maßstab der philologischen Bewertung damit eine zunehmende bildungsgeschichtliche Sensibilität. 1038 Bauch, Carlstadt, S. 56. 1039 Ebd., S. 57. 1040 S. hierfür ebd., S. 46, Anm. 4. Als Hintergrund der fehlerhaften Ausführungen von Jäger vermute ich ein schlichtes Mißverständnis einer Anmerkung von Erbkam, Geschichte, S. 175, Anm. 1. 1041 Bauch, Carlstadt, S. 37. 1042 Ebd., S. 51. Ebd., S. 53, erklärte Bauch Karlstadt zum „späteren Himmelstürmer“ [sic] und verwies auf zwei Seiten bei Jäger, die sich ausschließlich auf einen Wittenberger Bildersturm beziehen. 1043 Ebd., S. 37. 1037 Ebd.,
3. Einzelstudien zu Karlstadt (1884–1898)
145
geschrieben sind.“1044 Akribisch wies Barge aus, wie viel er dem Aufsatz1045 von Bauch verdankte; nur dessen Kritik einer mangelnden thomistischen Konsequenz wollte sich Barge nicht anschließen1046. Den Beitrag „Wittenberg und die Scholastik“1047 arbeitete er ebenso intensiv wie weitere Veröffentlichungen1048 von Bauch ein. Insgesamt waren diese Texte in Periodika erschienen, die Barge auch in anderen Zusammenhängen konsultiert, wenn nicht sogar regelmäßig gelesen hatte.1049 Von einer persönlichen Bekanntschaft muß daher nicht ausgegangen werden, so ähnlich sich die beruflichen und wissenschaftlichen Profile der beiden Forscher waren. In ihren Quellenarbeiten zu Karlstadt waren Hase und Bauch die beiden zentralen Autoren des 19. Jahrhunderts, auf die sich Barge positiv bezog.
1044 Barge,
Karlstadt, T. 1, S. 5, Anm. 16. S. 8, Anm. 30; S. 10, Anm. 35; S. 17, Anm. 57; S. 19, Anm. 67; S. 20, Anm. 71; S. 28, Anm. 93; S. 30, Anm. 102; S. 45, Anm. 31; S. 46, Anm. 34 f.; S. 48, Anm. 42. 1046 Ebd., S. 18, Anm. 62. 1047 Ebd., S. 9, Anm. 32; S. 19, Anm. 67; S. 31, Anm. 106; S. 32, Anm. 108; S. 33, Anm. 112; S. 68, Anm. 2. 1048 Ebd., S. 7, Anm. 23; S. 29, Anm. 96; S. 31, Anm. 106; S. 93, Anm. 77; S. 146, Anm. 39; S. 162, Anm. 87; S. 445, Anm. 267; S. 465. 1049 Die für Bauch benannten Beiträge beschränken sich auf die „Zeitschrift für Kirchengeschichte“, das „Neue Archiv für sächsische Geschichte“ und das „Zentralblatt für Bibliothekswesen“. 1045 Ebd.,
4. Tendenzen der „Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert“ in thetischer Zusammenfassung Die theologischen Wiederannäherungen an Karlstadt vollzogen sich im 19. Jahrhundert deutlicher als zuvor in einem Wechselspiel apologetischer, polemischer und kritischer Impulse. In der ersten Jahrhunderthälfte entdeckten reformierte Befürworter der Union Karlstadt als Identifikationsfigur einer reformierten Konfessionalität in der frühen Wittenberger Reformation (Goebel, Schweizer) oder als Repräsentanten einer konfessionsübergreifenden Religiosität (Erbkam). Sämtliche Vertreter dieses Ansatzes waren direkte Schüler Schleiermachers (Goebel, Erbkam, Schweizer), die wichtigsten zudem Rothes (Goebel, Erbkam). Mitte des Jahrhunderts erfolgte die Gegenbewegung des unionskritischen Luthertums (Dieckhoff). Den konfessionellen und kirchenpolitischen Differenzen korrespondiert ein methodischer Unterschied. Während die reformierten Unionisten eine charaktertypologische Ausdeutung der Lebens‑ und Werkgeschichte suchten (für die Entwicklung dieser Methode wurden die Kirchengeschichte des Basler Schleiermacher-Schülers Hagenbach und Rankes Reformationsgeschichte bedeutsam), wollten die kirchlich orientierten Lutheraner den Gesamtansatz einzig aufgrund seiner systematisch-theologischen Prämissen interpretieren (Dieckhoff, Nathusius). Eine Verbindung beider Ansätze bot die größte Karlstadt-Monographie des 19. Jahrhunderts (Jäger), die persönliche Abwertungen mit dogmatischen Bewertungsmaßstäben verschränkte. Der Ruf nach einer Karlstadt-Edition ertönte in Jägers Buch, verhallte aber bereits mit dem gewählten Präsentationsformat. Jägers Arbeitsstil steht in der Tradition zitatlastiger Materialkompilationen (in Teilen Goebel, dann Erbkam und Dieckhoff), die von einer Seltenheit der gebotenen Texte ausging und eine Edition nicht erwartete. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts hatte Riederer dem Topos widersprochen, Karlstadt-Texte seien als solche rar. Im 19. Jahrhundert erwuchs das einzige konkrete Vorhaben einer Auswahledition (Labes) aus einer merkwürdigen Geschichtsvergessenheit, die in der Annahme, aus den Archiven unmittelbar Neues schöpfen zu können, die literarischen Leistungen vorangegangener Wissenschaftler über Gebühr ausblendete. Ein auffälliger Traditionsbruch mit dem Forschungsniveau des 18. Jahrhunderts ist auch für Vertreter der kirchengeschichtlichen Fachwissenschaft zu beobachten (Kolde), deren Beschäftigung mit Karlstadt ein Nebenprodukt von
4. Tendenzen der „Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert“
147
Studien zu Luther und Melanchthon war. Materiale Fortschritte ergaben sich daraus (Kolde, Brieger), vor allem aber außerhalb der Theologie aus landes‑ (Hase) und universitätsgeschichtlichen (Bauch) Interessen. Eine vorzügliche Einzeledition suchte Karlstadt als reformatorischen Vorläufer historisch-kritischer Schriftauslegung zu etablieren (Credner). Ein neuer Akzent fand sich Ende des Jahrhunderts, als Karlstadt als kirchlicher Vertreter christlicher Sozialreformen unter politischen Aspekten geschildert wurde (Nathusius). Im ganzen stand die Karlstadt-Forschung des 19. Jahrhunderts im Schatten des 18. Jahrhunderts, dessen Vorarbeiten aus dem Blick zu geraten drohten (Kolde, Labes). Während die Luther-Forschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts neue Höhen erreichte, arbeitete Barge daran, Erbkam als lexikalische und Jäger als monographische Standardreferenz abzulösen. Von seinen literarischen Vorgängern sollte er sich massiv abgrenzen. Zugleich waren wesentliche Züge seines späteren Gesamtbildes bereits in den Studien des 19. Jahrhunderts angelegt. Der von ihm herausgestellte Sozialreformer Karlstadt, der als Repräsentant einer spezifisch reformatorischen Mystik konfessionsübergreifende religiöse Impulse vermittelt habe, steht in Kontinuitäten zu den Karlstadt-Bildern des 19. Jahrhunderts.
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse Als vor einem Jahrhundert der Leipziger Oberlehrer Hermann Barge seine monumentale Karlstadt-Biographie in den Druck gab, dürfte er sich darüber im klaren gewesen sein, daß seine lebens‑ und werkgeschichtliche Gesamtdarstellung nicht nur eine forschungsgeschichtliche Zäsur markieren würde, sondern auch eine lebhafte Kontroverse auslösen mußte1. In der ersten Jahreshälfte 1905 erschien der „Karlstadt und die Anfänge der Reformation“ überschriebene Eröffnungsband, der chronologisch bis Mitte 1522 reicht und im Schlußkapitel „Karlstadt als Führer der reformatorischen Bewegung in Wittenberg“ schildert. Bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis sollte für den Leser ausreichen, um in der entscheidenden letzten Perspektive auf Karlstadt dessen Wirkungskreis in den Wittenberger Reformen als den der Zentralgestalt vermessen zu können und den jähen Sturz als „[i]nnere Einbuße des Protestantismus als Folge der Katastrophe des Jahres 1522“2 bedauert zu sehen. Der Höhe‑ und Wendepunkt des ersten Bandes mochte sich äußerer, drucktechnischer Vorgaben verdanken, doch markiert er formal wie inhaltlich die konzeptionelle Mitte der wohlproportionierten Gesamtkomposition. Spätestens Ende des Jahres 1905 mußte dies mit dem Erscheinen des zweiten Bandes „Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus“ erkennbar gewesen sein. Karlstadt trat in vielerlei Hinsicht an die Stelle Luthers, und ein entsprechend lauter und vehementer Protest der Lutherforschung war zu erwarten. Daß die 1905 aufbrechende, 1912 ausklingende und spätestens 1920 beendete Kontroverse die intensivste Auseinandersetzung um die reformatorische Relevanz von Karlstadt nach dessen Streitigkeiten zu Lebzeiten werden würde, hätte Barge vielleicht nicht ahnen können. Im Kern ging es um die zentralste Fragestellung, in der sich die Karlstadt‑ und Luther-Forschung berühren: das Verhältnis der beiden Reformatoren zueinander. Charaktertypologische Grundzüge und individuelle Veranlagungen, vor allem aber chronologisch vergleichende 1 Im Rückblick des Jahres 1908 erklärte Barge, Erwiderung, S. 121, gegen seinen Kritiker Hermelink: „Ich war von vornherein nicht nur auf Widerspruch gefaßt, sondern auch auf die ganz bestimmte Form, in der er erfolgen würde. Ich wußte, man würde gegen meine Resultate polemisieren getreu dem üblichen Beurteilungsmodus: die religiösen Strömungen und Bewegungen der Reformationszeit, die unabhängig von Luther zur Entfaltung gelangen, sind ihrem Ursprunge nach mittelalterlich und darum katholisch – und darum als geringwertig einzuschätzen.“ 2 Barge, Karlstadt, T. 1, S. XII.
150
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Profilierungen der theologischen Spezifika, originären Leistungen sowie gegenseitigen Beeinflussungen galt es werkgenetisch und ereignisgeschichtlich genau zu bestimmen. Das Pfund, mit dem Barge wuchern konnte, ergab sich aus seinen intensiven materialen Vorarbeiten zu Karlstadt, der systematischen Erschließung archivalischer Bestände und den eingehenden bibliographischen Recherchen. Der Hebel, mit dem die Lutherforschung das neuerliche Karlstadt-Bild aus seinen Angeln heben wollte, bestand im Aufweis von Barges eingeschränkten Kenntnissen von Luther, der reformationsgeschichtlichen Quellenlage in ihrer Breite und einzelner philologischer Fehlurteile. Die im folgenden als KarlstadtLuther-Kontroverse3 zu bezeichnende Auseinandersetzung konzentrierte sich schon bald auf Barge und den Tübinger Kirchenhistoriker Karl Müller, die beide mit jeweils einer auf den anderen persönlich zugespitzten Monographie das ausgreifende Feld weiterer Rezensenten und Autoren größerer oder kleinerer Aufsätze überragten. Sich einhundert Jahre nach dem vorläufigen Ende der Debatte einer Rekonstruktion des Gesprächsganges anzunehmen, hat eine mehr als nur wissenschaftshistorische Bedeutung. Barges Biographie gilt heute in einem weitaus höheren Maße als in den Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende als unübertroffenes Standardwerk, während die kritische Aufnahme der beiden Bände so gut wie unbekannt ist. Zugleich darf Barges Darstellung derzeit als verbreiteter denn je zuvor gelten. Eine zweite Auflage wurde nie verlegt, doch erschienen 1968 erstmals Reprints der Originalausgabe im niederländischen Nieuwkoop4. Die digitale Revolution unserer Tage führte zu der vollumfänglichen Verfügbarkeit einer pdf-Datei, die wiederum zur Grundlage neuerlicher Paperback-Editionen wurde.5 Eine kritische Würdigung Barges und zeitgeschichtliche Kontextualisie3 Den Versuch einer terminologischen Zusammenfassung unternahm am 1. November 1917 Wähler, Orlamünde, S. VIII, der von dem „Luther=Karlstadtstreit“ sprach. Da Ausgangspunkt und Hauptgegenstand der Auseinandersetzungen indes das von Barge vertretene Karlstadt-Bild war, ist es sinnvoll, Karlstadt Luther vorzuordnen. Zudem betont der Begriff der Kontroverse Differenzen in den vertretenen Auffassungen, nimmt aber nicht auf mögliche Affekte in der Diskussion Bezug. 1912 hatte der Historiker Richard Wolff von dem „BargeStreit“ gesprochen, s. dazu Wolff, Jahresberichte 1910, S. 334, den er mit seiner Formulierung dem Streit um Troeltsch und dem um Denifle parallelisierte. Zu sehr rücken darin jedoch die beteiligten Personen vor die vertretenen Sachen. Ein Jahr später wählte Georg Mentz die Bezeichnung „Karlstadtstreit“, s. Mentz, Geschichte, S. 125 (zu beachten ist hier, daß Mentz das Wort in den Titel eines Forschungsberichtes einfügte, der in der Drucklegung auf eine Überschrift verzichtet hatte). Bei dieser Formulierung vermisse ich indes den Fluchtpunkt der Diskussion, der in Barges Luther-Bild bestand. Dieser Einwand trifft auch die Formulierung „der […] Karlstadt-Kontroverse“, die Barge 1914 wählte, s. dazu unten Anm. 1275. 4 Die beiden Bände wurden von B. de Graaf photomechanisch nachgedruckt und finden sich bibliographisch bisweilen fehlerhaft als zweite Auflage bezeichnet. 5 Ein Digitalisat des im Besitz des „Princeton Theological Seminary“ befindlichen Exemplars ist abrufbar unter www.archive.org (Bd. 1: www.archive.org/details/andreasbodenstei01barg und Bd. 2: www.archive.org/details/andreasbodenstei02barg [Zugriffsdatum für beide Bände: 2. Februar 2014]). Als print-on-demand bieten seit 2005 die „Adamant Media Corporation“
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
151
rung seines Karlstadt-Buches, wie sie für andere Biographen und deren epochale Leistungen gerade bei Neuauflagen üblich sind, fehlen völlig. Für Barge wurden bisher nicht einmal die elementarsten biographischen, beruflichen oder bibliographischen Informationen erhoben. Allein im Sinne einer historiographisch angemessenen Annäherung an das nach wie vor zentrale Referenzwerk zu Karlstadt ist es nötig, die kontroverse Rezeption in ihren Grundzügen zu erfassen und die wesentlichen Reaktionen und Positionen zu konturieren. An der Auseinandersetzung um das wissenschaftlich gebotene Karlstadt-Bild beteiligten sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine Autorin und gut 30 Autoren in einer breiten Vielfalt konfessioneller Profile, akademischer Qualifizierungsgrade und beruflicher Etablierungsphasen. Ihre unbestrittene Zentralfigur war Hermann Barge, der unter allen Beteiligten zugleich als die noch immer unbekannteste Größe gelten muß. Daher wird ein biographisches Kurzportrait vorangestellt, das zugleich den zeitlichen Rahmen eröffnet, in den sich die nachfolgenden Ausführungen zum Verlauf der Debatte in weithin chronologischer Anordnung einfügen. Im Unterschied zu den meisten der übrigen Autoren wird auf eine Kurzzusammenfassung seiner wichtigsten Karlstadt-Studie, der Biographie, verzichtet. Deren Grundtendenz wurde schon angedeutet. Weiteres Licht auf die gebotenen Inhalte und deren argumentative Hintergründe fällt in den jeweiligen chronologischen Kontexten der sich entwickelnden Kontroverse.
broschierte Ausgaben an und seit 2010 u. a. die „Nabu Press“, „Lightning Source UK Ltd“ sowie „Bertrams Print on Demand“. Zudem werden einzelne Exemplare unter der offenen Publikationsangabe „Book on Demand“ vertrieben.
1. Hermann Barge (1870–1944) 1.1. Barges Leben und Werk Für die Quellenlage zu Barges Leben, Werk und Wirkungsgeschichte ist bezeichnend, daß alle prosopographisch einschlägigen Daten vor seinem Tod gedruckt wurden. Ein einziger Lexikonartikel befindet sich darunter, der 1913 in zeitlicher Nähe zu den Debatten der Vorjahre im Eröffnungsband des „Mennonitische[n …] Lexikon[s]“ erschien.6 Dessen Mitherausgeber Christian Neff (1863–1946)7 hob in dem Barge gewidmeten Beitrag besonders auf die Güte der KarlstadtBiographie und die akademische, aber auch positionelle Aufgeschlossenheit des Autors für die „Geschichte der Täufer“ ab8. „Kürschners deutscher GelehrtenKalender“ bietet mehrere Einträge, die Anfang der dreißiger Jahre noch als bibliographisch anspruchsvoll gelten können9, dann aber erheblich an Ausführlichkeit verlieren10. „Kürschners Deutscher Literatur-Kalender“ beschränkte sich 1943 auf gerade einmal fünf Zeilen.11 Der Vorgänger des heutigen „Wer ist wer?“, „Degeners Wer ist’s?“12, verfügt demgegenüber über bemerkenswert detaillierte Informationen, die sich schwerlich anders als durch Selbstauskunft Barges erklären lassen13. Im Leipziger Stadtarchiv haben sich zudem zwei handgeschriebene Lebensläufe von Barge erhalten, die für schulische Bewerbungsverfahren ange 6
Neff, Art. Barge. ihm s. Bender, Neff. 8 So heißt es bei Neff, Art. Barge, über die Karlstadt-Biographie, diese sei eine „vorzügliche […] Arbeit: […] Dieselbe bringt außerordentlich viel Licht über das Verhältnis und die Beziehungen Karlstadts zu den Täufern, was sie für uns sehr wertvoll macht.“ Unter Hinweis auf weitere Publikationen resümiert Neff: „Nach alledem gehört Dr. Barge zu den Gelehrten der Gegenwart, die der Geschichte der Täufer ein wohlwollendes freundliches Interesse und reiches Verständnis entgegenbringen.“ 9 Anon., Art. Barge 1931 (DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 39). 10 Anon., Art. Barge 1940/1941 (DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 39). 11 Anon., Art. Barge 1943 (DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 40). 12 Anon., Art. Barge 1935 (DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 38). 13 Dem korrespondiert der erklärte Ansatz des Werkes, den Hermann A. L. Degener 1935 zusammenfaßte, Degener, Vorwort, S. V: „So oft man auf Lücken stößt, bedenke man freundlichst, daß ich mich tunlichst auf Selbstbiographien stütze, deren systematische Ergänzung dauernd angestrebt wird. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der über ihn gebrachten Angaben trägt der Einsender selbst die Verantwortung; das gilt besonders in bezug auf Konfession und Rasse. Ohne Ausnahme ist jedem einzelnen Korrekturabzug zugesandt worden“. 7 Zu
1. Hermann Barge (1870–1944)
153
fertigt wurden und in seine Personalakte14 eingingen. Ein Nachlaß des kinderlosen und 1943 in Leipzig ausgebombten Ehepaars Barge ist nicht erhalten.15 Schreiben von Barge sind verstreut überliefert. Der größte Einzelbestand ist eine Sequenz von 16 Briefen und Postkarten an den Zwickauer Schwager Otto Clemen, der sich in Privathand befindet.16 Zeitlich reicht er von 1899 bis 1941. Die meisten Dokumente erhellen die für die Karlstadt-Biographie wichtige Frühphase von 1898 bis 1904; zwischen 1905 und 1935 klafft eine Lücke; drei Schreiben sind für die Jahre 1936, 1938 und 1941 überliefert. Intensiver fällt für diese Spätzeit der Briefwechsel von Elisabeth Barge, geb. Clemen, mit den Brüdern Otto und Reinhard aus. 23 Briefe und Karten von Elisabeth stammen aus den Jahren zwischen 1900 und 1942, 17 davon datieren in die dreißiger und vierziger Jahre. Fünf weitere Briefe und eine Briefkarte an die Nichte Agnes Einenkel, geb. Clemen, Otto Clemens älteste Tochter, beleuchten die Nachkriegszeit bis 1950, in der Elisabeth Barge immer wieder kurz auf ihren verstorbenen Mann zu sprechen kam.17 Auf diese Dokumente im ganzen müssen die biographischen, beruflichen und bibliographischen Ausführungen aufbauen. 1.1.1. Lokale Kontinuitäten – Leben und Lehrtätigkeit in Leipzig Im Leben Barges ließe sich dreierlei als bezeichnend hervorheben. Zum einen ist eine überaus große Ortstreue zu seiner Heimatstadt Leipzig erkennbar. Barge selbst hob diesen Umstand einmal im Zuge eines Bewerbungsverfahrens hervor, als er sich in seinem immerhin 47. Lebensjahr befand: „Abgesehen von meiner halbjährigen Hauslehrerzeit in Potsdam habe ich meine ganze Lebenszeit in Leipzig verbracht und der mir ans Herz gewachsenen Vaterstadt meine Kräfte gewidmet.“18 Geboren wurde Hermann Ernst Gustav Barge19 am 2. Juni 1870 in dem heutigen südöstlichen Stadtteil Reudnitz20, der zum 1. Januar 1889 Leipzig einge14 S. hierfür im ganzen Barges schulische Personalakte im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, auf die im weiteren detailliert verwiesen wird. 15 Vgl. dazu unten Anm. 39. 16 Aufs herzlichste danke ich Frau Marianne Müller, der Zwickauer Enkelin von Otto Clemen und Tochter von Barges Patentochter, für die Überlassung der Materialien und familieninterne sowie lokale Nachforschungen. 17 Für die Vermittlung dieser Korrespodenz danke ich ebenfalls Frau Marianne Müller, Zwickau, vielmals. 18 S. hierfür Barges Bewerbung für das Rektorat der Thomasschule vom 2. Januar 1917, StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 50v. 19 Für Barges frühe Bildungs‑ und Berufsgeschichte bietet ein weiteres auf Selbstangaben basierendes Kurzportrait wertvolle Ergänzungen. Es handelt sich um den Abschnitt „Schulnachrichten“ im Jahresbericht des Gymnasiums von Barges erster Festanstellung, Jahresbericht 1896, S. 29. Zum Quellencharakter s. einleitend, ebd.: „Die neuen Kollegen berichten Folgendes von ihrem Lebensgange.“ Der vollständige Vorname findet sich ebd.; zudem wird er in der Schulakte geboten, u. a. auf dem Personalbogen, StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 1r. 20 Ebd. Zudem s. Anon., Art. Barge 1935.
154
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
meindet wurde21. Barges Konfessionszugehörigkeit benennen die späteren Kurzportraits mit „ev.“, während eine frühe Selbstauskunft zu „ev.-luth.“ präzisiert.22 Sein Abitur erwarb Barge Ostern 1889 am Leipziger Nicolaigymnasium23; sodann studierte an der heimischen Universität24, wo er unter Karl Lamprecht am 20. Dezember 189225 zum Dr. phil. promoviert wurde. Anschließend wechselte er für ein Semester als Hauslehrer nach Potsdam, um von dort aus Vorlesungen in Berlin zu besuchen.26 Seit Ostern 1893 zurück in Leipzig, konzentrierte er sich auf altphilologische Studien und erhielt ein knappes Jahr später das Oberlehrerzeugnis, das ihn berechtigte, Geschichte, Deutsch, Latein, Griechisch und Geographie zu unterrichten.27 Im näheren Umfeld der philosophischen Fakultät wurde Barge 1894 als einer der Kandidaten benannt, die an einer Habilitation
21 Archivalisch dokumentiert sich diese administrative Veränderung in Leipziger Bürgerrechtsgesuchen, wie sie 1879 von Barges Vater (StA Leipzig Bürgerakte Nr. 53 432) und 1891 von Barge selbst (StA Leipzig Bürgerakte Nr. 34 007) gestellt wurden. 22 Zur ersten Angabe s. Anon., Art. Barge 1935, zur zweiten Jahresbericht 1896, S. 29. Für das Jahr 1932 ist, im direkten Bezug auf fortschreitende Krankheiten, eine Beschäftigung mit Mary Baker Eddy belegt (s. dazu u. Anm. 36). Während der letzten Lebensjahre zeichnen sich privatreligiöse Züge ab, die dem 1905 befürworteten Gemeindechristentum korrespondieren können, in jedem Fall aber mit der Kriegssituation und Barges körperlichem Zustand in Verbindung stehen; vgl. dazu Elisabeth Barge an Otto Clemen, 28. Dezember 1941 (Privatbesitz), Bl. 1r: „Wäre nicht Krieg, fiele die Verdunkelung hinweg, wäre Hermann gesund, dann hätte ich mich bestimmt zu Deinem 70. Geburtstag nach Zwickau aufgemacht“; ebd., Bl. 2r: „Wir waren Heiligabend still für uns – es war mir etwas wehmütig um’s Herz – Hermann hielt eine schöne Andacht und wir sangen Weihnachtslieder.“ 23 Anon., Art. Barge 1935, verweist auf den Besuch des Nikolaigymnasiums. Die Präzisierung des Datums erlaubt der Jahresbericht 1896, S. 29. 24 Die archivalisch erhaltene Personalkarte der Leipziger Universitätsquästur bietet als Immatrikulationsdatum den 24. April 1889, als Ausstellungsdatum des Abgangszeugnisses den 1. Juli 1892 und als Abgangsdatum den 24. April 1894: UA Leipzig, Quästur. 25 Zu dem Datum vgl. das Titelblatt von Barge, Vertrag. 26 Anon., Art. Barge 1935, verweist auf einen Studienaufenthalt in Berlin und die Hauslehrertätigkeit im Winterhalbjahr 1892/1893. Beides erhellen die Lebensläufe im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15; für eine Fassung vom 2. Januar 1917 in der Bewerbung um das Rektorat der Thomasschule s. ebd., Bl. 48r, für die Bewerbung um das Rektorat der Nikolaischule vom 26. Januar 1925 s. ebd., Bl. 100r. Im Schreiben bezüglich der Thomasschule erkärte Barge: „ich […] begab mich darauf zunächst für ein Semester nach Potsdam, wo ich als Hauslehrer tätig war, und von wo aus ich Vorlesungen an der Berliner Universität besuchen konnte.“ 27 S. hierfür ausführlich den Lebenslauf im Bewerbungsschreiben für das Rektorat der Thomasschule, ebd., Bl. 48r, 49r: „Nach Leipzig Ostern 1893 zurückgekehrt, setzte ich meine nunmehr ganz vorwiegend der altklassischen Philologie gewidmeten Studien an der Universität Leipzig fort und erhielt nach bestandener Staatsprüfung am 23. Februar 1894 das Oberleh rerzeugnis mit Lehrberechtigung für Latein und Geschichte in den oberen, für Griechisch und deutsch in den mittleren und für Geographie in den unteren Klassen. […] Auf Wunsch des damaligen Rektors des Realgymnasium[s] Professor Dr. Böttcher unterzog ich mich behufs größerer Verwendbarkeit im Unterricht am 24. Juli 1896 einer Erweiterungsprüfung, durch die [… zudem] die Lehrberechtigung im deutschen für Oberklassen hinzukam“. Zur Datierung des Oberlehrerzeugnisses in den Februar 1874 s. unter den gedruckten Daten den Jahresbericht 1896, S. 29.
1. Hermann Barge (1870–1944)
155
arbeiteten.28 Zugleich deuteten sich persönliche oder positionelle Reserven, wie die des Leipziger Lehrstuhlinhabers Erich Marcks, an.29 In Leipzig absolvierte Barge zunächst sein schulisches Probejahr30 und wirkte dort in vier Jahrzehnten als Gymnasiallehrer: seit 1894 an der als Realgymnasium31 geführten Petrischule – deren Gründungsgeschichte er 1897 in einer kleineren archivalischen Studie behandelte32 –, ab Ostern 1917 für zweieinhalb Jahre an der Thomasschule33 und mit dem 1. Mai 1931 am Königin-Carola-Gymnasium.34 Das Rektorat an dem 25 km östlich von Leipzig gelegenen Realgymnasium Wurzen35 hatte er am 1. Oktober 1922, ein halbes Jahr nach gesundheitlich kritischen Überlastungserscheinungen36, übernommen und 1931 niedergelegt. Die lokalgeschichtliche 28
Vgl. dazu die Folgeanm. Goetz, S. 49 f., zitiert einen Brief von 1894, in dem Walter Goetz seine Leipziger Erstbegegnung mit Marcks gegenüber Karl Brandi schildert: „Es ist augenblicklich kein historischer Privatdozent da, aber 7 in Sicht, und zwar allen Anschein nach an erster Stelle Gustav Wolf […]. Die anderen sind wohl meistens noch in weiter Ferne; leid würde es mir aber thun, einen so unangenehmen Kollegen wie Wolf zu bekommen. Auch Barge steht auf der schwarzen Liste! Es kann nett werden, wenn wir 3 später miteinander verkehren sollten.“ Nett wurde der Verkehr mit Barge zumindest aus dessen Sicht, die anläßlich des 60. Geburtstages von Goetz in einer Würdigung der historiographischen Leistungen des mittlerweile profilierten Politkers dokumentiert wurde: Barge, Goetz. 30 Für Ostern bis Michaelis 1894 hält der Jahresbericht 1896, S. 29, als Einsatzort das Leipziger Staatsgymnasium fest, für Michaelis 1894 bis Ostern 1895 das Realgymnasium. 31 Ausweislich des in Anm. 339 erwähnten Schreibens von Barge an Theodor Kolde vom 24. September 1898, UB Erlangen-Nürnberg, Ms. 2604–06, Bl. 2r, wohnte Barge während dieser Jahre in der „Schenkendorfstr. 9 III“. 32 Barge, Realschule. Zu der institutionellen Überführung der Realschule in „das heutige Leipziger Realgymnasium“ s. ebd., S. 331. 33 Anon., Art. Barge 1935. Der Wechsel an die Thomasschule war kriegsbedingt und verhinderte die Einberufung. Wie sich aus Barges Personalakte im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 64r–68v, rekonstruieren läßt, erhielt Barge für den 16. März 1917, ebd., Bl. 64v, mit der „Kriegsbeorderung“ seinen Einberufungsbefehl. Am 14. März erklärte das Leipziger Schulamt per Eilantrag dem Dresdener Ministerium, ebd., Bl. 65r u. 65v, daß Barge von der Petrischule, an der er „als unabkömmlich nicht anerkannt“ sei, an die Thomasschule versetzt werden müsse: „Wir sehen uns indessen genötigt, ihn von Ostern d.[ieses] J.[ahres] ab an unsere Thomasschule zu versetzen und müssen ihn an dieser Anstalt als durchaus unabkömmlich in Anspruch nehmen.“ An der Thomasschule war zu diesem Zeitpunkt kein Historiker mehr tätig; vgl. hierfür ebd., Bl. 64r. Elisabeth Barge, geb. Clemen, berichtete über den Schulwechsel ihrem Bruder Otto Clemen in einem handschriftlichen Brief am 18. Mai 1917 (Privatbesitz), Bl. 2r u. Bl. 1r (seitenverkehrter Nachtrag): „Hermann, der sich nun [in der neuen Wohnung der Marienstr., vgl. dazu unten Anm. 39] wenigstens an seinem schönen großen Arbeitszimmer erfreut, ist noch nicht ganz beglückt an der Thomasschule, die Collegen sind zwar sehr herzlich, aber die Schüler behagen ihm nicht so recht. Es sind nun meist die Söhne aus vornehmen Familien, u.[nd] denen ist vielleicht die offene, natürliche Art von Hermann fremd. Lehrer u.[nd] Schüler müssen sich eben auch erst aneinander gewöhnen. Der Vorgänger war außerordentlich beliebt, da hat es der Nachfolger nie leicht.“ 34 Anon., Art. Barge 1935. 35 Ebd. Zu den amtlichen Gelegenheitsschriften aus dieser Zeit gehört eine gedruckte Schulrede: Barge, Denken. 36 Anon., Art. Barge 1935. Die näheren Umstände ergänzt Barges Bewerbung um das Rektorat der Nicolaischule vom 26. Januar 1925, StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 100v: 29 Weigand,
156
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Forschung begründet dies mit bildungs‑ sowie möglicherweise parteipolitischen Differenzen in der Umgestaltung der Einrichtung.32 Auszuschließen ist dies „Michaelis 1922 erhielt ich eine Berufung als Oberstudiendirektor an das Wurzener Staatsgymnasium, das schon bei meinem Amtsantritt sich in Umwandlung zu einem Reformgymnasium befand.“ Barge übernahm das Amt genau ein halbes Jahr, nachdem er Ende März 1922 das einzige Mal während seiner gesamten Leipziger Diensttätigkeit krankheitsbedingt Erholungsurlaub für vier Wochen beantragt hatte, ebd., Bl. 85r. Der behandelnde Nervenarzt, ebd., Bl. 86r, diagnostizierte in seinem Gutachten einen „Zustand nervöser Erschöpfung, offenbar infolge von Ueberarbeitung. Neben einer abnorm leichten Ermüdbarkeit des Nervensystems bestehen psychische Hemmungserscheinungen und eine dadurch bedingte Herabsetzung der Leistungs‑ und Entschlussfähigkeit. Ferner bestehen Schlafstörungen, sowie innere Unruhe und Unsicherheit.“ Elisabeth Barges Schilderung in ihrem Brief an den Bruder Reinhard Clemen vom 11. August 1932 (Privatbesitz) belegt, daß die Schlafstörungen bis in das Jahr 1932 anhielten, benennt sonst aber nur physische und keine psychischen Einschränkungen, Bl. 1r: „Das Ausruhen hat uns sehr gut getan, u.[nd] im allgemeinen können wir mit Hermann’s Befinden recht zufrieden sein. Besonders dankbar sind wir für den guten Schlaf – seit Monaten gebraucht er kein Schlafmittel – u.[nd] für den gesunden Stuhlgang, auf den die Ärzte auch großes Gewicht legen. Nur das Spannungsgefühl quält Hermann noch manchmal, (um die Lenden herum) aber Gott sei Dank sind die Lähmungserscheinungen ganz gewichen. Die ganz alten, frischen Kräfte sind es noch nicht, aber man sagt sich: wenn in dem Alter eine Erkrankung kommt, so nimmt sie sich Zeit zu verschwinden, oder sie hinterläßt kleine Beschwerden.“ Einen besonderen Tiefpunkt schildert Elisabeth Barge für das Jahr 1931, dies. an Reinhard Clemen, 21. Dezember 1932 (Privatbesitz), Bl. 1r: „ich bin dieses Jahr so dankbar, daß es Hermann besser geht. In welcher Sorge verlebte ich den Heiligabend im vorigen Jahre!“ Barge selbst führte seine Besserung auf die Beschäftigung mit Mary Baker Eddys „Christian Science“ zurück, wobei „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ im Vordergrund gestanden haben dürfte; vgl. dazu Elisabeth Barge an Reinhard Clemen, 27. September 1932 (Privatbesitz), Bd. 1r u. 1v: Bei Besuch von „Pfarrer Raithelhuber […] kam es zu einem sehr lebhaften Gespräch. Hermann hat sich nämlich jetzt der Christlichen Wissenschaft zugewendet, Du hast sicher schon davon gehört? Er verspricht sich von dieser unendlich viel, u[nd] sicherlich hat ihm die Vertiefung in diese Wissenschaft schon sehr viel geholfen. In seiner Begeisterung sagte er zu Pfarrer R., daß er vollständig geheilt u.[nd] wiederhergestellt sei! Das kann ich nun leider nicht ganz bekennen“. Im familiären Umfeld von Barge stieß dessen Umgang mit der Krankheit auf Ablehnung. Seine Schwägerin Susanne Clemen, geb. Barth, kritisierte unter Berufung auf ihren Schwager, den Mediziner Rudolf Friedemann in einem Brief an ihre Schwester Änni Barth am 12. Oktober 1932 (nach einer Abschrift, die Roswitha Einenkel, Lichtenstein, freundlicherweise für mich anfertigte): „Hermann fühlt sich leicht ermüdet – das Lehren strengt ihn an. […] Es ist eine rechte Sorge mit Hermann. Rudolf ist ärgerlich, daß er sich nicht in ärztl.[iche] Behandlung begibt, sondern alle Heilung in der Christian Science erhofft.“ Bis zu seinem Tod blieb Barge in besonderer Weise wetterfühlig, was seine Ehefrau als ein Nervenleiden interpretierte, und litt unter dem zunehmenden Verlust seiner Sehkraft (s. unten Anm. 241); vgl. dazu Elisabeth Barge an Reinhard Clemen, 27. September 1932 (Privatbesitz), Bl. 1v: „Hermann’s Befinden macht mir noch oft Sorge. Die Witterung spielt ihm auch sehr mit, u.[nd] seine Stimmung ist oft recht niedergedrückt“. Dies. an Otto Clemen, 29. September 1932 (Privatbesitz), Bl. 1v: „Ich bin vielleicht jetzt mehr denn je geneigt zur mildesten Beurteilung bei Krankheiten, weil ich sehen muß, wie hart es ist, wenn Krankheit über den Menschen kommt. Dem armen Hermann ist es so wenig gut, u[nd] mir ist das Herz in mehr als einer Beziehung schwer.“ Dies. an Reinhard Clemen, 16. Januar 1933 (Privatbesitz), Bl. 1v: „Hermann spielt der Witterungswechsel im Befinden leider immer noch sehr mit, namentlich Wind u. das naß kalte Wetter spürt er sehr. Doch dürfen wir im Ganzen recht zufrieden sein!“ Dies. an Otto Clemen, 4. Februar 1933 (Privatbesitz), Bl. 1r: „Es ist nur zu schade, daß das alte häßliche Wetter Hermann mitspielt, aber das
1. Hermann Barge (1870–1944)
157
nicht.38 Für Barge erfüllte sich jedenfalls ein Wunsch, als er zum 1. Mai 1931 das Rektorat des humanistischen Königin-Carola-Gymnasiums übernehmen konnte39. Das Ziel, Schulleiter eines renommierten Leipziger Gymnasiums zu werden, kennt man ja bei allen Nervensachen.“ Dies. an Otto Clemen, 28. Dezember 1935 (Privatbesitz), Bl. 1r: „Hermann hatte viel Ischiasschmerzen“. Dies. an Otto Clemen, 29. Dezember 1937 (Privatbesitz), Bl. 2r: „Daß Du neulich 7½ St.[unden] nach Lichtenstein [in die Zwickau benachbarte sächsische Stadt] gelaufen bist, hat uns wirklich erstaunt [… .] Hermann berührt freilich so eine Leistung etwas wehmütig, in den feuchten Tagen war er sehr unsicher auf den Beinen u.[nd] so ängstlich u[nd] unter der Dunkelheit hat er sehr gelitten. Wir haben heute den Schreibtisch mit Hilfe von 2 starken Männern anders gesetzt u[nd] glauben besseres Licht zu haben.“ 37 Ebert, Bildung, skizziert den 1919 einsetzenden Umbau der Schule vom humanistischen Gymnasium zum Reformgymnasium. Die Verabschiedung der letzten „Humanisten“ markierte 1930 nur einen vorläufigen Abschluß; schon bei Barges Pensionierung stand der Nachfolger Robert Schwartze bereit, der die Umgestaltung zur „Horst-Wessel-Schule“ 1933 vollzog. Barge, so Ebert, ebd., habe sich „nicht mehr mit den aufziehenden neuen Verhältnissen abfinden [können], und er trat in den Ruhestand.“ 38 Bisher ließen sich entsprechende Äußerungen von Barge nicht auffinden. Drei Jahre nach dem Wurzener Amtsantritt bewarb sich Barge um das Rektorat des Leipziger Nicolaigymnasiums, vgl. dazu Anm. 40. In seinem Anschreiben betonte er, keine Gründe zu haben, Wurzen verlassen zu wollen, außer der persönlichen Verbundenheit zur alten Schule. Im Rückblick auf die Wurzener Zeit deuten sich jedoch Konflikte mit Kollegen an. Elisabeth Barge berichtete am 11. August 1932 ihrem Bruder Reinhard Clemen brieflich (Privatbesitz), Bl. 1r: „Hermann ersehnt natürlich seine volle Leistungsfähigkeit sehr, denn seine Arbeit hier mit dem harmonischen Collegium liebt er sehr.“ Über den ersten Kurzbesuch in Wurzen, eineinhalb Jahre nach dem Umzug, heißt es, ebd., Bl. 2r: „Sonst zieht es uns absolut nicht nach diesem Klatschnest Wurzen, diese engherzige Einstellung dort ist doch furchtbar. Hier an dem großen Gymnasium ist Hermann so ganz anders am Platze, in Wurzen überragte er geistig seine Collegen, u.[nd] das war die Eifersucht u.[nd] die Mißgunst! Machen wir einen dicken Strich!“ 39 Zu dem Datum s. oben Anm. 34. Zur Leitungsfunktion s. Barges Brief an Karl Brandi vom 27. Oktober 1934, UA Göttingen, Cod. Ms. K. Brandi 1, 178 (Mappe 2, für die Jahre 1928–1935), Bl. 1r: „Seit 1. Mai d.[ieses] J.[ahres] bin ich in den Ruhestand getreten (ich war die letzten Jahre Leiter des hiesigen Königin-Carola-Gymnasiums)“. Eine Miszelle zur kulturellen Öffentlichkeitsarbeit des humanistischen Gymnasiums während Barges ersten Dienstjahres stellt dar: Barge, Aufführung. Während seiner Amtszeit als Rektor lebten Barges in einer Dienstwohnung, die sich im Schulgebäude in der damaligen Elisenstr. 62 befand. Ein Schreiben vom 3. Mai 1931, Barge an Stadtrat Friedrich Stahl, im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 109r, führt als Absender die Schuladresse auf. Daß es sich dabei um eine Dienstwohnung handelt, erhellt der Brief Elisabeth Barges an ihrem Bruder Reinhard Clemen vom 11. August 1932 (Privatbesitz), der Bl. 1v eine anschauliche Schilderung bietet: „Unsere Räume sind ja so luftig u.[nd] angenehm, auf der Diele sitzt es sich wie in der Sommerfrische, u.[nd] jeder, der uns besucht, ist begeistert über die Frische unserer Wohnung.“ Die Wohnung dürfte im oberen Bereich des Schulgebäudes gelegen haben (vgl. dazu ebd., Bl. 2v: „Wir haben uns nämlich für die Ferienzeit den Radioapparat von der Schule heraufgeholt, u[nd] genießen nun ziemlich viel Musik u.[nd] Ansprachen.“ Vgl. auch Elisabeth Barge an Reinhard Clemen, 27. September 1932 [Privatbesitz], Bl. 1r: „Ich konnte Hermann an diesem Vormittage gut aus der Sprechst.[unde] heraufholen lassen, da nichts besonderes vorlag“.). Die historische Bausubstanz besteht nicht mehr; am 4. Dezember 1943 wurde nicht nur das Gymnasium ausgebombt, sondern auch die umliegende Johannstadt weitgehend zerstört; zum Datum des Luftangriffs und den Schäden am Schulgebäude vgl. Wiemers, Leipzig, S. 165, Anm. 11. Barges betraf dies in ihrer Folgewohnung in der Elisenstr. 98, in die sie 1934 gezogen waren (S. Anm. 55). Marianne Müller, die Enkelin von Barges Schwager Otto Clemen und Tochter von Barges Patenkind Helene Gräfe, geb. Clemen, besitzt einen silbernen Besteckkasten,
158
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
hatte er erstmals 1917 mit seiner Bewerbung um das Rektorat der Thomasschule verfolgt und 1925 für das Nicolaigymnasium40, seine alte Schule, erneuert. Als der laut handschriftlicher Notiz ihrer Mutter am 6. Dezember 1943 „aus den Flammen gerettet“ wurde. Die gebotene Auskunft geht auf Helene Wenzel, die langjährige Bargesche Haushälterin, zurück. Demnach wurde das Ehepaar Barge mit der umliegenden Johannstadt ausgebombt. Ein Brief von Barges Schwägerin Susanne Clemen, geb. Barth, an deren Tochter Agnes Einenkel, geb. Clemen, vom 9. Dezember 1943 (nach einer Abschrift, die Roswitha Einenkel, Lichtenstein, freundlicherweise für mich anfertigte) bestätigt diese Umstände: „Barges sind in Leipzig ganz abgebrannt […]. Hannas Haus ist auch zerstört. Hanna konnte noch was retten, Barges hatten nur den Luftschutzkoffer.“ Unter dem Verlust ihres Haushaltes litt Elisabeth Barge, geb. Clemen, schwer. An die Nichte Agnes Einenkel, geb. Clemen, schrieb sie am 14. Oktober 1946 (Privatbesitz), Bl. 1r: „Vielleicht verstehst Du nun auch die ganze Tragik, was es bedeutet völlig ausgebombt zu sein, alles, aber auch alles verloren zu haben. Es ist schon unsagbar schwer in meinem Alter so abhängig von der Güte fremder Menschen zu sein und so leide ich mit Frln. Lenchen [zu der langjährigen Haushälterin des Ehepaars Barge s. diese Anm. unten] unsagbar unter dieser Heimatlosigkeit.“ Dieses Gefühl hatte Elisabeth Barge bereits am 3. August 1946, ebenfalls an Agnes Einenkel (Privatbesitz), geschildert, Bl. 1v: „Wer die Gnade genießen darf, das Heim [zu] behalten, ahnt nichts von dem Gefühl der Heimatlosigkeit. Tagtäglich wird es schwerer und die Erinnerung an Onkel Hermann’s schweres Schickal läßt mich nie wieder froh werden.“ Die anhaltende Trauer bestimmt auch den Brief des Folgejahres von Elisabeth Barge an Agnes Einenkel (Privatbesitz), Bl. 1v: „Wir leiden ja so unter dem Entbehren einer eigenen Wohnung, es bleibt stets das Gefühl des Gastseins, es fehlt jedes Gefühl der reinen Freude an Eigenen. Man ist freundlich geduldet […]. Und innerlich vereinsamt bleibe ich trotz aller Liebe und Freundschaft, die Liebe und das Verstehen des besten und liebsten Lebenskameraden kann niemand ersetzen. Wie hatte mich Onkel Hermann verwöhnt!“ Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Elisabeth Barge mit Helene Wenzel, der langjährigen Haushälterin (sie begleitete das Ehepaar Barge seit 1906, s. dazu Elisabeth Barge an Agnes Einenkel, 14. Oktober 1946 [Privatbesitz], Bl. 1v: „Frln. Lenchen […] [feierte … a]m 7. Okt.[ober] […] ihren 60. Geb., am 1. Nov. [ember] werden es 40 Jahre, daß wir beisammen sind.“), bei deren Bruder und dessen Ehefrau in Leipzig (vgl. dazu, ebd.: „Frln. Lenchen ist unermüdlich tätig, sie hat nun ihrer Schwägerin viel zuviel Arbeit abgenommen“; sämtliche Briefe von Elisabeth Barge zwischen 1946 und 1950 führen als postalische Anschrift: „Weiße Str. 2 III bei Wenzel“). Beide Barges fühlten sich der langjährigen Haushälterin persönlich verbunden. Testamentarisch hatte das Ehepaar am 5. September 1940 vorgesehen (Abschrift von der notariellen Niederschrift „54 IV B 35/44 – U. R. 18/1940“ [Privatbesitz], Bl. 1r), die „Rechte aller Art insbesondere die Ansprüche auf die von diesem Verlag [Philipp Reclam jun.] zu zahlenden Anteile an dem Ertrage meines Werkes ‚Geschichte der Buchdruckerkunst‘ [… n]ach meinem und meiner Ehefrau Ableben […] an Helene Wenzel in Leipzig als Ersatz‑ und Nachlaßvermächtnisnehmerin übergehen [zu lassen]. Mit dieser Bestimmung soll ihre allzeit bewährte Treue und Hilfsbereitschaft gegen uns vergolten werden.“ Barge selbst hatte nach Abschluß seiner Dissertation im April 1893 zunächst in der „Kl. [einen] Burggasse 8, III“ gewohnt, s. dazu den Brief von Barge an Hubert Maximilian Ermisch, Sächsische LB – SUB Dresden, Mscr. Dresd. App. 391, Bd. 1, 132, Bl. 2v. Zur Zeit der Streitigkeiten um seine Karlstadt-Biograpie war Barge in die „Schenkendorfstr. 56, II“ umgezogen, s. dazu Anon., Art. Barge 1908, S. 52, nachdem er bereits zuvor in der „Schenkendorfstr. 9 III“, s. dazu oben Anm. 31, gewohnt hatte. 1914 unterzeichnete er einen Brief an Lamprecht, 7. Juli 1914, ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht), Bl. 1r, mit „Naunhoferstr. 22“ in „Leipzig-Stö[tteritz]“. Kurz vor seinem Wechsel nach Wurzen lebte Barge in der Marienstrasse 11a, vgl. hierfür das Gesuch um Erholungsurlaub vom 23. März 1922 im StA Leipzig SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 85r. 40 Zu dem ersten Vorgang s. Barges Bewerbungsschreiben vom 2. Januar 1917 im StA Leipzig SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 48r–51r, zu dem zweiten ebd., Bl. 100r–101r. Die perönlichen Bezüge deuten sich in Barges Begründung seiner Motivation, ebd., Bl. 100v, in der „Möglichkeit [an],
1. Hermann Barge (1870–1944)
159
Barge zum 1. Mai 193441 pensioniert wurde, hatte er den Grad des Oberstudiendirektors erreicht42 und seit 1909 den Titel des Gymnasialprofessors führen dürfen43. Einen gewissen Eindruck von Barges Tätigkeit als Lehrer44 und Kollege45 vermittelt der Bericht seines Schulleiters am Realgymnasium, der ihn am 11. Januar 1905 in einem internen Dokument als engagiert und beliebt schilderte: „ein eifriger Lehrer, voll Liebe zum Unterricht und zu seinen Schülern. Diesen hat er sich oft und mehr gewidmet als von ihm gefordert werden konnte (– z. B. auf lehrreichen geschichtlichen Spaziergängen in die Umgebung –). Darum hat er auch gute Erfolge aufzuweisen und hat unter seinen Schülern viel Anhänglichkeit gefunden.“46
In einer erstaunlichen Entsprechung zu diesen Formulierungen faßte eine Leipziger Zeitung 1934 Barges letzte Rede im Schulamt zusammen: „Oberstudiendirektor Dr. Barge verabschiedete sich mit herzlichen Worten des Dankes für Leiter der Anstalt zu werden, die ich seinerzeit von Anfang bis zu Ende durchlaufen habe, und der ich die Grundlegung meiner geistigen Ausbildung verdanke. Andererseits bestimmte mich der Wunsch nach einem Wirkungskreise, der umfänglicher ist als mein bisheriger.“ 41 Das Datum ergibt sich aus der umfangreichen schulischen Personalakte zu Barge: StA Leipzig SchA Kap. II B Nr. 15. Vgl. zudem den in Anm. 39 benannten Brief Barges an Karl Brandi vom 27. Oktober 1934, UA Göttingen, Cod. Ms. K. Brandi 1, 178 (Mappe 2, für die Jahre 1928–1935), Bl. 1r. 42 Anon., Art. Barge 1935. Vgl. in der Retrospektive des Jahres 1951 Bornkamm, Vorwort, S. 5. 43 Anon., Art. Barge 1935. Barges schulische Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 1r, präzisiert das Datum im Personalbogen auf den 10. Dezember 1909. 44 Literarisch ließe sich ergänzend auf den Beitrag Barge, Sozialismus, von 1921 hinweisen, der andeutet, wie konsequent Barge mit seinem Geschichtsunterricht darum bemüht war, Gegenwartsfragen historiographisch differenziert zu erörten; s. dazu bes. ebd., S. 2. Das geschilderte Vorgehen entspricht dem heute vertrauten Ansatz, Fragen der Schüler aufzugreifen, zu moderieren und strukturiert zu vertiefen. Als Textgrundlage für eine Diskussion, die einer allgemeinen Begriffsbestimmung dienen sollte, empfahl Barge einen Auszug aus Thomas Morus’ „Utopia“, ebd., S. 4. Für die neuzeitliche Entwicklung der politischen Ideen des Sozialismus in seiner gesamten Breite, ebd., S. 5, suchte Barge bei seinen Schülern ein Problembewußtsein für die jeweiligen wirtschafts‑ und sozialgeschichtlichen Implikationen der einzelnen Epochen zu generieren. Größe und Grenze der sozialistischen Idee wollte er zudem aus punktueller Quellenlektüre von Marx aufzeigen, ebd., S. 13 f. Die Größe sah Barge in dem humanistischen Ideal, das auch frauenemanzipative Forderungen erhob, die Grenze in der intendierten Internationalisierung, die Barge als verhängnisvolle Fehleinschätzung der grundlegenden Bedeutung von Nation und Staat ansah. Dies habe Konsequenzen bis in die Gegenwart, ebd., S. 14: „So trat die Sozialdemokratie schon in der Stunde ihrer Geburt innerlich krank ins Leben.“ 45 Eine besondere Kollegialität deutet sich auch darin an, daß Barge auf seinen gefallenen Kollegen Dr. Bruno Busse (1877–1916) eine Gedenkrede „bei der Gedächtnisfeier in der Petrischule in Leipzig am 26. August 1916“ hielt. Der archivalisch erhaltene Text (StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15) erschien als Privatdruck: Barge, Busse. 46 Schreiben des Direktors Böttcher, 11. Januar 1905, Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 10r–11r; hier: 10v. Zu Veranlassung dieses Schreiben s. unten Anm. 92. Auch als Wurzener Schulleiter begleitete Barge Exkursionen; s. dazu den Brief Elisabeth Barges an Otto Clemen, 8. Juni 1927, Privatbesitz, Bl. 3r: „Hermann […] arbeitet sehr viel trotz Ferien, wird event.[uell] nächste Woche mit der Oberprima 3 Tage nach Weimar u.[nd] Eisenach gehen.“
160
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
treue Anhänglichkeit und Liebe.“47 Der Abschied stand unter einem politischen Vorzeichen. Bei dem Festakt wurde erklärt und in der anschließenden Berichterstattung wiederholt, daß „Dr. Barge freiwillig 1½ Jahre vor der Erreichung der Altersgrenze von seinem Amte zurück[tritt], um der Not der Junglehrerschaft mit zu steuern durch Freimachung eines Platzes. Das Ministerium erkennt das ausdrücklich in einem Dankschreiben an.“48
Nachfolger im Rektorat wurde ein jüngerer, parteipolitisch hochaktiver Kollege49. Barge hatte es sich dagegen seit 1922 zur Pflicht gemacht, als Schulleiter von politischem Engagement abzusehen50, wobei er sich selbst bereits 1904 von antisemitischen Gruppierungen abgegrenzt hatte51. Der Briefwechsel von Elisabeth Barge mit ihren Brüdern Otto und Reinhard Clemen erhellt die Umstände der Pensionierung. Demnach wurde Barge im März 1934 angefragt, „ob er bereit sei[,] zugunsten der Junglehrer eher in den Ruhestand zu treten.“52 Barge erklärte seine Bereitschaft, „zu Michaelis 1934“ den Posten zu räumen, brachte aber Gründe vor, die seine Pensionierung „im Interesse der Schule […] bis Ostern 35“ aufschieben sollten.53 Am 18. März, „zum Sonntag, kommt die Nachricht, daß Hermann am 30. April in den Ruhestand versetzt ist. Das kam uns dennoch etwas sehr überraschend, aber Hermann 47 S. hierfür den Beitrag „Rektorwechsel im Carola-Gymnasium“ der Leipziger Abendpost vom 1. Mai 1934; archivalisch erhalten in der Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 112r. 48 Ebd. Vergleichbare Formulierungen und bisweilen mehr Details bietet der Artikel „Rektoreinweisung im Königin Carola-Gymnasium“ in den „Leipziger Neueste[n] Nachrichten“ vom 1. Mai 1934, archivalisch erhalten im StA Leipzig SchA Kap. II B Nr. 15,, Bl. 112v: „Der Konrektor, Studiendirektor Dr. Winkler, führt u. a. aus, daß die Lehrerschaft mit Bedauern Dr. Barge scheiden sehe. Um der Not der Junglehrerschaft zu steuern, habe er freiwillig den Entschluß gefaßt, 1 ½ Jahre vor Erreichung der Altersgrenze aus seinem Amte zu scheiden.“ 49 Ebd.: „Sein Nachfolger, Oberstudiendirektor Dr. Wagner, ist ein sehr markanter Vertreter der nationalsozialistischen Bewegung und zugleich Kreisleiter des NSLB. Ihm, der seit langen Jahren als Lehrer mit dem Carola=Gymnasium verwachsen ist, widmete Dr. Winker [Konrektor der Schule] namens der Lehrerschaft herzliche Worte der Begrüßung. Der Regierungsvertreter verpflichtete den neuen Rektor. Als Forderungen stellte er auf, daß die Bindung mit der Jugend nie verloren gehen dürfe und daß die Schule die Pflanzstätte der nationalsozialistischen Weltanschauung sein müsse. […] Der neue Rektor […] führte u. a. aus, daß [… das] Ziel der neuen deutschen Schule sei, den politischen Menschen zu bilden, der mit Adolf Hitler verbunden sei. Er schloß mit den Worten des Führers an die Jugend, die er in Nürnberg sprach, und einem dreifachen ‚Sieg=Heil‘ auf den Führer.“ 50 S. dazu unten Anm. 92. 51 S. unten Anm. 104. 52 Elisabeth Barge an ihre „lieben Geschwister“, 19. März 1934 (Privatbesitz), Bl. 1r. 53 Ebd., Bl. 1r u. 1v: „Hermann schrieb daraufhin, daß er Michaelis 1934 den Wunsch des Ministeriums zu erfüllen gedächte, nur zur Erwägung gäbe, ob es im Interesse der Schule nicht besser sei[,] ihn bis Ostern 35 im Amt zu lassen, so daß er dann wenigstens 4 Jahre am CarolaGymnasium wirkte, die Schule nicht so oft mit dem Leiter wechselte, u[nd] daß vor allen Dingen die älteren Schüler nicht den 3. Rektor bekämen, aber Hermann wollte nur mit der inneren Zustimmung des Ministeriums bleiben.“
1. Hermann Barge (1870–1944)
161
hat es sehr ruhig aufgenommen.“54 Innerhalb eines Tages gelang es dem Ehepaar, eine Wohnung in der Nachbarschaft zu finden55, in der es bis zum Bombardement 1943 blieb56. Hinsichtlich des Rektorates gingen Barges von einer parteipolitisch motivierten Nachfolgeregelung aus.57 Mit Blick auf ihren Mann war Elisabeth Barge aus persönlichen und politischen Gründen erleichtert: „In vieler Beziehung bin ich froh, daß Hermann entlastet wird, u[nd] daß es mit seiner Ehrlichkeit so gut abgegangen ist.“58 Tatsächlich hatten sich beide Barges schon 1932 in besonderer Weise für die jüngeren Kollegen am Gymnasium eingesetzt. Ein Brief von Elisabeth Barge belegt, daß die Ehefrau an Sonntagen bisweilen die Hälfte der Referendare und Assessoren einlud, während sich der Mann im Ministerum für Festanstellungen verwandte.59 Das Argument, mit dem Barge 1934 in den Ruhestand gedrängt 54 Ebd.,
Bl. 1v. „Ich habe gleich die Zeitung hergenommen, Wohnungsanzeigen herausgeschrieben, u[nd] denkt Euch: die 1. Wohnung gesehen, verhandelt, […] mit Hermann besichtigt u.[nd] gemietet. […] Elisenstr 98, I Etage. 5 Zimmer, Küche. Bad, 2 Balkon, 1 Nebenraum u.[nd] Centralheiz.[ung] monatlich 120 M[ark]. Es war ein etwas stürmischer Tag, u.[nd] Kopf u.[nd] Füße taten mir um die Wette weh.“ Der Einzug sollte sich aufgrund von Saninierungsarbeiten leicht verzögern; vgl. dazu Elisabeth Barges an Otto Clemen, 22. März 1934 (Privatbesitz), Bl. 1r, 1v: „In unserer neuen Wohnung, die wir ab 1. Mai bezahlen, muß versch.[iedenes] vorgerichtet werden, u[nd] wir hoffen sehr, daß das liebe Ministerium uns bis Mitte Mai wohnen läßt. Es konnte doch auch sein, daß wir bis zum 1. Mai keine passende Wohnung gefunden hätten.“ Der überstürzte Auszug aus der Dienstwohnung machte eine schnelle Reduzierung der privaten Bibliothek nötig. Barge brachte dies in den Folgejahren in eine Verlegenheit gegenüber seinem Schwager Otto Clemen, dessen personalisierte Separata er 1934 antiquarisch veräußerte und nicht mehr zurückkaufen konnte, nachdem Dr. Martin von Hase die Drucke erworben hatte. Den Vorgang schildert sehr ausführlich ein persönliches Entschuldigungsschreiben an Otto Clemen vom 22. Februar 1936 (Privatbesitz), ebd., Bl. 2r: „Gestern nun besuchte mich Dr. Martin von Hase, um sich mit mir über meine Strauß-Bibliographie auszusprechen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß er der Käufer Deiner Abhandlungen gewesen ist und dir davon auch Mitteilung gemacht hat. Das veranlaßte mich, diesen Brief an Dich zu schreiben. Versöhnlich ist bei allem, daß Dr. v. Hase Deine Arbeiten als kostbaren Besitz betrachtet, sie andauernd benutzt, kurz daß sie – da sie nun einmal meinen Händen entglitten sind (denn Dr. v. Hase denkt nicht daran, sie mir wieder zuzustellen) – nicht in bessere Hände hätten kommen können.“ 56 S. dazu u. Anm. 242. 57 Elisabeth Barge an die „lieben Geschwister“, 19. März 1934 (Privatbesitz), Bl. 2v: „Wir ahnen unsern Nachfolger aus dem Collegium, der schon lange der Partei angehört.“ 58 Ebd. Otto Clemen nahm die Pensionierung ebenfalls mit Erleichterung auf; dies geht aus dem Brief Elisabeth Barges an dens., 22. März 1934 (Privatbesitz), Bl. 1r, hervor: „Vielen Dank für Deine lieben Zeilen u.[nd] für Deine herzliche Anteilnahme an unserer Versetzung in den Ruhestand. […] Aber Du hast recht, u.[nd] wir denken auch so, daß der jetzige Zeitpunkt zum Abgang wohl der beste ist. Das Collegium ist allerdings bei der Nachricht von dieser Überstürzung sehr betroffen gewesen, u[nd] ich freue mich aber für Hermann, daß sein Abgang allgemein bei den Collegen so bedauert wird, u.[nd] daß sich diese so freundlich u.[nd] anerkennend ausgesprochen haben. Seine Ehrlichkeit, Offenheit u.[nd] Gerechtigkeit hat man bes.[onders] geschätzt!“ 59 Elisabeth Barge an Reinhard Clemen, 21. Dezember 1932 (Privatbesitz), Bd. 1v, 2r: „Die Not allüberall ist zu groß, u.[nd] das Einschränken im Leben ist gar hart. Unsere jungen Referendare u.[nd] Assessoren haben soviel Hilfe nötig, es ist ja ganz erschütternd, wie an55 Ebd.:
162
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
wurde, leitete sich somit aus einem sozialen Anliegen ab, für das der Rektor sowohl an der Schule als auch im Ministerium bekannt gewesen sein mußte. 1.1.2. Die Vielfalt in Barges Werk – Musik und Politik Die Ortsgebundenheit und Kontinuität der schulischen Tätigkeiten dürfen nicht über die Vielseitigkeit hinwegtäuschen, die als zweiter Wesenszug herauszustellen ist und mit der Barge bereits sein Studium gestaltete. Zwischen 1889 und 1892, also mit dem Abitur und bis zur Promotion, studierte Barge als Bariton60 am Leipziger Konservatorium Gesang.61 Die musikalischen Interessen waren spruchslos sie leben müssen. Wir haben jetzt 16 an unserem Gymnasium, 8 davon hatten wir am Sonntag wieder bei uns. Hermann kämpft auf dem Ministerium für ihre Anstellung u.[nd] für ihre Zukunft.“ Ein Briefwechsel zwischen Barge und Lothar Einenkel, Ehemann von Agnes Einenkel, geb. Clemen, Nichte seiner Ehefrau Elisabeth, dokumentiert die Integrität, mit der Barge als Schulleiter die Begutachtung der Studienreferendare begleitet hatte. Am 12. September 1937 fragte Lothar Einenkel bei Barge brieflich an (Privatbesitz), Bl. 1r, ob „die Fachurteile der Mentoren [nicht] in wörtlicher Abschrift (wenn nicht im Original) dem Eigengutachten des Rektors an das Ministerium beigefügt werden“ müßten. Einenkels Rektor in Lichtenberg-Callenberg wiche von dieser Praxis ab. Barge erklärte am 13. September (Privatbesitz), Bl. 1r: „Bei Begutachtung der Studienreferendare habe ich es als selbstverständlich betrachtet, die Gutachten der Tutoren im Wortlaut an das Ministerium nach Dresden zu schicken. Der Rektor hat ja die Möglichkeit, eine von dem Urteil des Tutors abweichende Meinung in seinem Gutachten zum Ausdruck zu bringen und zu begründen. Aber die Bestellung eines Tutors, mit dem Auftrage, die unterrichlichen Fähigkeiten und menschlichen Eigenschaften des Studienreferendars aufs genauste zu prüfen, hätte ja kaum einen Sinn, wenn es dem Rektor zustände, die Beobachtungen des Tutors zu unterschlagen und dadurch den Sinn der Einrichtung zu nichte zu machen, dass das Ministerium auf Grund von verschiedenen Informationen sich ein Urteil über Charakter und Leistungsfähigkeit des Studienreferendars bilden könne.“ 60 Für das Jahr 1898 wird bei einer Jubiläumsveranstaltung des Nicolaigymnasiums von einer Festkantate berichtet, deren „Barytonsolo Herr Dr. H. Barge, ein früherer Schüler der Anstalt, gütigst übernommen hatte“, Jahresbericht 1898, S. III. 61 Anon., Art. Barge 1935. Nähere Hinweise zur Ausbildung und Aufführungspraxis eröffnet ein Schreiben von Barges späterem Schuldirektor Böttcher vom 11. Januar 1905 in Barges schulischer Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, hier: Bl. 10v, 11r: „Auch der Umstand hat ihn seinem Amte niemals entfremdet, daß er ein fertig ausgebildeter Concert-Sänger aus der Schule des verstorbenen Rebling ist, zwar ist er wiederholt[,] wenn auch spärlich aufgetreten, und hat hier und in Weimar und andernorts Beifall gefunden; aber ich darf durchaus sagen, daß darüber seine Schule nie zu kurz gekommen ist, sondern daß er eher zum Schmuck ihrer kleinen Feste beigetragen hat.“ Zu dem lyrischen Tenor Friedrich Rebling (1835–1900), der seit 1877 am Leipziger Konservatorium unterrichtete, s. kurz Anon., Art. Rebling (DBA, T. 1, Fichenr. 1004, S. 264). Bei Barges Einführung 1931 und Verabschiedung 1934 aus dem Rektorat des Königin-Carola-Gymnasiums fällt auf, daß für das musikalische Rahmenprogramm bei den Barge geltenden Feierlichkeiten Schubert gewählt wurde, vgl. dazu die jeweiligen Programmzettel bzw. Zeitungsberichte im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15. Für die Verabschiedung kann als gesichtert gelten, daß sich Barge selbst für das Orchester und den Chor engagiert und damit auch die Musikauswahl mit gestaltet hatte. Da Barge zur Musik Schuberts demnach ein besonderes Verhältnis gehabt haben dürfte, liegt es nahe, für den eigenen Gesang einen Schwerpunkt im deutschen Kunstlied der Romantik zu vermuten. Die Einschätzung wird durch die in den Anm. 71 f. und 131 aufgeführten Dokumente bestätigt.
1. Hermann Barge (1870–1944)
163
wohl vom Vater angeregt und befördert worden. Dieser hatte sich die Grundlagen des Flötenspiels autodidaktisch erarbeitet und zunächst sieben Jahre im hannoverschen Leibregiment gespielt, bevor er als erster Flötist zum Detmolder Hoforchester wechselte, das er 1867 für die entsprechende Position am Leipziger Gewandhausorchester verließ62; seit 188263 unterrichtete er bis zu seiner Pensionierung 1908 zunächst zusätzlich, seit 1895 ausschließlich am Leipziger Konservatorium. Wilhelm Barge publizierte zudem zahlreiche Arrangements.64 Fragen ließe sich, ob die einzig erhaltene Komposition des Sohnes, der vierstimmige Männerchor „Glück“, der 190865 ein Gedicht von Jens Peter Jacobsen66 vertonte, im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Vaters steht. In ihrer 1912 erfolgten Drucklegung wird die Arbeit von Barge als „op. 6“ gezählt67, worin sich eine musikalische Kreativität andeutet, die produktiv bis in die dreißiger Jahre anhielt68. Zudem ist die Komposition eines Steichquartetts belegt, das 1933 62 In diesen Daten stimmen die einschlägigen musikwissenschaftlichen Referenzen überein (vgl. dazu DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 42–45); sie finden sich auch in der erzählerisch eindringlichen und zeitgeschichtlich anschaulichen Autobiographie des Vaters: Barge, Erinnerungen. 63 Barge, Erinnerung, S. 32, bietet selbst das Jahr 1882. Von der Datierung auf das Jahr 1881 (vgl. dazu DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 43–45) weicht alleine Anon., Art. Barge 1905, Sp. 49 (DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 42), ab, der den Dienstbeginn mit dem 1. April 1882 angibt. 64 Vgl. auch hierfür nur exemplarisch die Daten im DBA, T. 2, Fichenr. 67, S. 42–45. 65 Dieses Datum nennt Anon., Art. Barge 1935. 66 Jacobsen fand im Kontext der Zeit nicht zuletzt bei Schönberg Beachtung, der Auszüge aus einer Novelle seinen 1910 im ersten Teil und 1913 vollständig uraufgeführten „Gurre-Lieder[n]“ zugrunde legte; vgl. dazu Gruber, Schönberg, S. 232. 67 Vgl. dazu das Titelblatt von Barge, Glück. In der Drucklegung, die bei dem Verlag Froberg in Leipzig erfolgte, für den Barges Vater zahlreiche Stücke arrangiert hatte, findet sich das Werk „Marie Beer in Verehrung zugeeignet“. Hierbei dürfte es sich um die 1879 geborene spätere Vorsitzende des Lehrerinnenverbandes handeln, die von Zeitgenossen als „[a]usgestattet mit reichen Gaben des Geistes“ gerühmt und unter dem Eindruck des ersten Weltkrieges zu einer entschiedenen Pazifistin wurde; s. dazu und zu einem Textauszug aus der Programmschrift „Die Friedensfrage in der Schule“ Anon., Beer (DBA, T. 2, Fichenr. 89, S. 382 f.). Zu dem Barge betreffenden Zeitpunkt war Beer in Berlin als „Ordentliche […] Seminarlehrerin […] am Schullehrerinnenseminar“ tätig, das institutionell „verbunden mit der Augustaschule“ war; s. dazu Zentralblatt, Unterrichtsverwaltung, S. 271. 68 So verzeichnet Anon., Art. Barge 1935, für das Jahr 1932 „ein[en] gem.[ischten] Chor“. Zu identifizieren mag dies mit dem Stück sein, das zu Barges Verabschiedung aus dem Rektorat des Leipziger Königin-Carola-Gymnasium am 30. April 1934 ausweislich des gedruckten Programmzettels aufgeführt wurde, StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 111r: „Gesang des Schulchors: ‚Gottes ist der Orient‘ für gemischten Chor komponiert von Hermann Barge op. 12“. Als Text zog Barge, ausweislich ebd., Bl. 111v, Goethes gleichnamige Dichtung heran. Ein Zeitungsbericht zu der Verabschiedung ebd., Bl. 112r, aus der Leipziger Zeitung vom 1. Mai 1934, S. 6 („Rektorwechsel am Königin=Carola=Gymnasium. Oberstudiendirektor Dr. Wagner eingewiesen“), gibt zu erkennen, daß Barge sich während seiner drei Jahre am Gymnasium selbst „des Orchesters und Chors mit seltener Tatkraft angenommen hatte“. Elisabeth Barges, geb. Clemen, handschriftlicher Brief an ihren Bruder Otto Clemen vom 18. Mai 1917 (Privatbesitz), berichtet von einer Hausmusik, Bl. 1r u. 2r (jeweils seitenverkehrter Nachtrag): „Gestern am Himmelfahrtstag kam[en] Frau Justizrat Häbler u.[nd] Frl. Käte zu uns, letztere spielte mit Hermann die von ihm componierte Violinen-Sonate.“
164
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
im Rundfunk übertragen wurde.69 Im Musikstreit des 19. Jahrhunderts nahm Barge eine vermittelende Position ein, indem er sich zu der an klassischen Formen orientierten Tradition des frühen Schumann und Brahms’ bekannte, nicht aber gegen die Neudeutsche Schule um Liszt und Wagner aussprechen wollte. „[D]ie erhabene Krönung der modernen deutschen musikalischen Entwicklung“ erblickte Barge in der „monumentale[n] Kunst Brahms’“.70 Im Grundsatz konn69 Elisabeth Barge an Reinhard Clemen, 16. Januar 1933 (Privatbesitz), Bl. 2r u. 2v: „Das ‚Hegel-Quartett‘ wird höchstwahrscheinlich am 7. Febr[uar] im Radio ein Quartett von Hermann Barge bringen. Nur in einer verrückten Zeit: nachts 11 Uhr! Für gute, ernste Musik ist nämlich tagsüber keine Zeit, das Programm im Rundfunk ist mit allerhand minderwertigem Zeug besetzt! Bezeichnend für die Einstellung der Zuhörer!“ Für das Jahr 1928 ist auch die Arbeit an einem Streichquartett belegt; Barge erwähnt dies in seiner Briefkarte an den Berliner Künstler Kurt Kluge vom 7. März 1928, SBB, Nachl. Kurt Kluge 154, Bl. 3v: „Gegenwärtig arbeite ich an einem neuen Streichquartett. Hoffentlich wird die mir vorschwebende Idee verwirklicht.“ Die Freundschaft mit dem aus Leipzig gebürtigen Bildhauer, Graphiker und Schriftsteller Kluge, der seit 1921 an der Berliner Akademie der Künste unterrichtete (zu ihm vgl. im ganzen DBA, T. 2, Fichenr. 720, S. 107–119; T. 3, Fichenr. 490, S. 399; 402–404) ergab sich aus einer Zufallsbekanntschaft an der Ostsee; s. dazu die Briefkarte von Barge an Kluge, 28. April 1936, SBB, Nachl. Kurt Kluge 154, Bl. 4r: „Lassen Sie auch mich Ihnen von ganzem Herzen meine Glückwünsche zu Ihrem morgenden 50. Geburtstage darbringen. Indem ich Ihrer gedenke, kommen mir zugleich die schönen und wertvollen Beziehungen zum Bewußtsein, die mich mit Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin verbinden, seitdem der Zufall uns vor nunmehr wohl 13 Jahren am Eibsen zusammenführte.“ Die älteste erhaltene Karte von Barge an Kluge datiert auf den 21. September 1924, die zweite auf den 24. Mai 1925, ebd., Bl. 1 f. Schon 1924 nahm Barge demnach bei Berlin-Besuchen Quartier bei Kluge; Gegenbesuche in Leipzig deuten sich in den späteren Dokumenten an. Für das Wurzener Gymnasium projektierte Barge am 7. März 1928, s. dazu Briefkarte ebd., Bl. 3r, eine „Gedenktafel für die im Weltkriege gefallenen Gymnasiasten anstelle der bisherigen sehr primitiven und kitschigen“ bei Kluge in Auftrag zu geben. Kluges „Angebot, die Büste meines [Barges] Schwiegervaters in Bronce zu gießen“, mochte an persönlichen finanziellen Schwierigkeiten, die Barge andeutet („Es lasteten bisher nur bei verminderten Einnahmen so große Ausgaben auf uns [insbes. durch die Unterstützung meines Bruders], daß wir uns noch nicht zur Absendung entschlossen haben“), gescheitert sein, dazu ebd., Bl. 3v. Neben den beiden erwähnten Bezügen auf ein Bargesches Streichquartett findet sich ein dritter im Briefwechsel von Barges Schwägerin Susanne Clemen, geb. Barth, mit ihrer Schwester Änni Barth (nach den dankenswerten Abschriften von Roswitha Einenkel) am 1. Februar 1930: „Eigentlich sollte nächsten Freitag im Musikverein Hermanns Quartett offiziell gespielt werden, aber wegen großer Schulden läßt der Verein die beiden letzten Konzerte einfach ausfallen, das ist in den ganzen 75 Jahren noch nie vorgekommen“ und am 16. Februar 1930: „In Leipzig ist ein Quartett von Hermann Barge aufgeführt worden.“ 70 UB Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main, Mus. Autogr. Barge, Hermann: „Barge, Hermann: Brief an Unbekannt vom 23. 5. 1908“, Bl. 1v. Mit zehn Seiten stellt das Dokument den umfangreichsten der bisher bekannten Briefe von Barge dar. Der Adressat (ebd., Bl. 1r: „Hochgeehrter Herr“) ist leicht zu erschließen, da Barge sich auf ihn als Autor einer in mehreren Teilen angelegten Brahms-Biographie bezieht, deren erster Teil deutlich vor 1908 erschienen war (ebd.: „Erst jetzt dazu gelangt, den ersten Band Ihrer Brahms-Biographie zu lesen“) und deren zweiter Teil noch ausstand (ebd., Bl. 5v: „Ich gestehe, daß es mir eine außerordentliche Freude sein würde, wenn der zweite Teil der Brahms-Biographie in seinen Bewertungsmaßstäben sich mehr an Hans von Bülows Auffassung als an der von Ed. Hanslick hielte.“). Beides trifft auf die Brahms-Biographie von Kalbeck zu (Kalbeck, Brahms), deren erster Teil 1904 in erster und 1908 in zweiter Auflage erschien, bevor sich der erste Folgeband im weiteren Verlauf des Jahres 1908 anschloß. 1907 hatte Kalbeck zudem begonnen, den Briefwechsel von Brahms zu edieren.
1. Hermann Barge (1870–1944)
165
te er deren Würdigung durch Eduard Hanslick zustimmen; dessen Schüler Max Kalbeck suchte Barge indes von dem gegenüber Wagner ausgleichenden Ansatz Hans von Bülows zu überzeugen.71 In seinem diesbezüglichen Anschreiben deutet Barge eigene musikwissenschaftliche Studien an72; im Druck ließ sich bisher keine identifizieren. Ungeachtet dessen ist es vielleicht nicht ganz unangemessen, wenn Barge erst unlängst als „Wissenschaftler und Komponist“73 bezeichnet wurde. Seine Vielseitigkeit fand aber noch ein weiteres Betätigungsfeld, und dieses erlaubt es, Barge mit gleichem Recht als „Historiker und Politiker“74 oder sogar Barges Schreiben reagierte einleitend, ebd., Bl. 1r, auf Kalbecks „Mahnung, […] für den 2. [Teil] auf etwa […] noch unbekannte Quellen hinzuweisen“. Die betreffende Aufforderung findet sich bei Kalbeck, Brahms, S. VIII, Anm. 1: „Es würde mich freuen, wenn der erste Teil meiner Brahms=Biographie mir neue Mitarbeiter für den zweiten gewänne. Außer einigen Säumigen und Zögernden, die sich allzulange bedenken, mir die erbetene Hilfe zu leisten, gibt es gewiß noch manchen, der in persönlichen Erinnerungen oder Briefen wervolles biographisches Material besitzt. Ihnen allen diene zur geneigten Kennntis, daß mir auch der unscheinbarste Beitrag willkommen ist, und daß im Anschluß an die Biographie des Meisters eine Sammlung seiner Briefe zur Herausgabe von mir vorbereitet wird.“ Barge bot die präzise Angabe eines Briefwechsels zwischen dem vormaligen Leipziger Oberbürgermeister Otto Georgi und Brahms „betr. eine[r] s.[einer] z.[eit] von ihm (Georgi) befürworteten Berufung des Komponisten nach Leipzig, die sich dann zerschlug.“ Kalbach scheint den Hinweis ignoriert zu haben. In seiner Edition der Leipziger Vorgänge findet das Stück nicht; es wurde zunächst 1987, s. dazu Forner, Brahms, S. 69 f., und dann nochmals 2006 veröffentlicht; zu den Angaben der zweiten und in Unkenntnis der ersten Edition s. Schmitz, Brahms, S. 328, Anm. 2. 71 S. dazu das ebd. benannte Briefdokument im ganzen. Die Ausführungen dürften reagieren auf den Abschnitt von Kalbeck, Brahms, S. 414 f., der sich sehr massiv vom „Organ der ‚Neudeutschen‘“ distanzierte, das sich „[u]nredlich, hinterhältig und zweideutig“ zunächst gegen Schumann und dann gegen Brahms verhalten habe. Vgl. auch ebd., S. 415: „Alle Parteimanöver, Umtriebe und Machenschaften, alle großen und kleinen Mittel – und die kleinen sind in der Regel die wirksameren – wurden angewendet, um das Publikum zur ‚Richtung‘ der neudeutschen Musik zu bekehren. Eine Disziplin entwickelte sich, die jedem geheimbündlerischen Orden zur Zierde gereicht haben würde, und die feingesponnenen Fäden der stillen Propaganda, welche neben und unter der in die Öffentlichkeit hinauslärmenden fortlief, suchten die ganze musikalische Welt mit ihrem unsichtbaren Netze zu überziehen. […] Niemals ist ein so mächtiger und exakt funktionierender Reklameapparat für einen Gegenstand der Kunst in Bewegung gesetzt worden wie hier“. 72 UB Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main, Mus. Autogr. Barge, Hermann: „Barge, Hermann: Brief an Unbekannt vom 23. 5. 1908“, Bl. 2v: „Lassen Sie mich in dünnen Linien meine abweichende Meinung skizzieren! Sie betrifft vor allem – und dabei schöpfe ich aus eignen gründlichen Studien – das Urteil über Schumann, sodann über Mendelssohn und die Neudeutschen.“ Barges Hauptthese ist es, als gemeinsame Wurzel der divergierenden Schulen den frühen Schumann identifizieren zu wollen. Von Mendelssohn, dessen Einfluß auf den späteren Schumann er als eine musikalische Regression ansieht, distanziert er sich aufs heftigste, ebd., Bl. 3r: „Mendelssohn bezeichnet den Endpunkt einer niedergehenden Entwicklung. Denn daß die von ihm angeschlagenen Gefühlstöne (denken Sie an den schrecklichen letzten Satz der A-moll Sinfonie oder an seine süßlichen Duette) eine irgendwie wesentliche Bereicherung des musik.[alischen] Empfindens darstellen, wird kaum behauptet werden können.“ 73 Ebert, Bildung. 74 So der Eintrag im biographischen Personenregister der neuerlichen Briefausgabe: Heuss, Bürger, S. 566.
166
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
in umgekehrter Reihenfolge als „Politiker und Historiker“75 anzusehen. Seit Februar 1919 war er Mitglied der sächsischen Volkskammer76 und setzte dafür die Tätigkeit an der Thomasschule aus77. Das amtliche Engagement in der aktiven Landespolitik fand bereits mit dem November des Folgejahres78 sein Ende, aber es war mehr als nur eine Episode. Barge gehörte in den engeren Kreis um Friedrich Naumann, dessen letzte Parteigründung, die Deutsche Demokratische Partei, er als Abgeordneter in der sächsischen Volkskammer vertrat – zeitgleich zu den parteipolitisch und verfassungsgeschichtlich korrespondierenden Bemühungen von Ernst Troeltsch in der Preußischen Landesversammlung79. 1920, im Jahr nach Naumanns Tod, veröffentlichte Barge einen Vortrag „Friedrich Naumann. Seine Persönlichkeit und sein Lebenswerk“.80 Diesen als die erste „Biographie“81 Naumanns vor derjenigen von Theodor Heuss zu werten, die 1937 erschien, geht sicher zu weit. Aber charakteristisch sind doch für Barges eigene Biographie die politischen und sozialen Anliegen, die er an Naumanns Entwicklung hervorhebt, und die persönlichen Bezüge, mit denen der Beitrag nicht prunkt, ohne die sich aber einzelne Passagen, die Perspektiven eines unmittelbar Beteiligten und langjährigen Weggefährten voraussetzen, schwerlich erklären ließen. Besonders eingehend schildert Barge Naumanns konstitutive Verbindung sozialer Interessen mit nationalen Bestrebungen.82 In summarischen Erfassungen 75 S. dazu das Personenregister von Heuss, Naumann, S. 736, das ausweislich S. VIII nicht ausschließlich von Heuss erarbeitetet wurde, in jedem Fall aber Gegenstand seiner Korrekturarbeiten gewesen sein sollte. Die Indizierung des digitalen Katalogs der Deutschen Nationalbibliothek bietet einen Eintrag, der sich ganz auf die politische Tätigkeit beschränkt; dies dürfte aber aus zwei biographisch unverbundenen Personensätzen zu erklären sein (vgl. zu dem „Politiker“ Barge: http://d-nb.info/gnd/133601072 und dem „Historiker, Philologe[n], Pädagoge[n]“: http://d-nb.info/gnd/116056703 [Zugriffsdatum: 23. September 2013]). 76 Anon., Art. Barge 1935. 77 Barges schulische Personalakte dokumentiert, wie gezielt er bereits vor dem Wechsel in die Politik seine Rückkehr in das Schulamt absicherte; vgl. dazu Barges Gesuch an den Rat der Stadt Leipzig vom 20. Februar 1919 im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 75r. Eine entsprechende Beurlaubung wurde vom Sächsischen Ministerium für Kultur und öffentlichen Unterricht am 7. April 1919 gewährt, s. ebd., Bl. 80r. 78 In der amtlichen Korrespondenz von Barge herrscht ebd., Bl. 83r, am 16. November Klarheit darüber, daß Barge nach dem 7. Dezember 1920 in den Schuldienst zurückkehren würde. 79 Als instruktiv dazu s. Hübinger, Einleitung, S. 12 f. sowie 14 f. 80 Barge, Naumann. 81 So Stupperich, Cremer, S. 89, Anm. 98. 82 So erklärt Barge in sozialer Hinsicht die historische Situation vor dem Ersten Weltkrieg aus dem „elementarischen Widerstreit zwischen den Interessen der besitzenden Herrenschicht und denen des besitzlosen Proletariats“, Barge, Naumann, S. 3. Davon getrennt sei der Wunsch der Menschen gewesen, ebd., „sich großen nationalen Gemeinschaftszwecken hinzugeben.“ Naumann steht für das Ideal einer Synthese, ebd. S. 14: „So ist für Naumann der soziale Gedanke untrennbar mit dem nationalen verbunden.“ Die positionelle Differenz zu der Sozialdemokratie und dem Kommunismus beschwört Barge mit rhetorischem Impetus und unter deutlichen Bezügen auf die Zusammensetzung des Reichstags nach 1919, ebd., S. 16: „Die Sozialdemokraten aber, die die Nationalsozialen einst Stecklinge vom Stöckerstamm schalten und Naumanns
1. Hermann Barge (1870–1944)
167
des Naumann-Kreises wurde Barge bisher nur nominell registriert83; die Quellenlage würde weitere Vertiefungen erlauben84. Tatsächlich stimmen die parteipolitischen Wege von Naumann und Barge fast vollständig überein. Barge war Mitglied in Naumanns erster Parteigründung, dem Nationalsozialen Verein85; dessen Parteiausschuß gehörte er als führender Vertreter Leipzigs an86. Die von Naumann favorisierte Fusion mit der Freisinnigen Vereinigung wurde 1903 vollzogen, nachdem sich vierzehn Parteimitglieder, darunter Barge, für den Zusammenschluß ausgesprochen hatten.87 Während dieser Zeit publizierte Barge auch in der Wochenschrift „Die Nation“88, die von Theodor Barth herausgegeben wurde, mit dem Naumann bis 1908 bei der Freisinnigen Vereinigung kooperierte. 1905 fungierte Barge als Vorsitzender des „sächsischen Liberalen (bisher nationalsozialen) Landesverbandes“.89 Zeitgleich dazu war er Vorsitzender des Mahnung zu nationaler Würde als Neuauflage des Hurrapatriotismus selbstgefällig abtaten, stehen hilflos dem moralischen Bankrott des Marxismus gegenüber, dessen Lehrstücke sich jetzt wie ein Park verrosteter Maschinen eines in Konkurs geratenen Fabrikbetriebes ausnehmen, und in die Leitung des Staates gerückt, sinnen sie vergeblich darüber nach, wie eine Arbeitermasse, die von Marx und seiner Jüngerschar Jahrzehnte hindurch methodisch der Haß gegen alle nationale Kulturwerke eingepeitscht worden ist, zur Bewährung staatsbürgerlicher Gesinnung erzogen werden könne.“ 83 In die Sozialtypologie von Krey, Naumann-Kreis, S. 136, wurde Barge unter den „Professoren“ nicht der vollauf angemessene Platz eingeräumt; zum zeit‑ und theologiegeschichtlichen Kontext des Kreises s. dies., Protestantismus; dies., Demokratie; dies., Kaiserreich. 84 Die aussichtsreichste Quelle für eine diachrone Rekonstruktion der Verbindungen Barges zu Naumann und dessen Vereins‑ sowie Parteigründungen dürfte eine serielle Auswertung der Zeitschrift „Die Hilfe“ sein, die Naumann seit 1894 herausgab und in der sich zahlreiche Bezüge auf Barge finden. Korrespondenzen zwischen Naumann und Barge sind archivalisch für die Jahre 1904 (Naumann, Nachlaß, S. 55), 1916–1918 (ebd., S. 62), „Sept. 1916–1917“ (ebd., S. 67) und 1918 (ebd., S. 68) dokumentiert. Barge selbst rückt einen an ihn gerichteten Brief Naumanns vom 29. Januar 1918 in seinen Beitrag von 1920 ein, Barge, Naumann, S. 18 f., der verschiedentlich nachgedruckt (Heuss, Naumann, S. 704 f.) oder zitiert wurde (Krey, Demokratie, S. 88). Einen Brief an Barge vom 29. Februar 1916 bietet Heuss, Naumann, S. 704. 85 Vgl. dazu nur das kurze Biogramm in: Heuss, Bürger, S. 566. 86 Diese Auskunft bietet für das Jahr 1902 Heuss, Naumann, S. 210 f. Unerwähnt bleibt Barge für die Frühzeit des Nationalsozialen Vereins in dem historischen Abriß dessen ehemaligen Sekretärs, Wenck, Geschichte. Die Darstellung von Düding, Verein, verzichtet auf jeden Hinweis. Aufschlußreich könnte sein, daß Wenck, der nicht nur Zeitzeuge, sondern selbst Vertreter letztlich unterlegender Positionen war, die Aufnahme nationaler Tendenzen als eine spätere Entwicklung des Vereins schildert, wie auch die von Barge mitgetragene Fusion des Jahres 1903 in Wenck ihren dezidiertesten Gegner gefunden hatte. 87 S. dazu Wenck, Geschichte, S. 139: „Für die Fusion sprachen: Prof. Sohm, von Gerlach, Dr. Sternberg=Emden, Pohlmann, Assessor Bovensiepen, Dr. Curtius/München, Bayer=Stuttgart, Greiert=Dresden, Erdmannsdörffer=Berlin, Dr. Barge und Dr. Dinkler=Leipzig, Koch und Dr. Berg=Hamburg und Dr. Ruprecht=Göttingen.“ 88 S. dazu Barge, Verfassungsformen; ausführlicher zu diesem Beitrag, der eine Naumannsche Formel zum positionellen Proprium erhebt, s. unten Anm. 122. 89 S. dazu Anon., Bewegung 1905b, S. 6. Zuvor vgl. auch Anon., Bewegung 1905a, S. 7: „Herr Dr. Barge, der Vorsitzende des sächsischen Liberalen Landesverbandes, brachte einige Organisationsfragen zur Sprache.“
168
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
„Leipziger Mietervereins“90, für den er im Ende 190491 bei den Stadtverordnetenwahlen ohne Erfolg antrat92. Auch diese vereinsrechtlich organisierte Vertretung von Mieterinteressen, mit der kommunalpolitisch der in Großstädten akuten Wohnungsnot begegnet werden sollte, verband Barge und Naumann miteinander.93 Für die Freisinnige Vereinigung kandidierte Barge bei den Reichs90
S. hierfür Barge, Anzeige; archivalisch aufgenommen in Barges schulische Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 120–2. 91 Das Datum der Wahl ist ebd., Bl. 2v, im Personalbogen Barges fehlerhaft mit Dezember vermerkt. 92 Die Personalakte im ganzen ist besonders ergiebig für einen Konflikt, der sich aus Barges Wahlkampf ergab. Im ersten Leipziger Wahlkreis, für den Barge kandidierte, wurde nach handschriftlicher Schilderung des Stadtrats Dr. Wagler, ebd., Bl. 3r, „von unbekannter Seite im letzten Augenblicke eine Querliste aufgestellt“. „[I]nfolge dieses Umstandes“, ebd., sei Barge gegenüber den beiden Sozialdemokraten unterlegen gewesen. Barge seinerseits machte im Leipziger Tageblatt vom 6. November 1904, S. 9 (erhalten in Barges schulischer Personalakte, Bl. 117–1a), die beiden Wahlgewinner persönlich für die Verabschiedung der Querliste verantwortlich. Einer der beiden, Dr. phil. Alexander Oskar Bennewitz, als Oberlehrer an der städtichen Höheren Schule für Mädchen tätig, wies die Unterstellung zurück und verklagte Barge schulintern wegen unkollegialen Verhaltens, s. hierfür ebd., Bl. 1v, während der städtische Rat ein Disziplinarverfahren anstrebte. Barge, der keine Beweise vorlegen konnte, nahm die Behauptung zurück, entschuldigte sich im Leipziger Tageblatt vom 4. Dezember öffentlich (Barge, Anzeige, bzw. in der Schulakte, Bl. 120–2) sowie persönlich (s. hierfür Barges eigene handschriftliche Zusammenfassung der Angelegenheit, ebd., Bl. 7r–9v, hier: Bl. 7r) bei den Betroffenen und wurde von seinem Schulleiter Böttcher in einem Schreiben vom 11. Januar 1905 nachdrücklich gegenüber der Schulbehörde in Schutz genommen. Barges eigene Schilderung, die an den Rat der Stadt Leipzig gerichtet war, leitete die Entstehung der Querliste aus persönlichen Reserven gegen seine Kandidatur ab. Bennewitz habe, ebd., Bl., 7v, bereits 1902 einen Vortrag von ihm durch Zwischenrufe gestört, seine Kanditatur für den Mieterverein zu verhindern versucht und sei nach der Nominierung aus dem bürgerlichen Wahlbündnis ausgetreten. Mehrfach charakterisierte Barge die politische Gesinnung seines Gegenspielers Bennewitz als Antisemitismus, vgl. hierfür Bl. 8r und 9v. Abzuleiten ist daraus vor allem eine ideologische Differenz, die Barges politisches Profil zu schärfen hilft. Als Nationalliberaler gehört er zu dem rechten Spektrum der bürgerlichen Parteien, grenzte sich aber klar gegen Antisemitismus ab. Aufschlußreich ist dies insofern, als Barges Publikationen keine Positionierungen zum Thema Antijudaismus oder Antisemitismus bieten. Eine knappe Schilderung des Vorgangs findet sich in Leipziger Mieterverein 1931, S. 19 f.: „1904 fanden Stadtverordnetenwahlen statt, an denen sich der Verein beteiligte in der sicher nicht falschen Meinung, wenn der Verein es fertigbrächte, einen Mieterkandidaten ins Stadtverordnetenparlament zu bringen, so wäre es diesem gewiß am leichtesten möglich, aufklärend und damit agitierend zu wirken. Der Verein verband sich daher, trotz vieler Gegenreden, mit Gruppen, die sonst für unsere Ziele sehr wenig Sympathien haben. […] Leider fiel sie [die Wahl] für den Verein ungünstig aus. Dr. Barge, der als Vorsitzender des Vereins aufgestellte Kandidat, wurde nicht gewählt. Der Erfolg wurde durch eine Querliste vereitelt. […] Wollen wir nun die Geschichte unseres Vereins noch bis in die neueste Zeit fortführen, so wäre zunächst zu erwähnen, daß Dr. Barge den Vorsitz niederlegte und der Verbandsvorsitzende, M. Hoßfelder, noch den Posten des Leipziger Vereinsvorsitzenden übernahm.“ 93 S. hierfür das „Mitglieder= Verzeichnis des I. Allgemeinen Deutschen Wohnungs=Kongresses“ von 1904 in Bericht, Wohnungskongreß 1904, S. 20–44; Barge ist ebd. verzeichnet auf S. 21, Naumann auf S. 34. Naumanns mit großer Zustimmung aufgenommener Redebeitrag ist abgedruckt ebd., S. 211–213. Für Naumanns Motivation vgl. pointiert Naumann, Handbuch 1904, S. 77: „Ist es nicht ein wunderlicher Spaß, wenn ein bereits bestehender Hausbesitzerverein sich darüber aufregt, daß ein Mieterverein entsteht?“ Barge bot eine kurze Einschätzung
1. Hermann Barge (1870–1944)
169
tagswahlen 1907, errang aber im Unterschied zu Naumann kein Mandat94. Die 1910 erfolgte Fusion mit der Deutschen Volkspartei und der Freisinnigen Volkspartei führte zur Fortschrittlichen Volkspartei, der Barge wie Naumann angehört haben dürfte95, bevor beide nach dem Ersten Weltkrieg für die Deutsche Demokratische Partei96 eintraten. Nach Naumanns Tod gehörte Barge zu den Vertrauten, an die Heuss im Zusammenhang einer heuristischen Erfassung der verstreuten Korrespondenz dachte.97 Eine Konstante in dem gesellschaftspolitischen Engagement von Barge war in jedem Fall die positionelle und persönliche Nähe zu Naumann, dessen Dreiklang von Sozialismus, Nationalismus und Liberalismus er aufnahm und modulierte, indem er affirmativer als Naumann eine soziale und politische Vorbildfunktion des angloamerikanischen Raums betonte. Postrevolutionär konnte dies mit deutlichen Distanzierungen von den Entwicklungen in Rußland einhergehen.98 Wie Barges Nationenbegriff argumentativ in seinem stenographisch erfaßten Votum in Bericht, Wohnungskongreß 1904, S. 200 f. Einen Eindruck von Barges Diskussionsverhalten, in dem sich eine gewisse Reizbarkeit andeutet, gibt ebd., S. 200–203, eine Reaktion auf S. 215 und Barges Replik auf S. 217. 94 Interessanterweise kandidierte Barge für den auswärtigen Wahlkreis 288 „Dresden rechts der Elbe“, wo er als Kandidat der Freisinnigen Vereinigung auch die Unterstützung der Fortschrittlichen Freisinnigen Volkspartei sowie der Nationalliberalen erhielt und mit 12,4 Prozent ein respektables Ergebnis erzielte, das weniger als einen halben Prozentpunkt hinter dem zweitplazierten Vertreter der Konservativen lag; s. dazu Handbuch, Reichstagswahlen, S. 1134–1136. Daß Barge nicht für die „Stadt Leipzig“ mit dem Wahlkreis 296 antrat, dürfte sich daraus erklären, daß dort bereits sehr früh ein einziger überparteilicher Kandidat von allen großen Parteien unter Ausnahme der Sozialdemokraten akzeptiert worden war, vgl. ebd., S. 1161. In das zeitliche Vorfeld der Wahlen gehört Barges „Flugschrift“ (so die Kurzbeschreibung der Herausgeber) „Organisation und Persönlichkeit“, die 1906 f. im Auftrag des „Bundes der technisch-industriellen Beamten“ erschien; vgl. dazu Barge, Persönlichkeit. 95 Publizistisch berief er sich im betreffenden Zeitraum, wie etwa 1916, auf Naumann als Vertreter einer politischen Friedensvision, s. Barge, Verständigung, S. 1040 f. 96 Für die Führungsgremien der Partei bleibt Barge unerwähnt; vgl. dazu Albertin, Linksliberalismus. Studien zum Entstehungskontext und inhaltlichen Profil der Partei bieten: Albertin, Liberalismus, sowie Hess, Nationalismus. Einen Einblick in Barges Einschätzung der politischen Entwicklungen zwischen 1903 und 1916 – auch in ihren Bezügen zu Naumann – eröffnet Barge, Liberalismus, bes. S. 1176 f. 97 S. dazu den Brief von Heuss an Walter Goetz vom 23. November 1928, Heuss, Bürger, S. 312: „Welche Schwierigkeiten ich mit dem Heranholen früherer Naumannscher Briefe habe, sagte ich Ihnen wohl schon. […] Haben Sie sich eigentlich schon einmal, oder war es Barge, auf meinen Wunsch mit der Familie Sohm in Verbindung gesetzt? […] Die früheren Bemühungen sind, glaube ich, gar nicht weiter verfolgt worden. Könnten Sie [wohl: sie] vielleicht noch einmal aufgenommen werden?“ 98 Vgl. dazu Barges programmatische Eröffnungsrede in der sächsischen Volkskammer, die am 6. März 1919 starke Bindungen an die liberalen und nationalen Traditionen des angloamerikanischen Raumes und massive Distanzierung gegenüber den sozialistischen Reformen Rußlands dokumentiert, Barge, Volkskammer, S. 267: „Ich meine, es wird später als eine besondere Schande in der Geschichte Deutschlands erscheinen, daß Deutschland ausgerechnet sich von dem barbarischen Rußland die Methoden für seine Politik erborgt hat. Ich […] hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn die Arbeiterschaft ihre Blicke nach England und Amerika gerichtet hätte, wo ein freiheitlicher Hauch weht und wo die Persönlichkeit des einzelnen Volksgenossen viel kräftiger und stärker entwickelt ist als bei uns.“ Die „Verhandlungen der Sächsischen
170
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
zwischen einem allgemeinen Humanitätsideal, völkertypologischen Spezifika und partikularen Kulturfortschritten zu unterscheiden suchte, zeigen die politischen Kommentare99 und Initiativen – zu denen auch Barges Angebot zählt, in diplomatische Dienste für Ermittlungen des Auslandsnachrichtendienstes zu treten100 – während des Ersten Weltkrieges in großer Deutlichkeit auf. Volkskammer“ protokollieren für Barge bis zum 25. Oktober 1920 insgesamt 76 Redebeiträge unterschiedlicher Ausarbeitungsgrade und Ausführlichkeit (im Digitalisat verfügbar sind die einschlägigen Bände unter http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/16815/1/cache.off [Zu griffsdatum: 23. September 2013]). Für eine frühe Einschätzung der revolutionären Ereignisse in Rußland vgl. unten Anm. 213, für eine weitere Retrospektive s. oben Anm. 82. Zu Barges Überlegungen zur „Neugestaltung der Beziehungen Deutschlands zu den baltischen Provinzen“ s. seine Eingabe an den Stellvertreter des Reichskanzlers, von Payer, vom 16. Mai 1918: Bundesarchiv, von Payer, R. 703/5. 99 Für das Jahr 1916 vgl. so Barge, Rolland, S. 211, der in westeuropäischer Perspektive die Verbindungen zwischen Deutschland, England und Frankreich aus dem „natürliche[n] Empfinden rein menschlicher gegenseitiger Wertschätzung“ zu erklären sucht, aber bereits auf die besonderen Kulturleistungen Deutschlands gegenüber Frankreich hinweist, während Barge, Zusammenbruch, den Blick auf Osteuropa richtet. Rumänien dient Ende Dezember, und damit chronologisch nach dem Fall von Bukarest am 6. Dezember, als Beispiel dafür, ebd., S. 850, „welch vermessener Tat es sich unterfing, ungereizt, ohne den geringsten Anlaß, ja, von Deutschland nur mit den Segnungen einer überlegenen Kultur bedacht, über unser Volk herzufallen, um bei der erhofften Teilung der Beute, die uns unsere Gegner zudachten, auch einen Anteil zu erraffen.“ Deutschland steht, ebd. S. 851, für die klassisch bürgerlichen Tugenden, wie „Redlichkeit, Sachlichkeit, Exaktheit, Arbeitsamkeit“, während Rumänien als „wahlverwandt“ mit Frankreich und Rußland geschildert wird. Frankreich illustriert ein demokratisch regiertes Land, Rußland ein absolutistisches, deren beider Systeme aber unter „Wurmstichigkeit“ leiden, was zu einer „moralische[n]“ Korruption – auch der Politiker – geführt habe. In der Einschätzung, daß sich die äußere Entwicklung stets auch mit „der eigenen Wesensart“ verbinde, deutet sich die national grundierte Annahme einer inneren Teleologie der sozialen und politischen Geschichte an. Seriell äußerst aufschlußreich sind Barge Veröffentlichungen in Eugen Diederichs Zeitschrift „Die Tat“. Stets in der Rubrik für kleinere Beiträge „Umschau“ publizierte er dort zwischen 1916 und 1918 in chronologischer Anordnung (sowie unter Beschränkung auf das jeweilige Titelstichwort): Barge, Flugschriften; Gewerkschaften; Sparzwang; Weltkrieg 1916/1917; Verständigung; Aufklärungskultur; Nation; Weltkrieg 1917/1918; Vermächtnis; Freiheitskämpfer. 100 Einschlägig hierfür ist Barges im Bundesarchiv erhaltene Eingabe an den stellvertretenden Reichskanzler Friedrich von Payer vom 16. Mai 1918: Bundesarchiv, von Payer, R. 703/5 R. 703/5, Bl. 8r–10v. Barge verwandte sich darin, Bl. 8v u. 8r , für „die versprengte deutsche Bevölkerung Polens, Litauens, der Dobrudscha und Ukraine“. Für eine moderate Vermittlung zwischen nationalen und diplomatischen Interessen regte er, Bl. 8v, an, dem Auswärtigen Amt ein Kommissariat anzugliedern, das nachrichtendienstliche Informationen über die jeweiligen Situationen erheben und lokale Unterstützungen oder territoriale Umsiedlungen koordinieren sollte. Konkret brachte er sich selbst, Bl. 10r, als möglichen Kommissar in Vorschlag und benannte detailliert, Bl. 10v, welche Behörden zu kontaktieren seien, um ihn vom Schuldienst freizustellen. Barges Hoffnung auf einen Berufswechsel in den diplomatischen Dienst erwuchs zum Teil aus dem offen benannten „Wunsch“, den Schuldienst zu verlassen, Bl. 10r: „Gewiss spielt bei mir der lebhafte Wunsch mit, aus der Begrenztheit meiner bisherigen Tätigkeit als Gymnasiallehrer – die bei den aufs Äusserste gesteigerten Anforderungen im Kriege meine ganze Arbeitskraft in Anspruch nimmt – heraus in einen breiteren Wirkungskreis zu gelangen.“ Erkennbar ist zudem eine unmittelbare Inspiration durch kunsthistorische Expertisen seines Schwagers Paul Clemen, Bl. 9r: „Von meinem Schwager, Herrn Geheimrat Paul Clemen, Professor der Kunstgeschichte an der Universität Bonn, der mit der Feststellung der in den Ok-
1. Hermann Barge (1870–1944)
171
Mitte Januar 1905 mußte Barges Schulleiter dazu Stellung beziehen, ob die pädagogische mit der politischen Tätigkeit kollidiere.101 Die Einschätzung des kupationsgebieten vorhandenen Kunstdenkmäler wiederholt beauftragt worden ist, weiss ich, welche grosse Sorgfalt die Reichsregierung der Feststellung des Bestandes an Kunstschätzen in den genannten Gebieten zugewendet hat. Sollte es ausserhalb ihres Interessenskreises liegen, in entsprechender Weise gleichsam eine sorgfältige Inventarisierung der deutschen Bevölkerungsbestände und der durch sie verkörperten nationalen Kulturkräfte in den Okkupationsgebieten vornehmen zu lassen?“ Zu seiner Initiative mochte Barge zudem Mut geschöpft haben, weil er einen früheren Vorschlag – woran der Brief eingangs erinnert – einmal persönlich hatte Payer vorstellen dürfen (Bl. 8r: „Als ich vor geraumer Zeit bei Ew. Exzellenz vorsprach, schenkte sie meinen Ausführungen so freundliches Gehör, dass ich mir die Freiheit nehme, erneut mit einem Vorschlage an Ew. Exzellenz heranzutreten.“). Barges Vorschlag wurde unverzüglich am 21. Mai 1918 abgelehnt. Höflich verwies von Payer, Bl. 11r, auf bereits erhobene Daten, die Aussichtslosigkeit einer Einzelunternehmung und die praktische „Erfahrung […] so viele[r] staatsrechtliche[r] und tatsächliche[r] Schwierigkeiten“ mit Kommissaren, aufgrund derer „man sich lieber der bestehenden behördlichen Organisationen bedient“. In Barges vorangegangenem Votum spielt die enge Verschränkung von universalen humanistischen und spezifisch nationalen Motiven eine Rolle, wenn er die Judentoleranz in Rumänien als Vergleichsfall der deutschen Außenpolitik anführt, Bl. 9v u. 10r: „im Friedensschluss mit Rumänien, in dem wir die politische Gleichstellung der Juden mit den übrigen rumänischen Bevölkerungsklassen gefordert und durchgesetzt haben. Es würde dem gesunden Empfinden auf stärkste widersprechen, wenn wir den Schutz, der von uns – sei es aus allgemein menschlichen oder sonst welchen Gründen – den rumänischen Juden zuteil geworden ist, nicht in gleicher Weise unseren deutschen Landsleuten in den Gebieten des Ostens zugute kommen liessen.“ Zugleich dokumentierte Barge seine gesteigerte Aversion gegenüber der ukrainischen Politik, Bl. 9v: „so liegt uns gleichwohl die Verpflichtung ob, sie [die Deutschstämmigen außerhalb des Reichsgebietes] vor möglichen chauvinistischen Ausschreitungen unserer uns mehr oder weniger feindlich gestimmten Nachbarn im Osten zu schätzen – so besonders in der Ukraine – und sie nach Kräften in ihrem Bemühen zu stützen, die deutsche Eigenart zu behaupten.“ Barges Beziehung zu Paul Clemen dürfte intensiv gewesen sein; für das Jahr 1911 läßt sich ausweislich eines Urlaubsgesuchs von Barge an den Rat der Stadt Leipzig, 1. Juli 1911, eine gemeinsame „Studienfahrt […] nach Nordfrankreich“ belegen; s. StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 25r. Diese Unternehmung mochte Barge zu einem Folgegesuch ermuntert haben. Im Frühjahr 1912 unternahm er – wohl ohne den Bonner Schwager – eine Studienreise nach Sizilien; zu der Antragsstellung vom 1. März 1912 s. ebd., Bl. 31r–32r; seine Reiseeindrücke schilderte Barge mit einer Aufsatzserie in der „Wissenschafliche[n] Beilage“ der „Leipziger Zeitung“: Barge, Landschaftsbilder. Im Bewerbungsverfahren für das Rektorat der Leipziger Thomasschule erklärte Barge am 2. Januar 1917, ebd., Bl. 48r–51v, hier: Bl. 50r u. 50v: „Angeregt durch die hierbei gesammelten Eindrücke arbeitete ich in der folgenden Zeit vornehmlich an der Vertiefung meiner klassisch=philologischen Bildung, insbesondere durch Beschäftigung mit den lateinischen Schriftstellern der Kaiserzeit.“ Die Bewerbung an sich dokumentiert in zeitlicher Nähe zu dem Gesuch an Payer, daß sich Barge spätestens seit 1917 aktiv um eine berufliche Verbesserung bemühte (für die identische Formulierung, einen größeren „Wirkungskreis“ anzustreben, vgl. das Schreiben an Payer mit demjenigen des Leipziger Bewerbungsverfahrens oben in Anm. 40), einen vollständigen Berufswechsel nicht ausschloß, diesen aber unter Absicherung seiner Anstellung durch den Leipziger Rat zu realisieren suchte. Mit Barges Interesse am diplomatischen Dienst mochten sich auch seine etwa zeitgleichen Bemühungen um moderne Fremdsprachen verbunden haben (vgl. dazu den Brief Elisabeth Barges an Otto Clemen, 28. März 1918 [Privatbesitz], Bl. 1v: „Während Hermann im Nebenzimmer englisch lernt – er betreibt das mit einer bewundernswerten Energie u.[nd] mit einem fast possierlichen Eifer – will ich das freie halbe Stündchen vor dem Mittagtisch benutzen, um Dir einen herzlichen Ostergruß zu senden.“). 101 Vgl. dazu oben Anm. 92.
172
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Rektors, der sich mit Nachdruck für seinen Mitarbeiter verwandte, bietet ein kleines Portrait, das erahnen läßt, daß Barge ein besonders sensibler Mensch gewesen sein dürfte: „Und nun noch ein kurzes Wort über sein Teilnehmen an öffentlichen Parteikämpfen. Daß er sich bisweilen in solche verwickelt (– und nicht ohne eine kleine Eitelkeit –) ist richtig; und wenns nach meiner persönlichen Neigung ginge, so wäre ich um der Schule willen sehr froh, wenn grade er ganz davon wegbliebe. Denn er schätzt seine Befähigungen nach dieser Sicht nicht recht zutreffend ein; namentlich ist er überaus empfindlich und schon darum zu einem Parteikämpfer besonders wenig prädestiniert.“102
Nicht aktenkundig wurde ein Konflikt, der sich bereits 1900 abgespielt haben mußte. Aus dem Briefwechsel mit Otto Clemen geht hervor, daß sich Barge für die Interessen von Bergarbeitern eingesetzt hatte und vom städtischen Rat aufgefordert wurde, weitere politische Aktivitäten neben dem Schulamt zu unterlassen.103 Barge machte sich diese 1900 nicht durchgesetzte Position mit der Übernahme des Wurzener Rektorats zueigen und sah seitdem von parteipolitischen Aktivitäten ab104. Die Phase des politischen Engagements dürfte sich somit auf die Jahre zwischen 1898 und 1922 konzentrieren.
102 Schreiben des Schulleiters Böttcher vom 11. Januar 1905 in Barges schulische Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 10r–11r; hier: Bl. 11r. 103 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 28. Februar 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r u. 1v: „Daß ich nun nicht mehr im Dienste unsrer guten nationalsocialen Sache wirken kann, ist mir in gewisser Hinsicht nicht so schmerzlich. Politisch zu wirken, ist eine harte Arbeit, und für das Innere hat der Mensch wenig Gewinn davon, da die notwendige Vorführung derselben, immer wiederkehrenden Gedankenreihen nicht eben eine geistige Vertiefung mit sich bringt. Aber schmerzlich bleibt es doch durch einen kalten Machtspruch sich in der Ausübung guter staatsbürgerlicher Rechte verhindert zu sehen. Ich gebe meine Sache übrigens noch nicht auf. Die Vertreter der Intelligenz habe ich Gott sei dank auf meiner Seite: Sohm (natürlich) Wundt, mit dem ich ganz zufällig auf die Sache kam (auf einer Gesellschaft bei Lamprecht) und Lamprecht sind wütend über den hohen Stadtrat. Lamprecht, von dem ich soeben komme, riet mir, ich solle mich beim Ministerium beschweren. Kommt die Sache an das Ministerium des Innern, d. i. Seydewitz, so verspricht er sich Erfolg. Er wolle dann – natürlich unter einem anderen Vorwande – selbst nach Dresden reisen und bei Seydewitz für mich Fürsprache einlegen. Das alles ist aber streng vertraulich. Auf Böttcher [Barges Schulleiter] ist ja in dieser Angelegenheit wenig zu rechnen. Er war gewiß in dieser Angelegenheit gegen mich wohlwollend freundlich, aber ein festes Rückgrat nach oben ist doch nicht seine starke Seite. Bei Freislebens werde ich wohl für die nächste Zeit ganz drunter durch sein.“ Den nicht benannten Anlaß der Verstimmungen ergänzt der handschriftliche Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 6. Mai 1900 (Privatbesitz), der eine nicht wunschgemäße Bearbeitung eines Freistellungsgesuchs für geplante Archivreisen beschreibt und interpretiert, ebd., Bl. 1r u. 1v: „wir müssen unsere Vertreter bezahlen (jeder ca 250 M). Ruppig! Ich glaube eine kleine Rache für mein Eintreten zu Gunsten der Bergarbeiter. Böttcher wenigstens vermutete es auch!“ Der von Lamprecht benannte Paul von Seydewitz amtierte zwischen 1892 und 1906 als Kultusminister im Ministerium des Innern des Königsreichs Sachsen, s. dazu Vom Brocke / Krüger, Protokolle, S. 415. 104 S. hierfür ebd., Bl. 100v, das Bewerbungsschreiben für die Direktorenstelle am Leipziger Nicolaigymnasium vom 26. Januar 1925: „doch habe ich mich seit meiner Ernennung zum Leiter des Wurzener Staatsgymnasiums von politischer Tätigkeit zurückgehalten.“
1. Hermann Barge (1870–1944)
173
1.1.3. Barge als Historiker – zwischen Lamprecht und Maurenbrecher Das dritte Charakteristikum, das nach der biographischen sowie beruflichen Ortstreue zu Leipzig und der engagiert verfolgten Interessensvielfalt zu benennen ist, besteht in Barges langjähriger Arbeit als Historiker. Ein halbes Jahrhundert forschte und publizierte er. Die zentrale Bezugsgestalt, die in sozialer oder politischer Hinsicht Naumann gewesen sein mochte, war für den Wissenschaftler der Historiker Lamprecht.105 Auch diesem setzte er posthum ein literarisches Denkmal. Zehn Tage nach dessen Tod rückte Barge 1915 einen Nachruf in Naumanns Zeitschrift „Die Hilfe“ ein, der Lamprecht in seiner Größe und seinen Grenzen sehr ausgewogen schildert. Sensibel vermittelt Barge zwischen der Faszination für den Ansatz des akademischen Lehrers und „den vielen tragischen Zügen im Leben Lamprechts“106. „Staunen und Befremden zugleich“107 habe dessen kulturhistorische Öffnung der politischen Geschichte bei Fachkollegen ausgelöst. Barge zögert nicht, diese ambivalente Einschätzung aus seiner eigenen Perspektive zu schildern: „Wir älteren Schüler Lamprechts, die wir damals in seinen Leipziger Seminarübungen durch ihn fast mit einem Gefühl von innerem Erschauern zu bislang nicht gekannten geschichtlichen Zusammenhängen hingeführt wurden, vermochten freilich nicht zu begreifen, warum die chronique scandaleuse am Hofe der Merowingerkönige oder das Tohuwabohu der staatlichen Zustände Italiens in der ersten Hälfe des 10. Jahrhunderts zum ‚eigentlichen‘ Arbeitsgebiete des Historikers gehören sollte, während es ihm andererseits verwehrt sei, sich in das Seelenleben unserer bäuerlichen Vorfahren zu vertiefen und sie in ihrem von anfänglicher Hilflosigkeit zu immer größerer Vollkommenheit fortschreitenden Bemühen zu beobachten, sich ihr tägliches Brot zu erarbeiten; während den Geschichtsforscher im Grunde die Seelenkämpfe nichts anzugehen hätten, in denen sich die Klausner des 10. Jahrhunderts zu einer ersten Form selbsterlebter christlicher Frömmigkeit durchrangen“.108
Sehr präzise kritisierte Barge demnach schon in seiner akademischen Studien‑ und Qualifikationszeit, zwischen 1889 und 1892, sozial-, national‑ und religionsgeschichtliche Defizite in dem historiographischen Ansatz von Lamprecht. Thematisch und methodisch steht auch Barges Dissertation von 1892 „Die Verhandlungen zu Linz und Passau und der Vertrag von Passau im Jahr 1552“ eher in der Tradition der Ranke-Schule109 als unter dem Zeichen des von Lamprecht 105 In Barges einziger größerer politischer Schrift „Organisation und Persönlichkeit“ (vgl. dazu oben Anm. 94), die letztlich das Thema der Entfremdung von der Arbeit traktiert, werden gerade zwei Autoren zitiert: Naumann und Lamprecht. Von Naumann übernimmt Barge ausführliche Passagen, von Lamprecht immerhin das titelgebende Stich‑ und programmatische Schlagwort einer „Freistellung der Persönlichkeit“, ebd., S. 18. 106 Barge, Lamprecht, S. 322. 107 Ebd., S. 321. 108 Ebd. 109 So würdigt auch ein Rezensent, Schmidt, Rez. Barge 1895, S. 70, vor allem die ereignisgeschichtlich instruktiven Ergebnisse, die sich aus der „geschickten“ Verarbeitung des gedruckt vorliegenden Quellenmaterials ergeben; zu dem möglichen Autor s. unten Anm. 591.
174
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
intendierten Neubeginns.110 Ideell beeindruckte ihn aber das wissenschaftliche Ziel seines Lehrers, „zu einer vertieften Vorstellung geschichtlichen Werdens“111 zu gelangen. Mit einer vergleichbaren Formulierung hatte es Barge auch im „Vorwort“ seiner Karlstadt-Biographie zum „schönsten Vorrecht“ des Historikers erklärt: „forschend vorzudringen zum Nerv geschichtlichen Werdens.“112 Im Sinne einer produktiven Weiterführung Lamprechts ließe sich Barges Ansatz als eine Verbindung von politischer Nationalgeschichte mit religiösen113 und sozialen Motiven verstehen. Grundlegend schätzte Barge an seinem Lehrer dessen Leistung, aus einer allgemeinen geistigen Aufbruchsstimmung der achtziger und neunziger Jahre, „ein[em] Drängen in die Tiefe und auf das Wesen der Dinge hin, hinaus über den enggebundenen und veräußerlichten Vorstellungskreis, in dem sich das epigonenhafte Denken der Zeitgenossen bewegte“114, ein wissenschaftliches Profil geformt zu haben. Das Streben nach den inneren Zusammenhängen bewunderte Barge, so sehr er sich in deren Bestimmung von seinem akademischen Mentor unterschied. Auch deshalb mochte er 1898 in den aktuellen Methodenstreit115 mit einer historischen Skizze „Die Entwicklung der geschichtswissenschaftlichen Anschauungen in Deutschland“ eingegriffen haben, die in Lamprecht gipfelt und damit ein klares Votum für dessen umstrittene Position markiert.116 In einer Kombination der beiden Beiträge von 110 Barge, Vertrag. Für die im Grunde nur marginale Einordnung des Passauer Vertrags in das Vorfeld des Augsburger Religionsfriedens s. drei Jahre nach Barges Dissertation Lamprecht, Geschichte, Bd. 5/2, S. 452 f. 111 So die Worte, mit denen Barge selbst die Anliegen von Lamprecht zusammenfaßt, s. Barge, Lamprecht, S. 321. Einen zweiten Beleg bietet 1902 Barges Anzeige von Lamprechts „Deutsche[r] Geschichte“, Barge, Rez. Lamprecht, Sp. 619: „Jedenfalls geht L.[amprecht] in seinem Bestreben, die Gesetze des geschichtlichen Werdens zu ergründen, methodisch ungleich sorgfältiger vor als Breysig.“ 112 Barge, Karlstadt, T. 1, S. XIII. 113 Auf diese heben die Schlußpassagen des „Vorwort[es]“ vom Dezember 1904 in besonderer Weise ab, ebd. 114 Barge, Lamprecht, S. 320. 115 Gerade für das Jahr 1898 ist hinzuweisen auf den massiven Angriff durch Below, Methode, der mit den Worten des Wissenschaftshistorikers Metz, Grundformen, S. 493, der „Höhe-, Tief‑ und Endpunkt des Methodenstreits zugleich“ gewesen war. Lamprecht selbst hatte zuvor schon die Auseinandersetzung u. a. mit Hermann Oncken geführt, vgl. dessen Beitrag Oncken, Antwort, und reagierte im Folgejahr mit Lamprecht, Methode. Zur Debattenlage in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext s. die instruktiven Ausführungen von Schorn-Schütte, Lamprecht, S. 101 f., die sehr präzise schon auf „die vernichtende Kritik der ersten drei Bände seiner Deutschen Geschichte durch G. v. Below in der Historischen Zeitschrift im Oktober 1893“ als Auftakt eines nunmehr „grundsätzlichen Charakter[s]“ des „Kampf[es]“ hinweist. Diese Frühdatierung ist gegenüber derjenigen ins Jahr 1894 vorzuziehen, die sich an dem methodologischen Vorwort in Lamprechts zweiter Auflage der „Deutsche[n] Geschichte“ festmacht; in die letztgenannte Richtung geht Todte, Reformation, S. 29, Anm. 78. Below wurde später indirekt zu einem Kritiker Barges, indem er die polemischen Ausführungen von Holl gegen Barge, wie er in einer Rezension festhielt, „[mi]t wahrem Genuß“ las; s. hierfür Below, Rez. Holl, S. 130. 116 Barge, Anschauungen. In der zeitgenössischen Wahrnehmung dieses Beitrages wurde dies nicht immer registriert. So empfiehlt der Literaturbericht Helmolt, Kulturgeschichte,
1. Hermann Barge (1870–1944)
175
1898 und 1915 wird erkennbar, wie deutlich sich Barge auch historiographisch auf die liberalen und nationalen Traditionen „seit den glorreichen Befreiungskriegen“117 bezog und die Bedeutung des „nationalen Empfinden[s]“118 gerade für Lamprecht gewürdigt wissen wollte, wenn auch bei diesem die „Wichtigkeit der Nationen als Träger der geschichtlichen Entwicklung“119 im universalistisch verblassenden Plural120 und nicht, wie namentlich bei Treitschke, im vaterlänNr. IV, 53, Anm. 416, die Studie gegenüber Lesern, die um Objektivität bemüht seien: „Wer sich, unbeeinflußt von ihm selbst, über Lamprechts Gedankengänge, Methode und Weltanschauung orientieren möchte, wird in Barges […] Abhandlung ein von Vorurteilen freies Bild davon gezeichnet finden.“ Zu beachten ist gleichwohl, daß diese Einschätzung ihrerseits eine Positionierung im Methodenstreit markiert und Helmolt selbst dem Schülerkreis von Lamprecht zuzuordnen ist; nach den Promotionsakten des UAs Leipzig, Phil.Fak.Prom. 05092, wurde er 1891 unter Maurenbrecher als Erstgutachter und Lamprecht als Zweitgutachter promoviert. In den zeitlichen Anschluß der Bargeschen Veröffentlichung zugunsten Lamprecht fällt Barges Brief an diesen vom 26. April 1898, ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht). Darin dankt Barge für die Zusendung einer Lamprechtschen Folgepublikation, ebd., Bl. 1r u. 1v, die er von seinem eigenen Beitrag abhebt: „Vor wenigen Tagen erhielt ich Ihren Vortrag über die Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft zugesandt. Ich habe ihn mit wahrer Begier gelesen und mit Staunen wahrgenommen, welche Fülle neuer, großer und dabei einfacher Gesichtspunkte ich hier auf kurzem Raume zusammen gedrängt fand. Besonders ehrwürdig erschienen mir Ihre Ausführungen, da sie doch als erster Vorbote des neuen Bandes Ihrer deutschen Geschichte in gewissem Sinne angesehen werden können. Welche Lust muß es dann sein, im einzelnen die Abwandlungen vom gebundenen Gesellschaftstypus des Mittelalters über die Stürme der Reformation hin zu verfolgen bis zum Aufkommen jenes atomistischen Individualismus! Und wie groß wird sich – nach den im Vortrage enthaltenen Andeutungen zu schließen – von diesem isolierten Dasein abheben die Zeit, da der Begriff ‚der Umwelt‘ aufstieg, da der Einzelne sich im Zusammenhang mit der Mitwelt zu fühlen begann! Was den Wesensgehalt unsrer großen Denker aus dem vorigen Jahrhundert ausmacht, das wird zweifelsohne durch eine derartige kulturhistorische Betrachtung deutlicher als durch dicke Bände philologischer Sammelarbeit. Wenn somit mir Ihr Vortrag vor allem wert ward durch die Perspektive, die er auf das eröffnete, was wir in Zukunft erwarten dürfen, so hat er mir daneben reiche Belehrung im besonderen verschafft. Eine derartige Analyse deutscher Geschichtsschreibung in meiner Broschure zu geben, dazu war ich freilich nicht im stande.“ 117 Zu dem Zitat s. Barge, Anschauungen, S. 7; zu den ersten begrifflichen Hinweisen auf diese beiden den gesamten Beitrag bestimmenden Maßstäben s. ebd., S. 6 f. Eine bildungs‑ und sozial-, darin aber auch nationalgeschichtliche Ausdeutung einer Relevanz der Freiheitskriege bietet Barge, Gründung, S. 301: „Ein in der Ausübung neuer qualifizierter Berufsarten wirtschaftlich erstarktes, infolge der von Frankreich ausgehenden Freiheitsbewegung mündig gewordenes, durch die Anteilnahme an dem Aufschwunge der deutschen Nationallitteratur und an den deutschen Freiheitskämpfen zu frohem Selbstgefühl gelangtes Bürgertum ward weder durch die elementare Volksschulbildung befriedigt, noch auch fand es seine Rechnung bei den ausschließlich für die künftige Gelehrtenlaufbahn vorbereitenden Gymnasien.“ 118 Barge, Anschauungen, 7. 119 Ebd., S. 32. 120 1915 kritisiert Barge, wie die „Rastlosigkeit des Lamprechtschen Geistes“, Barge, Lamprecht, S. 322, statt eines akribischen Abschlusses der „Deutsche[n] Geschichte“ zur Aufnahme eines universalgeschichtlichen Ansatzes geführt habe, „durch welchen die Geschichte der einzelnen Völker zu einer höheren Einheit zusammengeschlossen wird.“ Dieses auf den deutschen Idealismus zurückgeführte Ziel hatte Barge 1898 nicht Lamprecht, sondern Ranke vorgeworfen, Barge, Anschauungen, S. 27: „Ranke hatte die philosophischen Voraussetzungen seiner Geschichtsauffassung zu einem Universalismus geführt, bei welchem er der Nationen als
176
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
dischen Singular eines „warme[n …] deutsche[n …] Nationalgefühl[s]“121 steht. Die eine deutsche Nation war es, die Barge in ihrer innerlich selbstbestimmten und darin auch föderativen Pluralität122 denken wollte, was ihn von Treitschke123 ebenso wie von Lamprecht124 unterschied. Mit seinem als Ehrenmitglied aufselbständiger Träger der geschichtlichen Entwicklung nicht in vollem Masse gerecht werden konnte. Nach Lamprecht findet eine Kontinuität der geschichtlichen Entwicklung nur statt auf der Grundlage gemeinsamer nationaler Anlagen und Anschauungen.“ Barges Ausführungen greifen – ohne formalen Ausweis – das Argument von Lamprecht auf, das dieser 1896 in dem Beitrag „Rankes Ideenlehre und die Jungrankianer“ ausführlich dargelegt hatte; vgl. dazu Lamprecht, Richtungen, S. 26–79. 1917 und 1918 wiederholte Barge die Kritik an Ranke unter Rekurs auf frühe Formen einer Existenzphilosophie: Barge, Vermächtnis, S. 922: „Die bislang herrschende, in Hegel wurzelnde Geschichtsanschauung Leopold von Rankes, der noch heute die Hauptvertreter der geschichtlichen Wissenschaft zugetan sind, krankt an der Einseitigkeit, den äußeren Erfolg zum alleinigen Maßstab der Dinge zu nehmen, ihn zu vergöttern, ja zu vergotten.“ 121 Barge, Anschauungen, S. 25. 122 Eine epochenübergreifende Schilderung der deutschen Regierungsformen legte Barge 1901 mit dem Beitrag „Die Entwicklung der deutschen Monarchie“ vor. Den nationalgeschichtlichen Tiefpunkt erblickte er im ottonischen Reichskirchensystem, Barge, Monarchie, S. 56 f.: „Freilich wurde damit die ganze Verwaltung pfäffisch; niemals ist im Verlaufe der deutschen Geschichte katholisch so sehr Trumpf gewesen wie zur Ottonenzeit.“ Die neuzeitliche Emanzipation von staatlicher wie kirchlicher Fremdbestimmung entwickelte Barge aus den demokratischen Impulsen der Aufklärung, die zur Ausbildung der konstitutionellen Monarchie beigetragen haben. Deren Etablierung wurde aus der Macht des Volkes und der geschichtlichen Notwendigkeit eines Ausgleiches mit der tradierten Regierungsform erklärt, ebd., 116 f.: „Nur ein Volk, das sich recken und strecken kann, ein Volk, dem durch die Fremdherrschaft etwas geraubt werden kann, ist mächtiger patriotischer Wallungen fähig. Es war klar, daß die so geschaffne Gesamtmasse der Unterthanen von dem Recht der Selbstbestimmung auf die Dauer nicht ausgeschlossen werden konnte.“ Deutlich im Vordergrund steht für Barge damit das demokratische Ideal einer nationalen Selbstbestimmung, die – wie in der folgenden Anmerkung darzulegen ist – vom „Volk“ in seiner sozialen Vielgestalt von den kleinsten zu den größeren Einheiten hin gedacht wird. 1904 präzisierte Barge, Verfassungsformen, bes. S. 712, daß er elementare Selbstbestimmungsformen des Volkes auch in der konstitutionellen Monarchie anzuerkennen bereit war: „Gerade aus diesen geschichtlichen Verfassungsformen ergibt sich für die Gegenwartspolitik als naturgemäß die Losung: Demokratie und Kaisertum.“ Unschwer ist hinter dieser Losung der Titel von Naumanns erstmals 1900 verlegtem Handbuch „Demokratie und Kaisertum. Ein Handbuch für innere Politik“ zu erkennen; vgl. dazu Naumann, Handbuch 1900. 123 Ausdrücklich hebt Barge, Anschauungen, S. 25, „die Segnungen kleinstaatlichen Lebens“ hervor, die Treitschke verkannt habe. 1923 erörterte Barge in einer schulischen Gelegenheitsrede die Vielfalt der sozialen Gestalten, in denen sich die nationale Einheit entfalte, Barge, Denken, S. 142: „Lassen Sie Sich [sic] nicht nur durch kaltes, abstraktes Denken dazu verführen, die Zwischenglieder, die zwischen ‚dem‘ Einzelmenschen und ‚der‘ Menschheit stehen – Familie, Heimat, Volkstum, Vaterland, Nation – ausschalten zu wollen. Die nationale Besonderheit unseres Wesens ist in unsere Seelen hineingepflanzt, nicht damit wir sie verkümmern und verflüchtigen lassen, sondern damit wir sie zu kräftiger Gestaltung bringen […]. So muß jede echte Humanität durch tausend Wurzeln und Senker mit dem Erdboden des seelischen Heimatlandes verwachsen sein!“ 124 In historiographischer Hinsicht bietet eine umfassende Darstellung von Lamprechts Nationenbegriff Schorn-Schütte, Lamprecht, S. 165–169. Politisch dürfen Lamprechts Bezüge zum Naumann-Kreis gegenüber denjenigen von Barge nicht überbewertet werden. Den Studien von Chickering, Lamprecht, S. 404 f., verdankt sich die detaillierte Rekonstruktion einer von
1. Hermann Barge (1870–1944)
177
genommenen Lehrer125 und anderen ortsansässigen Historikern bot der „Verein für Geschichte und geschichtliche Hilfswissenschaften Roter Löwe“126 Gelegenheit zum geschichtlichen und gesellschaftlichen Austausch. Um 1900 war Lamprecht für Barge die zentrale Referenzgestalt an der Leipziger Universität, was sich auch in Gutachten127 und persönlichen Fürsprachen128 niederschlägt. Lamprecht seinerseits regte 1902 eine Rezension seiner „Deutsche[n] Geschichte“ durch Barge in dem „Literarische[n …] Centralblatt für Deutschland“ an.129 Hinzu kam das gemeinsame Interesse an der Musik130; ausweislich der „Deutsche[n] Geschichte“ hielt Lamprecht große Stücke auf den musikalischen Sachverstand seines „lieben Schülers und Freundes“131. Über Lamprechts Tod hinaus blieben Max Maurenbrecher erst im Frühjahr 1902 angeleiteten Annäherung. Barge war zu diesem Zeitpunkt in Leipzig und im nationalen Parteiausschuß bereits fest etabliert (vgl. dazu oben Anm. 86). 125 Vgl. dazu Lönnecker, Löwe, S. 13. 126 Zu Barges Mitgliedschaft s. Hoyer, Löwe, S. 280. Im privaten Briefwechsel s. Elisabeth Barge an Reinhard Clemen, 16. Januar 1933 (Privatbesitz), Bl. 2v: „Am Freitag Abend hat er [Barge] als ‚Alter Herr vom Roten Löwen‘ den Votrag […] ‚Reichsgründungsfeier‘ übernommen“. 127 S. unten Anm. 374. 128 S. dazu oben Anm. 103. 129 Barge an Lamprecht, 14. Februar 1902, ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht), Bl. 1r u. 1v: „Zugleich danke ich Ihnen für das mir entgegengebrachte Vertrauen, das in Ihrem Angebot, die 3. Auflage des 1. Bandes Ihrer Deutschen Geschichte zu besprechen, zum Ausdruck kommt. Ich werde es sehr gern versuchen, die Aufgabe zu übernehmen [… weiter s. Anm. 133]. Freilich müßten Sie die Sache mit [Eduard] Zarn[c]ke vermitteln, und ob er darauf eingeht, weiß ich nicht. Ich habe ihm einmal – eigentlich ohne Grund – Vorwürfe darüber gemacht, daß er eine abfällige Kritik von Dr. Götz über meine Doktordissertation in sein Blatt aufnahm. Aber das ist ja schon lange her. Sonst habe ich keine direkten Beziehungen zu ihm.“ Die von Lamprecht initiierte Rezension erschien am 10. Mai 1902 als Barge, Rez. Lamprecht. 130 Barge an Lamprecht (wie Voranm.), Bl. 1r u. 1v: „Haben Sie herzlichen Dank dafür, daß Sie gesonnen sind, unsrer musikalischen Unterhaltung beizuwohnen. Natürlich ist es Ihnen ganz überlassen, wenn Sie dieselbe verlassen wollen. Wir wünschen herzlich, daß Ihr Gesundheitszustand sich recht bald bessern werde. […] Zunächst hoffe ich Sie, am Sonnabend den 22. Febr. ½ – ¾ 6 Uhr bei uns zu sehen“. Zu der weiteren im Nachlaß von Lamprecht erhaltenen Korrespondenz vgl. Lamprecht, Findbuch, S. 60, Nr. 8; S. 61, Nr. 24; S. 65, Nr. 92; S. 66, Nr. 98. 131 Vgl. dazu im Jahr 1907 Lamprecht, Geschichte, Bd. 10, S. 141 f.: „Schumann hat die entwicklungsgeschichtliche Höhe seiner Kunst schon in den Klavierwerken der dreißiger Jahre und in einigen anschließenden Stücken erreicht.“ Dazu findet sich auf S. 142 die Anm. 1: „Dies die Ansicht meines lieben Schülers und Freundes Dr. Barge, die ich teile.“ Das ausführlichste Dokument, in dem Barge diese Auffassung vortrug, ist oben erwähnt in den Anm. 70–72. Lamprechts Wertschätzung für Barges musikalischen Sachverstand war auch der Tochter Marianne bekannt, die 1917 bei Barge anfragte, ob er die posthume Überarbeitung der einschlägigen Abschnitte der „Deutsche[n] Geschichte“ unterstützen wolle, s. dazu Barge an Marianne Lamprecht, 29. November 1917, ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht), Bl. 1r: „Aufrichtigen Dank sage ich Ihnen für Ihren Brief. Die Durchsicht der die Tonkunst betreffenden Abschnitte des ersten Ergänzungsbandes der Deutschen Geschichte wie auch der über die Dichtkunst würde ich sehr gerne übernehmen. Aber es wird wohl gut sein, wenn ich zunächst einmal mit Ihnen das Nähere darüber bespreche.“
178
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
einzelne von dessen Leipziger Schülern fachlich enge Bezugspersonen von Barge. Die langjährigsten Verbindungen lassen sich zu dem Landeshistoriker Rudolf Kötzschke und Otto Clemen nachweisen.132 Von Bedeutung war auch der Kontakt zu dem Lamprecht-Schüler Rudolf Wustmann.133 Nach den dokumentierten Selbstverständnissen mochte Barge als ein thematisch wie methodisch eigenständiger und darin vergleichsweise konservativer Schüler von Lamprecht gelten. Dessen 1896 eröffnete Alternative zwischen „Alte[n] und neue[n] Richtungen in der Geschichtswissenschaft“134 nahm Barge im Methodenstreit auf und sprach sich deutlich gegen einen deduktiven, vom deutschen Idealismus – oder, wie Lamprecht zudem ins Feld geführt hatte, von Luther135 – her bestimmten Ansatz Rankes und der ihm verbundenen Schulen aus. Demgegenüber lassen sich in Barges wissenschaftlichem Profil sowohl neue Impulse von Lamprecht ausmachen, wie auch erhebliche Kontinuitäten zu der 132 Zu Clemen vgl. unten nur die Anm. 184, 219, 222, 228 und 245. Zu Kötzschke vgl. Anon., Art. Kötzschke (sowie im weiteren DBA, T. 2, Fichenr. 737, S. 129–133, und DBA, T. 3, Fichenr. 511, S. 228–232). Die früheste persönliche Verbindung zu Kötzschke läßt sich in einem Widmungsexemplar von Barge, Bewegungen, nachweisen, das am 5. November 1905 vom Autor signiert wurde (angeboten vom Berliner „Antiquariat Schwarz & Grömling“ am 26. März 2012). Von Bedeutung ist dieser Kontakt, da Kötzschke als kulturgeschichtlicher Referent für die „Jahresberichte der Geschichtswissenschaft“ fungierte, die Barges Neuerscheinungen nicht selten anzeigten. Die von Barge sowohl als Autor wie auch als Rezensenten mitgetragene „Ehrengabe“ für Lamprecht von 1909, vgl. dazu unten Anm. 148 und 185, wurde von Kötzschke kompiliert und redigiert. 1934 schließlich empfahl sich Barge in seinem Vorstellungsschreiben an Karl Brandi als „Freund“ Kötzschkes, s. dazu Barge an Karl Brandi, 27. Oktober 1934, UA Göttingen, Cod. Ms. K. Brandi 1, 178 (Mappe 2, für die Jahre 1928–1935), Bl. 1r. Bei der Einweisungsfeier für Barge in das Rektorat des Königin-Carola-Gymnasiums vertrat Kötzschke die Universität; vgl. dazu die Berichterstattung der „Leipziger Neuesten Nachrichten“, 3. Mai 1931, Nr. 123, S. 17; archivalisch erhalten im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15. In der Frühzeit von Barges wissenschaftlicher Tätigkeit dominierte ebenfalls der Kontakt zu Lamprecht-Schülern. Von den zwei bekannten Widmungsexemplaren von Barge galt eines den Eltern (s. dazu Anm. 141), das andere (im Besitz der SUB Bremen befindliche) dem etwa zeitgleich promovierten späteren Mitarbeiter von Lamprecht, Hans F. Helmolt. Der Widmungstext lautet (nach freundlicher Auskunft von Frau Birte Dinkla, Bremen, am 4. März 2013) „Herrn Dr. Helmolt z.[ur] fr[eun]dl.[ichen] Erinnerung an seinen Studiengenossen. April 1895“. Zu den Verbindungen zwischen Helmolt und Lamprecht s. knapp Anon., Art. Helmolt. Daß Clemen und Kötzschke für Barge zu dem engeren Kreis um Lamprecht gehörten, belegt der Brief von Barge an Lamprecht vom 26. April 1898, ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht), Bl. 2r: „Mein Schwager Otto ist jetzt auf 14 Tage aus Zwickau hier, um zu ‚üben‘. Da ist immer reicher Gesprächsstoff vorhanden, zumal da er mir viel von Nürnberg erzählen kann. Daß Kötzschke mit seinem Referat so reüssiert hat, war mir eine Freude, zu hören.“ 133 Vgl. dazu unten Anm. 361 u. 374. S. ferner Barge an Lamprecht, 14. Februar 1902, ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht), Bl. 1r u. 1v: „Ich werde mich sehr gern versuchen, die Aufgabe zu übernehmen – wenngleich ich gegenwärtig, durch meine Arbeit festgehalten, mich nicht so mit den allgemeinen Geschichtsproblemen beschäftige, wie beispielsweise Wustmann.“ 134 Lamprecht, Richtungen. 135 Ebd., S. 35.
1. Hermann Barge (1870–1944)
179
„alte[n] Richtung“ der „Jungrankianer“136. Tatsächlich ist für Barge ein zweiter akademischer Lehrer zu nennen, bei dem er zwei Jahre studiert haben dürfte, bevor sich im dritten und letzten Jahr vor der Promotion die Begegnung mit Lamprecht überhaupt hatte ergeben können.137 Es handelt sich um den Mann, der Karl Lamprechts Habilitation 1880 in Bonn protegiert und der sich 1890 für dessen Ruf nach Leipzig eingesetzt hatte138: Wilhelm Maurenbrecher139. Er war der Erstgutachter von Barges Dissertation, die Lamprecht als zweiter Referent begleitete.140 Den Abschluß des Promotionsverfahrens am 20. Dezember 1892 erlebte Maurenbrecher nicht mehr; Anfang November war er bereits verstorben. Die wenig später141 gedruckte Arbeit widmete Barge „Dem Andenken Wilhelm Maurenbrechers.“ Nicht nur persönlich, auch thematisch schließt diese Studie an Maurenbrecher an. In dessen auf Ranke fußender – und diesem wiederum gewidmeter – Darstellung zu dem letzten Regierungsjahrzehnt Karls V. hatte er den Passauer Vertrag bereits berührt142, aber keiner Vertiefung unterzogen. 1892 positionierte sich Barge sehr klar als Schüler Maurenbrechers und stand damit in der Tradition einer politischen Historiographie143, die reformationsgeschicht136 Zum Begriff bei Lamprecht s. dessen Beitrag „Rankes Ideenlehre und die Jungrankianer“ in ebd., S. 26–79. 137 Lamprechts erste Lehrveranstaltungen fanden im Sommersemester 1891 statt (vgl. dazu die vorzügliche Datenbank der Universität Leipzig zu den Vorlesungsverzeichnissen der Jahre 1814 bis 1914, in der nötigen Beschränkung: Lamprecht, Lehrveranstaltungen). Zu Maurenbrechers gerade für die Jahre 1889 bis 1891 deutlich reformationsgeschichtlichen Schwerpunkten s. Maurenbrecher, Lehrveranstaltungen. 138 Zu ersterem vgl. Chickering, Lamprecht, S. 70–74; zu letzterem ebd., S. 113. 139 Einen Überblick über die relevante Literatur und einschlägigen Archivalien zu Maurenbrecher vermitteln die jüngeren Beiträge von Todte, Reformation; ders., Reformationshistoriker und ders., Forschungsergebnisse. Für einen inhaltlichen Zugang zum Gesamtwerk eignet sich am ehesten Todtes zweite und umfangsreichste Monographie: ders., Reformationshistoriker. Todtes Kompilationen sind in bibliographischer und textparaphrasierender Hinsicht äußerst verdienstvoll, zeigen aber zugleich an, wie wenig Maurenbrecher über den von Todte verfolgten weithin additiven Ansatz hinaus bisher gewürdigt wurde, sieht man von den Portraits der unmittelbaren Schülergeneration ab. Darin nach wie vor grundlegend: Wolf, Maurenbrecher, und Busch, Maurenbrecher. 140 Vgl. dazu die beiden einschlägigen Aktenbestände: UA Leipzig, Phil.Fak.B 129 und Phil. Fak.Prom 01548. 141 Das Titelblatt der Drucklegung datiert auf 1893. Daß die Arbeit bereits im Frühjahr erschienen war, ergibt sich aus dem Widmungsexemplar Barges an seine Eltern, das den handschriftlichen Eintrag bietet: „S.[einen] / l.[ieben] Eltern z.[um] fr[eun]dl.[ichen] Andenken. April 1893.“ Das Titelblatt des (am 4. Oktober 2012 im Jenaer Antiquariat „Blechtrommel“ erworbenen) Buches ist unvollständig, nachdem über der Widmungszeile ein ca. 3 cm hoher Steifen des oberen Blattrandes in der gesamten Seitenbreite entfernt wurde; daß der Vermerk von Barge stammt, legt sich inhaltlich nahe und ließe sich anhand einzelner Charakteristika der Handschrift belegen. Die Datierung in das Frühjahr 1893 bleibt davon unberührt. 142 Maurenbrecher, Karl, S. 303 f. 143 Ein entsprechendes Programm hatte Maurenbrecher 1884 in seiner Leipziger Antrittsvorlesung vertreten, Maurenbrecher, Politik. S. 7: „Die Wissenschaft der Geschichte behandelt in erster Linie die politische Geschichte, die Verhältnisse des staatlichen Lebens der Völker und Menschen.“ Den nationalen Aspekt behandelte er ebd., S. 17: „Der historisch=politischen
180
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
lich das methodologische Ideal einer objektiven Interpretation144 jenseits der „Schranken und Fesseln protestantischer Confessionalität“145 suchte. Auch ein Brief von 1893 zeigt Barge in engen fachlichen Bezügen zu Maurenbrecher.146 Im Methodenstreit des Jahres 1898 grenzte sich Barge auf sehr verborgene Weise von Maurenbrecher ab.147 Die sich andeutende Kritik galt aber vorrangig dessen Betrachtung enthüllt sich sehr bald der specifische, eigenartige Charakter einer jeden Nation.“ Todte, Reformation, S. 38, möchte textgenetisch erkennen, daß in Maurenbrechers „Studien und Skizzen“ von 1874 noch der Versuch unternommen wurde, „die sozialen Bewegungen in einem politisch-geschichtlichen Zusammenhang zu sehen, ohne daß jedoch diese wiederum selbst quellenkritisch untersucht werden.“ Todte macht dies vor allem an Maurenbrechers Hinweisen auf die Reichsritter fest. In materialer Hinsicht überzeugen die angeführten Belege (vgl. dazu ebd., Anm. 102) wenig, da sie in einem ausschließlich ereignisgeschichtlichen Zusammenhang stehen. Vor allem aber findet sich bei Maurenbrecher kein begrifflicher Hinweis, daß er die benannten Gruppen im Sinne gesellschaftlicher oder sozialer – und eben nicht politischer – Größen verstand. Auch in der methodologischen Reflexion wird von Maurenbrecher der Rahmen einer politischen Geschichte nicht überschritten. 144 Vgl. dazu Maurenbrecher an zentraler Stelle, Maurenbrecher, Reformation, S. VII: „Es ist das Amt des Historikers, ohne sich mit einer der historischen Parteien, deren Geschichte er erzählt, zu identificiren, in seiner Darstellung einer jeden Partei die volle Entwicklung ihrer Prinzipien zu gestatten, einer jeden ihre relative Berechtigung inmitten der streitenden und wechselnden Erscheinungen des historischen Lebens zu gewähren; es ist aber gleichzeitig sein Beruf, unabhängig von allen Einseitigkeiten der historischen Parteien, aus dem Vergleich ihrer Wirkungen und Früchte und aus der Einsicht in den historischen Zusammenhang der Ereignisse das eigene Urteil frei zu gestalten. Das ist die wahre wissenschaftliche Objektivität des Historikers, die ebenso sehr von bewußter und unbewußter Parteilichkeit, als von unmännlicher Verzichtleistung auf ein eigenes Urtheil entfernt ist.“ Zuvor vergleichbar: Maurenbrecher, Methode, S. 25–27. 145 Maurenbrecher, Reformation, S. VII. 146 Es handelt sich um den Brief von Barge an den Dresdener Archivar und Herausgeber des „Neue[n …] Sächsische[n …] Archiv[s]“ Hubert Maximilian Ermisch, Sächsische LB – SUB Dresden, Mscr.Dresd.App.391, Bd. 1, 132, bei dem Barge am 21. April 1893 anfragte, ob Ermisch an einer von Barge zu liefernden archivalischen Einzeledition interessiert sei. Für das Vorhaben und die Kontaktaufnahme berief sich Barge auf den verstorbenen Maurenbrecher, ebd., Bl. 1r u. 1v: „Der verstorbene Geheimrat Maurenbrecher machte mich, als meine Arbeit ihrer Vollendung entgegen ging, darauf aufmerksam, daß eine Publication des von [Ulrich von] Mordeisen über die Passauer Verhandlungen aufgesetzten Protokolls sehr wünschenswert sei. Er schlug mir vor, mich an Sie zu wenden.“ Konkret erbat Barge im Falle einer Zustimmung um die Übersendung der betreffenden Archivalie (die u. a. in Barge, Vertrag, S. 34, Anm. 4, erwähnt wurde), ebd., Bl. 2r, an „das Leipziger Hist.[orische] Seminar“. Eine Publikation im „Neue[n …] Sächsische[n …] Archiv“ unterblieb, doch belegt das Bargesche Briefdokument, das der 1894 folgenden Veröffentlichung des Historikers Wolf, Vertrag, die auf Barges Dissertation Bezug nahm, eine persönliche Kontaktaufnahme von Barge zu dem Maurenbrecher-Schüler Wolf vorangegangen war; vgl. dazu Barge an Ermisch, Bl. 1r: „Indem ich Ihnen für Ihre liebenwürdige Karte danke, teile ich Ihnen mit, daß ich an Herrn Dr. G. Wolf gleichfalls eine meiner Abhandlungen geschickt habe. Sollten Sie wünschen, noch eigens ein Recensionsexemplar zu erhalten, so bin ich gern dazu bereit, Ihnen ein solches zu schicken.“ 147 So kritisierte Barge die tendenziöse Vernachlässigung des Bauernkrieges durch Ranke und illustrierte dies am Beispiel eines ungenannten „von ihm abhängigen Historikers“, Barge, Richtungen, S. 16: „Über die Entstehungsgründe des Bauernkrieges, einer Bewegung von so eminenter Bedeutung für das Empfinden und die Schicksale der Nation, erfährt man in Rankes Reformationsgeschichte so gut wie nichts. Gar in der Darstellung eines von ihm abhängigen
1. Hermann Barge (1870–1944)
181
mangelnder Berücksichtigung des Bauernkrieges und ging somit in eine vergleichbare Richtung wie die später gegenüber Lamprecht erhobenen Forderung einer stärkeren Integration elementarer sozialer und ökonomischer Belange. Mit Blick auf Barges Zugehörigkeit zu einer bestimmten historiographischen Schule ergaben sich daraus unterschiedliche Wahrnehmungen. Zwischen 1892 und 1898 konnte man ihn einzig als einen Schüler des verstorbenen Maurenbrecher und damit in der Tradition Rankes bzw. von Sybels sehen, den Maurenbrecher selbst als prägendsten Lehrer erlebt hatte. Seit 1898 mußte die Einordnung in das akademische Umfeld von Lamprecht in den Vordergrund treten. Diese Entwicklung dürfte 1909 vertieft worden sein, als Barge in der „Ehrengabe [für] Karl Lamprecht“ publizierte und damit bereits im Titel den „Schülern aus der Zeit seiner Leipziger Wirksamkeit“ zugerechnet wurde.148 Dieses Einordnungsmuster ist breiter rezipiert worden als die posthumen Distanzierungen von 1915, die vor allem lokale und regionale Leser erreichten.149 1.1.4. Barges fachwissenschaftliche Veröffentlichungen Überblickt man Barges wissenschaftliche Veröffentlichungen in ihrer Breite, so fällt zunächst in chronologischer Hinsicht auf, daß sich der Autor nach der frühen Qualifikationsschrift, die er mit 22 Jahren vorgelegt hatte, im nachfolgenden Jahrzehnt größte Zurückhaltung vor publizistischen Seitenwegen auferlegt haben mußte. Als Separatum erschien alleine der benannte Beitrag zur 1898 eskalierenden Lamprecht-Debatte. Als gerade einmal 34jähriger trat Barge 1905 mit der zweibändigen Karlstadt-Biographie hervor, die nicht nur seine erste selbständige Einzelveröffentlichung nach der Dissertation und dem Lamprecht-Votum darstellte, sondern mit gut 1100 Seiten auch seine umfassendste Publikation bleiben sollte. Sieht man von der monographischen Replik auf Karl Müller ab, die 1909 Barges frühere Antworten auf knapp 370 Seiten fortsetzte und vertiefte150, so gibt es im Gesamtwerk nur eine weitere reformationsgeschichtliche Historikers wird das Jahr 1525 kurz und bündig charakterisiert als das ‚tolle Jahr 1525 mit seinen blutigen und wirren Aufständen, seinen wüsten Unruhen, seiner grossen, furchtbaren Revolution.‘“ Das Wort findet sich 1865 bei Maurenbrecher, Karl, S. 14. Kritisch zu Maurenbrechers Einschätzung des Bauernkrieges vgl. auch knapp Todte, Reformationshistoriker, S. 43: „Insgesamt erscheint der Bauernkrieg als Ereignis in seiner Darstellung nur sehr oberflächlich und zudem nur aus der Perspektive der politischen und geistlichen Gewalten aus betrachtet. Die Perspektive seitens der Bauern läßt seine Darstellung nicht erkennen.“ 148 Zu dem Beitrag s. Barge, Streit. In den Bezügen zu Lamprecht s. ebd., S. 213: „Sicher ist, daß über die geschichtliche Tragfähigkeit der verschiedenen Religionstypen ein gefestetes Urteil nur gewonnen werden kann bei einer die konfessionellen Schranken abstoßenden universalen Geschichtsbetrachtung. Damit ist aber auch von unserm Thema her eine innere Beziehung gewonnen zu der künftigen Lebensarbeit des Meisters, dem in treuer Dankbarkeit eine Huldigung darzubringen der unmittelbare Anlaß für die vorliegende Abhandlung war.“ 149 Zu Barge, Lamprecht, vgl. die Ausführungen oben ab Anm. 106. 150 Barge, Gemeindechristentum.
182
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Studie, die an zweihundert Seiten heranreicht. Dabei handelt es sich um Barges letztes thematisch einschlägiges Buch und sein einziges, das zu Lebzeiten in den „Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte“ gedruckt wurde.151 Dieser positiv aufgenommene Band von 1937 zu „Jakob Strauß“152 ist in mehrfacher Hinsicht mit dem Erstlingswerk zu Karlstadt vergleichbar. Thematisch gelten beide Untersuchungen Repräsentanten einer innerprotestantischen Devianz, deren Distanzierung von Luther zu wirkungsmächtigen Negativkonnotaten und äußerst eingeschränkten Quellenarbeiten in der reformationsgeschichtlichen Forschung geführt hatten.153 Literarisch sind beide Arbeiten als biographisch 151 Bekanntlich
stellte Bornkamm 1951 in den SVRG monographisch und unter dem veränderten Haupttitel „Luther und der Frühkapitalismus“ posthum die Aufsatzserie Barge, Mammonismus, zusammen, die bereits 1937 f. veröffentlicht worden war; vgl. dazu Bornkamm, Vorwort, S. 5. Dem Begriff des „Mammonismus“ begegnet man in Barges politischer Publizistik zuerst während des Ersten Weltkrieges; s. hierzu Barge, Flugschriften, S. 80. 152 Erster Kritiker und anschließender Befürworter einer Aufnahme in die SVRG war Otto Scheel; s. dazu „Vorstandsitzung des Vereins für Reformationsgeschichte Leipzig, Vereinshaus, 26. Oktober 1936“ (Typoskript, „gez. [Otto] Clemen“, in Privatbesitz), Bl. III: „Herr Scheel referiert über Barge: Die Bedenken, die er anfänglich gehabt, seien geschwunden, nachdem der Verfasser unter Beachtung der ihm gegebenen Winke sein Manuskript umgearbeitet habe; er legt dar, was an der Arbeit neu und förderlich ist. Das Manuskript wird als Nummer 2 1936 angenommen. Herr Köhler wird beauftragt, es daraufhin sich anzusehen, ob die Abschnitte über den Abendmahlsstreit noch etwas gekürzt werden könnten, und nimmt es an sich.“ Eine Rezension in der „Historische[n] Zeitschrift“ veröffentlichte Clemen, der sich auch während der Kontroverse um die Karlstadt-Biographie für Barge verwandt hatte. Clemen, Rez. Barge 1937, lobte die Strauß-Studie als „aus den Quellen geschöpfte […], trotz ihres wissenschaftlichen Charakters sehr angenehm zu lesende […] Biographie [in] eine[r] schön gerundete[n] Form.“ Gegenüber Barges quellenkritischer Auseinandersetzung mit Luther erhob Clemen einzig und allein die Kritik, daß die Arbeit nicht weit genug gegangen sei, was nach den Konflikten um die Karlstadt-Monographie faktisch einer Empfehlung gleichkam: „Meiner Meinung nach hätte B.[arge] auch den von Luther gegen Strauß erhobenen Vorwurf der Selbstherrlichkeit zurückweisen sollen.“ Sehr spät, 1941, wurde Barges Studie in dem „Historische[n …] Jahrbuch“ der Görres-Gesellschaft angezeigt. Der Rezensent Friedrich Zoepfl aus Dillingen empfahl Barges „sorgfältige und gründliche Studie“ als, „[s]oweit die Quellen nicht versagten, […] vollauf gelungen“, Zoepfl, Rez. Barge, S. 436 f. Nicht alle, ebd., S. 437, „Rechtfertigungsversuche Barges, der sich in eine begreifliche Liebe zu seinem Helden hineingearbeitet hat,“ vermochten Zoepfl zu überzeugen, der, ebd., S. 436, auch nicht für ausgeschlossen hielt, daß der „auf neugläubiger Seite“ kämpfende Strauß „vor seinem Tode wiederum zur katholischen Kirche zurückgekehrt [sei], was Barge – allerdings ohne treffsichere Gegengründe – für unwahrscheinlich hält.“ Wohl für die Arbeit an dieser Strauß-Monographie und schwerlich für die in Anm. 155 erwähnte Strauß-Bibliographie war Barge ein Honorar zugesagt worden; vgl. dazu Elisabeth Barge an Otto Clemen, 10. August 1936 (Privatbesitz), Bl. 2r: „Hermann hatte ja so gehofft von dem Strauß-Honorar!, das nicht kommt, zu einer Erholungsreise zu nehmen.“ Vgl. ferner Elisabeth Barge an Otto Clemen, 29. Dezember 1937 (Privatbesitz), Bl. 1v: „Hermann erhoffte vor dem Feste einen Teil des Strauß-Honorar zu bekommen, aber es blieb aus, bis zum Sommer muß sich doch die Angelegenheit regeln lassen.“ 153 Allein für Strauß ist das apologetische Anliegen von Barge in den Schlußpassagen deutlich zu greifen, Barge, Strauß, S. 169 f.: „Unberührt davon aber bleibt die Bedeutung, die Strauß als selbständigem, tief schürfendem theologischem Denker und als einer sittlich hochstehenden Persönlichkeit zukommt. Wann immer er das Wort ergreift, stets weiß er Belangreiches wirkungsvoll zum Ausdruck zu bringen. Man kann ihm nicht gerecht werden, wenn man ihn einem
1. Hermann Barge (1870–1944)
183
einzuordnen. Und methodisch wählte Barge für beide Studien eine einheitliche Arbeitspragmatik, die nicht nur in der praktischen Vorgehensweise, sondern auch in den gewählten Veröffentlichungsformaten von bibliographischen Erhebungen zur zusammenfassenden Darstellung fortschritt. Wie er 1904 nach langjährigen Vorbereitungen das zusammen mit Freys erstellte Verzeichnis der Karlstadt-Drucke im „Zentralblatt für Bibliothekswesen“154 veröffentlicht hatte, rückte er 1935 in das „Archiv für Reformationsgeschichte“ eine entsprechende Kompilation zu Strauß155 ein. Die Vorarbeiten zu Strauß setzten 1934 unmittelbar nach der Pensionierung Barges ein, wie sich brieflich belegen läßt.156 Eine vergleichbare heuristische Akribie und thematische Selbstbeschränkung hatten mit Blick auf Karlstadt vor 1905 nur zu vereinzelten Beiträgen geführt, die entweder als Nebenprodukte der materialen Vorarbeiten157 oder als lexikalischer Vorgriff 158 auf die zu erwartende Synthese zu verstehen sind. Zugleich zeichnen sich schon in dieser Zeit gewisse Tendenzen ab, die Erinnerung an mehr oder weniger zentrale Gestalten der Reichs‑ sowie Regionalgeschichte159 popularisierend zu erneuern, methodologische Grundfragen der Geschichtsschreibung einem breiteren Publikum zu erschließen160 und die Entwicklung politischer Strukturen epochenübergreifend zu bündeln161.
der von Luther abgesonderten geistigen Grundtypen des Reformationszeitalters einreiht.“ Für Bezüge zwischen Karlstadt und Strauß s. bereits Barge, Karlstadt, T. 2, S. 136; S. 253; S. 256 mit Anm. 278; S. 392, Anm. 164. 154 Freys/ Barge, Verzeichnis. 155 Barge, Verzeichnis. 156 Vgl. dazu das Schreiben von Barge an Karl Brandi vom 27. Oktober 1934, UA Göttingen, Cod. Ms. K. Brandi 1, 178 (Mappe 2, für die Jahre 1928–1935), Bl. 1r: „Seit […] ich [am 1. Mai] in den Ruhestand getreten [bin …,] habe ich wieder Zeit zu wissenschaftlicher Arbeit gefunden. Eingehend beschäftigt habe ich mich mit dem evangelischen Prediger Jakob Strauß“. Grund des ausführlichen Schreibens an Brandi, das auf gut drei Seiten eine interessante Kurzcharakteristik von Strauß liefert, ist, ebd., Bl. 2v, das Angebot von Barge, zu dem Danziger Historikertag einen Beitrag unter dem Titel „‚Die Staatsidee des evangelischen Predigers Strauß’ oder ‚Eine christliche Staatsidee aus dem J.[ahr] 1526‘“ beizusteuern. In die Zeit des Leipziger Rektorats fallen zudem Wortbeiträge für den Rundfunk, die thematisch aber nicht weiter zu bestimmen sind; vgl. dazu Elisabeth Barge an Reinhard Clemen, 16. Januar 1933 (Privatbesitz), Bl. 2v: „Hermann hat auch versch.[iedene] Vorträge im Rundfunk übernommen, ich werde Dir die Daten rechtzeitig mitteilen.“ 157 S. für 1901, Barge, Schrift; ders., Unruhen; ders., Persönlichkeiten; für 1903: ders., Apologia; für 1904: ders., Abendmahlstraktate. Der letztgenannte Beitrag vertiefte die bereits von der Luther-Forschung unternommene Bemühung, von Luthers Briefwechsel aus die thematisch betreffende Publizistik Karlstadts zu rekonstruieren; für das Jahr 1896 s. Albrecht, Briefwechsel, S. 24–29. 158 Ebenfalls für das Jahr 1901 s. Barge, Art. Karlstadt 1901. 159 Für erstere mag stehen Barge, Philipp, für letztere – ausgehend von archivalischen Studien – ders., Persönlichkeiten. 160 Barge, Kulturgeschichte. Die Zuschreibung an Barge verdankt sich der bibliographischen Aufnahme durch Helmolt, Weltgeschichte. 161 Barge, Monarchie.
184
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Fachwissenschaftlich seriell hatte sich Barge allenfalls Rezensionen in den „Mitteilungen aus der historischen Litteratur“, die von der „Historische[n] Gesellschaft in Berlin“ herausgegeben wurden, seit 1898 gestattet. In einem inhaltlichen Spektrum, das auch von dem Ressort vorgegeben sein mochte, konzentrierte er sich auf deutsche Geschichte von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg.162 Zusätzlich zeichnen sich Interessen an der englischen Geschichte163, einschließlich der des Puritanismus164, ab. Neben Einzelstudien und Gesamtdarstellungen165 zeigte er besonders Quellensammlungen166 an. Ihren thematischen Schwerpunkt haben die besprochenen Beiträge in der Reformationsgeschichte Kursachsens und angrenzender Territorien167 sowie den zentralen reichsgeschichtlichen Ereignissen168; einige der Werke vertiefen Fragen, die im Zusammenhang mit der eigenen Dissertation169 stehen. Aufmerksam registrierte Barge auch Veröffentlichungen zu scholastischen Traditionen, akademischen Lehrern und altgläubigen Gegnern, die für Luther von Belang waren.170 Zugleich deutet er Aufgeschlossenheit gegenüber devianten Erscheinungen der Frühreformation an, deren „Bedeutung [als … ein] vom Katholizismus wie Protestantismus gleich unabhängige[r …] Frömmigkeitstypus mit Nachdruck“ hervorgehoben werden müsse, auch wenn wissenschaftlichen Bearbeitern ein
162 Zu dem bis 1648 reichenden zeitlichen Rahmen vgl. alleine Barge, Rez. Ritter; ders., Rez. Gindely. Keines der angezeigten Werke behandelt später anzusetzende Themen oder Materialien. 163 Barge, Rez. Bekker; ders., Rez. Meyer. 164 Barge, Rez. Bischoffshausen. 165 Barge (Autor sämtlicher nachfolgend genannter Rezensionen), Rez. Ritter; Rez. Geß; Rez. Greving; Rez. Wolf 1899a sowie 1899b; Rez. Wolf 1910; in populärer Ausrichtung: Rez. Junge und Rez. Berger 1898 sowie 1908. 166 Barge (Autor sämtlicher nachfolgend genannter Rezensionen), Rez. Clemen 1900; Rez. Clemen 1903; Rez. Clemen 1911 f.; Rez. Clemen / Lietzmann; Rez. Böhmer; Rez. Briefmappe; Rez. Duijnstee; Rez. Enthoven; Rez. Gossard 1902 f.; auf Gossard war Barge spätestens 1898 mit dessen Arbeiten zu Karl V. aufmerksam geworden, vgl. dazu Rez. Gossard 1898; Rez. Schirrmacher; Rez. Welck; innerhalb einer Gesamtdarstellung: Rez. Haupt. Auf den besonderen Wert der gebotenen Quellenfunde oder ‑editionen hebt auch Rez. ARG, ab. Als besonders gelungen erachtet Barge die Erasmusbriefausgabe in Rez. Förstemann/ Günther. 167 Barge (Autor sämtlicher nachfolgend genannter Rezensionen), Rez. Christmann; Rez. Berbig; Rez. Ißleib; Rez. Redlich 1901; Rez. Hoffmann; Rez. Thieme; Rez. Steffen; Rez. Hasenclever 1906; Rez. Mentz 1905 und 1910. Unklar bleibt die Motivation zu der Anzeige Rez. Schäfer 1905; möglicherweise spielte das Wissen um Maurenbrechers archivalische Arbeiten in Spanien eine Rolle. 168 Barge, Rez. Kalkoff 1915. 169 Barge (Autor sämtlicher nachfolgend genannter Rezensionen), Rez. Bonwetsch; Rez. Reichenberger; Rez. Caemmerer; Rez. Cardauns; Rez. Hasenclever 1905; Rez. Hasenclever 1907; Rez. Hattendorf; in den weiteren thematischen Kontext gehört: Rez. Eiermann; Rez. Mentz 1906; Rez. Besser. 170 Barge (Autor sämtlicher nachfolgend genannter Rezensionen), Rez. Seeberg; Rez. Duijnstee; Rez. Paulus 1900. Im Sinne eines innerreformatorischen, aber nicht theologisch motivierten und allenfalls lokalgeschichtlichen Konfliktes s. Rez. Fabian.
1. Hermann Barge (1870–1944)
185
„Kreuzfeuer peinlicher Detailkritik“ drohe.171 Wahrscheinlich ist, daß Barge in diesem Zusammenhang an die knapp zwei Jahrzehnte währenden Diskussionen um Ludwig Keller dachte, für dessen Studien zu den mittelalterlichen und reformatorischen Sekten er sich zeitgleich in der Münchner „Allgemeine[n] Zeitung“ verwandte172. In einer publizistisch vergleichbaren Zweigleisigkeit trat Barge auch ein Jahrzehnt später für die Täuferforschungen von Paul Wappler ein, die er in den „Mitteilungen aus der historischen Litteratur“173 und der „Theologische[n] Literaturzeitung“174 besprach, der Barge zwischen 1911 und 1921 zehn Rezensionen lieferte175. 1911 gelang es Barge zudem, Wappler in der „Historische[n] Zeitschrift“ zu besprechen.176 In den neun Jahren seit 1907 rückte Barge auch fünf Rezensionen in die „Deutsche Literaturzeitung ein“, die in gewissen Verbindungen zu seinen weiteren Beiträgen stehen.177 Drei von diesen erschienen im Jahr 1912178 und belegen auf ihre Weise, daß Barge zu diesem Zeitpunkt versuchte, seine Rezensententätigkeit sehr gezielt auf andere Organe auszuweiten179. In seiner kritischen Berichterstattung im ganzen hob Barge mitunter im Anschluß an Lamprecht auf die Bedeutung wirtschaftsgeschichtlicher Perspektiven für das Mittelalter ab.180 Vergleichsweise punktuell 171 Barge, Rez. Rembert, S. 369. In der Tendenz vergleichbar s. auch ders., Rez. Berger 1898, S. 441; zum Wortlaut s. dazu unten Anm. 292. 172 Barge, Strömungen. Für diese Identifizierung spricht auch von dems. die Rez. Rotscheidt, die 1905 ausdrücklich den von Keller geprägten Begriff der „Altevangelischen“ bietet. 173 Barge, Rez. Wappler 1912; ders., Rez. Wappler 1916. 174 Barge, Rez. Wappler 1915. 175 Neben der zuvor benannten sind dies zu Karlstadt: Barge (Autor sämtlicher nachfolgend genannter Rezensionen), Rez. Lietzmann 1911; Rez. Greving; zu Luthers Antijudaismus: Rez. Lewin; zur Täuferforschung: Rez. Hermsen; Rez. Schottenloher; zu Kontinuitäten ins späte Mittelalter: Rez. U. Schmidt; Rez. Schäfer 1914; und lebens-, lokal‑ oder regionalgeschichtlichen reformatorischen Umbrüchen: Rez. Wilke; Rez. Theobald. 176 Barge, Rez. Wappler 1911. 177 Es handelt sich dabei, in chronologischer Anordnung um Barge (Autor sämtlicher nachfolgend genannter Rezensionen), Rez. W. Schmidt; Rez. Lemmens; Rez. Redlich 1912; Rez. Kalkoff 1912 und Rez. Eder. 178 Barge, Rez. Lemmens; ders., Rez. Redlich 1912; ders., Rez. Kalkoff 1912. 179 Barge selbst erklärte in einem seiner Lebensläufe im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Rezensionen für die „Theologische Literaturzeitung“, die „Deutsche Literaturzeitung“, die „Historische Zeitschrift“ und das „Literarische Centralblatt“ neben seiner Tätigkeit für die „Mitteilungen aus der historischen Literatur“ verfaßt zu haben. Über die dort erschienene, von Lamprecht angeregte und ausweislich des Bargeschen Briefwechsels erste dort gedruckte Rezension von Barge, Lamprecht (s. dazu oben Anm. 129), lassen sich weitere Beiträge im „Literarische[n] Centralblatt“ derzeit nicht erfassen, da die Jahrgänge weder im einzelnen noch im ganzen nach Autoren indiziert wurden und unter den Rezensionen nur mit Verfassersiglen gearbeitet wurde (bei Barge, Lamprecht, Sp.: 619: „H. Bge.“). Die überschaubare Anzahl von Barges außerhalb der „Mitteilungen aus der historischen Literatur“ erschienen Rezensionen rechtfertigt keine weitere Suche nach möglichen Folgeanzeigen von Barge im „Literarische[n] Centralblatt“; zu hoffen ist auf eine digitale Erschließung des Periodikums, das in dieser Hinsicht bislang ebenso unbeachtet blieb wie die „Deutsche Literaturzeitung“. 180 Barge, Rez. Ropp; ders., Rez. Maurenbrecher.
186
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
zeigte er sozialgeschichtlich relevante Untersuchungen, wie die zu einzelnen Vertretern der Reichsritterschaft, an.181 Schon früh tritt auch das besondere Anliegen hervor, die Lokalgeschichte Leipzigs in ihrer zeit‑ oder kulturgeschichtlichen Bedeutung zu erschließen.182 Bereits 1905 gibt sich Barge als bibliophiles und druckgeschichtlich aufgeschlossenes Mitglied der Gutenberg-Gesellschaft zu erkennen.183 Persönliche Bezüge, wie zu dem häufig angezeigten Clemen184 oder zu Lamprecht, dessen „Ehrengabe“ ohne einen Hinweis auf den eigenen Beitrag zu diesem Band rezensiert wird185, stellt Barge nicht heraus. Inhaltlich spiegelt das thematische Spektrum der angezeigten Schriften die Vielfalt und Spezifik von Barges Interessen wider. Ein publizistisches Engagement für die Täuferforschung ist von Beginn an vorhanden, verstärkt und konkretisiert sich mit Blick auf Keller 1900 und wiederholt sich für Wappler zwischen 1912 und 1916. In dieses Profil paßt auch der Umstand, daß Barges letzte Rezension in den „Mitteilungen aus der historischen Literatur“, zu denen er über zwei Jahrzehnte emsig beigetragen hatte, 1919 die kritische Anzeige einer Studie zur Zürcher Täufergeschichte war.186 Der Text bietet die deutlichsten Äußerungen zu Barges eigenem Verständnis der religiösen Spezifik der Täufer, die er in einer „persönlichen Gefühlsreligiosität, aus der sie neue Normen für ihr sittliches Handeln ableiten“, sehen wollte.187 181
Barge, Rez. Kipp. Rez. Kroker; ders., Rez. Eulenburg / Stieda; ders., Rez. Wustmann 1910. 183 Zu letzterem s. Barge, Rez. Zedler/ Schwenke. In einer Verbindung von Lokal‑ und Druckgeschichte: ders., Rez. Wustmann 1908. 184 Vgl. dazu nur Barge, Rez. Clemen 1900; ders., Rez. Clemen 1903; ders., Rez. Clemen 1911 f. 185 Barge, Rez. Ehrengabe Lamprecht. Deutlich zu erkennen ist der apologetische Kontext, in dem diese Anzeige steht. Ebd., S. 876 eröffnet mit einer Replik auf zwei Verrisse; instruktiv zeigt dies an, in welchem Maße der Methodenstreit noch immer die Wahrnehmung Lamprechts und dessen Schüler bestimmte. Besonders markant war in diesem Zusammenhang Herre, Rez. Ehrengabe, Sp. 876: „Er [Lamprecht] hat die dünne Hülle des deutschen Geschichtsschreibers, die ihn bisher nicht übel kleidete, abgestreift und dafür die pompöse Toga des Universalhistorikers angelegt. […] Jedenfalls ist dieses von R. Kötzschke inszenierte Sammelwerk alles eher als eine Auszeichung für Lamprecht. Es enthält auch nicht eine einzige wirklich hervorragende Abeit; fast die Hälfte der 22 Abhandlungen bleibt unter dem Durchschnitt oder erreicht ihn mit knapper Not.“ Barge wurde darin selbst erheblich angegriffen; s. dazu unten Anm. 895. 186 Barge, Rez. Bergmann. 187 Ebd., S. 33. Wichtig ist für Barge nicht nur dieses positive Proprium, sondern auch die praktischen Konsequenzen einer kritischen Distanz gegenüber den etablierten Sozialstrukturen, ebd.: „allen Täufern ist von Hause aus gemeinsam eine Gegnerschaft gegen die geschichtlich überlieferten Kulturwerte – Staat, Gesellschaft, Kirche, selbst Familie –, von denen sie sich in mehr oder weniger entschiedener Weise loszulösen trachten und für die sie Ersatz suchen in der inbrünstigen Hingabe an eine persönliche Gefühlsreligiosität […]. Darin unterscheiden sie sich ebensowohl von den Anhängern der alten Kirche, wie von den Reformern jeglicher Richtung. Die oppositionelle Haltung kann einerseits in einer ungegorenen primitiven Gedankenwelt der deklassierten, von den Kulturgütern ausgeschlossenen Bevölkerungsklassen begründet sein, andererseits in dem fortgeschrittenen Subjektivismus geistig hochstehender und geklärter Per182 Barge,
1. Hermann Barge (1870–1944)
187
Aufschlußreich sind die Rezensionen vor allem für die wissenschaftlichen Maßgaben, nach denen Barge nicht nur die fachlichen Leistungen anderer beurteilte, sondern auch seine eigenen Arbeiten konzipiert haben dürfte. Drei Aspekte lassen sich hervorheben. Zum einen ist bereits in den Rezensionen der methodische Zweischritt einer intensiven Materialerschließung, bestehend aus Quellen-, Sach‑ sowie Literaturkenntnis188, und einer daraus erwachsenden Kraft zur synthetischen Gesamtinterpretation189 angelegt. So würdigt Barge an einer Studie von Kalkoff: „Was sie zu einer Forschungsleistung ersten Ranges stempelt, ist […] die Energie und Gründlichkeit, mit der er – nun überzeugt, alle erreichbaren Dokumente von Wert über
sönlichkeiten, deren geläutertes Empfinden an den Auswüchsen des gesellschaftlichen, kirchlichen und staatlichen Lebens ihrer Zeit Anstoß nimmt.“ 188 Für ein positives Ideal am einschlägigsten ist Barge, Rez. Ritter, S. 425: „Schon dieser erste […] Teil lässt erkennen, dass Ritters Darstellung sorgfältige, umfassende Quellenstudien zu Grunde liegen. Er hat sich nicht mit einer Verarbeitung der gedruckt vorliegenden Litteratur begnügt, sondern in den verschiedensten Archiven selbständige Studien gemacht“. Zudem vgl. ders., Rez. Hasenclever 1907, S. 440: „Mit guter Sachkenntnis und unter gründlicher Benutzung der einschlägigen Literatur“. Eine vergleichbare Formulierung bietet auch ders., Rez. Creutzberg, S. 93: „Die vorliegende Monographie […] zeichnet sich durch sorgfältige und umsichtige Sammlung des Quellenmaterials und genaue Benutzung der Literatur über den behandelten Gegenstand aus.“ Ders., Rez. Berbig, S. 80, erhebt demgegenüber die Kritik: „Zudem müssen grundsätzliche Bedenken erhoben werden gegen die Arbeitsmethode des Verfassers. Er legt ausschließlich den bei Enders publizierten Briefwechsel nebst dessen gründlichen wissenschaftlichen Apparat zu Grunde und läßt die reiche Literatur, die über die von ihm behandelten Vorgänge vorhanden sind, fast ganz unberücksichtigt. Darum sieht er die Dinge zumeist isoliert und nicht in ihren allgemeinen Zusammenhängen.“ 189 Dazu gehört auch die sachgerechte Einbindung von Zitaten, s. dazu Barge, Rez. Wintzingerode, S. 302: „In den vom Verfasser mitgeteilten Aktenstellen steckt ein reiches kulturgeschichtliches Material. Leider ist es ihm nicht gelungen, es anschaulich zu verarbeiten. Zu oft läßt er die Quellen wörtlich reden, auch da, wo es sich nicht um charakteristische Stellen handelt und wo eine sachliche Erläuterung komplizierter rechtlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse erforderlich gewesen wäre.“ In eine vergleichbare Richtung geht auch die methodische Kritik an Bergmann, ders., Rez. Bergmann, S. 33: „so haftet seine Darstellung doch vielfach zu sehr an dem Wortlaut des Aktenmaterials, auf das er sich stützt.“ In der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ des Jahres 1914 verweist Barge zudem auf das nötige Maß einer Kunstfertigkeit, die vor allem sprachlich-stilistischen und konzeptionellen Aspekten gilt, ders., Rez. Eder, Sp. 2292: „E.[der]s Arbeit lässt leider die erforderliche künstlerische Gestaltung des behandelten Stoffes – sie sollte bei keiner darstellenden historischen Arbeit ausser acht gelassen werden! – vermissen. An vielen Stellen stören Wiederholungen, sowie eine mangelhafte Anordnung des Materials, die die Übersichtlichkeit beeinträchtigt.“ Ein positives Ideal schildert Barge schließlich in seiner brieflichen Reaktion auf den ersten Teil von Kalbecks Brahms-Biographie (s. dazu oben Anm. 70–72), UB Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main, Mus. Autogr. Barge, Hermann: „Barge, Hermann: Brief an Unbekannt [Max Kalbeck] vom 23. 5. 1908“. Bl. 1v: „Gestatten Sie mir zu Ihrem Werke selbst freundlichst einige Bemerkungen! Es hat mich in gewaltige Mitleidenschaft versetzt, und durchaus überwiegend ist das Gefühl der Dankbarkeit dafür, daß Sie der Welt eine so tiefgründige und zugleich intime, höchsten künstlerischen Ansprüchen genügende Biographie geschenkt haben.“
188
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
den behandelten Gegenstand in der Hand zu haben – das endgültige Fazit aus seinen Einzelforschungen zieht.“190
Zum anderen ergibt sich aus der optimalen Kenntnis der Quellenlage die Erlaubnis zur Konjektur. Dürfen einschlägige Bestände als „unwiderbringlich verloren gelten […, so] muß Kombination und scharfsinnige Interpretation der auf uns gekommenen Dokumente ersetzen, worüber direkte Zeugnisse nichts aussagen.“191 Zugleich gilt, daß neue Materialien „neue Resultate“192 zeitigen können. Den dritten Aspekt könnte man als Sachkritik bezeichnen.193 Diese übt Barge mit besonderer Deutlichkeit, wenn er Lutherzentriertheit oder einen tendenziösen Anschluß an die Ritschl-Schule194 vermutet: „Von hier aus erkennt man, wie Berger […] den ganzen Stoff teleologisch ordnet: Die gesamte Kulturentwicklung des Mittelalters eine von der Vorsehung bestimmte Vorbereitung auf den, der die Erfüllung brachte, auf Martin Luther. Die Leistung dieses einzelnen wiegt schwerer als die Kulturarbeit von sieben Jahrhunderten. […] In seiner religiösen Gesamtauffassung erscheint Berger zu ausschließlich in den Gedankengängen Albrecht Ritschls 190 Barge, Rez. Kalkoff 1907a, S. 67. Entsprechend argumentiert auch ders., Rez. Geß, S. 172: „Indessen erst durch die jetzt gebotene Massenhaftigkeit des Materials wird ein abschließendes Urteil […] ermöglicht“. Vergleichbar ist auch ders., Rez., Kalkoff 1907b, S. 573: „K.[alkoff] untersucht diese Frage in der vorliegenden Arbeit mit der ihm eigenen glänzenden Beherrschung des einschlägigen Materials, das zum größten Teil ungedruckten Beständen des Weimarer Archivs entnommen ist.“ Ders., Rez. Redlich 1901, S. 422, macht auf einen materialen Anhang aufmerksam, der Barges späterem Veröffentlichungsformat der Karlstadt-Biographie entspricht: „Seine Ausführungen belegt Redlich durch ein reiches, beinahe 250 Seiten umfassendes Aktenmaterial, das er am Schlusse abdruckt.“ 1912 sprach Barge Redlich einen ausdrücklich Dank der „Forschung“ in der „Deutsche[n] Literturzeitung“, ders., Rez. Redlich 1912, Sp. 2091, „für seine entsagungsvolle und mit peinlicher Sorgfalt durchgeführte Editionsarbeit“ aus. 191 Vgl. dazu Barge, Rez. Hasenclever 1907, S. 440. 192 Barge, Rez. Berig, S. 70. Gleichermaßen gilt auch, daß neue Publikationen wirklich neue Inhalte bieten sollten. Mit großer Vehemenz richtet sich Barge so gegen das „scandalum“ einer Monographie, die – ohne dies auszuweisen – nur zwei frühere Veröffentlichungen zusammenführt, Barge, Rez. Richter. In diese Richtung geht auch die Kritik am Publikationsmodus von Nikolaus Müller in Barge, Rez. Müller. 193 Vgl. dazu Barge selbst in Barge, Rez. Kalkoff 1907a, S. 65: „Exakt und mit den Mitteln, die die Methode historischer Quellen‑ und Sachkritik an die Hand gibt, ist die Frage […] erst seit wenig Jahren in Angriff genommen worden“. 194 Zur positionellen Kritik an der Ritschl-Schule s. Barge, Rez. Clemen 1903, S. 166: „Es hat sich neuerdings herausgestellt, dass über die verschiedenen religiösen Strömungen der Reformationszeit, namentlich seitens der Anhänger der Ritschlschen Schule, vielfach unzutreffende Urteile gefällt werden. Man rubriziert Persönlichkeiten, ehe man der Eigenart ihrer Denkweise gerecht geworden ist. Gegenüber solcher Voreiligkeit ist als Gegengewicht ein minutiöses Einzelstudium gerade bei der Behandlung von Männern notwendig, die abseits der offiziellen Kirchlichkeit gestanden haben. Unter diesem Gesichtspunkte erscheinen Cl.[emen]s Aufsätze über Simon Haferitz, Georg Mohr, Ulrich Hugwald und den Bauer von Wöhrd besonders wertvoll.“ In einer Detailfrage s. auch ders., Rez. Maurenbrecher, S. 271: „Die namentlich von evangelischen Theologen, insbesondere von Ritschl, vertretene Ansicht, Thomas sei ein Vorkämpfer des wirtschaftlichen Kommunismus gewesen, erweist sich als irrig.“
1. Hermann Barge (1870–1944)
189
befangen, die gerade neuerdings – vornehmlich durch Tröltschs195 bedeutsame Aufstellungen – aufs schwerste erschüttert worden sind.“196
Auch ein unkritisches oder unvollständiges Melanchthonbild bewegt Barge zu massivem Widerspruch in der Sache: „Der Verfasser sieht davon ab, in herben Ausdrücken die gesinnungslose Haltung Melanchthons während des schmalkaldischen Krieges zu verurteilen und sucht dessen Schwanken aus seinen persönlichen Anlagen heraus zu erklären. Auch so bleibt bestehen, dass Melanchthon, wo er vor grosse sittliche Entscheidungen gestellt war, sich von minderwertigen Motiven hat leiten lassen. Der Feinsinn seines Ingeniums vermag nicht über die schweren bei ihm vorhandenen Willensdefekte hinwegzutäuschen.“197
Die charaktertypologische Ausdeutung darf nicht verdecken, daß bei Barge dem methodischen Objektivitätsideal ein inhaltliches korrespondiert.198 Die Freiheit „von konfessionellen Vorurteilen“ rühmt Barge 1902 am deutlichsten in seiner Rezension zu Moriz Ritters „Deutsche[r] Geschichte“, nicht ohne zu bedauern – in voller Kongruenz zu der 1915 erhobenen Lamprecht-Kritik –, daß die politische Geschichte von Ritter nicht ausreichend religiöse, ökonomische und soziale Perspektiven integriert habe.199 Namentlich bei dem katholischen Forscher Paulus weiß Barge eine Objektivität der Quellenarbeit und des Urteils zu würdigen.200 Barges zwischen 1898 und 1921 erschienene Rezensionen dokumentieren vor, während und nach seiner Arbeit an der Karlstadt-Biographie das Wissenschaftsideal eines reformationsgeschichtlichen Historismus201, der 195 Die ausführlichste Auseinandersetzung von Barge mit Troeltsch erfolgte 1915 in Barge, Rez. Wappler, Sp. 60–63. Nach dem Erscheinen der „Soziallehren“ distanzierte sich Barge von der darin gebotenen Täufertypologie. Noch 1909 hatte ders., Streit, S. 196 f., im direkten Anschluß an Troeltsch dafür plädiert, Luther von dessen mittelalterlichen „Grundvoraussetzungen“ her zu verstehen. 196 Barge, Rez. Berger 1908, S. 431. 197 Barge, Rez. Christmann, S. 423. 198 Vgl. dazu Barges Kritik an Reichenbergers Darstellung Wolfgang von Salms, Barge, Rez. Reichenberger, S. 301: „In des Verfassers Darstellung, durch die unsere bisherige Kenntnis der behandelten Dinge verschiedentlich bereichert wird, tritt öfters die begreifliche Neigung zu stark hervor, die Persönlichkeit des Passauer Bischofs zu verherrlichen. Viele seiner Handlungen, die als aussergewöhnliche persönliche Leistungen Wolfgangs hingestellt werden, entsprangen doch lediglich dem Bedürfnis, seine eigene Macht‑ und Interessensposition zu stützen.“ 199 Barge, Rez. Ritter, S. 425: „Der Vorzug ruhiger, von konfessionellen Vorurteilen ungetrübter Auffassung der Dinge […] ist auch diesem […] Band eigen. Nirgends wird sich der Protestant oder Katholik durch einseitige Gruppierung der Thatsachen verletzt fühlen. Freilich liegt eine Diskussion religiöser Zeitprobleme ausserhalb des Interesses des Verfassers. Bei der Beschränkung seiner Aufgabe auf eine Darstellung der politischen Vorgänge verzichtet Ritter naturgemäss auf eine Schilderung der inneren religiösen Gegensätze. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Zeitalters interessieren ihn nur insoweit, als sie durch die politischen Vorgänge direkt in Mitleidenschaft gezogen werden.“ 200 Barge, Rez. Paulus 1899, S. 284. 201 Begrifflich finden sich Anklänge auf ein entsprechendes Selbstverständnis 1904 in Barge, Verfassungsformen, S. 710: „Im Wesen des Historismus liegt es, daß er die geschichtlichen
190
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
für eine Öffnung der allgemeinen politischen Geschichte um religiöse Aspekte kämpft und diese nicht konfessionell eingeschränkt sehen möchte. Äußerliche Anerkennung für dieses Engagement erhielt Barge 1909, als er zum Diplom-Mitglied der Comenius-Gesellschaft ernannt wurde.202 Im Unterschied zu deren Gründer Ludwig Keller, für dessen historische Arbeiten Barge 1900 eingetreten war203, schloß sich Barge nicht der Freimaurerei an204. Dies ist um so bemerkenswerter, als sein Vater Mitglied der Leipziger Loge „Minerva zu den drei Palmen“ war.205 Auszuschließen ist nicht, daß Barges konfessionsübergreifendes Religionsideal von maurerischen Impulsen des Vaters mitbestimmt wurde. Anhaltspunkte dafür gibt es aber nicht, weshalb Maurenbrechers methodologischer Ansatz und dessen um Lamprechtsche Impulse erweiterte Aufnahme als der nachweisliche Hintergrund von Barges historiographischem Profil gelten dürfen. Daß Kellers Opposition gegen führende Fachvertreter der protestantischen Kirchengeschichte Barge gleichwohl beeindruckte und in der literarischen Aktualisierung seines kritischen Ideals beeinflußte, wird später zu zeigen sein. Eine Akzentverschiebung von der religiösen auf die soziale Dynamik des Reformationszeitalters ist im Grunde schon im Schlußkapitel des ersten Karlstadtbandes angelegt. In thematischer Bestimmtheit vollzog sie Barge mit dem Ende der Karlstadt-Debatte, die auch unter Abzug der Biographie quantitaErscheinungsformen ruhiger, leidenschaftsloser Prüfung unterzieht und dem Für alsbald das Wider gegenüberstellt.“ 202 Comenius-Blätter für Volkserziehung, Jg. 16, H. 5 (1908), S. 155: „Zu Diplom-Mitgliedern wurden einstimmig ernannt die Herren: Oberlehrer Dr. Hermann Barge in Leipzig […]“. Das oben gebotene Datum verdankt sich einem handschriftlichen Lebenslauf von Barge im Rahmen eines Bewerbungsgesuchs vom 2. Januar 1917, in Barges schulischer Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 49v. Barges Selbstauskunft gibt, ebd., ausdrücklich Ludwig Keller als Initiator der Auszeichnung zu erkennen: „Mit Bezugnahme auf meine wissenschaftlichen Arbeiten wurde ich am 15. Januar 1909 zum Diplommitglied der Comenius-Gesellschaft ernannt, auf Veranlassung ihres damaligen Vorsitzenden, des nun verstorbenen Geh. Archivrat Dr. Ludwig Keller.“ 203 Barge, Strömungen. 204 Im Freimaurerarchiv, das in Berlin-Dahlem die Archivalien von über 1000 Logen zusammenführt, befinden sich auch zwölf Bestände von Leipziger Johannislogen. Weder in der Matrikel der Loge „Apollo“ (Signatur: 5.2. L 17 Nr. 55) und der Matrikel der Loge „Balduin zur Linde“ (5.2. L 18 Nr. 72), in denen sämtliche ihrer Mitglieder aus den Zeiträumen 1805 bis 1930 bzw. 1776 bis 1926 aufgelistet sind, noch in den durchgesehenen Mitgliederverzeichnissen der anderen zehn Leipziger Logen, wie „Zur grünenden Eiche“ (5.2. L 19 Nr. 1) oder „Mozart zur Bruderkette“ (5.2. L 25 Nr. 1), ließ sich Barge ermitteln. Für ihre freundliche Unterstützung danke ich der Mitarbeiterin des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Kornelia Lange sehr herzlich. 205 Die Angabe verdanke ich der brieflichen Auskunft des Logenarchivars Alexander Süß vom 27. März 2012. Demnach wurde Wilhelm Barge am 5. Mai 1868 – im Jahr nach der Übersiedelung – aufgenommen und fungierte zwischen 1885 und 1887 als stellvertretender Musikdirektor. Für Hermann Barge hätte als „Lufton“ – als Sohn eines Maurers – die Möglichkeit zu einer vereinfachten und früheren Aufnahme bestanden.
1. Hermann Barge (1870–1944)
191
tiv den größten Einzelkomplex in Barges Publizistik markieren würde. An sie schloß in dem Veröffentlichungsvolumen und der zeitlichen Abfolge Barges Auseinandersetzung mit dem deutschen Bauernkrieg an. Bereits 1906 hatte Barge einen Aufsatz zu den „Sozialen Bewegungen im 15. und 16. Jahrhundert“ in ein Periodikum Naumanns eingerückt.206 1914 legte er zwei Bände „Der deutsche Bauernkrieg in zeitgenössischen Quellenzeugnissen“ vor. Sie erschienen in „Voitländers Quellenbüchern“ und waren damit „für jedermann. Zur Vertiefung jedes Studiums, zur Befriedigung des persönlichen Wissenstriebes und zur gediegenen Unterhaltung.“207 In seiner Einleitung berief sich Barge wissenschaftlich auf Lamprecht208 und erklärt die Relevanz des Themas sozial und ökonomisch209. Die Ausgabe blieb unvollendet. Ein geplanter und auch konzeptionell bereits angekündigter dritter Band wurde nicht verlegt.210 Aus dem vorgesehenen Themenkreis zweigte Barge 1920 eine „biographische Studie“ zu Florian Geyer ab, die ein Aufsatz von 1925 vertiefte.211 Die knappe Monographie212 legte Wert 206 Barge, Bewegungen. Der fünf Jahre ältere Beitrag ders., Strömungen, hatte das Thema ebenfalls traktiert, aber mit dem negativen Ergebnis beschlossen, daß es im Mittelalter bereits eine soziale Idee gegeben habe. Ausdrücklich festgestellt wird dies mit Blick auf die Waldenser, ebd., S. 2: „Ein soziales Programm haben sie in ihrer besten Zeit nie aufgestellt.“ Zugleich läßt Barge keinen Zweifel daran, daß sowohl die sozialen Mißstände, als auch die zukunftsweisenden Organisationsformen der Wirtschaft im Mittelalter bereits angelegt waren. Vgl. dazu knapp ebd.: „Der Boden, auf dem sich im 16. Jahrhundert der Bauernkrieg abspielt, ist von husitisch= kommunistischer Agitation völlig durchwühlt gewesen.“ Ebd., S. 3: „In einer Fülle von Pamphleten, Flugschriften, Programmen, und seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch in lokalen Aufständen ist gegen sie [die Situation der Bauern] protestiert worden. […] So waren um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts die Massen von einer tiefgehenden sozialen Erregtheit erfüllt. Im großen Bauernkrieg des Jahres 1525 kamen die bisher im Stillen genährten Flammen der Unzufriedenheit zum lodernden Durchbruch. Indem der Krieg mit einem Siege der landesherrlichen Gewalten endigte, war damit zugleich das Schicksal aller ihrem Ursprung nach ins Mittelalter zurückreichenden sozialen Strömungen besiegelt.“ 207 Vgl. dazu den für die gesamte Reihe standardisierten Vorsatztext des Verlegers in Barge, Bauernkrieg, Bd. 1 u. Bd. 2. An der Böhmerschen Auswahlausgabe, die für Lehrveranstaltungen bestimmt war, hatte Barge zehn Jahre zuvor einerseits Kritik an der zu eingeschränkten Zielgruppe geübt, andererseits an den zu elementaren Erklärungen; vgl. dazu ders., Rez. Böhmer. 208 S. Barge, Bauernkrieg, Bd. 1, S. 6: „Schon Lamprecht hat vor Jahren in einem an bedeutenden Gesichtspunkten reichen Aufsatze […] ausgeführt, man müsse sich daran gewöhnen, ‚in den Bauernaufständen der Reformationszeit den unausbleiblichen Versuch eines radikalen Bruchs mit einer langen, nunmehr unleidlich und hoffnungslos gewordenen wirtschaftlichen Vergangenheit zu sehen‘.“ 209 S. ebd.: „So verstanden, stellt sich der Bauernkrieg als die große Abrechnung dar, welche der im Laufe der Jahrhunderte von der Freiheit in die Unfreiheit herabgesunkene deutsche Bauernstand mit den Mächten vornimmt, durch die er sein Dasein bedrückt und bedroht fühlt.“ 210 Ebd., S. 11: „Der dritte Band endlich wird die Haltung Götzens von Berlichingen und Florian Geyers im Bauernkriege, sowie Thomas Münzer und die unter seinem Einfluß stehende mitteldeutsche Aufstandsbewegung behandeln (Nr. VI und VII).“ 211 Zu ersterer s. Barge, Geyer, zu letzterem ders., Ursachen. 212 Knapp besprochen wurde die Monographie 1921 in Barges vormaligem Rezensionsorgan, den „Mitteilungen aus der historischen Literatur“, von Ehlers, Rez. Barge. Ehlers nahm vor allem wahr, daß sich Barge sehr massiv gegen den historiographischen Vorgänger Max Lenz
192
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
darauf, „im September des Jahres 1918 fertiggestellt gewesen“ und somit vor der russischen Oktober‑ sowie deutschen Novemberrevolution geschrieben worden zu sein.213 Gegenüber diesen Ereignissen mutet auch Geyer in Barges Schlußschilderung als geradezu konservativ an: „Geyer suchte nach Kräften zu verhüten, daß die Ziele der Aufstandsbewegung sich ins Uferlose verloren. Kommunistische Gedanken wies er von sich, ausgesprochenen Klassenforderungen stand er zurückhaltend gegenüber, und an den bestehenden politischen Machtverhältnissen wollte er gewaltsam – vom Kampfe gegen Rittertum und Geistlichkeit abgesehen – nichts ändern.“214
Einem der wichtigsten Referenzwerke für die unabgeschlossene Auswahledition von Selbstzeugnissen galt Barges letzte Veröffentlichung zum Thema. Mit philologischem Sachverstand verwandte er sich für eine Neuausgabe von Wilhelm Zimmermanns „Geschichte des großen Bauernkrieges nach den Urkunden und Augenzeugen“ im „unverfälschten Text der Ausgabe letzter Hand“215. Ein ausführliches Vorwort schildert Zimmermann als „den ersten Historiker des Bauernkrieges“216 und bietet eine vorzügliche biographische Miniatur, die auf Archivalien aus dem Familienbesitz der Nachfahren217 rekurriert. Ein hoher Anteil an editorischen Beiträgen ist nicht nur für Barges Beschäftigung mit dem Bauernkrieg bezeichnend. Innerhalb der Karlstadt-Kontroverse richtete, der sich seinerseits scharf von Gerhart Hauptmanns Geyer-Bild abgegrenzt hatte. Barge war in seiner Positionierung gegen Lenz sogar so weit gegangen, seine Studie Hauptmann zuzueignen (im Briefnachlaß von Gerhard Hauptmann befindet sich ein dreiseitiges Schreiben Barges vom 8. Mai 1920 [SBB, GH Br. Nl (ehem. Akademie) B 142/2], in dem Hauptmann, Bl. 1r, vor der Drucklegung um seine Zustimmung zur Widmung gebeten wurde; Barge berief sich, ebd., Bl. 1r u. 1v, auf die „aufrichtige […] persönliche […] Verehrung, die ich für Sie und Ihr Schaffen hege“, und, ebd., Bl. 1v, „fachliche Momente“. Diese bestanden in den Unterschieden zu Lenz und der Nähe zu Hauptmann.). Über die kontroverse Beurteilung von dessen Dichtung stellte Ehlers kühl fest, ebd., S. 38: „Für die Geschichte ist das unerheblich; die Studie von B.[arge] aber ist für die Forschung zweifellos ein Gewinn.“ 1922 zeigte Hasenclever die Schrift in der „Historische[n] Zeitschrift“ an. Hasenclever, Rez. Barge, hob vor allem auf die schwierige Quellenlage ab, die es weithin nicht erlaubte, über Geyer gesicherte Aussagen zu machen. Barge habe diese Grenze überschritten und vieles konstruiert: „H. Barge sucht […] das Urteil von Max Lenz über diesen Revolutionshelden auf ein für diesen günstiges Maß zurückzuschrauben, ohne freilich stets überzeugend zu wirken. Neues, handschriftliches Material hat er nicht beizubringen vermocht; so steht Auffassung gegen Auffassung, Interpretation gegen Interpretation; man gewinnt den Eindruck, daß der Verfasser seine subjektive Überzeugung hie und da als quellenmäßig gesichertes Forschungsergebnis hinstellt.“ 213 Barge, Geyer, S. IV. Ebd.: „Wenn das […] von mir Ausgeführte durch die revolutionären Vorgänge seit dem November des Jahres 1918 eine nachträgliche Bestätigung gefunden hat, so folgt daraus nur, daß den Einsichten, die der Historiker aus einem weit zurückliegenden Betrachtungsobjekt gewonnen hat, ungeachtet der besonderen Voraussetzungen, auf die sie sich gründen, ein allgemeines Wahrheitsmoment innewohnt.“ 214 Ebd., S. 35. 215 Barge, Vorwort, S. XXIX. 216 Ebd. 217 Zu den Quellen vgl. ebd., S. V, sowie die wertvollen Auszüge aus den betreffenden Dokumenten.
1. Hermann Barge (1870–1944)
193
könnte man einen Bogen von dem materialen Anhang des Schlußbandes zu Barges abschließendem Debattenbeitrag, den 1912 erschienenen „Aktenstücke[n] zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522“218, schlagen. 1906 hatte er in den von seinem Schwager Clemen herausgegebenen „Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation“ zwei Texte ediert, die in das zweite Heft des Eröffnungsbandes eingegangen waren.219 1907 erschien ein kleinerer Beitrag zu Luther, der von bibliographischen Interessen historischer Einleitungsfragen bestimmt war.220 1908 verantwortete er zusammen mit Otto Brenner drei Textkomplexe im 18. Band der Weimarana, Luthers „Wider die himmlischen Propheten“ und zwei Karlstadt-Schriften, die Luther mit Vorreden versehen hatte.221 Luthers Auseinandersetzung mit dem Koran betreffen zwei Stücke, die im selben Band zu finden sind; eines edierte er mit Brenner, eines mit Clemen.222 In der seit 1914 bei Georg Müller verlegten „Münchner“ Luther-Ausgabe beteiligte er sich an mehreren Bänden. Wenig sichtbar blieb Barges in der Erstauflage noch auf dem Titelblatt der Gesamtreihe genannte Mitarbeit nach der Umgestaltung, die der Herausgeber Hans Heinrich Borcherdt 1938 zusammen mit Georg Merz vorgenommen hatte. In dieser wirkungsmächtigen Zweitauflage, der die Dritt‑ und Viertauflage folgten, wurden auf Barge zurückgehende Stücke in ihrer „Textgestalt […] mit wenigen Änderungen übernommen“, namentlich aber nicht mehr dem früheren Bearbeiter zugewiesen.223 Kennzeichnend für Barges wissenschaftliche Arbeiten nach der KarlstadtKontroverse ist die thematische Zweigleisigkeit seiner Veröffentlichungen. Auf der einen Seite stehen die Beiträge zu Luther, auf der anderen die zum deutschen Bauernkrieg. Zu beiden Themenfeldern publizierte er – in den dreißiger Jahren auch monographisch – fast zeitgleich; und zu beiden legte er Editionen vor, die nach 1914 zunehmend auf populäre, fachwissenschaftlich weniger spezifische Adressatenkreise ausgerichtet wurden. Hinzu kommt als dritter und lebensgeschichtlich letzter Forschungskomplex die Buchwissenschaft. An ein interessiertes Lesepublikum richtete sich die 1940 verlegte „Geschichte der Buchdruckerkunst von ihren Anfängen bis zur Gegenwart“.224 Das gut fünfhundertseitige Werk ist „Der Buchstadt Leipzig zum 500jährigen Jubiläum der Erfindung des 218 Barge, Aktenstücke. Abgesehen wird darin von dem 1913 vorgelegten Aufsatz ders., Orlamünde, der nicht im Zusammenhang mit der früheren Kontroverse steht. 219 Barge, Flugschriften. 220 Barge, Brief. 221 Barge/Brenner, Propheten; dies., Entschuldigung; dies., Erklärung. 222 Barge/Brenner, Alcoran, und Barge /Clemen, Koranausgabe. 223 Vgl. dazu nur Borcherdt/Merz, Luther Werke, Bd. 5, S. 528. Die Schwierigkeit der Zuschreibung ist bereits in der Erstauflage angelegt, die nur einzelne Stücke, darunter die größeren Einleitungstexte, den jeweiligen Mitarbeitern zuwies. Ein substantieller Beitrag von Barge ist in dieser Hinsicht der zweite Einführungsblock in dem fünften Band „Vom unfreien Willen. Schriften zur Neuorganisation der Kirche“: Barge, Neuorganisation. 224 Vgl. dazu Barge, Buchdruckerkunst, S. VIII: „Endlich hat der Verfasser dem Verlag Philipp Reclam jun. zu danken, der alles daransetzt das Werk so reich auszustatten und durch
194
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Buchdrucks durch Johann Gutenberg“225 gewidmet, wurde von dieser „für die Gutenbergwoche als Geschenkgabe“ gewählt226 und mochte darüber hinaus als prachtvoller, von Walter Tiemann aufwendig gestalteter Jubiläumsband227 besonders bibliophile Käufer ansprechen. Zugleich bietet die Arbeit eine Fülle an prosopographischen und bibliographischen Informationen zu einzelnen Druckern, womit dem Buch zudem der Wert eines Referenzwerkes zukommt. Nicht von ungefähr schloß sich im Folgejahr Barges letzte Publikation an, „Die Entwicklung der Buchdruckerkunst vom Jahre 1500 bis zur Gegenwart“, die als zweiter Band in Bogengs „Geschichte der Buchdruckerkunst“ erschien.228 Die Abschnitte zum Buchdruck des 17., 18., 19. und 20. Jahrhunderts verfaßte Barge selbst, womit er den Großteil des von ihm herausgegebenen voluminösen Werkes als Autor bestritt; unter den weiteren Mitarbeiten ragt Otto Clemen mit einem substantiellen Beitrag zum Buchdruck der Reformation heraus.229 Barges letzte Aufsätze erschienen im „Gutenberg-Jahrbuch“ und deuten an, in welcher Internationalität und Intensität er die jüngere Geschichte des Buchdruckes verfolgte.230 Aus den editorischen Arbeiten zu Luther ergaben sich 1916 einzelne thematisch verwandte Folgebeiträge.231 Zehn Jahre später veröffentlichte Barge eine begriffs‑ und argumentationsgeschichtlich sehr punktuelle Studie zu Luthers Schlußrede auf dem Wormser Reichstag232, die Barges bereits früheres Interesse an den reichs‑ und rechtsgeschichtlichen Zusammenhängen der „causa Lutheri“ fortsetzte233. Nachdem eine philosophisch akzentuierte Weiterführung an der einen erschwinglichen Preis zu einem Volksbuch für alle an der Geschichte des Buchdruckes interessierten Kreise zu machen.“ 225 Ebd., S. V. 226 Ebd., S. VIII. 227 Für eine zeitgenössische Würdigung im Rahmen der Jubiläumspublizistik s. Kretschmann, Gutenberg-Jahr, S. 188; dort wird auch eine „Förderung durch die Stadt Leipzig“ erwähnt. Die Charakterisierung des Buches erinnert stark an eine Beschreibung von Lamprechts Ansatz: „In universalhistorischer Weise sind kunst-, kultur‑ und geistesgeschichtliche Gesichtspunkte in die Darstellung einbezogen.“ 228 Barge, Gegenwart. 229 Anregung und Anfang dieser im Berliner Demeter-Verlag erschienenen Arbeit fallen in das Jahr 1936. S. dazu Elisabeth Barge an Otto Clemen, 10. August 1936 (Privatbesitz), Bl. 2r: „Hat Dir denn Demether etwas Honorar geschickt? Er hat übrigens Hermann ganz feierlich das 18. Jahrh.[undert] übertragen. Hermann will die Arbeit auch gerne übernehmen, muß natürlich seine anderen großen Pläne, von denen er Dir leider bei dem letzten kurzen Zusammensein nicht sprechen konnte, unterbrechen.“ Die Vermutung liegt nahe, daß sich der letzte Abschnitt auf ders., Buchdruckerkunst, bezieht. 230 Barge, Finnischer Buchdruck, erschien posthum; ders., Typenguss, untersucht sehr spezifisch die lebens‑ und druckgeschichtlichen Folgen deutscher Auswanderer nach Pennsylvania. 231 Sehr direkt auf Barge/ Brenner, Alcoran, von 1908 sind die beiden Beiträge von 1916 bezogen: Barge, Islam, und ders., Missionsreise. 232 Barge, Krokodilschluß. 233 Vgl. dazu neben Barge, Rez. Kalkoff 1907a, und ders., Rez. Kalkoff 1915, bes. den Beitrag von 1911: ders., Kurie.
1. Hermann Barge (1870–1944)
195
Drucklegung gescheitert war234, intensivierte Barge seine Beschäftigung mit Luther im unmittelbaren Anschluß an die Pensionierung. 1935 legte er ein kleines Büchlein zu „Luthers Zartgefühl“ vor235, das thematisch gegen den klassischen Grobianismusvorwurf anzutreten schien und auch von evangelischer Seite unter größter Zustimmung rezipiert wurde.236 Tatsächlich steht im Vordergrund des – Barges Ehefrau zugeeigneten – Bändchens „Der Liebesgedanke bei Luther“237, der in sozialethischer Hinsicht ebenso vielfältig wie konkret ausgedeutet wird. Eine nicht nur ökonomiehistorische, sondern auch wirtschaftsethische Aktualisierung stellt jene Artikelserie zu „Luthers Kampf gegen den Mammonismus“ von 1937 und 1938 dar, mit deren Nachdruck unter dem unverfänglicheren Titel „Luther und der Frühkapitalismus“ Heinrich Bornkamm die „Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte“ sechs Jahre nach Kriegsende wiederbelebte.238 1.1.5. Zusammenfassende Verbindungen im Lebenswerk und Vergessen nach dem Tod Überblickt man die drei für Barges Gesamtwerk als charakteristisch benannten Wirkungskreise nach‑ und nebeneinander, so gibt sich in jedem einzelnen mindestens das Segment auch eines der anderen zu erkennen. Die Ortsverbundenheit zu Leipzig ließe sich ihren sozialen, akademischen, musikalischen, politischen und wissenschaftlichen Bezügen als ein umfassendes Integral ausdeuten.239 Die sozialpolitischen Anliegen Barges konnten sich mit musikalischen Interessen240 verbinden und kommen auch in den wissenschaftlichen Arbeiten zum Tragen. 234 S. hierfür das Schreiben Barges an Edmund Husserl, 29. September 1928, in: Husserl, Briefwechsel, S. 9 f. Ebd., S. 9, Z. 5–9: „Anbei erlaube ich mir einen Aufsatz über zwei antike Trugschlüsse in phänomenologischer Beleuchtung zu übersenden in der Hoffnung, dass er geeignet ist, in das von Ihnen herausgegebene Jahrbuch für Phänomenologie aufgenommen zu werden.“ Ebd., Z. 19–25: „Die immer erneut in Angriff genommenen Deutungsversuche, insbesondere des Trugschlusses ‚der Lügner‘ befriedigten mich nicht. Inzwischen hatte ich mich bemüht, in die von Ihnen der Menschheit erschlossene Welt der Phänomenologie einzudringen, und ich hoffe, darin soweit vorgedrungen zu sein, dass meine vom phänomenologischen Standpunkt geführte Untersuchung über die Trugschlüsse der Lügner und der Meineidigen Sie befriedigt.“ 235 Barge, Zartgefühl. 236 Anon., Der grobe Luther. 237 So auch die Überschrift des grundlegenden Eingangskapitels, Barge, Zartgefühl, S. 5. 238 Vgl. dazu oben Anm. 151. 239 Selbst Barges Publizistik bleibt dem Verlagsort Leipzig weithin verbunden. Sämtliche seiner Monographien erschienen dort; nur der zuletzt benannte Band zur Druckgeschichte, der Leipzig seinerseits thematisierte, und „Luthers Zartgefühl“ wurden auswärts gedruckt. Das Lutherbändchen wurde in Zwickau bei Johannes Herrmann verlegt, mit dem Barges Schwager Otto Clemen bereits verschiedentlich zusammengearbeitet hatte. In zeitlicher Nähe wäre etwa zu nennen: Clemen, Gesangbuch. 240 Ein Beispiel hierfür liefert der handschriftliche Brief Barges an seine Schwiegermutter Helene Clemen, geb. Voigt, 28. Mai 1900 (Privatbesitz), 1 S., der von einem Gesangsduett berichtet, das er zusammen mit seiner Ehefrau im Rahmen einer, ebd., Bl. 1r, „1. Mai=Feier“ darbot.
196
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Barges Beiträge als Historiker wiederum zeichnen sich durch inhaltliche und thematische Geschlossenheit aus. Sehr konsequent trat Barge seit seinen frühen Rezensionen für das methodische Ideal einer historistischen Objektivität ein, die er auch thematisch auf die Wahl seiner Arbeitsgebiete übertrug, indem er Einseitigkeiten der etablierten Forschung aufzuzeigen und auszugleichen suchte. Als Barge nach Jahren der Krankheit und seit 1938 sehbehindert241 am 24. September 1944 starb242, blieb sein Tod weithin unbemerkt. Wissenschaft, Schule und Politik – die in seinem Leben eine Einheit gebildet hatten – registrierten den 241 Vgl. dazu die Postkarte von Elisabeth Barge an Otto Clemen vom 10. Dezember 1938 (Privatbesitz), Bl. 1v: „Wir kommen mit der Arbeit gut vorwärts, aber ich achte darauf, daß Hermann wenigstens täglich ½ St.[unde] spazieren geht, d. h. ich führe ihn aus, er trägt auf Wunsch des Augenarztes an jedem Arm die gelbe Binde.“ 242 Das Datum des 24. Septembers bietet Bornkamm, Vorwort, S. 5. Die Todesanzeige der Witwe läßt sich in den „Leipziger Neueste[n] Nachrichten und Handels=Zeitung“ vom 28. September 1944, Nr. 265, o. P., mit dem Wortlauf auffinden: „Dr. Hermann Barge, Oberstud.Dir. i. R., mein geliebter Mann, wurde v.[on] seinem schweren, mit unendl.[icher] Geduld ertra g.[enen] Leiden durch einen sanften Tod erlöst. Zwickau/ Sa.[chsen], Schlageterpl. 4; III., 25. 9. 44 Elisabeth Barge geb. Clemen.“ Bestätigung für die Annahme, daß Barge am 24. September in Zwickau starb und die Witwe die Todesnachricht am 25. September aufsetzte, bietet das im StA Zwickau verwahrte „Sterbebuch Zwickau 1849/1944“. Für die darauf gründende Auskunft, daß Barge „am 24.09. in Zwickau in seiner Wohnung Schlageterplatz 4 verstorben“ sei (brieflich am 19. Februar 2013), danke ich der Archivarin Sylvia Reinhardt sehr herzlich. (Einen klaren Schreibfehler bietet somit die am 17. Oktober 1945 Agnes Einenkel auszugsweise zugestellte Testamentsabschrift [Privatbesitz; zu der notariellen Niederschrift „54 IV B 35/44 – U. R. 18/1940“ s. unten Anm. 39], die als Todesdatum den „24. September 1945“ benennt. Gegenüber den amtlich eindeutigen Angaben muß auch die Datierung auf den 23. September zurücktreten, die sich im Briefwechsel von Barges Schwägerin Susanne Clemen, geb. Barth, mit ihrer Tochter Agnes Einenkel, geb. Clemen, findet; in einem mit dem 24. September überschriebenen Brief berichtet diese [nach der dankenswerten Abschrift durch Roswitha Einenkel]: „Ich muß Dir die traurige Nachricht schreiben, daß Onkel Hermann gestern abend gestorben ist. Er hat zuletzt sehr gelitten[,] so daß der Tod für ihn eine Erlösung ist[.] Die Beerdiung ist hier am Donnerstag ¾ 12.“). Sein letztes Lebensjahr verbrachte Barge, nachdem das Leipziger Wohnhaus am 4. Dezember 1943 (s. dazu unten Anm. 39) ausgebombt worden war, mit der Ehefrau und der langjährigen Haushälterin unweit des Schwagers Otto Clemen in Zwickau. Marianne Müller, der Enkelin Otto Clemens, gelang es, unter der Anschrift „Schlageterplatz 4/III“ die Wohnung von Barges Neffen Ernst Hennig zu identifizieren, der „in der genannten Zeit noch im Krieg war und seine Wohnung zur Verfügung stellte“ (brieflich am 25. Februar 2013). Ein Brief von Barges Schwägerin Susanne Clemen, geb. Barth, an Agenes Einenkel vom 9. Dezember 1943 (nach einer Abschrift, die Roswitha Einenkel, Lichtenstein, freundlicherweise für mich anfertigte), bestätigt diese Rekonstruktion: „Barges […] kommen mit Frl. Helenchen u[nd] ziehen in Ernst Hennigs leerstehende Wohnung.“ Zeitweilig beabsichtigten Barges, nach Leipzig zurückzukehren; s. dazu den Brief von Susanne Clemen, geb. Barth, an Agenes Einenkel vom 21. Februar 1944 (ebenfalls nach einer Abschrift von Roswitha Einenkel): „Barges haben in Leipzig eine Wohnung bekommen u.[nd] wollen am liebsten Ende dieses Monats wieder hin. Es ist auch nur eine möblierte Interimswohnung.“ Barge Sterbehaus ist unter der Adresse ErnstSchneller-Platz 4 in Zwickau erhalten. Bestattet wurde Barge ebenfalls in Zwickau. Sein Grab ist verwaist und wurde bereits zweimal umgewidmet. Der Ort der Beisetzung läßt sich auf dem Zwickauer Hauptfriedhof unter der gegenwärtigen Grabnummer I – J – 23/24 identifizieren (briefliche Auskunft von Constanze Kowalewski, Garten‑ und Friedhofsamt, Stadtverwaltung Zwickau, 4. Juli 2013).
1. Hermann Barge (1870–1944)
197
Abbildung 1: Hermann Barge, „Ostern 1927“ (Fotografie: Familienbesitz Frank Heidermanns).243
Verlust während des letzten Kriegsjahres nicht. Nur so läßt sich auch erklären, daß für Barge heute in den wenigsten Fällen ein genaues Todesdatum und meist nur ein falsches Sterbejahr geboten wird.244 Auch dürften sich die verbreitetsten 243 Für die Beibringung und Druckgenehmigung des Bildes danke ich PD Dr. Frank Heidermanns, Bonn, sehr herzlich, der das Dokument aus dem Nachlaß seiner Großmutter besitzt. Heidermanns’ Urgroßvater Carl Clemen war ein Bruder von Barges Ehefrau; für eine Erhellung der familiären Verbindungen empfiehlt sich ein Zugriff auf Heidermanns’ eingehende genealogische Datenbank: http://www.heidermanns.net/genealogie.html. Ein Auszug des Bildes ist verfügbar unter www.heidermanns.net/gen-pers.php?ID=226 (Zugriffsdatum für beide Seiten: 28. September 2013). 244 Die häufigsten Angaben beschränken sich auf das Jahr 1941. Die Vielzahl der hierfür einschlägigen Internet-Ressourcen soll aufgrund ihrer Wandelbarkeit nicht benannt werden;
198
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
biographischen Kenntnisse im Grunde auf die beiden Angaben beschränken, die aus der Karlstadt-Biographie selbst hervorgehen: „daß der Verfasser Historiker, nicht Theolog ist“245 und sein „Schwager Dr. Otto Clemen in Zwickau [war], der jederzeit meinen Forschungen seine rege Anteilnahme hat zuteil werden lassen und mir in vielen Einzelheiten wertvolle Auskünfte gegeben hat.“246 Zu dem Wissen um Barges akademisches Profil und seine familiäre sowie fachliche Nähe zu Clemen mochten die Titelzeilen weiterer Veröffentlichungen allenfalls die Leipziger Anstellung als Oberlehrer ergänzt haben. Diese soziale Einordnung spielte bereits in den Auseinandersetzungen um die Biographie als vermeintliches Indiz eines eingeschränkten Professionalisierungsgrades eine eigene Rolle. Einer gewissen Tragik entbehrt es nicht, daß Barges langer Anlauf zur Karlstadt-Biographie nicht zu dem vielleicht erhofften beruflichen Wendepunkt führte, auf den er in wissenschaftlicher Hinsicht gesetzt haben mochte und den er auch politisch mit der Reichstagskandidatur im unmittelbaren zeitlichen Anschluß gesucht hatte.247 Zugleich bleiben die Jahre um 1905 die literarisch produktivsten, publizistisch wahrnehmbarsten und wirkungsgeschichtlich prägendsten im Leben Barges. zu erwähnen ist gleichwohl, daß der Fehler auch in zahlreichen digitalen Bibliothekskatalogen zu finden ist sowie, nicht zuletzt, der englischsprachlichen online-Ausgabe des vormaligen „Mennonitischen Lexikon[s]“: http://www.gameo.org/encyclopedia/contents/B3733.html (Zugriffsdatum: 28. September 2013). 245 Barge, Karlstadt, T. 1, S. VIII. 246 Ebd., S. VII f. Laut Anon., Art. Barge 1935, heirateten Elisabeth Clemen und Barge am 15. Juli 1897. Das Datum bietet Barge in seinen handgeschriebenen Lebensläufen im Rahmen von Bewerbungen 1917 und 1925 in StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 49r, 100v. Die Bekanntschaft mit dem Bruder dürfte älter gewesen sein; auch er hatte zu dem Schülerkreis von Lamprecht gehört und war 1896 in Leipzig promoviert worden. Clemens Einordnung unter die Leipziger Schüler Lamprechts dokumentiert die „Ehrengabe Karl Lamprecht“ des Jahres 1909, in die Barge, Streit, eingerückt ist. Lamprecht selbst bezog sich 1912 im Vorwort zur „Deutsche[n] Geschichte“ auf seinen „Schüler“ Clemen; vgl. dazu die dritte Auflage von Lamprecht, Geschichte, Bd. 5/2, S. V. 247 Plausibilität gewinnt diese Lesart auch vor dem Hintergrund des oben in Anm. 100 geschilderten Versuchs von Barge, in diplomatischen Dienst zu treten. Die gescheiterten Bemühungen des Jahres 1918 wurden im Folgejahr von dem zeitlich befristeten Wechsel in die Landespolitik abgelöst. Direkte Belege für Barges Unzufriedenheit mit dem Schuldienst bietet der Briefwechsel seiner Frau Elisabeth Barge, geb. Clemen, mit ihrem Bruder Otto Clemen. Der handschriftliche Brief vom 18. Mai 1917 (Privatbesitz), Bl. 1r (seitenverkehrter Nachtrag) konstatiert: „Glücklich wird Hermann nie als Schulmann, u.[nd] er macht mir viel Sorge.“ Am 28. Februar 1918 berichtete Barges Ehefrau in einem handschriftlichen Brief von konkreteren Überlegungen (Privatbesitz), Bl. 2v: „Hermann macht mir rechte Sorgen mit seinen Klagen über seinen verfehlten Beruf. Man wird wirklich müde u.[nd] mürbe davon. Ich stelle ihm oft vor, wie gut u.[nd] bequem er es hat, aber das nützt nichts. Die Gebundenheit sei zu fürchterlich, u.[nd] er möchte frei schaffen. Wenn es wirklich sein Unglück ist, dann muß er eben nach dem Kriege seine Schulmeistertätigkeit hinwerfen, wir würden eine kl.[einere] Wohnung für vielleicht 800 M[ark] nehmen u.[nd] uns ganz anders einrichten. Aber ich glaube, das fällt Hermann schwerer als mir. Und eigentlich habe ich jetzt auch meine Geldsorgen, jedenfalls vielmehr als Ihr u.[nd] Hennigs, die Ihr so sparsam u.[nd] anspruchslos seid. Bei uns fliegt das Geld nur so hinaus, ohne Familie, allerdings mit anderem Anhang.“
1. Hermann Barge (1870–1944)
199
1.2. Die Anregung zur Karlstadt-Biographie Die zusammen mit der Lebens‑ und Werkgeschichte skizzierte Entwicklung von Barges wissenschaftlichem Profil bietet vor 1905 zahlreiche Anknüpfungspunkte, aus denen die Beschäftigung mit Karlstadt hervorgegangen sein mochte. Grundsätzlich denkbar ist, daß die Arbeit zwischen 1892 und 1894 als Habilitationsprojekt begonnen wurde, wobei der einzige zeitgenössische Hinweis auf eine entsprechende Bemühung Barges für 1894 festhält, daß ein möglicher Abschluß noch nicht in Sicht sei.248 Doch wer mochte Barge – ob nun speziell als Qualifikanden oder allgemein als Autor – auf das Thema aufmerksam gemacht haben? 1.2.1. Karlstadt bei Lamprecht und Maurenbrecher Lamprecht ist ausweislich seiner Publikationen auszuschließen oder allenfalls als eine via negationis in Betracht zu ziehen. Lamprechts Karlstadt betreffende, am „25. Februar 1894“249 abgeschlossene Passagen der „Deutsche[n] Geschichte“ zeichnen in der Erstauflage250 ein düsteres Gesamtbild, das auf einer Linie mit der etablierten und 1856 durch Jäger gefestigten Einschätzung liegt. Karlstadt erscheint als ein ambitionierter und psychisch labiler Karrierist, dessen äußere Skrupel‑ und innere Charakterlosigkeit nicht nur innerreformatorisch, sondern auch gegenüber der kirchlichen Tradition die destruktivsten Folgen zeitigte.251 Die Schlußpassagen des Bandes ordnen die reformationsgeschichtlichen Entwicklungen in Lamprechts neuzeitliche Gesamtteleologie ein, die – wie im Titel der späteren Ausführungen zum 19. Jahrhundert – auf die Ausbildung eines Subjektivismus zuläuft, der an sich berechtigt sei, aber anders als in den Erscheinungsformen des 16. Jahrhunderts begründet werden müsse. Karlstadt steht zusammen mit dem „Schwärmertum“, dem „größte[n] Gegner der Reformation“, für den „unzeitige[n]“ und „unreifen Subjektivismus“ ohne „ein Prinzip religiöser Hem-
248
Vgl. dazu oben Anm. 29. diesem Datum s. das Vorwort zu Lamprecht, Geschichte, Bd. 5/1, S. 359. 250 Im Anschluß an Barge arbeitete Lamprecht die Ausführungen später um; sogar den Begriff einer „puritanischen Reform“ nahm er auf; vgl. dazu alleine die heute weithin präsente fünfte Auflage von 1921 von Lamprecht, Geschichte, Bd. 5/1, S. 328. 251 S. dazu Lamprecht, Geschichte, Bd. 5/1 [Erstausgabe], S. 294: „Karlstadt war eine in sich zerrissene, ehrgeizige, dem Extremen zugeneigte Natur; sein Handeln stand unter dem Drucke nervöser Übereilung. Jetzt wollte er Luther verdunkeln, an seine Stelle treten. Er drang in die Seelsorge der Gemeinde ein und mahnte zum Fallenlassen äußerlicher katholischer Gebräuche; er erregte die Klosterbrüder Luthers, bis daß sie im Oktober 1521 aufhörten, die Messe zu lesen. Er wirkte nicht aufbauend, sondern zerstörend; und bald zeigten sich die Ergebnisse seiner Thätigkeit in vereinzelten Tumulten. […] Karlstadt [ging] eben jetzt vorwärts; seit Weihnachten 1521 setzte er seine radikalen Forderungen völlig ins Leben. Er erteilte das Abendmahl in beiderlei Gestalt ohne priesterliche Abzeichen; er heiratete, obwohl geweiht; er ließ es geschehen, daß die Augustiner=Eremiten sich immer größeren Ausschreitungen hingaben“. 249 Zu
200
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
mung, wie Luther es an der biblischen Autorität besaß.“252 Luther hingegen hatte „für sein Jahrhundert recht […] mit dem Gedanken eines autoritativ gegängelten Individualismus“.253 In religiöser Hinsicht mochten die Passagen Barge zum Widerspruch reizen. Sozialethisch anstößig mußten auch die Ausführungen zu Karlstadts ökonomischer Etablierung sozialer Sicherungssysteme erscheinen, die Lamprecht als „höchst bedenkliche Wendung“ beurteilte.254 Möglich ist, daß Barges religiöse und soziale Interessen gerade durch das Negativbild Lamprechts bzw. des von diesem konsultierten Jäger geweckt wurden. Dafür könnte auch sprechen, daß Otto Clemen in einer der ersten Rezensionen des Jahres 1905 eine Information bot, die sich nicht aus der angezeigten Biographie und nur aus der persönlichen Nähe zu seinem Schwager ableiten läßt: „Und im letzten Grunde ist denn auch B.[arge]s Werk veranlaßt worden durch das lebhaft gefühlte Bedürfnis, die Jägersche Monographie zu ergänzen und zu berichtigen und eine zutreffendere Charakterisierung K.[arlstadt]s zu liefern. Im Verlaufe seiner Arbeit sah sich B.[arge] genötigt, den Rahmen weiter und weiter zu spannen“.255
Ob indirekt durch Lamprecht oder direkt durch Jäger vermittelt, nahm Barges Projekt ausweislich der Clemenschen Ausführungen, die auf einer Selbstauskunft Barges gründen mögen, im Widerspruch zu der seit 1856 einschlägigen Monographie ihren Ausgang. Maurenbrecher mochte in diesem Zusammenhang nicht unbeteiligt gewesen sein. Seine „Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit“ boten 1874 einen Überblick zur Lutherliteratur. Darunter wurde auch das vier Jahre zuvor erschienene „religiöse […] Charakterbild“ Luthers besprochen256, das der zunächst in Württemberg und schließlich in Zürich wirkende Heinrich Lang entworfen hatte, der um 1900 als „der Vorkämpfer der freien Richtung in der protestantischen Kirche der Schweiz und auch Deutschlands“257 gewürdigt wurde. Langs dreihundertseitige Monographie zu Luther ist, wie viele reformationsgeschichtliche Darstellungen der Zeit um 1521, auch ein Beitrag zu Karlstadt. 252 Ebd.,
S. 358. Ebd. 254 Ebd., S. 294 f.: Karlstadt „begann, den Forderungen der Gemeinde nachgebend, die Reform auf das soziale Gebiet zu übertragen; ein gemeiner Kasten sollte dem Unterhalt der Waisen und Arbeitsunfähigen, der Förderung arm Geborener in Beruf und Leben, der zinsfreien Darleihung von Kapitalien an kreditbedürftige Erwachsene dienen. Es war eine höchst bedenkliche Wendung, deren rascher Vollzug wohl schon dem Einfluß religiöser Fanatiker verdankt ward, die sich von Zwickau nach Wittenberg gewandt hatten.“ 255 Clemen, Rez. Barge, S. 285. Der Schlußsatz wurde im erkennbaren Anschluß zum Vorwort formuliert, Barge, Karlstadt, T. 1, S. V: „So weitet sich unsere Darstellung an vielen Stellen aus zu einer neuen Behandlung der reformationsgeschichtlichen Anfangszeiten, namentlich in der Periode bis zum Jahre 1525.“ 256 Zu dieser Auseinandersetzung mit Lang, Charakterbild, s. Maurenbrecher, Lutherliteratur, S. 231–235. 257 Die ausführlichste Schilderung seines Werdegangs und Profils bietet Christ, Art. Lang. Zu dem Zitat s. ebd., S. 255. 253
1. Hermann Barge (1870–1944)
201
Lang kannte und rezipierte die Studie von Jäger.258 Die Schilderung Karlstadts war so auch nicht gerade positiv, so sehr bereits Lang dessen „sociale Reform“ in der Wittenberger Gemeindeordnung honorierte259 – ein „Verdienst“, das als solches bereits Jäger herausgestellt hatte260. Dennoch konnte Lang die Auseinandersetzung zwischen Luther und Karlstadt nicht nur aus beider persönlichen Anlagen, sondern vor allem aus Luthers Verhalten erklären und zur Arbeit an einem neuen Karlstadt-Bild aufrufen: „Luthers Herrschernatur duldete Keinen neben sich, der eigene Wege ging, und Karlstadt war seinem großen Gegner weder nach Charakter noch nach Genialität ebenbürtig; seinem Charakter fehlte die Lauterkeit und Gewissenhaftigkeit; es war in ihm eine trübe Mischung von Gelehrsamkeit, scharfem Verstand und phantastischem Wesen. Aber daß an dem, was er von jetzt an geworden ist und gethan hat, Luther eine große Schuld trägt, kann nicht geläugnet werden und eine gerechte und billige Würdigung Karlstadt’s fehlt unserer Litteratur noch bis heute.“261
Langs Schilderung trägt unverkennbar die Züge derjenigen Gottfried Arnolds, der bereits in Luthers Abgrenzung von der Wittenberger Bewegung und darin namentlich von Karlstadt den Abfall in die kirchliche Reaktion sah.262 Zugleich bietet Lang das Deutungsmuster einer von Karlstadt initiierten gemeindegetragenen Reform, die von Luthers obrigkeitlicher und kirchlicher Orientierung zerstört wurde.263 Die strukturellen Parallelitäten zu Barges späterer Biographie sind augenfällig, ließen sich aber auch aus einem gemeinsamen Rekurs auf Gottfried Arnold erklären. Barge selbst dürfte sich auf diesen beziehen, als er 1905 sehr unbestimmt „von einigen Ansätzen“ zur neuerlichen Würdigung der „protestantischen Dissenters […] in der Zeit des beginnenden rationalistischen Pietismus“264 ausging. Maurenbrecher freilich distanzierte sich von Langs Interpretation, konnte ihr im Sinne eines anregenden Perspektivenwechsels aber durchaus 258
Vgl. dazu alleine Lang, Charakterbild, S. 75, 115, 134, 167, jeweils in Anm. *. S. 116 f. Mit Blick auf Karlstadt scheint dieser Begriff von Lang geprägt worden zu sein. Bei Jäger, Carlstadt, konnte ich eine entsprechende Formulierung im Sinne einer möglichen Vorlage nicht finden. 260 S. dazu Jäger, Carlstadt, S. 262: „Carlstadt hat sich mit dieser Gemeindeordnung ein bleibendes Verdienst erworben, denn sie bildete die Grundlage für die von Luther und seinen Schülern in der ersten Hälfte des 16ten Jahrhunderts ausgeführten Organisationen des Cultus, der Armen= und Kirchenpflege.“ In Anm. * heißt es ebd.: „Auch sonst berührt Carlstadt um diese Zeit in seinen öffentlichen Kundgebungen allgemein sociale Fragen“. 261 Lang, Charakterbild, S. 133. 262 Zu Lang s. dazu ebd., S. 130: „Wir finden hier den Reformator zum ersten Mal auf der Seite der Reaction und es sollte nicht das letzte Mal sein. Bisher war er der unaufhaltsam Voranschreitende gewesen, jetzt ist er der Hemmende.“ 263 Zu Lang s. dazu ebd., S. 130: „Aber noch viel schlimmer ist, daß die kirchliche Reform aus den Händen der Gemeinde, die sie so kräftig angefaßt hatte, in die Hände des Fürsten hinübergespielt wird.“ 264 Barge, Karlstadt, T. 1, S. V f. Für die gebotene Zuordnung spricht auch Barges Hinweis auf das positive Karlstadt-Bild von Arnold, ebd., T. 2, S. 522. 259 Ebd.,
202
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
etwas abgewinnen.265 Aus diesem Grund mochte er sich auch entschlossen haben, die Frage nach Karlstadt weiter zu vertiefen. Selbst legte er keine einschlägigen Studien vor. Von großer Bedeutung ist aber, daß Maurenbrecher 1889 seinem Doktoranden Wilhelm Klein das Thema „Andreas Bodenstein von Carlstadt“266 aufgab. Für Barge mochte relevant gewesen sein, daß die Dissertation nicht abgeschlossen wurde.267 Möglicherweise war die Aufgabenstellung in ihrer offenen Themenformulierung und problematischen Quellenlage nicht einmal stimmig bearbeitbar. So wenig von Kleins abgebrochenem Dissertationsprojekt auf ein mögliches Habilitationsthema Barges geschlossen werden soll, bleibt auffällig, daß das einzige bisher bekannte Vorhaben einer akademischen Qualifikationsschrift zu Karlstadt im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts von Barges Mentor Maurenbrecher angeregt wurde. Durchaus vorstellbar ist, daß Barge das Thema aufgriff, in der nötigen Materialarbeit ebenso unterschätzte wie vor ihm Klein und in dem Jahrzehnt nach Maurenbrechers Tod zu seiner umfangreichen und anspruchsvollen Monographie auswachsen ließ. 1.2.2. Ludwig Kellers Einfluß auf Barge und dessen Berufung auf Alfred Hegler und Hermann Weingarten Für die Positionierung seines Werkes gegenüber der kirchengeschichtlichen Fachwissenschaft hatte Barge mit hoher Wahrscheinlichkeit ein literarisches Vorbild gefunden, das er aus guten Gründen nicht direkt benannte. In mehreren Zusammenhängen begegneten bereits Grundmuster theologischer Kritik, die Barge gegenüber Studien zur mittelalterlichen und reformatorischen Ketzergeschichte erwartete. Diese als positiv konnotierte Vorformen moderner Weltanschauung interpretiert zu haben, war das Verdienst von Ludwig Keller, das bei aller archivalischen Materialarbeit indes ein zweifelhaftes blieb, da er nicht nur auf den gedanklichen, sondern auch den genetischen Zusammenhang der verschiedensten Bewegungen, die er als Vorläufer der Freimaurerei verstand, ein sachlich unangemessenes Gewicht legte. Dessen 1880 erschienene „Geschichte der Wiedertäufer und ihres Reichs zu Münster“ war gleichermaßen umstritten wie die 1885 vorgelegte „Reformation und die älteren Reformparteien. In ih265 So erklärte Maurenbrecher, Lutherliteratur, S. 234, nach einer thematisch exemplarischen Auseinandersetzung mit Lang: „Wir haben hier gerade diesen Punkt […] ausgewählt, weil sich an ihm der Mangel ausreichender Detailstudien und Vorarbeiten ganz besonders deutlich machen läßt. Auch wenn wir bei den Wittenberger Vorgängen die citirte Motivierung Langs für nicht zutreffend halten, wir können es uns gefallen lassen, einmal von der Kehrseite die Dinge zu betrachten.“ 266 Diese wertvolle Information verdankt sich der akribischen Aufnahme sämtlicher von Maurenbrecher als Erstgutachter betreuter Dissertationen, Todte, Reformationshistoriker, S. 78–80, Anm. 207, hier: S. 79, und ebd., S. 82. Bedauerlich ist, daß Todte nicht zwischen abgeschlossenen und abgebrochenen Arbeiten unterscheidet. 267 S. dazu die Meldung für das Jahr 1889 im UA Leipzig, Phil.Fak.Prom. 09661.
1. Hermann Barge (1870–1944)
203
rem Zusammenhange“ und die ein Jahr später folgenden „Waldenser und die Deutschen Bibelübersetzungen. Nebst Beiträgen zur Geschichte der Reformation“.268 Als Kritiker traten Theodor Kolde, Karl Müller, Paul Tschackert und Carl Heinrich von Weizsäcker269 hervor, wobei sich die Auseinandersetzung mit Müller über mehrere Jahrzehnte erstreckte, da Keller mit großer Persistenz den Vorwurf erhob, Müller habe wesentliche Gedanken von ihm plagiiert, während Müller ihm nicht den Gefallen erwies, darauf zu reagieren270. Mit dem „Vorwort“ zu seiner Karlstadt-Biographie reihte sich Barge selbst in die Forschungsrichtung Hermann Weingartens und Alfred Heglers ein271, die nicht gerade als konservativ zu bezeichnen ist, aber fachlich von der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung ausgeht. Heglers Anliegen war es 1892 gewesen, die „radikalen Nebenströmungen der Reformation“ oder „Radikalen Reformbewegungen der Reformationszeit“272 differenzierter zu erfassen, als es eine begriffliche Fokussierung auf den Aspekt der Wiedertaufe ermöglichte. Ausgehend von Sebastian Franck votierte er für die terminologische Option der „radikalen Reformer“ bzw. „radikalen Bewegungen“273, verwies aber auch beiläufig auf die „Dissenters“274. Diesem Sprachgebrauch schloß sich Barge 1905 an.275 Zudem übernahm er die Parallelisierung der „englischen radikalen Bewegungen der Revolutionszeit […] zu den radikalen deutschen Reformbewegungen des 16. Jahrhunderts“, auf die Hegler im Anschluß an Weingarten strukturell hingewiesen hatte276. Dessen Studie zu den „Revolutionskirchen Englands“ von 1868 galt dem Puritanismus des 17. Jahrhunderts und bot eine positionell starke Schlußpassage. Während Hegler sehr zurückhaltend bei den deutschen Dissenters auf die „viel[en] fruchtbare[n] Keime für die späteren Jahrhunderte“ neben „Luther und Zwingli“ verweisen sollte277, identifizierte Weingarten im englischen Puritanismus den intensivsten und konsequentesten „Gedanken der christlichen Freiheit, die Berechtigung der christlichen Subjectivität“, die aus der Reformation hervorgegangen sei.278 Deren praktische Realisierung wollte er im Gemeindeprinzip erblicken: 268 Keller, Wiedertäufer; ders., Reformation; ders., Waldenser. Zu nennen wäre, in der thetischen Wiederholung früherer Voten auch: ders., Staupitz. 269 Instruktiv sind die materialreichen Ausführungen von Wölfinger, Keller, Bd. 1, S. 185– 245. 270 Dazu und zu weiteren um die Jahrhundertwende gesuchten Kontroversen von Keller s. ebd., Bd. 2, S. 515–554. 271 Vgl. dazu Barge, Karlstadt, T. 1, S. V f. 272 Hegler, Franck, S. 1. 273 Ebd., S. 2 f.; passim. 274 Vgl. dazu u. a. ebd., S. 206, Anm. 275 S. dazu Barge, Karlstadt, T. 1, S. V: „Grundsätzlich ist schon seit geraumer Zeit der tiefe Gehalt gewürdigt worden, der der religiösen Gedankenwelt der Besten unter den protestantischen Dissenters eignet“. 276 Hegler, Franck, S. 286, Anm. 1. Zudem s. ebd., S. 288. 277 Ebd., S. 288. 278 Weingarten, Revolutionskirchen, S. 443.
204
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
„Alle religiösen Bestrebungen und Erfolge der Periode wurzeln ausschliesslich im christlichen Volk und werden sofort gemeindlich gestaltet. […] Keine Kirche ist je weniger Geistlichkeitskirche gewesen, als die englische in Cromwell’s Zeitalter; es gehört zu den kräftigsten Tendenzen desselben, dem evangelischen und reformatorischen Gedanken des Priesterthums Aller Gläubigen zur vollen geschichtlichen Wahrheit zu verhelfen.“279
Die begriffliche Zusammenfassung zum „laienchristlichen Puritanismus“ bzw. „frühprotestantischen Gemeindechristentum“280, die Barge mit der KarlstadtBiographie vollzog, nahm Weingarten nicht nur der Sache nach vorweg, sondern auch im Wortlaut. Über den Puritanismus hatte Hegler ausdrücklich erklärt: „Er war es, der die Reformation in die Herzen eingeführt und sie aus einem Staatskirchenthum in ein Gemeindechristenthum umgewandelt hat. Dass in England und in Amerika christliche Frömmigkeit eine nationale Macht geworden und geblieben, ist die Frucht der von ihm geführten Geistes‑ und Glaubenskämpfe, wie sie energischer kein Volk der Reformation in ihren beiden ersten Jahrhunderten durchgefochten.“281
Von diesem puritanischen „Gemeindechristenthum“ hatte Hegler schon eine sehr vorsichtige Verknüpfung mit Karlstadt vorgenommen, indem er zumindest am Rande seiner Untersuchung nach Francks Bezügen zu Karlstadt gefragt hatte282. Was das argumentative Grundgerüst seiner Biographie anging, benannte Barge mit Weingarten und Hegler äußerst präzise die beiden zentralen kirchengeschichtlichen Referenzgestalten. Kirchenorganisatorisch ergänzen ließe sich, daß das Ideal eines selbstbestimmten und sozial engagierten „Gemeindechristentums“ im „Evangelisch-Sozialen Kongress“ eine Rolle spielte, in dem Barges politische Bezugsfigur Friedrich Naumann hoch engagiert war und in dem auch Harnack für vergleichbare Positionen eintrat283. Der Umstand, Ludwig Keller in Barges wissenschaftsgeschichtlicher Selbstkontextualisierung demgegenüber unerwähnt zu finden, soll nicht konspirationstheoretisch ausgedeutet werden, verdankt sich aber erkennbaren forschungs279 Ebd.,
S. 442. Formulierung findet sich in Barge, Karlstadt, T. 1, S. 284, und rückt mit der zweiten Monographie Barge, Gemeindechristentum, in den Vordergrund. 281 Weingarten, Revolutionskirchen, S. 435. 282 S. dazu Hegler, Franck, S. 257, 272. 283 S. dazu besonders Harnacks 1894 auf dem Frankfurter evangelisch-sozialen Kongreß gehaltenen Vortrag Harnack, Aufgabe, S. 1307: „Auf deutschen Boden z. B. ist ein GemeindeChristentum überhaupt nicht gekommen. Jene Anstalten, so heilsam sie waren, nahmen einen aussichtslosen Kampf auf mit dem Massenelend; aber das Gefühl des einzelnen Christen, daß er für die Lage seines Mitbruders verantwortlich sei, wurde immer schwächer. Je stärker die Kirche den Laien religiös bevormundete, um so egoistischer wurde er im Religiösen. Eine Kirche, die nur Kirche und nicht Gemeinde ist, isoliert auch den Frömmsten und macht ihn selbstsüchtig.“ Die Ausführungen von Neufeld, Harnack, S. 159 u. 166, berücksichtigen diesen Vortrag nicht; gleiches gilt für Basse, Konzeptionen, S. 38, der jedoch deutlicher als Neufeld erklärt: „Ekklesiologisch sollten diese Erfahrungen [seiner Berufung nach Berlin] insbesondere in seinen späteren Jahren seine Sympathie für ein freikirchliches Gemeindechristentum wie überhaupt seine Konzeption seiner ‚zukünftigen evangelischen Kirche‘ mit begründen.“ 280 Die
1. Hermann Barge (1870–1944)
205
strategischen Interessen. Daß Barge Weingartens Protestantismuskonzeption aus dem England des 17. Jahrhunderts in die deutsche Geschichte des 16. Jahrhunderts übertrug und damit Heglers strukturelle Parallelisierung aus dem subtilen Hinter‑ in den plakativen Vordergrund rückte, mit der Überschrift des zweiten Teils sogar in den Titel aufnahm, ließe sich rein inhaltlich als eine nationalgeschichtliche Frühdatierung interpretieren. Tatsächlich vollzog Barge eine andere Aufwertung. Die Qualifizierung des Karlstadt zugeschriebenen „Gemeindechristentums“ zu einem „für das religiöse Denken der reformatorischen Anfangszeiten sehr wichtigen, von Luther unabhängigen Frömmigkeitstypus“284 nahm Barge erst mit der Schlußpassage seines Werkes vor285. Konzeptionell und terminologisch steht der Gedanke einer Spezifizierung unterschiedlicher, dem Potential religiöser Sinngehalte nach äquivalenter „Frömmigkeitstypen“ aber am Anfang von Barges dokumentierbarer Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Reformationstheorien. Die Entdeckung eines dritten Weges, der unabhängig von dem reformatorischen Aufbruch Luthers und der katholischen Reaktion verlief, schrieb Barge Keller zu. Zu dessen „Verdienst“ erklärte er es 1900, „einen durchaus selbständigen, eigenartigen Frömmigkeitstypus von hoher Reinheit aufgedeckt zu haben“286, der bereits im Mittelalter autonom vom kirchlich regulierten Mönchtum und der populär verflachenden Armutsbewegung287 bestanden habe. Als forschungsgeschichtlich epochal erachtete Barge sowohl die genetische Ablösung als auch die qualitative Aufwertung dieses „Frömmigkeitstypus“, wodurch Keller für ihn zum historiographischen Antipoden Ritschls avancierte288. Barges eigene Leistung war es, diese in Kellers Werk angelegten289 284
Barge, Karlstadt, T. 2, S. 505. vgl. nur ebd., S. 402: „Auch innere religiöse Dispositionen erzeugten einen Gegensatz gegen den lutherischen Frömmigkeitstypus.“ Diese Ausführungen gelten jedoch nicht Karlstadt, sondern dem – diesem im Wesen nicht unverwandten und religiös sowie kirchenorganisatorisch vergleichbaren – „Friese[n]“. 286 Barge, Strömungen, S. 2; wortidentisch auch zitiert von Keller in Monatshefte (wie Anm. 298). 287 Barge macht die Alternative, ebd., an „dem Mönchtum und dem christlichen Kommunismus“ bzw. den „fanatisierten Massen“ fest. 288 Ebd.: „Es ist, namentlich seitdem Ritschl sein Verdikt über sie ausgesprochen hat, eine geringschätzige Beurtheilung ihrer Anschauungen durchaus die Regel. Ihr Christentum wird bald als sektiererische Winkelfrömmigkeit kurz abgethan, bald als bloße Spielart mönchischer oder auch christlich=kommunistischer Ansichten hingestellt.“ Beziehen dürfte sich dies auf die grundlegende Abgrenzung Kellers von Ritschl in Keller, Apostel, S. 24–27. 289 Im Sinne einer Aufwertung erinnert etwa Keller, Reformation, S. 366, die terminologisch besser zu fassende Täuferbewegung daran, „daß sie sich gleichberechtigt jeder anderen großen Religionspartei unseres Vaterlandes an die Seite stellen kann [… und] gleichzeitig in anderen Ländern Europas zu einer weltgeschichtlichen Bedeutung gelangt ist [… .] Ist nicht die zweite englische Reformation im 17. Jahrhundert vorwiegend von ihr bestimmt worden?“ Für eine angloamerikanische Teleologie s. bereits Keller, Wiedertäufer, S. 290. Die genetische Eigenständigkeit gegenüber den reformatorischen Entwicklungen in Wittenberg und Zürich betont Keller, indem er deren Umbruchscharakter hervorhebt, das „Täuferthum“ hingegen in epochenübergreifenden Kontinuitäten bis zu den ersten Christen schildert; exemplarisch vgl. 285 Zuvor
206
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Tendenzen mit der Bezeichnung des „Frömmigkeitstypus“ zusammengefaßt und terminologisch pointiert zu haben. Der Begriff findet sich nicht bei Keller, wie überhaupt die einschlägigen Belege des 19. Jahrhunderts an einer Hand abzuzählen sind: Mitte der neunziger Jahre ist die Formulierung erstmals in der Berner Täuferforschung nachweisbar, die sich im Anschluß an Keller entwickelte und zusammen mit diesem gegen theologische Kritik verteidigen mußte.290 Hier wie dort konnte der Terminus Barge nach 1895 begegnet sein; spätestens 1898 fiel ihm bei der Lektüre von Arnold Bergers „Martin Luther in kulturgeschichtlicher Perspektive“ ein Sprachgebrauch auf, der sich als Reaktion einer klassischen, auf Luther und allenfalls Zwingli fokussierten Betrachtung verstehen ließe. Berger schilderte einen „Lutherische[n]“ und einen „Zwinglische[n] Frömmigkeitstypus“291, nicht aber einen täuferischen, was Barge ausdrücklich kritisierte, als er in einer seiner frühesten Rezensionen 1898 hervorhob, die Untersuchung „dürfte […] dem eigenartigen Frömmigkeitstypus der Schwärmer nicht gerecht werden.“292 1900 erinnerte er in einer weiteren Rezension an die Existenz und „Bedeutung“ dieses „vom Katholizismus wie Protestantismus gleich unabhängige[n …] Frömmigkeitstypus“.293 Im Zusammenhang damit formulierte er jene dazu S. 372: „Der ganze Charakter dieser Geschichte [des Täufertums] unterscheidet sich von demjenigen der lutherischen und zwinglischen Kirche dadurch, daß es sich bei letzterer um die Gründung einer neuen, bei jener um die Erneuerung einer alten Gemeinschaft handelt.“ Kellers Begriffsangebot für die mittelalterlichen und reformatorischen Gruppierungen, die er in einem Zusammenhang sah, belief sich auf die „altevangelischen“ Gemeinden, vgl. dazu ebd., S. 457; zudem s. Keller, Brüder, S. 20; 29. Für eine sachliche Begründung von deren Einheit aus einem lebenspraktischen Gemeindeprinzip s. Keller, Grundfragen, S. 16–19. 290 Bis auf weitere Mitteilungen dürfte als Erstbeleg für das Jahr 1895 der Langnauer Pfarrer Ernst Müller gelten, der – im deutlichen Anschluß an Keller – die Trennung zwischen Reformation und den ins Mittelalter zurückreichenden Reformbewegungen der Täufer zunächst aus kirchen‑ bzw. gemeindestrukturellen Unterschieden erklärt, aber dann hinzufügt, Müller, Täufer, S. 68: „In zweiter Linie war es der verschiedene Frömmigkeitstypus, der sich gegenseitig nicht angesprochen hat.“ Ebd., S. 399, s. zudem: „Im besonderen kann uns nur der ‚altevangelische‘ Frömmigkeitstypus das Wesen der bernischen Volksreligion erklären.“ Im Folgejahr antwortete der an der Berner theologischen Fakultät unterrichtende Hermann Lüdemann mit einer Gegenschrift und nahm die Formulierung im Zitat auf, Lüdemann, Reformation, S. 20. Müller revozierte im Anschluß weitgehend. Die Debatte wird von Lüdemann, ebd., S. 4 f., bibliographisch skizziert und in dem 1901 erschienenen Literaturbericht von Cohrs knapp geschildert: Cohrs, Luther, Nr. II 6, 329–331a. 291 Zu den beiden Zitaten s. Berger, Luther, S. 94 f.; für Luther s. zudem ebd., S. 102. 292 Das Zitat von Barge, Rez. Berger 1898, lautet in seinem Kontext: „Es wäre zu wünschen gewesen, dass Berger ebenso eingehend wie das Verhältnis des Lutheranismus zur schweizerischen Reformation auch Luthers Stellung zum deutschen Schwärmertum behandelt hätte. Wenn Berger von letzterem lediglich als von einer Wiederauffrischung überlebter mittelalterlicher Ideen, einer ‚Konventikelpropaganda‘ spricht und das Wesen der Schwärmerbewegung als ‚anmassende Separationsgelüste, die statt Frieden und Frömmigkeit Hass, Scheelsucht und Ueberhebung nährten‘, charakterisiert, so dürfte er doch damit dem eigenartigen Frömmigkeitstypus der Schwärmer nicht gerecht werden.“ 293 Zum Wortlaut und Beleg s., diese inhaltliche Tendenz der Rezensionen vorbereitend, oben Anm. 171.
1. Hermann Barge (1870–1944)
207
Erwartung eines „Kreuzfeuer[s] peinlicher Detailkritik“, die sich nur auf Ludwig Keller beziehen kann.294 Daß diese Identifikation zutrifft, belegt Barges ausführliches Votum für Keller, das er in der wissenschaftlichen Beilage der Münchener „Allgemeine[n] Zeitung“ im selben Jahr an ein breiteres Publikum richtete.295 Dort konzedierte Barge der Detailkritik eine gewisse Berechtigung, indem Keller „in Einzelheiten […] nicht das Richtige getroffen haben“ könnte, würdigte aber dessen grundlegendes Ergebnis und kompromißlose Ausdauer, „trotz heftigen Widerspruchs unablässig thätig“ zu sein.296 Keller registrierte dieses Votum sehr schnell, nahm brieflichen Kontakt zu Barge auf 297 und zeigte es in den von ihm herausgegebenen „Monatshefte[n] der Comenius-Gesellschaft“ im nächstmöglichen Heft an.298 Schon das Folgeheft bot einen kleineren Quellenfund von Barge299, der sich thematisch klar den archivalischen Vorarbeiten zu Karlstadt verdankte, und auch Barges Rezension von Remberts Wiedertäuferbuch wurde angezeigt300. Die geschilderte Konstellation läßt sich kaum anders erklären, als daß Barge bis 1898 eine positionelle Annäherung an Keller vollzog, im August 1900 eine publizistische unternahm und Anfang August sich die persönliche ergab, die Keller zunächst als Herausgeber der „Monatshefte der ComeniusGesellschaft“ gesucht haben dürfte. Diese Linie setzte sich bis Anfang des Jahres 1908 fort, als Barge zunächst auf der Höhe der Karlstadt-Kontroverse seinen Aufsatz „Eine neue Reformationsgeschichte“ in den „Monatshefte[n]“ veröffentlichte, der eine Buchanzeige um programmatische Ausführungen zum eigenen Fachverständnis ergänzte301, bevor er im selben Jahr zum Diplom-Mitglied der Comenius-Gesellschaft ernannt wurde302. Die Bedeutung von Kellers Forschungen und deren polarisierender Rezeption könnte man für Barge als paradigmatisch beschreiben. Nicht nur verdankte er Keller den argumentativen Ansatz, die reformatorische Devianz als einen eigenständigen, prinzipiell gleichwertigen Frömmigkeitstypus oder „religiösen Grundtypus“303 zu schildern. Auch den forschungsgeschichtlichen Anschluß an Weingarten, den Hegler 1892 vorsichtig vollzog, findet man bei Keller bereits 294
Ebd. dazu o. Anm. 172. 296 Ebd. 297 Dies ergibt sich aus dem handschriftlichen Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 25. August 1900 (Privatbesitz), Bl. 2v: „Am 10. Aug.[ust] ist eine Kleinigkeit von mir in der wiss.[enschaftlichen] Beilage der Münchn.[er] Allg.[emeinen] Zeitung erschienen. Ich erfuhr davon durch ein liebenswürdiges Schreiben von Ludwig Keller, der mir für eine freundliche Erwähnung seiner Ideen dankte u.[nd] mich für seine Comenius-Hefte haben möchte.“ 298 Keller, Anzeige Barge I, S. 260. 299 Barge, Ausspruch. 300 Keller, Anzeige Barge II, S. 322. 301 Barge, Reformationsgeschichte. 302 Vgl. dazu oben. Anm. 202. 303 Der Begriff findet sich in einer Rezension von Barge, Rez. Wappler, S. 371, des Jahres 1911. 295 S.
208
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
1885 und 1886 in der größten Deutlichkeit vor304. Vor allem aber bot Keller ein apologetisches Muster für den Umgang mit theologischer Kritik. Wie Maurenbrecher vertrat auch Keller ein methodologisches Objektivitätsideal305, das im historistischen Zeitkontext alles andere als isoliert stand, eine Spezifik aber in der scharfen Abgrenzung gegen konfessionelle Vorprägungen besaß und darin sogar einer gemeinsamen Wurzel entstammte. Nicht nur Maurenbrecher war ein Schüler von Sybels, auch Keller hatte mit diesem zusammengearbeitet und war von ihm akademisch protegiert sowie – selbst in kontroversen Jahren – beruflich abgesichert worden306. 1897, zwei Jahre nach dem Tod des ehemaligen Förderers und Vorgesetzten, berief sich Keller explizit auf diesen, um die Dramatik des eigenen Konfliktes aus der konfessionellen Voreingenommenheit der Gegner zu erklären. Schon vor Jahren habe ihm von Sybel die briefliche Einschätzung geboten: „Es giebt kein anderes Gebiet der Geschichte [… ,] wo den Autor eine so vielseitige und so unbarmherzige Kritik erwartet, wie das Gebiet der Reformationsgeschichte. […] Nicht bloss die wissenschaftliche Kritik […] ist es, die hier mitredet, sondern auch die konfessionelle, diejenige Kritik, die von konfessioneller Leidenschaft eingegeben ist.“307
Keller überführte dieses allgemeine Urteil in eine konkrete Bestätigung anhand seines eigenen Fallbeispiels, indem er den Anspruch erhob, unbegründeten Widerspruch nur von Theologen, nicht aber von Historikern erfahren zu haben308. Mit dieser Formulierung schlägt Keller den Bogen zu dem publizistischen Anfang seiner Täuferforschung zurück. Im Vorwort seiner ersten einschlägigen Monographie hatte er 1880 angekündigt: „Indem wir deshalb versuchen wollen, den Täufern diejenige Gerechtigkeit zu Theil werden zu lassen, welche sie beanspruchen können und welche wir ihnen vom historischen Standpunkt aus – denn nur als Historiker und nicht als Theologen stehen wir ihnen hier
304 Vgl. dazu in chronologischer Reihenfolge u. a. Keller, Reformation, S. 483 f., und ders., Waldenser, S. 164 f. 305 Wölfinger, Keller, Bd. 1, S. 139, formuliert harsch und ohne die schulischen Bezüge zu von Sybel oder apologetischen Strategien wahrzunehmen: „In Wahrheit aber wollte und konnte sich Keller krasser Parteinahme nicht enthalten […]. Die Beschwörung historischer Objektivität blieb letztlich Phraseologie.“ 306 Zu dem Beginn dieser Beziehung s. die instruktiven Ausführungen von Wölfinger, ebd., S. 43. 307 Keller, Grundfragen, S. 1. Die begrifflichen Parallelen zu Barges Schlußsatz des letzten Exkurses in Barge, Karlstadt, T. 2, S. 522, sind augenfällig, der dazu aufruft: „sich grundsätzlich von den traditionellen Vorurteilen“ zu befreien, „die als Nachwirkungen einer früheren leidenschaftlich-konfessionellen Polemik“ zu verstehen sind. 308 Keller, Grundfragen, S. 3: „ja, es ist bis zum Jahre 1886 kein einziges Urteil seitens der Historiker im engeren Sinne bekannt geworden, das nicht ruhig und wissenschaftlich gehalten gewesen wäre.“ Vgl. zuvor bereits entsprechend Keller, Waldenser, S. 13: „Von Seiten der Historiker ist mir nicht ein einziges unfreundliches Urtheil bekannt geworden; manche, und zwar sehr competente Beurtheiler, haben sogar ihre warme Zustimmung zu erkennen gegeben.“
1. Hermann Barge (1870–1944)
209
gegenüber – zu Theil werden lassen müssen, hoffen wir zugleich, die Geschichte derselben aus veränderten Gesichtspunkten zu zeigen.“309
Wenn Barge 1905 im Vorwort seiner Karlstadt-Biographie erklärte, „daß der Verfasser Historiker, nicht Theolog ist“310, nahm er nicht nur den Wortlaut von Keller311 auf, sondern auch dessen apologetische Strategie. Daß Kellers taktische Vorgehensweise für Barge tatsächlich eine paradigmatische Bedeutung zukam, erweist sich auch daran, daß er rückblickend 1908 eröffnete, bereits vor der Drucklegung „auf die ganz bestimmte Form“ des „Widerspruch[s]“ eingestellt gewesen zu sein: „Ich wußte, man würde gegen meine Resultate polemisieren getreu dem üblichen Beurteilungsmodus: die religiösen Strömungen und Bewegungen der Reformationszeit, die unabhängig von Luther zur Entfaltung gelangen, sind ihrem Ursprunge nach mittelalterlich und darum katholisch – und darum als geringwertig einzuschätzen.“312
Barge beschreibt hier nichts anderes als den grundlegenden Ansatz, die erfahrene Ablehnung und die apologetische Strategie Kellers. In der argumentativen Gestaltung seiner Karlstadt-Biographie, der Erwartung theologischer Reaktionen und einzelnen thetischen Vorkehrungen folgte er Keller genau. 1.2.3. Toleranz und soziale Reform als ein inhaltliches Proprium des literarischen Gesamtwerkes Dieser Anschluß an Keller fügt sich in ein inhaltliches Proprium ein, das man für Barges wissenschaftliches Gesamtwerk mit dem Begriff der Toleranz umschreiben könnte. In seiner spezifisch reichs‑ und religionsrechtlichen Bedeutung hatte Barge damit in einer späteren Rezension ein wesentliches Ergebnis seiner Dissertation benannt: „Die Idee der Toleranz ist in Passau zum ersten Male von einer aus katholischen und protestantischen Ständen gemischten Reichsversammlung proklamiert worden.“313 So naheliegend der Gedanke ist, daß Barge die 1555 statuierten Grenzen religiöser Duldung mit dem Maßstab späterer Religionsfreiheiten vermaß und so von der Frage des Reichsrechts zu derjenigen nach den Täufern fortschreiten konnte, gingen Barges Anliegen doch weiter. Nicht nur wollte er die Geschichte der reformatorischen Devianz in ihrem inneren Gehalt aufzeigen, er suchte auch zu bestimmen, welche Rahmenbedingungen deren 309 Keller,
Wiedertäufer, S. 3. Barge, Karlstadt, T. 1, S. VIII. 311 Vgl. dazu oben Anm. 309. 312 Barge, Erwiderung, S. 121. Im Zusammenhang vgl. dazu oben bereits Anm. 1. 313 Barge, Rez. Bonwetsch, S. 168, zitiert damit ders., Passau, S. 160. Sehr genau unterschied Barge diesen rechtlichen Begriff der Duldung von religiöser Indifferenz; vgl. dazu Barge, Rez. Wolf 1910, S. 431: „Und doch dürfte W.[olf] mit seiner Grundauffassung, die den religiösen Indifferentismus zum Leitstern der Beurteilung macht, zum mindesten für die Beurteilung der Reformationsgeschichte kaum Anklang finden.“ 310
210
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Tolerierung im 16. Jahrhundert verhindert hatten. Eine Rezension von 1912 gibt zu erkennen, daß Barge die geschichtsteleologische Dialektik „eines verfrühten Subjektivismus“ des 16. Jahrhunderts und dessen fortschreitender Reife, wie sie Lamprecht 1894 postuliert hatte, ablehnte.314 Als „brutal und rückständig“ sei Luthers Billigung der an Täufern vollzogenen Todesurteile bereits „von den Besten seiner Zeit […] empfunden und gerügt worden“.315 Die kirchen‑ und reichspolitischen Folgen der Reformation, zu denen auch die zeitgeschichtlichen Grenzen der religiösen Toleranz gehören, erklärt Barge nicht aus einer geschichtlichen Zwangsläufigkeit, sondern historischen Kontingenzen, wie Luthers cholerischem Charakter316 und machtpolitischen Interessen der protestantischen Stände317. Luthers Antijudaismus, der „an maßloser Heftigkeit noch bei weitem alles, was er je gegen Sektierer geschrieben hat“ überbietet, leitete er 1912 demgegenüber aus „religiösen“ und völkischen „Antipathien“ ab.318 Realisiert fand Barge ein von ihm befürwortetes Toleranzideal konfessionsunabhängig auch auf 314 Barge, Rez. Wappler 1912, S. 305, hebt auf die „Menge der auf kursächsischem Boden an Täufern vollzogenen Bluturteile“ ab und die „Selbstverständlichkeit, mit der Luther und sein Anhängerkreis sie gutheißen“. Diese „als Überreste der Denkweisen einer früheren Periode“ zu sehen „oder meinetwegen auch, wie Lamprecht in seiner deutschen Geschichte es tut, darin eine unerläßliche Reaktion gegen die Äußerungen eines verfrühten Subjektivismus“ zu interpretieren, könne nicht „kurzerhand als entwicklungsnotwendig“ geschildert werden. Ein Jahr zuvor kam er in ders., Rez. Wappler 1911, S. 370, auf das Thema im Sinne einer Forschungsaufgabe zu sprechen: „Daß Luther und seine Kirche dissentierenden evangelischen Richtungen gegenüber Toleranz nicht haben walten lassen, ist eine bekannte Tatsache, deren nochmalige Konstatierung an sich überflüssig wäre. Indessen muß es für die Forschung von Interesse sein, an konkreten Vorgängen im einzelnen beobachten zu können, bis zu welchen Konsequenzen sich das Luthertum im Vorgehen gegen die radikal gesinnten Evangelischen verstieg, welches die Methoden bei deren Bekämpfung waren, um welcher religiösen Differenzpunkte willen man in den Geruch der Ketzerei geriet.“ 315 Barge, Rez. Wappler 1912, S. 305. 316 In diese Richtung geht Barges Äußerung von 1909 Barge, Rez. Fabian, S. 166: „Der Verfasser bemerkt am Schlusse seiner Abhandlung, wenn schon Luther sein leidenschaftliches Temperament zu ungerechtfertigter Heftigkeit gegen den [Zwickauer] Rat hingerissen hätte, so würde daraus niemand eine Schmälerung seiner sonstigen Verdienste herleiten wollen. Indessen scheint es mir an der Zeit, gewisse persönliche Qualitäten Luthers ernstlicher, als es bisher geschehen ist, auf die ungünstigsten symptomatischen Folgen hin, die sie für die Entwicklung seiner Kirche gehabt haben, prüfen zu wollen.“ 317 S. hierfür im Folgejahr Barge, Rez. Wolf 1910, S. 431: „Man kann ruhig zugeben, daß für die Handlungen der deutschen Fürsten in weitgehendem Maße partikulare Sonderinteressen maßgebend gewesen sind. Landgraf Philipp von Hessen liefert den Beleg dafür, daß mit evangelischer Bekenntnistreue interkonfessionelle Bündnisse hehufs Wahrung landespolitischer Interessen und aus gleichem Grunde feindliche Haltung gegen Konfessionsverwandte vereinigt worden sind.“ 318 S. dazu Barge, Rez. Lewin, S. 401 f.: „zu der religiösen Gegnerschaft gesellen sich bei ihm die – in Lewins Darstellung zu sehr zurücktretenden Antipathien gegen das stammfremde Volkstum der Juden, an dem seine germanischen Instinkte Anstoß nahmen.“ Im Rahmen der Wirkungs‑ bzw. Interpretationsgeschichte von Luthers Antijudaismus wurde auf diesen Passus bereits aufmerksam: Brosseder, Juden, S. 113, Anm. 6; Anm. 9 zieht die Stelle als Vor‑ und Grundlage für ein Votum Vogelsangs von 1933 in Betracht.
1. Hermann Barge (1870–1944)
211
altgläubiger Seite.319 Als zukunftsweisend hob er neben der religiösen auch eine soziale und ökonomische Reformbereitschaft hervor320. Interessanterweise wurde Karlstadt 1897 von Martin von Nathusius in einer kleineren Studie als „ein Hauptvertreter christlich=socialer Ideen im Reformationszeitalter“ gewürdigt.321 Nathusius machte dies im Anschluß an Jäger322 an der Gemeindeordnung vom 24. Januar 1522 fest, die „eine christlich=sociale That […] im besten Sinne des Wortes [markiert habe], – eine Ordnung wirtschaftlicher Verhältnisse beruhend auf christlichen Grundsätzen“323. Ob Barge diesen Beitrag kannte, muß für das Vorfeld der Karlstadt-Biographie offenbleiben324; für seine letzte reformationsgeschichtliche Monographie von 1937 läßt es sich erweisen325. Insgesamt dürfte Karlstadt für Barge sowohl als Opfer religiöser Intoleranz von Interesse gewesen sein, als auch als wegweisender Impulsgeber kirchlicher, politischer sowie sozialer und wirtschaftlicher Reformen. 1.2.4. Materiale und methodische Vorarbeiten (1898–1904) Wie Barge seine materialen Vorarbeiten zu Karlstadt gestaltete, kann in groben Umrissen beschrieben werden. Die Akribie von Barges archivalischen und bib liographischen Recherchen schlägt sich nicht nur in der Vielzahl in‑ und ausländischer Institutionen nieder, in denen er bis 1904 arbeitete.326 Sie läßt sich auch organisatorisch an dem Schulterschluß mit der Bibliothekswissenschaft festmachen, den Barge 1904 mit Freys publizistisch vollzog und schon über Jahre zuvor gepflegt hatte. So war der 1905 präsentierten Entdeckung des verloren geglaubten Augustin-Kommentars eine systematische Suche vorausgegangen, für die Barge 1901 eine „Bitte“ um die „gütigst[e] Mitteilung“ möglicher Exemplare im „Centralblatt für Bibliothekswesen“327 plaziert hatte. Seine eigenen 319 Instruktiv hierfür ist für das Jahr 1906 Barge, Rez. Eiermann, S. 195: „Sehr sympathisch berührt Schwendi’s versöhnlicher Standpunkt in der religiösen Frage. Er selbst hielt sich bis an sein Lebensende zur katholischen Kirche, hat aber mit erstaunlichem Freimute die innerhalb derselben hervortretenden Schäden bekämpft. […] Schwendi’s unablässiges Bemühen war es, auf die Durchführung der Toleranz in Deutschland hinzuwirken: niemand, der in Gehorsam und Biederkeit lebe, solle seines Glaubens wegen verfolgt werden.“ 320 So würdigte Barge, ebd., S. 196, in besonderer Weise Schwendis „soziale und wirtschaftliche Tätigkeit“. 321 Nathusius, Ideen, S. 108. 322 Vgl. dazu oben Anm. 260. 323 Nathusius, Ideen, S. 114. 324 Vorauszusetzen dürfte zumindest die Kenntnis des Referats durch Keller, Grundfragen, S. 41–45, sein, einschließlich ebd., S. 43: „In der Reformationszeit hat sie [die christlich-soziale Richtung] ihren Hauptvertreter in Andreas Bodenstein von Carlstadt“. Daß Barge diesen Beitrag Kellers kannte, legen die in Anm. 307 benannten Kongruenzen nahe. 325 Vgl. dazu Barge, Strauß, S. 7, Anm. 21; S. 77, Anm. 207. 326 Zu Barges Auflistung s. Barge, Karlstadt, T. 1, S. VII, und Freys /Barge, Verzeichnis, S. 153 f. 327 Barge, Bitte.
212
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Vorarbeiten mußten um die Jahrhundertwende schon so weit fortgeschritten gewesen sein, daß er den Karlstadt-Artikel in der dritten Auflage der „Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ übernehmen durfte. Selbstverständlich war dies nicht, denn Barge hatte zu diesem Zeitpunkt noch nichts Einschlägiges veröffentlicht328. Der 1901 erschienene Artikel gedieh so auch zu einer Ankündigung der Biographie, indem er auf Einzelnachweise verzichten mußte329, und mochte sich selbst nicht nur fachlichen330, sondern auch lokalen Kontakten verdanken, da Albert Hauck die Herausgabe von Leipzig aus koordinierte. Anders verhielt es sich bei Barges späteren Lexikonartikeln in der ersten und zweiten Auflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“, die mit einem Abstand von sieben bzw. 24 Jahren auf die Biographie zurückblicken konnten.331 Weithin übersehen wurde, daß der Beitrag in der „Realencyklopädie“ 1913 eine Erweiterung im ersten Ergänzungsband fand, der auch Literaturangaben zur zwischenzeitlichen Forschungskontroverse bot.332 1901 jedenfalls hatte Barge schon relevante Archivalien erhoben333, wie die zu dem Wittenberger Allerheiligenstift334 und der Rothenburger Zeit von Karlstadt335; die später viel328
Vgl. dazu oben Anm. 157. Art. Karlstadt 1901, S. 73: „Eine ausführliche Biographie des Unterzeichneten über Karlstadt ist in Vorbereitung. In ihr werden die näheren Nachweise für die im folgenden Artikel gegebenen Ausführungen gebracht werden.“ 330 Vorrangig zu denken ist hier an Theodor Kolde, an den sich Hauck möglicherweise zuerst gewandt hatte und der seit 1898 von Barges Vorhaben einer Karlstadt-Biographie wußte; vgl. dazu unten Anm. 339. 331 S. dazu Barge, Art. Karlstadt 1912, und Barge, Art. Karlstadt 1929. Barges späterer Artikel akzentuierte so auch deutlicher als die früheren Beiträge die epochenübergreifenden Kontinuitäten zu einem der Aufklärung verpflichteten Progressionsgedanken, Sp. 634: „Damit wird er zum frühesten Vorkämpfer eines ‚laienchristlichen Puritanismus‘. Und von hier aus ergeben sich weiterhin Uebergänge zu Aufklärung und Fortschrittsglauben.“ 1912 hatte Barge demgegenüber noch stärker auf den angloamerikanischen Puritanismus abgehoben, der auch in der Biographie im Vordergrund steht, Sp. 944: „Die Gedanken, die er vertreten hat, sind im wesentlichen dieselben, die dem aus dem Calvinismus hervorgegangenen Sektierertum der angelsächsischen Völker zugrunde liegen (Puritaner Kongregationalisten), und die namentlich im religiösen Leben Amerikas ihre Lebensfähigkeit noch heute bekunden.“ International wirksam wurde das früheste Stadium von Barges lexikalischen Zusammenfassungen, indem der Artikel von 1901 in der „New Schaff-Herzog Encyclopedia“ zuletzt 1952 für den angloamerikanischen Sprachraum abgekürzt übersetzt wurde: Barge, Art. Carlstadt. 332 Barge, Art. Karlstadt 1913. Diese Ergänzungen bezieht die spätere Übersetzung Barge, Art. Carlstadt, nicht konstitutiv in den Haupttext ein. 333 Ausweislich des 1901 gedruckten Kurzbeitrages Barge, Böhmen, arbeitete Barge u. a. in der Zeitzer Stiftsbibliothek. 334 Der Hinweis darauf findet sich in einer Rezension des Jahres 1901, Barge, Rez. Redlich 1901, S. 419: „In der Verfassung lehnt sich dieses [das Neue Hallenser Stift] eng an das Wittenberger Allerheiligenstift an. Wenn Redlich über letzteres nicht ganz richtige Angaben macht, so erklärt sich das aus dem dürftig gedruckt vorhandenen Material: mir vorliegende Akten über das Wittenberger Stift ergeben, dass in der That zwei getrennte Chöre, jeder mit eigener Organisation, in ihm vereinigt waren.“ Der 1900 Keller kommunizierte Materialfund, vgl. dazu oben Anm. 299, gehört ebenfalls in den Kontext des Allerheiligenstifts. 335 Dies belegen die archivalischen Mitteilungen in Barge, Persönlichkeiten. 329 Barge,
1. Hermann Barge (1870–1944)
213
umstrittene Wittenberger Beutelordnung erklärte er, 1900 gefunden zu haben336. Dies stimmt mit Barges schulischer Personalakte überein, die vom 1. Juli 1900 bis zum 30. September eine Beurlaubung vermerkt: „zu archivalischen Studien inner= u.[und] außerhalb Deutschl.[ands]“.337 Während des Jahres 1904 setzte Barge seine Rezensionstätigkeit für die „Mitteilungen aus der historischen Litteratur“ aus338, und in diese Zeit muß die Endredaktion zumindest des ersten Teils der Biographie gefallen sein. Ein aufschlußreiches Dokument für die Frühphase von Barges Beschäftigung mit Karlstadt vor dem ersten literarischen Niederschlag stellt ein Schreiben an Theodor Kolde vom 24. September 1898 dar.339 Es belegt, daß sich Barge spätestens August 1898 Kolde brieflich vorgestellt und das Vorhaben einer Karlstadt-Biographie geschildert hatte, wobei er den Erlanger Kirchenhistoriker als ausgewiesenen Karlstadt-Experten um Rat gefragt haben mußte340. Sowohl der Eröffnungsbrief als auch Koldes am 1. September abgefaßte Reaktion341 lassen sich nur aus dem erhaltenen Dankesschreiben von Barge erschließen. Die Kontaktaufnahme mochte naheliegend gewesen sein, nachdem Kolde acht Jahre zuvor eine der wichtigsten materialen Entdeckungen der letzten Jahre gemacht hatte, indem er die bis ins 18. Jahrhundert als verloren geglaubten 151 Thesen Karlstadt nach einer zuvor unbeachteten Berliner Handschrift edierte, bevor Brieger einen späteren Pariser Druck beibrachte.342 Nicht nur in Koldes LutherBiographie waren spezifische Auseinandersetzungen mit Karlstadt eingegangen; auch der 1886 erschienene Beitrag „Carlstadt und Dänemark“ verriet dezidiert
336 S. dazu Barge, Armenordnung, S. 198, Anm. 2: „Übrigens hatte ich die Beutelordnung schon im Jahre 1900 in Händen.“ 337 S. hierfür Barges Personalbogen im StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 2r. 338 Ausdrücklich wird dies nicht benannt, aber im betreffenden Jg. 30 findet sich kein einziger Beitrag von Barge. 339 Der Brief ist im Nachlaß von Kolde, der sich auf Korrespondenzen und Exzerpte beschränkt, in der UB Erlangen-Nürnberg, Ms. 2604–06, erhalten. Das Schreiben ist identisch mit dem von der Berliner Autographendatenbank Kalliope noch immer unter der vormaligen Signatur MS 2606 geführten Brief „an Unbekannt“ von 1898. Frau Sigrid Kohlmann von der Handschriftenabteilung der UB Erlangen-Nürnberg verdanke ich (brieflich am 27. April 2012) den erklärenden Hinweis, daß der gesamte Briefnachlaß von Kolde 1995 unter der Sammelsignatur Ms. 2604–06 vereinigt wurde, wobei man für die Anordnung der Briefschreiber eine alphabetische Reihenfolge wählte. 340 Vgl. dazu abschließend, ebd., Bl. 1v, 2r: „Sollten mir während meiner Arbeit einzelne Schwierigkeiten aufstoßen, so darf ich mich, nachdem Sie mir in so liebenswürdiger Weise Auskunft erteilt haben, gelegentlich einmal mir wieder eine Anfrage bei Ihnen erlauben.“ 341 Ebd., Bl. 1r: „Ihnen für Ihr wertes Schreiben vom 1. Sept.[ember] d.[ieses] J.[ahres] zu danken, war mir längst Bedürfnis. Die verspätete Absendung meines Briefes werden Sie gütigst mit meinen am Ende jedes Semesters sich häufenden Berufsgeschäften verzeihen.“ 342 Beide Beiträge wurden 1890 in der ZKG veröffentlicht: Kolde, Disputationsthesen, bes. S. 449–456, sowie Brieger, Thesen. Eine textkritische Integration des von Brieger und der nachfolgenden Forschung unbeachteten Leidener Drucks steht in der kritischen KarlstadtGesamtausgabe zu erwarten. Auf Kolde und Brieger bezieht sich Barge, Karlstadt, T. 1, S. 75.
214
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
biographische Interessen an Karlstadt.343 Ein akribischer Leser von Koldes Luther-Biographie konnte seit 1884 zudem in den nachgestellten „Anmerkungen und Beweise[n]“ lesen: „Jägers Monographie […], mehr eine fleißige Materialsammlung als eine Biographie, bedurfte einer umfänglichen Revision. Ungehobenes Material über Carlstadt findet sich noch allerorten.“344 Entsprechend reserviert mußte Kolde auf die Mitteilung von Barges Vorhaben reagiert haben. Eindrücklich stellte er die Schwierigkeiten der Materialaufnahme heraus, die langjährige Vorarbeiten mit sich brächten; zugleich konzedierte er, daß die Aufgabe lohne und von ihm selbst bereits in Betracht gezogen wurde.345 Barge drang demgegenüber um Klarheit und bot an, von der Biographie Abstand zu nehmen, falls sich Kolde der Aufgabe verbindlich annehmen wolle.346 Knapp acht Jahre später, in seiner Rezension des ersten Barge-Bandes, gab Kolde zu erkennen, daß er selbst die Lücken in Jägers Monographie von 1856 als Motivation zu Karlstadt-Studien empfunden habe und seinen eigenen Plan „einer neuen Biographie Karlstadts […] erst endgültig aufgegeben [hatte], als ich von dem Plane Barges erfuhr, von dem man das beste erwarten durfte“347. Im Zuge der Kontaktaufnahme von 1898 überließ Kolde demnach Barge das thematische Feld, nachdem Barge seinerseits versichert hatte, um die Herausforderungen zu wissen und sich derer in mehrjähriger Arbeit auf methodisch bedachte Weise annehmen zu wollen. Das Briefzeugnis belegt, daß sich Barges „einmal“ gefaßter Plan 1898 noch in den Anfängen der materialen Annäherung an das gedruckte Werk befand: „Vor der Hand bin ich damit beschäftigt, die Werke Karlstadts eingehend durchzuarbeiten. Ich benutze zunächst die in der Zwickauer Ratsbibliothek vorhandenen Exemplare, die ich durch meinen Schwager Otto Klemen zu bequemer Benutzung erhalten habe. So glaube 343
Vgl. dazu alleine Kolde, Luther, 1884 und 1889, passim, und Kolde, Dänemark. Barge bezog später die Luther-Biographie von Kolde in einem hohen Maße in seine Karlstadt-Monographie ein; für einen Anschluß an die Studien zum Dänemark-Aufenthalt s. Barge, Karlstadt, T. 1, S. 257. 344 Kolde, Luther 1884, S. 367 f. Im Vorfeld des zweiten Bandes seiner Luther-Biographie hatte sich Kolde zudem eingehend mit der „Chronologie Lutherscher Schriften im Abendmahlsstreit“, Kolde, Abendmahlsstreit, beschäftigt. Barge erarbeitete später das Gegenstück für Karlstadt: Barge, Abendmahlstraktate. 345 Barge an Kolde, 24. September 1898, UB Erlangen-Nürnberg, Ms. 2604–06, Bl. 1r: „Wie wertvoll mir Ihre Mitteilungen sind, brauche ich Ihnen nicht erst zu versichern. Von der Schwierigkeit meiner Aufgabe war ich bereits überzeugt; ich wußte, daß die Herstellung einer wissenschaftlich gründlichen Karlstadt-Biographie jahrelange Vorarbeiten zur notwendigen Voraussetzung hat. Aber Ihr Schreiben bestätigt mir, daß diese mühevolle Arbeit eine zugleich lohnende und dankbare ist.“ 346 Ebd., Bl. 1r, 1v: „So bin ich nach wie vor [trotz der heuristischen und materialen Schwierigkeiten] entschlossen, an meinem einmal gefaßten Plane festzuhalten. In meinen Absichten erschüttern könnte mich allerdings die sichere Gewißheit, daß Sie selbst an die Ausführung der Karlstadt Biographie gingen. Jedenfalls richte ich – wennschon Ihnen persönlich ganz unbekannt – an Sie die ergebene Bitte, mir, falls Sie gewillt sein sollten, eine Biographie Karlstadts zu schreiben, Mitteilung zu machen.“ 347 Kolde, Rez. Barge, S. 190.
1. Hermann Barge (1870–1944)
215
ich – unbekümmert um den Streit der Meinungen – die sicherste Gewähr für die Bildung eines objektiven Urteils über Karlstadts Persönlichkeit zu haben.“348
Eine äußere Bestätigung für den Arbeitsbeginn im Jahr 1898 bietet Barge selbst, der 1909 erklärte, bis zur Drucklegung 1905 „sieben Jahre in angespannter Arbeit festgehalten“349 gewesen zu sein. Dieselbe Angabe findet sich auch in einem Schreiben von Barges Schulleiter vom 11. Januar 1905, das „eben jetzt, nach siebenjährigen archivalischen Studien“350, den Abschluß des Werkes vermerkte. Das Jahr 1898 war für Barge damit in vielfacher Hinsicht das vielleicht entscheidendste seines Lebens: Er engagierte sich als Rezensent für die „Mitteilungen aus der historischen Litteratur“, machte sich publizistisch für Keller stark, nahm die Arbeit an der Karlstadt-Biographie auf 351 und wurde erstmals, wie eine biographische Selbstauskunft erhellt, „politisch tätig“352. 1.2.5. Arbeitsfortschritte nach Barges Briefen an Otto Clemen (1898–1900) Den Arbeitsbeginn an der Karlstadt-Biographie im Jahr 1898 bestätigt und erhellt die Bargesche Korrespondenz mit Otto Clemen in besonderer Weise. Dem Zwickauer Gelehrten war Barge als Schwager verbunden, nachdem er dessen Schwester Elisabeth im Juli 1897 geheiratet hatte.353 Zehn Tage vor dem ersten Hochzeitstag und drei Tage nach Barges 27. Geburtstag bedankte sich Barge für ein Geburtstagsgeschenk, daß Clemen für ihn passend zum neuerlichen Forschungsvorhaben ausgewählt hatte: „Das vortreffliche Buch Hausraths, das uns heute von der Stauffischen Buchhandlung zugesandt wurde in deinem Namen, hat uns[,] insbes.[ondere] allerdings[,] wie ich gestehen muß[,] mich, sehr erfreut. Soweit ich darin mich umgesehen habe, gefällt mir außerordentlich die glückliche Verbindung originaler Forschung mit fesselnder Darstellung: also vielen Dank für die Spende in Lisbeths u.[nd] meinem Namen. Übrigens gedenke 348
Barge an Kolde, 24. September 1898, UB Erlangen-Nürnberg, Ms. 2604–06, Bl. 1v. Gemeindechristentum, S. III. 350 Schreiben von Böttcher, 11. Janaur 1905, in der schulischen Personalakte, StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 10v. 351 In seinem Bewerbungsschreiben für das Rektorat der Leipziger Thomasschule erklärte Barge am 2. Januar 1917, ebd., Bl. 48r–51r; hier: Bl. 49r: „Da die anfangs sich vorwiegend auf Unter= und Mittelklassen erstreckende Unterrichtstätigkeit meine Arbeitskraft nicht voll ausfüllte, habe ich mich wissenschaftlichen Studien in umfänglichem Maße gewidmet, deren Gegenstand die historische Erforschung des Reformationszeitalters bildete.“ Später ergänzte er, ebd., Bl. 50r: „Indessen brachte es die Übernahme des Unterrichts in den Oberklassen der Petrischule mit sich, daß während der letzten Jahre meine wissenschaftliche Betätigung von selbst in den Hintergrund trat.“ Für die äußeren Rahmenbedingungen von Barges vielseitiger Tätigkeit seit 1898 sind diese Hinweise sicher von Belang, stellen in dem Bewerbungsschreiben aber zugleich die Leistungsbereitschaft und „Arbeitskraft“ von Barge heraus. Als primäre Veranlassung zur Karlstadt-Biographie sind die Selbstauskünfte einer anfänglichen schulischen Unterforderung nicht zu verstehen. 352 Anon., Art. Barge 1911, S. 55. 353 S. dazu oben Anm. 245. 349 Barge,
216
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
ich, abends geeignete Abschnitte Lisbeth vorzulesen. Auch für die Litteraturnachweise, die du mir in deinem letzten Brief gabst, danke ich dir bestens, wennschon ich vielleicht sie in der nächsten Zeit noch nicht benutzen werde. Vor der Hand möchte ich mich noch etwas mehr in die Karlstadtschen Schriften einlesen. Diese Arbeit würde lohnender und anregender sein, wenn Jäger in seinem Buche nicht gerade nach dieser Richtung das Meiste gethan hätte. Große Überraschungen dürften, soweit es sich um eine Wiedergabe des Inhalts Karlstadtischer Schriften handelt, kaum zu machen sein. Aber schließlich ist ein zusammenhängendes Excerpt aus den Schriften eines Mannes noch keine Biographie. Mit den Schriften, die in den von dir mir gesandten 2 Bänden stehen, bin ich fast fertig. Bald werde ich dich u.[nd] Herrn Dr. Stötzner um neues Material angehen müssen: hoffentlich erweist sich die Zwickauer Ratsbibliothek=Verwaltung auch künftig mir gegenüber so liberal, wie bisher. Ich würde ohnedies in größte Verlegenheit kommen; denn die Leipziger Bibliothek besitzt, wie ich mich überzeugt habe, von Karlstadtischen Schriften so gut wie nichts oder doch nichts Wesentliches (vom Eckischen Streite abgesehen).“354
Der Brief liefert einen wichtigen Beleg dafür, daß Barge aller Wahrscheinlichkeit nach von Anfang an eine Biographie zu schreiben beabsichtigte. Die im selben Zusammenhang gebotene Jäger-Kritik könnte dafür sprechen, daß Barge – wie Kolde 14 Jahre zuvor – von dem materiallastigen Charakter der ersten theologischen Monographie zu Karlstadt angeregt wurde, das literarische Genre zu wechseln. Die wenig später stattfindende Kontaktaufnahme zu Kolde mag aber auch ein Indiz dafür sein, daß Barge Koldes Ausführungen zu Jäger und damit dessen Anregung einer Biographie kannte. Barges Urteil über Hausrath – der sieben Jahre später Barges Arbeiten als neuerlichen Ausweis negativer Charakterzüge von Karlstadt interpretieren sollte355 – umschreibt das literarische Ideal einer fachwissenschaftlichen Monographie, die in Teilen für breitere Bevölkerungskreise lesbar blieb356. Etwas Vergleichbares legte Barge 1905 vor. Aufschlußreich ist zudem, daß die Entleihung der Zwickauer Karlstadt-Drucke dem offiziellen Dienstweg folgte und keine „schöne Vetternwirtschaft“ war, wie Barge 1900 einmal selbstkritisch vermerkte, als er aufgefordert wurde, Beiträge von Clemen für die „Mitteilungen aus der historischen Litteratur“ zu rezensieren357. Im Ganzen gibt sich schon für die früheste Phase der Arbeit an der Karlstadt-Biographie Clemen als die engste fachliche Bezugsperson von Barge zu erkennen. Dies gilt auch, wenn man die zeitnahe Korrespondenz mit Lamprecht vergleicht. Im April 354 Handschriftlicher Brief Barges an Clemen, 5. Juli 1898 [die Datumsangabe ist klein geschrieben und könnte auch als 1899 lesbar sein; für das Jahr 1898 spricht der Bezug, Bl. 2v, auf Clemens als Separatum übersandte Veröffentlichung zu Haug Marschalck, die 1898 erschien; weiteren Aufschluß mag der Hinweis, Bl. 2r, auf eine schwerwiegende Nierenkrankeit von Barges Mutter bieten] (Privatbesitz), Bl. 1r u. 1v. 355 S. dazu unten Anm. 448. 356 Clemens in Anm. 354 erwähnte Buchgabe dürfte einer Neuerscheinung und damit wohl Hausraths Studie „Aleander und Luther auf dem Reichstage zu Worms“ von 1897 gegolten haben. Für weitere Hinweise auf Barges literarische Ideale, auch im Zusammenhang mit einer weiteren Biographie, s. oben Anm. 188. 357 Handschriftliche Postkarte Hermann Barges an Otto Clemen, 8. Dezember 1900 (Privatbesitz), 8. Dezember 1900, Bl. 1r.
1. Hermann Barge (1870–1944)
217
schrieb Barge diesem ausführlich und erwähnte keine Studien zu Karlstadt, wohl aber einen zweiwöchigen Besuch seines „Schwager[s] Otto“ in Leipzig.358 Der Brief an diesen lieferte drei Monate später den frühesten Beleg für Barges Auseinandersetzung mit Karlstadt und das Vorhaben einer Biographie. Daß die Zusammenarbeit zwischen Barge und Clemen von einem gegenseitigen Nehmen und Geben bestimmt war, illustriert der nächste Brief nach Zwickau vom 22. August 1898. Akribisch stellte Barge Exzerpte aus der Forschungsliteratur des 18. Jahrhunderts zusammen, die Clemen nicht zugänglich war und dessen Forschungen betraf.359 Ende des Folgejahres freute sich das Ehepaar Barge „natürlich herzlich, in den Weihnachtsferien einige gemütliche Tage bei Euch zu erleben: teils Agneslein [das 1898 erstgeborene und zu diesem Zeitpunkt einzige Kind der Zwickauer Familie] bewundernd teils Wissenschaft treibend.“360 Inhaltlich deutet der Brief an, daß Barge und Clemen in den Bestimmungen einzelner Drucker anhand von Titelbordüren eng kooperierten.361 Weiter wird erkennbar, daß Barge den von Kawerau edierten Briefwechsel Justus Jonas’ und damit die Korrespondenz des Wittenberger Kollegiums von Karlstadt sondiert hatte.362 Sehr gezielt sichtete er zudem die Quellenkompilationen des 17. und 18. Jahrhunderts.363 358 S.
dazu oben Anm. 132. handschriftlicher Brief an Clemen, 22. August 1898 (Privatbesitz), Bl. 1r–2r, bietet vor allem Exzerpte zu Johannes Nixstein aus dem dritten Band von Kapp und dem ersten Band von Löscher. 360 Handschriftlicher Brief Barges an Clemen, 15. Dezember 1899 (Privatbesitz), Bl. 1r. 361 Ebd.: „Nimm für deine prompte, mir sehr dienliche Auskunft herzlichen Dank. Daß ich die ‚Löwenbordüre‘ bei [Arrey von] Dommer übersehen hatte, ist mir wirklich unverständlich. Anbei läßt Dir [der zu diesem Zeitpunkt als Leipziger Gymnasiallehrer wirkende Rudolf] Wustmann mit schönem Gruß senden, was er von seinem Vater [dem Leipziger Oberbibliothekar und Archivdirektor Gustav Wustmann] über den bewußten Punkt erfahren hat.“ Später folgte eine vergleichbare Diskussion in dem handschriftlichen Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 6. Mai 1900 (Privatbesitz), Bl. 2r: „N[ach]B[emerkung] Bez.[üglich] der beiden Borduren ergibt sich, daß die eine eine Nachschrift der andern, Herrgottschen ist. Leider ist somit der Karlstadt= Drucker wieder nicht bestimmt.“ 362 S. dazu den handschriftlichen Brief Barges an Clemen, 15. Dezember 1899 (Privatbesitz), Bl. 1r u. 1v: „Und nun noch eine Frage. Wie kommts, daß der Pfarrer von Lochau fast stets ‚Bischof‘ genannt wird. In Kawerau, Just. Jonas kommt der episcopus Lochauiensis vor; Dresden hat eine Flugschrift: ‚Verhör des Bischofs v.[on] d.[er] Lochau vor dem Bisch.[of] zu Meißen‘ (od.[er] ähnlich). Eine andre Ausgabe hiervon (bei Panzer) ‚des newen Bischofs v.[on] d.[er] Lochau Verhör etc.‘; ein mir vorliegender Bericht, den ich zu publiciren gedenke, (sehr kurz!) besagt: ‚Zu der Lach (= in Lochau) hält unser Bischof deutsche Messe‘ etc. Über die Sache bin ich aus Seckendorf, Histor.[ie] des Luthertums unterrichtet (allerdings haben mir die Original= Drucke (s. o.) nicht vorgelegen). In einem bei Seckendorf citierten Brief Friedrichs des Weisen an den Bischof v.[on] Meißen (gedruckt Luth[ers]s WW Altenb[urger]ger Ausg[abe] II) spricht der Kurfürst von den ‚Pfarrherrn von Lochau, Schmiederg u.[nd] Dieben‘. Weißt Du etwas, so bäte ich Dich mirs zu schreiben. Sonst können wir uns das für mündliche Besprechung aufsparen. Die Stellen bei Haupt p. 27 Anm. beweisen doch nichts.“ Aus den benannten Arbeiten zu Lochau ging hervor: Barge, Flugschriften (s. dazu oben Anm. 219). 363 S. dazu den Textauszug der Voranm. mit seinen Rekursen auf Seckendorf und Haupt. 359 Barges
218
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Eine erste über Jägers Materialkenntnis hinausgehende Quellenlektüre galt dem Karlstadt-Druck „De legis litera sive carne et spiritu“ von 1521.364 Mit einem Beitrag zu diesem Text debütierte Barge 1901 als prospektiver KarlstadtBiograph in den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ Anfang 1901. Der Eröffnungssatz der Veröffentlichung stellte das literarische Vorhaben und die Motivation zu dem Kurzbeitrag vor: „Mit den Vorarbeiten zu einer Biographie des Reformators Andreas Bodenstein von Karlstadt beschäftigt, stieß ich auf eine Schrift desselben, die Jäger, dem letzten Biographen Karlstadts, nicht zugänglich gewesen war“365. Der Briefwechsel mit Clemen erhellt die belasteten Umstände der Veröffentlichung. Am 28. Februar 1900 stand Barges Plan fest, einen Aufsatz in den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ zu forcieren, der Karlstadts Schrift inhaltlich anzeigen sollte.366 Erstmals aufmerksam auf ein erhaltenes Exemplar hatte Clemen gemacht. Barge schloß sein Manuskript zügig ab, sandte es dem Mitherausgeber Emil Kautzsch367 – und erhielt es umgehend zurück. Schon am 24. März fragte Barge bei seinem Schwager um „Rat“. Aus dem Brief geht hervor, daß von Seiten der Redaktion erhebliche Kritik an dem Gesamtansatz geübt wurde, nach dem Karlstadt als eigenständig gegenüber Luther und Jonas als abhängig von Karlstadt gedeutet worden war.368 Bereits in dieser Situation, bei der ersten literarischen Arbeit von Barge zu Karlstadt und der ersten direkten Reaktion eines Theologen, vermutete Barge konfessionelle Voreingenommenheit. Tatsächlich betrafen die Einwände sachliche Punkte, die Barge 364 Zu
der Schrift s. Freys/ Barge, Verzeichnis, S. 217, Nr. 65 f. Barge, Schrift, S. [522]. 366 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 28. Februar 1900 (Privatbesitz), Bl. 2r: „1) Wo steht die Anzeige von Knaake von der Schrift de legis litera sive carne et spiritu, wo die deinge u.[nd] wo die Replik Knaakes. 2) Wie heißt die Adresse der Redakt.[ion] der ‚Theol.[ogischen] Studien u.[nd] Kritiken?‘“ Die Anfrage korrespondiert den späteren Eingangsausführungen von Barge, Schrift, S. [522], Anm. 3 f. 367 Zu Kautzsch s. Smend, Kautzsch. 368 Handschriftlicher Brief Hermann Barge an Otto Clemen, 24. März 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r–2r: „Ich brauche Deinen Rat in einer für mich nicht unwichtigen Sache. Beiliegende Abhandlung habe ich an Kautsch [sic] zur Aufnahme in die ‚Theologischen Studien u.[nd] Kritiken‘ geschickt. Nach längerer Zeit kam sie mit dem gleichfalls inliegenden Briefe zurück. Ich bin darüber offen gestanden sehr verdrossen und habe nicht die mindeste Lust, das, was ich nach reiflicher Überlegung niedergeschrieben habe, umzumodeln. Ich fürchte, daß es den Hallenser Herrn nicht paßt, daß ich Karlstadt als eine eigenartige, aus eigenen Voraussetzungen heraus zu begreifende Persönlichkeit hinstelle. Was nicht von Luther seinen Segen empfangen hat, ist vom Übel. Nun habe ich die eine herzliche Bitte: lies Du einmal meine kleine Abhandlung durch und schreibe mir offen Dein Urteil, insbes.[ondere] auch das, was du auszusetzen hast. Ich weiß, daß, wenn Du einen Tadel aussprichst, Du es ehrlich mit mir meinst, und kann ihn wohl vertragen. Auch bitte ich dann um Dein Urteil darüber: soll ich die gewünschten Änderungen vornehmen? Auf meine Analyse Karlstadts verzichte ich keinesfalls. Aber wenn sie bloß die Schlußbemerkungen gestrichen haben wollen, so könnte man das ja erwägen. Daß nur um Gottes willen der heilige Jonas nicht von Karlstadtischen Ansichten befleckt wird! Am liebsten würde ich eig.[entlich] die Arbeit irgendwo anders unterbringen oder, wenn’s nicht angeht, auf die Publikation überhaupt verzichten.“ 365
1. Hermann Barge (1870–1944)
219
drei Monate später einsah.369 Die 1901 gedruckte Fassung verzichtete auf eine Verhältnisbestimmung Karlstadts zu Jonas und deutete nur beiläufig am Schluß an, daß Karlstadt „durch Luthers Eingreifen die Möglichkeit, eine praktisch= reformierende Thätigkeit zu entfalten, entzogen war“370. Im Mittelpunkt des Jahres 1900 standen die Vorbereitung und Durchführung von Barges großer Archiv-Reise für die Karlstadt-Biographie. Am 6. Mai 1900 versicherte er seinem Schwager, ihm sei schon vor dessen Hinweisen klar gewesen, „[d]aß ich vorher allerorten Anfragen würde stellen müssen“.371 Zugleich zögerte er nicht, ganz konkrete Ratschläge einzuholen: „Bitte schreibe mir doch möglichst viel Adressen dir bekannter Bibliotheks= u.[nd] Archivmenschen auf, aber nur solche, die dir eben einfallen, damit die Reise nicht zu groß werde. Wer ist der Mann in Emden?“372 Barges Wunsch war es, zwischen Juni und September möglichst viele einschlägige Archive besuchen zu können, dafür von der Lehrtätigkeit freigestellt zu werden und für seine Frau Elisabeth zumindest etappenweise Mitreisen373 einzurichten. Die Freistellung wurde vom städtischen Rat im Mai genehmigt, verband sich aber mit der finanziellen Auflage, die Vertretung selbst zu besolden.374 Wenn Barge 1905 im „Vorwort“ seines Eröffnungsbandes schrieb „Ein ihm [dem Verfasser] von dem hochseligen König Albert von Sachsen gnädig gewährter namhafter Studienbeitrag setzte ihn in den Stand, in einer 369 In diesen Zusammenhang dürfte die Postkarte Hermann Barges an Otto Clemen gehören, 18. Juni 1900 [Poststempel] (Privatbesitz), Bl. 1r: „Wiewohl ich selbst wünschte, deiner Ansicht zustimmen zu können, ist mir dies doch unmöglich. Kolde der nämlich in [der] Zeitschrift f.[ür] Kirchengesch.[ichte] XI p. 464, ib. p. 450–471 aus einem Berliner codex Thesen verschiedener Leute abdruckt, druckt sub XIII die Überschrift ab: Nicolaus Loci sub D. Justo Jona P. De spiritu et litera (18. Nov.[ember] 1522). In der Anm. bemerkt er, es folgten die bei Kawerau I, 84 abgedruckten Thesen. Darnach sind sie nicht nur als Jonas Eigenthum bestätigt, sondern auch datiert (nach Lib.[er] decan.[orum] p. 27 ff). Unser beiders. Vermutungen werden somit wohl fallen – natürl.[ich] auch meine von einer Beinflussung des Jonas durch Karlstadt, die 1522 nicht mehr stattgefunden haben kann. Unschuld.[ige] Nachr.[ichten] 1708 S. 732 bleibt natürl.[ich] immer merkwürdig: vielleicht Iacobi Lesefehler für Iodoci? (du weißt, daß Iodocus öfters als andre Vornamensform für Jonas vorkommt).“ 370 Barge, Schrift, S. 533. 371 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 6. Mai 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r. 372 Ebd., Bl. 2v. 373 Ebd., Bl. 2r: „Der Gedanke[,] mich von Lisbeth lange trennen zu müssen, ist natürlich mir wie ihr gleich schmerzlich. Ich hoffte, es financiell zu ermöglichen, sie überallhin mitnehmen zu können. Da hat mir nun die Stadtverwalt[un]g einen Strich durch die Rechnung gemacht. Etwas muß aber Lisbeth mit, insbes.[ondere] nach Berlin und Weimar. Auch werde ich vorübergehend mich wieder in Leipzig aufhalten, damit die Trennungsfrist nicht zu lange wird.“ 374 Ebd., Bl. 1r u. 1v: „Ich hätte die Reise ja auch lieber verschoben auf nächstes Jahr. Aber da [Rudolf] Wustmann um jeden Preis sogleich weg wollte, empfahl es sich unbedingt (wechselseitige Vertretung etc.), daß wir ein gemeinsames Gesuch einreichten. Dasselbe ist im Princip genehmigt u.[nd] ich hoffe, daß in der kommenden Woche Wustmann wird abdampfen können – aber wir müssen unsere Vertreter bezahlen (jeder ca 250 M). Ruppig! […] Nun hoffe ich bestimmt auf ordentliche Staatsunterstützung: Lamprecht und Brieger haben mir sehr freundliche Zeugnisse ausgestellt.“
220
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
größeren Zahl von Bibliotheken und Archiven Nachforschungen zu halten“375, so bezieht sich dies auf den Folgeantrag, den Barge nicht auf Stadt-, sondern auf Landesebene stellte. Als fachlicher Fürsprecher fungierte neben Lamprecht der Leipziger Kirchenhistoriker Brieger376, was tragisch anmutet, da dieser in der späteren Debatte um die Biographie die vielleicht schärfsten Voten gegen Barge veröffentlichte. Die Zusprache königlicher Fördergelder erfolgte in weniger als einem Monat. Am 8. Juni teilte Barge dem Zwickauer Schwager freudig mit: „Von der reichen königl.[ichen] Bewilligung hast Du wohl schon gehört. Nun kann doch Lisbeth den größten Teil der Reise mitmachen, was herrlich ist.“377 Zu den administrativen Vorbereitungen traten methodologische. Aufschlußreich ist, daß sich Barge – kurz vor Aufbruch zur Archivreise – als paläographischer Anfänger378 zu erkennen gab: „Besonders gilts ja jetzt, sich im Handschriftenlesen zu üben. Einige Fortschritte habe ich gemacht. Sehr gute Dienste leistet mir das ausgezeichnete und reichhaltige Abkürzungsverzeichnis von Chassant, das ich käuflich erworben habe. Nun aber richte ich an dich eine herzliche Bitte: kannst Du bei Eurem Bibliothekar vermitteln, daß mir eine größere Kollection verschiedenartiger, von dir ausgewählter Briefe, darunter bes.[onders] jener Karlstadt-Brief, zugesandt werde, damit ich in aller Muße mich zu Hause im Handschriftenlesen vervollkommnen kann? Das wäre mir natürlich sehr wertvoll!“379
Was Barge anregte, sollte Clemen 1911 als Sammlung von 67 Handschriftenproben – einschließlich des Zwickauer Karlstadtbriefes – in den Druck geben.380 Die Wahl von Chassant als handliches Abkürzungsverzeichnis381 war gut, zieht man in Betracht, daß 1900 die italienische Erstausgabe des Cappelli gerade ein Jahr zurücklag und die erste deutsche Übersetzung im Folgejahr erscheinen sollte. Zugleich erklärt sie aber, daß manche Handschriften – zu denken ist etwa an Karlstadts kirchenrechtliches Gutachten zu seinen Besetzungskompetenzen als Archidiakon vom Frühjahr 1517 – mit den Barge zur Verfügung stehenden Mitteln nur beschränkt bearbeitet werden konnten.382 375 Barge,
Karlstadt, T. 1, S. VI. S. dazu oben Anm. 374. 377 Postkarte Hermann Barges an Otto Clemen, 8. Juni 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r. 378 Hervorzuheben gilt es gleichwohl, daß Barges Erstlingsarbeit, die Leipziger Dissertation Barge, Vertrag, Archivarbeit in Dresden vorausging. Ein von Maurenbrecher angeregtes Editionsprojekt (vgl. dazu oben Anm. 146) wurde zwar nicht realisiert, doch dokumentiert die Dissertation, u. a. ebd., S. 34, Anm. 4, gezieltete archivalische Erhebungen in Dresden. 379 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 6. Mai 1900 (Privatbesitz), Bl. 1v. 380 Clemen, Handschriftenproben; zu Karlstadt s. Nr. 11. 381 Es muß sich gehandelt haben um Chassant, Dictionnaire. 382 Vgl. dazu Barge, Karlstadt, T. 1, S. 59, Anm. 72: „Dagegen schien mir ein Abdruck des Aktenmaterials nicht erforderlich“. Ebd., S. 61, Anm. 79: „Leider ist es [Karlstadts Gutachten] in einem sehr schlechten Zustand erhalten, die Schrift großenteils verwischt. Ich konnte – bei der beschränkten Zeit meines Aufenthaltes in Weimar – nur den Anfang entzifferen. Doch genügt derselbe, um ein Urteil über den Gesamtcharakter des Schriftstückes zu gewinnen.“ 376
1. Hermann Barge (1870–1944)
221
Wie sich die Archiv-Reise im einzelnen gestaltete, schildert eines der schönsten Briefdokumente von Barge. Es handelt sich um einen Bericht, der von der Euphorie des wissenschaftlichen Neuaufbruchs, der zurückliegenden Materialarbeiten und der aufweisbaren Ergebnisse getragen wird. Als Barge am 25. August 1900 nach Zwickau schrieb, hatte er den größten Teil seiner Reise hinter sich, beschloß diese mit einem Erholungsurlaub in der Schweiz, zu dem seine Frau hinzugestoßen war, und hatte sich für September nur noch den Archivaufenthalt in Weimar aufgespart. An genau dem Tag, an dem Nietzsche dort verstarb, berichtete Barge in Hochstimmung über die zurückliegenden Erlebnisse, die er aus dem bei Interlaken gelegenen Lauterbrunnen zusammenfaßte: „Bei der Fülle großartiger Eindrücke, die nun seit schon so langer Zeit auf mich einstürmen, befinde ich mich gegenwärtig in jenem Stadium des Genießens, bei welchem man nur auf die Verarbeitung jener Eindrücke bedacht ist und seiner Pflichten gegen die Mitmenschen vergißt. Darum verzeihe, wenn du so lange von mir nichts gehört hast. Heute will ich nun das Versäumte nachholen und dir von dem Erlebten kurz berichten. Zuerst die Wissenschaft! Ich habe oft daran gedacht, daß doch auch dir das Glück zu teil werden möge, einmal längere Zeit aller Berufspflichten ledig von Ort zu Ort reisend für eine wissenschaftliche Aufgabe zu sammeln und beim Sammeln sich vertiefen zu können. Nachdem die ‚nördliche‘ Reise (Bremen, Hamburg, Berlin, Dresden) ganz hübsche Ergebnisse gebracht hatte, fuhr ich nach Gotha. Von einem wichtigen Carlstadt Original abgesehen, fand ich hier eine von Neudecker angelegte Sammlung Carlstadiana aus dem Weimarer Archiv, die ich mir natürlich nach Leipzig schicken lassen u.[nd] vor meinem Besuch des Weimarer Archivs ordentlich durcharbeiten werde. Der Aufenthalt in Karlstadt (via Würzburg), Rothenburg ob d.[er] T.[auber] u.[nd] Nördlingen brachte kleine Ergänzungen, der in Straßburg eine treffliche Ausbeute. Bes.[onders] ergiebig erwies sich sodann die Simlerische Sammlung in Zürich. Auf ihren Mitteilungen, sowie auf ca 12 Karlstadt-Originale u.[nd] auf wichtige Angaben aus dem Basler Archiv muß sich die ganze Lebensgeschichte C.[arlstadt]s in der Schweiz aufbauen. Originalbestände Karlstadts giebts – vom Weimarer Archiv abgesehen – in Massen einfach nicht. Aber über ihn war doch so viel zu finden, daß ich täglich meine 8 Stunden emsig zu schreiben hatte. In Basel langte endlich Lisbeth an, u.[nd] wennschon die Stadt für einen Fremden wenig bietet, verlebten wir hier doch, das Wiedersehen feiernd, herrliche Tage. In der Basler Bibl.[iothek] fand ich drei bisher unbekannte Schriften Karlstadts aus seiner letzten Lebenszeit – 2 davon wohl bisher nur in je einem Exemplar, eben dem Basler, überhaupt vorhanden[;] die eine, kürzere schrieb Lisbeth für mich ab.“383
Barge hatte sich demnach von Norden nach Süden durchgearbeitet und die geographisch naheliegendsten und umfangreichsten Bestände in Weimar als Abschluß vorgesehen. Eindeutig ist Barges Schilderung, die Neudeckerschen Exzerpte in Gotha vor dem Weimarer Forschungsaufenthalt registriert und als Grundlage der eigenen Archivarbeiten vorgesehen zu haben. Die Biographie bot 1905 demgegenüber ein anderes Bild: 383 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 25. August 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r–2r.
222
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
„Die in Gotha verwahrte Sammlung ‚Carlstadiana‘ von Neudecker ist eingesehen worden, indessen enthält sie kein Stück, das dem Verfasser nicht sonst schon bekannt gewesen wäre, und für sie dürfte dasselbe Urteil in Betracht kommen, das Kolde im Vorwort zu seinen Analecta Lutherana über Neudeckers Spalatiniana ausgesprochen hat.“384
Auch vermißt man in der Biographie Hinweise auf Zuarbeiten von Zeitgenossen, die sich im Briefwechsel abzeichnen. Nicht gewürdigt wurde so etwa, daß es der Luther-Forscher Buchwald gewesen war, der Barge auf die Rothschen Nachschriften von Karlstadts Sacharja-Kolleg in der Zwickauer Ratsschulbibliothek hingewiesen hatte.385 Mochte die unterbliebene Erwähnung Buchwalds eine Nachlässigkeit gewesen sein, erweckt Barges literarischer Umgang mit Neudecker doch den Eindruck einer unredlichen Überhöhung der eigenen Forschungsleistung. Nicht auszuschließen ist zwar, daß Barge die Neudeckerschen Exzerpte in Leipzig tatsächlich erst nach dem Weimar-Aufenthalt empfing, aber die Einsichtnahme und Wertschätzung der Vorarbeiten datiert eindeutig vor den Beginn der eigenen Weimarer Archivstudien. Diese schlossen sich im Folgemonat an, wie Barges Brief an Clemen vom 22. September 1900 belegt: „Von Weimar zurückgekehrt und damit definitiv am Ende meiner schönen Archivreise sage ich dir zunächst noch herzlichen Dank für die Zusendung deiner beiden letzten Publicationen.“386 Den vorläufigen literarischen Abschluß einer eigenen Publikation konnte Barge am 8. Dezember 1900 vermelden: „Der K.[arlstadt]-Art.[ikel] für [die] R.[eal]E.[ncyklopädie] 3 ist fertig; ich bin gespannt, ob ihn Hauck so nimmt.“387 Barge hatte seinen ersten lexikalischen Beitrag zu Karlstadt demnach im Anschluß an die Archiv-Reise geschrieben. Der Hinweis auf Hauck könnte ein weiterer Grund für die Annahme sein, daß es Leipziger Verbindungen gewesen waren, die dem fachlich noch nicht einschlägig ausgewiesenen Barge die Chance zu dem Lexikonartikel eröffnet hatten. Auch für Barges zweiten Beitrag zu Karlstadt zeichnet sich die Skepsis ab, daß er nicht die angemessene Aufnahme finden könnte.
384 Barge, Karlstadt, T. 1, S. VII. Zu Neudecker vgl. die betreffenden Ausführungen des ersten Hauptkapitels I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert, die bereits auf Barges Kenntnis der Exzerpte eingehen, s. Anm. 541–543. 385 Postkarte Hermann Barges an Otto Clemen, 8. Juni 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r: „Wieder eine Bitte! Pfarrer [Georg] Buchwald, der mir sehr freundlich allerhand Auskunft erteilte, sagte, im Band cod. manuscr. XXXIV Eurer Bibliothek wäre eine Steph. Roth’sche Nachschrift eines Sacharja-Kollegs von Karlstadt. Das wäre mir natürlich sehr wichtig, u.[nd] ich bitte dich, mir die Zusendung dieses Bandes bei Dr. Stötzner freundlichst vermitteln zu wollen. Die hand schr.[iftlichen] Briefe folgen nächstens an dich zurück.“ Die Stelle bezieht sich auf die Materialien, die Barge 1905 auswertete und präsentierte in Barge, Karlstadt, T. 2, S. 3 f.; S. 566–568 (Anhang Nr. 16). Eine Erwähnung von oder Danksagung an Buchwald fehlt. 386 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 22. September 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r. 387 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 8. Dezember 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r.
1. Hermann Barge (1870–1944)
223
Ein fachlicher Briefwechsel mit Clemen scheint sich für die Folgezeit nicht erhalten zu haben. Einzelne Briefe existieren, beschränken sich aber auf familiäre Angelegenheiten. 1934 dürfte Barge für sich selbst mit der Reformationsgeschichte abgeschlossen haben. Bei dem überstürzten Auszug aus der Rektoratswohnung trennte er sich sogar von den Widmungsexemplaren der Clemenschen Separata, was ihn am 22. Februar 1936 zu einem ausführlichen Entschuldigungsschreiben veranlaßte.388 Die thematischen Verlagerungen und gesundheitlichen Verschlechterungen der letzten Jahre dokumentieren die beiden letzten Schreiben von Barge an Clemen. Am 19. August 1938 fragte Barge maschinenschriftlich und mit zahlreichen Korrekturen von Hand um eine fachliche Zuarbeit für seine buchhistorische Überblicksdarstellungen.389 Ergreifend ist das letzte Briefdokument, das sich erhalten hat. Zum 70. Geburtstag des Zwickauer Schwagers diktierte Barge am 28. Dezember 1941 einen zweiseitigen Brief, der in einer Reinschrift Elisabeth Barges vorliegt. Er ist ein aufschlußreiches Zeugnis für Barges Gegenwarts‑ und Geschichtsdeutung. Barge interpretierte die nationalstaatliche Entwicklung des Deutschen Reichs im Lichte der Kriegsereignisse – bestimmt haben mochte ihn in diesen Tagen die Schlacht um Moskau nach der zweiten deutschen Offensive und vor dem schließlichen Rückzugsbefehl Hitlers – als möglichen Hinweis auf die biblisch angekündigte Endzeit. Vor allem aber belegt der Brief, mit welcher Klarheit Barge, der schon 1900 ausgerufen hatte: „Wie geht, daß so ein Kenner in Zwickau sitzt!“390, die wissenschaftliche Größe und reformationsgeschichtliche Bedeutung seines Schwagers erkannt hatte: „Leipzig S. 3. 28. 12. 41 Mein lieber Schwager Otto! nun hast auch Du das 70. Lebensjahr erreicht! Hinter Dir liegt ein Zeitraum, der – soweit man die öffentlichen Läufte in Betracht zieht – voll Unrast und Unruhe gewesen ist und 388 S.
dazu oben Anm. 55. Postkarte Hermann Barges an Otto Clemen, 19. August 1938 (Privatbesitz), Bl. 1r: Mit einer Bitte komme ich zu Dir. Demeter [Barge, Gegenwart, erschien 1941 im Berliner Demeter-Verlag.] war heute hier und drängt etwas mit Abschluss der nächsten Lieferung. Nun will ich in ihr im kurzen Kapitel über das literarische Buch einiges über die Weimarer Lutherausgabe sagen. Wärest Du wohl aus Deiner Sachkenntnis heraus so gut, mir diesen Passus im Umfang von etwa ¼ Druckseite zusammenzustellen? Meine Schwachsichtigkeit erschwert mir das Aufsuchen des Materials — Gern wissen möchte ich: a) Anlass und Entstehung der Ausgabe; b) Abteilungen und Bändezahl bisher (insbesondere wieviel Bände des Briefwechsels erschienen sind) c) was noch aussteht (insb.[esondere] wieviel Bände des Briefwechsels; d) Sonstiges was eventuell für das Unternehmen und den Verlauf der Ausgabe wichtig ist. Ich nehme bei meiner Bitte an, dass Dir ihre Erfüllung wenig Mühe macht. Ich wollte von wissenschaftlichen Sammelwerken ausser der Lutherausgabe nur noch die Monumenta Germaniäe und Grimms Wörterbuch behandeln (Platzmangel!). Wenn Du noch Erwähnung oder kurze Behandlung anderer Sammelwerke für erforderlich hältst, so bitte ich Dich, sie mir anzugeben.“ 390 Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Otto Clemen, 22. September 1900 (Privatbesitz), Bl. 1r. 389 Maschinenschriftliche
224
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
nicht eben geeignet war, dem Menschen das schöne Gut zu geben, das ihm beschieden sein kann: daß die Seele zur Ruhe komme. Eigentlich sind wir ja seit unserer frühen Jugend, schon zu der Zeit, als Bismarck noch das Steuer des Reichs führte, dauerend in Sorge gewesen, es werde eine schwere Katastrophe über unser Volk und Vaterland hereinbrechen. Dann kam sie auch, furchtbarer als wir geahnt haben, im Weltkriege, den Du ja Selbst unmittelbar und an verantwortlicher Stelle391 mit erlebt hast. Und nun werden die Schrecknisse des Krieges noch überboten, wenigstens an äußerem Ausmaße und an inneren Spannungen, durch das, was wir jetzt mit ansehen müssen. Scheint sich doch fast in den Vorgängen, die sich gegenwärtig abspielen und die uns noch bevorstehen, die Revolte gegen die göttliche Schöpfungsordnung in letzter Zusammenballung abzuspielen, auf die Jesus Matth. 24. V. 3 ff. hinweist. In solcher fast grausigen Zeit, wie sie in der gesamten Weltgeschichte noch nie ihres gleichen gehabt hat, kann – von der religiösen Einstellung zu den letzten Dingen abgesehen – in unserem irdischen Wirken und Trost bei aller Anfechtung nur das Festhalten an den unverlierbaren Werten gewähren, die durch den Tumult der gegenwärtigen geschichtlichen Ereignisse nicht erschüttert werden können. Dabei steht obenan das Glück, das dem Menschen in der kleinsten Keimzelle der Gemeinschaft, der Familie durch die göttliche Gnade beschieden ist[,] und das selbstlose Mitarbeiten an den unveräußerlichen geistigen Kulturgütern der Menschheit. Daß beides Dir in hohem Maße beschieden gewesen ist, darf Dich bei einem Rückblick auf Dein bisheriges Leben mit frohem Stolze und dankbaren Gefühlen gegen Gott erfüllen. Welch’ reicher Segen ist Dir in Deinem Familienleben schon um deswilligen zu Teil geworden, weil Du in geistiger Frische und körperlicher Gesundheit bis zu diesem Deinem 70. Geburtstage die Lebenszeit an der Seite Deiner Susi hast verbringen können und weil Dir Deine zahlreichen Kinder und Enkelkinder dank göttlicher Fügung sämtlich unversehrt erhalten geblieben sind. Und welche Fülle reicher Früchte hat Dir Dein geistiges Schaffen eingetragen! Deine wissenschaftliche Laufbahn bedeutet ja ein unablässiges Vorwärtsschreiten von Erfolg zu Erfolg, so daß Dir heute der Ruhm, das umfassendste Wissen auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte zu besitzen, unbestritten ist. Neben den vielen, unendlich vielen Arbeiten kleineren Umfangs, mit denen Du die Grundlagen der Reformationsgeschichte auszementiert hast, welche Leistung stellt doch Deine Luther-Ausgabe dar, die Dein Werk ist, nicht das Werk dessen, unter dessen Namen sie heute geht – , ferner die Supplementa Melanchthoniana u. a., endlich die monumentale Ausgabe der Lutherbriefe in der Weimarer Edition. Wird es, wenn Du einmal die Augen geschlossen haben wirst, noch jemand geben, der für die so komplizierte Reformationsgeschichte die Höhe dieses Editionsstils wird behaupten können? So darfst Du an Deinem 70. Geburtstage trotz allem, was an schweren Sorgen uns die Weltlage bringt, im Hinblick auf den Dir persönlich beschiedenen Lebens‑ u.[nd] Wirkungskreis auf das von Dir Geleistete mit froher Genugtuu[n]g zurückschauen. Möchtest Du Deinen 70. Geburtstag deshalb im Kreise Deiner lieben Angehörigen in schöner Harmonie verleben! Für Dein letztes liebes Schreiben habe ich Dir wohl bereits gedankt, wollte es nicht geschehen sein, so nimm hierdurch die Versicherung entgegen, wie sehr Du mich durch
391 Zu dieser und anderen biographischen Kurzinformationen zu Clemen vgl. Jauering, Clemen, Sp. 542.
1. Hermann Barge (1870–1944)
225
Deine freundliche Anmerkung meiner bescheidenen Arbeit über die Anfänge des Erfurter Buchdrucks erfreut hast. In treuer Verbundenheit grüßt Dich und die Deinen Dein Schwager (gez.) Hermann.“392
Am intensivsten fällt der Briefwechsel für die Anfangsjahre 1898 bis 1900 aus. Klar zu erkennen ist, daß Clemen der erste fachliche Ansprechpartner für Barge war und die hervorgehobene Danksagung im Vorwort der Biographie von 1905 nur zu angemessen war: „Ein besonderes Dankeswort gebührt endlich meinem lieben Schwager Dr. Otto Clemen in Zwickau, der jederzeit meinen Forschungen seine rege Anteilnahme hat zuteil werden lassen und mir in vielen Einzelheiten wertvolle Auskünfte gegeben hat.“393
1.2.6. Zusammenfassung der Anregungen und Anfänge um 1898 So exakt Barges Vorhaben einer Biographie und die grundlegende Sichtung des gedruckten Gesamtwerkes in das Jahr 1898 zu datieren sind, läßt sich die Veranlassung zur Beschäftigung mit Karlstadt weniger eindeutig bestimmen. Sowohl Lamprecht als auch Maurenbrecher bieten literarische Ausführungen, die ein vertieftes Studium im Anschluß und Unterschied zu Jägers Monographie von 1856 motiviert haben mochten. Maurenbrecher könnte zudem die Kenntnis von Lang vermittelt haben, der 1870 für eine positive Aufwertung des Karlstadt-Bildes in einer Gottfried Arnold vergleichbaren Weise eingetreten war. Verschiedene Indizien sprechen dafür, daß Barge in den Auseinandersetzungen um Ludwig Keller strukturelle Parallelvorgänge zu seinen eigenen Interessen an der historiographischen Entfaltung religiöser Toleranz sah. Möglich ist zudem, daß eine 1897 gebotene Einordnung von Karlstadt in die Vorgeschichte der „christlich-socialen Ideen“ Barge in sozial‑ wie wirtschaftsethischer Hinsicht ansprach. Seit 1898 machte sich Barge für den von Keller vertretenen Forschungsansatz publizistisch stark. Im selben Jahr kontaktierte er auch den als Karlstadt-Spezialisten ausgewiesenen Kolde, informierte ihn über seinen Plan einer Biographie und ließ sich versichern, daß Kolde kein konkurrierendes Werk erarbeiten würde. Von der 1898 verfolgten Lektüre der in der Zwickauer Ratsschulbibliothek verwahrten Drucke schritt Barge 1900 zu den archivalischen Recherchen fort. Zwischen 1900 und 1904 intensivierte er die bibliographische sowie möglicherweise archivalische Erfassung der einschlägigen Materialen und trat zunehmend mit kleineren Veröffentlichungen hervor, bevor beide Teile des Werkes mit einigen Monaten Abstand 1905 erschienen. 392 Diktierter Brief Hermann Barges (in der Hand Elisabeth Barges) an Otto Clemen, 28. Dezember 1941 (Privatbesitz), Bl. 1r u. 1v. 393 Barge, Karlstadt, T. 1, S. VII f.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920) 2.1. Der zeitliche Rahmen zwischen der Drucklegung und den ersten Rezensionen Die Erscheinungsdaten der beiden Teilbände lassen sich relativ genau terminieren. Das Vorwort des ersten Bandes unterzeichnete Barge „im November 1904“394. Die erste Anzeige erschien am 15. Januar 1905. Sie verzichtet auf den Ausweis des zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststehenden Ladenpreises395. Die bibliographisch stimmige Seitenzahl belegt jedoch396, daß der Satz zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen war. Der Rezensent dürfte damit entweder ein Vorabexemplar des Autors oder Verlages erhalten haben, soweit Barge nicht Druck‑ oder Korrekturfahnen kommuniziert hatte. Die zweite Anzeige datiert auf Mitte Februar und weist den Ladenpreis regulär aus.397 Spätestens für Februar 1905 ist somit von der Verfügbarkeit des Eröffnungsbandes im Buchhandel auszugehen. Diese Daten korrespondieren zu einem Schreiben von Barges Schulleiter, der am 11. Januar 1905 über seinen Mitarbeiter vermerkte: „Er […] hat […] eben jetzt […] von einem umfangreichen quellenmäßigen Werke aus der Reformationszeit (Bodenstein von Karlstadt) den ersten Band veröffentlicht, den zweiten im Manuskript vollendet.“398 Der zweite Band wiederum nahm abschließend einige „Nachträge und Berichtigungen“ auf, die bereits auf einzelne Rezensionen reagieren.399 Die späteste von diesen war am 2. September 1905 erschienen.400 Die erste Anzeige des zweiten Bandes wurde am 10. Dezember 1905 gedruckt.401 Sie stammt aus der Feder jenes Rezensenten, der bereits den Eröffnungsband vor allen anderen besprochen hatte. Auch hier stimmt die gebotene Seitenangabe mit dem späteren Satz über394 Barge,
Karlstadt, T. 1, S. VIII. dazu die bibliographische Angabe: „Preis?“ in der Titelzeile von Naumann, Rez. Barge 1905a. 396 Ebd. 397 Paulus, Rez. Barge 1905a, S. 153: „M. 10 –.“ 398 S. hierzu das Schreiben von Böttcher vom 11. Januar 1905 in Barges schulische Personalakte StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15, Bl. 10r–11v, hier: Bl. 10v. 399 Barge, Karlstadt, T. 2, S. 615–618; bes. S. 615 f. 400 Es handelt sich dabei um Kalkoff, Rez. Barge. 401 S. dazu Naumann, Rez. Barge 1905b. 395 Vgl.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
227
ein; Hinweise auf den Ladenpreis fehlen nun vollständig. Die nächste Rezension, die sich auf den zweiten Teil bezieht, bespricht beide Bände im Zusammenhang, vermerkt den jeweiligen Preis und wurde am 13. Januar 1906 veröffentlicht.402 Für den zweiten Teil ist somit als Erscheinungsdatum spätestens Dezember 1905 anzunehmen. Sowohl dieser zeitliche Rahmen, wie auch der Umstand, daß beide Bände separat erschienen, ist für die frühen Reaktionen auf Barges Werk von Bedeutung. Eine erste Sequenz von Rezensionen galt nur dem Eröffnungsband, eine zweite beiden Teilen im Zusammenhang. Die meisten Autoren, die sich mit Barge kritisch auseinandersetzten, lassen sich der ersten Gruppe zuordnen. 1905 oder später boten sie eine Anzeige des Eröffnungsbandes und lieferten zwischen einem und drei Jahren später eine Besprechung des zweiten Teils nach. Die Anzahl der Sammelrezensionen ist dagegen überschaubar. Die erste einschlägige vom Januar 1906403 markiert indes den entscheidenden Wendepunkt. Mit ihm veränderte sich die Bewertung des Gesamtwerks, und die überwiegende Mehrzahl der anschließenden Reaktionen bezieht sich direkt auf dieses Votum des damaligen Vorsitzenden des „Vereins für Reformationsgeschichte“, Gustav Kawerau. Aus diesem Grund werden die publizistischen Reflexe auf Barges Biographie zunächst in einem Zweischritt geschildert. Auf die weithin positive und wohlwollende Aufnahme des ersten Bandes (Kap. 2.2) folgte eine an Deutlichkeit zunehmende Polarisierung der Diskussion (Kap. 2.3). Ein weiterer Zweischritt schließt sich an. Nach Jahren des Schweigens reagierte Barge 1907 auf seine Kritiker, wobei der Dialog mit Karl Müller sich an Umfang und Intensität auswuchs und seinerseits zum Anlaß positionierender Reaktionen wurde (Kap. 2.4), unter denen diejenige Karl Holls herausragt. Der Ausklang der Kontroverse wird publizistisch für die Jahre 1910 bis 1920 verfolgt (Kap. 2.5) sowie brieflich anhand eines abschließenden Dokumentes von 1936 beleuchtet (Kap. 2.6). Rekurriert wird dafür auf knapp 80 Stellungnahmen zu Barges Biographie.404 Die bisherige Forschung stützte sich in der Wahrnehmung der benannten Kontroverse auf die Bibliographie von Schottenloher und nahm punktuelle Ergänzungen vor405. In den Blick rückte damit weniger als ein Viertel der ausgewerte402 Kawerau, 403 Ebd.
Rez. Barge.
404 Gezählt wurden darin nicht nur die Rezensionen und Repliken, sondern auch die jeweiligen Voten Barges. Im März 1908 berief sich Barge, Erwiderung, S. 125, auf die „bisherigen ca. 30 Besprechungen“, die ihm „an Korrekturen und Ergänzungen im einzelnen“ nur wenig haben bieten können. In quantitativer Hinsicht stimmt diese Angabe fast genau mit der Anzahl der von dieser Arbeit bibliographierten Rezensionen überein. 405 Aufmerksam wurde auf die Forschungskontroverse Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 1, Anm. 2, und ders., Karlstadt 1977, S. 5, Anm. 12. Sider, Karlstadt 1974, S. 153, Anm. 22, lieferte sodann eine Kurzzusammenfassung mit einzelnen Ergänzungen. Von dem grundlegenden Quellenbestand erfaßte Schottenloher, Bibliographie, S. 399, Nr. 9624, die folgenden Texte: Köhler, Karlstadt; Gess, Rez. Barge 1905; ders., Rez. Barge 1906; Müller, Rez. Barge; Schmidt, Rez. Barge 1906; Hermelink, Rez. Barge. Bubenheimer ergänzte 1971 bzw.
228
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
ten Texte, vor allem aber beschränkte sich die Einschätzung der Diskussion auf die Frontstellung zwischen Barge und Müller. Nicht erfaßt wurden die Vielfalt der Reaktionen, die anfängliche Offenheit der Diskussion und die Dynamik der Ereignisse.
2.2. Das Vorfeld der Debatte – Reaktionen auf den Eröffnungsband (1905) 2.2.1. Naumanns Eröffnungsrezension in der „Hilfe“– liberale Zustimmung Das Jahr 1905 hätte für Barge nicht besser beginnen können. Nach der zügigen Drucklegung war es kein anderer als sein „Parteifreund“406 Naumann, der das Buch Mitte Januar allen reformationsgeschichtlich interessierten Lesern407 der Zeitschrift „Die Hilfe“ und „insbesondere alle[n] Theologen“408 empfahl. Journalistisch versiert modulierte Naumann die fachwissenschaftliche Spezialisierung in eine allgemeine Relevanz der gebotenen Inhalte. Affirmativ schloß er sich dem „evangelisch=demokratisch=puritanisch[en]“ Profil Karlstadts an409, das er begrifflich in das von ihm geprägte Schlagwort des „Calvinist[en] unter den Wittenbergern“410 verdichtete, mit dem Barge einige Monate später den Schlußabschnitt seines zweiten Bandes zieren sollte411. Barges Abwertung von Luther erklärte Naumann einigermaßen beschwichtigend: „Luther kommt nicht immer gut dabei weg; aber er war auch kein Engel von Gerechtigkeit und Sanftmut.“412 Zugleich verfügt die Kurzanzeige über ein Element, auf das kaum eine der ausführlichen Rezensionen verzichten sollte, indem der von Barge betonte epochale
1977 Kalkoff, Rez. Barge, und erinnerte vor allem an Müller, Luther. Sider verwies 1974 auf Barge, Gemeindechristentum, Tiling, Wittenberg und Müller, Bewegung. Am bisher umfassendsten bibliographierte Kruse, Kirchenreform, S. 6, Anm. 15, die Debatte, indem er zusätzlich aufnahm: Kawerau, Streit; Pallas, Bewegung; Cohrs, Rez. Barge 1905; Kawerau, Rez. Barge; Köhler, Jahresbericht 1905; Cohrs, Rez. Barge 1911; Gess, Rez. Barge/ Müller 1911; Holl, Rez. Müller; Brieger, Rez. Müller und Bossert, Rez. Müller. Zusammenfassend wurde Kruse auch aufmerksam auf das Urteil von Hashagen, Lutherforschung, S. 632, über Barge. Eine Auswahl dieser Referenzen führte Kruse, Karlstadt, S. 8 f., in einer Miniatur der Kontroverse zusammen. 406 Vgl. dazu ausdrücklich Naumann, Rez. Barge 1905a: „Dieses Buch unseres Leipziger Parteifreundes Dr. Barge“. 407 Ebd.: Der „Gesamteindruck“ der gebotenen Einzelheiten sei „für jeden wichtig […], der überhaupt genauere Kenntnisse über die Wittenberger Reformation hat und sucht.“ 408 Ebd. 409 Ebd.: „man bedauert mit Barge, daß durch Luthers veränderte Rückkehr von der Wartburg diese Ansätze zerbrochen wurden.“ 410 Ebd. 411 Barge, Karlstadt, T. 2, S. 505 mit Anm. 288. 412 Naumann, Rez. Barge 1905a.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
229
Fortschritt gegenüber der Arbeit von Jäger eingangs herausgestellt wurde.413 Insgesamt steht der Beitrag von Naumann für eine stilistisch gewandte und konfessionell offene Vermittlung des von Barge vertretenen religiösen und politischen Ideals an eine breite Leserschaft. 2.2.2. Paulus’ Anzeige in „Der Katholik“ – katholische Kritik An einer vergleichbaren Popularisierung unter verändertem konfessionellen Vorzeichen arbeitete die zweite, ebenfalls äußerst zügig erschienene und deutlich ausführlichere Rezension. Sie stammt von dem katholischen Forscher Nikolaus Paulus, der vor allem durch seine spätere „Geschichte des Ablasses im Mittelalter“ berühmt wurde.414 Barge hatte in den Vorjahren verschiedentlich Beiträge von Paulus angezeigt und dessen Unabhängigkeit im historischen Urteil gewürdigt.415 1907 berief er sich gegenüber seinen Kritikern auf die von Paulus und Denifle erbrachten „wichtigen Ergebnisse“ mittelalterlicher Analogien zur Religiosität Luthers.416 Nicht auszuschließen ist, daß Paulus, dessen Anzeige Mitte Februar in „Der Katholik“ erschien417, wie wohl auch Naumann von Barge persönlich auf die Neuerscheinung hingewiesen worden war. Paulus nahm sich der Aufgabe in der gewohnten Selbständigkeit und zu einem Zeitpunkt an, zu dem weitere Rezensionen als mögliche Referenzen noch nicht zur Verfügung standen. Es ist erstaunlich, mit welcher Sicherheit er vor allem drei Aspekte einbrachte, die von protestantischer Seite mit deutlichem Verzug und weitaus zögerlicher angesprochen wurden. Zum einen konstatierte Paulus sehr direkt, daß Barge eine „Ehrenrettung“ Karlstadt vorgelegt und dessen „Bedeutung […] überschätzt“418 habe, womit er entweder dem Selbstverständnis oder der argumentativen Strategie des „Vorwort[s]“ ausdrücklich widersprach419. Sodann übte Paulus theologische Kritik an der Position Karlstadt bzw. der Schilderung Barges. Wichtig war ihm, Karlstadt nicht als das progressive Opfer eines reaktionär und obrigkeitlich gewandten Luther zu sehen, sondern als den aktiven Täter an der Destruktion 413
Die betreffende Stelle findet sich bei Barge, Karlstadt, T. 1, S. VI. nicht unternommen wurde der überaus lohnende Versuch, dieses große Werk (Paulus, Geschichte) als ein kultur‑ und wirtschaftsgeschichtliches Gegenstück von katholischer Seite zu Webers Protestantismusthese zu interpretieren. Paulus dreibändige Darstellung erschien erst 1922 und 1923, doch war Paulus einer der wenigen frühen Kritiker der Webers „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ zugrundliegenden Aufsätzen gewesen; vgl. dazu u. a. Paulus, Wertung. 415 S. dazu oben die Anm. 170 und 200. 416 Der betreffende Passus findet sich in Barges erster Reaktion auf die Kritik der Vorjahre: Barge, Wittenberg, S. 262. 417 Paulus, Rez. Barge 1905a. 418 Ebd., S. 155. 419 Vgl. dazu Barge, Karlstadt, T. 1, S. V: „Wenn in unserm Buche Karlstadt eine weit bedeutsamere Rolle zufällt, als ihm bisher zugestanden ist, so darf der Grund dafür nicht in dem Bemühen des Verfassers gesucht werden, eine persönliche Ehrenrettung seines Helden zu vollziehen.“ 414 Noch
230
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
der katholischen Kirche. Gegenüber dem späteren Tenor der protestantischen Rezensenten, die Gerechtigkeit gegenüber Luther einforderten, setzte Paulus damit einen spezifischen Kontrapunkt. Drittens und letztens erhob Paulus Detailkritik in einzelnen Sachfragen, wobei er Barge einer fachlichen Unkenntnis in „katholischen Lehren und Einrichtungen“420 zieh. Auch dies kontrastierte auf anregende Weise die Sachkritik der nachfolgenden Anzeigen, die vorrangig auf defizitäre Lutherkenntnisse abhoben. So dezidiert Paulus damit eine katholische Perspektive auf Barge, Karlstadt und die Reformation einbrachte, so sehr rühmte er den Fleiß des Autors421 und die Bedeutung des Werkes, die er auch ein gutes Jahr später nochmals gegenüber einem weiteren sehr umfassenden Leserkreis, dem der „Kölnische[n] Volkszeitung“, ausdrücklich hervorhob422. 2.2.3. Eglis Würdigung in den „Zwingliana“ – reformierte Interessen Nach der politisch-liberalen Zustimmung durch Naumann und der apologetischen Popularisierung durch den Katholiken Paulus meldete sich der reformierte Herausgeber der „Zwingliana“, Emil Egli, zu Wort. Er begrüßte Barges Arbeit in der ersten Jahreshälfte 1905 als: „Ein bedeutendes Werk, das nachhaltig wirken wird.“423 Die angenehme Überraschung, die den Leser in der literarischen Begegnung mit Karlstadt erwarte, verglich der Zwingli-Forscher mit derjenigen, die der Zürcher Reformator selbst erlebte, als er Karlstadt erstmals persönlich kennenlernte.424 Auch Egli empfahl das Buch als Pflichtlektüre für jeden, der Luther literarisch zu traktieren gedenke.425 Seine eigenen Interessen an Karlstadt gründeten freilich in dessen schweizerischer Wirksamkeit. Deutlich wird dies nicht nur an einem frühen Beitrag von Egli zu Karlstadt426, auch seine im nächsten Jahr folgende Auseinandersetzung mit dem zweiten Band konzentrierte sich auf diesen „Lebensabend“ in der Schweiz427. Dennoch zögerte Egli nicht, die Relevanz der Bargeschen Arbeit für die gesamte Reformationsgeschichte hervor420 Paulus,
Rez. Barge 1905a, S. 155. Ebd., S. 153, 157. 422 Am 22. März 1906 erklärte er in dem Beitrag Paulus, Lutherfrage, S. 87, in einem Passus, der aufgrund der bibliothekarisch eingeschränkten Verfügbarkeit der „Literarische[n] Beilage“ der „Kölnische[n] Volkszeitung“ ausführlicher zitiert werden soll: „Es ist zu bedauern, daß er [Scheel] die neue Monographie von H. Barge über Karlstadt […] nicht mehr benutzen konnte. Hätte er dies bedeutsame Werk noch verwerten können, so würde er wohl hier und da Karlstadt gerechter beurteilt haben. Mag auch Barge in der Ehrenrettung seines Helden zu weit gegangen sein, so wird man doch künftighin Karlstadt vielfach anders beurteilen müssen, als es bisher unter dem Einfluß der lutherischen Tradition geschehen ist.“ 423 Egli, Literatur 1905, S. 31. 424 Ebd. 425 Ebd., S. 32. 426 Einschlägig hierfür ist ein Text von 1899: Egli, Predigten. 427 In einer nicht unkritischen Auseinandersetzung mit Barge s. dazu in der ersten Jahreshälfte 1906: Egli, Lebensabend. 421
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
231
zuheben. In einer Kurzanzeige des Folgejahres konstatierte er zunächst knapp: „man kann sagen eine Reformationsgeschichte in neuer Beleuchtung“428, bevor er in einem späteren Beitrag die landesgeschichtlichen Ausführungen nachgerade mit einem Lobeshymnus beschloß: „Man kann diese Biographie als eine Hauptleistung der neueren Reformationslitteratur bezeichnen. Sie gibt das weitschichtige Material in musterhafter Vollständigkeit und wird bei der Bedeutung Karlstadts für die Reformationsgeschichte zum grossen Teile eine neue Darstellung dieser selbst.“429
Wie die Anzeige des Vorjahres erschließt, gilt diese Wertschätzung Eglis gerade Barge als Historiker, der „eine vorurteilslose Würdigung K.[arlstadts]“ vornehme, zugleich aber „die zentrale Bedeutung“ der theologischen „Fragen vollständig erfasst“ habe.430 Mit der Gelassenheit des Reformierten antizipierte Egli zugleich schon bald nach dem Erscheinen des Eröffnungsbandes, daß dieser „besonders in lutherischen Kreisen viel zu reden geben“ werde: „Wir unserseits freuen uns darüber und werden [… darauf] zurückkommen.“431 2.2.4. Clemens Rezension in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ – Erwartung von Kritik Die erste reformationsgeschichtliche Reaktion, die im deutschen Sprachraum an kirchenhistorisch zentraler Stelle erschien, setzte diesen anfänglichen Siegeszug fort. Sie wurde mit der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ am 1. Juli 1905 ausgegeben und von Barges Schwager Otto Clemen beigesteuert.432 Die Nähe zum Autor verrät sich nur gewissenhaften Lesern des „Vorwort[es]“ von Barge.433 Die Anzeige ist ein Zeugnis für die fachliche und situative Hellsichtigkeit, mit der Clemen die Grundzüge der späteren Kontroverse vorhersah. Den Vorwurf der „Ehrenrettung“, den Barge bereits vorsorglich von sich gewiesen und den Paulus zu diesem Zeitpunkt bereits erhoben hatte, bemühte er sich, positiv zu konnotieren, indem er eine „Ehrenrettung“ als solche zur seit Jäger ausstehenden reformationsgeschichtlichen Bringschuld erklärte.434 Zugleich nahm Clemen vorweg, was zum Cantus Firmus fast aller Rezensionen werden sollte 428 Egli,
Literatur 1906, S. 94. Lebensabend, S. 82. 430 Egli, Literatur 1905, S. 32. 431 Ebd. 432 Clemen, Rez. Barge 1905. Bedauerlicherweise verzichtete Jauering, Bibliographie, darauf, die Rezensionen Clemen zu verzeichnen. Zu dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Vorgehen, zumindest aber mit knappen Hinweisen auf einschlägige Periodika s. ebd., Sp. 543. 433 Darin stellte Barge den familiären Bezug heraus, s. oben Anm. 245, und nur ein Vergleich des Eröffnungsbandes mit der Rezension ergibt, daß Clemen mehr über die Veranlassung des Werkes wußte, als es Barge selbst eröffnete, vgl. ebenfalls oben Anm. 255. 434 Clemen, Rez. Barge, S. 285: „So war eine Ehrenrettung K.[arlstadt]s eine Pflicht der reformationsgeschichtlichen Forschung.“ 429 Egli,
232
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
und von Paulus bereits intoniert worden war: „Ich kann bis jetzt nicht finden, daß B.[arge] im ganzen die Bedeutung seines Helden überschätzt habe – was ihm aber sicher vorgeworfen werden wird.“435 Clemens einzige kritische Anmerkung betrifft den von Barge nicht ausreichend herausgestellten Lutherbezug in der Karlstadt zugewiesenen Wittenberger Beutelordnung.436 Auch dies kam sicher nicht von ungefähr. Clemen mußte wissen, daß Barge bezüglich dieses Dokumentes 1900 mit Nikolaus Müller und Theodor Brieger korrespondiert hatte, die ihrerseits auf das betreffende Aktenmaterial aufmerksam geworden waren und eine Publikation durch Müller einforderten437. Tatsächlich wurde der mit Barges zweitem Band vorgenommene Abdruck der Beutelordnung438 sowie deren Einordnung zwischen Luther und Karlstadt zum Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen. 1905 würdigte Clemen demgegenüber, was selbst in einer Erwartung künftiger Kontroversen dauerhaft anerkannt werden müsse: Das Werk eröffne eine „wesentliche Bereicherung unseres Wissens“, sowohl was archivalisch und bibliothekarisch neu erschlossene Materialien anginge, als auch eine „dogmatisch unbefangene und umsichtige Interpretation“ bekannter Bestände; es sei „umfassend“, „vielfach originell“ und „antitraditionell“.439 Daß Clemen erwartete, die weitere Diskussion werde sich auf eine Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther zuspitzen, belegt der Schlußsatz: „Auch diejenigen Kritiker, die sich mit der neuen Beurteilung Luthers und K.[arlstadt]s nicht einverstanden erklären können, werden anerkennen müssen, daß das Buch gut geschrieben, gehaltvoll und sehr anregend ist.“440 Wie anregend nicht nur Barges Buch, sondern auch Clemens Rezension bereits 1905 auf den Herausgeber der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ wirkte, sollte „infolge eines Versehens“ der Redaktion, des Druckers oder des Verlages erst am 28. September 1906 publizistisch dokumentiert werden441. 2.2.5. Kalkoffs Anzeige im „Literarischen Zentralblatt“ – unbegrenzte Zustimmung Bevor dieses Wasser jedoch in den Wein des Jahres 1905 gemischt wurde, überreichte Paul Kalkoff den prächtigsten Pokal mit seiner Anzeige, die im „Literarischen Zentralblatt“ am 2. September erschien.442 In purem Golde erstrahlt 435 Ebd.,
S. 286. S. 286 f. 437 Zu dem Vorgang s. die ausführliche Schilderung von Barge, Gemeindechristentum, S. XVII. Vgl. zudem unten die Anm. 790 und 940. 438 Barge, Karlstadt, T. 2, S. 559–561, Nr. 13. 439 Clemen, Rez. Barge, S. 286. 440 Ebd., S. 287. 441 S. dazu Brieger, Anmerkung, bzw. unten Anm. 603. 442 Kalkoff, Rez. Barge. Die Identifizierung des Autors aus den Initialen „P. K.“ ergibt sich aus der Auflösung durch Barge, Karlstadt, T. 2, S. 615. Darauf aufmerksam wurde bereits 436 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
233
nicht nur die Arbeit von Barge, auch der Lebensweg und die Leistung von Karlstadt spiegeln einen eigenen Glanz. Zu Karlstadt spricht Kalkoff „das Wort des Dichters, daß der Mensch wachse mit seinen größern Zwecken“.443 Für Barge greift Kalkoff ebenso zu Schiller, indem er über den „in kürzester Frist zu erwarten[den]“ zweiten Band erklärt: „er kann nur den Gesamteindruck bestätigen, daß uns hier eine nach Forschung und Darstellung gleich hervorragende Leistung beschert wurde, ein Werk, das seinen Meister lobt.“444 Für Kalkoff sind die Ergebnisse von Barge im großen wie im kleinen unerschütterlich445, da sie sich heuristisch „erschöpfende[n] bibliographische[n] Vorarbeiten“, „archivalische[r] Forschung“ sowie „gewissenhafte[r] Detailforschung“ verdanken und interpretativ zu einer „derart gründliche[n], im besten Sinne objektive[n] Würdigung der philosophisch=theologischen Entwicklung K.[arlstadt]s“ führen446. Barges Werk gilt Kalkoff zum einen paradigmatisch als ein „glänzender Beweis dafür, daß sich auch auf einem scheinbar völlig abgebauten Felde bei umfassender und gründlicher Durchdringung des Materials, bei einer mit allen Mitteln moderner wissenschaftlicher Technik arbeitenden Tiefkultur noch die wertvollsten Ergebnisse erzielen lassen.“447
Zum anderen komme dem Beitrag eine forschungsgeschichtlich epochale Bedeutung zu, indem er aufzeige, „wie veraltet, wie unzutreffend, wie in den allerwichtigsten, ganze Entwicklungsfolgen und ganz hervorragende Vorgänge betreffenden Abschnitten einfach unhaltbar die bisher tonangebenden großen Darstellungen geworden sind von Rankes Werk an bis zu Hausraths448 neuster Lutherbiographie.“449
Allenfalls in Kalkoffs Wissen um den unmittelbar zu erwartenden zweiten Band mag sich eine persönliche Nähe zu Barge andeuten, der seinerseits erst 1907 und Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 5, Anm. 12. Zu Kalkoff vgl. kurz, aber bibliographisch grundlegend: Olszewsky, Art. Kalkoff. 443 Kalkoff, Rez. Barge, Sp. 1182. 444 Ebd., Sp. 1183. 445 Ebd.: „Und so wenig sich an diesen andern großen Ergebnissen des Werkes rütteln lassen dürfte, so wenig ist im einzelnen daran etwas auszusetzen.“ 446 Ebd., Sp. 1182. 447 Ebd. 448 Der von Kalkoff kritisierte Hausrath gehörte übrigens auch zu den ersten Lesern Barges. Mit dem vierten Tausend seines 1904 erstmals gedruckten Eröffnungsbandes, Hausrath, Leben 1904, der im Folgejahr um „Nachträge und Erläuterungen“ ergänzt wurde, reagierte er umgehend, indem er Karlstadt konsequent ablehnte, Hausrath, Leben 1905 ([„Nachträge und Erläuterungen“] „Zu Seite 49“), S. 576: „Über Karlstadts Entwicklungsgang hat das Buch von Hermann Barge […] viel neues Material beigebracht, das aber das ungünstige Urteil über Karlstadts Persönlichkeit nur bestätigt. In den Kämpfen seiner scholastischen Zeit ist Karlstadt ganz so absprechend, rechthaberisch und leidenschaftlich wie in seiner späteren mystischen Periode.“ Zur weiteren Auseinandersetzung mit Barge s. ebd., S. 577 und S. 578 f. („Zu S. 489“ und „Zu Seite 515“). 449 Ebd., Sp. 1183.
234
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
1915 Studien von Kalkoff anzeigte450. Gerade diese Rezensionen dokumentieren aber auch für Barge, daß er in Kalkoffs Arbeiten die vollständige Umsetzung der eigenen methodischen Ideale erblickte.451 2.2.6. Cohrs’ Besprechung für die „Theologische Literaturzeitung“ – vorsichtige Zurückhaltung Zwei Wochen später, am 16. September 1905, brachte die „Theologische Literaturzeitung“ die erste Besprechung eines dezidiert lutherischen Theologen. Sie stammt von dem damals als Studiendirektor im Predigerseminar auf der bei Göttingen gelegenen Erichsburg wirkenden Ferdinand Cohrs, dessen Studien und Editionen zur Geschichte der Katechetik während dieser Jahre zu erscheinen begannen452. Cohrs’ Rezension ist zurückhaltend im Ton, aber eindeutig in der Sache. Erstmals wird mit ihr nicht nur theologische, sondern auch kirchliche Kritik an dem vertretenen Reformationsmodell und seinen politischen sowie religiösen Implikationen geübt. Die Anzeige ist sehr vorsichtig konzipiert und ausgearbeitet. Ein langer forschungsgeschichtlicher Eingangspassus betont die Leistung Barges; der Hinweis auf den noch ausstehenden zweiten Band erklärt die Unmöglichkeit, bereits jetzt „[e]in wirkliches Urteil“ fällen zu können; und „selbst“ das in seiner Fülle gebotene „Neue“ des Eröffnungsbandes „läßt sich nicht im Rahmen dieser Besprechung registrieren“.453 Nach diesen einleitenden Einschränkungen spricht der Rezensent seine „Anerkennung“ am Ende des Beitrages um so direkter aus, indem er schließt: „Ich wünsche dem schönen Buche reges Studium und erhoffe von ihm eine neue Förderung der Reformationsgeschichte.“454 In diesen ebenso freundlichen wie unverbindlichen Rahmen füllt Cohrs Inhalte, die er überwiegend für die Jahre 1521 und 1522 referiert. Erstmals vollzieht sich damit eine Konzentration auf die Wittenberger Bewegung, deren Diskussion Cohrs von künftigen Beiträgen erwartet455. Gegenüber dem von Barge gewürdigten „demokratische[n] Element“ verweist Cohrs – im Modus der Frage und rückgebunden an die historische Situation Wittenbergs – auf den „Unverstand der Massen“ und deren mangelnde Reife.456 Gerade dies erkannt 450 Barge,
Rez. Kalkoff 1907a; ders., Rez. Kalkoff 1915. dazu oben die Anm. 190 und 193. 452 Zu Cohrs s. biographisch knapp Anon., Art. Cohrs 1928 (DBA, T. 2, Fichenr. 232, S. 193) sowie Anon., Art. Cohrs 1931 (DBA, T. 2, Fichenr. 232, S. 194). Von Cohrs fünfbändigem Werk „Die evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion“ stand zu diesem Zeitpunkt nur noch der Registerband aus. 453 Cohrs, Rez. Barge 1905, Sp. 519. 454 Ebd., Sp. 521. 455 Ebd., Sp. 520: „Es ist m. E. zuzugeben, daß […] das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Ganz gewiß fordern sie [die „Ereignisse“ der Jahre 1521 f.] zu immer neuer Betrachtung und Würdigung auf.“ 456 Ebd., Sp. 520. 451 Vgl.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
235
und sämtliche Stände übergreifend sozial integriert zu haben, sei der „wunderbare“ „Erfolg [Luthers] in Wittenberg“ gewesen.457 Daß Cohrs nicht nur historisch situativ, sondern von allgemeinen strukturellen Erwägungen her denkt, beweist sein organisatorischer Hinweis auf die volkskirchliche Notwendigkeit einer institutionellen Ergänzung von Beichte und Abendmahl.458 Auch in seiner kulturellen Wertschätzung der bildenden Kunst stehe Luther über Karlstadt und den späteren Puritanern.459 Karlstadt selbst verfüge über einen „nicht ganz von Widersprüchen“ freien Charakter460, den der Biograph nicht unausgewogen geschildert habe: „auch bei Barges Darstellung [bleiben] noch genug Unliebenswürdigkeiten Karlstadts übrig […], und niemand wird dem Herrn Verfasser deshalb den Vorwurf machen können, daß er eine Ehrenrettung beabsichtigt habe.“461 Die Konsequenz dieses Urteils liegt in der verklausuliert vorgetragenen Möglichkeit, daß Barge entsprechend unbeabsichtigt eine Ehrenrettung vorgelegt habe: „Trotzdem wird man, je weiter man in der Lektüre fortschreitet, den Eindruck nicht ganz los, daß das Buch etwas zu einer solchen geworden ist.“462 Deutlicher in der Formulierung, aber gleichermaßen relativierend im Aussagemodus ist Cohrs’ Vorwurf einer tendenziösen Interpretation der Wittenburger Bewegung: „Aber bei Barge schienen sie [diese Ereignisse] mir nun zu sehr zu einer Verherrlichung Karlstadts zu werden.“463 So eindeutig damit Cohrs die Problematik und das Konfliktpotential der Bargeschen Biographie erkannt hatte, so sorgsam sicherte er seine Besprechung gegenüber einseitigen Lesarten und unerwarteten Entwicklungen der späteren Diskussion ab. Den weiteren Verlauf der Kontroverse wartete Cohrs ab, bevor er sich nochmals zu Wort meldete. Seine Anzeige des zweiten Bandes erschien mit einer alle anderen Rezensenten übertreffenden Verzögerung erst 1908.464 Zu diesem Zeitpunkt war selbst Müllers monographische Auseinandersetzung mit Barge bereits in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ von einem Kollegen besprochen worden.465 Der Bargeschen Gegenschrift nahm sich erneut Cohrs an, benötigte dafür aber wiederum mehr als zwei Jahre.466 So sehr Cohrs für den Verzug 1908 noch berufliche und sachliche Gründe namhaft gemacht hatte467, bekannte er 1911 offen seine „Schwierig457 Ebd.,
Sp. 521. Sp. 520 f.: „Von der Beichte scheint Barge nicht viel zu halten. Aber so lange es eine evangelische Volkskirche gibt, muß es jedenfalls auch irgend ein Institut geben, das dem heiligen Abendmahl, der höchsten Feier in der Christenheit, eine würdige Vorbereitung sichert.“ 459 Ebd., Sp. 520. 460 Ebd., Sp. 521. 461 Ebd., Sp. 520. 462 Ebd. 463 Ebd. 464 Cohrs, Rez. Barge 1908. 465 Bossert, Rez. Müller. 466 Cohrs, Rez. Barge 1911. 467 Cohrs, Rez. Barge 1908, Sp. 413: „Wenn ich erst jetzt dazu komme, den II. Band des Bargeschen Buches über Karlstadt anzuzeigen, so findet das seinen Grund nicht nur darin, daß 458 Ebd.,
236
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
keiten und Unschlüssigkeit, wie ich die Anzeige, zu der ich schon wiederholt die Feder angesetzt, gestalten solle“468. Die Rezension des Jahres 1905 gibt zu erkennen, wie klar Cohrs die strittigen Punkte vor Augen standen, wie sehr ihn aber die Offenheit des Diskussionsverlaufs darin behinderte, ein verbindliches Votum abzuliefern. 2.2.7. Cauers Aufsatz in der Wochenschrift „Die Nation“ – ein Plädoyer für „Gemeindefreiheit“ Im Journal des mit Naumann zu dieser Zeit politisch kooperierenden Theodor Barth, der zunächst nationalliberalen und schließlich freisinnigen Wochenschrift „Die Nation“469, die Barge im Vorjahr als Autor selbst unterstützt hatte470, erschien am 25. September 1905 ein Aufsatz des Elberfelder Gymnasiallehrers Friedrich Cauer471. Wie Barge gehörte dieser zum engeren Kreis um Naumann472. Scharf stellte der Beitrag „Staatskirche und Gemeindefreiheit“ einander gegenüber und führte die Anfänge staatlicher Übergriffe „in das Innenleben des einzelnen“473 auf die Reformationszeit zurück. Darin sei nicht erst der alte, sondern bereits der junge Luther474 eine Allianz mit der Obrigkeit gegen die „echten und ursprünglichen […] religiösen Regungen in den Massen“475 eingegangen. Barges Karlstadt-Biographie schilderte Cauer als ansprechende und ausgewogene Studie: Die „leicht faßliche und fesselnde Darstellung“, die „ungelehrte Leser“ ebenso zu erreichen vermöge wie fachlich gebildete, rühmte Cauer in stilistischer Hinsicht476, wobei er einen kritischen Grundansatz sowohl gegenüber Luther als auch Karlstadt477 bemerkte. Diplomatisch auf hohem argumentativen Niveau bewegte sich Cauers Schilderung des prinzipiellen Gegensatzes zwischen Luther und Karlstadt: Während jener gerade aus dem tiefsten individualethischen ich bald, nachdem das Buch in meine Hände gelangte, meinen Wohnort und meine Stellung wechseln und mein gegenwärtiges Amt antreten musste, das zu literarischer Beschäftigung nur wenig Zeit übrig läßt. Die Besprechung erforderte auch ganz besondere Überlegung und Zurückhaltung.“ 468 Cohrs, Rez. Barge 1911, Sp. 400. 469 Vgl. dazu oben knapp Anm. 88. 470 Barge, Verfassungsformen. 471 Zu diesem vgl. Kunze, Kalender, S. 23, Nr. 462. 472 Vgl. dazu alleine die Materialien in Naumann, Nachlaß, S. 62. 473 Cauer, Gemeindefreiheit, Sp. 824. 474 Ebd.: „Und das hat Luther nicht etwa in greisenhafter Erstarrung und Verknöcherung getan, sondern in seiner frischesten Kraft, ja, bei einer Gelegenheit, bei der sich seine persönliche Frömmigkeit in den schönsten Worten und kühnsten Taten bekundete.“ 475 Ebd. 476 Ebd. 477 S. dazu bes. ebd.: „Indem Barge diese Ueberlieferung zerstört, gerät er nicht auf den bei Rettungen nahe liegenden Abweg, nun an seinem Helden alles gut, an den Gegnern alles schlecht zu finden. Auch in seiner Darstellung erscheint Karlstadt nicht als eine Persönlichkeit, die sich an Tiefe des Erlebens und Kraft des Hinreißens mit Luther vergleichen ließe.“
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
237
„Ernst“ sozialethische Gesetzlichkeit verabscheut habe, sei dieser „schwächere[r] Natur“ gewesen, was ihn mit der „Masse der Menschen“ verband und zum praktischen Reformer des Gemeinwesens prädestinierte.478 Konfessionstypologisch unterschied Cauer zwischen dem institutionellen Gehorsam des „Katholik[en]“, einer Kirchenzucht im „orthodoxe[n] Calvinismus“ und einer in das „Leben“ weithin unvermittelten „Lehre“ des „Lutheraner[s]“, dessen Individualismus zu einer Entfremdung auch von kirchlichen Organisationsstrukturen geführt habe.479 Positiv konnotiert waren für Cauer demgegenüber die „volkstümlichen Regungen“ der Masse, die auf eine „evangelische[…] Gestaltung des kirchlichen und bürgerlichen Lebens“ zielten und legitimer Ausdruck einer „neuen Frömmigkeit“ waren.480 Die von Barge postulierte reichs‑ und landespolitische Reaktion des Jahres 1522 ordnete Cauer in universale Strukturanalogien politischen Fortschritts ein: „Das ist nicht das erste und nicht das letzte Mal gewesen, daß eine konservative Staatsgewalt, um eine revolutionäre Partei niederzuringen, einer gemäßigten Reformpartei Zugeständnisse machte. Solche mittelbaren Erfolge des Radikalismus können einen wesentlichen Fortschritt bedeuten, vielleicht einen größeren als unmittelbare, doch nur dann, wenn die Gemäßigten ihre Duldung nicht durch Preisgabe lebenskräftiger Grundgedanken erkaufen. Aber eben diese Einbuße erlitt die Reformation 1522 durch Luther.“481
Beide Interpretationsmuster illustrieren den besonderen Charakter der Ausführungen von Cauer. Weder referierte dieser sklavisch die Darlegungen von Barge, noch übertrug er blind ein parteipolitisches Programm auf die Matrix seines Bewertungsmaßstabes. Vielmehr leitete er die gebotenen Einschätzungen deduktiv aus allgemeinen Erwägungen zur gesellschaftlichen und geschichtlichen Entwicklung ab. Dieses Vorgehen ermöglichte es ihm zugleich, die gegenwärtige religionspolitische Situation mit sehr entschiedenen Empfehlungen zu bedenken. So wandte er sich gegen den „Bund von Thron und Altar“, indem er konstatierte: „der Staat hat weder Aufgabe noch Macht den Glauben zu schützen“, um sodann die Forderung einer vollen Aufgabe jedes Staatskirchentums zu einer liberalen und „freisinnig[en]“ Bringschuld zu erklären.482 Positionell trat Cauer somit für eine institutionelle Radikalisierung freikirchlicher Organisationsstrukturen ein, 478 S. dazu ebd., S. 825: „Nichts wäre verkehrter, als Luther wegen seiner Mißachtung der guten Werke Mangel an sittlichem Ernst vorzuwerfen. Ja, man kann und muß vielleicht sogar sagen: eine moralische Gesetzgebung schien Luther gerade deshalb überflüssig, weil die Betätigung der Nächstenliebe für ihn wie selbstverständlich aus der Fülle eines reichen und gütigen Herzens quoll, und die Gebote und Verbote auch des Alten Testaments hatten für Karlstadt deshalb mehr zu bedeuten, weil seine schwächere Natur dieses Haltes mehr bedurfte. Aber eben durch diese Schwäche stand Karlstadt der Masse der Menschen näher als Luther und war deshalb eher als dieser berufen, ihrer Gemeinschaft neue Ordnung zu geben.“ 479 Ebd. 480 Ebd. 481 Ebd., S. 826. 482 Ebd.
238
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
was ihn grundsätzlich mit Barge verband. In der vermittelnden Ausgewogenheit seines Beitrages, der amtskirchlich angeschlossene Lutheraner ebenso anzusprechen suchte wie konfessionskulturell distanzierte, trat er aber ungleich diplomatischer auf und illustrierte auf exemplarische Weise, in welche argumentativen Muster Barge seinen Karlstadt hätte einkleiden können, um diesen weniger konfrontativ auftreten zu lassen. Unter den kritischen Anzeigen und Rezensionen von Autoren, die Barge parteipolitisch oder persönlich nahestanden, ragt Cauers Beitrag durch die Bestimmtheit der vertretenen Positionen, den um Ausgleich bemühten Gesamtansatz und die literarische Fähigkeit heraus, die Diskussion der historischen Gegenstände in ebenso zeitlose wie zeitspezifische Fragestellungen zu überführen. 2.2.8. Gess’ Anzeige im „Neue[n …] Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde“ – handwerkliche Fehler Nicht genau zu datieren, aber in die zweite Hälfe des Jahres 1905 gehört schließlich noch die Rezension des Historikers Felician Gess, der den Eröffnungsband für das „Neue […] Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde“ besprach.483 In ihrem kritischen Urteil steht die Anzeige zwischen dem überschwänglichen Lob Kalkoffs und der vorsichtigen Zurückhaltung Cohrs’. Die Wertschätzung der Arbeit wurde unmißverständlich hervorgehoben: „Dieses Buch zählt zweifellos zum Anregendsten, was uns seit geraumer Zeit über die Anfänge der Reformation geboten worden ist.“484 Die Bedeutung wurde, wie bei Kalkoff, aus der archivalischen und bibliographischen Heuristik begründet.485 Mit Cohrs berührte sich Gess, indem er interpretative Bedenken gegenüber dem Abschnitt zur Wittenberger Bewegung erhob: „Auch wer bei der Lektüre des letzten und inhaltreichsten Kapitels […] mit dem Verfasser nicht immer Schritt zu halten, seiner Beurteilung jener Wirksamkeit nicht ohne starke Einschränkungen beizupflichten […] vermag, wird das Buch mit Dank für die viele Belehrung aus der Hand legen, es gern wieder hervorholen und seinem zweiten Teile […] mit Spannung entgegensehen.“486
Abschließend sammelte Gess eine weitaus längere Errata-Liste als alle früheren Rezensenten zusammen, in der sich auch einzelne handschriftliche Lesefehler befinden, die für die Einschätzung der Wittenberger Unruhen alles andere als unbedeutend sind, von Gess aber nicht eigens qualifiziert wurden und so eher drollig als dramatisch wirken487. 483 Gess,
Rez. Barge. S. 347. 485 Ebd., S. 348. 486 Ebd. 487 Ebd.: „Auch sagte Zwilling nicht, wie Barge liest, ‚wem die Zähne zu lang würden‘, sondern wem die Zeit zu lang würde, dürfe vor dem Abendmahl eine Suppe essen.“ 484 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
239
2.2.9. Naumanns und Paulus’ Eröffnungsrezensionen des zweiten Bandes Den erfolgreichen Stapellauf des ersten Bandes beschlossen die beiden Männer, die ihn publizistisch eröffnet hatten. Abermals war es zum einen Naumann, der dem zweiten Band in der „Hilfe“ vom 10. Dezember 1905 sein persönliches Geleit gab. Vor allem stellte er die Schwere des Karlstadtschen Lebensweges „im Dienste einer Idee“ heraus.488 Wenig überraschend, identifizierte Naumann diese mit der Idee der Freiheit.489 Im Abendmahlsstreit habe Karlstadt die religiöse Freiheit von der mittelalterlichen Tradition gesucht, die Luther dogmatisch und kirchlich fortsetzte. Sozial und politisch habe Karlstadt für eine freie Selbstbestimmung gekämpft, während Luther – in Wittenberg wie im Bauernkrieg – die überkommenen Strukturen erhielt. Nach Jahren des Leidens sei Karlstadt in der Schweiz wieder „eine Stütze der Wissenschaften“ geworden.490 In seiner letzten Konsequenz schilderte Naumann Karlstadt als den ersten Protestanten; Luther und das ihm folgende Luthertum stehen demgegenüber für das belastende Erbe des Katholizismus.491 Als Autor sei Barge damit geradezu ein Wunder gelungen: „Dr. Barge hat es verstanden, ihn [Karlstadt] literarisch von den Todten zu erwecken und seinen religiösen und sozialen Prophetismus für uns wieder lebendig zu machen.“492 Gleichermaßen schnell regierte aber auch Paulus, der den Bargeschen Abschlußband im letzten Heft des Jahres 1905 in „Der Katholik“ anzeigte.493 Er erneuerte sein positives Gesamturteil über die „bedeutsame […] Monographie“494, die für jede künftige „Beurteilung Karlstadts von grundlegender Bedeutung ist“495. Paulus würdigte, „daß B.[arge] sich nicht scheut, an Luthers Charakter
488
Naumann, Rez. Barge 1905b. ergibt sich aus dem klimaktischen Aufbau der Rezension, ebd., die von dogmatischen Differenzen zwischen Karlstadt und Luther zu politischen übergeht, diese für Wittenberg in „kleinstädtischer und kleinstaatlicher“ Hinsicht benennt, um schließlich im Vergleich zu gipfeln: „Wieviel freier sind dem gegenüber die Straßburger und besonders Zwingli und sein Kreis in Zürich“. In Zwinglis „offene Arme“ läßt Naumanns „dramatisch[e]“ Erzählung Karlstadt selbst laufen. 490 Ebd. 491 Vgl. dazu bes. ebd.: „Karlstadt hat ein tiefes Vorgefühl dafür, wie stark der Katholizismus im Luthertum nachwirken wird und aus diesem Gefühl heraus ist die Ausdauer zu erklären, mit der er sich dem Druck der siegreichen lutherischen Macht gegenüberstellt. Luther erscheint in diesem Zusammenhange als der Mann, der, selbst dem Martyrium entronnen, nun Märtyrer macht.“ 492 Ebd. 493 Paulus, Rez. Barge 1905b. Zur Datierung ist zu bemerken, daß pro Jahr zehn Hefte erschienen, die durchlaufend gezählt wurden und sich auf zwei Bände verteilten; demnach befinden sich in Band 31 die Hefte 1–5 der ersten Jahreshälfte, während Band 32 die Hefte 6–10 der zweiten Jahreshälfte umfaßt. Die zweite Rezension von Paulus wird somit spätestens im Dezember erschienen sein, möglicherweise sogar noch im November. 494 Ebd., S. 391. 495 Ebd., S. 398. 489 Dies
240
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
und Wirken rücksichtslos Kritik zu üben.“496 Vor allem aber sah er in Karlstadt das konsequente Prinzip einer innerprotestantischen Selbstzerstörung historiographisch greifbar. So sei der Abendmahlsstreit einerseits aus Luthers Intoleranz erwachsen, andererseits daraus, daß Karlstadt „[g]anz dieselben Argumente“, mit denen Luther „die katholische Lehre bekämpft“ habe, nun „gegen die lutherische Abendmahlslehre“ gerichtet habe.497 Ein eigenes Quellenstudium mit ausführlichen Exzerpten bemühte Paulus dafür, die Intoleranz von Karlstadt aufzuzeigen, deren Unterbestimmung er Barge vorhielt.498 Moderater als zum Jahresbeginn, als er sich über Barges Wissenslücken in der katholischen Kirchen‑ und Frömmigkeitspraxis beklagte499, lud er nun dazu ein, „die religiöse Literatur des späteren Mittelalters ein wenig einzusehen“500. Daß Barge „auf theologischem Gebiete […] hier und da den schärfsten Widerspruch herausfordert“, stand für Paulus Anfang und Ende des Jahres 1905 außer Frage.501 Nun aber ergänzte er, daß „[a]uch orthodoxe Protestanten“ sich insbesondere in Fragen der Christologie „verletz[t]“ fühlen müßten502 und deutete damit seinerseits die Erwartung einer innerprotestantischen Kontroverse an. 2.2.10. Zusammenfassung einer zustimmenden Aufnahme Das Jahr 1905 wurde für Barge von publizistischen Höhepunkten eröffnet und beschlossen. In den Monaten zwischen Januar und Dezember war sein erster Band liberalen, katholischen, reformierten und lutherischen, kirchen‑ sowie allgemeinhistorisch interessierten Lesern empfohlen worden. Kritik hatte sich angedeutet, aber auf Detailbeobachtungen beschränkt. Die Erwartung zumindest zweier Rezensenten galt einem künftigen Widerspruch gegen Barges Schilderung und Bewertung der Wittenberger Bewegung.
2.3. Die Polarisierung – Reaktionen nach dem Erscheinen des zweiten Teils (1906) Der Widerspruch ließ nicht lange auf sich warten, und fast alle Reaktionen des Jahres 1906 stehen in seinem Zeichen. Einzig das erwähnte Votum von Paulus, 496 Ebd.,
S. 393. dem ersten Aspekt s. ebd., S. 391 f., zu dem zweiten und den Zitaten ebd., S. 393. 498 Zu den Exzerpten aus „Ob man gemach faren […] soll“ s. ebd., S. 393 f., zu dem einschlägigen Resümee ebd., S. 394 f., bes. S. 395: „Luther und Karlstadt bekannten sich zu denselben unduldsamen Grundsätzen. Nur fehlte Karlstadt die nötige Macht, um seine Grundsätze zu verwirklichen, während sich Luther auf den weltlichen Arm stützen konnte.“ 499 S. dazu oben Anm. 420. 500 Paulus, Rez. Barge 1905b, S. 397. 501 Ebd., S. 396. 502 Ebd. 497 Zu
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
241
der nicht ohne Freude die Uneinheitlichkeit der protestantischen Forschung registrierte503, und eine Rezension des englischen Historikers Albert Frederick Pollard, die in der „English Historical Review“ vom April 1906 erschien504, ließen sich davon ausnehmen. Pollard referierte präzise die Hauptargumentation des Eröffnungsbandes und enthielt sich einer kritischen Bewertung, sollte in seinem Urteil aber Recht behalten, daß Barges Biographie auf lange Zeit zum Standardwerk werden würde505. 2.3.1. Kaweraus Anzeige in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ – der Wendepunkt Den Kampf gegen Barges Lutherbild eröffnete Gustav Kaweraus Besprechung beider Bände am 13. Januar 1906 in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“.506 Sie würdigte zunächst507 die „musterhafte[n]“, geradezu „beschämenden“ Leistungen Barges in der Materialerfassung508 und ist nicht ohne menschliches Verständnis für die Situation eines Autors geschrieben, der im Zuge seiner Arbeiten zum Ergebnis einer grundlegenden Korrektur der etablierten Forschung gelangt509. Den inhaltlichen Rahmen der Rezension steckt jedoch eine begriffliche Klammer ab, die den Ausgangs‑ und Zielpunkt von Barge gleichermaßen benennt: Aus der „Karrikatur“ Karlstadts, die Jäger 1856 vorgelegt habe510, sei nun eine „Karrikatur“ Luthers511 geworden. Inklusiv erklärte Kawerau als ein Fachvertreter der Theologie, für die er im auktorialen Plural sprach, daß „wir von der Zunft die 503
Vgl. dazu oben Anm. 422. Pollard, Rez. Barge. 505 Ebd., S. 374: „Herr Barge’s book will certainly remain long the standard biography of one of the chief figures of the German Reformation.“ 506 Kawerau, Rez. Barge. Instruktiv für das von Kawerau vor der Auseinandersetzung mit Barge vertretene Karlstadt-Bild sind die Ausführungen in dem von Kawerau redigierten Moellerschen Lehrbuch u. a. in der zweiten Auflage von 1899, Moeller, Lehrbuch, S. 56–58 u. 76–80. Der Schwerpunkt liegt in der zuletzt benannten Darstellungssequenz auf dem Abendmahlsstreit, der in dem zuerst genannten Abschnitt als der öffentliche Ausdruck des spätestens seit 1522 „heimlich“ vorbereiteten Kampfes gegen Luther interpretiert wurde. Zu Kawerau s. das anschauliche Portrait von Koch, Kawerau. 507 Den betreffenden Abschnitt könnte man bezeichnen mit Kawerau, Rez. Barge, Sp. 73–75. 508 Zum ersten Zitat s. ebd., Sp. 73: „Wie ernst es der Verf.[asser] mit seinen Vorstudien nahm, das kündigte schon […] die […] musterhafte Bibliographie der Schriften Karlstadts an.“ Das zweite Wort entstammt den Ausführungen zu Barges Weimarer Archivfunden, die „in einer für mein Empfinden geradezu beschämenden Weise [zeigen], wie viel noch für die Durchforschung auch des nächstliegenden und bekanntesten Archives unsere Reformationshistoriker nachzuholen haben.“ 509 S. dazu besonders ebd., Sp. 75: „hier zeigt sich bald, wie verhängnisvoll es für einen Autor wird, wenn bei der Arbeit die Stimmung über ihn kommt: hier gilts die bisherige Geschichtsschreibung zu korrigieren, einen unschuldig Verfolgten und Verleumdeten zu Ehren zu bringen!“ 510 Ebd., Sp. 74. 511 Ebd., Sp. 78. 504
242
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Korrekturen und Umwertungen […] nicht ungeprüft hinnehmen“512 werden: „den Luther, den er uns gezeichnet hat, können wir nicht anerkennen“513. Zur Beschreibung des Tatvorgangs prägte Kawerau die vielfach rezipierte Formel: aus der „Gerechtigkeit gegen Karlstadt“ sei bei Barge „Ungerechtigkeit gegen Luther“ geworden.514 Ein entsprechend einseitiges und unkritisches Bild habe Barge von Karlstadt gezeichnet515, das es gleichermaßen zu korrigieren gelte wie dessen Gegenstück in Luther. Mit Blick auf Karlstadt unternahm Kawerau einen ersten Vorstoß, indem er auf „etliche […] Charakterfehler“ und literarische Defizite516 hinwies, vor allem aber rückte er die Frage nach gedanklichen Abhängigkeiten von Luther in den Vordergrund seiner Rezension. Dafür bemühte er sich um zeitliche Priorisierungen Luthers gegenüber Karlstadt in der Kritik am Heiligenkult, der Abkehr von der Allegorese, einer kanonischen Bibelkritik517, der Forderung nach der landessprachlichen Messe, dem Beichtverständnis und den Sozialreformen des Jahreswechsels 1521/1522518. Zwei methodische Mängel – ein Übersetzungsfehler und eine redaktionskritisch mangelhafte Textwahl – illustrieren wissenschaftliche Defizite in Barges Begründung seiner These einer frühen Distanzierung Melanchthons von Karlstadt.519 Die bilanzierende Feststellung: „So wird auf luftigem Unterbau munter weitergebaut“, überführte Kawerau in die vernichtende Frage: „aber ist das objektive Geschichtsschreibung?“520. Die betreffende Antwort hatte er zuvor schon geliefert: Eine entsprechende Hartnäckigkeit des „Vorurteil[s]“ kennte man „sonst nur in katholischer Geschichtsbehandlung“.521 Luthers Rolle während der Jahre zwischen 1522 und 1525 thematisierte Kawerau nur summarisch als einem „Kenner Luthers“ selbstevidente „Übertreibungen“ und „groteske Mißdeutungen“ durch Barge.522 Wie selbstverständlich beschrieb Kawerau Barges Gesamtansatz be512 Ebd.,
Sp. 74. Sp. 78. 514 Ebd., Sp. 75. Strukturell vergleichbar sollte Barge selbst 1908 in einem musikwissenschaftlichen Zusammenhang argumentieren, als er (s. dazu oben Anm. 70–72) sich um einen Ausgleich zwischen Anhängern der klassisch-romantischen Formen und der Neudeutschen Schule einsetzte. UB Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main, Mus. Autogr. Barge, Hermann: „Barge, Hermann: Brief an Unbekannt [Max Kalbeck] vom 23. 5. 1908“. Bl. 2r: „Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß bei der […] Gegenüberstellung dieser Gruppen mehr als gut leidige persönliche Verstimmungen und nicht sachliche Gesichtspunkte geschichtlich wirksam gewesen sind. So schweres Unrecht die neudeutsche Richtung durch ihre Herabsetzung Brahms’ auf sich gehäuft hat, so ist auch die Gegenseite, wie mir scheint, nicht frei geblieben von Ungerechtigkeit in der Beurteilung des andren Teils.“ 515 Vgl. dazu bes. den Schlußpassus, Kawerau, Rez. Barge, Sp. 78. 516 Ebd. 517 Zu allen Punkten s. ebd., Sp. 75. 518 Sämtliche Punkte s. ebd., Sp. 76. 519 Ebd., Sp. 76 f. 520 Ebd., Sp. 77. 521 Ebd., Sp. 76. 522 Ebd., 77 f. 513 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
243
reits als „Ehrenrettung“523, nachdem sich Cohrs noch überaus vorsichtig der Formulierung angenähert hatte524. Betont beiläufig hob auch Kawerau ganz zu Beginn des Artikels hervor, daß Barge keineswegs das einzige Exemplar von Karlstadts Augustin-Kommentar gefunden habe: „(Übrigens hätte auch die Dessauer Bibliothek das als verschollen gegoltende Buch liefern können; ich entsinne mich, vor einiger Zeit bei einem Fachgenossen das Buch in einem von dort entliehenen Exemplar gesehen zu haben.)“.525 Kaweraus Anzeige markiert den größtmöglichen Kontrast zu der Rezension durch Kalkoff, erschien aber in einem ähnlich verbreiteten, fachübergreifend ausgerichteten und wöchentlich verlegten Periodikum. Weder die Massivität von Kaweraus Ausführungen, noch Zeit und Ort der Veröffentlichung konnten überboten werden, wohl aber die Ausführlichkeit der Argumentation. Zudem war es möglich, das gebotene Einordnungsmuster in kleinere literarische Formate zu überführen.526 2.3.2. Koldes Anzeige in den „Beiträge[n] zur bayerischen Kirchengeschichte“ – eine von Kawerau unabhängige Abkehr Noch im Frühjahr 1906 folgten indes einzelne Rezensionen, die erkennbar unabhängig von Kawerau entstanden waren. An erster Stelle ist die Besprechung des Bargeschen Eröffnungsbandes durch Kolde in den „Beiträge[n] zur bayerischen Kirchengeschichte“ zu nennen.527 Sie erschien am 1. April und wußte um die Verfügbarkeit des zweiten Bandes, bezog ihn jedoch nicht ein.528 Kolde legte seine vormals eigenen Pläne einer Karlstadt-Biographie offen529 und deutete seine persönliche Hochschätzung für den Verfasser530 sowie dessen „ausgezeichnete“ Materialbeschaffung an531. Im Wissen um den Briefwechsel 523 Ebd.,
Sp. 75. oben Anm. 462. 525 Kawerau, Rez. Barge, Sp. 74. Spätere Hinweise präzisierten, daß es sich um Nikolaus Müller handelte, der erklärt habe, auf das Dessauer Exemplar 1899 aufmerksam geworden zu sein; s. dazu die Reaktion von Barge, Gemeindechristentum, S. XVI mit S. XVI f., Anm. 1. 526 Ein einschlägiges Beispiel liefert die Anzeige von Walter Friedensburg im ARG, die sich im Rückblick auf das Jahr 1906 – bibliographisch ungemein schwach – auf Kawerau beschränkt, dessen Ausführungen topisch verkürzt wiederholt und darüber hinaus nur die Formulierung findet, Barge blicke „wesentlich durch Karlstadts Brille“, während die „Zeitgenossen wesentlich mit Luthers Augen“ gesehen haben; vgl. dazu Friedensburg, Rez. Barge, S. 104. Zur Datierung der Anzeige vor September 1906, also vor Clemen, Rez. Barge 1906, und Brieger, Anmerkung, aber nach Kawerau, Rez. Barge, Müller, Rez. Barge, und Kolde, Rez. Barge, vgl. die Auflistung von Brieger, Anmerkung, S. 373, deren Reihenfolge deutliche Kongruenzen zu der für Kawerau, Müller und Kolde rekonstruierten Chronologie aufweist. 527 Kolde, Rez. Barge. 528 Vgl. dazu ebd., S. 189, Anm. 1. 529 Ebd., S. 190; vgl. dazu oben Anm. 345. 530 Ebd., S. 192. 531 Ebd., S. 190; Kolde bezeichnet diesen Aspekt als die „literaturhistorische“ „Seite [des] Werk[es]“. 524 Vgl.
244
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
des Jahres 1898532 mag man es Kolde glauben, wenn er nicht weniger als viermal sein Bedauern versicherte, zunächst über das „Gesamtwerk“ und die „Gesamtauffassung“ Barges, dann über die Schlußpartien und zuletzt das „geringe […] Verständnis“ des Autors für „Luthers Bedeutung und das Wesen seiner Reformation“ enttäuscht gewesen zu sein533. Kolde konstatierte, Cohrs vergleichbar, daß Barge unwillentlich eine „Ehrenrettung“ unternommen habe534. Auch für Kolde war Karlstadt in der Biographie überschätzt worden, was er an Kleinigkeiten, wie den frühen administrativen Bezügen zu Orlamünde, festmachte.535 Seinen Zorn fand hingegen die Bereitschaft von Barge, Lücken im Quellenmaterial zu Karlstadts innerer Entwicklung durch Konjekturen zu überbrücken.536 Was für Barge selbst ein positives Ideal und gebotenes Mittel der historischen Kritik war537, lehnte Kolde als „unbewußte“ Idealisierung und „haltlose Vermutungen“ einer Analyse „auf psychologischem Wege“ ab538. Eine kleine Liste von Einzelbeobachtungen gilt Punkten, in denen Barge die Priorität und Originalität Luthers gegenüber Karlstadt nicht erkannt habe.539 Wichtiger für Kolde war es, den Grund des Zerwürfnisses zu bestimmen und gegenüber Barge früher und einseitiger auf Lasten Karlstadts in den Ausführungen von „De canonicis scripturis“ zu identifizieren.540 Als völlig überschätzt sah er auch Karlstadts Einfluß auf die Wittenberger Bewegung an, deren Relevanz er ohnehin nur auf lokaler oder regionaler Ebene anzuerkennen bereit war.541 Eine bemerkenswerte Sensibilität, wenn nicht gar eine besondere persönliche Kenntnis, verrät sich darin, daß Kolde der einzige Rezensent war, der Barge in der zurückhaltendsten Weise in Verbindung mit Keller brachte. Deutliche Kritik übte Kolde an dem von Barge postulierten: „‚Typus volkstümlicher Frömmigkeit‘“ eines „‚laienchristlichen Puritanismus‘.“542 Die Formulierung an sich lehnte Kolde als Anachronismus ab und gab der Sorge Ausdruck, daß dieses „sehr bequeme Schlagwort […] dieselbe Verwirrung anrichten [werde] wie L.[udwig] Kellers ‚altevangelische Gemeinden‘.“543 Für seine eigenen Arbeiten kündigte Kolde abschließend an: „Vielleicht finde ich Zeit und Gelegenheit, das Kapitel ‚Karlstadt und Luther‘, das mehr als je der Neubearbeitung bedarf, anderswo im Zusammenhang zu behandeln.“544 Das „Kapitel“ blieb ungeschrieben. So wie 532 Vgl.
dazu oben Anm. 339. dem vierfachen Bezug s. Kolde, Rez. Barge, S. 190–192. 534 Ebd., S. 190; für Cohrs s. oben Anm. 462. 535 Ebd., S. 190. 536 Ebd., S. 190 f. 537 Vgl. für Barges Wertschätzung der Konjektur oben Anm. 191. 538 Kolde, Rez. Barge, S. 190. 539 Ebd., S. 191. 540 Ebd. 541 Ebd., S. 192. 542 Ebd., S. 191 f. 543 Ebd., S. 192. 544 Ebd. 533 Zu
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
245
Barge Koldes Biographie zuvorgekommen war, sollte sich bald darauf Müller dieses Themas unter veränderter Perspektive annehmen. 2.3.3. Köhlers Beitrag in der „Christliche[n] Welt“ – der Beginn einer jahrelangen Berichterstattung Zuvor meldete sich noch ein weiterer Referent zu Wort, der die gesamte Debatte über Jahre begleiten sollte und schon 1900 wenig beachtete Karlstadt-Studien vorgelegt hatte, indem er für das Jahr 1518 literarische Abhängigkeiten Luthers von Karlstadts 380 Thesen herausgeabeitet hatte545. Walther Köhler, gleichalt mit Barge und zu diesem Zeitpunkt Gießener Extraordinarius546, rückte am 3. April eine literarisch glänzende Miniatur zu Barges beiden Bänden in „Die Christliche Welt“ ein.547 Köhler wählte einen deduktiven Zugang und schritt von allgemeinen Zeitphänomenen zum besonderen Gegenstand seiner Anzeige voran. Einleitend diagnostizierte er – früher Schüler und späterer Biograph von Troeltsch – eine „moderne […] Relativierungsstimmung“. Das „Seziermesser der historischen Kritik“ und der „scharfen psychologischen Analyse“ richte sich zunehmend gegen die „Heroen der Nation“, während „die dii minores […] hochsteigen und in ihrer Berechtigung als Ergänzungen und Ausfüllungen gewisser Lücken der ‚Großen‘ gewürdigt werden. Wir reden dann von ‚Ehrenrettungen‘.“ Daß Barge eben eine Ehrenrettung vollzogen habe, stand für Köhler außer Frage; in den gerade einmal fünf Absätzen seiner knappen Spalte bietet er den Begriff viermal. Dieses Element verbindet ihn mit Kawerau, an dessen Urteil auch die dichte Formulierung von Köhlers Hauptkritik erinnert: „Barge hat seine Ehrenrettung […] erzielt nur auf Kosten einer Ungerechtigkeit gegen Luther und einer Ueberschätzung Karlstadts.“ In drei signifikanten Punkten unterscheidet sich Köhler von Kawerau und dem Gros der anderen Rezensenten. Zum einen würdigte er nicht nur die historiographischen Leistungen Barges, er erkannte oder wußte auch sehr genau um dessen politisches Profil. Höflich wies er an der Gesamtdarstellung einen zeitgeschichtlichen Anteil aus.548 Festgemacht wird dies besonders an einem Passus: „einer der glänzendsten Abschnitte ist die Darstellung der Wirkung Karlstadtscher Ideen in den verschiedensten Volksbewegungen.“ Köhler umschreibt damit nichts Geringeres als die Wittenberger Bewegung, in der Karlstadt nach Barge ein „‚Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus‘, 545 Köhler, Kirchengeschichte, S. 358–361. An diese Arbeiten sollte erst Bubenheimer gut sieben Jahrzehnte später anschließen: Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 91 f., Anm. 87; S. 154, Anm. 305. 546 Nicht nur zu den gebotenen Daten s. das mustergültige lexikalische Portrait von Goeters, Art. Köhler, hier: S. 288. 547 Köhler, Rez. Barge. Der Beitrag umfaßt eine knappe Spalte, ebd., Sp. 331; die oben gebotenen, nicht eigens ausgewiesenen Zitate beziehen sich im folgenden Abschnitt darauf. 548 Ebd.: „der Verfasser bemüht sich sichtlich und mit bestem Erfolge um die Erweiterung der Biographie zur Zeitgeschichte“.
246
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
moderner ausgedrückt so eine Art National=Sozialer der Reformationszeit“549 gewesen sei. Der zweite Punkt, der Köhlers Votum von den übrigen abhebt, ist die Bereitschaft zu einer kritischen Auseinandersetzung nicht nur mit Barge als Biographen, sondern auch und in der Kurzanzeige vor allem mit Karlstadt als Theologen. Unverkennbar erneuerte Köhler die Argumentationslinie von Luthers „Wider die himmlischen Propheten“, die Karlstadt auf die Seite des Gesetzes verwies. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wiederholte Köhler nicht, stellte aber die „sektiererische […] Gesetzlichkeit“ Karlstadts heraus, „der gegenüber die Luthersche innere Freiheit religiös und ethisch viel höher steht.“ Da auch Köhler die theologischen Abhängigkeiten Karlstadts von Luther betonte, mußte er umso deutlicher die Unterschiede in der Gesamtposition erklären. Er benannte diese in der stimmigen Ausgeglichenheit von Luthers Theologie gegenüber der maßlosen Steigerung einzelner Gedanken bei Karlstadt, dem Einfluß der Mystik, der bei Karlstadt von einer weltverneinenden Grundauffassung zu einer „durchaus negative[n] Ethik“ geführt habe, und dem „wichtig[en]“, noch nicht ausreichend rekonstruierten Einfluß des erasmianischen Humanismus auf Karlstadt.550 Die sich andeutenden Forschungsinteressen von Köhler führen zu dem dritten Punkt, der dessen Eigenständigkeit markiert: Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt plante er eine literarische Fortsetzung seiner Beschäftigung mit Barge und Karlstadt: „Den Einzelnachweis habe ich an anderer Stelle zu erbringen“. Wahrscheinlich dachte Köhler schon in diesem Zusammenhang an die „Göttingische[n] gelehrte[n] Anzeigen“, deren „Anzeige der schon 1905 erschienen Karlstadt-Biographie“ er bereits 1906 übernommen hatte551 und mit seinen eigenen Worten: „erst jetzt“, 1912, in Gestalt eines als solchen nicht ausgewiesenen Forschungsberichts vorlegte.552 Der Beitrag stellt die bislang umfassendste Würdigung der Karlstadt-LutherKontroverse dar, konzentriert sich aber auf die Auseinandersetzung zwischen Müller und Barge, deren jeweilige Positionen anhand der von Müller 1907 gebildeten Sachkomplexe quellenbezogen referiert werden, bevor sich Köhler um eigene Einschätzungen und abschließende Urteile bemüht.553 Der Rückblick 549 Wie wichtig Köhler diese Entdeckung war, belegt auch die im späteren Verlauf des Jahres 1906 erschienene Kurzanzeige Köhler, Jahresbericht 1905, S. 639: „Und wenn B.[arge] seinen Helden ein wenig als den National-Sozialen der Reformationszeit charakterisiert, so verdient ja gewiß K.[arlstadt] als Vorkämpfer des Laienchristentums gegenüber der obrigkeitlichen Pastorenkirche volle Sympathie“. 550 Köhler, Rez. Barge. 551 Vgl. dazu den 1906 gedruckten Hinweis von Köhler, Jahresbericht 1905, S. 639: „Ref.[e rent] wird in GGA. Gelegenheit haben, sich mit B.[arge] auseinanderzusetzen, weist hier nur nachdrücklich auf das anregende und fesselnde Buch hin.“ 552 Köhler, Karlstadt, S. 505. 553 Vgl. dazu die Gliederung von Köhler, Karlstadt, mit Müller, Luther. Sachlich angemessen ist dieses – nicht ausdrücklich benannte – Vorgehen von Köhler für eine Konzentration auf Müller und Barge alleine deshalb, weil Barge, Gemeindechristentum, die Gliederungsstruktur von Müller aufgriff.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
247
des Jahres 1912 ist von Unabhängigkeit gekennzeichnet, verteilt die Gewichte von Zustimmung und Ablehnung im einzelnen sehr unterschiedlich, kommt mit Blick auf Karlstadt aber auf vergleichbare Ergebnisse wie die Kurzanzeige von 1906554. Tatsächlich hatte Köhler die Debatte während der Zwischenjahre so aufmerksam verfolgt wie kaum ein anderer. Jahr für Jahr berichtete er als reformationsgeschichtlicher Referent im „Theologische[n …] Jahresbericht“555 und rief dort schon 1906 die beiden Bargebände zur Pflichtlektüre eines „jede[n …] Reformationshistoriker[s]“556 aus. Zu diesem Zeitpunkt stand er nicht mehr allein unter dem Eindruck Kaweraus, sondern auch dem Müllers557. 2.3.4. Müllers Rezension in der „Historische[n] Zeitschrift“ – die Intensivierung der Kritik Das Erscheinungsdatum von Karl Müllers Barge-Rezension in der „Historische[n] Zeitschrift“558 läßt sich nur indirekt erschießen. Da Müller bereits bei der Drucklegung Wert darauf legte, den Text „im September v.[origen] J.[ahres] geschrieben“ zu haben, „also lange ehe ich von der [… Anzeige] Kaweraus etwas wußte“559, ergibt sich als terminus post quem Mitte Januar, wobei Köhlers Beitrag zur „Christliche[n] Welt“ von Anfang April keine Hinweise auf eine Kenntnis Müllers bietet. Briegers am 28. September 1906 ausgegangene Reaktion bezieht sich wiederum auf Kawerau und Müller560, weshalb eine Drucklegung zwischen März und September möglich ist. Da der Beitrag im letzten Drittel der Zeitschrift steht, das nicht eigens als Heft ausgewiesen wird, aber einheitliche Rubriken aufweist, ist ein Erscheinen ab Anfang September wahrscheinlich. Müllers Besprechung schließt werkgeschichtlich an dessen ersten monographischen Vorstoß in den Bereich der Reformationsgeschichte an561. 1902 hatte er den betreffenden Teilband seiner Kirchengeschichte vorgelegt562 und sich seit 1897 in die Quellen des 16. Jahrhunderts ebenso gründlich eingearbeitet, wie er es zuvor 554 Vgl. dafür besonders den Schlußpassus, Köhler, Karlstadt, S. 541–550, mit den Hauptlinien von Köhler, Rez. Barge, und Köhler, Jahresbericht 1905, S. 639. 555 Köhler, Jahresbericht 1905; ders., Jahresbericht 1907; ders., Jahresbericht 1908; ders., Jahresbericht 1909; ders. /Clemen, Jahresbericht 1911. 556 Köhler, Jahresbericht 1905, S. 638. 557 Vgl. dazu ebd., S. 639: „Nicht wenige Versehen (vgl. Müller und Kawerau) sind B.[arge] hier begegnet.“ 558 Müller, Rez. Barge. 559 Ebd., S. 472, Anm. 1. 560 Brieger, Anmerkung, S. 373. Gleiches gilt unter demselben Datum für Clemen, Rez. Barge 1906, S. 371. 561 Ablesen läßt sich dies an dem wissenschaftlichen Veröffentlichungsprofil von Müller, auf das dessen „Selbstdarstellung“ eingeht, Müller, Arbeit, bes. S. 20 f., 23–26; vgl. zudem das Urteil seines Schülers Dörries, der für das Jahr 1906 festhält, Dörries, Müller, S. 427: „Karl Müller galt damals vornehmlich als Mediävist.“ 562 Müller, Kirchengeschichte.
248
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
für seine Studien zum Mittelalter unternommen hatte563. Seit 1891 hatten sich im Rahmen der Breslauer Lehrtätigkeit zuvor nur punktuelle Beschäftigungen mit Luther ergeben, die von dessen frühen Predigten ausgingen und nur in drei Aufsätzen literarisch ausgearbeitet und weitergeführt worden waren.564 Aus dieser materialen Kenntnis und der eingehenden Auseinandersetzung mit den reformationsgeschichtlichen Hauptfragen erwuchs Müllers ausführliche Kritik an Barges Biographie. Müller selbst faßte den Vorgang im autobiographischen Rückblick zusammen: „Dazwischen hinein mußte ich zweimal zu großen Fragen der Reformationszeit Stellung nehmen. Eine Anzeige, die ich von Barges Karlstadt gemacht hatte, wuchs schließlich zu einem eigenen Buch aus ‚Luther und Karlstadt‘ 1907 […]. Ich suchte darin den Gegensatz zwischen den beiden ehemaligen Freunden Schritt für Schritt gegen Barges Aufstellungen herauszuarbeiten und in seiner Entwicklung zu verfolgen. […] Die zweite Arbeit, die mit der ersten in einem gewissen inneren Zusammenhang steht ‚Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther‘ ([…] 1910) war veranlaßt durch Rades Bitte, zu dem Gegensatz, der kurz zuvor zwischen Drews und Hermelink über diesen Punkt hervorgetreten war, in der ‚Christlichen Welt‘ Stellung zu nehmen. Ich tat es, arbeitete dann aber den Aufsatz zu einer eigenen Schrift aus, in der ich mich zugleich mit Barges neuer Polemik auseinandersetzte.“565
Aufschlußreich ist, daß Müller seinen zweifachen monographischen Vorstoß in reformationsgeschichtliche Forschungskontroversen sehr präzise aus zwei kleineren Gelegenheitsschriften566 erklärt. Am Anfang stand die Rezension von 563 Die Einschätzung korrespondiert nicht nur dem materialgesättigten Darstellungsstil von Müller; sie berührt sich auch mit dessen autobiographischem Selbstzeugnis, das über die Jahre zwischen 1897 und 1902 erklärt, Müller, Arbeit, S. 24 f.; S. 25: „Sonst aber wandte sich meine Arbeit fast ganz der Reformationsgeschichte zu.“ 564 „Ausgangspunkt“ war die Vorlesung „Konfessionskunde“, vgl. dazu ebd., S. 25: „Schon durch die Vorlesung über Konfessionskunde war ich tiefer in Luther hineingekommen. Als Ausgangspunkt nahm ich, da die Römerbriefvorlesung damals noch nicht bekannt war, die Predigten der ersten Jahre.“ Erst daraus dürfte sich eine eigene Vorlesung über Luther ergeben haben, von der Müller, ebd., S. 22, berichtet: „Die Vorlesungen stellten mir in Breslau neue Aufgaben. […] Jetzt wurde […] auch die Konfessionskunde für mich frei, und dazu las ich nun auch über Luther. […] Die [Vorlesung] über Luther gab ich später in Tübingen auf, als Scheel in seine Lutherstudien eintrat.“ Zu reformationsgeschichtlichen Veröffentlichungen vor 1905 s. nur die drei von Müller selbst bibliographierten und allein Luther geltenden Beiträge, ebd., S. 346, Kap. VI., Nr. 1–3. 565 Müller, Arbeit, S. 34. Zwischen den beiden Monographien nennt Müller, ebd., als einen „Nachtrag“ zu Müller, Luther, seinen „Beitrag zu der Festschrift für Th.[eodor] Brieger 1912“. In der Zuordnung irrt Müller; der Beitrag Müller, Briefwechsel, ist ein Nachtrag zu Müller, Kirche. 566 Diese äußerliche Veranlassung tritt in der lebens‑ und werkgeschichtlichen Miniatur von Rückert über Gebühr zurück, Rückert, Müller, S. 382: „Das Buch über Luther und Karlstadt brachte nicht nur der das Lutherbild verzerrenden Karlstadt-Biographie H. Barges die verdiente Abfuhr, sondern klärte auch eine ganze Reihe schwieriger Fragen aus den Anfängen der Wittenberger Reformation.“ Der weitere Beitrag von Rückert, Kirchenhistoriker, bietet keinen eigenen Bezug auf die Kontroverse. Dörries, Müller, S. 430, faßt den Vorgang „als Beispiel einer
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
249
Barges Eröffnungsband567, die mit zehn Seiten die früheren Voten an Ausführlichkeit und Differenziertheit der Argumentation übertraf. Ein Drittel der Anzeige gilt einem aufmerksamen Referat von Barges Ausführungen zu den Jahren 1517 bis 1522, für die Müller die wesentlichen Bewertungen und Beweisführungen in sachlicher Nüchternheit und mit großer Sensibilität benennt.568 Die verbleibenden zwei Drittel des Textes gelten der Kritik. Eingerahmt wird diese zu der einen Seite von dem thetischen Wendepunkt des Textes: „Aber ich glaube, daß B.[arge] seines Helden Selbständigkeit und Originalität außerordentlich überschätzt, seine Abhängigkeit von Luther in den theoretischen Ausführungen wie in seinem praktischen Vorgehen unterschätzt und Luthers Verhalten im März 1522 völlig verzeichnet.“569
Zu der anderen Seite vervollständigen die beiden Schlußfragen das inhaltliche Proprium der Kritik: „Ist es denn nötig, daß, so wie man früher Karlstadt Luther zu Ehren viel zu schlecht gemacht hat, nun Luther um Karlstadts willen alles Mögliche angehängt werde? Kann man nicht auch einfach beiden gerecht werden?“570 Der Skopos des Textes stimmt bis zu einzelnen Formulierungen mit Kawerau überein, was Müller uneingeschränkt zugibt, um die Eigenständigkeit der beiden Voten ebenso deutlich zu betonen.571 Erklärungsbedürftig mag die literarische und kritische Nähe der beiden Rezensionen auch aufgrund der beruflichen Beziehungen zwischen Müller und Kawerau bleiben, die knapp zehn Jahre direkte Fakultätskollegen in Breslau gewesen waren.572 Müllers späteres autobiographisches Zeugnis schildert das Verhältnis zu Kawerau jedoch kurz und amtlich, während die fachliche und freundschaftliche Bedeutung von William Wrede die Ausführungen zur Breslauer Zeit bestimmen.573 So naheliegend eine Annahme zumindest redaktioneller Eingriffe in die abschließende Textgestalt sein mag, bleiben Müllers Erklärungen zur unabhängigen Entstehung der beiden Rezensionen auch vor diesem persönlichen Hintergrund überzeugend. ‚positiven Polemik‘“ auf, was sachlich angemessen ist, aber den werkgenetischen Charakter der zunächst anlaßgebenden Literaturkritik ebenfalls nicht berücksichtigt. 567 Müller, Rez. Barge, S. 471, Anm. 1, erklärt, zwischenzeitlich sei der zweite Band erschienen. Dies ist zeitlich stimmig mit der ebd., S. 472, Anm. 1, gebotenen Datierung der Rezension in den September 1905. 568 Das Referat bieten ebd., S. 471–474; für die kritische Erörterung s. ebd., S. 474–481. 569 Ebd., S. 474. 570 Ebd., S. 481. 571 Vgl. dazu ebd., S. 472, Anm. 1: „Wenn sie [Kaweraus Rezension] also im großen Ganzen wie in vielen Einzelheiten des Widerspruchs mit der meinigen übereinstimmt, so ist dabei jeder von uns selbständig seinen Weg gegangen.“ 572 Kawerau trat 1894 in die Fakultät ein, in der Müller seit 1891 gewirkt hatte, bevor sich 1903 dessen Wechsel nach Tübingen ergab. Zu dem genauen Datum von Kaweraus Umzug nach Breslau s. das eingehende Portrait von Schian, Kawerau, hier: S. 267 (DBA, T. 2, Fichenr. 688, S. 223–232; hier: 223); zu Müller vgl. nur Werbeck, Art. Müller, S. 400. 573 Vgl. dazu Müller, Arbeit, S. 22: „Für mein Arbeitsgebiet war mir [in Breslau] der Eintritt von Kawerau 1894 wertvoll“, mit den Ausführungen zu Wrede, ebd., S. 22 f.
250
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Unterschiede in den gebotenen Ausführungen unterstützen diese Einschätzung. Zwar eröffnete Müller – wie vor ihm Kawerau – seine thematische Auseinandersetzung mit Hinweisen auf Luthers Priorität in der Heiligenkritik und der Bibelautorität574, doch gründet diese Reihenfolge in der Chronologie der Ereignisse nach Barges Darstellung. Natürlich dringt auch Müller auf eine zeitliche und sachliche Priorisierung575 Luthers vor Karlstadt, was sich aber gleichermaßen als naheliegende Reaktion auf Barge erklären ließe. In vier Punkten verdichtet sich die Linienführung seiner Argumentation zu einer charakteristischen Handschrift: Zum einen aktualisiert Müller das Schema von Theorie576 und Praxis, um das Verhältnis von Luther und Karlstadt zu bestimmen: Luther gehe „in fast allen Punkten“ und „wohl nur mit Ausnahme der Bilderfrage“577 voran, während es „immer ein Ruhm Karlstadts bleiben [werde], daß er die Gedanken Luthers erweitert und zuerst praktisch angefaßt hat“578. Dieser positiven Deutung von Karlstadts Beitrag zur Wittenberger Bewegung korrespondiert, zweitens, eine entsprechend begründete Abwertung des von Barge betonten laienchristlichen Elements: „Was von ihrer Seite [der „Wittenberger Laienbewegung“] geschieht, geht alles zuletzt auf Luthers beide Schriften von 1520 zurück. Und daß man seit der Scheide der beiden Jahre 1521/22 Luthers Gedanken praktisch durchzuführen beginnt, ist offenbar eben Karlstadts Einfluß auf den Rat, nicht der zwingenden Haltung der Gemeinde zu danken.“579
Müllers drittes Spezifikum betrifft den Punkt, in dem Luther bei aller Würdigung der inhaltlichen Kontinuitäten zu Karlstadt und der Wittenberger Bewegung zu deren Korrektiv habe werden müssen: Was Luther noch „unmittelbarere[r …], lebensvollere[r …] Gedanke“ war, sei durch Karlstadt „schulmäßig, theoretisch verkümmert und statuarisch umgebildet“ worden580. In ihrer letzten Konsequenz bricht damit nicht nur die einzige Leistung in sich zusammen,
574 Vgl. dazu Müller, Rez. Barge, S. 475, mit den oben in Anm. 517 zu Kawerau gebotenen Hinweisen. 575 Besonders deutlich vgl. diese beiden Aspekte in der vorgetragenen Frühdatierung von „Luthers spätere[n] Gedanken über Gesetz und Evangelium“ in das Jahr 1517, die Müller, ebd., S. 475, „für lebens= und religiös wertvoller“ erklärt. 576 Vgl. dazu ebd., S. 479, zu Luthers früher Meßtheologie: „Die Stelle […] ist also rein theoretisch.“ S. zudem die Betonung des konzeptionellen Strukturierens vor der ausführenden Tat in ebd., S. 480: „Diesem Zweck, die künftige Reform durch die Obrigkeit vorzubereiten, […] soll auch diese Schrift dienen.“ 577 Ebd., S. 476. 578 Ebd., S. 477. 579 Ebd., S. 478. Als Quellenbeleg wichtig ist die Korrektur des Schreibens CR, Bd. 1, Sp. 552 f., Nr. 196 („Des Raths zu Wittenberg Antwort“) zu MBW, Bd. T 1, S. 449 f., Nr. 212 („Die Vertreter der Universität Wittenberg […] an die kurfürstlichen Räte“), die durch Müllers Schüler Albert Freitag vorbereitet worden war; vgl. dazu Müller, Rez. Barge, S. 478 mit Anm. 1. 580 Ebd., S. 476.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
251
die Karlstadt konzediert worden war: die praktische Tat.581 Auch beschränkte sich Müller nicht darauf, Karlstadts theologisches Profil unter dem klassischen Hinweis auf dessen Gesetzlichkeit auszudeuten. Vor allem fand er ein überraschendes theologiegeschichtliches Einordnungsmuster, indem er Karlstadt jenen Platz einräumte, der üblicherweise Melanchthon vorbehalten war: den des reformatorischen Ahnherrn der späteren Orthodoxie.582 Demgegenüber wurde Luther, viertens, als der Garant einer ungebrochenen Prinzipien‑ und Positionstreue geschildert. Thematisch machte Müller dies an den von Barge betonten Sozialreformen fest583, in denen Karlstadt nur frühere Forderungen Luthers umgesetzt habe, an der Meßfrage, die Barge aufgrund verschiedener Wissens-584 und Verständnisfehler585 verzeichnet habe, und am Verhältnis zur Obrigkeit, für das sich 1522 keine Veränderung ausmachen ließe586. Die Stärke von Müllers Reaktion mochte in dieser Verbindung dreier Einzelschritte liegen: Zunächst hatte sie den zentralen Argumentationsgang von Barge akribisch rekonstruiert, dann produktiv mit griffigen Gegenthesen beantwortet und schließlich an exemplarischer Textarbeit illustriert. 2.3.5. Frühe Reaktionen auf Kawerau und Müller – Schmidts Rezension und die Folgeanzeigen von Gess und Clemen Der Beitrag verfehlte seine Wirkung nicht. Von den fünf weiteren Voten des Jahres 1906 bezogen sich auf Kawerau und Müller drei, allein auf Kawerau eine erkennbar und eine weitere ausdrücklich. Letztere erschien 1906 in den „Mitteilungen aus der historischen Literatur“, für die Barge seit 1898 selbst als Rezensent wirkte. Die Anzeige besprach, wie die Kaweraus, beide Bände im Zusammenhang.587 Dessen Kritik wurde erwähnt, marginalisiert588 und hinter die „hervorragende[n] Leistung, durch die Verf.[asser] sich ein großes Verdienst 581 Mit Blick auf die Wittenberger Bewegung verweist Müller nur sehr beiläufig auf Luthers größere Realitätsnähe und seinen stärker ausgeprägten Sinn für das Praktische, ebd., S. 478: „Ich sehe davon ab, daß m. E. Luther die Lage viel richtiger erkannt und Karlstadt die unermeßlichen Erschütterungen, die der Aufhebung der Messe folgen mußten, gar nicht vollkommen übersehen hat.“ 582 Müller erprobt diesen Gedanken im Zusammenhang der Diskussion um Karlstadts Kanonverständnis; aufgrund dessen legalistisch formaler und nicht soteriologisch inhaltlicher Begründung müsse, ebd., S. 475: „Karlstadt […] als der Schöpfer der orthodoxen, gesetzlich abgeschlossenen Lehre vom Kanon und seiner Geltung angesehen werden.“ Im Anschluß an Barge erklärt Müller, ebd., S. 476: „Karlstadts Art sei logischer, spekulativer.“ 583 Vgl. dazu bes. ebd., S. 477. 584 Ebd., S. 473, Anm. 1. 585 Ebd., S. 479 f. 586 Ebd., S. 480 f. 587 Schmidt, Rez. Barge 1906. 588 Ebd., S. 299: „Er [Barge] hat Karlstadt gerecht zu werden gesucht, wobei freilich mehrfach nicht ausbleiben konnte, daß Luther und Melanchthon wohl hier und da nicht ganz gerecht beurteilt wurden“.
252
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
um die Geschichte der Reformationszeit erworben hat“589, zurückgestellt. An die Stelle einer kritischen Auseinandersetzung trat eine detaillierte inhaltliche Paraphrase der Biographie.590 Der Autor „R. Schmidt“ mit der pommerschen Ortsangabe „Köslin“ läßt sich nicht eindeutig identifizieren, doch ist auffällig, daß bereits Barges Dissertation 1895 im gleichen Periodikum von einem „R. Schmidt“ aus dem etwa siebzig Kilometer westlich gelegenen „Treptow“ an der Rega wohlwollend aufgenommen wurde.591 Nicht auszuschließen ist, daß persönliche oder fachliche Verbindungen zu Barge bei beiden Anzeigen eine gewisse Rolle gespielt haben. Ebenfalls noch keinen Bezug auf Müller nahm der Rezensent Gess, der seine Anzeige des Abschlußbandes wiederum592 dem „Neue[n …] Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde“ lieferte. Gess schloß sich erkennbar Kawerau mit dem im Vorjahr noch nicht gebotenen Urteil an, daß die Gerechtigkeit gegen Karlstadt Barge zur Ungerechtigkeit gegen Luther verleitet habe: „diesen Eindruck dürfte jeder ruhige Leser bei der Lektüre des fesselnden Buches gewinnen.“593 Zudem führte er weitere Errata auf, die nun auch handschriftliche Lesefehler herausstellten.594 Clemens knappe Folgeanzeige595 in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ ist zu einem Drittel Forschungsbericht und interpretiert die Reaktionen von Kawerau, Müller und Köhler rückwirkend als Bestätigung der eigenen „naheliegende[n] Erwartung“596 eines Widerspruchs. Für den bleibenden Wert des Eröffnungsbandes und der kontroversen Ausführungen zur Wittenberger Bewegung brach Clemen dennoch eine weitere Lanze.597 Auch er erklärte – wie zuvor Egli und Köhler – das Werk im ganzen zur reformationsgeschichtlichen Pflichtlektüre und kündigte eine „noch lange“ Nachwirkung an.598 Die eigentliche Anzeige des zweiten Bandes beschränkt sich auf eine knappe Übersicht der Hauptkapitel und angehängten Exkurse. Durch Hinweise auf die jeweils neu erschlossenen Materialien betonte Clemen die grundlegende Bedeutung der betreffenden Ausführungen. Zudem flocht er an einer einzigen Stelle sachliche Kritik ein, die man zweifelsohne als diejenigen Punkte interpretieren darf, an denen Clemen – wie im Vorjahr – den wesentlichen Einspruch erwartete. Mit Blick auf den zweiten Band vermutete er demnach, daß Barge für seine These einer eigenständigen Gestalt der 589 Ebd. 590 So
ließe sich zusammenfassen: ebd., S. 299–307. dazu ebd., S. 307, mit Schmidt, Rez. Barge 1895, S. 75. 592 Vgl. dazu oben Anm. 483. 593 Gess, Rez. Barge 1906, S. 365. 594 Ebd., S. 366. 595 Vgl. dazu oben Anm. 432. 596 Clemen, Rez. Barge 1906. 597 Ebd., S. 372: „Trotzdem erscheint mir jener Schlußabschnitt des I. Bandes nach wie vor als ein durch Selbständigkeit in Kombination und Interpretation der Quellen und Konstruktion neuer Zusammenhänge ausgezeichneter und weitere Forschungen hoffentlich fördernd anregender Erklärungsversuch von Luthers Intentionen und Vorgehen.“ 598 Ebd. Zu Egli s. oben Anm. 425, zu Köhler Anm. 556. 591 Vgl.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
253
Karlstadtschen Mystik auf deren mittelalterliche Kontinuitäten und mangelnde Kenntnisse der einschlägigen Forschung hingewiesen werden würde.599 Er sollte Recht behalten. Mit Clemens eigenen Worten muß man aber von einer „naheliegende[n] Erwartung“600 sprechen, die mehr einen Wissenschaftler als einen Propheten auswies. An der zentralen Stelle des zweiten Bandes, die den Typus von Karlstadts Mystik – einem eigenen Frömmigkeitstypus vergleichbar – von der katholischen Tradition abhob, berief sich Barge in seiner Charakterisierung der mittelalterlichen Spezifika auf Müller.601 Zugleich beschränkte er seine Diskussion literarischer oder inhaltlicher Abhängigkeiten Karlstadts von früheren Mystikern auf eine knappe, weithin thetische Anmerkung.602 Die „Erwartung“ eines Widerspruchs lag somit auf der Hand; und die Annahme, daß dieser durch Müller erfolgen würde, drängte sich nach Barges Literaturreferenz und Müllers erster Reaktion geradezu auf. Wie deutlich bei Clemen aber der wissenschaftliche Anteil den prophetischen überwog, zeigte der weitere Diskussionsverlauf auf, in dem die Frage nach Karlstadts Mystik nur einen Nebenkrater markieren sollte. 2.3.6. Briegers Protest in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ – Verschärfung der Debatte Zunächst einmal fühlte sich der Herausgeber der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“, Theodor Brieger, zum heftigsten Protest aufgerufen. Im unmittelbaren Anschluß an Clemens zweite Rezension rückte er eine deren Umfang leicht übersteigende „Anmerkung“603 ein. Briegers ganzer Zorn richtete sich gegen Barge, dessen „verfehlte[s]“ Karlstadt-Bild er einer Klärung unterziehen wollte. Brieger beschränkte sich darauf, die Grundzüge der nötigen Korrekturen thetisch vorzutragen. Dies geschah in einer Vehemenz, die sich gut mit den Worten umschreiben ließe, die Brieger zu Luthers Vorgehen gegen Karlstadt wählte und die für Briegers Abgrenzung von Barge ein vielleicht nicht geringes Identifikationspotential boten:
599 Clemen, Rez. Barge 1906, S. 372: Karlstadts „mystische […] Gedankenwelt […] hätte doch vielleicht mit den zwei Hauptströmungen der spätmittelalterlichen Mystik, der thomistisch-intellektualistisch-ekstatischen und der nomistisch-quietistischen etwas ausführlicher verglichen werden müssen. S. 74 spricht B.[arge] vielleicht etwas zu zuversichtlich von dem ‚Fehlen eines kontinuierlichen Zusammenhangs von Karlstadts Anschauungen mit der Mystik des Mittelalters‘ und der ‚selbständigen Logik seines Gedankenbaues‘. Ob diese Behauptung einer genauen Prüfung standhält? Wenn K.[arlstadt] auch wirklich nur die deutsche Theologie und ‚wohl höchstens noch einige Schriften Taulers‘ gelesen hat – er scheint der Vergangenheit hier mehr zu verdanken, als B.[arge] annehmen möchte.“ 600 Vgl. dazu oben Anm. 596. 601 S. dazu Barge, Karlstadt, T. 2, S. 75, Anm. 164. 602 Ebd., Anm. 165. 603 Zu diesem gattungstheoretischen Selbstverständnis des formal nicht ausgewiesenen Beitrags vgl. Brieger, Anmerkung, S. 373.
254
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
„Die empfindsamen Seelen, die man heute nicht selten über Luthers rauhe Heftigkeit und zermalmende Gewalt klagen hört, haben ganz recht, nur sollten sie sich auch über den die Luft reinigenden Gewittersturm beschweren, daß er nicht sanft wie ein Zephyr fächelt.“604
Luther sei es „einzig um die Sache“ gegangen, weshalb er „den Verstörer seines Werkes nicht mit sanfter Hand anfassen konnte.“605 Die Sache Briegers konzentriert sich auf eine zentrale Aussage: Karlstadt könne nicht als Reformator angesehen werden, da er in den wesentlichen Bereichen seines Denkens und Lebens „mittelalterlich-katholisch“606 blieb. „Evangelisches von Luther“ mochte er „übernommen“ haben, doch sei es bislang unbewiesen, „ob er imstande gewesen ist, es auch nur vorübergehend wirklich zu seinem innersten Eigentum zu machen“607. Ein mittelalterliches Profil postulierte Brieger für Karlstadts Mystik, seinen „gesetzlichen Biblizismus“ und „mönchischen Religionsbegriff“608. Doch nicht nur Karlstadt galt es für Brieger aus dem reformatorischen Lager auf die Seite des Katholizismus zu verbannen. Die argumentative Strategie der Rezension war es, das für Karlstadt gebotene Einordnungsmuster auch auf Barge zu übertragen. Ihn verglich Brieger indirekt mit katholischer Historiographie609, überbot aber Kawerau, der als erster einen Vorstoß in diese Richtung unternommen hatte610, darin, daß er für Barge ausdrücklich auf das Argumentationsprofil eines späteren Konvertiten verwies611. Nicht nur in den auch von Brieger gebotenen Klagen über die Ungerechtigkeit gegen Luther612 zeigt sich, wie stark 604 Ebd. 605 Ebd.
606 Ebd., S. 374. Vergleichbar s. auch, ebd.: „aber im übrigen ist er doch eine von mittelalterlichen Motiven beseelte Erscheinung“. 607 Ebd., S. 373. 608 Ebd., S. 374. Den Begriff des „mönchischen Religionsbegriff[s]“ entlehnt Brieger Otto Scheels 1905 erschienenen ersten Ergänzungsband zur Luther-Volksausgabe, vgl. dazu Scheel, Luther, S. XV, der unter dieser Signatur die gesamten „Schwärmer […] und Sakramentierer“ zusammenfaßte. Mit Blick auf Karlstadt protestierte bereits 1906 – also vor Briegers zustimmendem Anschluß – gegen diese Einordnung des „Karlstadtschen Religionsbegriffes“ Köhler, Rez. Scheel, S. 251. 609 Vgl. dazu Brieger, Anmerkung S. 373, den Hinweis auf die „ungerechte […] Behandlung Luthers […], wie sie auf protestantischem Gebiete zum Glück sonst nicht vorkommt“. 610 S. dazu oben Anm. 521. 611 S. dazu Briegers Einschätzung über Barges Schilderung der Wittenberger Bewegung, Brieger, Anmerkung S. 373: „die Art der Kombination erinnert einen wohl an die Begabung eines Gfrörer“. Das tertium comparationis liegt somit in der tendenziösen Färbung der Argumentation. Die letzte Konsequenz der vertretenen Position markierte im Leben August Friedrich Gfrörers, der 1830 sein Pfarramt niederlegte und 1846 eine Geschichtsprofessur in Freiburg im Breisgau übernahm, aber die 1853 erfolgte Konversion; zu diesen Daten vgl. nur kurz Fix, Art. Gfrörer, Sp. 916 f. Ein weiterer Verbindungspunkt könnte in den demokratischen Interessen und politischen Aktivitäten der beiden Historiker liegen, doch berührt Brieger diese Aspekte nicht, indem er für Barge alleine die konfessionellen Bezüge herausstellt, ebd., zitiert oben in Anm. 609. 612 Vgl. dazu ebd., berührt in der Voranm. und zitiert in Anm. 609, mit den oben in Anm. 514 und 521 gebotenen Ausführungen von Kawerau.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
255
dieses Votum – bis hinein in den Wortlaut – von Kawerau abhängig ist. Ganz wie Müller, dessen Rezension Brieger ebenfalls kannte613, bemühte sich auch Brieger nun, die Unabhängigkeit seiner Stellungnahme zu betonen. Bereits im Vorjahr habe er eine „redaktionelle […] Anmerkung“ zu der ersten Besprechung durch Clemen vorgesehen, doch sei diese „infolge eines Versehens fortgeblieben“.614 Diese „Anmerkung“ mit dem von Brieger Ende 1906 gebotenen Text zu identifizieren, wäre verfehlt, und tatsächlich erhebt auch Brieger nicht diesen Anspruch615. Interessant bleibt die skizzierte Chronologie der eigenen Lektüre. So meinte sich Brieger zu erinnern, den Eröffnungsband „um Neujahr 1905 herum“ durchgearbeitet zu haben616. Da der Band zu diesem Zeitpunkt – wie für die Eröffnungsrezension durch Naumann rekonstruiert617 – bereits gesetzt und wahrscheinlich gedruckt, aber noch nicht im Buchhandel verfügbar war, wäre von einer persönlichen Vermittlung durch Barge auszugehen. In geographischer wie fachlicher Hinsicht war ein reformationsgeschichtlicher Austausch naheliegend, nachdem beide über mehrere Jahrzehnte in Leipzig wirkten618. Briegers Ausführungen bieten für einen solchen Kontakt keine Hinweise, doch wurde bereits aus Barges Briefen erhoben, daß Brieger ein akademischer Fürsprecher seiner Archivreise im Jahr 1900 gewesen war.619 Nicht nur vor diesem Hintergrund ist auffällig, daß die Würdigung von Barges heuristischer Leistung bei Brieger deutlicher – und mit Blick auf die späteren Arbeiten zutreffender – ausfällt, als in jedem anderen Votum: „für immer wird, was die Herbeischaffung des Materials für Karlstadt und die Durchforschung seines Lebens anbelangt, dieses Werk die von Allen geschätzte Grundlage bleiben.“620 Briegers „Anmerkung“ kommt im ganzen eine dreifache Bedeutung zu. Zum einen positionierte er sich und die „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ in der aufbrechenden Kontroverse im zeitlichen und argumentativen Anschluß an deren deutlichste Voten. Zum anderen distanzierte er sich subtil von seinem Rezensenten Clemen, dessen erste Anzeige er zwar als „umsichtig“621 lobte, an mehreren Punkten aber indirekt so kritisierte, daß er im ganzen ablehnend auf die zweite Besprechung reagierte622. Und schließlich illustriert der Beitrag das 613 S.
Brieger, Anmerkung S. 373.
614 Ebd.
615 Ebd.: „Was ich an ihm [Barge] bei seiner Durcharbeitung […] auszusetzen fand, deckt sich im wesentlichen mit demjenigen, was mittlerweile von mehr als einer Seite an Tadel geäußert worden ist“. 616 Ebd. 617 S. dazu oben Anm. 395 f. 618 Für Brieger vgl. dazu kurz Mühlen, Art. Brieger, Sp. 1764. 619 S. dazu oben Anm. 376. 620 Brieger, Anmerkung, S. 373. 621 Ebd., S. 372. 622 Vier Punkte ließen sich hierfür benennen: Zum einen deutete Clemen gegenüber Barge nur Detailkritik an, während Brieger sich dafür aussprach, dessen „Gesamtauffassung“ als „verfehlt“ anzusehen; ebd., S. 373. Zum anderen ergänzte Brieger, ebd., die von Clemen be-
256
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
wissenschaftsgeschichtliche Beispiel einer sich polarisierenden Debattenlage, in der die bereits ausgebildeten Argumentationsspitzen in ihrer Schärfe nochmals überboten werden sollten. 2.3.7. Scheels Tübinger Antrittsvorlesung – eine akademische Aktualisierung Auf der Ebene einer inhaltlichen Multiplikation und argumentativen Modulierung früherer Voten ist auch der abschließende und ausführlichste Beitrag des Jahres 1906 einzuordnen. Otto Scheels Tübinger Antrittsvorlesung vom 29. November, die 1907 in der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ erschien623, speist sich aus erkennbaren situativen Wurzeln. Die berufliche Nähe zu Karl Müller, neben dem Scheel seit August 1906 als Extraordinarius624 wirkte, zeichnet sich schon klar in der Themenwahl zur „Auseinandersetzung Luthers mit Karlstadt“625 ab. Die chronologische Einschränkung auf die Jahre „1524/25“ fällt exakt mit dem zeitlichen Rahmen von Luthers Schrift „Wider die himmlischen Propheten“ überein, die Scheel bis 1905 für den ersten Ergänzungsband der von Kawerau mitherausgegebenen Luther-Volksausgabe bearbeitet hatte626. Scheels Anliegen einer akademischen Selbstvorstellung zielte darauf, spezifische Details der historischen Forschung in allgemeine Grundfragen zu überführen, deren spannungsreiche Beantwortung unabgeschlossen sei und immer wieder aufs neue gesucht werden müsse627. Er wählte dafür die beiden Phänomene eines individuellen Subjektivismus und eines nicht nur gesellschaftlich und staatlich, sondern auch kirchlich zu regulierenden „Gemeinschaftsleben[s]“628. „Sachlich“629 angemessener, zukunftsweisender und „mindestens so modern wie Karlstadt“630 nannte Reihe der Kritiker um zwei weitere, womit er die Front in ihrer Breite stärker betonte. Drittens würdigte Clemen in seiner zweiten Rezension, s. dazu oben Anm. 597, nochmals den umstrittenen Schlußabschnitt Barges, wohingegen Briegers massivste Ausfälle gegen Barge genau diesem Passus galten, Brieger, Anmerkung, S. 373. Und schließlich nahm Brieger den einzigen Kritikpunkt von Clemen an Barge produktiv auf, indem er dessen Hinweis auf die mittelalterlichen Züge von Karlstadts Mystik, s. oben Anm. 599, in das eigene Gesamtbild eines vorreformatorischen Repräsentanten des katholischen Mittelalters integrierte, Brieger, Anmerkung, S. 374. 623 Zu dem Datum s. Scheel, Antrittsvorlesung, S. 352. 624 In Datum und Funktion präzise: Volbehr/Weyl, Professoren, S. 22, Nr. 22 (DBA, T. 3, Fichenr. 789, S. 106). 625 Hierin liegt der inhaltliche Schwerpunkt des Titels „Individualismus und Gemeinschaftsleben in der Auseinandersetzung Luthers mit Karlstadt 1524/25“; vgl. dazu Scheel, Antrittsvorlesung, S. 352. 626 Vgl. dazu Scheel, Luther, sowie die knappe Referenz für Einleitungsfragen in Scheel, Antrittsvorlesung, S. 354, Anm. 2 f. 627 Für diese dem gesamten Beitrag zugrundeliegende Tendenz vgl. besonders den Schlußpassus, Scheel, Antrittsvorlesung, S. 372 f. 628 Auch hierfür vgl. bereits den Titel ebd., S. 352. 629 Ebd., S. 371. 630 Ebd., S. 363.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
257
habe Luther hinsichtlich der Kirche zwischen diesen Maßgaben vermittelt. So diplomatisch dieser Ausgleich anmuten mag, betonte Scheel doch die Priorität Luthers, indem er dessen legalistisches Deutungsmuster von Karlstadt theologisch aktualisiert sah631 und diesen reformatorisch zum zeitweiligen „Mitarbeiter“632 von Luther degradierte. Die Tendenzen der früheren Rezensionen wurden damit aufgegriffen und integriert. Namentlich erwähnt finden sich nur Kawerau und Müller, die sowohl Barge wie auch dessen Würdigung in der katholischen Forschung entgegengetreten seien.633 Eine wörtliche Entsprechung zeigt an, daß Scheel zudem eine auf Kawerau basierende Kurzanzeige im „Archiv für Reformationsgeschichte“ gelesen hatte634; wahrscheinlich ist zudem, daß ihm Köhlers erste Reaktion bekannt war635. Scheel wußte sich damit in einem breiten Forschungskonsens, als er die von Kawerau vorgebrachten Punkte wiederholte636, Karlstadts Mystik als leeren „Wahn“637 ablehnte und in Luther nicht etwa den obrigkeitshörigen Reaktionär, sondern das Vorbild für einen „pietätvollen Konservatismus“ erblickte. Scheels argumentativer Beitrag zur Debatte ist überschaubar und beschränkt sich auf die synthetische Zusammenfassung und diskursive Vermittlung in eine akademische und kirchliche Öffentlichkeit. 2.3.8. Zusammenfassung einer umgeschlagenen Debatte Ende des Jahres 1906 war die Diskussion um Barges Monographie von den anfänglichen Würdigungen in eine sich zunehmend verschärfende und ausbreitende Kritik gekippt. Den Wendepunkt in der fachwissenschaftlichen Bewertung des Buches hatte das richtungsweisende Votum von Kawerau markiert. Müller in631
S. dazu bes. ebd., S. 359. dazu ebd., u. a., S. 354, 358. 633 Ebd., S. 354. Scheels ausdrücklicher Hinweis auf Paulus, ebd., Anm. 354, stellt eine nicht explizit gemachte Replik dar. Paulus hatte ihn selbst in einer Rezension darauf hingewiesen, daß seine 1905 erschienene Edition von Luthers „Wider die himmlischen Propheten“ durch Barges fast zeitgleich vorgelegtes Werk in mancherlei Hinsicht revisionsbedürftig sei; vgl. dazu Paulus, Lutherfrage, S. 87: „Es ist zu bedauern, daß er [Scheel] die neue Monographie von H. Barge über Karlstadt […] nicht mehr benutzen konnte. Hätte er dies bedeutsame Werk noch verwerten können, so würde er wohl hier und da Karlstadt gerechter beurteilt haben.“ 634 Vgl. dazu Scheel, Antrittsvorlesung, S. 373: „Barge, der im wesentlichen durch Karlstadts Brille schaut“, mit oben Anm. 526. 635 Scheel, Antrittsvorlesung, S. 364: „Ja wenn man unbeeinflußt von modernen kirchenpolitischen Programmen und allgemeinen politischen Ideen an die Würdigung des Kampfes Luthers mit Karlstadt herantritt“, dürfte eine Allusion auf den von Köhler erhobenen Vorwurf eines politischen Konstruktivismus sein; vgl. dazu oben Anm. 549. 636 Vgl. für den Vorwurf der Ungerechtigkeit gegen Luther Scheel, Antrittsvorlesung, S. 361; für die Einseitigkeit im Nehmen und Geben, und damit die theologische Abhängigkeit Karlstadts von Luther, s. ebd., S. 357: „In der ganzen Kette der Beziehungen Karlstadts und Luthers zu einander läßt sich kaum ein einziges Glied nennen, das nicht seine Herkunft Luther verdankte.“ 637 Ebd., S. 370. 632 Vgl.
258
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
tensivierte die Ausgestaltung der vorgebrachten Einwände argumentativ und material sensibel, während sich Brieger in thetischer Zuspitzung um eine Aufheizung der Debatte bemühte. Eher unbeachtet blieb Koldes eigenständiges Votum, das vor allem die persönliche Enttäuschung über die tendenziöse Grundierung der Biographie dokumentiert. Zugleich ging der Austausch für einen nicht unerheblichen Teil der Autoren schon 1906 in eine zweite publizistische Runde: Paulus, Clemen, Gess und Köhler meldeten sich jeweils mit einem Folgebeitrag zu Wort, wobei Clemen der einzige Rezensent blieb, der in Grundzügen an seiner positiven Einschätzung des Vorjahres festzuhalten bereit war.
2.4. Die Kontroverse zwischen Müller und Barge (1907–1910) Das Jahr 1907 begann ruhig und endete turbulent. Barge wartete lange, bis er sich selbst zu Wort meldete. Die Rezensenten schienen zu schweigen. 2.4.1. Horsch und Johnson im „American Journal of Theology“ – mennonitische und baptistische Zustimmung Während der ersten Jahreshälfte rückte nur das „American Journal of Theology“ zwei kleinere Beiträge ein, die in ihrer bedingungslosen Zustimmung zum neuerlichen Karlstadt-Bild den Eindruck erwecken mochten, die erste, für Barge vorteilhafte Phase der deutschsprachigen Diskussion im angloamerikanischen Raum fortzusetzen. John Horsch, ein gebürtiger Deutscher und in Nordamerika einflußreicher mennonitischer Publizist, dessen Arbeiten für Ludwig Keller von Bedeutung waren638, pries Barges Werk in einem Aufsatz zur Genese der modernen Gewissensfreiheit als unverzichtbares Standardwerk zu den frühreformatorischen Entwicklungen639. Für Horsch waren die Kongregationalisten, die Baptisten und Quäker die gegenwärtigen Nachfahren der historischen Wiedertäufer als der „true Protestants of the Reformation period“.640 Wie Barge verschob er die Gewichte von Luther auf von diesem unabhängige oder verworfene Gruppierungen, und für beides konnte er sich exemplarisch auf die KarlstadtBiographie berufen641. 638 Vgl. dazu ausdrücklich Payne, Horsch, S. 32: „He had been one of the first to call the attention of Ludwig Keller and others to the fact that there were in Canada and the United States little communities of Hutterian Brethren, living in bruderhöfe, the direct descendants of those who had been driven by fierce persecution from Hungary and Moravia eastwards into Southern Russia, and who at the end of the eighteenth century had been allowed to seek a new home across the Atlantic.“ 639 S. dazu Horsch, Liberty, S. 309 f.: „a standard work which is indispensable for the study of the beginning of the Reformation“. 640 Vgl. hierfür den programmatischen Schlußsatz, ebd., S. 315. 641 Ebd., S. 309.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
259
In einen Literaturbericht zu kirchengeschichtlichen Neuerscheinungen flocht im selben Heft auch der baptistische Historiker Franklin Johnson642 einen ausführlichen Passus zu Barge ein, der in einer rhetorischen Eindringlichkeit643, bisweilen die Schwelle zu maßlosen Übertreibungen überschreitend644, Barges epochale Bedeutung schilderte. Johnson rühmte die Darstellung als eine Ablösung tendenziöser Traditionen durch historisch kritische und wissenschaftlich objektive Geschichtsnarrative645, wobei er bei Barge allenfalls Optimierungspotential im Erzählfluß sah, der gegenüber der ausgewogenen und nüchternen Faktizität der gebotenen Inhalte etwas zurückstünde646. Beide Einschätzungen beziehen sich nur auf Barge und geben keinen Aufschluß darüber, ob sie ohne Kenntnis von dessen kontroverser Aufnahme verfaßt wurden oder ihrerseits auf diese reagierten. Augenfällig bleiben die Korrespondenzen zwischen den konfessionellen Profilen der beiden Autoren und jenem puritanischen Ideal, für das Barge mit seiner Karlstadt-Biographie eintrat. Im positionellen Kontrast dazu klang wie ein entferntes Echo auf die frühe katholische Kritik von Paulus eine argumentativ vergleichbare Rezension, die ein weiteres Jahr später nach wie vor alleine dem biographischen Eröffnungsband in der „Revue d’histoire ecclésiastique“647 galt.
642 Zu
Johnsons beruflichem Werdegang und kirchlichem sowie akademischem Engagement vgl. Moncrief, Johnson. 643 Vgl. dazu in Johnson, Books, S. 343, den zweiten Abschnitt, der das syntaktisch einleitende: „It is not true that“ siebenfach bietet, um die wesentlichsten Korrekturen des überkommenen Karlstadt-Bildes aufzuzeigen. Das Stilmittel eines repetitiv einhämmernden Satzanfanges prägt den Text auch in anderen Abschnitten, vgl. u. a. ebd., erster Abschnitt: „In both cases […]. In both cases“. 644 Vgl. dazu alleine die für Karlstadt völlig abwegige Aussage, daß vor Barge bereits einige Hundert Lebensbeschreibungen vorgelegt worden seien, ebd., S. 342 f.: „As the world waited till the middle of the nineteenth century for a good life of Luther, though thousands of so-called lives had been written before, so it has waited till the beginning of the twentieth century for a good life of Karlstadt, though hundreds of so-called lives had been written before.“ 645 Vgl. dazu ebd., S. 343: „In both cases [der Luther‑ wie Karlstadt-Biographik] the gain has been so remarkable that the preceding biographies now seem to be legends, rather than narratives of sober truth. […] He [Barge] gives us simply a calm and judicial investigation, and the denials to which it leads, and of which we have given a few specimens, follow from a dispassionate survey of the facts. […] All future historians of the German Reformation will be greatly indebted to Barge for the unwearied industry with which he has examinded every scrap of evidence that could tell him anything about his subject, and for the impartial spirit in which he has written.“ 646 Ebd., S. 343 f.: „The work lacks the charm of onward-flowing narrative; but, on the other hand, it possesses the charm of logical discussion, of evidences weighed in just balances, of a style fairly perspicuous, and of an orderly arrangement of the materials.“ 647 Vgl. dazu oben Anm. 420 mit Legrand, Rez. Barge, S. 133: „mais nous regrettons beaucoup que M. Barge ait poussé le principe au point d’ignorer manifestement la portée et la valeur exacte des doctrines et des institutions de l’Église romaine.“
260
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
2.4.2. Die Erwartung einer Kontroverse im deutschen Sprachraum Die Erwartung einer von lutherischen Theologen forcierten Kontroverse um Barges Buch ist für den deutschen Sprachraum seit 1905 zu dokumentieren. Egli hatte zuerst angekündigt, das Werk werde „in lutherischen Kreisen viel zu reden geben“648. Von katholischer Seite trat Paulus dem positiv aufgeladenen Karlstadt-Bild entgegen und war sich zugleich gewiß, daß die Biographie „auch orthodoxe Protestanten […] verletzen“ müsse.649 Otto Clemen bestätigte im Nachhinein seine zunächst nicht ausdrücklich benannten Befürchtungen theologischer Kritik.650 Und auch Barge erklärte 1908, „von vornherein […] auf [einen] Widerspruch gefaßt“ gewesen zu sein, der sich gegen seine Neuzeitkonzeption richten und Katholisierungsvorwürfe beinhalten würde.651 Von Anfang an stellte sich Barge somit auf entschiedene Kritik von lutherischer Seite ein. Ein zweites rückblickendes Selbstzeugnis ergänzt, daß er „grundsätzlich“ auf die Selbstdurchsetzungskraft des wissenschaftlichen Wortes652 vertraute und daher sehr bewußt vermeiden wollte, zu replizieren: „doch [waren] die Widerstände im vorliegenden Falle von so besonderer Art und ungewöhnlicher Heftigkeit, daß es nicht anging, ihnen gegenüber zu schweigen.“653 „Erst als ich wahrnehmen mußte, wie das eigene geistige Kind von fremden Leuten mißhandelt wurde, regte sich das Bewußtsein der Pflichten, die ihm gegenüber obzuwalten hätten.“654 In späteren Voten reduzierte Barge den Konflikt häufig auf die Frontstellung eines positivistischen Historikers gegenüber positionell gebundenen Theologen.655 So sehr dies seinem Wissenschaftsideal und der apologetischen Strategie Kellers 648
Zu dem Zitat und seinem Zusammenhang s. oben Anm. 431. dazu oben Anm. 502. 650 Vgl. dazu oben Anm. 596. 651 S. dazu oben Anm. 1. 652 Barge, Gemeindechristentum, S. III. 653 Ebd. 654 Ebd. 655 Für das Jahr 1907 s. Barge, Wittenberg, S. 257: „die kirchlich-konfessionelle Betrachtungsweise mußte aufgegeben werden zugunsten einer rein historischen“. Im selben Jahr und zeitlichen Anschluß s. Barge, Erwiderung, S. 120: „Der Historiker soll einer theologischen Zensur unterstellt werden.“ Ebd., S. 126: „Ich […] bedaure meinerseits nur, daß sich dieser Ausbruch der rabies theologica in die Historische Vierteljahresschrift verirrt hat, deren Charakter in so ausgeprägtem Maße der der wissenschaftlichen Sachlichkeit ist.“ 1908 schilderte Barge die Differenz einleitend und ausführlich in Barge, Reformationsgeschichte, S. 84–86, beginnend mit ebd., S. 84: „Dabei besteht zwischen den Vertretern der politischen und kirchlichen Reformationshistorie […] in weitgehendem Maße Arbeitsteilung“, und S. 85: „Damit aber macht sich eine engherzige konfessionelle Gesinnung breit, die einer vorurteilslosen Würdigung der religiösen Erscheinungen im Reformationszeitalter allenthalben im Wege steht“. 1909 formulierte Barge, Gemeindechristentum, S. III: „Theologen sind es denn fast auch ausschließlich gewesen, die mir, dem Historiker, entgegengetreten sind. Von Anfang an mußte ich wahrnehmen: nicht um die […] vorurteilslose Aufklärung des geschichtlichen Tatsachenbestandes […] handelt es sich […], sondern um ein leidenschaftliches Eintreten für bedrohte Positionen. Darum wurde von vornherein auch in die Polemik ein Ton persönlicher Gereiztheit hineingetragen.“ 649 S.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
261
entsprechen mochte, die entscheidende Motivation für eine erste Replik mochte gerade das Gefühl gewesen sein, nicht nur einem individuellen Gegner, sondern einer verschworenen Gemeinschaft gegenüberzustehen: „Dabei sah ich mich alsbald einer in sich geschlossenen Phalanx von Widersachern gegenüber, zwischen denen das ausgesprochene oder doch in der Stille vorhandene Einverständnis waltete, den Wert meines Buches für die Forschung auf ein möglichst tiefes Niveau herabzudrücken.“656
Barge machte dies an zwei Beobachtungen fest: einem sich in den Rezensionen vollziehenden Fortschreibungsprozeß „vermeintliche[r …] oder wirkliche[r …] Korrekturen“ und einem „als überlegen markierten Bedauern […] darüber, daß ein so reiches Material in durchaus unkritischer Weise verarbeitet sei.“657 In Anbetracht der Quellenlage überrascht Barges Einschätzung, diese Entwicklung mit Müller und nicht Kawerau beginnen zu lassen: „Als erster hat – wennschon noch zunächst mit einiger Zurückhaltung – K. Müller den eben gekennzeichneten Ton angeschlagen“.658 Von einem „Ton persönlicher Gereiztheit“ nahm er zudem „nur wenige – so Kawerau und Scheel –“ aus, nicht jedoch Müller. Da er diesem aber eine „zunächst“ maßvolle Reaktion konzedierte, bleibt die Entscheidung einer Replik auf dessen Rezension umso erklärungsbedürftiger. Persönliche Befindlichkeiten mochten eine Rolle gespielt haben, doch sind diese schwerlich mehr als nur spekulativ in Betracht zu ziehen. In einer nüchternen Betrachtung der publizistischen Gesamtsituation läßt sich aber eine ganze Reihe von Gründen ausmachen, die für eine auf Müller zugeschnittene Antwort gesprochen haben dürfte. Zunächst einmal beschränkte sich das Feld der Kritiker bis in das zweite Halbjahr 1907 auf die Autoren der im Vorjahr erschienenen Rezensionen. Unter diesen hätte sich als Reaktion auf Kawerau in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ nur das literarische Kleinformat einer „Entgegnung“ angeboten659, das inhaltlich wenig Spielraum eröffnet. Auf Kolde und Brieger in den „Beiträge[n] zur bayerischen Kirchengeschichte“ respektive der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ zu antworten, mochte sich alleine deshalb schon erübrigt haben, weil beide im jeweils selbst herausgegebenen Journal für einen dezidiert kirchenhistorischen Leserkreis geschrieben hatten. Köhler wiederum hatte nur eine Kurzanzeige veröffentlicht und eine ausführliche Rezension angekündigt, die aber bis in das Jahr 1912 auf sich warten ließ. Für eine allgemeinhistorische Fachdiskussion am einschlägigsten war die „Historische Zeitschrift“, in der Müllers Besprechung erschienen war. Dessen Beitrag hatte die thematisch klarste Zu656
Barge, Gemeindechristentum, S. IV.
657 Ebd. 658 Ebd.
659 Dies illustriert unter den zahlreichen Parallelvorgängen in diesem Periodikum alleine die sich 1910 entwickelnde Sequenz eines weiteren Artikels von Kawerau, Streit, den Barge mit einer „Entgegnung“ (Barge, Entgegnung) replizierte und Kawerau mit „Antwort“ (Kawerau, Antwort) beschloß.
262
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
spitzung in der Frage nach Luther und Karlstadt und die intensivste Quellendiskussion geboten. So naheliegend es damit war, auf Müller in der „Historische[n] Zeitschrift“ zu antworten, auf die „besondere […] Art und ungewöhnliche […] Heftigkeit“660 seiner Reaktion durfte sich Barge nicht berufen. Und auch wenn Barges Anschlußbeitrag erst in der zweiten Jahreshälfte des Folgejahres erschien, galt er doch der ersten und bis Mitte 1907 sich einzig bietenden Gelegenheit, die massive Kritik des Vorjahres auf einem allgemeinhistorischen Forum in eine thematisch gebundene Debatte zu überführen. 2.4.3. Barges erste Antwort in der „Historische[n] Zeitschrift“ – sein Brechen des Schweigens In der zweiten Jahreshälfte 1907661 veröffentlichte Barge in der „Historische[n] Zeitschrift“ einen fast 70-seitigen Aufsatz, der von den Kritikern nur Kawerau, Kolde und Müller erwähnt, wobei eine Fußnote erklärt: „Auf des letzteren Einwände wird im folgenden besonders eingehend Bezug genommen werden.“662 Tatsächlich stand Müllers Themenstellung bereits im Titel des Beitrags: „Luther und Karlstadt in Wittenberg“. Einleitend schränkte Barge ein, sich auf die „Vorgänge“ konzentrieren zu wollen, „die sich nach Luthers Rückkehr von der Wartburg in Wittenberg abspielten.“663 Bereits mit Barges Eröffnungsvotum fokussierte sich die Diskussion auf die Ereignisse nach 1521.664 Das umfangreichere zweite der beiden Kapitel galt diesem Themenkomplex. Das Anfangskapitel rückte unter der Überschrift „Verhältnis der frühreformatorischen Anschauungen Luther zu denen Karlstadts“665 eine Vielzahl von Einzelaspekten in der chronologischen Anordnung zusammen, die in der Biographie angelegt war und von dort ihren Weg in die Rezensionen von Kawerau und Müller gefunden hatte. 660 Vgl.
dazu oben Anm. 653. Die Datierung von Barge, Wittenberg, gestaltete sich leichter als diejenige der Rezension von Müller, da von der „Historische[n] Zeitschrift“ im Jahr 1907 zwei separate Bände vorgelegt wurden. Aufgrund des selektiven Umgangs von Barge mit den Kritikern des Vorjahres, vgl. dazu die Folgeanm. 662, scheiden relative Datierungen zu anderen Rezensionen aus. Die sich aus dem Erscheinungsformat der Zeitschrift des Jahres 1907 ergebende Datierung findet eine äußere Bestätigung in der Schilderung von Müller, Luther, S. IX: „Meine Arbeit war Anfang Mai in der Handschrift vollendet, im Druck um die Mitte August. Dann musste ich abbrechen, weil inzwischen in der Histor.[ischen] Zeitschrift […] ein Aufsatz Barges gegen meine Anzeige erschienen war“. Müller unterzeichnete seine eigenen Ausführungen mit, ebd., S. XVI, „September 1907“, womit seine eigene Kenntnis des Bargeschen Aufsatzes in die Zeit zwischen August und September 1907 fallen dürfte. 662 S. dazu ebd., S. 257, Anm. 2. 663 Ebd., S. 258. 664 Zutreffend festgehalten hat Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 1, Anm. 2, wortidentisch mit Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 5, Anm. 12, diese Entwicklung mit Blick auf die 1907 von Müller vorgelegte Monographie Müller, Luther: „Durch dieses Buch hat sich die Debatte hauptsächlich auf Karlstadts Auseinandersetzung mit Luther ab 1521 verlagert.“ 665 Barge, Wittenberg, S. 258. 661
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
263
In dieser Reihenfolge lohnt es sich, die wesentlichen Punkte kurz zu beleuchten. Eingangs stellte Barge die von ihm dokumentierte Wiederentdeckung des Karlstadtschen Augustin-Kommentars heraus666, um die grundlegende Bedeutung von Luther für die Augustin-Rezeption des Wittenberger Kollegen „als selbstverständlich“667 festzuhalten. Dieses Zugeständnis mochte ihm leicht fallen, weil er – im ausdrücklichen Anschluß an die katholischen Forscher Denifle und Paulus668 – die frühreformatorische Theologie Luthers als durchaus kongruent mit den spätmittelalterlichen Entwicklungen ansah. Eine strukturelle Analogie zu dem, was später als „Systembruch“ bezeichnet werden sollte669, lehnte er dezidiert ab, indem er erklärte: „Es war gewiß nicht ausgeschlossen, daß Luthers Gedanken sich im Rahmen der Papstkirche weiter entwickeln und zu einem kirchlichkatholischen Frömmigkeitstypus verdichteten.“670 Karlstadts Eigenständigkeit gegenüber Luther suchte Barge abermals an der Heiligenkritik festzumachen. Luthers frühe Äußerung deutete er dazu als vollauf erasmianisch aus671. Das Herzstück seiner Argumentation bestand darin, den literar‑ und redaktionskritischen Nachweis anzustreben, daß die dezidierte Heiligenkritik in den von Kawerau und Müller für 1516 und 1517 angeführten Lutherpredigten erst kurz vor ihrer Drucklegung 1518 im literarischen Anschluß an Karlstadt formuliert wurde.672 Auch für das Schriftprinzip erneuerte Barge die zeitliche Priorisierung Karlstadts673 und schilderte dessen Kanonverständnis im „streng wissenschaftlichen Zuschnitt“ als hermeneutisch moderne Bibelkritik674, während „Luther selbst bald zu reinem Buchstabendienst zurückkehrte, und zwar von eigensten inneren Voraussetzungen her“675. Ohne namentliche Nennung Müllers kehrte er damit dessen These, Karlstadt sei der erste Orthodoxe gewesen676, seinerseits um und rückte Luther an diese Stelle. Daß Luther in der Meßkritik voranging, stand für Barge ebenso außer Frage, wie die Verwurzelung der Reformforderungen in der Bevölkerung677, deren Anliegen Karlstadt aufgriffen und realisiert habe678. 666 Ebd.
mit Anm. 1. gegen Müller, ebd., S. 261, Anm. 1.
667 Bereits 668
Ebd.
669 Vgl.
dazu mit den grundlegenden Literaturhinweisen auf seine frühen Beiträge im weiteren Text Hamm, Einheit, S. 64. 670 Barge, Wittenberg, S. 262 f. 671 Ebd., S. 264 f. 672 Vgl. dazu ebd., S. 265–279. 673 Ebd., S. 279 f. 674 Ebd., S. 280–284. 675 Ebd., S. 283. 676 Vgl. dazu die oben in Anm. 582 gebotenen Ausführungen mit Barge, Wittenberg, S. 281: „Aber sicherlich würde man Karlstadt unrecht tun, wollte man ihn, weil er an der Verbindlichkeit des alt‑ und neutestamentlichen Kanons damals noch festhielt, für den starr-formalen Schriftbiblizismus des späteren Luthertums verantwortlich machen.“ 677 Ebd., S. 284–288. 678 In der größten thetischen Verdichtung hält dies Barge ebd., S. 290, Anm. 1, gegen Müller
264
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Deutlicher als die Biographie legte der Aufsatz das allgemeine Deutungsschema des historischen Fortschrittes offen, nach dem Barge den Schlußabschnitt zur Wittenberger Bewegung konzipiert hatte. Träger der progressiven Entwicklung war – in Analogie zur „französischen Revolution“679 – „die Masse“680 „nach den ursprünglichen Triebkräften volkstümlicher Bewegungen“681. Dies erklärt auch das merkwürdige Desinteresse von Barge an den gedanklichen und literarischen Vorprägungen bei Luther: was „Einzelpersönlichkeiten“682, wie später auch „Rousseau und die übrigen Aufklärer[,] längst vorher aufgestellt hatten“683, gewann keine geschichtliche Wirksamkeit, stand selbst „unter dem Eindruck allgemein verbreiteter Stimmungen“ und wurde seinerseits nur unter spezifischen Veränderungen „Allgemeingut der Masse“684. Barges primäres Handlungssubjekt der historischen Entwicklung war somit die Allgemeinheit, von ihr stammten die wesentlichen Impulse, sie reagierte auf die konkreten gesellschaftlichen Erfordernisse und sie prägte die geschichtliche Realität. Vollauf konsequent fügte sich Barges Rekonstruktion von Karlstadt in die Rolle des ersten Dieners einer Wittenberger Allgemeinheit ein; und ebenso konsequent blendeten Monographie und Aufsatz die Frage nach Luther – in der gesellschaftlichen wie geschichtlichen Zwischenstellung – als historisch sekundär aus685. Gegenüber einzelnen Quellenhinweisen von Müller war Barge aufgeschlossen686; die Hauptlinien seiner Argumentation suchte er beizubehalten, in deren Zentrum die Annahme „ein[es …] jähen Umschwung[s] in Luthers Urteil“ über die Wittenberger Reformen Anfang 1522 stand687. Die Ausführungen decken sich im wesentlichen mit denjenigen der Biographie; deutlicher werden nur die Motive für den angenommenen Stimmungswechsel aus der Sorge um einen Verlust des Wittenberger Wirkungskreises erklärt688. In einer schlagwortartigen Miniatur könnte man die Hauptthese fest: „Nicht Karlstadt hat die Wittenberger Reformbewegung entfacht, vielmehr hat er sich in ihre Dienste gestellt, als sie aus autonomen Anlässen heraus bereits erstarkt war.“ 679 Ebd., S. 292. 680 Ebd., S. 293. 681 Ebd., S. 292 682 Ebd., S. 293. 683 Ebd., S. 292. 684 Ebd., S. 293. Diesen Gedanken führt auch kurz Barges spätere Replik gegen Müller aus, Barge, Armenordnung, S. 207: „Die These Karl Müllers, als ob die Reformen in Wittenberg nur eine planmäßige Verwirklichung früherer Lutherscher Programmpunkte darstellten, muß zurückgewiesen werden, weil sie der besonderen Eigenart der handelnden Personen und der Vorgänge in Wittenberg nicht Rechnung trägt, und weil überhaupt eine ein ganzes Gemeinwesen ergreifende Bewegung sich nicht auf literarische Reminiszenzen zurückführen läßt.“ 685 Auf gerade sechs Zeilen des Haupttextes und eine fünfzeilige Anmerkung beschränkt sich in dem knapp 70-seitigen Aufsatz die Diskussion von Luthers Programmschriften des Jahres 1520 in ihrer Bedeutung für die Wittenberger Bewegung; vgl. dazu Barge, Wittenberg. 686 Ebd., S. 299, Anm. 3 cont., nimmt die Ergebnisse von Freitag auf; vgl. dazu oben Anm. 579. 687 Vgl. dazu ebd., S. 312. 688 S. dazu ebd., S. 320: „Er wußte, daß […] seine eigene reformatorische Wirksamkeit in Wittenberg [andernfalls durch den Kurfürsten] für die Zukunft in Frage gestellt sei.“ Zugleich
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
265
von Barges Aufsatz darin zusammenfassen, daß 1522 die politische Konstellation die persönlichen Positionen nachteilig beeinflußte689, das darin bestimmende autokratische Prinzip sich gegenüber der demokratischen Progression690 aber nicht dauerhaft erhalten konnte. Die fundamentalen Unterschiede an sozialer Exklusion und Inklusion machte Barge abschließend an den historischen Figuren von Luther und Karlstadt fest.691 Barges Aufsatz nahm damit punktuell Müllers Quellenkritik auf, bot einen neu konzipierten Argumentationsgang zur Redaktions‑ und Literarkritik Lutherscher Predigten und präsentierte im übrigen die Leitlinien seiner Biographie im zeitlichen Fokus auf die Jahre 1521 und 1522. 2.4.4. Reaktionen – Köhlers Einschätzung und Hermelinks Übertragung in die „Historische Vierteljahrschrift“ Walther Köhler, der als Referent des „Theologische[n …] Jahresbericht[es]“ die Warte des neutralen Beobachters eingenommen hatte, konnte der Bargeschen Replik seine Anerkennung nicht versagen: „Inzwischen hat Barge […] sich […] eingehend und jedenfalls geschickt verteidigt.“692 Er schloß sich seiner Rekonstruktion der Textgeschichte für Luthers Predigten an, bot ein aufmerksames Referat des Aufsatzes und verwies nun erstmals selbst auf „starke Bedenken“693 gegenüber Barges Schilderung der Wittenberger Bewegung des Jahres 1522. Drei relativierte Barge, ebd., S. 321: „Schließlich kommt es überhaupt in erster Linie nicht auf die Beweggründe an, die Luthers Verhalten bestimmten, sondern auf das sachliche Ergebnis seiner Verhandlungen mit dem Kurfürsten.“ 689 Exemplarisch bestimmte dies auch die Deutung der Invocavit-Predigten, ebd., S. 323: „Ungeachtet der gewaltigen Wirkungen, die Luthers Invocavitpredigen erzielten, muß doch gesagt sein: die im Hintergrund wirkenden sachlichen Faktoren waren für den Ausgang dieses Streites von größerem Belang als sein persönliches Auftreten.“ 690 Dies führt in einer Paraphrase zusammen, was Barge getrennt voneinander formulierte, ebd., S. 324: „Die besonderen Verhältnisse haben es mit sich gebracht, daß in Deutschland Luthers exklusive und aristokratische Tendenzen zum Siege gelangten.“ Die Karlstadts theologischem Profil korrespondierende Entwicklung der „Freikirche Englands und Nordamerikas“ erweise demgegenüber, „eine wie starke Lebenskraft den Organisationen eines demokratisch fundierten Gemeindechristentums innewohnt.“ 691 Zu dieser thetischen Zusammenführung s. den längeren Passus ebd., S. 324: „Luther glaubte, daß ein Übermaß von Wichtigkeit, das die Masse ihm den gottesdienstlichen Institutionen beizuliegen schien, wie überhaupt das selbsttätige Eingreifen des theologisch nicht gebildeten Laienelements in die evangelische Bewegung der Reinheit und Innerlichkeit des neuen Glaubenslebens Abbruch tue. Karlstadt umgekehrt sah eben darin, daß alle Kreise der Bevölkerung von dem Drang nach persönlich lebendiger Anteilnahme am kirchlichen Leben ergriffen wurden, die Garantien für die Lebensfähigkeit und Spannkraft der neuen Kirche nach innen und außen gegeben. Luther war davon überzeugt, die kirchliche Leitung der Masse müsse von den Theologen ausgehen, und hielt, damit deren Autorität gewahrt werde, engen Anschluß an die politisch herrschenden Gewalten für geboten. Karlstadt wollte die religiöse Autonomie der Menge keinesfalls durch das Eingreifen politischer Machthaber gekürzt sehen.“ 692 Köhler, Jahresbericht 1907, S. 497–499; hier: S. 498. 693 Ebd., S. 499.
266
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
weitere Theologen traf Barges Aufsatz empfindlicher. Der erste war Heinrich Hermelink, der zu diesem Zeitpunkt in seinem zweiten Jahr als kirchengeschichtlicher Privatdozent in Leipzig wirkte694. Vielleicht war es der beruflichen Etablierungsphase geschuldet, in jedem Fall aber vom Wissen um die Publikationspläne eines der beiden anderen später zu benennenden Theologen mit motiviert, daß er sich auf nicht gerade glückliche Weise am 3. September 1907 zu Wort meldete. Seine in der „Historische[n] Vierteljahrschrift“ erschienene Rezension der beiden Bargebände kündigte an nicht weniger als drei Stellen eigene Studien zu Karlstadt an: zu dessen „Verhältnis […] zur spätmittelalterlichen Scholastik und Mystik“695, „[w]ann und durch wen K.[arlstadt] mit dem mystischen Gedankenkreis bekannt wurde“696 sowie, nach Archivstudien in Weimar, zum weiteren Themenkreis des Kirchenrechts, möglicherweise in seinen konkreten amtsfunktionalen Bezügen697. Nichts von alledem sollte erscheinen. Die spätere Forschungsgeschichte zeigte mit den bedeutenden Studien von Bubenheimer und Hasse gleichwohl698, was für zentrale Forschungsgebiete und Aufgabenstellungen Hermelink gerade für Karlstadt benannt hatte. Das Thema der Mystik hatte freilich Clemen schon ein Jahr zuvor in der für Barge eigenen Problematik berührt, bevor es Brieger in der größtmöglichen Kürze apologetisch aufgegriffen hatte.699 Hermelink legte nun ausführlicher dar, was Clemen vorweggenommen hatte: daß Karlstadts Mystik vollauf von ihren mittelalterlichen Voraussetzungen her zu verstehen sei und eine elementare Bekanntschaft mit den einschlägigen Standardwerken und Lehrbüchern – wie Ritschls „Geschichte des Pietismus“ oder Müllers „Kirchengeschichte“ – für dieses Wissen ausgereicht hätte.700 Hermelink verkannte damit Barges Anliegen, sich gerade von deren Mystikbegriff abzugrenzen und die positive Aufwertung einer neuzeitlichen Mystik im Unterschied zu den für das Mittelalter etablierten Typologien zu unternehmen. Hermelinks zweiter Hauptpunkt, die ethische Differenz zwischen Luther und Karlstadt701, war ebenfalls bereits in der Diskussion präsent, seit Köhler im April 1906 den Finger darauf gelegt hatte702. Mit Köhler verbindet 694 Hammann, Art. Hermelink, Sp. 1648, nennt das Jahr 1905 für die Ernennung zum „PD in Leipzig“, was sich einer unkritischen Übernahme biographischer Kurzangaben verdanken dürfte. In der Literatur finden sich die Jahre 1905, 1906 und 1907 verzeichnet, wobei die präzisesten Angaben dem 20. Mai 1906 gelten (vgl. dazu im ganzen DBA, T. 2, Fichenr. 567, S. 401–403; T. 3, Fichenr. 383, S. 338–362). Zu Hermelinks reformationshistorischen Studien vgl. ausführlich Hammann, Hermelink. 695 Hermelink, Rez. Barge, S. 448. 696 Ebd., S. 446. 697 Dieser Punkt bleibt am unbestimmtesten; vgl. dazu S. 447 unten. 698 Für den Bereich der Kanonistik s. Bubenheimer, Karlstadt 1977, für die Mystik Hasse, Tauler. 699 Vgl. dazu oben Anm. 622. 700 Hierfür s. die knappe erste Hälfte der Rezension: Hermelink, Rez. Barge, S. 444 f.; zudem s. S. 446 oben. 701 Vgl. dazu ebd., S. 445 f. 702 S. dazu oben Anm. 549.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
267
Hermelink auch die hellsichtige Wahrnehmung der Gegenwartsinteressen von Barge, die grundierend in die historische Studie mit eingegangen waren.703 Was Köhler aber parteipolitisch subtil eingebracht hatte704, aktualisierte Hermelink persönlich und konfrontativ gegen Barge, über den er lokal eigene Erkundigungen eingezogen haben dürfte: So würdigte Hermelink einleitend, daß Barge die Monographie „einem arbeitsreichen Lehrerberuf und künstlerischen, sowie politischen Neigungen mannigfacher Art abgerungen habe“, kritisiert aber zugleich, daß die Biographie thematisch „alles mit[nimmt], was am Wege liegt“705, bevor das Resümee damit schließt, „daß der Verfasser sein Werk zu breit angelegt und zu rasch abgeschlossen hat.“706 Die eigentliche Quellen‑ und Detaildiskussion, anhand der Hermelink Barges „Unzahl von Ungenauigkeiten, halbwahren Behauptungen und schiefen Schlüssen neben einigen bösen Schnitzern“ nachzuweisen ankündigte, läßt sich nicht anders als randständig und dünn bezeichnen707. Um so deutlicher hebt sich davon ein Punkt ab, der von Müller bereits berührt worden war708, bei Hermelink aber nun deutlich in den Vordergrund trat: die Frage, in welchem Maße Karlstadt – und nicht Luther – überhaupt für die Wittenberger Sozialreformen namhaft gemacht werden dürfe. Hermelink problematisierte grundsätzlich die Argumente, mit denen Barge die sog. Beutelordnung vom „Januar 1522“ ausschließlich Karlstadt zugeschrieben hatte. So neu und in Anbetracht der früheren Diskussion überraschend konkret diese Anfrage auf einen spezifischen Quellentext bezogen war, bewegte sich Hermelinks Rezension insgesamt auf der Ebene der fachlichen und persönlichen Andeutungen. Sachlich angemessen und situativ ausreichend mochte Hermelink seine Ausführungen aber gerade deshalb empfunden haben, weil seine Anzeige klimaktisch auf die Ankündigung zulief: „Soviel ich weiß, sind solche [„Berichtigungen“ der „zahlreichen Fehler“] von berufener Seite unterwegs; nach deren Erscheinen behalte ich mir [… weitere Veröffentlichungen zu den benannten Themenfeldern] vor“709. Seine Rezension präludierte somit Müllers Monographie und reklamierte für die weitere Debatte die mediävistisch angrenzenden Themenfelder. Barge reagierte mit der größten Entrüstung, indem er sich zu seiner zweiten Antwort auf einen Kritiker hinreißen ließ und diesmal zum Mittel der „Erwiderung“ griff, das die Möglichkeit einer direkt anzuschließenden „Antwort des Referenten“ voraussetzte und von vornherein auf eine Asymmetrie in den verfügbaren Gesprächsanteilen und ein nachteiliges Erscheinungsbild des Gesamt703 Hermelink, Rez. Barge, S. 443, faßt diese zusammen als eine: „besondersartige [sic] religiöse, ethische und philosophische Anschauungsweise; ein persönliches Moment, das dem ganzen Buche Farbe und Leben verleiht“. 704 S. auch hierfür oben Anm. 549. 705 Hermelink, Rez. Barge, S. 442. 706 Ebd., S. 448. 707 Vgl. dazu ebd., S. 446–448. 708 Vgl. dazu Müller, Rez. Barge, S. 477. 709 Hermelink, Rez. Barge, S. 448.
268
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
austauschs angelegt war. Beide Autoren lieferten, und beide Texte erschienen am 12. März 1908.710 Barge beging mehrere Fehler. Wohl im Wissen, daß Hermelink in Tübingen studiert und zeitweilig gearbeitet hatte, unterstellte er ihm, ein Schüler Karl Müllers zu sein und „[g]anz den Spuren seines Lehrers“711 zu folgen. Für Hermelink war es ein leichtes, zu konstatieren, er habe nie Lehrveranstaltungen bei Müller besucht und sei vielmehr von Hegler geprägt worden712 – jenem kirchenhistorischen Gewährsmann, auf den sich Barge programmatisch berief, aber nicht persönlich, sondern nur literarisch beziehen konnte. Gravierender war, daß Barge den persönlich zugespitzten Vorwurf, ein von vielfältigen Gegenwartsinteressen bestimmtes Geschichtsbild konstruiert und handwerklich mit erheblichen Mängeln gezeichnet zu haben, wenig originell, aber um so dramatisierender retournierte, indem er Hermelinks „Kritik“ zum „Attentat auf geschichtliche Methode und Betrachtungsweise als solche“ erklärte und für sich in Anspruch nahm, einzig „Tatsachen“713 geboten und diese allenfalls punktuell mit eigenen, klar identifizierbaren „Werturteilen“714 verbunden zu haben. Hermelink hingegen sei in „einer ganz bestimmten persönlichen Bewußtseinsstellung“ und „vorgefaßten Meinung“ gefangen und aus Systemzwang zu „unhistorische[n …], deduktive[n]“ Fehlschlüssen verleitet worden. Argumentativ nicht ganz geschickt mochte es gewesen sein, daß Barge zur Begründung dieser übergeordneten These ein ausführliches und additives Vorgehen der Sachkritik wählte, indem er Punkt für Punkt die Hinweise von Hermelink kommentierte, um zu resümieren „auf alle Ausstellungen eingegangen [zu sein …:] Die Hinfälligkeit seiner Einwendungen ist erwiesen worden.“715 Den positiven Erweis seines Gegenvorwurfs erbrachte Barge damit nicht und verstieg sich zur Verwahrung gegen unterstellte Wissenslücken sogar in die Peinlichkeit, nicht seine Monographie, sondern ungedruckte und unbezifferte Exzerpte zu zitieren716. Zu zwei Themenfeldern bot Barge gleichwohl neue Begründungsmuster: Die Spezifik von Karlstadts Mystik erklärte er konfessionell aus dem protestantischen Selbstverständnis von Karlstadt, das aus dem Bruch mit der katholischen Kirche erwachsen sei.717 Und zur Beutelordnung verwies er nun auf die „schwierige Frage nach der Abhängigkeit“ auch von mittelalterlichen Armenordnungen, die ihm für die Biographie „noch nicht spruchreif“ erschienen sei, weshalb er sich auf ein
710 Barge,
Erwiderung; Hermelink, Antwort. Erwiderung, S. 120. 712 Hermelink, Antwort, S. 126. 713 Zu dem Begriff und semantischen Feld vgl. die dreifachen Bezüge alleine im Eröffnungsabschnitt, Barge, Erwiderung, S. 120: „die von mir ans Licht gezogenen Tatsachen“; „in der Behandlung des rein Tatsächlichen“ und „[d]ie Aufhellung des geschichtlichen Tatbestandes“. 714 Ebd., S. 121. 715 Barge, Erwiderung, S. 125. 716 S. dazu für den an sich belanglosen Punkt der Säkularisierung ebd., S. 124, Anm. 1. 717 Ebd., S. 122 f. 711 Barge,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
269
inhaltliches Referat beschränkt habe.718 Gerade zu dieser Quelle ließ Hermelinks „Antwort“ eine wohlverwahrte Bombe platzen: „Daß die Einwirkung Luthers von der Wartburg her eine mehr als ‚gelegentliche‘ war, beweist die Entdeckung von Nik.[olaus] Müller in Berlin, welcher schon vor Barge zwei Exemplare der Beutelordnung aufgefunden hat: In dem von B.[arge] neuentdeckten und publizierten Exemplar […] sind die Randbemerkungen […] von Luther selbst einkorrigiert. Das zweite Exemplar, das B.[arge] nicht vorlag, ist fast ganz von Luther geschrieben.“719
Zugleich verwahrte sich Hermelink gegen eine zu intime Kenntnis der Publikationsumstände der mittlerweile verfügbaren Müller-Monographie: „Als ich meine Rezension schrieb, wußte ich von K.[arl] Müller nur, daß er an der Kritik des 2. Bandes für die Hist.[orische] Zeitschr.[ift] arbeitete.“720 Dieser Hintergrund von Müllers Buch klingt plausibel, nachdem Müllers Besprechung des ersten Bandes ebenfalls in der „Historische[n] Zeitschrift“ erschienen war, doch bestätigte ihn Müller selbst nicht. Zwei Jahrzehnte später bot die autobiographische Erinnerung keinen entsprechenden Hinweis721, und auch in der größten zeitlichen Nähe zu den Vorgängen schilderte Müllers „Vorrede“ zu dem Buch eine gänzlich andere Veranlassung: „Zuerst dachte ich, mit einigen kleineren Aufsätzen auszukommen. Aber die Aufgabe wuchs immer mehr an, so das ein Buch daraus wurde.“722 Der anfängliche „Eindruck“ des Eröffnungsbandes sei schon bald von „zwiespältige[n …] Empfindungen“723 überlagert worden, aber „erst“ mit der Lektüre des zweiten Bandes „fasste ich den Gedanken, ausführlicher auf diese Punkte einzugehen.“724 Da Müllers Anzeige nach der für September 1905 anzunehmenden Abfassung mit einem knappen Jahr Verzug erschien und bei der Schlußredaktion, vor Mitte 1906, Barges zweiter Band auch Müller bereits vorlag725, ist das von Hermelink berichtete Vorhaben einer Folgerezension nur für einen sehr begrenzten Zeitraum überhaupt denkbar, auch darin aber äußerst unwahrscheinlich. Müllers Selbstzeugnis dokumentiert den initialen Vorsatz einer Aufsatzserie und datiert den Abschluß der Monographie auf Anfang Mai 1907726. Hermelinks im September 1907 in einem vierteljährlich erscheinenden Periodikum gebotene Ankündigung „gründliche[r] und umfang-
718 Ebd.,
S. 124.
719 Hermelink,
Antwort, S. 127. S. 128. 721 Vgl. dazu das oben durch Anm. 565 ausgewiesene Zitat, das sich ausschließlich auf die Rezension des Eröffnungsbandes bezieht; zur Chronologie der literarischen Arbeiten heißt es klar: „Eine Anzeige, die ich von Barges Karlstadt gemacht hatte, wuchs schließlich zu einem eigenen Buch aus ‚Luther und Karlstadt‘ 1907“. 722 Müller, Luther, S. VIII. 723 Ebd., S. VII. 724 Ebd., S. VIII. 725 Vgl. hierfür oben Anm. 567. 726 S. dazu oben Anm. 661. 720 Ebd.,
270
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
reiche[r] Berichtigungen […] von berufener Seite“727 läßt sich schwerlich anders als aus der unmittelbaren Erwartung des Müllerschen Buches interpretieren, wobei die Auskunft des Folgejahres, nur auf eine Rezension eingestellt gewesen zu sein, fragwürdig bleibt728. Wenn Hermelinks Votum einleitend als unglücklich bezeichnet wurde, so geschah dies nicht nur wegen dieser Unstimmigkeit, der unterbliebenen Realisierung der eigenen literarischen Pläne und einer Indiskretion die, wie später zu zeigen sein wird, Nikolaus Müller in eine peinliche Verlegenheit stürzen sollte. Unglücklich war vor allem, daß Hermelinks Rezension das Buch von Müller nicht thematisch präludierte. Barges Aufsatz in der „Historische[n] Zeitschrift“ erschien fast zeitlich mit dem Kurzbeitrag von Hermelink und markierte den eigentlichen Auftakt zur nächsten Diskussionsrunde, in der dem von Hermelink akzentuierten Thema der Mystik keine Bedeutung mehr zukam. 2.4.5. Die monographische Reaktion – Müllers Buch von 1907 Die beiden anderen Theologen, die von Barges erster Replik überrascht wurden, waren Müller und Kawerau. Hatten die beiden, nach Müllers Auskunft729, 1906 unabhängig voneinander agiert, arbeiteten sie nun zusammen, indem Kawerau die Monographie gegenlas und mit seinem fachlichen „Rat“ unterstützte730. In die Endredaktion platzte Barges Aufsatz, der den Abschluß der Drucklegung verzögerte, weil Müller eine Antwort noch in das Buch integrieren wollte, dafür aber schließlich nur auf die „Vorrede“ zurückgriff 731. Der Titel des Buches setzte die thematische Linienführung aus der früheren Rezension fort, die als das verborgene Hauptthema von Barge rekonstruiert hatte: „Ich kann hier nur die bedeutendsten Punkte hervorheben, die dem V[er]f.[asser] selbst offenbar am meisten am Herzen lagen, vor allem Karlstadts Verhältnis zu Luther.“732 Müller kehrte diese Reihenfolge im Titel der Monographie zu „Luther und 727 S.
dazu oben Anm. 709. in den Aussagen vorhandenen Spannungen lassen sich immer nur zum Teil auflösen: Nimmt man an, daß Hermelink wirklich nur eine Rezension von Müller erwartete, ließe sich erklären, weshalb er das Thema des Kirchenrechts mit Blick auf die Orlamünder Anstellungsfragen nicht mehr bearbeitete; diese Thematik berührte Müller in seiner Monographie: Müller, Luther, S. 137–161 (Kap. „V. Karlstadt in Orlamünde“). Für Karlstadts Verhältnis zur Mystik und Scholastik gilt dies jedoch nicht. Zudem verbliebe damit die erhebliche inhaltliche Asymmetrie zwischen der Erwartung von „gründlichen und umfangreichen Berichtigungen“ und den üblichen formalen Rahmenbedingungen von Rezensionen auch in der „Historische[n] Zeitschrift“. 729 S. dazu oben Anm. 571. 730 S. dazu Müller, Luther, S. XVI: „Zum Schluss habe ich noch herzlichen Dank G. Kawerau zu sagen, der mit mir eine Korrektur gelesen und mir an mehreren Punkten seinen Rat gegeben hat.“ 731 Zu dieser Chronologie s. ebd., S. IX. Für die Ausführungen zu dem Aufsatz s. ebd., S. IX–XVI. 732 Müller, Rez. Barge, S. 472. 728 Die
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
271
Karlstadt“ um, was auch den Priorisierungen Luthers in den gebotenen Ergebnissen entsprach. Der Untertitel „Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis“ war ebenfalls angemessen, denn Müller legte keine Arbeit aus einem Guß vor. Sein monographischer Beitrag zerfiel in eine Vielzahl von Einzelbetrachtungen unterschiedlicher Ausführlichkeit und Qualität in den betreffenden Quellenarbeiten, die sich formal auf einen Hauptteil in acht Kapitel und einen Anhang mit neun weiteren Themen oder Vertiefungen verteilten. Durchaus zutreffend war es, wenn Müller mit seinem Eröffnungssatz als den eigentlichen Zusammenhang der Arbeit die Abgrenzung von Barge benannte.733 Ein eigenes Resümee in einer zusammenfassenden Schlußbetrachtung bot die Arbeit nicht; gleichermaßen unvermittelt brach der Haupttext mit dem Karlstadt geltenden Satz ab: „Anfangs 1529 entwich er aus Sachsen“, während der Anmerkungsteil mit dem Seufzer über Barge schloß: „So sind hier die Quellen verwertet!“734 Das zentrale Ergebnis der disparaten Einzelstudien steht in der „Vorrede“ wirkungsmächtig voran, „dass ein Historiker, der hier [zwischen Luther und Karlstadt] Zusammenhang und Gegensatz richtig darstellen wollte, über ein ganz anderes Mass von Verständnis und Schulung verfügen müsste, als Barge es aufweist.“735 Diese Herabstufung verletzte Barge zutiefst; auf keinen anderen Satz des Buches bezog er sich später so häufig wie auf diesen736, der ihm zugleich als Ausweis für die „bis an die äußerste Grenze gehende persönliche Polemik“737 diente. Nicht weniger zutreffend war deswegen Müllers weitere Selbsteinschätzung, mehr als nur „Polemik“ geboten zu haben, sondern „zum guten Teil neue Ergebnisse […] auf Gebieten, die bis dahin überhaupt nicht gründlich erörtert waren.“738 Akribische Einzelstudien und Datierungsfragen galten im Anhang einer Reihe von Einzelstücken zur Wittenberger Bewegung im „Corpus Reformatorum“739 und den letzten Dokumenten zu Karlstadts kursächsischer Zeit740. Zu Beginn des Anhangs stand eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Wittenberger Beutelordnung, die auch für den Haupttext von Bedeutung 733 Müller, Luther, S. VII: „Die nachfolgende Schrift ist fast durchweg gegen Barges Andreas Bodenstein von Karlstadt gerichtet“. 734 Für beides s. ebd., S. 201. 735 Ebd., S. VIII. 736 Vgl. dazu im Jahr 1909: Barge, Gemeindechristentum, S. V; VII; im selben Jahr: ders., Streit, S. 212, Anm. 2. 1910 führte er die Stelle gegenüber Kawerau an, der Müllers Beitrag als „ruhige Quellenuntersuchung“ gewürdigt hatte, „die nur hier und da einmal ein Wort des Unmuts über des Gegners Verzeichnung des Tatbestandes laut werden läßt“; s. dazu ders., Entgegnung, Sp. 3210. 737 So formulierte Barge dies 1910 in der Auseinandersetzung mit Kawerau, Barge, Erwiderung, Sp. 3210. 738 Müller, Luther, S. VIII. 739 Es handelt sich dabei um CR, Bd. 1, Sp. 548–558, Nr. 194–199. Faktisch bedeutete Müller, Luther, S. 208–217 (Anhang, Nr. 2), eine Vertiefung der bereits in Müller, Rez. Barge, gebotenen Ausführungen, die ihrerseits auf den Vorarbeiten von Albert Freitag aufbauen; vgl. dazu oben Anm. 579. 740 Müller, Luther, S. 233–243 (Anhang, Nr. 9).
272
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
war741, dort aber nicht auswies, daß sie sich nur auf den von Barge gebotenen Textbestand stützte742, diesen aber anhand inhaltlicher und philologischer Anhaltspunkte zu interpretieren suchte. Aufschlußreich ist dies insofern, als eine fachliche Zuziehung von Nikolaus Müller743 durch Karl Müller oder Kawerau ausgeschlossen werden kann. Der inhaltliche Schwerpunkt von Karl Müller lag auch in einem anderen Bereich: Den zeitlichen Rahmen seiner Studien zog er zwar sehr eng um die Jahre 1521 bis 1529, doch stand thematisch die Meßreform (Kap. 1) im Vordergrund vor den sonstigen „Neuerungen“744 zum Jahreswechsel 1521/22 (Kap. 2). Vergleichbar dominierte auch die Frage nach den persönlichen oder politischen Motiven in „Luthers Rückkehr von der Wartburg“ (Kap. 3) die anschließende Kapitelsequenz zu den einzelnen biographischen Stationen Karlstadts bis zu dessen „heimliche[m …] Abzug“745 aus Sachsen. Formal wurde die gebotene Gliederung für die weitere Diskussion darin bedeutsam, daß Barge sie in seiner monographischen Replik 1909 aufgriff und ergänzte746. Nur in einem einzigen Punkt seines Anhangs ging Barge über die von Müller abgesteckte Chronologie hinaus, indem er einige Anmerkungen „Zu Karlstadts Aufenthalt in der Schweiz“747 bot, was sich aber daraus erklärt, daß Barge abschließend noch Antworten auf zwei weitere Kritiker in sein Buch integrierte748. Sachlich angemessen war somit auch, daß Köhler in seiner Zusammenfassung der Debatte 1912 die von Müller gebildete Gliederung indirekt wiederholte, indem er sich vorrangig an den von Barge gebildeten Komplexen orientierte749. Inhaltlich und argumentativ bietet die Monographie eine Fülle von Einzelbeobachtungen, die sich zwischen grundierenden Informationen zu den behandelten Themenkomplexen750, ereignisgeschichtlichen Darstellungssequenzen751 741 Ebd.,
S. 33–35; 202–208 (Anhang, Nr. 1). Gegenteil scheint sich anzudeuten in dem ersten quellenbezogenen Hinweis, ebd., S. 34, Anm. 1: „Ich folge nicht der Anordnung der B[eutel]O.[rdnung] bei Barge 2, 559 ff.“ 743 Vgl. dazu oben Anm. 719. Gleiches dürfte auch für Theodor Brieger gelten, der als Herausgeber der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ spätestens aus den Korrespondenzen mit Barge seit 1900 oder 1901 um die betreffenden Aktenstücke wußte, vgl. dazu Barge, Gemeindechristentum, S. XVII, und der als Leipziger Kollege von Hermelink auch als dessen Informant in Betracht gezogen werden muß. 744 Müller, Luther, S. III und 29. 745 Ebd., S. VI. 746 Vgl. dazu unten Anm. 941. 747 Müller, Luther, S. 357–360. 748 Der im Haupttext benannte Abschnitt ist eine Antwort auf Cohrs, Rez. Barge 1908; die formal als „Nachtrag“ abgehobene letzte Nummer des Anhangs ist eine Replik auf Tiling, Wittenberg. 749 S. dazu unten Anm. 1230. 750 Für diese und die nachfolgenden Klassifizierungen wird nur exemplarisch auf die beiden ersten Kapitel verwiesen; für grundierende Informationen zur Messe vgl. darin Müller, Luther, S. 1–5. 751 Ebd., S. 5–27. 742 Das
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
273
und quellenbezogenen Inhaltsangaben und Kommentierungen752 bewegen. Im Vordergrund stehen Auswertungen von edierten Briefwechseln, Akten und Traktaten, um die Chronologie der reformatorischen Entwicklung in ihren zeitlichen Priorisierungen zwischen Luther und Karlstadt bestimmen zu können. Die ideelle und literarische Vorbereitung der praktischen Reform gewichtete Müller weit höher als Barge, womit Luther zwangsläufig zum gedanklichen Vater der Karlstadtschen Tat wurde, doch sei auch die faktische Realisierung der von Luther eigentlich intendierten Reformen erst nach Karlstadt erfolgt753. Den von Barge postulierten politischen und somit auch kirchenpolitischen Umschwung in Luthers reformatorischer Linie wies Müller in zwei separaten Argumentationsgängen zurück. In dem ersten Passus dürfte er selbst den quellenkritischen Eckstein zu seinen Ausführungen gesehen sehen; er ließ ihn – als den einzigen vollständigen Satz seines Buches754 – gesperrt drucken. Es handelt sich um die schlichte Datierung einer einheitlichen Position und somit die ersten verbindlichen Linien der Reichspolitik, die Müller nicht vor Mitte Februar ansetzen möchte755, weshalb es verfehlt sei, sowohl die Handlungen des sächsischen Kurfürsten als auch diejenigen Luthers als Reaktionen auf die reichsrechtlich normative Gesamtsituation zu interpretieren756. Der zweite Aspekt galt der Frage nach Luthers Kirchenbegriff. Hier konzedierte Müller Differenzen innerhalb der vertretenen Positionen, interpretierte diese aber als die Entwicklung von einem theoretischen Ausgangsideal zur praktischen Realität. Dieser säkulare Wirklichkeitsbezug habe zur „zweifach abgestuften Gemeinde“ geführt: „einer Gemeinde der Massen und eines engeren Kreises der ernsten Christen, beide verbunden durch das Amt.“757 Ungeachtet einer historischen Berechtigung dieser Einschätzung, illustriert die Passage wie keine andere den fundamentalen Unterschied in der Bewertung der „Massen“ zwischen Müller und Barge: Während die Massen bei Müller den Sinn für das Wesentliche zunehmend verlieren, sind sie für Barge die eigentlichen Handlungsakteure der geschichtlichen Progression. Nach Müller bedürfen sie „mehr und mehr [… der] erziehende[n] Autorität“758 des Amtes; bei Barge gebricht es ihnen an einer demokratisch legitimierten kirchlichen Emanzipation. Un752 Hierfür
besonders einschlägig: ebd., S. 33–35. Blick auf die Messe lautet so das für Karlstadt desaströse Ergebnis ebd., S. 28. 754 Vergleichbar wäre allenfalls die in Anm. 765 zitierte syntaktisch ebenfalls selbständige Kurzbemerkung. 755 Müller, Luther, S. 82. 756 Gegenüber der Rezension bedeutete dies eine argumentativ substantielle Ergänzung; vgl. zuvor als nicht einschlägig Müller, Rez. Barge, S. 480. Müller spielte mit dem Gedanken, die betreffende Passage in den vorauszusetzenden Spätdatierungen noch weiter auszubauen, indem die postalischen Verzögerungen für die elementare Kommunikation berücksichtigt werden sollten; s. dazu die Marginalien im Handexemplar von Müller, Luther. 757 Müller, Luther, S. 123. 758 Ebd. 753 Mit
274
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
verkennbar vertreten jedoch beide eine das Individuum in den Mittelpunkt stellende Autonomiekonzeption. Auch in ihrem enzyklopädischen und methodologischen Ideal standen Müller und Barge näher zusammen, als es in der Debatte den Anschein erwecken mochte. Beide votieren für eine Integration von Allgemein‑ und Kirchengeschichte. Im Anschluß an sein autobiographisches, deutlich nach der Auseinandersetzung mit Barge fixiertes Selbstverständnis759 pflegt Müller bis heute „als Vertreter einer sog. profanen Kirchengeschichtsschreibung“760 verstanden zu werden. Müller und Barge verbindet zudem, daß ihre wesentlichen akademischen Lehrer Allgemeinhistoriker und direkte Schüler von Sybels waren761. Aus dieser an akribischer Quellenkritik orientierten Prägung dürfte auch zu erklären sein, daß Müller sehr deutlich methodologische Fehler an Barge benannte. In einem höheren Maße wird dies aus methodologischen Prämissen als aus polemischen Stilisierungen zu erklären sein. Dennoch plazierte Müller sicher nicht unbedacht Hinweise auf Bargesche Übersetzungsfehler augenfällig in der „Vorrede“ seiner Monographie, während die folgenden Ausführungen vergleichbare, aber deutlich weniger gravierende Hinweise erst wieder im Anhang boten.762 Auch der Vorwurf, die edierten Texte „schlecht interpungiert“ zu haben, rückte editionsphilologische Kriterien vor eine grundlegende Würdigung von Barges archivalischen Leistungen.763 Spott nötigte Müller Barges methodologisch reflektierter764, in der Biographie jedoch nur an konkreten Beispielen realisierter Anspruch auf die in Analogie begründete Konjektur ab: „Alles
759 Der grundlegende Text für die späteren Ausführungen zu Müllers methodischem und fachlichem Selbstverständnis ist Müller, Arbeit, S. 12: „Für meine wissenschaftliche Arbeit standen mir von Anfang an zwei Gesichtspunkte fest, einmal: die Kirchengeschichte bildet trotz ihrer Eigenart nur einen Teil der allgemeinen Geschichte und kann nur in stetem Zusammenhang mit ihr geschrieben werden, und sodann: sie darf nicht mit festen, vorgefaßten Meinungen betrieben werden. Das durfte natürlich nicht bedeuten, was man da und dort unter ‚Voraussetzungslosigkeit‘ versteht. Die gibt es ein für allemal nicht: jedermann bringt ‚Voraussetzungen‘ von Haus aus mit. Aber das kann man von jedem Forscher verlangen, daß er an seinen Voraussetzungen nicht festhält, wenn ihm aus gewissenhafter Arbeit sich Tatsachen aufdrängen, die damit nicht zu vereinigen sind, daß er also lerne, sich zu fügen, umzulernen und immer neu zu lernen, sich führen zu lassen auch dahin, wo er zuerst nicht hin will.“ 760 Werbeck, Art. Müller, S. 401. Vgl. auch eingehender Dörries, Müller, S. 443 f., zu dem „‚positivistische[n]‘ und ‚profane[n]‘ Charakter“ in Müllers kirchenhistorischer Arbeit. 761 Für Barge bzw. dessen Lehrer Maurenbrecher s. oben knapp Anm. 306; für Müller vgl. Werbeck, Art. Müller, S. 401, vor allem aber auch hier Müllers eigene Schilderung seiner prägenden akademischen Lehrer: Müller, Arbeit, S. 5–8. Mit seinem Göttinger Lehrer Julius Weizsäcker war Müller auch familär verbunden, nachdem er dessen Tochter Berta 1884 geheiratet hatte; vgl. dazu Anon., Art. Müller 1935 (DBA, T. 2, Fichenr. 922, S. 359). 762 Vgl. dazu Müller, Luther, S. X, Anm. 1, und S. XI, Anm. 2, mit ebd., S. 233 f., Anm. 3, und S. 234, Anm. 2. Im Haupttext vgl. allenfalls ebd., S. 125, Anm. 1, und – philologisch gewichtiger, der Sache nach nicht – S. 127, Anm. 4. 763 Ebd., S. 126, Anm. 1: „Barges Texte sind häufig schlecht interpungiert.“ 764 Vgl. dazu oben Anm. 191.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
275
reine Phantasie!“765 Gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Vorstellungen von Ludwig Keller und Barge nahm Müller wahr, doch blieb er weit davon entfernt, daraus positionelle Verbindungen abzuleiten.766 Die eigene Wertschätzung der gedanklichen Vorarbeit Luthers, die in Barges Darstellung unhinterfragt war, aber nicht selten nur nominell statuiert und aufgrund des vorrangigen Interesses an kollektiven Rezeptionsvorgängen nicht werkgenetisch rekonstruiert wurde, führte hingegen zu dem Vorwurf, die inhaltlichen Abhängigkeiten von Luther vollauf übersehen zu haben767. Barges Literar‑ und Redaktionskritik der Lutherschen Predigten würdigte Müller keines Wortes. Karlstadts von Barge als systemsprengend verstandene768 Kritik der Heiligenverehrung erklärte er unter Hinweis auf den Sentenzenkommentar als vollauf konform mit den „offiziellen Grundlagen der kirchlichen Lehre“769, um einen einzigen einschlägigen Hinweis zu Luther in eine deutlich später gebotene Anmerkung zu verbannen: „Was Barge über Luthers damalige Stellung zur Heiligenverehrung sagt, ist übrigens auch irrtümlich. […] Ich gehe aber auf diese Missverständnisse Barges im Gebiet der religiösen und theologischen Anschauungen Luthers in dieser Schrift überhaupt nicht ein: es gäbe kein Ende.“770
Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese Anmerkung bereits vor Barges Replik formuliert wurde und somit keine direkte Reaktion auf deren Ausführungen zur Heiligenkritik dokumentiert. Aber nicht nur in seiner „Vorrede“ verzichtete Müller auf jeden betreffenden Bezug; auch in seiner späteren Entgegnung auf Barge kam er nicht mehr darauf zurück.771 Dies spricht dafür, den dokumentierten Vorsatz Müllers, Barges theologische Äußerungen zu Luther vollauf zu ignorieren, als konsequent realisiert anzusehen. Diese frühzeitig bestehende inhaltliche Asymmetrie ist hinsichtlich der diskursiven Verständigungsmöglichkeiten im ganzen als fatal anzusehen.
765 Ebd., S. 89, Anm. 2: „Auch hier weiss Barge wieder die Lücken unseres Wissens auszufüllen“. S. auch ebd., S. 135: „Dieses Gemälde ist wieder eine Phantasie Barges.“ 766 Vgl. dazu ebd., S. 29, Anm. 1: „Und der Eid? Woher weiss Barge, dass er zu den Wittenberger oder deutschen puritanischen Massenstimmungen gehört habe? Ja vielleicht, wenn Kellers Theorie von den altevangelischen Gemeinen zu recht bestände! Aber davon tritt doch bei Barge nichts hervor.“ 767 Ebd., S. 57. 768 Barge formulierte in seiner Replik auf Müller, Barge, Wittenberg, S. 278: „daß Karlstadt vor Luther über den katholischen Heiligendienst Ansichten ausgesprochen hat, die sich mit der kirchlichen Lehr‑ und Denkweise nicht vereinbaren ließen.“ Zu der oben aktualisierenden Paraphrase vgl. den in Anm. 669 skizzierten Rückgriff auf Hamm. 769 Müller, Luther, S. IX f., mit S. X, Anm. 2. 770 Ebd., S. 134, Anm. 3 cont. 771 Der „Vorrede“ ist zu konzedieren, daß sie unter dem zeitlichen Druck der Schlußredaktion verfaßt wurde. Für Müllers letzte Äußerung zu Barge gilt diese nicht: Müller, Kirche, S. 121–149.
276
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
2.4.6. Barges erste Antworten – zwei Vorankündigungen und ein großer Aufsatz in der „Historische[n] Vierteljahrschrift“ Barge antwortete zunächst mit zwei kurzen, beiläufigen Kommentaren. Am 15. Januar 1908 versah er eine Rezension in Kellers „Monatshefte[n] der ComeniusGesellschaft“ mit einer ausführlichen Einleitung, die rechtfertigen mochte, daß der Beitrag im Aufsatzteil unter dem etwas hochgegriffenen, beide Teile aber präzise bezeichnenden Titel „Eine neue Reformationsgeschichte“ erschien.772 Der Einführungsblock bot ein grundsätzliches Plädoyer für die Integration von Allgemein‑ und Kirchengeschichte sowie eine Emanzipation „von konfessioneller Gebundenheit“773. Dies gipfelte in einer ausführlichen Würdigung der Arbeiten von Keller, einer kritischen Diskussion des Ansatzes von Troeltsch774 und einer Anerkennung gewisser historiographischer Fortschritte bei Bezold775. Für den massivsten und jüngsten Rückschritt steht der Hinweis auf Müller, der mit seinem Luther‑ bzw. Karlstadt-Buch „[e]in artiges Stück Verketzerung nach Janssen’schem Muster“ geliefert habe.776 Den fachlichen Wert der Müllerschen Ausführungen setzte Barge in einer Anmerkung mit dem kurzen Hinweis herab: „Überhaupt wimmelt Karl Müllers Buch von Entstellungen des Tatbestandes und Ungenauigkeiten.“777 In seiner persönlichen Zuversicht noch gewisser, die literarische Situation aber völlig unbestimmt lassend erklärt Barge am Ende der einschlägigen Ausführungen seines Haupttextes: „eine nähere Prüfung des Buches, welches Karl Müller gegen meine Darstellung gerichtet hat, ergab, daß meine Ergebnisse die Feuerprobe einer den Buchstaben unter die Lupe nehmenden Detailkritik bestehen können.“778 Bereits in diesem Kurzvotum ist die argumentative Linie jener „Erwiderung“ angelegt, die Barge am 12. März 1908 gegen Hermelink richtete.779 Dort findet sich die erste Ankündigung einer ausführlichen Replik: „Die Hinfälligkeit fast aller Einwendungen K. Müllers, der ausschließlich mit meinem Quellenmaterial arbeitet, werde ich demnächst in einer eigenen Erwiderungsschrift erweisen.“780 772 Zu dem Einleitungsteil s. Barge, Reformationsgeschichte, S. 84–89; die eigentliche Anzeige folgt auf den S. 89–92. 773 Ebd., S. 86. Vgl. auch, ebd., die Aufforderung zur Abkehr von einer „Enge des Konfessionalismus“ und den „Schuttberge[n] konfessioneller Verlästerungen“; ebd., S. 85, erklärt Barge über die Forschungsgeschichte: „Damit aber macht sich eine engherzige konfessionelle Gesinnung breit“; zu dem berührten Argumentationsgang s. oben Anm. 655. 774 Zu Keller Barge, Reformationsgeschichte, S. 86 f., zu Troeltsch ebd., S. 87 f.; Barges weitere Auseinandersetzung mit Troeltsch wird oben in Anm. 195 geschildert; für Troeltschs Reaktionen auf Barge s. unten die Anm. 1121–1147. 775 Barge, Reformationsgeschichte, S. 89. 776 Ebd., S. 85, Anm. 1. 777 Ebd., S. 86, Anm. 1 cont. 778 Ebd., S. 88. 779 Vgl. dazu oben Anm. 1 und Anm. 710–720. 780 Müller, Erwiderung, S. 125, Anm. 1.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
277
Vor deren Veröffentlichung rückte Barge einen Aufsatz in die „Historische Vierteljahrschrift“ vom 11. Juni 1908 ein, dessen Einleitungsteil vor allem auf Müller und die Monographie reagierte.781 Das bearbeitete Thema der Wittenberger Beutelordnung war gleichwohl von Hermelink vorgegeben und am Ort von dessen Rezension782 erschien auch der betreffende Beitrag. Dennoch war die Zuspitzung auf Müller nicht nur der Situation, sondern auch der bearbeiteten Sache angemessen. Natürlich ließ Barge die publizistische Gelegenheit nicht aus, den Lesern der Zeitschrift ein zweites Mal eine eingehende Antwort auf Müller anzukündigen783 und das zu erwartende Ergebnis vorwegzunehmen: „schlechterdings alle seine gegen mich gerichteten Aufstellungen [sind] hinfällig“784. Hinsichtlich der Beutelordnung konzentrierte sich Barge aber tatsächlich auf die Ausführungen von Müller, die er Stück für Stück zu widerlegen suchte. Damit trat er gegen „[d]ie Legende von der auf direkte Veranlassung Luthers vor Ende November 1521“785 entstandenen Beutelordnung an, während er selbst abermals für eine Spätdatierung des Textes und damit eine größere Nähe zu Karlstadt votierte786. Barges Argumente sind vor allem textimmanent auf Interpretationen von Einzelpassagen bezogen, die eine zeitliche Abfolge zunächst der Wittenberger Stadtordnung und dann der Beutelordnung andeuten könnten; aus externen Zeugnissen meinte er Sicherheit in dieser Chronologie zu gewinnen.787 Größte Bedeutung maß er Karlstadts Vorrede in „Von Abtuhung der Bilder“ zu, die ihm einen lokalen Entscheid (mit der Stadtordnung), nicht aber dessen Realisierung (mit der Beutelordnung) vorauszusetzen schien.788 Auf Hermelink antwortete Barge mit zwei Hinweisen. Zum einen betonte er, die 781 Vgl. dazu bes. Barge, Armenordnung, S. 193 f., und die ebd., S. 193, geschilderte Gefahr, daß Müllers Zuschreibung der Beutelordnung an Luther schnell und wirkungsmächtig rezipiert werden könne: „Wird nicht gegen diese Annahme Widerspruch erhoben, so ist zu besorgen, daß Karl Müllers Darstellung des Sachverhalts alsbald in die Lutherbiographien und reformationsgeschichtlichen Darstellungen übernommen wird.“ 782 Zu diesem Text und dem nachfolgenden Austausch s. oben Anm. 695–720. 783 Barge, Armenordnung, S. 194: „Die vorliegende Abhandlung bildet ein Teilstück der Gesamtauseinandersetzung, die ich demnächst mit Karl Müller zu führen beabsichtige.“ 784 Ebd., S. 193 f. Zunächst Brieger, Rez. Müller, S. 491, Anm. 1, und dann Müller, Kirche, S. 122, verwiesen auf die Differenz zwischen dieser und der oben mit Anm. 780 ausgewiesenen Formulierung; weitaus deutlicher als ein Unterschied zwischen „fast alle“ und „schlechterdings alle“ ist freilich die Übereinstimmung, wobei sich eine leicht konzessive Bedeutung von „schlechterdings“ aus einem zusammenfassenden Wortgebrauch ableiten läßt; vgl. dazu die Ausführungen von Grimm, Wörterbuch, Bd. 15, Sp. 541, unter „überhaupt“. 785 Barge, Armenordnung, S. 224. 786 Gegenüber der moderaten Konzession, ebd., S. 204, „sofern die Texte der Ordnungen allein zum Vergleich herangezogen werden[, … münde] die Kontroverse notwendig in ein non liquet aus“, schließt Barge aus den extern bemühten Zeugnissen, ebd., S. 214: „Da[ß] jetzt feststeht, daß die Beutelordnung später fällt als die Stadtordnung“. 787 Der Übergang vom ersten Argumentationsgang zum zweiten vollzieht sich ebd., S. 204 unten. 788 Ebd., S. 211 f., macht dies an Bl. EIIJ fest (mit den Hervorhebungen von Barge): „Allhie hett man eynen loblichen weeg vnd mittel furgeschlagen, wan got sein gnad geben hett, soliche
278
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Beutelordnung 1900 unabhängig von Nikolaus Müller archivalisch aufgespürt und von dessen einem Jahr früheren Fund bis zur Rezension nichts gewußt zu haben.789 Ein Briefwechsel mit Nikolaus Müller habe im selben Jahr 1900 nur anderen Archivalien gegolten, u. a. einer Wittenberger Stadtverordnung von 1533, deren Veröffentlichung damals Barge Müller überließ.790 Deutlich gravierender war demgegenüber der zweite Aspekt, auf den Hermelink aufmerksam gemacht hatte: die Existenz einer durch Nikolaus Müller identifizierten Version der Beutelordnung von Luthers Hand. Gerade in der strittigen Datierungs‑ und Zuschreibungsfrage zwischen Karlstadt und Luther mußte dieser Hinweis entscheidende und mit Blick auf Barge vielleicht sogar entwaffnende Bedeutung haben. Barge wollte sich jedoch nicht vorschnell geschlagen geben und verlangte zunächst Aufklärung über den Fundort: „Solange als über den genauen Wortlaut und vor allem den Fundort dieses Exemplars nichts bekannt ist, läßt sich darüber Bestimmtes nicht sagen.“791 Sodann bereitete es sich erstaunlich bestimmt auf die Möglichkeit vor, die Existenz der betreffenden Handschrift erklären zu müssen. Sehr deutlich trat er auch hier für gedankliche Optionen ein, die seine Annahme einer Spätdatierung des Textes nicht „erschüttern“ mußten.792 So besonnen die anfängliche Einsicht war, zum gegebenen Zeitpunkt sachlich keine Stellung beziehen zu können, so apologetisch überstürzt und fachlich fragwürdig mochten die folgenden Auslassungen gewirkt haben. 2.4.7. Köhlers Kommentierung des Aufsatzes Köhler Zwischenbericht im „Theologische[n …] Jahresbericht“ war wiederum um eine ausgeglichene Einschätzung bemüht, die Barge und Müller aus einer kritischen eigenen Distanz gerecht zu werden suchte. Thematisch konzentrierte er sich ganz auf den Bargeschen Aufsatz: weeg vnd mittel tzu volbrengen. Vnd seind disse mittel furgenomen, das man eynen gemeinen Beutel oder Kasten solt aufrichten vnd dar eyn das eynkomen aller bruderschafften brengen.“ 789 Ebd., S. 198, Anm. 2 790 Ebd., S. 223, Anm. 1, als Grund für den eigenen Verzicht nennt Barge, „weil Nik. Müller [… die] Publikation als unmittelbar bevorstehend in Aussicht stellte. Seitdem sind acht Jahre verflossen, und die Publikation ist noch nicht erschienen. Nunmehr glaubte ich diese Mitteilungen der Wissenschaft nicht länger vorenthalten zu dürfen.“ Zur unbestimmten Bezeichnung der „Mitteilungen“ ist zu ergänzen, daß Barge auch 1908 keine Edition der betreffenden Dokumente, sondern nur literarische Referenzen geboten hatte. 791 Ebd., S. 221. 792 Ebd.: „Die Tatsache als solche, daß Luther ein Exemplar der Beutelordnung selbst geschrieben hat, vermag natürlich nicht meine kritischen Aufstellungen zu erschüttern. Er [Luther] kann sehr gut zur eigenen Information Abschrift […] genommen haben. Noch wahrscheinlicher ist, daß er sie auf Anfragen einem auswärtigen Freunde abgeschrieben und zugeschickt hat, der im Anschluß an die in Wittenberg vorgenommene Regelung der Armenpflege das Armenwesen seiner Stadt analog neu zu ordnen wünschte – so wie Karlstadt dem Kitzinger Freunde offenbar den Text der Ordnung zugesandt hatte“.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
279
„Die Argumentation ist sehr scharfsinnig. In einzelnen Punkten wird B.[arge] gegen Müller recht haben, ob aber im Gesamturteil, scheint Ref.[erenten], der an anderer Stelle sich dazu äußern wird, mindestens noch zweifelhaft. Es ist keineswegs alles überzeugend. […] Hingewiesen sei auf B.[arge]s Mitteilung, daß Nik. Müller die Beutelordnung in L[u]th.[er]scher H[and]dschr.[ift] entdeckt hat. Aber Original oder Abschrift durch L[u]th.[er]? ist die Frage.“793
Köhlers Kurzzusammenfassung erschien erst 1909, blieb aber die einzige Reaktion, die nur dem Aufsatz von Barge galt. 2.4.8. Positionierungen zugunsten Müllers – Holls Besprechung in den „Preußische[n] Jahrbücher[n]“ Die Reihe der Fachvertreter, die sich entschieden auf der Seite von Müller positionierten, war zu diesem Zeitpunkt, im Februar 1908, schon wortgewaltig von Karl Holl eröffnet worden. Dieser hatte vier Jahre als Müllers direkter Fachkollege in Tübingen gewirkt, bevor sich der Wechsel nach Berlin 1906 ergab.794 Bekanntlich verband sich Holls wirkungsmächtiger Einfluß auf die Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts mit dem ersten Band seiner „Gesammelte[n] Aufsätze zur Kirchengeschichte“ von 1921, der schon bald nach Holls frühem Tod 1926 als „eine neue Stufe in der Erkenntnis des Reformators“795 gepriesen wurde. Aufgrund dieser prägenden Rezeptionsvorgänge ist es aufschlußreich, Holls Annäherung an die Neuzeit für die Jahre um 1908 zu rekonstruieren. Auf das Parkett der reformationsgeschichtlichen Forschung hatte sich Holl erst 1903 mit einem vorsichtigen Schritt gewagt, der literarisch zunächst undokumentiert blieb796. Zwischen 1906 und 1908 bot er eine kleinere Sequenz dreier Texte zur Rechtfertigungslehre, die zu einem nicht unbedeutenden Teil Luther galt, mehr als historische Forschung zu betreiben aber gegenwartsorientierte systematische Fragen für ein breites Publikum elementarisierte.797 Auch sein erster auf einen Reformator fokussierter Beitrag stellte nicht Luther, sondern Calvin in dessen Jubiläumsjahr 1909 ins Zentrum.798 Erst im Folgejahr trat Holl mit seinem Aufsatz zur „Rechtfertigungslehre in Luthers Vorlesung über den Römerbrief mit 793 Köhler,
Jahresbericht 1908, S. 530 f. Datum für Holl s. bei Wallmann, Art. Holl, S. 515. Zu Müller s. oben Anm. 572. 795 Harnack hob mit diesen Worten die epochale Bedeutung in seiner Rede „bei der Gedächtnisfeier der Universität Berlin für Karl Holl am 12. Juni 1926“ hervor; s. dazu Karpp, Holl, S. 86. 796 Es handelt sich um den Vortrag „Luthers Urteile über sich selbst“ von 1903: vgl. Holl, Urteile, S. 381, Anm. 1: „Vortrag gehalten in Tübingen am 1. November 1903. Im Auszug wiedergegeben in den Süddeutschen Monatsheften Oktober 1917.“ Diese Einschätzung unterstützend und ergänzend s. die Redebeiträge nicht erfassende Publikationsliste: Holl, Verzeichnis, S. 578 f. 797 Holl, Verzeichnis, S. 579, bietet mit den Nr. 18, 23 und 27 die benannte Sequenz dreier Beiträge zur Rechtfertigungslehre. 798 Holl, Calvin; zum zeitlichen Kontext vgl. Strohm, Calvinerinnerung. 794 Das
280
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
besonderer Rücksicht auf die Frage der Heilsgewißheit“ als Lutherinterpret vor die Leserschaft der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“.799 Heinrich Assel terminiert in diese Zeit die entscheidende theologische Entwicklung: „Holls Durchbruch zu Luthers [sic] läßt sich chronologisch fixieren: er fällt – zusammen mit der erstmaligen Lektüre von Luthers Römerbriefkommentar – ins Winterhalbjahr 1909/1910.“800 Ungeachtet der inhaltlich anzulegenden Kriterien, nach denen ein theologischer „Durchbruch“ qualitativ zu bemessen sei, gehört Holls Rezension von Müllers Monographie in die Frühphase von Holls Annäherung an die reformationsgeschichtliche Forschung. Gerade zu diesen Anfängen enthält sein im Februar 1908 in den „Preußische[n] Jahrbücher[n]“ erschienener Text eine aufschlußreiche persönliche Reminiszenz. Demnach war Holl durch Barges Biographie dazu „angeregt“ worden, die einschlägigen Quellenbestände zur Wittenberger Bewegung in Lehrveranstaltungen des Wintersemesters 1906/1907 zu behandeln.801 Eine literarische Ausarbeitung unterblieb, wofür Holl „andere Arbeiten“ anführte.802 Chronologisch markiert das benannte Semester aber nicht nur Holls erste Berliner Lehrtätigkeit, sondern auch den Beginn einer nach Epochen gestalteten Arbeitsteilung in der Seminarleitung in einen älteren, von Harnack betreuten und den von Holl verantworteten neueren Bereich803. Holls Auseinandersetzung mit Barge zum Jahreswechsel 1907 steht somit im direkten Zusammenhang mit der Übernahme eines neuzeitlichen Lehrdeputats804. Zugleich deutet sich in der Chronologie ein Anschluß an die publizistische Debattenlage an, da Kaweraus Eröffnungsvotum schon ein knappes Jahr zuvor erschienen war805. Denkbar ist, daß Holl von seinen literarischen Plänen Abstand nahm, nachdem sich die Dynamik der kritischen Diskussion intensiviert hatte. Wahrscheinlich ist zudem, daß Holl schon frühzeitig über Müllers Reserven gegenüber Barges Biographie informiert war, da die beiden nicht nur in Tübingen im engen Austausch miteinander standen, sondern Müller auch in Berlin eine 799 Holl, Rechtfertigungslehre. Auch der 1911 erstmals gehaltene Vortrag zur „Kulturbedeutung der Reformation“ wurde zunächst 1918 mündlich wiederholt, bevor die Drucklegung in ihren textkritisch nicht mehr rekonstruierbaren Überarbeitungen 1921 erfolgte, s. dazu Holl, Kulturbedeutung, S. 468, Anm. 1: „Vortrag gehalten in Berlin, Pfingsten 1911, wiederholt in Stuttgart, 3. Januar 1918“. 800 Assel, Lutherrenaissance, S. 81. Für einen systematischen Vergleich der Hollschen Positionen vor und nach 1909 vgl. ebd., S. 81–100. 801 Holl, Rez. Müller, S. 329: „Durch Barge angeregt, hatte ich im vorigen Winter Uebungen über das Jahr 1521–22 gehalten und trug mich selbst mit dem Gedanken, darüber zu schreiben.“ Die im März 1908 veröffentlichten Worte löst auch Müller, Kirche, S. 123, chronologisch entsprechend auf: „im Winter 1906/7 [hatte Holl] in seinem Seminar die Wittenberger Ereignisse von 1521/2 behandelt“. 802 Holl, Rez. Müller, S. 329: „Nachdem Müllers Buch erschienen ist, ist es mir nicht mehr leid, daß andere Arbeiten die Ausführung verhinderten.“ 803 Vgl. dazu Karpp, Holl, S. 40 f., Anm. 1. 804 Zu den ersten Sondierungen der vorgesehenen Lehrveranstaltungsformate s. den Brief von Holl an Harnack vom 3. April 1906, in: ebd., S. 40–42, Nr. 23. 805 Vgl. dazu oben Anm. 506–526.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
281
der wichtigsten Bezugspersonen für Holl blieb806. In jedem Fall hatte Holl noch deutlich nach Kaweraus Rezension und dem ersten Votum von Müller in Betracht gezogen, seinen ersten reformationsgeschichtlichen Forschungsbeitrag mit einer quellenbezogenen Kritik des Bargeschen Schlußkapitels vorzulegen. Dies wirft zusätzliches Licht auf Holls Erstbegegnung mit Troeltsch, der beim Stuttgarter Historikertag im April 1906 jenen Vortrag über die „Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ hielt, der nicht nur systematisch, sondern auch genetisch als die bestimmende Gegenposition zu den von Holl seit 1906 entwickelten rechtfertigungstheologischen Konzeptionen in Betracht gezogen wurde807. Aufschlußreich ist, daß Holl im zeitlichen Anschluß an die Konfrontation mit Troeltschs Modernismustheorie eine literarische Auseinandersetzung mit Barge plante, die mit den Schlußpassagen des ersten Bandes einer Diskussion von Positionen gegolten hätte, die denjenigen Troeltschs strukturell vergleichbar waren. Zu den „andere[n] Arbeiten“, die Holl vorzog, gehörte die positive Bestimmung eines theologischen Propriums, das er mit der Konzentration auf die Rechtfertigungslehre seit 1906 literarisch zu explizieren begann. Weniger im Unterschied, vielmehr als Ergänzung der Daterierung eines „Durchbruch[es] zu Luther“ auf Ende 1909 und der positionellen Frontstellung zu Troeltsch seit April 1906808 ist zu betonen, daß Holl schon 1905 zum Thema der Rechtfertigungslehre gefunden hatte. Dies dokumentiert die frühe Aufsatzserie809, für die, wie stets bei Holl, eine redaktionsgeschichtliche Orientierung über die unterschiedlichen Textfassungen von Bedeutung ist. Inhaltlich ist der Eröffnungsbeitrag besonders ergiebig: Holl erster Protest gegen eine neuerliche Relativierung der Rechtfertigungslehre war demnach ein vor liberalem Publikum gehaltener „Vortrag […] auf der Versammlung der Freunde der Christlichen Welt am 17. Oktober 1905“.810 Die Erstfassung wurde 1906 gedruckt, eine Überarbeitung 1922; Lietzmanns Nachdruck im dritten Band der „Gesammelte[n] Aufsätze zur Kirchengeschichte“ wiederholt die Textgestalt von 1922. Aufschlußreich für die Veranlassung der Ausführungen von 1906 sind die Zusätze des Jahres 1922. 1906 richtete sich Holl ganz gegen die rechtfertigungskritischen Positionen Paul de Lagardes, die „während seiner Lebzeiten unwirksam geblieben“, „[s]eit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts“ aber rezipiert worden seien – indirekt und einzig namentlich bei Dilthey, direkt und ohne Namensnennung „auf neu806 Dies schlägt sich auch in dem erhaltenen Briefwechsel von Karl Müller nieder, der für keinen seiner Freunde, Kollegen oder Schüler einen so umfangreichen Bestand bietet, wie die Korrespondenz mit Holl. Leider datiert das älteste Stück erst auf den 31. Oktober 1909; vgl. dazu UA Tübingen, 514/34, Nr. 1. 807 Vgl. dazu besonders Korsch, Antipode, S. 221f, Anm. 24. 808 Zum ersten s. oben Assel in Anm. 800, zum zweiten Korsch in der benachbarten Anm. 807. 809 S. dazu oben Anm. 797. 810 S. dazu, o. P., die Rückseite des Titels von Holl, Geschichte 1906.
282
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
testamentlichem und reformationsgeschichtlichem Gebiet“.811 1922 führte Holl die Position Lagardes auf einen unselbständigen Anschluß an Fichte zurück812, benannte die einschlägigen Passagen bei Dilthey813 und identifizierte vor allem die theologischen Positionen und Autoren, gegen die er sich richtete. Noch vor Lagarde wurde nun die „sog. religionsgeschichtliche […] Schule“814 genannt, der auch der „Weizsäcker in seiner [relativierenden] Darstellung der paulinischen Lehre“ noch übertreffende „Wrede“ zuzuordnen ist, der diese historisch „nur [… aus der] Abwehr gegenüber dem Judentum“ erklärt habe815. Die Allusion bezieht sich eindeutig auf Wredes 1904 erstmals erschienenen „Paulus“-Band in den „Religionsgeschichtliche[n] Volksbüchern“.816 Die Redaktion des Jahres 1922 legt nahe, daß sich die Ausführungen von 1905 und 1906 primär gegen Wredes exegetische Relativierung der Rechtfertigungslehre richten. Auch das von Holl gewählte literarische Format weist in diese Richtung, da es eine vergleichbare Gestalt und Adressatenorientierung annahm wie Wredes auf Popularisierung bedachter Beitrag. Völlig unerwähnt bleiben 1922 die reformationsgeschichtlichen Studien, die sich gegenüber einer Rechtfertigungstheologie kritisch verhielten. Barge gehörte positionell zweifellos in diesen Zusammenhang, mußte für Holl aber mit Blick auf die akademische Qualifizierung den innertheologischen Gegnern nachstehen. So überrascht es nicht, daß Holls indirekte Reaktion auf Barge in der Besprechung von Müllers Gegenschrift keinerlei Bezug auf die Frage der Rechtfertigungslehre nahm. Mit seiner Rezension zwei Jahre später unterschrieb Holl die von Müller gegen Barge gerichtete Analyse uneingeschränkt: „Ich habe die Freude gehabt, die Ergebnisse, zu denen ich gelangt war, durch Müller bestätigt zu finden. Ich wüßte keinen Punkt zu nennen, wo ich gegen Müller etwas zu erinnern hätte.“817 Die von der Karlstadt-Biographie ausgehende Gefahr schilderte Holl in der fachlichen Irreführung eines Laienpublikums818, auf welches „das Buch auch als literarische Leistung anregend wirkte“, da es „in lebendiger, der Gegenwartsstimmung entsprechender Auffassung“ geschrieben sei819. Die situative Berech811
Zu dem Zusammenhang vgl. insgesamt ebd., S. 1 f.; zu den Zitaten ebd., S. 2. der breiteren Verfügbarkeit wird Holl, Geschichte 1922, im folgenden primär zitiert nach Holl, Geschichte 1928; die betreffenden Seitenzahlen des grundlegenden Druckes von 1922 stehen in eckigen Klammern nach; hier: ebd., S. 524 [2]. 813 Ebd., S. 525 f., Anm. 1 [1]. 814 Ebd., S. 525 [1]. 815 Ebd., S. 526 [2 f.]. 816 Vgl. dazu Wrede, Paulus, S. 72 f. Zum forschungsgeschichtlichen Kontext innerhalb der sog. Jesus-Paulus-Debatte, mit der sich Jüngel seit seiner Dissertation beschäftigt, vgl. zuletzt knapp Jüngel, Rechtfertigung, S. 29. Für seine erste Zusammenfassung s. Jüngel, Paulus, S. 8 f. 817 Holl, Rez. Müller, S. 329. 818 Ebd., S. 328: „auch außerhalb der Fachkreise [hat das Buch] Beachtung gefunden […]. Welchen Eindruck es auf den Laien machte, zeigte vor allem eine Besprechung Naumanns in der Hilfe.“ 819 Ebd. 812 Aufgrund
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
283
tigung einer ausführlichen Kritik Barges leitete Holl aus zwei Gründen ab. Zum einen sei sie „nur in den rasch vorübergehenden Besprechungen der Zeitschriften zum Wort“ gekommen, zum anderen habe „Barge sich durch sie in seiner Zuversicht kaum […] erschüttern lassen.“820 Nicht nur erschüttert, sondern vollauf vernichtet sei die biographische Konstruktion durch Müllers Untersuchung: „In allen Stücken hat Karl Müller diesen Aufbau zerstören müssen […,] wo Müller anfaßt, bricht das Gebäude zusammen“.821 Die betreffende Erkenntnis müsse vor allem nun Barge erreichen822, der aber für einen Vergleich zwischen Karlstadt und Luther nicht nur methodisch, sondern auch aufgrund seiner mangelhaften Lutherkenntnisse völlig ungeeignet gewesen sei823. Als einen Akt der Milde deutete so auch Holl, daß Müller jede Verständigung mit Barge über Luther kategorisch verweigerte: „Müller hat vornehm darauf verzichtet, seine theologische Ueberlegenheit Barge gegenüber mehr zur Geltung zu bringen, als unbedingt erforderlich war. Hätte er sie ausnützen wollen, so wäre es ihm nicht schwer gewesen, Barges Bewunderung für Karlstadt in ein noch seltsameres Licht zu rücken.“824
Als ebenso erdrückend wie die wissenschaftliche Übermacht von Barges akademischem Gegner schilderte Holl Luthers theologische Größe825. Karlstadt hingegen sprach er jede Qualität als Theologe ab.826 Augenfällig sind die argumentativen Parallelen zwischen den wissenschaftlichen Diskreditierungen Karlstadts und Barges827. Nicht zu übersehen sind auch die direkten Anleihen an den Selbstverständnissen Müllers, insbesondere der „Vorrede“ seiner Monographie.828 820
Ebd. Ebd., S. 330. 822 Ebd., S. 331: „Möchte nur Müllers Buch bei Barge selbst den richtigen Erfolg haben.“ 823 Ebd., S. 328: „Aber was man unbedingt von dem Historiker fordern muß, ist doch, daß er den Pragmatismus exakt darstellt und die Größen, die er miteinander vergleicht, wirklich kennt. An beidem hat es jedoch bei Barge gefehlt.“ 824 Ebd., S. 330. 825 Ebd., S. 328: „Luther kann es ertragen, daß andere neben ihm gelobt und seine Schranken aufgezeigt werden; er bleibt trotzdem der einzig Große.“ 826 Ebd., S. 330: „Wer sieht als Theologe nicht, daß es Karlstadt an der ersten Voraussetzung wirklicher Produktivität, nämlich an Anschauung, gebricht?“ 827 Dies setzte sich auch nach 1908 fort, indem Karlstadt und Barge Holl nur noch beiläufiger Erwähnungen wert waren. Für eine 1917 statuierte reine Abhängigkeit Karlstadts von Luther s. Holl, Krieg, S. 148; 1920 ironisierte Holl Barges „bekannte […] ‚Unparteilichkeit‘ für Karlstadt“, Holl, Auslegungskunst, S. 566, Anm. 1. Holl, Schwärmer, S. 422, Anm. 1, erinnerte 1922 daran, daß Müller aufgezeigt habe, wie Barges Darstellung „schon an den Daten der einzelnen Vorgänge scheitert“. Nicht ohne Humor ist die Referenz von 1911, mit der Holl, Kirchenregiment, S. 360, Anm. 1, sich auszumalen suchte: „Was übrigens Calvin selbst wohl dazu gesagt hätte, wenn ihm Karlstadt als der ‚Calvinist unter den Wittenbergern‘ vorgestellt worden wäre? (so Naumann, dem Barge […] zustimmt).“ 828 Besonders einschlägig, da ohne ausdrücklichen Bezug auf den oben durch Anm. 738 ausgewiesenen Passus ist Holl, Rez. Müller, S. 330: „Die Bedeutung von Müllers Buch geht über die einer Streitschrift weit hinaus. Das Schwergewicht liegt letztlich im Positiven.“ Vgl. dazu ebd., S. 330 f.: „Es wäre darum gewiß nicht in seinem Sinn, wenn man von seinem Buch 821
284
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
So wichtig die gebotene Reminiszenz von Holl einer noch Anfang 1907 von ihm intendierten kritischen Auseinandersetzung mit Barge in werkgenetischer Hinsicht ist, so sehr erweist sich die Rezension als eine Gelegenheitsschrift, der die zeitgeschichtliche Bedeutung einer tonangebenden Eröffnungsanzeige zukam. 2.4.9. Bosserts Auseinandersetzung mit Müller Etwa zwei Monate nach Holl, aber ohne erkennbaren Bezug auf diesen, erschien am 11. April 1908 in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ eine Besprechung von Müllers Monographie. Sie wurde von dem Pfarrer und „verdiente[n …] Historiker“ Gustav Bossert beigesteuert, der das ersten Jahr seines Ruhestands in Stuttgart verbrachte829 und den Müllerschen Band einer eingehenden Revision unterzogen hatte. Mit bemerkenswerter Akribie und Quellenkenntnis trug er verschiedene kleinere Ergänzungen und Korrekturen zusammen, die sowohl Barge wie auch Müller betrafen830. Im ganzen votierte Bossert freilich für die Perspektive Müllers. Auf Bossert mag auch die Kurzanzeige im „Literarische[n …] Zentralblatt“ vom 31. Oktober 1908 zurückgehen, die durch die Initialen „G. B.“ ausgewiesen wurde. Sie bot eine knappe Übersicht zu den Hauptkapiteln der Müllerschen Monographie, ordnete diese in die bisherige Kontroverse ein und empfahl Müller als notwendige Ergänzung zu den Bargeschen Ausführungen: „M.[üller]s gründliche und für die reformationsgeschichtliche Forschung wichtige Untersuchungen werden jedem, der Barges Buch kennt, willkommen sein und müssen von jedem, der Barges Buch benutzt, herbeigezogen und studiert werden. Auch Barge selbst wird zweifellos zu ihnen Stellung nehmen.“831
2.4.10. Der Anschluß des „Theologische[n …] Literaturblatt[es]“ an Brieger und Müller Knapp drei Monate nach Bosserts erster Rezension erschien am 3. Juli 1908 auch im „Theologische[n …] Literaturblatt“ eine zustimmende Besprechung des Müllerschen Buches.832 Der Autor läßt sich nicht mehr bestimmen, da auf jede Unterzeichnung des Artikels verzichtet wurde. Wichtig ist, daß der Text nur mit dem Eindruck schiede, daß er Barge ‚vernichtet‘ habe. Auch um Barges willen nicht. Müller hat es selbst als seine Ueberzeugung ausgesprochen (Vorrede S. VII), daß Barges Buch trotz allem wegen des Reichtums des darin aufgespeicherten Materials die Grundlage für die Karlstadtforschung bleiben wird.“ 829 S. dazu Anon., Art. Bossert. 830 Für eine Korrektur Müllers in einer fehlerhaften lateinischen Auflösung des Bürgermeistertitels s. Bossert, Rez. Müller, Sp. 244; für eine weder von Müller noch von Barge abschließend beantwortete Frage zu Ochsenfart s. ebd., Sp. 246. 831 B., Rez. Müller, Sp. 1414. 832 Anon., Rez. Müller.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
285
im ganzen einen kleinen Literaturbericht zur bisherigen Debatte lieferte, an der sich das Periodikum zuvor nicht beteiligt hatte. Etwa zur Hälfte schilderte der knapp zwei Spalten umfassende Beitrag die Forschungsgeschichte zu Karlstadt vor Barge, dessen Bedeutung833 und benannte von den früheren Kritikern: „vor allem Brieger, Friedensburg, Hausrath, Kawerau, Kolde, Karl Müller“834. Auffällig ist nicht nur, daß der kritische Berichterstatter Brieger an die Spitze dieser Aufzählung rückte, sondern auch an Barges Darstellung dessen „falsche Anschauung, Karlstadts Mystik sei verhältnismässig original“835, bemängelte. Abgesehen von den namentlich unerwähnten Clemen und Hermelink hatte in der Tat nur Brieger zu diesem Zeitpunkt auf das Thema der Mystik abgehoben836, das in der Gesamtauseinandersetzung eine völlig nachgeordnete Rolle spielte. Brieger und dessen Eröffnungsvotum, das eine Kenntnis der zweiten Clemenschen Anzeige wiederum voraussetzte, überschätzte der unbenannte Rezensent massiv. Zugleich weist der Beitrag eine auffällige Parallele zu Briegers am 25. November 1908 gedruckter Anzeige des Müllerschen Buches auf: Beide Texte beschränken sich auf ein inhaltliches Referat der drei ersten Hauptkapitel und bieten für die verbleibenden Abschnitte eine vollständige837 bzw. teilweise838 Wiedergabe der jeweiligen Überschriften. Dieses Vorgehen findet in der gesamten Debatte keine weitere Entsprechung. So deutlich die literarische Abhängigkeit der Rezension im „Theologische[n …] Literaturblatt“ von Briegers Votum in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ ist, so eindeutig nimmt der Text auch dessen Reaktion vom November 1908 vorweg. Zugleich unterscheidet sich die benannte Anzeige von den beiden von Brieger gezeichneten Voten durch den moderateren Ton. Denkbar ist sowohl, daß die Kurzzusammenfassung der Debatte im „Theologische[n …] Literaturblatt“ von Brieger selbst beigesteuert wurde, wie auch, daß dieser seine noch ungedruckte Rezension einem unselbständigen Autor zur Verfügung stellte. In jedem Fall illustriert der Text eine ansatzweise, darin aber vergleichsweise marginale Wirkungsgeschichte von Briegers Bemühungen, die Diskussion um Barges Monographie publizistisch auszuweiten. 2.4.11. Cohrs’ Anschluß an Müller in seiner Folgerezension zu Barge Ebenfalls ohne erkennbare Bezüge auf Holl folgte ein knappes halbes Jahr später Ferdinand Cohrs’ zweiter Beitrag zur Debatte. So unzeitgemäß er in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ als Anzeige des zweiten Bandes von Barge erschien
833 Ebd.,
Sp. 320 f. Sp. 320. 835 Ebd., S. 319. 836 Vgl. dazu oben Anm. 608. 837 S. dazu unten Anm. 848. 838 Anon., Rez. Müller, Sp. 320. 834 Ebd.,
286
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
und so lange er damit im Verzug stand839, so schnell reagierte Cohrs nicht nur auf Müllers Monographie, sondern auch auf Barges erste Antwort in den „Monatshefte[n] der Comenius-Gesellschaft“ vom Januar 1908840. Unter dem 4. Juli 1908 referierte er kurz den gegenwärtigen Diskussionsstand und begründete seine eigene Abkehr von Barge: „Dennoch kann ich nicht umhin, zu bekennen, dass Müllers Ausführung von der Einseitigkeit Barges in der Behandlung der Quellen mich überzeugt haben.“841 Die von Cohrs namhaft gemachte Kritik eröffnete mit einzelnen der seit Kawerau präsenten Topoi842, nahm dann aber eine überraschende Wendung, indem sie sich ganz den letzten Lebensjahrzehnten in der Schweiz und damit einem zeitlichen Rahmen zuwandte, der von Müller nicht traktiert worden war, wohl aber von Egli in einer der frühesten Auseinandersetzungen mit Barges zweitem Band843. Die vorsichtigen Anfragen des Zürcher Reformationshistorikers nahm Cohrs auf, verband sie mit den kritischen Impulsen Müllers und formulierte sanft vermittelnd die erste Anregung einer Überarbeitung: „Ich würde mich freuen, dürfte ich von dem Buche eine zweite Auflage erleben, in der der Verfasser seine schönen Entdeckungen nach reiflicher Prüfung aller Einwände rein fachlich neu bearbeitet und vielleicht durch neue Funde befruchtet wieder vorlegte.“844
2.4.12. Briegers zweite Verschärfung der Debatte – seine Anzeige von Müller in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ Nicht als Moderator, sondern wiederum als Aufpeitscher engagierte sich Brieger, als er am 25. November 1908 Müllers Buch in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ anzeigte. Er referierte zudem zwei der drei ersten Reaktionen von Barge845, um auf dieser Grundlage zur Hauptaussage seiner Rezension zu gelangen: Als Wissenschaftler habe Barge völlig „dilettantisch“ gearbeitet; seine „Verständnislosigkeit“ und sein „Mangel an einschlagenden Fachkenntnissen“ verhinderten aber „von vornherein“ eine bessere Einsicht.846 Gegenüber dem unbelehrbaren Biographen Barge wird der Kritiker Müller als Inbegriff einer „Unbefangenheit des Urteils, ruhige[r] Besonnenheit und Sicherheit der Me-
839 Vgl.
dazu oben Anm. 467. dazu oben Anm. 772–778. 841 Cohrs, Rez. Barge 1908, Sp. 414. 842 Vgl. dazu ebd., Sp. 413: „offensichtliche Ungerechtigkeiten“; „seine Anteilnahme an seinem Helden, die unverkennbar zunimmt, […] hat ihn unwillkürlich in eine Parteinahme gegen Luther hineingetrieben“. 843 S. dazu oben Anm. 427. 844 Cohrs, Rez. Barge 1908, Sp. 416 f. 845 Es handelt sich um die beiden Texte Barge, Erwiderung, und Barge, Armenordnung; vgl. dazu oben die Anm. 779 f. und 781–792. 846 Brieger, Rez. Müller, S. 491. 840 S.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
287
thode“847 geschildert, und diese Opposition bestimmt die weithin additive Paraphrase der Müllerschen Ausführungen. Brieger orientierte sich eng an der Gliederung der Monographie, brach nach den ersten drei Hauptkapiteln jedoch ab, um in einer Anmerkung den Rest des Inhaltsverzeichnisses zu bieten848 und im Haupttext zu konstatieren, daß „[s]chon meine Bemerkungen über die erste Hälfte des Buches […] gezeigt haben [werden], daß kein Leser der Bargeschen Monographie über Karlstadt diese Untersuchung unbeachtet lassen darf […]: überall sieht er sich an der Hand eines kundigen Führers durch bis jetzt noch lange nicht genug erforschte Gebiete geführt.“849
Nur hinsichtlich der Müllerschen Konzession einer Entwicklung in Luthers Gemeinde‑ und Kirchenbegriff 850 äußerte Brieger leichte Bedenken851. Um so bestimmter griff er Müllers Vorwurf einer „reine[n] Phantasie“852 gegen Barge auf 853, steigerte ihn aber nun zum offenen Spott854 und zu pathologischen Deutungshorizonten855. Im Umgang mit Barges Aufsatz zur Spätdatierung der „Beutelordnung“, deren Diskussion Brieger in eine Anmerkung verbannte, ging er noch weiter. Über die Arbeit mit externen Belegen heißt es: „Die einzige authentische Nachricht, welche wir über die Errichtung des ‚Fiscus‘ im November 1521 haben, wird vergewaltigt.“856 Als völlig verfehlt fertigte er Barges Anfragen und Überlegungen zu dem von Hermelink mitgeteilten Quellenfund einer Lutherschen Handschrift ab. Die Zuordnung zwischen Luther und Karlstadt weiter zu hinterfragen, erübrige sich von selbst: „Es bedarf keiner Bemerkung, daß diese Tatsache sehr bestimmt darauf hinweist, daß wir die Beutelordnung auf Luther zurückzuführen haben.“857 Auch Brieger verweigerte sich somit einer quellenbezogenen inhaltlichen Auseinandersetzung mit Barge und verwies nur summarisch auf Müller als den Forscher, der die wissenschaftlichen Zumutungen 847 Ebd.
848 Ebd.,
S. 495, Anm. 1. Ebd., S. 495. 850 Vgl dazu oben Anm. 757. 851 Brieger, Rez. Müller, S. 495. „[S]tarke Bedenken“ gelten demgegenüber, ebd., Paul Drews, der weitaus deutlicher auf Luthers Differenz von einem „Staatskirchentum“ abgehoben hatte. 852 Vgl. dazu oben Anm. 765. 853 Vgl. dazu Brieger, Rez. Müller, S. 492: „Eine nüchterne Prüfung der Quellen und die Erhebung des Tatsächlichen aus ihnen liefert nun freilich für das phantastische Gemälde Barges nicht einmal den Schatten einer Unterlage.“ 854 Ebd., S. 494: „Im dritten Hauptabschnitt […] hat sich Karl Müller der Mühe unterzogen, das nachgerade bekannte lustige Paradestück der Bargeschen Quellenbenutzung und phantasievollen Geschichtskonstruktion zu beleuchten, wonach Luther als Mandatar des Reichsregiments […] von der Wartburg zurückgekehrt ist, um nun in Wittenberg eine katholische Reaktion durchzuführen.“ 855 Ebd., S. 494 f.: „Auch hier aber hat Karl Müller nicht allein das Verdienst, in minutiöser Weise das Hirngespinst Barges ein für allemal zerrissen zu haben“. 856 Ebd., S. 492, Anm. 1. 857 Ebd., S. 493, Anm. 1 cont. 849
288
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
des Karlstadt-Biographen erschöpfend beantwortet habe. So sehr sich Brieger mit seiner Anzeige dafür engagierte, die fachliche und persönliche Diskreditierung Barges noch weiter zu steigern, suchte er zugleich die Fortsetzung oder Vertiefung einer wissenschaftlichen Diskussion der Biographie zu verhindern. Weitere Studien hätten Karlstadt zu gelten und diesen als Mann des Mittelalters zu zeigen.858 2.4.13. Barges erste Zusammenfassung der Debatte und argumentative Konsequenzen in der „Ehrengabe Karl Lamprecht“ In der „Ehrengabe“ für Karl Lamprecht erneuerte Barge 1909 die Gegenthese, daß nicht Karlstadt, sondern Luther in stärkeren Kontinuitäten zum Mittelalter stünde. Er bezog sich damit nicht auf Brieger – was er aufgrund der Verzögerungen in der Drucklegung des Sammelbandes wohl auch gar nicht konnte859 –, sondern replizierte auf die Tübinger Antrittsvorlesung von Scheel860. Ausdrücklich würdigte Barge die „ruhige […] Sachlichkeit“861 des Beitrages, von dessen „Wunsch […], es möchte eine gegenseitige Verständigung zu erreichen sein“862, sich Barge gerade in der Debattenlage des Jahres 1908 angesprochen fühlen mochte. Das Buch von Müller setzte Barge jedenfalls voraus, auch wenn er es erst in der letzten Anmerkung seines Aufsatzes zitierte863. Angemessen dürfte es sein, den Text sowohl als eine direkte Antwort auf Scheel als auch als indirekte Antwort auf Müller zu lesen, wobei es jedoch aussichtslos wäre, die betreffenden Anteile einzeln zu bestimmen. Unabhängig davon sind in dem Text drei argumentative Spezifika auffällig, die sich deutlich von früheren Beiträgen Barges – einschließlich der Biographie – abheben. Zum einen wird nicht mehr primär die Gegenüberstellung des an einem allgemeinen Objektivitätsideal orientierten Historikers gegen eine konfessionell voreingenommene Theologenzunft aktualisiert.864 Die Opposition, die Barge 858 Dieses Anliegen steht in direkter Kontinuität zu dem Votum vom September 1906, vgl. dazu oben Anm. 608, auch wenn der Anreiz für mögliche Aspiranten erhöht wird, Brieger, Rez. Müller, S. 491: „Allerdings wäre es wünschenswert, daß Karlstadt, nachdem er einmal als ‚Reformator‘ in den Vordergrund gezerrt ist, nicht bloß als Scholastiker, sondern auch als Mystiker von einem Kenner der betreffenden Bewegungen des Mittelalters (am besten vielleicht rein positiv, d. h. ohne das Bemühen, die Fäden des Bargeschen Labyrinthes zu entwirren) dargestellt würde, so daß volle Klarheit entstände über das Maß von Kraft und Originalität, das ihm in dieser wie in jener Hinsicht eigen ist.“ 859 Vgl. dazu einleitend Barge, Rez. Ehrengabe Lamprecht, S. 876; zu der wahrscheinlichen Veranlassung des ungewöhnlichen Vorgangs, einen Sammelband zu rezensieren, an dem man als Autor selbst beteiligt war, vgl. oben Anm. 185. 860 Vgl. dazu oben Anm. 623–637. 861 Barge, Streit, S. 198. Im selben Jahr wiederholte er dies auch nochmals mit Blick auf Scheel und Kawerau; vgl. dazu oben Anm. 658. 862 Barge, Streit, S. 198. 863 Ebd., S. 212, Anm. 2; zu dem Kontext s. oben Anm. 736. 864 Vgl. dazu oben Anm. 655. Begrifflich integrierte Barge die Opposition auch in Barge,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
289
stattdessen anführte, ist demgegenüber gesamtuniversitär allgemeiner sowie innertheologisch spezieller, indem „der Historiker“865 von dem „Systematiker“866 unterschieden wird, zu dem er nie werden dürfe. Die Grunddifferenzen zwischen induktiven und deduktiven867 oder objektiven und subjektiven Zugangsweisen werden nicht schematisierend akzentuiert und schon gar nicht einseitig zugewiesen. Vielmehr tritt der Text für eine vermittelnde Option ein: „Vollendete ‚Objektivität‘ mündet aus in ein nüchternes Registrieren von Tatsachenkomplexen, das als Ideal der Geschichtsschreibung nicht angesehen werden kann“868. Gegenüber den früheren geschichtstheoretischen Reflexionen von Barge markierte dies freilich keine Veränderung; zehn Jahre zuvor hatte er den für ihn sicher weitaus älteren Gedanken fixiert, daß eine rein additive Materialarbeit keine historiographische Leistung zu sein beanspruchen könne, da es ihr an den nötigen Elementen des persönlichen Urteils und der historischen Kritik gebreche.869 Im Jahr 1909 mochte die Abkehr von der vorher scharf umrissenen Alternative ebenso eine Antwort auf den Konstruktivismusvorwurf sein wie das Angebot einer zweiten, moderateren Diskussionsphase. Ein aufschlußreiches Selbstverständnis verbindet sich indes mit der neuerlichen Opposition des Historikers zum Systematiker, insofern Troeltsch von Barge zwar ausführlich diskutiert, in der letzten Konsequenz aber doch zum Systematiker degradiert wurde870. Würdigung als Historiker erfuhr demgegenüber Paul Wappler, für den sich Barge auch während des folgenden Jahrzehnts noch mehrfach einsetzen sollte.871 Streit, S. 205; dies geschah jedoch an nach‑ sowie untergeordneter Stelle: „Es gewährt einen tiefen Einblick in den Unterschied historischer und theologischer Betrachtungsweise, daß solche mit lebendiger Anteilnahme geschriebenen Analysen der Gedanke eines Gegners Luthers gegenwärtig noch den Kirchenhistorikern in ihrer überwiegenden Mehrzahl unerträglich erscheinen.“ 865 Ebd., S. 192. 866 Ebd., S. 193: „Nie darf er [der Historiker] zum Systematiker werden, dem die geschichtlichen Ereignisse nichts anderes darstellen als Bausteine zu dem Hause einer festgeschlossenen, religiösen Weltanschauung.“ 867 Vgl. dazu allenfalls in der Diskussion Scheels, ebd., S. 206: „Sein Ausgangspunkt ist logisch-deduktiver Natur.“ 868 Ebd., S. 194. 869 Vgl. dazu nur Barge, Anschauungen, S. 8: „Indem bei den Arbeiten, die sie [die frühen Vertreter der „Monumentenschule“] zu bewältigen hatten, oberstes Erfordernis ein völliges Zurückdrängen des persönlichen Standpunktes, ein selbstloses Versenken in den zu verarbeitenden Stoff war, ging ihnen die Fähigkeit verloren, den geschichtlichen Thatsachen mit selbständigem Urteil gegenüberzutreten.“ 870 Barge, Streit, S. 193: „Selbst mit der Arbeitsweise eines Ernst Troeltsch wird sich die des Historikers nicht decken können, so tief auch Troeltschs Denken in der Geschichte verankert ist. Denn dessen Ausgangspunkt ist […] ein praktisch-religiöser […]. Von diesem Standpunkte her hat Troeltsch ein Anrecht darauf, einerseits historische Erscheinungen zu ignorieren, […] andererseits […] den Wert [… derer und der selektiv dargestellten] für den Menschen des 20. Jahrhunderts“ zu beurteilen; zu Barges Auseinandersetzung mit Troeltsch s. oben Anm. 195. 871 Barge, Streit, S. 203 f. Für die folgenden literarischen Bezüge s. oben Anm. 173 f., 195 und 314. Interessanterweise aktualisierte er darin auch später nochmals die Unterschiede von Wappler und Troeltsch zueinander.
290
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Der zweite Aspekt, in dem sich Barges Beitrag von seinen früheren Voten unterscheidet, betrifft die Detailliertheit einer theologiegeschichtlichen Selbstpositionierung. Kein anderer Text erklärt so ausführlich seine Ablehnung der Ritschlschen Theologie aus einer dogmatischen Engführung auf Sündenlehre und Soteriologie, die in Augustin angelegt und durch Luther rechtfertigungstheologisch ausformuliert worden sei, darin aber weder der historischen noch der gegenwärtigen Fülle allgemeiner religiöser Phänomene Rechenschaft tragen könne.872 Sehr exakt reflektierte Barge die dogmenkritische Bedeutung der historiographischen Arbeit: „Die geschichtliche Bedingtheit der Lutherschen Rechtfertigungslehre erkennen, heißt ihr den Anspruch auf Allgemeingültigkeit streitig zu machen.“873 Für eine entsprechende Emanzipation trat er unter Rekurs auf humanistische und pädagogische Motive ein.874 Theologisch berief er sich auf Schleiermacher, indem er sehr allgemein über „den Historiker“ konstatierte: „Am ehesten würde ihm eine Wertbeurteilung anstehen, die in den religiösen Tatsachen die Echtheit des religiösen Erlebens als solchen zu würdigen sucht, etwa in dem Schleiermacherschen Sinne der Religion als Selbstbesinnung auf den Wesensgehalt des persönlichen Lebens.“875
Was theologisch wie ein Programm, von Ritschl zurück zu Schleiermacher zu gehen, anmuten mochte, war tatsächlich das Plädoyer dafür, von einem konfessionell gebundenen zu einem allgemeinen und freien Religionsideal fortzuschreiten, das sich historiographisch in einer „allgemeinen Religionsgeschichte“876 niederschlagen könne. Die dritte Besonderheit, der den Aufsatz gegenüber der Biographie und Barges Anschlußvoten auszeichnet, ist die Eindeutigkeit, mit der das Proprium der Karlstadtschen Theologie als „Spiritualismus“ bezeichnet wird. Gerade den Unterschied zu Luther erklärte Barge daraus: „Was das Wesen seines Gegensatzes gegen Luther ausmacht, sein Spiritualismus, die energische Reduktion aller religiösen Bindungen auf Faktoren des Innenlebens, hat er mit vielen selbständigen Geistern 872 S.
dazu Barge, Streit, S. 195–197. S. 197. 874 Ebd.: „Wie unzählige Male hat dem Seelenleben ruhiger, harmonisch gestimmter, reiner Naturen künstlich erst ein Sündenbewußtsein aufokuliert werden müssen, damit der lutherische Kreislauf Sündenschuld – Sündenelend – Sündenvergebung – Freude über die Gnade Gottes und Vertrauen zu ihm korrekt und unverfälscht in die Erscheinung treten könne! Und welche Pein hat es nicht so vielen Religionslehrern bereitet, die Kindesgemüter in die Sündenmysterien der Rechtfertigungslehre einzuweihen!“ 875 Ebd., S. 195. 876 Zu diesem Begriff s. in Barges Diskussion der Mystik, ebd., S. 207. Für die zeitgenössischen Diskussionen, konfessionelle Theologie in allgemeine Religionswissenschaft zu überführen, vgl. exemplarisch das ablehnende Votum von Harnack, Fakultäten, das zunächst 1901 erschien. Eine scharfe Stellungnahme zugunsten einer Umgestaltung der theologischen Fakultäten hatte – bei Harnack unerwähnt – Lagarde, Theologie, bes., S. 70 f., vorgelegt. 873 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
291
seiner Zeit gemein.“877 Bezeichnend ist, daß die vorgenommene Bestimmung des Spiritualismus878 als religiöse Subjektivität einer ungemein weiten Definition gleichkommt und mit der soeben geschilderten allgemeinen Religionstheorie geradezu übereinfällt. Mit Blick auf das religiöse Selbstverständnis von Barge ist die Annäherung an diesen Begriff aufschlußreich, aber auch auf die Biographie fällt damit ein neues Licht. Enthalten war die These eines Karlstadtschen Spiritualismus zwar in beiden Teilen der Monographie. Der Eröffnungsband erklärte jedoch Nähe und Berührungen zwischen den sog. Zwickauer Propheten und Karlstadt aus der Einschränkung, daß Karlstadts Mystik eben nicht auf genetische Verbindungen, sondern strukturell auf „einen gemeinsamen Gegensatz aller Vertreter einer spiritualistischen Religiosität […] gegen Luthers massive Lehre von der Heilsaneignung“879 zurückzuführen sei. Beiläufig deutete Barge Karlstadts „Verschiedenheit vom katholischen Spiritualismus“880 an. Im Vordergrund des zweiten Bandes stand die Abgrenzung vom „enthusiastischen Spiritualismus“881 Müntzers, dem gegenüber der „gemäßigte Charakter“882 von Karlstadts Spiritualismus betont wurde. Dessen Spezifik benannte Barge im „Schriftspiritualismus“883, der sich von einem „tote[n …] Wortbiblizismus“ dadurch abhebe, daß er „die oberste Entscheidung über [den …] bindenden Wert in das religiöse Bewußtsein gelegt“ und eine „vollständige Befreiung von der Buchstabenautorität der Schrift“884 vorbereitet, vollumfänglich aber noch nicht vollzogen habe. Karlstadts Spiritualismus gilt Barge somit als die Vorstufe eines idealtypischen, der in der Biographie aber ebenso unerwähnt wie unbestimmt bleibt. Positiv konnotiert bleibt dessen allgemeine Frontstellung zur Sünden‑ und Erlösungslehre885, doch vor die Würdigung einer „Keimkraft“ tritt die Ablehnung seiner „Entartung“886 877
Barge, Streit, S. 206. einschlägig für den „evangelischen Spiritualismus“ ebd., S. 206 f., sowie die an pietistische Praktiken erinnernde Schilderung ebd., S. 208: „Jeder religiöse Spiritualismus, dem es […] mit der Ausschaltung aller autoritären kirchlichen und dogmatischen Zwangsbindungen ernst ist, kann sich für seine Fundierung lediglich auf die Summe der inneren religiösen Erlebnisse berufen, deren bis ins einzelne gehende Registrierung für ihn darum unumgänglich ist.“ Weiter s. ebd., S. 211: „Seinem innersten Wesen nach muß der Spiritualismus zunächst auf religiöse Bewegungsfreiheit hindrängen, die ihm allein das volle Sichausleben der inneren religiösen Potenzen gewährleistet.“ 879 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 404. 880 Ebd., S. 482. 881 Ebd., S. V. 882 Barge, Karlstadt, T. 2, S. 161. 883 Ebd., S. 44 f. 884 Ebd., S. 45. 885 Ebd., S. 26: „Alle einer spiritualistischen Auffassung des Christentums zuneigenden Denker haben gegen die massive, unpsychologische Gestaltung des Verhältnisses von Schuld und Sühne, wie sie in der Theorie von der Erbsünde und vom Opfertode Christi zum Ausdruck gelangt, einen natürlichen Widerwillen empfunden.“ 886 Ebd., S. 16: „In dieser Dehnbarkeit des Glaubensbegriffs, die jeder spiritualistischen Religiosität eignet, liegt die Ursache ihrer Keimkraft und Entartung zugleich gegeben.“ 878 Weiter
292
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
ungleich deutlicher in den Vordergrund. Der Aufsatz von 1909 erhellt instruktiv, wie bestimmt Barge sein Ideal einer freien Religiosität als konsequenten Spiritualismus deuten konnte und auch in der Biographie gedanklich voraussetzte, argumentativ aber der These eines „laienchristlichen Puritanismus“ nachordnete. Während die Monographie Karlstadt gegen den Enthusiasmus von Müntzer verwahren wollte, erklärte der Aufsatz den überindividuellen Erfolg spiritualistischer Konzepte aus einer sozialen Dynamik: „Enthusiasmus zündet. Man denke an die Entstehung der urchristlichen Kirche.“887 Thematisch war es sinnvoll, sich in der Auseinandersetzung mit Scheel auf den Karlstadtschen Religionsbegriff zu konzentrieren, den Scheel bereits 1905 als „mönchisch“888 bezeichnet hatte. So schwer es im einzelnen ist, den Beitrag als indirekte Antwort auf Müller zu verstehen, so augenfällig bleibt doch die Gesamtkonstellation der aufgeführten Spezifika in ihrer systematischen sowie theologiegeschichtlichen Intensität und moderaten Schematisierung theologischer Grundpositionen. 2.4.14. Köhlers theologische und Herres historische Ablehnung des Beitrages Der Beitrag fand eine einzige direkte Antwort seitens eines Theologen. Wiederum war es Köhler, der sich um eine sachliche Aufnahme bemühte; diesmal fiel seine Einschätzung aber negativ aus: „Ref.[erent] findet B.[arges]s Polemik wenig glücklich“.889 Barges theologischen Vermittlungsversuch sah er als eine fachliche Grenzüberschreitung der akademischen Spezialisierungen. Auch Köhler betonte, für einen historiographisch integrativen Ansatz zu stehen, wollte die Trennungslinie zwischen den jeweiligen Kompetenzen aber klarer gezogen wissen: „so gewiß er [der Referent] B.[arge] zustimmt darin, daß die Historiker ‚die Materie der religiösen Erscheinungen selbst in den Bereich der eigenen Forschung einbeziehen‘ müssen, oder daß Ritschls Einfluß auf die geschichtliche Betrachtungsweise des Reformationszeitalters ‚verhängnisvoll‘ war, in dem historischen Verständnis der Karlstadtschen Religionsform ist Scheel Barge über, da er eine bessere theologische Schulung hat.“890
Grund der inhaltlichen Ablehnung ist die theologische Kritik an Karlstadt, die Köhler bereits mit seinem ersten Votum in der „Christliche[n] Welt“ geübt hatte891 und die er nun nochmals erneuerte: „B.[arge] verkennt völlig den sektiererischen gesetzlichen Charakter der Karlstadtschen Frömmigkeit und hebt ein Moment derselben, das Laienhafte, Antiklerikale, über Gebühr heraus.“892 887 Barge,
Streit, S. 213. dazu oben Anm. 608. 889 Köhler, Jahresbericht 1909, S. 647. 890 Ebd. 891 Vgl. dazu oben Anm. 549. 892 Köhler, Jahresbericht 1909, S. 647. 888 S.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
293
Der Münchner Historiker Hermann Herre893 wies die Ehrengabe für Lamprecht in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ vom 2. April 1910 insgesamt als unterdurchschnittlich zurück.894 In seiner detaillierten Besprechung der Einzelbeiträge wurde Barges Aufsatz diesem negativen Gesamturteil untergeordnet. Ungeachtet des schwelenden Methodenstreits ist die Begründung aufschlußreich, in der sich andeutet, daß Barges theologischer Vermittlungsversuch als ein Verrat an der allgemeinhistorischen Forschung empfunden wurde: „In Wahrheit hält er den Profanhistorikern (zu denen er selbst gehört) eine mit großem Wortpomp ausgestattete Predigt über die Art und Weise, wie künftig Reformationsgeschichte zu schreiben sei, und bringt dann, anstatt sein Steckenpferd Karlstadt in der empfohlenen Gangart vorzuführen, eine langweilige Erwiderung auf die Einwände, mit denen O. Scheel vor einigen Jahren seine Auffassung von Luthers und Karlstadts Abendmahlslehre bedacht hat.“895
Sowohl den Theologen Köhler wie auch den Historiker Herre hatten Barges Ausgleichsbemühungen nicht überzeugen können. Was von dem einen als anmaßende Kompetenzüberschreitung empfunden wurde, kritisierte der andere als mangelnde disziplinäre Transparenz und Integration historiographisch nachrangiger Themen. 2.4.15. Magdalene von Tilings Beitrag zur Debatte – der Versuch einer kritischen Synthese In die 1909 weithin auf die Antithesen zwischen Barge und Müller zugespitzte Debatte fiel ein ungewöhnlicher Aufsatz in der „Neue[n] Kirchliche[n] Zeitschrift“.896 Er stammte von der gerade 31jährigen Magdalene von Tiling897, die sich zwischen 1906 und 1909898 in Göttingen auf das Oberlehrerinnenexamen 893
Zu Herre s. Anon., Art. Herre. dazu oben Anm. 185. 895 Herre, Rez. Ehrengabe, Sp. 878. 896 Sider, Karlstadt 1974, S. 153, Anm. 22, wurde auf den Beitrag aufmerksam, qualifizierte ihn in seiner Bedeutung aber als „a relatively unimportant article on the dispute [between Barge und Müller]“. Unklar bleiben Siders Kriterien für das gebotene Werturteil. Strukturell erinnern sie an die Einschätzung von Müller, Kirche, und Kawerau, Streit, die sich aus positionellen Gründen um eine Marginalisierung Tilings bemühten. Da Sider in der betreffenden Anmerkung zugleich eine Monographie zum Abendmahlsstreit als gute Darstellung der Wittenberger Bewegung würdigte, legt sich nahe, daß er den Text von Tiling vor allem als Referenzmöglichkeit für die Jahre 1521 und 1522 befragte, nicht aber – wie die gebotene Formulierung vermuten ließe – als einen Beitrag zu der benannten Forschungskontroverse. Tilings Wirkungen blieben in diesem publizistischen Zusammenhang begrenzt; strukturell kommt dem Text eine hohe Bedeutung zu, indem er zwischen den sich abzeichnenden Polarisierungen auszugleichen suchte. 897 Tiling, Wittenberg, wurde laut Titelblatt des zweiten Heftes „i[m] Februar 1909“ „ausgeg[eben]“. Zu den biographischen Daten Tilings vgl. kurz DBA, T. 2, Fichenr. 1309, S. 192–198; T. 3, Fichenr. 921, S. 372 f. 898 Anon., Art. Tiling 1935, S. 1612 (DBA, T. 2, Fichenr. 1309, S. 195). 894 S.
294
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
für die Fächer Religion und Geschichte899 vorbereitete, das sie im Mai 1909 absolvierte900. Die betreffenden Kurse dieser preußischen Erstgestalt eines pädagogisch ausgerichteten Frauenstudiums wurden von theologischer Seite „besonders“ von Paul Althaus d. Ä. betreut901. Das Inhaltsverzeichnis der „Neue[n] Kirchliche[n] Zeitschrift“ weist die Autorin als „Oberl. M. von Tiling in Göttin899 Anon., Art. Tiling 1955 (DBA, T. 2, Fichenr. 1309, S. 197). Informativ zu den Umständen der in Göttingen seit 1894 für Lehrerinnen eingerichteten Kurse ist Schneider-Ludorff, Pädagogik, S. 24; zudem s. dies., Tiling, s. 34. Auf die archivalischen Dokumente zu der Göttinger Lehrerinnenausbildung machte erstmals Roggenkamp-Kaufmann, Tiling, S. 722 u. S. 739, aufmerksam. Präzise läßt sich anhand der einschlägigen Quellen nachzeichnen, wie Tiling die gewählte Kombination ihrer Studienfächer gestaltete. Das „Verzeichnis derjenigen Damen, welche im Sommer=Semester 1906 bei der Universität Göttingen zu den Vorlesungen als Hospitanten zugelassen worden sind“, in: UA Göttingen, Acta Frauen=Studium, Sig. X A 555d (auf diese Sig. beziehen sich auch die nachfolgenden Quellenangaben), Bl. 10v, Nr. 104, listet ebd., Bl. 11r als „Studiengebiet“ auf: „Religion, deutsch“. Im „Verzeichnis derjenigen Damen, welche im Winter=Semester 1906/07 bei der Universität Göttingen zu den Vorlesungen als Hospitanten zugelassen worden sind“, Bl. 10v, Nr. 107, findet sich Bl. 11r als „Studiengebiet“ verzeichnet: „Geschichte, Religion“. Diese Fachkombination wurde beibehalten und änderte sich erst wieder in dem „Verzeichnis derjenigen Damen, welche im Winter=Semester 1907/08 bei der Universität Göttingen zu den Vorlesungen als Hospitanten zugelassen worden sind“, Bl. 12v, Nr. 132, mit Bl. 13r für das „Studiengebiet“: „Religion, Geschichte“. Unter dem 29. Oktober 1908 verzeichnete eine von Ottilie Fleer, Leiterin der Oberlehrerinnen-Kurse, aufgesetzte „Liste der eingelieferten Lehrerinnenzeugnisse“ Tiling als Nr. 33. Die anschließende Korrespondenz dokumentiert, daß es Tiling zusammen mit 43 weiteren Frauen darum ging, förmlich immatrikuliert zu werden. Bis auf zwei Ausnahmen wurde dies ministeriell genehmigt; s. dazu das Schreiben des Königlichen Kurators der Georg-August-Universität „No. 4828“ vom 31. Oktober 1908. Die faktische Bedeutung dieser Entscheidung hält das Schreiben „No. 5088“ des Kurators vom 16. November 1908 fest, daß den „Frauen […] der Zutritt zu allen Vorlesungen offen[steht]. Von dieser Regel kann nur in ganz besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden.“ Tiling konnte von diesem Vorrecht jedoch allenfalls ein Semester profitiert haben, da sie bereits „im Juni 1909 […] am Oberlyzeum der Frauenschule und des städtischen Lehrerinnenseminars zu Elberfeld angestellt wurde“, s. dazu Roggenkamp-Kaufmann, Tiling, S. 723. 900 Anon., Art. Tiling 1935, S. 1612 (DBA, T. 2, Fichenr. 1309, S. 195), bietet nur das Jahr; Schneider-Ludorff, Pädagogik, S. 24, nennt als genaues Datum den „10. Mai 1909“, bietet aber keine Quellenangabe; Schneider-Ludorff, Tiling, S. 35, erklärt: „Aus der Prüfungsurkunde des preußischen Prüfungsamtes Berlin/Göttingen geht hervor, daß sie am 10. Mai 1909 das staatliche Oberlehrerinnenexamen ablegte.“ Eine Referenz auf die betreffende Urkunde fehlt auch in der Bibliographie. Nachweisen läßt sich das Prüfungsdatum aber in verschiedenen im Landeskirchlichen Archiv in Hannover aufbewahrten Dokumenten des Tiling-Nachlasses. So erklärt Tilings mit „Göttingen, Januar 1909“ unterschriebener „Lebenslauf“, LKA Hannover, Nachlaß Tiling, N 127, Nr. 2, [ohne Paginierung]: „ich […] meldete mich zur Oberlehrerinnenprüfung“ für den „auf d.[en] 10. Mai 1909 festgesetzten Termin.“ Wiederholt wird das Datum im übernächsten „Lebenslauf“, S. [1]: „ich […] bestand die Oberlehrerinnenprüfung am 10. Mai 1909.“ Für die Mitteilung dieser Daten danke ich Antje Roggenkamp-Kaufmann herzlich. Deren Portrait vermerkt, Roggenkamp-Kaufmann, Tiling, S. 723, Anm. 9, daß Tiling „im Mai 1909 in Göttingen die Oberlehrerinnenprüfung best[and]“. Das von Roggenkamp-Kaufmann eingesehene gedruckte Material, Kunze, Kalender, S. 343, Nr. 219, bietet als „Datum der zur Anstellung befäh.[igenden] Prüf.[ung]“ den „20/5 09“. Eindeutig ist darin ein zeitgenössischer Schreib‑ oder Druckfehler zu identifizieren. 901 Schneider-Ludorff, Tiling, S. 35.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
295
gen“902 aus. Tatsächlich dürfte die Veröffentlichung des Aufsatzes aber nicht dem Examen gefolgt, sondern diesem voraus gegangen sein.903 Wahrscheinlich bleibt, daß der Beitrag während der Endphase des Studiums904 erstellt wurde. Der von der Tilingforschung bislang nicht erfaßte Aufsatz905 steht unter der Überschrift „Der Kampf gegen die missa privata in Wittenberg im Herbst 1521“ und stellt als Untertitel, formal durch Klammern noch weiter einschränkend, nach: „(In Auseinandersetzung mit H. Barge und K. Müller)“.906 Der Text hebt sich von den übrigen Diskussionsbeiträgen durch die frische Unbefangenheit ab, mit der er die scharfe antithetische Opposition von Thesen und Antithesen konstruktiv durchbrach. Thematisch beschränkte er sich auf die theoretischen und praktischen Beiträge zur Umgestaltung der Messe in Wittenberg. Faktisch wurde damit das Eingangskapitel von Müllers Monographie einer kritischen Revision unterzogen, während die korrespondierenden Ausführungen Barges auf der anderen Seite der Waage zu liegen kamen.907 Eine deutliche Zustimmung zu Müller umrahmt den Text einleitend908 und abschließend. Besonders der Schlußsatz suchte die letzten Zweifel zu zerstreuen: „Fast durchweg muß man sich m. E. Müller anschließen da, wo er Barge widerspricht, seine Auffassung und die Art seiner Beweisführung tadelt: – man wird in Barges Darstellung nur ein verzeichnetes Bild der Anfänge der Wittenberger Unruhen sehen können.“909 902 Tiling,
Wittenberg, S. 84. Schwierig zu erklären ist zwar, daß das im Februar ausgegangene Heft Tiling als „Ober l.[ehrerin]“ ausweist, was erst nach dem Examen stimmig gewesen wäre. Daß der Text aber tatsächlich vor der Oberlehrerinnenprüfung gedruckt wurde, belegen die Recherchen von Antje Roggenkamp-Kaufmann. Ihr danke ich vielmals für den Hinweis, daß Tilings auf den 14. Juni 1909 datierende Urkunde der „Befähigung zur Anstellung als Oberlehrerin an öffentlichen höheren Mädchenschulen und weiter führenden Bildungsanstalten für die weibliche Jugend“ erklärt: „Als Ersatz für die schriftliche häusliche Arbeit wurde auf Antrag des Fräuleins von Tiling die von ihr veröffentlichte Druckarbeit ‚Der Kampf gegen die missa privata in Wittenberg im Herbst 1521. (In Auseinandersetzung mit H. Barge und K. Müller.)‘ angenommen.“ 904 Als terminus post quem kann das Erscheinungsdatum von Müller, Luther, im letzten Jahresdrittel 1907 gelten, vgl. dazu oben in Anm. 661 die Datierung der Endredaktion in der „Vorrede“ auf September 1907, da Tiling, Wittenberg, an Literatur aus der Forschungskontroverse nur voraussetzte: Barge, Karlstadt, Barge, Armenordnung und Müller, Luther. 905 Vgl. dazu Schneider-Ludorff, Tiling, und die nachgestellten Bibliographien in Schneider-Ludorff, Pädagogik, und Roggenkamp-Kaufmann, Tiling; zuvor nicht erfaßt wurde der Text von Herkenrath, Tiling. Als thematisch einschlägig für seine Luther-Studie berücksichtigte hingegen Simon, Messopfertheologie, u. a. S. 329, Anm. 269, den Aufsatz. RoggenkampKaufmann war der Text gleichwohl bekannt; ausweislich ihrer Vorarbeiten zu dies., Tiling, auf die ich am 2. November 2012 zurückgreifen durfte, hatte sie den Aufsatz für dies., Tiling, bibliographiert und inhaltlich eingesehen, aufgrund der Umfangsbeschränkungen und thematischen Vorgaben aber auf einen entsprechenden Hinweis verzichtet. 906 Tiling, Wittenberg, S. 85. 907 Dies nahm auch Tiling so wahr, ebd., S. 86: „In der vorliegenden Arbeit sollen dieser Teil des Müllerschen Buches und die denselben Gegenstand behandelnden Abschnitte Barges einer nochmaligen Prüfung unterzogen werden.“ 908 Vgl. dazu bes., ebd., S. 86–88. 909 Ebd., S. 130. 903
296
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Daß Barge einen inakzeptablen Beitrag vorgelegt habe, stand für Tiling außer Frage. Die gebotenen Ausführungen zur Messe seien von „völliger Verständnislosigkeit‘“910 gekennzeichnet, sprach Tiling mit Müller. Dennoch trug der Schlußsatz auch die eigentliche Pointe in sich: In der Kritik an Barge stimmte Tiling Müller zu, in der Sache nicht. Dessen Klassifizierung der Messe sei systematisch zu starr und historisch den vertretenen Positionen nicht angemessen, was Tiling für Luther zunächst anhand der lateinischen und dann der deutschen Schriften demonstrierte.911 Auch kirchenrechtliche Defizite stellte Tiling für Müller heraus.912 Von einer besonderen argumentativen Sensibilität zeugt, daß sich Tiling gegenüber Barge nicht auf den Hinweis beschränkte, dieser habe „die eigentlichen religiösen Motive der Reformation vielfach nicht zu würdigen“ gewußt913. Vielmehr legte sie den Finger auf eine der grundlegendsten Vorstellungen, die für Barge leitend waren, in der vorherigen Diskussion aber noch nie hinterfragt wurden: die angenommene Autonomie von Massenphänomenen, hinter die der einzelne in einer letztlich nur dienenden Funktion zurücktreten mußte914. Tiling erkannte nicht, daß Barge auf der sekundären, Individuen geltenden Ebene der historischen Handlungsakteure für Luther wie Karlstadt gleichermaßen desinteressiert an genetischen Rekonstruktionen der jeweils aktualisierten Einzelimpulse war. Um so deutlicher nahm sie jedoch die gedanklichen Asymmetrien wahr, die zwischen den Luther verbundenen Massenbewegungen und dem unabhängig von Luther agierenden Karlstadt bestehen konnten: Wie sollte es möglich sein, daß die Massen die von Luther formulierten Gedanken aufgriffen und einzig Karlstadt, der dem Gemeinwesen diente, davon unberührt blieb?915 Bei Barge habe dies ebenso zu Einseitigkeiten geführt wie im Gegenzug bei Müller: „Während also Barge gar keinen direkten Zusammenhang zwischen
910
Ebd., S. 86 f. ließe sich der erste Teil des Beitrages summieren: ebd., S. 88–109. Tiling selbst bietet ebd., S. 109, zu Beginn des zweiten Abschnittes eine Kurzzusammenfassung: „Die Darstellung der Bedeutung der einzelnen termini und die Darlegung der Anschauungen Luthers über die missa privata“. 912 Besonders deutlich s. dazu ebd., S. 105: „Es ist also ein Irrtum von K. Müller, wenn er bei der Darstellung der Ereignisse in Wittenberg von der Voraussetzung ausgeht, daß nach kirchlichem Recht mit jeder gestifteten und bestellten Messe die Austeilung des Sakramentes an Laien verbunden werden durfte.“ 913 Ebd., S. 110. 914 Der Zusammenhang wurde für Barge oben geschildert, s. dazu Anm. 679–685. 915 Vgl. dazu Tiling, Wittenberg, S. 110 f., bes. S. 111: „Es erscheint sonderbar, daß Barge, der so viel Gewicht auf die Beeinflussung durch eine allgemeine Volksstimmung, durch Gedanken, die in größeren Kreisen leben, bei der theologischen Entwicklung Karlstadts von Beeinflussung so wenig weiß. Nach Barge hat sich Karlstadt in völlig selbständiger Auseinandersetzung mit den neuen Problemen bis zum Juni 1521 zu einer geschlossenen religiösen Gesamtanschauung aus Zweifeln und inneren Kämpfen durchgerungen. Barge muß freilich zugeben, daß die Haltung Karlstadts der Luthers im Jahre 1520 analog ist.“ 911 So
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
297
Luther und der Wittenberger Bewegung sieht, führt Müller sie in den ersten Anfängen direkt auf Luther zurück“.916 Die Ablösung der exklusiven Alternative zwischen These und Antithese durch eine inklusive Synthese ist ihrer Struktur nach, wie im Schlußabschnitt, wenig originell: „Wir finden also in Wittenberg in den Anfängen der Bewegung gegen die Messe eine Vermischung von Lutherschen und Karlstadtschen Reformgedanken und Forderungen.“917 Und auch die Qualifizierung der Karlstadt zugeschriebenen Elemente ist von traditionalen Deutungsmustern, wie dem des Legalismus, bestimmt.918 Gerade diesen transformierte Tiling aber in ein offeneres Schema, indem sie die Unterscheidung eines innerlichen, für Luther prägenden, und eines äußerlichen, von Karlstadt vertretenen Bezugs zu religiösen Zeremonien damit verband.919 Zugleich baute sie Müller eine diplomatische Brücke, indem sie den Einseitigkeiten von dessen Lutherbild didaktische oder darstellerische Qualitäten zuzusprechen bereit war920. Im ganzen war ihr Beitrag aber nicht dazu angetan, sich Freunde auf der einen oder anderen Seite der bisherigen Kombattanten zu machen. Die Kritik an Barge war ebenso massiv wie diejenige an Müller, wenn auch die Anfragen an den Tübinger Ordinarius vermittelnder gestellt und in die Gesamtkonzeption des Beitrages vorsichtiger integriert wurden. Zu einem nicht unerheblichen Teil dürfte sich die Unbefangenheit des Textes gleichwohl aus dessen besonderer Veranlassung erklären lassen. In der Endphase ihres Göttinger Studiums entstanden, könnte der Aufsatz aus einer Seminararbeit erwachsen sein. In jedem Fall ersetzte er im Oberlehrerinnenexamen die „schriftliche häusliche Arbeit“921. Vorrangig war die Publikation den persönlichen und wissenschaftlichen Wertmaßstäben der Autorin verpflichtet. Vielleicht nahm sie auch Impulse eines fachwissenschaftlichen Betreuers oder möglichen Korrektors auf, der bei einer grundlegenden Seminararbeit in Althaus d. Ä. vermutet werden könnte. In jedem Fall scheute Tiling nicht davor zurück, ihren eigenständigen Ausgleichsversuch in die öffentliche Debatte einzubringen. 916 Ebd.,
S. 112. S. 128; der Beginn der betreffenden Ausführungen liegt auf S. 114: „Und doch sind es nicht nur Luthersche Gedanken, die in den Wittenbergern leben!“ 918 Vgl. dazu ebenfalls die erste einschlägige Stelle, ebd., S. 114: „Das zeigt sich […] in jenem, dem Wesen Luthers so völlig fremden Eifern gegen äußerliche Zeremonien und Bräuchen – in dem ganzen gesetzlichen, auf Zwang ausgehenden Charakter der Bewegung.“ 919 S. dazu bes. ebd., S. 128: „Alles hängt bei Luther davon ab, wie man sich innerlich zur Kelchentziehung oder zu den Zeremonien stellt. Karlstadts Stellung ist viel äußerlicherer Art. […] Seine Forderungen tragen deshalb einen äußerlichen, gesetzlichen Charakter.“ 920 Ebd., S. 118: „Man hat den Eindruck, daß sich die These Müllers: ‚Die Wittenberger vertraten überall Luthers Anschauungen‘ nur auf Kosten der Klarheit der Darstellung und der Einheitlichkeit der Analyse der Schrift Luthers durchführen läßt.“ 921 S. dazu oben Anm. 903. Ergänzen ließe sich, daß eine Abgabefassung weder im Göttinger UA noch im Tilingschen Nachlaß des LKAs, Hannover, vgl. dazu Findbuch, Tiling (die Einsichtnahme verdanke ich der freundlichen Vermittlung von Prof. Dr. Hans Otte) auffindbar ist. Dieser Umstand bestärkt die Einschätzung von Roggenkamp-Kaufmann, daß der Aufsatz zum Zeitpunkt des Examens bereits gedruckt vorgelegen haben mußte. 917 Ebd.,
298
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
2.4.16. Nikolaus Müllers Edition zur „Wittenberger Bewegung“ Bevor die Reaktionen auf Tiling darzulegen sind, gilt es, die Chronologie der Ereignisse weiterzuführen. Einen gewissen Einschnitt markierte, ebenfalls 1909, daß die über viele Jahre vorbereitete Edition „Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522“ von Nikolaus Müller zu erscheinen begann. In Fortsetzungen wurde sie zunächst in das „Archiv für Reformationsgeschichte“ eingerückt922, bevor eine Zusammenstellung als eigenständige Monographie 1911 erfolgte, die als „Zweite Auflage“ ausgewiesen und mit dem zusätzlichen Untertitel „Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Briefe, Akten u.[nd] d[er]gl.[eichen] und Personalien“ versehen wurde. Das „Vorwort“ von 1911 erklärte, daß das publizistische Doppelformat von „Verleger und Verfasser“ bereits „vor der [ersten] Drucklegung [… ge]plant“ worden sei und sich die Zählung als „eine neue Auflage“ durch die Zugabe „noch zahlreiche[r] Funde“ rechtfertige.923 Tatsächlich wurde das Buch satzidentisch – und ohne Korrektur der Druckfehler – von jenen Ausführungen eröffnet, die Barge schon 1909 die Ehre erwiesen, ihn als ersten Autor der Gegenwart zu erwähnen.924 Freilich leitete Müller damit die Skizzierung einer forschungsgeschichtlichen Gesamtsituation ein, aus der das Desiderat der eigenen Arbeit als um so dringlicher abgeleitet wurde. Zu unterschätzen ist dennoch nicht, daß es Müller als die genuine Leistung Barges benennt, die Jahre 1521 und 1522, „diese[n …] bedeutsame[n …] Zeitabschnitt mit seinen förmlich sich jagenden Ereignissen und den in ihr wirksamen Kräften […,] neuerdings […] noch mehr in den Vordergrund gerückt“ zu haben.925 Weder Barge noch Karl Müller sprach der Berliner Forscher sämtliche Quellen berücksichtigende und damit abschließend gesicherte Ergebnisse zu, weshalb er sich „verpflichtet [fühle], meine zur Kenntnis und zum Verständnis der Wittenberger Vorgänge und Persönlichkeiten dienlichen Materialien möglichst rasch allgemein zugänglich zu machen.“926 Hinsichtlich der Kontroverse klaffte in Nikolaus Müllers Materialkompilation aber eine empfindliche Lücke: Die umstrittene Beutelordnung wurde nicht ediert. Für sie verwies Müller auf eine von ihm eigens geplante Studie „über die ‚Ordnung des gemeinen Beutels‘ usw. und die Geschichte des Armenwesens, der Wohlfahrtspflege usw. zu Wittenberg in den Jahren 1520 bis 1528“.927 Eine ausführliche Anmerkung richtete sich gegen Barges Veröffentlichung der Beutelordnung.928 Nachdrücklich betonte Müller die eigene Priorität des Fundes, 922
Beginnend mit Müller, Bewegung 1909. Müller, Bewegung 1911, [o. P.]. 924 Vgl. dazu Müller, Bewegung 1909, S. 161, mit Müller, Bewegung 1911, S. 1. 925 Ebd. 926 Müller, Bewegung 1909, S. 163, oder, wiederum satzidentisch, Müller, Bewegung 1911, S. 3. 927 Ebd. 928 S. dazu Anm. 2 in Müller, Bewegung 1909, S. 163 f., bzw., satzidentisch, Müller, Be923
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
299
Barges Wissen darum, dessen briefliche „Zusage, […] von der Veröffentlichung der Ordnung abzusehen“, und den Bruch dieser Absprache mit dem materialen Anhang der Karlstadt-Biographie.929 Zwei Literaturreferenzen für das Jahr 1901 sollten zum öffentlichen Ausweis des „Prioritätsrecht[es]“ dienen.930 Die inhaltliche Geltung beider Texte schränkte Müller jedoch ein: Beide böten nur „vorläufige […] Ergebnisse“ und seien „von den Berichterstattern nicht in allen Einzelheiten genau“ protokolliert.931 Der zentrale Hinweis auf die zweite Überlieferungsgestalt der Beutelordnung, für die Hermelink auf ein von Nikolaus Müller identifiziertes Autograph von Luther verwiesen hatte932, fehlte jedoch. Barges Forderung einer Offenlegung des Fundortes wurde damit ignoriert, und auch weitere Quellenfunde zu den Wittenberger Sozialreformen wurden nicht geboten. 2.4.17. Barges monographische Replik auf Müller – „Frühprotestantisches Gemeindechristentum“ Auf Barges Monographie „Frühprotestantisches Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde. Zugleich eine Abwehr gegen Karl Müllers ‚Luther und Karlstadt‘“ wurde bereits mehrfach rekurriert. Das „im Mai 1909“933 unterzeichnete „Vorwort“ bietet wichtige Informationen zur Entstehung der wegung 1911, S. 3 f. Zu beachten ist, daß der kurze Einleitungspassus von Müller, Bewegung 1909, S. 161–165, bzw. Müller, Bewegung 1911, S. 1–5, nur zwei Anmerkungen bietet. Beide richten sich gegen Barge. 929 Ebd. 930 S. Anm. 2 in Müller, Bewegung 1909, S. 163 f., bzw., satzidentisch, Müller, Bewegung 1911, S. 3 f. Bei den benannten Beiträgen handelt sich zum einen um den Text von Seeberg, Nöthen, S. 47, der 1901 erklärte: „Man bezeichnete bisher die ‚Ordnung eines gemeinen Kastens‘, welche die Stadt Leisnig im Jahre 1523 beschlossen und eingeführt hat, und die Luther mit einer Vorrede in demselben Jahre als ‚ein gemein Exempel‘ herausgab, als die älteste Kastenordnung. Aber bereits Januar 1521 oder Dezember 1520 gab es in Wittenberg eine ‚Ordnung des gemeinen Beutels zur Erhaltung Haus= und anderer armer bedürftiger Leute zu Wittenberg‘. Der Entdecker derselben, mein verehrter Kollege D. Nicolaus Müller, hatte die Güte, mir von ihr Kenntniß zu geben. Während diese Ordnung lediglich Armenordnung ist, stellt sich die Leisniger Ordnung als umfassende Regelung der äußeren Gemeindeverhältnisse dar“. Zu konstatieren ist, daß beide Belege in zeitliche Nähe, möglicherweise sogar zeitlichen Anschluß an den Briefwechsel Barges mit Nikolaus Müller fallen. Der zweite Beitrag ist bibliothekarisch nicht zu greifen, da das einzige – möglicherweise aus Müllers Besitz – stammende Exemplar, das in Deutschland katalogisiert ist, an der betreffenden Stelle eine Lücke aufweist. Es handelt sich um den „Bericht über die Verhandlung der 10. Allgemeinen Lutherischen Konferenz in Lund vom 3.–6. Sept. 1901“. Auf den S. 227–230 war laut Inhaltsverzeichnis des im Brettener Melanchthonhaus verwahrten Exemplars Nikolaus Müllers Beitrag „Luther und die Diakonie“ gedruckt. Für die betreffende Auskunft bin ich Dr. Günther Frank und Gerta Bauder verbunden. Auffällig ist auch hier der zeitliche Bezug zur Korrespondenz mit Barge. 931 Anm. 2 in Müller, Bewegung 1909, S. 163 f., bzw. Müller, Bewegung 1911, S. 3 f. 932 S. dazu oben Anm. 719. Zu Barges Forderung einer Mitteilung des Fundortes s. oben Anm. 791. 933 Barge, Gemeindechristentum, S. XXI.
300
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Biographie934 und ein bedeutendes Selbstzeugnis für Barges anfängliche Zurückhaltung, die Wirkungsgeschichte seines Buches durch ein direktes Eintreten in eine Forschungskontroverse zu beeinflussen oder zu beeinträchtigen935. Seine zweite Antwort auf Müller war jener Aufsatz zur Beutelordnung, den Barge als „ein Teilstück der Gesamtauseinandersetzung“ vorstellte, „die ich demnächst mit Karl Müller zu führen beabsichtige.“936 Im Buch kam es durch diese Abzweigung zu keiner Redundanz, vielmehr zu einer thematischen Marginalisierung. Die Beutelordnung traktierte Barge nur in dem Aufsatz, den er monographisch eher beiläufig in einem einleitenden Literaturüberblick bibliographierte937. Ausführlicher wies er im „Vorwort“ die Klage von Nikolaus Müller zurück, dessen „Prioritätsrecht“938 an der Beutelordnung verletzt zu haben. Barge wollte entsprechende Vorrechte einzig für bereits vorgelegte Editionen anerkennen; frühere archivalische oder bibliothekarische Einsichtnahmen sowie mögliche Editionsabsichten nahm er davon aus.939 Die briefliche Absprache mit Nikolaus Müller von 1900 schilderte Barge nicht ohne argumentative Spannungen, die es möglich erscheinen lassen, daß er bereits 1900 aus den unterschiedlichen Autorenzuweisungen der Beutelordnung zwischen ihm und Nikolaus Müller einen fachlichen Überlegenheitsanspruch ableitete, der ihn seine Zusage, von einer Edition Abstand zu nehmen, als nichtig ansehen ließ.940 Vorrangig grenzte sich 934 Vgl.
dazu oben Anm. 349. S. dazu oben Anm. 652. 936 Zu dem Aufsatz s. oben Anm. 781–792; zu dem Zitat s. oben Anm. 783. 937 Barge, Gemeindechristentum, S. XXI. 938 Vgl. dazu oben Anm. 930. 939 Barge, Gemeindechristentum, S. XVI–XIX. 940 Die Spannungen ergeben sich aus den folgenden Umständen: Barge legte 1909, ebd., dar, daß er die Beutelordnung bereits 1901 in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ als Teil von Barge, Unruhen, habe abdrucken wollen. Ein Briefwechsel zunächst mit Brieger und dann Nikolaus Müller ergab 1900 (zu dem Jahr s. ebd., S. XVIII), daß der Berliner Forscher den betreffenden Text Luther zuwies. Barge erklärte daraus seine eigene Annahme, daß Müller nicht etwa die Beutelordnung, sondern die Wittenberger Armenordnung von 1533 zu edieren beabsichtigt habe. Diese vermeintliche Verwechslung schilderte Barge nicht erst 1909, sondern hatte sie bereits im Vorjahr (s. dazu oben Anm. 790) in Barge, Armenordnung, S. 223, Anm. 1, zumindest angedeutet, worauf er sich zum Aufweis einer „volle[n] Integrität meines Verhaltens“ ausdrücklich berief, Barge, Gemeindechristentum, S. XVIII. Problematisch bleibt demgegenüber, daß Barge für seine Zusage von 1900, die Beutelordnung nicht mit dem Beitrag Barge, Unruhen, zu edieren, eine solche Verwechslung selbst geradezu ausschloß, ebd.: „Ich verzichtete auf sie [die Publikation] damals nur deshalb leichten Herzens, weil ich sofort die Publikation der Beutelordnung, über die ich, weil sie selbständig von mir gefunden war, mir jederzeit das uneingeschränkte Publikationsrecht vorbehalten habe, in meinem ‚Karlstadt‘, der einige Jahre später erschien, ins Auge faßte.“ Hätte Barge 1900 tatsächlich angenommen, Müller wolle den Text von 1533 edieren, wäre kein Grund gegeben gewesen, den Text 1901 aus Barge, Unruhen, auszusparen. Gleichermaßen schwer zu erklären ist, daß Barge 1905 auf eine Edition der Armenordnung von 1533 verzichtete und sich 1908 (s. dazu oben Anm. 790) darauf berief, die Zusage seinerseits erfüllt zu haben. Kawerau wurde 1910 als einziger auf diese argumentativen Schwierigkeiten aufmerksam und stellte unter genauer Kenntnis der Editionslage fest, Kawerau, Streit, Sp. 2890: „Nur ist mir völlig unverständlich, daß er in den über 935
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
301
Barge natürlich von Karl Müller ab. Die schon mit dem Untertitel angekündigte „Abwehr“ gegen diesen hatte formale Konsequenzen. Barges gesamte Gliederung basierte auf einer leichten Straffung und vorsichtigen Umgruppierung der von Müller vorgegebenen Themenkomplexe.941 Das Buch im Ganzen nimmt darin die Gestalt eines Spiegelbildes an, das sich auch in der Gegenläufigkeit der angezeigten Inhalte stets in einem direkten Bezug auf Müller bewegte. Diese Anlage des Bandes stürzte auch die bemühtesten Rezensenten in eine gewisse Ratlosigkeit. Köhler resignierte in seiner Anzeige vollkommen: „Es ist hier unmöglich, die Einzelheiten vorzuführen oder gar eine Beurteilung zu versuchen. Ref.[erent] begnügt sich hier mit Angabe der einzelnen Kapitelüberschriften und der Bemerkung, daß B.[arge] nahezu auf allen Punkten Müller entgegentritt.“942
Überfordert war auch Cohrs, der den Band mit einer Verzögerung von zwei Jahren in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ bedachte: diesen Punkt im Jahre 1900 mit Brieger und Nik. Müller geführten Verhandlungen, und noch bis 1908, des Glaubens gewesen sein will, daß letzterer etwas ganz anderes, nämlich die Armenordnung von 1533, gefunden habe – meint er etwa die von Förstemann 1842 (unvollständig) herausgegebene? Denn dann konnte ja gar kein Prioritätsstreit zwischen ihnen bestehen und lag ja für ihn gar kein vernünftiger Grund vor, 1900 von der Veröffentlichung abzusehen!“ Als gleichwohl konsequent anzusehen ist, daß Barge nach Müllers Präzisierung von 1909, 1900 sehr wohl von der Wittenberger Beutelordnung und nicht etwa der Armenordnung von 1533 gesprochen zu haben, nicht mehr die quellenspezifische Forderung erhob, die seit 1900 in Aussicht gestellte Edition vorzulegen. 1911 erinnerte Barge unbestimmt an die Dringlichkeit einer zusammenfassenden Veröffentlichung Barge, Rez. Lietzmann 1911, Sp. 827: „Der Abdruck der […] Wittenberger Beutelordnung macht erneut den Wunsch rege, daß Nik. Müllers schon längst über diese Materie angekündigte Publikation endlich erscheine, da vorher das Schlußwort in der schwierigen Kontroverse kaum gesprochen werden kann.“ In einen gewissen Einklang ließen sich diese sehr unterschiedlichen Ansprüche Barges, sich gegen Nikolaus Müller seit 1900 vollauf konsequent verhalten zu haben, allein dadurch bringen, daß er seit dessen Zuschreibung der Beutelordnung an Luther das Potential einer fachlich zu begründenden Nichtigkeit jeder weiteren Absprache gesehen hatte. 941 Vgl. dazu Barge, Gemeindechristentum, S. XXII–XXVI, mit Müller, Luther, S. III– VI. In der Gliederung der Hauptkapitel schaltete Barge, bei Umformulierungen der Titel im einzelnen, nur ein Kapitel neu zwischen, indem er vor „Luthers Rückkehr von der Wartburg“ (Kap. IV) die von Müller problematisierte Frage nach der vorgängigen Reichspolitik eigenständig traktierte (Kap. III). Müllers nachfolgende Kapitelsequenz reduzierte er auf ein Hauptkapitel zu Orlamünde und integrierte einen Teil der damit aufgegebenen kursächsischen Themen in den Anhang (Exkurse Nr. VII [≙ Müller, Luther, Kap. VII], Exkurse Nr. VIII.5 [≙ Müller, Luther, Kap. VIII], Exkurse Nr. IX [≙ Müller, Luther, Kap. VIII]). Eine Vertiefung des eigenen Kapitels zu Orlamünde bietet Barge mit seinem Anhang Nr. IV; eine Vertiefung zu Müller Hauptkapitel I ist Barges Anhang Nr. III und zu Müllers Hauptkapitel II Barges Anhang Nr. II. Barges Anhang selbst rückt die Müllerschen Nummern leicht um, wodurch sich besonders eine Nachordnung der bereits eigenständig bearbeiteten Fragen zur Beutelordnung ergibt (Müllers Anhang Nr. 1 ≙ Barges Anhang Nr. VIII.3; Müllers Anhang Nr. 2 ≙ Barges Exkurse Nr. I; Müllers Anhang Nr. 2 ≙ Barges Exkurse Nr. I; Müllers Anhang Nr. 6 ≙ Barges Exkurse Nr. V; Müllers Anhang Nr. 8 ≙ Barges Exkurse Nr. VI; Müllers Anhang Nr. 5 ≙ Barges Exkurse Nr. VIII.1; Müllers Anhang Nr. 3 ≙ Barges Exkurse Nr. VIII.3; Müllers Anhang Nr. 7 ≙ Barges Exkurse Nr. VIII.7). 942 Köhler, Jahresbericht 1909, S. 646.
302
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
„Wollte man ihm wirklich gerecht werden, so müßte nicht nur Müllers Buch stets herangezogen, so müßte genau genommen versucht werden, auf Grund der Quellen zwischen beiden eine Entscheidung zu treffen. Diese Schwierigkeiten und Unschlüssigkeit, wie ich die Anzeige, zu der ich schon wiederholt die Feder angesetzt, gestalten solle, haben diese bisher aufgehalten. Offenbar geht eine Besprechung, die das Buch voll würdigte, über das in einer Anzeige Mögliche hinaus.“943
Als das einheitsstiftende Band der Ausführungen vermochte Cohrs nur den Widerspruch zu Müller erkennen, was er in der ihm eigenen Zurückhaltung vorbrachte.944 Zugleich gab er moderierend zu bedenken, daß jede „Geschichtsforschung“ subjektive Elemente enthielte, aus unbewußt verfolgten Interessen aber nicht eine Anklage „bewußte[r] Befangenheit“ abgeleitet werden dürfe.945 Heinrich Boehmer verzeichnete das Werk erstmals 1909 in einem thematisch einschlägigen Forschungsbericht, verzichtete aber über Jahre auf eine Einsichtnahme.946 Einen vollständigen Verriß bot der „Theologische Literaturbericht“ des Jahres 1909, in dem Alfred Uckeley einzig Barges Abgrenzungen von seinen Kritikern als Ausweis eines unwissenschaftlichen und verfehlten Stils referierte: „Wer in einer historischen Arbeit [… derartige] Behauptung[en] aufstellt, führt sich nicht aufs günstigste beim Leser ein“.947 Uckeleys Greifswalder Fakultätskollege Friedrich Lezius empfahl die Monographie von Müller im gleichen Band auf wärmste: „Die nüchterne Klarheit, womit Müller die Fragen erledigt, ist erfrischend.“948 Müller selbst äußerte sich 1910 zu Barges Buch, bestimmte dessen Wesen in einer additiven Detailkritik und grenzte diesen von einem exemplarisch selektiven Arbeitsstil ab: „Ich folge natürlich nicht seiner Methode, Satz um Satz widerlegen zu wollen. Ich greife nur einzelnes heraus und überlasse das Urteil der weiteren Geschichtsforschung in der guten Zuversicht, daß ich mich wohl in Einzelheiten vergriffen haben kann, meine Gesamtauffassung aber stehen bleiben wird.“949
Den letztgenannten Anspruch, bei mancher Korrektur im Detail doch die Grundzüge richtig dargestellt zu haben, hatte Barge nur modifiziert erhoben. Fehler im einzelnen wollte er gerne zugestehen950; im Unterschied zu Müller 943 Cohrs,
Rez. Barge 1911, Sp. 400. erklärte Cohrs unter Berufung auf seine Rezension Cohrs, Rez. Barge 1908: „Trotz Barges Erwiderung kann ich auch heute noch nicht ganz des Eindrucks mich erwehren, daß die Darlegungen des Bargeschen Buches vorwiegend den Charakter der Defensive, um nicht zu sagen: der Ehrenrettung, tragen; wer aber verteidigt, wird immer in Gefahr stehen, das Gegenteilige – wenn nicht zu übersehn, so doch vielleicht nicht genügend zu berücksichtigen; nur darauf habe ich hinweisen wollen.“ 945 Ebd., Sp. 401: „Rein objektive Geschichtsforschung ist überhaupt unmöglich; bis zu einem gewissen Grade sieht doch jeder die Personen und Verhältnisse durch seine Brille.“ 946 Vgl. dazu unten Anm. 1094. 947 Uckeley, Rez. Barge, S. 375 f. 948 Lezius, Rez. Müller, S. 118. 949 Müller, Kirche, S. III. 950 Erstmals s. dazu Barge, Erwiderung, S. 125: „An den Schluß seiner Besprechung setzt 944 Ebd.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
303
hob er zumindest in seiner Programmatik aber weniger auf eine definitive Absicherung der eigenen Resultate ab, als auf eine ergebnisoffene Prüfung und anhaltende Revision der bisherigen Darstellungen951. Unter den Rezensenten würdigte dies einzig der Oldenburger „Dir. Dr. Karl Löschhorn“ in Barges bevorzugtem Rezensionsorgan, den „Mitteilungen aus der historischen Literatur“.952 Seine 1910 erschienene Anzeige pries die „sehr fleißige und eingehende Arbeit“, die „fast überall in sachlichem Tone gehalten“ sei und sich gegen Karl Müllers „polemische Beweisführung“ richte.953 Löschhorn bewegt sich damit in größter Nähe zu Barges Selbstverständnis und inhaltlichen Ausführungen. Nur leicht modifizierte er Barges Einschätzung einer konfessionellen Verblendung Müllers, welche er in eine „theologische“ Perspektive zu überführen suchte, die als solche dem „allerdings richtigeren historischen Standpunkt“954 nachstünde.955 Tatsächlich bot seine Monographie mehr als nur eine Polemik gegen Müller, so sehr diese auch das gesamte Erscheinungsbild des Textes prägte und, ausweislich der aufgeführten Reaktionen, beeinträchtigte. Ganz wie der Tübinger Kirchenhistoriker suchte auch Barge eine intensive Diskussion über die relevanten Quellenbestände und deren angemessene Interpretation. Einzelne Abschnitte des Buches schlossen an die Materialarbeiten von Müller an, nahmen dessen Hinweise auf und überführten diese in einen konstruktiven Alternativvorschlag. Besonders gilt dies für Barges Revision der Müllerschen Chronologie zu einer H.[ermelink] eine Reihe von Einzelausstellungen, durch die er die Glaubwürdigkeit meiner Forschungsergebnisse zu erschüttern sucht. In einem Werke wie dem meinigen von mehr als 1100 Seiten, das fast ausschließlich neuen Boden bereitet, versteht es sich von selbst, daß Korrekturen und Ergänzungen im einzelnen angeführt werden können, ohne daß dadurch im mindesten ein Maßstab für Wert oder Unwert der Arbeit gewonnen würde.“ 951 Vgl. dazu Barge, Gemeindechristentum, S. XXI: „Ich gebe mich der Erwartung hin, daß auf sie [die „Vorgänge der reformatorischen Frühzeit“] in der nächsten Zeit meine historischen Fachgenossen mehr als bisher ihr Augenmerk richten werden. Wenn diese Erwartung erfüllt wird, so würde ich darin eine volle Entschädigung für die mancherlei Verdrießlichkeiten und Verunglimpfungen sehen, die die rückhaltlose Geltendmachung meines historischen Standpunkts im Gegensatz zu überlieferten Ansichten mir eingetragen hat, zu Ansichten, deren weite Verbreitung letztlich doch nicht über ihre innere Unzulänglichkeit hinwegzutäuschen vermag.“ Im Jahr 1910 s. auch Barge, Entgegnung, Sp. 3213; zum Zitat s. unten Anm. 1052. 952 Zur Autorenangabe s. Löschhorn, Rez. Barge 1910, S. 162. 953 Alle Zitat s. ebd., S. 158. 954 Ebd., S. 159: „Barge vertritt durchweg den bei der Behandlung reformationsgeschichtlicher Fragen allerdings richtigeren historischen Standpunkt, während Karl Müller in den wesentlichsten Punkten zur alten Auffassung von der Person und Tätigkeit Karlstadts zurückgekehrt ist, da er das Thema, entsprechend seinem Berufe als Professor der Theologie, fast durchgehends von der theologischen Seite aufgefaßt hat.“ In eine vergleichbare Richtung gehen auch die Ausführungen Löschhorn, die unten in Anm. 1056 zitiert werden. 955 Weitere Inhalte der Rezension anzuzeigen, erübrigt sich, da Löschhorn sich auf eine unkritische Paraphrase der Bargeschen Monographie beschränkt und sich darin auf die Erwartungen an das Rezensionsorgan beruft, ebd., S. 159 f.: „Die ‚Mitteilungen aus der historischen Literatur‘, deren Anzeigen bestimmungsgemäß im allgemeinen mehr referierender als kritisierender Art sein müssen, sind natürlich nicht der Ort, um endgültig zu entscheiden, wer bei Lösungsversuchen der so schwierigen reformationsgeschichtlichen Fragen unbedingt recht hat.“
304
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Briefsequenz des „Corpus Reformatorum“.956 Vor allem der Anmerkungsapparat der Hauptkapitel und Exkurse dokumentiert, wie akribisch Barge Müllers Ergebnisse einer quellenbasierten Revision unterzogen hatte. Daß dies nicht allzu selten auch zu sachlichen Übereinstimmungen führen konnte, mochte nur zu leicht von der Massivität der Abgrenzungen im Titel, „Vorwort“ und Haupttext verdeckt worden sein. Zugleich integrierte Barge Antworten auf weitere Kritiker in den Band. Die betreffenden Ausführungen finden sich am Anfang und Ende des Buches. Brieger bedachte Barge nur eingangs mit der beiläufigen und durchaus pointierten Bemerkung: dessen „persönliche Ausfälle gegen mich mit gleicher Münze heimzuzahlen, fehlt mir die Neigung. Der erbitterte Ton seiner Ausführungen erklärt sich aus den Prämissen seiner Gesamtanschauung. Dem echten Ritschlianer steht ja, wie man weiß, die Integrität des Lebenswerkes Luthers, zumal wo sein Kampf gegen dissentierende evangelische Richtungen in Betracht kommt, fast höher als die religiöse Leistung Christi, und es ergibt sich die sonderbare Situation, daß heutzutage gegenüber der religiösen Persönlichkeit Christi der kritischen Betrachtung ein viel weiterer Spielraum verstattet ist als gegenüber der Luthers.“957
Sehr bewußt verwahrte sich Barge gegen eine eigene Auseinandersetzung mit Brieger.958 Holls uneingeschränkte Zustimmung zu Müllers Analyse stand und fiel für Barge nicht nur mit seiner eigenen Zurückweisung der erhobenen Kritik, sondern war für ihn schlechterdings Ausdruck einer vollständigen fachlichen Ignoranz: „Holls Besprechung ist eine der leider nicht vereinzelt dastehenden Rezensionen, bei denen eine vollkommene sachliche Unkennntis des Verfassers sich hinter einem bösartigen polemischen Floskelwerk zu verbergen sucht, ja wo durch diesen Aufputz der Anschein einer besonders intimen Sachkenntnis vorgetäuscht wird.“959
Daß Barge auf Cohrs’ jüngste Rezension an deren Erscheinungsort in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ zu replizieren versucht hatte und „wegen Raummangels“ abgelehnt worden war, berichtete einer der „Exkurse“ im Anhang960. In der Monographie wurde die vorgesehene Erwiderung961 unter veränderter Überschrift abdruckt. Eine Reaktion auf Tilings Aufsatz schloß sich am Ende des Buches als „Nachtrag“ an.962 Für Barge war, wie für alle anderen Zeitgenossen, 956 Barge,
Gemeindechristentum, S. 283–306 (Exkurse, Nr. I). S. XV. 958 Ebd.: „Ich sehe keine Möglichkeit, wie zwischen diesem Ritschlianismus Briegers und der von mir vertretenen historischen Denkweise sich eine Brücke schlagen lassen soll.“ 959 Ebd., S. XIV. Zu Barges weiteren Bezügen auf Holl s. ebd., S. IX, XV und S. 297, Anm. 2. 960 Ebd., S. 357 (Exkurse, Nr. X). 961 Die vorgesehene Überschrift deutet sich an, ebd.: „Ich habe ihm [Cohrs] folgendes zu erwidern“. Zu dem Text insgesamt s. unter der Überschrift „Zu Karlstadts Aufenthalt in der Schweiz“, ebd., S. 357–360. 962 In der durchlaufenden Zählung steht der Text als abschließender Teil unter den „Exkurse[n]“ (Nr. 11), wird durch die vorangestellte Klammerbemerkung aber leicht abgehoben, 957 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
305
aus Tilings Erstveröffentlichung nicht erkennbar, daß sie von einer Autorin stammte.963 Wie selbstverständlich ging Barge von einem männlichen Verfasser aus und sprach konsequent dort, wo nicht eine nominelle Bezeichnung erfolgte, von „er“.964 Nicht nur für die Wissenschaftskultur der Jahrhundertwende ist dies bezeichnend; es illustriert auch, daß Barge und Tiling zu diesem Zeitpunkt einander persönlich unbekannt waren. Tilings differenzierte Studie, die unterschiedlich schwerwiegende Gewichte der Zustimmung und Ablehnung auf beiden Seiten der Kontrahenten verteilt hatte, erfuhr bei Barge eine selektive Aufnahme. Mit Freude und „Genugtuung“965 empfahl er die „dankenswerten Untersuchungen“966 als „methodisch ungleich reifer und in den Resultaten zuverlässiger als alles, was K. Müller über den gleichen Gegenstand ausgeführt hat“967. Tilings Kritik wies Barge in zwei Punkten zurück, bevor er die „völlige […] sachliche […] Uebereinstimmung“ ausführlicher und deutlicher, als sie Tiling selbst skizziert hatte, herausstrich.968 Zumindest in Teilen vollzog Barge darin eine Vereinnahmung Tilings gegen Müller, konnte die verbleibenden Differenzen – einschließlich „einer maßlos ungerechten und verkehrten Beurteilung der Forschungsergebnisse meines ‚Karlstadt‘“ – nicht anders als aus dem „streng lutherische[n] Standpunkt des Verfassers“969 erklären. In den gebotenen Einschätzungen zur Veranlassung der Kontroverse liegt Barges Monographie auf einer Linie mit den früheren Voten: „Theologen sind es denn auch fast ausschließlich gewesen, die mir, dem Historiker, entgegengetreten sind.“970 Der in der „Ehrengabe“ für Lamprecht aufblitzende Vermittlungskurs wurde damit sehr schnell wieder verlassen. Deutlicher als zuvor berief sich Barge demgegenüber auf allgemeine politische Erwägungen in seiner positiven Qualifizierung der Wittenberger Kirchenreform vor Luthers Rückkehr von der Wartburg: „Würden bei einer mehr demokratischen Fundierung der evangelischen Frömmigkeit und des neuen Kirchenwesens nicht die inneren Gesamtpotenzen ebd., S. 360: „(Nachtrag.)“. Barge selbst erklärt die formale Sonderstellung aus der Chronologie der Ereignisse, ebd.: „Als der Druck des vorliegenden Werkes eben vollendet war, kam mir die Abhandlung von M. v. Tiling […] zu Gesicht“. In dem Satz, ebd., S. 361: „kann ich seine Einwände – da so leicht Verwirrung gestiftet werden könnte – doch nicht unerwidert lassen“, mag sich textgenetisch andeuten, daß Barge zunächst ebenfalls an die literarische Gattung einer Erwiderung in der „Neue[n] Kirchliche[n] Zeitschrift“ gedacht haben, sich aber – gerade nach der Erfahrung einer von der „Theologische[n] Literaturzeitung“ abgelehnten Replik – für Schnelligkeit und Sicherheit in der Drucklegung entschieden haben mochte. 963 Vgl. dazu oben Anm. 902. 964 S. dazu Barge, Gemeindechristentum, S. 361, 363, 365 f. 965 Ebd., S. 362. 966 Ebd., S. 365. 967 Ebd., S. 361. 968 Die Diskussion der Kritik s. ebd., S. 361; „zu den gleichen Ergebnissen“ ebd., S. 362–364. Das Zitat im Haupttext findet sich ebd., S. 364. 969 Ebd., S. 361. 970 Ebd., S. III. Vgl. dazu oben im Zusammenhang mit den früheren Äußerungen Anm. 655.
306
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
des deutschen Volkes gewaltig gesteigert worden sein?“971 Diese Priorisierung nationalpolitischer Ideale vor einer historiographisch gebrochenen Kritik der Kirchenpolitik läßt sich in größerer Klarheit in keiner anderen Schrift Barges finden. Allenfalls indirekt spiegeln frühere Studien, wie diejenige zur Geschichte der Monarchie in Deutschland oder die epochenübergreifende Skizze zu den Verfassungsformen972, wider, daß Barges modernitätstheoretisch bestimmte Geschichtsteleologie den historischen Aktualisierungen und strukturellen Behinderungen direkter Demokraktie galten. In keinem anderen historiographischen Zusammenhang berief sich Barge auch so unvermittelt auf Naumann, wie in dem Passus seiner „Abwehr gegen […] Müller“, der das positionelle Proprium „eine[r] tätige[n] Anteilnahme an den kirchlichen Angelegenheiten“, eines „religiöse[s] Selbstbestimmungsrecht[es]“973 sowie, ab Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, „später einen Sieg der Toleranz“974 beschwor. Nicht unangemessen war es, wenn Barge dieses Ideal einer „laienchristlichen Reformbewegung“975 auch mit dem Titel seiner zweiten Monographie in das zeitlosere Gewand eines „Frühprotestantische[n …] Gemeindechristentum[s]“ kleidete als es der zweite Band der Biographie mit dem Untertitel des „laienchristlichen Puritanismus“ gewagt hatte, der in einem höheren Maß auf frömmigkeitsgeschichtliche Strukturvergleiche angewiesen war. Der Satz in Müllers Monographie, der Barge am meisten verletzt hatte, zielte auf eine vollständige fachliche Diskreditierung des literarischen Gegners und war von Barge als die „äußerste Grenze […] persönliche[r] Polemik“ empfunden worden.976 Barge replizierte im erkennbaren Bemühen, nicht die Person, sondern das Buch seines Kontrahenten in das Zentrum der Kritik zu rücken. Dabei verlor er sich aber einerseits in Details, andererseits verstieg er sich ohne das Gewicht eines vergleichbaren akademischen Status in das Gesamturteil, das er aus einer wissenschaftlich schwächeren Position zu sprechen wagte: „Als Ganzes wäre sein Buch – im Interesse des wissenschaftlichen Rufes des Autors und im Interesse der geschichtlichen Wissenschaft – besser nicht geschrieben worden. Denn es strotzt vor Unrichtigkeiten und verkehrten Schlußfolgerungen.“977
Den Aufweis dieses harschen Urteils suchte Barge aus den Quellenarbeiten des Hauptteils sowie zuvorderst einem tendenziösen Umgang Müllers mit dem Wortlaut der Karlstadt-Biographie zu erhärten. Eine klassifizierende Synopse stellte einzelne Ausführungen von Müller den betreffenden Textauszügen von 971
Barge, Gemeindechristentum, S. 50. Vgl. dazu oben Anm. 122 mit den direkten Bezügen, die für Naumann herausgearbeitet werden. 973 Barge, Gemeindechristentum, S. 50. 974 Ebd., S. 51, im direkten Zitat von Naumann. 975 Ebd. 976 Vgl. dazu oben die Anm. 735–737. 977 Barge, Gemeindechristentum, S. VII. 972
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
307
1905 gegenüber.978 Graphisch augenfällig bestimmen diese – inhaltlich nur eingeschränkt bedeutsamen – Materialkompilationen das äußere Erscheinungsbild des „Vorwort[es]“, das als solches in der Wahrnehmung eines flüchtigen Lesers ebenso wenig einschlägig wirken mochte, wie das Gros der nachfolgenden Ausführungen. Ausweislich der einleitend referierten Rezensionen und Reaktionen fand Barge kaum Leser, die dem Buch mehr als nur einen antithetischen Charakter abgewinnen konnten. Als argumentativ überzeugender Befreiungsschlag gegen die erhobene Kritik war die Replik damit eindeutig mißglückt. Selbst der in seinem kirchenpolitischen Ideal eines autonomen und sozial engagierten Gemeindechristentums nahe bei Barge stehende Harnack bot Ende des Jahres 1909 in seinem „Lehrbuch der Dogmengeschichte“ nur jenen Topos auf, den Karl Müller 1906 geprägt hatte: „In der Controverse zwischen Barge und Karl Müller scheint mir jener Luther’s Einsicht und Kraft und seine Bedeutung für Karlstadt zu unterschätzen, diesen selbst aber beträchtlich zu überschätzen.“979 Friedrich Loofs wiederum wies in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ vom 25. September 1909 mit einer knappen „Notiz“ darauf hin, daß er ein weiteres Exemplar von Karlstadts Augustin-Kommentar in der Calvörschen Bibliothek in Zellerfeld gefunden habe, nachdem Barge vergeblich „bei ‚gegen 100 deutschen und außerdeutschen Bibliotheken‘“ gesucht habe und „mit Hilfe des Herrn Geheimrat Schwenke“ auf „das ‚vielleicht […] einzige noch vorhandene‘“ gestoßen sei.980 Im zeitgenössischen Kontext war der sachlich dargebotene Informationsgehalt auf eine mehrfache Lesbarkeit hin offen, die auch eine fachliche und methodische Desavouierung Barges einschließen konnte. Unerwähnt bleibt, daß bereits Kawerau in seinem Eröffnungsvotum 1906 herausgestellt hatte, daß ein zweites Exemplar in Dessau zu finden sei.981 2.4.18. Müllers abschließende Antwort – „Hier breche ich ab.“ Bereits vor Erscheinen der Bargeschen Monographie zeigte sich Müller sensibel gegenüber möglicher Kritik. Noch bevor Barge sein „Vorwort“ für den Abschluß der Drucklegung unterzeichnen konnte, rückte Müller eine „Miszelle“ in die am 10. März 1909 ausgegebene „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ ein,
978 Vgl.
dazu bes. ebd., S. IX–XIII. Dogmenschichte, S. 771 [zitiert nach der fünften Auflage, die eine photomechanische Wiedergabe der vierten Auflage darstellt]. Für den Wortlaut von Müller s. oben Anm. 569. Die Nähe von Harnacks Formulierung zu derjenigen Müllers und der direkte Rekurs von jenem auf diesen legen nahe, daß sich Harnack vorrangig auf die betreffende Rezension von 1906 bezog. 980 Loofs, Notiz. 981 S. dazu oben Anm. 525. Ausdrücklich hob auch Karl Müller in seinem Eröffnungsvotum auf diesen Kawerauschen Hinweis ab, Müller, Rez. Barge, S. 472, Anm. 1, so daß der betreffende Umstand als hinreichend bekannt vorauszusetzen war. 979 Harnack,
308
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
die einen kleineren Fehler zur eigenen Darstellung von Karlstadts Wechsel nach Orlamünde korrigierte.982 Im übrigen hatte sich ein weiteres Themenfeld in den Vordergrund seiner Arbeiten geschoben, das sich indirekt aus den Ausführungen in „Luther und Karlstadt“ ergab. Gegenüber dem von Barge betonten Bruch zwischen Luthers Ekklesiologie bis 1521 und seiner faktischen Kirchenpolitik seit 1522 hatte Müller vermittelnd auf die persönliche Ausprägung eines zunehmenden Realitätsbezugs hingewiesen, was ihm eine umgehende Kritik Briegers einbrachte.983 Im zeitlichen Anschluß an und im inhaltlichen Bezug auf Müller, wenn auch als Teil eines deutlich älteren Diskussionszusammenhanges984, erschien 1908 im Ergänzungsheft der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“ Paul Drews’ Untersuchung der Frage: „Entsprach das Staatskirchentum dem Ideal Luthers?“.985 Die abschlägige Antwort berief sich auf Köhler und Müller986, während die Gegenthese von Hermelink in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ erörtert wurde987. Auch Hermelink bezog sich auf Müller988, vermied jede Erwähnung Barges und konstatierte in einer Anmerkung nochmals, daß Luthers „Mitarbeit bei der Beutelordnung durch die Entdeckungen von Nik. Müller über allen Zweifel sichergestellt“989 sei. Karl Müller wurde nach seiner autobiographischen Auskunft von Martin Rade gebeten, „zu dem Gegensatz […] in der ‚Christlichen Welt‘ Stellung zu nehmen“.990 Die monographische Ausarbeitung fand zunächst in der „Christliche[n] Welt“ vom 2. Juni 1910 eine Ankündigung mit dem Aufsatz „Kirche, Gemeinde und weltliche Obrigkeit nach Luther“991, bevor die 982
Müller, Miszelle. Vgl. dazu oben die Anm. 757 f. und Anm. 851. 984 Für die späteren Diskutanten Drews, Hermelink und Müller hatte Rieker, Kirche, 1893 die erste jüngere Arbeit zum Thema geliefert. Hinzu kamen die Herausforderungen durch das Kirchenrecht von Sohm und die einschlägigen Studien von Köhler; vgl. dazu insgesamt Drews, Staatskirchentum; Hermelink, Gemeindeideale; Müller, Obrigkeit und Müller, Kirche. 985 Drews, Staatskirchentum. 986 Zu den Bezügen auf Müller s. ebd., S. 48, Anm. 1, S. 54, Anm. 2 und S. 84, Anm. 1. 987 Zunächst erschien am 25. August 1908 Hermelink, Idealgemeinden, dann folgte drei Monate später Hermelink, Nachwort, als Antwort auf Drews, dessen Beitrag „unabhängig“ von dem eigenen erschienen sei, s. dazu ebd., S. 479. 988 Hermelink, Idealgemeinden, S. 294, Anm. 1, liest – ohne frühere oder spätere bibliographische Aufnahme von Müller, Luther – „A. a. O. S. 110–115“, ist aber eindeutig Müllers „Luther und Karlstadt“ zuzuordnen. Vgl. weiter Hermelink, Idealgemeinde, S. 295 f. und S. 304 f. Ebd., S. 306, Anm. 2, verweist auf einen thematisch einschlägigen Briefwechsel von Müller und einzelne Materiallieferungen des Tübinger Kirchenhistorikers. 989 Ebd., S. 294, Anm. 2. 990 S. dazu oben Anm. 565. Im Jahr 1910 vgl. dazu auch Müller, Obrigkeit, Sp. 511: „Angesichts dieses Gegensatzes […] hat mich der Herausgeber der Christlichen Welt gebeten, meine Ansicht darüber zu äußern.“ In der Vorrede zu seiner Monographie erklärte Müller, ebenfalls 1910, gleichermaßen, Müller, Kirche, S. III: „Zunächst hatte mich M. Rade gebeten, mich in der Christlichen Welt über die Fragen zu äußern, die zur selben Zeit von P. Drews und H. Hermelink in ganz entgegengesetzter Weise beantwortet waren.“ 991 Müller, Obrigkeit, Sp. 511: „Die nähere Darlegung und Begründung meiner Anschau983
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
309
Drucklegung im selben Jahr unter dem etwas kompakteren Titel „Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther“992 erfolgte. Es wäre falsch, die Genese dieser Debatte als eine Abzweigung der Barge-Kontroverse zu schildern. Aber unzutreffend wäre es auch, die früheren Bezüge auf Barges Lutherbild und dessen staatskirchenkritisches Ideal eines „Gemeindechristentums“ in seinen strukturellen Entsprechungen zu der von Drews vertretenen Position völlig auszublenden. Erkennbar ist jedenfalls bei Hermelink das auch in seinem programmatischen Schlußsatz ausgesprochene Bemühen, die Diskussion innertheologisch zu führen: „Mögen wir protestantische Theologen doch allmählich zu einem Einverständnis kommen über Luthers Kirchenbegriff und über des Reformators Bemühungen um Neuorganisation der Kirche!“993 Auffällig ist die begriffliche Entsprechung zu Barges gut zehn Jahre später folgendem Band in der Münchner Luther-Ausgabe zur „Neuorganisation der Kirche“.994 Vor diesem Hintergrund ist um so beachtlicher, daß Müller in seinem monographischen Beitrag zur Debatte überhaupt auf Barge einging. Freilich geschah dies nicht im thematisch einschlägigen Hauptteil des Buches, dessen Pointe es war, die aufgegebene Fragestellung als anachronistisch abzulehnen gegenüber der Luthers Denken bestimmenden mittelalterlichen Einheitskultur „eine[r] Christenheit in ihrer universalen Ausdehnung und den beiden Lebensgebieten mit den beiden Gewalten oder Obrigkeiten, Ordnungen und Rechten“995. Formal davon abgehoben war ein Anhang, der zunächst eine Antwort auf Tiling enthielt996, zwei weitere Punkte traktierte997 und erst am Ende Barge galt. Über „Fräulein M. von Tiling“998 war Müller besser informiert als sein Leipziger Kontrahent, doch hatte er sich gleichermaßen gegen die erhobene Sachkritik zu verteidigen. Den Vorwurf einer mangelhaften Klassifizierung der Messen parierte Müller mit dem Hinweis, er habe „gerne“ darauf verzichtet, „Bekanntes ung werde ich in einer Schrift geben, die denselben Titel wie dieser Aufsatz tragen und demnächst bei […] Mohr erscheinen wird.“ 992 Müller, Kirche. 993 Hermelink, Nachwort, S. 489. 994 Vgl. dazu oben Anm. 223. 995 Vgl. dazu den Abschnitt bei Müller, Kirche, S. 5, dem das Zitat oben entnommen ist, mit ebd., S. 82: „Weder ein Staatskirchentum noch ein Staatskirchentum hat im 16. Jahrhundert bestanden; die Idee der Christenheit und ihrer weltlichen Obrigkeit enthält eine ganz andere Struktur der Gedanken, als in jener Formulierung liegt. Und eben darum könnte man auch heute nicht daran denken, die Wirklichkeit nach Luthers Grundsätzen zu formen oder ihre Gestalt einfach danach zu beurteilen. Fast alle Elemente, aus denen sich seine Anschauung aufgebaut hat, sind für uns vergangen oder ganz wesentlich in sich verändert.“ 996 Die Motivation dazu beschreibt die „Vorrede“, ebd., S. III: „da ferner auch meine Ansicht über die Stellung Luthers zur Messe gegenüber einer inzwischen erschienenen Arbeit M. v. Tilings neu dargelegt werden mußte“. Den betreffenden Abschnitt bieten ebd., die S. 87–102 (Anhang, Nr. 1). 997 Die beiden Komplexe ebd., S. 103–121 (Anhang, Nr. 2 f.), stellen im wesentlichen quellenbezogene Exkurse zu der Auseinandersetzung mit Hermelink und Drews dar. 998 Ebd., S. 87 (Anhang 1).
310
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
[zu] wiederhole[n]“; seinerseits unterstellte er Tiling, „offenbar von den Verhältnissen, die hier zugrunde liegen, keine Kenntnis gehabt“ zu haben.999 Tilings Ansatz, eine Systematik der von Luther diskutierten Messen induktiv aus dessen Schriften zu erheben, lehnte er als methodisch „falsch“ ab1000, da sich Luther selbst auf den historisch eindeutigen Kontext einer zeitgenössischen Meßpraxis bezogen habe. Weitere Kritikpunkte Tilings erklärte er aus schlichten „Mißverständnissen“1001 seiner Ausführungen. Nur in der Interpretation einer einzigen Karlstadtschen These konzedierte Müller seiner Kritikerin, eine „falsche Deutung“ geboten zu haben.1002 Gegenüber weiteren Differenzen konstatierte er eine größere Übereinstimmung, als sie Tiling bewußt gewesen sei1003, womit er eine ähnliche argumentative Strategie wie zuvor Barge wählte, im ganzen aber die Leistungen der Autorin schroffer zurückwies. Seine Auseinandersetzung mit Barge zögerte Müller bis zum letzten Moment hinaus. Ausweislich seiner „Vorrede“ nahm er sich erst „zuletzt, nachdem alles erledigt war,“ der Aufgabe an und machte sich „an das Studium von Barges Buch“.1004 Die Chronologie dürfte zutreffen. Sie würde nicht nur die formale Nachordnung am Ende des „Anhang[es]“ erklären. Vor allem könnte sie erhellen, weshalb die „Vorrede“, die wohl wie die meisten Vorworte erst nach dem Abschluß der literarischen Hauptarbeit geschrieben wurde, überwiegend auf Barge eingeht. Gegenüber dem thematischen Schwerpunkt des Bandes ergaben sich daraus in der „Ende Juni 1910“1005 unterzeichneten „Vorrede“ inhaltliche Asymmetrien, deren Entstehung aus einer zeitlichen Folge auf den Barge-Anhang verständlich wäre. Das Vorwort erklärte es zur ausschlaggebenden Veranlassung, daß „endlich auch Barges neue Arbeit eine Antwort verlangte“1006. Die Herausforderung durch die Monographie rückte der betreffende Anhang in die Überschrift: „Zu Barges Frühprotestantischem Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde“1007. Für die Methodik seiner Antwort hatte Müller den Anspruch erhoben, im Unterschied zu Barge selektiv vorgehen zu wollen.1008 Dies stimmte: Müller 999
Ebd., S. 88. S. 92. 1001 Ebd., S. 97, Anm. 1; vergleichbar ist auch der Haupttext ebd., S. 95: „Meine Auffassung der Unterschiede, die sich in der nächsten Zeit zwischen den Wittenberger Freunden bilden, hat von Tiling bestritten, zum großen Teil, weil sie mich nicht richtig verstanden hat.“ 1002 Ebd., S. 98, Anm. 8. 1003 Vgl. dazu u. a. ebd., S. 99, Anm. 8 cont.: „Was ferner die Polemik v. Tilings (S. 123–125) gegen meine Auffassung der Karlstadtschen Thesengruppen 101 ff. betrifft, so ist es mir aus ihren Worten nicht klar geworden, wo sie den Gegensatz unsrer Auffassungen findet.“ 1004 Ebd., S. III. 1005 Ebd., S. IV. 1006 Ebd., S. III. Vgl. ebd. auch: „Aber was er jetzt vor einem Jahr veröffentlicht hat, kann ich doch nicht ganz unerwidert lassen.“ 1007 Ebd., S. 121–149. 1008 Vgl. dazu oben Anm. 949. 1000 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
311
beschränkte sich auf drei Gliederungspunkte, denen sich letztlich drei Texte von Barge zuordnen ließen. Ausführlich beantwortete Müller zunächst das Bargesche „Vorwort“1009, kam dann erneutet auf das Thema der Messe und damit die Anfangskapitel der Monographien zurück1010 und erörterte abschließend abermals Luthers Stellung zum Bauernkrieg, die unter den Exkursen traktiert worden war1011. Hinzu traten einleitende Bemerkungen zu Barges historiographischem Selbstverständnis, die ebenfalls als ein Kommentar zu dem „Vorwort“ von 1909 verstanden werden können.1012 Vor allem parierte Müller darin Barges Vorwurf konfessioneller Voreingenommenheit mit einer möglichst beiläufig vorgebrachten Widerklage: „Aber was würde wohl Barge sagen, wenn man sein Buch aus seiner kirchlichen und politisch-sozialen Parteistellung erklärte! Indessen versteht es sich ja für ihn von selbst, daß nur der Theologe befangen sein kann!“1013 Zugleich berief sich Müller auf die Zustimmung von Holl und Brieger1014, während er Barges Anschluß an Keller nur mit Spott behandelte: „Gewiß ein Muster von Kenntnis und sachlicher Beurteilung der ‚kirchengeschichtlichen‘ Arbeiten!“1015 Die Replik auf Barges Systematisierung tendenziöser Umgangsweisen mit dem Text der Biographie orientierte sich durchaus an der zuvor abgelehnten „Methode, Satz um Satz widerlegen zu wollen.“1016 In den Ausführungen zur Messe nahm Müller überraschend positiv auf Tiling Bezug, indem er deren Kritik an Barge fast ausnahmslos zustimmte. In der Behandlung von Luthers Stellung zum Bauernkrieg ging es vor allem um die Frage, wie detailliert oder direkt1017 die editorischen Ergebnisse des 1908 erschienenen 18. Bandes der Weimarana von den beiden Kontrahenten bislang aufgenommen worden seien. Die vielleicht gravierendste Materialkompilation gegen Barge hatte Müller in seine Ausführungen zu Tiling integriert. In einer Anmerkung berichtete er, daß er die von Barge edierte Thesenreihe vom 17. Oktober anhand des Originaldruckes in Basel verglichen habe.1018 Minutiös verzeichnete er die Abweichungen vom Original, das Barge diplomatisch getreu 1009 Müller,
Kirche, S. 124–131 (I). Ebd., S. 135–140 (II). Vgl. dazu Müller, Luther, S. 1–28, sowie Barge, Gemeindechristentum, S. 1–47. 1011 Müller, Kirche, S. 140–149 (III). Zu dem früheren Exkurs s. zunächst Müller, Luther, S. 231 f. (Anhang, Nr. 8), sowie dann Barge, Gemeindechristentum, S. 332–335 (Exkurse, Nr. VI). 1012 Müller, Kirche, S. 121–124. 1013 Ebd., S. 124, Anm. 1. 1014 Ebd., S. 123 f. 1015 Ebd., S. 122, Anm. 1. 1016 Ebd., S. III; vgl. dazu oben Anm. 949. 1017 Ebd., S. 146, bietet die interessante Überlegung, daß Barge keineswegs die primären Editionen konsultiert haben könnte, sondern sich der einschlägigen Zusammenstellungen aus anderen Einleitungstexten bedient haben könnte. 1018 Der grundlegende Abschnitt findet sich bei Barge, Karlstadt, T. 1, S. 484–490 (Exkurs V, Nr. 18). Für Müllers Einzelbeobachtungen s. Müller, Kirche, S. 98, Anm. 8. 1010
312
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
wiedergegeben zu haben beanspruchte, wobei Müller eine Reihe von Lesefehlern herausstrich, deren inhaltliche Relevanz begrenzt ist, die aber Barges Verläßlichkeit in elementaren hilfswissenschaftlichen Fragen auf schwerste zu erschüttern1019 vermochte. Doch nicht nur als methodisch unzuverlässig schilderte Müller die Arbeit Barges. Die Hauptkritik galt der Leistung des Biographen. Die Kontroverse zu Karlstadt und Luther spitzte Müller auf die „Frage der Abhängigkeit zwischen Luther und Karlstadt“ zu, die alles andere als „einen armseligen Prioritätenstreit moderner Gelehrter“1020 markierte. Um nichts weniger ginge es, als um „die geschichtliche Frage, wie man eine Persönlichkeit wie Karlstadt zu beurteilen und unterzubringen habe, unter den selbständigen, produzierenden Größen oder unter die, die von den Gedanken der Heroen und anderer Ueberlieferungen leben und deren Originalität sich darauf beschränkt, hie und da einen kleinen selbständigen Nebenweg einzuschlagen oder diese oder jene Verzierung anzubringen.“1021
Daß Barge diese „kardinale Frage für einen Biographen“ entweder „nicht angefaßt oder falsch beantwortet“ habe und „seine Arbeit schließlich am höchsten Punkt gescheitert“1022 sei, war für Müller über jeden Zweifel erhaben. Die Alternative trägt er zwar ohne klares Diktum vor, stellt die weitere Option, daß ein Biograph diese Fragen durchaus bearbeiten, aber zu einem anderen Ergebnis kommen könne als dem, daß Karlstadt zu den unselbständigen, unoriginellen und rein rezeptiven „Größen“ gehören könne, nicht zur Wahl. Seinen Schlußakkord zu Barge schlug Müller als Dreiklang an. Zunächst eröffnete er den betreffenden Exkurs mit dem Einleitungssatz: „Barge hat die Gewohnheit, auf jede Rezension und jede Abhandlung, die seinen ‚Karlstadt‘ nicht nach Gebühr aufnimmt, sofort mit einer neuen Abhandlung oder wenigstens einer Erklärung zu antworten.“1023 Sodann beendete er seine Ausführungen mit den Worten: „Hier breche ich ab. Ich denke, niemand wird es mir zumuten, mich mit einem solchen Gegner weiter herumzuschlagen.“1024 Und schließlich sprach er in der „Vorrede“ unmißverständlich aus, was bereits impliziert worden war: „Auf weitere Erörterungen von seiner Seite werde ich nicht eingehen.“1025 Sehr klar hatte Müller damit erkannt, daß er die ermüdende Endlosschleife sich inhaltlich und strukturell wiederholender Voten nur mit einem deutlichen Schlußwort durchtrennen konnte.
1019 Dies unterstützt auch eine weitere philologische Detailuntersuchung, ebd., S. 95, Anm. 3, die Fehler in der Textkonstituierung und Übersetzung erhebt. 1020 Ebd., S. 135. 1021 Ebd. 1022 Ebd. 1023 Ebd., S. 121. 1024 Ebd., S. 149. 1025 Ebd., S. III.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
313
2.4.19. Zusammenfassung – Konfrontationen, ein Ausgleichsversuch und der Gesprächsabbruch Der umschriebene Zeitraum der Kontroverse zwischen Müller und Barge begann und endete im Schweigen. Am Anfang stand 1907 die erwartungsvolle Stille der deutschsprachigen Kritiker, die nur von Hermelink – wohl im Wissen um Müllers Arbeit an einer Monographie – durchbrochen wurde, während Kawerau die Redaktion des Bandes lautlos unterstützte. Barge kam der Veröffentlichung mit einem substantiellen Aufsatz zuvor, dessen Beantwortung durch Müller selektiv erfolgte, indem sie Barge als theologischen Gesprächspartner zu Luther kategorisch zurückwies. Zugleich wurden die ausgewählten Themenkomplexe, auf die sich Müllers „Luther und Karlstadt“ beschränkte, für die weitere Auseinandersetzung konzeptionell grundlegend. Sowohl Barges monographische Antwort „Frühprotestantisches Gemeindechristentum“ von 1909 wie auch spätere Zusammenfassungen und Literaturberichte nahmen das thematisch reduzierte Gliederungsmuster von Müller auf. Die Bücher der beiden Kontrahenten boten Rezensenten die Chance zu klaren Positionierungen, in denen sich die Fronten der Vorjahre erneuerten, die Linie von Unterstützern Barges aber massiv ausdünnte. Auf entschiedene Distanz gingen Köhler und Cohrs, während nur Bossert Sachkritik an Barge und Müller erhob. Brieger reagierte in vergleichbarer Schärfe wie zuvor und rief nun sogar dazu auf, Barge literarisch zu ignorieren und damit fachlich zu isolieren. Unter die Fürsprecher, die Müller fand, reihte sich auch Holl ein, der selbst eine eingehende Auseinandersetzung mit Barge in Betracht gezogen hatte. Barge replizierte zwischen 1907 und 1909 in Erwiderungen, Aufsätzen und schließlich der Monographie, wobei er um eine konstruktive Weiterführung der quellenbezogenen Diskussion bemüht war, die meisten Zeitgenossen mit der antithetischen Ausrichtung seiner Beiträge aber überforderte und nur den Eindruck einer publizistischen Vervielfachung bereits bekannter Positionen und Argumente erweckte. Um eine eigenständige Einschätzung der Meßreform bemühte sich alleine der Aufsatz Magdalene von Tilings, dessen Drucklegung 1909 einem ansatzweisen Ausgleichsversuch gleichkam. Barges eigenes Vermittlungsbemühen, sich nicht nur negativ von Ritschl und einer Konzentration auf das Rechtfertigungsgeschehen abzugrenzen, sondern positiv auf Schleiermachers Religionstheorie zu berufen, wurde von theologischer Seite als disziplinäre Kompetenzüberschreitung abgelehnt. Historiker wiederum, wie der Münchner Hermann Herre, erhoben ihrerseits Einspruch gegen die unternommene Integration theologischer Akzente in die allgemeine Geschichtswissenschaft. Nikolaus Müller schließlich warf Barge vor, archivalische Prioritätsrechte verletzt zu haben. Barge antwortete bevorzugt in den jeweiligen Periodika, wobei allgemeinhistorische Zeitschriften wie die „Historische Zeitschrift“ und die „Historische Vierteljahrschrift“ im Vordergrund standen. Eine „Erwiderung“ in der „Theologische[n] Literaturzeitung“
314
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
wurde abgewiesen, in der von Brieger herausgegebenen „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ unternahm Barge wohl nicht einmal den Versuch. Barge seinerseits übertrug die Debatte mit der „Ehrengabe“ für Lamprecht in einen bestimmten schulischen Zusammenhang, der gleichermaßen kontrovers war wie die Nähe zu Keller, die er mit dessen „Monatshefte[n] der Comenius-Gesellschaft“ suchte. Inhaltlich hatten sich durchaus Fortschritte ergeben, zu denen nicht zuletzt eine zunehmende Explikation der politischen und religiösen Prämissen für das progressionshistorische Denken des Karlstadt-Biographen gehörte. Im Wissen um Barges literarische Produktivität in Gegendarstellungen zögerte Müller lange, bevor er sich zu einer weiteren Stellungnahme überwand, und entschied sich 1910 dafür, den Austausch mit einem letzten, unmißverständlichen Wort zur Sache zu beenden.
2.5. Der Ausklang – Zusammenfassungen und Editionen (1910–1920) Mit Müllers Scheidewort an Barge trat die Debatte in ihre Endphase. Diese war gekennzeichnet von knappen Empfehlungen des grundsätzlichen Lehrwertes der Auseinandersetzung1026, wertenden Zusammenfassungen des Gesamtverlaufes, eingehenden bibliographischen Kompilationen und Einzel‑ sowie Sammeleditionen, die relevante Quellenbestände für die Spezialforschung oder Studierende aufzubereiten suchten. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist, daß die Kontroverse nicht nur 1906 von Kawerau und Müller eröffnet und 1907 in der redaktionellen Zusammenarbeit an der Monographie gegen Barge bestimmt worden war. Auch im erklärten Abschluß der Diskussion ist ein publizistisches Doppelspiel zwischen Müller und Kawerau zu beobachten.
1026 In diesen Zusammenhang ließe sich Lietzmanns Votum von 1911 einordnen, vgl. dazu unten Anm. 1160–1170, aber auch die kurze Einschätzung von Otto Baumgarten, auf die im weiteren nicht einzugehen ist. In zeitlicher Nähe zu Kaweraus Zusammenfassung, ohne erkennbare Bezüge auf diese, aber in umso deutlicherem Anschluß an Müllers letztes Wort zur Sache, empfahl er dessen Ausführungen im November 1910 in der „Evangelische[n] Freiheit“, Baumgarten, Rez. Müller, S. 413: „nicht bloß [dem …] exakten Lutherforscher und [dem …], der von dem Streit Müllers mit Barge über die Originalität Karlstadts gehört hat, sondern [die Angelegenheit] sollte jeden interessieren, der den Gegensatz von Drews und Hermelink in der Beurteilung der Gedanken Luthers über Staatskirchentum und Idealgemeinden als grundlegend für die richtige Auffassung des lutherischen Kirchentums erfaßt hat. Die [von Müller] hier gebotene, bis ins Detail scharfsinnige Analyse der Lutherschen Gedanken hat ihren Hauptwert in der energischen Ablehnung der an Luther herangebrachten modernen Problemstellungen“. Die relevante Literatur zu Baumgarten und dessen Bedeutung für die theologische Herder-Forschung nach der epochalen Arbeit von Rudolf Haym sind dargestellt in: Kessler, Herder-Rezeption.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
315
2.5.1. Gustav Kaweraus Zusammenfassung des „Streit[es]“ in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ und Barges „Entgegnung“ (1910) Abermals war es die „Deutsche Literaturzeitung“, in deren Heft vom 12. November 1910 Kawerau mit einem siebenspaltigen Titelbeitrag „Barges und Karl Müllers Streit um Luther und Karlstadt“ hervortrat.1027 Auffällig ist, daß das Periodikum seit Kaweraus einflußreichem Eröffnungsvotum im Januar 1906 keine Rezension zu einer Veröffentlichung der Kontroverse mehr geboten hatte. Denkbar ist, daß sich die Situation für Kawerau derjenigen von Köhler vergleichbar darstellte, der seit 1906 eine Anschlußrezension geplant hatte, von der Fülle an Literatur aber derart überrollt wurde, daß er erst Jahre später statt einer Rezension einen zusammenfassenden Forschungsbericht lieferte1028. Im Falle von Kawerau kam hinzu, daß er nach der breiten Aufnahme seiner Barge-Kritik um die Wirkungsmacht der eigenen Worte wissen mußte. Der mitterweile als Berliner Probst wirkende Kawerau1029 konstatierte einleitend, daß die Karlstadt-Biographie „eine ganze Literatur hervorgerufen“ habe, die auf zwei vollen Spalten informativ verzeichnet wird.1030 Barge sei „mit Schlagfertigkeit und siegesgewisser Gegenrede“ aufgetreten, weshalb auch auf Karl Müllers jüngsten Beitrag „eine neue Entgegnung von Barge zu erwarten“ stünde.1031 Ebenso klar wie Müller hatte Kawerau damit erkannt, daß sich eine direkte Auseinandersetzung mit Barge kontinuierlich fortsetzen würde, und so ist die Gesamtanlage des Artikels von dem Anliegen bestimmt, Barges ausführlich dargelegtes Selbstverständnis, als „wissenschaftlich unbefangene[r …] Profanhistoriker“1032„befangen[en]“ Theologen entgegenzustehen, mit dem Schlußsatz des Beitrags als „blinde Voreingenommenheit“1033 zu entlarven. Obgleich Kawerau dem Leipziger Historiker „Arbeitskraft“ und „Scharfsinn“ anzuerkennen bereit war, galten diese doch allenfalls Inhalten „nebensächlicher Art“, während die „Überhebung, mit der er K. Müller, Brieger, Holl usw. behandelt, […] nur peinlich“ berühre, wer „von den Arbeiten dieser Männer eine genauere Kenntnis“ besitze.1034 Soziale Wahrnehmungsmuster wissenschaftlichen Renommees bestimmten auch die Perspektive, aus der Kawerau den Beitrag der namentlich unerwähnt bleibenden Tiling und Barges Bezug auf diese beurteilte: „es wirkt nur komisch, wenn er [Barge] einem K. Müller jetzt den wohlgemein-
1027 Kawerau,
Streit. Vgl. dazu unten die Anm. 1223–1269. 1029 Der Titel wird in der Autorenzeile angezeigt, Kawerau, Streit, Sp. 2885 f.; zu den biographischen Zusammenhängen s. am detailliertesten Schian, wie oben in Anm. 572. 1030 Kawerau, Streit, Sp. 2885–2887. 1031 Ebd., Sp. 2885 f. 1032 Ebd., Sp. 2887. 1033 Vgl. hierfür den Schlußpassus, ebd., Sp. 2891. 1034 Ebd., Sp. 2887. 1028
316
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
ten Aufsatz einer Dame über die Wittenberger Meßreformen als beschämendes Muster wissenschaftlicher Methode vorhält!“1035 Ein vierfaches Bedauern strukturiert den Artikel. Zunächst bedauerte Kawerau, daß Nikolaus Müllers Quellenedition erst nach den Arbeiten von Karl Müller erschienen sei, durch die sich „K.[arl] Müller [… so] manche mühsame Arbeit“ hätte „sparen“ können.1036 Sodann bedauerte Kawerau, daß Nikolaus Müllers „Arbeit über das kirchliche Finanzwesen Wittenbergs noch nicht“ erschienen sei1037, womit er – für den Leser unkenntlich – eine Klage wiederholte, die zu diesem Zeitpunkt sonst nur Barge führte. Mit „Bedauern“ schilderte Kawerau, „wie verständnislos“ Barge sich „den Einwendungen der Kritik“ verschlösse1038, bevor er in seinem letzten Abschnitt die „bedauerliche Befangenheit Barges“1039 herausstellte. Für sein methodisches Vorgehen wählte Kawerau ein vergleichbares Vorgehen wie vor ihm Müller, indem er sich statt eines Gesamtzusammenhanges auf ausgewählte Einzelaspekte konzentrierte.1040 Tatsächlich beschränkte sich Kawerau nur auf ein Thema, das in ein frühes Stadium der Kontroverse gehörte und in Müllers Monographien nicht mehr eigens traktiert worden war: die Wittenberger Beutelordnung1041. Kawerau schloß sich den Erstvoten von Müller an, trat für eine Frühdatierung des Textes ein und reagierte auf jene redaktionskritischen Ausführungen zu Lutherschen Predigten, zu denen Müller jede Stellungnahme verweigert hatte. Kurz lehnte er die von Barge gebotene Chronologie ab und betonte Luthers Unabhängigkeit sowie zeitliche Priorisierung gegenüber der von Karlstadt erhobenen Heiligenkritik.1042 Inhaltlich blieb Kawerau damit der Anfangsphase von Barges Auseinandersetzung mit Müller verhaftet, ergänzte diese aber durchaus, indem er sich auf Bargesche Argumente bezog, die bislang unbeantwortet geblieben waren. Zumindest in thematischen Querschnitten hatte Kawerau die Kontroverse im ganzen gleichwohl verfolgt. Sodann zitierte er Müllers Absage von Barge, rückte den Passus aber nicht isoliert ein, sondern forderte den Leser zu einer gezielten Lektüre und persönlichen Entscheidung auf. Seine Empfehlung galt den Ausführungen zum Bauernkrieg in der Karlstadt-Biographie, der Müllerschen Monographie, der Bargeschen Erwiderung und dem abschließenden Votum von Müller: „Wer sich 1035 Ebd.
1036 Ebd., 1037 Ebd.
1038 Ebd.,
Sp. 2886.
Sp. 2887. Ebd., Sp. 2890. 1040 Vgl. dazu ausdrücklich Kawerau, ebd.: „Die Kontroverse über das Thema ‚Luther und Karlstadt‘ vollzieht sich als die Interpretation von zahllosen einzelnen Quellenstellen und als Deutung vieler einzelner Vorgänge und Maßnahmen; es ist daher unmöglich, wenn man nicht eine umfängliche Abhandlung schreiben will, hier einen Überblick zu geben und zum einzelnen Stellung zu nehmen.“ 1041 Einschlägig hierfür s. ebd., Sp. 2888–2891. 1042 Vgl. hier ebd., Sp. 2890. 1039
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
317
diese Mühe machen will, der wird verstehen, warum Müller letzteren Abschnitt mit den zornigen Worten schließt: ‚Ich denke, niemand wird es mir zumuten, mich mit einem solchen Gegner weiter herumzuschlagen.‘“1043 Kaweraus argumentative Strategie und situatives Anliegen, den Disput mit Barge im Einvernehmen mit jedem einzelnen Leser zu beenden, mußte sich freilich auf einen Protest1044 einstellen: denjenigen Barges. Er folgte, einen knappen Monat später, in der „Entgegnung“ vom 17. Dezember 19101045 und wurde zusammen mit einer „Antwort“ Kaweraus abgedruckt1046. Barge reagierte ausführlich und entrüstet, Kawerau knapp und mit der schlichten Wiederholung seiner vorherigen Aufforderung zur persönlichen Lektüre und eigenständigen Urteilsbildung: „Man rechnet doch auf Leser, die verstehen können und wollen. […] Betreffs der Behandlung Luthers im Bauernkriege kann ich nur noch einmal den Wunsch wiederholen, daß man sich die Mühe gäbe, die Darstellungen Barges und K. Müllers nebeneinander zu lesen und zu prüfen. Wer das tut, wird erkennen, daß die ‚abschätzigen Allgemeinurteile‘, über die Barge sich beschwert, nicht in der Luft schweben.“1047
Ungeachtet der Bargeschen „Entgegnung“ erneuerte Kawerau damit sein vorheriges Reaktionsschema, ein Ende der agressiven Debatte aus einer fachlichen Eindeutigkeit und allgemeinen Einsichtigkeit der Diskussionslage zu postulieren. Nicht ohne Berechtigung, aber auch nicht ohne Einseitigkeiten hatte Barge demgegenüber in der Semantik eines Verteidigungskrieges beschworen, daß er selbst Opfer und nicht Aggressor gewesen sei: „Die Schärfe der Abwehr ist mir aufgezwungen worden“1048, wofür er namentlich Müllers „in ihrer Schärfe oft bis an die äußerste Grenze gehende Polemik gegen mich“1049 und „Holls und Briegers ganz ungemein verletzende Angriffe gegen mich“1050 namhaft machte. Gegen den Vorwurf „einer angeblichen Verstocktheit“1051 verwahrte sich Barge ebenso wie gegen die Einschätzung, daß es „nur um Nebensächlichkeiten“ gegangen sei, in denen Müller selbst Fehler eingeräumt habe.1052 Hinsichtlich der Beutelordnung verwies Barge abermals auf die Offenheit der Situation, in der man bis zu der von Nikolaus Müller in Aussicht gestellten Veröffentlichung nur 1043 Ebd.,
Sp. 2890. dem Begriff vgl. ausdrücklich Barge, Entgegnung, Sp. 3212: „Es bleibt mir nichts andres übrig als […] zu protestieren. Desgleichen habe ich zu protestieren gegen den Vorwurf, dass ich mich ‚verständnislos den Einwendungen der Kritik verschlösse‘“. 1045 Barge, Entgegnung. 1046 Kawerau, Antwort. 1047 Ebd., Sp. 3213. 1048 Barge, Erwiderung, Sp. 3210. Vgl. ferner den Eröffnungssatz des Beitrages, ebd.: „Gustav Kaweraus Ausführungen […] zwingen mich zu einer Entgegnung, so sehr es mir an sich – wie man mir glauben wird – widerstrebt“. 1049 Ebd. 1050 Ebd. 1051 Ebd., Sp. 3212. 1052 Ebd. 1044 Zu
318
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
auf Grundlage der bekannten Materialien urteilen könne.1053 Wenig originell parierte er Kaweraus Lektüreaufforderung, indem er mögliche Leser auf die Sachlichkeit der eigenen Ausführungen vorbereitete.1054 Vor allem beendete Barge nun seinerseits die Auseinandersetzung mit Kawerau, indem er Formulierungen wählte, wie er sie zuvor gegenüber Brieger gebraucht hatte1055, um die Grenzen eines gemeinsamen Verständnishorizontes abzustecken. So erkennbar Barge auf den zunächst von Müller und dann von Kawerau vollzogenen Gesprächsabbruch nur noch reagieren konnte, so selbstbestimmt und selbstbewußt gab er sich in seinem Schlußsatz, der nochmals den von Keller vermittelten Sybelschen Topos „konfessioneller Leidenschaft“1056 unter Reformationshistorikern aktualisierte: „Freilich läßt die gegenwärtige Zuspitzung des Streites eine gegenseitige Verständigung für den Augenblick fast als undenkbar erscheinen. Dafür sehe ich mit voller Ruhe und Zuversicht einer kommenden Zeit entgegen, da die Karlstadtdebatte aus dem Stadium leidenschaftlicher persönlicher Polemik in das einer leidenschaftslosen, sachlichen Prüfung und Würdigung meiner Forschungsergebnisse wird hinübergeführt worden sein.“1057
2.5.2. Die Übertragung der Zusammenfassung in eine akademische Qualifikationsschrift – Volks Leipziger Dissertation (1910) Sehr gut beobachten läßt sich, wie schnell nicht nur Kaweraus Eröffnungsvotum, sondern auch sein letzter großer Beitrag zur Debatte rezipiert wurde. Die Mitte des Jahres 1910 in Leipzig angenommene allgemeinhistorische Dissertation zur „Kirchenpolitik des zweiten Nürnberger Reichsregiments […] 1521–1524“ des aus Coburg stammenden Julius Volk erschien noch im selben Jahr im Druck. Darin gelang es, einen Hinweis auf die von Kawerau im November gebotene
1053 Ebd., Sp. 3211, formulierte Barge provokativer als früher: „Was Nik. Müller in dieser Frage noch zu veröffentlichen gedenkt, muß ja wohl für die gegenwärtige Diskussion ausscheiden.“ 1054 Ebd., Sp. 3212: „Ohnedies würden wohl solche, die sich eine Vorstellung von meinem ‚Karlstadt‘ lediglich aus abfälligen Rezensionen und der darüber entstandenen Polemik gebildet haben, falls sie das Buch zur Hand nähmen, über den sachlichen Charakter seines Inhalts einigermaßen erstaunt sein.“ 1055 Vgl. dazu oben Anm. 958. 1056 Vgl. dazu oben Anm. 307. Daß eben diese Stelle auch im Umfeld von Barge bekannt war und rezipiert wurde, belegt die Barge überaus freundlich behandelnde Rezension von Löschhorn, Rez. Barge 1910, S. 160: „Denn wohl zu beherzigen bleibt dabei stets und auch heute noch in ganz besonderem Maße die briefliche Aueßerung Heinrich von Sybels an Ludwig Keller vom 21. Dezember 1878, erwähnt in Kellers ‚Grundfragen der Reformationsgeschichte‘, daß auf keinem anderen Gebiet der Geschichte den Autor eine so vielseitige und unbarmherzige Kritik erwarte, wie auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte, da hier nicht bloß die wissenschaftliche Kritik mitrede, sondern auch die konfessionelle, diejenige Kritik, die von konfessioneller Leidenschaft eingegeben ist. Letzteres ist nun bei Karl Müller gerade nicht der Fall; immerhin hat ihn sein theologischer, nicht historischer Standpunkt dazu veranlaßt, die […] Ereignisse […] mehr in der überlieferten Weise aufzufassen.“ 1057 Barge, Erwiderung, Sp. 3213.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
319
Zusammenfassung in einen abschließenden „Exkurs“1058 zu integrieren, wofür redaktionell weniger als sechs Wochen zur Verfügung standen. Dieser Referenz kam in der Qualifikationsschrift eine entlastende Funktion zu, da sie den Autor eigener Ausführungen und Literaturzusammenstellungen zur Karlstadt-Kontroverse entband.1059 Von diesen Interessen vielleicht nicht unberührt war Volks Einschätzung, „[d]ie Literatur über Barges Karlstadt-Biographie […] neuerdings von G. Kawerau […] vollständig zusammengestellt“1060 zu finden. Innerhalb des zeitgenössischen Kontextes bietet die Dissertation aber dennoch das einschlägige Beispiel für ein Wahrnehmungsmuster, nach dem Müller monographisch „nachgewiesen“ habe, „daß Barge“ mit seiner Schilderung der Wittenberger und reichspolitischen Vorgänge „irrt“, mit der Gegenschrift „seine früheren Aufstellungen betreffs des Zusammenhanges von Luthers Rückkehr mit dem Regiment im wesentlichen zurücknimmt oder abschwächt“ – und Kawerau „im großen und ganzen für Müller ein[trete].“1061 So ausdrücklich sich Volk auf die Quellenlage berief, um die Haltlosigkeit von Barges Rekonstruktion zu begründen, bot er selbst keine Quellenbelege und stützte sich ausschließlich auf die Arbeiten von Müller und deren Empfehlung durch Kawerau. Sehr deutlich markiert Volk die Wirkungsmacht der Kawerauschen Zusammenfassung und die Geschwindigkeit der Rezeptionsvorgänge. 2.5.3. Heinrich Boehmers „Luther im Lichte der neueren Forschung“ – Zusammenfassungen zu Barge zwischen 1910 und 1918 Für eine weitgehende Unabhängigkeit demgegenüber steht Heinrich Boehmer. Dieser legte 1906 erstmals seinen monographischen Forschungsbericht „Luther im Lichte der neueren Forschung. Ein kritischer Bericht“ vor, der bis 1918 fünf Auflagen in sehr unterschiedlichen Textgestalten erlebte. Tatsächlich unterzog der „Wahrheitsfanatiker“1062 Boehmer jede Neuauflage einer akribischen Überarbeitung, weshalb es auch möglich ist, die literarische Vorlage der 1916 erschienenen englischen Übersetzung eindeutig in der dritten Auflage von 1914 zu identifizieren1063. Der Einfluß von Boehmers forschungssynthetischen Einschätzungen ist im deutschen wie angloamerikanischen Sprachraum nicht zu überschätzen, doch bleibt zu beachten, daß unter dem gleichbleibenden Titel 1906, 1910, 1914 und 1917 sehr verschiedene Fassungen1064 veröffentlicht 1058 Volk,
Kirchenpolitik, S. 121 f. Dies betonte Volk selbst, ebd., indem er mehrfach auf den ohnehin nur eingeschränkten thematischen Bezug der betreffenden Ausführungen hinwies. 1060 Ebd., S. 122. 1061 Ebd. 1062 Zu dieser Leube zugeschriebenen Formulierung s. das instruktive und weiterführende Literaturhinweise bietende Portrait von Wolf, Boehmer, S. 161. 1063 Vgl. dazu nur exemplarisch Boehmer, Luther 1914, S. 92, mit Boehmer, Light, S. 175. 1064 Soweit ich sehe, ist der einzige Vorgänger eines detaillierten textkritischen Vergleichs 1059
320
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
wurden, bevor die Auflage von 1918 im wesentlichen den Text des Vorjahres wiederholte.1065 Mit Blick auf Karlstadt und dessen neuerlichen Biographen illustrieren Boehmers Einschätzungen instruktiv die sich verändernde Debattenlage. Die gravierendsten Umgestaltungen sind für die Jahre 1906 und 1910 zu benennen, die mit den beiden Voten von Kawerau übereinfallen. Die Literaturerfassung der Erstauflage wurde ausweislich des „Vorwort[es]“ Ende Januar 1906 beendet1066, wobei der Abschluß der Drucklegung zusammen mit der Vorrede auf den „10. Juni“1067 datieren dürfte. Kaweraus Eröffnungsvotum konnte Boehmer somit wahrgenommen haben. Dafür spricht die inhaltliche und stilistische Nähe zu Kawerau, die sich in Boehmers Urteil widerspiegelt, daß Karlstadt „das nicht ganz seltene Unglück widerfahren ist, lange arg unterschätzt und jetzt etwas überschätzt zu werden […]. Auch ihm wird neuerdings von Barge ein bedeutender Einfluß auf Luthers Entwicklung zugeschrieben.“1068 Wie Kawerau wies Boehmer dies grundsätzlich zurück, argumentierte aber bemerkenswerterweise mit „Luthers Vorlesung über den Römerbrief von 1515/16“1069, die bei Kawerau und der ihm folgenden Debatte keinerlei Rolle gespielt hatte. Von der inneren Entwicklung des Reformators löste Boehmer um so deutlicher die äußere Ereignisgeschichte, in der er Karlstadts „neuerdings wieder aufgefundenen 152 Thesen vom 26. April 1517“ gerne zugestand, „zum ersten Male die Grundgedanken der neuen Wittenberger Theologie präzis formuliert und öffentlich vertreten zu haben.“1070 Positionell habe sich Karlstadt von Luther aber dadurch unterschieden, daß jener – wie Staupitz – in das „Lager der Mystik“ gehörte, das auf „Luthers religiöse Entwicklung“ keinerlei „entscheidend[en]“ Einfluß besessen habe.1071 Mit dem Hinweis auf Staupitz distanzierte sich Boehmer indirekt von Ludwig Keller1072, während er mit der Einordnung Karlstadts in Kontinuitäten zur mittelalterlichen Mystik von Barges These eines eigenständigen evangelischen Typus mystischer Frömmigkeit Abstand nahm. Beide Aspekte waren jedoch auch für Boehmer nur Nebenkrater der eigentlichen Forschungskontroverse, deren eigentlicher Anstoß in der älteren Literatur in „Janssens Geschichte des deutschen Volkes“ und für die jüngeren Erscheinungen in „Heinrich Denifles Luther“ von Walter Sohm, der die dritte Auflage kurz mit der zweiten verglich: Sohm, Rez. Boehmer; in diesem Kap. s. dazu unten Anm. 1314. 1065 Eine eigene kleine Detailstudie zu Karlstadt legte Boehmer 1911/12 vor als Böhmer, Karlstadt. 1066 Vgl. dazu Boehmer, Luther 1906, S. IV: „Die Literatur, die nach Januar 1906 erschienen ist, konnte ich nicht mehr berücksichtigen“. 1067 S. dazu ebd. 1068 Ebd., S. 36. 1069 Ebd. 1070 Ebd. 1071 Ebd. 1072 Daß diese Einschätzung zutrifft, deutet sich in Boehmers Literaturreferenzen an; s. dazu ebd., S. 152, Anmerkungen zu S. 35 (Kap. „II. Luthers Entwicklung“).
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
321
1904 ausgemacht wurde.1073 Im Vordergrund von Boehmers Wahrnehmung stand somit die historiographische Verwahrung gegen die kontroverstheologische Publizistik der katholischen Luther-Forschung, deren apologetische Dringlichkeit weitaus höher zu veranschlagen war als die innerprotestantischen Relativierungen des Reformators. Als Tendenz nahm er gleichwohl wahr, daß „man“ damit begonnen habe, „die Sterne zweiter, dritter, vierter bis letzter Größe ins Auge zu fassen, die man bisher über Luther oft übersehen oder doch nicht genügend beachtet hatte: Melan[ch]thon, Karlstadt, Butzer, Brenz, Jonas, Agricola, Dölsch und wie sie sonst heißen mögen.“1074
Unter dem Eindruck der Debatte um Barge intensivierte Boehmer seine Ausführungen zu Karlstadt. Die mit „Juli 1909“ unterzeichnete, 1910 erschienene zweite Auflage präzisierte die forschungsgeschichtliche Zuschreibung der Erstauflage: „Das Lutherbild des revolutionären Radikalismus geht in seinen ersten Umrissen zurück auf Thomas Münzer“1075 zu „Das Lutherbild des revolutionären Radikalismus geht in seinen ersten Umrissen zurück auf Karlstadt und Thomas Münzer.“1076 Im Anschluß folgte eine kurze Zurückweisung von Barge, den Boehmer ganz aus den Traditionen einer sozialistischen Geschichtsschreibung zu interpretieren und darin als letztlich ahistorische Figurierung gesellschaftspolitischer Gegenwartsinteressen zu marginalisieren suchte: „etwas sanfter getönt und im national=sozialen Geschmack verbessert, fand es [das Lutherbild des ‚revolutionären Radikalismus‘] erst jüngst eine dickleibige Verkörperung in Barges ‚Karlstadt‘. Maßgebend für das historische Urteil ist hier ausschließlich die Abneigung des Reformators gegen die radikale Politik von Karlstadt, Münzer und Genossen und sein Verhalten während des Bauernkrieges. […] Aber der Radikalismus hat sich nie sehr viel um die Geschichte gekümmert. Um so eifriger war die katholische Partei von jeher bemüht, aus der Geschichte Waffen für den Kampf der Gegenwart zu gewinnen.“1077
Auch 1910 bestimmten die konfessionellen Frontstellungen Boehmers Priorisierungen, aber vor die Ausführungen zu Janssen und Denifle rückte nun ein vierzehnseitiger Abschnitt zu Barges Schilderung der Wittenberger Bewegung.1078 Kurz skizzierte Boehmer die veränderte Bewertung von Luthers Rückkehr nach Wittenberg als Ausdruck einer reichspolitischen Reaktion, die vom Reformator konsequent mitgetragen worden sei. Überraschend ist die zusammenfassende Qualifizierung, die Boehmer bei allen weiteren Umarbeitungen von der zweiten bis zur fünften Auflage beibehielt: „Diese Konstruktion ist absolut neu und 1073 S. dazu alleine die erste Auflage mit einem Satz, der in den späteren Überarbeitungen erhalten blieb, ebd., S. 61. 1074 Ebd., S. 17 f. 1075 Ebd., S. 11. 1076 Boehmer, Luther 1910, S. 15. 1077 Ebd. 1078 Ebd., S. 82–95.
322
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
hat schon darum vielen Beifall gefunden. Aber ist sie auch richtig?“1079 Die ablehnende Antwort ist in der Frage angelegt, doch fällt es schwer, selbst bei dem erfolgreichen Stapellauf des Bargeschen Eröffnungsbandes 1905 „vielen Beifall“ für die Rekonstruktion der Wittenberger Ereignisse des Frühjahres 1522 auszumachen. Allenfalls Clemen setzte sich 1906 für den Wert des betreffenden Kapitels ein1080, reagierte damit aber seinerseits auf massive Kritik. Am ehesten dürfte sich Boehmers Überbetonung einer frühen Zustimmung aus rhetorischen Motiven, pädagogischen Interessen oder textpragmatischen Strukturen erklären lassen, wobei auffällt, daß sein Schlußpunkt jene Formulierung des „Kalvinisten unter den Wittenbergern“ diskutiert1081, die Barge aus der Eröffnungsrezension von Naumann übernommen hatte1082. Nicht auszuschließen ist daher, daß Boehmer aufgrund von Barges Schlußabschnitt zum zweiten Band von einem anfänglichen Einvernehmen der Rezensenten ausgegangen war und in der thematischen Breite überschätzt hatte. Inhaltlich konzentrierte sich Boehmer auf einzelne Punkte, die auch Müller mit seiner Monographie in den Mittelpunkt gerückt hatte: Luthers reformationskonzeptionelle Prämissen in ihren Unterschieden zu denjenigen Karlstadts1083, Karlstadts faktischen Anteil an den praktischen Reformen1084, die Chronologie der Wittenberger Ereignisse zwischen Oktober 1521 und März 15221085 sowie die abschließende Frage nach einem angemessenen Karlstadt-Bild1086. Argumentativ rekurrierte Boehmer erkennbar auf Müller, doch fügte er Karlstadt in einen spezifisch anderen interpretativen Gesamtrahmen ein. Konsequent deutete er Karlstadt als pathologischen1087 Fanatiker1088, der auf „radikale […] Durchgänger […] und Draufgänger“1089 einen eigenen Reiz ausüben, gegenüber gemäßigten 1079
Ebd., S. 83. Für die Beibehaltung des Passus s. Boehmer, Luther 1914, S. 79. dazu oben Anm. 597. 1081 Boehmer, Luther 1910, S. 93 f. 1082 Vgl. dazu oben Anm. 411 und für Holls spielerische Variation auf das Diktum Anm. 827. 1083 Boehmer, Luther 1910, S. 83–85. 1084 Ebd., S. 85–88. 1085 Ebd., S. 88–92. 1086 Ebd., S. 92–95. 1087 S. dazu ebd., S. 94: „Allein der Psychologe wird in diesem absonderlichen Verhalten wieder nur einen Beweis für das absonderliche Wesen dieses Professors erblicken. Er konnte nicht anders.“ 1088 S. bes. ebd., S. 88: „Auch der fanatische Zug, der aller gesetzlichen Frömmigkeit anhaftet, fehlt nicht. […] Aber wenn Karlstadt zehnmal seiner ganzen geistigen Richtung nach zum Fanatismus neigte, so ist damit doch nicht bewiesen, daß er während der sogenannten Wittenberger Unruhen fanatischer Taten sich schuldig machte“. Aufgelöst wird diese Offenheit mit dem Schlußurteil, ebd., S. 93: „Das beweist zur Genüge, daß die ‚puritanischen‘ Bestrebungen Karlstadts und Zwillings gar nicht merklich ins Volk gedrungen waren. Die Studenten und kleinen Leute hatten sich zwar eine Zeitlang von den beiden Demagogen umgarnen und fanatisieren lassen, so daß sie die gemäßigten Lutheraner […] einige Wochen hindurch zurückdrängen und terrorisieren konnten. Aber der Rausch war von kurzer Dauer.“ 1089 Ebd., S. 85. 1080 Vgl.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
323
„Studenten und kleine[n] Leuten“ aber nur zeitweilig als „Demagoge“ „fanatisieren[d]“ wirken konnte1090. Psychologisierend modifizierte Boehmer somit das „Lutherbild des revolutionären Radikalismus“1091, indem er „Karlstadt und Genossen“1092 als Repräsentanten abnormer Maßlosigkeit schilderte, während Luther und die ihm folgenden Massen für eine innere Ausgeglichenheit und den gebotenen Realitätsbezug standen. Sozialpolitische Verdienste um die Wittenberger Beutelordnung schrieb Boehmer allein Luther zu, indem er aus Hermelinks Rezension oder Barges Replik jene Informationen unhinterfragt aufgriff, die zu diesem Zeitpunkt weder äußere Bestätigung noch mögliche Korrekturen erfahren hatten: „Das Exemplar der Ordnung, welches Barge wieder aufgefunden hat, ist von Luther mit Randbemerkungen versehen, ein anderes, das ihm entgangen ist, von Luther eigenhändig geschrieben“.1093 Im ganzen bot Boehmer 1910 eine stilistisch frische Zusammenfassung der Kontroverse, die in argumentativer Nähe zu Müllers Monographie um apologetische Akzente einer Auseinandersetzung mit sozialistischer Geschichtsschreibung angereichert wurde. Barges ausführliche Antwort auf Müller von 1909 nahm Boehmer nur bibliographisch zur Kenntnis, auf eine inhaltliche Einsichtnahme verzichtete er.1094 Unter den einschlägigen Literaturreferenzen führte er auch eine von ihm selbst herausgegebene Quellensammlung „Urkunden zur Geschichte der Wittenberger Reformation 1909“1095 auf, die sich als solche nicht nachweisen läßt und auf deren Titel auch in den späteren Überarbeitungen wieder verzichtet wurde. Möglicherweise plante Boehmer einen entsprechenden Beitrag für Lietzmanns „Kleine Texte für theologische und philosophische Vorlesungen und Übungen“, in die er im Folgejahr eine kleine Kompilation zur Geschichte des Bauernkrieges und der Wiedertäufer einrückte.1096 1909 jedenfalls stieg Boehmer forciert in die Debatte ein und distanzierte sich klar von Barge, den er als Vertreter einer von gesellschaftspolitisch radikalen Gegenwartsinteressen bestimmten Geschichtskonstruktion dezidiert ablehnte und apologetisch zu bekämpfen suchte.
1090 Ebd.,
S. 93. dazu oben Anm. 1075. 1092 Boehmer, Luther 1910, S. 85. 1093 Ebd., S. 86. 1094 Ebd., S. 174, versah er das 1909 erschienene Buch mit der Klammerbemerkung: „nicht mehr benützt“, was freilich nicht zwangsläufig aus inhaltlichem Desinteresse, sondern auch aus äußeren Termingründen zu erklären sein mag. Was Mitte des Jahres 1909 plausibel erscheinen könnte, läßt sich in der 1914 folgenden Überarbeitung nicht mehr entsprechend erklären. Mit der dritten Auflage verzichtete Boehmer selbst auf die bibliographische Aufnahme, die bereits 1909 titularisch nur unvollständig erfolgt war. Für Boehmer war die Kontroverse inhaltlich und argumentativ klar mit Müllers monographischem Votum von 1907 beendet. 1095 Boehmer, Luther 1910, S. 174. 1096 Für Barges Einschätzung des Beitrags s. Barge, Rez. Böhmer. 1091 S.
324
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Die 1914 folgende Überarbeitung, deren Text auch übersetzt im angloamerikanischen Raum wirksam wurde1097, straffte die vorangestellte Kurzcharakteristik Barges als Repräsentant eines „revolutionären Radikalismus“.1098 Beibehalten und leicht aktualisiert wurden die ausführlichen Passagen zu Karlstadt innerhalb der Ereignisse der Jahre 1521 und 1522.1099 Auf die Fragwürdigkeit der früheren Ausführungen zur Beutelordnung mußte Boehmer zwischenzeitlich aufmerksam geworden sein; er ersetzte sie durch die unverbindlichere Zuschreibung: „Sie [die Beutelordnung] ist aller Wahrscheinlichkeit nach von Luther selber verfaßt, sicher auf seinen Antrieb und mit seiner Hilfe zustande gekommen.“1100 An der Interpretation Karlstadts als eines Fanatikers hielt Boehmer fest, wobei er aber auf die pathologische Ausdeutung verzichtete und die Differenzen zu Barge geradezu moderierend integrierte: „Auch der fanatische Zug, der aller gesetzlichen Frömmigkeit anhaftet, fehlt nicht. Daß solche fanatische Gesetzlichkeit nicht evangelisch ist, darüber dürfte unter evangelischen Christen kein Streit sein, und ist auch kaum Barges Meinung. Er hat eben nur in der Hitze des Gefechtes das Arge, Enge, Bornierte bei seinem Helden übersehen.“1101
Insgesamt nahmen bei den Ausführungen der dritten Auflage die vermittelnden Tendenzen zu, die eine theologische Distanzierung von Karlstadt nach wie vor im Rekurs auf Müller mit ausgleichenden Bemühungen gegenüber Barge kombinierten, unter denen nicht zuletzt der Verzicht auf die pointiertesten Bemerkungen der Vorauflage zu Karlstadt und dessen Biographen herausragen. Auf dieser Linie liegt die nun erstmals gebotene Allusion auf „Karlstadt als ‚neuer Laie‘ im Tolstoistil“, dessen „affektierte Bauerntümelei“ Boehmer unmißverständlich ablehnte1102, aber in eine literarisch offenere und weniger konfrontative Assoziation zum sozialistisch grundierten „revolutionären Radikalismus“ einrückte, gegen den sich die beiden früheren Fassungen weitaus direkter gewandt hatten. Bemerkenswert ist zudem, daß Boehmer Barges 1912 erschienene „Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung“ bibliographisch erfaßte und damit ein neuerliches Interesse an dessen Folgebeiträgen verriet. Zumindest erwägenswert ist, ob persönliche Verbindungen zu Barge in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt haben mochten, nachdem Boehmer vor seinen von Albert Hauck betreuten kirchengeschichtlichen Qualifikationsarbeiten 1895 unter Lamprecht promoviert worden war1103, der die Dissertation von Barge drei Jahre zuvor und die von Otto Clemen ein Jahr später angenommen hatte. 1097
Zu den Karlstadt betreffenden Ausführungen s. Boehmer, Light, S. 21, 146–175. Vgl. dazu Boehmer, Luther 1914, S. 13. 1099 Ebd., S. 78–92. 1100 Ebd., S. 81. 1101 Ebd., S. 82. 1102 Ebd., S. 92. 1103 Zu diesem Datum s. knapp Wolf, Boehmer, S. 162, sowie archivalisch UA Leipzig, Phil. Fak.Prom. 01170. Hinweise auf eine Korrespondenz mit Barge gibt es im Nachlaß von Boehmer 1098
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
325
Boehmers abschließende Überarbeitung, die 1917 zur vierten und 1918 zur fünften Auflage führte, bietet unter den Literaturhinweisen zwei zentrale Zusätze. Aufmerksam geworden war Boehmer auf Pallas’ wichtige Edition der Beutelordnung aus dem Nachlaß von Nikolaus Müller; auch Köhlers zusammenfassenden Forschungsbericht zur Karlstadt-Kontroverse hatte er in den „Göttingische[n] gelehrte[n] Anzeigen“ bemerkt.1104 Der Beitrag von Pallas bestärkte Boehmer in seiner Frühdatierung und Zuschreibung der Beutelordnung an Luther: „Diese Grundsätze stammen nachweislich von Luther. Die Ordnung selbst aber ist nachweislich auf Veranlassung und mit Hilfe Luthers schon in der Zeit vom 25. Dezember 1520 bis 11. Januar 1521 oder kurz vorher eingeführt worden.“1105 Hatte die dritte Auflage in ihren Kürzungen und einigen knappen Zusätzen einen vermittelnden Charakter, so erhielt die letzte Überarbeitung einen neuen Schlußpassus, der den zeitlichen Rahmen über die Wittenberger Ereignisse der Jahre 1521 und 1522 hinaus für Karlstadt lebensgeschichtlich ausweitete.1106 Die weiteren Schicksale dienten für Boehmer zum Aufweis, daß Karlstadt ein unselbständiger, unausgeglichener und getriebener Mann gewesen war, der in seinem beruflichen wie privaten Leben mit allen ferner oder näher stehenden Personen „recht hart zusammengeraten und selbst mit seiner Frau schließlich auseinandergekommen“ sei.1107 Der Mangel an „selbständige[n] Gedanke[n]“1108 bestimme sein Werk wie auch seine völlige Wirkungslosigkeit. Inhaltlich steht dieses Urteil in einer gewissen Spannung zu dem weiteren Diktum, daß Karlstadt zu jenen tragischen Menschen gehört habe, die „der Sache, der sie zu dienen wünschen, immer mehr schaden als nützen.“1109 Boehmers letzte Bemerkung löste diese argumentative Asymmetrie auf, indem sie es zu einem „dankbar begrüßte[n …] Glücksfall“ erklärte, „daß Karlstadts Einfluß schon so bald wieder völlig ausgeschaltet wurde“.1110 Boehmers abschließende Aktualisierung mündete somit in ein vernichtendes, Barges Bewertung der Wittenberger Ereignisse von 1521 und 1522 vollständig invertierendes Gesamturteil, das in seiner kompromißlosen Ablehnung von Karlstadt bereits in der ersten Auflage zu greifen ist, in den apologetischen Argumentationsmustern und polemischen Pointierungen in der Folgezeit aber sehr unterschiedlich akzentuiert wurde. Charakteristisch dürfte sein, wie bemüht Boehmer um eine zusammenfassende Darstellung auf der Höhe der jeweiligen Debattenlage war. Bezeichnend ist zudem, daß Boehmer den zentralen Forschungsbeitrag in Müllers Monographie von 1907 sah, aus der nicht; vgl. dazu Hofmann, Nachlaß, S. 102: „Kapsel 29 a enthält Briefe und Karten an und von H. Boehmer. Es sind nur zehn Stücke, meist bedeutungslos.“ 1104 S. dazu Boehmer, Luther 1917, S. 310 f., bzw. Boehmer, Luther 1918, S. 296. 1105 Boehmer, Luther 1917, S. 116, bzw. Boehmer, Luther 1918, S. 116. 1106 Boehmer, Luther 1917, S. 132 f., bzw. Boehmer, Luther 1918, S. 132 f. 1107 Boehmer, Luther 1917, S. 132, bzw. Boehmer, Luther 1918, S. 132. 1108 Ebd. 1109 Boehmer, Luther 1917, S. 133, bzw. Boehmer, Luther 1918, S. 133. 1110 Ebd.
326
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
er zwischen 1910 und 1918 die wesentlichen Daten übernahm, während er die folgenden Reaktionen von Barge weder einsah noch bibliographisch korrekt verzeichnete. Im ganzen illustriert Boehmer, daß selbst für einen Mann mit der größten Eigenständigkeit im Urteil und dem stärksten Interesse an einschlägigen Neuerscheinungen die Kontroverse um Barges Karlstadt-Biographie bereits 1907 mit dem Beitrag von Müller beendet war. Redaktionell führte dies mit der Drucklegung der zweiten Auflage 1910 zu dem stärksten Einschnitt in der Textgestalt der Überarbeitungen, weshalb der angemessene Ort innerhalb der chronologischen Anordnung aufgrund des nicht exakter zu datierenden Erscheinungstermins Ende des Jahres 1910 ist. Werkgeschichtlich von Interesse mag sein, daß Boehmers Luther-Monographie überhaupt seinen ersten reformationsgeschichtlichen Forschungsbeitrag markiert.1111 Dies stellt eine Parallele zu Müllers kontroverstheologischer Publizistik gegen Barge dar, sieht man von dessen kirchengeschichtlicher Gesamtdarstellung der Reformationszeit ab, und findet auch im Veröffentlichungsprofil von Karl Holl eine gewisse Entsprechung.1112 2.5.4. „American Journal of Theology“ (April 1911) – Zustimmung zu Barge Eine der wenigen Rezensionen, die nicht nur ausdrücklich Barges Monographie gegen Müller galten, sondern diese auch noch zustimmend referierten, lieferte das „American Journal of Theology“ im April 1911. Der ohne Autorenzeichnung firmierende Artikel verrät keine Kenntnis der jüngsten, abschließenden Reaktionen Müllers und Kaweraus, was an die früheren Ausführungen von Horsch und Johnson erinnert1113, für die sich nicht nachweisen läßt, ob sie von einer Wahrnehmung der kontroversen Rezeptionsgeschichte berührt worden waren. Die Anzeige von Barges „Frühprotestantische[m …] Gemeindechristentum“ zählte zumindest die wissenschaftlichen Antipoden nominell auf: „Karl Müller, […] Kawerau, Scheel, Hermelink, Cohrs, Nikoläus [sic] Müller, Brieger und von Tiling.“1114 Die Einschätzung: „These will be recognized as among the foremost students of Reformation history“1115 erhob den Anspruch einer besonderen Vertrautheit mit der deutschsprachigen Forschungssituation, bewies aber das Gegenteil, indem selbst die literarisch völlig unbekannte Tiling von dem Gesamturteil berücksichtigt wurde. Der Rezensent nahm die Schärfe in der Polemik wahr1116, wies diese aber exklusiv den lutherischen Kritikern zu, worin 1111 Vgl. hierfür die chronologische Aufnahme von Hofmann/Wartenberg, Bibliographie, S. 103 f. Einzig mit Ignatius von Loyola, vgl. ebd., S. 104, Nr. 11, und den Jesuiten, ebd., Nr. 16, hatte Boehmer bis zu diesem Zeitpunkt thematisch zum 16. Jahrhundert veröffentlicht. 1112 Zu Müller s. oben knapp die Anm. 562–568, zu Holl die Anm. 796–807. 1113 Vgl. dazu oben die Anm. 638 und 642. 1114 Anon., Rez. Barge, S. 328. 1115 Ebd. 1116 Ebd.: „Barge’s two-volume work […] called forth a large number of sharp polemical writings“.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
327
sich ein inhaltlicher Anschluß an Barge erkennen läßt.1117 So unselbständig der Autor die Einschätzungen Barges wiederholte und so formal die Schilderung von dessen methodischem Vorgehen verblieb1118, so eindeutig war das Votum für den Karlstadt-Biographen: „Barge, while sometimes pretty sharp in his thrusts, seems on the whole more fairminded than most of his critics. His work on Karlstadt supplemented by the rejoinder and review before us may still be regarded as a very important contribution to early Reformation history.“1119
Aufgrund der Bemühungen, die neuerliche Stellungnahme zu Barge mit den früheren Äußerungen des „American Journal“ in Einklang zu bringen, mögen sich Horsch oder Johnson als mögliche Autoren nahelegen.1120 Ungeachtet der Verfasserfrage dokumentiert die Rezension auf der publizistischen Ebene des angloamerikanischen Sprachraums eine Positionierung zugunsten Barges nach dem sich seit Anfang 1906 ausbreitenden Flächenbrand der deutschsprachigen Kritik. 2.5.5. Troeltschs Votum für Barge in seinen „Soziallehren“ (1911/1912) Inhaltlich äußerst differenziert, formal aber nur in Anmerkungen äußerte sich Troeltsch zu Barge und der Karlstadt-Luther-Kontroverse in seinen „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“, deren Vorwort auf den 1. November 1911 datiert1121. Im Druck lag das Werk 1912 vor. 1117 Vgl. dazu ebd., S. 329: „It appears to the reviewer that Lutheran scholars are unduly sensitive about disparaging remarks concerning Luther and become unreasonably bitter in their polemics“, mit dem oben am Ende von Anm. 655 gebotenen Textauszug. Vgl. ferner als offensichtliche Vorlage des anonymen Rezensenten Barge, Gemeindechristentum, S. VII: „Ich habe mich oft bei seiner Lektüre gefragt, wie K. Müller so völlig den klaren Blick bei der Erläuterung der Quellenstellen verlieren konnte. Haben ihn einige – in ihrer Form als subjektiv ohne weites erkenntliche – persönliche Werturteile in meinem Buche so erbittert, daß er in blindem Zorn auf alle sachlichen Ergebnisse meiner Forschungen losschlug? Zu seinen Gunsten nehme ich an, daß die Erbitterung, in der er das Buch niederschrieb, seinen Blick getrübt hat.“ 1118 Anon, Rez. Barge, S. 328: „Barge’s review of his critics goes so much into details, pages being frequently devoted to the interpretation of a single sentence from the sources, that it would not be practical to summarize its contents in a brief notice.“ 1119 Ebd., S. 329. 1120 Die Deutlichkeit der Zustimmung bei Johnson war weitaus größer als bei Horsch, wobei Johnson – wie oben gezeigt, vgl. dazu Anm. 644 – zu Übertreibungen neigte, die mit einer sachlichen Vertrautheit mit der Materie schwer in Einklang zu bringen sind. Für Johnson als möglichen Autor könnte auch sprechen, daß der Schreib‑ oder Satzfehler „Nikoläus“ dem Muttersprachler Horsch in einem vorauszusetzenden Korrekturgang wohl aufgefallen wäre. Zugleich erinnert das moderate Gesamturteil von 1911, das auf die Bedeutung der Biographie für die Frühgeschichte der Reformation abhebt, mehr an die Formulierungen von Horsch, vgl. dazu bes. oben Anm. 639, als diejenigen Johnsons, was sich freilich auch aus einem literarischen Anschluß an Horsch erklären ließe, wie man ihn für Johnson aus einem Parallelvorgang für Barge, s. dazu oben Anm. 1117, annehmen könnte. 1121 Troeltsch, Soziallehren, S. IX.
328
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Auf Barge ging Troeltsch in drei sachlich naheliegenden Zusammenhängen ein: bei Karlstadt, Calvin und Luther1122. Karlstadt wurde über Barge hinaus häufiger erwähnt.1123 Er steht für eine letztlich „unklare […] Verbindung“1124 äußerlichkirchlicher1125, mystischer1126 und spiritualistischer1127 Elemente. Im ganzen dominiert die Einordnung in die Mystik und – trotz der laienchristlichen und ethischen Impulse1128 – eine kritische Distanzierung von Karlstadt1129. Aufgrund des Übermaßes einer mystischen Innerlichkeit vermißte Troeltsch an Karlstadt eine klare politische Sozialethik. „[D]emokratische […] Reformströmungen“ hatten sich demnach nur „zufällig“1130 mit ihm verbunden: „Die Karlstadtsche Mystik hätte sich in dieser Hinsicht nichts Dauerhaftes schaffen können und wollen.“1131 Diese Beurteilung Karlstadts richtete sich auch gegen Barge. Er habe „sehr einseitig für Karlstadt Partei [… genommen] um der doch auch für Karlstadt an der Peripherie liegenden politisch-sozialen Stellungnahmen willen.“1132 Daran machte sich das zweite Themenfeld, der Unterschied zwischen Karlstadt und Calvin sowie dem Calvinismus1133, fest. Diese Differenz wurde weniger intensiv ausgearbeitet, deutet sich aber in Karlstadts Nähe zum Täufertum an, über das es heißt: „Auch fehlt hier jeder klare Gedanke über eine umfassende und einheitliche Neugestaltung der Kirche, wie sie später der Calvinismus aus ähnlichen Ideen heraus entwickelte.“1134 Der von Barge postulierten praktischen Realisierung eines frühreformatorischen „Puritanismus“ mußte Troeltsch vor diesem Hintergrund skeptisch gegenüberstehen. Troeltsch behalf sich mit einer Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis: Vergleichbare Gedanken seien zwar vorhanden und in der „deutschen Reformationsbewegung“ breit repräsentiert gewesen. Doch einen Praxisbezug erwähnte Troeltsch für Deutschland nicht – er bezweifelte ihn. Aufschlußreich ist die Aussage: „Das Calvin vorschwebende Ideal [der Gemeinde] erfüllte auch weite Kreise der deutschen Reformationsbewegung.“1135 Als Beleg dient: „Hierüber s.[iehe] Barges Karl1122 In der benannten Reihenfolge betrifft dies ebd., S. 880 f., Anm. 482; S. 681, Anm. 365; S. 434–436, Anm. 198 cont. 1123 S. hierzu ebd., S. 858, 862, 879 f., 896. 1124 Ebd., S. 862. S. auch ebd., S. 880: „Daher ist es zu einer klaren Auseinandersetzung hier nicht gekommen.“ 1125 Ebd., S. 880: „Im übrigen aber hat dann doch wieder Karlstadt ‚Wort‘ und ‚Geist‘ ähnlich wie Luther in seinen Anfängen und wie Zwingli zu verbinden gesucht.“ 1126 Ebd., S. 879 f. Auch die ebd., S. 858, vorgetragene Rechtfertigungslehre entspricht letztlich der des mystischen Spiritualismus. 1127 Ebd., S. 862, 896. 1128 Ebd., S. 896. 1129 Vgl. im ganzen ebd., S. 879 f., mit ebd., S. 880 f., Anm. 482 f. 1130 Ebd., S. 880. 1131 Ebd., S. 880 f., Anm. 482. 1132 Ebd., S. 880, Anm. 482. 1133 Ebd., S. 681. 1134 Ebd., S. 435, Anm. 198 cont. 1135 Ebd., S. 681.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
329
stadt.“1136 Auf nichts anderes als den ideellen Gehalt von Barges Rekonstruktion eines frühreformatorischen Puritanismus konnte sich Troeltsch damit beziehen, nachdem er die Orlamünder Reformansätze von Karlstadt nur als Ausdruck einer unspezifischen und in ihrer letzten Konsequenz unbestimmten Mystik verstand. In Karlstadt sah Troeltsch damit Elemente des späteren Calvinismus in der Frühphase der deutschen Reformation, wenn nicht praktisch, so doch intellektuell vorbereitet.1137 Stand der erste Themenkomplex unter dem Vorzeichen einer ausdrücklichen Kritik und der zweite unter dem eines subtilen Anschlusses, referierte Troeltsch vor allem das „wichtige […] Werk […] von Barge“1138 ausführlich und zustimmend in seiner Eröffnungsreferenz.1139 Als die erste Hauptthese benannte er, daß Luther in den politischen Entwicklungen die „Seite der Regierungen und ihrer Ordnungsinteressen, die eine kirchliche Reform, die Brechung der Hierarchie, die Säkularisation und eine moralisch-autoritative Bemeisterung der aufgeregten Bevölkerungen verlangen“1140, vertreten habe. Davon schieden sich zum einen „die sozialrevolutionären Bestrebungen der Bauern und des Proletariats der großen Städte“, zum anderen die „kleinhandwerkerliche[n …] Reformbewegungen“1141. Für das religiöse Laienwesen seien spätmittelalterliche Kontinuitäten bestimmend gewesen.1142 So sehr diese Thesen in Barges zweitem Band angelegt sind, finden sie sich in vergleichbarer Intensität in dem Aufsatz „Sozial= christliche Strömungen des ausgehenden Mittelalters“, mit dem Barge 1900 in der Münchner „Allgemeine[n] Zeitung“ für Ludwig Keller eingetreten war. Daß Troeltsch diesen Text kannte, kann nicht ausgeschlossen werden. Eindeutig aus der Karlstadt-Biographie übernahm er jedoch Elemente seiner eigenen LutherKritik. Luthers reaktionäres Profil konnte Troeltsch, obschon unter Rekurs auf Barge, vergleichsweise allgemein erklären aus einer politischen Indifferenz und religiösen sowie persönlichen Prägungen: „Er [Luther] ist eben rein religiös interessiert und im übrigen eine durchaus konservative Natur.“1143 Den Vorwurf der religiösen Intoleranz erhob Troeltsch indes im klaren Anschluß an Barge: „Aber Luthers rücksichtsloses Verhalten gegen die Gegner seiner kirchlichen Idee ist hier [bei Barge] doch richtig und lehrreich beleuchtet. Im offiziellen Lutherbild pflegen diese Züge sehr vertuscht zu werden.“1144 Im Haupttext führte Troeltsch diesen Zusammenhang an Luthers Verhalten gegen Karlstadt aus: 1136 Ebd.,
Anm. 365. dazu ebd.: „Das muß vorsichtig machen gegen die Meinung, der Calvinismus sei die spezifisch französische oder romanische Gestalt der Reformation“. 1138 Ebd., S. 434, Anm. 198. 1139 Ebd., S. 434–436, Anm. 198 cont. 1140 Ebd., S. 434, Anm. 198 cont. 1141 Ebd., S. 435, Anm. 198 cont. 1142 Ebd. 1143 Ebd. 1144 Ebd., S. 811, Anm. 482 cont. 1137 Vgl.
330
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
„Sein [Luthers] leidenschaftlicher Haß sah in ihm [Karlstadt] nur mehr einen Genossen Münzers und unklaren Wirrkopf. So trieb er ihn ins Elend, aus dem ihn dann die über die Mystik milder denkenden Schweizer Kirchen erretteten.“1145
Äußerst exakt hatte Troeltsch mit dem Thema der religiösen Toleranz einen zentralen Aspekt von Barges Darstellung berührt, dessen Bedeutung auch für Barges Gesamtwerk oben herausgearbeitet wurde1146. Zugleich hatte er ein wesentliches Element von Barges Verhältnisbestimmung zwischen Luther und Karlstadt integriert: persönliche Differenzen. Die Konsequenz, den Konflikt aus einer Synthese von individuellen und theologischen Motiven zu erkären, zog Troeltsch indes nicht: „Der Gegensatz selbst aber war nicht ein persönlicher, sondern ein sachlicher: es stand gegen den alles Heil vermittelnden und an objektive Autorität bindenden, dadurch zur Kirchenbildung fähigen Gedanken Luthers die im Grunde vermittlungslose und individualistische Mystik“.1147
Troeltschs soziologische Typisierung zwischen Kirche und Mystik unterschied sich darin von der Methodik des Lamprecht-Schülers Barge, der psychologische Deutungen konstitutiv zu integrieren und „sachliche“ Fragen nie von deren „persönlicher“ Bedeutung zu isolierten suchte. Ungeachtet dieser Einschränkung votierte Troeltsch in genau jenen beiden Punkt für Barge, die den stärksten Widerspruch hervorgerufen hatten: die Rekonstruktion calvinistischer Elemente im frühen Luthertum und die Kritik an Luther. 2.5.6. Gess’ Doppelrezension zu Barge und Nikolaus Müller (1911) Eine literarisch unkonventionelle Zusammenfassung steuerte Felician Gess bei, der bereits 1905 die erste streng quellenorientierte Kritik an Barge geübt hatte.1148 Für das „Neue […] Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde“ wählte der Dresdner Historiker das Format einer Doppelrezension, die Barges „Frühprotestantisches Gemeindechristentum“ und Nikolaus Müllers Quellenedition zur „Wittenberger Bewegung“ anzeigte.1149 Gess war über die Forschungskontroverse vorzüglich informiert und schätzte die Sachlage nüchtern ein: „wer zu voller Klarheit über die vielen umstrittenen Punkte und zu gerechter Beurteilung der beiden Kämpfer in jedem einzelnen Falle gelangen will, für den ist eine selbständige ruhige, von der Polemik unbeeinflußte Einsicht in das Quellenmaterial zur Geschichte der 1145
Ebd., S. 880.
1146 S. dazu oben das Unterkap. 1.2.3. Toleranz und soziale Reform als ein inhaltliches Proprium
des literarischen Gesamtwerkes. 1147 Troeltsch, Soziallehren, S. 880. 1148 S. oben Anm. 487. 1149 Gess, Rez. Barge / Müller 1911.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
331
Vorgänge im evangelischen Lager zumal im Winterhalbjahr 1521/22 durchaus notwendig. Bei solcher Einsicht ergibt sich, daß wir zwar ein reiches, keineswegs aber ein lückenloses, nicht einmal ein in einwandfreier Form gedrucktes Quellenmaterial besitzen. Und hätte jener literarische Kampf kein anderes, so hätte er doch das eine Verdienst, wieder einmal zur Nachprüfung der vorhandenen, zum Aufspüren neuer Quellen angeregt zu haben. Dieser Anregung verdankt man bereits das oben genannte Buch des Berliner Theologen Nikolaus Müller.“1150
Gess war vollauf klar, daß die Quellenlage noch nicht abschließend geklärt war. Sein Hinweis: „Weitere für die Geschichte Karlstadts wichtige Aufklärungen stellt er [Müller] uns in Aussicht“1151, mußte sich auf die Wittenberger Beutelordnung beziehen. Aufgrund dieser heuristisch offenen Situation und formaler Einschränkungen1152 enthielt sich der Dresdner Historiker jedes eigenen Urteils. 2.5.7. Der Anschluß an Müller (1911) und Barge (1912) in der „Historische[n] Zeitschrift“ Zumindest knapp sind in diese Chronologie zwei Kurzanzeigen einzuordnen, die ein Rezensent 1911 und 1912 in der „Historische[n] Zeitschrift“ veröffentlichte. Die erste Anzeige konstatierte über Müllers letzte Monographie, daß „die Angriffe, welche Barge neuerdings wieder in seinem Frühprotestantischen Gemeindechristentum (1909) gegen Müller erhoben hat, beleuchtet und in allen Hauptpunkten widerlegt werden.“1153 Bezeichnend ist, daß die Folgeentwicklungen der Diskussion nicht mehr registriert wurden und die Rezension den Anschein erweckt, mit einer gewissen Zeitverzögerung einen Müller vergleichbaren Schlußpunkt setzen zu wollen. Bereits im Folgejahr empfahl jedoch derselbe, mit den Initialen „R. H.“ ausgewiesene Referent Barges Edition der „Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522“ als „zur seminaristischen Behandlung […] sehr geeignetes Heft“ und würdigte den „sorgfältigen, die Polemik im allgemeinen vermeidenden Kommentar“.1154 Die Quellenauswahl sei gelungen und eröffne „eine gute Einführung in diese bewegten, teilweise schwierig aufzuklärenden Wochen“.1155 Beide Kurzanzeigen bewegen sich in großer Nähe zu den Selbstverständnissen der besprochenen Werke. In der Wahrnehmung einer überwiegend unpolemischen Gesamttendenz der Quellenedition deutet sich ein abwägendes Urteil über die Kontroverse an, wobei nichts dafür spricht, daß der Rezensent diese besonders intensiv verfolgt hatte. 1150
Ebd., S. 371 f. Ebd., S. 372. 1152 Ebd.: „Für einen Nachweis, inwieweit Barge und sein Gegner angesichts der neuen Publikation einige ihrer Aufstellungen zu berichtigen oder einzuschränken haben, ist hier nicht der geeignete Ort und nicht der genügende Raum.“ 1153 R. H., Rez. Müller, S. 437. 1154 R. H., Rez. Barge, S. 232. 1155 Ebd. 1151
332
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Mit einem erheblichen zeitlichen Abstand rückte der Berliner Privatdozent und spätere Kieler Geschichtsprofessor Fritz Hartung1156 ebenfalls in die „Historische Zeitschrift“ eine Anzeige von Müllers Buch ein, die überwiegend den gewählten Aufbau und die gebotenen Themen referierte.1157 In einem nicht unwesentlichen Punkt übte er indes Widerspruch an Müllers These einer Kontinuität in Luthers Verhältnisbestimmung zwischen geistlicher und weltlicher Obrigkeit. Der mediävistisch ausgewiesene Hartung hob die spätmittelalterlichen Tendenzen eines weltlich bestimmten Kirchenregiments hervor, gegen das sich Luther in – von Müller ignorierten – Ansätzen zu verwahren gesucht habe.1158 Dieser Mangel an Tiefenschärfe im Detail „hängt wohl mit einer gewissen Einseitigkeit der ganzen Schrift M.[üller]s zusammen“1159. Hartung betrachtete die Monographie damit völlig abgelöst von der Kontroverse um Barge. Als Historiker konnte er sich einer der Grundthesen von Müller nicht anschließen. 2.5.8. Lietzmanns Edition einer Karlstadtschrift für die akademische Lehre (1911) Eine Zusammenfassung ganz anderer literarischer Natur, die aus einem grundsätzlichen Anschluß an Barge erwachsen war, bot 1911 der zu diesem Zeitpunkt in seinem siebten Jenaer Jahr wirkende Hans Lietzmann. Zwei Jahre nach seiner Habilitation in Bonn hatte er sich bereits 1902 um die akademische Lehre verdient gemacht, indem er die Quellenreihe der „Kleine[n] Texte für theologische und philologische Vorlesungen und Übungen“ herauszugeben begann. 1907 veröffentlichte er als 21. Band „Die Wittenberger und Leisniger Kastenordnung“ und erklärte unter den knappen historischen Einleitungsfragen: „Die Wittenberger ordnung ist am 24 Jan. 1522 auf betreiben ihres verfassers Karlstadt erlassen worden. Ueber die näheren umstände vgl. H. Barge Andreas Bodenstein von Karlstadt 1905 […]. Eine art ausführungsbestimmung liefert die wohl wenig nachher verfaßte, von Barge entdeckte […] ‚Ordnung des gemeinen Beutels zu Wittenberg‘.“1160
Lietzmanns Darlegungen stellen keine unkritische Wiedergabe Barges dar, sondern spiegeln den Forschungsstand bis in die zweite Jahreshälfte 1907 akurat wider. Zwar hatte Clemen bereits 1905 Bedenken gegenüber Barges Interpretation der Beutelordnung angemeldet1161, doch war es erst Hermelink im September 1907, der die Frage nach einer Autorschaft Luthers massiv in den Vordergrund rückte1162. Für Lietzmann ist eine Veranlassung zur Herausgabe des Bändchens
1156
Zu diesem vgl. Kraus, Hartung. Rez. Barge. 1158 Ebd., S. 364. 1159 Ebd. 1160 Lietzmann, Kastenordnung, S. [3]. 1161 S. dazu oben Anm. 436. 1162 Vgl. oben Anm. 708. 1157 Hartung,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
333
aus dezidierten inhaltlichen Interessen an der Karlstadt-Biographie und einzelnen Studien von Clemen deutlich zu erkennen.1163 1911 bot Lietzmann mit dem 74. Band eine Edition der Karlstadtschen Flugschrift „Von Abtuhung der Bilder und das keyn Bedtler vnther den Christen seyn sollen“ von 1522.1164 Forschungsgeschichtlich markiert das Studienheft die erste Edition einer Karlstadtschen Flugschrift seit den Materialkompilationen in der Walchschen Luther-Ausgabe und Credners detaillierter Aufnahme von „De canonicis scripturis libellus“ in seine „Geschichte des Kanons“1165 von 1847. Lietzmann dürfte diese editionsgeschichtliche Bedeutung verborgen geblieben sein. Sein Einführungstext verbindet vielmehr ein vergleichsweise klassisches Karlstadt-Bild mit einer Wahrnehmung der jüngeren Forschungskontroverse: „Karlstadts schrift […] ist die litterarische einleitung zum Wittenberger bildersturm, dieser explosion eines vornehmlich durch des verfassers tätigkeit in der gemeinde aufgehäuften zündstoffes. Die Wittenberger ereignisse von 1521/22 sind vorzüglich geeignet zur behandlung in kirchenhistorischen seminarien, insbesondere seit die kontroverse zwischen Barge und Karl Müller nicht nur vom methodischen gesichtspunkt aus viel lehrreiches zu tage gefördert, sondern auch die bedeutung dieser zeit für die principienfragen der reformation in neues licht gestellt hat. Aus diesem grunde halte ich es für nützlich, den studenten mit Karlstadts redeweise und gedankengängen unmittelbar bekannt zu machen: der vergleich mit Luther wird lehrreich sein.“1166
Lietzmann nahm eine grundsätzliche Aufwertung der Kontroverse vor, indem er ihr eine paradigmatische Bedeutung für die reformationsgeschichtliche Forschung und das theologische Studium zubilligte. Zugleich überließ er die zentrale Streitfrage, die Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther, der analytischen Arbeit und dem persönlichen Ermessen der einzelnen Studierenden. Schließlich entschied er sich für eine materiale Zugabe, die er zunächst aus drucktechnischen, dann aber auch aus inhaltlichen Gründen erläuterte: „Die leer gebliebenen seiten 31 f. habe ich geglaubt zweckmässig mit der von Barge […] herausgegebenen ‚Wittenberger beutelordnung‘ […] füllen zu dürfen.“1167 Der gebotene Abdruck zeichnet sich durch zwei Auffälligkeiten aus. Zum einen folgte er der Bargeschen Textgestalt, was unter Kenntnis des Hermelinkschen Hinweises auf ein von Barge unberücksichtigtes Lutherautograph1168 als grob fahrlässig gewertet werden müßte. Zum anderen ergänzte Lietzmann den Rekurs auf Barge um eine einzige Literaturreferenz1169: Müllers betreffende Ausführungen in seiner Monographie gegen Barge. Auch darin 1163
S. dazu insgesamt Lietzmann, Kastenordnung, S. 3. Die Schreibweise der Überschrift folgt derjenigen von Lietzmann, Karlstadt. Für Beschreibungen der historischen Drucke s. Freys/ Barge, Verzeichnis, S. 226–228, Nr. 87–89. 1165 Credner, Geschichte, S. 291–412. 1166 Lietzmann, Karlstadt, S. 2. 1167 Ebd. 1168 Vgl. dazu oben Anm. 719. 1169 Lietzmann, Karlstadt, S. 2: „Dazu vgl. K. Müller Luther u. Karlstadt s. 31 ff.“ 1164
334
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
deutet sich an, daß Lietzmann nur ein Segment der Debatte wahrgenommen hatte und sich hinsichtlich der Beutelordnung nicht der seit 1907 bestehenden Brisanz der Quellenlage bewußt war. Seine Leistung war deshalb nicht geringer: Der Debatte zwischen Barge und Müller hatte er eine doppelte Erdung verschafft. Zunächst hatte er sie von einer spezialisierten Forschungskontroverse in eine exemplarische Themenstellung für das theologische Studium überführt. Und sodann hatte er den Weg von den Forschern und der ausufernden Literatur zu den Quellen selbst gewiesen. Barge konnte sich über diese Initiative nur freuen. Noch im selben Jahr zeigte er die Lietzmannschen Ausgabe mit einer Rezension in den „Mitteilungen aus der historischen Literatur“ an und erinnerte abermals an die noch immer ungeklärte Quellensituation: „Der Abdruck der […] Wittenberger Beutelordnung macht erneut den Wunsch rege, daß Nik. Müllers schon längst über diese Materie angekündigte Publikation endlich erscheine, da vorher das Schlußwort in der schwierigen Kontroverse kaum gesprochen werden kann.“1170
2.5.9. Pallas’ „Literaturübersicht“ zur „Wittenberger Bewegung“ (1912) Auf den Mann, der gerade in dieser Angelegenheit einige Jahre später eine bedeutende Rolle spielen sollte, ging eine mit viereinhalb Druckseiten nicht lange, in den thetischen Zusammenfassungen aber ungemein starke Darstellung der bisherigen Debatte zurück. Am 15. April 1912 bot sie Karl Pallas, der zu diesem Zeitpunkt als Archidiakonus im brandenburgischen Herzberg an der Elster1171 wirkte und sich für eine lokal‑ sowie regionalgeschichtliche Erschließung der einschlägigen kirchlichen Quellenbestände engagierte.1172 In seiner systematischen Materialsammlung zu den sächsischen Ephorien hatte er sich auch intensiv mit den Wittenberger Archivalien beschäftigt, was ihn mit Nikolaus Müller verband. Nach dessen Tod im September 1912 war es Pallas, dem die Herausgabe der unveröffentlichten Studien aus dem Nachlaß anvertraut wurde. In das zeitliche Vorfeld eben dieser Arbeiten fällt der kurze Beitrag in der „ThüringischSächsische[n] Zeitschrift für Geschichte und Kunst“, der unter der Überschrift „Die Wittenberger Bewegung 1521/22“ die titelgebende Formulierung aus Müllers Quellensammlung erkennbar aufnahm und den eigenen Beitrag bescheiden als „(Eine Literaturübersicht.)“1173 auswies. Die thematische Zuspitzung auf 1170
Barge, Rez. Lietzmann 1911, Sp. 827. hierfür das Verzeichnis der „Mitarbeiter“ im vollständigen Jahrgangsband, der auf S. VI auch Pallas, Bewegung, bietet. 1172 Ausdruck dessen sind besonders seine zwischen 1906 und 1918 erschienenen Materialarbeiten, die er für die „Historische Commission der Provinz Sachsen“ vorlegte: Pallas, Geschichtsquellen. 1173 Pallas, Bewegung, S. 108. 1171 Vgl.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
335
die Wittenberger Reformen während Luthers Wartburgaufenthalt bedeutete eine eingeschränkte Perspektive auf die Forschungskontroverse, deren Gesamtzusammenhang Pallas deshalb nicht weniger klar umriß. Zeitdiagnostisch sensibel leitete Pallas das aufkeimende Interesse an Vertretern reformatorischer Devianz aus Gegenwartsinteressen „einer Zeit [ab], wo die festen äußeren Formen, die einst die Lutherische Reformation unter Zurückdrängung aller Schwarmgeisterei im Bunde mit der staatlichen Gewalt der evangelischen Kirche gegeben hat, sich zu lösen beginnen“1174. Außer Frage stand für ihn als Inhaber eines lutherischen Kirchenamtes, daß die „Auffassungen, die damals beiseite geschoben wurden [… ,] um des Bestandes der Kirche willen beiseite geschoben werden mußten“1175 und der Weg in die freikirchliche Organisationskultur oder privatreligiöse Individualität mithin ein Irrweg war. Ungeachtet dessen konnte Pallas das Anliegen Barges, Karlstadt „eine gerechte Würdigung“ zu verschaffen, goutieren und selbst auf den seit Kaweraus Rezension geradezu topischen Hinweis verzichten, daß diese nicht auf Kosten einer Ungerechtigkeit gegenüber Luther erreicht werden dürfte. Aufmerksam und ausgesprochen aktuell registrierte Pallas auch, daß Barge lexikalisch auf dem Vormarsch war, indem er nach dem Beitrag zur „Realencyklopädie für protestantische Theologie“ in die Erstauflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ 1912 einen weiteren Karlstadt-Artikel hatte einrücken können1176. Mustergültig faßte Pallas die Hauptargumentation von Barges Schilderung der Wittenberger Ereignisse zusammen.1177 Als „begreiflich“ würdigte er den erfolgten „Widerspruch“, den er bibliographisch knapp referierte.1178 Sowohl seine Einschätzung der Kontrahenten1179 wie auch sein Umgang mit der polarisierten Diskussion sind von bemerkenswerter Eigenständigkeit. Als den eigentlichen Ertrag der Debatte bewertete er die neuerliche Konzentration auf die grundlegenden Quellen1180, wobei er – ganz wie Nikolaus Müller1181 – konstatierte, daß nicht sämtliche verfügbaren Dokumente berücksichtigt wurden und somit „zur Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.“1182 In welche Richtung dieses gehen könnte, deutete Pallas abschließend an. Bündig führte er Differenzen zu Barge, Nikolaus Müller und Karl Müller an, indem er für eine Spätdatierung der 1174 Ebd. 1175 Ebd.
1176 Ebd.,
S. 108 f. Zum Text s. Barge, Art. Karlstadt 1912, sowie oben Anm. 331. Bewegung, S. 109. 1178 Ebd., S. 109 f. 1179 Ebd., S. 110, urteilte Pallas über Barge und Müller: „Daß dabei zwei an Scharfsinn sich ebenbürtige Gegner, von verschiedenen Voraussetzungen ausgehend, zu verschiedenen Resultaten kommen, ist nicht verwunderlich.“ 1180 Ebd.: „so hat der Streit doch das unzweifelhaft Gute gehabt, daß die Quellen zur Geschichte der Wittenberger Bewegung von neuem mit großem Eifer durchforscht und vieles bisher Unbekannte oder nicht genügend Beachtete ans Licht gezogen ist.“ 1181 Vgl. dazu oben Anm. 926. 1182 Pallas, Bewegung, S. 110. 1177 Pallas,
336
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
„sechs Artikel der Bürgerschaft“ eintrat, die er als „Wirkung der Karlstadtschen Meßerneuerung“ sehen wollte.1183 In der Frühdatierung der Beutelordnung blieb Pallas bei Nikolaus Müller.1184 Von der zwischen Barge und Karl Müller umstrittenen Alternative, die Reichspolitik des Frühjahrs 1522 als Referenzrahmen für die Wittenberger Reaktionen anzusehen, löste sich Pallas, indem er auf die Unabhängigkeit im Handeln des kurfürstlichen Rates Haugold von Einsiedeln abhob.1185 Die „Meßordnung vom 13. Februar“ deutete Pallas nicht als den Sieg einer Partei über eine andere, sondern als fein austarierten „Kompromiß“ der kirchlichen Amtsträger.1186 In der Verabschiedung der Meßordnung verwies er allerdings auf das Versäumnis, die Bürgerschaft und den Rat einzubeziehen, weshalb ein „Sturm des Unwillens in Wittenberg“ zwangsläufig gewesen sei.1187 So kurz sich Pallas damit zu Wort meldete, stellte sein Votum doch in dem Gesamtrahmen der Debatte insofern eine Ausnahmeerscheinung dar, als es – wie sonst nur Tilings Ausgleichsversuch – eine einseitige Positionierung vermied, darin aber nicht eine retrospektive Sichtung der bisherigen Diskussion unternahm, sondern in thetischer Verkürzung eigene Archivstudien zusammenfaßte und prospektiv ankündigte: „Ich hoffe, in nächster Zeit an anderem Orte näher auf diese Punkte eingehen zu können.“1188 Wie sonst nur Barge forderte Pallas zudem Nikolaus Müllers „noch immer nicht erschienen[e]“, schon lange „in Aussicht gestellte Arbeit über die Beutelordnung und die Anfänge des Wittenberger Armenwesens“ ein, „von der wichtige Aufklärungen zu erwarten sind“.1189 2.5.10. Richard Wolffs Zusammenfassung für die „Jahresberichte der Geschichtswissenschaft“ (1912) Eine bibliographisch vorzügliche Zusammenfassung der Kontroverse rückte der junge Archivar Richard Wolff 1190 1912 in die „Jahresberichte der Geschichtswissenschaften“1191 ein. Überaus aufmerksam verzeichnete er nicht nur die wesentlichen Monographien, sondern zeigte auch einzelne entlegen erschienene Rezensionen1192 an. Das von Wolff wahrgenommene Segment der Debatte mußte den Eindruck einer ausnahmslosen Kritik an Barge erzeugen, den auch der 1183 Ebd., 1184 Ebd., 1185 Ebd.
S. 111 f. S. 112.
1186 Ebd. 1187 Ebd. 1188
Ebd. Ebd., S. 111. 1190 Biographisch s. zu diesem vorrangig Leesch, Art. Wolff (zudem s. DBA, T. 3, Fichenr. 1007, S. 5, und T. 2, Fichenr. 1427, S. 188). 1191 Wolff, Jahresberichte 1910, S. II, 334 f. 1192 Unter den ebd., S. II, 334, verzeichneten Rezensionen gehören dazu: Uckeley, Rez. Barge, oder Lezius, Rez. Müller, die in keinem weiteren Zusammenhang der Debatte rezipiert wurden. 1189
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
337
knappe Haupttext des Forschungsberichts unterstützte: „Dagegen [gegen Barges Biographie] hat sich, wie zu erwarten war, ein Sturm der Entrüstung von protestantisch-theologischer Seite erhoben.“1193 Für die mit „jede[m …] Angriff […] steigende […] Schärfe“ in der Auseinandersetzung machte er Barge verantwortlich, verwies auf dessen gegenüber Müller defizitäre Lutherkenntnisse1194 und diagnostizierte ein Ende der Debatte, indem „eine Verständigung augenblicklich sehr schwer, wenn nicht unmöglich“ sei.1195 Durchaus zutreffend nahm Wolff wahr, daß Barge 1912 wissenschaftlich geradezu isoliert war.1196 Um so beachtlicher ist, daß sich Wolff methodisch dem kritischen Ansatz von Barge anschloß, dessen Unterscheidung theologischer Apologetik von historiographischer Objektivität rezipierte und den betreffenden Streit in einem sachlichen Zusammenhang mit den Kontroversen um Denifle und Troeltsch schilderte: „Nimmt man zu dem Barge-Streit noch denjenigen um Troeltschs und Denifles aufsehenerregende Arbeiten, so kann man sich in der Tat nicht der Ansicht erwehren, daß hier von protestantisch-theologischer Seite mit psychologisch begreiflicher und berechtigter Zähigkeit darum gekämpft wird, daß die Gestalt oder, besser gesagt, die Bedeutung Luthers in seiner alten Größe unangetastet bleiben möge. […] Das große und, wenn erst der Staub der Polemik gewichen ist, bleibende Verdienst dieses ganzen Streites um DenifleTroeltsch-Barges Angriffe auf Luthers Wertung wird hoffentlich der [scil. das] sein, daß die Gestalt des gewaltigen Wittenbergers in das richtige Verhältnis zu den Gesamtereignissen gerückt wird, und daß auch ohne Verunglimpfung eine lediglich historische Betrachtung möglich wird“.1197
Den Streit um Barge hatte bereits Boehmer 1910 in die Nähe zur Auseinandersetzung um Denifle gerückt1198, dessen Relevanz aber ungleich stärker betont. Barge wiederum hatte Denifles kritischen Grundansatz selbst als richtungsweisend gesehen1199 und seine eigene Arbeitsweise mehrfach in Gemeinsamkeit und Unterschieden zu Troeltsch diskutiert1200, wobei er zunehmend auf die Differenzen abgehob. Der spezifische Beitrag von Wolff besteht somit darin, erstmals auf die strukturellen Entsprechungen zwischen Denifle, Troeltsch und Barge hingewiesen zu haben, wobei sich in der gewählten Reihenfolge eine zunehmende Annäherung an das von Wolff vertretene Historismusideal widerspiegeln dürfte.
1193 Wolff,
Jahresberichte 1910, S. II, 334. „M.[üller], der über eine weitaus größere Schulung und Sachkenntnis der Lutherschen Schrifte verfügt, hat Barge in vielen Punkten berichtigt.“ 1195 Ebd. 1196 Ebd.: „Kawerau, Brieger, Hermelink und viele andere stehen auf M.[üller]s Seite.“ 1197 Ebd., S. II, 334 f. 1198 Vgl. dazu oben Anm. 1073. Zu Wolffs Kenntnis der betreffenden zweiten Auflage von Boehmer s. Wolff, Jahresberichte 1910, S. II, 335, Anm. 145. 1199 S. dazu oben die Anm. 416 und 668. 1200 Vgl. dazu oben Anm. 195. 1194 Ebd.:
338
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
2.5.11. Barges editorischer Anschluß an Nikolaus Müller und Lietzmann – „Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522“ (1912) Barge selbst hatte zwischenzeitlich an einer Antwort auf Nikolaus Müller gearbeitet. Den literarisch naheliegendsten Weg beschritt er 1912, indem er Müllers Edition in den „Mitteilungen aus der historischen Literatur“ anzeigte1201, für die er in seinem nunmehr fünfzehnten Jahr als Kritiker tätig war. Die Rezension verrät Barges Ärger darüber, Müller in editionsphilologischer Hinsicht nicht kritisieren zu können und zugleich den Vorwurf parieren zu müssen, mit der Karlstadt-Biographie „weder zuverlässig noch vollständig“ Quellenmaterial geboten zu haben.1202 Barge trat die Flucht nach vorne an, indem er den neuerlichen Band als „eine hervorragende Editorenleistung“ rühmte und dessen unausweichlichen Siegeszug zum künftigen Referenzwerk vorwegnahm: „Fortan sind die Akten zur Wittenberger Bewegung von 1521/22 ausschließlich nach Nik. Müllers Publikation zu zitieren!“1203 Zugleich bemühte er sich, Müllers positivistische Präzision in eine archivalisch flächendeckende, darin aber wahllose Heuristik umzudeuten: „Die bedenkliche Kehrseite dieser […] bis zur höchsten Virtuosität ausgebildeten Arbeitsmethode liegt in der Vermischung der Unterschiede zwischen wesentlich und unwesentlich. Dem Sammlereifer des Verf.[assers] erscheint alles gleich wertvoll“.1204
Barge fühlte sich in seinen eigenen archivalischen Leistungen von Müller übergangen1205, wollte die früher gebotenen Ergebnisse durch die neuerliche Edition allenfalls bestätigt sehen1206 und präsentierte zum Schluß einen kleinen Fehler des Herausgebers1207. Nicht unbedeutend ist, daß Barge den Anspruch der „Zweite[n] Auflage“ überprüfte, den vorangegangenen Abdruck im „Archiv für Reformationsgeschichte“ um neue Materialien ergänzt zu haben. Barges negatives Ergebnis1208 wäre im ganzen sicher weiterer Erhebung wert, findet sich aber allein in den Anfangspassagen durch die satzidentische Wiedergabe bestätigt.1209 Jene „Einleitung“ hatte Barge bezichtigt1210, Müllers „Prioritätsrecht“ an der „Beutelordnung“ verletzt zu haben. Daß diese Ausführungen ohne jeden Rekurs auf Barges zwischenzeitliche Replik in dem als „Zweite Auflage“ benannten Se1201 Barge,
Rez. Müller. S. 178. 1203 Ebd., S. 176. 1204 Ebd. 1205 Ebd. 1206 Ebd., S. 179: „In Wahrheit findet des Unterzeichneten Darstellung im ‚Frühprotestantischen Gemeindechristentum‘ durch N. Müllers Publikation in allen wesentlichen Punkten ihre Bestätigung. Den näheren Nachweis dafür verspare ich mir auf eine andere Stelle“. 1207 Ebd., S. 180. 1208 Ebd., S. 175. 1209 S. dazu oben Anm. 924 f. und 929. 1210 S. dazu oben Anm. 930. 1202 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
339
paratdruck wiederholt wurden, prangerte auch Otto Clemen in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ vom 25. November 19111211 an. Im Folgemonat beendete Barge das „Vorwort“1212 für seine eigentliche Reaktion auf Müller, ein Heft von „Aktenstücke[n] zur Wittenberger Bewegung. Anfang 1522“. Das Büchlein bot 23 kleinere Editionseinheiten zum Januar und Februar 1522, die einzig und alleine dem Zweck dienten, Barges Rekonstruktion der reichspolitischen Entscheidungsfindung chronologisch zu belegen. Thematisch illustrierte der kleine Band einen spezifischen Aspekt der Auseinandersetzung mit Karl Müller, der in die Ausgabe von Nikolaus Müller nicht eigens eingebracht worden war1213. Seine eigene Edition legitimierte Barge einerseits als Ergänzung. Andererseits erklärte er die Ausführlichkeit seines Kommentars aus dem Wunsch, sowohl der Forschung zu dienen, wie auch „eine erfolgreiche Behandlung der Aktenstücke in historischen und kirchenhistorischen Seminaren [zu] ermöglichen“1214. Der Ansatz verband darin die Anliegen von Nikolaus Müllers Sammel‑ und Lietzmanns Einzelausgabe miteinander, wofür sich Barge gerne und ausdrücklich auf Lietzmanns wohlwollende Worte berief 1215. Einer der wenigen Rezensenten des Bändchens wurde gleichwohl auf die Schwierigkeit des Kommentarteils aufmerksam, die Fachforschung und Studierende gleichermaßen ansprechen zu wollen: „Die Rücksicht auf etwaigen Gebrauch bei Übungen in kirchenhistorischen Seminaren hat wohl zu manchen Erklärungen veranlaßt, die sonst überflüssig erscheinen müßten.“1216 Barges Auswahledition ließe sich als eine publizistisch ebenso originelle wie literarisch einfallslose Reaktion interpretieren, da sie die vorgegebenen Formate schlicht wiederholte und inhaltlich unterschiedlich füllte. Auffällig bleibt, daß im November 1911 wie zuvor im September 1906 einzig Clemen1217 dem bedrängten Barge öffentlich beizustehen suchte1218. Als Korrektor und fachlichen Ratgeber für seine Edition nannte Barge „Herrn Privatdozent Dr. Alfred Götze in Freiburg i. B.“1219 Dieser Hinweis auf den späteren Gießener Germanisten führt in das engere Umfeld des Leipziger Historikers zurück: Wie Barge war der fünf Jahre jüngere Götze ein Schüler der Nicolaischule1220 und ein Student 1211 Clemen,
Rez. Müller, Sp. 2960. dazu Barge, Aktenstücke, S. IV. 1213 Vgl. dazu auch ebd., S. III: „Nikolaus Müller hat sich lediglich die Aufgabe gestellt, die die Wittenberger Bewegung unmittelbar betreffenden Akten und Briefe zu sammeln, darum bleibt bei ihm das Quellenmaterial, das auf die Haltung des Nürnberger Reichsregiments und des Bischofs von Meißen Bezug hat, unberücksichtigt.“ 1214 Ebd., S. IV. 1215 Ebd. Zu dem Bezugstext s. oben Anm. 1166. 1216 Schornbaum, Rez. Barge 1913, Sp. 221. 1217 S. dazu oben Anm. 597. 1218 S. dazu oben Anm. 1211. 1219 Barge, Aktenstücke, S. IV. 1220 Vgl. dazu die oben in Anm. 23 gebotenen Daten mit Schmitt, Götze, S. 320 (DBA, T. 3, Fichenr. 311, S. 252): „Götze hatte von 1886 bis 1895 die Leipziger Nicolaischule […] besucht.“ 1212 S.
340
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
bei Lamprecht1221 gewesen. Bis 1902 wirkte Götze in verschiedenen Leipziger Funktionen, bevor er für sein Habilitationsprojekt und eine Anstellung an der Universitätsbibliothek nach Freiburg1222 wechselte. 1912 ist der Kreis von fachlichen und publizistischen Unterstützern um Barge in einem höheren Maße von familiären und lokalen Bezügen bestimmt als in den beiden Anfangsjahren, die von persönlichen und parteipolitischen Verbindungen charakterisiert waren. 2.5.12. Köhlers Forschungsbericht in den „Göttingische[n] gelehrte[n] Anzeigen“ (1912) Die bis in die jüngere Literatur1223 am stärksten rezipierte Gesamtzusammenfassung der Kontroverse stammte von Walther Köhler und wurde im September 1912 in den „Göttingische[n] gelehrte[n] Anzeigen“ veröffentlicht. Der Beitrag erschien ohne Titel und lieferte jenen Artikel nach, den Köhler 1906 als ausführliche Rezension der Karlstadt-Biographie übernommen und auch andernorts angekündigt hatte, schließlich aber zu einem „Résumé“ der Auseinandersetzung nach „deren Ausgang“ erklärte.1224 Auch für Köhler war der Disput spätestens 1912 beendet. Als letzte Veröffentlichung nahm er von Barges Auswahledition der „Aktenstücke“ Notiz1225, verwies aber nur in drei beiläufigen Zusammenhängen auf die Kompilation1226. Die nächstfrüheren Beiträge, die Köhler erfaßte, waren Müllers Absagungsschreiben an Barge von 1910, der darin diskutierte Aufsatz Tilings aus dem Jahr 1909, Barges Reaktion auf Scheel in der „Ehrengabe“ für Lamprecht von 1909 und die einschlägigen Monographien von Müller und Barges zwischen 1907 und 1909.1227 Nur Scheels Tübinger Antrittsvorlesung und Barges erster gegen Müller gerichteter Beitrag in der „Historische[n] Vierteljahrschrift“ traten hinzu1228. Die Literaturauswahl von Köhlers fast fünfzigseitigem Artikel war damit überaus stark auf Barges Auseinandersetzung mit Müller eingeschränkt, hatte jedoch den besonderen Vorzug, daß Köhler – als im Grunde einziger Referent – Barges „Frühprotestantisches Gemeindechristentum“ kon-
1221 S.
dazu Schmitt, Götze, S. 320.
1222 Ebd.
1223 S. dazu oben Anm. 405. 1932 verwies zudem Hertzsch, Karlstadt, S. 2, Anm. 2, zusammenfassend einzig auf Köhler, Karlstadt. 1224 S. dazu ausdrücklich Köhler, Karlstadt, S. 505: „Daß die Anzeige der schon 1905 erschienenen Karlstadt-Biographie von Barge erst jetzt erfolgt, hat seinen guten Grund. Wie die vorstehende Literaturübersicht zeigt, hat das Bargesche Buch eine lebhafte Debatte erzeugt; deren Ausgang galt es abzuwarten, um ein Résumé geben zu können.“ Köhlers Ankündigung des Beitrags aus dem Jahr 1906 wird oben in Anm. 551 geschildert. 1225 S. Köhler, Karlstadt, S. 505. 1226 Ebd., S. 528 und 530. 1227 S. dazu die Literaturübersicht, ebd., S. 505. 1228 S. dazu ebd.; Barges betreffender Beitrag wird in seinen Bezügen auf Müller oben in Anm. 783 kurz dargestellt.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
341
stitutiv einbezog und die Kontroverse nicht schon 1907 mit Müllers „Luther und Karlstadt“ entschieden sein ließ. Die Konzentration auf die Müller-Debatte schlug sich auch in der Gliederung des Beitrages nieder.1229 Köhler bildete fünf Kapitel, die eine Auswahl aus jenen Komplexen vornahmen, die Barge mit dem „Frühprotestantische[n …] Gemeindechristenum“ seinerseits aus einer formalen Straffung von Müllers Monographie „Luther und Karlstadt“ gewonnen hatte1230. Grundlegend griff Köhler damit die Ordnungssystematik der Inhalte auf, die sich aus der Diskussion zwischen Müller und Barge entwickelt hatte. Vielleicht war dieses dialogische Vorgehen auch der Grund dafür, Barges erste Antwort auf Müller nicht zu berücksichtigen, die dieser in ihrer redaktionsgeschichtlichen Hauptargumentation zu Luthers Predigten ignoriert hatte1231. Thematisch stieg Köhler mit dem Müllerschen Eröffnungskapitel zur Meßreform ein und ging chronologisch bis zu dessen Schlußkapiteln zu Karlstadts Orlamünder Zeit sowie dem zweiten Aufenthalt in Sachsen. Köhlers Bemühen um eine unvoreingenommene Perspektive auf die bisherige Kontroverse fand im Eingangspassus einen ungewöhnlichen Ausdruck. In diesem referierte Köhler nicht nur Barges Selbstverständnis, sich als objektiver Historiker in einem strukturellen Unterschied zu den Kirchenhistorikern zu befinden, sondern stimmte ihm als einziger Theologe ausdrücklich zu. Deutlich zu erkennen ist das Anliegen, ein ansatzweises Verständnis für beide Seiten zu gewinnen. Menschlich und fachlich nachvollziehbar seien in gleicher Weise die zunehmende „Verbitterung“1232 Barges wie der vehemente Protest der Kirchenhistoriker. Als Theologen bedeute ihnen die Geschichte „unmittelbares göttliches Leben […,] ja, im letzten Grunde […] Gott, der in der Geschichte lebendig ist.“1233 Aus dieser kaum zu steigernden Relevanz leitete Köhler historiographisch das „häufigere […] Fehlgreifen“ und die mindere Achtung von Kirchenhistorikern ab.1234 Als Parallelfälle zu Barge nannte Köhler, wie im gleichen Jahr der Historiker Wolff und in gewisser Hinsicht Barge selbst, Troeltsch und Denifle.1235 Unzweideutig 1229
Vgl. dazu oben knapp. Anm. 553. Karlstadt, bildete fünf Kapitel, die er von „a“ bis „e“ numerierte. Diese entsprechen in ihrer Reihenfolge überwiegend derjenigen von Barge, Gemeindechristentum; die Ausnahme besteht darin, daß Köhler im Punkt „c“ die Hauptkapitel III und IV zusammenzog, wobei „Luthers Rückkehr von der Wartburg“ bei Köhler, Karlstadt, S. 530, erkennbar als eigener Abschnitt abgehoben wurde. Köhlers Schlußkapitel „e“, ebd., S. 539–541, gilt einem einzigen der Bargeschen Anhangspunkte (Nr. IX). Der von Köhler ausgewählte Passus wurde, vgl. dazu oben Anm. 746, seinerseits von Barge aus einem der Müllerschen Hauptkapitel gebildet, womit Köhler in einem seiner Kapitel in der formalen Auszeichnung zu Müller zurückkehrte, in der gewählten Reihenfolge aber bei Barge blieb. 1231 S. dazu oben die Anm. 770 f. 1232 Köhler, Karlstadt, S. 506. 1233 Ebd. 1234 Ebd. 1235 S. dazu ebd. 1230 Köhler,
342
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
war Köhlers appellative Zustimmung zu Barge, die zwar nicht den Haupttext der Einleitung, aber deren Fußnotenteil beschloß: „In allen derartigen Fragen sollten die Theologen untheologischer und historischer sein!“1236 So grundsätzlich Köhler den methodologischen Ansatz von Barge für berechtigt hielt und so eingehend er die in der Kontroverse traktierten Einzelfragen überprüfte, so eindeutig fiel doch sein Gesamtergebnis aus: „In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle liegt das Recht bei Müller.“1237 Der vielleicht gravierendste Unterschied zu Müller, der sich in Köhlers Einschätzungen aufweisen läßt, besteht darin, daß auch Köhler die genetische und chronologische Abhängigkeit Karlstadts von Luther betonte, ungleich stärker aber auf Differenzen in den faktisch vertretenen Positionen abhob. Karlstadt gehörte für ihn somit zur Wirkungsgeschichte Luthers, markierte rezeptionsgeschichtlich gebrochen jedoch einen devianten Sonderfall. Diese Lesart deutet sich bereits in Köhlers Auseinandersetzung mit der Meßreform an1238, in der Karlstadt den rein „theoretische[n]“1239 Charakter von Luthers früheren Stellungnahmen im Sinne praktischer Handlungsanweisungen mißverstanden habe. Hinsichtlich der Beutel‑ und Stadtordnung votierte Köhler mit Müller für eine größere praktische Beteiligung von Luther, als sie Barge zuzugestehen bereit war1240, nahm aber auch Barges Forderung nach der von Nikolaus Müller in Aussicht gestellten Studie1241 und Clemens Kritik an der neuerlichen Wiederholung des von Barge als „hinfällig“ ausgeräumten „Vorwurf[s] der Illoyalität“1242 auf. In den Wittenberger Unruhen sah Köhler Karlstadt klar als Vertreter eines legalistischen Grundansatzes1243, um daraus – und nicht aus einem konservativen Rückschritt1244 – die Diffe1236 Ebd.,
S. 507, Anm. 1. Ebd., S. 541. 1238 Vgl. dazu ebd., S. 514: „Karlstadt will nicht gegen Luther auftreten, unterscheidet sich aber tatsächlich von ihm (ersteres behauptet Barge, letzteres bestreitet Müller).“ S. dazu ebd. auch Anm. 1, die auf „[d]ie Eigenart der Karlstadtschen Vorschläge“ hinweist. 1239 Ebd., S. 518: „ich betone, daß sie [Luthers Ausführungen] in theoretischer Höhe sich halten, d. h. Luther greift nirgends unmittelbar in die Wittenberger Verhältnisse ein, er macht den Wittenbergern keine direkten Verhaltungsmaßregeln, er zeigt nur theoretisch, wie es sein sollte, aber nicht praktisch, wie es sein soll und sein muß! Er gibt ein Programm, aber er sorgt nicht für seine Durchführung.“ Zudem ebd., S. 521: „Seine Absicht war in keiner Weise aufreizend“; für „Wittenberger Stürmer und Dränger […] kann er nur sehr indirekt verantwortlich gemacht werden. Seine Schrift war zu fein und zu theoretisch für den nach Praxis drängenden Moment.“ 1240 S. dazu bes. ebd., S. 525. 1241 Ebd., S. 524. 1242 Ebd. S. dazu oben Anm. 1211. 1243 Köhler, Karlstadt, S. 526: „Die Karlstadtschen Predigten […] haben […] von dem gesetzlichen Standpunkte Karlstadts aus […] die Forderung der Bilderabschaffung kategorisch erhoben. […] Der entscheidende Begriff in allen Sätzen ist der der lex“. 1244 Ebd., S. 533: „Und wenn Barge darin Recht hat, daß die Lutherschen Maßnahmen in Wittenberg stark reaktionär waren, äußerlich der reichsregimentlichen Reaktion glichen, so übersieht er nur Eins – das freilich entscheidend ist –, daß nämlich Luther den Boden von de abroganda missa privata nicht verlassen hat.“ 1237
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
343
renzen nach Luthers Rückkehr von der Wartburg zu erklären1245. In der Frage einer zeitgleichen reichs‑ bzw. landespolitischen Reaktion suchte Köhler einen argumentativen Mittelweg: Auf der Entscheidungsebene des Reiches gestand er Barge zu, „nicht mit Unrecht“ einen breiten, die Landespolitik bestimmenden Einfluß postuliert zu haben.1246 Kurfürst Friedrich sei davon jedoch „dank seiner altbewährten Taktik des Diplomatisierens“ auszunehmen.1247 Den Wechsel nach Orlamünde, die Rückkehr nach Wittenberg und das schließliche Verlassen von Kursachen wog Köhler in der Offenheit der Quellenlage ab und votierte jeweils für das Urteil von Müller.1248 Zur Erklärung der Grunddifferenz zwischen Luther und Karlstadt brachte er sodann die soziologische Unterscheidung zwischen Kirche und Sekte ein, in der sich ein programmatischer Bezug auf Troeltschs im selben Jahr erschienene „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ andeutete1249. Aus dem für Köhler im ganzen bestimmenden Einfluß von Troeltsch mag sich zumindest in Teilen das Vermittlungsanliegen erklären lassen, etablierte theologische Perspektiven mit methodischen Forderungen der jüngeren Kritik in einen Einklang zu bringen. Köhlers abschließende Gesamteinschätzung1250 rückte zwei eng miteinander verwobene Fragen in den Vordergrund: „Karlstadts Verhältnis zu Luther“1251 und die „Eigenart Karlstadts“1252. Wenig überraschen dürften im ersten Komplex die Hinweise auf eine zeitliche „Priorität“1253 Luthers und eine inhaltliche „Abhängigkeit“1254 Karlstadts. Zugleich betonte Köhler nochmals die Veränderung der Lutherschen Impulse1255, was ihn zu dem ausführlichen zweiten Punkt einer Charakteristik Karlstadts führte. In einem ersten knappen Abschnitt sammelte Köhler Beobachtungen, die seine bereits 1906 geäußerte Einschätzung, der Einfluß des Humanismus auf Karlstadt sei höher zu veranschlagen1256, durch Bezüge auf Erasmus vertieften1257. Ungleich stärker bemaß Köhler jedoch die Bedeutung der Taulerschen Christusmystik für Karlstadt1258, die ihre „ganze Origi1245 Ebd.,
S. 531. S. 528. 1247 Ebd., S. 530. 1248 Ebd., S. 534–539. 1249 Die beiden einschlägigen Belege finden sich ebd., S. 538 f., ein direkter Rekurs auf Troeltsch, Soziallehren, ebd., S. 539. 1250 Ebd., S. 541–550. 1251 Ebd., S. 541–545. 1252 Ebd., S. 545–550. 1253 Ebd., S. 541. 1254 Ebd., S. 544. 1255 Ebd., S. 545: „Karlstadt hat dann seine eigenen Konsequenzen gezogen, und in dieser Ausdeutung und Umbiegung Lutherscher Ansätze liegt seine Originalität. Er ist ein Lutheraner sui generis.“ 1256 S. dazu oben Anm. 550. 1257 Köhler, Karlstadt, S. 545. 1258 Ebd., S. 546 f. 1246 Ebd.,
344
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
nalität“ aus der „Verbindung“ mit der „Luthersche[n …] Religionsauffassung“1259 empfangen habe. Den von Barge postulierten eigenständigen Frömmigkeitstypus lehnte Köhler ab, indem er ihn zur modernen Konstruktion „gegenwärtiger religiös-sozialer Strömungen“ erklärte.1260 Er wiederholte damit die politische Kontextualisierung von Barge, die er bereits 1906 als erster vorgetragen hatte1261. Die für Luther und Karlstadt zuvor gewählte Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis modulierte er in „Luthers Idealismus“ und Karlstadts „puritanische Initiativkraft, die ein Abwarten nicht kennt, sondern rückhaltlos im Namen der h.[eiligen] Schrift weitertreibt.“1262 Damit schlug er den Schlußakkord an, der in dem Beitrag bereits mehrfach intoniert worden war und der leise auch schon in den ersten Voten des Jahres 1906 anklang: In Luther und Karlstadt stehen sich „Freiheit“ und „eine […] rigoristische […] Gesetzlichkeit“1263, ja „gesetzliche […] Zwangsgewalt“1264 gegenüber. Religionssoziologisch überführt er dies in die Opposition von „Volkskirche“ und „Sekte“1265 bzw. „Konventikelchristentum“1266, durch die er Barges Terminologie des „Gemeinde-“ bzw. „Laienchristentums“ semantisch sehr unterschiedlich ersetzte. Sein Gewährsmann für das legalistische Verständnis war Scheel, derjenige des soziologischen Ansatzes Troeltsch.1267 Unklar bleibt Köhlers abschließende Andeutung, daß Karlstadt „nicht auf der Stufe des Sektierers bleibt, vielmehr Spiritualist wird.“1268 Vermutlich wollte er der kirchenorganisatorischen Unabhängigkeit einer Kleingruppe die vollständige Individualisierung und Isolation des Spiritualisten entgegensetzen, führte dies aber ebensowenig wie mögliche Illustrationen an Karlstadts Lebens‑ oder Werkgeschichte aus. Das von Köhler 1912 gezeichnete Gesamtbild wiederholte die wesentlichen Elemente seiner frühen Reaktionen auf Barge, ohne diese im Detail deutlicher auszuarbeiten. Auszunehmen davon sind die näher geschilderten Bezüge zu Erasmus und die von Troeltsch übernommene kirchensoziologische Diktion, aus der sich möglicherweise auch die spiritualistische Klimax erklären läßt. Köhlers persönliche Nähe zu Troeltsch und Barges sachliche Nähe zu diesem mochten den insgesamt vermittelnden Grundansatz des Forschungsberichtes mitbestimmt haben. Bezeichnend sind in jedem Fall die Gewissenhaftigkeit und der Ernst, mit denen sich Köhler seit 1906 um eine unvoreingenommene Erfassung der Debatte bemühte. Unter den Theologen kann er als derjenige gelten, der Barge 1259 Ebd., 1260 Ebd. 1261
S. 546.
S. dazu oben Anm. 549. Köhler, Karlstadt, S. 547. 1263 Ebd. 1264 Ebd., S. 548. 1265 Ebd., S. 547. Ähnlich auch ebd., S. 548. 1266 Ebd., S. 548. 1267 Ebd., S. 549. 1268 Ebd. 1262
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
345
am weitesten entgegenzukommen bereit war. Aus diesem Grund muß auch sein mehrfacher Dank an Barge für dessen Arbeiten und der Wunsch nach einer aktualisierten Neuausgabe der Karlstadt-Biographie mehr als nur diplomatisch interpretiert werden.1269 An einer Verbindung der kontroversen Positionen hatte Köhler ein genuines Interesse, auch wenn das Erbe der klassischen Perspektiven auf Luther bei ihm bisweilen die historische Kritik in ihrer uneingeschränkten Kompromißlosigkeit überwogen haben dürfte. 2.5.13. Barges Repliken auf Köhler – unbeantwortet bleibende Proteste (1912–1914) Barge reagierte 1912 und 1913 zunächst knapp auf Köhler, bevor eine ausführliche Antwort 1914 folgte. Zwei dieser drei Beiträge richteten sich direkt gegen Köhler, der sich jedoch zu keiner Antwort hinreißen ließ. Auch für Köhler war, wie er in seinem Forschungsbericht bereits festgestellt hatte1270, die Debatte beendet. Die größte Dringlichkeit sah Barge in einem kurzen Widerspruch gegen Köhlers Frühdatierung der Beutelordnung. Innerhalb weniger Monate gelang es ihm, einen gerade vierseitigen Artikel in den „Theologische[n] Studien und Kritiken“ zu plazieren, der „Die Entstehungszeit der Wittenberger Beutelordnung“ zugunsten einer Spätdatierung rekapitulierte. Ausdrücklich richteten sich die Ausführungen gegen „Köhlers Argumente“.1271 Von dem am 3. September 1912 erfolgten Tod Nikolaus Müllers hatte Barge Kenntnis. Die Einforderung der ausstehenden Publikation richtete er umgehend an dessen Nachlaßverwalter: „Das letzte Wort wird man über die Beutelordnung freilich erst reden können, wenn das von Nik. Müller darüber gesammelte Material aus seinem Nachlaß bekannt geworden sein wird. Ausgeschlossen erscheint es nicht, daß durch neue Quellenfunde die ganze Frage in neue Beleuchtung gerückt werde.“1272
Einen zweiten kleineren Aufsatz schaltete Barge 1913 in die „Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde“ ein, der mit dem Thema „Die Übersiedlung Karlstadts von Wittenberg nach Orlamünde“ ein weiteres Segment der von Köhler zusammengefaßten Müller-Kontroverse traktierte und keine substantiellen Neuerung gegenüber dem vorherigen Diskussionsstand brachte. Daß der Artikel nicht nur eine landesgeschichtliche Erinnerung an Karlstadt, sondern auch an die merklich abklingende Debatte sein mochte, deutete sich in Barges abschließendem und mit gut 30 Seiten sehr ausführlichen Votum zur Auseinandersetzung an. Es erschien 1914 in der „Historische[n] Vierteljahrschrift“ 1269 Ebd.,
S. 550. dazu oben Anm. 1224. 1271 Barge, Beutelordnung, S. 461, Anm. 4. 1272 Ebd., S. 464 f. 1270 S.
346
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
unter dem etwas unbestimmten, eine spezifische Studie ankündigenden Titel „Zur Genesis der frühreformatorischen Vorgänge in Wittenberg“ und richtete sich gegen Köhlers „Prüfung der ganzen Streitfrage“ sowie dessen „ablehnende[s …] Ergebnis“.1273 Seine Motivation zum Widerspruch erklärte Barge – in argumentativer Kongruenz zur ersten Reaktion auf Müllers Monographie von 19071274 – aus der Sorge um eine ungebrochene Wirkungsmacht des Textes, den weitere Fachvertreter rezipieren könnten, „als ob Köhlers Ausführungen die Quintessenz der ganzen Karlstadt-Kontroverse darstellten.“1275 Gegenüber den unerwähnt bleibenden Ankündigungen Briegers, Müllers, Holls und Köhlers, den Disput als beendet ansehen zu wollen, konstatierte Barge vielleicht wenig überzeugend, „die Debatte [… sei] noch nicht zur Ruhe gekommen“.1276 Zutreffend war gleichwohl, daß Köhlers Forschungsbericht ein Jahr nach Barges Schlußwort gegenüber Kawerau1277 erschienen war und die strittigen Fragen nochmals aufgriffen hatte. Barges erkennbares Anliegen war es, eine eigene Schlußbetrachtung auf einem allgemeinhistorischen Forum zu präsentieren und „das Endergebnis der Diskussion dem Urteil der Historiker zu überlassen.“1278 Als zusammenfassende Einschätzung stellte Barge vorweg, „daß alle wesentlichen Einwände Köhlers sich nicht als stichhaltig erweisen“.1279 Nachdem Köhler fünf Hauptkapitel und einen Schlußpassus gebildet hatte, antwortete Barge in sechs Kapiteln, die zunächst und zuletzt der Gliederung von Köhler folgten, dazwischen aber zu der vormaligen Eigenständigkeit der von Köhler miteinander verknüpften Themenkomplexe aus der Müller-Debatte zurückkehrten.1280 Die Erwartung, daß Barge zusammen mit den alten Fragestellungen nochmals alte Antworten vortragen würde, wurde auf überraschende Weise enttäuscht. Nüchtern und selbstkritisch bilanzierte er, in welchen Punkten er seit dem Erscheinen seiner Biographie Revisionen vorgenommen hatte und wo diese dokumentiert wurden. Natürlich legte Barge auch ausführlich dar, welche „zunächst mehr hypothetisch gewonnenen Erkenntnis[se]“1281 oder „früher 1273 Barge,
Vorgänge, S. 1. S. dazu oben Anm. 781. 1275 Barge, Vorgänge, S. 1, Anm. 2. 1276 Ebd., S. 1. 1277 Zitiert oben mit Anm. 1057. 1278 Barge, Vorgänge, S. 1. 1279 Ebd., S. 2. 1280 Barges erstes Kapitel entspricht dem von Köhler, der dieses seinerseits von Müller, Luther, übernommen hatte. Das Schlußkapitel von Barge nimmt die beiden letzten Aspekte aus Köhlers Zusammenfassung auf, die von Barge, Vorgänge, S. 27, zutreffend überschrieben werden mit „Bedeutung des Gegensatzes zwischen Luther und Karlstadt für die Bedeutung der Reformation“. Davon löste Barge in einem eigenen Abschnitt, ebd., S. 22: das „Verhältnis der frühreformatorischen Theologie Karlstadts zu der Luther“. Dazwischen behandelte er ebd., S. 6–13, abermals die Reichspolitik für das Frühjahr 1522 und ebd., S. 13–21, „Luthers Rückkehr von der Wartburg“, sowie, ebd., S. 21 f., die anschließenden „Vorgänge in Wittenberg“. 1281 Ebd., S. 10. 1274
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
347
von mir aufgestellte[n] Kombinationen“1282 nunmehr belegbar und welche anfänglichen Ausführungen in der bis zu Köhlers Forschungsbericht reichenden Diskussion tendenziös wiedergegeben worden seien. Aufschlußreich ist das Kriterium, nach dem Barge die Berechtigung seiner Ergebnisse zu ermessen suchte: Allenfalls archivalische Neufunde oder zwischenzeitlich erschienene Editionen war er anzuerkennen bereit, um aus einer veränderten Quellenlage abweichende Folgerungen zu ziehen. Der Edition von Nikolaus Müller kam die größte Bedeutung zu1283, während Fickers für die Luther-Forschung so einschneidende Veröffentlichung der Glossen und Scholien zum Römerbrief von 1908 nur mit Barges Hinweis quittiert wurde, daß diese 1905 eben noch nicht verfügbar gewesen sei.1284 Seine Berechtigung mochte diese schiere Mißachtung 1914 darin gehabt haben, daß nur Boehmer 19101285 und Köhler 19121286 kurz auf den Quellenbestand verwiesen hatten. Wirklich spannend ist das Abschlußvotum in dreierlei Hinsicht. Zum einen findet sich Barges Lektüre von Troeltschs „Soziallehren“ im Anmerkungsapparat dokumentiert. In sechs Zusammenhängen1287 reagierte nun Barge auf Troeltschs Auseinandersetzung mit der Karlstadt-Biographie1288. Am wichtigsten dürfte sein, daß sich Barge bei aller Verwahrung gegen die auch von Troeltsch erhobene Kritik1289 strukturell dessen Unterscheidung zwischen Kirche und Sekte anschloß, die zu Barges Opposition zwischen Amtskirche und Gemeindechristentum kompatibel war. Seine kirchenkritische Frontstellung erlaubte es Barge auch, für Karlstadt weitere werkgenetische Akzente anzudeuten, die Troeltschs religionssoziologische Typologisierung aufnahmen, nicht aber Köhlers qualifizierende Rezeption: „Wir lassen hier den an sich bedeutungsvollen, von Tröltsch hervorgehobenen Unterschied zwischen Sekten und spiritualistisch-mystischen Konventikeln beiseite. In Karlstadts Theologie sind beide vorbereitet: sein Puritanismus enthält – obschon, wie wir sahen, nicht von vornherein – sektenhafte, sein Spiritualismus konventikelhafte Momente.“1290
Bedeutsam ist, zweitens, daß Barge erstmals den – auch von Troeltsch erhobenen1291, diesem aber nicht namentlich zugewiesenen – Vorwurf diskutierte, eine von politischen Gegenwartsinteressen bestimmte Geschichtskonstruktion vor1282 Ebd.,
S. 7. dazu u. a. ebd., S. 7 oder 10 f. 1284 Ebd., S. 24, Anm. 1. 1285 S. dazu oben Anm. 1069. 1286 Köhler, Karlstadt, S. 542. Dazu s. Barge, Vorgänge, S. 24. 1287 Barge, Vorgänge, S. 27, Anm. 2; S. 28, Anm. 1; S. 29 f., Anm. 1 u. 2; S. 30, Anm. 2; S. 31, Anm. 5. 1288 Dazu s. oben das Unterkap. 2.5.5. Troeltschs Votum für Barge in seinen „Soziallehren“ (1911/1912). 1289 Vgl. dazu vor allem Barge, Vorgänge, S. 30, Anm. 2, und S. 29 f., Anm. 2. 1290 Ebd., S. 31, Anm. 5. 1291 S. dazu oben Anm. 1132. 1283 Vgl.
348
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
gelegt zu haben. Drei Argumente bot er auf. Am überraschendsten ist das erste, das in einer schlichten Zustimmung besteht: „Zugegeben ist, daß ich bei Behandlung der sozial-christlichen Maßnahmen während der Wittenberger Bewegung einige Lichter aufgesetzt habe, durch die sie zu den christlichsozialen Bestrebungen der Gegenwart in Parallele gesetzt werden sollten. Darin kommt [sic] eine zeitliche Bedingtheit und ein Tribut an die optimistisch gestimmte christlichsoziale Anschauungswelt, die damals Friedrich Naumann vertrat, zum Ausdruck.“1292
In einem zweiten Schritt deutete Barge an, von einer solchen Korrelation nach wie vor überzeugt zu sein, die gegenwärtigen Realisierungsoptionen entsprechender kirchenpolitischer Impulse im deutschen Sprachraum aber – anders als in der angloamerikanischen Kultur1293 – nunmehr resignierter zu sehen: „Dieser Optimismus ist inzwischen, soweit deutsche Verhältnisse in Betracht kommen, bei mir geschwunden, wodurch freilich generell mein Urteil über die Tragfähigkeit dieser Gedankenrichtung nicht berührt wird.“1294 Schließlich bot Barge das naheliegendste Argument, das in dem ersten Begründungsmuster bereits impliziert war: Ungeachtet seiner gegenwärtigen Interessen sei die geschichtliche Realität des „religiös-soziale[n …] Demokratismus“ von ihm so geschildert worden, wie sie sich der Sache nach dargestellt habe.1295 Als dritten und letzten Aspekt, der das Schlußvotum auszeichnet, ist die Offenheit anzuführen, mit der Barge das für ihn selbst bestimmende Ideal einer religiösen Gemeinschaftspraxis umriß. Scharf grenzte er sich von jüngeren Ansätzen gemeindlicher Selbstbestimmung innerhalb „der Lutherkirche“ ab1296, die „ihren Gliedern ein religiöses Selbstbestimmungsrecht nicht gestatte“1297, ja als Institution mit „offizielle[r …] Kirchenlehre“1298 nicht gestatten könne. Positiv trat Barge für das „Prinzip der religiösen Autonomie der Persönlichkeit“ ein und deren „Recht […], autonom und unabhängig von aller Zwangsautorität auf allgemeinchristlicher Grundlage ihre religiösen Überzeugungen zu gestalten und in einer Überzeugungsgemein1292 Barge,
Vorgänge, S. 29, Anm. 2. legt der Schlußpassus nahe, ebd., S. 33: „Der Historiker kann auf die scheinbare Anomalie hinweisen, daß die kirchliche und religiöse Indifferenz in den heutigen Lutherkirchen Deutschlands, obschon gerade sie mit dem Anspruch auftreten, Volkskirchen zu sein, ungleich größer ist als in den religiösen Gemeinschaften der protestantischen Länder, die vom Luthertum nicht berührt worden sind; daß insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, in denen ein reiches Sektenleben zu einer äußerlich gespaltenen Entwicklung führte, das Nebeneinander der Überzeugungsgemeinschaften eine starke und in den wesentlichen Zügen einheitliche religiöse Gesamtentwicklung erzeugt hat.“ 1294 Ebd., S. 29, Anm. 2. 1295 Ebd., S. 30, Anm. 2 cont.: „so darf ich bemerken, daß auch für mich diese Dinge nicht im Zentrum der Betrachtung gestanden haben, daß ich vielmehr das Schwergewicht auf die Herausarbeitung der religiösen Gedankenwelt Karlstadts von Anfang an gelegt habe, aus der freilich ein religiös-sozialer Demokratismus praktisch resultiert.“ 1296 Ebd., S. 29. 1297 Ebd., S. 32. 1298 Ebd., S. 31. 1293 Dies
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
349
schaft zu bewähren.“1299 Die zuvor nicht belegbare Formulierung der „Überzeugungsgemeinschaft“ mußte Barge nach 1906 und vor 1909 bei Troeltsch gelesen haben.1300 Bei allen gegenseitigen Distanzierungen läßt sich für Barges Abschlußvotum somit eine direkte argumentative Anleihe bei Troeltsch belegen, mit der auch die strukturellen Entsprechungen der früheren Positionen entweder auf direkten Bezugnahmen oder indirekt auf gemeinsame bzw. vergleichbare Wurzeln hinterfragt werden könnten. Bezüglich ihres kirchenorganisatorischen Ideals befanden sich Barge und Troeltsch nach ihrem gemeinsamen Selbstverständnis in einer „Überzeugungsgemeinschaft“ miteinander. Aufschlußreich für Barges Religionstheorie ist das Abschlußvotum darin, daß es deutlicher als zuvor den obrigkeitlichen Zwangscharakter der intoleranten „Lutherkirche“ von der Selbstbestimmung des Spiritualismus abgrenzte. Den Spiritualismus Karlstadts hatte Barges Antwort auf Scheel 1909 in den Vordergrund gerückt und damit eine deutliche Akzentverschiebung gegenüber der Biographie markiert.1301 Fragen ließe sich natürlich, ob auch dafür die vertiefte Troeltsch-Lektüre nach 1906 eine Rolle spielte. 1914 jedenfalls löste Barge seine Schilderung „einer spiritualistischen Religiosität“ von Karlstadt und erhob sie zu einem allgemeinen Strukturelement und der zentralen Alternative zu den institutionell etablierten Kirchen des deutschen Sprachraums. Toleranz und Selbstbestimmung sah er demgegenüber im angloamerikanischen Raum lebenspraktisch realisiert, wo „das Nebeneinander der Überzeugungsgemeinschaften eine starke und in den wesentlichen Zügen einheitliche religiöse Gesamtstimmung erzeugt“ habe.1302 Interessanterweise ging Barge wirklich davon aus, daß eine sich individuell frei entfaltende Religiosität letztlich nur Ausdruck einer allgemeinen anthropologischen Grundkonstante sein könne und gesellschaftlich in ein uniformes Gesamtbild einzuordnen sei. Dem 1909 gebotenen Rekurs auf Schleiermachers Religionsbegriff 1303 mochte am ehesten in den Reden „Über die Religion“ eine nachvollziehbare Bedeutung zukommen, in denen die universalistische Religionstheorie des jungen Schleiermacher das Lessingsche Spinozabekenntnis mit dem personalen Gottesgedanken Friedrich Heinrich Jacobis, die im sog. Pantheismusstreit als exklusive Oppositionen diskutiert worden waren, miteinander 1299 Ebd.,
S. 32. dazu Troeltsch, Christentum, S. 450: „Was eine unbefangene Geschichtsforschung lehrt, das ist der fundamentale Unterschied zwischen Alt‑ und Neuprotestantismus. Die religiöse Geisteseinheit, die religiöse Volkskultur und ihre Begründung auf die zusammenwirkenden Institutionen der Kirchenanstalt und des aus dem sittlichen Naturgesetz hervorgegangenen Staates sind nicht bloß als Wirklichkeit, sondern auch als Forderungen verschwunden. Der Geist der Independenz und der freien Überzeugungsgemeinschaft, die Ausgleichung der Religion mit einer neuen Wissenschaft, wie sie seit Bildung der Kirche nie vorhanden war, sind seine charakteristischen neuen Züge.“ Barges Kenntnis des Beitrags belegt Barge, Streit, S. 192, Anm. 1, die sich auf S. 452 von Troeltsch, Christentum, bezieht. 1301 Vgl. dazu oben die Anm. 877–887. 1302 Zu diesem Zitat in seinem Kontext s. oben Anm. 1293. 1303 S. dazu oben Anm. 875. 1300 Vgl.
350
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
zu verbinden suchte. Insbesondere die zweite und die fünfte Rede gingen in eine Richtung, in der das Lessingsche „Hen kai Pan“ religionstheoretisch individualisiert und religionssoziologisch universalisiert wurde.1304 Für Barge ließ sich bereits in anderem Zusammenhang aufweisen, daß der Begriff der Tolerenz als Integral seiner politischen und historiographischen Anliegen verstanden werden kann.1305 Religionspolitisch und kirchentheoretisch gilt dies nicht minder. Im ganzen schloß sich mit Barges letztem Votum zur Debatte der Bogen zu den frühen Studien und Rezensionen der 1890er Jahre in einer bemerkenswerten Konsistenz. Dies gilt auch für jenes historistische Objektivitätsideal, das er für seine Ergebnisse auf Basis der jeweils verfügbaren Quellenlage in Anspruch nahm. Mit Blick auf die Gesamttendenz des erfahrenen Widerspruchs formulierte Barge durchaus hellsichtig und analytisch seine Hoffnung auf eine Verständigung, für die er nicht ohne Vermittlungsbereitschaft mit seinem Beitrag warb: „Wir glauben, daß es auch für den, dem bei der Geschichtsbetrachtung mehr apologetische oder konfessionelle Gesichtspunkte im Vordergrund des Interesses stehen, möglich sein wird, sich mit dem durch die neueren Forschungen veränderten Bilde […] irgendwie abzufinden.“1306
2.5.14. Pastors Überarbeitung von Janssens „Geschichte des deutschen Volkes“ (1915) Für den Diskussionsstand der Jahre nach 1914 ist bezeichnend, daß sich nur zwei Reaktionen auf Barges Beitrag identifizieren lassen und diese, wie die gesamte Sequenz der zwischen 1910 und 1914 erschienenen Voten, den Charakter von Zusammenfassungen trugen. Der Disput hatte sich überholt, und nur noch die unmittelbar Beteiligten und mehr oder minder distanzierte Beobachter fanden sich dazu bereit, ihre Sicht auf den Gesamtverlauf zu skizzieren. Die erste Reaktion bot 1914 die „Historische Zeitschrift“, für die „W. Sohm“ einen Kurzbeitrag lieferte.1307 Als Autor dürfte Walter Sohm anzunehmen sein, der Sohn Rudolf Sohms, der seit Dezember 1913 „ständiger Referent der HZ“ war und 1914 als Kriegsgefangener starb, noch bevor er seine Antrittsvorlesung im Rahmen des Marburger Habilitationsverfahrens halten konnte1308. Walther Köhler hatte während seiner Gießener Zeit bis 1909 Editionstätigkeiten aufgenommen, die Sohm fortsetzte und die erst unter Beteiligung weiterer Mitarbei-
1304 Vgl.
für die zweite Rede bes. Schleiermacher, Religion, S. 49 f., 109. dazu oben die Anm. 313–325. 1306 Barge, Vorgänge, S. 20. 1307 Sohm, Rez. Barge. 1308 Zu dem Zitat und Hinweis auf die Todesumstände s. Auerbach, Catalogus, S. 611 (DBA, T. 3, Fichenr. 860, S. 157). 1305 S.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
351
ter nach dem Zweiten Weltkrieg im Druck erscheinen konnten.1309 Zwischen Köhler und Sohm bestanden spätestens seit 1909 demnach fachliche Verbindungen, die persönliche voraussetzten. Sohms Anzeige von Barges Replik auf Köhler war ein Votum zugunsten des letzteren: „Referent muß […] erklären, daß die Bargesche Antwort ihm die Köhlersche Stellung nicht erschüttert zu haben scheint.“1310 „Nur an einer, freilich sehr wichtigen Stelle“1311 suchte Sohm zwischen Barge und Köhler zu vermitteln: Einen Einfluß des Reichsregiments auf die Politik des Kurfürsten wollte er Barge zugestehen1312, zugleich aber die Notwendigkeit einer kirchenpolitischen Reaktion aus vorschnellen Maßnahmen der Räte ableiten. Weder Luther, noch der Kurfürst hätten damit ihre eigenen Handlungen korrigieren müssen, sondern nur diejenigen der politischen Berater und mittleren Entscheidungsträger: „Der Reformator wie der Landesherr sind falsch verstanden, falsch bedient worden. Hier galt es für beide, die Ereignisse, nicht aber die eigene innere Entwicklung zurückzuschrauben.“1313 Sohm seinerseits hatte wahrgenommen, daß die Kontroverse in ein Stadium der abschließenden Zusammenfassungen übergetreten war. 1914 rezensierte er auch für die „Historische Zeitschrift“ Boehmers „Luther im Lichte der neueren Forschung“ und wurde darin der erste, der die Textgestalt der dritten Auflage in einer punktuellen Redaktionskritik mit der zweiten Auflage verglich. Darin stellte Sohm u. a. fest: „Eine wesentliche Neubearbeitung hat die Karlstadtische Episode erfahren […], ohne daß Barges Ansichten durchgedrungen wären.“1314 Interessanterweise findet sich der letzte einschlägige Passus in der Aktualisierung des Werkes, dessen polarisierende Anlage mehrfach mit derjenigen von Barges Karlstadt-Biographie verglichen worden war: Janssens „Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters“ in der Überarbeitung durch Ludwig von Pastor. Die betreffende „[n]eunzehnte und zwanzigste“ Auflage von 19151315 war wie auch die früheren von Pastor besorgten unter der vorrangigen Unterstützung von Nikolaus Paulus erstellt worden1316, der zu den ersten Lesern und Rezensenten von Barge gehört hatte. In Janssens Geschichte 1309 Vgl. hierfür Franz, Quellen, S. XX: „Als Bearbeiter gewann die Kommission zunächst Herrn Prof. Dr. Walter Köhler, damals Giessen, […] bis ihn seine Berufung nach Zürich im Jahre 1909 der ihm lieb gewordenen Arbeit entriss. [… G]egen Ende des Jahres 1911 übernahm dann Herr Dr. Walter Sohm die Fortführung der Edition. […] Mit der frischen Begeisterung, die einen Grundzug seines Wesens bildete, eilte er [1914] zu den Fahnen, erlag aber schon beim Hinausmarsche einem Unglücksfalle.“ 1310 Sohm, Rez. Barge, S. 443. 1311 Ebd. 1312 Ebd., S. 444. 1313 Ebd. 1314 Sohm, Rez. Boehmer, S. 204. 1315 Pastor, Geschichte 1915, o. P. 1316 S. dazu ebd., o. P., „Vorwort zur neunzehnten und zwanzigsten Auflage“: „Von den freundlichen Helfern der früheren Ausgaben muß auch dieses Mal wieder an erster Stelle Dr. Nikolaus Paulus genannt werden.“
352
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
fand die Forschungskontroverse ihren Niederschlag in einer Sequenz von Fußnoten, während sich der Haupttext streng auf die Ereignisgeschichte der Wittenberger „Unruhen“ beschränkte.1317 Die ausführlichste Anmerkung1318 bot eine bibliographisch gute und überwiegend chronologisch geordnete Kompilation der wesentlichen Stellungnahmen, unter denen die von Nikolaus Paulus als „[e]in objektives Referat“1319 empfohlen wird. Als Kern der Streitigkeiten wurde zutreffend diagnostiziert, daß weniger Karlstadt als vielmehr Luther im Fokus des Interesses stand: „Die große Mehrzahl der protestantischen Beurteiler […] wies Barges Beurteilung von Luthers Verhalten mehr oder weniger scharf zurück.“1320 Köhlers Forschungsbericht wurde als „eingehende kritische Besprechung der ganzen Literatur zu dem Streit über Karlstadt und Luther“ gewüdigt, auf die Barge 1914 reagiert habe.1321 Daß Köhlers Beitrag als abschließende Gesamtzusammenfassung verstanden wurde, ist um so bedeutsamer, weil die nachfolgenden Publikationen – einschließlich der dritten Auflage von Boehmers Lutherbuch 19141322 – aufmerksam registriert worden waren. Das Ende der Anmerkung verzeichnet die relevanten Quelleneditionen, unter denen Nikolaus Müllers Arbeiten einen substantiellen Zugewinn gegenüber dem „Corpus Reformatorum“ bedeuten, während Barges Auswahlausgabe sich „in engerer Begrenzung“ bewege.1323 Pastor, Paulus oder beide zusammen hatten somit klar erfaßt, daß der Streit um Karlstadt im Grunde ein Streit um Luther war, der als solcher von der Luther-Forschung beendet worden war und allenfalls noch in Einzelvoten eine Fortsetzung fand. 2.5.15. Pallas’ Edition der Beutelordnung und der Aufschluß über Nikolaus Müllers Nachlaß (1915) Nachdem in der gesamten Auseinandersetzung die Wittenberger Beutelordnung eine ungebührlich große Rolle gespielt hatte, um entweder Karlstadts oder Luthers Verdienste an deren Ausarbeitung herauszustellen, war die Quellenlage nach wie vor unbestimmt. Seit 1907 stand Hermelinks Ankündigung im Raum, Nikolaus Müller habe ein handschriftliches Exemplar von Luther gefunden1324. Seit 1908 hatte sich Barge argumentativ darauf vorbereitet, dennoch an seiner Spätdatierung und Zuweisung an Karlstadt festhalten zu können.1325 Und eben1317 Als
einschlägig s. hierfür ebd., S. 267, Anm. 1, bis S. 271, Anm. 2. Ebd., S. 268 f., Anm. 1. 1319 Ebd., S. 268, Anm. 1. 1320 Ebd. 1321 Ebd., S. 269, Anm. 1 cont. 1322 Ebd. 1323 Ebd. 1324 S. dazu oben Anm. 719. 1325 S. oben Anm. 791 f. 1318
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
353
falls seit 1908 forderte Barge den Fundort oder die Publikation des Quellenstückes ein.1326 Müller seinerseits enttäuschte 1909 nicht nur Barge damit, den gesamten Komplex aus seiner Edition ausgelagert zu haben1327. Auch Kawerau bedauerte 1910 ausdrücklich, daß Müllers betreffende Studie noch nicht erschienen sei.1328 Auch Otto Winckelmann drängte in einem umfangreichen Aufsatz zu den „ältesten Armenordnungen der Reformationszeit (1522–1525)“ in der „Historische[n] Vierteljahrschrift“ auf eine Veröffentlichung der zweiten handschriftlichen Fassung.1329 Nachdem Nikolaus Müller am 3. September 1912 gestorben war, mußte es für Karl Pallas, der zum wissenschaftlichen Nachlaßverwalter bestellt worden war und ein halbes Jahr zuvor bewiesen hatte, die Kontroverse äußerst präzise verfolgt zu haben1330, die erste Pflicht sein, die Überlieferungsfrage der Beutelordnung zu erhellen. Pallas nahm sich der Aufgabe umgehend an und machte sich unter Müllers Aufzeichnungen auf die Suche nach den Vorarbeiten. Die Situation stellte sich jedoch schwieriger als erwartet dar. Erst drei Jahre später konnte Pallas seine Ergebnisse in der „Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte in der Provinz Sachsen“ veröffentlichen.1331 Schonungslos, wenn auch mit dem nötigen sachlichen Ernst und der erforderlichen Sensibilität legte Pallas die Verlegenheit offen, in der sich Müller über Jahre hinweg befunden hatte: Ihm selbst gelang es nicht mehr, das zweite Exemplar der Beutelordnung, das er transkribiert und mit der Barge bekannten Handschrift kollationiert hatte, archivalisch aufzufinden.1332 Müller vermutete, den Text in Wittenberg eingesehen zu haben und weihte nur „Wittenberger Bekannte“ in seine Suche nach dem vergessenen Aufbewahrungsort ein1333. Zur Peinlichkeit der Situation trug bei, daß – wie Pallas aus den Müllerschen Aufzeichnungen textkritisch rekonstruierte – die Überlieferungsgestalt der zweiten Fassung keinen besonderen Wert besaß.1334 Daß es sich um eine Ausfertigung von Luthers Hand handelte, wurde nicht einmal ansatzweise diskutiert. Vielmehr folgerte Pallas, die Version könne „nichts als eine Abschrift
1326 S.
ebd. oben Anm. 927. 1328 S. oben Anm. 1037. 1329 Winckelmann, Armenordnung, S. 207, Anm. 1, weist Müller das Zitat zu, „eine zweite, ‚fast ganz‘ von Luther herrührende Handschrift gefunden zu haben“. An der für Müller angegebenen Stelle findet sich dieses Wort nicht. Winckelmann übertrug es, wie andere, letztlich aus der Hermelink-Rezension auf Müller. Winckelmann verwandte sich ebd. S. 205–207, gegen eine Autorschaft Karlstadts und für einen „zum mindesten […] erheblichen Anteil [des ‚Reformators‘] an der Urheberschaft“. 1330 S. dazu oben Anm. 1171–1189. 1331 Pallas, Beutelordnung. 1332 Ausführlich dazu ebd., S. 2–4. 1333 Ebd., S. 4. 1334 Ebd., S. 4 f. 1327 S.
354
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
des uns erhaltenen Exemplars“1335 gewesen sein. Auf Hermelinks Hinweis von 1907 ging Pallas nicht ein, doch läßt dieser sich schwerlich anders interpretieren als eine fachlich fehlerhafte Indiskretion, mit der die Quellenlage bis 1915 massiv verzeichnet wurde. Barges wie ein verzweifeltes Ausweichmanöver wirkende Überlegungen zur Existenz einer Lutherschen Handschrift erscheinen demgebenüber in einem neuen Licht: Mit dem Hinweis, daß es sich womöglich nur um eine Abschrift handeln könne, hatte er ins Schwarze getroffen, auch wenn es sich nun nicht einmal um eine Abschrift Luthers gehandelt haben dürfte. Mit der Schwierigkeit, das „aus dem Gedächtnis entschwunden[e]“1336 zweite Exemplar nicht wiederfinden zu können, verband sich ein zweites Problem, das der 1909 angekündigten Studie galt und das Pallas wie folgt charakterisierte: „Nun hätte man wenigstens annehmen sollen, daß in seinem Nachlasse ein einigermaßen druckfertiges Manuskript dieser Arbeit sich vorgefunden hätte. Das ist aber auch nicht der Fall gewesen.“1337 Eine Vorarbeit zur Studie gab es gleichwohl, aus deren Literaturreferenzen Pallas sehr präzise folgerte, daß sie „[s]eit 1905“ nicht mehr weitergeführt worden sei.1338 Chronologisch stimmig brachte Pallas dies mit Barges Karlstadt-Biographie in Verbindung: „Da hat er die Lust an seiner Arbeit verloren.“1339 Über der Kompilation seiner Quellenedition habe Müller das Manuskript erneut zur Hand genommen und „wieder Lust zur Weiterarbeit an seiner ‚Beutelordnung‘ bekommen. Aber er hat leider nicht mehr die Kraft und die Zeit gehabt zu leisten, was er sich vornahm.“1340 Müllers Vorarbeiten veröffentlichte Pallas, indem er den nicht untergliederten Text in zusammengehörige Komplexe aufteilte und um Überschriften sowie formal ausgewiesene Zusätze ergänzte.1341 Inhaltlich bietet die Edition einen von Barge unberührten Diskussionsstand, der für Luther als maßgeblichen Redaktor, wenn nicht sogar grundlegenden Verfasser der Beutelordnung1342 und eine Frühdatierung „spätestens in den Anfang des Jahres 1521 oder in das Ende des Jahres 1520“1343 eintritt. Von argumentativem Gewicht ist, daß Müller zwei archivalische Belege für Zahlungen in „den gemeinen kasten“ Wittenbergs nennt, die sich durchaus auf die Beutelordnung beziehen ließen.1344 Als publizistisches Problem erkannte Pallas die veralteten Literaturreferenzen, in denen die gesamte Kontroverse um Barge unberücksichtigt geblieben war. Klug war vor diesem Hintergrund seine Entscheidung, 1335 Ebd., 1336 Ebd. 1337
S. 4.
Ebd., S. 2 f. Ebd., S. 5. 1339 Ebd. 1340 Ebd., S. 6. 1341 Zu diesem Vorgehen s. ebd., S. 6. 1342 S. dazu besonders ebd., S. 100–103. 1343 Ebd., S. 103 f.; für das Zitat s. S. 104. 1344 Ebd., S. 104. 1338
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
355
den edierten Text um ein „Nachwort“ zu ergänzen, das „prüfen soll, inwieweit die neuerdings in dieser Sache angeregten Fragen als durch die Nic. Müllersche Arbeit gefördert oder zum Abschluß gebracht werden können.“1345 Pallas’ letzte Anmerkung konstatierte kurz: „Wir müssen aus Raummangel darauf verzichten“.1346 Mit seinem Beitrag von 1915 veröffentlichte Pallas somit Müllers Ausführungen zur Beutelordung in einem Textbestand, der die Diskussion nur bis 1905 erfaßte und die nachfolgende Kontroverse mit ihren spezifischen Anfragen und Argumenten nicht berührte. Daß die spätere Forschung für die Beutelordnung als vorrangige und häufig einzige Literaturangabe auf Pallas’ Müller-Edition rekurrierte, hat seine sachliche Berechtigung: Editionsphilologisch bietet sie den exaktesten Text und die einzige Dokumentation der Varianten jener noch immer unaufgefundenen Abschrift1347. Hinzukommt die materiale Intensität der Müllerschen Einleitungsinformationen und Stellenkommentare. Zugleich bleibt mit einem exklusiven Rekurs auf Müller der letztlich anachronistische Charakter von dessen Studie unberücksichtigt1348. Die Verbesserungen in der Textgestalt nahmen freilich auch die Zeitgenossen Barges sehr schnell wahr. Unter diesen zögerte die vielleicht wichtigste fachliche Bezugsfigur von Barge, Otto Clemen, nicht, auf diesen Fortschritt sofort hinzuweisen.1349 Barge selbst sollte bei den Hauptthesen seiner früheren Darstellungen bleiben, wurde aber vermittelnder. Sein lexikalischer Anschlußartikel zu Karlstadt, der 1929 in der zweiten Auflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ erschien, thematisierte die Beutelordnung nicht mehr eigens und hob nur noch Karlstadts nicht näher bestimmten „Einfluß“ auf die Wittenberger Stadtordnung hervor.1350 Der Text sollte Barges letzter Beitrag zu Karlstadt bleiben.1351
1345 Ebd.,
S. 6. Ebd., S. 137, Anm. 2. 1347 Vgl. hierfür den betreffenden Abschnitt von Ernst Koch in WA, Bd. 59, S. 62, der eine sehr gute bibliographische Orientierung über die einschlägigen Forschungsbeiträge zwischen 1905 und 1915 bietet. 1348 Dies deutet sich etwa an in Junghans, Sermone, S. 523. In der Datierung und Zuschreibung schließt sich Kruse, Kirchenreform, S. 277 u. 363 an, ergänzt dies aber um eine vorzügliche Erfassung der Alternativpositionen ebd., S. 274, Anm. 265. 1349 Köhler/ Clemen, Jahresbericht 1911 [gedruckt 1915]: „Daß Lietzmann der ‚literarischen Einleitung zum Wittenberger Bildersturm‘ die von Barge, Karlstadt 2, 559 f. veröffentlichte Wittenberger Beutelordnung beigeführt hat, wird vielen willkommen sein […]. Die Korrekturen des Textes der Beutelordnung von K. Pallas […] sind nicht zu übersehen.“ 1350 Barge, Art. Karlstadt 1929. Barges Vorgängerartikel, Barge, Art. Karlstadt 1912, Sp. 943, bietet vergleichbare Formulierungen, ist jedoch ausführlicher in der Verhältnisbestimmung zwischen Luther und Karlstadt bei der Ausarbeitung der Stadtordnung. Eigens wird darin auch das Reformwerk von 1522 als Ausdruck jenes „laienchristlichen Puritanismus“ geschildert, den Barge 1929 erst summarisch am Ende seines gesamten Beitrags berührte. 1351 1952 wurde sein erster einschlägiger Text gleichwohl in einer englischen Übersetzung neu aufgelegt; vgl. dazu oben Anm. 331. 1346
356
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
2.5.16. Martin Wählers landesgeschichtlicher Anschluß an Barge und Müller (1918) Während die große akademische Auseinandersetzung um Barge beendet war, erschien 1918 ein kleines Bändchen des in Erfurt ansässigen Martin Wähler: „Die Einführung der Reformation in Orlamünde“.1352 Zielten Obertitel und Vorwort1353 auf ein landesgeschichtliches Publikum, kündigte der Untertitel eine Monographie zur Karlstadt-Luther-Kontroverse an: „Zugleich ein Beitrag zum Verständnis von Karlstadts Verhältnis zu Luther“. Wähler war der erste, der auf die Auseinandersetzung um Barge unter der Bezeichnung „des Luther= Karlstadtstreites“ einging.1354 Er versicherte den Leser seiner positionellen Unabhängigkeit und thematischen Eigenständigkeit: „In der Beurteilung der Vorgänge und ihrer Zusammenhänge gehe ich teilweise andere Wege als Barge und Müller. Außerdem scheint es mir geboten zu sein, auch einmal von Orlamünde als kirchlichem Mittelpunkt ausgehend, in einheitlicher Linienführung Karlstadts Reformen in dem Städtchen mit den vorreformatorischen Verhältnissen daselbst und der späteren kirchlichen Entwicklung bis zur offiziellen Einführung der Reformation in Orlamünde darzustellen. Daß ich die zahlreichen Beurteilungen des Luther=Karlstadtstreites dabei gebührend berücksichtigt habe, brauche ich nicht besonders hervorzuheben.“1355
Das erste Viertel seiner gut 130seitigen Monographie galt den spätmittelalterlichen Entwicklungen und damit vor allem der Bedeutung Orlamündes vor der Reformation.1356 Den Rest des Buches durchziehen Ausführungen zu Karlstadt. Wie sehr sich diese auf die Zeit in Orlamünde konzentrieren, illustrieren die Gewichtungen: 20 Seiten vor Ende1357 schilderte Wähler, wie Karlstadts Frau und Sohn Orlamünde verlassen mußten, nach weiteren fünf Seiten vermerkt er Karlstadts Tod in Basel1358. Die kirchlich konforme Einführung der Reformation in Orlamünde beschränkt sich auf eine Druckseite1359; die beiden Schlußseiten gelten lokalen Karlstadt-Legenden und der Verhältnisbestimmung zwischen Luther und Karlstadt1360. Was seine Literaturkenntnis angeht, bewegt sich Wähler auf allerhöchstem Niveau. Er bezieht nicht nur die einschlägigen monographi-
1352 Wähler,
Orlamünde. S. VII: „hier [wird] der Versuch gemacht, für einen kleinen Bezirk die kirchlichen und religiösen Verhältnisse vor der Reformation näher ins Auge zu fassen und zu zeigen, mit welcher Anteilnahme der Bevölkerung und unter wie großen Schwierigkeiten das Werk zustande kam. Dadurch wird das Interesse vieler ortsansässiger Kreise für das große Werk der Reformation gewonnen und gestärkt.“ 1354 Vgl. dazu oben Anm. 3. 1355 Wähler, Orlamünde, S. VIII. 1356 Ebd., S. 1–40 („I. Die vorreformatorischen Zustände in Orlamünde“). 1357 Ebd., S. 116. 1358 Ebd., S. 120. 1359 Ebd., S. 129 f. 1360 Ebd., S. 134 f. 1353 Ebd.,
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
357
schen Veröffentlichungen von Barge und Müller1361 ein. Ihm sind auch Köhlers Forschungsbericht von 19121362 und Boehmers Zusammenfassung in der letzten Fassung von 19171363 bekannt. Selbst Troeltschs „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ hatte er eingesehen.1364 Scheels Arbeiten zu Luther1365 waren ihm ebenso vertraut wie diejenigen zu Karlstadt1366. Von Pallas kannte er nicht die Edition der Beutelordnung, aber eine frühere Studie.1367 Seine Quellenkenntnis ist solide, was Editionen – auch der älteren Literatur – angeht. Auf eine Auflistung kann verzichtet werden, da sich erkennbar eigene Archivarbeiten nicht etwa auf Weimar, sondern auf Orlamünde beschränken.1368 Inhaltlich ist Wählers Selbsteinschätzung zutreffend: Er ging „andere Wege als Barge und Müller.“1369 Mit Barge, Müller und anderen der benannten Autoren ging Wähler jeweils ein Stück des Weges und schilderte Orlamünde im Licht der sich eröffnenden Perspektive. Orlamünde konnte so mit Troeltsch zum Ort von Sekte und Volkskirche1370 werden oder mit Scheel von Individualismus und Gemeinschaft1371. Die Pointe dieses synthetischen Ansatzes war es, daß Orlamünde zum „Mittelpunkt“1372 des reformatorischen Geschehens wurde, und für dieses Ziel benötige Wähler beide: Karlstadt und Luther. Seine Darstellung basiert auf einer reflektierten Problemanalyse, die ihren Ausgangspunkt bei Karlstadt und dem jungen Luther nimmt: „‚Wort‘ und ‚Geist‘ stehen nebeneinander, wie anfänglich bei Luther auch. Karlstadt hat beides zu verbinden gesucht. Deshalb läßt sich der Kampf zwischen Luther und Karlstadt auch nicht leicht mit geraden Strichen zeichnen. Es fehlt hier an einer klaren Auseinandersetzung zwischen beiden Männern. Dieser Kampf ist auch noch nicht zu Ende, er wird wahrscheinlich im Protestantismus dauernd geführt werden. Eine glatte, alle Seiten befriedigende Lösung wird nicht möglich sein. Denn der Kern= und Mittelpunkt dieser Streitfragen, die als Problem in der damaligen Auseinandersetzung Luthers mit Karlstadt zum ersten Male in der werdenden evangelischen Kirche auftauchen, ist das Verhältnis des Individualismus zur Geschichte und zum Organismus des großen Gemeinschaftslebens.“1373 1361 In dieser Anm. beziehen sich alle Seitenangaben auf Wähler, Orlamünde, und wählen nur exemplarische Referenzen aus. Für Barge, Karlstadt, s. ebd., S. 42, Anm. 1; für Freys / Barge, Verzeichnis, s. ebd., S. 117, Anm. 1; für Barge, Gemeindechristentum, s. ebd., S. 67, Anm. 1; S. 101, Anm. 2; für Müllers Abschlußvotum in Müller, Kirche, s. ebd., S. 77, Anm. 1; 1362 Für Köhler, Karlstadt, s. Wähler, Orlamünde, S. 106, Anm. 1. 1363 Für Boehmer, Luther 1917, s. Wähler, Orlamünde, S. 106, Anm. 2. 1364 Für Troeltsch, Soziallehren, s. Wähler, Orlamünde, S. 106, Anm. 2. 1365 Für Scheel, Luther, s. Wähler, Orlamünde, S. 101, Anm. 2. 1366 Für Scheel, Karlstadt, s. Wähler, Orlamünde, S. 43, Anm. 1; S. 106, Anm. 2. 1367 Für die hier bibliographierte Arbeit s. Wähler, Orlamünde, S. 46, Anm. 2. 1368 S. hierfür ebd., S. 116, Anm. 1. 1369 S. oben Anm. 1355. 1370 Wähler, Orlamünde, S. 108 f. 1371 Ebd., S. 107 f. 1372 Vgl. dazu in Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 30. 1373 Wähler, Orlamünde, S. 111 f.
358
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
Nur in einem zentralen Punkt widersprach Wähler Müller vehement: In Orlamünde habe es nie einen „Bildersturm“ oder gar „Aufruhr […] im politischen Sinne“ gegeben.1374 Wähler überführte den Konflikt somit in zeitlose Stukturkonstanten evangelischen Christentums, in denen die beiden an Karlstadt und Luther festgemachten Pole nicht als Oppositionen, sondern als jeweils neu zu integrierende Anliegen reformatorischer Identität verstanden werden. Vergleichbares unternahmen 1932 Hertzsch, der Wählers Studie voraussetzte1375, und Sider 1978, der sich auf Hertzsch und Wähler bezog1376. Wie aber kam Wähler, der 1912 mit einer altphilologischen Arbeit in Jena promoviert wurde1377 und später als Volkskundler und Kulturgeschichtler arbeiten sollte1378, dazu, einen theologisch so inklusiven Blick auf Orlamünde zu richten? Die Antwort dürfte leicht fallen: 1889 wurde er dort geboren.1379 Seine Monographie zum „Luther=Karlstadtstreit“ hatte er mit gerade 28 Jahren in den Druck gegeben. Sie blieb das vorletzte Votum zur Sache. 2.5.17. Gustav Kaweraus posthum gedruckte Rezension von Wähler in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ (1920) Das letzte Wort stammte von dem Mann, der die literarisch einflußreichste Stellungnahme und Zusammenfassung geliefert hatte. Gustav Kawerau war bereits am 1. Dezember 1918 in Berlin gestorben, aber noch in seinem Todesjahr hatte er die Neuerscheinung von Wähler rezensiert. Erst 1920 wurde Kaweraus Anzeige in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“ gedruckt, die auch seine beiden früheren Beiträge zur Karlstadt-Luther-Kontroverse geboten hatte. Der Autor wurde von der Redaktion als verstorben angezeigt („†“1380). Aufgrund der sonst hohen Aktualität des wöchentlich erscheinenden Periodikums liegt die Vermutung nahe, daß der Kawerausche Text in dessen Nachlaß aufgefunden und mit einer zeitlichen Verzögerung von gut einem Jahr zur Drucklegung eingereicht wurde. Bereits mit seinem Einleitungssatz öffnete Kawerau den Fokus seines Beitrags von der Lokalgeschichte zur zentralen inhaltlichen Frage: „An Orlamündes Reformationsgeschichte sind wir interessiert durch Karlstadt und seinen Konflikt 1374 Ebd.,
S. 83, Anm. 1; S. 103. hierfür s. ebenfalls in Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die
1375 Exemplarisch
Anm. 30. 1376 Für Wähler vgl. alleine in der Monographie von Sider, Karlstadt 1974, S. 183, Anm. 34; S. 189, Anm. 54; S. 194, Anm. 75. Für Hertzsch und Wähler s. ebd., S. 191, Anm. 61. Für den programmatischen Anschluß von Sider an Hertzsch s. in Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 43 und 78 f. 1377 S. dazu Wähler, Varronis. 1378 Anon., Art. Waehler, Sp. 2184 (DBA, T. 2, Fichenr. 1353, S. 444). 1379 S. dazu den Lebenslauf in Wähler, Varronis, S. [71] („Vita“), sowie Anon., Art. Waehler, Sp. 2184. In Leipzig war Wähler laut Selbstauskunft in Wähler, Varronis, S. [71] („Vita“), Schüler u. a. von Lamprecht und dessen Schüler Kötzschke. 1380 Kawerau, Rez. Wähler, Sp. 114.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
359
mit Luther, der denn auch den Hauptinhalt der Schrift bildet.“1381 Den Wert von Wählers Arbeit würdigte Kawerau in einer bemerkenswerten Begrenzung auf Karlstadt: „Die Darstellung von Karlstadts Wirksamkeit beruht auf selbständiger Durchforschung der Akten wie der Literatur.“1382 Den ausgleichenden Ansatz von Wähler, Karlstadt und Luther zu würdigen, nahm Kawerau durchaus wahr. Er wollte sich jedoch nicht mit einem Punktsieg für Luther zufrieden geben: „Wähler gibt zwar letzten Endes Luther Recht, denn Karlstadts Position hätte nur zur Sektenbildung führen können, Luthers ‚Inkonsequenz‘ ermöglichte die Weiterentwicklung des Protestantismus, sie behütete ihn vor Erstarrung und Gesetzlichkeit. Aber in dem Zusammenstoß beider muß er Karlstadt Recht geben, auf Luthers Seite sieht er Vorurteile, Inkonsequenzen, falsche Anschuldigungen und den Nebengedanken, für sich selbst die Orlamünder Pfarre zu erlangen (S. 87).“1383
Der letztgenannte, abstrus anmutende Gedanke findet sich keineswegs bei Wähler, weder an der angegebenen noch an einer anderen Stelle, wohl aber die These, an der Kawerau besonderen Anstoß nahm: die friedlichen Umstände der Orlamünder Reformen. Scharf interpretierte Kawerau den Brief der Orlamünder als „die Sprache eines fanatisierten Haufens.“1384 Positionell verteidigte Kawerau damit nicht nur Müller gegen Wähler, sondern Luthers Visitation gegen die Gemeinde von Orlamünde und gegen Karlstadt. Dessen Reformen mußten für Kawerau nicht im Kontext einer Frage von „politische[n] Gewalttat[en]“ nach Müntzerschem Muster verstanden werden, um revolutionär zu sein: „Karlstadts Beseitigung der Kindertaufe war doch schon allein der Gesamtkirche gegenüber ein revolutionärer Akt. So wäre manches zu nennen, um Luthers Verhalten gegen Karlstadt zu erkären.“1385 Nicht nur um das historische Detail ging es Kawerau – es ging ihm um die Interpretation des Gesamtbildes. Sein Schlußsatz zur Karlstadt-Luther-Kontroverse erwartete künftige Korrekturen: „So scheint mir auch W.[ähler]s Schrift noch nicht ganz das letzte Wort zur Beurteilung des Verhaltens Luther gegen Karlstadt und Orlamünde gesprochen zu haben, wenn sie auch beachtet zu werden verdient.“1386 Kawerau behielt Recht. 14 Jahre nach Wähler sollte ein anderes Landeskind, Erich Hertzsch, in seiner Jenaer Dissertation nur einen ganz beiläufigen Bezug auf Wähler herstellen1387, im ganzen aber einen vergleichbar vermittelnden theologischen Ansatz vertreten und ebenso stark auf die reformatorische Relevanz der lokal‑ und landesgeschichtlichen Ereignisse von Orlamünde abheben. 1381
Ebd., Sp. 113.
1382 Ebd. 1383 Ebd. 1384 Ebd.
1385 Ebd., 1386 Ebd. 1387
Sp. 114.
Die einzige Stelle, die ich finde, ist Hertzsch, Karlstadt, S. 58, Anm. 2.
360
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
2.5.18. Zusammenfassung – summarische Rückblicke, Barges letztes Votum und materiale Aufschlüsse Hatte Müllers Schlußwort an Barge den publizistischen Austausch mit diesem Mitte 1910 rückhaltlos beendet, überführte Kaweraus Aufsatz vom November dieses Anliegen in einen Appell an das Publikum, jede weitere Auseinandersetzung mit dem Leipziger Historiker als inhaltlich unergiebig einzuschätzen. Spätestens damit war die Debatte in der öffentlichen Wahrnehmung beendet. Dies schlug sich in einer Vielzahl zusammenfassender Stellungnahmen nieder, die zwischen 1910 und 1915 den unterschiedlichsten literarischen Gattungen zuzuordnen sind. Der zügigste Reflex findet sich in einer akademischen Qualifikationssschrift (der Leipziger Dissertation von Volk), der formal unauffälligste in den „Soziallehren“ von Troeltsch und die letzte einschlägige Schilderung in einer historischen Gesamtdarstellung (Pastors Überarbeitung von Janssens deutscher Geschichte). Am häufigsten wurden Forschungs‑ oder Literaturberichte aufgesetzt (seit 1910 durch Boehmer und 1912 von Pallas sowie Wolff), unter denen Koehlers Beitrag für die „Göttingische[n] gelehrte[n] Anzeigen“ (ebenfalls 1912) in seinem Umfang und seiner wirkungsgeschichtlichen Bedeutung herausragt. Die monographische Veröffentlichung von Nikolaus Müllers Edition zur „Wittenberger Bewegung 1521 und 1522“ trug 1911 dazu bei, daß die von Karl Müller und Barge unterschiedlich bewertete Zeit der Wittenberger Unruhen in materialer Hinsicht als abschließend bearbeitet angesehen wurde. In eingeschränkter Kenntnis der Debattenlage gab Lietzmann im selben Jahr nochmals Barges Fassung der Wittenberger Beutelordnung heraus, was Barge motivierte, auf Nikolaus Müller 1912 mit einer eigenen Quellenkompilation zu antworten. Barges Versuche, Koehler 1912 und 1913 zu einer Replik zu veranlassen, schlugen fehl, weshalb die Entscheidung nahelag, 1914 mit einem eigenen Schlußwort zur Debatte hervorzutreten. Der Text zeichnet sich durch Kontinuitäten in dem wissenschaftlichen Selbstverständnis und der argumentativen Linienführung aus, ist aber auch von einer überraschenden Nüchternheit, in der Veränderungen der eigenen Positionen bilanziert wurden. Äußere Zustimmung erfuhr Barge zwischen 1910 und 1914 allenfalls noch punktuell, wie 1911 vom „American Journal of Theology“ oder 1912 durch Troeltsch. Die fast ein Jahrzehnt bestimmende Frage nach der vollständigen Quellenlage der Wittenberger Beutelordnung wurde 1915, drei Jahre nach Nikolaus Müllers Tod, durch dessen Nachlaßverwalter Karl Pallas beantwortet. Das von Hermelink 1907 in Aussicht gestellte Luther-Autograph gab es nicht, worin sich Barges Reserven gegenüber Hermelinks Ausführungen rückblickend als berechtigt herausstellten. Zugleich war Nikolaus Müller auf äußere Indizien für eine Frühdatierung der Beutelordnung gestoßen, die in Pallas’ Veröffentlichung jener Müllerschen Aufzeichnungen eingingen, die 1915 in aller Vorläufigkeit und Unvollständigkeit einen Diskussionsstand vor 1905
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
361
und damit ohne Berücksichtigung der Argumente von Karl Müller und Barge dokumentierten. Für die spätere Wahrnehmung der Kontroverse dürfte jedoch nicht zu überschätzen sein, daß nach der Edition zur „Wittenberger Bewegung“ von 1911 mit den Ausführungen zur Beutelordnung von 1915 ein weiterer Beitrag von Nikolaus Müller material abschließend am Ende zu stehen schien, womit künftige Diskussionen sich erübrigten. Nur in landesgeschichtlicher Hinsicht wurde 1918 der ambitionierte Ansatz einer theologischen Synthese gewagt. Das Buch verhallte in den Wirren des letzten Kriegsjahres ohne Echo. Allein Kawerau nahm es zum Anlaß, die Debatte wieder eröffnen zu wollen. Aufgrund seines Todes blieb sein Beitrag jedoch ungedruckt und erschien zwei Jahre später in der „Deutsche[n] Literaturzeitung“. Von dort nahm die Kontroverse keinen Neuanfang, während der Weg von Wähler direkt zum Ausgangspunkt der theologischen Karlstadt-Forschung nach Barge führt.
2.6. Der persönliche Abschluß – Barges später Kontakt zu Müller (1935 f.) Zwischen Barge und Müller endete die Kontroverse in Schweigen. 1910 hatte der Tübinger Kirchenhistoriker über den Karlstadt-Biographen angekündigt: „Auf weitere Erörterungen von seiner Seite werde ich nicht eingehen.“1388 Immerhin 1930 würdigte der fast achtzigjährige Gelehrte die frühere Auseinandersetzung nochmals im autobiographischen Rückblick „Aus der akademischen Arbeit“ mit jener sachlichen Reminiszenz, er habe „zu großen Fragen der Reformationsgeschichte Stellung nehmen“ müssen.1389 Barge seinerseits erlebte nach der Pensionierung vom Schuldienst seit Mai 19341390 einen zweiten wissenschaftlichen Frühling. Bereits geschildert wurde, wie strukturiert er seine Studie zu Strauß archivalisch und bibliographisch vorbereitete, während er sich zeitgleich um eine fachliche Vernetzung bemühte und von Brandi erbat, auf dem Breslauer Historikertag sprechen zu dürfen.1391 Der erste monographische Niederschlag war die Arbeit zu „Luthers Zart gefühl“1392, die 1935 gedruckt wurde1393. Allein der Titel kontrastierte auffällig zu den Charakterzügen, die Barge 1905 an Luther herausgestellt hatte. Auf sehr 1388 Vgl.
dazu oben Anm. 1025. Vgl. dazu oben Anm. 565. 1390 S. oben Anm. 41. 1391 S. oben Anm. 156. 1392 S. dazu und zu den folgenden Hinweisen oben die Anm. 235 f. 1393 Der Druck ist undatiert. Ein Beleg für das in den Bibliothekskatalogen mit 1935 angegebene Erscheinungsjahr ist der Brief von Elisabeth Barge an Otto Clemen, 28. Dezember 1935 (Privatbesitz), Bl. 2r: „Manches Luther[‑]Büchlein haben wir ausgeschickt, u.[nd] schon manches freundliche Urteil haben wir gehört.“ 1389
362
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
subtile Weise trat der kleine Band freilich für ein vergleichbares sozialethisches Ideal ein, wie es Barge für Karlstadt kirchen‑ und lokalpolitisch erhoben hatte, für Luther nun aber stärker individualethisch aus den persönlichen und familären Dimensionen des Briefwechsels schilderte. Von der Luther-Forschung wurde das Büchlein freundlich angenommen. Die „Deutsch-Evangelische Wochenschau“ würdigte noch Jahre später das beherzte Eintreten gegen den klassischen Grobianismus-Vorwurf 1394, und auch der seit 1935 in Leipzig wirkende Heinrich Bornkamm schenkte seinem Bruder Günther ein Exemplar.1395 Karl Müller gehörte zu den ersten Lesern des Buches. Dies geht aus einem handschriftlichen Brief Barges vom 15. Januar 1936 hervor, der sich in Müllers Handexemplar seiner Monographie gegen Barge erhalten hat. Müller pflegte in seine eigenen Veröffentlichungen sachbezogene Materialien und persönliche Erinnerungsstücke einzulegen oder einzukleben. Bevorzugt schloß er Illustrationen ein, indem er Ansichtskarten mit gummierten Papierstreifen zwischenschoss1396 oder in Falttaschen des Nachsatzes1397 aufbewahrte. In „Luther und Karlstadt“ integrierte Müller verschiedene Postkarten mit Ortsbezug zu einzelnen Kapiteln oder Exkursen. Aus Orlamünde stammt eine Karte von unbekannter Hand von 19071398; im selben Jahr setzte auch Heinrich Hermelink in Leisnig einen Gruß auf einer Ansichtskarte auf und regte an, daß dieser von den weiteren Mitgliedern der Leipziger Fakultät unterzeichnet wurde.1399 Eingeklebt wurde auch der handschriftliche Literaturhinweis auf Wählers Monographie von 1918.1400 Barges Schreiben von 1936 legte Müller lose ein. Wahrscheinlich dokumentiert es die letzten Worte, die zwischen den beiden vormaligen Kontrahenten gewechselt wurden. Aufgrund dieser besonderen Bedeutung wird der volle Wortlaut des Briefes geboten:
1394 S.
dazu oben Anm. 236. dazu den Besitzvermerk in Barge, Zartgefühl. 1396 Dafür s. besonders das Arbeitsexemplar von Müller, Luther. 1397 Vgl. hierfür das Handexemplar von Müller, Pfarrkirche. Darin verwahrte Müller eine gefaltete Karte von Esslingen im Groß-Oktav; vor den Titel ließ er einen Kupferstich von Eßlingen aus dem Bibliographischen Institut in Hildburghausen einbinden und klebte auf den Nachsatz eine Papiertasche, die acht Postkarten aus Esslingen enthielt. 1398 Die Karte dürfte nach dem zweifachen, in beiden Fällen aber nicht eindeutig aufzulösenden Poststempel auf den 22. Februar 1907 datieren und ist in Müller, Luther, zwischen die S. 136 und S. 137 eingebunden. Unterzeichnet wurde der knappe Gruß mit der Initiale G. (mit charakteristisch kurzer Unterlänge). Aus Autor auszuschließen ist Gustav Kawerau, von dem als Handschriftenproben die Briefe und Postkarten an Wilhelm Meyer in Göttingen herangezogen wurden: Niedersächsische SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Meyer III, Nr. 2–4c. 1399 S. dazu die am 18. Mai 1908 abgestempelte Karte zwischen den S. 220 und S. 221 in Müller, Luther. 1400 Die Notiz wurde mit gummiertem Papier über der in Anm. 1398 erwähnten Karte, ebd., zwischen den S. 136 und S. 137 befestigt. 1395 Vgl.
2. Kritische Reflexe auf die Karlstadt-Biographie (1905–1920)
363
„Leipzig […] d. 15. Jan. 1936 Elisenstr. 98 Hochgeehrter Herr Professor! Wenn auch Ihr Schreiben an mich nichts mehr übrig läßt, was der sachlichen Klärung bedürfte, so möchte ich doch meiner hohen Freude über seinen Inhalt Ausdruck geben. Ist doch meine bescheidene Sendung an Sie von Ihnen ganz so aufgenommen worden wie ich es erhofft hatte. Zugleich lassen Ihre gütigen und liebevollen Worte erkennen, daß nicht nur ehemalige Unstimmigkeiten getilgt sind, sondern daß ich auch bei meiner jetzigen wissenschaftlichen Tätigkeit mich in der Grundgesinnung eins mit Ihnen wissen darf. Für Ihre über mein Lutherbüchlein gesagten Worte sei Ihnen noch mein besonderer Dank ausgesprochen. Möge die geistige Frische und Unmittelbarkeit, die aus Ihren Worten und Urteilen hervortritt, neben körperlicher Rüstigkeit Ihnen so lange erhalten bleiben, wie eine gütige Vorsehung Ihre Lebenszeit bemißt. In dankbar herzlicher Gesinnung Ihr Hermann Barge“1401
Das Schreiben läßt sich kaum anders interpretieren, als daß Barge nach einem Vierteljahrhundert das von Müller auferlegte Schweigen gebrochen und sich brieflich während der zweiten Jahreshälfte 1935 an den Tübinger Gelehrten gewandt hatte. Darin dürfte Barge von seinen wissenschaftlichen Vorhaben berichtet und sich durch eine „bescheidene Sendung“ jüngerer Veröffentlichungen ausgewiesen haben. Vorstellbar ist, daß das Schreiben demjenigen an Brandi von 1934 darin nicht unähnlich war, daß es von der Pensionierung, der letzten beruflichen Station und den gegenwärtigen Forschungsinteressen berichtet haben könnte.1402 Daß Barge sich primär mit seinen Vorarbeiten zu Strauß gegenüber Müller habe empfehlen wollen, ist unwahrscheinlich. Zu groß waren die thematischen Ähnlichkeiten zu Karlstadt in der auch von Strauß vollzogenen Abkehr von Luther und zu augenfällig mußten die Parallelen in den methodischen Vorbereitungen sein, für die gerade das 1935 erschienene bibliographische Verzeichnis im „Archiv für Reformationsgeschichte“ stand1403. Um so wichtiger dürfte es Barge gewesen sein, eine gemeinsame „Grundgesinnung“ aus dem „Lutherbüchlein“ ableiten zu können, auf das Müller zustimmend reagierte. „Luthers Zartgefühl“ mußte Teil, wenn nicht sogar Hauptinhalt der Anlagen von Barges Eröffnungsschreiben gewesen sein. In persönlicher Hinsicht schlossen die beiden Forscher Mitte Januar 1936 mit einer Aussöhnung. Daß dies zu Lebzeiten ermöglicht würde, mochte Barge ein eigenes Anliegen gewesen sein. Nach Briegers Tod 1915 unternahm er eine intensive Lektüre von dessen letzter Schrift „Martin Luther und wir“ und be1401 Barge
an Müller, 15. Januar 1936, erhalten in: Müller, Luther. dazu oben Anm. 156. 1403 Vgl. dazu oben Anm. 153 und 155. 1402 Vgl.
364
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
mühte sich aufrichtig, den Text als Ausdruck einer „ungewöhnlichen Wärme“ und „allerpersönlichste[n …] Glaubenserfahrung“ zu interpretieren1404. Seine Erbitterung über die erfahrene Ablehnung brach aber 1918 nochmals vollauf durch.1405 Den ersten Schritt zur Aussöhnung mit dem hochbetagten Müller hatte Barge unternommen. Zugleich war er es, der das letzte Wort sprach. Seine Grußformel und Wohlergehenswünsche deuten eine dauerhafte Verabschiedung an, die als solche auch Müllers Handexemplar mit der Aufbewahrung dieses Schreibens dokumentieren mag. Die vollzogene Aussöhnung dürfte damit für beide vor allem eines gewesen sein: ein persönlicher, einvernehmlicher Abschluß.
1404 S. hierfür die vorletzte Rezension von Barge in den „Mitteilungen aus der historischen Literatur“, die 1918 erschien: Barge, Rez. Brieger, S. 32. 1405 S. hierfür die zweite Hälfte der benannten Rezension, ebd., S. 33 f. Dort heißt es über Brieger u. a.: „Er folgt […] der Praxis, die bei den protestantischen Kirchenhistorikern ganz allgemein üblich ist. In fast zelotischem Eifer werden von ihnen alle Zeitgenossen Luthers, die […] auf selbständigen Wegen […] ausstrebten, bekämpft und ‚widerlegt‘. Man beruft sich ihnen gegenüber auf die Überlegenheit des Lutherischen Religionsbegriffes auch da, wo dieser gar nicht zur Diskussion steht. Wenn Luther behauptet, im heiligen Abendmahl werde der Leib des Herrn ‚mit Zähnen zerbissen‘, so muß diese Meinung – obschon auf katholisch-mittelalterlichen Vorstellungen beruhend – doch um jeden Preis tiefsinniger sein als die Karlstadts […].“ Barge mahnte an, man möge „damit Ernst mach[en …], unter Preisgabe des bisherigen theologischpolemischen Floskelwerkes die verschiedenen geistigen Strömungen des Reformationszeitalters […] ohne Voreingenommenheit zu analysieren“, und forderte „die Theologen“ dazu auf, „ganz allgemein die Werke jener Männer, über die sie mit abfälligen Urteilen so rasch bei der Hand sind, einmal wirklich lesen [zu] woll[en]“.
3. Tendenzen der „Karlstadt-Luther-Kontroverse (1905–1920)“ in thetischer Zusammenfassung Überblickt man nach der publizistischen Zäsur 1920 und dem persönlichen Abschied des Januars 1936 die Kontroverse im ganzen, lassen sich einzelne Tendenzen thesenhaft zusammenfassen, bevor die mit dem Jahr 1932 einsetzenden Folgeentwicklungen der neueren Forschungsgeschichte zu skizzieren sind. Summarisch überlegen ließe sich, ob die Auseinandersetzung um Barge die größte reformationsgeschichtliche Debatte zu Beginn des Jahrhunderts gewesen sei. In Ermangelung vergleichbarer Erhebungen zu den Kontroversen um Janssen, Denifle, Troeltsch oder Grisar wird sich die Frage nicht beantworten lassen.1406 In der Wahrnehmung von Zeitgenossen stand die apologetische Verwahrung gegen Denifles Luther-Bild im Vordergrund der reformationsgeschichtlichen Forschung. Dies konstatierte und verbreitete der auflagenstärkste Forschungsbericht zu Luther in der ersten Jahrhunderthälfte zwischen 1906 und 19181407. Im besagten Literaturbericht ist gleichwohl zu beobachten, wie sich zwischen 1906 und 1910 die Auseinandersetzung mit Barge faktisch vor diejenige mit Denifle drängte. Auch die forschungsinitiatorischen Publikationsstrategien des „Verein[s] für Reformationsgeschichte“ koordinierten seit 1911 eine historiographische Apologetik gegen Denifle, die jedoch erst von dem eben 1911 erschienenen Lutherbuch Grisars angestoßen wurde.1408 Die von Kawerau 1906 1406 Eine zeitnahe qualitative Einschätzung, auf die erstmals Kruse hinwies (s. dazu oben Anm. 405), bot Hashagen, Lutherforschung, S. 632. Hashagen benannte Barge als den ersten, der es „im protestantischen Lager […] wagte, aus der Reihe zu tanzen und als Kritiker Luthers aufzutreten“. Für die zeitliche Folge diskutierte Hashagen, ebd., S. 632–634, Paul Kalkoff, Paul Wappler, Hermann Wendorf und Ernst Troeltsch, dem es, ebd., S. 633, „[a]m schlechtesten erging“. 1407 S. dazu oben Anm. 1073. 1408 Die Initiative als solche dokumentiert die „Vorbemerkung“ von Köhler, Lüge, o. P. „Über ‚Luther und die Lüge‘ zu schreiben, wurde mir von dem Vorstand des Vereins für Reformationsgeschichte angeboten, als dieser Monographien zur Rechtfertigung Luthers gegenüber den Angriffen des Denifleschen Buches auf sein Programm setzte. […] So steht diese Schrift unter dem Zeichen der Apologetik.“ Die erste und einzige einschlägige weitere Veröffentlichung in dem benannten Zeitraum und publizistischen Zusammenhang ist: Kawerau, Beleuchtung, der auf S. 1 einleitend auf die Veranlassung durch das vor „[v]or wenigen Wochen […] erschienen[e]“ Buch von Grisar beruft, dem auch der erste ausführliche Teil der Darlegung gilt. Koch, Kawerau, S. 39, rekonstruiert, daß Kawerau die seit 1903 zurückgehenden Mitgliederzahlen des „Verein[s] für Reformationsgeschichte“ 1908 mit einer nicht ausreichend scharf geführten „Auseinandersetzung mit dem Lutherbild von Heinrich Denifle“ in Verbindung brachte.
366
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
publizistisch begonnene und 1910 beendete kirchenhistorische Zurückweisung Barges steht dem chronologisch voran und ist in ihren diskussionsbestimmenden Kurzbeiträgen, der fachwissenschaftlichen Lektorierung von Karl Müllers Monographie gegen Barge sowie der editorischen Betreuung der von Nikolaus Müller herausgegebenen Archivalien zur „Wittenberger Bewegung“ zunächst durch den „Verein für Reformationsgeschichte“ direkt mit dessen Vorsitzendem in Verbindung zu bringen. So wenig Karl Müllers offensichtliche Bedeutung für die Abwehr von Barge zu unterschätzen ist, so wenig ist die Rolle Kaweraus zu überschätzen. Noch kurz vor seinem Tod 1918 bemühte er sich um eine Wiederbelebung der Debatte, die sich nun gegen Martin Wählers differenzierten Anschluß an Barge richten sollte. Daß Barges Arbeit „vernichtet“ sei, vermeldete Karl Holl bereits im Februar 1908. In einer bemerkenswerten Geschwindigkeit setzte sich eine pejorative Charakterisierung der Biographie als „Ehrenrettung“ Karlstadts gegen den vorsorglichen Widerspruch Barges durch. Dieser hatte noch im „Vorwort“ seines Eröffnungsbandes beteuert: „Wenn in unserm Buche Karlstadt eine weit bedeutsamere Rolle zufällt, als ihm bisher zugestanden ist, so darf der Grund dafür nicht in dem Bemühen des Verfassers gesucht werden, eine persönliche Ehrenrettung seines Helden zu unternehmen.“1409 Schon der zweite Rezensent, Paulus, erklärte in aller Deutlichkeit, Barge habe eine „Ehrenrettung“ vorgelegt1410, bevor Cohrs und Koehler sich diesem Urteil weniger direkt und weitaus zurückhaltender anzunähern begannen1411. Für Kawerau stand die Einschätzung schließlich so fest, daß er sie nicht mehr eigens begründen mußte.1412 Zwischenzeitlich hatte sich allein Clemen um eine positive Aufwertung des Begriffs in einem apologetischen Kontext bemüht: „So war eine Ehrenrettung K.[arlstadt]s eine Pflicht der reformationsgeschichtlichen Forschung.“1413 Bei aller anfänglichen Wertschätzung der Bargeschen Arbeit stand für das Gros der Rezensenten spätestens 1906 fest, daß Barge eine tendenziös gestaltete „Ehrenrettung“ vorgelegt habe. Barges politisches Ideal einer freien Selbstbestimmung korrespondierte zu einer religiösen Autonomiekonzeption, die ekklesiologisch sowie kirchenorganisatorisch einzig einen von mündigen Individuen getragenen Kongregationalismus zuließ. Dies näherte Barge Theologen an, die Vereins‑ oder Verbandsstrukturen als Grundlage sozialen Engagements zu erschließen suchten, entfernte ihn aber von Befürwortern amtskirchlicher Institutionalisierung. Auffällig ist, daß kein einziger Vertreter der liberalen Theologie für Barge Partei nahm und sich nur parteipolitisch organisierte Liberale, wie Friedrich Naumann oder Friedrich Cauer, für die mit der Biographie vertretenen kirchenpolitischen Positionen ein1409 Barge,
Karlstadt, T. 1, S. [V]. oben Anm. 418. 1411 S. dazu oben die Anm. 462 u. 547. 1412 S. oben Anm. 523. 1413 Clemen, Rez. Barge 1905, S. 285. 1410 S.
3. Tendenzen der „Karlstadt-Luther-Kontroverse (1905–1920)“
367
setzten. Harnack blieb, bei aller organisatorischen Nähe zu Naumann und bei allen gemeindechristlichen Affinitäten, auf fachlicher Distanz zu Barge. Troeltsch grenzte sich mit seinen „Soziallehren“ in Teilen von Barge ab, während Barge an Troeltsch argumentativ und begrifflich in einem höheren Maße anschloß, als er selbst äußerlich kenntlich machte. Nach den Anfangsjahren eines programmatischen Rekurses auf Troeltsch als methodisch innovative und gleichermaßen kontroverse Parallelerscheinung folgte bei Barge eine Spezifizierungsphase des eigenen Profils, bevor die deutlichsten terminologischen Anleihen bei Troeltsch in Barges Schlußvotum zur Debatte auszumachen sind. Troeltschs erster Biograph, sein Schüler Walther Koehler, mochte die Wahlverwandschaft wahrgenommen haben, indem er sich von seinem ersten bis zu seinem letzten Beitrag zur Debatte um eine streng fachliche, gerade darin aber wissenschaftlich sensible Vermittlung Barges bemühte. Troeltsch selbst suchte in seinen Soziallehren 1912 einen differenzierten Anschluß an Barge, indem er dessen Lutherbild rezipierte und der These calvinistischer Elemente in der Theologie Karlstadts moderat zustimmte. In seiner archivalischen sowie bibliographischen Materialarbeit und literarischen Stilistik wurde Barge selbst von seinen schärfsten Kritikern gepriesen. Methodische Kritik galt jedoch schon früh kleineren Unachtsamkeiten in der Handschriftenerschließung oder Datierung einzelner Dokumente. Besonders die Rezension des Historikers Felician Gess von 1905 meldete entsprechende Bedenken an. Die von Karl Müller 1910 gebotene Vorführung des minutiösen Vergleichs einer Bargeschen Transkription mit dem betreffenden Bezugstext1414 mochte einen desaströsen Eindruck vermitteln, beschränkte sich zu einem nicht unerheblichen Teil aber auf Unterschiede in den editionsphilologischen Grundauffassungen. Daß sich die quellenkritische Diskussion sehr schnell auf die Chronologie der reichspolitischen Entscheidungen im Frühjahr 1522 und die Genese der Wittenberger Beutelordnung konzentrierte, hing nicht nur mit dem Provokationspotential der Bargeschen Hauptthesen zusammen, obgleich Clemens Erstrezension belegt, daß der zu erwartende Widerspruch an genau diesen Punkten auch für Barge absehbar gewesen sein mußte. Die Frage nach der Beutelordnung rückte unter allen Kritikern zunächst Hermelink in der Vordergrund, der damit ein zentrales Kapitel von Karl Müllers wenig später folgender Monographie vorankündigte. Barge reagierte, indem er die Beutelordnung in das Zentrum eines eigenen Aufsatzes stellte und dieses Vorgehen 1912 gegenüber Köhler wiederholte. Barge leistete somit seinen eigenen Beitrag dazu, daß die Debatte um Karlstadt vielleicht über Gebühr von Einleitungsfragen zur Beutelordnung bestimmt wurde. Offen muß bleiben, zu welchen Anteilen diese Entwicklung von Barges Interessen an dem Sozialreformer Karlstadt befördert worden war, die für seine Erstbeschäftigung mit Karlstadt mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit als maßgebend herausgearbeitet werden konnten. Barge 1414
S. dazu oben Anm. 1019.
368
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
selbst erachtete seinen Quellenfund des Jahres 1900 als einen seiner bedeutendsten, der allenfalls noch von der Wiederauffindung des Augustin-Kommentars überboten wurde, dessen Auswertung er im Zuge der bereits fortgeschrittenen Drucklegung seiner Biographie jedoch deutlich vernachlässigte. Keine Hinweise finden sich darauf, daß Barge in der Beutelordnung die Chance sah, die ausufernde Debatte auf eine textorientierte Quellenkritik neu zu fokussieren. Als Grundmuster der Bargeschen Diskussionsbeiträge zeichnet sich vielmehr ihr reaktiver Charakter aus. Dies gilt für die thematischen Beschränkungen, die vergleichsweise seltenen Wechsel des jeweiligen Veröffentlichungsortes von einem Periodikum in ein anderes, vor allem aber für Barges Vorliebe, die literarischen Gattungen der einzelnen Kritiken mit seinen eigenen Beiträgen gleichermaßen zu reduplizieren. Daß er auf Rezensionen mit „Erwiderung[en]“ antwortete, war naheliegend. Diese in Aufsätze und Anhangstücke späterer Monographien auszuweiten, mochte auch eine nachvollziehbare Entwicklung sein. Auf eine Monographie jedoch monographisch zu antworten und auf eine Edition mit einer Edition, verrät eine eigene publizistische Konsequenz darin, das jeweils gewählte literarische Format zu adaptieren. Dieses Vorgehen läßt sich auch in den Gliederungsaufrissen von Barges Repliken beobachten. Mit einer im einzelnen klugen Bereitschaft zu synthetischen Zusammenfassungen wiederholte er überwiegend doch die Themenkomplexe und Anordnungsmuster, die der jeweilige Kritiker vorgegeben hatte. Selbst den bemühtesten Lesern gelang es nach 1909 kaum noch, in Barges Ausführungen mehr als einen nur grundsätzlichen Widerspruch zu erblicken, der in vitaler Produktivität frühere Inhalte und literarische Formen zu iterieren schien. Thematisch führte die Kontroverse mit Müller dazu, daß sich die Diskussion der Karlstadt-Biographie, wie Ulrich Bubenheimer treffsicher bemerkte, „hauptsächlich auf Karlstadts Auseinandersetzungen mit Luther ab 1521“1415 konzentrierte. Was die Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther betraf, wurde in der Debatte zudem nur ein Bruchteil der Erklärungsmuster berührt, die Barge für die Anlage und Ausbildung der folgenreichen Differenzen gesammelt hatte. Die als Forschungsdesiderat von Kolde 1884 beklagte Lücke einer KarlstadtBiographie war mit Barges Buch von 1905 auf absehbare Zeit geschlossen worden. Kolde selbst hatte nach ausdrücklicher Rückfrage von Barge bereits 1898 von dem eigenen Vorhaben abgesehen, eine Lebens‑ und mögliche Werkgeschichte Karlstadts vorzulegen. Den Charakter, den eine Koldesche Biographie Karlstadts angenommen hätte, und die forschungsgeschichtlichen Folgeentwicklungen abzuschätzen, bleibt sicher keine reine, aber doch überwiegende Spekulation. Sollte Barge der Karlstadt-Forschung „mehr geschadet als genützt“ haben?1416 Oder 1415 Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 1, Anm. 2; wortidentisch mit ders., Karlstadt 1977, S. 5, Anm. 12. 1416 Die Frage und Formulierung verdanken sich Bernd Moeller mündlich am 14. März 2012. Moeller machte die Überlegung an dem Umstand fest, daß nach Barge keine Initiativen in Rich-
3. Tendenzen der „Karlstadt-Luther-Kontroverse (1905–1920)“
369
verhält es sich umgekehrt so, daß, mit den Worten von Max Steinmetz, „[d]er von Karl Müller erbittert geführte Streit […] mehr Schaden als Nutzen gestiftet“ habe?1417 Um Ausgleich bemühte Beobachter, wie Cohrs 1908 oder Koehler 1912, regten folgenlos eine überarbeitete Zweitauflage an. Zugleich stand auch für die erbittertsten Gegner fest, daß Barges Materialarbeit die Karlstadt-Forschung auf eine neue Stufe gehoben hatte. Kein anderer als Brieger prophezeite: „für immer wird, was die Herbeischaffung des Materials für Karlstadt und die Durchforschung seines Lebens anbelangt, dieses Werk die von Allen geschätzte Grundlage bleiben.“1418 Dies führte zu der merkwürdigen Asymmetrie, daß der positive Wert von Barges Studie in der Kontroverse allenfalls randständig und kurz gewürdigt wurde, während in der bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts reichenden Folgezeit, als Bubenheimer seine Karlstadt-Studie vorlegte, die Revisionsbedürftigkeit der Biographie kaum wahrgenommen wurde. Was Barges persönliche Vernetzung betraf, wurde aus der Biographie nicht ersichtlich, welche Bedeutung Karl Lamprecht und Ludwig Keller für das fachliche Selbstverständnis des Historikers besaßen. Das historistische Objektivitätsideal speiste sich, unter Vermittlung des ursprünglichen Doktorvaters, Maurenbrecher, aus der Sybelschen Schule, der auch Keller entstammte. Dieser berief sich gerade in seinen leidenschaftlichsten Verwahrungen gegen die theologisch etablierte Reformationsgeschichte auf Sybel. Barge überführte Kellers kirchenhistorischen und apologetischen Ansatz in Argumentationsfiguren, die namentliche Bezüge auf Keller vermieden, aber vergleichbare Frömmigkeitskonzeptionen und kirchenkritische Frontstellungen aktualisierten. Zugleich war es Barge bewußt, daß seine reformationshistorische Aufwertung von Karlstadt Ähnlichkeiten zur radikalpietistischen Geschichtsschreibung Gottfried Arnolds aufwies. Zuspruch erfuhr Barge von Reformierten und, ganz wie Keller, vor allem im angloamerikanischen Raum unter mennonitischen Reformationshistorikern. Die fachlich wichtigste Bezugsperson dürfte für Barge sein Schwager Clemen gewesen sein. Dieser hatte die ersten materialen Vorarbeiten durch Leihgaben aus der Zwickauer Ratsschulbibliothek unterstützt, bemühte sich im Vorfeld der Kontroverse um diplomatische Vermittlungen und trat auch nach dem erfolgten Widerspruch wiederholt für die fachliche Integrität der umstrittenen Studien ein. 1932 versuchte er, in seinem Vorwort zum dritten Band des Lutherschen Briefwechsels tung einer Gesamtedition der Karlstadtschen Schriften erfolgt seien. Nicht dieses Kriterium, aber einen entsprechenden Wortlaut zu der oben zitierten Einschätzung hatte Boehmer in der abschließenden Textgestalt seines Forschungsberichtes über das Verhältnis von Karlstadt zu Luther gewählt, s. oben Anm. 1109. 1417 So Steinmetz nach UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, S. 5, am 29. März 1973 in seinem brieflichen Gutachten für den Berliner „Union Verlag“ zum Konzept von Alfed Otto Schwede für einen ersten Karlstadt-Roman; vgl. dazu im Hauptkapitel III. Die KarlstadtForschung nach Barge das Unterkapitel 2.3. Max Steinmetz’ fachwissenschaftliches Gutachten zu Alfred Otto Schwedes Karlstadt-Roman „Der Widersacher“ (1973/1975). 1418 Brieger, Anmerkung, S. 373.
370
II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse
in der Weimarana auf die Debatte zwischen Barge und Karl Müller einzugehen. Der betreffende Passus wurde von der „Kommission zur Herausgabe der Werke Martin Luthers“ gestrichen und durch einen kurzen Abschnitt in der Vorrede von Gustav Bebermeyer ersetzt.1419 Politisch war die große Konstante in Barges Leben die Orientierung an Friedrich Naumann, der sich als Publizist seinerseits für die Karlstadt-Biographie verwandte. Bei aller anfänglichen und anhaltenden Unterstützung bleibt jedoch zu bilanzieren, daß es nach den gerade euphorischen Voten des Jahres 1905 und der 1906 aufbrechenden Kritik keine eigenen Beiträge anderer Autoren mehr gab, die sich für den umstrittenen Historiker einsetzten, womit Barge spätestens seit 1907 praktisch isoliert war. Weder für den Wert noch die Wirkungsgeschichte von Barges Arbeiten sollen diese Hinweise als mögliche Indikatoren mißverstanden werden. Zu konstatieren ist vielmehr, daß Barge die zentralen Referenzwerke für jede spätere KarlstadtForschung schuf. Bibliographisch und biographisch eröffnete er eine bis heute währende Epoche. Lexikalisch steuerte er die betreffenden Lemmata zu den beiden ersten Auflagen der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ bei, bevor Erich Hertzsch den Folgeartikel 1959 veröffentlichte. Der frühe Beitrag zur „Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ wurde in der amerikanischen Fassung der „New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowlegde“ sogar 1952 nochmals erneuert und letztlich erst 1988 von Ulrich Bubenheimers Artikel in der „Theologischen Realenzykloädie“ ersetzt. Thematische Zusammenfassungen zu dem untergründigen Thema seiner Karlstadt-Studien, der „Neuorganisation der Kirche“ unter Luthers Einfluß nach 1522, hatte Barge popularisierend zudem 1923 in seinen Einleitungstext zum betreffenden Band der Münchner Luther-Ausgabe integriert, der jedoch schon 1938 nicht mehr berücksichtigt wurde. Bibliographisch, biographisch und lexikalisch gilt für das 20. Jahrhundert damit überwiegend, daß, wer sich theologisch über Karlstadt informieren wollte, seinen Anfang bei Barge nahm.
1419 Dies geht aus einem Brief von Konrad Burdach an Clemen vom 13. Dezember 1932 (Privatbesitz) zurück, der handschriftlich unter dem Briefkopf der „Kommission zur Herausgabe der Werke Martin Luthers“ erklärt: „Herr Prof. Bebermeyer hat mir Ihre Erklärung aus Ihrem Vorwort zum 3. Bande der Briefe Luthers übersendet, die sich auf die Arbeiten von Barges [sic] und Karl Küller bezieht. Die Luther-Kommission legt einhellig besonderes Gewicht darauf, daß die Sachlage in dieser Angelegenheit eingehend und objektiv von unbeteiligter Seite dargelegt wird. So erscheint es uns am besten und einfachsten, wenn Prof. Bebermeyer in seinem Vorwort auf die Frage aufklärend zurückkommt.“ Der einschlägige Abschnitt in der Vorrede Bebermeyers lautet in WA. B, Bd. 3, S. [V]: „Bei den Literaturangaben des zweiten Briefbandes ist […] nachzutragen die bekannte Darstellung von K. Müller, Luther und Karlstadt […]. Vgl. dazu W. Köhler, Götting. gel. Anz. 1912 […] und Th. Brieger, Zeitschr. f. Kirchengesch. […]. Es lag dem Herausgeber, Professor Clemen, fern, durch die Auswahl seiner Literaturangaben eine Wertung und Kritik der einschlägigen Darstellungen zu geben.“
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge Die Karlstadt-Forschung nach Barge zerfällt in zwei Phasen. Die erste wurde von Erich Hertzsch 1932 eröffnet, dessen Jenaer Dissertation an Martin Wählers Ausgleichsbemühung zwischen Barge und Müller anschloß, die 1918 das letzte große Votum zur Debatte markiert hatte. Der zeitliche Abstand von 14 Jahren erscheint klein. Er war aber groß genug, um die Nähe von Hertzsch zu Barge und Wähler für Zeitgenossen nicht mehr wahrnehmbar werden zu lassen. Gegen Hertzschs These eines entwicklungsgeschichtlichen Fortschritts in Karlstadts Denken, der seinen lebenspraktischen Höhepunkt in der Orlamünder Theologie fand, richtete sich 1952 Ernst Kähler. Er betonte die Keime des späteren Verfalls bereits für die frühesten reformatorischen Zeugnisse von Karlstadt. Friedel Kriechbaum suchte 1967 in dem von Kähler und Hertzsch eröffneten zeitlichen Rahmen zwischen 1517 und 1525 nach systematischen Verbindungslinien und argumentativen Brüchen. Der letzte Karlstadt-Beitrag einer der drei benannten Personen stammte von Kähler und datiert in das Jahr 1971. Um 1970 begann die zweite Phase einer neuerlichen Karlstadt-Forschung. Sie setzte mit den beiden großen Arbeiten von Ronald J. Sider und Ulrich Bubenheimer ein und wird von diesen umrahmt. Beide Studien wurden kurz vor bzw. kurz nach 1970 als Dissertationen eingereicht, erschienen aber erst Mitte der siebziger Jahre im Druck. Jedes der beiden Bücher hätte für sich eine klare Zäsur markiert. Unabhängig voneinander hatten Sider und Bubenheimer verschiedene Fragestellungen bearbeitet und waren in Einzelpunkten zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt. Sider konzentrierte sich auf den Zeitraum, den auch Kriechbaum bearbeitet hatte, und bestimmte Karlstadt differenziert in einer theologischen Nähe zu Luther und Augustin. Bubenheimer hingegen richtete mit seiner Monographie von 1977 den Blick auf das Karlstadtsche Gesamtwerk. Während Sider 1978 seine vorerst letzten Beiträge zu Karlstadt publizierte, öffnete sich die Forschung von Bubenheimer in einen Strauß von Einzelbeiträgen. Diese werden bis in die Gegenwart verfolgt. Daß Sider und Bubenheimer zugleich zu den Ausgangspunkten der jüngeren Forschung wurden, wird abschließend zu illustrieren sein.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971) 1.1. Erich Hertzschs Dissertation bei Karl Heussi (1932) – Karlstadts Orlamünder Zeit als ideale Realisierung von persönlicher Entwicklung und praktischem Ethos Das Verdienst, Karlstadt im 20. Jahrhundert für akademische Qualifikationsschriften wiederentdeckt zu haben1, kommt Erich Hertzsch zu. Der spätere Jenenser praktische Theologe wurde 1932 unter dem Kirchenhistoriker Karl Heussi mit einer Studie promoviert2, die im selben Jahr unter dem programmatischen Titel „Karlstadt und seine Bedeutung für das Luthertum“ im Druck erschien3. Nicht eindeutig zu bestimmen ist, ob die Arbeit thematisch von Heussi angeregt wurde. In der Drucklegung seiner Studie äußerte sich Hertzsch unbestimmt.4 Ein Jahr vor seinem goldenen Doktorjubiläum, 1981, bezog sich Hertzsch in einem Privatbrief affirmativer auf die Bedeutung seines „‚Dr-Vater[s]‘ Karl Heussi“ für die eigene Themenwahl.5 Im Werk Heussis deuten sich aber weder besondere In1 Zudem ist Hertzsch der erste Theologe, der mit einer Arbeit über Karlstadt zum Dr. theol. promoviert wurde. Dieckhoff hatte 1850 den Licentiatentitel erworben, mit dem er zugleich habilitiert wurde (s. dazu im Vorkap. das Unterkap. 2.1. August Wilhelm Dieckhoffs Göttinger Licentiatenschrift (1850) – die erste theologische Habilitation zu Karlstadt); für Jäger, Carlstadt, läßt sich nach 1856 kein akademischer Qualifikationsvorgang nachweisen (s. dazu im Vorkap. die Anm. 774); und der Aufsatz von Tiling, Wittenberg, spielte – wie von Roggenkamp-Kaufmann rekonstruiert (s. dazu im Vorkap. die Anm. 903) – nur im Rahmen des Oberlehrerinnenexamens eine Rolle. Nied erreichte den Grad eines Baccalaureus (s. im Vorkap. die Anm. 581), während Labes seine Stipendiatenrede für einen philosophischen Doktorgrad verwandte (s. im Vorkap. die Anm. 906 u. 935). 2 Die Promotionsurkunde datiert auf den 1. April 1932, s. dazu UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 86r. Auch die Erneuerung des „Doktordiploms“ und Gratulation „zur 50. Wiederkehr dieses Tages“ durch den Rektor Franz Bolck bezog sich 1982 auf diesen Tag; s. ebd., Bl. 86/1r. 3 Die Drucklegung war bereits Ende des Jahres 1931 abgeschlossen; ein Begleitschreiben des Klotz-Verlages vom 23. Dezember 1931 belegt, ebd., Bl. 86v, daß die für die Promotion vorgesehenen Pflichtexemplare des gedruckten Werkes unter dem gleichen Tag eingereicht wurden. 4 So fein der Unterschied in der Nuance ist, dankt Hertzsch, Karlstadt, in seinem „Vorwort“ „Herrn Prof. D. Dr. K. Heussi für die Anregungen zu dieser Arbeit“, nicht aber für deren thematische Anregung. 5 S. dazu Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, Erich Hertzsch an Ulrich Bubenheimer, o. D. (handschriftlicher Brief, nach dem 19. April 1981; s. dazu den auf den 24. April datierenden maschinenschriftlichen Bezugsbrief von Ulrich Bubenheimer an Erich
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
373
teressen an Karlstadt noch an der Studie von Hertzsch an. Einen Spiegel hierfür bildet das „Kompendium der Kirchengeschichte“ in der sich verändernden Textgestalt6. Mit der Erstauflage von 1908 hatte Heussi direkt an Barge angeschlossen7, wandte sich in den Einleitungsfragen zur „Beutelordnung“ sodann von diesem ab, nahm die Ausführungen von Boehmers Lutherbuch auf und folgte der von Nikolaus und Karl Müller vertretenen Zuschreibung an Luther.8 Nicht greifbar wird ein Einfluß der Dissertation von Hertzsch auf Heussis KarlstadtBild in den nach 1932 erschienenen Auflagen des Kompendiums. Die Studie von Hertzsch ihrerseits bezog sich nur an zwei, für Karlstadt randständigen Stellen auf Heussi und dessen „Kompendium“.9 1.1.1. Hertzschs Interesse an Karlstadt Wer oder was veranlaßte dann aber Hertzsch zu seiner theologischen Dissertation über Karlstadt? 1964 und 1967 hob Hans-Jürgen Goertz auf eine inhaltliche Kongruenz zwischen Barge und Hertzsch im Postulat eines verbindenden reformatorischen Propriums vor den Wittenberger Unruhen ab: „Immerhin besteht nach Barge kein Gegensatz zwischen dieser Bewegung und dem Luther von 1520“; zugleich deutete er eine beachtenswerte Beziehung zwischen den beiden Autoren an: „Unumwunden stellt sein Schüler diesen Umstand dar: E. Hertzsch, Karlstadt und seine Bedeutung für das Luthertum, Gotha, 1932“.10 Sollte der Hertzsch, Bl. 1r: „ich möchte Sie darüber informieren, daß ich am 19. 4. 1981 drei Bücher an den Direktor der Sektion Theologie der Universität Jena für Sie abgesandt habe. Neben meinem Karlstadtbuch (consonantia) und der Karlstadt-Festschrift 1980, habe ich Bubenheimer/Strecker: Religionsunterricht und Spielpädagogik […] beigelegt.“), Bl. 1r: „Gestern (!) habe ich endlich Ihre wertvolle u.[nd] mich sehr erfreuende Büchersendung bekommen. Ihren Beitrag zur Karlstadt-Festschrift habe ich bereits aufmerksam studiert u.[nd] auch schon einige Kapitel in Ihrer Dissertation, die mich sehr interessiert, gelesen. Sie haben sich ja eingehend mit einem Problem beschäftigt, dem ich in meinem (vor 50 Jahren verfaßten) opusculum nicht nachgegangen bin, weil mir Karlstadt, auf den mich mein ‚Dr-Vater‘ Karl Heussi aufmerksam gemacht hatte, unter ganz anderem Gesichtswinkel wichtig geworden war“. 6 Grundlegend für die methodische Anregung, Heussis Kompendium textgenetisch und zeitgeschichtlich zu untersuchen, ist der Beitrag von Gemeinhardt, Heussi. Forschungsgeschichtlich aufgegriffen und punktuell erprobt wurde der Ansatz in der Studie Kessler, Lissabon. 7 Heussis Erstauflage verzichtet bekanntlich auf jeden Literatur‑ oder Quellenhinweis, doch nehmen Formulierungen wie Heussi, Kompendium 1908, S. 322 (§ 114 k): „Eine genaue Regelung des Armenwesens gab die ‚Ordnung des gemeinen Beutels‘, die älteste evangelische Armenordnung“, wörtliche Anleihen an den Beiträgen von Barge; im selben Jahr s. bes. Barge, Armenordnung. 8 S. hierfür zunächst die Literaturangaben in Heussi, Kompendium 1937, S. 246 („Sechster Teil. Reformation und Gegenreformation. Vorblick auf §§ 73–101“) und dann die Ausführungen ebd., S. 260 (§ 76 f): „Am 24. Jan. 1522 erließ der Rat die unter Mitwirkung von Karlstadt redigierte ‚Ordnung der Stadt Wittenberg‘ […]; Luther selbst hatte schon vor seiner Reise nach Worms eine ‚Ordnung des gemeinen Beutels‘, die älteste ev. Armenordnung, verfaßt.“ 9 S. Hertzsch, Karlstadt, S. 37, Anm. 5; S. 43, Anm. 6. 10 S. hierfür zunächst die Abgabefassung der Göttinger Dissertation von Goertz, Theologie
374
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
1902 südlich von Jena geborene Hertzsch mehr als nur ein ideeller „Schüler“ von Barge gewesen sein? Immerhin war Hertzsch während der aktiven Schulzeit von Barge im mitteldeutschen Raum erzogen worden und die theologische Dissertation entstand gut zehn Jahre vor Barges Tod. Die biographischen Stationen der beiden Männer11 geben indes keine geographischen Überschneidungen zu erkennen; auch die Studie von Hertzsch bietet keinerlei Aufschlüsse über persönliche Kontakte zu Barge. Der Kontroverse um Barge und dessen Bemühung um eine positive Aufwertung Karlstadts ist gleichwohl die gesamte Arbeit von Hertzsch verpflichtet. Schon der Eröffnungssatz stellte den thematischen Bezug her, vermied es aber, die eigenen Interessen an Karlstadt offen zu benennen: „Die wissenschaftliche Kontroverse, die sich an Hermann Barges grundlegende Karlstadt-Biographie angeschlossen hat, hat gezeigt, daß Karlstadt in viel höherem Maße eine der problematischsten Gestalten der Reformationszeit ist, als man nach den im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Lehrbüchern der Kirchengeschichte glauben sollte.“12
Einzig in der Hoffnung, „daß Hermann Barge selbst noch dazu kommt, eine Neubearbeitung seines Werkes herauszugeben, in der die durch die Kontroverse neu hervorgetretenen Gesichtspunkte und sachlichen Korrekturen berücksichtigt sind“, mochte sich ein persönlicher Bezug andeuten. Tatsächlich handelte es sich bei diesem Hinweis jedoch um einen Topos der um Ausgleich bemühten Barge-Kritiker, der zunächst von Cohrs eingebracht und abschließend von Köhler aufgenommen worden war.13 Hertzsch seinerseits schloß mit seiner ersten Literaturreferenz an den von Köhler angezeigten Revisionsbedarf der Bargeschen Biographie an14, woraus ersichtlich wird, welche grundlegende Bedeutung Barge einerseits und der Forschungsbericht von 1912 andererseits für den Jenaer Doktoranden besaß. Auffällig sind zudem die Gewichtungen in der abschließenden Literaturzusammenstellung. So überschaubar diese mit gerade 22
1964, S. 16, Anm. 30, und sodann die damit im Wortlaut identische Druckfassung Goertz, Theologie 1967, S. 11, Anm. 1. 11 Für Barge s. oben das Vorkapitel; für Hertzsch s. die einschlägigen Selbstauskünfte in Anon., Art. Hertzsch 1950 (DBA, T. 2, Fichenr. 572, S. 13), Anon., Art. Hertzsch 1955 (DBA, T. 2, Fichenr. 572, S. 46), Mitarbeiterverzeichnis, RGG3, S. 49 [scil. 94] (DBA, T. 2, Fichenr. 572, S. 47), sowie, detailliert, den maschinenschriftlichen Lebenslauf aus dem Jenaer Promotionsverfahren, UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 78r: „Geboren wurde ich am 31. März 1902 in Unterbodnitz, einem entlegenen Walddorf am Fuße der Leuchtenburg bei Kahla […]. 1906 wurde mein Vater nach Uhlstädt an der Saale versetzt; dieser Ort ist meine eigentliche Heimat geworden. Hier besuchte ich von 1908 bis 1914 […] die Volksschule […]. 1914 wurde ich in die Quarta des humanistischen Gymnasiums zu Rudolstadt aufgenommen, das ich nach 7 Jahren mit dem Zeugnis der Reife verließ […]. Studiert habe ich 7 Semester lang, und zwar 4 Semester in Tübingen und 3 in Jena“. 12 Hertzsch, Karlstadt, o.P., „Vorwort“. Hier s. auch das Folgezitat. 13 S. dazu oben Anm. 844 u. 1269. 14 Hertzsch, Karlstadt, S. 2, Anm. 2.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
375
Titeln ist, dominieren in ihr mit sechs Beiträgen die Veröffentlichungen Barges.15 Zum überwiegenden Teil wurden die betreffenden Publikationen bereits von Köhler referiert, doch führte Hertzsch zwei weitere Titel auf, die Barge nach 1912 erscheinen ließ. Der bedeutendere von beiden befand sich in Borcherdts Münchner Luther-Ausgabe, auf die Hertzsch auch ohne ein spezifisches Interesse an Barge gestoßen sein mochte. Barges wichtigster Beitrag zu Karlstadt nach 1912, das Abschlußvotum zur Debatte, wurde von Hertzsch nicht registriert. Die Bibliographie dürfte damit auf ihre Weise belegen, daß Barges Vermittlung von Karlstadt an Hertzsch eine literarische und keine persönliche war. Freilich ging das Interesse von Hertzsch darüber hinaus, die Karlstadt-Luther-Kontroverse zwei Jahrzehnte nach ihrem Abschluß nur abermals zu aktualisieren. Sein Sohn und späterer Lehrstuhlnachfolger16, Klaus-Peter Hertzsch, erklärte in den erstmals 2002 erschienenen „Erinnerungen“ die Dissertation des Vaters aus zwei Motivationen.17 Zum einen habe er einen Wechsel vom Pfarramt in die akademische Laufbahn erhofft, wofür er eigens die Jena nahegelegene Gemeinde Bucha übernommen habe.18 Nach Selbstauskunft versah Hertzsch das betreffende Pfarramt seit Mitte August 193019, während die Abgabe der Dissertation auf den 2. Juli 193120 datiert. Die Ausarbeitung der Qualifikationsschrift dürfte sich somit auf ein knappes Jahr konzentriert haben, wobei die Erinnerung des Sohnes darin zu präzisieren ist, daß sein Vater bereits mit der 15 S.
hierfür ebd., S. 76. Berücksichtigt wurden hier wirklich nur das Literatur‑ und nicht das Quellenverzeichnis, in dem sich zwei weitere Titel von Barge befinden. 16 Zu dem nicht von dem Vater initiierten Berufungsvorgang vgl. kurz Stengel, Fakultäten, S. 608 f. 17 Hertzsch, Kindern; nicht einschlägig sind die Sammelbände bzw. Festschriften für Hertzsch: Hertzsch, Wort, und Raschzok, Hertzsch. 18 Hertzsch, Kindern, S. 35: „Dass mein Vater nach Bucha ging, lag daran, dass er bei dem bekannten Jenaer Kirchengeschichtler Karl Heussi seine Doktorarbeit schrieb […]. Mein Vater nahm an der Universität an Oberseminaren teil und hätte dort gern einmal ein Lehramt übernommen. Dann aber kamen die Nationalsozialisten an die Macht […]; da hatte mein Vater natürlich im öffentlichen Dienst der Universität nicht die geringste Chance mehr. Er wurde dann 1931 nach Eisenach berufen“. Nicht berücksichtigt wird hier, daß der Wechsel nach Eisenach noch vor dem Abschluß des Promotionsvorgangs lag und die Arbeit auch von politisch unverdächtigen Kirchenhistorikern, wie dem im Kirchenkampf später hochaktiven Ernst Wolf, aus wissenschaftlichen Gründen scharf kritisiert wurde (s. dazu unten Anm. 72). Der Jenaer Promotionsvorgang selbst läßt keine politischen Vorbehalte gegenüber Hertzsch erkennen; einzig konfessionell motivierte historische Kritik wurde von Seiten Macholz’ geübt (s. dazu unten Anm. 67). 19 S. hierfür Mitarbeiterverzeichnis, RGG3, Sp. 49 [scil.: 94] (DBA, T. 2, Fichenr. 572, S. 47), sowie, präziser, den Lebenslauf aus dem Promotionsverfahren, der den 16. August 1930 nennt, UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 78v. Das Rigorosum am 28. Oktober 1931 absolvierte Hertzsch bereits von der neuen Eisenacher Pfarrstelle aus; vgl. hierfür die betreffenden Protokolle des Prüfungsablaufes für „Pfarrer Hertzsch aus Eisenach“, ebd., Bl. 84r. 20 Unter diesem Datum stellte Hertzsch den Antrag auf Aufnahme eines Promotionsverfahrens, reichte die vorgesehenen Bescheinigungen ein und verwies auf „die von mir eingereichte Dissertation“; s. UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 77r.
376
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Übernahme des sechzig Kilometer östlich von Jena gelegenen Pfarramtes in Hartroda im Frühjahr 1927 den Kontakt zur Jenaer Fakultät und in ihr besonders zu Heussi gesucht hatte21. Das Vorhaben der Dissertation mochte noch aus dieser Zeit stammen, in die bis 1931 aber zugleich die Geburten von vier Söhnen fielen.22 Zum anderen erläuterte Klaus-Peter Hertzsch die theologische Entwicklung seines Vaters aus einschneidenden Begegnungen mit rheinischen Bergwerksarbeitern23 und einer bewußten politischen Zuwendung zum religiösen Sozialismus: „Er […] trat dem Bund Religiöser Sozialisten bei und wurde Mitte der 20er Jahre Mitglied der SPD“.24 Thematisch habe von dort eine Verbindung zum Thema der Dissertation bestanden: „[S]eine Doktorarbeit schrieb [er …] über Andreas Bodenstein, auch ein Mann aus der theologischen Linken, freilich in der Lutherzeit.“25 In seinem Lebenslauf für den Jenaer Promotionsvorgang benannte Erich Hertzsch die politischen Bezüge nicht, legte jedoch das kirchenpolitische Engagement offen26, auf das auch die spätere Druckfassung der Dissertation verweisen sollte27. Mit Barge war Hertzsch darin vergleichbar, daß sich ihr jeweiliges Interesse an Karlstadt aus einer politischen Wurzel speiste, die kirchenpolitische Anliegen einschloß. 21 Ausweislich einer Beilage seines Promotionsgesuchs, UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 81r, war Hertzsch im Sommersemester 1927, im Wintersemester 1927/28 und im Sommersemester 1929 „Hörer“ in Jena. In seinem Lebenslauf nahm Hertzsch darauf selbst bezug, indem er erklärte, ebd., Bl. 78r und 78v: „Die Kürze des Studiums habe ich dadurch einigermaßen auszugleichen versucht, daß ich noch weitere 3 Semester als Hörer der Universität Vorlesungen und Übungen so regelmäßig besuchte, als es mein Beruf und die technische Schwierigkeit der großen Entfernung zuließen“. Die aus der Beilage ersichtlichen Daten entsprechen genau dem Amtsbeginn in Hartroda, ebd.: „Angestellt wurde ich als Pfarrer von Hartroda am 1. Mai 1927“. Die Relevanz von Heussi für Hertzschs Arbeit hebt der Lebenslauf, ebd., Bl. 78v, hervor: „Den stärksten Anstoß zum wissenschaftlichen Weiterarbeiten habe ich dem Besuch des Jenaer kirchengeschichtlichen Seminars zu verdanken, dem ich drei Semester lang, in einem Semester in zwei verschiedenen Kursen gleichzeitig, angehört habe.“ Da Hertzsch in seinem regulären Studium nur zwei Semester in Jena war und von Bucha aus allenfalls zwei Semester in Jena studieren konnte, ist anzunehmen, daß die gesuchte Nähe zu Heussi in die Zeit zwischen 1927 und 1929 fällt. Nähere Aufschlüsse sind nicht möglich, nachdem sich zu dem kirchengeschichtlichen Seminar von Heussi im Jenaer UA kein Protokollbuch erhalten hat. 22 Ebd., Bl. 78v: „Verheiratet habe ich mich am 1. September 1926 […]. Aus unsrer Ehe sind 4 Söhne hervorgegangen, von denen 3 noch am Leben sind.“ 23 Hertzsch, Kindern, S. 32 f. Vorsichtig angedeutet findet sich dies auch in dem Lebenslauf aus dem Jenaer Promotionsverfahren, UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 78r: „Ich bin mehrmals gezwungen gewesen, als Werkstudent, beonders als Bergarbeiter an der Ruhr, einen Teil meiner Ausgaben selbst zu verdienen. Diese Werkstudentenzeit ist für mich andrerseits wertvoll und sicher auf meine ganz[e] Entwicklung von großem Einfluß gewesen.“ 24 Hertzsch, Kindern, S. 33. 25 Ebd., S. 35. 26 UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 78v: „Mitgearbeitet habe ich in der Arbeitsgemeinschaft für Theologie und Kirche als Vorstandsmitglied und zweimal als Referent über die Neugestaltung der Agende, in der jungevangelischen Bewegung, im Bund für Gegenwartschristentum, wo ich z. B. über Kirche und Staat im Urteil der Jungevangelischen Bewegung referiert habe.“ 27 Vgl. dazu unten Anm. 53.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
377
Im Falle von Hertzsch mochte eine eigene Faszination hinzugekommen sein, die frühen Wirkungsorte der Karlstadtschen Laientheologie im Jenaer Saaletal wiederzuentdecken. Die jüngere Forschung zu Karlstadt in Orlamünde las Hertzsch mit dem größten Interesse28 und identifizierte in seiner eigenen Pfarrei Bucha eine der Ortschaften, die sich für einen Verbleib Karlstadts im benachbarten Kirchenamt ausgesprochen hatten. Was in der Dissertation nur am Rande erwähnt wurde29, trat in den zwei erzählerischen Kleindarstellungen, die Hertzsch 1952 und 1956 folgen ließ, klimaktisch in den Vordergrund; die lokalgeschichtlichen Aufzählungen summierte Hertzsch emphatisch und im erkennbaren Rückgriff auf Wählers Monographie: „Ein neuer Mittelpunkt der Reformation ist im Entstehen!“30 Kein Autor schilderte den regionalen Rückhalt Karlstadts im Saaletal je wieder in der dramaturgischen Intensität und geographischen Detailliertheit wie Hertzsch, der von Jena aus ein Ferienhaus in Orlamünde anmieten und eben dort, bei aller Schönheit der Landschaft doch im vollen historischen und symbolischen Bewußtstein, 1955 das „Vorwort“ zu seiner Auswahledition von „Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–25“ unterzeichnen sollte31. 28 Die
wichtigste Referenz für Hertzsch dürfte die Monographie von Wähler, Orlamünde, gewesen sein. Diese unternahm 1917 (s. hierfür die Datierung des Vorwortes, ebd., S. VIII: „1. November 1917“) – im Jahre des Reformationsjubiläums – den Versuch, für ein lokal‑ und regionalgeschichtlich interessiertes Publikum die großen Züge der Reformationsgeschichte exemplarisch an Orlamünde zu entfalten. Besonders wichtig war es Wähler, die spätmittelalterlichen Kontinuitäten und die Bedeutung Orlamündes vor der Reformation aufzuzeigen. S. hierfür im ganzen im Hauptkap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse das Unterkap. 2.5.16. Martin Wählers landesgeschichtlicher Anschluß an Barge und Müller (1918). An die für Wähler soeben benannten Aspekte schloß Hertzschs eindringliche Miniatur Hertzsch, Luther 1952, S. 87, in erkennbarer Abhängigkeit von Wähler, Orlamünde, an. Auf die argumentativ strukturellen Kongruenzen zwischen der Dissertation von Hertzsch und Wählers Monographie von 1918 wurde im Haupttext des Vorkapitels und in Anm. 1387 hingewiesen. 29 Hertzsch, Karlstadt, S. 59. Über den vormaligen Pfarrort seines verstorbenen Vaters (s. dazu oben Anm. 11) schreibt Hertzsch, ebd.: „Auch in dem nahegelegenen Städtchen Kahla ist der Einfluß Orlamündes offenbar groß gewesen“. 30 So 1952 in Hertzsch, Luther, S. 97, sachlicher, aber gleichermaßen einschneidend ist der Hinweis 1956 in Hertzsch, Schriften, T. 1, S. XV: „So entsteht ein neuer Mittelpunkt der Reformation im Saaletal und im Orlagau.“ Die literarische Vorlage dürfte Wähler, Orlamünde, S. 41, sein: „Wie Orlamünde den ganzen Umkreis seit dem 11. Jahrhundert kirchlich beherrschte, so blieb es auch Mittelpunkt für die Ausbreitung der neuen Lehre im Zeitalter der Reformation.“ S. ferner die Schlußpassage ebd., S. 134 f.: „Luther und Karlstadt, diese beiden Männer waren es, die in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts in dem Bergstädtchen an der Saale, dem thüringischen Bethlehem, im Mittelpunkte des religiösen und geistlichen Lebens standen. Ihr Einfluß wirkte entscheidend und nachhaltig.“ Vgl. dazu auch die ähnlich hymnischen Ausführungen von Hertzsch in der Folgeanm. 31 S. dazu und zu der Datierung Hertzsch, Schriften, T. 1, S. IX. Auf das angemietete Ferienhaus und die Schönheit der Landschaft verweist für das Jahr 1955 der Sohn Hertzsch, Kindern, S. 86 f.: „Mit meiner Mutter fuhr ich für einen halben Monat in ein kleines Sommerhaus hoch über dem Saaletal, das meine Eltern für einige Jahre in Orlamünde gemietet hatten.“ An einen Besuch im Wochenendhaus erinnerte sich auch Rudolf Smend (mündlich am 15. August 2012) für den Mai oder Juni 1957; die gesamte Auswahlausgabe wurde somit während der Orlamünder
378
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Das Vorhaben einer Karlstadt-Edition war bereits in der Dissertation von 1932 angelegt. In einer Fußnote bemerkte Hertzsch dazu: „Eine Gesamtausgabe der Werke Karlstadts lohnt wohl nicht, aber es wäre gut, wenn eine Ausgabe der für ihn charakteristischen Schriften ermöglicht werden könnte.“32 Die 1956 und 1957 in zwei Teilen gebotene Textauswahl ist in ihren Bezügen zur Dissertation nicht zu verkennen. Für seine Qualifikationsschrift hatte Hertzsch 16 deutschsprachige Karlstadt-Drucke zwischen 1520 und 1525 eingesehen; sieben dieser Texte druckte die Auswahledition ab, einen weiteren nahm sie auf. Auf eine Diskussion von Einleitungsfragen verzichtete Hertzsch vollständig; die nachgestellten knappen Anmerkungen beschränken sich überwiegend auf sprachliche Erläuterungen. Hinweise zu den Auswahlkriterien der Texte sucht man in der Edition vergeblich. Einzig der Haupttitel benannte eine zeitliche Einschränkung, die aber nicht eigens erklärt wurde. Eine knappe „Einführung“ bietet nur eine biographisches Miniatur, die auf einen Vergleich mit Luther und die Gegenwartsbedeutung von Karlstadts Gemeindeprinzip abhebt33. 1.1.2. Ansatz und Ausführung der Arbeit Den Ansatzpunkt zur editorischen Heuristik findet man in der Dissertation. Er liegt in der These begründet, daß für „eine abschließende Beurteilung“ Karlstadts die „Zeit zwischen Dezember 1523 und Juni 1525“ herangezogen werden müsse.34 Erst damit sei Karlstadt „als eine organisch geschlossene, eigenartige Gestalt klar entgegen[getreten]“, während die Folgezeit nichts „wesentliches [habe] ändern oder hinzufügen können“.35 Ein inhaltlicher Maßstab deutet sich in dem Urteil an: „erst in Orlamünde ist Karlstadt selbständiger Führer, Anreger und Kämpfer.“36 Den Akzent, den Barge auf die Wittenberger Reformen gesetzt hatte, verschob Hertzsch auf die Orlamünder Zeit. Mit den Erfahrungen in Wittenberg sei Karlstadts „innere Entwicklung zum entscheidenden Abschluß“ gelangt.37 Die vollzogene Veränderung zögerte Hertzsch nicht, als „Bekehrung“
Zeit von Hertzsch gestaltet und gedruckt. Die Bedeutung, die Erich Hertzsch Orlamünde kirchen‑ und darin nicht nur reformationsgeschichtlich zuwies, illustriert der Einstieg seines Beitrages Hertzsch, Luther, S. 87: „Hoch über dem Saaletal liegt das Städtchen Orlamünde mit seiner Kemenate. Sie erinnert uns an die ‚Stadt auf dem Berge‘ aus dem Evangelium. ‚Sie kann nicht verborgen bleiben‘. Und wer oben aus der Stadtkirche heraustritt, hat einen wunderschönen weiten Blick auf das Thüringer Land. Zur Zeit Luthers wird die Einwohnerzahl kaum geringer gewesen sein, als sie heute ist. Aber die Bedeutung des Ortes war viel größer.“ 32 Hertzsch, Karlstadt, S. 71, Anm. 1. 33 Hertzsch, Schriften, T. 1, S. X–XXIV; besonders aufschlußreich für die gegenüber 1932 erheblich veränderten kirchenpolitischen Zeitbezüge ist ebd., S. XXIV. 34 Hertzsch, Karlstadt, S. 18. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd., S. 16.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
379
zu bezeichnen, deren genaue Umstände und Datierung in Ermangelung eines „entscheidende[n …] Selbstzeugnis[ses]“38 unbestimmt bleiben müßten. Was im Duktus pietistisch oder in der Betonung eines spezifischen Lehrtopos orthodox anmuten mochte, stellte tatsächlich einen Vermittlungsversuch dar. Eine mögliche Synthese zwischen Pietismus und Orthodoxie spielte durchaus eine Rolle39, wobei der für Hertzsch vorauszusetzende Orthodoxiebegriff auf einer einseitigen Betonung der „theoretischen Systematisierung“ basierte.40 Wichtiger als die Unterscheidung zwischen Pietismus und Orthodoxie war für Hertzsch jedoch eine konstitutive Verbindung zwischen innerer Entwicklung und äußerer Konsequenz. Den ersten Aspekt suchte er für Karlstadt an dessen Zuwendung zur Mystik festzumachen, die er als Ausprägung eines erfahrungsbezogenen und personalen Glaubens interpretierte. Gerade damit opponierte Hertzsch gegen eine Einordnung Karlstadts in die Mystik, sofern diese als weltabgewandt verstanden werde; für diesen Ansatz stand Heilers Typisierung als Verehrung einer „(unpersönlichen) Gottheit, übergeschichtlich und überkirchlich, gemeinschaftslos.“41 So deutlich Hertzsch die Folgerichtigkeit von Karlstadts „innere[r …] Entwicklung“42 betonte und dazu auch die – schon von Barge vorgetragene – methodische Anregung eines „von der Psychologie her“43 38 Ebd.
39 S. dazu ebd., S. 72 f.: „Im Neuluthertum des 19. Jahrhunderts hat es sich ja auch gezeigt, daß gefühlsbetonter, sittlich strenger Pietismus sich sehr wohl mit strenger lutherischer Orthodoxie zu verbinden vermag.“ 40 Die Formulierung findet sich ebd., S. 22 f., in der Charakterisierung Melanchthons als eines Repräsentanten des Humanismus, der die Scholastik fortsetzte und die Orthodoxie vorbereitete; der klassische Hinweis, ebd., S. 23, auf Melanchthons Bedeutung für die Ausbildung des humanistischen Gymnasiums ist für schulkritische Gegenwartsbezüge offen. 41 Zu dem Zitat aus Heilers „Die Bedeutung der Mystik für die Weltreligionen“ von 1919 s. ebd., S. 37. 42 Der Begriff ist, ebd., S. 1, der Überschrift des „1. Teil[s]“ entnommen und prägt die gesamte Studie. 43 Ebd., S. 3 f.: „Der Kampf, den er mit sich in dieser Beziehung auszufechten hatte, ohne jemals endgültig damit fertig zu werden, ist m. E. auch ein Schlüssel zum Verständnis seiner Theologie. Zuletzt sei in diesem Zusammenhang auf etwas scheinbar sehr Nebensächliches hingewiesen: auf sein wenig anziehendes Äußere und seine nicht besonders sympathische Stimme. Heute würde man von der Psychoanalyse her leicht geneigt sein, von damit zusammenhängenden ‚Minderwertigkeitskomplexen‘ zu reden; und man würde zur Erhärtung dieser Behauptung mancherlei Material beibringen können.“ Mit Blick auf Karlstadt ist dieser – von Hertzsch letztlich nur modifiziert durchgeführte – Ansatz nicht ganz neu. Bereits Barge hatte die Unterschiede zwischen Karlstadt und Luther, neben weiteren Erklärungsmodellen, auch aus ihren charakterlichen Differenzen abzuleiten versucht. Für Barge dürfte das methodologische Anliegen einer Integration auch der Psychologie in die modernen Geschichtswissenschaften, für das sein Lehrer Lamprecht in besonderer Weise eintrat, anregend gewirkt haben. Vgl. hierfür u. a. die angedeuteten Psychogramme in Barge, Karlstadt, T. 1, S. 111 f.: „Luther hat mit allen starken Willensnaturen gemein, daß er gegen herkömmliche Anschauungen und Einrichtungen reagiert, wo sie zu unmittelbaren persönlichen Bedürfnissen in Widerstreit treten. Seidem er sich über die Wertlosigkeit des Ablasses für sein Innenleben klar geworden war, bekämpfte er ihn grundsätzlich. So vollzieht sich seine Losreißung vom Katholizismus aus einer Fülle von
380
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
kommenden Ansatzes einbrachte, deutete er damit letztlich den Themenkomplex der Mystik in eine religiöse Innerlichkeit um, deren Spezifik gerade darin lag, daß sie der Welt in ihren sozialen Realitäten zugewandt sei. Diese konkrete Praxisgestaltung markierte den zweiten Pol jenes Religionsideals, das Hertzsch in Karlstadt realisiert sah. Die Notwendigkeit lebenspraktischer Folgen faßte Hertzsch mit dem Begriff der „Ethik“44 bzw. des „Ethos“45 zusammen. In dieser sei Karlstadt Luther an „Konsequenz“ überlegen gewesen – und gerade darin habe seine „Originalität“ bestanden.46 Die dialektische Grundstruktur einer Synthese, die zwei idealtypische „Antithese[n]“47 in eine organische Verbindung überführt, liegt der gesamten Arbeit zugrunde. Das Postulat einer konstitutiven Verbindung von religiöser Innerlichkeit und praktischem „Aktivismus“48 wird in den beiden Eingangspassagen vorbereitet, strukturiert sodann die „Wahrheit und Gewißheit“49 sowie die „Religion und Ethik“50 bei Karlstadt und wird in einem abschließenden Zweischritt zunächst historisierend anhand von „Karlstadts Stellung im kirchlichen und politischen Leben“51 seiner Zeit illustriert, bevor der „Schluß“ die betreffenden Gegenwartsforderungen zur Bestimmung der „Bedeutung der Gestalt Karlstadts für das Luthertum“52 erhob. Seine eigenen Sympathien für den religiösen Sozialismus deutete Hertzsch in der zurückhaltendsten Weise an, indem er ihn nur vergleichend heranzog und von ökonomischen Einseitigkeiten abzulösen schien: praktischen Anlässen heraus. Karlstadts Art ist logischer, spekulativer. Wo er Reformen heischt, sind sie durch das System seiner Gesamtanschauung gefordert.“ Ebd., S. 143 f.: „Luther war auf Karlstadt ärgerlich gestimmt. […] Wie alle starken Willensnaturen ist er geneigt, wo ihm Widerstand entgegentritt, schlechte oder geringwertige Motive vorauszusetzen.“ Am stärksten zeichnet sich Barges Anspruch, selbst keine „Ehrenrettung“ Karlstadts intendiert, sondern um die „Notwendigkeit […], Karlstadts innere Entwicklung psychologisch zu zergliedern“, gewußt zu haben, in der formal nachgeordneten Kurzcharakteristik seiner wissenschaftlichen Vorgänger in der Beschäftigung mit Karlstadt ab; ebd., S. 183, Anm. 3. Unschwer zu erkennen sind aber die Kongruenzen zwischen Barges psychologischem Ansatz und den charaktertypologischen Interpretationen, die im Hauptkap. I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert zusammenfassend herausgearbeitet wurden, sowie der späteren „psychohistorischen“ Herangehensweise (vgl. dazu unten Anm. 79). 44 Abermals in einer Überschrift findet sich der Begriff bei Hertzsch, Karlstadt, S. 36. 45 So etwa ebd., S. 21. 46 Thesenhaft verbunden finden sich beide Begriffe ebd., S. 24: „Karlstadts Originalität gegenüber seinem Meister Luther ist seine größere Konsequenz.“ Getrennt voneinander durchziehen die beiden Termini das gesamte Eingangskapitel, wobei zuvor nur negativ ausgeschlossen wurde, worin Karlstadts „Originalität“ nicht bestanden habe: weder in den scholastischen Arbeiten, ebd., S. 2, noch in den reformatorischen Schriften des Jahres 1517, ebd., S. 6, und eben auch nicht, ebd., S. 7, in einer Synthese lutherischer und mystischer Theologie. 47 Ausdrücklich s. hierfür ebd., S. 73. 48 Zu dem Begriff s. erstmals ebd., S. 22 und 24. 49 So überschrieb Hertzsch das erste Unterkapitel seines zweiten Teils, ebd., S. 25. 50 S. hierfür das zweite Unterkapitel des zweiten Teils, ebd., S. 36. 51 Mit diesem Unterkapitel beschloß Hertzsch seinen zweiten Teil, ebd., S. 57. 52 S. hierfür ebd., S. 70.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
381
„Ähnliche Kräfte sind innerhalb der religiös-sozialen Strömungen unserer Zeit am Werk, wenn auch betont werden muß, daß die wirtschaftliche Seite dieses Programms der geistigen Gestalt Karlstadts ganz fremd gewesen ist. Aber die theologische Haltung dieser Gruppen […] kommt der Einstellung Karlstadts in vielen Punkten prinzipiell sehr nahe.“53
Kirchenpolitisch und theologisch positionell nahm Hertzsch einen nicht unproblematischen Standpunkt ein. Von der „sogenannten dialektischen Theologie“ grenzte er sich dezidiert ab, indem er sie zu weit auf der von ihm Luther zugewiesenen Seite sah.54 Nur in diesem sowie einem weiteren kritischen Zusammenhang55 erfuhr auch Friedrich Gogarten eine knappe Erwähnung, der bis 1931 in Jena gelehrt hatte56 und der Hertzsch hier vielleicht eher vor Augen stand als Karl Barth. Die zeitgenössische Berechtigung einer Karlstadtschen „Antithese“ identifizierte Hertzsch demgegenüber mit der „ ‚jungevangelische[n]‘ Bewegung“, deren „Programmschrift“ er in „O.[tto] Pieper [sic!]: Vom Machtwillen der Kirche, 1929“ erblicken wollte, dem in gerade 1100 Exemplaren aufgelegten Text eines „Vertreter[s] der theologischen Frontgeneration“57. Piper, zu diesem Zeitpunkt theologischer Ordinarius in Münster58, übte darin massive Kritik an Karl Barths Kirchenverständnis. Als Herausgeber des „Neuwerk[es]“ war er gleichwohl einer der führenden religiös-sozialen Publizisten seiner Zeit, wie Hertzsch SPD-Mitglied und zudem im „Bund religiöser Sozialisten Deutschlands“ engagiert, als dessen „wohl exponierteste[r] westfälische[r …] Theologe“ er galt und „bereits Ende 1933“ aus dem akademischen Lehramt entlassen wurde.59 Umstritten bleiben seine Versuche im Frühjahr 1933, mit den „Deutschen Christen“ in „ein wirkliches Gespräch“ zu treten.60 Unumstritten sind hingegen die politischen Verstrickungen von Hans Michael Müller61, dem von Hertzsch vielzitierten theologischen Gewährsmann für diejenigen Elemente des Lutherschen Religionsbegriffs, die er auch für Karlstadt in Anspruch zu nehmen suchte62. Zumindest in einem Zusammenhang distanzierte sich Hertzsch von Müller, 53 Ebd.,
S. 73 f. S. 73. 55 Ebd., Anm. 2, und S. 33, Anm. 5. 56 S. dazu knapp Drescher, Art. Gogarten, Sp. 1071. 57 Zu dem Begriff und den quantitativen Hinweisen im publizistischen Vergleich s. Graf, Universitätstheologie, S. 62; für die Zitate s. Hertzsch, Karlstadt, S. 73 mit Anm. 3. 58 Vgl. hierfür knapp Anon., Art. Piper. 59 Die Daten und Zitate verdanken sich Peter, Christuskreuz, S. 406. 60 S. hierfür ebd., S. 406 f. 61 Ausführlich zu Müllers Bemühungen, die Einführung des Arierparagraphen auch innerhalb der Kirche als einen theologisch unbedenklichen und politisch notwendigen Akt zu deuten s. Meier, Fakultäten, S. 131–133. 62 S. hierfür u. a. Hertzsch, Karlstadt, S. 28, Anm. 5; S. 41, Anm. 1 f.; S. 56, Anm. 1. Müller war 1925 in Jena mit einer patristischen Studie promoviert worden. Ausweislich des handschriftlichen Müllerschen Lebenslaufes aus dem Promotionsverfahren war die Arbeit „im S.[ommer]S.[emester] 1924 […] unter Anleitung von Professor v. Harnack mit den Vorarbeiten“ in Berlin begonnen worden, s. UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 2r. Jenaer Referent der Arbeit war 54 Ebd.,
382
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
in dem er diesen auf einer Linie mit Gogarten sah.63 Auch Müller, bis 1933 Jenaer Privatdozent64, war bereits Jahre zuvor als profilierter Kritiker Barths hervorgetreten.65 Was bei Herztsch im ganzen als eine schwer zu interpretierende Gemengelage divergierender kirchenpolitischer Richtungen anmuten mag, hat seinen Fokus doch in einer ansatzweisen Auseinandersetzung mit systematischtheologischen Fachvertretern der Jenaer Fakultät, dem deutlichen Rekurs auf einen auswärtigen Vertreter des religiösen Sozialismus und einem diplomatisch vielleicht nicht ungeschickten Ausgleichsversuch zwischen konfessionellen Lutheranern und kirchen‑ sowie gesellschaftspolitischen Aktivisten. 1.1.3. Die Bedeutung von Hertzschs Studie Die mit 74 Seiten auch für zeitgenössische Verhältnisse schlanke Qualifikationsschrift von Hertzsch mag man aufgrund ihrer argumentativ weithin ungeschützten Thetik, die durch eine äußerst überschaubare Quellenarbeit mehr illustrativ als induktiv veranschaulicht wurde, in wissenschaftlicher Hinsicht kritisieren. Bereits im Jenaer Promotionsverfahren hatte Heussi mit seinem Referat vom 29. Juli 1931 Schwierigkeiten antizipiert und konkrete Ratschläge literarischer Umgestaltungen für eine Drucklegung unterbreitet.66 Unter den anschließenden Voten der Jenaer Fakultätskollegen sprach sich einzig der praktische Theologe Waldemar Macholz mit Nachdruck dagegen aus, die Arbeit als theologische Dissertation anzunehmen67, wurde jedoch überstimmt68 Heussi, s. dazu ebd., Bl. 5r. Die Bezüge auf Müller ließen sich darin auch als anschlußfähig auf die Betreuung und Korrektur durch Heussi interpretieren. 63 Hertzsch, Karlstadt, S. 33, Anm. 5. 64 Vgl. dazu knapp Koch, Lutherverständnis, S. 15, Anm. 60. 65 Einschlägig hierfür: Beintker, Fides, S. 101. 66 UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 83r: „Der Schlußabschnitt (S. 111 ff.) entspricht nicht ganz den Erwartungen, die durch die programmatischen Erklärungen über die praktische Bedeutung der Kirchengeschichte (S. 6) geweckt werden. Ebenso kann man gegen die Ausführung über den Gestaltbegriff in der Einleitung einwenden, daß das hier vorliegende schwierige Problem sich in dieser Kürze nicht behandeln läßt. Hier ist eine Neuredaktion (evtll. einfach Kürzung!) zu empfehlen.“ Insgesamt verblieb Heussis Urteil verhalten, ebd., Bl. 83r, 83v: „Im Ganzen: eine anregende Arbeit, die der Forderung von § 2,1 unserer Promotionsordnung […] durchaus entspricht.“ Auf einer Linie damit lag auch die Einschätzung, ebd., Bl. 83r: „Auch wenn die weitere Forschung dem Verf.[asser] in diesen und anderen Aufstellungen nicht oder nicht durchweg folgen sollte, werden sie sich doch zum mindesten als für die Diskussion förderlich erweisen.“ 67 Aufgrund ihrer Aussagekraft über die konfessionell und eben nicht politisch motivierten Einwände (vgl. dazu oben Anm. 18) wird das Dokument vollständig wiedergegeben, das zugleich anzeigt, wie sehr die angeführten Argumente denjenigen ähneln, die drei Jahrzehnte zuvor gegen Barge vorgebracht wurden, ebd., Bl. 2r: „Hätte ich zu prüfen, ob Herr Pfarrer Hertzsch eine befriedigende Dissertation zur Erlangung der philosoph.[ischen] Doktorwürde eingereicht habe, ich würde zu einem positiven Ergebnis gelangen. Ein Theologe aber, der Karlstadt und Luther zu behandeln wagt, ohne das theologische Unterscheidungsvermögen zu besitzen, das alleine zu einem Urteil über Luther die Erlaubnis hat, ein Theologe, der Wesentliches in Luthers Theologie nicht begriffen hat – ich habe das immer wieder nachgewiesen! – und aus
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
383
und konnte sich selbst mit der Forderung weiterer redaktioneller Änderungen nicht durchsetzen69. Noch im Erscheinungsjahr gab sich der soeben nach Bonn diesem bösen Mangel noch eine Tugend machen will, die es ihm gestattet, in schulmeisterlicher Überheblichkeit den großen Bothschafter des Evangeliums zu kritisieren – ein solcher Theologe hat m. E. das Recht auf die Würde eines Doktors der Theologie verwirkt, wenn er nicht zur Einsicht kommt und die notwendigen Änderungen vornimmt. Ich habe alles Notwendige am Rand der Arbeit ausgeführt und bitte ergebenst, den Pf. Hertzsch zur mündlichen Prüfung nicht zuzulassen, bevor er eine Zurechtstellung eingereicht hat. Ich würde nicht den Mut haben, diesen Antrag zu stellen, wenn nicht Dogmengeschichte ein Specialgebiet meines wissenschaftlichen Forschens wäre und wenn ich nicht speciell die Dogmengeschichte des Reformationszeitalters etwas genauer kennte. Jena 21. August 1931“. Knapp erwähnt wird Macholz von Wolfes, Art. Glaue, Sp. 566, der über die Jenaer Fakultät festhält: „Auch der Ordinarius für Praktische Theologie, Waldemar Macholz, verlor durch einen entsprechenden Regierungserlaß zum 1. Oktober 1933 sein ursprüngliches Fach zugunsten des Lehrgebietes ‚Konfessionskunde und verwandte Fächer‘.“ Ein einschlägiges Zeugnis über die politischen Differenzen aus nationalsozialistischer Perspektive liefert der undatierte Bericht des Jenaer Rektors Meyer-Erlach, den Pauli, Fakultät, S. 52 f., Anm. 83, zitiert: „Macholz wurde 1933 wegen seiner zersetzenden theologischen Haltung von seinem Lehrauftrag für Praktische Theologie entbunden. Er ist der typische negative Vertreter der Theologie. Alle nationalsozialistischen Studenten, das sind bei uns 95 % aller Theologen, boykottieren ihn. Formal ist er dem Staat gehorsam, aber innerlich trennen ihn Welten von der Sache des Nationalsozialismus. Wissenschaftlich hat er nicht viel geleistet.“ Provozierendes Potential mochten die Aussagen von Hertzsch über Luther besessen haben, wenn er etwa erklärte, Hertzsch, Karlstadt, S. 48: „Die Ethik ist (wieder die grandiose Einseitigkeit!) für Luther eine peripherische Angelegenheit“, ebd., S. 22: „Die bewußte und gewollte Einseitigkeit Luthers in der Betonung des sola fide ist zugleich seine Größe und Schranke“, oder ebd., S. 21: „für Luther ist die Frage der Heilsgewißheit von so entscheidender Bedeutung, daß er sich mit der Lösung dieses Problems und der Sicherung seiner Lösung vollkommen zufriedengeben kann.“ 68 S. dazu in chronologischer Reihenfolge die Voten von dem Alttestamentler Staerk (15. August 1931), ebd., Bl. 83v (zu diesem vgl. Sauer, Art. Staerk), des Systematikers Weinel (3. September 1931), UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 83v (zu diesem s. Wesseling, Art. Weinel), des Neutestamentlers Fascher (2. Oktober 1931), UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 82r u. 82v (zu Fascher s. knapp Meyer, Art. Fascher), sowie des praktischen Theologen Glaue (8. Oktober 1931), Bl. 82v (äußerst umfassend und akribisch zu diesem s. Wolfes, Art. Glaue). Gegen Macholz konstatierte Fascher scharf „als Historiker, daß es auch einem luth.[erischen] Forscher möglich sein muß, an Luther Kritik zu üben. Seine Schriften sind für uns nicht kanonisch, sein Handeln nicht immer vorbildlich. Der luther.[ische] Prediger mag vom ‚großen Botschafter des Evangeliums‘ schreiben, dem luth.[ischen] Historiker steht es nicht zu, seine Forschungsobjekte von vornherein mit solchen Vorurteilen zu betrachen“. Zugleich zeigte sich Fascher aufgeschlossen gegenüber dem Vorschlag einer Überarbeitung: „Wenn er zu sehr Apologet Carlstadts geworden ist, soll er vor der Drucklegung die Mängel seiner Subjektivität abstellen“. Glaue seinerseits betonte den Wert der Studie, einer „‚Vergötterung‘ Luthers vorzubeugen“, enthielt sich aber einer Stellungnahme zur Frage der geforderten Überarbeitung. Weinel positionierte sich hinsichtlich der Verfahrensfrage vergleichbar, betonte aber mit dem Gewicht seiner fachlichen Kenntnisse, daß die „Arbeit […] eine fleißige und wissenschaftlich begründete Abhandlung“ darstelle. Hertzsch hatte Weinel als einen seiner wesentlichen Lehrer erwähnt; vgl. dazu den Lebenslauf (wie Anm. 21), Bl. 78v. 69 Vgl. dazu das Schreiben von Hertzsch an den Dekan der Fakultät vom 16. Dezember 1931, UA Jena, Bestand J, Nr. 87, Bl. 85r: „Eurer Spectabilität darf ich gleichzeitig einen Fahnenabzug meiner Dissertation über Karlstadt übersenden. Auf Wunsch von Herrn Prof. D[.] Dr. Heussi sind die Vorbemerkungen über den Gestaltbegriff ganz weggefallen und das Vorwort dementsprechend gekürzt worden. An einigen wenigen Stellen ist außerdem auf Grund der
384
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
berufene70 Ernst Wolf darüber unschlüssig, ob es sich bei dem Text tatsächlich um eine theologische Dissertation handeln könne.71 In die „Theologische[n] Blätter“ rückte er eine vernichtende Kritik ein, die mit einer scharfsinnigen Zitatkompilation eröffnete72, auf das „hintergründige wertende Eintreten für bestimmte theologische und kirchenpolitische Ziele“ bei allen teils wertvollen Einzelergebnissen abhob und mit dem Bedauern schloß, daß die „sehr lohnende […] und beachtliche […] Aufgabe“73 letztlich verfehlt worden sei. Seine eigene Rezension faßte Wolf sechs Jahre später nochmals selbst in einer Fußnote zusammen: „zu der verunglückten These des gesamten Buches [von Hertzsch], die Karlstadt vom Standpunkt eines ‚jungevangelischen‘ Aktivismus aus als notwendige Ergänzung und folgerichtige Fortführung Luthers ansieht, vgl. meine Anzeige in [den] Theol.[ogischen] Bl.[ättern]“.74 In Anknüpfung an die treffende Formulierung von Raschzok, der das Hertzsche Lebenswerk unter der Überschrift „Praktische Theologie als Selbsterkenntnis der Kirche“75 zusammenfaßte, mag man die frühe Qualifikationsschrift einer historischen „Theologie als Selbsterkenntins der Kirche“ subsumieren, die ihrerseits als Segment einer praktischen Theologie verstanden werden könnte. Wissenschaftshistorisch nicht unzutreffend dürfte es zudem sein, Hertzschs Beitrag als das thetische Gegengewicht zu Holls „Neubau der Sittlichkeit“ bei Luther zu verstehen, jenen 1921 erstmals gedruckten Aufsatz, über den Hertzsch vergleichsweise beiläufig in einer Anmerkung urteilte, er sei „in den Einzelheiten nicht zu widerlegen […], aber der Grundfehler liegt m. E. darin, daß diese einzelnen lutherischen Gedanken als zentral hingestellt werden.“76 In ihrer forschungsgeschichtlichen Relevanz ist die Arbeit von Hertzsch indes nicht zu überschätzen. Mit seinen gerade vier Beiträgen zu Karlstadt legte Hertzsch zunächst 1932 die erste Dissertation zu Karlstadt vor, überführte diese Mitte der fünfziger Jahre in eine erste, wenn auch noch so begrenzte Auswahledition, und schuf 1952 die erzählerisch vielleicht eindringlichste Karlstadt-Miniatur, die für einen breiten Leserkreis je geschrieben wurde77 und die – wie später zu zeigen sein wird – auch der Romancier Alfred Otto Prüfungsbemerkungen der Text in Einzelheiten verbessert worden. Sonstige Änderungen sind nicht vorgenommen worden.“ 70 Knapp dazu s. Ruddies, Art. Wolf. 71 Wolf, Rez. Hertzsch, Sp. 311: „vermutlich eine Jenaer Dr.-theol.-Dissertation; der V[er] f.[asser] nennt sich Dr. theol.“ 72 Ebd., Sp. 310. 73 Ebd., Sp. 311. 74 Wolf, Gesetz, S. 106, Anm. 11. 75 Raschzok, Hertzsch. 76 Hertzsch, Karlstadt, S. 48, Anm. 1. 77 Alternativ in Betracht zu ziehen ist einzig der Beitrag von Thiel, Karlstadt, von 1935, der – wie unten gezeigt wird, vgl. dazu dazu Unterkapitel 2.3.3. Schwedes Exposé vom 4. März 1973 – Hertzsch vor der Abfassung seiner Miniatur vorlag.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
385
Schwede für seinen Karlstadt-Roman 1975 heranziehen sollte. Hertzsch selbst steuerte 1959 den Karlstadt-Artikel zur dritten Auflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“ bei. In der Generation nach Barge war Hertzsch derjenige, der die einflußreichsten Beiträge zu Karlstadt veröffentlichte und in der unauffälligsten sowie sensibelsten Art das Bargesche Karlstadt-Bild zu etablieren half. Ein direkter Weg eröffnete sich von den beiden biographischen Kleinportraits, dem Aufsatz von 1952 und der 1956 folgenden „Einführung“ in der Auswahlausgabe zu der 1959 erwachenden angloamerikanischen Karlstadt-Forschung, die sowohl von der narrativen Intensität Hertzschs als auch dessen subtilem Anschluß an Barge inspiriert wurde.78 Zugleich zeigten sich die 1974 und 1980 aufblitzenden Ansätze einer „psychohistorische[n]“ Annäherung an Karlstadt und dessen „Konflikt mit Martin Luther“ den Anregungen von Hertzsch in besonderer Weise verbunden.79 So eigenständig die Akzente in Hertzschs Dissertation waren, überführte sein Lexikonartikel von 1959 die vormals umstrittenen Hauptthesen von Barge in ein verbreitetes Grundwissen. Unter den Einschränkungen der für Hertzsch spezifischen Entwicklungen mag es berechtigt sein, ihn als „Schüler“ Barges zu begreifen. In jedem Fall war er ein Leser Wählers, dessen landesgeschichtliche Perspektive er ebenso aufnahm wie das zwischen Karlstadt und Luther ausgleichende Argumentationsprofil. Zugleich und in einem vielleicht höheren Maße war er der Vermittler eines theologischen Grundanliegens, religiöse Überzeugungen in einer organischen Synthese mit politischem und sozialem Engagement zu vertreten. Grundsätzlich verband dies Barge und Hertzsch miteinander. Der Theologe hatte aber gerade darin nicht erst von dem Historiker lernen müssen.
78 Zu den direkten Bezügen von Rupp, Puritanism, auf Hertzsch s. unten Anm. 211. Für Hertzschs Bedeutung für Sider, Karlstadt 1969, 1971 und 1974 s. unten Kap. 2.1 Ronald J. Siders Dissertation bei Jaroslav J. Pelikan (1969/74) – Karlstadts reformationsstrategische Spezifik. 79 S. hierfür den 1980 gehaltenen und im Folgejahr gedruckten Beitrag von Bubenheimer, Gelassenheit 1981b, S. 251, Anm. 4: „Psychohistorische Kategorien hat, ohne diesen Begriff zu verwenden, bereits Erich Hertzsch […] 1932 […] auf Andreas Bodenstein angewandt. Hertzsch hat sich nach meinem Urteil bislang am adäquatesten in die Person Bodensteins eingefühlt.“ Bubenheimer bezog sich auf die Ausführungen von Hertzsch, die oben in Anm. 43 in ihrem Zusammenhang mit Barge erwähnt wurden. Zum Anlaß des Bubenheimerschen Beitrages s. Bubenheimer 1981b, S. 250, Anm. *. Interessanterweise hatte Sider bereits 1974 vergleichbare Ansätze für Karlstadt erprobt, indem er die von Herztsch vorgeschlagenen Minderwertigkeitskomplexe als Erklärungsmuster für einzelne Tendenzen in Karlstadts Leben und Werk in Betracht zu ziehen suchte; vgl. hierzu Sider, Karlstadt 1974, S. 12–15. Zur stärkeren Betonung dieser Passagen in der Druckfassung gegenüber der Abgabeversion der Dissertation s. unten Anm. 259–262.
386
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
1.2. Ernst Kählers Dissertation bei Ernst Wolf (1948/1952) – die historische Genese des theologischen Umschwungs 1517 als „Schlüssel“ zum reformatorischen Gesamtwerk 1.2.1. Ernst Wolf und Karlstadt Noch in einer weiteren Hinsicht erwies sich Hertzsch als bedeutsam für die nachfolgende Karlstadt-Forschung. Sein Kritiker Wolf, der 1935 nach Halle strafversetzt worden war80, traf dort auf einen Enkel des wohl berühmtesten Hallenser Theologen der Jahrhundertwende, den er als Doktoranden auf jene noch ungelöste „Aufgabe“ einer kirchenhistorischen Studie zu Karlstadt ansetzte. Der aus Duisburg gebürtige Ernst Kähler hatte das erste „Theologische Examen vor der durch die Evangelische Bekenntnissynode im Rheinland bestellten Prüfungskommission“81 1939 abgelegt, war jedoch seit seinem Studienbeginn im Herbst 1933 nicht an der Bonner Fakultät gewesen, wo er bereits auf Wolf hätte treffen können. Zwischen 1940 und 1945 leistete Kähler „Kriegsdienst“ und galt schließlich „aufgrund mehrfacher Verwundung“ als „Schwerbeschädigter“. Seit dem 1. Dezember 1942 versah er die Hallenser Assistenz bei Wolf und reichte drei Jahre nach dessen Wechsel nach Göttingen dort 1948 seine Dissertation zu „Karlstadt und Augustin“ ein.82 Wortidentisch gedruckt erschien sie 1952 in Halle als die „Einleitung“83 zu „Karlstadt und Augustin. Der Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zu Augustins Schrift De spiritu et litera. Einführung und Text.“84 Weder das Typoskript noch die Drucklegung lassen einen Zweifel daran, daß die Arbeit, mit der Kähler 1952 zudem in Halle habilitiert wurde, von Wolf angeregt worden war.85 Bereits 1927, in seiner eigenen Dissertation zu „Staupitz und Luther“, war Wolf auf die Widmung des Karlstadtschen Augustin-Kommentars an Staupitz 80 Ruddies,
Art. Wolf. Angabe wie auch die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf das Göttinger Typoskript „Lebenslauf“ in Kähler, Karlstadt 1948. 82 Zum Typoskript s. Kähler, Karlstadt 1948. 83 Die Überschrift bietet diesen Begriff, s. Kähler, Karlstadt 1952, S. 1*. Nach der Unterzeile des Haupttitels „Einführung und Text“ wäre auch möglich, von einer „Einführung“ zu sprechen. 84 Kähler, Karlstadt 1952, S. 1*–62*. 85 S. dazu Kähler, Karlstadt 1948, „Vorbemerkung“ im Anmerkungsteil: „Die nachstehenden Studien sind durch Prof. Ernst Wolf in Göttingen angeregt worden.“ Kähler, Karlstadt 1952, vermerkt im „Vorwort“, ebenfalls ohne Paginierung, den Dank „an den verständnisvollen Anreger und Begleiter dieser Arbeit, Prof. Ernst Wolf“. Daß die Drucklegung der Edition als Grundlage für das Habilitationsverfahren diente, ergibt sich aus Belegexemplaren, die im Rahmen des Austauschs von Qualifikationsschriften an einzelnen Universitäts‑ und Landesbibliotheken verwahrt werden (vgl. hierfür u. a. die katalogisierte Aufnahme der Schrift in der LB Schwerin [Sig. Bc IV 1 130/20], der dem Hallenser Druck von 1952 gilt und diesen als Habilitationsschrift für den 7. Mai 1952 ausweist). 81 Die
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
387
aufmerksam geworden.86 In diesem Zusammenhang hatte er auch die Wiederentdeckung des Textes durch Barge und die überstürzte Einarbeitung in den Haupttext und Anhang der Karlstadt-Biographie wahrnehmen müssen.87 Die Überlegung, den von Barge nur in einem knappen Auszug präsentierten Text vollständig zu edieren, war deshalb nicht weniger scharfsinnig. Sie rückte Karlstadts umfangreichste theologische Einzelschrift in den Mittelpunkt und nahm zugleich dessen reformatorische Erstlingspublikation in den Blick, sieht man von den 151 Thesen vom April 1517 ab. In der reinsten Form finden sich das Thema und in gewisser Hinsicht auch Kählers späteres Ergebnis in Wolfs 1938 gedrucktem Vortrag „Gesetz und Evangelium in Luthers Auseinandersetzung mit den Schwärmern“ angelegt.88 Darin verwies Wolf auf die zentrale Bedeutung von Augustins „De spiritu et litera“ für Luther wie Karlstadt „als ‚Zutritt zu der ganzen Theologie‘“; aus den spezifischen Interpretationen im einzelnen ließen sich die signifikanten Unterschiede im gesamten ableiten.89 Während Luther für einen „theologischen“ Zugang zu dieser Schrift und auf deren Grundlage zum biblischen Text in Anspruch genommen wurde, stand Karlstadt für ein „spiritualistisch=spekulative[s …] Verständnis“90. Das vier Jahre später Kähler aufgegebene Thema einer Edition des Augustin-Kommentars markierte einen Gegenentwurf zu der Hertzschen Dissertation. An die Stelle einer gegenwartsorientierten Thetik und flächigen Quellenlektüre mußten das historische Detail und eine intensive Textarbeit treten. Zudem wandte sich der Zeitrahmen der Untersuchung nicht dem postulierten Höhepunkt einer inneren Entwicklung zu, sondern dem nachweislichen Anfang des Anschlusses von Karlstadt an Staupitz, Augustin und Luther. 1.2.2. Kählers editorische und interpretative Arbeit Kähler war für die philologische Herausforderung geschaffen wie kein zweiter. Seine Edition darf als die mit Abstand beste Einzelausgabe eines Karlstadttextes gelten, die bislang erarbeitet wurde. Klug war es, eine inhaltliche Annäherung an den engen Bezugstext der 151 Thesen in die „Einleitung“ zu integrieren. Die formale Einrichtung seiner Ausgabe zeugt von editionsphilologischem Sachverstand; die Übersetzungen und Paraphrasen der „Einleitung“, aber auch die textkritischen Konjekturen und expandierten Abkürzungen im edierten Text belegen, was für ein vorzüglicher Altphilologe Kähler war; und die inter86
S. dazu Wolf, Staupitz, S. 260, Anm. 2. Ausdrücklich zitierte Wolf, ebd., den von Barge gebotenen Textauszug und nicht das zu diesem Zeitpunkt bekannte Dessauer Exemplar oder den Druck aus dem Besitz des Earl of Crawford in Wigan, Lancester. 88 Wolf, Gesetz; für Kählers spätere Kenntnis des Textes s. Kähler, Karlstadt 1952, S. *26, Anm. 2; S. 40, Anm. 4; S. 75, Anm. 3; Kähler, Art. Bodenstein, S. 357. 89 Wolf, Gesetz, S. 103. 90 Ebd. 87
388
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
textuellen Bezüge seines Anmerkungsapparates lassen die immense Akribie des Forschers erahnen, dessen editorische Leistung auch von allen Rezensenten gepriesen wurde.91 Kähler mußte sich die Arbeit abgerungen haben. In einem späteren Selbstzeugnis bezeichnete er das „Skrupulantentum“ und einen „fast selbstzerstörerische[n] Zweifel an sich selbst“ als ein generationenübergreifendes „Familienerbe“, dessen er sich vollauf – und damit auch schmerzlich – bewußt gewesen war.92 Seine Edition liefert Muster und Maßstab für spätere Ausgaben. Vollauf verdient war es, daß Kähler 1957 in Göttingen ehrenpromoviert wurde93. Zweifelsohne wäre er der ideale Mann gewesen, um eine Folgeedition anzuleiten oder zu unterstützen. Zusammen mit Hans Joachim Hillerbrand verfolgte er zumindest zeitweilig entsprechende Überlegungen.94. Den inhaltlichen Ertrag seiner intensiven editorischen Arbeiten am AugustinKommentar bündelte Kähler in der gedruckt gut 60-seitigen „Einleitung“. Der 91 Eine klare Wertschätzung dieser Arbeit findet sich 1969 in einer Rezension von Bernd Moeller, der die Kählersche Edition schlicht „vorzüglich“ nennt; s. Moeller, Rez. Kriechbaum, Sp. 686. 1956 würdigte Ernst Walter Zeeden die Arbeit als, Zeeden, Rez. Kähler, S. 416: „eine Edition von höchster Erudition“ und ebd., S. 418: eine „ausgezeichnete Bereicherung“. 1953 pries auch Lau, Rez. Kähler, Sp. 427: „Die Genauigkeit, mit der gearbeitet ist, empfinde ich als mustergültig.“ Gleichermaßen wertschätzend urteilte 1954 Pelikan, Rez. Kähler, S. 268: „The text itself is a model of editorial care, with all manner of obsure patristic references precisely identified, textual discrepancies meticulously noted, and historical as well as contemporary allusions accurately explained.“ 92 Die betreffende Passage findet sich in einem maschinenschriftlichen Brief an Rudolf Smend vom 14. August 1987 und lautet: „Im übrigen ist das Skrupulantentum bzw. der fast selbstzerstörerische Zweifel an sich selbst ein ziemlich schweres Familienerbe, das man durch Generationen hindurch verfolgen kann; Sie können es bereits sich klarmachen in der RE3 in dem Artikel über Ludwig August Kähler. Es läßt sich viel Kritisches über meine gens sagen, Selbstsicherheit wird man den wenigsten vorwerfen können.“ Für die Einsichtnahme in das Dokument und weitere Erinnerungen an Kähler danke ich Rudolf Smend, Göttingen, sehr herzlich. Bei der brieflich angedeuteten Referenz zu Ludwig August Kähler dürfte es sich um die Ausführungen von Hering, Art. Kähler, S. 691, handeln: „Das alles schwer nehmend und empfindend gelangte er in nagender Selbstbeurteilung zu schweren Zweifeln an sich. Zwar blieb er, wie es einem bedeutenden Menschen zusteht, dessen gewiß, daß seinem originalen Streben nicht geringe geistige Fähigkeiten zur Verfügung standen; auch wußte er sich erfüllt von einem brennenden Eifer, das Edelste und Beste, was er von unauslöschlichem Durst nach Wahrheit getrieben für sich gefunden, Jünglingen mitzuteilen. Aber in seiner Ausrüstung für den gelehrten Beruf vermißte er die Beherrschung der gelehrten Technik und das zureichende Material der Gelehrsamkeit; ja er bohrte mit dieser Selbstkritik bis auf seine Willensbeschaffenheit durch und schätzte sich mehr auf die Eindrucksfähigkeit als auf Ausdauer ein.“ 93 Zu dem Datum s. Mitarbeiterverzeichnis, RGG3, Sp. 114 f., hier: 115 (DBA, T. 2, Fichenr. 669, S. 411). 94 S. hierfür Kaufmann, Bornkamm, S. 155, Anm. 247, der auf ein Vorstandsprotokoll vom 10. Dezember 1960 rekurriert. Im Kählerschen Nachlaß, der in den neunziger Jahren in mehreren Teilabgaben dem Greifswalder UA übergeben wurde, befinden sich laut brieflicher Auskunft (vom 6. Juni 2012) der stellvertretenden Leiterin, Frau Barbara Peters, keine einschlägigen Manuskripte. Kopien weiterer Karlstadt-Schriften betreffen nur zwei deutschsprachige Texte von 1524 und 1525 sowie die „Conclusiones“ gegen Eck von 1519. Letztere könnten eine chronologisch und thematisch konsequente Fortsetzung der früheren Studien andeuten.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
389
überschaubare Abschnitt ist konzise aufgebaut und gliedert sich in sieben Kapitel, von denen die drei abschließenden klassische Einleitungsfragen traktieren, wie Druckgeschichte, formale Präsentation der Edition, aber auch statistische Übersichten zu den identifizierten Referenztexten95. In den ersten vier Kapiteln läßt sich ebenfalls eine Sequenz wahrnehmen, die mit einer Skizzierung der aufgegebenen Fragestellung und deren Relevanz eröffnet („I. Einleitung“)96, diese innerhalb der berührten Lebens‑ und Werkgeschichte Karlstadts kontextualisiert („II. Karlstadts Wendung zu Augustin“)97, aufgrund des chronologischen Vorgehens eine inhaltliche Annäherung an „Die 151 Thesen“ vollzieht (III.)98, um in einem systematischen Schlußteil eine Summe der „Grundgedanken des Augustin=Kommentars“ (IV.)99 zu ziehen. Quantitativ überwogen die 30 Seiten der eingeschlossenen Studien zu den 151 Thesen – und damit eine weitere editorische Einzelarbeit – die systematische Gesamtdarstellung um mehr als das dreifache, womit der Schwerpunkt des Kählerschen Beitrages insgesamt in der Materialarbeit liegt. Weder in seiner Thetik noch einzelnen Ergebnissen ist Kähler deshalb aber weniger stark. Bereits sein Eingangssatz konstatierte zu Karlstadt unmißverständlich, daß „der eigentliche Schlüssel zum Verständnis seiner Theologie, aber auch seines Handelns, noch nicht gefunden“ sei.100 Der Haupttext verwies „vor allem“101 auf Barge, der als „von der Sozial‑ und Wirtschaftsgeschichte her[ge]kommen[er]“102 „Profanhistoriker“103 nicht den nötigen Zugang zur „Frage nach [Karlstadts …] innersten Beweggründen, und die sind zweifellos theologischer Art“104, gefunden habe. Seinen theologischen Vorgänger Hertzsch kritisierte Kähler dezent im Anmerkungsteil. Zunächst ordnete er ihn diskret in eine alphabetisch sortierte Sammelreferenz zur bisherigen „Literatur“ ein105, dann widmete er ihm immerhin die letzte Fußnote seines Einleitungspassus. Gegenüber der von Hertzsch postulierten theologischen Kongruenz zwischen Luther und Karlstadt, der auch eine gemeinsame Identität im Augustin-Verständnis entsprochen habe, registrierte Kähler schlicht, daß die Arbeit von Hertzsch gegenüber der eigenen „verfrüht“ und „ausgesprochen korrekturbedürftig“ sei.106 Den letztlich ahistorischen Ansatz von Hertzsch diagnostizierte Kähler mit 95 Gemäß der oben gewählten Reihenfolge entspricht dies: Kähler, Karlstadt 1952, S. *45–*53, *60–*62, *53–*60. 96 Ebd., S. *1–*3. 97 Ebd., S. *3–*8. 98 Ebd., S. *8–*37. 99 Ebd., S. *37–*45. 100 Ebd., S. *1. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Ebd., S. *2. 104 Ebd. 105 Ebd., S. *1, Anm. 1. 106 Ebd., S. *3, Anm. 1.
390
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
ebensoviel Verständnis wie Humor, indem er allein zur Überschrift „Karlstadt und seine Bedeutung für das Luthertum“ bemerkte, daß „K.[arlstadt] für das Luthertum nie von Bedeutung gewesen ist und das Thema mehr als durch eine echte historische Fragestellung von dem Wunsch diktiert wurde, K.[arlstadt] möchte dem ‚Luthertum‘ etwas bedeuten“107. Daß der Beitrag von Hertzsch für Kähler von keinerlei Relevanz war, stand damit außer Frage und hatte in der größten Zurückhaltung auch schon der Eröffnungssatz vermerkt. Seinen eigenen „Schlüssel“108 zu einem theologischen Gesamtverständnis von Karlstadt fand Kähler in einer Kombination dreier Elemente. Zum einen konnte er den durch Luther und, mehr noch, durch Staupitz109 vermittelten Zugang zu Augustin in seiner grundlegenden Bedeutung110 für ein sich radikal111 veränderndes Theologieverständnis im direkten Anschluß an Karlstadts Selbstzeugnis aus der Vorrede zum Augustin-Kommentar schildern. Zum anderen warf der direkte Vergleich mit dem großen Selbstzeugnis von Luther aus der Vorrede seiner lateinischen Schriften von 1545112 Licht auf die Differenzen „der Initia Lutheri mit denen Karlstadts“113; doch nicht nur die subjektive Selbstwahrnehmung, auch „eine […] eingehende […] Analyse der Gedankengänge und Begriffe“114 bezeuge einen bereits in den ersten Anfängen greifbaren „Gegensatz“.115 Drittens und letztens ließ sich Kähler von Kolde sowie – was deutlicher, als es in der Arbeit festgehalten wird116, zu betonen ist – von Wolf 117 dazu anregen, die „Ansätze der späteren Entwicklung“118 bereits in den frühesten reformatorischen Zeugnissen sehen zu wollen. Für Kähler bedeutete dies konkret, daß der „Schwärmer“119, Spiritualist120 oder „im Spiritualismus 107
Ebd.
108 Der
Begriff findet sich abermals ebd., S. *7: „so beruht doch die Entdeckung von De spiritu et litera als eines Schlüssels zur Theologie überhaupt auf einem selbständig gewonnenen Urteil.“ 109 Ausführlich hierzu, im direkten Anschluß an die Vorarbeiten von Wolf, ebd., S. *4–*8. 110 S. dazu ebd. 111 Kähler seinerseits betont den Charakter des „revolutionären“; s. dazu die zwei Bezüge im „Vorwort“ vom 18. Oktober 1951. 112 Für diesen Textbezug s. ebd., S. *8 mit Anm. 3. 113 Ebd., S. *3. 114 Ebd. 115 Ebd.; s. hier zudem die Formulierung einer „tiefgehende[n] Verschiedenheit“. 116 Vgl. dazu allenfalls ebd., S. *26, Anm. 2. 117 Einschlägig hierfür ist der oben benannte Vortrag von 1938 Wolf, Gesetz, der ausgehend von Karlstadt Erläuterung zu Augustins „De spiritu et litera“, ebd., S. 103, einen „spiritualistisch=spekulative[n]“ Ansatz im reformatorischen Gesamtwerk von Karlstadt konstatiert; vgl. ebd., S. 107: „wo das äußerliche Wort nur als litera und das allein mit dem wesentlichen Wort gleichgesetzte innerliche Wort nur als ‚freier‘ Geist angesehen werden.“ 118 Vgl. hierfür ausdrücklich Kähler, Karlstadt 1952, S. *9 f. und S. *37; zu bemerken ist auch die unbewußte Variation, die Kähler auf S. *37 in das Kolde-Zitat brachte, indem er diesem die Fomulierung der „Anfänge der späteren Entwicklung“ zuschrieb. 119 Bei Kähler in einfachen Anführungszeichen, ebd., S. *10. 120 Ebd., S. *29, *37;
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
391
begründete“ Rationalist121, zu dem Karlstadt mit dem Abendmahlsstreit122 „öffentlich“123 werden sollte, bereits in seinem ältesten Augustin-Verständnis angelegt sei.124 Argumentativ hatte dies einige gravierende Konsequenzen. In dem einleitenden Interpretationsteil bestimmte die diachrone Perspektive die Progression der Leserichtung von den 151 Thesen zum Augustin-Kommentar, während die Intensität der Texterschließung und zeitliche Priorität von Kählers Editionsarbeit klar beim Augustin-Kommentar lag125. So konnte Kähler einerseits eine Kontinuität im theologischen Profil Karlstadts postulieren126, andererseits mußte er die gedanklichen Samen der späteren Keime und Blüten in der älteren der beiden Schriften suchen. Den zentralen Beleg für seine Spiritualismusthese fand Kähler dort in These 109127 (Lex evangelii scripta est vetus128), die nur von einer handschriftlichen Kopie geboten wird und deren Verzicht in der gedruckten Überlieferung Kähler aufgrund „ihres radikal spiritualistischen Charakters“129 in Betracht zog. Thematisch hatte Kähler damit einen Beitrag zu der zurückliegenden Karlstadt-Luther-Kontroverse vorgelegt. An Barge bedauerte er, daß jener den Augustin-Kommentar zu spät „in die Hand bekam“ und unzureichend auswertete: „Vor allem ist ihm dadurch […] die Möglichkeit entgangen, seine Sicht des Verhältnisses von Luther und Karlstadt zu überprüfen und des echten theologischen Gegensatzes zwischen beiden ansichtig zu werden.“130 Nichts weniger, als „nunmehr eindeutig ihre tiefgehende Verschiedenheit“131 bereits in den Anfängen der ersten Annäherung aufweisen zu wollen, war Anliegen und Anspruch der Kählerschen Arbeit. Vorsichtig deutete Kähler systematisch-theologische Kritik an Karlstadt an, dessen Christologie132 ihm – der als seine prägendsten Lehrer „Karl Barth, Julius Schniewind und Ernst Wolf“ erachtete133 – als „außer121 Ebd.,
S. *45. S. *15. 123 Ebd., S. *3. 124 Forschungsgeschichtlich sensibel nahm Kähler zudem wahr, ebd., *29, Anm. 1, daß auch Barge einem „neuzeitliche[n …] Spiritualismus“ zuzuordnen sei, was nicht dem Duktus der Biographie, aber dem Selbstverständnis in der Ehrengabe für Lamprecht von 1909 entsprach. Beachtlich ist, daß Kähler hier ausschließlich auf dem Boden der Biographie argumentiert, während der Beitrag Barge, Streit, in der Studie unerwähnt bleibt. 125 Vgl. dazu ausdrücklich ebd., S. *2: „Von ihm [dem Augustin-Kommentar] her erschlossen sich auch die 151 Thesen vom 26. 4. 1517, […] vor allem in ihren ungeahnt zahlreichen Zitaten.“ 126 Ebd., S. * 32: „Das theologiche Bild, das die Erläuterungen zu De spir. et lit. gegenüber den 151 Thesen bieten, zeigt keine wesentlichen Unterschiede.“ 127 Ebd., S. *29; S. *40, Anm. 9. 128 Ebd., S. *28. 129 Ebd., S. *29. 130 Ebd., S. *2. 131 Ebd., S. *3. 132 Kähler spricht distanzierend sogar nur von den „christologischen Aussagen“, ebd., S. *43. 133 S. dazu die Selbstauskunft im „Lebenslauf“ des Göttinger Typoskriptes Kähler, Karlstadt 1948. 122 Ebd.,
392
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
ordentlich dürftig“134 erschien. Eine schiere Fülle von Detailbeobachtungen und Einzelergebnissen macht den überragenden Wert von Kählers Studie aus. Im Hinblick auf die Karlstadt-Luther-Kontroverse herauszugreifen ist, daß Kähler die Differenz zwischen Barge und Müller in der Bewertung von Karlstadts Kritik am Heiligenkult als philologisch verfehlt identifizierte. Während Barge Karlstadts Originalität und zeitliche Priorität gegenüber Luther betont hatte, verwies Müller auf eine volle Kongruenz zur „kirchlichen Lehre“135 der Scholastik und opponierte gegen jedes kritische Potential der betreffenden Ausführungen. Kähler erkannte in dem grundlegenden Abschnitt „nichts anderes als eine mehr oder weniger wörtliche Wiedergabe der Argumentation Augustins gegenüber dem Götter‑ und Heroenkult des antiken Rom aus dem 10. Buch von De civitate dei“.136 Mit der Größe der Kählerschen Detailarbeit verbanden sich jedoch auch gewisse Grenzen. So konnte er seine Grundthese einer werkgeschichtlichen Kontinuität nur postulieren, nicht aber material ausführen. Die Bezüge auf spätere Schriften Karlstadts beschränken sich auf drei zeitlich angrenzende Texte, die „Apologeticae Conclusiones“ und die „Defensio“137 von 1518 sowie die „Epitome De impii iustificatione“ von 1519. Einzig für das Jahre 1525 berührte Kähler einmal die „Anzeig etlicher Hauptartickeln“, für die er aber nur das Referat Jägers von 1856 verfügbar hatte.138 Zeit‑ und quellenbedingt konnte Kähler der weiteren Forschung mehr eine Aufgabe stellen, als die These einer theologischen Einheit im Karlstadtschen Gesamtwerk nach 1517 belegen. Auch der eigentliche Vergleich in der Augustinrezeption Karlstadts mit derjenigen Luthers fiel schwach aus; punktuell bezog Kähler allenfalls die Römerbriefvorlesung heran139, um Unterschiede zum jungen Luther aufzuzeigen. Ein historiographisches Verdienst mag sein, daß Kähler ungleich detaillierter demgegenüber das Verhältnis von Karlstadt zu Staupitz aus „gemeinsame[n] Elemente[n] theologischer Bildung“140 nachzeichnete. Hieraus folgerte er die Annäherung des Jahres 1517 und die Ausprägung eines vergleichbaren Profils einer „Theologie der Gnade“141. Völlig ausgeblendet wurde von Kähler indes die Möglichkeit einer bereits scholastischen Vermittlung von Augustin an Karlstadt. Seine Quellenarbeiten
134 Kähler,
Karlstadt 1952, S. *43. dazu oben Anm. 769. 136 Kähler, Karlstadt 1952, S. *43. 137 Instruktiv ist die Zusammenstellung im Register, ebd., S. 133. 138 Ebd., S. *45. 139 Ebd., S. *12, Anm. 7; S. *33, Anm. 1; im ganzen ist auch hier die Übersicht im Register einschlägig: ebd., S. 133. 140 Ebd., S. *5. 141 Den Begriff bietet Kähler zunächst für Staupitz, ebd., S. *6, und später, im Zusammenhang der eigenen christologischen Kritik an Karlstadt, dann für diesen, ebd., S. *43: „K.[arlstadt]s hier zutage tretende Theologie ist eine Theologie der Gnade und keine Theologie Christi.“ 135 S.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
393
basieren auf überragenden Vergleichen mit zeitgenössischen Augustindrucken142, bewegten sich aber in einem auch die Heuristik Kählers trübenden Bewußstein einer „für die Theologie des sechzehnten [!] Jahrhunderts“ bislang völlig unzureichenden „‚Aufbereitung‘ […] der Bezugnahmen auf Augustin, aber auch andere Väter“143. Unter den Rezensenten machte alleine Pelikan darauf aufmerksam, daß die Kontextualisierung innerhalb der zeitgenössischen und mittelalterlich präfigurierten Augustinrezeption konstitutiv hätte einbezogen werden müssen, um die Spezifik von Karlstadts Anschluß eigens zu profilieren.144 Die Studie von Kähler bleibt deswegen nicht weniger grandios. Die selbstgestellten Aufgaben einer Verhältnisbestimmung zu Luther in der Augustinrezeption und des Aufweises eines theologischen Nucleus für Karlstadts Entwicklung nach 1517 löste sie nur zum Teil. Kähler selbst wird aber mehr als jedem anderen bewußt gewesen sein, daß man sich dem Kern eines so umfassenden Themas immer nur mehr fragend als antwortend nähern kann und eine Vielzahl „mühevolle[r]“ Einzelschritte nötig ist, um einen Fortschritt im ganzen zu erzielen.145 Als Theologe verband Kähler erstmals eine intensive Quellen‑ und Editionsarbeit zu Karlstadt mit einer historisch-genetischen Fragestellung und der Bereitschaft zur systematisch-theologischen Synthese, die vor Sachkritik nicht zurückscheute. 1.2.3. Karlstadt in Kählers Gesamtwerk Kählers „Skrupulantentum“ mochte es geschuldet sein, daß er mit keinen größeren Beiträgen zu Karlstadt mehr hervortrat. Drei kleinere Texte stehen in zeitlicher Nähe zur Qualifikationsschrift. Der erste ist eine thematische Abzweigung der Dissertation, die als Miszelle in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ konzise anzeigte, daß ein mutmaßliches Brieffragment Luthers, das eine gesteigerte Wertschätzung der theologischen Entwicklung von Karlstadt dokumentiert, fehlerhaft frühdatiert werde und mit dem Jahr 1517 in den Kontext der 151 Thesen und des Augustin-Kommentars gehöre.146 Zwei weitere Publikationen trugen dazu bei, die wesentlichen Ergebnisse der eigenen Studie 142 Von der größten Bedeutung ist hier ebd., S. *54 f., Anm. 1. Die Konjektur, Karlstadt könne auf einen „Pariser Nachdruck von 1515“ rekurriert haben, gilt seit dem Hinweis von Oberman, Werden, S. 93, Anm. 45, als widerlegt. 143 Kähler, Karlstadt 1952, S. *2. 144 Vgl. dazu Pelikan, Rez. Kähler, S. 268: „It is perhaps unfair to suggest that the principal weakness in the monograph is […] too little attention to the relationship between Carlstadt and other ‚Augustinians‘ […], because the delicate position of Augustine in medieval theology from Orange through Gottschalk to Thomas makes very desirable a comparison of Carlstadt’s Augustinianism with that of the orthodox commentators who preceded him.“ 145 Für die Einsicht in die Vorläufigkeit der Materialarbeiten alleine für das 16. Jahrhundert s. die in Anm. 143 benannte Stelle, die mit den künftigen Forschungsaufgaben zugleich den Charakter der eigenen Bemühungen umschrieb als „mühevolle Kleinarbeit“. 146 Kähler, Lutherfragment.
394
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
einem breiteren Publikum zu vermitteln. 1952 veröffentlichte Kähler in der Festschrift, mit dem die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg des 450. Gründungsjubiläums der Leucorea gedachte, einen Aufsatz147 „Karlstadts Protest gegen die theologische Wissenschaft“.148 Der Titel mochte die Erwartung einer Spezialstudie erwecken, akzentuierte aber den entscheidenden Wende‑ und dramatischen Endpunkt eines Portraits von Karlstadts intellektueller Entwicklung, die von der Anerkennung als gefeiertem Gelehrten zum mystisch reflektierten Abschied vom Lehramt und der Ausweisung aus Kursachen reichte. Als inhaltliches Proprium benannte Kähler – Barge und Hertzsch nicht unverwandt – „das Doppelgesicht der Reformation [… in] ihrer von Luther geprägten evangelisch-kirchlichen Gestalt [… und] eine[r] spiritualistischindividualistische[n] Ausprägung“149, wobei die Grundthese der Dissertation in der ersten Anmerkung wiederkehrte: „der Begriff des ‚Spiritualismus‘ [trifft] bei Karlstadt nach wie vor zu: in allen Phasen seines eigenständigen Theologisierens ist das Problem des Geistes das Schlüsselproblem.“150 Wie in einer Miniatur faßte Kähler diese lebensgeschichtlich ausgeweitete Perspektive 1955 noch konzentrierter zusammen, indem er den Karlstadt betreffenden Artikel zur „Neue[n] Deutsche[n] Biographie“ beisteuerte, der intensiver als jeder lexikalische Eintrag zuvor die durch Staupitz vermittelte Zuwendung zu Augustin seit 1517 schilderte und diese Fokussierung für die frühen zwanziger Jahre beibehielt, während die nachfolgenden Jahrzehnte um so kürzer behandelt wurden. Für Kähler bezeichnend ist auch die abschließende Gesamtcharakteristik von Karlstadt, die den seit Luther klassischen Nomismusvorwurf und die Betonung der Mystik aus dem Aufsatz von 1952 einbezog: „B.[odenstein] war echt spiritualistisch von der Unvereinbarkeit von Geist und gegenständlicher Welt überzeugt und beherrscht von dem Motiv, dem Menschen auf Grund biblischer Weisungen […] und Beispiele die Möglichkeit einer in Wollen und Sein ungetrennten Einheit mit Gott zu zeigen, also Nomist und Mystiker zugleich.“151
1971 legte Kähler in der „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ seinen zweiten und letzten Aufsatz zu Karlstadt vor, der einen seit 1768 mit unterschiedlichen Graden der Wahrscheinlichkeit Luther zugeschriebenen Text „Nicht Luther, sondern Karlstadt (zu WA 6, 26 f.)“152 zuwies. Im formalen Stil und methodischen Vorgehen seiner Kommentierung der 151 Thesen von 1952 bot er eine kurze 147 Abgesehen wird hier von Kähler, Disputation, jenem Festschriftbeitrag für Wolf, der die Leipziger Disputation bewußt auf Eck und Luther zuspitzte und Karlstadt nur randständig erwähnte. 148 Kähler, Protest. 149 Ebd., S. 299. 150 Ebd., S. 309, Anm. 1. 151 Kähler, Art. Bodenstein, S. 357. 152 Kähler, Luther. Für Bubenheimers Reaktion darauf s. Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 231, Anm. 160.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
395
und erschöpfende Analyse der „Tredecim conclusiones de Christi incarnatione et humani generis reparatione“ von 1519, die sich auf einen Aufweis der literarischen Bezüge konzentrierte, um diese ihrerseits in ihren Ähnlichkeiten mit dem argumentativen und theologischen Gesamtprofil von Karlstadt in Verbindung zu bringen. Der wissenschaftliche Briefwechsel von Kähler bietet Anfang der achtziger Jahre Momentaufnahmen der persönlichen Bezüge zu Karlstadt und der jüngeren theologischen Forschung.153 Kähler starb 1991 in Greifswald, wo er seit 1954 unterrichtet hatte.154 In ihren persönlichen Bezügen auf Kähler unklar, thematisch aber mit dessen Forschungsfeld verbunden, gingen aus der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Ralf Ponaders Dissertation von 1993 zu Karlstadts früher Abendmahlstheologie155 und 2001 Volker Gummelts Kurzbeitrag zu studentischen Aufzeichnungen in den bekannten Exemplaren von Karlstadts Augustin-Kommentar156 hervor. Die inhaltlichen Potentiale autographischer Ergänzungen zu dem gedruckten Text waren von Gummelt sondiert, aber auch für die eigenen Bemühungen letztlich als unbearbeitet resümiert worden: „Eine detaillierte Analyse der einzelnen handschriftlichen Eintragungen steht noch aus.“157 Feinsinnig bemerkte Gummelt gleichwohl einen publizistischen Einschnitt, der sich mit Kählers Edition vollzogen habe. Während Karlstadts Augustin-Kommentar bis 1905 als „‚verschollen‘“ gegolten habe, sei er mit der Ausgabe von 1952 „zu den am häufigsten in Bibliotheken zu findenden Schriften dieses reformatorischen Theologen“ avanciert.158 Ponader und Gummelt sind Schüler des Greifswalder Kirchenhistorikers Hans-Günter Leder, den Kähler aus dem „Vikariat […] an die Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ berufen hatte, wo er „als Assistent, Oberassistent, Dozent und schließlich als Nachfolger Ernst Kählers“159 wirkte. Die 153 Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, Ernst Kähler an Ulrich Bubenheimer, 26. April 1982 (maschinenschriftlicher Brief), Bl. 1r: „Dank habe ich Ihnen zu sagen für den Sonderdruck über Karlstadt aus Greschats Sammelband. Ich denke, er wird seinen Dienst tun auf dem Wege, die traditionellen Urteile und Vorurteile der Historie auch in weiteren Kreisen abzubauen. Daß Sie die Arbeit von Frau Kriechbaum nicht erwähnt haben, ist eigentlich schade. Sie ist wirklich wichtiger als die Hertzsche von 1932. Gespannt bin ich, ob es Ihnen noch einmal gelingen wird, K.[arlstadt]’s Wirkung auf den Pietismus nachzuweisen. Insgesamt finde ich es schön, daß K.[arlstadt] in Ihnen einen Experten gefunden hat, der sich auch persönlich für ihn erwärmt. Mir ist das leider nie gelungen. Ausgesprochen bedauert habe ich, seit ich überhaupt davon wußte, daß die kanonkritischen Tendenzen bei ihm dann nicht entwickelt worden sind. Was wäre der Kirche erspart geblieben, wenn man das weiter verfolgt hätte, – überhaupt diese ganze Art zu denken.“ 154 Zu Kählers Berufung auf den Greifswalder Lehrstuhl s. kurz Stengel, Fakultäten, S. 357 mit Anm. 304. 155 Ponader, Abendmahlslehre. 1998 benannte Ponader, Abendmahlsverständnis, S. 236, Anm. 1, selbst für den Abschluß des Typoskriptes das Jahr 1994. 156 Gummelt, Augustinvorlesung. 157 Ebd., S. 86. 158 Ebd., S. 75. 159 Beide Zitate bietet Gummelt, Leder.
396
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
jüngeren Greifswalder Karlstadt-Beiträge entstammen somit der akademischen Enkelgeneration von Kähler. Dessen Forschungen zur Augustinrezeption Karlstadts sind bis heute grundlegend, auch wenn gerade Kählers Edition illustriert, daß nicht jeder Forschungsfortschritt als solcher wahrgenommen und seinerseits rezipiert wurde.160
1.3. Friedel Kriechbaums Dissertation bei Karl Gerhard Steck (1965/67) – „Grundzüge“ einer theologischen Systematisierung zwischen 1517 und 1525 Eine erste „systematische Studie zur Erhellung der Theologie Andreas von Karlstadts (eigentlich Andreas Bodenstein 1480–1541)“ veröffentlichte 1967 Friedel Kriechbaum, die mit dieser Arbeit zwei Jahre zuvor in Frankfurt am Main promoviert worden war. Bescheiden kündigte der Obertitel „Grundzüge der Theologie Karlstadts“ an, wobei der lexikalisch anmutende Untertitel entweder als gezielte Zuarbeit für bibliothekarische Verschlagwortungen zu interpretieren sein mag oder andeuten könnte, wie bewußt Kriechbaum wahrnahm, daß sie für die Breite einer möglichen Leserschaft theologisches Neuland betrat. 1.3.1. Karl Gerhard Steck und Karlstadt In gewisser Hinsicht galt dies bereits für den Betreuer und Korrektor der Arbeit, Karl Gerhard Steck, den Kriechbaum in der zweiten Hälfte ihres Studiums in Frankfurt kennengelernt hatte161 und bei dem sie ihr Dissertationsprojekt nach dem Staatsexamen im Dezember 1962162 aufnahm, kurz bevor Steck im Folgejahr nach Münster wechselte163. Von dort aus fungierte er 1965 während des Promotionsverfahrens von Kriechbaum als Erstgutachter.164 Steck selbst war 160 Exemplarisch s. hierfür zuletzt 2009 den Beitrag von dem verdienten Erasmus-Forscher Holeczek, Art. Karlstadt, der Kählers Edition zwar bibliographiert, aber wohl nicht eingesehen hatte; anders ließe sich kaum erklären, daß er den Titel des Augustin-Kommentars in zwei separate Veröffentlichungen überführt, s. dazu ebd., S. 302: „Die von Luther in Wittenberg angeregten Augustinus-Studien bewirkten ab Frühjahr 1517 eine Art Bekehrung, die sich in Pro Divinae graciae defensione und S. Augustini de spiritu et litera niederschlug (erschienen sukzessiv Wittenb.[erg]: Grunenberg 1517–19).“ 161 Zu den akademischen Stationen s. die auch zeitlich präzisen Angaben im „Curriculum vitae“, Kriechbaum, Grundzüge, S. 143. 162 Zum Datum des Staatsexamens s. ebd. 163 Zu dem Jahr des Wechsels s. Rendtorff, Art. Steck (im weiteren s. DBA, T. 3, Fichenr. 876, S. 406). Biographisch zuvor einschlägig ist das Mitarbeiterverzeichnis, RGG3, Sp. 235 f. (DBA, T. 2, Fichenr. 1253, S. 136). 164 S. dazu Kriechbaum, Grundzüge, [Rückseite des Titelblattes, o. P., in Ergänzung der späteren Seitenzählung: S. 3].
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
397
1950 in Göttingen mit einer Studie zu „Kirche und Lehre bei Martin Luther (bis 1525)“ unter Ernst Wolf promoviert worden, den er noch aus den Bonner Jahren zwischen 1929 und 1932 kannte165. Die ungedruckte maschinenschriftliche Abgabefassung Stecks verzichtete programmatisch auf einen Vergleich Luthers mit „Zwingli, oder […] Luther[s] und den Schwärmern“166, um den Fokus ganz auf Luther zu legen und nur abschließend dessen Auseinandersetzung mit Erasmus167 einzubeziehen. Die 1963 erschienene Monographie „Lehre und Kirche bei Luther“ stellt eine ganz erhebliche Umgestaltung und Ergänzung um weitere Einzelstudien dar, behielt aber den grundlegenden Ansatz einer Konzentration auf Luther bei. In immerhin drei Zusammenhängen wurde Karlstadt nun, der Perspektive Luthers folgend, als repräsentativ für die „Schwärmer“ aufgeführt.168 Daß dies überhaupt geschah, verdankte sich der äußeren Anregung eines weiteren theologischen Lehrers von Steck, bei dem er ebenfalls in Bonn studiert hatte169. Im Wintersemester des Jahres 1954/55 hielt Karl Barth jenes berühmte Seminar über „Luther und die Schwärmer“ mit „vielen exzellenten Köpfen unter den deutschen Studenten, die nach Basel gepilgert waren.“170 Einer von diesen erinnerte sich später an die „Virtuosität“ von Barth, „die politischen Stellungnahmen des Reformators einmal so, einmal so zu entlarven und dessen an‑ und abwesende Apologeten in Verlegenheit zu bringen […]. Als versöhnliche Geste kündigte er an, in der letzten Stunde werde zu Luthers Verteidigung ein prominenter deutscher Lutheraner zu Wort kommen, ein bayrischer sogar. Der Geladene entpuppte sich als Barths Schüler und Freund Karl Gerhard Steck, der wohl dies und jenes zurechtrücken, aber an Barths im Lauf dieses Semesters sichtlich gewachsener Abneigung gegen Luther nichts ändern konnte, vielleicht auch wollte.“171
165
Für diese Schlußfolgerung vgl. die äußeren Studiendaten mit dem ausdrücklichen Hinweis auf Wolf als Bonner Lehrer in dem maschinenschriftlichen Lebenslauf des Göttinger Dissertationsexemplars: Steck, Kirche 1950, o. P. 166 S. hierfür Steck, Kirche 1950, S. II. 167 Vgl. dafür, ebd., S. 77–94, den „Abschn.[itt] 4: Der Hoehepunkt der Antithetik in ‚de servo arb.‘“ 168 S. Steck, Kirche 1963, S. 116, 180, 205, Anm. 35. 169 Für diese biographische Verbindung s. wiederum den Lebenslauf in Steck, Kirche 1950, o. P. 170 So die Erinnerung von Rendtoff, Selbstdarstellung, S. 64, der plastisch schilderte: „Natürlich, der Knackpunkt war die Zwei-Reiche-Lehre, deren Verteidigung Barth mit einen ‚Well roared, lion!‘ quittierte, um sie dann nach allen Regeln seiner theologischen Rhetorik auseinanderzunehmen. Man merkte zwar, daß politische, zumal kirchenpolitische Erfahrungen mitschwangen, aber explizit waren sie doch kein Thema. Es ging um Theologie.“ In einer gewissen Spannung hierzu steht die Folgebemerkung: „Für die Fortsetzung des Kirchenkampfes mit den Mitteln akademischer Theologie konnte ich mich nicht begeistern.“ Eine unglückliche Schilderung von Rendtorffs Teilnahme an dem Seminar bietet neuerdings Busch, Tagebuch, S. 433. Wie unzutreffend diese Darstellung ist, belegen die bereits 1997 gedruckten Erinnerungen von Smend, Barth, S. 323, auf dessen Ausführungen sich die Tagebücher von Busch in einer zweifachen Brechung – zunächst durch Barth, dann durch Busch – beziehen. 171 Smend, Barth, S. 325.
398
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Stecks am 9. März 1955 gehaltener Vortrag „Luther und die Schwärmer“172 wurde noch im selben Jahr gedruckt. Er bietet knapp zehn Bezugnahmen auf Karlstadt173 und ordnete ihn – wie es zuvor auch Luther getan hatte – den Schwärmern zu, in der Radikalität seiner politischen Ethik aber Müntzer174 massiv nach. Über die jüngere Forschungsgeschichte war Steck hinreichend informiert: Er kannte die zwei Jahre zuvor erschienene Studie von Kähler175 und hatte die Kontroverse zwischen Barge und Müller unter Vermittlung des Köhlerschen Forschungsberichtes von 1912 wahrgenommen176. Inhaltlich hatte sich Steck jedoch nur über Barges frühen Artikel in der „Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“ dem Werk Karlstadts angenähert und auf dieser Grundlage erklärt, daß „Karlstadt[s …] Antwortschrift auf Luthers ‚Wider die himmlischen Propheten‘ ‚Anzeig etlicher Hauptartikel christlicher Lehre‘ 1525 […] eine zusammenfassende Darstellung seiner Anschauungen enthält und den vorher und später nicht wieder erreichten Höhepunkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit bezeichnet, daher einer Neuausgabe bedürfte.“177
Bemerkenswert ist an dieser überwiegend wörtlichen Anlehnung an Barge, daß die entscheidende Schlußforderung von diesem nicht erhoben worden war. Eingelöst wurde sie schon zwei Jahre später von Hertzsch, der den Text in den zweiten Teil seiner Sammelausgabe aufnahm178. Mit Blick auf Steck dokumentiert die knappe Bemerkung jedenfalls ein gewisses Interesse daran, sich grundlegend über die Theologie Karlstadts zu informieren, und möglicherweise sogar den erfolglosen Versuch, die von Barge dogmatisch sowie literarisch empfohlene Schrift einzusehen, die in der Frankfurter Universitätsbibliothek bis heute in keinem Originaldruck zugänglich ist und vor 1967 nicht anderweitig ediert worden war. 1.3.2. Kriechbaums konzeptioneller und argumentativer Ansatz Durchaus nachvollziehbar ist vor diesem Hintergrund, daß Steck die sich acht Jahre später eröffnende Gelegenheit wahrnahm, „Grundzüge der Theologie Karlstadts“ von einer Doktorandin skizzieren zu lassen. Kriechbaum nahm sich 172 S. hierfür die präzise Angabe in Steck, Schwärmer, S. 3. Eine Portraitaufnahme von Steck, die aus dem Jahr 1958 stammt und damit in den näheren zeitlichen Kontext gehört, findet sich in Bohren, Gesicht, S. 136. 173 Steck, Schwärmer, S. 9, Anm. 7; S. 10, Anm. 8; S. 11; S. 24; S. 21; S. 25, Anm. 46, S. 16 f. 174 Für die deutlichste Stelle zu Müntzer s. ebd., S. 40. 175 S. hierfür ebd., S. 9, Anm. 7. 176 Ebd., S. 10, Anm. 8. 177 Ebd. Vgl. damit Barge, Art. Karlstadt 1901, S. 78, Z. 44–46: „Sie enthält eine zusammenfassende Darlegung der Karlstadtschen Anschauungen und bezeichnet den vorher und später nicht wieder erreichten Höhepunkt seiner schriftstellerischen Thätigkeit.“ 178 Hertzsch, Schriften, T. 2, S. 59–104.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
399
der Aufgabe mit einer beeindruckenden materialen Arbeits‑ und theologischen Synthetisierungskraft an. Vor Ablauf dreier Jahre legte sie ihre Studie zur Begutachtung vor. Ihren eigenen Ansatz erklärte sie aus dem „Interesse, nach dem wahren Gehalt der Theologie Karlstadts zu fragen und dabei nicht mit den Augen Luthers an sie heranzugehen.“179 Ausführungen zum methodischen, konzeptionellen oder heuristischen Vorgehen der Studie fehlen. Die Materialauswahl zeichnet sich jedoch darin als einschlägig ab, daß sie sich – bis auf einen Text der Zürcher und einen der Basler Zeit – ganz auf Karlstadtsche Schriften der Jahre zwischen 1517 und 1525 beschränkte.180 Kriechbaum nahm damit den von Kähler vorgegebenen Anfangs‑ und den von Hertzsch statuierten Endpunkt einer theologischen Entwicklung auf und füllte den sich eröffnenden Zeitraum von einer material erheblich erweiterten Textgrundlage aus. Forschungsstrategisch und arbeitspragmatisch klug fügte sie ihre Studie diesen beiden früheren einschlägigen Qualifikationsschriften hinzu. Zugleich mußte sie sich gegenüber den zwei einander kontrastierenden Interpretationsansätzen des Karlstadtschen Gesamtwerkes positionieren: der von Kähler vertretenen historisch-genetisch zu entfaltenden Annahme eines seit 1517 bestehenden Kerns aus Spiritualismus, Mystik und Nomismus auf der einen und der von Hertzsch vorgeschlagenen progressiven Entwicklung eines erst in Orlamünde realisierten Einklanges von religiöser Innerlichkeit und konsequentem, praktischem Ethos auf der anderen Seite. Vorrangig entschied sie sich für ein intensives Quellenstudium und eine induktive Erhebung eigener Ergebnisse. In deren methodologischer Gestaltung und inhaltlicher Ergebnissicherung führte es aber faktisch zu einem Vergleich zwischen den beiden von Kähler und Hertzsch gewählten zeitlichen Brennpunkten: dem reformatorischen Aufbruch des Jahres 1517, der um seine unmittelbare Folgeentwicklung ergänzt wurde, und die Zeit nach der „Trennung von Luther“181, deren absolute Datierung variabel gestaltet wurde. Für ihre grundlegende Doppelperspektive bemühte sich Kriechbaum zwar, keinen von außen vorgegebenen Einschnitt zu definieren, sondern vom Werk aus Sequenzen zu entfalten. Dies gelang aber mit unterschiedlichem Erfolg: nur punktuell entschied sie sich für formale und flexible Klassifizierungen, wie die einer „erste[n]“ und einer „zweite[n]“ „Epoche“182 der thematisch untersuchten Werke Karlstadts. Überwiegend wählte sie die Bezeichnung einer „frühen“ und einer „späten“ Entwicklung, wobei die erste Phase von 1517 bis 1521 reichte und die zweite die beiden Jahre 1524 und 1525 umfaßte, während die Zwischenzeit
179 Kriechbaum,
Grundzüge, S. 9 f. hierfür das Quellenverzeichnis zu Karlstadt, ebd., S. 136–138. Die Ausnahmen sind ebd., S. 138, der siebte und der achte Titel von oben. Für einen knappen Bezug auf den Text von 1540 in der Arbeit s. ebd., S. 127, Anm. 84. 181 Vgl. hierfür ausdrücklich ebd., S. 108. 182 Ebd., S. 96. 180 Vgl.
400
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
diesen beiden Entwicklungen in den einzelnen Kapiteln jeweils unterschiedlich zugewiesen wurde.183 Für den formalen Aufbau ihrer Arbeit wählte Kriechbaum einen Vierschritt. Ein erstes, synthetisch angelegtes Kapitel widmete sich dem Gesamtwerk und entfaltete einen systematisch geschlossenen Offenbarungsbegriff, der mit theologischen Grundzügen einsetzt, die den Leser auf frappierende Weise an die Eröffnung der Barthschen Prolegomena in der „Kirchliche[n] Dogmatik“ erinnern könnten184, aber mit stimmigen Quellenauszügen von Karlstadt unterlegt werden.185 Den Eindruck einer orthodoxen Regelkonformität zerschlug Kriechbaum, indem sie schon sehr früh eine Tendenz des Spiritualismus in Karlstadts Offenbarungs‑ und Schriftverständnis einspielte, mit der sich ein „schwärmerische[r] Zirkel“186 eröffnet habe: „die Berufung auf die Schrift ist demgegenüber [der Berufung auf den Geist] nur noch eine Bekräftigung.“187 Die wichtigsten Belegstellen für eine Verankerung der Spiritualismusthese im Karlstadtschen Frühwerk fand Kriechbaum in jenen Thesen „107 f.“ – darunter faktisch These 109 – der 151 Thesen188, mit denen schon Kähler 1952 operiert hatte. Über Kähler ging Kriechbaum in der Intensität ihrer Materialarbeit über das Jahr 1517 hinaus und bot zudem eine Definition des zu bezeichnenden Phänomens, die überindi183 T. 4 unterscheidet zunächst scharf mit dem Jahr 1521, s. dazu ebd. Später nennt es als Bruchlinie das Jahr 1523, ebd., S. 115. Das erste vergleichende Kapitel, T. 2, führt die Differenzierung einer „frühen“ Phase ebd., S. 42, ein und kontrastiert diese, ebd., S. 49, mit „zwei späte[n] Schriften“; zu datieren sind diese in die Jahre 1523 und 1525. T. 1 verweist nur sehr offen auf einen „Vergleich des frühen und späten Karlstadt“, ebd., S. 32, und macht diesen an einem Vergleich zweier Schriften fest, die in das Jahr 1520 und 1524 zu datieren sind. T. 3 erklärt, weniger bestimmend, ebd., S. 78: „Der Begriff, der hierbei in der Analyse früher und später Schriften Karlstadts leiten kann, ist die Liebe zu Gott.“ Für die „späteren Schriften“ steht hier u. a. ein Text des Jahres 1524, ebd., S. 87. Im ganzen erinnert die zeitliche Differenzierung an den Ansatz von Dieckhoffs Rezension zu Erbkams Sektengeschichte, die scharf zwischen „frühen“, bis 1521 reichenden und den nachfolgenden „späten“ Entwicklungen unterschieden hatte; vgl. dazu Dieckhoff, Rez. Erbkam, bzw. im Hauptkapitel I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert das Unterkapitel 2.1.2. Dieckhoffs Veranlassung zur Karlstadt-Studie im Rahmen eines übergreifenden Forschungsvorhabens (1848). Zu Kriechbaums Kenntnis der benannten Rezension s. unten Anm. 231. 184 Daß Kriechbaum diese direkt und indirekt kannte, belegt das Literaturverzeichnis. Für die direkte Aufnahme s. Kriechbaum, Grundzüge, S. 139, für die indirekte Vermittlung s. den Hinweis auf Webers „Grundlagen der Dogmatik“, ebd., S. 141. In einem anderen Zusammenhang rezipierte Kriechbaum ausdrücklich Althaus’ These, daß Karlstadt einzelne „Gedanken“ „berührt […], die später in der reformierten Dogmatik auftreten“, ebd., S. 25, Anm. 83. 185 S. hierfür bes. ebd., S. 14 f. 186 Ebd., S. 32. 187 Ebd., S. 33. 188 S. hierfür die gegenüber Kähler weit ausgreifende Kontextualisierung im Gesamtwerk, die eine hinreißende Materialkompilation zu These 109 markiert: ebd., S. 18, Anm. 41. Für den zentralen Bezug von Kriechbaum auf These 107 s. ebd., S. 27, Anm. 96; S. 40, Anm. 1; S. 63. Eine freie Paraphrase und terminologische Weiterführung der These 109 scheint zu bieten, ebd., S. 21: „Der Satz: die Schrift, sofern sie nur geschrieben ist, ist nichts nütze, ist ‚littera‘, lautet dann eigentlich: die Schrift, sofern sie dem natürlichen Menschen begegnet, ist ‚littera‘.“
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
401
viduelle Vermittlungsstrukturen von Seiten des Menschen ausschloß: „Von Spiritualismus möchte ich da reden, wo der Geist über das Wort hinauswächst.“189 Die Grundthese der gesamten Arbeit ist bereits im Eröffnungskapitel angelegt: die „Tendenz“ zum Spiritualismus habe sich in Karlstadts „Gesamtentwicklung“ unter dem Einfluß der Mystik verstärkt und schließlich „[v]erselbständig[t]“.190 Damit sei Karlstadt der Reformation – Luther, Paulus und Augustin – zunächst verbunden gewesen, dann aber über diese „hinausge[gangen]“.191 Von Aristoteles mochte er sich wohl gelöst haben. Seinen theologischen Grundfehler muß man aber, so ließen sich die Ausführungen Kriechbaums weiterführen, darin identifizieren, daß er stattdessen „platonisch-neuplatonisches Denken“ aufnahm192 und damit einen Rückfall in die ontologische193 Metaphysik194 vollzog. Wie stark diese Opposition von „frühe[n], reformatorische[n]“ und „späte[n], spiritualistische[n]“195 Ansätzen die Arbeit von Kriechbaum bestimmt, unterstreichen die komparatistisch angelegten Hauptkapitel zwei und vier196. Das erste von diesen verschränkt die Themenkomplexe von Gesetz und Evangelium sowie Buchstabe und Geist eng miteinander, um darunter Karlstadts Soteriologie, Christologie197 sowie Hamartiologie198 zu behandeln und systemimmanente Konsequenzen für die Sakramentslehre zu folgern199. Der Vergleich mit Luther wird direkt200 und indirekt (wie etwa durch einen für Karlstadt inhaltlich unspezifischen promissio-Begriff 201) gesucht, wobei Kriechbaum nicht davor zurückscheute, Karlstadts Positionen selbst in ein theologisches Koordinatensystem einzuordnen, das von den Achsen „richtig“202 und „falsch“203 eröffnet wird. Den Fluchtpunkt der Karlstadtschen Entwicklung erblickte Kriechbaum 189 Ebd.,
S. 23, Anm. 70. Für die Zitate s. ebd., S. 36; für den Zusammenhang ebd., S. 36 f. 191 Mit Blick auf Augustin findet sich die entsprechende Formulierung ebd., S. 37, Anm. 77. Für den konstitutiven Vergleich mit Luther s. u. a., S. 23–25, 61, 68 f., 72; mit Paulus: S. 24, 41; mit Augustin u. a. S. 37, Anm. 77; S. 41. Positiv gilt für die Frühphase von Karlstadt, ebd., S. 41: „eine an augustinischer Paulusinterpretation orientierte Gegenüberstellung von Gesetz […] und Gnade“. 192 Ebd., S. 34, Anm. 44. Später sind ebd., S. 89, und S. 113, Anm. 21, anregend: „Die Berührung Karlstadts und Zwinglis hat ihre Wurzel in dem beiden gemeinsamen neuplatonischen Erbe“. Zudem: ebd., S. 114. 193 Ebd., S. 89: „Nebeneinander ethischer und ontischer Bestimmungen“; „neuplatonische Seins-Kategorien“. 194 S. hierfür ebd., S. 111. 195 So ausdrücklich in den Überschriften von Unterkapiteln des vierten Teils, ebd., S. 96 u. 98. 196 Für T. 2 s. ebd., S. 40–76, für T. 4, ebd., S. 96–108. 197 So ließe sich zusammenfassen: ebd., S. 46–52. 198 Ebd., S. 53–56, 69–73. 199 S. dazu u. a. ebd., S. 51. 200 Vgl. hierfür u. a. ebd., S. 61 f., 72 f. 201 Ebd., S. 46; zuvor bereits: S. 27. 202 Ebd., S. 65. 203 Ebd., S. 66. 190
402
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
letztlich außerhalb der Theologie in einer rationalistischen204 Philosophie205. Diese Konsequenz deutet sich auch in andernfalls schwer verständlichen Exklusivbestimmungen an, wie einem „theologische[n]“ Sündenverständnis für Luther und einem „ethische[n]“ bei Karlstadt.206 Die Ekklesiologie traktierte Kriechbaum mit dem vierten Kapitel in dogmatischer Eigenständigkeit. Die formale Nachordnung stellte die kirchenpraktischen Konsequenzen des Karlstadtschen Spiritualismus nicht nur konzeptionell in der Gesamtgliederung heraus, sondern betonte auch genetische und wirkungsgeschichtliche Aspekte. Für den genetischen Zusammenhang stand ein kurzes Zwischenkapitel zum „Leben in der Liebe zu Gott“, das in seiner thematischen Vielfalt die sich steigernde Bedeutung der Mystik für Karlstadt zu skizzieren und die diagnostizierten Unterschiede zwischen einer frühen und späten Zeit historisch sowie systematisch zu überbrücken suchte.207 Der Schluß des vierten Hauptkapitels wiederum integrierte die wirkungsgeschichtlichen Folgen des spiritualistischen Kirchenbegriffs, indem Karlstadts Position innerhalb der Wittenberger Bewegung im vollen Anschluß an Karl Müller und Walther Koehler gegen Barges Gesamtbild in Erinnerung gerufen wurde.208 Hinsichtlich der Mystik entschied sich Kriechbaum für die von Kähler 1952 und 1955209 eingebrachte Betonung von deren prinzipieller Bedeutung und gegen jene Abwertung auf unwesentliche, allenfalls produktive Mißverständnisse mittelalterlicher Traditionen, die Hertzsch in Anlehnung an Barge hatte sehen wollen.210 Kriechbaum bewegte sich auf der literarischen Höhe der Zeit, indem sie sich unterstützend auf eine lebens‑ und werkgeschichtliche Karlstadt-Miniatur des britischen Historikers und vormaligen mennonitischen Pfarrers Gordon Rupp bezog, die 1959 erschienen war.211 204 Vgl. hierfür knapp ebd., S. 66: „Da das Evangelium spirituale Erfüllung des Gesetzes wirkt, ist ihm ein Anknüpfungspunkt im Vernunftbereich des Menschen vorgegeben.“ 205 Konkret benennt Kriechbaum, ebd., S. 64, 67 u. 114, auf lexikalischer Grundlage (s. hierfür die zuerst benannte Referenz) Origenes, der sich sehr gut in die zuvor herausgestellten Bezüge zum Neuplatonismus einfügt. 206 Ebd., S. 73. 207 Ebd., S. 78–93. 208 S. hierfür ebd., S. 105, Anm. 78; S. 106, Anm. 85; S. 107, Anm. 92; S. 106–108 u. 108 mit Anm. 98. 209 Zur Kenntnis dieser beiden einschlägigen Texte Kähler, Protest, und Kähler, Art. Bodenstein, vgl. Kriechbaum, Grundzüge, S. 140. 210 S. dazu ebd., S. 11, Anm. 22, mit präzisen Angaben der Hertzsch und Barge betreffenden Referenzen. 211 Ebd., S. 10, Anm. 13; S. 11 mit Anm. 16; sowie emphatisch mit dem Schlußzitat zur Arbeit s. ebd., S. 134. Der Aufsatz von Rupp (für lebensgeschichtliche Daten und Stationen der beruflichen Entwicklung s. Voigt, Art. Rupp, Sp. 1031 f.) erschien in „Journal of Theological Studies“ im Oktober 1959, Rupp, Puritanism, und bildete den werkgenetischen Ausgangspunkt für das substantielle Karlstadt-Kapitel in Rupp, Patterns, S. 49–153, das 1969 nachfolgen sollte. Der Aufsatz von 1959 dürfte seinerseits aus ungedruckten Vortragsmanuskripten des Jahres 1955 erwachsen sein; s. hierfür 1969 den retrospektiven Hinweis von Rupp, Patterns, S. ix: „These
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
403
Der als „Zusammenfassende Beurteilung“ geführte „Schlußteil“212 benannte mahnend die „Gefahr“213, die von Karlstadts Spiritualismus ausginge und die als solche von Luther durchaus zutreffend erkannt worden sei. Das inhaltliche Profil von Kriechbaums Gesamteinschätzung tendierte klar auf die Seite von studies in secondary figures of the Reformation are an expansion of the Fernley-Hartley Lecture given at the Methodist Conference in Manchester in 1955. In the interval the manuscript, like its author, seems to have put on weight.“ In seinen früheren Lutherstudien hatte Rupp Karlstadt allenfalls als ereignisgeschichtliche Randfigur (vgl. hierfür 1951 Rupp, Progress, S. 45, 65–69, und 1953 Rupp, Righteousness, S. 304) mit den klassischen Zügen eines Bilderstürmers (Rupp, Righteousness, S. 348) dargestellt, zugleich aber angedeutet, daß sich die Relevanz der von Luther verworfenen reformatorischen Bewegungen nicht auf eben diese Wahrnehmung oder Wertschätzung reduzieren ließe (Rupp, Progress, S. 106: „It can be confessed that there is more to be said for Karlstadt, Münzer and the Peasants, for Zwingli and the Zwinglians, than Luther ever saw or believed.“). Der 1959 gedruckte Aufsatz markiert einen massiven Anschluß an das Gesamtbild von Barge, bemüht sich aber zugleich, die lebens‑ und werkgeschichtliche Tragik Karlstadts in ein mahnendes Lehrstück menschlicher Eitelkeit umzudeuten; vgl. hierfür Rupp, Puritanism, S. 326: „He was not a buffoon or a scoundrel. But there was in him a dreadful element of what the Bible means by ‚folly‘. For religious men, the story of Andrew Karlstadt must be, in the main, a cautionary tale.“ Wie stark sich Rupp zu seinem anregungsreichen Portrait von Hertzsch inspirieren ließ, zeigt nicht nur die Literaturzusammenstellung, die Hertzschs biographisches Portrait von 1952 hervorhebt; s. hierfür ebd., S. 308, Anm. 2, den Hinweis auf Hertzsch, Luther. Es zeigt sich auch konzeptionell und bis hinein in den Wortlaut ganzer Passagen und Informationen, die so nur bei Hertzsch zu finden waren; vgl. hierfür etwa Rupp, Puritanism, S. 308: „He had a swarthy, negroid, unprepossessing appearance, and was a poor enough speaker, what a Cambridge divine once called ‚an Umm-err‘. His demeanour was quiet enough, but he had a capacity for sudden and vitriolic fury“, mit Hertzsch, Schriften, T. 1, S. XII: „Karlstadt, klein von Statur, mit einem Gesicht, das an einen Neger erinnert, mit einer undeutlichen und unangenehmen Stimme, hat allerlei wenig sympathische Eigenschaften: im allgemeinen fast schüchtern und unbeholfen, wird er manchmal vom Jähzorn gepackt, so daß er alle Beherrschung verliert“. Hertzsch hatte sich damit selbst zusammengefaßt; vgl. dazu die frühere Passage Hertzsch, Luther, S. 90, die als Grundtext die einschlägigen Ausführungen von Mosellan benennt, aufgrund derer sich Rupp vielleicht zum wörtlichen Anschluß legitimiert fühlen mochte, die aber nicht das Gesamtarrangement der berührten Motive bietet. Weitaus wichtiger als diese Anleihen an Hertzsch, den Rupp wohl nur literarisch kannte (Rupp, Puritanism, S. 308, Anm. 2, konstatiert, daß nur der Eröffnungsband von Hertzschs Edition erschienen sei, und hatte damit nicht bemerkt, daß der zweite Teil bereits seit zwei Jahren verfügbar war), war der terminologische und thetische Anschluß an Barge. Dessen Grundansatz, Karlstadt in einer strukturellen Kongruenz zum späteren Puritanismus zu sehen, weitete er historisch und genetisch aus, indem er geradezu beiläufig vermerkte, ebd., S. 323: „it must be admitted that a great deal of the Protestant reform under Zwingli and Bullinger, Bucer and Calvin (and even, in the matter of images, Edward VI and Elizabeth I of England) accepted large parts of Karlstadt’s programme.“ Noch gravierender war die Umcodierung des von Barge innerhalb der KarlstadtForschung etablierten Begriffs des Puritanismus von einem konkreten historischen Zeitbezug zu einer geradezu allgemeinen postreformatorischen Strukturkonstante, ebd., S. 308, Anm. 1: „At risk of adding to an overloaded vocabulary of typology we use Puritanism in the Miltonic sense as a movement for ‚the reform of Reformation itself‘.“ 212 Die Reihenfolge der betreffenden Unterkapitel ist im Inhaltsverzeichnis, Kriechbaum, Grundzüge, [o. P., in Ergänzung der Zählung: ebd., S. 6] vertauscht. Korrekt auszuweisen wäre „I. Wort und Geist“ mit ebd., S. 110–116 und „II. Glaube und Werke“ mit ebd., S. 117–134. 213 Ebd., S. 112; s. ebd. auch: „in gefährlicher Weise“. Am Ende des Unterkapitels s. ebd., S. 116: „aus der Abwehr der ungeheuerlichen Gefahr“.
404
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Kähler und gegen den Ansatz von Hertzsch, dessen Hauptthesen einer kritischen und dezidiert ablehnenden Revision214 unterzogen wurden. Eine besondere, in der praktischen Konsequenz über Luther hinausgehende Bedeutung der Ethik konnte sie für Karlstadt konzedieren. Deren Spezifik bestimmte sie jedoch im Nomismus, den sie in einer größeren begrifflichen Nähe zu Luther, als sie Kähler geboten hatte, konsequent als „Gesetzlichkeit“215 bezeichnete. Gegen Luther erklärte Kriechbaum, daß der Vorwurf einer Werkgerechtigkeit an Karlstadts Selbstverständnis vorbeiginge, zögerte aber nicht, dennoch einen zumindest „verborgene[n] Pelagianismus“ zu diagnostizieren.216 Grundzüge einer Gesetzlichkeit hatte Kriechbaum auch bereits im Eingangskapitel für Karlstadts Schriftauslegung erblicken wollen, in der die Bibel eine „statische, […] äußere Autorität [ist], die starr, formal und gesetzlich bleibt“217. 1.3.3. Kriechbaums Karlstadt-Bild und einzelne Reaktionen Den Kählerschen Dreiklang aus Spiritualismus, Mystik und Nomismus hatte Kriechbaum damit aufgegriffen, genetisch und thematisch in verschiedene Segmente des Gesamtwerkes bis 1525 moduliert und als „Gegensatz Karlstadts zu Luther“ in mehreren Variationen vorgetragen: „nicht auf der Zusage der Vergebung gründet sich das Wissen des neu geschenkten Verhältnisses zu Gott, sondern auf die Früchte des im Menschen wirkenden Geistes. […] Oder: wo für Luther der Glaube an die Vergebung steht, tritt für Karlstadt die ‚abnegatio sui‘.“218
Zugleich verstärkte Kriechbaum die von Kähler nur zurückhaltend angedeutete Einordnung Karlstadts in das Schwärmertum massiv. Für das schwärmerische Kirchenverständnis, den Schlußstein in ihrer Sequenz dogmatischer Lehrtopoi, griff sie auf Friedrich Heyers 1938 bei Hirsch entstandene Dissertation zum „Kirchenbegriff der Schwärmer“219 zurück.220 Heyers Arbeit mag als politisch 214 Die Auseinandersetzung mit Hertzsch bestimmt die gesamte Arbeit, wobei die geschlossenste Passage einer kritischen Revision im Schlußabschnitt zu identifizieren ist: ebd., S. 117–129. 215 Vgl. hierfür u. a. ebd., S. 107 f., 132. 216 Für beides einschlägig ebd., S. 132. 217 Ebd., S. 18. 218 Ebd., S. 126. 219 Für den auf dem Titelblatt von 1939 als „Fritz Heyer“ firmierenden späteren Heidelberger Konfessionskundler am einschlägigsten ist die Gesamtbibliographie von Weise, Art. Heyer (keine entsprechenden Angaben rückt ein Tamcke, FS Heyer; für eine frühe Literaturkompilation von Weise s. dessen Literaturhinweis in Weise, Art. Heyer, Sp. 658). Weise erklärt über die Dissertation, ebd., Sp. 623: „Kurz vor Kriegsbeginn wurde H.[eyer] von der damals deutschchristlichen Fakultät, der Hirsch 1933 bis 1945 als ständiger Dekan vorstand, mit der etwas einseitigen, außerdem das gestellte Thema verfehlenden und daher vom Lehrer nur mit rite beurteilten dogmengeschichtlichen Arbeit ‚Der Kirchenbegriff der Schwärmer‘ 1938 promoviert […]. Neben einer weiteren Arbeit war dies die einzige Dissertation dieser Jahre bei Hirsch. Vierzig Jahre später wurde dieser erste historische Zugang zu Sekten und Freikirchen von
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
405
unbelastet und auch kirchenhistorisch als weithin harmlos221 gelten, reihte sich aber selbst dezidiert in jenen Schulzusammenhang ein, dem sich Hirsch seinerseits verbunden fühlte: den „notwendig[en]“ Anschluß an die „vollkommen“ „befriedigend[en]“ Arbeiten von Holl.222 Für Kriechbaum stand außer Frage, daß Karlstadt „in die Reihe der spiritualistischen Schwärmer“223 gehört und man ihn – „nach seiner Trennung von Luther“224 – „als einen spiritualistischen Sektierer bezeichnen“ mochte225. Die Einordnung Karlstadts in den Komplex „Luther und die Schwärmer“ war Kriechbaum freilich nicht nur durch ihren Doktorvater und Holl geläufig, auch Wilhelm Maurer hatte 1952 eine einschlägige Studie vorgelegt226. Das Epitheton des Schwärmers war damit im Kontext der H.[eyer] wieder aufgenommen.“ Hirschs eigenes Forschungsinteresse an den „Schwärmern“ war begrenzt und reduzierte sich auf einen einzigen Aufsatz zu Schwenckfeld, dessen Nähe zu Luther er 1922 ebenso betonte wie 1911 vor ihm die Bonner Lizentiatenschrift von Karl Ecke. Auf die thetische Nähe zwischen den beiden Arbeiten machte bereits Goertz, Bewegungen, S. 93, aufmerksam. Anmerken ließe sich, daß Ecke und Hirsch durch Hirschs Ehefrau Rose, geb. Ecke, seit 1918 miteinander verschwägert waren; für Hirsch s. hierzu Birkner, Art. Hirsch, S. 391; für Karl Ecke s. den Lebenslauf in Ecke, Schwenckfeld. Diese familiären Bezüge sollen und dürfen die Frage nach einer sachlichen Berechtigung der vertretenen Thesen nicht ersetzen, mögen aber zumindest den thematischen Abstecher von Hirsch in die „Schwärmer“-Forschung des Jahres 1922 erklären, der seinerseits in das Jahr fällt, in dem Holl jenen Vortrag über „Luther und die Schwärmer“ am 6. März 1522 in Wittenberg hielt, bevor er ihn erstmals 1923 in der zweiten und dritten Auflage seines „Luther“-Bandes drucken ließ; vgl. hierfür Holl, Schwärmer, S. 420, Anm. 1. 220 S. hierfür u. a. Kriechbaum, Grundzüge, S. 100, Anm. 37; S. 102; S. 105, Anm. 78. 221 Heyer bot weder einen einheitlichen noch einen vollständig disparaten Kirchenbegriff für die im Titel seiner Studie stehenden „Schwärmer“. Als zentrale Ausnahme benannte er Schwenckfeld, in dessen Nähe er allenfalls Franck sah. Über Schwenckfeld erklärte er sehr scharf, daß dieser „den Trennungsstrich zum Kirchenbegriff der Schwärmer“ ziehe; Heyer, Schwärmer, S. 44. Diese Argumentation liegt auf einer Linie mit der zuvor aufgeführten Studie von Hirsch aus dem Jahr 1922 und dem Beitrag von dessen Schwager von 1911, die Schwenckfeld in dezidierter Nähe zu Luther geschildert hatten; s. dazu oben Anm. 219. 222 Heyer, Schwärmer, S. 3. Auf dieses Selbstverständnis wurde auch John H. Yoder aufmerksam, der die weithin unbeachtete Studie 1960, 21 Jahre nach ihrem Erscheinen, einer eingehenden Prüfung unterzog und erhebliche argumentative, methodische sowie materiale Defizite aufwies; vgl. dazu Yoder, Rez. Heyer, S. 61–65; für die zwei einzigen früheren Bezüge auf Heyer, die Yoder bekannt waren, s. ebd., S. 61, Anm. 1 f. Eine an Heyer anschließende Einordnung in die Holl-Schule skizziert Yoder ebd., S. 65–67, wobei er deutlich zu weit gehen dürfte, wenn er auch Wilhelm Maurer in diese einordnen möchte. Akademisch wurde Maurer von Heinrich Hermelink in Marburg geprägt, der natürlich – wie sich auch in der KarlstadtLuther-Kontroverse zeigte – für ein vergleichbares konfessionelles Profil stand, seinerseits aber Theodor Brieger in Leipzig verbunden war. Keinerlei Bezüge auf Maurer oder Brieger bietet auch Assel in seiner Studie zu Holl-Schule, Assel, Lutherrenaissance. Zu Maurers ausdrücklicher Abgrenzung von Holl in dem hier einschlägigen Aufsatz s. unten Anm. 226. 223 Kriechbaum, Grundzüge, S. 99. 224 Ebd., S. 108. 225 Ebd. 226 S. hierfür Maurer, Schwärmer; unter Hinweis darauf Kriechbaum, Grundzüge, S. 10; S. 134. Maurer, Schwärmer, S. 7, Anm. 1, erklärte ausdrücklich, alleine die Themenstellung von Holl zu übernehmen, nicht aber dessen Ansatz oder Antwort: „diese einst von Holl gestellte Aufgabe ist heute noch ungelöst“.
406
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Zeit weithin präsent und Kriechbaums Gesamtansatz dokumentiert die Suche nach einem differenzierten Umgang mit den historischen Verwerfungen durch Luther und eine eigenständige systematisch-theologische Ermessung von deren möglicher Berechtigung. Kriechbaum konfessionelle Engführungen vorzuwerfen227, greift daher zu kurz. Mit Blick auf die frühere Karlstadt-Luther-Kontroverse votierte Kriechbaum klar für die Seite Müllers und Koehlers, bestimmte den theologischen „Gegensatz“ von Karlstadt zu Luther aber weitaus differenzierter und deutlich sensibler, als es die Forschung vor ihr getan hatte. Eben dies würdigte schon Bernd Moeller als Rezensent für die „Theologische Literaturzeitung“ 1969: „Mit großer Sorgfalt sucht die Verfasserin sowohl der Gedankenentwicklung Karlstadts selbst als auch seinen Zusammenhang mit der Tradition und der zeitgenössischen Theologie zu erfassen, deutlich ist sie darum bemüht, dem ‚Schwärmer‘ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch wenn sie ihren eigenen theologischen Standpunkt, der im wesentlich derjenige Luthers ist, nicht verleugnet“.228
Die von Kähler begonnene Klassifizierung einzelner dogmatischer Topoi setzte sie fort und weitete sie material erheblich aus. Unglücklich bleibt der zeitlich enge Fokus auf die Jahre 1517 bis 1525 in seiner – mit Blick auf das Karlstadtsche Gesamtwerk – wenig überzeugenden Qualifizierung in „frühe“ und „späte“ Schriften. Ebenso konkret wie konstruktiv legte ebenfalls Bernd Moeller seinen Finger bereits auf diesen Sachverhalt, als er die „Anregung“ formulierte: „Man wünschte sich von der Verfasserin, sie vervollständigte ihr Karlstadt-Bild noch, indem sie einerseits die scholastische Periode des Wittenberger Professors ins Auge faßte und sich auch entschlossener die Frage stellte, ob nicht die einstigen thomistischen Überzeugungen den Reformator Karlstadt mitbestimmt haben möchten. Andererseits sollte vielleicht auch über die letzten anderthalb Jahrzehnte seines Lebens noch etwas mehr gesagt werden; immerhin gibt es dazu, bei Barge und anderswo, mancherlei Material,
227 So etwa Looss, Forschung, S. 11: „Auch die von Friedel Kriechbaum 1967 verfaßte Untersuchung zu den Grundzügen der Theologie Karlstadts ist nicht frei von der lutherischen Sicht. Das betrifft sowohl die Bewertung Karlstadts als auch die Auswahl der behandelten Theologumena. Obwohl Kriechbaum in der Einleitung behauptet, ‚nicht mit den Augen Luthers‘ an die Beurteilung der Theologie Karlstadts heranzugehen, werden Luthers Vorstellungen der Wertmaßstab für das Werk und Wirken Karlstadts. Der Versuch einer positiven Beurteilung wird zwar unternommen, aber nicht durchgehalten. […] Das Schwärmeretikett bleibt Karlstadt also auch in der Kriechbaumschen Untersuchung erhalten.“ Auf die betreffende Eingangsstelle hatte bereits 1977 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 6, Anm. 16, verwiesen, der jedoch den positiven Ertrag stärker betonte: „Trotzdem ist andererseits nicht zu verkennen, daß Kriechbaum zumindest versucht, Karlstadts Theologie auch eine positive Seite abzugewinnen.“ Siders 1974 gedruckte Kurzcharakteristik geht in eine vergleichbare Richtung, Sider, Karlstadt 1974, S. 3, Anm. 12: „Unfortunately, Kriechbaum frequently draws her interpretative categories from Luther rather than Karlstadt.“ Zu den literarischen Bezügen zwischen Siders und Bubenheimers Dissertationen s. unten Anm. 230. 228 Moeller, Rez. Kriechbaum, Sp. 686.
1. Die Beiträge von Hertzsch, Kähler und Kriechbaum (1932–1971)
407
und es ist auch keine müßige Frage, was aus dem Spiritualisten wurde, als er sich in die kirchliche Neuordnung in der Schweiz einfügte.“229
In eine vergleichbare Richtung votierte auch Ulrich Bubenheimer acht Jahre später, indem er eine Vernachlässigung der reformatorischen Früh‑ und der Schweizer Spätzeit monierte.230 Die Dynamik und innere Vielfalt der Karlstadtschen Entwicklung zwischen 1517 und 1525, deren systematische Vereinheitlichung zwangsläufig an gewisse Grenzen stoßen mußte, hatte Kriechbaum indes weitaus komplexer als Kähler und Hertzsch aufgezeigt. Beachtlich bleibt zudem Kriechbaums bibliographische Akribie, mit der sie bis zu Karlstadt-Studien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vordrang, die man als die Generation vor Jäger und Barge beschreiben könnte231, die gerade unter dem Eindruck der monumentalen Biographie zu verblassen drohte. In besonderer Weise anregend bleibt schließlich die Überlegung, Karlstadt aus einer neuplatonischen Traditionslinie zu interpretieren und Origenes als mögliche Referenzgröße in Betracht zu ziehen. Mit Blick auf das Abendmahlsverständnis war es wiederum Ralf Ponader, der 1993 erstmals in größerer Ausführlichkeit auf Kongruenzen zum Platonismus abheben sollte.232 229
Ebd., Sp. 686 f. 1977 gedruckte Kritik von Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 6 f., Anm. 19, gilt dem Übermaß der systematischen Methode gegenüber der historischen: „Das ging auf Kosten der historischen Differenzierung der verschiedenen Phasen in Karlstadts Entwicklung. Im Grunde handelt es sich um eine Darstellung der von Karlstadt etwa 1523–1525 in seiner Orlamünder Periode vertretenen mystisch gefärbten Theologie, die dann teilweise zu stark in die früheren Quellen zurückprojiziert wird. Ferner kann die Darstellung auch nicht für die spätere Schweizer Periode Karlstadts als repräsentativ genommen werden.“ Ähnlich votierte auch Sider, Karlstadt 1974, S. 3, Anm. 12: „Her systematic approach also tends to obscure the development of Karlstadt’s thought.“ Zu Siders Kenntnis der 1971 eingereichten Abgabefassung der Bubenheimerschen Dissertation s. ebd., S. 3, Anm. 13. 1971 hatte Bubenheimer knapp votiert, Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 176, Anm. 3: „Wir gehen hier nicht näher darauf ein [Karlstadts Rede von ‚der Schrift als lex divina‘], da über dieses Problem eine eigene begriffsgeschichtliche Studie nötig ist, die differenzierter die Entwicklung innerhalb Karlstadts Schrifttum nachzeichnet, als dies in der zu stark systematisierenden Darstellung Kriechbaums geschehen ist.“ Für Bubenheimers erste Kenntnis von Kriechbaum s. ebd., S. 110, Anm. 3. Bezüglich des Kriechbaumschen Kirchenbegriffs enthielt sich Bubenheimer 1977 eines Urteils, Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 86, Anm. 67. 231 Vgl. hierfür besonders im Literaturverzeichnis von Kriechbaum, Grundzüge, S. 139, die Hinweise auf Goebels Studien, das ausführliche Karlstadt-Kapitel von Erbkam, dessen Karlstadt-Artikel in der zweiten Auflage der „Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche“, der in der dritten Auflage 1901 von Barge abgelöst wurde, und Dieckhoffs Rezension von Erbkams einschlägiger Monographie. Auf Goebel bezog sich Kriechbaum für Karlstadts Abendmahlslehre, ebd., S. 25 u. 115. Bei Dieckhoff begegnete Kriechbaum die Grundstruktur eines Vergleichs früher und späterer Äußerungen von Karlstadt zu seinem Schriftverständnis, das sich unter dem Einfluß der Mystik verändert habe; s. hierfür Kriechbaum, Grundzüge, S. 32 mit Anm. 31. Dieckhoff mag darin für den konzeptionellen und argumentativen Gesamtansatz von Kriechbaum eine primäre Bedeutung zukommen. Referenzen auf Erbkams Arbeiten konnte ich in der Studie, außer der bibliographischen Aufnahme, nicht finden. 232 Ponader, Abendmahlslehre. 230 Die
408
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Kriechbaum selbst scheint zu Karlstadt nicht mehr anderweitig publiziert zu haben. Bereits die Drucklegung ihrer Dissertation erledigte „sie als wissenschaftliche Assistentin in der Abteilung für Erziehungswissenschaften an der Justus Liebing-Universität in Gießen.“233 Eine ihr dort 1995 gewidmete Festschrift hält gleichermaßen fest: „Sie ist seit 1966 in der Gießener Lehrerinnen‑ und Lehrerausbildung tätig und hat den gegenwärtigen Fachbereich Theologie mit aufgebaut.“234 Grundzüge ihres Gesamtwerkes umreißen die Herausgeber, die stellvertretend für den Gießener Fachbereich sprechen: „Friedel Kriechbaum stellt sich den Herausforderungen ihrer Gegenwart: Christentum, wissenschaftliche Theologie und religionspädagogische Praxis in den Schulen prägen ihre Arbeitsinteressen, ihren Lehr‑ und Unterrichtsstil. […] Ihr Anliegen ist es, in wissenschaftlicher und praktischer Verantwortung von Jesus Christus in der pluralen Verantwortung zu sprechen.“235
Kriechbaums spätere Veröffentlichungen mögen diese Interessensvielfalt in ihrer theoretischen und praktischen Breite dokumentieren. Für den engeren Kreis der wissenschaftlichen Theologie belegt die Dissertation von 1965/67 die besondere fachliche und soziale Sensibilität, mit der Kriechbaum die zuvor zwischen Hertzsch und Kähler divergierenden Karlstadt-Bilder einer quellenbasierten Revision zu unterziehen suchte, sowie die argumentative, konzeptionelle und pragmatische Kompetenz, mit der sie sich der Aufgabe annahm.
233 Kriechbaum,
Grundzüge, S. 143. Vorwort, S. 9.
234 Deuser/Schmalenberg, 235
Ebd.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer Die deutlichste Zäsur der Karlstadt-Forschung nach Barge ist um 1970 anzusetzen. Dies ergiebt sich aus einer ungewöhnlichen Konstellation. Unabhängig voneinander wurden zwei vorzügliche Dissertationen eingereicht, die jede für sich einen signifikanten Einschnitt markiert hätte. Zunächst wurde Ronald J. Sider 1969 in Yale promoviert, 1971 folgte Ulrich Bubenheimer in Tübingen. Die Abgabefassungen beider Arbeiten bieten keinen Hinweis darauf, daß die Studie des jeweils anderen Autors vor Fertigstellung der eigenen Untersuchung zur Kenntnis genommen wurde.236 Beide Studien ergänzten sich ebenso vorzüglich wie die beiden Autoren, als sie sich 1971 bei dem Vierten Internationalen Lutherforschungskongreß in St. Louis kennenlernten237. Die Drucklegung von Siders Monographie unterstützte Bubenheimer, indem er einen Teil der Übersetzungen überprüfte.238 1974 erschien Siders Buch, drei Jahre später Bubenheimers. Beide Untersuchungen wahrten ihre Unabhängigkeit voneinander auch in den Druckfassungen. Orientiert man sich an deren Erscheinungsjahren, müßte die benannte Zäsur Mitte der siebziger Jahre angesetzt werden.
2.1. Ronald J. Siders Dissertation bei Jaroslav J. Pelikan (1969/74) – Karlstadts reformationsstrategische Spezifik Ronald J. Siders Dissertation von 1969 ist nicht die erste einschlägige Qualifikationsschrift des angloamerikanischen Raums, aber die erste gedruckte. Bereits 236 S. hierfür Sider, Karlstadt 1969, und Bubenheimer, Karlstadt 1971. Ausdrücklich konstatierte dies auch Bubenheimer, Karlstadt 1977, o. P. („Vorwort“): „Nach Fertigstellung der Dissertation ist mir die Arbeit von Ronald J. Sider über Karlstadt (Dissertation 1969, gedruckt 1974) zur Kenntnis gekommen. Der Vergleich unserer Studien wie anschließende gemeinsame Gespräche mit Ronald Sider haben gezeigt, daß wir an einigen Punkten, insbesondere Karlstadts ekklesiologische Entwicklung betreffend, unabhängig voneinander zu ähnlichen Ergebnissen gekommen waren.“ 237 Für die Teilnahme von Sider an dem Kongreß s. Sider, Karlstadt 1974, o. P. („Preface“); für die Begegnung und einen ersten Austausch zwischen Sider und Bubenheimer s. die nominelle Aufführung der vortragenden Teilnehmer in Bubenheimer, Luther and Karlstadt, S. 217. 238 S. hierfür Sider, Karlstadt 1974, o. P. („Preface“): „To Dr. Ulrich Bubenheimer who added precision to my translations from the German, I owe a special dept of gratitude.“
410
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
1935 wurde Russell Stanley Orr am „Northern Baptist Theological Seminary“ in Lombard, Illinois, mit einer Arbeit über „The Influence of Carlstadt upon Luther and the Reformation“ promoviert.239 1966 reichte John W. Kleiner in Harvard eine theologische Magisterarbeit zu Karlstadts Eschatologie ein.240 Ungedruckt blieben auch die zeitgleich mit Sider abgeschlossene Dissertation von Alden Lorne Thompson zum „Tertius Usus Legis“ bei Karlstadt und die vier Jahre später folgende Studie von Crerar Douglas zu Karlstadts Abendmahlsverständnis.241 Douglas gehörte zu den frühesten Lesern der Abgabefassungen von Bubenheimer und Sider; bei jenem fand er seinen eigenen Ansatzpunkt242, in diesem erkannte er „the most comprehensive effort since Barge’s Karlstadt stud ies to see Karlstadt as a thinker of independence and some rigor“243. 2.1.1. Zur Veranlassung und Textgestalt der Studie Über die Veranlassung zu seiner eigenen Arbeit gab Sider eine präzise Auskunft: „Professor Roland H. Bainton first suggested that the Karlstadt material should be reexamined. Professor J. Pelikan directed the dissertation.“244 Zugleich benannte Sider zwei literarische Anregungen für das Jahrzehnt vor seiner Dissertation: „Both Gordon Rupp and Hans J. Hillerbrand called for further study of Karlstadt’s theology.“245 Zu Siders Betreuer Pelikan ließe sich hinzufügen, daß dieser 1954 Kählers Edition einer scharfsinnigen Rezension unterzogen hatte246 und sich in seiner Materialkenntnis damit auf der Höhe der Zeit befand. Pelikans Kähler-Kritik hatte eine mediävistische Kontextualisierung der reformatorischen 239 Die Arbeit ist bei Sider, Karlstadt 1969, S. 326, Sider, Karlstadt 1974, S. 310, Douglas, Karlstadt, S. 313, und im digitalen Bibliothekskatalog des „Seminary“ bibliographiert. Die schriftliche Anfrage einer Reproduktion (28. September 2012) dieser in keiner europäischen Bibliothek vorhandenen Arbeit blieb unbeantwortet. Auffällig sind allein die Ähnlichkeiten zwischen den Titeln von Orr und Hertzsch, der drei Jahre zuvor „Karlstadt und seine Bedeutung für das Luthertum“ veröffentlicht hatte. Möglicherweise ließe sich in der Dissertation von Orr ein früherer Anschluß an Hertzsch identifizieren, als ihn zwei Jahrzehnte später Rupp vollzog (s. dazu oben Anm. 211). 240 Erwähnt, wenn auch nicht in dem abschließenden Literaturverzeichnis, wird die Arbeit von Sider, Karlstadt 1974, S. 248, Anm. 195. Nicht zu finden ist der Hinweis in Sider, Karlstadt 1969; geboten wurde die Aktualisierung bereits in Sider, Karlstadt 1971, S. 353, Anm. 186. In der Harvard Library ist die Arbeit von Kleiner verzeichnet unter http://hollis.harvard. edu/?itemid=|library/m/aleph|001464801 (Zugriffsdatum: 14. November 2013). 241 Thompson, Karlstadt (im Literaturverzeichnis von Sider, Karlstadt 1974, fehlend, aber ebd., S. 3, Anm. 13, verzeichnet); Douglas, Karlstadt (bibliographiert von Sider, Karlstadt 1974, S. 309). 242 Douglas, Karlstadt, S. 16–24. 243 Ebd., S. 47. 244 Wortidentisch findet sich diese Auskunft bei Sider, Karlstadt 1969, S. iii („Acknowledgements“) und Sider, Karlstadt 1974, o. P. („Preface“). 245 Mit identischem Wortlaut s. Sider, Karlstadt 1969, S. 6, und Sider, Karlstadt 1974, S. 5. Dort s. auch die grundlegenden Literaturhinweise, u. a. zu Hillerbrand. 246 S. dazu oben die Anm. 91 u. 144.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
411
Augustin-Rezeption eingefordert, und Siders allgemeinhistorische Dissertation wurde auch im Bereich der Mediävistik247 eingereicht. An Kähler würdigte Pelikan als Fortschritt gegenüber Barge die stärkere Berücksichtigung der Patristik248, bemängelte aber die auf Luther zentrierte Perspektive der Untersuchung, die eine Wahrnehmung von Karlstadts intellektueller Spezifik verhindert habe249. Was Pelikan 1954 vermißt hatte, „Carlstadt’s thought in its own terms rather than in terms of Luther’s theology“250, suchte Sider mit der Drucklegung seiner Arbeit zu präsentieren: „the thought of“251 Karlstadt. Der Weg, den er wählte, war jedoch ein gänzlich anderer, als ihn Pelikan mit Blick auf Kähler vorgeschlagen hatte. Bevor es diesen Weg zu skizzieren gilt, ist zunächst kurz auf die unterschiedlichen Textgestalten der Arbeit einzugehen. Die Druckfassung von 1974 statuiert, „[t]his book […] began as a doctoral dissertation“252, und hält damit die Möglichkeit offen, daß die Studie für die Drucklegung nicht unerheblich ausgeweitet oder umgestaltet wurde. Diese Annahme könnte auch der Auszug der Dissertation unterstützen, den Sider 1971 in „The Mennonite Quarterly Review“ einrückte.253 In zwei Folgen erschien dort im Januar und Oktober Siders Abschlußkapitel254 „Karlstadt’s Orlamünde Theology“ mit der aus dem wichtigsten systematischen Unterkapitel übernommenen Titelergänzung „A Theology of Regeneration“. Ein Vergleich mit der späteren Druckfassung ergibt, daß im Vorabdruck eine knappe Einleitung den Auszug in das Periodikum einfügte255 und in der Textgestalt von 1971 ein definitorisch wichtiger Abschnitt zum Phänomen des Spiritualismus fehlte256. Eben dieser Passus findet sich aber schon 247
S. dazu Sider, Karlstadt 1969, o. P.: „Yale University, Ph.D. 1969[.] History, medieval“. Pelikan, Rez. Kähler, S. 268: „Kähler’s analysis of the patristic sources of Carlstadt’s thought and his preliminary description of Carlstadt’s early theological development both provide a useful corrective to the interpretation that has found its way from Barge’s biography into many handbooks of historical theology“. 249 Ebd.: „Too much attention because, like many studies of Reformation history, this volume betrays a preoccupation with Luther that sometimes prevents it from measuring and presenting Carlstadt’s thought in its own terms rather than in terms of Luther’s theology.“ 250 Ebd. 251 Sider, Karlstadt 1974, o. P. („Preface“). 252 Ebd. 253 Sider, Karlstadt 1971. 254 In der Zählung der Abgabefassung Sider, Karlstadt 1969: Kap. 8, nach der Drucklegung Sider, Karlstadt 1974: Kap. 7. Sider, Karlstadt 1971, S. 191, hält in der ersten, wohl auf den Herausgeber zurückgehenden Anm. * fest: „His [Sider’s] article is part of a dissertation in history at Yale University.“ 255 So dürften die literarischen Referenzen auf John S. Oyer zu interpretieren sein. Dieser findet in der Abgabefassung von Sider, Karlstadt 1969, keine Erwähnung. Auf den Herausgeber des „Mennonite Quarterly Review“ bezog sich Sider 1971 indes in seiner ersten und letzten Anmerkung: Sider, Karlstadt 1971, S. 101, Anm. 2; S. 376, Anm. 316. In der späteren Druckfassung der Dissertation verzichtete Sider wieder auf entsprechende Hinweise, vgl. dazu Sider, Karlstadt 1974. 256 Vgl. hierfür Sider, Karlstadt 1971, S. 195, mit Sider, Karlstadt 1974, S. 205 f. Die Abgabefassung bot diesen Abschnitt bereits. 248
412
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
in der Abgabefassung von 1969257, deren Textgestalt die spätere Druckfassung überwiegend vorwegnimmt. Für die Drucklegung hatte Sider vor allem die Einleitung aufgewertet, indem er in diese das vormals eigenständige Kapitel zu Karlstadts „Early Years (c. 1480–1516)“ integrierte258 und mit einem Passus beschloß, der zuvor in der Mitte der Arbeit gestanden hatte: dem programmatischen Anschluß an einen psychologisierenden Ansatz der Karlstadt-Interpretation. 1969 hatte Sider diese Überlegungen kurz im Rahmen der ereignisgeschichtlichen Rekonstruktion der Wittenberger Bewegung geboten259, als er die Frage von Hertzsch diskutierte, ob Karlstadt nach Luthers Rückkehr von der Wartburg eine „Conversion“260 erfahren habe. 1974 führte er die Überlegung, Karlstadt könne unter einem Minderwertigkeitskomplex gelitten haben, auf Hertzsch zurück, relativierte gegenüber Erik Erikson und dessen Luther-Monographie mit einer weitaus schwächeren Quellenbasis261, weitete die Überlegungen aber erheblich aus und rückte sie mit dem Ende der „Introduction“ an eine der zentralsten Stellen der Arbeit262. Im übrigen straffte Sider den Haupttext, indem er einzelne Passagen von diesem in Anmerkungen überführte.263 Zudem vereinfachte er die Kapitelstruktur durch eine Zusammenführung von Unterkapiteln. Im Hauptteil betraf dies die Darlegungen zu Karlstadt und den Zwickauer Propheten, die 1969 nachgestellt waren und 1974 in die Chronologie der Wittenberger Bewegung einbezogen wurden.264 Zusätze betrafen vor allem Neuerscheinungen; Änderungen ergaben eine vermittelndere Diskussion jüngerer Forschungsbeiträge.265 Die argumentativ zentrale Erweiterung des Hauptteils befindet sich in jenem Kapitel, das zuvor die Psychologie zur Erklärung von Karlstadts Rolle in und nach den Wittenberger Ereignissen der Jahre 1521 und 1522 bemüht hatte. Während dieser Abschnitt 1969 mit der Ausweisung Karlstadts aus Kursachsen schloß, fügte Sider 1974 ein fünfseitiges Unterkapitel „Two Divergent Strategies“266 hinzu, das vollauf neu geschrieben worden war. Es stellt einen zentralen Beitrag zum Diskussionsgegenstand der Karlstadt-Luther-Debatte dar, insofern es summarisch die theologische Nähe zwischen Karlstadt und Luther betonte und die folgenschweren Differenzen aus „a different sense of the proper strategy and timing
257 Sider,
Karlstadt 1969, S. 207–209. Karlstadt 1971, S. 9–18 („Chapter I“); später: Sider, Karlstadt 1974, S. 6–15. 259 Sider, Karlstadt 1969, S. 177. 260 Ebd., S. 175. 261 Sider, Karlstadt 1974, S. 13. 262 Ebd., S. 14 f. 263 Exemplarisch hierzu vgl. Sider, Karlstadt 1971, S. 24, mit Sider, Karlstadt 1974, S. 21, Anm. 23. 264 Vgl. hierfür Sider, Karlstadt 1971, S. 167–172, mit Sider, Karlstadt 1974, S. 161–165. 265 Einschlägig hierfür ist im ganzen der Einführungspassus, Sider, Karlstadt 1974, S. 1–15. 266 Ebd., S. 197–201. 258 Sider,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
413
for introducing change“267 ableitete. Die Idee eines Akzentwechsels von inhaltlichen zu reformationsstrategischen Spezifika berührte sich mit Gordon Rupps Sammelband „Patterns of the Reformation“268, der 1969 erschienen und in Siders Abgabefassung nicht berücksichtigt worden war269. Ausführlich und durchaus kritisch hatte sich Sider schon 1969 mit weiteren Arbeiten von Rupp auseinandergesetzt. Siders erste Veröffentlichung im „Journal of Theological Studies“ galt 1971 der Korrektur eines Details, das Rupp – wie viele andere vor und nach ihm – falsch geboten hatte.270 1969 wie 1974 schloß Sider mit der Variation auf ein Rupp-Zitat271, und vielleicht mag es auch nicht unangemessen sein, Siders eigenes Interpretations‑ und Argumentationsangebot unterschiedlicher Reformationsstrategien inhaltlich gleichartiger und damit auch grundsätzlich gleichwertiger Theologien als eine Variation auf Rupp zu deuten.272 1974 war Rupp jedenfalls der zeitgenössische Autor, auf den sich Sider am häufigsten bezog.273 Zugleich sind weitere Einflüsse möglich. Der früheste literarische Beleg eines entsprechenden Argumentes findet sich 1971 in der Zusammenfassung einer Diskussion, an der Sider mit anderen Karlstadt-Forschern – darunter Bubenheimer, Pater, Preus, Oberman u. a. – teilgenommen hatte.274 Die Berechtigung, die Differenzen 267 Ebd.,
S. 197. Zu Rupp, Patterns, vgl. oben Anm. 211. 269 S. hierfür Sider, Karlstadt 1969. 270 Sider, Doctorate, betont auf zwei Seiten, daß Luther nicht unter Karlstadts Dekanat promoviert wurde, sondern wohl (ebd., S. 169: „almost certainly“) wenige Stunden nach der Amtsübergabe an den Nachfolger. Namentlich richtete sich Sider gegen die jüngeren Darstellungen von Robert Fife und Gordon Rupp, s. ebd., S. 168, und benannte unter den Vorgängern, ebd., Anm. 2, u. a. Hertzsch. Wie oben in Anm. 211 dargelegt, spricht viel dafür, daß Rupp diese Angabe – wie manches andere – unkritisch von Hertzsch übernommen hatte. Sider selbst führte in seinen späteren Darstellungen zu Karlstadt inhaltlich vollauf stimmig aus, daß Karlstadt bei dem Vorgang der Promotor war, verzichtete aber auf jeden Bezug auf das Amt des Dekans, s. dazu Sider, Karlstadt 1978, S. 21: „Als angesehener Theologe hatte er [Karlstadt] Luther 1512 sogar promoviert.“ Ebenfalls 1978 s. auch Sider, Luther, S. 1: „Karlstadt promoted Luther to the doctorate in 1512.“ Gleichermaßen kurz und konzise s. bereits Sider, Karlstadt 1974, S. [1]: „In 1512 he [Karlstadt] promoted Luther to the doctorate.“ 271 Sider, Karlstadt 1969, S. 313 f.; Sider, Karlstadt 1974, S. 303. Die Textgestalt des auszugsweisen Abdruckes von 1971, Sider, Karlstadt 1971, S. 376, fügt einen kurzen Schlußpassus hinzu; zu diesem s. oben Anm. 255. 272 Für diese Lesart spricht auch der Wortlaut von Siders Charakterisierung der Orlamünder Reformphase, Sider, Karlstadt 1974, S. 189: „For a few months in 1523 and early 1524, it seemed as if it might be possible to implement more rapid change and develop a different pattern of reformation in one small area of Saxony.“ Zu dem Abschnitt findet sich keine Entsprechung in Sider, Karlstadt 1969. 273 Vgl. dazu alleine das von Sider kompilierte Personenregister, Sider, Karlstadt 1974, S. 315 f. mit 21 Erwähnungen von Rupp und jeweils 16 von Kriechbaum und Köhler. Für Barge, der hier aus dem zeitlichen Rahmen fällt, wurden 23 Bezüge verzeichnet. 274 S. hierfür Bubenheimes Zusammenfassung einer Diskussion der Wittenberger Bewegung: Bubenheimer, Luther and Karlstadt, S. 216: „We could not reach a consensus on whether the difference [between Luther and Karlstadt] in the time-table was due to strategic or theological factors.“ Die Fragestellung entspricht genau den späteren Ausführungen von Sider. Preus, dessen Präsentation von 1971, s. ebd., S. 218 f., keine Anhaltspunkte auf einen vergleichbaren Ansatz 268
414
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
zwischen Karlstadt und Luther aus strategischen und nicht theologischen Ursachen abzuleiten, blieb 1971 umstritten. 1974 votierte Sider klar zugunsten der reformationsstrategischen Unterschiede. Im ganzen zeichnet sich die Druckfassung durch einen konservativen Umgang mit dem Textbestand von 1969 aus. Veränderungen erfuhren die Zuordnung der Einzelkapitel und die Aufnahme sowie Diskussion jüngerer Forschungsbeiträge. In den Vordergrund seiner Einleitung rückte Sider Elemente eines psychohistorischen Karlstadt-Verständnisses, während der Hauptteil um ein neues Erklärungsmuster für die Unterschiede zwischen Karlstadt und Luther in ihren jeweiligen Reformationsansätzen ergänzt wurde. Nicht nur wirkungsgeschichtlich, sondern auch textgenetisch spricht alles dafür, sich für die inhaltliche Auseinandersetzung mit Sider auf dessen gedruckte Monographie zu konzentrieren und nur punktuell auf die Textfassung von 1969 zu verweisen. 2.1.2. Siders Aufgabenstellung und Gliederung der Arbeit Sein eigentliches Thema benannte Sider mit „tracing the development of Karlstadt’s theological thought“.275 Der zeitliche Rahmen der Untersuchung entsprach mit den Jahren 1517 bis 1525 demjenigen von Kriechbaum.276 Während diese aber mit einer unterschiedlich angesetzten Früh‑ und Spätphase operierte, bildete Sider sieben Zeitintervalle, denen er seine Hauptkapitel zuordnete. In der Konsequenz dieser chronologischen Gliederung mochte es gelegen haben, daß bietet, schloß 1974 – vor der Drucklegung von Siders Monographie – an die Argumentationsfigur an, s. dazu Preus, Movement, S. 1, 64, 81. Ausweislich der Seitenangabe von ebd., S. 2, Anm. 3, rekurrierte Preus noch auf die Abgabefassung von Sider, Karlstadt 1969. Sider, Luther, S. 4, bezog sich 1978 auf Preus im Sinne einer Unterstützung seiner eigenen Einschätzung. Begrifflich hätte sich Sider, Luther, zudem auf Preus, Movement, S. 64 und S. 81, berufen können, wo Preus zunächst für Luther und dann für Karlstadt den Begriff der „strategy“ gebrauchte. Chronologisch lag das Erscheinungsdatum von Preus, Movement, vor dem Abschluß von Siders Drucklegung: Sider, Karlstadt 1974, bibliographierte die Studie von Preus, ebd., S. 310, bot in seinem Text aber keine Referenz. Bubenheimer, Scandalum, S. 265, bemühte sich 1973 um eine Synthese aus der vermeintlichen Alternative zwischen theologischen Motiven und Strategien, indem er von den „theologischen Motive[n] und Probleme[n]“ sprach, die „hinter den zu beobachtenden Reformstrategien standen.“ Ebd., S. 287, erklärte Bubenheimer gleichwohl die Frage nach dem angemessenen Umgang mit dem „Thema Ärgernis und Schonung der Schwachen“ zu einem „Problem weniger des Inhalts der Reformen als der Reformstrategien“. 275 Sider, Karlstadt 1974, S. 5. 276 Auf die Einschränkung dieses zeitlichen Rahmens und damit auch die bereits gegen Kriechbaum erhobene Kritik einer Ausblendung der scholastischen Frühphase und der Jahre nach 1525 rekurrierte Sider nicht. Nur die Abgabefassung hatte, mögliche Einwände am Ende der Einführung vielleicht vorwegnehmend, postuliert, daß die Entwicklung von Karlstadts Theologie 1525 abgeschlossen gewesen sei und aufgrund der Wirkungslosigkeit vernachlässigt werden könne, Sider, Karlstadt 1969, S. 8, Anm. 30: „The dissertation does not trace Karlstadt’s life beyond Sept., 1524 and his thought beyond early 1525 because Karlstadt’s theological development was largely finished by this time. Further, his significant influence on Reformation history ended with his expulsion from Saxony and the Eucharistic debate with Luther.“
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
415
die Abgabefassung den Überblick bis 1516 als eigenständiges Kapitel führte. Die konzeptionelle Folgerichtigkeit der Drucklegung könnte es demgegenüber gewesen sein, in die Hauptkapitel nur aufzunehmen, was aus eigentlicher Quellenarbeit erwachsen war. Inhaltlich ordnete Sider jedem seiner sieben Kapitel einen Themenkreis oder eine persönliche Momentaufnahme der theologischen Gesamtentwicklung zu. Eine historisch-genetische Rekonstruktion grundiert somit die Anlage, wobei systematische Vertiefungen für die Zeit bis 1521 in „three different significant periodes of his theological development“277 geboten wurden, bevor die Orlamünder Theologie eine abschließende Systematisierung erfuhr. Vier der sieben Hauptkapitel sind somit von systematischen Fragestellungen bestimmt, die spezifischen Zeiteinheiten und überschaubaren Quellenbeständen zugeordnet werden. Konzeptionell und interpretativ konnte Sider daher viel direkter auf einzelne Schriften in ihrem argumentativen Zusammenhang rekurrieren, als dies Kriechbaum möglich gewesen war, die eine Lokalgliederung in den Vordergrund gerückt hatte, um in diese Einzelaussagen von Karlstadt zu integrieren. Quantitativ unterscheiden sich die vier systematischen Kapitel von Sider erheblich. Die drei ersten bewegen sich zwischen jeweils 30 und 40 Seiten, während der Abschnitt zu Orlamünde gut 100 Seiten umfaßt und damit als das systematische Hauptkapitel der Arbeit gelten kann.278 Die dogmatischen Akzentuierungen der systematischen Kapitel variierte Sider, wobei die formale Nähe zwischen den beiden ersten Kapiteln auffällt. In diesen präsentierte er eine Gliederung, die von der Hamartiologie zur Gnaden‑ und Erlösungslehre fortschritt279. Einen konzeptionellen Wendepunkt markierte das dritte systematisch vertiefte Kapitel zur „Mature Wittenberg Theology (1520– 21)“, das die Frage der Offenbarungsautorität in eine Gnadenlehre überführte, auf die Rechtfertigung abhob und mit der Ekklesiologie und Sakramentslehre schloß. Siders Hauptkapitel zur Orlamünder Theologie (Kapitel VII) verband beide Gliederungsmuster miteinander, indem es unter dem Vorzeichen der „Regeneration“ von der Hamartiologie ausging und die Ekklesiologie sowie Sakramentologie ans Ende rückte. Dazwischen eröffnete der mystische Begriff der Gelassenheit eine Invertierung der früheren Ordnungsmuster, indem die göttliche „Erneuerung“ des Menschen vor die Christologie bzw. Soteriologie trat und die Frage der Offenbarungsautoriät vor der Ethik behandelt wurde. Den drei nicht systematisch vertieften Kapiteln kam mehr als nur eine Brückenfunktion zu. Das erste von diesen, „The Break with Rome (1520)“ (Kapitel III), 277
Ebd., S. 6. Im ganzen hatte Sider die Zeit zwischen 1517 und 1525 sehr ausgewogen dargestellt; setzt man den Seitenumfang für die drei Orlamünder Jahre mit gut 100 Seiten an und für die vorherigen sechs Jahre mit gut 184 Seiten, so behandelte Sider die drei Jahre zwischen 1523 und 1525 in einer vergleichbaren Darstellungsintensität. 279 So könnte man die Überschneidungen zwischen den beiden ersten Kapiteln umschreiben, wobei die Gnadenlehre im zweiten Kapitel im Zusammenhang der Leipziger Disputation behandelt wird. 278
416
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
akzentuierte den von der Bannandrohnungsbulle erzwungenen Bruch mit dem Papst und die Ausbildung eines kanontheoretischen Schriftprinzips. In der Karlstadt-Forschung war Sider der erste, der die langtradierte These, Karlstadt habe 1517 ansatzweise und 1518 ausdrücklich ein reformatorisches Schriftprinzip vertreten, anhand einer detaillierten Textinterpretation widerlegte.280 Das zweite nicht systematisch vertiefte Kapitel interpretierte die Bilderschrift im Zusammenhang mit der Wittenberger Bewegung als „Rejection of the Externalization of Religion“ (Kapitel V).281 Der dritte historisch zugeschnittene Abschnitt (Kapitel VI) schilderte die Zeit zwischen Luthers Rückkehr von der Wartburg und Karlstadts Wechsel nach Orlamünde. In diesen Abschnitt gingen Siders wichtige Ausführungen zur Verhältnisbestimmung zwischen Luther und Karlstadt im Sinne unterschiedlicher Reformationsstrategien ein. 2.1.3. Siders methodischer Ansatz und Hauptergebnisse Für eine Gesamtcharakteristik der Arbeit ist es am besten, Siders Methodik und Ergebnisse einander thesenhaft zuzuordnen. An entscheidenden Stellen wählte Sider einen komparativen Ansatz, indem er Karlstadt mit Staupitz, Augustin oder Luther verglich, um Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu bestimmen. Die mit Blick auf Karlstadt zuletzt von Pelikan 1954 formulierte Aufgabe, den spätmittelalterlichen Augustinismus zu rekonstruieren, brach Sider auf „the most obvious channels for such influence“282 herunter und verglich Karlstadts Frühphase mit den theologischen Ansätzen von Staupitz und Augustin. Er nahm damit den zunächst von Wolf berührten und dann durch Kähler herausgearbeiteten Ausgangspunkt von Karlstadts Entwicklung auf und bezog in eine materialdogmatisch fokussierte Lektüre von Karlstadts 151 Thesen, dem Augustin-Kommentar, den „Apologeticae Conclusiones“ und der „Defensio“ konstitutiv einen Vergleich mit Augustin und Staupitz ein. Den heuristischen Vorentscheidungen der – inhaltlich und argumentativ vorzüglichen – Exegese entsprach gleichwohl das Ergebnis: Von Staupitz mochte Karlstadt manches, von Augustin „a thoroughgoing Augustinian theology“283 übernommen haben. Karlstadts Abweichungsspezifika sowohl von Staupitz als auch von Augustin suchte Sider durch Einflüsse von Luther wahrscheinlich zu machen.284 Dessen „Growing Influence on Karlstadt’s Theology“285 wollte Sider für die Bußthematik nachweisen, bevor mit der Leipziger Disputation ein Vergleich zwischen 280
Aufeinander zu beziehen sind hier Sider, Karlstadt 1974, S. 46–57 u. 86–98. der Formulierung nahm Sider seinen späteren Definitionsversuch des Spiritualismus auf, der unten in Anm. 300 skizziert wird. 282 Ebd., S. 20. 283 Ebd., S. 43. 284 Vgl. hierfür ebd., S. 34 f., mit S. 43. 285 Ebd., S. 59–70, schließt unmittelbar an die zuvor diskutierten Ausführungen an. 281 Mit
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
417
Karlstadt und Eck286 erfolgte. Aus der Begegnung mit Eck, der Zuwendung zur Bibel, aber auch den Einflüssen des Humanismus erklärte Sider Karlstadts erwachendes Laienideal.287 Siders Kapitel zur „Mature Wittenberg Theology“ stellte die Kongruenzen und Gemeinsamkeiten zwischen Karlstadt und Luther für die Jahre 1520 und 1521 heraus: „Luther and Karlstadt were in fundamental theological agreement through the period of Luther’s sojourn at the Wartburg.“288 Die klassischen Topoi einer lutherischen Karlstadt-Kritik benannte auch Sider, gewichtete sie aber geringer, indem er etwa statt eines Legalismus von einer höheren Wertschätzung des normativen Charakters des Alten Testamtes sprach289. Ausdrücklich lehnte er eine spiritualistische Aufweichung des Schriftprinzips ab.290 Zugleich betonte Sider, daß Karlstadt durchaus ein forensisches Rechtfertigungsverständnis vertreten habe, wenn auch dessen theologischer Stellenwert niedriger anzusetzen sei als bei Luther.291 Hinsichtlich der Sakramentsauffassungen der beiden späteren Kontrahenten benannte Sider für die Zeit bis 1521 Unterschiede in Kleinigkeiten, betonte aber die Gemeinsamkeiten. Siders Schilderung der Wittenberger Bewegung verließ sich nicht auf den Forschungsbericht von Köhler292, sondern unterzog die einschlägigen Quellen einer eigenständigen Revision. Das Ergebnis entsprach in allen wesentlichen Zügen demjenigen Barges. Einzig Luthers Rolle wurde vermittelnder bestimmt: Nicht als Exekutor eines vollständigen Rückschlages in die reichspolitische Reaktion trat dieser bei Sider auf, sondern als Vertreter eines ausgleichenden Ansatzes. Etwa in der Frage des Laienkelches habe Luther ein zweigleisiges Gottesdienstformat etabliert, um die unterschiedlichen Gemeindebedürfnisse zu integrieren, und in seiner Kritik an Karlstadt habe er sehr sensibel zwischen öffentlichen und privaten Äußerungen unterschieden.293 Die Orlamünder Phase erklärte Sider aus zwei Faktoren. Zum einen schloß er sich mit großem Interesse an Hertzschs These einer Konversion von Karlstadt an294, modulierte aber den theologie‑ und frömmigkeitsgeschichtlich vorgepräg286 Ebd.,
S. 70–81. Ebd., S. 83–85. 288 Ebd., S. 147. 289 Kurz dazu s. ebd., S. 146; ausführlich: ebd., S. 108–118. Explizit s. schließlich ebd., S. 280 f.: „If one defines legalism as that doctrinal position which prescribes considerable portions of the Old Testament law as normative for the Christian, then Luther was right in charging that Karlstadt was a legalist. […] That Karlstadt was a legalist in the sense just noted should not obsure the fact that he certainly was not entirely inflexible.“ 290 Ebd., S. 117. 291 Vgl. dazu ebd., S. 125, mit ebd., S. 147. 292 S. ebd., S. 153, Anm. 22. 293 Für beides s. knapp ebd., S. 173. 294 Vgl. dazu bereits die erste Anmerkung der Arbeit, die sich auf Kähler bezieht, der seinerseits stillschweigend den Begriff von Hertzsch aufgenommen hat, ebd., S. [17], Anm. 1. Formal stimmig setzte Sider den von ihm später modifiziert vertretenen Begriff in Ein‑ und Ausführungszeichen. Für die ausführliche Diskussion der Frage s. ebd., S. 176–180. 287
418
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
ten Begriff in eine offene Formulierung, indem er von „a conscious attempt to change rather than conversion“295 sprechen wollte. Der Sache nach nahm er den Einschnitt auf und interpretierte ihn innerlich aus eskapistischen Tendenzen296, äußerlich als „an honest attempt to adopt a more simple life-style“297. Die Übernahme des Orlamünder Pfarramtes erklärte er aus einem zuvor von Luther vertretenen Selbstbestimmungsrecht der Gemeinde298, womit er über Barge hinausging, der Karlstadts gemeindechristlichen Ansatz primär mit Luther konfrontiert hatte. Das zweite Motiv machte Sider an einer gesteigerten Bedeutung der Mystik für Karlstadt fest. Quantifizierend und qualifizierend wertete er dazu die mystischen Bezüge in den früheren Schriften ab: „Through 1521 […] mystical references were very occasional and relatively insignificant.“299 Siders systematische Zusammenfassung der Orlamünder Theologie stand unter zwei Vorzeichen. Definitorisch wurde sowohl der Begriff des Spiritualismus als auch der der Mystik spezifiziert. Mit Spiritualismus wollte Sider das Prinzip einer religiösen Internalisierung beschreiben, das sich in unterschiedlichen Graden und Selbstverständnissen von externen Vermittlungsinstanzen entfernte.300 Das Schema war präzise formuliert, schuf aber in seiner graduellen Offenheit Verbindungsmöglichkeiten zu fast allen Phänomen religiösen Erlebens, weshalb es auch innerreformatorisch als ein ausgleichender Ansatz interpretiert werden konnte. Siders Mystikverständnis301 konzentrierte sich jedoch stark auf die deutsche Mystik Taulers und Eckharts, die er letztlich als eine Überbietung des Spiritualismus schilderte, indem in ihr die Ablösung nicht nur von einer äußeren, sondern auch einer inneren Vermittlung gesucht worden sei.302 Dieser steile Mystikbegriff mochte dazu beigetragen haben, daß Sider etwa die Annahme einer paulinischen Mystik ablehnte.303 Genetisch betonte Sider den Einfluß der deutschen Mystik auf Karlstadt für die Jahre nach 1523.304 Eine Pointe von Sider war es, keinen vollständigen Bruch mit der früheren Theologie zu postulieren, sondern vielmehr punktuell auf Kontinuitäten zu den Augustin und Luther geschuldeten theologischen Elementen abzuheben.305 Im Schlußkapitel und Gesamtbild steht damit keineswegs die Mystik als Kennzeichen der Karlstadtschen Theologie im Vordergrund. Übernommen habe 295 Ebd.,
S. 180. S. 179. 297 Ebd., S. 176; vgl. dazu auch Sider, Luther, S. 151. 298 Sider, Karlstadt 1974, S. 192. 299 Ebd., S. 181. 300 Ebd., S. 205 f. 301 Ebd., S. 206–212. 302 Vgl. dazu das abschließende Tauler-Zitat, ebd., S. 212. 303 Ebd., S. 207, Anm. 28. 304 S. hierfür das Schlußkapitel im ganzen oder für Eckhart nur exemplarisch ebd., S. 213 und 215. 305 Für Augustin s. alleine ebd., S. 214 und 254, für Luther etwa ebd., S. 252. 296 Ebd.,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
419
Karlstadt nur die mystische Sprache; an Stelle einer abgelösten unio mystica sah Sider jedoch auch in der Orlamünder Theologie die volle reformatorische Substanz, weshalb er sogar plädierte: „It may even be legitimate to speak of a protestantizing of mysticism.“306 Die Überlegung erneuerte, ohne jeden Hinweis auf Barge, dessen Bemühung, Karlstadts Mystik als einen reformatorischen Typus von den mittelalterlichen Vorformen abzugrenzen.307 Vor allem bestritt Sider für Karlstadt die These eines spiritualistischen Ansatzes, sofern dieser auf eine unmittelbare Inspiration rekurriere.308 Spiritualistische Elemente konzedierte Sider309, schränkte deren Relevanz jedoch ein: „the spiritualist element in his exegesis was relatively limited. [… H]is Orlamünde theology did grant an increased role to the Holy Spirit, [but] it was still less radically spiritualist than has often been suggested.“310 Siders argumentative Innovation wird nicht ausdrücklich thematisiert, aber sie besteht zu keinem geringen Teil darin, den Topos des Spiritualismus zunächst religionsphänomenologisch zu öffnen und sodann pneumatologisch zu akzentuieren. Definitorisch und argumentativ gleichermaßen versiert nahm Sider den Legalismusvorwurf auf 311, indem er vermerkte, daß Karlstadt durchaus einen Sinn für die Freiheit eines Christenmenschen gehabt habe312. Selbst für die Orlamünder Theologie betonte Sider, daß Karlstadt eine Erlösungsbedürftigkeit des Menschen gesehen und somit eine Soteriologie vertreten habe.313 Einer der Schlüsselsätze von Sider hebt für Karlstadts Orlamünder Zeit auf diesen inklusiven, Luthers Theologie berücksichtigenden und zugleich universal ausweitenden Wesenszug ab und wählt als Illustration einen Satz aus der „Anzeig“: „Es steet aber das gantz Euangelium von Christo, nicht allein in verkündig der gnad Christi, wölliche zuvergebung der sünden erweysst ist, Sonder es ist reycher, Denn es seynd unmessliche gütter und schetzen in Christo, die uns Christus alle erworben, und mitteylen will, so wir an jn glauben.“314
Eben diesen Satz hatte auch Barge in seiner Biographie zitiert315 und auf dem Höhepunkt der Kontroverse, in der Ehrengabe für Lamprecht 1909, als zentrale Referenz für eine nicht nur gleich-, sondern gegenüber Luther sogar höherwertige Theologie von Karlstadt gegen seine Kritiker angeführt316. 306 Ebd.,
S. 302. dazu oben in Kap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 601. 308 Sider, Karlstadt 1974, S. 265. 309 Vgl. dazu u. a. ebd., S. 268–277. 310 Ebd., S. 277. 311 Vgl. dazu bereits oben Anm. 289. 312 S. ebd., S. 282: „The freedom of the Christian man was not totally absent from Karlstadt’s somewhat legalistic ethics.“ 313 Ebd., S. 257 f. 314 Ebd., S. 259 mit Anm. 236. 315 Barge, Karlstadt, T. 2, S. 292. 316 Barge, Streit, S. 196. 307 S.
420
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
So wenig Sider diese Kongruenz bewußt gewesen317 und so viel genuiner Quellenarbeit geschuldet sein mochte, in den Grundzügen seiner Ergebnisse stand Sider näher bei Barge und Hertzsch als jeder andere Forscher vor ihm. Die Aufgabenstellung von Kriechbaum bearbeitete er mit einer überlegenen Methodik und schloß an die Fragestellungen, Vorarbeiten und Ergebnisse von Kähler unmittelbar an. Siders abschließendes Votum gegen einen radikalen und für einen pneumatologischen Spiritualismus von Karlstadt markierte gegen Kähler und Kriechbaum einen argumentativ auf dem höchsten Niveau geführten Widerspruch. 2.1.4. Die Aufnahme von Siders Studie Die einschneidende Bedeutung von Siders Monographie wurde von Lesern und Rezensenten umgehend gewürdigt. Bräuer erklärte die Arbeit 1978 in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ zu „ein[em] Markstein in der K.[arlstadt]forschung“318. Quantitativ stimmig erkannte er in ihr auch die umfangreichste Auseinandersetzung mit Karlstadts theologischer Entwicklung nach Barge319, wobei in der Retrospektive des Jahres 1978 zumindest ein Hinweis auf die 1977 erschienene Studie von Bubenheimer statthaft gewesen wäre. Bubenheimer selbst hatte darin die Nähe der „unabhängig voneinander“320 gewonnenen Ergebnisse betont und Sider das „Verdienst [… zugesprochen], wichtige Sachverhalte hinsichtlich Karlstadts Stellung zu den kirchlichen Autoritäten zuerst beobachtet zu haben.“321 Als „excellent“ priesen Siders Arbeit 1976 nacheinander Uwe Plath im „Journal of Ecclesiastical History“322 und James S. Preus im „Renaissance Quarterly“323. Ende 1976 würdigte George W. Forell den Beitrag im „Sixteenth Century Journal“ als „thoroughly researched and expert study of the development and content of Karlstadt’s thought.“324 James M. Stayer qualifizierte die Monographie 1977 im „Literaturbericht“ des „Archiv[s] für Reformationsgeschichte“ als „substantial intellectual biography“.325 In diesem Profil war eine Kritik angelegt, die von verschiedenen Seiten vorgebracht wurde. Stayer vermerkte, Siders „finely nuanced, dispassionate assessment perhaps emphasizes theology more and the program of ecclesiastical reform
317 Den Beitrag Barge, Streit, kannte und rezipierte Sider gleichwohl, vgl. dazu alleine das Literaturverzeichnis von Sider, Karlstadt 1974, S. 308. 318 Bräuer, Rez. Sider, Sp. 665. 319 Ebd., Sp. 663. 320 Vgl. dazu oben Anm. 236. 321 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 110, Anm. 163. 322 Plath, Rez. Sider, S. 84. 323 Preus, Rez. Sider, S. 220. 324 Forell, Rez. Sider, S. 114. 325 Stayer, Rez. Sider, S. 48.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
421
less than is warranted“326, womit ein Übermaß an Theorie‑ gegenüber einem thematisch gebotenen Praxisbezug bemängelt wurde. In diese Richtung votierte auch Preus, der „the relation between circumstance and thought“327 als unzureichend geklärt empfand und in die provokative Frage überführte, ob Karlstadts Orlamünder Theologie nicht vielleicht „a loser’s theology of compensation“328 gewesen sein könnte. Bräuer, der weitere kritische Anfragen stellte329, urteilte ähnlich, indem er vorsichtig einforderte: „Die Wechselwirkung von Theorie und Praxis könnte bei der Darstellung von K.[arlstadt]s Entwicklung deutlicher in Erscheinung treten.“330 Bräuer gehörte zu den wenigen Rezensenten, die auch Siders Mystikkonzeption hinterfragten, indem er den „gleichzeitige[n] ähnliche[n] Mystikeinfluß auf andere reformatorische Theologen (Müntzer, Hisolidus u. a.)“ nicht „erklär[t]“331 fand. Stayer konkretisierte dies, indem er für die Mystik die mittelalterlichen Einflüsse auf Karlstadt ausgeblendet und eine zu einseitige neuzeitliche Perspektive geschildert sah: „It seems, particulary in its basic denial of his mysticism, to minimize the late medieval intellectual materials with which Carlstadt worked and to make of him a proto-Pietist.“332 Siders Ansatz, die Spezifik von Karlstadt gegenüber Luther reformationsstrategisch zu deuten, wurde von Bräuer hinterfragt333, während Forell vehement widersprach334, indem er die von Sider herausgearbeiteten theologischen Unterschiede nicht als geringfügig, sondern als „profound theological difference between Martin and Andreas“335 „on every major controverted theological issue“336 beschwor. Zudem vermerkte Forell geradezu beiläufig „the fact that [Sider’s] Karlstadt sounds almost like a Mennonite“337. Forells Votum ist von einer nicht unerheblichen Bedeutung, weil es illustriert, wie Sider konfessionelle Lutheraner in einer vergleichbaren Weise reizen konnte, wie es sieben Jahrzehnte zuvor Barge getan hatte. Der gravierendste Unterschied liegt auf der Hand: Kein Rezensent bemerkte die Nähe zwischen Barge und Sider. Preus feierte Sider gar als „the other extreme of heroic exaggerations à la Hermann Barge“, wobei er sich vor allem darum bemühte, Sider gegen Rupp zu positionieren als „needed antidote for [Rupp’s …] ill-concealed contempt for 326 Ebd.,
S. 49. Rez. Sider, S. 220. 328 Ebd., S. 221. 329 Bräuer, Rez. Sider, Sp. 665 f. Ebd., Sp. 666, hob Bräuer scharfsinnig darauf ab, daß die titelgebende Begriffsbestimmung des Schlußkapitels einer definitorischen Präzisierung der „regeneration“ bedürfe. 330 Ebd., Sp. 666. 331 Ebd., Sp. 665. 332 Stayer, Rez. Sider, S. 49. 333 Bräuer, Rez. Sider, Sp. 665. 334 Forell, Rez. Sider, S. 114 f. 335 Ebd., S. 115. 336 Ebd., S. 114. 337 Ebd. 327 Preus,
422
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Karlstadt.“338 Die strukturellen Bezüge zu Barge und Rupp verkannte Preus völlig, wie überhaupt kein Rezensent darauf aufmerksam wurde, daß Sider in einer Intensität wie zuvor allenfalls Hertzsch zentrale Elemente von Barge wiederholt hatte. Einzig Bubenheimer nahm die Nähe zu Hertzsch wahr.339 Nur Bubenheimer registrierte auch das Potential des psychohistorischen Ansatzes, was sein 1980 gehaltener und 1981 gedruckter Festvortrag zum Karlstadt-Jubiläum dokumentiert340. Von der Qualität der Siderschen Materialarbeit ließen sich alle Rezensenten überzeugen. „[It] is reliable and solid“341, urteilte Preus durchaus stellvertretend und gab der Hoffnung auf Folgebeiträge Ausdruck: „It provides a superb foundation for further work, both for its author and for others.“342 2.1.5. Siders Folgearbeiten zu Karlstadt und die Bedeutung seiner Studien Sider legte noch zwei Beiträge zu Karlstadt vor, die beide 1978 erschienen. Sie nahmen ihren Ausgangspunkt in der Dissertation und führten einen Akzent weiter, der in der Arbeit bereits angelegt war. 1974 hatte Sider George H. Williams Ansatz der „Radical Reformation“ berührt343, aber nicht in sein KarlstadtBild integriert. Vielmehr sucht er den Nachweis, daß sich Karlstadt gegenüber radikalen Positionen – des Spiritualismus oder des revolutionären Umbruchs344 – moderat verhalten habe. Gegenüber Karlstadts früheren Phasen konnte Sider das Orlamünder Reformprogramm gleichwohl graduell gesteigert als „more radical“ beschreiben.345 Im deutschen Sprachraum unternahm Hans-Jürgen Goertz346 den forciertesten Anschluß an Williams’ Konzeption347. Goertz’ 1978 erschienener Sammelband von 21 Kurzportraits „Radikale[r] Reformatoren“ half den Begriff zu popularisieren. Zu diesem Buch steuerte Sider eine Karlstadt-Miniatur bei, die eine Anzahl der Hauptthesen vortrug und kurz auf die jüngeren For338 Preus, Rez. Sider, S. 220. Preus, Movement, S. 4, Anm. 6, erklärte seine Ablehnung von Rupp aus dessen Distanz gegenüber Karlstadt: „an immensely learned and well-written biographical sketch, but suffers from the author’s irrepressible dislike for his man.“ 339 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 6, Anm. 17: „Ähnlich wie Hertzsch bemüht sich R. J. Sider […] 1974, den Graben zwischen Luther und Karlstadt weitgehend zuzuschütten. In den zentralen reformatorischen Anliegen erscheint Karlstadt nach Siders Darstellung als treuer Lutheraner“. 340 Vgl. zu Bubenheimer, Ablösung, u. a. das nachfolgende Kapitel zu Bubenheimers Karlstadt-Studien. 341 Preus, Rez. Sider, S. 221. 342 Ebd. 343 Vgl. dazu Sider, Karlstadt 1974, S. 4 f. 344 Ebd., S. 165, 196, 299. 345 Ebd., S. 1. 346 Vgl. hierfür zusammenfassend den einschlägigen Abschnitt in Goertz, Bewegungen, S. 59–63. 347 Instruktiv dazu ist Kaufmann, Anfang, S. [464], Anm. 1.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
423
schungsbeiträge verwies.348 Den Untertitel des Portraits „Andreas Bodenstein von Karlstadt. Zwischen Liberalität und Radikalität“ löste der Aufsatz nicht ein. An keiner Stelle findet sich der Begriff des Liberalismus, und nur für den Höhepunkt der Wittenberger Bewegung hieß es: „Ein Trotzakt gegen das kurfürstliche Verbot machte aus Karlstadt noch keinen tollen Radikalen. Er widersetzte sich in dieser Zeit vielmehr dem Aufruhr.“349 Deutlich wird damit nur, daß Sider Karlstadt weiterhin in einer Mittelposition zu schildern suchte, was ihn nur äußerst eingeschränkt als Vertreter einer radikalen Reformation hervortreten ließ. Einen Aufschluß über das wahrscheinlich vorauszusetzende Begriffsverständnis sowie vielleicht die Genese des Untertitels bietet Siders zweiter Beitrag des Jahres 1978. Er besteht in einem Sammelband von übersetzten und kommentierten Quellen zu „Karlstadt’s Battle with Luther. Documents in a LiberalRadical Debate“. Das gewählte Format erinnert an die Veröffentlichungen von Lietzmann und Barge, mit denen diese die Karlstadt-Luther-Kontroverse der akademischen Lehre erschließen wollten. Sider mochte dies auch und vielleicht sogar vorrangig intendiert haben, sein Buch bietet jedoch keine Ausführungen über eine mögliche Zielgruppe. Allein die Widmung deutet an, daß er an einen breiteren Adressatenkreis dachte: „To all who yearn to be both faithful and effective in the struggle to seek justice and correct oppression“350. Das erkennbare Anliegen, sozialreformerische Gegenwartsinteressen mit dem historischen Lehrstück der Karlstadt-Luther-Kontroverse in Verbindung zu bringen, wurde auf wissenschaftlich und schriftstellerisch eindrucksvolle Weise vertreten. Was die Auswahl, Einführung und Kommentierung der Dokumente angeht, ist der Band – um Bräuers Formulierung aufzugreifen351 – ein Markstein in der Popularisierung der Karlstadt-Forschung. Einen vergleichbar kurzen, konsistenten und substantiellen Sammelband einschlägiger Dokumente zum Verhältnis von Karlstadt und Luther gibt es im deutschen Sprachraum bis heute nicht. Allenfalls Hertzsch hatte in der Zeit nach Barge eine verwandte Initiative unternommen, doch sind dessen Editionsbände schwerlich mit dem Format von Sider zu vergleichen, das die gebotenen Dokumente und das berührte Thema in einer viel größeren Unabhängigkeit von kirchlichen oder theologischen Vorkenntnissen zu vermitteln suchte. Das zusammenfassende Nachwort zu „Karlstadt, Luther, and the Perennial Debate“ ordnete die Kontroverse zwischen Karlstadt und Luther in eine zeitlose Alternative ein, nach der sich jede gesellschaftliche Veränderungsdynamik zwischen „a liberal versus a radical strategy“352 des Reformansatzes zu bewegen habe. Beide Positionen reduzierte Sider auf unterschiedliche Auffassungen „over the place, the pace, the personnel, and the methods for effecting 348 Sider,
Karlstadt 1978. S. 23. 350 Sider, Luther, S. [v]. 351 S. dazu oben Anm. 318. 352 Sider, Luther, S. 139. 349 Ebd.,
424
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
change“353. Siders Anliegen war es, zwischen beiden Ansätzen zu vermitteln und auf deren notwendige Ergänzung gegenüber einer konservativen Mehrheit abzuheben.354 Nach einer ausführlichen Definition der Unterschiede: „I use ‚liberal‘ and ‚radical‘ exclusively to connote two divergent strageties which disagree over the place, the pace, the personnel, and the role of compromise in producing change“355, war Sider selbst am ehesten wohl ein Mann des Kompromisses, der als Liberaler die Anliegen der Radikalen als vollauf berechtigt anzuerkennen bereit war, aber unter dem Kriterium einer Umsetzbarkeit gesellschaftlicher Veränderung viel enger an die sozialen und situativen Realitäten der jeweiligen Gegenwart rückzubinden suchte. In seiner Typologie möglicher Positionierungen gegenüber der Forderung sozialer Veränderung gelang Sider eine überraschende personale Ausdeutung: Keineswegs vertrat für ihn Karlstadt primär die Radikalität und Luther eine Liberalität. Müntzer war der Repräsentant eines radikalen Ansatzes und Luther der eines konservativen. Dazwischen bewegte sich, bei allen radikalen Anteilen, der doch überwiegend liberale Karlstadt. Das Nachwort zur Dokumentensammlung zeigt Sider in einer Momentaufnahme seiner beruflichen Entwicklung. Drei Jahre zuvor hatten die von Sider mitbegründeten und bis heute von ihm mitgeführten „Evangelicals for Social Action“356 ihren dritten nationalen Workshop einer „discussion of the liberalradical debate over strategy“357 gewidmet. 1978 versuchte Sider, der nach eigener Auskunft seit dem Ende seiner Schulzeit „a clear inner sense that I should work as a biblical Christian for peace and justice in society“358 verspürt hatte, kirchenhistorische und sozialreformerische Fragen aufeinander zu beziehen. Mitte Juli 2013 nahm Sider, der zu einem der einflußreichsten evangelikalen Publizisten und amerikanischen Aktivisten der letzten Jahrzehnte werden sollte, seinen Abschied von dem Vorsitz der „Evangelicals for Social Action“.359 Vielleicht darf die Forschung auf eine Wiederaufnahme der frühen Auseinandersetzung mit Karlstadt hoffen. Als Wissenschaftler schied Sider streng zwischen seinen persönlichen Anliegen, möglichen konfessionellen Prägungen und dem bearbeiteten Gegenstand.360 Ungeachtet seiner lebensgeschichtlichen Ziele schilderte Sider auch Karlstadt nicht etwa als Vertreter christlicher Sozial353 Ebd.,
S. 140.
354 Ausführlich
dazu s. ebd., S. 157–159. S. 141, Anm. 9 cont. 356 Vgl. dazu kurz Balmer, Art. Action. 357 Sider, Luther, S. 140. 358 Den Zeitpunkt und das Zitat bietet Balmer, Art. Sider, S. 526. 359 S. hierfür zunächst die Ankündigung http://www.christianpost.com/news/dr-ron-siderannounces-he-will-retire-in-2013–83465/ und sodann den genaueren terminlichen Hinweis http://www.patheos.com/blogs/anxiousbench/2013/07/ron-sider-pioneer-of-the-evangelicalleft/ (Zugriffsdatum für beide Seiten: 24. Oktober 2013). 360 Exemplarische Bedeutung kommt etwa dem Umgang mit der von Hertzsch und Kähler eingeführten Konversions-Thematik zu. Sider, der selbst „about age eight“ eine evangelikale Konversion erfahren hatte, im Zitat einer Selbstauskunft s. hierfür Balmer, Art. Sider, S. 526, 355 Ebd.,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
425
reformen. Was die thematische Gesamtbreite von Karlstadts Theologie angeht, erarbeitete Sider die bis heute gewichtigste Studie zur Genese, argumentativen Kohärenz und inhaltlichen Systematik von Karlstadts Denken. Als Diplomat erster Güte vermittelte er weithin unbemerkt Impulse von Barge und Hertzsch, als vorzüglicher Philologe präsentierte er ausgereifte Übersetzungen sowohl aus dem Deutschen als auch dem Lateinischen ins Englische361. Dauerhaften Bestand werden Siders Materialarbeiten werkimmanenter Korrespondenzen behalten, wie etwa die mustergültigen Zuordnungen der 151 und der 380 Thesen im Eingangskapitel362. Einer vollständigen Integration in das theologische Gesamtbild und damit auch die Überprüfung möglicher Kontinuitäten harren nach wie vor die scholastischen Frühschriften. Deutlich zu vertiefen sind zudem die patristischen, mediävistischen und zeitgenössischen Vermittlungsprozesse in der Ausbildung von Karlstadts Theologie.
2.2. James Samuel Preus’ Studie „Carlstadt’s Ordinaciones and Luther’s Liberty“ (1974) – Karlstadt als Vertreter sozialer und politischer Freiheit in der Wittenberger Bewegung 1521 f. 2.2.1. Drucklegung und Forschungsansatz der Studie Zeitlich auf die Abgabefassung von Sider 1969 und eine Diskussion mit weiteren Karlstadt-Forschern 1971 folgte James Samuel Preus’ 88seitige Studie zur Wittenberger Bewegung, die 1974 in den „Harvard Theological Studies“ erschien. Ihre Drucklegung war vor derjenigen von Siders Monographie abgeschlossen, weshalb sie zumindest in deren Bibliographie vermerkt werden konnte.363 Preus, ein Schüler Obermans aus dessen Zeit in Harvard364, war der erste, der literarisch auf die Unterschiede zwischen Luther und Karlstadt im Sinne divergierender Reformationsstrategien einging, wobei Sider diese Ausführungen retrospektiv als Bestätigung seiner eigenen Rekonstruktion deuten sollte365. Preus widersprach verweigerte sich als Wissenschaftler konsequent der naheliegenden Option, diesen Einschnitt in Karlstadts Entwicklung religiös zu deuten; s. dazu oben die Anm. 260 und 295. 361 Bisweilen hätte man sich allenfalls textkritische Konjekturen, gerade bei den nicht übersetzten Passagen, gewünscht. Wenig hilfreich ist es etwa, den offenkundigen Druckfehler einer Erstedition aus dem 18. Jahrhundert zu wiederholen, s. S. 11, Anm. 54: „seminortuum“. Auch ohne eine archivalischen Einsichtnahme des Bezugstextes (im Ernestinischen Gesamtarchiv des ThHSAs, O 359, Bl. 2r u 2v, hier: Bl. 2r: „semimortuum“), ist eine unkommentierte Wiedergabe dieses Textes sinnlos. 362 S. nur punktuell hierfür Sider, Karlstadt 1974, S. 37 f. 363 S. dazu oben Anm. 274. 364 S. dazu in der Drucklegung seiner Dissertation Preus, Augustine, S. vii: „Among such scholars, I owe most to my teacher, Professor Heiko Augustinus Oberman, now at the University of Tübingen, whose enthusiasm, scholarly insight, and criticism helped shape this study in its earlier form as a doctoral dissertation at Harvard Divinity School.“ 365 Auch hierfür s. oben Anm. 274.
426
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
dem nicht und erhob auch 1974 keinen Anspruch auf ein Prioritätsrecht. Wahrscheinlich ist, daß Preus die benannten Elemente aus der Diskussion des Jahres 1971 und damit möglicherweise von Sider selbst übernommen hatte. Insgesamt war Preus dem Ansatz verbunden, den Oberman 1969 vorgeschlagen hatte: Im Anschluß an Karl Bauers Studie zur „Wittenberger Universitätstheologie“ von 1928 galt es gerade für die Anfänge der Reformation, „den Wittenberger Kreis als Ganzheit zu betrachten“ und die späteren Zerwürfnisse nicht in die Frühzeit zurückzuprojizieren.366 1971 votierte Oberman in einem ungedruckten Kurzvortrag dafür, statt einer Konzentration auf die Unterschiede zwischen Karlstadt und Luther diese überindividuellen Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.367 Preus nahm diesen Impuls auf 368 und interpretierte die Wittenberger Bewegung der Jahre 1521 und 1522 als eine Vielfalt von praktischen Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit369. In seiner Quellenbasis ergänzte Preus die von Nikolaus Müller 1911 gebotenen Materialien um einschlägige Stellen aus der Weimarana; seine Literaturkenntnis konzentrierte sich auf die Hauptbeiträge zur Karlstadt-Luther-Kontroverse um Hermann Barge.370 Ausdrücklich verstand sich die Arbeit als ein Anschluß an diese Debatte, der auf eigenständiger Quellenlektüre basierte: „My dependence of Barge and his critics will be evident to anyone who has read them, although the critical issues of my essay are developed out of the sources.“371 2.2.2. Anlage, Ausführung und Abschluß der Studie Diese Ankündigung diente vielleicht auch zur Erklärung einer wenig vorteilhaften Spezifik der Untersuchung, die auf Literaturreferenzen überwiegend verzichtete. Knappe Quellenangaben wurden geboten, während sich die Kontextualisierung innerhalb der Forschung auf einem weitgehend bibliographischen Niveau bewegte.372 366 Oberman,
Zweifrontenkrieg, S. 141 f.; zu dem Zitat s. ebd., S. 141. Luther and Karlstadt, S. 217: „Oberman suggests that we think rather of the circle of Wittenberg colleagues as the intellectual community in which there arose through mutual interchange and reciprocal stimulation a ‚Wittenberg University Theology‘ in which the individual members of the Wittenberg circle participated together. That does not preclude seeing Luther as the central figure of this circle. But it would be questionable to presuppose Luther’s course as the only one in the development of the new Reformation theology. In view of the subsequent progressive estrangement between Karlstadt and Luther, Oberman wonders whether Karlstadt does not start from an earlier stage of Luther’s theology which Luther himself had transcended.“ 368 Preus, Movement, S. 1, Anm. 1. 369 Ebd., S. 3: „Conflicting answers to these questions drove Luther and Carlstadt apart, and split the Reformation.“ 370 Vgl. knapp ebd., S. 3 f. 371 Ebd., S. 4, Anm. 6. 372 Nicht integriert wurde auch der 1971 mündlich von Wallmann gebotene Hinweis, der Umschwung der Wittenberger Politik könne mit den Veränderungen im städtischen Magistrat 367 Bubenheimer,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
427
Konzeptionell wählte Preus für das Proprium seiner Arbeit eine Zweiteilung. Das erste Hauptkapitel (Kapitel III) galt Karlstadts Rolle in der Wittenberger Bewegung, das zweite (Kapitel IV) Luther. Quantitativ überwogen die Ausführungen zu Karlstadt diejenigen zu Luther um mehr als das Doppelte.373 Vorangestellt waren grundierende Informationen zur politischen Struktur Wittenbergs und eine Chronologie der Ereignisse, die auf Quellenausweise verzichtete (Kapitel II).374 Ein Epilog (Kapitel V) zog das abschließende Resümee. Im ganzen präsentierte Preus eine chronologisch strukturierte Kompilation der einschlägigen Bezugsstellen aus Nikolaus Müllers Edition und der Weimarana, vorzüglich des Briefwechsels, zunächst für Karlstadt und dann für Luther. Wichtiger als die Materialsammlung, die nur an wenigen Stellen – etwa für einzelne Briefbezüge Luthers auf Karlstadt375 – einen über die früheren Sammlungen hinausgehenden Wert besitzt, ist die Gesamtinterpretation von Preus. Diese Deutung korrespondiert, so wenig dies Preus herausstellte, in fast allen Einzelheiten derjenigen Barges.376 Karlstadt habe demnach eine vermittelnde und moderierende Position gegenüber den Interessen der Bürger und dem vorwärtstreibenden Melanchthon eingenommen.377 Von „‚radical‘ activity“ sei Karlstadt weit entfernt gewesen.378 Im Zuge der „polarizing situation“379 und der zunehmenden Spannungen380 habe Karlstadt die dominierenden Anliegen im Einklang mit den betroffenen Personen und Institutionen vertreten. Während Luther idealisierend und generalisierend reflektieren konnte, habe Karlstadt entscheiden und handeln müssen – und diese Verantwortung auf sich genommen.381 So apolitisch Karlstadt selbst gewesen sei382, habe er ein demokratisches und laienchristliches Legitimationsprinzip vertreten383. Luther hingegen, hochpolitisch384, Anfang 1522 zusammenhängen, die eine Interessensvertretung des kunstschaffenden Gewerbes stärkten; s. hierfür Bubenheimer, Luther and Karlstadt, S. 218; für die Anwesenheit von Preus bei Wallmanns Vortrag s. u. a. ebd., S. 218 f. 373 Auf Karlstadt verwandte Preus 38 Seiten (Preus, Movement, S. 13–50), auf Luther 16 (ebd., S. 51–77). 374 So ließe sich das Kapitel gliedern, ebd., S. 5–8; 8–11. 375 S. hierfür, zeitlich leider nur sehr eingeschränkt (ebd., S. 57: „I have not sufficiently studied the strained nature of their personal and professional relationship before the Diet of Worms“), ebd., S. 58 f. 376 Auszunehmen davon wäre etwa die Bedeutung des Reichsregiments für die Landespolitik; vgl. dazu ebd., S. 47, Anm. 135. Von der Reichspolitik sei Kurfürst Friedrich kaum beeinflußt worden, eher durch „his own deep religious conservatism.“ Ebd., S. 83, führte Preus hingegen das Reichsregiment als bedeutenden Faktor an. 377 Ebd., S. 17–19. 378 Ebd., S. 20. 379 Ebd., S. 22. 380 Ebd., S. 25. 381 Ebd., S. 53. 382 Ebd., S. 84. 383 Ebd., S. 83. 384 Ebd., S. 84.
428
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
habe nur die christliche Freiheit seines Gewissens bedacht, sei gerade darin aber in Wittenberg zur Inkarnation eines neuen Gesetzes geworden385. Psychologisierend versuchte Preus, Luthers Etablierung einer neuen Tyrannei aus der abgeworfenen Last der alten katholischen und kanonistischen Tradition abzuleiten.386 Seine persönliche Angst vor einer neuen Gesetzlichkeit habe veranlaßt, daß er die Wittenberger Stadtordnung abgelehnt und über Gebühr mit Karlstadt identifiziert habe.387 Nicht die Motive, die zur Ausarbeitung der Stadtordnung geführt hatten, sondern Luthers Opposition bezeichnete Preus als „radical“388. Die persönlichen Leitungsansprüche389 Luthers mochten theologisch oder religiös grundiert gewesen sein; sie verhinderten eine Reformation von Kirche und Gesellschaft, wie sie Karlstadt – „the picture of a proto-puritan“390 – vermocht hätte und wie sie später in und von der Schweiz aus391 realisiert wurde. „The evidence […] suggests such conclusions as that Carlstadt was handed rudely at Wittenberg, that his action in the context of the Wittenberg Movement was both honorable and defensible on its own merits as well as in view of what Luther had been writing, and finally that the social and political dimensions of evangelical freedom and Christian responsibilty may have been more broadly extended through Carlstadt’s ordinaciones than through Luther’s liberty, which became, for others, a low incarnate in his own person, and in other persons in authority after him.“392
Preus legte eine gegenüber nichtdemokratischen Verfassungsstrukturen überaus kritische Lesart der Wittenberger Bewegung vor. Ein wirklich neues Element, das er gegenüber der Karlstadt-Luther-Debatte393 einbrachte, galt den psychologisierenden Charakteristiken der beiden Kontrahenten. Erstmals Preus sprach Karlstadt eine besondere Sensibilität gegenüber der Laienautonomie zu: „[an] extraordinary sensitivity to the real need of an awakening and expectant laity“.394 In einem hohen Maße beschränkte Preus diese Empfänglichkeit auf die politischen Bedürfnisse der Zeit. Gerade an dieser Eigenschaft habe es aber Luther 385 Ebd., S. 80: „The reality at Wittenberg was that the law became incarnated in Luther, himself functionating freely.“ Ebd., S. 78, unterschied Preus zwischen Luthers Freiheitsrhetorik und der Realität hierarchischer Leitungsansprüche. 386 Ebd., S. 82. 387 Ebd., S. 64–66. 388 Ebd., S. 78. 389 Ebd., S. 66, 78. 390 Ebd., S. 86. 391 Ebd., S. 83. 392 Ebd., S. 87 f. 393 Daß Preus einen Beitrag dazu vorgelegt hatte, nahm ein zeitgenössischer Rezensent wahr; Harrison, Rez. Preus, S. 253, urteilte in der amerikanischen Zeitschrift „Church History“: „Preus raises a number of questions and offers some interesting interpretations of the conflict between Luther and Carlstadt. And, although his epilogue leans towards defensiveness for the position of Carlstadt, Preus has written a fine piece which is the result of careful study of documents presented in succinct form with few diversions.“ 394 Preus, Movement, S. 88.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
429
gebrochen, was sich an der Bilderfrage gezeigt habe: „we see in contrast Luther’s relatively insensitivity to the communicative power of images, both religious and socio-political.“395 Im ganzen steht Preus – Sider vergleichbar – für einen unausgesprochenen Anschluß an Barge. Zugleich, und vielleicht vor allem, trug er dazu bei, die Karlstadt-Forschung erneut auf die Laienthematik aufmerksam zu machen.
2.3. Max Steinmetz’ fachwissenschaftliches Gutachten zu Alfred Otto Schwedes Karlstadt-Roman „Der Widersacher“ (1973/1975) 2.3.1. Zur Karlstadt-Forschung in der DDR Nur ein falsches Verständnis der deutschen Geschichte könnte dazu führen, die DDR-Forschung zu Karlstadt auf einen marxistischen Ansatz zu beschränken, wie in etwa der – in seiner Bibliographie übrigens vorzügliche396 – 1954 in der „Wissenschaftliche[n] Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg“ erschienene Beitrag von Gerhard Fuchs verfolgte.397 Die Auseinandersetzung mit Karlstadt trat zwar weit hinter diejenige etwa mit Thomas Müntzer zurück, war aber konstitutiver Teil sowohl der kirchengeschichtlich akzentuierten Reformationsgeschichte als auch der sozialhistorisch bestimmten Geschichte der frühbürgerlichen Revolution. Gerade für die reformationsgeschichtlichen Veröffentlichungen ist auf die fachwissenschaftlichen Kontinuitäten zwischen den Studien der ausgehenden Weimarer Republik, der letzten Kriegs‑ sowie der ersten Nachkriegsjahre und den Publikationen in der DDR der fünziger Jahre hinzuweisen. Hier erschienen die Edition von Kähler, die Auswahlausgabe von Hertzsch und die kleineren Einzelveröffentlichungen der beiden Theologen. Anfang der neunziger Jahre wurden nach der deutschen Wiedervereinigung in einer vergleichbaren Kontingenz der politischen Rahmenbedingungen eine sprachwissenschaftliche und mehrere sozialhistorische Dissertationen eingereicht oder publiziert, die während der letzten Jahre der DDR erarbeitet worden waren.398 395 Ebd.,
S. 86. dazu Fuchs, Karlstadt, S. 550 f. 397 Ohne des angeführten Fehlurteils schuldig zu sein, benannte Sider, Karlstadt 1974, S. 2, Anm. 10, Fuchs als den profiliertesten Repräsentanten eines betont marxistischen KarlstadtBildes. Auch Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 6, Anm. 18, erklärte vergleichbar und ohne einen verzerrenden Bezug auf die DDR: „Die einzige Abhandlung aus marxistischer Sicht stammt von G. Fuchs“. Zu Fuchs s. biographisch Anon., Art. Fuchs. Fuchs bemühte sich darum, Karlstadt im Lichte seiner Wirkung progressiv zu deuten. Selbst sei Karlstadt zwar, ebd., S. 548, „kein Revolutionär“ gewesen, ebd., S. 550: „Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß Karlstadts radikal-reformatorisches Wirken besonders in den Jahren 1521–1524 objektiv sehr wesentlich mit dazu beigetragen hat, den 1525 losbrechenden Sturm der bäuerlich-plebejischen Massen auf die feudale Gesellschaftsordnung vorzubereiten.“ 398 Krause, Sprache; Joestel, Thüringen; Oehmig, Wittenberg. 396 S.
430
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
In dieser Phase beschäftigte sich auch Hans-Peter Hasse mit Karlstadts früher Mystik-Rezeption. Weder ein Erscheinungsdatum noch ein Erscheinungort sind somit bezeichnend für eine spezifische DDR-Forschung zu Karlstadt, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch ebensowenig vorausgesetzt oder untersucht wird wie andere Forschungstraditionen politisch bestimmter Größen. 2.3.2. Die Anregung eines Karlstadt-Romans im Berliner Union Verlag Eine Besonderheit bleibt gleichwohl, daß 1975 im Union Verlag Berlin – einem der beiden christlich-konservativen Verlage399 – der bis heute einzige KarlstadtRoman erschien.400 Publizistisch war er äußerst erfolgreich. 1977 folgte eine zweite, 1982 eine dritte Auflage; zeitgleich zur zweiten Auflage wurde in der Bundesrepublik eine Konstanzer Lizenzausgabe vertrieben. Auf den Roman des vormaligen Pfarrers und seit 1961 freischaffenden Schriftstellers sowie Übersetzers401 Alfred Otto Schwede soll hier nur in seinen fachwissenschaftlichen Bezügen eingegangen werden. Dies entspricht der Themenstellung dieses Kapitels und illustriert, welches Segment der Forschung durch Schwedes Roman seit 1975 in einer belletristischen Bearbeitung popularisiert wurde. Die thematische Anregung des Buches läßt sich zunächst indirekt rekonstruieren und abschließend anhand eines Selbstzeugnisses illustrieren. Schwedes in der Berliner Staatsbibliothek verwahrter Nachlaß ist für den Roman nicht einschlägig.402 Im Nachlaß des Leipziger Historikers Max Steinmetz, der unabhängig von Bernd Moeller und zeitgleich zu dessen Arbeiten an „Reichsstadt und Reformation“ 1960 für eine Integration sozialhistorischer Methoden in die 399
Links, DDR-Verlage, informiert auf den S. 263–266 instruktiv über den Union-Verlag und den Verlag Koehler & Amelang, die miteinander eng verbunden waren und, ebd., S. 266: „die gleichen Unterstellungsverhältnisse zum CDU-Parteivorstand und zur Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur teilte[n], wo es ständige Kollegen für kirchliche Verlage gab.“ 400 Schwede, Widersacher. 401 Zu diesen Angaben s. Anon., Art. Schwede (DBA, T. 3, Fichenr. 840, S. 85). Eine umfassende Bibliographie des produktiven und vielseitigen Publizisten bietet ebd., S. 86–88. 402 Für ihre Auskünfte (brieflich am 28. und 29. August 2012) danke ich Dr. Gabriele Kaiser von der Abteilung für Nachlässe und Autographen sehr herzlich. In dem 12 Kästen und 6 Ordner umfassenden Bestand konnte Dr. Kaiser nur einen Verlagsvertrag vom 21. März 1973 auffinden sowie „eine Mappe mit dem Titel 500 Jahrfeier Karlstadt 14–16. November 1980 über eine geplante Reise nach Karlstadt, mit Korrespondenz von Günther Bodenstein. Sie enthält neben Zeitungsausschnitten auch ein Typoskript zu einem geplanten Vortrag von Schwede, Schwede war als Festredner vorgesehen.“ Bei dem vorbereiteten Text dürfte es sich um Schwedes Beitrag zur Festschrift handeln: Schwede, Karlstadt. Nach Auskunft von Ulrich Bubenheimer (mündlich am 12. September 2012) erhielt Schwede keine Ausreisegenehmigung. In einem maschinenschriftlichen Brief Schwedes an Bubenheimer, 14. Februar 1981, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, S. 1, deutet sich ein Unfall der Ehefrau an: „auch ich habe sehr bedauert, daß durch meine Karlstadt-Pläne ein dicker Strich gezogen wurde, glücklicherweise ist meine am 25. August 1980 schwer verunglückte Frau auf dem Wege der Besserung.“
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
431
Reformationsgeschichte eingetreten war403, findet sich aber eine Korrespondenz mit dem Cheflektor des Union Verlages, die für die Anfänge des Romanprojektes aufschlußreich ist. Unter den erhaltenen Materialien ist eine Abschrift des ersten „Exposé[s] eines Romans über Andreas Bodenstein aus Karlstadt / Main“.404 Es datiert auf den 4. März 1973. Am 12. März übersandte der Cheflektor, Dr. Ingo Zimmermann, den Text an Steinmetz und erklärte zur Entstehung: „Unser Autor, Herr Pfarrer Alfred Otto Schwede, hat uns – angeregt durch unser Gespräch auf der Werkstattwoche des Union Verlages in Grünheide – ein Exposé für einen Roman über Andreas Bodenstein aus Karlstadt zugesandt“.405 So sehr sich die geschilderte Anregung mit der Formulierung „durch unser Gespräch“ auf Steinmetz zu beziehen scheint, ist dies doch unwahrscheinlich. Die Werkstattwoche galt vor allem Autoren des Verlages, und zu diesen gehörte Schwede seit Jahrzehnten und Steinmetz nicht. Am Anfang stand demnach die Verlagsabsprache mit einem etablierten Autor über ein mögliches Buchprojekt. Soweit darin bereits der Plan eines historischen Romans eine Rolle spielte, wurde das Gespräch zu dem Zeitpunkt geführt, zu dem die wenigsten Neuerscheinungen dieser literarischen Gattung in der DDR nach 1952 zu verzeichnen waren.406 1972 und 1973 erlebten die historischen Romane den stärksten Einbruch; die Anzahl der neu verlegten Titel halbierte sich gegenüber den beiden Vorjahren, bevor sie 1974 und 1975 den höchsten Stand bis 1989 erreichte. Steinmetz wurde mit dem erklärten Ziel des Lektors angefragt, „von Fachseite ein kurzes Votum zu dem Projekt zu erhalten. Besonders dankbar wären wir auch für Hinweise auf wichtige Literatur zu dem Thema.“407 Der Abschluß des Verlagsvertrages datiert auf den 21. März 1973408 und war unabhängig von Steinmetz’ Antwort. Diese wurde gut eine Woche später, am 29. März, aufgesetzt, „begrüß[t]e das Vorhaben“409 und diskutierte die Forschungslage seit Barge. 2.3.3. Schwedes Exposé vom 4. März 1973 Die drei maschinenschriftlichen Seiten des Schwedeschen Exposés sind in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Zunächst ist der spätere Titel „Der Widersacher“, der einen unmittelbaren Bezug auf die Kontroverse mit Luther herstellt, noch nicht vorhanden. Schwedes erste Überlegungen, „Nachbar Andres. Ein 403 Vgl. dazu knapp Kaufmann, Moeller, S. 13 f.: „Max Steinmetz’ später intensiv diskutierte Thesen zum Konzept der ‚frühbürgerlichen Revolution‘ aus dem Jahre 1960 waren Moeller bei der Abfassung von ‚Reichsstadt und Reformation‘ noch nicht bekannt.“ 404 UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 2r–4r. 405 Ebd., Bl. 1r. 406 S. hierfür die statistische Übersicht über die Erscheinungszahlen „Historische[r] Romane der DDR 1945–1989“ in Habitzel, Roman, S. [421]. 407 UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 1r. Zu Begutachtungsprozessen von Belletristik in der DDR s. insgesamt Habitzel, Roman. 408 S. hierfür oben Anm. 402. 409 UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 5r.
432
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Karlstadt-Roman“ und „Nachbar Andres oder Ein neuer Lai“, zielten auf eine Akzentuierung der Orlamünder Phase. Alternativ zog Schwede „Karlstadt, der Bilderstürmer“ in Betracht, womit er zum einen an bekannte Wissensbestände angeschlossen und zum anderen den Akzent auf die Wittenberger Bewegung gesetzt hätte. Im ganzen verflocht das Exposé einen biographischen Kurzabriß mit dem Angebot, einen progressiven Bildungs‑ und Entwicklungsroman zu liefern. Der biographische Wendepunkt vollzog sich in dem Entwurf nach der Wittenberger Bewegung („Ereignisse in Wittenberg – Bildersturm“): „Er ist jetzt ein anderer geworden, grübelt und sieht sein bisheriges Leben mit Entsetzen an. […] Karlstadt beginnt ein neues Leben. Mit der Gattin zieht er aufs Land und wird Bauer, Nachbar Andres.“410 Die veränderte bürgerliche Existenz geht in Orlamünde mit einem geschärften Sozialbewußtsein einher: „Karlstadt wird weiter von Skrupeln geplagt – er ‚hat das Brot der armen Leute‘ von Orlamünde ohne Arbeit gegessen. Darum will er die Herzen (sehr progressiv, das muß herausgestellt werden – und in unsere Zeit hineinragend. Es ist wirkliche Reformation, freilich mit Auswüchsen. Gottesdienst deutsch. Er selbst verdeutscht Psalmen. Die Menschen nahmen Hostie und Kelch in die Hand. Bilder werden entfernt).“411
Gegenüber diesem progressiven Anteil betonte Schwedes Entwurf den reaktionären Charakter Luthers: „Da bittet Luther den Kurfürsten, einzugreifen (sic! wie so manches Mal!)“.412 Im ganzen spitzte bereits das Exposé das Sujet auf den Konflikt zwischen Karlstadt und Luther zu. Dies zeigt sich an der Handlung und den Gewichtungen der Skizze, die in 15 Einzelpunkte unterteilt ist. Alle bis auf vier betreffen Karlstadt und Luther. Die Annahme, daß Schwede in dieser Anordnung ein vorläufiges Verzeichnis möglicher Kapitel entworfen habe, bestätigt der spätere Roman. Dieser ist in 18 Kapitel untergliedert, auf die ein Nachbericht folgt, der Karlstadts weitere Biographie kurz beschreibt und um Hinweise auf die Wirkungs‑ und Forschungsgeschichte ergänzt. Direkte Entsprechungen bieten der Anfang und der Schluß. Schon der Entwurf sah vor, mit dem Konflikt um die Romreise, also 1515, einzusetzen und die Vorzeit als „Rückblick“413 einzuflechten. Der letzte Punkt des Exposés galt der Flucht aus Kursachsen und einer abbreviaturhaft verkürzten Schilderung des Lebensendes in der Schweiz („Zuletzt geachtete Persönlichkeit in Basel und Zürich.“).414 Der gedruckte Roman schloß mit einem Kapitel „Die Flucht“415, das sein dramatisches Ende 410
Ebd., Bl. 2r. Bl. 2r, 3r. 412 Ebd., Bl. 3r. 413 Zu dem Begriff s. ebd., Bl. 2r. Dies realisierte Schwede, Widersacher, S. 5–27 (Kap. „1. Die Pilgerreise“). 414 UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 4r. 415 Schwede, Widersacher, S. 385–403 (Kap. „18. Die Flucht“). 411 Ebd.,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
433
tatsächlich in Zürich und mit der Förderung durch Zwingli fand, während die Basler Zeit in den „Nachbericht“416 integriert wurde. Auffällig sind die Punkte des Exposés, in die Luther nicht aufgenommen werden sollte. Es waren dies die beiden Anfangs-, das Schluß‑ und das mittige Kapitel, das den Wendepunkt der inneren und äußeren Entwicklung Karlstadts beleuchtete. Der Entwurf verzichtete auf jeden Literaturhinweis. Für einen so umfassend gebildeten Mann wie Schwede, der nicht nur ein volles Theologiestudium absolviert hatte, sondern auch später aus dem Schwedischen etwa Bengt Hägglunds „Geschichte der Theologie“ übersetzen sollte417, ist es unwahrscheinlich, daß das Exposé auf mangelhaften Fachkenntnissen oder gar einer einzigen Literaturreferenz basierte. Dennoch lassen sich für den Entwurf streckenweise wörtliche Übereinstimmungen und zusammenfassende Paraphrasen eines Buches aufzeigen: die Luther-Biographie von Rudolf Thiel.418 Der 1899 geborene Thiel 416
Ebd., S. 404–410 („Nachbericht“). S. hierfür den zweifachen Verweis auf Schwede in Hägglund, Theologie, o. P., in der Titelei: „Mit Genehmigung des Verfassers aus dem Schwedischen übersetzt von Alfred Otto Schwede“ sowie, S. [9], in der Danksagung Hägglunds: „Dem deutschen Übersetzer, Alfred Otto Schwede, […] bin ich beim Erscheinen der deutschen Ausgabe ein Dankeswort schuldig.“ 418 Im ganzen vgl. dafür das Exposé, UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 2r–4r, mit Thiel, Luther, Bd. 2, S. 60–71, 131–[134]. Thiels Ausführungen zerfallen in zwei Sequenzen. Zur Illustration von Schwedes Anschluß an Thiel wähle ich aus jedem der beiden Thielschen Abschnitte ein Beispiel aus. Für den ersten Abschnitt s. den elften Punkt von Schwede, UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 3r: „Luther betreibt die Ausweisung Karlstadts. Die Orlamünder bitten für ihren Pfarrer, dessen Frau ein Kind erwartet. Karlstadt bittet um Gehör bei Hofe – Luther empfiehlt, ihm dies nicht zu gewähren („Spiegelfechterei“). Darauf erhält Karlstadt den Befehl, Sachsen zu verlassen. Er verabschiedet sich von seiner Gemeinde, ‚Unverhört, unüberwunden, durch Martin Luther vertrieben.‘“ Dieser Passus korrespondiert der Schlußpassage des ersten Abschnitts von Thiel, Luther, Bd. 2, S. [71]: „Luther rät, Karlstadt auszuweisen. Vergebens bittet Orlamünde für den Pfarrer, sein schwangeres Weib, sein kleines Kind. Vergebens bittet er selbst bei Hof um ein Verhör – Luther empfiehlt sich um seine ‚Spiegelfechtereien‘ nicht zu kümmern. Karlstadt erhält den Befehl, Sachsen zu verlassen. Er schreibt an seine Orlamünder einen Abschiedsbrief – ‚unverhört, unüberwunden, durch Martin Luther vertrieben‘“. Als Beispiel für den zweiten Abschnitt von Thiel dient der zwölfte Punkt von Schwede, UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 3r und 4r: „Karlstadt ist mittelloser Flüchtling in Süddeutschland. […] Er schreibt gegen den ‚Gottesleichnam‘, d. h. die Realpräsenz Christi in den Elementen. Sechs Schriften werden in Basel gedruckt, in Straßburg bringt er die lutherischen Prediger durcheinander. (Karlstadt lehrt: Christus habe bei den Worten ‚Dies ist mein Leib‘ auf sich gezeigt, nicht auf das Brot). Luther ist höchst aufgebracht und sa[r]kastisch.“ S. dazu Thiel, Luther, Bd. 2, S. 132: „Seit seiner [Karlstadts] Ausweisung zog er in Süddeutschland herum und wiegelte die Leute auf, den alten Aberglauben an dem Gottesleichnam zu verbannen. In Basel druckte er nicht weniger als sechs Schriften dieser Art, in Straßburg brachte er die lutherischen Prediger in völlige Verwirrung. Karlstadt hatte sich die Sache so zurechtgelegt: Als Christus sprach ‚Das ist mein Leib‘, da hat er nicht das Brot gemeint, sondern auf sich selbst gedeutet! Hochauf fährt Luther, als er diese spitzfindige Auslegung zu Ohren kriegt“. Die Abhängigkeit von Thiel ließe sich für das gesamte Exposé demonstrieren, käme jedoch einem faktischen Abdruck des vollständigen Dokuments mit den entsprechenden Parallelen bei Thiel gleich. Für die hier unternommene Beweisführung reicht der punktuelle Aufweis der literarischen Bezüge aus. 417
434
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
war 16 Jahre älter als Schwede, der 1987 – sechs Jahre nach Thiel – starb.419 Thiel war bereits in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gelungen, was Schwede drei Jahrzehnte später unternahm: das Leben eines freischaffenden Schriftstellers aufzunehmen. 1933 und 1935 hatte Thiel auf Verlagsanfrage420 eine zweibändige Luther-Biographie vorgelegt, die 1936 in eine zweite Auflage ging, 1952421 in einem Band gedruckt wurde und selbst 1986 nochmals mit zusätzlichem Untertitel „Martin Luther. Ketzer von Gottes Gnaden“ auf den Markt kam.422 Der in biographischen Kleinformaten erprobte Thiel hatte die Aufgabe übernommen, als fachlicher Außenseiter Luther einer breiten, theologisch nicht vorgebildeten Leserschaft zu erschließen. Thiel bemühte sich um eine intensive Annäherung an die innere Entwicklung, nahm in den dreißiger Jahren aber auch völkische Elemente auf, indem er Luthers Religion „als christliche Form des germanischen Schicksalsglaubens“ schilderte.423 1935 war er in der „Luthergesellschaft“ bestens etabliert424 und wurde von Paul Althaus geradezu hymnisch als der neue Herold Luthers für außertheologische Kreise gefeiert: „Wir wissen uns diesem Luther=Biographen verbunden in der Zielsetzung, daß der echte, der wirkliche Luther unserem Volke, vor allem zunächst den ‚Gebildeten‘ neu bekannt werde und das Werk ausrichte, das er heute an unserem Volke tun muß. Wir begrüßen sein Werk als trefflichen und starken Bundesgenossen unserer eigenen Arbeit. […] Rudolf Thiel ist uns wie ein Pfand und eine Verheißung, daß Martin Luthers Gestalt und Wort gerade bei den wahrhaft starken Geistern noch eine Zukunft hat.“425 419 Zu
Schwede s. oben Anm. 401. Zu den biographischen Daten von Thiel s. Anon., Art. Thiel 1999 (DBA, T. 3, Fichenr. 914, S. 367). Falsch sind die Angaben von Müller, Reformation, S. 139, der auf einen Namensverwandten rekurriert, der tatsächlich ein Frankfurter Mediziner (zu diesem s. Anon., Art. Thiel 1950) war. Die richtige Zuordnung bot Bornkamm, Geistesgeschichte, S. 139 u. 427, der S. 139, Anm. 18, auch den zentralen literarischen Hinweis auf eine lebens‑ und werkgeschichtliche Selbstreferenz von Thiel aus dem Jahr 1936 aufführte: Thiel, Lutherforscher. Aland, Literatur, verkannte die Bedeutung von Thiel, indem er – gegen Bornkamm – den Stellenwert von Thiel quantifizierend gegenüber dem Buch von Friedenthal zurückzusetzen suchte. 420 S. hierfür Bornkamm, Geistesgeschichte, S. 139. In wörtlicher Entsprechung dazu, aber ohne literarischen Hinweis auf Bornkamm, s. auch Müller, Reformation, S. 139. Grundlage dürfte sein Thiel, Lutherforscher, S. 12: „[Es] sei mir verstattet zu erzählen, wie ich von einer Biographie des Reformators zur Erforschung seiner Lehre kam. Mir war die Aufgabe gestellt, ein volkstümliches Lutherbuch zu schreiben.“ 421 Die Ausgabe von 1952 registrierte Thomas Mann 1953 über seinen Arbeiten zu Luther, entschied sich aber gegen eine Anschaffung der Thielschen Biographie. S. hierzu Hamacher, Mann, S. 106. 422 Thiel, Luther, Bd. 1 f. 423 Vgl. dazu kurz Bornkamm, Geistesgeschichte, S. 139 f. Das Zitat s. ebd., S. 140. Inhaltlich korrespondiert dem der wörtliche Auszug von Thiel, den Bornkamm ebd., S. 433, bietet: „Er [Luther] hat es nicht gewußt, daß er damit ein uraltes Germanenerbe übernahm. […] Ist solcher Schicksalsglaube echtes Christentum? Seis oder nicht – der Mann, der ihn dem Christentum vereinigt hat, war selbst ein echter Christ, das ist genug.“ 424 Vgl. dazu alleine den Jg. 17 der Vierteljahrsschrift „Luther“, der eine Vielzahl von Vorträgen, Aufsätzen und Diskussionsbeiträgen von Thiel bietet. 425 Althaus, Rez. Thiel 1935, S. 151 f. Gleichermaßen zustimmend hatte Althaus bereits
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
435
Schwedes Exposé ist im ganzen eine gekürzte, konzeptionell minimal veränderte und nur punktuell ergänzte Zusammenfassung der Thielschen Ausführungen zu Karlstadt aus der Luther-Biographie von 1935, 1936 bzw. 1952. Dies betrifft auch die literarische und formale Präsentation des Textes. So wie Schwede auf eine belletristische Aufbereitung des Stoffes zielte, hatte Thiel eine solche bereits unternommen. Er erzählte die Reformationsgeschichte in romanhaften, teils mono‑ und weithin dialogisch ausgestalteten Schlaglichtern. Zugleich hatte Thiel auf jeden Ausweis von Quellen‑ oder Literaturreferenzen verzichtet, die er als „Ballast […], der so selten einen Dienst erfüllt“426, abtat. Der Leser Schwede konnte damit nicht einmal in Ansätzen erkennen427, auf welche Darstellung Thiel selbst rekurriert hatte. Aus diesem Grund mochte die Verlagsanfrage bei Steinmetz eine nicht nur strategische, sondern auch unmittelbar praktische Bedeutung besessen haben. Thiels Karlstadt-Bild trägt in allem die unverkennbaren Züge der Bargeschen Darstellung. Daß Thiel auf die Monographie von 1905 direkt oder indirekt rekurriert hatte, läßt sich an Details, die Barge als erster aus Weimarer Archivalien erhoben hatte, und dem Zusammenhang der Thielschen Kompilation erweisen.428 Was die Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther angeht, fand Thiel starke Formulierungen: „So stehen sie sich gegenüber, der äußerliche und der innerliche Reformator, der Menschenkenner und der Seelenkenner, der radikale und der überlegene Führer. Ihr ganzes Widerspiel ergibt sich folgerichtig aus ihrer grundverschiedenen Entwicklung: Karlstadt ist ein bekehrter Sünder, und Luther ein bekehrter Heiliger.“429
Um den Wert seiner Ausführungen wußte Thiel. Zeitgleich mit der Veröffentlichung seines zweiten Luther-Bandes kompilierte er einen auf „Luther und Karlstadt“ konzentrierten Auszug und veröffentlichte ihn 1935 in der Vierteljahrsschrift „Luther“.430 Schwede hatte zweifelsohne – wie auch Hertzsch vor den Eröffnungsband besprochen, Althaus, Rez. Thiel 1933, S. 127: „Dieses neue Lutherbuch kann man nur mit heller Freude anzeigen. Der Verfasser ist keiner aus unseren Kreisen, weder in der Zunft der Theologen noch sonst als Lutherforscher bekannt geworden […]. Gestaltet aber wird der Stoff mit der hohen Kunst eines wirklichen Schriftstellers, der sich an seinen Helden verloren hat und aus wahrer Ergriffenheit, mit starker Leidenschaft erzählt. So ist uns ein Lutherbuch geschenkt worden, das im Anschluß an die mühsame Forschung der letzten Jahrzehnte den echten Luther bringt und doch allen Staub, alle zunftmäßige Enge hinter sich läßt und so erzählt, daß jeder Gebildete gepackt wird, das Buch lesen kann und, wenn er angefangen hat, lesen muß.“ 426 Thiel, Luther, Bd. 2, S. 374. 427 Auch Thiels „Nachwort“, das Personen benennt, die fachwissenschaftliche Ratschläge erteilt haben, bietet für Karlstadt keinen Aufschluß; vgl. dazu ebd. 428 Vgl. dazu ebd., S. 60: „Einmal beglückte er [Karlstadt] drei Bürger seines Sprengels mit dem Bann“, mit Barge, Karlstadt, T. 1, S. 58, der diese Daten zuerst bot. Auf der betreffenden Seite von Barges Monographie konnte Thiel auch die finanziellen Hinweise zu den Orlamünder Pfründen gefunden haben, die Thiel, Luther, Bd. 2, S. 60, einrückte. 429 Thiel, Luther, Bd. 2, S. 63. 430 Thiel, Karlstadt.
436
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
seiner eindringlichen Karlstadt-Miniatur des Jahres 1952431 – die fast wortidentischen, aber ausführlicheren Passagen von Thiels Luther-Biographie gelesen. Dort mochte Schwede auch am Ende des letzten Karlstadt-Abschnittes, der zu Zwingli überleitet, seine spätere Titelformulierung gefunden haben: „Inzwischen aber ist ein Anderer gegen Luther aufgestanden, einer der seinem Einfluß ganz entrückt ist und der darum furchtbarer für ihn werden wird als alle seine bisherigen Widersacher.“432 Schwede erwies sich somit als literarischer Routinier, der seinem Verlag zunächst nur eine Idee verkaufen wollte, in die er vor Vertragsabschluß nur ein Minimum an Rechercheaufwand investierte. Zugleich zeigt sich, daß Schwede das Konzept seines Karlstadt-Romans aus einer populären, belletristisch gestalteten Luther-Biographie entwickelte, die Karlstadt und Luther in ihren jeweiligen positionellen Berechtigungen als komplementär zu beschreiben suchte, während Schwede die gegenüber Luther progressive Bedeutung von Karlstadt herauszustellen versprach.433 1981 bestätigte Schwede gegenüber Bubenheimer seine Kenntnis von Thiels Luther-Biographie, als er von diesem auf das „Fantasiebild von Karlstadt dem Bilderstürmer (unhistorisches P[…]o[r]trait Karlstadts im Vordergrund, Bilderstürmer im Hintergrund)“ angesprochen wurde: „Ja, das Bild Karlstadts als ‚Bilderstürmer‘ habe ich relativ früh entdeckt (und als unhistorisch erkannt): bei Rudolf Thiel, Luther.“434 2.3.4. Steinmetz’ Votum vom 29. März 1973 Steinmetz’ Antwort vom 29. März 1973 beschränkt sich auf zwei maschinenschriftliche Seiten und ist in fünf Punkte gegliedert. In der größten Kürze doku431
Bibliographiert findet sich der Titel bei Hertzsch, Luther, S. 107: „O. [scil.: R.] Thiel, Luther, II, 60–71“. Im Text wird Thiel nicht zitiert, wie überhaupt – Thiel entsprechend– keine Quellen‑ oder Literaturangaben ausgewiesen werden. Markiert durch Ein‑ und Ausführungszeichen nahm Hertzsch indes Zitate auch von Thiel in seinen Text auf, die als solche für einen unbefangenen Leser freilich nicht identifizierbar waren. Seitdem irrlichtern Formulierungen von Thiel durch die Karlstadt-Forschung, die zunächst noch Hertzsch zugeschrieben wurden, s. hierfür Kriechbaum, Grundzüge, S. 127, mittlerweile aber bereits Kriechbaum zugute gehalten werden, s. Krause, Sprache, S. 56: „Luther war ein ‚bekehrter Heiliger‘, Karlstadt ein ‚bekehrter Sünder‘; damit erfaßt Kriechbaum zweifelsohne wesentliche Elemente seiner verschiedenen PRWA [in einer Verbindung der Kürzel von ebd., S. 39 „PWA“ und ebd., S. 42 „RWA“ könnte dieses anderweitig nicht aufgelöste Siglum bedeuten: ‚praktizierte religiöse weltanschauliche Theorie‘].“ 432 Thiel, Luther, Bd. 2, S. [134]. 433 Nicht im Sinne einer Konjektur zu Schwede, sondern als äußere Beobachtung zur Thielschen Biographie gilt es zu vermerken, daß auf Illustrationsebene der Weg von Luther zu Karlstadt ebenso nahelag wie derjenige von Müntzer zu Karlstadt. Die erste Bildtafel, ebd., zwischen S. 64 und 65, zeigte vorderseitig Martin und rückseitig Katharina Luther, während die Nachfolgetafel, ebd., zwischen S. 80 und 81, zunächst Karlstadt und dann „Münzer“ darstellte. 434 Das erste Zitat entstammt dem maschinenschriftlichen Brief von Ulrich Bubenheimer an Alfred Otto Schwede, 21. Mai 1981, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, Bl. 1r. Das zweite Zitat bietet Alfred Otto Schwede an Ulrich Bubenheimer, 26. Mai 1981 (maschinenschriftlicher Brief), ebd., Bl. 11.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
437
mentiert das Schreiben eine überragende Sachkenntnis. Seine Unterstützung des Buch-Projektes begründete Steinmetz streng sachlich: „Karlstadt ist eine Zentralfigur der deutschen Reformation, durch seinen Bruch mit Luther aber lange Zeit ganz in den Hintergrund des historischen Bewußtseins abgedrängt. Es wäre an der Zeit, diese fesselnde Gestalt einem größeren Lesepublikum lebendig zu machen.“435
Sodann bot er eine knappe und konzise Übersicht der einschlägigen Veröffentlichungen seit Barge, indem er auf dessen Biographie und Werkverzeichnis, die Editionen von Nikolaus Müller, Kähler und Hertzsch sowie die Bibliographien von Schottenloher und in den „Jahresberichte[n] für deutsche Geschichte“ verwies.436 Mit dem letztgenannten Titel verband sich der gezielte Rechercheauftrag theologischer Studien, von denen Steinmetz zumindest gehört hatte und zu denen 1973 im Druck allenfalls Kriechbaums Monographie von 1967, Siders Aufsätze von 1971 und das Referat von Bubenheimers Dissertation 1972 gehören konnten: „Die neueste Literatur ist wichtig, da in westlichen Ländern einige wichtige Arbeiten zur Theologie Karlstadts erschienen sind, deren Titel ich nicht zur Hand habe.“437 Am Ende seines Gutachtens bot er noch einen Literaturhinweis zum Bauernkrieg, der mit Günther Franz’ Kompilation einem Standardwerk galt.438 Zudem kündigte er als auch für Karlstadt einschlägig „die in Vorbereitung befindliche […] Illustrierte Geschichte der frühbürgerlichen Revolution“439 an, die erstmals 1974 gedruckt wurde440. Bedeutsam ist Steinmetz’ Urteil über die Karlstadt-Luther-Kontroverse zwischen Barge und Müller: „Der von Karl Müller geführte erbitterte Streit hat mehr Schaden als Nutzen gestiftet.“441 Eine Begründung mag sich in der Vorbemerkung andeuten: „Die Karlstadt-Forschung ist über das Werk von H. Barge, 1905 […] in biographischer Hinsicht nicht hinausgekommen.“442 Steinmetz mochte wahrgenommen haben, daß die konfrontative Diskussion eine Vertiefung der lebensgeschichtlichen Forschung verhindert hatte. Falls diese Lesart zutrifft, berühren sich die Einschätzungen von Steinmetz und Bubenheimer in einem später 435 UA
Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 5r. Ebd., Bl. 5r u. 6r. 437 Ebd., Bl. 6r. 438 Ebd. Kritisch hervorgehoben werden, ebd., hingegen Franz’ von klassischen Negativurteilen durchsetzte Ausführungen zu Karlstadt „in seinem Biographischen Wörterbuch, S. 450“. 439 Ebd., Bl. 5r. 440 Darin befindet sich Steinmetz’ ausführliches Gesamtbild, Steinmetz, Revolution. Für Karlstadt s. darin zunächst – Luther und Müntzer nachgeordnet – ebd., S. 122–124. Dann s. – nach den ausführlichen Schilderungen von Luther und vor denjenigen zu Müntzer – ebd., S. 147–150. Sodann s. zu den Reformen auf dem Thüringer Land im Zusammenhang ebd., S. 180 f. Für die Vertreibung s. knapp ebd., S. 204. Im Zusammenhang des Bauernkrieges schilderte Steinmetz – ohne Rekurs auf Karlstadt – den überwiegenden Zusammenhang der Reformatoren mit der Position Luthers, s. dazu ebd., S. 278. 441 UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 5r. Für eine frühere Bezugnahme s. im vorherigen Hauptkapitel die Anm. 1417. 442 UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 5r. 436
438
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
ungedruckten Passus seiner 1971 eingereichten Tübinger Dissertation.443 Nicht weniger beeindruckend als dieses zutreffende Urteil ist die Kenntnis, mit der Steinmetz Barge politisch charakterisierte: „er versuchte, im Sinne der Bewegung F. Naumanns, Karlstadt aufzuwerten.“444 Einen seit Karl Müller verbreiteten Topos stellt die Bemerkung dar, Barge „überschätzte […] Karlstadt vielfach und unterschätzte Luther.“445 Zeitgeschichtlich spannend ist die politische Tendenzkritik des Leipziger Historikers an dem ersten großen Karlstadt-Forscher: In der liberalen Akzentuierung Karlstadts „mußte er [Barge] ihn [Karlstadt] gleichzeitig gegen alle Kräfte von links abschirmen; das Jahr 1905, in dem das Werk erschien, ist ja dafür symptomatisch. Antiorthodox und antirevolutionär: gegen Luther und gegen Müntzer – das bestimmte Barges Bild von Karlstadt, von der Reformation und vom Christentum seiner Zeit. Alles das muß man beachten, gerade wenn es um eine Ehrenrettung geht.“446
Steinmetz setzte somit voraus, daß Karlstadt in weit größerer Nähe zu Müntzer zu schildern sei, als sie Barge geboten habe. Daß seine „Haltung zum Bauernkrieg“ „kein Ruhmesblatt“447 war, sei Karlstadt selbst bewußt gewesen. Abschließend erhob Steinmetz zwei nicht nur für einen Romancier unerfüllbare Forderungen. Geradezu beiläufig erklärte der Historiker: „Natürlich sind alle Lutherbiographien und Reformationsgeschichten heranzuziehen“, war sich aber der eingeschränkten inhaltlichen Ausbeute bewußt, da „die negative Sicht bis in die heutige Gegenwart bestimmt“.448 Aus dieser Perspektive ergab sich ein Forschungsprogramm, das er dem literarischen Projekt mit auf den Weg gab: „Zu beachten wären die Anhänger Karlstadts in Jena, Straßburg und an anderen Orten; vgl. zuletzt S. Hoyer, M. Reinhard und der erste Druck humanistischer [scil.: hussitischer] Artikel in Deutschland, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1970, S. 1597–1615. Wenn auch Karlstadt keine besondere Partei in der frühen Reformation bildete, so hatte er doch zahlreiche Anhänger (in Straßburg z. B. Clemens Ziegler). Dem wäre nachzugehen.“449
Auf kürzestem Raum hatte Steinmetz damit weit mehr geboten, als von ihm angefragt worden war, und intensivere Einschätzungen zu Karlstadt und der Karlstadt-Forschung geliefert, als sie von ihm selbst je gedruckt wurden. Am einschlägigsten ist noch die Karlstadt-Schilderung, die er 1965 in seine Gesamtdarstellung der Geschichte „Deutschland[s] von 1476 bis 1648“ integrierte450. Auf 443 S.
dazu unten Anm. 506. Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 6r. 445 Ebd. Zu dem Wortlaut von Müller s. oben im Kap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 569. 446 UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 6r. 447 Beide Zitate s. ebd. 448 Ebd. 449 Ebd. 450 Vgl. dazu nur kurz Steinmetz, Deutschland, S. 93, 98, 107–109, 117, 123, 165. Hinzu kommt das Kapitel Steinmetz, Revolution, auf das oben in Anm. 440 eingegangen wurde. 444 UA
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
439
sie mochte sich auch Steinmetz bezogen haben, wenn er knapp vermerkte: „Kurze Hinweise enthalten meine Darstellung [sic] der Zeit“.451 In seinem Gutachten gab sich Steinmetz als souveräner Kenner der einschlägigen Forschungsbeiträge zu erkennen, der mit Sachverstand abzuschätzen wußte, worin das Potential und die Einschränkungen einer Arbeit über Karlstadt liegen konnten. Eine begrenzte Sensibilität deutete sich gegenüber den faktischen Möglichkeiten eines Romans an, über bereits vorhandene Wissensbestände hinauszugehen. Steinmetz sah nur die Mittel der Recherche und der Rekonstruktion, während Schwede – wie auch andere Literaten – zudem auf Kreativität und Phantasie setzen konnte. 2.3.5. Schwedes Methodik, Quellen und Positionierung im „Nachwort“ Das 1975 erschienene Buch dokumentiert vor allem jedoch eines: Schwede hatte im Anschluß an sein Exposé Barge gelesen und dessen Darstellung der Ereignisse zwischen 1515 und 1530 in Romangestalt überführt. Über weite Strecken ließe sich zeigen, daß Schwede Barge Seite für Seite studiert und teils wörtlich, teils zusammenfassend, teils erklärend in seine Erzählung übernommen hatte.452 Exemplarisch vermag vor allem ein Detail forschungsgeschichtlich illustrieren, wie konsequent Schwede Barge und seiner eigenen Vorstellungskraft verbunden war. Die anfängliche Rom-Episode setzte Schwede in jenen Siena-Aufenthalt fort, den Barge 1905 präsentiert hatte. Während Barge den Wechsel von Rom nach Siena zwar herausstellen, in seiner Veranlassung aber letztlich nicht erklären konnte, fiel es Schwede leicht, die näheren Umstände zu schildern: Karlstadt habe bei den Krönungsfeierlichkeiten zum zweijährigen Amtsjubiläum des Papstes einen Minoritenbruder getroffen, Bruder Stefano, der ihm geraten habe, nach Siena zu wechseln: „In Siena lebt einer meiner Freunde, Pater Gargano, er ist Kaplan des Kardinals Grimani – also nicht ohne Einfluß. Grimani hat ein Herz für Gelehrte und Studenten aus dem Norden. Geh nach Siena zu Gargano und beruf dich auf mich!“453
Bevor Karlstadts Siena-Aufenthalt von Schwede aus einer Zufallsbegegnung abgeleitet wurde, war er bereits 1971 von Bubenheimer als eine fehlerhafte Konjektur Barges destruiert worden. Die betreffende Studie lag noch nicht gedruckt vor, war aber 1972 in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ im Ergebnis referiert worden.454 Den konkreten Rechercheauftrag von Steinmetz nach jüngeren 451
UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202, Bl. 6r. Für eine Sequenz vgl. alleine Schwede, Widersacher, S. 83–85, mit Barge, Karlstadt, T. 1, S. 74 f. 453 Für den Zusammenhang s. Schwede, Widersacher, S. 47–49; für das Zitat s. ebd., S. 47. 454 S. dazu unten Anm. 508. Der betreffende Auszug des Referates lautet Anon., Bubenheimer, Sp. 147: „Entgegen Barge hat K.[arlstadt]s Promotion zum Doktor beider Rechte nicht in Siena, sondern im Rahmen von K.[arlstadt]s Romaufenthalt 1515/16 in Rom stattgefunden. Überraschend reichhaltiges Material läßt sich über K.[arlstadt]s Romreise zusammentragen.“ 452
440
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
theologischen Arbeiten aus „westlichen Ländern“455 hatte Schwede ignoriert und vielleicht sogar als eine ähnliche Zumutung empfunden wie jene Auflage, „alle Lutherbiographien und Reformationsgeschichten heranzuziehen“456. Das „Nachwort“ von Schwede betonte 1975: „ich wollte kein wissenschaftliches Opus schreiben, sondern ein schlichtes Buch für den aufgeschlossenen Leser. Der wissenschaftlich Interessierte wird gut daran tun, sich an die Veröffentlichungen von Max Steinmetz zu halten, und er kann auch heute noch zu den Büchern Hermann Barges greifen.“457
Mit Blick auf Karlstadt öffnete Schwede hier eine Scheinalternative. Diese mußte aber nicht ausschließlich politisch motiviert gewesen sein, sondern mochte ihren Hintergrund auch und gerade in Schwedes billigend hingenommener Unkenntnis der jüngeren Forschungsliteratur gehabt haben. Immerhin den Ansatz von „Max Steinmetz und seine[r] Schule“ referierte Schwede im „Nachwort“ ausführlich, indem er auf gut einer von insgesamt drei Seiten, die von der reinen Lebensgeschichte Karlstadts abstrahieren, die „progressive Geschichtsforschung in der Deutschen Demokratischen Republik“ darlegte.458 Nur an dieser Stelle im gesamten Buch findet sich auch das Attribut „progressiv“, das Schwede an zentraler Stelle seines Exposés geboten hatte. Der einzige weitere Literaturtitel, den Schwede anführte, war Hertzschs Karlstadt-Miniatur von 1952. Diese setzte Thiels Luther-Biographie voraus und griff aus dieser auch einzelne Formulierungen auf.459 Schwede wählte ein HertzschZitat zum Ausweis für „weitere Schritte“ nach Barge, die „nicht ohne Gewinn“ getan worden seien: „Karlstadt kann uns auf die Gefahren aufmerksam machen, die der Kirche Luthers auch heute noch drohen. Unsere Kirche ist schon allzu lange Pastoren‑ und Obrigkeitskirche gewesen.“460 Hertzsch hatte mit diesem Satz ein Grundanliegen von Barge aufgegriffen, in eine kleinere literarische Form überführt und 1952 aktualisiert. Schwede unternahm 1975 nichts anderes und steht damit klar in der Tradition zu Barge, so vordergründig sich das Nachwort von diesem zu distanzieren scheint. Gewürdigt wird immerhin die „Herzenswärme“, die dessen „Karlstadtforschung“ ebenso ausgezeichnet habe wie die „Lutherforschung“ Otto Clemens, bei dem Schwede selbst noch in Leipzig studiert 455 S.
oben Anm. 437. oben Anm. 448. 457 Schwede, Widersacher, S. 410 („Nachwort“). 458 Das Nachwort läßt sich konzeptionell in zwei Teile untergliedern: Ein erster Abschnitt, ebd., S. 404–408, widmet sich den letzten Lebensjahren von Karlstadt und seiner frühen Wirkungsgeschichte, in der ambivalente Wahrnehmungen angelegt waren. Danach, ebd., S. 408–410, folgt eine knappe Übersicht der Forschung. Diese ist von den Ausführungen zu Steinmetz bestimmt, die letztlich von S. 408 unten bis S. 410 oben reicht. Die Grundzüge von Schwedes Referat korrespondieren inhaltlich dem Lehrbuch von Steinmetz zur Geschichte „Deutschland[s]“ von 1965, s. dazu oben Anm. 450. 459 S. hierfür oben Anm. 431. 460 Schwede, Widersacher, S. 408. 456 S.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
441
habe.461 Im ganzen ist dem Nachwort ein positionell ausgleichender Grundzug eigen, der kirchlich sozialisierte Lutheraner ebenso ansprechen mochte wie Institutionenkritiker und Vertreter materialistischer Geschichtsphilosophie. Ein vergleichbares Interessensgeflecht deutet sich in der Begründung des Titels an, den Schwede aus der Opposition zu Luther verstanden wissen wollte, aus dessen Identifikation Karlstadts mit dem Teufel und „[v]or allem […] im dialektischen Sinn“ als Plädoyer für den „notwendigen“ Widerspruch auf dem Weg der „Wahrheitsfindung“.462 Schwede bewegte sich damit äußerst sicher auf dem schmalen Grad zwischen Konformität und mehrfachen Lesbarkeiten bis hinein in oppositionelle Kreise. 2.3.6. Karlstadt, Luther und Müntzer in Schwedes Roman Ähnlich ausgleichend faßte Schwede die Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther im „Nachwort“ zusammen. Bisweilen fragend, bisweilen unbestimmt relativierend hob er auf die Leistung Karlstadts in theologischer, politischer und sozialer Hinsicht ab: Er „trug einige nicht unerhebliche Mosaiksteine zu einem großen künftigen Bild zusammen, arbeitete mit seiner begrenzten Kraft für die Freiheit des Christenmenschen und verstärkte das Gegengewicht gegen die Reformation Martin Luthers im Schatten des Kurfürsten und sonstiger Landesväter. Er verhalf dem ‚gemeinen Mann‘ zur Selbstachtung und zu inneren Kräften (unter anderem um die Heilige Schrift selbst zu studieren, Gemeindeangelegenheiten selbst zu ordnen, Pfarrer selbständig zu wählen, soziale Maßnahmen zu treffen, moralischen Verfall aufzuhalten). Er schuf Unruhe, die oft heilsam war – selbst da, wo er irrte, in seiner Abendmahlslehre. Aber irrte er wirklich so sehr?“463
Schwedes Gesamtkomposition war gleichermaßen kunstvoll aus einer Vielzahl von Perspektiven geflochten. Geschickt war es bereits, daß Schwede ein Bild Karlstadts dem Roman neben dem Titelblatt voranstellte und die erste Bezugnahme auf seinen Protagonisten mit einer Schilderung der Physiognomie464 verband. Die betreffende Passage konnte dem Leser als eine Bildbetrachtung erscheinen und mochte dazu veranlassen, das Portrait nochmals aufzuschlagen, um Schwedes Deutung nachzuvollziehen oder eigene Eindrücke zu sammeln. So wenig dieses Vorgehen intentiert gewesen sein mochte, illustriert es doch den An461 Ebd.
462 Ebd., S. 410: „Ich wählte den Titel ‚Der Widersacher‘. Einmal, weil Andreas Bodenstein aus Karlstadt zwangsläufig zum Widersacher Doktor Martin Luthers werden mußte. Zum anderen deswegen, weil eben jener Doktor Luther ihn wahrscheinlich für den großen, seinem Reformationswerk feindlichen Widersacher hielt, der nur zur Tarnung Fleisch und Gewand des Doktor Carolstadius trug. Vor allem aber entschied ich mich für diesen Titel, um deutlich zu machen, daß in einem Streit der Meinungen die Gegenargumente, die der Widersacher vorbringt, im dialektischen Sinn für die Wahrheitsfindung nützlich, ja notwendig sind.“ 463 Ebd. 464 Ebd., S. 12.
442
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
satz von Schwedes Karlstadt-Bild im ganzen. Dieses gleicht keinem Portrait im klassischen Sinne, sondern setzt sich aus einer Vielfalt von Momentaufnahmen, Situationen und Perspektiven zusammen, die aus der Sicht der unterschiedlichsten Protagonisten geschildert wurden. Der klassische Topos des Geizes wird so etwa zunächst aus der Wahrnehmung von Gegenspielern eingebracht: „Der Neid der Enttäuschten und Erfolglosen flüsterte: ‚Der dunkle Bodenstein vom Main ist eitel Gier nach Geld und Gut!‘“465 Später schloß sich eine Reflexion von Karlstadt an: „Sie warfen ihm Geldgier vor – und dabei nahm ein jeder mit behender Hand, was ihm zustand, und gern ein wenig mehr.“466 Erklärt wird der Wesenszug schließlich aus lebensgeschichtlichen Prägungen: „Peter Bodenstein war ein guter Vater gewesen, stets besorgt um Weib und Kind. Mutter Katharina liebte ihren Ehemann über alles – und hielt die Hand auf den Geldbeutel. Von ihr hatte Andreas den mitunter etwas übertriebenen Sparsamkeitssinn, den die Wittenberger ‚Geiz‘ nannten.“467
Ein verwandtes Wechselspiel der Perspektiven prägt die Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther. Die Ausgangssituation schilderte Schwede als ein gegenseitiges Wohlwollen. Im Konflikt um die Rom-Reise sei Luther sogar auf Karlstadts Seite gewesen. Auf Nachfrage erklärt dies ein Beteiliger: „In Martinus hast du einen ruhigen, entschiedenen Fürsprecher gehabt. Übertrieben hat er es nicht, und das war gut so. Es ist ein gutes Auskommen mit ihm, persönlich meine ich – ein Augustiner, der seinem Augustin Ehre macht.“468
Für Karlstadt stand zu diesem Zeitpunkt ebenfalls fest, daß Luther „von seiner, Karlstadts, Seite […] nichts böses zu gewärtigen“ habe.469 Luthers „große[r] Zulauf“ als Prediger und Dozent weckte indes „ein wenig“ Karlstadts „Neid“.470 Bedeutsamer waren die theologischen Bedenken, die Karlstadt als ersten dazu veranlaßten, einen Ketzereiverdacht zu schöpfen471, sich aber in der Sache überzeugen zu lassen472 und zum „Bundesgenossen“473 zu werden. Auch im reformatorischen Engagement blieb „ein wenig […] Eitelkeit“474 bestimmend. Als den entscheidenden Wendepunkt der persönlichen und reformatorischen Entwicklung schilderte Schwede die politische Reaktion auf die Wittenberger Bewegung. Den Entschluß, die Reformen zurückzunehmen, ließ er den Kurfürsten alleine
465 Ebd.,
S. 14. S. 31. 467 Ebd., S. 32. 468 Ebd., S. 58 f. 469 Ebd., S. 60. 470 Ebd., S. 71. 471 Ebd., S. 73. 472 Ebd., S. 83. 473 Ebd., S. 89. 474 Ebd. 466 Ebd.,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
443
fällen475, der auf dienstfertige Räte und Wittenberger Ratsmitglieder als das „vollziehende […] Organ“476 setzen konnte. Zu einem solchen wurde – ohne, daß Schwede dies explizit schilderte oder erklärte – auch Luther. Dessen Veränderung477 legte er ausschließlich aus der Perspektive Karlstadts dar. Dieser habe auf Luthers Rückkehr nach Wittenberg große Hoffnung gesetzt, sei dann von der plötzlichen Distanz überrascht worden und habe schließlich erkannt, daß sich seine frühe Befürchtung, er könne zum „Sündenbock“478 werden, bewahrheitet hatte. Die Bezeichnung als „Fürstenknecht“479 führte Schwede – aus der Sicht von „vielen Menschen“ – erst für den Bauernkrieg ein. Aus Karlstadts Sicht benannte Schwede Luther jedoch schon 1522 als den reaktiven „Wiedererbauer des Eingerissenen“, der sich und andere „mit ausdrücklicher Genehmigung des Kurfürsten […] vor der Exekution der Nürnberger Beschlüsse durch das Reich bewahrte.“480 Barges Schilderung von Luther als Mandatar des Reichsregiments hatte Schwede damit als eine Interpretation von Karlstadt vorgetragen. Müntzer, dessen Darstellung Steinmetz eingefordert hatte, trat demgegenüber zurück. Er ging in die Erzählung wie eine Nebenfigur ein, die erst mit der Wittenberger Bewegung ins Spiel kam und deren Auftritte auf der historischen Bühne beiläufig und kurz blieben.481 Unmittelbar vor dem dramatischen Höhepunkt des Buches – den Jenaer und Orlamünder Begegnungen zwischen Luther und Karlstadt – und markant zu Anfang eines Kapitels ließ Schwede Karlstadt seinen Absagebrief an Müntzer schreiben482. Karlstadts theologische und politische Position wurde augenfällig zwischen Müntzer und Luther bestimmt. Karlstadts Stellung im Bauerkrieg blieb ambivalent, auch weil er aufgrund seiner vormaligen Nähe zu Luther die Ablehnung der Bauern erfuhr.483 Den Anliegen des Volkes war Karlstadt jedoch eng verbunden. Schon früh hatte er die verbreiteten antiklerikalen und sozialkritischen Ressentiments kennengelernt.484 Sein in Wittenberg als Bäcker ansässiger Bruder485 fungiert immer wieder als eine der Personen, die Perspektiven des einfachen Volkes einbringen. Für dieses steht letztlich auch Karlstadt. In einem Rückblick auf die Zeit vor 1515 legte Schwede
475 Ebd.,
S. 240–242. S. 243. Zur Schilderung des ebenso klugen wie farblosen Bürgermeisters Beyer s. ebd., S. 232 f. 477 Ebd., S. 249: „Er ist ein anderer geworden.“ 478 Ebd., S. 237. Das Motiv des „Sündenbock[s]“ hatte Schwede bereits in die ersten juristischen Konflikte Karlstadts mit dem Kurfürsten eingeflochten, s. dazu ebd., S. 64. Später s. u. a. ebd., S. 262. 479 Ebd., S. 373. 480 Ebd., S. 256. 481 Ebd., S. 238, 265, 272, 287 f. 482 Ebd., S. 288–290. 483 Ebd., S. 355. 484 Ebd., S. 36. 485 Vgl. u. a. ebd., S. 102, 111. 476 Ebd.,
444
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Karlstadt den Satz in den Mund: „Wäre ich nicht ein Doktor der Theologie, dann möchte ich ein Bauer sein.“486 Das „oft unerklärliche Sehnen nach einfachem ländlichem Leben“487 verbindet sich mit dem Wunsch „ein[es] kleine[n …] Landgut[s]“ und wird mehrfach moduliert488, bis Karlstadt die vollständige Existenzveränderung vollzieht. Die leidvolle Erfahrung, nicht zum Bauern oder Krämer geschaffen zu sein, und damit mehr als nur die materielle Not, habe in der Schweiz die Rückkehr in das Pfarr‑ und akademische Lehramt motiviert. In theologischer Hinsicht ist dies eine Trivialisierung, entspricht aber dem bereits für den Geiz-Topos verfolgten Ansatz, äußere Entwicklungen aus tief in der Persönlichkeit verankerten Prägungen abzuleiten. Im ganzen hatte der „Dichterpfarrer“489 Schwede eine literarisch ansprechende Verarbeitung des historischen Sujets vorgelegt. Die mehrdimensionalen Annäherungen an Karlstadt profilierten den Theologen einerseits in der Vielfalt seiner Wirkungen, andererseits als einen ehrlichen Menschen mit einfachen Bedürfnissen, der auf seine Weise nicht weniger konsequent als Luther für sein Gewissen490 eintrat und dies mit einem hohen persönlichen Preis bezahlen mußte, bevor er in der Schweiz in ein bürgerliches Leben zurückfand. Geschichtspädagogisch hatte Schwede mustergültig gearbeitet. Viele Details wurden im Text eingeführt und erklärt, einzelne „Ausdrücke“491 im Anhang aufgelöst. Eine „Chronologische Übersicht“492 vermittelte abschließend eine schnelle Orientierung über die historischen Hauptereignisse. Perspektivisch gebrochen hatte Schwede so ausführlich wie kein anderer Autor Barges Biographie rezipiert und popularisiert. Die psychologisierende Ausdeutung einzelner Charakterzüge von Karlstadt nahm Schwede auf, reduzierte sie aber auf ein Minimum und bemühte sich um deren lebensgeschichtliche Erklärung aus familialen Prägungen. Interessanterweise sollte die Karlstadt-Forschung fünf Jahre später vergleichbare Ansätze erproben. Eine Berührung zwischen beiden Welten, der wissenschaftlichen und der belletristischen, ergab sich 1981, als Bubenheimer den brieflichen Kontakt zu Schwede suchte. Aus Bubenheimers fachlicher Anerkennung und literarischer Aufgeschlossenheit493 eröffnete sich ein bis 1982 währender Austausch, in dem 486 Ebd., 487 Ebd.
488 Ebd.,
S. 29.
S. 105 f. Begriff bietet Halbrock, Berlin-Brandenburg, S. 122. 490 Vgl. dazu an zentraler Stelle, bei der letzten großen Auseinandersetzung mit Luther, Schwede, Widersacher, S. 383. 491 Ebd., S. 414. 492 Ebd., S. 411–413. 493 Ulrich Bubenheimer maschinenschriftlich an Alfred Otto Schwede, 21. Januar 1981, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, S. 1: „ich habe es sehr bedauert, daß Sie zum Karlstadt-Jubiläum nicht kommen konnten und wir uns nicht persönlich kennenlernen konnten. In den Sommerferien vergangenen Jahres habe ich zunächst mit großer Neugierde, dann mit zunehmender Begeisterung Ihren Karlstadt-Roman gelesen. Nach meinem Urteil haben Sie sich in Ihrem Roman in einer auch historisch angemessenen Weise sehr einfühlsam mit 489 Den
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
445
sich das größte Selbstzeugnis von Schwede über seinen Roman findet, das die gebotene Rekonstruktion in vielfacher Hinsicht bestätigt und in manchem Detail ergänzt: „Das bekannte Wort Habent sua fata libelli trifft für dieses Buch in ganz besonderem Maße zu. Ich bin kein Historiker, aber u. a. Theologe mit großem kirchenhistorischen Interesse, im Hauptberuf aber schon seit langem Nordist, habe als solcher 55 Bücher aus den skandinavischen Sprachen übertragen, eine große Anzahl selbst verfaßt und sitze jetzt über Kierkegaard, Neuübertragungen. Immer hatte ich ein Gespür für Menschen, die irgendwie ‚überfahren‘ wurden, und aufmerksam wurde ich auf den ‚Sündenbock‘ beim Studium der Wittenberger Verhältnisse nach Luthers Rückkehr von der Wartburg bzw. während seines Aufenthaltes dort. Ich habe mich seitdem immer ein wenig um Karlstadt ‚gekümmert‘ (im Ohr klang mir das Gelächter wider, das es gab, als Heinrich Bornkamm in der Reformationsgeschichte in Leipzig den Karlstädter mit dem ‚touto‘ lächerlich machte). Anstoß gab mir Karlstadts ‚Kiepenkrämerei‘ in Kemberg und Umgebung.494 Da hatte ich Feuer gefaßt. Ich bereiste also Wittenberg, Kemberg, Seegrehna und Orlamünde (in der Nähe meiner Heimat), um nach Karlstadt-Relikten zu forschen. Darauf entwarf ich ein Buch – es wurde von dem Verlag, in dem ich schon einiges geschrieben hatte, abgelehnt. Darauf ruhte die ganze Sache etwa zehn Jahre. Bis ein anderer Verlag (Union) den Karlstadt von mir verlangte – halb im Scherz. Ich sagte zu, es war zu vorgerückter Stunde anläßlich einer Verlagstagung. Dann habe ich es bitter bereut. Es mußte aber sein! Und da geriet mir Barge in die Hand – der Schwager meines verehrten Professors Otto Clemen. Ich habe das Buch geschrieben als ‚Romanschreiber‘. Orientiert habe ich mich, soweit ich die Fähigkeit und die Möglichkeit dazu hatte. Wittenberg (Lutherhalle) hat mich unterstützt, Freunde in der BRD haben die Stadt Karlstadt, Stadtarchiv, angeschrieben.495 Es sollten 200 Seiten werden, ich überzog das Limit. Der Verlag ließ das Manus von Fachleuten lesen, die einiges korrigierten. Es ist so, wie es einmal in einem Gerpäch mit Oskar Thulin (früherem, verstorbenem Leiter der Lutherhalle Wittenberg) zutage kam: er, der Wissenschaftler hütete sich peinlichst, weiße Stellen in der Forschung zu übermalen – ich tat das mit bunter Phantasie. Das ist ja die altbekannte Sache, und wenn es um die historische Exaktheit geht, trete ich stets einen Schritt zurück.
dem verketzerten Reformator beschäftigt. Bald darauf mußte ich meine eigene biographische Darstellung für die Karlstadt-Festschrift verfassen, d[ie …] Sie, so vermute ich, mittlerweile kennen. Ich war nach der Lektüre Ihres Buches sehr angeregt, was sich vermutlich auch positiv auf meinen Stil ausgewirkt hat. Daß wir uns in der Deutung der Person Karlstadts in vielen Punkten nahestehen, werden Sie der Festschrift entnehmen können.“ 494 Diese Faszination bestätigt sich in dem literarischen Kleinportrait, das Schwede erstmals 1976 und in zweiter Auflage 1981 veröffentlichte: Schwede, Hausierer. 495 Eine weitere Auskunft zu den konsultierten Referenzen bot Alfred Otto Schwede maschinenschriftlich gegenüber Ulrich Bubenheimer, o. D. [laut handschriftlicher Notiz von Bubenheimer, S. 1: „Eingang 18. 5. 81“], Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, S. 1: „Meine Quellen waren damals […] der Leipziger Barge und einiges aus Karlstadt am Main selber. Es waren Leihgaben, ich besitze sie nicht mehr […]. Ich erinnere mich, daß ich noch UB-Bücher über den Streit Barge-Müller geliehen hatte.“
446
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Ich danke Ihnen sehr für so manchen guten, wichtigen Hinweis. Das Buch wird voraussichtlich noch einmal aufgelegt, im Lutherjahr. Man will ja hier auch den Mitkämpfern und Widersachern des Reformators gerecht werden. […] Die Aufnahme des Buches war hier geteilt, einige sächsische Lutheraner verrissen und waren indigniert, ‚treue Leser‘ kündigten mir die Freundschaft – andere wiederum schrieben freundlich oder sogar begeistert. Nun, das ist alles besser als totgeschwiegen. Skandinavier (Dänen) beschwerten sich eigentlich mehr über Andreas Bodenstein selber – was er Frau und Kind zumutete. Ich konterte: er habe wahrscheinlich Luthers Lied zum Vorbild gehabt: ‚Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib …‘“.496
Gegenüber der Erstauflage blieb die Textgestalt der dritten und letzten Auflage 1982 unverändert. Zeitweilig hatte Schwede darüber nachgedacht, die von Bubenheimer angedeuteten fachlichen Fehler, darunter den Siena-Aufenthalt, zu korrigieren.497
2.4. Ulrich Bubenheimers Dissertation bei Heiko A. Oberman (1971/77) – Karlstadts „Nomismus“ als Ausdruck rechtlicher Gelehrsamkeit Als der beste materiale Kenner des Karlstadtschen Gesamtwerkes nach Barge kann heute Ulrich Bubenheimer gelten. In vielerlei Hinsicht übertrifft er den Begründer der modernen Karlstadt-Forschung sogar. Dies gilt für die archivalische und druckgeschichtliche Ausweitung der Quellengrundlage, für die heuristische und hilfswissenschaftliche Methodik, vor allem aber die interpretative Intensität einer inhaltlichen Erschließung und historischen Kontextualisierung von Karlstadts Schriften. Daß Bubenheimer zum Karlstadt-Forscher wurde, hängt mit äußeren Zufällen zusammen. Diese stehen aber einerseits in einem inneren Zusammenhang mit Bubenheimers philologischen und historiographischen Fähigkeiten, andererseits mit Barges Methodenideal.
496 Alfred Otto Schwede maschinenschriftlich an Ulrich Bubenheimer, 14. Februar 1981, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, S. 1 f. 497 Schwedes Überlegungen gingen im Vorfeld der dritten Auflage, brieflich an Ulrich Bubenheimer, o. D. [laut handschriftlicher Notiz von Bubenheimer, S. 1: „Eingang 18. 5. 81“], Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, S. 1, in Richtung einer Korrektur oder Ergänzung: „Der Verlag ist sich noch nicht im klaren, ob er eine Neuauflage meines Buches macht. In diesem Fall werde ich versuchen, einges zu ändern – wenn es möglich ist. Sonst könnte man auch an ein ‚Nachwort zur zweiten Auflage‘ danken.“ Neben dem Siena-Aufenthalt Karlstadts betrafen Bubenheimers Hinweise Kleinigkeiten, u. a. die Auskunft von Schwede, Widersacher, S. 407: „Küngold (ein Sohn, nicht eine Tochter, wie man zuweilen liest) wurde 1537 in Basel geboren“, bei der ein weiblicher Vorname fehlerhaft aufgelöst wurde. Im Vordergrund stand freilich Bubenheimers Anerkennung. Besonders die Wahrnehmung von Karlstadts Nürnberger Bruder Leonhard, auf den Bubenheimer unabhängig von Schwede aufmerksam geworden war (vgl. dazu unten Anm. 624), nötigte ihm große Anerkennung ab.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
447
2.4.1. Bubenheimers Weg zu Karlstadt und Barge Während seines Theologiestudiums erlebte Bubenheimer 1964 den Anfang der akademischen Wirksamkeit von Bernd Moeller in Göttingen und 1966 von Heiko A. Oberman in Tübingen.498 Von sich aus nahm er weder zu dem einen noch dem anderen499 der beiden die nachfolgenden Jahrzehnte bestimmenden Reformationshistoriker Kontakt auf. Als Oberman für eine vorlesungsbegleitende Übung einen altphilologisch versierten Studierenden als Hilfskraft suchte, empfahl der Stiftsinspektor Martin Brecht den kurz vor dem theologischen Examen stehenden Bubenheimer500. Im Anschluß an diese Zusammenarbeit forderte Oberman Bubenheimer zur Promotion auf und regte eine Arbeit über Prierias an.501 Im Zuge seiner Recherchen zu Prierias wurde Bubenheimer auf dessen Verbindungen zu Karlstadt aufmerksam502, überprüfte die bekannten Daten zu Karlstadts Rom-Aufenthalt und erkannte, daß Barges Rekonstruktion an einer zentralen Stelle fehlerhaft war. Barge hatte als erster den Hinweis geboten, Karlstadt habe Rom verlassen und sei in Siena promoviert worden503. Obwohl Barge auf den Ausweis des betreffenden Quellentextes verzichtet hatte, war Bubenheimer klar, was Barge fehlgedeutet hatte: „Die Grundlage für diese These war allein die Erwähnung eines ‚frater Garganus senensis‘ in einem Brief Karlstadts an Spalatin nach seiner Rückkehr aus Italien.“504 Barge hatte aus einer geographischen Herkunftsbezeichnung eine ganze Episode konstruiert, die Bubenheimers einsetzende Karlstadt-Studien nicht einfach destruierten, sondern in der größtmöglichen 498 Die Daten sind angelegt in Bubenheimer, Karlstadt 1971, o. P. („Lebenslauf“): „Das Studium der evangelischen Theologie absolvierte ich in Tübingen (1962–64), Göttingen (1964–66) und wieder in Tübingen (1966–67).“ Die Vorlesungsbesuche bei Bernd Moeller im Wintersemester 1964/65 und Heiko A. Oberman 1966 bestätigte Bubenheimer im Gespräch (am 12. Dezember 2012). In Tübingen sei Obermans erste Vorlesung, die Rückerts Epochenübersicht abgelöst habe, „Sternstunden der Kirchengeschichte“ überschrieben gewesen. Als weiterer Teilnehmer deutet sich Hans-Jürgen Goertz an, der in seinem Nachruf auf Oberman, Goertz, Nachruf, S. 190, herausstellt: die „Lehrtätigkeit, die stets lebendig und voller Anregungen war (unvergeßlich sind bei vielen Studierenden seine ‚Sternstunden der Kirchengeschichte‘ in Tübingen)“. 499 Diese und die im Folgesatz gebotenen Hinweise führte Bubenheimer mündlich aus (am 13. September 2012). 500 Bubenheimer, Karlstadt 1971, o. P. („Lebenslauf“) vermerkt „die erste evangelisch-theologische Dienstprüfung“ für das „Sommersemester 1967“ und faßt die nachfolgende Zeit zusammen: „Nach kurzer Tätigkeit als Vikar in Gomaringen Krs. Reutlingen arbeitete ich seit 1968 nebenamtlich als wissenschaftliche Hilfskraft und als wissenschaftlicher Angestellter im Institut für Spätmittelalter und Reformation der Universität Tübingen. Seit April 1969 bin ich Verwalter einer Assistentenstelle im Fachbereich I ‚Evangelische Theologie‘ der Universität Tübingen. In dieser Zeit bildete ich mich als Gasthörer in den Disziplinen Historische Hilfswissenschaften und Rechtsgeschichte weiter.“ 501 S. dazu in Kap. I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert die Anm. 259. 502 Ebd. 503 Barge, Karlstadt, T. 1, S. 52, 69, 242, Anm. 7; augenfällig im Inhaltsverzeichnis, ebd., S. [IX]. 504 Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 3. Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 8.
448
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Akribie korrigierten. Bubenheimer erkannte schnell das Potential des berührten Themas für das Karlstadtsche Gesamtwerk, und Oberman stimmte zu, die Fragestellung der Dissertation auf Karlstadt zu beschränken. Bubenheimer hatte damit nicht nur zu einem Lebensthema gefunden, sondern auch einen blinden Punkt in Barges Methodologie berührt. Für Barge war ausgehend von der Kriteriologie seiner Rezensionen rekonstruiert worden, daß er als Wissenschaftler das Recht, ja die Pflicht zur Konjektur sah, wo die vorhandenen Quellen schweigen.505 Im Falle der für Siena vermuteten Promotion zeigte Barge jedoch keinen gegenüber den weiteren Ergebnissen geringeren Grad der Wahrscheinlichkeit an und verzichtete allenfalls auf den Beleg durch einen möglichen Referenztext. 2.4.2. Bubenheimers Abgabefassung (1971) und Drucklegung (1977) In seiner Abgabefassung von 1971 interpretierte Bubenheimer den Umstand, daß die nötige Korrektur einer Wahrnehmung seitens der Forschung entgangen war, aus der Dynamik der Karlstadt-Luther-Kontroverse: „Daß Barges neues Karlstadtbild zum Teil wiederum konfessionell gefärbte Kritik hervorrief, ist verständlich. Beim Streit um das Gesamtbild kam jedoch die kritische Überprüfung des historischen Details zu kurz.“506 Die Analyse trifft vollauf zu, ging aber nicht in die Druckfassung des Jahres 1977 mit ein. Gleichermaßen stimmig stellte Bubenheimer dort vielmehr die epochale Bedeutung Barges heraus: „Barges Karlstadtbiographie ist zwar auch nach verschiedenen Einzelstudien – trotz aller berechtigten Kritik und notwendiger Korrekturen – bis heute das grundlegende Standardwerk und der Ausgangspunkt für alle weitere Karlstadtforschung geblieben.“507
Zu den Veränderungen gegenüber der Abgabefassung, die 1972 in der „Theologische[n] Literaturzeitung“ in einem der „Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift“ gewürdigt wurde508, vermerkte die Monographie: „Sie ist seither durchgehend überarbeitet und erweitert worden. Ganz neu ist das VI. Kapitel über Karlstadts Schweizer Periode.“509 1971 war zudem eine zeitliche Beschränkung „1515–1522“ im Titel angezeigt und in der Studie erklärt worden: Aus dem Thema ergebe sich chronologisch
505 S.
hierfür in Kap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 191. Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 2. 507 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 5. Die Formulierung nimmt zugleich ein Attribut aus dem vormaligen Eröffnungssatz auf, Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 1: „Hermann Barge hat 1905 mit seiner bis heute grundlegenden Biographie über Andreas Bodenstein von Karlstadt […] eine breite und teils heftige Kontroverse hervorgerufen.“ 508 Für die sachlich nüchterne Zusammenfassung der „sowohl biographisch wie theologie‑ und rechtsgeschichtlich interessante[n] Arbeit“ s. Anon., Bubenheimer, hier: S. 147. 509 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. [VII]. 506
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
449
„[d]as Jahr 1515 als Beginn von Karlstadts Romaufenthalt einerseits; das Jahr 1522 andererseits als das Jahr, aus dem wir die letzte Nachricht von Karlstadts römischem Prozeß haben, durch den endgültig Karlstadts Bruch mit Rom besiegelt und zugleich ein Lebensabschnitt Karlstadts geschlossen wird.“510
Der Buchtitel des Jahres 1977 verzichtete auf die Herausstellung eines zeitlichen Rahmens und hatte allen Grund dazu: Bubenheimer traktierte nun alle Lebens‑ und Werkphasen Karlstadts und legte, wenn schon nicht die umfangreichste, so doch die chronologisch umfassendste theologische Studie zu Karlstadt nach Barge vor. Bereits die Abgabefassung hatte einen kurzen Abschnitt zu „Karlstadt als Scholastiker“511 geboten, während sich die Überarbeitung von dieser – vermutlich Bauch geschuldeten – Formulierung löste und in „Karlstadts scholastische Periode“512 überführte. Wichtiger als dieser knappe Abschnitt war, daß Bubenheimer bereits 1971 im Rahmen seiner Argumentation auf die „Distinctiones Thomistarum“ rekurrierte und damit das zweite der beiden scholastischen Werke Karlstadts inhaltlich eingesehen hatte.513 1977 bezog sich Bubenheimer zudem auf die Erstlingsschrift „De intentionibus“.514 So beiläufig beide Referenzen in die Ausführungen eingingen, markieren sie doch einen beträchtlichen Fortschritt in der theologischen Forschung, insofern Bubenheimer die scholastischen Texte erstmals nach Jäger, Bauch und Barge überhaupt konsultiert und nach thematischen Bezügen für seine Studie befragt hatte.515 Als ein Defizit mochte es Bubenheimer vielleicht empfunden haben, daß die mystische Phase der Orlamünder Theologie weithin ausgeblendet blieb. 1977 integrierte er jedenfalls einen Exkurs, der den „Ansatz mystischer Gedanken“ aus einer systematischen Leerstelle der Theologie Augustins zu erklären suchte und genetisch vor allem mit den 380 Thesen von 1518 in Verbindung brachte.516 Diese Argumentation differenzierte Bubenheimer weiter aus und präsentierte sie 1979 an zentraler Stelle, im Artikel „Augustinismus in der Reformationszeit“ der
510 Bubenheimer,
Karlstadt 1971, S. 4. Ebd., S. I („Inhalt“), und ebd., S. 20–23. 512 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. [IX] („Inhalt“) und ebd., S. 16–19. 513 Für die Abgabefassung s. Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 71, Anm. 1, für die Drucklegung Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 64, Anm. 232. Zu dem Karlstadtschen Text s. Freys/ Barge, Verzeichnis, S. 154 f., Nr. 2. 514 S. hierfür Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 116 f., Anm. 188. Zu dem benannten Text. s. Freys / Barge, Verzeichnis, S. 154, Nr. 1. 515 1983 veröffentlichte Janz, Thomism, S. 111–122, sein Kapitel zu „Andreas Bodenstein von Karlstadt (ca. 1480–1541)“, ohne eine der beiden scholastischen Schriften Karlstadts eingesehen zu haben. Janz bezieht sich einerseits auf Bauch und Barge, andererseits auf die 151 Thesen vom April 1517, um Karlstadts Abgrenzungen von Thomas und Capreolus als sachlich unangemessen zurückzuweisen, ebd., S. 122: „the fact remains that, on the four central theologico-anthropological questions dealt with in this study, Karlstadt’s ‚151 Theses‘ seriously misrepresent the teaching of Thomas and Capreolus.“ 516 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. X („Inhalt“), S. 178–185. 511
450
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
„Theologische[n] Realenzyklopädie“.517 Ausgeweitet wurden die Bezüge auf die 380 Thesen auch in einem zusätzlichen und einem überarbeiteten Unterkapitel, womit die „Apologeticae Conclusiones“ für die systematischen Ausführungen der Arbeit einen weithin grundierenden Charakter gewannen.518 Drei weitere Akzentverschiebungen lassen sich beobachten. Zum einen richtete Bubenheimer den Fokus seiner Darstellung 1977 literarisch verstärkt auf Karlstadt und dessen Entwicklung. Hatte er 1971 mit allgemeinen Informationen zum juristischen Studium in Italien begonnen, ordnete er 1977 diesen ergänzten Abschnitt als Exkurs seinem Eröffnungskapitel unter.519 Zudem weitete er den 1971 gesuchten Vergleich zwischen Karlstadt und Luther520 konsequent aus, indem er die Obermansche Anregung, „den sogenannten ‚Wittenberger Kreis‘ […] als eine Gemeinschaft [zu] verstehen“521, nicht nur inhaltlich aufführte, sondern auch ansatzweise realisierte, da er in die komparatistische Perspektive neben Karlstadt und Luther auch Melanchthon522 einbezog. Und schließlich griff er 1977 die klassische Personen‑ und Problemkonstellation der Wittenberger Unruhen auf, die er dezent als „Wittenberger Reformbewegung während Luthers Wartburgaufenthalt (1521/22)“523 bezeichnete. Die betreffenden Ausführungen524 ergänzten nicht nur die Dissertation von 1971. Sie berührten und erweiterten das Thema von Bubenheimers 80seitigem Aufsatz von 1973 „Scandalum et ius divinum“.525 Diesen substantiellen Beitrag rückte Bubenheimer nicht etwa in seine Monographie ein, sondern veröffentlichte ihn in der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“, wo er ihn 1985 und 1987 mit Folgebeiträgen fortsetzte.526 Im ganzen dokumentiert die redaktionelle Überarbeitung der Dissertation Bubenheimers Bemühung, einerseits den Gesamtrahmen von Karlstadts Lebens‑ und Werkgeschichte vollumfänglich zu berücksichtigen und andererseits die reformationsgeschichtlichen Entwicklungen bis 1522 zu vertiefen. Auf eine 517 Bubenheimer,
Art. Augustinismus, S. 720. handelt sich in Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 81–96 u. S. 109–116, um die Kapitel II „4. Autorität und Irrtumsfähigkeit der ‚ganzen‘ Kirche (Apologeticae Conclusiones, Thesen 12 und 13). Karlstadts frühreformatorischer Kirchenbegriff“ und II „7. Stellung zum Papst nach den ‚Apologeticae Conclusiones‘“. 519 Vgl. hierfür Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 5–14, mit Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 40–48. Neu ist 1977 der vierte Punkt („d“). 520 Vgl. Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 161–164 (Kap. III „9. Karlstadt und Luther“), mit Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 156–162 (Kap. II „10. Karlstadts Stellung zur Autoritätenfrage im Rahmen der frühreformatorischen Wittenberger Universitätstheologie“). 521 Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 164; Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 159. 522 Entsprechend neu sind die Ausführungen von Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 160–162. 523 Ebd., S. 243. 524 Im ganzen betreffen diese Zusätze ebd., S. 237–250. 525 Bubenheimer, Scandalum. Dem Beitrag vorangegangen war, ebenfalls in diesem Periodikum, die quellenkritische Rekonstruktion: Bubenheimer, Trithemius. 526 Bubenheimer, Kirchenregiment; Bubenheimer, Bischofsamt. 518 Es
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
451
rein inhaltliche Zusammenfassung der methodisch innovativen Monographie wird im folgenden verzichtet, da sie die wohl meistangezeigte deutschsprachige Karlstadt-Studie nach Barge ist; einzelne Rezensionen erschließen schnell den Aufbau und die Hauptargumente des Buches.527 Im folgenden werden aus der Monographie einzelne Aspekte hervorgehoben, die für Bubenheimers Anschlußstudien oder die weitere Forschung von Bedeutung wurden. 2.4.3. Lebens‑ und werkgeschichtliche Periodisierung in der Monographie Eine besondere Akzentuierung erfuhr der lebens‑ und werkgeschichtliche Rahmen, den Bubenheimer mit seiner Überarbeitung ausweitete. Hatte sich die Abgabefassung mit ihren eigenen Worten auf einen „Lebensabschnitt Karlstadts“528 beschränkt, so ist es als eine der großen Leistungen der Monographie zu würdigen, ein flexibles Konzept für Karlstadts theologische Gesamtentwicklung entworfen zu haben. Wie Sider gegenüber Kriechbaum einen Fortschritt markiert hatte, indem er die zeitliche Sequenzierung für die Jahre 1517 bis 1525 einer inhaltlich feineren Differenzierung öffnete, wählte Bubenheimer das Format, das der Materialarbeit die größten Freiräume eröffnete: die Konzentration auf historische Momentaufnahmen und diachron zu verfolgende persönliche oder argumentative Entwicklungen.529 Zugleich läßt sich in Bubenheimers Monographie die Bemühung beobachten, die etablierten Bezeichnungen einzelner Lebens‑ und Werkphasen einer kritischen Revision zu unterziehen. Der Aufgabe widmete sich Bubenheimer mit einem hohen Problembewußtsein, nachdem er registriert hatte, wie stark Periodisierung und Bewertung des Gesamtwerkes ineinander greifen: „Je nachdem, welche Phase von Karlstadts Denken und Handeln man als Zentrum der Beurteilung und Bewertung nimmt, muß das Urteil über Karlstadt variieren.“530 527 In chronologischer Reihenfolge: Anon., Rez. Bubenheimer 1977/1979; Stayer, Rez. Bubenheimer; May, Rez. Bubenheimer; Oosterbaan, Rez. Bubenheimer; Ziegler, Rez. Bubenheimer; Junghans, Rez. Bubenheimer; Herzog, Rez. Bubenheimer; Anon., Rez. Bubenheimer 1980; Moeller, Rez. Bubenheimer; Pater, Rez. Bubenheimer; Selge, Rez. Bubenheimer. Für ein inhaltlich konzises Referat ist besonders geeignet: May, Rez. Bubenheimer. Nicht eigens gewürdigt wurde in den Rezensionen die oben nur angedeutete Methodik. Beachtlich ist an dieser, daß Bubenheimers Hauptargumentation, Karlstadt könne zu dem Zeitpunkt der Promotion Rom nicht verlassen haben, auf keinen anderen Quellen basiert, als den Barge bereits bekannten. Grundlegend waren somit nicht neue, etwa archivalische Belege, sondern eine hilfswissenschaftlich solide Datierung der in Karlstadts späteren Publikationen angelegten Ereignisse; s. dazu Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 43–46, und Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 34–36. 528 Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 4. Für das ausführliche Zitat s. oben Anm. 510. 529 Ein Beispiel für daraus eröffnete Flexibilität bietet ebd., S. 145, wo Bubenheimer für den Umgang mit „der kirchlichen Gebetstradition“ ab 1520 eine „kritischere Phase“ diagnostiziert. Ebd., S. 280, reflektierte Bubenheimer selbst darauf, wie „‚situationsgebunden‘“ Karlstadts Theologie gewesen sei. 530 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 7.
452
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Besonders deutlich wird Bubenheimers Anliegen, den Zusammenhang des Werkes in unterschiedlichen Akzentuierungen zu betonen, an seinem Umgang mit den letzten Lebensjahren in der Schweiz. Bubenheimer konnte von der klassischen, einer geographischen Lokalgliederung verpflichteten Bezeichnung ausgehen und in dem „Vorwort“, Haupttext und der Überschrift des betreffenden Hauptkapitels von „Karlstadts Schweizer Periode“ sprechen.531 Der Titel des Unterkapitels zur Basler Zeit führte einen inhaltlich bestimmten Alternativvorschlag ein, die „reformatorisch-humanistische Phase“532. Die Formulierung hat einen doppelten Charme. Einerseits betont sie Einheit und Geschlossenheit des reformatorischen Gesamtwerkes, andererseits akzentuiert sie die Vielfalt der einzelnen Phasen in ihrer je eigenen Spezifik. Daß Bubenheimer für die letzten Jahre „‚regressive‘ Tendenzen“533 zuzugestehen bereit war, brachte er vorsichtig mit Karlstadts fortschreitendem „Alter“ in Verbindung534. Vor allem aber hob er auf das humanistische Umfeld in der Schweiz535 und die kirchenpraktischen Aufgaben eines „positive[n] innerprotestantische[n] Aufbau[s]“536 ab. Anregend ist zudem die sich andeutende Überlegung, die Schweizer Phase nicht allein aus lutherischer Perspektive, sondern innerhalb einer „Geschichte des reformierten Protestantismus“537 vergleichend zu interpretieren. Karlstadts Frühzeit konnte Bubenheimer als „thomistische“538 oder „scholastische Periode“539 bezeichnen. Insofern sich diese Phase schon bald juristischen Studien öffnete, ging sie fließend in eine „scholastisch-juristische“540 Periode über. Den Bruch mit der Scholastik akzentuierte Bubenheimer stark, indem er den
531 Ebd., S. [VII], X, 7, 10, 203, 250, [251], 284. Von den „Schweizer Jahren“ spricht Bubenheimer ebd., S. 280. 532 Ebd., S. 254, 267, 286. 533 Ebd., S. 250. 534 Ebd.: „Auch in seinen Abendmahlsauffassungen, in denen eine der Hauptdifferenzen zu Luther lag, wurde er im Alter kompromißbereiter […]. So wäre es möglich, daß Karlstadt auch seinen rechtstheologischen Auffassungen im Alter die extremen Spitzen genommen haben könnte.“ 535 Ebd., S. 255: „Man könnte sagen, daß Karlstadt jetzt [in Basel] eigentlich erst seine ‚humanistische‘ Phase erreicht in Fortführung und Ausbau des reformatorischen Humanismus, wie er ihn in Zürich im gelehrten Leben des dortigen Lektoriums kennen‑ und schätzengelernt hatte.“ 536 Ebd., S. 267. Argumentativ vergleichbar ist auch ebd., S. 280: „In seinem großen Interesse für den Neubau einer protestantischen Ethik steht er Calvin nahe; in seinem Eintreten für den Wiederaufbau des Bildungswesens im Sinne einer Verbindung von Humanismus und Reformation den Züricher Reformatoren.“ 537 Ebd., S. 275: „Karlstadt [ist] in der Geschichte des reformierten Protestantismus möglicherweise der erste, der von einer doppelten Rechtfertigung […] redet“. In die Richtung eines entsprechenden Vergleichs geht auch ebd., S. 280, wo Bubenheimer epochenübergreifende Perspektiven auf die Orthodoxie einbezieht. 538 Ebd., S. 117. 539 Ebd., S. IX, 16, 116. 540 Im Rückblick auf die „scholastisch-juristische Vergangenheit“ s. hierzu ebd., S. 234.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
453
„antischolastischen Kampf“541 an der „antischolastischen Front“542 schilderte, in dem Karlstadt die enzyklopädische Spezifik zukam, die Ablehnung der philosophischen Disziplinen mit einer Integration der juristischen strukturell zu kompensieren. Die im Titel hervorgehobene „Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae“543 verdichtete Bubenheimer begrifflich zu Karlstadts „Juristotheologie“544 oder „juristo-theologische[m ] Programm“545. Dieses theologische Profil ordnete Bubenheimer keiner Phase oder Periode exklusiv zu. Ausführlich wurde es für die „Wittenberger Periode“546 dargelegt, aber auch im „juridische[n]“ und „ethischjuridische[n] Interesse“547 der Schweizer Jahre wiedererkannt. Zur Bezeichnung der reformatorischen Anfangszeit griff Bubenheimer einen reformationsgeschichtlich etablierten Begriff auf und sprach von Karlstadt in seiner „frühreformatorischen Phase“548, seinen „frühreformatorischen Jahren“549 oder „in seiner frühreformatorischen Theologie“550. Damit konnte Bubenheimer einerseits an einen terminologischen Forschungskonsens anschließen, andererseits war es ihm möglich, Karlstadt in das Obermansche Konzept einer überindividuellen frühreformatorischen Gruppenidentität zu integrieren. Beide Frühphasen Karlstadts, die scholastische und die reformatorische, verstand es Bubenheimer zudem, wechselseitig aufeinander zu beziehen. Von der Scholastik ausgehend sprach er von dem nachfolgenden „antischolastisch-reformatorischen Aufbruch“551 und von der Reformation her von der „vorreformatorischen Position“552. Bubenheimer war es gelungen, für die Anfangsphasen der theologischen Entwicklung Periodisierungen vorzuschlagen, die es erlaubten, die jeweilige Blickrichtung zu verändern und einander gegenseitig zu perspektivieren. Zugleich stellte er die Bedeutung des Jahres 1520 für Karlstadt überzeugend heraus. Erst mit der Inkriminierung durch die Bannandrohungsbulle habe Karlstadt mit dem Kirchenrecht, dem Papst und seinem eigenen „konservative[n]“553 Reforma541 Ebd., S. 267. S. auch ebd., S. 280: „Der Kampf gegen den scholastischen Synergismus stand nicht mehr im Vordergrund“. 542 Ebd., S. 267. S. auch ebd., S. 2, den Hinweis auf die „erste […] antischolastische […] Disputation“. Dazu s. auch ebd., S. 78, Anm. 39 (zu den Thesen 1–11). In einer eindrucksvollen Kurzform faßt Bubenheimer ebd., S. 124, die theologische Entwicklung von Karlstadt in ihrem ersten großen Umbruch zusammen: „Als der Kampf um Luthers 95 Thesen losbricht, hatte sich Karlstadt schon von einem Scholastiker zu einem antischolastischen Augustinisten verwandelt“. 543 Ausführlich dazu s. ebd., S. 226–230. 544 Ebd., S. 155. 545 Ebd., S. 226. Ebd., S. [281]: „Dieses juristotheologische Programm“. Ebd., S. 284: „Karlstadts juristo-theologischem Werdegang“. 546 Ebd., S. X, [201]. 547 Vgl. alleine ebd., S. 273. 548 Ebd., S. 230. 549 Ebd., S. 158. 550 Ebd., S. 267. 551 Ebd., S. 280. 552 Ebd., S. 110, Anm. 163. 553 S. u. a. ebd., S. 110, Anm. 163; S. 122, 140, Anm. 274; S. 141, 159, 233, 282.
454
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
tionsprofil, das einen „orthodox[en]“554 Anschluß an die Rechtstradition gesucht hatte, gebrochen. Terminologisch weniger präzise bestimmte Bubenheimer Karlstadts Entwicklung für die Mitte und zweite Hälfte der zwanziger Jahre. In einem Referat von Kriechbaums Arbeit sprach Bubenheimer von Karlstadts „Orlamünder Periode“555. Das Thema der Mystik berührte er, obschon kurz556. Die Jahre zwischen 1523 und 1529 konnte er auch als die „sogenannte ‚mystische […] Periode‘“557 anführen. Selbst rekurrierte Bubenheimer an zwei Stellen auf Karlstadts „‚schwärmerische […]‘ Phase“.558 Damit nahm er einen tradierten Topos auf, ließ ihn aber entweder unbestimmt oder deutete ihn um. Bubenheimer beschränkte seine Darlegungen ganz auf Karlstadts Verwerfung des römischen Rechts, von der er sich während der Schweizer Jahre wieder gelöst habe559. Ein ähnliches Vorgehen zeichnet sich für den Begriff des Nomismus ab, den Bubenheimer 1977 aufgriff.560 Zustimmend bezog er sich auf Kählers Formulierung, Karlstadt sei „Nomist und Mystiker zugleich“ gewesen.561 Für die Schweizer Zeit rekonstruierte Bubenheimer sodann ein nomistisches Verständnis von Sünde „als Verstoß bzw. Widerstand gegen das Gesetz“562. In der abschließenden Zusammenfassung rückte der Begriff des Nomismus sodann in die Nähe des „juristo-theologische[n]“ oder „biblizistischen“ Gesamtprofils, womit der Eindruck entstehen konnte, daß Bubenheimer im ganzen den seit Luther klassischen Legalismusvorwurf in einer spezifischen Weise umgeformt hatte. Gleichermaßen virtuos relativierte Bubenheimer die Bedeutung des juristischen Denkens für Karlstadts Theologie. Der Forscher erhob „nicht den Anspruch [… damit], den einzig passenden Schlüssel zum Verständnis Karlstadts gefunden zu haben. Entsprechend den vielerlei Traditionen, die Karlstadt verarbeitet hat, und den unterschiedlichen Phasen seiner stets unabgeschlossenen Entwicklung bedarf es meines Erachtens nicht nur eines, sondern mehrerer Schlüssel zugleich, um Zugang zu Karlstadts Denken zu finden.“563
Die Ablehnung eines „monokausale[n …] Erklärungsversuch[s]“564 hatte Bubenheimer mit der Einsicht in den fragmentarischen Charakter des Karlstadtschen Gesamtwerkes verwoben. Die gewählte Metaphorik mutet an wie eine Variation 554 Ebd.,
S. 141, 152. S. 7, Anm. 19 cont. 556 Ebd., S. 283, leitete Bubenheimer auch die „stärkere […] Hinwendung zur Mystik“ aus dem Bruch mit dem Papst ab, was in den Ausführungen der Studie nicht angelegt war. 557 Ebd., S. 10. 558 Ebd., S. 250, 254. 559 Zusammenfassend s. hierzu ebd., S. 278. 560 Betreffende Ausführungen konnte ich nicht in Bubenheimer, Karlstadt 1971, finden. 561 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 6, Anm. 16 cont. 562 Ebd., S. 273. 563 Ebd., S. 10. 564 Ebd., S. 284. 555 Ebd.,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
455
auf Hertzsch, der 1932 den psychologischen Ansatz seiner Karlstadt-Interpretation als „ein[en] Schlüssel zum Verständnis seiner Theologie“565 präsentiert hatte, und auf Kähler, der 1952 auf Karlstadts „Entdeckung von De spiritu et litera als eines Schlüssels zur Theologie überhaupt“566 abhob. Diese Selbstbeschränkung der Untersuchung wurde von Lesern und Rezensenten in besonderer Weise gewürdigt.567 Bernd Moeller schöpfte aus der Tiefe seines akademischen Erfahrungsschatzes, als er „[d]iese[r] ausgezeichneten Arbeit“ zugute hielt: „Der V[er]f.[asser] hält sich von der Anfängerneigung, sein Thema und Resultat zu überschätzen, fern“568, und lobte: „Die Umsicht, die souveräne Zurückhaltung, mit der der V[er]f.[asser] sein Thema behandelt; er erhebt nicht den Anspruch, mit dem Nachweis juristischer Strukturen den Schlüssel zu Karlstadts Denken gefunden zu haben, und erreicht gerade so, wie mir scheint, daß das Gewicht dieses Nachweises sich aufdrängt. Das Buch erscheint als eine der wichtigsten, gediegensten Untersuchungen der frühen Wittenberger Reformation, die wir haben.“569
2.4.4. Bubenheimers Studien zur Wittenberger Bewegung (1973–2012) Das Urteil hätte sich auch auf Bubenheimers großen Aufsatz „Scandalum et ius divinum“ von 1973 beziehen können, der – ein Jahr vor Preus – den ambitionieren Versuch unternahm, sich einem Gesamtbild der Wittenberger Bewegung abermals anzunähern.570 Bubenheimer griff den Diskussionsimpuls des Jahres 565 S.
dazu oben Anm. 43. S. oben Anm. 108. 567 Neben Moeller, Rez. Bubenheimer, Sp. 208, s. dafür etwa Ziegler, Rez. Bubenheimer, S. 249. S. auch die Zustimmung in den Dissertationen von Hasse, Tauler, S. 13, und Kotabe, Laienbild, S. 10. 568 Moeller, Rez. Bubenheimer, Sp. 208. 569 Ebd., Sp. 210. Moeller nahm zudem die Verarbeitung von Obermanschen Impulsen wahr, die er forschungsgeschichtlich zu kontextualisieren suchte: „Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis in Wittenberg wird bei B.[ubenheimer], in Fortführung einer von Karl Bauer begründeten und neuerdings vor allem in Tübingen gepflegten Forschungstradition, als der vielschichtige Entscheidungsprozeß einer wissenschaftlichen Schule dargestellt, in dem die einzelnen Protagonisten […] miteinander zusammenwirkten“. Nicht entgangen war Moeller auch, daß sich Bubenheimer besonders intensiv mit den „Apologeticae Conclusiones“ beschäftigt hatte, „deren Interpretation bildet gewissermaßen das Herzstück des Buches“, ebd. Ebenfalls bemerkt hatte er die chronologischen Schwerpunkte Bubenheimers, der, ebd., Sp. 210, „zwischen 1521 und 1530 eine ausgedehnte Lücke eintreten läßt“. 570 Vgl. dazu ausdrücklich Bubenheimer, Scandalum, S. [263], 264 f.: „Von besonderem Interesse aber dürfte die Situation sein, in der zum erstenmal der Versuch gemacht wurde, in größerem Umfang die reformatorische Theologie in die Praxis umzusetzen: die Wittenberger Bewegung – auch unter dem Stichwort ‚Wittenberger Wirren‘ bekannt – während Luthers Wartburgaufenthalt 1521/22. Erstaunlicherweise haben wir über dieses brisante Kapitel der Reformationsgeschichte keine neuere und zulängliche Gesamtdarstellung. […] Vorliegende Untersuchung versteht sich als eine – vielfach noch ergänzungsbedürftige – Vorstudie, die einen Aspekt herausgreift und ihn im Querschnitt vom Beginn der praktischen Reformaktivitäten im Herbst 1521 bis zu Luthers Rückkehr verfolgt.“ 566
456
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
1971 auf, die Ereignisse als Aktualisierungen unterschiedlicher „Reformstrategien“ zu deuten, verwahrte sich aber gegen deren Ablösung von „theologischen Motive[n] und Probleme[n]“.571 Dem 1974 durch Preus und 1977 von Sider explizierten Verständnis widersprach er damit bereits im Vorfeld und wiederholte diese Kritik 1996 in seinem jüngsten lexikalischen Beitrag zu Karlstadt in der „Oxford Encyclopedia of the Reformation“572. Bubenheimers Ansatz ist vermittelnd, insofern er den theologischen und strategischen Aspekten ihre spezifische Bedeutung in einem konstitutiven Zusammenhang zusprechen möchte. 1973 legte Bubenheimer dies an einem zentralen thematischen Beispiel dar: den theologischen Reflexionen auf die Rolle des Ärgernisses vor Luthers InvocavitPredigten573. Akribisch rekonstruierte er die Chronologie und Entwicklung der Wittenberger Voten vor Luthers Rückkehr. Die Akzente der tradierten Perspektiven verschob Bubenheimer entscheidend, indem er die Zuschreibung der Thesenreihe „De scandalo et missa“ an Karlstadt hinterfragte und aufgrund werkimmanenter Kongruenzen zu dem Ergebnis kam, daß diese von Melanchthon stammten574. Die von Karlstadt später postulierte Geschlossenheit der frühen Wittenberger Theologie gewann für die Reformen von 1521 und 1522 mit Blick auf Melanchthon damit eine höhere Plausibilität. Zugleich unternahm Bubenheimer nicht den Fehler, „Luthers Reaktion“575 allein aus politischen Gründen zu erklären. Deren Relevanz könne man „tatsächlich nicht in Abrede stellen“576, doch hob Bubenheimer vor allem auf Luthers argumentative Kontinuitäten bis 1522 und den grundlegenden Unterschied zu Karlstadt ab. Diesen machte er am Gesetzes‑ und Freiheitsverständnis fest, insofern Karlstadt eine „nomistische Auffassung des göttlichen Rechts“577 vertreten habe, während „Luther […] darin die Aufrichtung einer neuen Gesetzlichkeit“578 sah. In seiner persönlichen Bewertung dieser Opposition zeigte sich Bubenheimer vermittelnd, indem er sowohl die theologischen Anliegen als auch die Anforderungen der Praxis zu bedenken suchte. Zugleich erinnerte er an den von Luthers Theologie her zu wahrenden Vorläufigkeitscharakter des evangelischen Kirchenrechts, womit
571 Vgl.
dazu oben Anm. 274. hierfür die Kurzzusammenfassungen von Preus und Sider, die Bubenheimer, Art. Karlstadt 1996, S. 180, bietet: „Preus […] [t]races the difference between Luther and Karlstadt in the years 1521–1522 to differing reform strategies rather than to theological differences. This approach corrects the one-sided view of the conflict as purely theological but also introduces a new one-sidedness. […] In comparison with the image of Karlstadt in Lutheran scholarship, [Sider minimizes] the theological differences between Luther and Karlstadt […]. Current research is seeking to mediate between the two positions.“ 573 Auf diese ging Bubenheimer erst abschließend ein, Bubenheimer, Scandalum, S. 326–331. 574 Für den Argumentationsgang s. ebd., S. 336–338. 575 In der Überschrift des Schlußabschnittes s. ebd., S. 326. 576 Ebd., S. 327. 577 Ebd., S. 329. 578 Ebd. 572 S.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
457
faktisch Luthers Kritik an Karlstadt gegen manche Erscheinungsformen und mögliche Selbstverständnisse lutherischer Kirchen gerichtet wurde.579 Bubenheimer empfand seinen 1985 gedruckten Aufsatz zur Aufruhrthematik in der Wittenberger Bewegung als Fortführung des Beitrages von 1973.580 Er öffnete den zeitlichen Fokus auf die studentischen Unruhen des Jahres 1520, schilderte die Wittenberger Entwicklungen detailliert bis 1522 und interpretierte Luthers „Eine treue Vermahnung an alle Christen sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“ als unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse bis Dezember 1521.581 Aus dem grandiosen Panorama der Materialarbeit ließen sich für Karlstadt vier Punkte hervorheben. Zum einen bestimmte Bubenheimer den Ort der ersten evangelischen Messe vom 25. Dezember 1521 quellenkritisch in der Stiftskirche.582 Zum anderen rekonstruierte er für das Frühjahr 1522 die personellen Veränderungen des Rates583, auf den Karlstadt mit der Bilderschrift Druck auszuüben suchte584. Das Mandat vom 20. Januar 1522 hob Bubenheimer als bedeutenden politischen Faktor hervor.585 Drittens entfaltete und begründete Bubenheimer die Sündenbock-Theorie für Karlstadt: „Da Zwilling mittlerweile Wittenberg verlassen hatte, blieb Karlstadt in der Folgezeit als Hauptsündenbock für die Unruhen in Wittenberg übrig. Melanchthon und Amsdorf paßten sich schon im Februar den kurfürstlichen Vorstellungen an“.586
Bedeutsam ist Bubenheimers Rekonstruktion der amtlichen Korrespondenz zu den gegen Karlstadt erhobenen Vorwürfen.587 Wichtig ist ferner seine Entdeckung und Erschließung einer fragmentarischen Nachschrift von Luthers Invocavit-Predigten, die in einem anderen Rahmen gedruckt wurde.588 Viertens 579 Zentral hierfür sind die Ausführungen, ebd., S. 330 f.: „Luther [war] in den folgenden Jahren gezwungen, Abstriche zu machen, als die Notwendigkeit einer äußeren Ordnung evangelischen Kirchenwesens unabweisbar wurde. Luthers Freiheitsgedanke und Worttheologie gerieten in Widerspruch mit den politischen Notwendigkeiten. […] Man kann auch fragen, ob es überhaupt jemals möglich ist, die theologische Theorie ungebrochen in die Praxis umzusetzen, da in der Praxis immer Einflüsse vorhanden sein werden, die sich der vorauslaufenden Theoriebildung entziehen. Die Tragik der Entwicklung des protestantischen Kirchenrechts könnte jedoch darin zu suchen sein, daß die vorläufigen Regelungen, die nach Luthers theologischem Ansatz nicht auf der Ebene göttlichen Rechts lagen, im Nachhinein wieder in diesem Sinn geistlich überhöht und damit die Vorläufigkeit der Intention nach in Endgültigkeit gewandelt wurde.“ 580 Bubenheimer, Kirchenregiment, S. 149, Anm. 5: „Damit werden gleichzeitig meine Studien zur Wittenberger Bewegung fortgeführt: U. Bubenheimer, Scandalum […] 1973“. 581 Kurz dazu, Bubenheimer, Kirchenregiment, S. 149–151, 187–189. 582 Ebd., S. 171 f., Anm. 131 f. 583 Ebd., S. 176–178. 584 Ebd., S. 174. 585 Ebd., S. 175. 586 Ebd., S. 179. 587 Ebd., S. 179–182. 588 Bubenheimers Transkription (s. dazu Bei der Wieden, Predigten, S. [IX]: „Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer (Heidelberg). Er hat mit mir nicht nur
458
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
und letztens führte Bubenheimer seine Deutung der sich bereits während der frühen Reformationszeit abzeichnenden kirchenrechtlichen und ekklesiologischen Alternativen weiter. Hatte er Karlstadt 1973 nur indirekt ins Spiel gebracht und letztlich ein „Luther gegen Luther-Argument“589 für die Vorläufigkeit kirchenrechtlicher Strukturen geboten, vertrat er 1985 eine typologisch ausdifferenzierte These: „Gleichzeitig […] mit dem landesherrlichen Kirchenregiment“, dessen Anfänge sich in der Wittenberger Bewegung finden ließen, wurde „der protestantische Dissidentismus geboren, für den in Wittenberg vor allem die Figur Karlstadts steht. Wir finden im Blick auf die Aufruhrfrage in Wittenberg erstens Luthers der Landesobrigkeit gegenüber grundsätzlich loyale Position, die das spätere Luthertum prägen sollte; zweitens das Konzept eines gewaltlosen, leidenden Widerstandes, wie wir es später in Karlstadts Orlamünder Gemeinde und in einem breiten Strom des Täufertums wiederfinden; und drittens – nicht beschränkt auf, aber verbunden mit den in Wittenberg auftauchenden Zwickauer Propheten – Ansätze zu einem die Gewalt einschließenden revolutionären Widerstand, der zum Bauernkrieg führt.“590
Bubenheimers dritter großer Aufsatz zu dem Themenkomplex schloß sich 1987 an.591 Er rückte den „Streit um das Bischofsamt in der Wittenberger Reformation 1521/22“ in den Vordergrund und galt dem Rollenwandel des geistlichen Rechtsvertreters, nachdem die Vorbeiträge die theologischen Selbstverständigungen in ihren Relationen zur lokalen und kursächsischen Politik untersucht hatten. Aus der Konzentration auf Wittenberg ergab sich die exemplarische Frage nach kontroversen Auseinandersetzungen mit Albrecht von Mainz, der in seiner Bedeutung für den Ablaßstreit und aufgrund der geographischen Bezüge zu Halberstadt, Magdeburg und Halle zur „paradigmatische[n] Figur des antichristlichen Bischofs“592 in Wittenberg geworden war. Bubenheimer illustrierte das „Machtvakuum“593 nach der „Destruktion der hergebrachten geistlichen – päpstlichen und bischöflichen – Autoritäten“594 am „Konfliktfeld“595 der Priesterehe. An eine lange Diskussion über das von ihm gefundene Fragment einer Nachschrift von Luthers Invocavitpredigten geführt, sondern mir darüberhinaus seine gesamten Unterlagen einschließlich einer Transkription zur Verfügung gestellt“) bietet – in einem frühen Stadium der Texterschließung – Bei der Wieden, Predigten, S. [447]–457. 589 Der Begriff findet sich erstmals für rezeptionsgeschichtliche Berufungen auf oder gegen Luther, die Unterschiede in dessen Gesamtwerk bewerten, bei Kaufmann, Abendmahlstheologie, S. 435. Zur historiographischen Erklärung der positionellen Modifikationen in Luthers Entwicklung führte Kaufmann den Gedanken weiter, indem er das Konzept einer „durch historische Erfahrungen dynamisierte[n] Selbstkorrektur“ zur Diskussion stellte, s. Kaufmann, Anfang, S. 604. 590 Bubenheimer, Kirchenregiment, S. 313 f. 591 Bubenheimer, Bischofsamt. 592 Ebd., S. 160. 593 Ebd., S. 157. 594 Ebd. 595 Ebd., S. 159.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
459
mehreren Fallbeispielen zeigte er auf, daß die kirchenrechtlichen Grenzüberschreitungen folgenlos blieben, „wo der Landesherr die Amtshilfe [gegenüber dem Bischof] verweigert“596 habe. Im Verteilungskampf um die „Erbmasse aus der zerfallenen geistlichen Autorität“597 hatte letztlich der Kurfürst über die Kommune gewonnen598. Als „Vorstellung“ und „Modell“ sei jedoch das „Konzept eines evangelischen Gemeindebischofs, eines Bischofsamtes auf kommunaler Ebene“ vorhanden gewesen.599 Erkennbar ist Bubenheimers Überlegung, Barges gemeindechristliches Prinzip mit Blickles kommunalistischem Konzept einer Gemeindereformation zu verschränken.600 Karlstadt ging in die geschilderten Vorgänge als engagierter Publizist ein. Zugleich zeigte Bubenheimer zwei materiale Neuentdeckungen an: Zum einen verwies er auf das bis heute einzig bekannte Exemplar der „Loci tres“ von 1521, das Konrad von Rabenau in Eisleben identifizierte.601 Zum anderen erkannte Bubenheimer hinter einer Veröffentlichung des pseudonymen Autors „Lignacius Stürll“ eine Flugschrift Karlstadts von 1521.602 Beide Texte leiten zu einem Themenfeld über, das Bubenheimer 1987 nicht in seinen Aufsatz integrieren konnte und in einem Folgeaufsatz zu behandeln suchte: Ein zweiter Teil sollte „der Auseinandersetzung um den Ablaß in Halle“603 gelten, ein dritter dem „Modell des evangelischen Gemeindebischofs“. Der unmittelbare Anschlußbeitrag ist in dem Vortrag zu identifizieren, den Bubenheimer am 13. Dezember 2012 in Göttingen hielt.604 Der Haupttitel „Die ‚christliche Stadt‘ als Modell“ und die Überschrift des ersten Kapitels „Die erste Wittenberger Stadtreformation als Modell“605 beziehen sich in einer produktiven Weiterführung auf eine Beobachtung von 1987: 596
Ebd., S. 206. S. 157. 598 Vgl. dazu ebd., S. 158 f.: „Die Wittenberger Reformation 1521/22 führt nicht nur das letztendlich siegreiche Modell der Fürstenreformation vor Augen, sondern ebenso Versuche der Gestaltung des evangelischen Gemeinwesens von der Gemeindebasis her als auch Anfänge einer von der Stadtobrigkeit in die Hand genommenen Ratsreformation.“ 599 Ebd., S. 161. 600 S. dazu ebd., S. 158, Anm. 8; S. 161. 601 Ebd., S. 168 f., Anm. 48. 602 Ebd., S. 192, Anm. 177. Bibliographiert ist der Titel auch in Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, S. 656. Zeitnah hob Zorzin, Dialog, S. 27 f., 1988 Bubenheimers Entdeckung hervor. Bubenheimers 1989 gebotene Beschreibung eines Braunschweiger Sammelbandes, der eine große Anzahl von Karlstadt-Drucken zusammenstellt und in dem sich auch die betreffende Flugschrift befindet, mag einen Hinweis auf die Identifizierung des Textes enthalten; vgl. Bubenheimer, Müntzer, S. 114 f., Anm. 277. Auf einen Nachdruck der Flugschrift im Jahre 1862 – ohne Wahrnehmung der Bezüge zu Karlstadt – durch Böhmer, Trutz-Rom, machte mich Dr. Alejandro Zorzin dankenswerterweise aufmerksam. 603 Bubenheimer, Bischofsamt, S. 159, 160, Anm. 12; S. 192, Anm. 177. 604 Im folgenden zitiert nach einem Manuskript, das Bubenheimer am 31. Dezember 2012 als Neujahrsgabe versandte: Bubenheimer, Stadt. 605 Ebd., S. 1 597 Ebd.,
460
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
„Bei der intensiven Erforschung von Stadtreformation in den letzten Jahren wurde die erste programmatische Stadtreformation, nämlich die Wittenberger 1521/22, die in vieler Hinsicht Modell und Vorbild war […], auffallenderweise nicht einbezogen“.606
Bubenheimers Göttinger Vortrag behandelte, genau wie 1987 angekündigt, die „Loci tres“ und die „Stürll“-Flugschrift im Zusammenhang ihrer Kritik am Hallenser Ablaß607 – und bot zugleich weit mehr, indem es ihm gelang, Luthers ungedruckte Schrift „Wider den Abgott zu Halle“ zu identifizieren608. Bubenheimers Studien zur Wittenberger Bewegung eröffnen nicht nur eine Fülle historischer Details, genetischer Verbindungslinien und personeller Konstellationen, sie tragen auch dazu bei, die Bedeutung Karlstadts für die frühe Wittenberger Theologie angemessener einzuschätzen. 2.4.5. Biographische Studien und Quellenfunde zu Karlstadt Bereits in der Abgabefassung von Bubenheimers Dissertation kündigte sich das Interesse an weiteren lebens‑ und werkgeschichtlichen Studien an. Die Druckfassung nahm diese Hinweise auf: „Auch die Biographie Karlstadts bedarf weiterer Forschungen. Auch in dieser Hinsicht ist das reiche Material in Karlstadts Briefen und Schriften noch nicht hinreichend ausgeschöpft, da uns eine Gesamtausgabe bis heute fehlt.“609 In Bubenheimers Beiträgen zwischen 1973 und 1977 zeichnet sich das erkennbare Bemühen ab, Karlstadts Werke seriell zu erfassen. Der große Aufsatz „Scandalum et ius divinum“ orientiert über Karlstadts Thesenreihen610 und Vorlesungen zwischen 1521 und 1523611. 1977 bot Bubenheimers Monographie eine Übersicht über Karlstadts Epigramme.612 Zugleich wurden in den Anhang vier materiale „Beilagen“ eingerückt, von denen zwei bereits 1971 ausgearbeitet waren und die nun um zwei aus Handschriften transkribierte Dokumente erweitert wurden.613 Zeitweilig verfolgte Bubenheimer das literarische Projekt 606 Bubenheimer,
Bischofsamt, S. 156, Anm. 1. Bubenheimer, Stadt, S. 9–12. 608 Dem Ergebnis ist bis zu einer Drucklegung von Bubenheimers Ausführungen nicht vorzugreifen. 609 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 287. Vgl. dazu die Abgabefassung, die mögliche Material arbeiten unverbunden neben die biographischen Korrekturen stellte, Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 248 f.: „Auch die Biographie Karlstadts bedarf neuer Forschungen. Das reiche Material in Karlstadts Briefen und Schriften ist unzureichend ausgeschöpft, da uns eine Gesamtausgabe bis heute fehlt.“ 1977 berief sich Bubenheimer zudem auf die Forderung von Lau, der im Manuskript 1962 und im Druck 1964 vermerkt hatte, Lau, Reformationsgeschichte, S. K 26, Anm. 1 cont.: „Die übrigen Schriften Karlstadts sind schwer zu greifen und bedürfen dringend einer wiss.[enschaftlichen] Edition.“ Lau hatte, wie oben in Anm. 91 gezeigt, 1953 Kählers Edition rezensiert. 610 Bubenheimer, Scandalum, S. 331–334. 611 Ebd., S. 276, Anm. 52. 612 Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 17, Anm. 28. 613 Neu gegenüber Bubenheimer, Karlstadt 1971, sind in Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. [288]–290 (Nr. 1 f.). Bereits 1971 hatte Bubenheimer erarbeitet ebd., S. 290–300. 607
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
461
eines biobibliographischen „Karlstadt-Repertorium[s]“.614 Allein mit seinen Einzeleditionen waren erstmals seit der Biographie von Barge 1905 wieder neue, zuvor unbekannte Texte von Karlstadt ediert worden. Kein Autor nach Barge legte auch eine solche Vielzahl von biographischen Studien und literarischen Gesamtdarstellungen zu Karlstadt vor wie Bubenheimer. Zur Orientierung über deren Zusammenhänge sollen diese im folgenden in zwei Kreisen und aus dem Ansatzpunkt für einen weiteren skizziert werden. Der Radius von Bubenheimers erster Darstellungssequenz eröffnete sich 1980 um die Studie „Andreas Rudolff Bodenstein von Karlstadt. Sein Leben, seine Herkunft und seine innere Entwicklung“.615 Der 54seitige Beitrag markiert die gewichtigste Untersuchung in der „Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980“.616 Was den äußeren Anlaß der Feierlichkeiten anging, verhielt sich Bubenheimer diskret. Hatte er 1971 noch zum Geburtsjahr geschwiegen, so schloß er sich doch 1976 und 1977 der Annahme von Kähler an, Karlstadt sei nicht 1480, sondern „etwa um 1477“617 geboren worden. 1980 bereitete Bubenheimer dem lokalgeschichtlich interessierten Leser die Freude, zunächst die erste urkundliche Erwähnung von Karlstadts Vater, Peter Rudolff, in der fränkischen Heimatstadt für das Jahr 1480 zu vermelden und die Frage des möglichen Geburts‑ oder ersten Wohnhauses zu diskutieren.618 Erst weitaus später, nach dem Hinweis auf Martin Luther und dessen Lebensdaten, deutete Bubenheimer beiläufig an, nach wie vor von dem früheren Geburtsjahr überzeugt zu sein: „es läßt sich erschließen, daß er etwas vor 1480 geboren sein dürfte.“619 In der Formulierung klingt die anhaltende Suche nach einem stichhaltigen Beleg an. Sein biographisches Gesamtbild von 1980 fügte Bubenheimer aus vier Elementen zusammen. Zum einen hatte er intensive genealogische Studien betrieben, die er eingehend referierte und in einem Stammbaum620 graphisch zusammenfaßte. Zum anderen hatte er Karlstadts Schriften im ganzen – auch mit Blick auf Widmungsexemplare621 – sehr breit sondiert und schöpfte inhaltlich tief aus den deutschen und lateinischen – einschließlich der scholastischen – Schriften. Wenn sich Bubenheimer 1987 in einem seiner Beiträge zur Wittenberger Bewegung 614 S.
dazu in der Einleitung die Anm. 8. Karlstadt 1980. 616 Vgl. dazu in der Standortbestimmung die Anm. 12. 617 Zu dem Zitat s. Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. [1], mit Anm. 3, wo Bubenheimer – ohne Begründung – erklärt: „So richtig Kähler, aaO. gegen die sonst übliche Angabe 1480.“ Ein Jahr zuvor bemerkte Bubenheimer bereits, Bubenheimer, Karlstadt 1976, S. 59, Karlstadt sei „um 1477“ geboren worden. Konservativer formulierte Bubenheimer nach den Feierlichkeiten: Bubenheimer, Karlstadt 1981, S. 107: „um 1480“. 618 Bubenheimer, Karlstadt 1980, S. [5] mit Abbildung auf S. [7]. 619 Ebd., S. 10. 620 Ebd., S. [53]: „Familie und Verwandtschaft des Andreas Rudolff-Bodenstein von Karlstadt“. 621 S. dazu den Text, aber auch die Illustration auf S. [25]. Andere Widmungsexemplare vermerkte Bubenheimer, Müntzer, S. 256, Anm. 29; S. 316. 615 Bubenheimer,
462
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
auf seine „Kenntnis sämtlicher Karlstadtschriften“622 stützen sollte, sah man ihn 1980 eindruckvoll auf dem Weg dorthin. Drittens bezog sich Bubenheimer mehrfach auf Karlstadts „1519 veröffentlichten Einblattholzschnitt ‚Himmel‑ und Höllenwagen‘“623. Dort fand er nicht nur das Bodensteinsche Familienwappen, das es ihm genealogisch erlaubte, den Nürnberger Rat Leonhard Bodenstein anhand dessen Siegelwappens als einen Bruder von Karlstadt zu identifizieren.624 Er erkannte in dem Familienwappen der Karlstadter Bodensteins auch die heraldischen Elemente des Eichsfelder Adelsgeschlecht von Bodenstein625, von deren Herkunft er die fränkischen „verbürgerlicht[en]“626 Namensträger ableitete. Dem Einblattholzschnitt galt aber nicht nur Bubenheimers sicherer Blick für das historische Detail, er wurde auch illustrativ für einzelne Personen oder Typisierungen einbezogen. Den pädagogischen und didaktischen Wert der Darstellung hatte Bubenheimer nicht erst 1980 erkannt. Bereits 1976 hatte er den „Himmel‑ und Höllenwagen“ für die religionspädagogische Praxis mit einer Materiallieferung und Interpretationshilfe erschlossen.627 Der vierte und letzte Akzent, den es für den Beitrag von 1980 herauszuheben gilt, findet sich im Titel mit der Formulierung „innere Entwicklung“ angedeutet. Der Begriff hatte 1932 bei Hertzsch eine zentrale Bedeutung und wurde vor allem psychologisch ausgedeutet, aber auch mit einer „Bekehrung“ im Vorfeld der Orlamünder Zeit in Verbindung gebracht.628 Bubenheimer führte diese Forschungstradition fort, indem er 1980 zunächst formulierte: „Die Wende zu Augustin war Bodensteins erste Bekehrung; sie war […] ein vorwiegend wissenschaftlich-akademischer Wandel, erreichte noch nicht die Tiefen der Persönlichkeit des Karlstadters.“629 Zugleich sah Bubenheimer das Potential, den mit seiner Dissertation für die Lebens‑ und Werkgeschichte als zentral herausgearbeiteten Bruch mit Rom 1520 622 Bubenheimer,
Bischofsamt, S. 175, Anm. 36. Karlstadt 1980, S. 6. 624 Ebd. Den einzigen wissenschaftlichen Vorgänger in dieser Vermutung, die zuvor auch nur als solche vorgetragen wurde, finde ich 1944 in Erler, Glauburg, S. 422: „Karlstadt nun gehörte der gleichen Familie an wie der Jurist Leonhard Bodenstein. Der Reformator nannte sich nach seinem Geburtsort Karlstadt in Franken; aus diesem Städtchen stammt nach Siebmachers bekanntem Wappenbuch auch die Familie des Rechtsgelehrten. Das bei Siebmacher abgebildete Wappen ist das gleiche wie das auf dem Siegel des Bestallungsbriefes für Leonard Bodenstein. Beide Bodenstein gehören auch altersmäßig der gleichen Generation an. Wahrscheinlich waren sie Brüder.“ Bubenheimer selbst führte seine Beobachtung in Bubenheimer, Gelassenheit 1981b, S. 262 f., auf schlagende Weise fort, indem er zwei Portraits der mutmaßlichen Brüder miteinander kombinierte. Für Schwedes belletristischen Hinweis von 1975 auf den Nürnberger Bruder s. oben Anm. 497. 625 Bubenheimer, Karlstadt 1980, S. 6. 626 Ebd. 627 Bubenheimer, Karlstadt 1976. 628 Zu dem Gesamtkomplex vgl. in Kap. I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert die Anm. 344 und in diesem Kap. die Anm. 37 f. sowie 79. 629 Bubenheimer, Karlstadt 1980, S. 16. Angelegt ist dies bereits bei Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 285 f.: „Karlstadt ‚bekehrte‘ sich zu Augustin als Gelehrter.“ 623 Bubenheimer,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
463
frömmigkeits‑ und persönlichkeitsgeschichtlich zu interpretieren. Als Brücke in die religiöse Sozialisation der Familie könnte die Mystik fungiert haben: „Eine mystisch geprägte Frömmigkeit scheint Bodenstein schon in seinem Elternhaus kennengelernt zu haben. Denn 1520 versucht er mit Hilfe mystischer Gedanken[,] seine Mutter und seine Verwandtschaft für seinen Weg zu gewinnen.“630
Karlstadt selbst vollzog mit seiner Entwicklung aber weniger den Versuch einer Zuwendung, als vielmehr eine „Ablösung“ von den Familientraditionen: „Der mystische Begriff ‚Gelassenheit‘ entspricht unserer tiefenpsychologischen Kategorie ‚Ablösung‘.“631 In besonderer Weise galt dieser „schmerzhafte […] Ablösungsproze[ß]“632 der Mutter. Über Karlstadts Spezifik konnte Bubenheimer im dezidierten Vergleich mit Luther formulieren: „Luthers Theologie ist in der Tiefe eine Auseinandersetzung mit dem Vater: Forderung – Leistung – Annahme – Gnade – sind zentral. Bodensteins Theologie ist in seiner Psyche eine Auseinandersetzung mit der Mutter: Einssein – Bindung – Ablösung – Gelassenheit sind zentral.“633
Diesem Ansatz und Forschungsbeitrag von 1980 sind zwei Folgeaufsätze verbunden. Zunächst hielt Bubenheimer den „Festvortrag zum 500. Geburtstag Andreas Bodensteins (ca. 1480–1541)“634, der in zwei Gestalten gedruckt wurde. Als eigenständige Veröffentlichung gab ihn Bubenheimer im Mai 1981 zunächst635 zusammen mit dem Münchner Schriftsteller Erich Mende heraus, der anläßlich 630 Bubenheimer,
Karlstadt 1980, S. 17. Ebd., S. 30. 632 Ebd. 633 Ebd., S. 40. 634 S. hierzu den Herausgebervermerk von Oberman in Bubenheimer, Gelassenheit 1981b, S. [250], Anm. *. 635 Bubenheimer, Gelassenheit 1981a. Zu dem genauen Datum s. das Titelblatt der Heftes. Die erste Textfassung weicht von der fachwissenschaftlichen Drucklegung Bubenheimer, Gelassenheit 1981b darin ab, daß in der späteren Fassung ein kirchenpolitisch emphatischer Schlußpassus gestrichen wurde. Die zweite Textgestalt beendet das Alber-Referat und den Beitrag im ganzen mit dem knappen Satz ebd., S. 268: „So ist der ‚Schwärmer‘ für das Luthertum schließlich zum ‚Unmenschen‘ geworden.“ Die erste Druckfassung, die näher am Vortragsmanuskript stehen dürfte, schloß demgegenüber affirmativer, Bubenheimer, Gelassenheit 1981a, S. 26 f.: „Mit ‚Schwärmer‘ fing es an – mit ‚Unmensch‘ hörte es auf. Welche ungeheuren Wahrheiten muß Bodenstein den Lutheranern gesagt haben, daß man ihn in solcher Weise abwehren mußte? Einer lutherischen Kirche, die sich 1980 gegen eine katholische Neuauflage des alten Lutherfeindbildes des Johannes Cochläus wandte, steht es gut an, ebenso im eigenen Haus Luthers und seiner Nachfolger Vorurteile gegen Andreas Bodenstein und seine Form reformatorischer Frömmigkeit nicht nachzubeten. Wesentliche sachliche Konfliktpunkte sind heute ausgeräumt: die Abendmahlsfrage durch die mit der reformierten Kirche 1973 erzielte Leuenberger Konkordie – nachdem Bodenstein ja schon 1535 für die Episode gebliebene Wittenberger Konkordie eingetreten war; in der Tauffrage durch die heutige Kirchengemeinschaft mit baptistischen Kirchen und die Taufordnungen einzelner Landeskirchen, die heute die Erwachsenentaufe als Alternative dem mündigen Laien einräumen, der – ganz im Sinne Bodensteins – seinem eigenen religiösen Urteil vertrauen kann.“ 631
464
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
einer Ausstellungseröffnung zu Karlstadt im städtischen Rathaus gesprochen hatte636. Sodann rückte Oberman den Text 1981 in die „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ ein637, wo er unter dem Titel „Gelassenheit und Ablösung. Eine psychohistorische Studie über Andreas Bodenstein von Karlstadt und seinen Konflikt mit Martin Luther“638 erschien. Eine von Oberman namentlich gezeichnete Herausgeberanmerkung verwahrte die Publikation des Beitrages gegen eine Kritik von zwei Richtungen: „Veröffentlicht wird diese weiterführende und zugleich herausfordernde Kar[l]stadtdeutung, um ausdrücklich auf die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der psychohistorischen Methode aufmerksam zu machen. Die hier angelegte Lutherkritik sollte nicht ablenken von der unausweichlichen Aufgabe, die Weisheit der psychischen Erfahrung in die historische Wissenschaft kontrollierbar einzubringen.“639
Bubenheimer sollte später einmal an das allgemeine, damit aber auch persönliche Recht erinnern, sich als „Grenzgänger“ zwischen „Norm und Überschreitung […] bewegen“ zu dürfen.640 Wie fein und verantwortungsvoll sich Bubenheimer an dieser Grenze zu bewegen wußte, beweist sein unmittelbarer Folgebeitrag, der in gewisser Hinsicht vielleicht sogar erklären mag, weshalb der „Gelassenheit[s]“-Beitrag vom selben Jahr für das Verhältnis von Karlstadt und Luther so stark auf entwicklungspsychologisch erklärte kollegiale Rivalitäten641 abgehoben hatte. Bubenheimers Karlstadt-Portrait in den „Gestalten der Kirchengeschichte“ reduzierte den Ablösungsprozeß ausschließlich auf mögliche familiäre Konsequenzen und rahmte das Thema der Mystik frömmigkeitsgeschichtlich instruktiv ein.642 Zur Forschungstradition der Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther führte Bubenheimer aus:
636 Zu
dem Anlaß s. Mende, Bodenstein, S. [1]. S. dazu oben Anm. 634. 638 Bubenheimer, Gelassenheit 1981b. 639 Ebd., S. [250], Anm. *. 640 Für das Zitat von 1999 s. im Kontext einer Diskussion mit Gerd Lüdemann, Dieter Fauth, Ursula Neumann und Wolfgang Thorns: Bubenheimer, Rundgespräch, S. 150: „Denn sich auf dieser Grenze zwischen Norm und Überschreitung zu bewegen, das ist ja provokativ und macht auch Spaß. Ich jedenfalls möchte mir nicht nehmen lassen, ein Grenzgänger zu sein. Auf der Grenze von Norm und Verbot möchte ich mich auch aus Lust bewegen können.“ 641 Für Hases vergleichbare Argumentation 1854 s. in Kap. I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert die Anm. 670. 642 Bubenheimer, Karlstadt 1981, S. 108 f.: „Bodenstein legt klar, daß er sich in diesem Falle von Mutter und Familie ablösen müsse. Diesen Ablösungsprozeß bezeichnet Bodenstein mit dem mystischen Begriff ‚Gelassenheit‘ […]. […] Bodenstein konnte offenbar hoffen, seine Mutter am ehesten auf der Ebene dieser mystischen Frömmigkeit anzusprechen und vielleicht für sich zu gewinnen, was wiederum umgekehrt ein Indiz dafür sein könnte, daß Bodenstein eine mystisch beeinflußte Frömmigkeit ebenfalls zuerst in seinem Elternhaus begegnet sein dürfte. Laientum und Mystik waren ja im Spätmittelalter, etwa in Gestalt der devotio moderna, eine verbreitete Verbindung eingegangen.“ 637
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
465
„In der vorwiegend lutherischen und damit pa[r …]teiischen älteren Karlstadtforschung wurde versucht, in der Nachfolge Luthers den eigentlichen Konflikt in angeblich grundlegenden und unüberbrückbaren theologischen Differenzen zwischen Luther und Karlstadt zu sehen. Die persönliche Rivalität der beiden wollte man nicht wahrhaben, jedenfalls Luther einen solchen vermeintlichen menschlichen Makel nicht anlasten. Luther selbst hat diesen Punkt aus seinem Selbstbild erfolgreich verdrängt und daher den theologischen Graben zwischen sich und Bodenstein größer gemacht als er tatsächlich war.“643
Mit einer vergleichbaren Formulierung hatte Bubenheimer 1977 Sider vorgehalten, „den Graben zwischen Luther und Karlstadt weitgehend zuzuschütten. In den zentralen reformatorischen Anliegen erscheint Karlstadt nach Siders Darstellung als treuer Lutheraner“.644 Bubenheimer wollte somit die eine wie die andere Einseitigkeit eines theologisch akzentuierten Karlstadt-Bildes vermeiden.645 Auf dem Weg zu einer neuen, unparteiischen Karlstadt-Forschung mochte er die Provokation im Jubiläumsjahr 1980 – auch und vielleicht gerade vor den im Lutherjahr 1983 zu erwartenden Festivitäten – als ein legitimes, dem Ausgleich und nicht etwa der Polarisierung dienendes Mittel gesehen haben. Publizistisch scheint der Beitrag mehr ignoriert als pariert worden zu sein; substantielle Reaktionen finden sich vor allem in der wissenschaftlichen Korrespondenz von Bubenheimer.646 Bubenheimer selbst entwickelte seinen methodologischen An643 Ebd.,
S. 110. Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 6, Anm. 17. Für den Kontext s. oben Anm. 339. 645 Den Anhaltspunkt für eine Berechtigung dieser Lesart bietet ein Selbstverständnis von Bubenheimer, das sich 1996 in einem Kurzkommentar zu Siders Monographie findet, Bubenheimer, Art. Karlstadt 1996: „In comparison with the image of Karlstadt in Lutheran scholarship, the theological differences between Luther and Karlstadt are minimized. Current research is seeking to mediate between the two positions.“ 646 Im „Literaturbericht“ des ARG findet sich 1983 zu Bubenheimer, Karlstadt 1981b die weder falsche noch überaus problembewußte Kurzzusammenfassung von Giessler-Wirsing, Rez. Bubenheimer, „Verf.[asser] untersucht eine Krise Bodensteins von 1520 und ihre Ursachen.“ Aus der wissenschaftlichen Korrespondenz von Bubenheimer lassen sich zwei Positionierungen hervorheben. Heinz Scheible betonte die methodologische Berechtigung und fachliche Angemessenheit des Ansatzes, indem er einfühlungshermeneutisch argumentierte und an die Einseitigkeiten früherer Forschung erinnerte, s. dazu dessen handschriftlichen Brief an Bubenheimer vom 3. Dezember 1980, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, Bl. 1r: „Gerade habe ich Ihren Beitrag in der Karlstadt-F[e]s.[tschrift] mit großer Faszination gelesen. […] Ihre psychohist.[orischen] Kategorien sind hilfreich. Daß Sie ganz parteilich sind und über Luther ‚unerhört‘ harte Worte sagen, wird Ihnen gewiß nicht nur Beifall einbringen. Ich meinerseits bin jedoch der Meinung, daß ein Biograph parteilich sein darf. Er soll sich sogar so in seinen Forschungsgegenstand hineinversetzen, daß er ihn in seiner inneren Stimmigkeit (die in den seltensten Fällen eine Un-stimmigkeit ist) verständlich machen kann. Urteile sind dann sekundär, dürfen jedenfalls keine Vor-urteile sein. Und daß an Karlstadt hier viel gesündigt worden ist, steht außer Zweifel.“ Bernd Moeller übte am 16. Dezember 1980 in einem maschinenschriftlichen Brief differenzierte Kritik an Bubenheimer, Karlstadt 1980, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz. Aus der Perspektive einer quantitativen Flugschriftenforschung hinterfragte er, ebd., S. [1], die konkrete Relevanz qualitativer Urteile: „zu S. 31: Ich glaube, ein verlorener Druck ist in der Regel nicht ein besonders wenig, sondern ein besonders viel gelesener Druck! Zu S. 37: Von der publizistischen Situation um Luther 644
466
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
satz weiter, indem er 1994 von tiefenpsychologischen Kategorien zu sozialpsychologischen fortschritt.647 Den zweiten Kreis von Bubenheimers biographischen Studien eröffnet der Karlstadt-Artikel, der 1988 in der „Theologische[n] Realenzyklopädie“ erschien.648 Forschungsgeschichtlich darf er als nicht weniger als epochal gelten. Bereits der Titel „Karlstadt, Andreas Rudolff Bodenstein von (1486–1541)“ und der Eröffnungssatz („Andreas Bodenstein, 1486 geboren“649) bieten unauffällig eine erstmals durch Quellenbeleg abgesicherte Bestimmung des Geburtsjahres650: Karlstadt war nicht etwa drei Jahre älter als Luther gewesen, sondern drei Jahre jünger.651 Der Artikel deutet nur vorsichtig an, daß Bubenheimer im gleichen und Karlstadt entsteht nach meinem Urteil bei Ihnen kein ganz adäquates Bild – daß in den wenigen Flugschriften, die für Karlstadt Partei nahmen, die ‚öffentliche Meinung des Volkes‘ zum Ausdruck kommt, würde ich bezweifeln, mir scheint offen zu sein, ob der von Ihnen behandelte Flugschriftenverfasser wirklich ein ‚Mann aus dem Volk‘ war, eindeutig überwog um 1523 in der Flugschriftenliteratur die Sympathie für Luther die für Karlstadt weit; das ließe sich leicht belegen.“ Im Umgang mit dem psychohistorischen Ansatz deutete Moeller Skepsis an, war aber bereit, seine eigene Einschätzung der vorauszusetzenden Persönlichkeitsstrukturen zu entfalten und auch kritisch gegenüber Luther zu vertreten, ebd., S. [1] und 2: „Zu S. 40 f.: Daß es bei Luther ‚emotionale Befangenheit‘ gegenüber Karlstadt gab, glaube ich auch; daß sie aber ‚psychohistorisch‘ erklärt werden kann mit Kategorien wie ‚Auseinandersetzung mit dem Vater/mit der Mutter‘, halte ich für sehr spekulativ, auch wäre wohl in Rechnung zu stellen, daß bei Karlstadt die ‚emotionale Befangenheit‘ nicht weniger gegeben war – wie [… S]ie ihn mir in der Streitperiode überhaupt ein bißchen idealisieren. Aus der Sicht eines Universitätsprofessors stelle ich mir Karlstadt als einen ziemlich unausstehlichen Kollegen vor, wobei ich zugebe, daß ich vermutlich auch mit Luther meine Probleme hätte.“ Daß die vorgetragene Kritik Ausdruck persönlicher und fachlicher Hochachtung war, betonte der Schlußsatz, ebd., S. 2: „Verzeihen Sie, daß ich das schöne Geschenk mit so viel Mäkelei quittiere. Sie ist als ein Zeichen des Respekts und Dankes gemeint.“ 647 S. hierfür Bubenheimer, Streittheologie. Zu den vorausgesetzten Begriffen und „Kategorien“ s. ebd., S. 26 f. Aufgeschlossenheit gegenüber dem psychohistorischem Ansatz bewies Gerhard Besier, der ein betreffendes Themenheft für die Zeitschrift „Kirchliche Zeitgeschichte“ zusammenstellte; s. dazu den Veröffentlichungsrahmen v. ebd. sowie die einleitende Anm., ebd., S. [26], Anm. *. Besiers Schülerin Strübind, Schweiz, S. 36–41, entwickelte aus dem früheren Beitrag von Bubenheimer, Karlstadt 1981b, und dem dort gebotenen Einführungszitat von Oberman die wesentlichen Thesen ihres methodologischen Einführungskapitels „Psychohistorie im Bereich der Täuferforschung“. Sie übertrug den Ansatz auch auf die Deutung gegenwärtiger Literatur; so formulierte sie über Paters Karlstadt-Buch von 1984, ebd., 207: „Die Arbeit kann als psychologisch verständliche Reaktion auf das einseitige Karlstadtbild gelten, wobei ihre durchaus interessanten Erträge im einzelnen zu prüfen sind.“ 648 Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, wurde im „Literaturbericht“ des ARG knapp angezeigt durch Moeller: „Interessante Zusammenfassung des F.[orschungs]standes mit reichhaltigen Einzelmitt.[eilungen] und einem aufschlußreichen Exkurs über K.[arlstadt]s Verständnis der ‚Bilder‘.“ 649 Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, S. 649. 650 S. dazu ebd., S. 655, das Quellenverzeichnis: „Das Blatt, aus dem sich das bislang unbekannte Geburtsjahr 1486 ergibt, enthält ein Portrait Karlstadts“. 651 Einen detaillierten Vergleich der Geburtsjahre in Relation zu den Immatrikulationsjahren unternahm Bubenheimer, Müntzer, S. 17, Anm. 34, für 18 Personen. Karlstadt gab sich darin mit 13 Jahren als der zweit‑ oder drittjüngste Studierende der untersuchten Theologen zu erkennen (nach Melanchthon mit 12 Jahren und gleichauf mit Justus Jonas). Ebd., S. 151,
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
467
Zuge ein erstes zeitgenössisch eindeutig identifiziertes Portrait gefunden hatte, das Karlstadt zu seinem Lebensende während der Basler Zeit zeigt.652 Schlag auf Schlag folgen in einem Wechselspiel zwischen Haupttext und Quellenverzeichnis – ohne eine formale Verbindung durch Fußnoten und betonungslos gegenüber der einschneidenden Bedeutung der gebotenen Informationen – grundlegend neue Forschungsergebnisse. War es eine der größten Entdeckungen von Barge gewesen, Karlstadts Augustin-Kommentar in dem heute in Edinburgh verwahrten Exemplar identifiziert zu haben und waren zu dessen Lebzeiten nur zwei weitere Exemplare bekannt geworden, so benannte Bubenheimer 1988 nicht weniger als fünf zusätzliche Exemplare.653 Wenn er im Haupttext Picos Bedeutung für Karlstadt vermerkte, so hatte er in Wolfenbüttel eine handschriftliche Thesenreihe gefunden, die er aus inhaltlichen Gründen Karlstadt zuwies.654 Indem Bubenheimer Karlstadts „Vorlesung De impii iustificatione“ als „die unseres Wissens erste systematisch-theologische Vorlesung der Wittenberger Reformation, die von dem kommentierenden Vorlesungsstil abweicht“655, erwähnte, hatte er den Vorlesungscharakter überhaupt erst bemerkt und anhand der Zuordnung von Karlstadts Handexemplar und studentischen Nachschriften belegt656. Eine handschriftlich in Wolfenbüttel aufgefundene Thesenreihe aus dem Jahr 1521 wird nur im Quellenverzeichnis aufgeführt.657 Für den von Anm. 48, stellte Bubenheimer übersichtlich Karlstadts später erreichte akademische Grade nach dem Dekanatsbuch dar. 652 Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, S. 655. 1989 veröffentlichte Bubenheimer den Portraitauszug des Blattes in Bubenheimer, Gedenkblatt; ebd. benannte Bubenheimer auch die wissenschaftliche Vorgeschichte des Fundes, auf den er selbst keinen Anspruch erhob: „Ein erster Hinweis auf die Existenz unseres ‚Gedenkportraits‘ findet sich, allerdings mit falscher Fundortangabe, in: Köpfe der Lutherzeit, a. a. O.“ Bubenheimer rekurrierte damit auf Schuster, Karlstadt, S. 264, der 1983 in einem Hamburger Ausstellungskatalog auf ein „aus Anlaß seines Todes veröffentlichte[s …] Bildnis in einer Lyoner Bibel (Basel [sic; i. e. Bern], Stadt‑ und Universitätsbibliothek)“ verwiesen hatte. Ebenfalls nur die bildliche Darstellung druckte ab Bubenheimer, Karlstadt 1991, o. P. [zwischen S. 48 u. 49]. Ein vollständiger Abdruck erfolgte 2001 mit Bubenheimer, Karlstadt 2001, S. 19. 653 Dies ergibt sich aus den Angaben, Bubenheimer, Karlstadt 1988, S. 655. Wer sich die Mühe macht, die Signatur „Kgl. Bibl. Kopenhagen: 21.–245.–4°“ zu überprüfen, stößt auf drei Exemplare. Mir selbst gelang es nur, ein weiteres Exemplar in der BSB München (Sig. Rar. 4568) zu identifizieren, das (laut Bibliotheksauskunft vom 16. August 2012 durch Helga Tichy) 1987 vom Antiquariat „Hartung & Hartung“ erworben wurde. Im VD 16 war dieses Exemplar bis zu meinem Hinweis (am 8. August 2012) nicht berücksichtigt, was mit dem Erwerbungsdatum zusammenhängen dürfte. Das VD 16 verzeichnete den Karlstadtschen Kommentar unter den Augustindrucken und somit vor 1987. Bubenheimer selbst bot für einzelne der von ihm aufgefundenen Exemplare ansatzweise Beschreibungen oder Identifizierungen der Annotatoren, s. dazu Bubenheimer, Müntzer, S. 157, Anm. 81; S. 312 f. Für die Bedeutung der Vorlesung im Rahmen des Wittenberger Vorlesungsprogrammes s. ebd., S. 163, Anm. 114; S. 206 f. 654 Bubenheimer, Karlstadt 1988, S. 649, 656. 655 Ebd., S. 650. 656 Für den knappen Hinweis auf die betreffenden Exemplare s. ebd., S. 651. Weitere Hinweise bot Bubenheimer, Müntzer, S. 314, 316. 657 Bubenheimer, Karlstadt 1988, S. 656.
468
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Karlstadt annotierten, Barge bereits bekannten Band Taulerscher Predigten vermerkte Bubenheimer den gegenwärtigen Standort658, ohne zu erwähnen, daß er sich selbst schon einer inhaltlichen Erschließung angenommen hatte659. Auf einen neugefundenen Brief von 1522 verwies Bubenheimer kommentarlos660, bevor er ihn 13 Jahre später edierte661. So bescheiden Bubenheimer mit seinen eigenen Entdeckungen umging, so deutlich stellte er die Leistungen anderer ins Licht: Im Haupttext würdigte er Zorzins im selben Jahr gedruckte Identifikation des Taufdialogs662, im Quellenverzeichnis die Funde und Editionen durch Hasse und Pater663. Von Rabenaus Identifizierung von Fragmenten der „Loci tres“664 und der lateinischen Ausgabe des „Himmel‑ und Höllenwagen[s]“ hob Bubenheimer hervor, während sein eigenes Ergebnis, in dem illustrierten Einblattdruck das „erste […] gedruckte […] Bildflugblatt der reformatorischen Bewegung“665 erkannt zu haben, in der Folgezeit nicht mit seinem Namen verbunden wurde. Was die Gliederung und inhaltlichen Akzente des Artikels angeht, sind eigenständige Fortführungen früherer Arbeiten zu erkennen. Das Periodisierungskonzept der Monographie von 1977 spiegelt sich in den beiden ersten Punkten wider: „Vorreformatorische Laufbahn“ und „Reformatorische Anfänge“.666 In dem zweiten dieser Kapitel legte Bubenheimer – in Korrespondenz zu dem 1981 formulierten Ergebnis, persönliche und nicht nur theologische Aspekte einbeziehen zu müssen – darauf Wert, daß mit der Leipziger Disputation zwischen Karlstadt und Luther „kollegiale Rivalitäten deutlich sichtbar werden“667. Die beiden Folgepunkte „Wittenberger Bewegung 1521/22“ und „Der Dissident (1522–1529)“668 sind konsequente Zusammenfassungen der Ergebnisse von 1973, 1985 und 1987: Der Beginn des evangelischen Kirchenrechts und damit auch der Anfang des Dissidententums669 fallen in das Frühjahr des Jahres 1522. In der bündigen Schlußüberschrift „Der reformierte Reformator (1529–1541)“670 verbinden sich die beiden Anliegen von 1977 miteinander: Karlstadt in der Einheit seines reformatorischen Gesamtwerkes zu betonen und ihn nicht ausschließlich, aber zusätzlich in der Geschichte des reformierten Protestantismus zu inter658
Ebd. dazu Hasse, Tauler, S. [23], Anm. 2. Bei Bubenheimer selbst s. dazu im Folgejahr des Artikels Bubenheimer, Müntzer, S. 185, Anm. 236; S. 234. Zu dem Band s. ebd., S. 319. 660 Bubenheimer, Karlstadt 1988, S. 656. 661 Bubenheimer, Karlstadt 2001, S. 25–28. 662 Bubenheimer, Karlstadt 1988, S. 652, im Literaturverzeichnis s. ebd., S. 657. 663 Ebd., S. 656. 664 Ebd., S. 655. 665 Ebd., S. 650. 666 Ebd., S. 649. 667 Ebd., S. 650. Für das Jahr 1981 s. oben Anm. 643. 668 Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, S. 651. 669 Eine persönliche Reflexion auf den Begriff und die Bedeutung politischer sowie religiöser „Dissidenten“ bietet Bubenheimer, Rundgespräch, S. 142. 670 Bubenheimer, Karlstadt 1988, S. 653. 659 S.
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
469
pretieren. Einen bislang einzigartigen Interpretationsversuch unternahm ein knapper Exkurs, der „übergreifende systematische Strukturen“ von Karlstadts „Denken“ am Beispiel der Bilderthematik aufzuzeigen suchte: Einheit und Geschlossenheit der Gesamtentwicklung wurden nicht nur für die reformatorische und – ausweislich der „Axiomata“ von 1535 – darin auch für die Schweizer Zeit demonstriert; der Rückgriff auf „De intentionibus“ von 1507 bezog selbst die scholastische Phase unter den Aspekt der Kontinuität mit ein.671 Nicht weniger bahnbrechend sind Bubenheimers Ausführungen zu den untergründigen „Nachwirkungen“ Karlstadts in der Geschichte des Pietismus seit 1618, als mystische Texte Karlstadts ohne das Wissen um dessen Autorschaft rezipiert zu werden begannen.672 Zehn Jahre später ging Bubenheimer dem Thema selbst nach und lieferte die bis heute substantiellste Studie zur Wirkungsgeschichte Karlstadts im 17. Jahrhundert673, nachdem er bereits 1977 punktuelle außertheologische Rezeptionsvorgänge für das 16. Jahrhundert674 und 1989 einen ansatzweisen reformatorischen Anschluß an Karlstadt in Braunschweig angedeutet hatte675. Sein lebens‑ und werkgeschichtliches Folgeportrait veröffentlichte Bubenheimer 1991 in den „Fränkische[n] Lebensbilder[n]“. Es ist narrativer gestaltet und verzichtet auf Einzelüberschriften, erinnert im Gesamtaufbau aber an den Lexikonartikel von 1988. Gegenüber diesem zeichnet es sich durch größere Ausführlichkeit und Aktualisierungen im Detail676 aus. Dazu gehören die bibliographischen „Ergänzungen“ und „Ergänzungen zum Briefwechsel“ im knappen nachgestellten „Literatur“-Teil.677 Auf nicht weniger als fünf Einzeleditionen und eine archivalische Neuentdeckung durch Hasse sowie ein selbst gefundenes Stück konnte er verweisen.678 Zugleich öffnete Bubenheimer sein Gesamtbild dem Konzept eines „Kryptodissidentismus“679. Das Phänomen einer „äußeren Anpassung“ und „inneren Emigration“ hatte Bubenheimer schon 1988 geschildert und in Teilen für Karlstadt, in Teilen für dessen Anhänger vorausgesetzt.680 1991 führte es Bubenheimer unter direktem Bezug auf Karlstadt breiter aus. Seitdem wurde 671 Ebd.,
S. 654. S. 655. 673 Bubenheimer, Karlstadtrezeption 1997 und 1998. 674 S. hierfür die literarische Auseinandersetzung Ulrich Zasius’ mit Karlstadt bei Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 134. 675 Bubenheimer, Müntzer, S. 122 f. Für das Interesse des Orlamünder Glitsch an Karlstadts Publizistik s. ebd., S. 178 f. 676 Vgl. dazu etwa die quantitativen Daten zur Publizistik Karlstadts bei Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, S. 654, und Bubenheimer, Karlstadt 1991, S. 61. Zwischen den beiden Beiträgen liegt klar die Veröffentlichung von Zorzin, Karlstadt. 677 Für die „Literatur“ s. Bubenheimer, Karlstadt 1991, S. 63 f., für die benannten Ergänzungen ebd., S. 64. 678 Ebd., S. 64. 679 Ebd., S. 62. 680 Bubenheimer, Karlstadt 1988, S. 655. Daß sich Bubenheimer mit dem Phänomen auch persönlich auseinandergesetzt hat und beschäftigt, dokumentieren die Ausführungen von Bubenheimer, Rundgespräch, S. 142. 672 Ebd.,
470
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
der Begriff verschiedentlich und, wenn ich richtig sehe, zuerst von Berndt Hamm 1993 für allgemeine Strukturkonstanten der Devianz rezipiert.681 Im selben Jahr erprobte Bubenheimer für das 17. Jahrhundert auch die Begriffsvariante einer „Kryptoheterodoxie“.682 1995 bot er eine präzise Definition und sah das Phänomen „im Jahrhundert nach der Reformation sowohl als Teil der Orthodoxie als auch der Heterodoxie“.683 2009 wurde von Günter Mühlpfordt und Ulman Weiß mit einem Sammelband das Phänomen eines „Kryptoradikalismus“ sondiert. Die Formulierung findet sich in der Überschrift des betreffenden Beitrages von Bubenheimer, nicht aber in dem Aufsatz, der Luthers „Selbstbewußtsein“ in den Invocavitpredigten als „ein[en] erste[n …] Schritt zur Entstehung einer lutherischen Orthodoxie“ interpretiert684 und Karlstadt zunächst, „1522/23[,] in d[er …] Rolle eines Kryptodissidenten“685 sieht, bevor er mit seinen Veröffentlichungen ab 1524 „zu einem der zeitweise einflußreichsten offenen frühen Dissidenten im Raum der entstehenden lutherischen Kirche“ wurde. An der Schwelle zu einer neuen Phase der biographischen Studien mag Bubenheimers jüngste lexikalische Kleindarstellung stehen. 1996 rückte er in den Eröffnungsband der „Oxford Encyclopedia of the Reformation“ einen Kurzbeitrag zu Karlstadt ein. Die Vorstellung als „German theologian and radical reformer“686 markiert insofern einen neuen Akzent in Bubenheimers Karlstadt-Studien, als sie an Williams’ Ansatz der „radical reformation“ anschließt, was aber auch editorischen Anliegen oder der Berücksichtigung spezifischer Adressatenkreise geschuldet sein mag. Inhaltlich bewegt sich der kurze Artikel in der Nähe zum Beitrag der „Theologische[n] Realenzyklopädie“. In der gedrängten Gestalt des Kleinformates lassen sich einzelne Züge, die in dem Artikel von 1988 bereits angelegt waren, gleichwohl deutlicher erkennen: Für die Phase zwischen Wittenberg und der Schweiz betonte Bubenheimer nun den Übergangscharakter687 und 681 Die Belege, die ich finde, belaufen sich – in chronologischer Anordnung – auf: Hamm, Spengler, S. 167 (2004 [Erstdruck 1993], ohne Bezug auf Bubenheimer und in der Begriffsschöpfung somit auch unabhängig von diesem in Betracht zu ziehen); Geyer, Arndt, S. 57 (2001 mit Bezug auf Bubenheimer); Chudaska, Riedemann, S. 88, Anm. 42 (2003 im Anschluß an Hamm); Gritschke, Lebenswelten, S. 240 (2006 im Anschluß an Bubenheimer). 682 Für eine ausdrückliche Begriffsreflexion und Relationierung der beiden Formulierungsvorschläge s. Bubenheimer, Kryptoheterodoxie 1987, S. 314 f. Ferner: ebd., S. 334. In größerer Nähe zu dem etablierten Begriffspaar Orthodoxie und Heterodoxie bewegte sich 1993 der Beitrag Bubenheimer, Herrenberg. Bereits titelgebend brachte Bubenheimer die Überlegung ein, heterodoxe und kirchenferne Aspekte als Ausdruck „nebenkirchlicher Frömmigkeit“ zu interpretieren. Diesen Ansatz führte weiter: Bubenheimer, Schickard, begrifflich s. ebd., S. 92. 683 Bubenheimer, Kryptoheterodoxie 1995, S. [257]. 684 Bubenheimer, Invocavitpredigten, S. 35. 685 Dieses und das nachfolgende Zitat s. ebd., S. 37. 686 Bubenheimer, Art. Karlstadt 1996, S. 178. 687 Ebd., S. 179: „Karlstadt temporarily rejected an academic career. […] A spiritualistic doctrine of revelation, which had long been implicit in Karlstadt’s theology, is most explicitly expressed […]. Here [in Orlamünde] he was able, at least provisionally, to realize his model of a communal reformation“. Vgl. dazu Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, S. 652: „Diese Haltung
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
471
stärkte somit die Gesamtperspektive auf Karlstadts reformatorische Theologie in ihren Kontinuitäten. Ein neues, dem Publikationsformat geschuldetes Element sind Bubenheimers Kommentare zu der knappen Auswahlbibliographie. Diese deuten Revisionsbedarf für Barges Biographie, dessen zusammen mit Freys vorgelegtes Druckverzeichnis und einen Teil der von dort durch Zorzin übernommenen Informationen an.688 Aufschlußreich ist eine forschungspositionelle Situationseinschätzung, die sich in der Kurzcharakteristik von Siders Monographie findet: „In comparison with the image of Karlstadt in Lutheran scholarship, the theological differences between Luther and Karlstadt are minimized. Current research is seeking to mediate between the two positions.“689 Bubenheimer wiederholte damit 1996, was für seine Beiträge der Jahre 1980 und 1981 als ein zentrales Anliegen herausgearbeitet worden war690 und bereits in der Abgabefassung von 1971 als Aufgabe angelegt war: zu einer historiographisch angemessenen Verhältnisbestimmung von Karlstadt und Luther beizutragen. 2.4.6. Das Verhältnis von Karlstadt und Luther als Forschungsaufgabe Abschließend gilt es diesem Themenkomplex im Werk von Bubenheimer nachzugehen. Am ausführlichsten wird er in der Monographie von 1977 behandelt. Es wurde bereits festgestellt, daß Bubenheimer 1971 für den Obermanschen Ansatz einer personellen Öffnung der klassischen Konfrontation zwischen Karlstadt und Luther eintrat, um eine gemeinsame Identität innerhalb eines „Wittenberger Kreis[es]“ zu rekonstruieren.691 1977 unternahm Bubenheimer mit Melanchthon eine exemplarische Ausweitung von komparativen Perspektiven auf theologische Einzelfragen. 1973 hatte er gerade für die Profilierung von Melanchthon und Karlstadt innerhalb der Wittenberger Bewegung wichtige Ergebnisse vorgelegt.692 Die in der Monographie 1977 abschließend gebotenen „Ergebnisse und Aufgaben“ reflektieren den Problemzusammenhang programmatisch und prospektiv. Für das „Verhältnis Karlstadts zu Luther in den Anfangsjahren der Reformation“ führt zu einer zeitweiligen Absage Karlstadts an die eigene akademische Karriere. […] Eine von Tauler her genährte spiritualistische Offenbarungslehre, die Karlstadt […] in den Publikationen lange verdeckt, kommt am offensten zum Ausdruck […]. […] Dort [in Orlamünde] kann er nun sein Reformmodell vorübergehend ungehindert durchführen.“ 688 Bubenheimer, Art. Karlstadt 1996, S. 180. 689 Ebd. Zum Kontext s. oben Anm. 572. In dieser Hinsicht scheint mir Strübind Bubenheimer grundlegend mißzuverstehen, wenn sie feststellt, Strübind, Schweiz, S. 209 f.: „Bubenheimer dagegen sieht, im Konsens mit neueren Forschungsergebnissen, in der unterschiedlichen Reformstrategie den eigentlichen Grund für die Auseinandersetzung. Die Fragen des Zeitpunktes, der Form und der Autorität, die das ius reformandi besaß, waren zwischen Karlstadt und Luther umstritten.“ 690 S. dazu oben Anm. 643–646. 691 S. oben Anm. 520 f. 692 S. oben Anm. 574.
472
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
regte Bubenheimer einen detaillierten Vergleich „auf anderen Themengebieten [an …], insbesondere bei den anthropologischen und soteriologischen Fragen, wo das Material besonders reichhaltig ist.“693 Zugleich trat Bubenheimer dafür ein, den Fokus keineswegs auf Wittenberg zu beschränken: „Daneben müßte das Besondere von Karlstadts Theologie durch Vergleiche mit anderen Reformatoren – nicht nur mit Luther – herausgearbeitet werden. Von unseren Beobachtungen her drängen sich Vergleiche mit Melanchthon, Zwingli und Calvin auf. Im reformierten Protestantismus hat Karlstadt möglicherweise stärker gewirkt, als bislang bemerkt wurde.“694
Das Obermansche Programm hatte Bubenheimer damit ebenso aufgenommen wie überwunden: Vor das mikrohistorische Okular konnten Karlstadt und Luther, aber auch andere Wittenberger und näher verbundene Personen treten. Die Makroperspektive holte den Blick auf die Reformation im ganzen ein, wobei auffällig ist, wie reserviert Bubenheimer gegenüber oberdeutschen Bezügen verblieb. Grundsätzlich votierte Bubenheimer für einen von theologischen Einzelfragen ausgehenden Vergleich, der sich thematisch und personell wie ein Fächer öffnen konnte. Für seine eigenen Studien zur Wittenberger Bewegung wählte er Einzelbegriffe (wie „Ärgernis“ oder „Aufruhr“) aus, die es ihm erlaubten, theologische Deutungen in ihrem unmittelbaren Praxisbezug vergleichend zu konturieren. Nicht um einen theologiegeschichtlichen Ansatz ging es ihm somit in den 1977 formulierten Anliegen, sondern um eine Rekonstruktion wirkungs‑ und ereignisgeschichtlicher Dynamiken in ihren personellen, theologischen und politischen Interdependenzen. Für einen Teilbereich davon – die konstitutive Verbindung personenbezogener und theologischer Deutungsmuster – traten Bubenheimers Beiträge im Jubiläumsjahr 1980 ein. Im Folgejahrzehnt unternahm Bubenheimer intensive Forschungen zu Thomas Müntzer. Aus der Frage nach dessen Wittenberger Studium ergaben sich Neuakzentuierungen von Luthers und Karlstadts Bedeutung für die theologische Fakultät. Aufgrund vergleichender Erhebungen folgerte Bubenheimer 1989: „Luther und Bodenstein waren damals die wichtigsten Dozenten der theologischen Fakultät.“695 Zugleich erkannte Bubenheimer im Vorlesungsprofil mehrerer Dozenten, zu denen Karlstadt gehörte, zeitgleiche Bemühungen um Kirchenväter-Auslegungen im Wittenberger Lehrbetrieb.696 Wiederum im Anschluß an Oberman interpretierte Bubenheimer dies als einen „von mehreren 693
Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 285. Ebd., S. 287. 695 Bubenheimer, Müntzer, S. 232. Der Vergleich zwischen den beiden bestimmt auch die Einordnung Müntzers, ebd., S. 234: „Nach meinem Eindruck, der hier vorläufig nur als These mitgeteilt werden kann, war der wichtigste Lehrer für Müntzer nicht Luther, sondern Bodenstein.“ Ebd., S. 235: „Der eigentliche Freund Müntzers aber im Wittenberger Kollegium wurde Andreas Bodenstein.“ 696 Ebd., S. 233. 694
2. Die Karlstadt-Forschung zwischen Sider und Bubenheimer
473
Kollegen getragenen[n …] Prozeß“ einer „Entfaltung der Wittenberger ‚Universitätstheologie‘“.697 Die Spezifik von Karlstadts Augustin-Kommentierung hatte Bubenheimer bereits 1979 in seinem Artikel zum „Augustinismus in der Reformationszeit“ in der „Theologische[n] Realenzyklopädie“ bedacht. Darin hob Bubenheimer auf die Methode der Texterschließung ab, in der Karlstadt kursorisch, Luther eklektisch vorgegangen sei, weshalb wohl auch Karlstadt „dem historischen Augustin wesentlich näher kommt als Luther“698. Von dem „historischen Augustin“ entfernten jedoch auch Karlstadt „verschiedene, teilweise gegeneinander wirkende Traditionen“699, die Bubenheimer 1989 präziser bestimmen konnte700. Wichtig an dem gesamten Themenfeld der KirchenväterRezeption ist, daß Bubenheimer es ebenfalls für die Verhältnisbestimmung zwischen Luther und Karlstadt fruchtbar zu machen suchte. Aus Bubenheimers Forschungen ergibt sich eine Vielzahl möglicher Anschlußarbeiten. Bubenheimer selbst formulierte in seiner Monographie von 1977 vier Perspektiven. Wirkungsmächtig am Ende seines Buches erinnerte er vorrangig an die Dringlichkeit weiterer lebens‑ und werkgeschichtlicher Studien.701 In dem geschilderten umfassenden Rahmen forderte er sodann eine historiographisch angemessene Verhältnisbestimmung von Karlstadt und Luther, die faktisch auf eine differenzierte Kontextualisierung Karlstadts innerhalb seiner eigenen und der ihm geltenden Rezeptionsvorgänge hinauslief. Drittens deutete er 1971 in seinem Schlußabschnitt und 1977 in einer Anmerkung des Hauptteils an, daß die „lex divina“ „eine[r] eigene[n] begriffsgeschichtliche[n] Studie“702 bedürfe, um die Spezifik von Karlstadts gesetzlichem Schriftverständnis zu konturieren. Viertens und letztens ergänzte er 1977 seine eigene Rekonstruktion einzelner 697 Ebd.,
S. 234. Bubenheimer, Art. Augustinismus, S. 720. Zu Luthers Auseinandersetzung mit Augustin vgl. differenziert ebd., S. 719 f. Prägnant formuliert Bubenheimer ebd., S. 720: „Augustin wird ganz von Luthers eigener Theologie und seinem Paulusverständnis her annektiert (Grane: FS Fuchs 139). Luther selbst war sich in seiner Frühzeit kaum der tatsächlichen Unterschiede zwischen seiner Theologie und derjenigen Augustins bewußt. Der Distanz zu Augustin gibt er erst in späteren Äußerungen (etwa ab 1527) Ausdruck, wobei dann auch der Paulinismus Augustins nur mit Einschränkungen zugestanden wird. Faktisch stand jedoch die Autorität Augustins schon vorher in der Krise.“ 699 Ebd., S. 720. 700 Bubenheimer, Müntzer, S. 234: „Neben und gleichzeitig mit Augustin rezipierte er intensiv Bernhard und Tauler; daneben tauchten Giovanni Pico della Mirandola und kabbalistische Interessen in seiner Lehrtätigkeit auf.“ 701 S. dazu oben Anm. 609. 702 Dies ist der Wortlaut von Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 172, Anm. 46. In der Abgabefassung begegnet dieser Hinweis in den abschließenden „Ergebnisse[n] und Aufgaben“, Bubenheimer, Karlstadt 1971, S. 245: „Es wird weiterer Forschungen bedürfen, um im einzelnen zu zeigen, inwieweit Karlstadts theologisches Denken von seinem juristischen Denken auch dort beeinflußt ist, wo er es nicht selbst sagt. […] Ein wichtiges der Klärung bedürftiges Problem ist die Frage, wieweit das bei Karlstadt zentrale Theologumenon der lex divina juristische Strukturen enthält. Diese Frage stellt sich erst jetzt, nachdem nachgewiesen ist, daß Karlstadt unter Absehung von seinem juristischen Gedankengut nicht angemessen interpretiert werden kann.“ 698
474
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
hermeneutischer Prinzipien von Karlstadt um eine Anmerkung: „Eine monographische – sowohl entwicklungsgeschichtliche wie systematische – Untersuchung von Karlstadts Hermeneutik wäre […] dringend wünschenswert.“703 Der Aufgabenformulierung mag man zustimmen, beschäftigen sich juristische und theologische Disziplinen in verwandter Weise mit gesetzliche Normativität hinterfragenden Interpretationen „schriftlich fixierter Lebensäußerungen“704. Zugleich könnte sich in dem Vorschlag abzeichnen, daß Bubenheimer Impulse der Luther-Forschung aufnahm, wie sie Gerhard Ebeling seit seiner Zürcher Dissertation verfolgte und während der siebziger Jahre enzyklopädisch aktualisierte.705 Im ganzen illustrieren die benannten Perspektiven, wie sich der zwischen 1971 und 1977 programmatisch gesuchte Neubeginn einer jüngeren und unparteiischen Karlstadt-Forschung706 im fachlichen Austausch mit und in thematischer Unabhängigkeit von den maßgeblichen Beiträgen der LutherForschung zu formieren begann.
703 Bubenheimer,
Karlstadt 1977, S. 130. Welt, S. 333. 705 Bubenheimer bezog sich für seinen Vergleich mit Luther nicht etwa auf Ebeling, Evangelienauslegung, sondern auf dessen kürzeren Folgebeitrag „Die Anfänge von Luthers Hermeneutik“, s. dazu Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 307, sowie, hier einschlägig, ebd., S. 130, Anm. 237. Für Ebelings Aktualisierung während der siebziger Jahre ist einschlägig Ebeling, Studium. Der enzyklopädische Ansatz einer hermeneutischen Grundierung sämtlicher theologischer Einzeldisziplinen war schon 1947 enthalten in Ebeling, Auslegung, S. 12, und 1950 in Ebeling, Methode, S. 45–49. 706 Zu der Ableitung dieser Formulierung s. oben Anm. 643. 704 Dilthey,
3. Siders und Bubenheimers Arbeiten als Ausgangspunkte der neueren Forschung Auf drei Ebenen wird abschließend darzulegen sein, daß die Arbeiten von Sider und Bubenheimer als zentraler Einschnitt der jüngeren Forschungsgeschichte wahrgenommen wurden. In den zeitgenössischen Rezensionen deutet sich eine entsprechende Einschätzung an, die aber in Teilen situativ relativiert werden muß. Bedeutender ist demgegenüber das Urteil eines Rezensenten, der zum Autor der Folgeuntersuchung werden sollte. Spätestens in seinem Votum vollzog sich eine Verschmelzung der Arbeiten von Sider und Bubenheimer. In unterschiedlichen Akzentuierungen bewegen sich die Bezugnahmen der anschließenden Dissertationen, die ihre Ausgangspunkte zwischen Sider und Bubenheimer finden.
3.1. Reaktionen von Rezensenten (1978–1981) Daß Sider und Bubenheimer in einem Zusammenhang wahrgenommen wurden, hatte auch mit äußerlichen Gründen zu tun. Als die Rezensionen zu Bubenheimers Buch erschienen, war Sider die letzte große Monographie, an der es die Neuerscheinung zu bemessen galt.707 James M. Stayer war es ein Anliegen, auch nach Bubenheimer den bleibenden Wert der Arbeiten von Sider und Preus zu betonen: „Bubenheimer adds to, but does not challenge, the conclusions of James S. Preus […] and Ronald J. Sider“.708 Zugleich stand für Stayer außer Frage, daß sich gerade ein Neubeginn der Karlstadt-Forschung zu vollziehen begann: „The book is a piece of fine scholarship, adding new touches to an emerging reinterpretation of Carlstadt which remains incomplete.“709 Auch Kurt-Victor Selge leitete aus dem „Untersuchungs‑ und Pioniercharakter der Arbeit“ von Bubenheimer „das Bedürfnis nach einem neuen ‚Karlstadt‘ im Zusammenhang“ ab.710 707 In diesem Sinn dürfte auch die ansonsten etwas eklektische Einordnung von Ooserbaan, Rez. Bubenheimer, S. 123, zu verstehen sein: „Het is daarom bijzonder verheugend dat na den werken van Barge (1905), Kriechbaum (1967) en Sider (1974), nu deze gedegen monographie van Bubenheimer verschenen is“. 708 Stayer, Rez. Bubenheimer, S. 54. 709 Ebd., S. 55. 710 Selge, Rez. Bubenheimer, S. 372: „Überhaupt aber erwächst aus der Dissertation, die im einzelnen vor allem für die Jahre 1515–1520 eine Fülle an Klärungen und Anregungen bietet
476
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Selge wurde der erste, der Bubenheimer indirekt zu einer neuerlichen KarlstadtBiographie auffordern sollte. Von Bedeutung war den Rezensenten die methodische Güte von Bubenheimers Arbeit711, die auch an Siders Studie gewürdigt worden war. Während manche Leser in Bubenheimers Rekonstruktion eine nachträgliche Bestätigung für Luthers Legalismus-Vorwurf erblicken wollten712, erkannten andere, daß die Monographie keineswegs nur Karlstadt oder dessen Verhältnis zu Luther galt, sondern einen grundlegenden Beitrag zur Geschichte der frühen Reformation darstellte713.
3.2. Das Urteil des Folgeautors – Calvin Augustine Pater (1981/1984) Unter den Rezensenten befand sich auch der Mann, der die nächste KarlstadtMonographie vorlegen sollte. 1977, im Erscheinungsjahr von Bubenheimers Buch, reichte Calvin Augustine Pater seine Dissertation zu Karlstadt in Harvard ein.714 Pater war unabhängig von Sider und Bubenheimer zu seiner Auseinandersetzung mit Karlstadt gelangt. Bereits 1968 hatte er seine theologische und eine für einen evangelischen Theologen absolut außergewöhnliche und erstklassige Vertrautheit mit dem kirchenrechtlichen Material des Spätmittelalters beweist, das Bedürfnis nach einem neuen ‚Karlstadt‘ im Zusammenhang. Denn der Untersuchungs‑ und Pioniercharakter der Arbeit führt auch zu manchen Ungleichgewichten der Darstellung […]. Und der Mann wird einem reicher, aber auch rätselhafter. Im Grunde erscheint er doch als ein von Luther Überholter und aus der Bahn geworfener, etwas eklektisch Suchender. Daß Zürich und Basel dem einstigen Scholastiker, dann auch Juristen, dann von der Lutherbewegung Mitgerissenen und sie Mittreibenden, dann Beiseitegeschobenen, endlich eine reformatorisch-humanistisch-akademische Stätte des Bleibens boten, mutet versöhnlich an.“ 711 Georg May hielt dazu etwa fest, May, Rez. Bubenheimer, S. 77: „Die Untersuchung ist sorgfältig und umsichtig gearbeitet. B[ubenheimer]’ übernimmt nichts ungeprüft. Auf diese Weise führt seine Untersuchung erheblich weiter als frühere. Das Buch ist sachlich geschrieben, in den Einzelheiten zuverlässig, in der Durchdringung der Materie beispielhaft. Die Literatur ist umfassend verwertet“. 712 Junghans, Rez. Bubenheimer, S. 139: „Die vorliegende Arbeit will Karlstadt nicht nur von seinen juristischen Neigungen her verstehen. Sie läßt aber ins Bewußtsein treten, daß diese Seite auch nicht übersehen werden darf und daß Luther in seinen ‚Invocavitpredigten‘ tatsächlich den zentralen Gegensatz zum Verständnis des wiederentdeckten Evangeliums aufgriff.“ Vorsichtiger formulierte Herzog, Rez. Bubenheimer, S. 340: „Of particular interest to scholars of Luther is the analysis of some differences between Luther and Karlstadt, differences which could have had their origin in Karlstadt’s legalistic understanding of authority.“ 713 Vgl. dazu oben Moeller in Anm. 569. In eine vergleichbare Richtung geht auch Anon., Rez. Bubenheimer, S. 398: „Creemos que el trabajo de Bubenheimer aporta mucha luz sobre particularidades de la Reforma, tanto en el orden biográfico como doctrinal, que hasta ahora son muy imperfectamente conocidas.“ 714 Pater, Karlstadt, S. [xiii] („Acknowledgments“); die Jahresangabe s. im digitalen Katalog der Harvard Library unter http://hollis.harvard.edu/?itemid=|library/m/aleph|000760663 (Zugriffsdatum: 29. Oktober 2013).
3. Siders und Bubenheimers Arbeiten als Ausgangspunkte der neueren Forschung
477
Masterarbeit über Karlstadt geschrieben.715 1981 rezensierte Pater die Monographie Bubenheimers. Die Anzeige liegt drei Jahre vor der Veröffentlichung der eigenen Arbeit und steht in einem gewissen zeitlichen Abstand zu den beiden letzten Neuerscheinungen. Der Wert von Bubenheimers Studie war für Pater eindeutig: „Bubenheimer’s doctoral dissertation is a definite breakthrough in the study of Karlstadt“.716 Zugleich nahm er mehr als jeder andere wahr, wie gut sich die beiden letzten Arbeiten nicht nur thetisch und methodisch, sondern auch chronologisch ergänzten: „Sider stresses areas of consensus with Luther, and, unlike Bubenheimer, he has covered Karlstadt’s stay in Orlamünde. On the other hand, Sider stops short of Karlstadt’s Swiss phase, which Bubenheimer has treated. Thus the two works are basically complementary. Moreover, in areas of overlap there emerges a rather impressive consensus. […] Bubenheimer has offered a valuable confirmation, supplement, and corrective to the similarly worthy work of Sider.“717
Sehr vorsichtig unternahm es Pater, sein eigenes Thema anzukündigen. Nicht hinreichend berücksichtigt fand er bei beiden Autoren die Wirkungsgeschichte von Karlstadt718, zu deren Überprüfung in reformierten Traditionen Bubenheimer angeregt hatte719. Paters eigene, drei Jahre später gebotene Antwort galt dem Täufertum. Sein schließlicher Obertitel: „Karlstadt as the Father of the Baptist Movements“ mochte wie ein Paukenschlag wirken, während der Untertitel „The Emergence of Lay Protestantism“720 zumindest noch einen Nachhall auf Barges zweiten Band bot, der „Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus“ gegolten hatte. 1984 hob Pater nochmals die Verbindungen zwischen Sider und Bubenheimer hervor: „To many of the traditional questions, as well as to the controversy provoked by Barge, Bubenheimer and Sider have given mutually confirming answers. […] The areas of consensus between Bubenheimer and Sider are even more impressive when one considers that the original research for Bubenheimer’s work […] had been done concurrently.“721
Zugleich suchte sich Pater von beiden abzugrenzen:
715 S. dazu die bibliographische Aufnahme im digitalen Katalog der Harvard Library unter http://hollis.harvard.edu/?itemid=|library/m/aleph|001474484 (Zugriffsdatum: 29. Oktober 2013). Zugleich stellte Sider seine eigenen Materialien für Paters Dissertation zur Verfügung, s. Pater, Karlstadt, S. [xiii] („Acknowledgments“). 716 Pater, Rez. Bubenheimer, S. 124. 717 Ebd., S. 125. 718 Ebd.: „Nevertheless, questions of result and effect are equally valid. Despite the accomplishment of Bubenheimer and Sider one may still wonder whether Karlstadt had a lasting impact.“ 719 Ebd.: „Thus Bubenheimer regards Karlstadt as the original forerunner of Reformed Protestantism.“ 720 Vgl. dazu Pater, Karlstadt. 721 Ebd., S. 8.
478
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
„Sider has examined Karlstadt’s relationship to Luther, stressing areas of consensus: I now wish to persue Karlstadt’s peculiarities and original contributions. Bubenheimer has been very helpful in raising the issue of the context and roots of Karlstadt’s outlook: I now wish to consider Karlstadt’s impact on the reformation.“722
Diese Selbsteinschätzung Paters, auf dessen Arbeit in der nachfolgenden „Standortbestimmung“ nochmals einzugehen ist, nahmen einzelne Rezensenten auf. Sehr genau datierte besonders Klaus Deppermann die mit Sider und Bubenheimer einsetzende neuerliche Wahrnehmung von Karlstadts „Bedeutung […] für die frühe Reformationszeit“ in die Mitte der siebziger Jahre.723 Auch HansJürgen Goertz sah im Rückblick des Jahres 2002 „[e]rst mit den Untersuchungen Ronald J. Siders (1974), Ulrich Bubenheimers (1977), Calvin A. Paters (1984), Hans-Peter Hasses (1993) und Jens-Martin Kruses (2002)“ die Karlstadt-Forschung aus „dem Schatten des großen Reformators in Wittenberg“ heraustreten.724 So selektiv diese Zusammenstellung ist, deutet sich in der Auswahl doch vor allem ein Anfang der neueren Entwicklungen mit Sider und Bubenheimer an.
3.3. Die Hauptlinien der Folgedissertationen Nach Pater erschienen sechs Dissertationen, die Karlstadt thematisch in den Mittelpunkt rückten. Diese Arbeiten werden in drei Zweiergruppen kurz benannt und auf ihre forschungspositionellen Bezüge zu Bubenheimer und Sider befragt. 3.3.1. Armin Krause (1984/1990) und Volkmar Joestel (1991/1996) Die sprachwissenschaftliche Dissertation von Armin Krause wurde 1984 abgeschlossen, im Folgejahr angenommen und 1990 gedruckt.725 Mit den zeitgenössischen Entstehungsbedingungen an der Karl-Marx-Universität Leipzig mochte zusammenhängen, daß Krauses Abgabefassung „Zur Sprache Karlstadts“ keinen Beitrag von Bubenheimer kannte oder rezipierte. Die Linie der theologischen Arbeiten führte Krause von Hertzsch über Kähler und Kriechbaum zu Sider.726 Diese Forschungstradition galt Krause als Ausweis für eine falsche Perspektive auf Karlstadt, die Barge, „[a]uf dem Boden einer bürgerlich-individualistischen 722 Ebd.
723 S. dazu Deppermann, Rez. Pater, S. 107: „Seit etwa 10 Jahren [scil. seit 1975] hat die kirchengeschichtliche Forschung in zunehmendem Maße die Bedeutung Andreas Karlstadts für die frühe Reformationszeit erkannt und gewürdigt. Nach den Werken von Ronald Sider […] und Ulrich Bubenheimer […] stellt die Studie von Calvin A. Pater den dritten großen Beitrag dar, der die geschichtliche Leistung des lange verkannten und unterschätzten Mannes verdeutlicht, und zwar im Hinblick auf die Wirkung, die Karlstadt auf das europäische Täufertum ausübte.“ 724 Goertz, Rez. Bubenheimer / Oehmig, S. 193. 725 Kontextualisiert und gewürdigt wurde diese Arbeit von Zorzin, Karlstadt, S. 13. 726 Krause, Sprache 1984, S. 22. Die nachfolgenden Zitate finden sich ebd.
3. Siders und Bubenheimers Arbeiten als Ausgangspunkte der neueren Forschung
479
Geschichtsauffassung stehend,“ begründet habe. Letztlich kritisierte Krause die Ablösung einer theoriefixierten Geschichtsschau von der lebensweltlichen Praxis, wenn die Forschenden von Barge bis Sider „Karlstadt wiederum nur an Luther messen, sein reformatorisches Wirken losgelöst von Karlstadts soziologischem Hintergrund betrachten und deshalb z. B. die Diskrepanzen zwischen Luther und Karlstadt in kirchenpraktischen Fragen allein auf theologische Gegensätze reduzieren.“
In die Reihe derer, die „[d]en Versuch [unternahmen], Karlstadt in seiner sozialen Determination zu erfassen und zu werten“, nahm Krause 1990 Bubenheimer auf, nachdem er dessen Arbeiten bis 1981 einbezogen hatte.727 Eine ähnliche Kritik an Siders Monographie und eine vergleichbare Wertschätzung der Arbeiten von Bubenheimer findet sich in der Dissertation von Volkmar Joestel, die 1991 in Leipzig angenommen und 1996 unter dem Titel „Ostthüringen und Karlstadt“ gedruckt wurde.728 Joestel griff den 1978 von Bräuer und seinem Doktorvater Siegfried Hoyer729 vorgebrachten Einwand auf, Sider konzentriere sich nur auf die theologische und intellektuelle Entwicklung Karlstadts. Joestel ordnete Karlstadt demgegenüber in einer archivalisch minutiösen Untersuchung „sowohl der sozialen als auch der religiösen und kirchlichen Bedingungen und Vorgänge im ostthüringischen Wirkungsbereich Karlstadts in den Jahren 1522 bis 1524“730 ein. Wie es Bubenheimer 1987 für Wittenberg versucht hatte, schloß nun Joestel für Orlamünde an Blickles Kommunalismus-Konzept an731. Im Unterschied zu einer städtischen Reformation schilderte er hingegen das Beispiel einer „bäuerliche[n] Reformation“732. Für die „persönliche Dimension“ von Karlstadts Wechsel nach Orlamünde verwies Joestel auf Bubenheimers psychohistorische Deutung des Verhältnisses zwischen Karlstadt und Luther.733 Zum primären Akteur der Orlamünder Vorgänge wurde „die Gemeinde“, deren Anliegen Karlstadt moderat und bedacht vertreten habe.734 3.3.2. Alejandro Zorzin (1989/1990) und Hans-Peter Hasse (1990/1993) Wenn es zwei Karlstadt-Forscher gibt, die gemeinsam von Bubenheimer lernten und sich in ihren Arbeiten aufs vorzüglichste ergänzen, sind es Alejandro Zorzin und Hans-Peter Hasse.735 727 Für
das Zitat s. Krause, Sprache 1990, S. 33; zur Literatur s. ebd., S. 301. Entstehung der Arbeit s. Joestel, Thüringen, S. 7. 729 Für beides s. ebd., S. 8. 730 Ebd., S. 8 f. 731 Knapp dazu s. ebd., S. 10. 732 Ebd., S. 11. 733 Ebd., S. 82 mit Anm. 402. 734 Ebd., S. 84. 735 Zu den fachlichen Bezügen vgl. auch die Danksagungen in Zorzin, Karlstadt, S. 5 („Vorwort“), und Hasse, Karlstadt, Karlstadt, S. 11 („Vorwort“). 728 Zur
480
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Zorzin wurde 1989 mit einer von Moeller betreuten und 1990 gedruckten Arbeit über „Karlstadt als Flugschriftenautor“ in Göttingen promoviert.736 Das „Vorwort“ deutet an, daß Zorzin „im Zusammenhang mit seinen Verbindungen zu Müntzer“ auf Karlstadt aufmerksam wurde und im akademischen Umfeld seines Doktorvaters und dessen germanistischen Kollegen Karl Stackmann die methodischen Ansätze der Flugschriftenforschung kennenlernte.737 Im Vordergrund von Zorzins Untersuchung steht eine differenzierte Profilierung der Karlstadtschen Publizistik für die Jahre 1518 bis 1525. Im Hintergrund läßt sich eine akribische Annäherung an das literarische Gesamtwerk beobachten. Zorzin druckte am Ende seiner Arbeit ein „Chronologisch geordnetes Verzeichnis der gedruckten Schriften des Andreas Bodenstein von Karlstadt“738 ab, das man als das eigentliche Zentrum der Arbeit betrachten kann. Kein anderer Autor nach Bubenheimer hat sich so konsequent um eine Erfassung des gedruckten Gesamtwerkes bemüht wie Zorzin. Dazu verzeichnete er nicht nur die erhaltenen Schriften, er sammelte auch zeitgenössische Hinweise auf Publikationsvorhaben von Karlstadt, die mit keinen bisher bekannten Drucken in Verbindung zu bringen sind.739 Zorzin steht damit in der großen Tradition der Bibliographen Karlstadts, die mit Thomasius einsetzt und durch das Verzeichnis von Freys und Barge einen Zustand der Kanonisierung erfuhr, bevor Bubenheimer diese Fixierung zu hinterfragen und material aufzubrechen begann. Inhaltlich umkreist Zorzins Untersuchung den vorausgesetzten Textbestand in immer neuen Anläufen und mit unterschiedlichen engen oder weiten Radien. Konsequent verweigerte er sich einem inhaltlich normativen Kriterium, an dem sich die publizistische Entwicklung Karlstadts bemessen ließe – sieht man von der Annahme ab, daß die rekonstruierte Verbreitung ein Indikator für zeitgenössische Wirkungsdimensionen sei740. Quantitativ gelang es Zorzin auf eindrucksvolle Weise, Karlstadts 736 Zorzin,
Karlstadt, S. 5 („Vorwort“). S. dazu ebd. Ebd., S. 14, Anm. 15, verweist Zorzin zudem auf die einzige vorangegangene Arbeit zu Karlstadts Publizistik: Masin, Streitschriften, eine Wiener Dissertation von 1977. Auf die in methodischer Hinsicht anregende, aber knappe und von mancherlei Flüchtigkeit bestimmte Studie wird im Rahmen der vorliegenden Monographie nicht näher eingegangen, da die Bezüge zur einschlägigen Forschung schwach ausfallen; vgl. dazu – ohne Kenntnis der Arbeiten Kriechbaums, Siders oder Bubenheimers – ebd., S. 5: „das Werk des Mannes [i. e.: Karlstadt, würde] auch für eine theologische Arbeit ein interessantes Thema abgeben“]); die letzten thematischen Veröffentlichungen, auf die sich Masin bezieht, sind ebd., S. 172, die Dissertation von Hertzsch und die Edition von Kähler. 738 Zorzin, Karlstadt, S. [273]–[307]. 739 Ebd., S. [223]–233. 740 Für diesen Zusammenhang, in dem Zorzin den Einschätzungen Moellers näher steht als den kritischen Einwänden von Rublack, s. ebd., S. 27 f., Anm. 32. Mit Blick auf inhaltliche Konsequenzen s. knapp Zorzin, Karlstadt, S. 109: „Bei einer solchen [der von Zorzin sondierten] Betrachtungsweise stellt sich die Frage, ob die Ansatzpunkte[,] von denen bisher die Bestimmung der ‚spezifischen‘ Karlstadtthematik vorgenommen wurde[,] nicht einer Ergänzung bedürfen. Die ‚publizistische‘ Perspektive bietet sich hier auch als ein Hilfsmittel dafür an, die Voraussetzungen, unter denen Karlstadt rezipiert wurde, zu präzisieren.“ 737
3. Siders und Bubenheimers Arbeiten als Ausgangspunkte der neueren Forschung
481
Bedeutung als Publizist zu relationieren: Ergebnis des personenzentrierten Vergleichs war es, daß Karlstadt in dem untersuchten Zeitraum die meisten deutschsprachigen Flugschriften nach Luther und die meisten lateinischen nach Luther und Melanchthon veröffentlichte.741 Zu betonen ist gleichwohl, daß Karlstadt dennoch in beiden Bereichen nur ein Bruchteil des Publikationsvolumens von Luther erreichte.742 Innovativ sind Zorzins Überlegungen, eine Sequenzierung des Karlstadtschen Werkes nicht etwa aus Entwicklungsphasen, Themen oder geographischen Stationen abzuleiten, sondern aus „auftretenden Publikationspausen“743 oder diachronen Zusammenstellungen serieller Quellengattungen744. Bubenheimers Anliegen, sich dem Karlstadtschen Gesamtwerk anzunähern, hatte Zorzin auf äußerst eigenständige Weise aufgenommen, indem er sich bemühte, inhaltliche Normierung so weit als möglich zu vermeiden und einen letztlich strukturgeschichtlichen Ansatz zu verfolgen. Von um so größerer Bedeutung war es, daß Zorzin weniger von Karlstadts Biographie745 her als aus dessen Publizistik – wie herausgearbeiteten Adressatenbezügen oder Widmungen – ein deutliches Hervortreten der Laienthematik diagnostizieren konnte. Kritisch äußerte sich Zorzin gegenüber der früheren Forschung in inhaltlich-theologischer Hinsicht: „Der aktuelle Stand der Forschung bietet jedoch m. E. noch keine befriedigende Antwort auf die Frage, was wohl als das Zentrum der reformatorischen Theologie Karlstadts bezeichnet werden könnte. Neue Erkenntnisse in dieser Richtung bietet da eine noch ungedruckte (DDR‑) Berliner Dissertation von H.-P. Hasse über die Motive Gelassenheit, Kreuz und Leiden in Karlstadts Theologie.“746
Untersuchte Zorzin die publizistisch wahrnehmbare Außenseite des Karlstadtschen Werkes, richtete Hasse den Blick auf dessen innere Entwicklung. Er positionierte sich zwischen Bubenheimer und Sider, indem er von diesem ein thematisches Segment aufnahm und von jenem eine überragende Methodik der archivalischen Materialerschießung. Zugleich stellt Hasse den bisher singulären Fall dar, ein Karlstadt-Forscher der zweiten Generation zu sein, nachdem bereits sein Vater als Wittenberger Pfarrer zu der „Festschrift der Stadt Karlstadt zum 741 Für
eine Übersicht s. ebd., S. [24]. dazu Zorzin nur einleitend ebd., S. 20: „Die überragende Rolle Luthers als Publizist dieser Zeit ist eine allgemein anerkannte Tatsache; das Volumen der von ihm produzierten Schriften übersteigt bei weitem das der anderen Autoren. Man wird daher keinen von ihnen an Luthers Produktion messen können.“ 743 S. dazu grundlegend ebd., S. 85. Zu den forschungsgeschichtlichen Hintergründen s. im Kap. I. Die Karlstadt-Forschung im 19. Jahrhundert die Anm. 857 f. 744 In diese Richtung geht ebd., S. 164–180 (Kap. „6 Verschiedene Flugschriften-‚Typen‘ im literarischen Werk Karlstadts“). Frühere Ansätze literarischer Gattungsklassifizierung sehe ich im Werk Bubenheimers; s. dazu oben die Anm. 610–612. 745 Vgl. das anregende Kapitel zur „Korrelation zwischen Karlstadts Biographie und seiner Publizistik“, ebd., S. 110–130. 746 Ebd., S. 13. 742 Vgl.
482
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Jubiläumsjahr 1980“ einen Beitrag über „Karlstadt als Prediger in der Stadtkirche zu Wittenberg“747 beigesteuert hatte. In seiner Heimatstadt Wittenberg fand Hasse nicht nur sein Thema, sondern auch seine Hauptquelle: Karlstadts handschriftlich annotierten Band Taulerscher Predigten.748 Das Barge bekannte Exemplar hatte Bubenheimer auszuwerten begonnen, auf die Drucklegung eines 1987 entstandenen Manuskriptes aber verzichtet749. Hasse nahm das Thema in zeitlicher Nähe auf 750 und bearbeitete es – unterstützt durch Bubenheimer751 – in einer Intensität, die die früheren Beiträge überstieg. Die 1990 in Leipzig eingereichte752 und 1993 gedruckte Dissertation stellt die gediegenste Studie zu Karlstadts Theologie nach Bubenheimers Monographie dar. In einer paläographisch und intertextuell aufwendigen Rekonstruktion identifizierte und klassifizierte Hasse Karlstadts Anmerkungen zu den Tauler-Predigten, deren Erwerb laut handschriftlicher Eintragung auf den 26. April 1517 – den Tag der 151 Thesen – datiert.753 Hasse erschloß damit einen völlig neuen Quellenbestand für Karlstadts reformatorische Frühzeit, auf die Riederer 1767 ein erstes Licht geworfen hatte, bevor Kolde und Brieger 1890 den durch Riederer identifizierten Text der 151 Thesen nach einer Wolfenbütteler Handschrift druckten und Barge 1905 auf den Augustin-Kommentar hinwies, der 1952 von Kähler ediert wurde. Hasse gelang es zum einen, ein schrittweises Studium der Taulerschen Predigten nachzuweisen, das wohl im Zusammenhang mit Karlstadts Predigttätigkeit stand. Zum anderen erkannte er, wie Karlstadt seine sukzessive Lektüre mit intertextuellen Querverweisen und thematischen Indizierungen systematisch zusammenführte. Die Komplexität dieser Referenzsysteme reduzierte Hasse auf eine schlagend einfache Weise, indem er die graphische, von Karlstadt selbst ausgedeutete Grundstruktur des illustrierten Einblattdruckes „Himmel‑ und Höllenwagen“754 als Ausgangspunkt seiner Fokussierung des mystischen Topos der „Gelassenheit“ und der Spezifik von Karlstadts Kreuzestheologie wählte. Durch punktuelle Vergleiche, u. a. mit Staupitz und Bernhard von Clairvaux755, schärfte Hasse das 747 Hasse,
Prediger. Hasse, Tauler, S. 23, Anm. 2. 749 Der Text Bubenheimer, Tauler, dürfte primär aus der bibliographischen Aufnahme durch Hasse, ebd., S. 213, und dessen Referenzen auf das Typoskript bekannt sein. 750 Zunächst geschah dies im Rahmen einer Examensarbeit für die theologische Anstellungsprüfung; s. dazu das handschriftliche Briefkonzept von Ulrich Bubenheimer eines Schreiben an Horst Beintker vom 19. Juli 1987, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, S. 5: „Herr Hans-Peter Hasse […] hat eine Prüfungsarbeit für die 2. theol. Prüfung geschrieben über Karlstadts Kreuzessymbolik u. a. (1987) und plant die Erweiterung zu einer Dissertation.“ 751 Vgl. dazu Hasse, Tauler, S. [11] („Vorwort“). 752 Ebd. 753 Zu dieser Datierung s. ebd., S. 24, Anm. 6; für einen direkten Rekurs von Karlstadt auf die Thesen s. Hasse, Tauler, S. [23], Anm. 5. 754 Für die nach Hasse erschienenen Forschungen zu diesem Druck s. Thümmel, Wagen. 755 Zu Staupitz vgl. in graphischer Verdichtung, Hasse, Tauler, S. 104, Anm. 19; für Bernhard s. als besonders einschlägig ebd., S. 97 f., 107–109. 748
3. Siders und Bubenheimers Arbeiten als Ausgangspunkte der neueren Forschung
483
Profil der Karlstadtschen Theologie zwischen Augustin und Tauler. Er entwarf das Bild einer sehr frühen Synthese, die nicht erst in der Orlamünder Theologie zum Vorschein trat, sondern ihren Ort in den – gerade für die Frühzeit nur sporadisch überlieferten – Predigten oder Sermonen hatte. Hasse widersprach damit auf Grundlage einer imponierenden Materialarbeit Sider, der einen späten Einfluß der Mystik postuliert hatte, die sich nur wie eine äußere Sprachgestalt um den inneren Kern der Lutherischen und Augustinischen Theologie gelegt habe. Zugleich hatte Hasse scharfsinnig erkannt, was Bubenheimer in seinem knappen Exkurs756 in der „Theologische[n] Realenzyklopädie“ 1988 versucht hatte: „exemplarisch [… aufzuzeigen], daß sich im Werk Karlstadts übergreifende systematische Strukturen seines Denkens erkennen lassen“.757 Hasse wurde zu dem ersten und bislang einzigen Autor, der diesen Impuls aufnahm, indem er Kontinuitätslinien von Beginn der reformatorischen Phase über eine Zürcher Predigt bis zu einer Basler Thesenreihe aus dem Jahr 1540 zeichnete758. Möglich wurde ihm dies, weil er nicht nur für die Wittenberger, sondern auch für die Schweizer Zeit teils neues archivalisches Material edieren konnte.759 Hätte Hasse auch die scholastischen Schriften in seine diachronen Längsschnitte integrieren können, wäre seine Darstellung mit Blick auf den zeitlichen Gesamtrahmen so ausgreifend geworden wie die Monographie von Bubenheimer und dessen interpretativer Ansatz im Exkurs zur Bilderfrage. Mit den Arbeiten von Zorzin und Hasse verhält es sich wie mit den Studien von Sider und Bubenheimer: Gerade in ihrer Unterschiedenheit kann man sie als geradezu komplementär ansehen. 3.3.3. Ralf Ponader (1993) und Shinichi Kotabe (2005) Nach Hasse und Zorzin wurden zwei weitere theologische Dissertationen zu Karlstadt abgeschlossen, die beide ungedruckt blieben. 1993 reichte Ralf Ponader in Greifswald seine Arbeit ein: „Die Abendmahlslehre des Andreas Bodenstein von Karlstadt in den Jahren 1521–1524. Die Kritik an der Realpräsenz durch Karlstadt untersucht vor dem Hintergrund der Chorismos-Problematik“.760 Als Betreuer scheint Hans-Günter Leder fungiert zu haben761; bei der Materialbeschaffung und inhaltlichen Erschließung half 756 S.
dazu oben Anm. 671. Hasse, Tauler, S. 15, Anm. 17. 758 Vgl. hierfür die Unterkapitel 3 und 4 von „Teil 4“, ebd., S. 186–194. 759 S. hierfür den Anhang, S. [201]–208. Bei der Zürcher Predigt handelt es sich um eine vollständige Edition des Textes, den Egli bereits in Auszügen geboten hatte; s. dazu ebd., S. [186], Anm. 1. 760 Ponader, Abendmahlslehre. 761 Diesen Eindruck vermitteln die Danksagungen ebd., S. 4 („Vorwort“). Das Erstgutachten erstellte indes Hans-Ulrich Delius; s. dazu die handschriftliche Eintragung auf der Rückseite 757
484
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
Hasse762. Ponader selbst bot 1998 eine „Zusammenfassung“ seiner Dissertation763, weshalb auf eine ergebnisorientierte Anzeige verzichtet werden kann. Thematisch läßt sich die 200seitige Studie dahingehend konturieren, daß sie eine Beobachtung weithin thetisch verfolgt, die bereits Kriechbaum gemacht hatte, als sie auf platonische Elemente im Denken Karlstadts hinwies.764 Während Kriechbaum dies als theologischen Rückfall in eine metaphysische Philosophie ansah, versuchte Ponader, „die Abendmahlslehre Karlstadts vor dem Hintergrund des metaphysischen Dualismus von Geist und Materie [zu] befragen.“765 Den benannten Dualismus identifizierte Ponader mit platonischen und neuplatonischen Traditionen, weshalb er ihn geradezu universal bei Augustin, in der Mystik, im italienischen Renaissance-Humanismus und in der frühneuzeitlichen Kabbalah voraussetzen wollte.766 Allgemeine Reflexionen zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bot Ponader nicht767, statuierte aber: „Die Abendmahlsdebatte ist keine exegetische, jedenfalls aus der Sicht Karlstadts, sondern eine theologische auf philosophischem Hintergrund, der in Platon verwurzelt ist.“768 Aus dieser gemeinsamen Wurzel meinte Ponader auch die Nähe zwischen Karlstadt und Zwingli erklären zu können, konzentrierte sich aber für Karlstadt auf eine werkimmanente Interpretation, in die innerreformatorisch nur Luther einbezogen wurde. Die Forschungen von Bubenheimer sind für Ponader insofern von Bedeutung, als er dessen lexikalischen Hinweis auf Karlstadts Pico-Thesen aufnahm und aus dem Italien-Aufenthalt von 1515/1516 eine Stärkung der „humanistischen Orientierung“769 folgerte. Im ganzen stellte Ponader eher gedankliche Kongruenzen als historisch-genetische Kontinuitäten heraus. Sowohl seine Hauptthese eines neuplatonischen Einflusses auf Karlstadt wie zahlreiche Anschluß‑ oder Rückfragen sind deshalb nicht weniger anregend. Letztlich münden sie in das Themenfeld, das bereits Walther Köhler in seinem ersten Beitrag zur Karlstadt-Luther-Kontroverse betont hatte: die Forschungsaufgabe einer Kontextualisierung von Karlstadt in den humanistischen Profilen seiner Zeit770. Die jüngste theologische Dissertation zu Karlstadt illustriert die fortschreitende Internationalisierung der Karlstadt-Forschung auf beeindruckende Weides Titelblattes in der Abgabefassung. Zu Leder und dessen Bezügen zu Kähler s. oben die Anm. 159. 762 Ponader, Abendmahlslehre, S. 4 („Vorwort“). 763 S. dazu ausdrücklich Ponader, Abendmahlsverständnis, S. 236, Anm. 1. 764 S. dazu oben Anm. 192–194. 765 Ponader, Abendmahlslehre, S. 7. Ein Bezug auf Kriechbaums Beobachtung wird von Ponader nicht hergestellt. 766 Vgl. dazu knapp ebd., S. 9 f.; 63. 767 Vgl. dazu ebd., S. 12, Anm. 29. 768 Ebd., S. 7. 769 Zu dem Zitat s. ebd., S. 53; zu der Auseinandersetzung mit Pico s. im ganzen ebd., S. 53–69. 770 Vgl. dazu im Hauptkap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 550.
3. Siders und Bubenheimers Arbeiten als Ausgangspunkte der neueren Forschung
485
se. 2005 reichte der japanische Kirchenhistoriker Shinichi Kotabe in München eine Arbeit zum „Laienbild Andreas Bodenstein von Karlstadts in den Jahren 1516–1524“ ein, die von Thomas Kaufmann betreut wurde.771 Sprachlich und argumentativ bewegt sich die 300 Seiten umfassende Studie auf hohem Niveau. Überraschend ist bereits der zeitliche Untersuchungsrahmen, der die „Anfänge der reformatorischen Theologie Bodensteins“772 mit dem Jahr 1516 schildert. Kotabe setzte darin Luthers Römerbrief-Vorlesung voraus und nahm Karlstadts erste Positionierung gegen Luther als terminus post quem für die nachfolgende „Bekehrung“773. Quellenkritisch genau datierte er das grundlegende Selbstzeugnis, den Widmungsbrief des Augustin-Kommentars, als „Bekehrungsbericht“ auf den 18. November 1517 und gewann mit diesem Tag seinen terminus ante quem.774 Sehr gut referierte Kotabe die jüngeren Forschungspositionen zum inhaltlichen Anstoß, den Karlstadt bei Augustin genommen haben könnte775 und orientierte sich mit systematisch-theologischen Interessen über die 151 Thesen und den Augustin-Kommentar776. Den Übergang zur Laienthematik leitete Kotabe direkt aus den Forschungsergebnissen von Zorzin ab777 und sammelte, beginnend mit den „Apologeticae Conclusiones“, Hinweise auf Reflexionen, die dem kirchlichen Laienstand gelten. Die ersten volkssprachlichen Ausführungen zu einem höheren Stellenwert des Laien gegenüber den „‚vermischten‘ scholastischen Theologen“ fand Kotabe in der „Auslegung“ des „Himmel‑ und Höllenwagen[s]“.778 Intensiv und äußerst differenziert setzte sich Kotabe mit den Flugschriften zwischen der Leipziger Disputation und dem 1520 vollzogenen Bruch mit Rom auseinander.779 Gegenüber der Überschrift der Arbeit stark verkürzt, aber formal nur als „Ausblick“ ausgewiesen, rücken die Jahre 1521 bis 1525 in den Blick.780 Von Bedeutung sind die Ausführungen, weil sie einen Übergang von der Theorie zur Praxis berühren, der sich in einzelnen lebenspraktischen Konsequenzen für die Gemeindeorganisation andeutet. Ausweislich seines „Lebenslauf[s]“781 hat Kotabe die Arbeit in kaum mehr als drei Jahren geschrieben. Sehr solide hat er sich über die frühere Forschungsliteratur informiert, die er in mustergültigen Zusammenfassungen referierte. Zugleich fügte er detaillierte Quellenanalysen in einen thematisch stimmigen Gesamtrahmen. 771 Kotabe,
Laienbild. lautet die Kapitelüberschrift ebd., S. 21. 773 Ebd., S. 25–37. 774 Ebd., S. 38 f. 775 S. dazu ebd., S. 40 f., Anm. 99. Zu Frage der Staupitz-Lektüre ist instruktiv ebd., S. 41, Anm. 101. 776 Ebd., S. 43–72. 777 Vgl. dazu ebd., S. 76 f. 778 Ebd., S. 93. 779 Dies entspricht ebd., S. 133–232, dem vierten und fünften Hauptkapitel. 780 Ebd., S. 233–259. 781 Ebd., S. 285. 772 So
486
III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge
In den systematischen Sequenzierungen einzelner Kapitel erinnert die Studie an das von Sider vorgegebene Muster. Zahlreiche Ergebnise von Bubenheimer finden sich berücksichtigt. In einer Drucklegung der Studie könnten vielleicht die genetischen Verbindungen für die Frühzeit gestärkt werden, wie die Bezüge zwischen der „vermischten“ Theologie des Jahres 1519 und der „mala […] mixtura“ aus Aristotelismus und Theologie von 1517782. In Betracht zu ziehen wäre auch, ob nicht die von Bubenheimer 1971 und 1977 herausgearbeitete „panormitanische“ Theorie der „Apologeticae Conclusiones“783 als die kirchenrechtliche Grundierung von Karlstadts Laienbild bedacht und in seinen spätmittelalterlichen Kontexten profiliert werden könnte.
3.4. Zusammenfassung Formulierte Bubenheimer in dem anfangs gebotenen Zitat über Barge, dessen Biographie sei „bis heute das grundlegende Standardwerk und der Ausgangspunkt für alle weitere Karlstadtforschung geblieben“784, dürfte es angemessen sein, die Arbeiten von Sider und Bubenheimer als Ausgangspunkte der neueren Forschung zu beschreiben. Sider unterstützte die Arbeit von Pater, der wie Krause, Joestel und Hasse den theologiegeschichtlichen Ansatz von Sider auf eigene Weise zu ergänzen suchte. Bubenheimer ist in allen Arbeiten die zentrale Referenz für jüngere Forschungsergebnisse.
782 Unverbunden
sind darin ebd., S. 46, und ebd., S. 93. dazu Bubenheimer, Karlstadt 1977, S. 96 f. 784 Vgl. dazu dazu in der Einleitung die Anm. 6. 783 S.
Standortbestimmung Eine forschungsgeschichtliche Arbeit dient zunächst und vor allem einer Standortbestimmung der gegenwärtigen Wissenschft. Sie stellt eine propädeutisch unverzichtbare Voraussetzung für jede kritische Forschung dar.1 Daß nichts leichter ist, als ungeprüft etablierte Wissensbestände zu übernehmen, führen die zahlreichen Fortschreibungsprozesse des 19. und 20. Jahrhunderts eindrücklich vor Augen. Zugleich zeigen sie auf, wie schwer es ist, sich den wirkungsmächtigsten Karlstadt-Bildern der Geschichte zu entziehen: den theologischen Einschätzungen Luthers und den charaktertypologischen Hinweisen von Zeitgenossen. Die Entwicklungen des 19. Jahrhunderts (Kapitel I), die Kontroverse um Barge (Kapitel II) und die Fluchtpunkte der jüngeren Beiträge (Kapitel III) illustrieren auf paradigmatische Weise einen für die Karlstadt-Forschung möglicherweise spezifischen Sachverhalt: Nicht jedes Buch über Luther ist ein Buch über Karlstadt, aber jedes Buch über Karlstadt ist auch ein Buch über Luther. Dieser Umstand soll die abschließenden Betrachtungen weder dominieren noch strukturieren, in einzelnen Punkten aber konturieren, wo sich diachrone Entwicklungslinien an veränderten Verhältnisbestimmungen zwischen Karlstadt und Luther verdeutlichen lassen. Den eigenen Standort bestimmt man ehesten, indem man sich über die zurückgelegten Wege orientiert (1. Die Wege der Forschung), überlegt, wo man sich gegenwärtig befindet (2. Der Stand der Forschung) und Ausblicke in die nähere oder angrenzende Umgebung wagt (3. Perspektiven).
1 Der gebotene Kritikbegriff schließt theologisch und enzyklopädisch an Ebelings programmatischen Eröffnungsaufsatz zur Wiederbegründung der ZThK von 1950 an: Ebeling, Methode.
1. Die Wege der Forschung Im Rückblick auf die Wege der Forschungsgeschichte liegt es nahe, die jeweils richtungsgebenden Interessen in apologetische, polemische oder kritische zu unterscheiden2 und vielleicht sogar anzunehmen, daß wir uns derzeit in einem Stadium der reinen Kritik befänden. Es wäre jedoch falsch, den apologetischen und polemischen Bemühungen vergangener Jahrhunderte jeden kritischen Impetus absprechen zu wollen, wie es auch verfehlt wäre, die kritische Forschung der Gegenwart ihrer apologetischen und polemischen Spitzen zu berauben. Die Suche nach einem ausgeglichenen Zustand zwischen den zeitgenössischen Extremen ist in vielen der vorgestellten Einzelbeiträge des 19. und 20. Jahrhunderts erkennbar. Zugleich dürfte es zutreffend sein, daß in der posthumen Auseinandersetzung mit Karlstadt zunächst die Polemik dominierte und mit einzelnen apologetischen Initiativen zunehmend kritische Impulse bestimmend wurden. Macht man einen Forschungsfortschritt an substantiellen Erweiterungen der Quellenlage oder einer inhaltlich bzw. strukturell voranschreitenden Erschließung des bekannten Materials fest, erwuchs die Karlstadt-Forschung 1671 aus den antiquarischen Arbeiten Johann Gottfried Olearius’ und wurde biographisch sowie bibliographisch von Christian Thomasius 1705 begründet. Den Umschwung von einem negativ bewerteten in ein positiv gedeutetes Karlstadt-Bild vollzog Gottfried Arnold 1699. Einen Karlstadt im „Goldgrund“ bot auch er nicht3 – ihn findet man nirgends oder allenfalls in Vorstudien, wie bei Thomasius. Im Unterschied zu Thomasius verband Arnold seine Aufwertung von Karlstadt mit einer Abwertung Luthers. Dieses Grundmuster wiederholte sich Mitte des 19. Jahrhunderts bei Goebel und Anfang des 20. Jahrhunderts bei Barge. Arnold, Goebel und Barge erfuhren auf je eigene Weise den Widerspruch der Luther-Forschung. Diesen faßte Kawerau am klarsten zusammen, als er eine „Gerechtigkeit gegen Karlstadt“ einforderte, die nicht durch eine „Ungerechtigkeit gegen Luther“ erkauft werde.4 Die periodisch wiederkehrenden Pendelschläge der Forschung zwischen programmatischen Neubewertungen Karlstadts und ablehnenden Reaktionen seitens einer auf Luther konzentrierten Reformationsgeschichtsschreibung nahmen 2 Die
Begriffe finden sich bei Ebeling, Auslegung, S. 19 f., in Verbindung mit ebd., S. 27. der Luther geltenden Formulierung s. Seebass, Goldgrund. 4 Vgl. dazu im Hauptkap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 514. 3 Zu
1. Die Wege der Forschung
489
im Laufe des 20. Jahrhunderts ab. Barges Karlstadt-Monographie provozierte eine große Forschungskontroverse, Hertzschs Dissertation eine kleine, Bubenheimers Beiträge aus dem „Jubiläumsjahr 1980“ keine. Sollte dies Ausdruck eines allgemeinen Relevanzverlusts der Reformationsgeschichte sein oder eine notwendige Konsequenz deren fortschreitender Pluralisierung? Die vergangenen Jahrzehnte erlebten eine gewaltige Intensivierung der Melanchthon‑ und BucerForschung, die differenzierte Neuakzentuierungen gegenüber Luther ergaben. Das Konfessionalisierungs-Paradigma öffnete die Reformationsgeschichte einer so umfassenden komparatistischen Perspektive, daß ein verändertes KarlstadtBild vielleicht wirklich die kleinste Sorge der letzten Jahrzehnte gewesen sein mochte. Anfang des 20. Jahrhunderts stellte sich die historische Situation anders dar. Das heroische Luther-Bild des Nationalprotestantismus geriet von verschiedenen Seiten unter Beschuß. Der erste Protestant, der sich mit einer großen lutherkritischen Monographie in die Phalanx katholischer Autoren, wie Johannes Janssen oder Heinrich Denifle, einreihte, war Hermann Barge. Der zweite Band seines Buches erschien wenige Monate, bevor Ernst Troeltsch im April 1906 seinen Vortrag über die „Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ hielt, der Holl mit einer Modernismustheorie konfrontierte, die er fortan bekämpfen sollte. Zunächst plante Holl eine literarische Auseinandersetzung mit Barge, die mit den Schlußpassagen des ersten Bandes Troeltsch strukturell vergleichbaren Positionen gegolten hätte. Holl trat von dem Vorhaben zurück, das bereits andere aufgenommen hatten. Das einflußreichste Votum war am 13. Januar 1906 gedruckt worden und stammte von Gustav Kawerau, dem ersten Vorsitzenden des „Verein[s] für Reformationsgeschichte“. Im Rückblick des Jahres 1908 fragte sich dieser in Anbetracht des seit 1903 bekannten „gravierenden Rückgang[s] der Mitgliederzahlen“, ob der „Verein den ‚Kampf gegen Rom‘ – beispielsweise in der Auseinandersetzung mit dem Lutherbild von Heinrich Denifle – nicht energisch genug geführt habe“.5 1911 – im Erscheinungsjahr der beiden Lutherbände Grisars – koordinierte Kawerau eine wissenschaftspublizistische Kampagne des Vereins, die Walther Köhler mit einer Monographie unterstützte.6 Köhler begleitete die Auseinandersetzung mit Barge seit 1906 und beendete sie 1912, nachdem die richtungsweisenden Voten 1906 und 1910 auf Kawerau zurückgingen, der auch den größten gegen Barge gerichteten Einzelbeitrag, Karl Müllers Monographie von 1907, fachwissenschaftlich lektoriert hatte. Köhler zeichnete sich in seinen Einschätzung durch eine große Unabhängigkeit im Urteil aus. Er, der erste Biograph von Troeltsch, 5 Die ausgewiesenen Zitate geben den Wortlaut von Koch, Kawerau, S. 39, wieder; um eine Formulierung von Kawerau dürfte es sich bei der programmatischen Rede vom „Kampf gegen Rom“ handeln. 6 Vgl. dazu im Hauptkap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 1408.
490
Standortbestimmung
mochte erkannt haben, daß sich die Arbeiten der beiden Männer aus gemeinsamen Wurzeln speisten. Als sich Barge Ende des 19. Jahrhunderts mit Karlstadt zu beschäftigen begann, war es sein seit 1898 nachweisbares Ziel, eine Biographie zu schreiben. In dieser literarischen Gattung hatte er, sieht man von den Beiträgen des 18. Jahrhunderts ab, nur einen Vorgänger: Carl Friedrich Jäger (1856). Von dessen Monographie grenzte sich Barge vehement ab, wie er überhaupt den Anschein erwecken mochte, kaum auf substantielle Vorarbeiten zurückgreifen zu können. Das 18. Jahrhundert hatte jedoch mit den Studien der lutherischen Theologen Johann Bartholomäus Riederer und Johann Friedrich Köhler eine neue Höhe in der quellenkritischen Annäherung an Karlstadts Lebens‑ und Werkgeschichte erreicht, die im Laufe des 19. Jahrhunderts absank. Wichtige Studien steuerten aber die sächsische Landes‑ (Hase), die Reformations‑ (Kolde, Brieger) und Universitätsgeschichte (Bauch) bei. Auch für Barges Gesamtbild von Karlstadt und der frühen Reformation bestehen deutliche Bezüge zur Forschung des 19. Jahrhunderts. Für wesentliche Elemente der Bargeschen Grundthesen – den Puritanismus-Vergleich oder die charaktertypologische Ausdeutung Karlstadts und Luthers – ließ sich zeigen, daß diese in den Karlstadt-Bildern der unionistischen Theologen des 19. Jahrhunderts angelegt waren. Die betreffenden Forscher – Hagenbach, Goebel und Erbkam – waren direkte Schüler Schleiermachers. 1909, auf dem Höhepunkt der Kontroverse, berief sich Barge auf eine Religionstheorie, die er selbst mit Schleiermacher in Verbindung brachte. Zwischen 1911 und 1915 vollzog sich eine beiderseitige literarische Annäherung von Barge und Troeltsch. In der Wahrnehmung der kirchenhistorischen Fachwissenschaft mochte Barges Arbeit – mit einem Wort von Holl – „vernichtet“7 gewesen sein. Was Holl 1908 feststellte, traf spätestens 1914 zu, als Barges letzte Voten unbeantwortet blieben. Im reformationsgeschichtlichen Kontext seiner Zeit hatte Barge den Kampf verloren. Er selbst zog sich aus der Kontroverse zurück und blickte „mit voller Ruhe und Zuversicht einer kommenden Zeit entgegen, da die Karlstadtdebatte aus dem Stadium leidenschaftlicher persönlicher Polemik in das einer leidenschaftslosen, sachlichen Prüfung und Würdigung meiner Forschungsergebnisse wird hinübergeführt worden sein.“8
Weder eine Würdigung seiner Forschungsergebnisse noch eine sachliche Prüfung fand in den Folgejahrzehnten statt. Vielmehr entwickelte sich aus der landeshistorischen Forschung Martin Wählers, der zwischen Müller und Barge zugunsten Orlamündes zu vermitteln suchte, ein Weg in die kirchen‑ und theologie7 S.
ebd. die Anm. 828. ebd. die Anm. 1057. Vergleichbar ist auch ebd., Anm. 1306, die Erwartung Barges, daß es Forschern seiner Zeit, bei denen „apologetische oder konfessionelle Gesichtspunkte im Vordergrund des Interesses stehen, möglich sein wird, sich mit dem durch die neueren Forschungen veränderten Bilde […] irgendwie abzufinden.“ 8 S.
1. Die Wege der Forschung
491
geschichtliche Forschung Jenas. Erich Hertzsch trug wie kein anderer Autor des 20. Jahrhunderts dazu bei, das reformationsgeschichtliche Gesamtbild Barges fachwissenschaftlich zu etablieren. Für eine Würdigung Barges steht er jedoch nicht – eher für eine untergründige Wirkung. Die schlanke Dissertation von Hertzsch regte ihrerseits affirmative und kritisch-konstruktive Auseinandersetzungen mit Karlstadt im angloamerikanischen und deutschsprachigen Raum an. Herausragend ist die Edition des Augustin-Kommentars, die Ernst Kähler 1952 veröffentlichte. Seit 1960 sondierte Kähler zusammen mit Hans-Joachim Hillerbrand die Möglichkeit, eine Karlstadt-Edition zu koordinieren.9 Eine Würdigung von Barges Forschungsergebnissen verband mit einer sachlichen Prüfung der historischen Details erstmals 1971 die Dissertation von Ulrich Bubenheimer. Zusammen mit der Arbeit von Sider eröffnete sie eine neue, bis heute anhaltende Phase der Karlstadt-Forschung. Hatten alle früheren Beiträge Karlstadt an seiner Distanz zu Luther gemessen, trat Karlstadt bei Sider in die größtmögliche Nähe zu Luther. Diese Einschätzung erhob Sider für die frühreformatorische Zeit aus einem akribischen Vergleich von Karlstadts Entwicklung mit den Positionen Luthers und Augustins. Bubenheimer unternahm in den Jahrzehnten seit 1970 eine seit Barge einzigartige Annäherung an Karlstadts Lebens‑ und Werkgeschichte. Die wichtigsten Neuentdeckungen gehen auf Bubenheimer zurück. Aus seinen zahlreichen Materialfunden und historischen Rekonstruktionen dürften in ihrer breitenwirksamen Bedeutung der erste gesicherte Hinweis auf das Geburtsjahr und ein erstes zeitgenössisch ausgewiesenes Portrait von Karlstadt herausragen.
9
Kaufmann, Bornkamm, S. 155, mit Anm. 248.
2. Der Stand der Forschung Die Jahrzehnte seit 1970 stehen im Zeichen einer Intensivierung und Internationalisierung der theologischen und historischen Karlstadt-Forschung. Vergleicht man die Forschungsprofile des angloamerikanischen und des deutschen Sprachraums – in den sich die Dissertation des japanischen Kirchenhistorikers Kotabe einfügt –, so fällt auf, daß in der angloamerikanischen Literatur ein theologie-, dogmen- oder ideengeschichtlicher Ansatz dominiert. Dies gilt für die einflußreiche Arbeit von Sider, die unveröffentlichten Studien von Kleiner zur Eschatologie (1966), von Thompson zum „Tertius usus legis“ (1969) und von Douglas zum Abendmahlsverständnis (1973) sowie – in Einschränkungen – für Paters Monographie zur Tauflehre und Amy Nelson Burnetts jüngste Veröffentlichungen zum Abendmahlsstreit (2010 und 2011). Gegenwärtig heben sich davon die Bemühungen Peter Mathesons ab, Karlstadts Schriften unter rhetorischen Aspekten zu analysieren.10 Auch unternahmen es Sider und Preus bereits in den siebziger Jahren, die Wittenberger Bewegung weniger aus theologischen Differenzen als aus gemeindeorganisatorischen und pragmatischen Gesichtspunkten zu deuten. In einem gut zusammengestellten Quellenband bemühte sich Sider, den grundlegenden Fragekomplex einem breiten Lesepublikum zu erschließen.11 Im deutschen Sprachraum ist eine vergleichbare Transmission von Forschungsergebnissen an außerakademische oder fachlich offene Zielgruppen in der „Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980“ zu greifen. Diese erwuchs aus lokalhistorischen Initiativen und bezeugt eine geschickte Auswahl von Themen und Autoren.12 Ein kurzer Beitrag stammt von Alfred Otto Schwede, der 1975 Barges Monographie in die literarische Gestalt eines – mit drei Auflagen und einer Lizenzausgabe überaus erfolgreichen – Karlstadt-Romans überführte. Als populäre Kurzbiographie erschien 2000 ein vorzügliches Bändchen von Volkmar Joestel, das den Forschungsstand der Zeit umsichtig zusammenfaßt, Vertiefungs10 S. dazu zunächst 1991 Matheson, Dialogue, der die Bilderschrift untersucht, sowie dann 1998, ausführlicher, ders., Rhetoric, S. 59–80, und im Anschluß an die frühere Studie ebd., S. 169–181. Vgl. ferner die Arbeiten von Leroux, s. dazu unten Anm. 24. 11 S. dazu im Hauptkap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 350. 12 Vgl. dazu die Zusammenstellung von Merklein, Festschrift. Mit Bubenheimer wurde der beste Kenner der Biographie gewonnen. Hellmut Hasse und Heinrich Kühne repräsentierten Kirche und Forschung in Wittenberg. Mit Martin Anton Schmidt wurde ein Basler, mit Friedrich Wilhelm Kantzenbach der nächstgelegene fränkische Kirchenhistoriker integriert. Überaus klug war zudem die Anfrage des Romanciers Alfred Otto Schwede.
2. Der Stand der Forschung
493
möglichkeiten aber nur durch eine nachgestellte Literaturliste eröffnet.13 In methodischer Hinsicht weist die deutschsprachige Forschung eine größere Vielfalt als die angloamerikanische auf. Nach 1990 wurden in wenigen Jahren mehr theologische und historische Dissertationen mit direkten oder indirekten Bezügen zu Karlstadt eingereicht als in den Jahrzehnten zuvor. Karlstadt rückte in den Blick der reformationsgeschichtlichen Flugschriftenforschung (Zorzin 1989, Kotabe 2005), der Theologie‑ (Hasse 1990, Ponader 1993) und der Sozialgeschichte (Oehmig 1990, Joestel 1991). Während nur drei dieser sechs Arbeiten gedruckt wurden, erschien 1990 eine zuvor unveröffentlichte germanistische Dissertation zu Karlstadts Sprachgebrauch (Krause 1984). 2002 wurde zudem der ambitionierte Versuch unternommen, „Die Anfänge der Reformation in Wittenberg (1516–1522)“ in einem Gesamtbild darzustellen, in das sich Karlstadt einfügt: Jens-Martin Kruses Dissertation „Universitätstheologie und Kirchenreform“14 weiß sich – bis in die Titelformulierungen – dem Ansatz von Karl Bauer verpflichtet, dessen Buch „Die Wittenberger Universitätstheologie und die Anfänge der Deutschen Reformation“15 von 1928 Oberman 1969 zu seinem Programm angeregt hatte, den „Wittenberger Kreis“ um Luther in seiner gesamten Pluralität beschreiben zu wollen16. In ihren innerreformatorischen Vergleich der „Abendmahlstheologien“ bezog auch Dorothea Wendebourg Karlstadt 2009 ein.17 Die angloamerikanische und die deutschsprachige Forschung berühren sich darin, daß bei den meisten Arbeiten der Fokus des Untersuchungszeitraums auf den Jahren 1517 bis 1525 liegt. Das Hauptthema der jüngeren Studien besteht somit aus einer methodisch und philologisch differenzierten Rekonstruktion von Karlstadts reformatorischer Entwicklung und Wirksamkeit in ihren Brüchen und Kontroversen. Die einzige Ausnahme nach Bubenheimer stellt Hasse dar, der Kontinuitätslinien bis in die Zürcher und Basler Zeit aufweist. Eine ansatzweise Zusammenführung deutscher und angloamerikanischer Karlstadt-Forschung vollzieht der 2001 von Bubenheimer und Oehmig herausgegebene Sammelband „Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung“.18 Der Band enthält zwar nur einen Beitrag eines Amerikaners, 13 Joestel, Karlstadt. Bereits der Untertitel „Schwärmer und Aufrührer?“ illustriert, wie sensibel Joestel bekannte Stereotypen aufgreift und anregend hinterfragt. 14 Kruse, Wittenberg. Eine Konzentration auf Karlstadt bietet der Aufsatz Kruse, Karlstadt. 15 Bauer, Universitätstheologie. 16 Vgl. dazu und zu den Bezügen auf Bubenheimer in Hauptkap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 366 f. 17 Wendebourg, Gedächtnis, S. 61–69. Das bisher nachdrücklichste Votum, Karlstadt als Schlüsselfigur des Abendmahlsstreites zu erschließen, stellt Kaufmanns Dissertation von 1992 dar; s. dazu unten Anm. 61. 18 Bubenheimer/ Oehmig, Querdenker. Kritik an der titelgebenden Querdenker-Formulierung übte Goertz, Rez. Bubenheimer/ Oehmig, S. 196: „Hinter dem Titel ‚Querdenker der Reformation‘ steht immer noch das veraltete Konzept, daß Luther der authentische, geradlinige, Karlstadt hingegen der abweichende, sich radikalisierende Denker der Reformation gewesen sei. Doch die Forschung war gerade dabei, wie auch die meisten Beiträge dieses Bandes andeuten,
494
Standortbestimmung
Michael G. Baylor, aber dies ist immerhin einer mehr als in dem 1998 von Sigrid Looß und Markus Matthias herausgegebenen Sammelband „Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation“.19 Beide Bücher dokumentieren die Zusammenarbeit der vormals deutsch-deutschen Karlstadt-Forschung, die während der ausgehenden neunziger Jahre kaum auf eine Ergänzung durch angloamerikanische Wissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen setzen konnte. Deren große Arbeiten waren zwanzig bis dreißig Jahre zuvor entstanden, während die deutschsprachige Forschung in den neunziger Jahren einen regelrechten Boom erlebte. Die Zeit der internationalen Kooperation waren bisher die frühen siebziger Jahre. Damals arbeiteten Sider und Bubenheimer persönlich zusammen, und Oberman regte den Austausch organisatorisch an.20 Ein sprachlich bedingter Unterschied zwischen den Wissenschaftskulturen betrifft die Notwendigkeit von Übersetzungen im angloamerikanischen Bereich. In der Zeit nach Sider begannen entsprechende Bemühungen. Der Anfang läßt sich in der Schülergeneration des Sider-Kritikers Forell identifizieren. Carter Lindberg schloß 1976 ein Manuskript mit Übersetzungen der 151 Thesen, der Bilderschrift und des Abendmahlsdialoges ab.21 Eine monographische Veröffentlichung erfolgte nicht, der Abendmahlsdialog erschien aber 1979 im „Mennonite Quarterly Review“22 und ein Auszug der Bilderschrift 1984 in der Festschrift für Forell23. Weitere Abschnitte, nun auch aus den 151 Thesen, rückte Linderberg 2000 in sein reformationsgeschichtliches „Sourcebook“ ein.24 In der Folgezeit arbeitete Pater an Übersetzungen, die er seinem kanadischen Kollegen Edward J. Furcha zur Verfügung stellte25. Dieser veröffentlichte 1995 „The Essential Carlstadt“, eine Auswahl von 15 Übersetzungen, die deutschen Texten der Jahre ein solches Konzept zu überwinden und die Eigenständigkeit Karlstadts herauszuarbeiten.“ Den Hintergrund dieser Kritik erhellt Goertz, Karlstadt, S. 1–3; für Hinweise auf Karlstadt unter dem Aspekt einer radikalen Religiosität s. Goertz, Religiosity. Kotabe, Karlstadt, S. 10, empfand hingegen die Offenheit des Begriffs als anregend: „Querdenker – eine gute Bezeichnung für einen Theologen der Reformation, der sich nicht leicht in ein Schema pressen läßt.“ 19 Loos s/ Matthias, Theologe. Baylor setzte seine Karlstadt-Studien 2005 mit Baylor, Aufbruch, fort. 20 Bubenheimer, Luther und Karlstadt. 21 S. dazu die Exemplarbeschreibung und genaue Datierung des Einleitungspassus in http:// www.worldcat.org/oclc/71476245 (Zugriffsdatum: 30. Oktober 2013); weniger präzise ist demgegenüber die bibliographische Aufnahme der besitzhabenden Bibliothek, der University of Waterloo Library. Lindberg wurde unter Forell promoviert; s. dazu knapp Hendrix, Lutherforschung, S. 180. 22 Lindberg, Supper. 23 Den Hinweis verdanke ich dem Beitrag von Leroux, Wittenberg, S. 74, Anm. 7, der auch über eine 1991 folgende Übersetzung durch Bryan D. Mangrum und Giuseppe Scavizzi informiert. Leroux selbst sondierte mit Blick auf Karlstadt den Aspekt der Predigtrhetorik; s. Leroux, Mass. 24 Für die Auszüge aus den 151 Thesen s. Lindberg, Sourcebook, S. 52 f.; abermals zu der Bilderschrift s. ebd., S. 57 f.; wiederum zum Abendmahlsdialog s. ebd., S. 116–118. Abschnitte aus Furchas und Siders Übersetzungen bieten ebd., S. 65 f. u. 86 f. 25 S. dazu Furcha, Carlstadt, S. 15 mit S. 399, Anm. 1.
2. Der Stand der Forschung
495
1520 bis 1534 galten.26 Aufgrund der Bedeutung dieses Bandes für den englischsprachigen Bereich ist ausführlicher auf Furchas „Introduction“ einzugehen, die das instruktive Beispiel für eine gegenwärtige Kanonisierung bestimmter Forschungstraditionen darstellt. Im Anschluß an Barge wird ein ausgleichendes Karlstadt-Bild vermittelt: „Hermann Barge’s magisterial biography (published 1908 [scil. 1905] in two volumes) […] gathered fascinating material on Carlstadt, showing him to have been at once more progressive and significantly more conservative than his better-known contemporary Luther.“27
Der fachliche Widerspruch „from a few Lutheran scholars“ wird ebenso marginalisiert wie der Revisionsbedarf: „Although minor corrections to Barge’s Karlstadt have been made in recent years, the major thrust of the work has stood the test of time.“28 Die Arbeiten von Sider, Bubenheimer, Pater und Zorzin werden hervorgehoben29, während Hertzsch die „clarity“30 in Karlstadts Denken und damit ein inhaltlicher Zugang zum literarischen Werk verborgen geblieben sei. Nicht unberechtigt war es, wenn Carter Lindberg als Rezensent an der „Introduction“ ein zu glatt geschliffenes Karlstadt-Bild monierte: „Furcha presents Carlstadt as so ‚nonsectarian‘ and reasonably moderate that one wonders why there was so much fuss about him then, and why we should care now. The personal issue of pride and vanity which vexed Carlstadt, his views of magisterially forced reform which intrigued Müntzer, his biblical hermeneutics, his rejection of infant baptism, et al., are not brought out.“31
26 Zur Auswahl vgl. ebd., S. 24: „We limited our selections to his German tracts, since we believe his concern for common Christians was a dominant characteristic of his writing and publishing since at least 1520, perhaps as far back as 1518.“ 27 Ebd., S. 17 („Introduction“) 28 Ebd. 29 Ebd., S. 18–20. 30 Der Vorwurf wird ebd. erhoben und ebd., S. 17 u. S. 399, Anm. 2, wiederholt: „Hertzsch […] bemoaned the lack of sense and clarity regarding Carlstadt’s life and thought. Nonetheless, Hertzsch considered certain tracts by Carlstadt significant enough to publish them in 1956–57 in a two volume edition“. 31 Lindberg, Rez. Furcha, S. 301. Eine eigene Karlstadt-Miniatur veröffentlichte Lindberg in seinem weitverbreiteten Buch „The European Reformations“; Lindberg, Reformations, S. 93–96. Darin hob er auf die Notwendigkeit ab, theologische und strategische Differenzen zwischen Karlstadt und Luther in ihrem Zusammenhang zu bedenken, ebd., S. 94: „Some scholars have argued that the conflict that developed between Karlstadt and Luther was rooted in differences over strategies and tactics concerning the pace and direction of reform in Wittenberg, and/ or Luther’s insistence on personal ownership of the reform movement. These pertinent observations should not obscure the theological differences between the two men.“ Um Karlstadts theologische Spezifik epochenübergreifend zu plausibilisieren, griff Lindberg auf das Bargesche Deutungsmuster zurück, indem er, ebd., S. 93 (Überschrift), von einem „Proto-Puritanism“ sprach, den er unter Berufung auf Bubenheimer, ebd., S. 95, als Vorform des Pietismus schilderte.
496
Standortbestimmung
Zusammen mit Pater plante Furcha einen zweiten Band „which will contain all of Carlstadt’s eucharistic tracts“.32 Furcha starb 1997, Pater nach längerer Krankheit 2012.33 Zu dieser Zeit hatte die kanadische Historikerin Amy Nelson Burnett bereits eine Übersetzung der Karlstadtschen Abendmahlstraktate vorgelegt. Diese war 2010 erschienen und wurde 2011 von einer Monographie zur Thematik ergänzt.34 Zielte Furcha auf einen breiten Leserkreis, richtet sich Burnett stärker an akademische Zielgruppen. Die Intensität der Einführungen und Kommentierung des im ganzen populärer gehaltenen Materialbandes übersteigt das Präsentationsformat von Furcha. Burnett verweist punktuell auf Übersetzungen von Furcha, positioniert sich aber nicht ausdrücklich gegenüber dem Vorgängerprojekt. Die Monographie erklärt die Studie aus einem übergreifenden Forschungsinteresse „to write a more general account of the eucharistic controversy from its beginning through the signing of the Consensus Tigurinus in 1549“35, aus dem sich die Beschäftigung mit Karlstadt abgezweigt und vertieft habe. Das Forschungsvorhaben ist ausgreifend und anspruchsvoll, erinnert aber zugleich an die theologiegeschichtlichen Schwerpunkte, die für die angloamerikanische KarlstadtForschung seit den frühen siebziger Jahren bezeichnend sind. An die Stelle von Übersetzungen traten im deutschen Sprachraum Editionen und Einleitungsfragen. Im Vordergrund des 18., 19. und 20. Jahrhunderts standen Texte zur reformatorischen Frühzeit, bevor Hertzsch die Orlamünder Theologie mit seiner Auswahledition hervorhob. Im Anschluß an Hertzsch bearbeitete Heinold Fast eines der von Hertzsch herausgegebenen Stücke für eine breitere Leserschaft.36 In den achtziger Jahren wurden Einzelstücke von der Flugschriftenforschung ediert37. 1987 gelang es Bubenheimer, eine pseudonyme Flugschrift Karlstadt zuzuweisen, die für die Ablaßkritik der Wittenberger Theologen gegenüber Albrecht von Mainz von Bedeutung ist und damit die Annahme des gemeinschaftlichen Agierens eines Wittenberger Kreises stützen kann.38 1988 brachte Zorzin eine anonyme Flugschrift zur Taufthematik mit 32 Furcha,
Carlstadt, S. 20. Furcha s. McLelland, Obituary Furcha; Paters Tod wird angezeigt von http:// www.wardfuneralhomes.com/book-of-memories/1375461/Pater-Calvin/obituary.php (Zugriffsdatum: 30. Oktober 2013) 34 Burnett, Karlstadt 2010, und Burnett, Karlstadt 2011. 35 Burnett, Karlstadt 2011, S. [ix] („Preface“). 36 Für die sprachlich modernisierte und gekürzte Textfassung von „Ob man gemach faren […] soll“ s. Fast, Karlstadt. 37 S. hierfür Laube, Bauernkrieg, Bd. 1, S. 51–73 („Erklärung des 10. Kapitels im 1. Brief an die Korinther: Das Brot, das wir brechen …“); S. 87–101 („Erklärung, wie er seine Lehre vom hochwürdigen Sakrament achtet und geachtet haben will“); S. 256–270 (Melchior Hoffmann u. Karlstadt, „Dialog und gründlicher Bericht über die Disputation in Holstein vom Nachtmahl des Herrn“); Laube, Reformationsbewegung, S. 105–127 („Von Abtuung der Bilder“), S. 1024–1032 („Daß kein Bettler unter den Christen sein soll“); vgl. ferner ebd., S. [1033]–1037 („Ordnung der Stadt Wittenberg“). 38 S. dazu oben im Hauptkap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 602 und 607. 33 Zu
2. Der Stand der Forschung
497
Karlstadt in Verbindung. Aufgrund der intensiven Diskussionen der Folgezeit ist auf diesen Zusammenhang näher einzugehen. Unter die Schriften, die Karlstadt nach dem Abschied aus Orlamünde veröffentlichen wollte, zählte schon die Forschung des 19. Jahrhunderts „ein Schriftchen gegen die Kindertaufe […], über welches sich Oecolampad, der darüber mündlich mit ihm conferirte, ausspricht in einem Schreiben an Zwingli vom 21. November 1524“.39 Gegenüber der Abendmahlskontroverse trat im 19. und 20. Jahrhundert die Frage nach Karlstadts Taufverständnis massiv zurück. Es ist das große Verdienst von Pater, mit seinem 1984 veröffentlichten Buch „Karlstadt as the Father of the Bapitst Movements“ die Taufthematik in den Vordergrund gerückt zu haben.40 Allgemein postulierte er: „Some time in 1523 Karlstadt had become a Baptist“41, differenzierte dann aber: „He does not become a strict Baptist, for he does not advocate believers’ baptism for those baptized as infants.“42 Karlstadts verlorene Taufschrift versuchte Pater zu rekonstruieren, indem er annahm, sie läge Felix Mantz’ Zürcher „Protestation“ in jenen Teilen zugrunde, die sich als hochdeutsch von den übrigen schweizerdeutschen Passagen abheben ließen.43 1988 trat Zorzin „auf Grund aller sowohl historischen wie inhaltlichen Indizien“ dafür ein, eine von ihm benannte anonyme Flugschrift mit Karlstadts „Dialogus vom Tauff der Kinder“ identifizieren zu können.44 Bubenheimer folgte dem sofort, Pater zunächst auch.45 1994 votierte Pater für Westerburg als Autor der Flugschrift und wollte nun in diesem „The Father of Anabaptism“ erblicken.46 In einer Zusammenfassung der Diskussion wies Zorzin 1998 Paters neuerlichen Vorschlag zurück.47 Andrea Strübind untersuchte in ihrer 1999 eingereichten und 2003 gedruckten Heidelberger Habilitationsschrift die Anfänge der „Täuferbewegung in der Schweiz“.48 Das Anliegen, „den Einfluß Karlstadts auf das Schweizer Täufertum und ihre zeitweilige Kooperation […] nachzuweisen“49, nahm sie von Pater ebenso auf wie einzelne ereignisgeschichtliche Rekonstruktionen persönlicher Verbindungen50. In der Verhältnisbestimmung zwischen „Protestation“ und Flugschrift versuchte Strübind, zwischen den Ansätzen von Pater und Zorzin 39 Jäger, Carlstadt, S. 464, Anm. *. Knapp dazu s. Barge, Karlstadt, T. 2, S. 205, Anm. 143. Zu dem Schreiben s. später Zorzin, Dialog, S. 40, Anm. 2. 40 Pater, Karlstadt. 41 Ebd., S. 106; zu Paters Baptismusbegriff s. kurz ebd., S. [ix], Anm. 1. 42 Ebd., S. 111. 43 Ebd., S. 162–167. Zu dem methodischen Vorgehen s. auch kurz Zorzin, Diskussion, S. 151. 44 Zorzin, Dialog; zu dem Zitat s. ebd., S. 57. 45 Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988, S. 652. Zu Pater s. Zorzin, Diskussion, S. 151 mit S. 157, Anm. 39. 46 So ausdrücklich im Titel von Pater, Westerburg. 47 Zorzin, Diskussion. 48 Strübind, Schweiz. 49 Vgl. dazu ausdrücklich ebd., S. 572. 50 S. dazu besonders ebd., S. 207 f.
498
Standortbestimmung
methodisch zu vermitteln51, entschied sich aber nach einem eingehenden Textvergleich dafür, den „Dialogus“ eindeutig Karlstadt zuzuschreiben52. Mit dem „Dialogus“ bestätigt sich das moderate Bild des Karlstadtschen Taufverständnisses, das Pater anfänglich gezeichnet hatte: Karlstadt trat für keine Wieder‑ oder zusätzliche Bekenntnistaufe ein, sondern für ein Sistieren der Taufhandlung bis zu einem entscheidungsfähigen Alter. Dieser vielleicht markanteste Disput der beiden letzten Jahrzehnte brachte neue Akzente in das Karlstadt-Bild der Forschung ein, insofern er das Taufverständnis und eine frühe Wirkungsgeschichte in der Schweiz konturierte. Eine Tendenz der letzten fünfzig Jahre ist es, eine Gesamtedition zu fordern. Dies wird deutlich an einem historischen Rückblick. Nachdem Christian Thomasius 1705 der erste war, der die Vision einer Gesamtausgabe der Karlstadtschen Schriften entwarf, wurde diese Idee schon fünzig Jahre später als ein konkretes, falsch koordiniertes Verlagsunternehmen mißverstanden. Nach verschiedentlichen, aber verstreuten Einzeleditionen verfolgte Johann Bartholomäus Riederer bis zu seinem frühen Tod 1771 die Idee, „analecta Carolostadiana“, also Textauszüge von Karlstadt, zusammenzustellen. Die Karlstadtstudien Mitte des 19. Jahrhunderts beriefen sich in ihrem materiallastigen Präsentationsformat (Goebel, Dieckhoff, Erbkam, Jäger) zum Teil ausdrücklich darauf, daß eine „Ausgabe […] wohl nicht mehr in Aussicht steht“53. Nur Credner hatte zuvor eine äußerst gewissenhafte Edition von „De canonicis scripturis“ vorgelegt, die von Jäger diskreditiert wurde. Eugen Labes’ öffentliches Angebot einer Auswahledition erwuchs aus einer Einzeledition, die eine wenig vorteilhafte Empfehlung war, da sie auf einer völligen Unkenntnis der älteren und jüngeren Luther-Editionen basierte. Weder bei Barge, noch in der sich entwickelnden Kontroverse um diesen finden sich Überlegungen zu einer Karlstadt-Edition. Nur Lietzmann bemühte sich, Karlstadts Bilderschrift für den akademischen Unterricht zu erschließen. In diese Richtung zielte auch Barge mit seiner Kompilation zur Wittenberger Bewegung, nachdem Nikolaus Müller eine anders akzentuierte Auswahl für die Forschung vorgelegt hatte. Erich Hertzsch urteilte 1932, „[e]ine Gesamt51 S. hierfür zunächst ebd., S. 297 f.: Pater wird konzediert, daß Mantz zum Zeitpunkt der „Protestation“ im Besitz der Karlstadtschen Taufschrift war. Unverbindlich heißt es zum „Dialogus“ ebd., S. 298: „Selbst wenn die Autorenschaft dieser Taufschrift trotz aller Indizien die für Karlstadt sprechen, ungewiß bleibt, stellt dieser Traktat ein wichtiges frühes Zeugnis für die Tauftheologie der Kindertaufgegner dar.“ Über den gesuchten Vergleich zwischen der „Protestatio“ und dem „Dialogus“ erklärt Strübind prospektiv ebd., S. 299: „Die völlige Absenz von theologischen Analogien zwischen dem von Zorzin identifizierten ‚Dialogus‘ und der Protestation wäre […] ein nicht gering zu schätzendes Indiz gegen die Verfasserschaft Karlstadts, da Mantz gerade zu diesem Zeitpunkt weitgehend mit der Gedankenwelt dieses radikalen Reformators vertraut war.“ 52 S. dazu ebd., S. 305: „Die sorgfältige historische Beweisführung Zorzins eingeschlossen, bestätigt sich damit die These, daß der ‚Dialogus‘ wohl mit der verlorengegangenen Taufschrift Karlstadts gleichzusetzen ist.“ S. auch später schlicht, ebd., S. 335: „Karlstadts ‚Dialogus‘“. 53 Jäger, Carlstadt, S. IV.
2. Der Stand der Forschung
499
ausgabe der Werke Karlstadts lohnt wohl nicht, aber es wäre gut, wenn eine Ausgabe der für ihn charakteristischen Schriften ermöglicht werden könnte.“54 1956 und 1957 legte er eine solche vor, nachdem bereits Ernst Kähler 1952 Karlstadts Augustin-Kommentar ediert hatte. Über die 1960 im Vorstand des „Verein[s] für Reformationsgeschichte“ auftauchende „Idee einer Ausgabe der Schriften Karlstadts unter Leitung von Ernst Kähler (Greifswald) und HansJoachim Hillerbrand (Duke University, USA)“ formulierte ein Leser der Vorstandsprotokolle: „ihre Spur verliert sich jedoch wieder.“55 Aus einer fachlichen Einschätzung, möglicherweise aber auch aus Kontakten zu Kähler, mochte sich das Votum des Leipziger Kirchenhistorikers Franz Lau ergeben haben, der im Manuskript 1962 und im Druck 1964 erklärte: „Die übrigen Schriften Karlstadts [außer den neuerlich edierten] sind schwer zu greifen und bedürfen dringend einer wiss.[enschaftlichen] Edition.“56 1971 und 1977 machte Bubenheimer mit dem Schlußsatz seiner Dissertation auf das inhaltliche Potential aufmerksam, das „eine Gesamtausgabe“ bieten könnte.57 1980 sondierte der Vorsitzende des Vereins für Reformationsgeschichte, Bernd Moeller, bei Bubenheimer dessen Bereitschaft, eine Ausgabe der Schriften und Briefe zu unterstützen.58 Auf das Desiderat einer „kritische[n] Gesamtausgabe“ verwies Zorzin 1990 mit Nachdruck; zwischen 1993 und 2005 wurde der Ruf vielfach wiederholt.59 Ein den Beteiligten unbekannter Kreis schloß sich, als Mitte der neunziger Jahre die Arbeit an einer Werkausgabe Karlstadts in Halle verfolgt wurde, wo Thomasius drei Jahrhunderte zuvor die erste Anregung formuliert hatte.60 Im April 2012 nahm 54
Hertzsch, Karlstadt, S. 71, Anm. 4. Die Zitate folgen Kaufmann, Bornkamm, S. 155, mit Anm. 248. 56 S. dazu im Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 609. 57 Ebd. 58 Bernd Moeller an Ulrich Bubenheimer, maschinenschriftlicher Brief vom 16. Dezember 1980, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz, S. 2: „Beim Lesen [des Beitrages Bubenheimer, Karlstadt 1980] wurde mir wieder einmal bewußt, was für eine Forschungslücke auch darin besteht, daß es bis heute keine befriedigende Karlstadt-Ausgabe, zumal auch keine des Briefwechsels, gibt. Hätten Sie nicht Lust, auch da noch ein bißchen weiterzumachen?“ Bubenheimers abschlägige Antwort dokumentiert dessen maschinenschriftlicher Brief an Martin Brecht vom 8. März 1982, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrspondenz, S. 1: „Da ich mittlerweile schon viel Material gesammelt habe und bei meiner Arbeit die Tücken einer mangelnden hilfswissenschaftlichen – geschweige denn editorischen – Registrierung und Aufarbeitung des Karlstadtmaterials kenne und ich verschiedentlich schon auf die Möglichkeit einer Edition (kann ich mir nicht aufladen) oder einer Bibliographie etc. angesprochen wurde, trage ich mich mit dem Plan eines ‚Karlstadt-Repertoriums‘“. Zu dem Vorhaben eines Karlstadt-Repertoriums s. in der Einleitung Anm. 8. 59 Zorzin, Karlstadt, S. 12; S. 181, Anm. 2; S. 217. Der oben zitierte Wortlaut findet sich 1993 bei Hasse, Tauler, S. [13], Anm. 1, 2003 bei Strübind, Schweiz, S. 206, und 2005 bei Kotabe, Laienbild, S. 11 f. Für die Forderung einer Gesamtausgabe s. im angloamerikanischen Raum 1995 Furcha, Carlstadt, S. 21: „Carlstadt’s numerous writings ought to be collected in a critical edition. His correspondence must be sifted and gathered in one place.“ 60 Zu dem Vorhaben im ganzen s. Looss, Werkausgabe; das Jahr 1993 als Beginn der Arbeiten benennt Looß ebd., S. 562. Looß erklärte dazu ebd., S. 562: „Unter Berücksichtigung des vor55
500
Standortbestimmung
ein zwischen Göttingen und Wolfenbüttel koordiniertes DFG-Langzeitprojekt die Arbeit an einer kritischen Gesamtausgabe auf, die unter Faksimileeinschluß digital erscheinen und von gedruckten Bänden begleitet werden soll. Die Edition steht unter der Leitung von Thomas Kaufmann, der sich seit seiner wissenschaftlichen Erstveröffentlichung von 1990 mit Karlstadt beschäftigt61 und spätestens liegenden Forschungsmaterials, einschließlich der eigenen Forschungsintentionen, haben wir mit der Bearbeitung eines Bandes und der Vorbereitung eines zweiten begonnen, die sowohl die Produktivität als auch die Wirksamkeit Karlstadts deutlich belegen. Sie umfassen die Schriften 1. vom Herbst 1522 – Sommer 1524 (Bd. 7 der Ausgabe) und 2. von Sommer 1524 – Sommer 1525 (Bd. 8 der Ausgabe), eine Periode im Wirken Karlstadts, in der er sich neben und gegen Luther am meisten engagierte und profilierte. Zwar liegt für den Zeitraum 1523–1525 die schon erwähnte Auswahl-Edition von Hertzsch vor. Aber die für die schnelle Bereitstellung von Texten für Studenten gedachten zwei schmalen Bändchen genügen Ansprüchen, die an eine moderne Edition gestellt werden, nicht mehr.“ Unklar ist, worauf Looß ihre Ausführungen zu der von Hertzsch intendierten Zielgruppe gründet; im Druck äußerte sich Hertzsch nicht entsprechend. Looß’ vor Dezember 1996 (vgl. dazu ebd., S. 563 f.) aufgesetzter Text sah Finanzierungsschwierigkeiten „für das vorgestellte Langzeitvorhaben“ mit dem Jahresbeginn 1997 voraus. Die Karlstadter Karlstadt-Tagung von 1998, die als Bubenheimer/Oehmig, Querdenker, gedruckt wurde, umfaßte eine Arbeitsgruppe „Karlstadt-Edition“. Daraus berichtete Todt, Karlstadt-Tagung, S. 204: „Doch die erste Gesamtedition der Schriften Karlstadts droht mit der Veröffentlichung des ersten von zwölf geplanten Bänden (in der Folge Band 7) beendet zu werden. Die Gründe für das Scheitern des Projektes legten die Leiter der Arbeitsgruppe, Sigrid Looß und Stefan Oehmig, auf dem Kolloquium in Karlstadt in einer Diskussionsrunde offen. Demnach wurden die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zugesagten finanziellen Mittel gestrichen, zudem zeigten sich organisatorische Mängel bei der Bearbeitung des ersten Bandes. Es muß also abgewartet werden, ob der erste Band veröffentlicht werden kann und eine Finanzierung für die anderen in Planung befindlichen Bände nach sich ziehen wird.“ Zu Looß’ eigenen Forschungsinteressen s. Looss, Mensch. Zu den früheren Auseinandersetzungen mit Karlstadt s. Looss, (jeweils nur Titelstichwort) Luther, Bauernkrieg, Radical, Familie, Bann, Aufruhr. 61 Die Erstveröffentlichung von Kaufmann, Schriften, votierte ebenso wie zwei Jahre später ders., Capito, für ein publizistisches Engagement Capitos zugunsten Karlstadts; s. dazu knapp ders., Abendmahlstheologie, S. 41, und zuletzt ders., Anfang, S. 270, Anm. 9; zur Korrespondenz zwischen Capito und Karlstadt s. ders., Abendmahlstheologie, S. 68 f. mit Anm. 438; zum persönlichen Kontakt s. ebd., S. 74, Anm. 477. In seiner Dissertation wertete Kaufmann Karlstadts Stellung innerhalb des Abendmahlsstreits auf, vgl. dazu forschungsgeschichtlich knapp ders., Abendmahlsstreit, S. 3, indem er differenziert Karlstadts Einfluß auf die Straßburger Theologen von dem ersten persönlichen Auftreten vor Ort bis hin zu literarischen Reflexen nachzeichnete; s. hierfür ebd., S. 181–190, 194, 200–203, 207–217; für Karlstadts Bedeutung im ganzen s. ebd., S. 268: „Der wichtigste Anstoß für die Bildung einer von Luther abweichenden Abendmahlsauffassung freilich ging in Straßburg, ebenso wie in Zürich und Basel, von dem Wittenberger Dissidenten Karlstadt aus.“ Grundsätzlich schloß Kaufmann nicht die Möglichkeit aus, daß in den von Karlstadt vertretenen, mit Luther dissentierenden Positionen frühere theologische Ansätze Luthers aktualisiert wurden (zu dieser auch von Oberman verfolgten Überlegung vgl. oben in Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 367); für Luthers Abendmahlsauffassung ist zentral ders., Abendmahlstheologie, S. 93. Das zunächst in der Polemik des 16. Jahrhunderts begegnende, von Kaufmann sog. „Luther gegen Luther-Argument“ (ebd., S. 394, Anm. 678; S. 435; 442; für die Polemik exemplarisch: 83) überführte ders., Anfang, S. [589]–605, in die Anregung, Luthers eigene Entwicklung mit Blick auf mögliche, ebd., S. 605, „Selbstkorrekturen“ zu deuten; für Karlstadts Vorreiterrolle in der Erneuerung früherer Impulse s. ebd., S. 604. Zu Kaufmanns Schilderung der Abendmahlskontroverse vgl. ders., Geschichte, S. 522–541; zu den betreffenden Differenzen zwischen Luther und Karlstadt
2. Der Stand der Forschung
501
1999 konzeptionelle Vorarbeiten für eine Gesamtausgabe62 aufnahm. Blendet man das unbeachtet gebliebene Votum von Thomasius aus, ist die Idee einer Gesamtedition ein vergleichsweise junges Vorhaben der Karlstadt-Forschung. Es begann sich nach der Drucklegung von Kählers philologisch mustergültigen Einzeledition des Augustin-Kommentars zu formieren, wurde von Bubenheimer in den siebziger Jahren als Desiderat benannt und durch seine Arbeiten auf eine neue materiale Grundlage gestellt, bevor Zorzin 1990 den Wortlaut einer Forderung prägte, der seither häufig anzutreffen ist. Interessanterweise findet sich die Anregung nicht bei Barge oder im Kontext der Karlstadt-Luther-Kontroverse. Vielmehr standen drei offene Fragen am Ende der Debatte um Barge. Ungekärt blieb seit 1915 die Quellenlage der heftig umstrittenen Beutelordnung. Sodann versuchte Kawerau 1918, einen Aufruhr in Orlamünde nochmals diskutieren zu lassen. Und schließlich wurde die Frage aller Karlstadt-Fragen zwangsläufig nicht erschöpfend beantworet: die Verhältnisbestimmung zu Luther. Ergaben sich während der letzten Jahre weiterführende Hinweise zu diesen drei Themenkomplexen? Die Autorschaft und Datierung der Wittenberger Beutelordnung – einem Zentraldokument der Wittenberger Sozialreformen – waren seit Barges Erstveröffentlichung 1905 umstritten. Votierte Barge für eine Spätdatierung und maßgebliche Beteiligung Karlstadts, trat vor allem Nikolaus Müller für eine Frühdatierung und Ausarbeitung durch Luther ein. Dabei befand sich Müller in der mißlichen Situation, eine von ihm mit Luther in Verbindung gebrachte Textüberlieferung archivalisch nicht beibringen zu können. Er besaß eine eigene Transkription, konnte deren Vorlage aber nicht mehr bestimmen. Stefan Oehmig s. ders., Abendmahl, S. 199–203; für schrifthermeneutische Unterschieden s. ders., Anfang, S. 84–86, 94–96. Auffällig ist, wie stark Kaufmann bemüht ist, in der Abendmahlsfrage die Differenzen der jeweiligen Begründungsstrukturen herauszuarbeiten; vgl. dazu zuletzt ders., Anfang, S. 49, Anm. 77; S. 512. Dies gilt auch für Kaufmanns Diskussion der Laienthematik, die für Karlstadt und Luther auf die unterschiedlichen Argumentationen und kirchlichen, sozialen sowie lebenspraktischen Konsequenzen abhebt; s. dazu im Vergleich ebd., S. 513–521, und ebd., S. 522–528; weiter: ebd., 226–230; S. 473, Anm. 30; S. 476–480; 547; ders., Müntzer, S. 58 f.; 98. Die „Radikalisierung Karlstadts“, ders., Geschichte, S. 455, auch im Umgang mit dem Laienideal, untersuchte Kaufmann in ihren Bezügen zu Müntzer und den sog. Zwickauer Propheten, ders., Müntzer, S. 54, Anm. 174; S. 73, 105, 101; S. 111, Anm. 359, und votierte für vergleichbare Wurzeln und Prägungen, u. a. durch die Mystik, s. ebd., S. 109, Anm. 357. Wichtige Hinweise zum reformationshistorischen Kontext und der Druckgeschichte von Karlstadts 151 Thesen bietet Kaufmann, Anfang, S. 178 f., 344, Anm. 64; ders., Geschichte, S. 188–191. Für eine frühe Wertschätzung Karlstadts innerhalb einer reformatorischen Bewegung s. Kaufmanns Hinweise auf den Holzschnitt „Triumphus veritatis“ ders., Anfang, S. 320 f., Anm. 137 cont. Ein Gesamtbild von Karlstadt zeichnete Kaufmann zunächst in ders., Art. Reformatoren, Sp. 1500, dann, ausführlicher, in ders., Karlstadt; zuletzt s. im Rahmen der reformationsgeschichtlichen Gesamtdarstellung besonders die Abschnitte zur Leipziger Disputation ders., Geschichte, S. 233–249, zu Karlstadts radikaler Lebenswende, ebd., S. 279–282, und zur Wittenberger Bewegung, S. 379–392 mit S. 359–362. 62 S. das zweiseitige Schreiben von Thomas Kaufmann an Ulrich Bubenheimer vom 8. Juni 1999, Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz.
502
Standortbestimmung
untersuchte bis 1990 das Wittenberger Armenwesen aus sozialgeschichtlicher Perspektive. 1988 und 1989 legte er zwei große Aufsätze zum „Wittenberger Gemeine[n] Kasten in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten seines Bestehens (1522/23 bis 1547)“ vor.63 Darin verwies er nur auf die umstrittene „Verfasserschaft und zeitliche Einbettung der Beutelordnung“ in einer forschungsgeschichtlichen Anmerkung zur „heftigen Kontroverse zwischen H. Barge und K. Müller“.64 Oehmigs 1990 eingereichte Dissertation65 leistet in dreifacher Hinsicht einen substantiellen Beitrag zu der von Barge angestoßenen Debatte. Zum einen rückt sie die Reformen des Jahres 1522 in einen chronologisch umfassenderen Rahmen ein und erhebt deren Bedeutung aus quantifizierenden Vergleichen. Zum anderen war Oehmig im Rahmen seiner breiten archivalischen Arbeiten auf keine handschriftliche Alternativüberlieferung der Beutelordnung gestoßen.66 Und schließlich löste sich Oehmig in der Verfasserfrage von jener Alternative zwischen Karlstadt und Luther, indem er auf die drei Wittenberger Ratsvertreter verwies, die für den politischen Vorgang und damit auch die Textentstehung primär in Betracht zu ziehen seien.67 Gegenüber den Karlstadt-Bildern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Jäger, Nathusius, Barge) tritt damit in der Gegenwart der sozialreformerische Aspekt für Karlstadt deutlich zurück. Das Orlamünder Reformationsprofil blieb in einem Einzelpunkt umstritten, der die politische Dimension des „Aufruhrs“ in den kirchlichen Reformen betrifft. Daß es in Orlamünde einen Bildersturm gegeben habe, verneinten Barge (1905) und Wähler (1918), während Müller (1907) und Kawerau (1920) dafür eintraten.68 Die Bedeutung der Frage ist hoch anzusetzen, weil sie der politischen Berechtigung zur kurfürstlichen Intervention gilt, in die sich Luthers Orlamünder Besuch einfügt. Schwierig ist jedoch die Quellenlage, da die Orlamünder zwar 1524 erklärten, „die bilder abgethon [zu] haben“69, aber keine literarischen Zeugnisse den Hergang der Ereignisse schildern. Die Orlamünder Lokalgeschichte fand unlängst Hinweise, die als „Indizien“ für ein geordnetes Vorgehen sprechen könnten. So wurden „Altarfiguren aus der Orlamünder Kirche“ zwischen 1888 und 1972 im „oberen Geschoss“ der am Ortsrand gelegenen Kemenate verwahrt, die 63 Oehmig,
Kasten 1988, und Oehmig, Kasten 1989. Kasten 1989, S. 242, Anm. 77. Zudem verwies Oehmig, ebd., auf den Beitrag von Pallas und die jüngere Forschung im angloamerikanischen Raum. 65 Oehmig, Wittenberg. 66 So dürfte ebd., S. 14, zu interpretieren sein. Oehmig erklärte dort die Edition von Pallas als „unentbehrlich, zumal sie teilweise auf Quellen fußt, die derzeit als verschollen gelten.“ 67 Für den Gesamtzusammenhang s. ebd., S. 87–91; zu dem Hinweis auf die Ratsvertreter s. ebd., S. 91. 68 Die Bezüge bei Barge und Müller s. knapp bei Müller, Luther, S. 166 f. Für die Diskussion von Wähler, Orlamünde, S. 83, s. Kawerau, Rez. Wähler, Sp. 113 f. 69 WA, Bd. 15, S. 345, Z. 6 („Daß Rahtes und der gemeyn brieff an Doctor Martinum Lutther“ [1524]). 64 Oehmig,
2. Der Stand der Forschung
503
„seit dem 16. Jahrhundert Getreidespeicher des Amtes Leuchtenburg-Orlamünde war. Demnach ist es sehr wahrscheinlich, dass die Orlamünder ‚Bilderstürmer‘ die Altäre aus der Kirche entfernt […] und die Figuren in der Kemenate sicher verwahrt haben. Das im fürstlichen Eigentum befindliche Bauwerk bot dafür auch den geeigneten Raum.“70
Kritische Rückfragen haben der Zuweisbarkeit der Figuren an die Stadtkirche und dem Aufbewahrungsort bis 1888 zu gelten. Als erstes „Indiz“ ist die Beobachtung der Orlamünderin Gudrun Lange deshalb von keinem geringeren Wert. Auf Gudrun Langes Ehemann, den Orlamünder Stadtarchivar Dr. Peter Lange, geht auch die Überlegung zurück, ob ein bislang unidentifiziertes CranachDoppelportrait von 1522 Karlstadt und dessen Ehefrau Anna von Mochau darstellen könne.71 Alejandro Zorzin nahm sich der Aufgabe 2014 an und relativierte die derzeit vielleicht naheliegende Erwartung, daß sich gegenüber früheren Bildbestimmungsmethoden mit den Mitteln „computertechnischer Bildanalyse eine objektivere Bewertung“ erreichen ließe.72 Gründe der historischen Plausibilität und subjektive Ähnlichkeitsmomente sprächen jedoch dafür, das Doppelportrait als „Verlöbnisbild“73 Karlstadts zu interpretieren. Als solches mochte es „überlebt haben, weil es ein ausserordentlich qualitätsvolles Werk Cranachs ist und die für eine Identifizierung der Dargestellten fehlenden Hinweise auf den Tafeln es vor positionell motivierter Zerstörung bewarten.“74 Der kunst‑ und reformationsgeschichtliche bedeutsame Beitrag von Zorzin gehört in den ikonographischen Kontext des Bildersturms, da die vorgeschlagene Identifizierung das „bis in die Gegenwart verbreitete Bild des ‚dunklen Bilderstürmers‘ als historisches Konstrukt“ „entlarv[e]“75. Überblickt man schließlich die Beiträge zur Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther76, so muß man feststellen, daß in den letzten Jahrzehnten kein Thema so häufig in Aufsätzen bearbeitet wurde wie dieses. Die Aufsätze von vier Autoren und einer Autorin werden herausgegriffen, die das Spektrum der Zugänge illustrieren.77 Die Anordnung der ausgewählten Positionen erfolgt chronologisch. Einen Kurzbeitrag zu Luther lieferte im Jubiläumsjahr 1983 70 Dazu
und zu den Zitaten s. Lange, Orlamünde, S. 26. dazu Zorzin, Cranach-Portrait, S. 8, Anm. 15. 72 Ebd., S. 10. 73 Ebd., S. 18. 74 Ebd. 75 Ebd. 76 Eine gewisse Akzentverlagerung deutet sich demgegenüber in dem strukturellen Vergleich zwischen Karlstadt und Müntzer an, den McNiel, Relatives, 1999 suchte. Einen Ausgangspunkt dieser Perspektive sehe ich in den Beitrag von Bubenheimer, Herkunft. Im übrigen schließt McNiel stark an Williams’ Konzept der „Radical Reformation“ an (vgl. dazu oben in Kap. III. Die Karlstadt-Forschung nach Barge die Anm. 347). 77 Kurz zu erwähnen ist zudem der Beitrag von Beinert, Battle, der 2009 die theologischen Unterschiede zwischen Luther und Karlstadt auf eine klassische Weise deutete, indem er eine von außen kommende Heilsvermittlung bei Luther gegenüber dem Spiritualismus Karlstadts 71 S.
504
Standortbestimmung
Pater.78 Er konfrontierte als „Angelegenheit von echt ökumenischer Bedeutung“79 ein Karlstadt-Bild, das für eine gewaltfreie „Kirche der Verfolgten und Verachteten, physisch unterdrückt von irdischen Gewalthabern und geistlich angefochten vom Teufel und seinen Gesellen“80, mit einem Luther-Bild, das eine zeitgenössisch relative Größe mit menschlich erklärbaren Schwächen in Verbindung zu bringen suchte: „In praxi jedoch war Luther untolerant [sic] – obschon weniger als die meisten seiner Zeitgenossen – und hatte seine Zweifel im Blick auf die Wirksamkeit des Wortes – was zeigt, wie menschlich er war. Darum übt er auch auf Leute wie Karlstadt Gewissenszwang aus, wendet politische Gewalt gegen sie an und ruft die weltliche Obrigkeit auf, gegen die Dissidenten als gegen Revolutionäre vorzugehen“.81
Pater wählte als Kriterium der Verhältnisbestimmung das Ideal einer Gewaltfreiheit und die Konsequenz einer lebenspraktischen Realisierung. Martin Brecht verfolgte 1984 und 2001 demgegenüber einen klassischeren Ansatz, indem er zunächst nach dem „Beginn des Abendmahlsstreits 1524/25 und seine[r] Bedeutung für Luthers Theologie“ fragte, bevor er 2001 die Unterschiede zwischen Karlstadt und Luther im Umgang mit dem biblischen Kanon rekapitulierte.82 Im Vordergrund dieses themenorientierten Ansatzes steht eine Auseinandersetzung mit Karlstadt, die zu einer wechselseitigen Schärfung unterschiedlicher theologischer Profile beitragen kann. Von einer sozialhistorischen Seite trat Sigrid Looß zwischen 1986 und 1988 für prinzipielle Differenzen in den politischen Positionen und gesellschaftlichen Reformbereitschaften zwischen Karlstadt und Luther ein.83 Looß bemühte sich, Karlstadts Stellung zwischen dem theologisch betonte. Zugleich bemühte sich Beinert, die Relevanz beider Ansätze unter Rekurs auf die Rechristianisierungsthese von Scott Hendrix herauszustellen. 78 Pater, Luther. 79 Ebd., S. 250. 80 Ebd., S. 251. 81 Ebd., S. 253. 82 Brecht, Abendmahl; Brecht, Kanon. In einer Fortführung der klassischen Perspektiven vergleichbar ist Kantzenbach, Luther. 83 Mit Blick auf Karlstadt und Luther sind einschlägig Looss, Luther, und Looss, Radical. S. darin u. a. Looss, Luther, S. 140 f.: „In dieser Periode bildete sich auch der Gegensatz zwischen Luther und seinem Wittenberger Kollegen Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, heraus. Er beginnt während der sogenannten Wittenberger Unruhen 1521/22. […] Die Hauptdifferenzen zwischen beiden ergeben sich aus dem Zeitpunkt und der Schnelligkeit weiterer Reformierung des kirchlichen Kultes“. Looss, Radical, S. 43: „There seem to be no serious differences in basic theological orientation, even though as early as 1520 Karlstadt began to develop different nuances and emphases“. Looß’ erkennbarer Anschluß an Sider verbindet sich in politischer Hinsicht mit einem kritischen, auf theologische Selbstverständnisse aber offenen Luther-Bild, Looss, Luther, S. 141: „Aber sicher hat er [Luther] auch hinnehmen müssen, daß er nur einen Augenblick lang wirklich geschichtsprägend war und dann sein Grundanliegen sowohl mit dessen eigenen geschichtlichen Auswirkungen als auch mit den anderen dominierenden geschichtlichen Kräften zu vermitteln hatte. Sein Ansatz verbot es ihm, geschichtliche Macht selbst zu organisieren.“
2. Der Stand der Forschung
505
motivierten Reaktionär Luther und dem politischen Revolutionär Müntzer differenziert zu bestimmen; die Zuwendung zum Laien sah sie als Ausdruck einer sozialpolitischen Sensibilisierung.84 Wolfgang Simon unternahm 2005 einen Vergleich zwischen Karlstadt und Luther mit punktuellen Schlaglichtern auf die Entwicklungen zwischen 1517 und 1521, der mit der anregenden Überlegung einleitete, „es [wäre] m. E. weiterführend, zwischen einer normativen, Karlstadt an Luther messenden Perspektive und einer deskriptiven, Einheit und Differenz beider möglichst klar und nüchtern wahrnehmenden Perspektive zu unterscheiden, zumal Karlstadt wie Luther ihre theologischen Konzeptionen durchaus in gegenseitigem Austausch entwickelten.“85
Im ganzen trat Simon für eine theologische Akzentuierung der Unterschiede ein. Offen läßt der Beitrag, wo die Grenze zwischen normativen und deskriptiven Perspektiven verläuft.86 Am intensivsten setzte sich zuletzt Volker Leppin mit den reformatorischen Anfängen von Luther und Karlstadt im Vergleich ihrer frühesten Selbstzeugnisse auseinander.87 Die beiden Dokumente, den Widmungsbrief an Staupitz in Karlstadts Augustin-Kommentar und Luthers ebenfalls an Staupitz gerichtetes Widmungsschreiben der „Resolutiones“, interpretierte er als vergleichbare „Bekehrungsbericht[e]“88 einer von Staupitz angeregten Zuwendung zur Mystik. Luthers zeitlich nachfolgende, den Karlstadtschen Text literarisch voraussetzende Schilderung deutete Leppin als „Stilisierung“89 des „gewissermaßen […] Erstbekehrten“90. Die Unterschiede in den Rezeptionsvorgängen des „gemeinsame[n] mystische[n] Erbe Luthers und Karlstadts“91 verfolgte Leppin werkimmanent bei Luther in der „Zuspitzung auf eine äußere Heilsvermittlung, die er im Wort gewahrt sieht, bei Karlstadt [im …] Bleiben bei dem Weg zum Heil durch das Innere des Menschen, der sich vom Äußeren löst.“92 Kirchensoziologisch erkannte er, im Anschluß an Troeltsch, daß Lu-
84 Vgl. dazu knapp Looss, Radical, S. 47: „Karlstadt’s radicalism grew out of the crisis of Luther’s Reformation, on the one hand, and the escalating events of the revolution which were increasingly related to the action of the people on the other. His turn to the common people gave expression to this.“ 85 Simon, Differenz, S. 318. 86 Ein Satz wie ebd., S. 333: „Damit gewinnt seine [Karlstadts] Theologie ein eminent wirklichkeitskritisches, politisches Potential“, ließe sich in beide Richtungen ausdeuten. 87 Die Entdeckung des Textbefundes dokumentiert in thetischer Zuspitzung Leppin, Bulle. Die differenzierte Ausarbeitung bietet Leppin, Erbe. In der thematischen Tradition von Wähler und Hertzsch, aber auf dem quellenkritischen Forschungsstand von Joestel bewegt sich die landesgeschichtliche Miniatur von Leppin, Saaletal. 88 Vgl. dazu Leppin, Erbe, S. 160 f. Für den Gesamtzusammenhang der Interpretation des Lutherschen „Bekehrungsbericht[s]“ s. Leppin, Luther-Debatte. 89 Leppin, Erbe, S. 161. 90 Ebd. 91 Leppin, Bulle, S. [117]. Im Titel vgl. dazu auch Leppin, Erbe. 92 Leppin, Erbe, S. 168.
506
Standortbestimmung
ther und Karlstadt „symptomatisch für den Weg in die landeskirchliche […] Reformation einerseits, in die spiritualistische Devianz andererseits“ stehen.93 Die Forschung der Gegenwart steht damit in der Verhältnisbestimmung zwischen Karlstadt und Luther – dem Ausgangs‑ oder Fluchtpunkt aller Karlstadt-Diskussionen – dort, wo sie seit jeher stand: vor der Entscheidung, die historischen Gestalten des 16. Jahrhunderts mit bestimmten Grundoptionen in der Organisationsgestalt neuzeitlichen Christentums zu identifizieren.
93 S. dazu ebd., S. 153, mit angrenzendem Rekurs auf Troeltschs Soziallehren. Den unmittelbaren Ausgangspunkt dafür stellte in dem Voraufsatz dar Leppin, Bulle, S. 128.
3. Perspektiven Jede Aussage über Karlstadt bewegt sich auf dem schmalen Grad zwischen normativen Qualifizierungen seiner Theologie und quantitativen Abschätzungen deren historischer oder gegenwärtiger Relevanz. Der richtungsweisende Weg hat beides im Blick zu behalten und darf sich weder der einen noch der anderen Seite über Gebühr zuwenden. Das positionelle Spektrum der Karlstadt-Bilder, die von der Forschung vorgetragen wurden und werden, ist groß. Es reicht von einer lutherischen Ablehnung, über eine baptistische Zustimmung bis zu allgemeinen Strukturelementen, wie einem grundsätzlich nötigen Dissidentismus oder einem gesellschaftlich erforderlichen Kryptodissidentismus. Diese Vielfalt wird sich vergrößern und gerade in ihren überraschendsten Ausprägungen die Forschung in besonderer Weise anregen. Methodisch sind in der Auseinandersetzung mit Karlstadt sowohl inhaltliche Fixierungen einzelner Themen als auch strukturelle Vergleiche nötig. Wie sich die Verhältnisbestimmung zu Luther – die ein inhaltliches Proprium mit einem personellen Vergleich verbindet – während der vergangenen vierzig Jahre in das komparatistisch umfassendere Konzept eines „Wittenberger Kreises“ oder einer „Wittenberger Universitätstheologie“ öffnete, wird es weiterführend sein, mit den vorausgesetzten Prämissen die spezifischen Grenzen des Konzeptes zu explizieren. Die geographischen, ereignisgeschichtlichen, personellen, institutionellen oder medialen Auswahlkriterien ließen sich konturieren, um den jeweiligen Wirkungsdimensionen von Karlstadt strukturelle Vergleichsmöglichkeiten zu eröffnen. Inhaltlich oder formal fokussierte Auseinandersetzungen mit einzelnen Schriften oder Themen Karlstadts sind gleichermaßen wertvoll, bilden sie doch die Grundlage für weitere Erschließungen und Kontextualisierungen des Gesamtwerkes. Was für die Reformationsgeschichte im Großen gilt, gilt für das Lebenswerk von Karlstadt im Kleinen: Man wird sowohl von Umbrüchen wie Kontinuitäten ausgehen dürfen. In der Annahme einer reformatorischen Wende erwiesen sich Karlstadts Vorrede zum Augustin-Kommentar und seine scharfen Abgrenzungen zunächst von der scholastischen, dann von der akademischen Theologie als ähnlich wirkungsmächtig wie Luthers spätes Selbstzeugnis zu den eigenen Anfängen. Noch nicht ausreichend in Betracht gezogen wurde ein konstruktivistischer Charakter der Vorrede. Die Umbrüche und Kontinuitäten im Werk von Karlstadt
508
Standortbestimmung
einschließlich der Jahre vor 1517 und derer nach 1525 zu eruieren, wird ein zukünftiges Themenfeld der Forschung sein. Seit über dreihundert Jahren, seit der ersten Forderung durch den Aufklärer Christian Thomasius 1705, bewegt sich die Karlstadt-Forschung im Horizont der Vorläufigkeit einer künftigen Karlstadt-Edition. Eine erste Gesamtausgabe zu erarbeiten und für weitere Quellenfunde offen zu halten, stellt die vielleicht größte Herausforderung der Forschung dar. In dem Maße, in dem Karlstadt als eine „Schlüsselfigur der frühen Reformation“94 zu verstehen ist, die lebens-, werk‑ oder wirkungsgeschichtlich eine Einheit und die Vielfalt der Reformation zu erschließen hilft, bleibt diese Arbeit eine der dringlichsten Aufgaben der Reformationsgeschichte.
94
S. dazu in der Einleitung die Anm. 4.
Anhang 1. Abkürzungen und Kurztitel Die Abkürzungen folgen: Siegfried Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Göttingen 21992 bzw. Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis. Zusammengestellt von Siegfried Schwertner, Berlin / New York ²1994. Ferner bedeuten die folgenden Siglen: BAChr Biographisches Archiv des Christentums DBA Deutsches biographisches Archiv, hg. v. Bernhard Fabian, München 1982–1990 FB Forschungsbibliothek LKA Landeskirchenarchiv bzw. Landeskirchliches Archiv LB Landesbibliothek Mitteilungen aus der historischen Lit(t)eratur, hg. v. d. historischen MhL Gesellschaft in Berlin o. P. ohne Paginierung SBB Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung StA Stadtarchiv St. Stück SUB Staats‑ und Universitätsbibliothek T. Teil Th. Theil Tle. Teile ThHSA Thüringisches Hauptstaatsarchiv, Weimar UA Universitätsarchiv UB Universitätsbibliothek ULB Universitäts‑ und Landesbibliothek. Die Kurztitel stehen den bibliographischen Angaben jeweils voran. Anhand ihrer Kurztitel sind die ungedruckten Quellen (2) eindeutig identifizierbar, indem zuerst die besitzhabende Institution und sodann die Akteneinheit, möglichst mit Signatur, benannt werden. Dokumente, die sich in Privatbesitz befinden, weichen von diesem Muster ab. Davon klar zu unterscheiden sind die Kurztitel der gedruckten Quellen und Literaturtitel (4), die den jeweiligen Autor‑ bzw. Herausgebernamen mit einem Titelstichwort verbinden. Formal hervorgehoben (durch Art. und Rez.) werden Lexikonartikel und Rezensionen. Wo erforderlich, werden Sequenzierungen der betreffenden Beiträge durch zusätzliche Jahreszahlen angezeigt (z. B.: Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988). Ausführlicher als üblich werden bei Rezensionen die zeitgenössischen Titelangaben der bespro-
510
Anhang
chenen Werke aufgenommen. An zentralen Stellen ergaben sich aus den dort gebotenen Daten Hinweise auf die Datierung der Besprechung oder auf besondere Verbindungen des Rezensenten zu dem betreffenden Autor oder Verleger. Die Kurztitel der Hilfsmittel (3) sind von denjenigen der ungedruckten Quellen (2) klar, von denen der gedruckten Quellen und der Literatur (4) nicht eindeutig abzugrenzen. Diese Zwischenstellung entspricht dem literarischen Charakter der Hilfsmittel, die sich im Zweifelsfall durch ein einfaches Ausschlußverfahren von der Literatur unterscheiden lassen. In die Anmerkungen des Haupttextes wurden bei der ersten Nennung eines Titels, der nach Kenntnis des Autors im DBA oder BAChr als Mikrofiche bzw. Digitalisat verfügbar ist, die betreffende Referenz zusätzlich zu den hier bibliographierten Angaben benannt.
2. Ungedruckte Quellen Archiv des Evangelischen Stifts Tübingen, E 1 322/1: Promotionsakte Keim – Jaeger (1843). Archiv des Evangelischen Stifts Tübingen, R 1 2/3: Protokollbuch der Repetenten-Versammlungen (1847–1856). Archiv des Evangelischen Stifts Tübingen, R 1 3/1: Protokollbuch der Repetenten-Versammlungen (1857–1871). Bundesarchiv, von Payer, R. 703/5: Stellvertreter des Reichskanzlers (Friedrich von Payer), R. 703/5: Östliche Gebiete und deren Verwaltung. Neugestaltung der Beziehungen des Deutschen Reichs zum Baltikum; darin: „Neugestaltung der Beziehungen Deutschlands zu den baltischen Provinzen. Eingabe von Prof. Dr. Hermann Barge, Thomasschule Leipzig, an Payer, 16. 5. 1918.“ FB Gotha, Chart. A 1289 I: Neudeckersche Sammlung mit fragmentarischer KarlstadtBiographie und Materialkompilationen, Bl. 1091r–1144r. FB Gotha, Chart. A 1289 II: Neudeckersche Sammlung mit Faszikel „Carlstadiana“, Bl. 56r–78v. Familienbriefe Barge/Clemen: (Privatbesitz)1. Forschungsarchiv Bubenheimer, Wiss. Korrespondenz: Wissenschaftliche Korrespondenz Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer, Reutlingen. LKA Hannover, Nachlaß Tiling, N 127, Nr. 2: Nachlaß Magdalene von Tiling, N 127, Nr. 2, u. a. Lebensläufe Magdalene von Tilings. LKA Stuttgart, A Bü 1468: „Personalakte Jäger, Karl Friedrich (1825–1903). Letzte Dienststelle: Dekan in Tuttlingen“. Niedersächsische SUB Göttingen, Cod. Ms. W. Meyer III, Nr. 2–4c: Nachlaß Wilhelm Meyer, sechs Briefe oder Postkarten von Gustav Kawerau (1892–1896). Sächsische LB – SUB Dresden, Mscr.Dresd.App.391, Bd. 1, 132: Handschriftlicher Brief Hermann Barges an Hubert Maximilian Ermisch, 21. April 1893. SBB, GH Br. Nl (ehem. Akademie) B 142/2: Hermann Barge an Gerhart Hauptmann, 8. Mai 1920.
1
S. dazu in Kap. II. Die Karlstadt-Luther-Kontroverse die Anm. 16 f.
2. Ungedruckte Quellen
511
SBB, Nachl. Kurt Kluge 154, Bl. 1–4: Hermann Barge an Kurt Kluge, zwei Postkarten: 21. September 1924 und 24. Mai 1925; und zwei Briefkarten: 7. März 1928 und 28. April 1936. StA Leipzig, Bürgerakte Nr. 34 007: Bürgerrechtsgesuch von Hermann Barge (1891). StA Leipzig, Bürgerakte Nr. 53 432: Bürgerrechtsgesuch von Wilhelm Barge (1879). StA Leipzig, SchA Kap. II B Nr. 15: Schulische Personalakte zu Hermann Barge (1904– 1934; 1949 ff.): „Acta, Stud.=R. Professor den Oberlehrer Dr. Hermann Ernst Gustav Barge betr.“ ThHSA, O 624: Ernestinisches Gesamtarchiv, Aktenfaszikel zu kirchlichen Vorgängen in Orlamünde. ThHSA, O 209: Ernestinisches Gesamtarchiv, Aktenfaszikel u. a. zu kirchenrechtlichen Angelegenheiten des Allerheiligenstifts. ThHSA, O 359: Ernestinisches Gesamtarchiv, Aktenfaszikel u. a. zu Karlstadts RomReise. UA Göttingen, Acta Frauen=Studium, Sig. X A 555d: Acta betr. das Frauen=Studium. 1904–1910. Vol. II. spec. UA Göttingen, K. Brandi Nachlaß 1, 178: Hermann Barge, Brief an Karl Brandi, 27. Oktober 1934. UA Göttingen, Kur. 4198: „Königliches Universitäts=Kuratorium, Göttingen. 7. Habilitationen. (Regulativ vom 28. 3. 1831.)“ UA Göttingen, SA 0014: Professoren 1849–1855. UA Göttingen, Theol. PA 0177: August Wilhelm Dieckhoff 1850–1852. UA Göttingen, Theol. Prom 0040: August Wilhelm Dieckhoff 1850. UA Göttingen, Theol. SA 56.1: Acta Collegii Repetentium 1844–1867. UA Jena, Bestand J, Nr. 87: Theologische Fakultät der Thür. Landesuniversität Jena. Akten betreffend: Promotionen zum Dr. theol. Jahr: 1925–1933. UA Jena, Bestand M, Nr. 381: Philosophische Dekanatsakten S. S. 1863, Bd. 3. UA Leipzig, Nachlaß Max Steinmetz, 4/202: Nachlaß Max Steinmetz, „Alfred Schwede: Andreas Bodenstein“. UA Leipzig, Phil.Fak.B 129: Personalakten. Promotionen 1810–1969. UA Leipzig, Phil.Fak.Prom. 01170: Personalakten. Promotionen bis zum Jahr 1991. UA Leipzig, Phil.Fak.Prom 01548: Personalakten. Promotionen bis zum Jahr 1991. UA Leipzig, Phil.Fak.Prom. 05092: Personalakten. Promotionen bis zum Jahr 1991. UA Leipzig, Phil.Fak.Prom. 09661: Personalakten. Promotionen bis zum Jahr 1991. UA Leipzig, Quästur: Karteikarten der Quästurbehörde zwischen 1889 und 1944/45. UA Tübingen, 514/34, Nr. 1: Korrespondenz Karl Müllers mit Freunden, Kollegen und Schülern. UB Erlangen-Nürnberg, Ms. 2604–06: Hermann Barge, Brief an Theodor Kolde, 24. September 1898. UB Freiburg/Breisgau, Hs. 747: Karl Pfaff: Andreas Bodenstein von Karlstadt. UB Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main, Mus. Autogr. Barge, Hermann: „Barge, Hermann: Brief an Unbekannt [Max Kalbeck] vom 23. 5. 1908“. ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht): Hermann Barge, Brief an Marianne Lamprecht: 29. November 1917 (handschriftlicher Brief an Lamprechts Tochter). ULB Bonn, Abt. Handschriften und Rara, S 2713 (Nachlass Lamprecht): Hermann Barge, Briefe an Karl Lamprecht: 26. April 1898 (handschriftlicher Brief);
512
Anhang
14. Februar 1902 (handschriftlicher Brief); 16. Februar 1905 (handschriftlicher Brief); 7. Juli 1914 (maschinenschriftlicher Brief).
3. Hilfsmittel Album, Kloster Roßleben: Album der Schüler zu Kloster Roßleben von 1742 bis 1854, Halle 1854. Chassant, Dictionnaire: Louis-Alphonse Chassant, Dictionnaire des abréviations latines et françaises usitées dans les inscriptions lapidaires et métalliques, les manuscrits et les chartes du Moyen Âge, Paris 1884 [ND Olms 1989]. Falkenberg, Professoren: Paul Falkenberg, Die Professoren der Universität Rostock von 1600 bis 1900. Manuskript um 1900, S. 380, im für August Wilhelm Dieckhoff einschlägigen Digitalisat verfügbar unter http://cpr.uni-rostock.de/file/cpr_derivate_00005605/ falkenberg_albumprof__p0380.jpg (Zugriffsdatum: 27. Oktober 2013). Findbuch, Tiling: LKA Hannover. Findbuch zum Bestand N 127 Magdalene von Tiling, Hannover 1994. Freys/Barge, Verzeichnis: Ernst Freys u. Hermann Barge, Verzeichnis der gedruckten Schriften des Andreas Bodenstein von Karlstadt, in: ZfB, Jg. 21 (1904), S. 153–179, 209–243, 305–331 [ND Nieuwkoop 1965]. Grimm, Wörterbuch: Jacob Grimm u. Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, 32 Bde., Leipzig 1854–1971 [ND München 1984]. Hagenmaier, Handschriften: Winfried Hagenmaier, Die abendländischen neuzeitlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Freiburg / Breisgau 1996 (Bärbel Schubel [Hg.], Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau, Bd. 1: Die Handschriften der Universitätsbibliothek und anderer öffentlicher Sammlungen in Freiburg im Breisgau und Umgebung, T. 5). Handbuch, Reichstagswahlen: Handbuch der Reichstagswahlen 1890–1918. Bündnisse. Ergebnisse. Kandidaten, bearb. v. Carl-Wilhelm Reibel, Halbbd. 2, Düsseldorf 2007 (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 15). Jahresbericht 1896: Jahresbericht des städtischen Realgymnasiums zu Leipzig Ostern 1896. Durch ihn ladet zu den öffentlichen Prüfungen Mittwoch den 25. und Donnerstag den 26. März im Namen des Lehrer-Kollegiums ergebenst ein Prof. Dr. J. E. Böttcher, Rektor, Leipzig 1986. Jahresbericht 1898: Jahresbericht des Nicolaigymnasiums in Leipzig als Einladungsschrift zur feierlichen Entlassung der Abiturienten Dienstag den 22. März sowie zu den öffentlichen Klassenprüfungen Mittwoch den 30. März im Namen des Lehrerkollegiums, hg. v. Prof. Dr. Otto Kaemmel Rektor. Hierzu als Beigabe Dr. Ernst Raab, Sachliche grammatische und metrische Erläuterungen zu den Canzonen Petrarcas, Leipzig 1898. Kunze, Kalender: Kalender für das höhere Schulwesen Preußens und einiger anderer deutscher Staaten begründet von Dr. Karl Kunze […] und fortgeführt von Dr. Emil Toeplitz […], Neunundzwanzigster Jahrgang. Schuljahr 1922 […], hg. v. Geh. Studienrat Malberg u. a., T. 2, Breslau 1922. Lamprecht, Findbuch: Das 2011 aktualisierte Findbuch zu dem mittlerweile in der U‑ und LB Bonn befindlichen Nachlaß von Karl Lamprecht ist als pdf-Datei abrufbar
4. Gedruckte Quellen und Literatur
513
unter: http://www.ulb.uni-bonn.de/die-ulb/publikationen/findbuecher-inhaltslisten/ lamprecht-01/at_download/file (Zugriffsdatum: 27. Oktober 2013). Lamprecht, Lehrveranstaltungen: Datenbank der Universität Leipzig zu den Vorlesungsverzeichnissen der Jahre 1814–1914; eingeschränkt auf Lamprecht: http://histvv.unileipzig.de/dozenten/lamprecht_k.html (Zugriffsdatum: 27. Oktober 2013). Landesamt, Königreich: Königliches Statistisches Landesamt (Hg.), Das Königreich Württemberg, Bd. 1: Allgemeiner Teil und Neckarkreis, Stuttgart 1904. Maurenbrecher, Lehrveranstaltungen: Datenbank der Universität Leipzig zu den Vorlesungsverzeichnissen der Jahre 1814–1914; eingeschränkt auf Maurenbrecher: http:// histvv.uni-leipzig.de/dozenten/maurenbrecher_w.html (Zugriffsdatum: 27. Oktober 2013). Mitarbeiterverzeichnis, RE1: Verzeichnis der Herren Mitarbeiter mit den von ihnen verfaßten Artikeln, in: RE1, Bd. 21, Gotha 1866, S. 617–642. Mitarbeiterverzeichnis, RE2: Verzeichnis der Mitarbeiter und der von ihnen verfaßten Artikel, in: RE2, Bd. 18, Leipzig 1888, S. [723]–748. Mitarbeiterverzeichnis, RGG3: Mitarbeiterverzeichnis, in: RGG3, Registerband, Tübingen 1965, Sp. [1]–272. Naumann, Nachlaß: Nachlaß Friedrich Naumann. Bestand N 3001, bearb. v. Ursula Krey u. Thomas Trumpp, Koblenz 1996 (Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs, Bd. 55). Richter, Verzeichnis: Paul Emil Richter, Verzeichnis von Forschern in wissenschaftlicher Landes‑ und Volkskunde Mittel-Europas, hg. vom Verein für Erdkunde zu Dresden, Dresden 1886. Schottenloher, Bibliographie: Karl Schottenloher, Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung 1517–1585, Bd. 1: Personen A–L, Stuttgart 21956. Sigel, Generalmagisterbuch: Christian Sigel, Das evangelische Württemberg, Hauptt. 2: Generalmagisterbuch. Mitteilungen aus dem Leben der evangelischen Geistlichen von der Reformation an bis auf die Gegenwart, [o. O. Typoskript, Besitz: Landeskirchliches Archiv, Stuttgart] 1931. Staatshandbuch, Sachsen-Weimar-Eisenach 1835: Staats-Handbuch des Grossherzog thumes Sachsen Weimar-Eisenach für das Jahr 1835, Weimar [o. J.]. Staatshandbuch, Sachsen-Weimar-Eisenach 1840: Staats-Handbuch des Grossherzog thumes Sachsen Weimar-Eisenach für das Jahr 1840, Weimar [o. J.].
4. Gedruckte Quellen und Literatur Zugunsten einer leichteren Auffindbarkeit der Einzeltitel wird auf eine differenziertere Untergliederung dieses Punktes verzichtet. Dies legt sich für eine forschungsgeschichtliche Arbeit nahe, da Beiträge, die üblicherweise als Literatur geführt werden, nunmehr Quellencharakter annehmen. Aland, Literatur: Kurt Aland, Martin Luther in der modernen Literatur. Ein kritischer Dokumentarbericht, Witten u. Berlin 1973. Albertin, Liberalismus: Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen
514
Anhang
Partei und der Deutschen Volkspartei, Düsseldorf 1972 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 45). Albertin, Linksliberalismus: Linksliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Staatspartei 1918–1933, eingeleitet v. Lothar Albertin, Düsseldorf 1980 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, R. 3, Bd. 5). Albrecht, Briefwechsel: Otto Albrecht, Beiträge zum Verständnis des Briefwechsels Luthers im Jahre 1524, in: Beiträge zur Reformationsgeschichte. Herrn Oberkonsistorialrat Professor D. Köstlin bei der Feier seines siebzigsten Geburtstages ehrerbietigst gewidmet von P. Albrecht. Prof. D. Brieger. P. D. Buchwald […], Gotha 1896, S. [1]–36. Althaus, Rez. Thiel 1933: Paul Althaus, Rez. „Thiel, Rudolf, Luther, von 1483 bis 1522. […] Berlin 1933“, in: LuJ, Jg. 15 (1933), S. 127–129. Althaus, Rez. Thiel 1935: Paul Althaus, Rez. „Thiel, Rudolf: Luther von 1522 bis 1546. […] Berlin 1935“, in: LuJ, Jg. 17 (1935), S. 151–156. Anon., Art. Barge 1905: Anon., Art. „Barge, Wilhelm“, in: Franz Neubert (Hg.), Deutsches Zeitgenossenlexikon. Biographisches Handbuch deutscher Männer und Frauen der Gegenwart, Leipzig 1905, Sp. 48 f. Anon., Art. Barge 1908: Anon., Art. „Barge, Hermann E. G., Dr. phil.“, in: Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Zeitgenossenlexikon enthaltend Biographien nebst Bibliographien. Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Werke, Lieblingsbeschäftigung, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse. Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Zusammengestellt und hg. v. Herrmann A. L. Degener, III. Ausgabe, Leipzig 1908, S. 51 f. Anon., Art. Barge 1911: Anon., Art. „Barge, Hermann E. G., Dr. phil.“, in: Unsere Zeitgenossen. Wer ist’s? Biographien nebst Bibliographien. Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Werke, Lieblingsbeschäftigung, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse. Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Begründet, regidiert und hg. v. Herrmann A. L. Degener, V. Ausgabe, Leipzig 1911, S. 54 f. Anon., Art. Barge 1931: Anon., Art. „Barge Hermann“, in: Kürschners Deutscher Gelehrten=Kalender 1931, hg. v. Dr. Gerhard Lüdtke, Berlin u. Leipzig [1931], Sp. 94. Anon., Art. Barge 1935: Anon., Art. „Barge, Hermann“, in: Degeners Wer ist’s? Eine Sammlung von rund 18 000 Biographien mit Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Veröffentlichungen und Werke, Lieblingsbeschäftigung, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Anschriften und anderen Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Auflösung von ca. 5000 Pseudonymen, X. Ausgabe, Berlin 1935, S. 59. Anon., Art. Barge 1940/1941: Anon., Art. „Barge, Hermann“, in: Kürschners Deutscher Gelehrten=Kalender 1940/41, hg. v. Dr. Gerhard Lüdtke, Bd. 2, Berlin 1941, Sp. 1178 f. Anon., Art. Barge 1943: Anon., Art. „Barge, Hermann“, in: Kürschners Deutscher Literatur=Kalender 1943, hg. v. Dr. Gerhard Lüdtke, Berlin 1943, Sp. 32. Anon., Art. Bauch 1911: Anon., Art. „Bauch, Gustav, Prof., Dr. phil.“, in: Unsere Zeitgenossen. Wer ist’s? Biographien nebst Bibliographien. Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Werke, Lieblingsbeschäftigung, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse. Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Begründet, regidiert und hg. v. Herrmann A. L. Degener, V. Ausgabe, Leipzig 1911, S. 63. Anon., Art. Bauch 1914: Anon., Art. „Bauch, Gust.“, in: Heinrich Klenz (Hg.), Kürschners Deutscher Literatur=Kalender auf das Jahr 1914, Berlin u. Leipzig [o. J.], S. I. Anon., Art. Bossert: Anon., Art. „Bossert, Gustav, Pfarrer a. D.“, in: Unsere Zeitgenossen. Wer ist’s? Biographien nebst Bibliographien. Angaben über Herkunft, Familie,
4. Gedruckte Quellen und Literatur
515
Lebenslauf, Werke, Lieblingsbeschäftigung, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse. Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Begründet, regidiert und hg. v. Herrmann A. L. Degener, V. Ausgabe, Leipzig 1911, S. 154 f. Anon., Art. Cohrs 1928: Anon., Art. „Cohrs, Ferdinand Eduard Theod.“, in: Unsere Zeitgenossen. Wer ist’s? Biographien von rund 15000 lebenden Zeigenossen. Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Veröffentlichungen und Werke, Lieblingsbeschäftigung, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Anschrift. Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Auflösung von ca. 3000 Pseudonymen. Begründet und hg. v. Herrmann A. L. Degener, IX. Ausgabe, Berlin 1928, S. 256. Anon., Art. Cohrs 1931: Anon., Art. „Cohrs, Ferdinand“, in: Kürschners Deutscher Gelehrten=Kalender 1931, hg. v. Dr. Gerhard Lüdtke, Berlin u. Leipzig [1931], Sp. 409. Anon., Art. Dieckhoff: Anon., Art. „Dieckhoff, August Wilhelm“, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. v. Walther Killy, Bd. 2, München u. a. 1995, S. 514. Anon., Art. Fuchs: Anon., Art. „Fuchs, Gerhard“, in: Geschichtswissenschaftler in Mitteldeutschland, hg. vom Collegium Politicum an der Universität Hamburg – Arbeitskreis Historiographie, Bonn u. a. 1965, S. 31 f. Anon., Art. Hartmann: Anon., Art. „Hartmann, Julius. luth. Theologe“, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. v. Walther Killy, Bd. 4, München u. a. 1996, S. 410. Anon., Art. Helmolt: Anon., Art. „Helmolt, Hans F., Dr. phil.“, in: Unsere Zeitgenossen. Wer ist’s? Biographien nebst Bibliographien. Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Werke, Lieblingsbeschäftigung, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse. Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Begründet, regidiert und hg. v. Herrmann A. L. Degener, V. Ausgabe, Leipzig 1911, S. 575. Anon., Art. Herre: Anon., Art. „Herre, Hermann“, in: Lothar Gall (Hg.), „… für deutsche Geschichts‑ und Quellenforschung. 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 2008, S. 304. Anon., Art. Hertzsch 1950: Anon., Art. „Hertzsch, Erich“, in: Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1950, Berlin 1950, Sp. 791. Anon., Art. Hertzsch 1955: Anon., Art. „Hertzsch, Erich“, in: Wer ist wer? Das deutsche Who’s who? XII. Ausgabe von Degeners Wer ist’s?, hg. v. Walter Habel, Berlin-Grunewald 1955, S. 457. Anon., Art. Jäger: Anon., Art. „Jäger, Karl Friedrich Philipp“, in: Marie-Joseph Bopp, Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, T. 2, Neustadt/Aisch [1960] (Bibliothek familiengeschichtlicher Quellen, Bd. 14; Genealogie und Landesgeschichte, Bd. 1), S. 267 f., Nr. 2511. Anon., Art. Kötzschke: Anon., Art. „Kötzschke, K. Rudolf, Dr. phil.“, in: Unsere Zeitgenossen. Wer ist’s? Biographien nebst Bibliographien. Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Werke, Lieblingsbeschäftigung, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse. Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Begründet, regidiert und hg. v. Herrmann A. L. Degener, V. Ausgabe, Leipzig 1911, S. 761. Anon., Art. Labes 1876: Anon., Art. „Labes, R. J. Eugen“, in: Franz Brümmer, Deutsches Dichter=Lexikon. Biographische und bibliographische Mittheilungen über deutsche Dichter aller Zeiten. Unter besonderer Berücksichtigung der Gegenwart, Bd. 1, Eichstätt u. Leipzig 1876, S. 488. Anon., Art. Labes 1913: Anon., Art. „Labes, R. J. Eugen“, in: Franz Brümmer, Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Bd. 4, Leipzig 61913, S. 158 f.
516
Anhang
Anon., Art. Labes 1936: Anon., Art. „Labes, Eugen“, in: Gerhard Lüdtke (Hg.), Nekrolog zu Kürschners Literatur=Kalender 1901=1935, Berlin u. Leipzig 1936, S. 394. Anon., Art. Müller 1751: HL., Art. „Müller (Joh. Joachim)“, in: Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon, Darinne die Gelehrten aller Stände […] beschrieben werden, Th. 3, Leipzig 1751, Sp. 736 f. Anon., Art. Müller 1935: Anon., Art. „Müller, Karl“, in: Degeners Wer ist’s? Eine Sammlung von rund 18 000 Biographien mit Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Veröffentlichungen und Werke, Lieblingsbeschäftigung, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Anschriften und anderen Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Auflösung von ca. 5000 Pseudonymen, X. Ausgabe, Berlin 1935, S. 1109. Anon., Art. Nathusius: Anon., Art. „Nathusius, Martin von“, in: Franz Neubert (Hg.), Deutsches Zeitgenossenlexikon. Biographisches Handbuch deutscher Männer und Frauen der Gegenwart, Leipzig 1905, Sp. 1006. Anon., Art. Nied: Anon., Art. „Nied, Emil“, in: Marie-Joseph Bopp, Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, T. 2, Neustadt/Aisch [1960] (Bibliothek familiengeschichtlicher Quellen, Bd. 14; Genealogie und Landesgeschichte, Bd. 1), S. 395 f., Nr. 3797. Anon., Art. Piper: Anon., Art. „Piper, Otto“, in: Kürschners Deutscher Gelehrten= Kalender 1931, hg. v. Dr. Gerhard Lüdtke, Berlin u. Leipzig [1931], Sp. 2228. Anon., Art. Rebling: Anon., Art. „Rebling, Friedrich“, in: Ludwig Eisenberg, Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert, Leipzig 1903, S. 806. Anon., Art. Schäfer: Anon., Art. „Schäfer, Dietrich“, in: Franz Neubert (Hg.), Deutsches Zeitgenossenlexikon. Biographisches Handbuch deutscher Männer und Frauen der Gegenwart, Leipzig 1905, Sp. 1239. Anon., Art. Schwede: Anon., Art. „Schwede, Alfred Otto“, in: Günter Albrecht, Kurt Böttcher, Herbert Greiner-Mai u. Paul Günter Krohn, Schriftsteller der DDR, Leipzig 1974, S. 508 f. Anon., Art. Thiel 1950: Anon., Art. „Thiel, Rudolf“, in: Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1950, Berlin 1950, Sp. 2094. Anon., Art. Thiel 1999: Anon., Art. „Thiel, (Ferdinand) Rudolf“, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. v. Walther Killy, Bd. 10, München u. a. 1999, S. 2. Anon., Art. Tiling 1935: Anon., Art. „Tiling, Magdalene v.“, in: Degeners Wer ist’s? Eine Sammlung von rund 18 000 Biographien mit Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Veröffentlichungen und Werke, Lieblingsbeschäftigung, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Anschriften und anderen Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Auflösung von ca. 5000 Pseudonymen, X. Ausgabe, Berlin 1935, S. 1611 f. Anon., Art. Tiling 1955: Anon., Art. „Tiling, von, Magdalene Luise Charlotte“, in: Wer ist wer? Das deutsche Who’s who? XII. Ausgabe von Degeners Wer ist’s?, hg. v. Walter Habel, Berlin-Grunewald 1955, S. 1192. Anon., Art. Waehler: Anon., Art. „Waehler, Martin“, in: Kürschner Deutscher GelehrtenKalender 1950, Berlin 1950, Sp. 2184 f. Anon., Beer: Anon., Beer Marie, Lehrerin in Brünn, in: Lebens‑ und Arbeitsbilder sudetendeutscher Lehrer, hg. v. Lehrerverein in Pohrlitz, Bd. 1, Brünn 1932, S. 87 f. Anon., Bewegung 1905a: Anon., Unsere Bewegung, in: Die Hilfe, Jg. 11, Nr. 45 (Sonntag, 12. November 1905), S. 7. Anon., Bewegung 1905b: Anon., Unsere Bewegung, in: Die Hilfe, Jg. 11, Nr. 48 (Sonntag, 3. Dezember 1905), S. 6.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
517
Anon., Bubenheimer: Anon., Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift[:] Bubenheimer, Ulrich: Consonantia theologiae et iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist auf dem Weg von der Scholastik zur Reformation 1515–1522. Diss. Tübingen 1971. 292 S., in: ThLZ, Jg. 97 (1972), Sp. 147 f. Anon., Credner: Anon., Dr. Carl August Credner. Eine biographische Skizze, in: PKZ, Jg. 5 (1858), Sp. [1033]–1045. Anon., Der grobe Luther: Anon. [Kürzel: y], Der „grobe Luther“, in: Deutsch-Evangelische Wochenschau, Jg. 40, Nr. 6 (6. Februar 1941), S. 22. Anon., Lebens-Beschreibung: Anon., Kurtze Lebens=Beschreibung Doct. Andreas Bodensteins Professor. Theologiae zu Wittenberg. Nachmahls Carlstadt Oder Bruder Aengers genannt. In Druck gegeben Auf Anhalten vieler vornehmen Leute, [o. O.] 1720. Anon., Rez. Barge: Anon., Rez. „Barge, Hermann. Frühprotestantisches Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde. Zugleich eine Abwehr gegen Karl Müllers Luther und Karlstadt. Leipzig: Heinsius, 1909. xxvi + 366 pages. M. 10“, in: AJT, Vol. 15, Nr. 2 (April 1911), S. 313–332. Anon., Rez. Bubenheimer 1977/1979: Anon., Rez. „Bubenheimer, Ulrich: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae“, in: BgSE, Bd. 11 (1977–79), S. 491 f. Anon., Rez. Bubenheimer 1980: Anon., Rez. „Ulrich Bubenheimer: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation […]. Tübingen […] 1977“, in: StMon, Bd. 22 (1980), S. 397 f. Anon., Rez. Dieckhoff 1855a: Anon., Rez. „Die evangelische Abendmahlslehre im Reformationszeitalter, geschichtlich dargestellt von Aug. Wilh. Dieckhoff […] Göttingen […] 1854“, in: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur. Unter Mitwirkung der Universität Leipzig, hg. v. E. G. Gersdorf, Jg. 13, Bd. 1 (1855), S. 315 f. [Nr. 1325]. Anon., Rez. Dieckhoff 1855b: Anon., Rez. „Dieckhoff, Aug. Wilh., […] Die evangelische Abendmahlslehre im Reformationszeitalter. Göttingen 1854“, in: PKZ, Jg. 2, Nr. 2 (1855), Sp. 645–647. Anon., Rez. Jäger 1857: Anon., Rez. „Jäger, C. F., Repet. etc. zu Tübingen, Andreas Bodenstein von Carlstadt […], Stuttgart, 1856“, in: LZD, Jg. 1857, Nr. 8 (22. Feburar 1857), Sp. [113]–115. Anon., Rez. Jäger 1858: Anon., Rez. „Jäger, C. F., Repetent am evangelisch=theologischen Seminar zu Tübingen. Andreas Bodenstein von Carlstadt. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformationszeit aus Originalquellen gegeben. Stuttgart […] 1856“, in: PKZ, Jg. 5 (1858), Sp. 87–92. Anon., Rez. Müller: Anon., Rez. „Müller, D. Karl […], Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht. Tübingen 1907“, in: ThLBl, Jg. 29, Nr. 27 ([3. Juli] 1908), Sp. 319 f. Anon., Statistik: Anon., Kirchliche Statistik. Jena, in: Repertorium für die theologische Literatur und kirchliche Statistik. In Verbindung mit mehreren Gelehrten hg. v. Dr. G. F. H. Rheinwald, Bd. 20, Berlin 1838, S. 161–170 [ohne Namenszeichnung firmiert auch der zweite Teil des Textes]. Arnold, Kirchen‑ und Ketzerhistorie, T. 1 f.: Gottfrid Arnolds Unparteyische Kirchen= und Ketzer=Historie/ von Anfang des Neuen Testaments biß auff das Jahr Christi 1688, T. 1 f., Frankfurt/Main 1699.
518
Anhang
Assel, Lutherrenaissance: Heinrich Assel, Der andere Aufbruch. Die Lutherrenaissance – Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudolf Hermann (1910– 1935), Göttingen 1994 (FSÖTh, Bd. 72). Auerbach, Catalogus: Catalogus professorum Academiae Marburgensis. Die akademischen Lehrer der Philipps-Universität in Marburg, Bd. 2: Von 1911 bis 1971, bearb. v. Inge Auerbach, Marburg 1979 (VHKH, Bd. 15,2). B., Rez. Müller: G. B., Rez. „Müller, Karl, Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht. Tübingen 1907“, in: LZD, Jg. 59, Nr. 44 (31. Oktober 1908), Sp. 1414. Back, Jahresbericht: Dr. Back, Jahresbericht über das Bestehen und Wirken der Geschicht= [sic] und Alterthumforschenden [sic] Gesellschaft des Osterlandes zu Altenburg; auf die Zeit vom 29. Sept. 1850 bis dahin 1851, in: Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 3, H. 4, Altenburg 1853, S. 427–444. Baldensperger, Art. Credner: Wilhelm Baldensperger, Art. „Credner, Karl August“, in: Hessische Biographien, Bd. 1, Darmstadt 1918 [ND Walluf bei Wiesbaden 1973], S. 254–258. Baldensperger, Credner: W.[ilhelm] Baldensperger, Karl August Credner. Sein Leben und seine Theologie. Mit Credner’s Bildnis, Leipzig 1897. Balmer, Art. Action: Randall Balmer, Art. „Evangelicals for Social Action“, in: ders., Encyclopedia of Evangelism, Louisville/Kentucky 22002, S. 207. Balmer, Art. Sider: Randall Balmer, Art. „Sider, Ronald J(ames)“, in: ders., Encyclopedia of Evangelism, Louisville/Kentucky 22002, S. 526 f. Barge, Abendmahlstraktate: Hermann Barge, Zur Chronologie und Drucklegung der Abendmahlstraktate Karlstadts, in: ZfB, Jg. 21 (1904), S. 323–331. Barge, Aktenstücke: Hermann Barge (Hg.), Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522, Leipzig 1912. Barge, Anschauungen: Hermann Barge, Entwicklung der geschichtswissenschaftlichen Anschauungen in Deutschland, Leipzig 1898. Barge, Anzeige: H.[ermann] Barge, [Richtigstellung und Entschuldigung in den Auseinandersetzungen um Bennewitz und Rother], in: Leipziger Tageblatt, Jg. 47, Nr. 617 (4. Dezember 1904), S. 47. Barge, Apologia: Hermann Barge, Karlstadt, nicht Melanchthon der Verfasser der unter dem Namen des Bartholomäus Bernhardi von Feldkirch gehenden Schrift Apologia pro Bartholomeo Praeposito, in: ZKG, Bd. 24 (1903), S. 310–318. Barge, Armenordnung: Hermann Barge, Die älteste evangelische Armenordnung, in: HV, Jg. 11 (1908), S. 193–225. Barge, Art. Carlstadt: Hermann Barge, Art. „Carlstadt (Karlstadt, Carolstadt), Andreas Rudolf Bodenstein von“, in: NSHE, Bd. 2, Grand Rapids / Michigan 1952, S. 413–416. Barge, Art. Karlstadt 1901: Hermann Barge, Art. „Karlstadt, Andreas, gest. 1541“, in: RE3, Bd. 10, Leipzig 1901, S. 73–80. Barge, Art. Karlstadt 1912: Hermann Barge, Art. „v. Karlstadt, 1. Andreas Bodenstein (etwa 1480–1541)“, in: RGG1, Bd. 3, Tübingen 1912, Sp. 942–945. Barge, Art. Karlstadt 1913: Hermann Barge, Art. „Karlstadt, Andreas“, in: RE3, Bd. 33: Ergänzungen und Nachträge A-K, Leipzig 1913, S. 738–742. Barge, Art. Karlstadt 1929: Hermann Barge, Art. „Andreas Bodenstein, genannt K. (etwa 1480–1541)“, in: RGG2, Bd. 3, Tübingen 1929, Sp. 632–634.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
519
Barge, Aufführung: Hermann Barge, Aufführung der Perser des Aischylos durch das Königin=Carola=Gymnasium in Leipzig, in: Das humanistische Gymnasium. Organ des Gymnasialvereins, hg. v. Fritz Bucherer u. Hermann Ostern, Jg. 43 (1932), S. 93 f. Barge, Aufklärungskultur: Hermann Barge, Thesen über moderne Aufklärungskultur, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 9/1 (1917), S. 380 f. Barge, Ausspruch: Hermann Barge, Ein Ausspruch eines Wittenberger katholischen Stiftsherrn über die Waldenser aus dem Jahre 1521, in: Monatshefte der ComeniusGesellschaft, hg. v. Ludwig Keller, Bd. 9, H. 9 f. („November-Dezember“ 1900), S. 314 f. Barge, Bauernkrieg: Hermann Barge (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg in zeitgenössischen Quellenzeugnissen, Bd. 1: Vorspiele zum Bauernkrieg – Der Bauernkrieg in Schwaben; Bd. 2: Der Aufstand in Franken und im Odenwald – Niederwerfung des Aufstandes in Süddeutschland, Leipzig 1914 (Voigtländers Quellenbücher, Bd. 71 u. 81). Barge, Beutelordnung: Die Entstehungszeit der Wittenberger Beutelordnung, in: ThStKr, Bd. 86 (1913), S. 461–464. Barge, Bewegungen: Hermann Barge, Die sozialen Bewegungen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Patria. Jahrbuch der „Hilfe“ 1906, S. 1–21 [Sonderabdruck mit handschriftlicher Widmung: „Herrn Prof. Dr. Kötzschke z.[ur] fr[eun]d.[lichen] Er[i]nn[erun]g ganz ergebenst der Verfasser. Leipzig, 5. XI. 05.“; Besitz: Martin Keßler]. Barge, Bitte: Hermann Barge, Bitte, in: ZfB, Jg. 18 (1901), S. 284. Barge, Böhmen: Hermann Barge, Kirchliche Stimmungen in Böhmen um die Mitte des XVI. Jahrhunderts. Auf Grund zweier Actenstücke in der Zeitzer Stiftsbibliothek, in: JGGPÖ, Jg. 22 (1901), S. 148–152. Barge, Brief: Hermann Barge, Zu Luthers „Brief an die Christen zu Straßburg“, in: ZKG, Bd. 28 (1907), S. 45–48. Barge, Buchdruckerkunst: Hermann Barge, Geschichte der Buchdruckerkunst von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Leipzig 1940. Barge, Busse: Hermann Barge, Bruno Busse zum Gedächtnis, Leipzig 1916. Barge, Denken: Hermann Barge, Vom Denken. Rede, gehalten bei der Feier der Entlassung der Abiturienten des Wurzener Staatsgymnasiums am 10. März 1923, in: NJKA, Jg. 52 (1923) bzw. Neue Jahrbücher für Pädagogik, Jg. 26 (1923), S. 135–142. Barge, Entgegnung: Hermann Barge, Entgegnung, in: DLZ, Jg. 31, Nr. 51 (17. Dezember 1910), Sp. 3210–3213. Barge, Erwiderung: Hermann Barge, Erwiderung, in: HV, Jg. 11, H. 1 ([laut Titelblatt: „Ausgegeben am 12. März“] 1908), S. 120–126. Barge, Finnischer Buchdruck: Hermann Barge, Der finnische Buchdruck von seinen Anfängen bis in die Neuzeit, in: GutJb, Jg. 19–24 (1944/49), S. 149–158. Barge, Flugschriften: Hermann Barge (Hg.), Verhör und Akta vor dem Bischof von Meißen gegen den Bischof von Lochau (1522) und Handlung des Bischofs von Merseburg mit den zwei Pfarrern von Schönbach und Buch, geschehen am Dienstag nach Bartholomäi (1523), Halle/Saale 1906 (FEJR, Bd. 1, H. 2) [ND Nieuwkoop 1967]. Barge, Flugschriften: Hermann Barge, Flugschriften des Bundes ‚Neues Vaterland‘, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 8/1 (1916/17), S. 76–80. Barge, Freiheitskämpfer: Hermann Barge, Deutsche Freiheitskämpfer, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 10/1 (1918), S. 60–64.
520
Anhang
Barge, Frühkapitalismus: Hermann Barge, Luther und der Frühkapitalismus, Gütersloh 1951 (SVRG, Nr. 168 [Jg. 58, H. 1]). Barge, Gegenwart: Hermann Barge (Hg.), Die Entwicklung der Buchdruckerkunst vom Jahre 1500 bis zur Gegenwart, Berlin 1941 (Geschichte der Buchdruckerkunst, hg. v. Gustav A. E. Bogeng, Bd. 2). Barge, Gemeindechristentum: Hermann Barge, Frühprotestantisches Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde. Zugleich eine Abwehr gegen Karl Müllers „Luther und Karlstadt“, Leipzig 1909. Barge, Gewerkschaften: Hermann Barge, Gewerkschaften und Sparzwang für jugendliche Arbeiter, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 8/1 (1916/17), S. 356–359. Barge, Geyer: Hermann Barge, Florian Geyer. Eine biographische Studie, Leipzig 1920 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Bd. 26). Barge, Glück: Frau Marie Beer in Verehrung zugeeignet. Glück. Gedicht nach dem Dänischen des J. P. Jacobsen. Für vierstimmigen Männerchor komponiert von Hermann Barge. Op. 6. Partitur und Stimmen Pr. 2 Mark. Eigentum des Verlegers für alle Länder, Leipzig [Rob. Forberg] 1912 [Exemplar: BSB München; Sig. 4 Mus.pr. 60343; Stempelvermerk: „Aus dem Nachlaß Henri Marteau“]. Barge, Goetz: Hermann, Barge, Walter Goetz als Historiker. Zum 60. Geburtstag des Leipziger Gelehrten, in: Neue Leipziger Zeitung, Nr. 312 (11. November 1927), S. 6. Barge, Islam: Hermann Barge, Luthers Stellung zum Islam und seine Übersetzung der Confutatio des Ricoldus, in: AMZ, Jg. 43 (1916), S. 79–121. Barge, Karlstadt, T. 1 f.: Hermann Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt, I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation; II. Teil: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus, Leipzig 1905 [ND Nieuwkoop 1968]. Barge, Krokodilschluß: Hermann Barge, Der Horn‑ und Krokodilschluß. Ein Beitrag zur Kenntnis der antiken Trugschlüsse und zugleich eine Untersuchung über Luthers responsum neque cornutum neque dentatum in Worms, in: AKuG, Bd. 18 (1928), S. 1–40. Barge, Kulturgeschichte: [Hermann Barge], Geschichte und Kulturgeschichte, in: Literarischer Ratgeber des Kunstwart, München 1901, S. 70–77. Barge, Kurie: Hermann Barge, Das Vorgehen der Kurie gegen Luther in den Jahren 1518–21, in: NJKA, Bd. 14 (1911), 277–295. Barge, Lamprecht: Hermann Barge, Karl Lamprecht, in: Die Hilfe. Wochenzeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, hg. v. Friedrich Naumann, Jg. 21, Nr. 20 (nach S. 309 [„20. Mai“] 1915), S. 320–322. Barge, Landschaftsbilder: Hermann Barge, Italienische Städte‑ und Landschaftsbilder, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung (Nr. 34: 24. August 1912), S. [133]–136; (Nr. 35: 31. August 1912), S. [137]–139; (Nr. 36: 7. September 1912), S. [141]–144. Barge, Liberalismus: Hermann Barge, Der Wandel der Staatsauffassung in den Anschauungen des deutschen Liberalismus, in: Europäische Staats‑ und Wirtschafts-Zeitung, Jg. 1916, Nr. 23 (31. August 1916), S. 1171–1177. Barge, Mammonismus: Hermann Barge, Luthers Kampf gegen den Mammonismus, in: EvSoz, Jg. 42 (1937), S. 20–26, 36–55, 107–117; Jg. 43 (1938), S. 3–21. Barge, Missionsreise: Hermann Barge, Der Dominikanermönch Ricoldus und seine Missionsreise nach dem Orient, in: AMZ, Jg. 43 (1916), S. 27–40. Barge, Monarchie: Hermann Barge, Die Entwicklung der deutschen Monarchie, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Litteratur und Kunst, Jg. 60, H. 2 (1901), S. 49–57, 109–117.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
521
Barge, Nation: Hermann Barge, Neue Reden an die deutsche Nation, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 9/2 (1917/18), S. 644–648. Barge, Naumann: Hermann Barge, Friedrich Naumann. Seine Persönlichkeit und sein Lebenswerk. Ein Vortrag, Leipzig 1920. Barge, Neuorganisation: Hermann Barge, Einleitung zu den Schriften zur Neuorganisation der Kirche, in: Hans Heinrich Borcherdt (Hg. u.a.), Martin Luther. Ausgewählte Werke, Bd. 5: Vom unfreien Willen. Schriften zur Neuorganisation der Kirche, hg. v. Hermann Barge, Hans Heinrich Borcherdt u. Friedrich Wilhelm Schmidt, München 1923, S. XXIX–LXXXVII. Barge, Orlamünde: Hermann Barge, Die Übersiedlung Karlstadts von Wittenberg nach Orlamünde (Frühjahr 1523), in: ZVThG, Bd. 29 (1913), S. 338–350. Barge, Persönlichkeit: Hermann Barge, Organisation und Persönlichkeit. Vortrag gehalten im Bund der technisch-industriellen Beamten, Berlin 1907 [zweites Titelvorsatzblatt: 1906] (Schriften des Bundes der technisch-industriellen Beamten, Nr. 10). Barge, Persönlichkeiten: Hermann Barge, Miscellen über Rothenburger Persönlichkeiten der Reformationszeit, in: BBKG, Bd. 7 (1901), S. 274–280. Barge, Philipp: Hermann Barge, Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen, in: Leipziger Zeitung. Beilage, Nr. 135 (12. November 1904), S. 537–540. Barge, Realschule: Hermann Barge, Gründung der ältesten sächsischen Realschule (Leipzig) und ihre ersten Schicksale, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Deutsche Erziehung‑ und Schulgeschichte, Jg. 7, H. 3 (1897), S. 301–331. Barge, Reformationsgeschichte: Hermann Barge, Eine neue Reformationsgeschichte, in: Hefte der Comenius-Gesellschaft, hg. v. Ludwig Keller, Jg. 17, H. 2 (1908), S. 84–92. Barge, Rez. ARG: Hermann Barge, Rez. „Archiv für Reformationsgeschichte […,] I. Jahrg., Heft 2“, in: MhL, Jg. 33 (1905), S. 436 f. Barge, Rez. Bekker: Hermann Barge, Rez. „Bekker, Dr. Ernst, Beiträge zur englischen Geschichte im Zeitalter Elisabeths […], Giessen […] 1899“, in: MhL, Jg. 29 (1901), S. 76 f. Barge, Rez. Berbig: Hermann Barge, Rez. „Dr. Georg Berbig, Georg Spalatin und sein Verhältnis zu Martin Luther“, in: MhL, Jg. 36 (1908), S. 79 f. Barge, Rez. Berger 1898: Hermann Barge, Rez. „Berger, Arnold E., Die Kulturaufgaben der Reformation […,] Berlin […] 1895 [… und ders.,] Martin Luther in kulturgeschichtlicher Darstellung […,] 1898“, in: MhL, Jg. 26 (1898), S. 434–442. Barge, Rez. Berger 1908: Hermann Barge, Rez. „Berger, Arnold E., Die Kulturaufgaben der Reformation […,] Berlin […] 1908“, in: MhL, Jg. 36 (1908), S. 429–431. Barge, Rez. Bergmann: Hermann Barge, Rez. „Bergmann, Dr. phil. Cornelius, Die Täuferbewegungen im Kanton Zürich […,] Leipzig […] 1916“, in: MhL, Bd. 47, N. F., Bd. 7 (1919), S. 32–34. Barge, Rez. Besser: Hermann Barge, Rez. „Besser, Gustav Adolf, Geschichte der Frankfurter Flüchtlingsgemeinden […,], Halle […] 1906“, in: MhL, Jg. 35 (1907), S. 441 f. Barge, Rez. Bischoffshausen: Hermann Barge, Rez. „Bischoffshausen, Dr. Sigismund Freiherr von, Die Politik des Protektors Oliver Cromwell in der Auffassung und Thätigkeit seines Ministers, des Staatssekretärs John Thurloe […], Innsbruck […] 1899“, in: MhL, Jg. 29 (1901), S. 77–80. Barge, Rez. Böhmer: Hermann Barge, Rez. „Böhmer, H., Urkunden zur Geschichte des Bauernkrieges und der Wiedertäufer. (Kleine Texte für theologische und philosophische
522
Anhang
Vorlesungen und Übungen […], Nr. 50/51) […,] Bonn […] 1910“, in: MhL, Jg. 39 (1911), S. 295. Barge, Rez. Bonwetsch: Hermann Barge, Rez. „Bonwetsch, Gerhard, Geschichte des Passauischen Vertrages von 1552 […,] Göttingen […] 1907“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 166–168. Barge, Rez. Brandenburg: Hermann Barge, Rez. „Brandenburg, Erich, Moritz von Sachsen […,] Leipzig […] 1898“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 171–174. Barge, Rez. Briefmappe: Hermann Barge, Rez. „Briefmappe. Erstes Stück […,] Münster […] 1912“, in: MhL, Jg. 43, N. F., Bd. 3 (1915), S. 40 f. Barge, Rez. Brieger: Hermann Barge, Rez. „Brieger, Theodor, Martin Luther und wir. Das reformatorische Christentum Luthers, seinen Kernpunkten nach dargestellt […,] Gotha […] 1916“, in: MhL, Bd. 46, N. F., Bd. 6 (1918), S. 32–34. Barge, Rez. Caemmerer: Hermann Barge, Rez. „von Caemmerer, Hermann, Das Regensburger Religionsgespräch im Jahre 1546 […,] Berlin […] 1901“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 422 f. Barge, Rez. Cardauns: Hermann Barge, Rez. „Cardauns, Ludwig, Zur Geschichte der kirchlichen Unions‑ und Reformbestrebungen von 1538 bis 1542 […,] Rom […] 1910“, in: MhL, Jg. 41, N. F., Bd. 1 (1914), S. 61–65. Barge, Rez. Christmann: Hermann Barge, Rez. „Christmann, Dr. Curt, Melanchthons Haltung im schmalkaldischen Kriege […,] Berlin […] 1902“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 423–425. Barge, Rez. Clemen 1900: Hermann Barge, Rez. „Clemen, […] Otto, Beiträge zur Reformationsgeschichte aus Büchern und Handschriften der Zwickauer Ratsschulbibliothek. Erstes Heft […,] Berlin […] 1900“, in: MhL, Jg. 29 (1901), S. 417 f. Barge, Rez. Clemen 1903: Hermann Barge, Rez. „Clemen, Otto, Beiträge zur Reformationsgeschichte aus Büchern und Handschriften der Zwickauer Ratsschulbibliothek. 2. Heft […], Berlin […] 1902“, in: MhL, Jg. 31 (1903), S. 165–167. Barge, Rez. Clemen 1911: Hermann Barge, Rez. „Zwickauer Faksimiledrucke [hg. v. Otto Clemen]. Zwickau [Nr. 1–4]“, in: MhL, Jg. 39 (1911), S. 285–287. Barge, Rez. Clemen 1912: Hermann Barge, Rez. „Zwickauer Faksimiledrucke [hg. v. Otto Clemen,] Nr. 5[f. …] Handschriftenproben aus der Reformationszeit […] 1. Lieferung […,] Zwickau […] 1911“, in: MhL, Jg. 40 (1912), S. 245 f. Barge, Rez. Clemen/Lietzmann: Hermann Barge, Rez. „Alte Einblattdrucke, herausgegeben von Otto Clemen […,] Bonn […] 1911. […] Der Unterricht der Visitatoren, herausgegeben von Hans Lietzmann […,] 1912. […] Johannes Bugenhagens Braunschweiger Kirchenordnung 1528, herausgegeben von Hans Lietzmann. […] Bonn, […] 1912“, in: MhL, Jg. 43, N. F., Bd. 3 (1915), S. 108–110. Barge, Rez. Creutzberg: Hermann Barge, Rez. „Creutzberg, Dr. Heinrich August, Karl von Miltitz 1490–1529 […,] Freiburg […] 1907“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 93 f. Barge, Rez. Duijnstee: Hermann Barge, Rez. „Duijnstee, Dominicar Fr. X. P. […], Polemica de S. S. Eucharistiae Sacramento inter Bartholomaeum Arnoldi de Usingen […] anno 1530 […], Würzburg […] 1903“, in: MhL, Jg. 31 (1903), S. 297 f. Barge, Rez. Eder: Hermann Barge, Rez. „Gottfried Eder, Die Reformvorschläge Kaiser Ferdinands I. auf dem Konzil von Trient. I. Teil. […] Münster […] 1911“, in: DLZ, Jg. 35 (3./10. Oktober 1914), Sp. 2288–2292. Barge, Rez. Ehrengabe Lamprecht: Hermann Barge, Rez. „Studium Lipsiense. Ehrengabe, Karl Lamprecht dargebracht […,] Leipzig […] 1909“, in: MhL, Jg. 40 (1912), S. 220–224.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
523
Barge, Rez. Eiermann: Hermann Barge, Rez. „Eiermann, Dr. Adolf, Lazarus von Schwendi […,] Freiburg […] 1904“, in: MhL, Jg. 34 (1906), S. 194–196. Barge, Rez. Enthoven: Hermann Barge, Rez. „Enthoven, Dr. L. K., Professor, Briefe des Desiderius Erasmus von Rotterdam […,] Straßburg […] 1906“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 92. Barge, Rez. Eulenburg/Stieda: Hermann Barge, Rez. „Eulenburg, Franz, Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten hundert Jahren […,] Leipzig […] 1909 [… .] Stieda, Dr. Wilhelm, […] Die Universität Leipzig in ihrem tausendsten Semester. […] Leipzig […] 1909“, in: MhL, Jg. 39 (1911), S. 121–123. Barge, Rez. Fabian: Hermann Barge, Rez. „Fabian, Ernst, Der Streit Luthers mit dem Zwickauer Rate im Jahre 1531 […,] Zwickau […] 1905“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 165 f. Barge, Rez. Förstemann/Günther: Hermann Barge, Rez. „Förstemann, Joseph u. Otto Günther, Briefe an Desiderius Erasmus von Rotterdam […,] Leipzig […] 1904“, in: MhL, Jg. 34 (1906), S. 186–191. Barge, Rez. Geß: Hermann Barge, Rez. „Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachen. Hrsg. von Felician Geß. 1. Band […], Leipzig […] 1905“, in: MhL, Jg. 35 (1907), S. 172–177. Barge, Rez. Geving: Hermann Barge, Rez. „Reformationsgeschichtliche Studien und Texte. Herausgegeben von Dr. Joseph Greving […,] Münster“, in: MhL, Jg. 36 (1908), S. 431–435. Barge, Rez. Gindely: Hermann Barge, Rez. „Gindely, Anton, Beiträge zur Geschichte des dreissigjährigen Krieges herausgegeben von J. Hirn […,] Wien […] 1900“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 181–183. Barge, Rez. Gossard 1898: Hermann Barge, Rez. „Gossard, Ernest, Notes pour servir à l’histoire du règne de Charles-Quint […,] Bruxelles […] 1897“, in: MhL, Jg. 26 (1898), S. 194 f. Barge, Rez. Gossard 1902: Hermann Barge, Rez. „Gossard, E., […] S. A. aus Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, Classe des lettres etc. Nr. 7“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 73 f. Barge, Rez. Gossard 1903: Hermann Barge, Rez. „Gossard, Ernest, […] Extrait des Bulletins de l’Académie royale de Belgique, Classe des lettres, [… Nr.] 6 [und …] 3“, in: MhL, Jg. 31 (1903), S. 434 f. Barge, Rez. Greving: Hermann Barge, Rez. „Eck, Johannes: Defensio contra amarulentas D. Andreae Bodenstein Carolstatini invectiones (1518). Hrsg. v. Prof. Dr. Joseph Greving […,] Münster […] 1919“, in: ThLZ, Jg. 45 (1920), Sp. 109 f. Barge, Rez. Hasenclever 1905: Hermann Barge, Rez. „Hasenclever, Dr. Adolf, Die Politik Kaiser Karls V. und Landgraf Philipps von Hessen vor Ausbruch des schmalkaldischen Krieges (Januar bis Juli 1546) […,] Marburg […] 1903“, in: MhL, Jg. 33 (1905), S. 446–448. Barge, Rez. Hasenclever 1906: Hermann Barge, Rez. „Hasenclever, Dr. Adolf, Die kurpfälzische Politik in den Jahren des schmalkaldischen Krieges (Januar 1546 bis Januar 1547) […,] 1905“, in: MhL, Jg. 34 (1906), S. 192–194. Barge, Rez. Hasenclever 1907: Hermann Barge, Rez. „Hasenclever, Dr. phil. Adolf, Sleidan-Studien […,] Bonn […] 1905“, in: MhL, Jg. 35 (1907), S. 440 f. Barge, Rez. Hattendorf: Hermann Barge, Rez. „Hattendorf, Pfarrer Johannes, Geschichte des evangelischen Bekenntnisses in der Stadt Fulda […,] Hamburg […] 1903“, in: MhL, Jg. 33 (1905), S. 357 f.
524
Anhang
Barge, Rez. Haupt: Hermann Barge, Rez. „Haupt, Hermann, Beiträge zur Reformationsgeschichte der Reichsstadt Worms […,] Giessen […] 1897“, in: MhL, Jg. 26 (1898), S. 191 f. Barge, Rez. Hermsen: Hermann Barge, Rez. „Hermsen, Hugo: Die Wiedertäufer zu Münster in der deutschen Dichtung […,] Stuttgart […] 1913“, in: ThLZ, Jg. 39 (1914), Sp. 593 f. Barge, Rez. Hoffmann: Hermann Barge, Rez. „Hoffmann, Ernst, Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation […,] Leipzig […] 1900“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 176–178. Barge, Rez. Ißleib: Hermann Barge, Rez. „Ißleib, Dr. S. Professor, Moritz von Sachsen als evangelischer Fürst 1541–1553 […,] Leipzig […] 1907“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 98–100. Barge, Rez. Junge: Hermann Barge, Rez. „Junge, Prof. Dr. Friedrich, Martin Luther […,] Berlin […] 1898“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 284. Barge, Rez. Kalkoff 1907a: Hermann Barge, Rez. „Kalkoff, Paul, Forschungen zu Luthers römischem Prozeß […,] Rom“, in: MhL, Jg. 35 (1907), S. 65–70. Barge, Rez. Kalkoff 1907b: Hermann Barge, Rez. „Ablaß und Reliquienverehrung an der Schloßkirche zu Wittenberg unter Friedrich dem Weisen. Von Paul Kalkoff. Gotha, Fr. A. Perthes. 1907“, in: HZ, Bd. 99, Folge 3, Bd. 3 (1907), S. 573 f. Barge, Rez. Kalkoff 1912: Hermann Barge, Rez. „Paul Kalkoff […], Die Miltitziade. Eine kritische Nachlese zur Geschichte des Ablassstreites [sic]. […] Leipzig […] 1911“, in: DLZ, Jg. 33 (1. Juli 1912), Sp. 1357–1359. Barge, Rez. Kalkoff 1915: Hermann Barge, Rez. „Kalkoff, Paul, die Entstehung des Wormser Edikts […,] Leipzig […] 1913“, in: MhL, Jg. 43, N. F., Bd. 3 (1915), S. 257–262. Barge, Rez. Kipp: Hermann Barge, Rez. „Kipp, Friedrich, Silvester von Schaumburg, der Freund Luthers […,] Leipzig […] 1911“, in: MhL, Jg. 40 (1912), S. 93–96. Barge, Rez. Knodt: Hermann Barge, Rez. „Knodt, Emil, Gerdt Omeken […,] Gütersloh […] 1897“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 77 f. Barge, Rez. Kroker: Hermann Barge, Rez. „Kroker, Ernst, Beiträge zur Geschichte der Stadt Leipzig im Reformationszeitalter […,] Leipzig […] 1908“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 163 f. Barge, Rez. Lamprecht: H.[ermann] B[ar]ge, Rez. „Lamprecht, Karl, Deutsche Geschichte. Erste Abteilung: Urzeit und Mittelalter […]. Erster Band. Dritte durchgesehene Auflage. Berlin, 1902“, in: LZD, Jg 53 (Nr. 19 [10. Mai 1902]), Sp. 616–619. Barge, Rez. Lemmens: Hermann Barge, Rez. „Leonhard Lemmens […], Aus ungedruckten Franziskanerbriefen des XVI. Jahrhunderts […,] Münster […] 1911“, in: DLZ, Jg. 36 (20. März 1915), Sp. 609. Barge, Rez. Lewin: Hermann Barge, Rez. „Lewin, Dr. Rhold.: Luthers Stellung zu den Juden […,] Berlin […] 1911“, in: ThLZ, Jg. 37 (1912), Sp. 400–402. Barge, Rez. Lietzmann 1911: Hermann Barge, Rez. „Karlstadt, Andreas: Von Abtuhung der Bilder und das keyn Bedtler vnther den Christen seyn sollen […], hrsg. v. H. Lietzmann […,] Bonn […] 1911“, in: ThLZ, Jg. 36 (1911), Sp. 826 f. Barge, Rez. Maurenbrecher: Hermann Barge, Rez. „Maurenbrecher, Max, Dr. phil, Thomas von Aquinos Stellung zum Wirtschaftsleben seiner Zeit […,] Leipzig […] 1898“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 269–271. Barge, Rez. Mentz 1905: Hermann Barge, Rez. „Mentz, Dr., Georg, Johann Friedrich der Großmütige 1503–1554 […,] Jena […] 1903“, in: MhL, Jg. 33 (1905), S. 184–186. Barge, Rez. Mentz 1906: Hermann Barge, Rez. „Mentz, Georg, Die Wittenberger Artikel von 1536 […,] Leipzig […] 1905“, in: MhL, Jg. 34 (1906), S. 191 f.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
525
Barge, Rez. Mentz 1910: Hermann Barge, Rez. „Menzt [sic!], Dr. Georg, Johann Friedrich der Grossmütige 1503–1554. Zweiter Teil [… und] Dritter Teil […,] Jena […] 1908“, in: MhL, Jg. 38 (1910), S. 423–428. Barge, Rez. Meyer: Hermann Barge, Rez. „Meyer, Arnold Oskar, Die englische Diplomatie in Deutschland zur Zeit Eduards VI. und Mariens […,] Breslau […] 1900“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 71–73. Barge, Rez. Müller: Hermann Barge, Rez. „Müller, D. Dr. Nikolaus, […] Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522 […,] 2. Aufl. […] Leipzig […] 1911“, in: MhL, Jg. 40 (1912), S. 174–180. Barge, Rez. Paulus 1899: Hermann Barge, Rez. „Paulus, Dr. N., Ein Justizmord an vier Dominikanern begangen […,] Frankfurt a. M. […] 1897“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 283 f. Barge, Rez. Paulus 1900: Hermann Barge, Rez. „Paulus, Dr. Nikolaus, Kaspar Schatzgeyer, ein Vorkämpfer der katholischen Kirche gegen Luther in Süddeutschland […,] Freiburg i. B. […] 1898“, in: MhL, Jg. 28 (1900), S. 320–322. Barge, Rez. Redlich 1901: Hermann Barge, Rez. „Redlich, Dr. phil. Paul, Kardinal Albrecht von Brandenburg und das Neue Stift zu Halle […], Mainz […] 1900“, in: MhL, Jg. 29 (1901), S. 418–422. Barge, Rez. Redlich 1912: Hermann Barge, Rez. „Otto R. Redlich […], Jülich-bergische Kirchenpolitik am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit. 2. Bd. […] 1. Th. […] Bonn […] 1911“, in: DLZ, Jg. 33 (17. August 1912), Sp. 2091–2093. Barge, Rez. Reichenberger: Hermann Barge, Rez. „Reichenberger, Dr. Rob., Wolfgang von Salm, Bischof von Passau (1540–1555) […], Freiburg i. B. […] 1902“, in: MhL, Jg. 31 (1903), S. 299–301. Barge, Rez. Rembert: Hermann Barge, Rez. „Rembert, Dr. phil. Karl, Die ‚Wiedertäufer im Herzogtum Jülich‘ […,] Berlin […] 1899“, in: MhL, Jg. 28 (1900), S. 369–372. Barge, Rez. Richter: Hermann Barge, Rez. „Richter, Dr. Max, Desiderius Erasmus und seine Stellung zu Luther auf Grund ihrer Schriften […,] Leipzig […] 1907“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 91 f. Barge, Rez. Ritter: Hermann Barge, Rez. „Ritter, Moriz, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreissigjährigen Krieges (1555–1648) […,] Stuttgart […] 1901“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 425 f. Barge, Rez. Ropp: Hermann Barge, Rez. „von der Ropp, G. Frhr., Sozialpolitische Bewegungen im Bauernstande vor dem Bauernkriege […,] Marburg […] 1899“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 282 f. Barge, Rez. Rotscheidt: Hermann Barge, Rez. „Rotscheidt, W., Ein Martyrium in Köln im Jahre 1529 […,] Köln […] 1904“, in: MhL, Jg. 33 (1905), S. 318. Barge, Rez. Schäfer 1905: Hermann Barge, Rez. „Schäfer, Ernst, Dr. […], Sevilla und Valladolid, die evangelischen Gemeinen Spaniens im Reformationszeitalter […,] Halle […] 1903“, in: MhL, Jg. 33 (1905), S. 318 f. Barge, Rez. Schäfer 1914: Hermann Barge, Rez. „Schäfer, Karl Heinrich: Johannes Sander v. Northusen […,] Rom […] 1913“, in: ThLZ, Jg. 39 (1914), Sp. 622 f. Barge, Rez. Schirrmacher: Hermann Barge, Rez. „Schirrmacher, Bruno, Drei unbekannte Streitschriften aus der Zeit des Jülich-Cleveschen Erbfolgekrieges mit einem Anhang: zwei neue Handschriften des ‚Strahlendorferschen Gutachtens‘ […], Rostock […] 1898“, in: MhL, Jg. 29 (1901), S. 75. Barge, Rez. Schottenloher: Hermann Barge, Rez. „Schottenloher, […] Karl: Philipp Ulhart. Ein Augsburger Winkeldrucker und Helfershelfer der ‚Schwärmer‘ und ‚Wiedertäufer‘ [… ,] München […] 1921“, in: ThLZ, Jg. 46 (1921), Sp. 297 f.
526
Anhang
Barge, Rez. Seeberg: Hermann Barge, Rez. „Seeberg, Reinhold, Die Theologie des Johannes Duns Scotus […,] Leipzig […] 1900“, in: MhL, Jg. 30 (1902), S. 146 f. Barge, Rez. Steffen: Hermann Barge, Rez. „Steffen, Wilhelm, Zur Politik Abrechts von Mainz in den Jahren 1532 bis 1545 […,] Greifswald […] 1897“, in: MhL, Jg. 26 (1898), S. 192 f. Barge, Rez. Theobald: Hermann Barge, Rez. „Theobald, Dr. Leonhard: Die Einführung der Reformation in der Grafschaft Ortenburg […,] Leipzig […] 1914“, in: ThLZ, Jg. 40 (1915), Sp. 452 f. Barge, Rez. Thieme: Hermann Barge, Rez. „Thieme, Karl […:] Eine katholische Beleuchtung der Augsburgischen Konfession […,] Leipzig 1898“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 284 f. Barge, Rez. U. Schmidt: Hermann Barge, Rez. „Schmidt, P. Ulrich, O. F. M.: P. Stephan Fridolin, ein Franziskanerprediger des ausgehenden Mittelalters […,] München […] 1911“, in: ThLZ, Jg. 37 (1912), Sp. 113–115. Barge, Rez. W. Schmidt: Hermann Barge, Rez. „Wilhelm Schmidt […], Die Kirchen‑ und Schulvisitation im sächsischen Kurkreise vom Jahr 1555. 1. Heft […,] Halle […] 1906“, in: DLZ, Jg. 28 (25. Mai 1907), Sp. 1323 f. Barge, Rez. Wappler 1911: Hermann Barge, Rez. „Inquisition und Ketzerprozesse in Zwickau zur Reformationszeit. Dargestellt im Zusammenhang mit der Entwicklung der Ansichten Luthers und Melanchthons über Glaubens‑ und Gewissensfreiheit. Von Dr. Paul Wappler. Leipzig, Heinsius Nachf. 1908.“, in: HZ, Bd. 106 (1911), S. 370 f. Barge, Rez. Wappler 1912: Hermann Barge, Rez. „Wappler, Prof. Dr. Paul, Die Stellung Kursachsens und des Landgrafen Philipp von Hessen zur Täuferbewegung […,] Münster […] 1910“, in: MhL, Jg. 40 (1912), S. 302–306. Barge, Rez. Wappler 1915: Hermann Barge, Rez. „Wappler, Paul, Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526–1584 […,] Jena […] 1913“, in: ThLZ, Jg. 40 (1915), Sp. 59–63. Barge, Rez. Wappler 1916: Hermann Barge, Rez. „Wappler, Paul, Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526–1584 […,] Jena […] 1913“, in: MhL, Jg. 44, N. F., Bd. 4 (1916), S. 23 f. Barge, Rez. Welck: Hermann Barge, Rez. „Welck, Heinrich Freiherr von, Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen […,] Braunschweig […] 1900“, in: MhL, Jg. 28 (1900), S. 318–320. Barge, Rez. Wilke: Hermann Barge, Rez. „Wilke, Prof. Lic. Dr. Geo.: Beiträge zur Lebensgeschichte des Andreas Pankratius […,] Halle […] 1912“, in: ThLZ, Jg. 39 (1914), Sp. 570 f. Barge, Rez. Wintzingerode: Hermann Barge, Rez. „Wilhelm Clothar Freih. von, Barthold von Wintzingerode […,] Gotha […] 1907“, in: MhL, Jg. 37 (1909), S. 301 f. Barge, Rez. Wolf 1899a: Hermann Barge, Rez. „Wolf, Gustav, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation […,] Berlin […] 1898“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 80–84. Barge, Rez. Wolf 1899b: Hermann Barge, Rez. „Wolf, Gustav, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation […,] Berlin […] 1898 und 1899“, in: MhL, Jg. 27 (1899), S. 471–474. Barge, Rez. Wolf 1910: Hermann Barge, Rez. „Wolf, Gustav, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation. 2. Band, 1. Abt […,] Berlin […] 1908“, in: MhL, Jg. 38 (1910), S. 428–432. Barge, Rez. Wustmann 1908: Hermann Barge, Rez. „Wustmann, Gustav, Der Leipziger Kupferstich im 16., 17. und 18. Jahrhundert […,] Leipzig […] 1907“, in: MhL, Jg. 36 (1908), S. 218–220.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
527
Barge, Rez. Wustmann 1910: Hermann Barge, Rez. „Wustmann, Gustav, Aus Leipzigs Vergangenheit. Gesammelte Aufsätze. Dritte Reihe […,] […] Leipzig 1909“, in: MhL, Jg. 38 (1910), S. 481 f. Barge, Rez. Zedler/Schwenke: Hermann Barge, Rez. „Zedler, Gottfried, Dr., Die älteste Gutenbergtype […,] Mainz […] 1902. Schwenke, Paul, Dr., Die Donat‑ und KalenderType […,] Mainz […] 1903“, in: MhL, Jg. 33 (1905), S. 182–184. Barge, Rolland: Hermann Barge, Romain Rolland und wir, in: Die Hilfe. Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst, Jg. 22, Nr. 13 (30. März 1916), S. 209–211. Barge, Schrift: Hermann Barge, Über eine vergessene Schrift Karlstadts, in: ThStKr, Bd. 74 (1901), S. 522–533. Barge, Sozialismus: Hermann Barge, Die Behandlung des Sozialismus im Geschichtsunterricht. Vortrag, gehalten auf der zweiten Hauptversammlung des Sächsischen Philologenvereins zu Leipzig am 25. September 1921, in: Vergangenheit und Gegenwart. Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung in allen Schulgattungen, Jg. 12 (1922), S. [1]–14. Barge, Sparzwang: Hermann Barge, Zum Sparzwang der Jugendlichen, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 8/2 (1916/17), S. 661–665. Barge, Strauß: Hermann Barge, Jakob Stauß. Ein Kämpfer für das Evangelium in Tirol, Thüringen und Süddeutschland, Leipzig 1937 (SVRG, Nr. 162 [Jg. 54, H. 2]), S. 5 f. Barge, Streit: Hermann Barge, Der Streit um die Grundlagen der religiösen Erneuerung in der Kontroverse zwischen Luther u. Karlstadt 1524/25, in: Studium Lipsiense. Ehrengabe Karl Lamprecht dargebracht aus Anlass der Eröffnung des Königlich Sächsischen Instituts für Kultur‑ und Universalgeschichte bei der Universität Leipzig von Schülern aus der Zeit seiner Leipziger Wirksamkeit, Berlin 1909, S. 192–213. Barge, Strömungen: Hermann Barge, Sozial=christliche Strömungen des ausgehenden Mittelalters, in: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 1900, Nr. 182 („München, Freitag, 10. August“ 1900), S. 1–3. Barge, Typgenguss: Hermann Barge, Christoph Sauer der Jüngere und die Einführung des Typengusses in Amerika, in: GutJb, Jg. 17 f. (1942/43), S. 260–276. Barge, Unruhen: Hermann Barge, Neue Aktenstücke zur Geschichte der Wittenberger Unruhen, in: ZKG, Bd. 22 (1901), S. 120–129. Barge, Ursachen: Hermann Barge, Die Ursachen des Bauernkrieges und Florian Geyers Stellungnahme zur bäuerlichen Bewegung im Jahre 1925, in: Vergangenheit und Gegenwart. Zeitschrift für den Geschichtsunterricht und staatsbürgerliche Erziehung in allen Schulgattungen, Jg. 19, H. 2 (1929), S. 513–532. Barge, Verfassungsformen: Hermann Barge, Die geschichtliche Bedingtheit der politischen Verfassungsformen, in: Die Hilfe. Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur. Hg. v. Dr. Th. Barth, Jg. 21, Nr. 45 (6. August 1904), S. 710–712. Barge, Vermächtnis: Hermann Barge, Ein philosophisches Vermächtnis, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 9/2 (1917/18), S. 914–923. Barge, Verständigung: Hermann Barge, Weltkrieg und internationale Verständigung, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 8/2 (1916/17), S. 1039–1043. Barge, Vertrag: Hermann Barge, Die Verhandlungen zu Linz und Passau und der Vertrag von Passau im Jahr 1552, Stralsund 1892.
528
Anhang
Barge, Verzeichnis: Hermann Barge, Die gedruckten Schriften des evangelischen Predigers Jakob Strauß, in: ARG, Jg. 32 (1935), S. 100–121; 248–252. Barge, Volkskammer: Hermann Barge, [Redebeitrag vom 6. März 1919], in: Verhandlungen der Sächsischen Volkskammer im Jahre 1919, Bd. 1, Nr. 7, Dresden 1919, S. 262– 267. Barge, Vorgänge: Hermann Barge, Zur Genesis der frühreformatorischen Vorgänge in Wittenberg, in: HV, Jg. 17, H. 1 ([„ausgegeben am 5. Februar“] 1914), S. 1–33. Barge, Vorwort: Hermann Barge, Vorwort, in: Wilhelm Zimmermann, Geschichte des großen Bauernkrieges nach den Urkunden und Augenzeugen, Bd. 1, Naunhof u. Leipzig 1939, S. V–XXIX. Barge, Weltkrieg 1916/1917: Hermann Barge, Schriften zum Weltkrieg, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 8/2 (1916/17), S. 832–834. Barge, Weltkrieg 1917/1918: Hermann Barge, Schriften zum Weltkrieg aus dem Jahre 1917, in: Die Tat. Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur, hg. v. Eugen Diederichs, Jg. 9/2 (1917/18), S. 804–807. Barge, Wittenberg: Hermann Barge, Luther und Karlstadt in Wittenberg. Eine kritische Untersuchung, in: HZ, Bd. 99, F. 3, Bd. 3 (1907), S. 257–324. Barge, Zartgefühl: Hermann Barge, Luthers Zartgefühl, Zwickau o. J. [1935] [Besitzvermerk Günther Bornkamms: „Geschenk von Heinrich“; Besitz: Martin Keßler]. Barge, Zusammenbruch: Hermann Barge, Rumäniens Zusammenbruch, in: Die Hilfe. Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst, Jg. 22, Nr. 52 (28. Dezember 1916), S. 849–851. Barge/Brenner, Alcoran: Hermann Barge u. Otto Brenner (Hg.), Verlegung des Alcoran Bruder Richardi, Prediger Ordens, in: WA, Bd. 53 [1920], S. 261–396. Barge/Brenner, Entschuldigung: Hermann Barge u. Otto Brenner (Hg.), Vorrede zu Karlstadts „Entschuldigung“ und „Entschuldigung“ D. Karlstadts, in: WA, Bd. 18 [1908], S. 431–445. Barge/Brenner, Erklärung: Hermann Barge u. Otto Brenner (Hg.), Vorrede zu Karlstadts „Erklärung“ und „Erklärung“ D. Karlstadts, in: WA, Bd. 18 [1908], S. 446–466. Barge/Brenner, Propheten: Hermann Barge u. Otto Brenner (Hg.), Wider die himmlischen Propheten, T. 1 f., in: WA, Bd. 18 [1908], S. 37–214. Barge / Clemen, Koranausgabe: Hermann Barge u. Otto Clemen (Hg.), Vorrede zu Theodor Biblianders Koranausgabe, in: WA, Bd. 53 [1920], S. 561–572. Barge, Erinnerungen: [Wilhelm Barge], Erinnerungen aus meiner Jugend und Werdezeit. (Als Manuskript gedruckt.), Naumburg/Saale [1912]. Basse, Konzeptionen: Michael Basse, Die dogmengeschichtlichen Konzeptionen Adolf von Harnacks und Reinhold Seebergs, Göttingen 2001 (FKDG, Bd. 82). Bauch, Carlstadt: Gustav Bauch, Andreas Carlstadt als Scholastiker, in: ZKG, Bd. 18 (1898), S. 37–57. Bauch, Historia: Gustav Bauch, Ueber die Historia Romana des Paulus Diaconus. Eine quellenkritische Untersuchung, Göttingen 1873. Bauch, Scholastik: Gustav Bauch, Wittenberg und die Scholastik, in: NASG, Bd. 18 (1897), S. 285–339. Bauer, Universitätstheologie: Karl Bauer, Die Wittenberger Universitätstheologie und die Anfänge der Deutschen Reformation, Tübingen 1928. Baumgart, Stipendien: Max Baumgart, Die Stipendien und Stiftungen (Convicte, Freitische u.s.w.) zu Gunsten der Studierenden an allen Universitäten des deutschen Reichs
4. Gedruckte Quellen und Literatur
529
nebst den Statuten und Bedingungen für die Bewerbung und den Vorschriften über die Stundung resp. den Erlass des Collegienhonorars. Nach amtlichen Quellen zusammengestellt und herausgegeben, Berlin 1885. Baumgarten, Rez. Müller: O.[tto] B.[aumgarten], Rez. „Karl Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther […], Tübingen“, in: EvFr, Bd. 32, N. F., Bd. 10 ([November] 1910), S. 413. Baur, Mystik: Dr. [Ferdinand Christian] Baur, Zur Geschichte der protestantischen Mystik; die neueste Literatur derselben, in: ThJb(T), Bd. 7 (1848), S. 453–528. Baylor, Aufbruch: Michael G. Baylor, Karlstadts politische Haltung im Aufbruch der Reformation, in: MGB, Jg. 62 (2005), S. 9–20. Bei der Wieden, Predigten: Susanne Bei der Wieden, Luthers Predigten des Jahres 1522. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung, Köln u. a. 1999 (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luther. Texte und Untersuchungen, Bd. 7). Beinert, Battle: Richard A. Beinert, Another Look at Luther’s Battle with Karlstadt, in: Concordia Theological Quarterly, Bd. 73 (2009), S. [155]–170. Beintker, Fides: Michael Beintker, … alles Andere als ein Parergon: Fides quaerens intellectum, in: ders., Christian Link, Michael Trowitzsch (Hg.), Karl Barth in Deutschland (1921–1935). Aufbruch – Klärung – Widerstand, Zürich 2005, S. 99–120. Below, Methode: Georg von Below, Die neue historische Methode, in: HZ, Bd. 81 (1898), S. 193–273. Below, Rez. Holl: G.[eorg] v. Below, Rez. „Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. Von Karl Holl. Bd. 1: Luther. Tübingen“, in: HZ, Bd. 128, 3. Folge, Bd. 32 (1923), S. 125–130. Bender, Neff: Harold S. Bender, Art. „Neff, Christian“, in: Mennonite Encyclopedia. A Comprehensive Work on the Anabaptist-Mennonite Movement, Bd. 3, Scottdale / Pennsylvania 1957, S. 820. Berger, Luther: Arnold E. Berger, Martin Luther in kulturgeschichtlicher Darstellung, T. 2/1, Berlin 1898 („Geisteshelden. (Führende Geister.) Eine Sammlung von Biographien“, hg. v. Anton Bettelheim, Bd. 27). Bericht, Wohnungskongreß 1904: Bericht über den I. Allgemeinen Deutschen Wohnungskongreß, in Frankfurt a. M., 16.–19. Oktober 1904. Auf Grund der stenographischen Protokolle, Göttingen 1906. Birkner, Art. Hirsch: Hans-Joachim Birkner, Art. „Hirsch, Emanuel (1888–1972)“, in: TRE, Bd. 15, Berlin/New York 1986, S. 390–394. Blaufuss, Theologie: Dietrich Blaufuß, Wider „pepentzende“ Theologie. Ein Gutachten Philipp Jacob Speners im Zusammenhang der Konversion von Elisabeth Christine von Wolfenbüttel, in: Axel E. Walter (Hg.), Regionaler Kulturraum und intellektuelle Kommunikation vom Humanismus bis ins Zeitalter des Internets. FS für Klaus Garber, Amsterdam u. a. 2005 (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 36), S. [91]–115. Blaufuss/Niewöhner, Arnold: Dietrich Blaufuß u. Friedrich Niewöhner (Hg.), Gottfried Arnold (1666–1714). Mit einer Bibliographie der Arnold-Literatur ab 1714, Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 61). Blecher/Wiemers, Matrikel: Jens Blecher u. Gerald Wiemers (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig, Teilbd. II: Die Jahre 1832 bis 1863, Weimar 2007. Böhmer, Trutz-Rom: Eduard Böhmer (Hg.), Hallisches Trutz-Rom, Halle 1862. Boehmer, Light: Heinrich Boehmer, Luther in Light of Recent Research. Translated by Carl F. Huth, Jr., New York 1916.
530
Anhang
Boehmer, Luther 1906: Heinrich Boehmer, Luther im Lichte der neueren Forschung. Ein kritischer Bericht, Leipzig 1906 (Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich=gemeinverständlicher Darstellungen, Bd. 113). Boehmer, Luther 1910: Heinrich Boehmer, Luther im Lichte der neueren Forschung. Ein kritischer Bericht, Leipzig 21910 (Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich=gemeinverständlicher Darstellungen, Bd. 113). Boehmer, Luther 1914: Heinrich Boehmer, Luther im Lichte der neueren Forschung. Ein kritischer Bericht, Leipzig 31914 (Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich=gemeinverständlicher Darstellungen, Bd. 113). Boehmer, Luther 1917: Heinrich Boehmer, Luther im Lichte der neueren Forschung. Ein kritischer Bericht, Leipzig u. Berlin 41917. Boehmer, Luther 1918: Heinrich Boehmer, Luther im Lichte der neueren Forschung. Ein kritischer Bericht, Leipzig u. Berlin 51918. Böhmer, Karlstadt: Heinrich Böhmer, Karlstadt in Tirol?, in: ARG, Jg. 9 (1911/12), S. 274–276. Bohren, Gesicht: Ehrentraut u. Rudolf Bohren, Das Gesicht des Theologen in Porträts photographiert von Georg Eichholz, Neukirchen-Vluyn 1984. Borcherdt / Merz, Luther Werke: Hans Heinrich Borcherdt u. Georg Merz (Hg.), Martin Luther. Ausgewählte Werke, 7 Bde., München 21938. Bornkamm, Geistesgeschichte: Heinrich Bornkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte. Mit ausgewählten Texten von Lessing bis zur Gegenwart, Göttingen 21970. Bornkamm, Vorwort: Heinrich Bornkamm, Vorwort, in: Hermann Barge, Luther und der Frühkapitalismus, Gütersloh 1951 (SVRG, Nr. 168 [Jg. 58, H. 1]), S. 5 f. Bossert, Rez. Müller: Gustav Bossert, Rez. „Müller […] Karl, Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht. Tübingen […] 1907“, in: ThLZ, Jg. 33, Nr. 8 ([11. April] 1908), Sp. 243–246. Bräuer, Rez. Sider: Siegfried Bräuer, Rez. „Sider, Ronald J.: Andreas Bodenstein von Karlstadt. The Development of his Thought 1517–1525. Leiden […] 1974“, in: ThLZ, Jg. 103 (1978), Sp. 663–666. Brecht, Abendmahl: Martin Brecht, Luther und Karlstadt. Der Beginn der Abendmahlskontroverse 1524/25 und seine Bedeutung für Luthers Theologie, in: ZSRG.K, Bd. 100 [scil. 101] (1984), S. [196]–216. Brecht, Halle: Martin Brecht, August Hermann Francke und der Hallische Pietismus, in: ders. (Hg. u. a.), Geschichte des Pietismus, Bd. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 440–539. Brecht, Kanon: Martin Brecht, Andreas Bodenstein von Karlstadt, Martin Luther und der Kanon der Heiligen Schrift, in: Ulrich Bubenheimer u. Stefan Oehmig (Hg.), Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001, S. 135–150. Brieger, Anmerkung: Theodor Brieger, [„redaktionelle Anmerkung“; vgl. dazu S. 373 oben], in: ZKG, Bd. 27 ([nach S. VI: „Ausgegeben den 28. September“] 1906), S. 372–374. Brieger, Rez. Barge: Theodor Brieger, Rez. „Hermann Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt. II. Teil: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus. Leipzig, Friedrich Brandstetter. XI, 632 S.“, in: ZKG, Bd. 27 ([nach S. VI: „Ausgegeben den 28. September“] 1906), S. 371–374. Brieger, Rez. Müller: Theodor Brieger, Rez. „Karl Müllers Untersuchung über Luther und Karlstadt“ [eingerückt als eigenständiger Beitrag unter die Rubrik der „Analek-
4. Gedruckte Quellen und Literatur
531
ten“], in: ZGK, Bd. 29 ([laut Inhaltsverzeichnis, S. VII: „Ausgegeben den 25. November] 1908), S. 490–495. Brieger, Thesen: Theodor Brieger, Thesen Karlstadt’s, in: ZKG, Bd. 11 (1890), S. 479– 483. Brosseder, Juden: Johannes Brosseder, Luthers Stellung zu den Juden im Spiegel seiner Interpretation. Interpretation und Rezeption von Luthers Schriften und Äußerungen zum Judentum im 19. und 20. Jahrhundert vor allem im deutschsprachigen Raum, München 1972 (BÖT, Bd. 8). Bubenheimer, Art. Augustinismus: Ulrich Bubenheimer, Art. „III. Augustinismus in der Reformationszeit“, in: TRE, Bd. 4, Berlin/New York 1979, S. 718–721. Bubenheimer, Art. Karlstadt 1988: Ulrich Bubenheimer, Art. „Karlstadt, Andreas Rudolff Bodenstein von (1486–1541)“, in: TRE, Bd. 17, Berlin/ New York 1988, S. 649–657. Bubenheimer, Art. Karlstadt 1996: Ulrich Bubenheimer, Art. „Bodenstein von Karlstadt, Andreas“, in: The Oxford Encyclopedia of the Reformation, hg. v. Hans J. Hillerbrand, Vol. 1, New York u. a. 1996, S. 178–180. Bubenheimer, Bischofsamt: Ulrich Bubenheimer, Streit um das Bischofsamt in der Wittenberger Reformation 1521/22, in: ZSRG.K, Bd. 104 (1987), S. [155]–209. Bubenheimer, Gedenkblatt: U.[lrich] B.[ubenheimer], Gedenkblatt für Andreas Karlstadt. 1541/1542, in: Staatliche Museen zu Berlin, Dasein und Vision. Bürger und Bauern um 1500. Ausstellung im Alten Museum vom 8. Dezember 1989 bis 12. Februar 1990, Berlin 1989, S. 131 mit Abbildung auf S. 130 (Nr. C 59). Bubenheimer, Gelassenheit 1981a: Ulrich Bubenheimer, Gelassenheit und Ablösung. Eine psychohistorische Studie über Andreas Bodenstein von Karlstadt und seinen Konflikt mit Martin Luther, in: ders. u. Erich Mende, Andreas Bodenstein gen. Dr. Karlstadt (1480–1541). Festvorträge anläßlich des 500. Geburtstages Andreas Bodensteins, [Karlstadt am Main] 1981 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlstadt und des Umlandes. Schriftenreihe der Volkshochschule Karlstadt in Zusammenarbeit mit dem Historischen Verein Karlstadt, H. 4), S. [1]–37 [beide Beiträge des Heftes haben eine separate Seitenzählung]. Bubenheimer, Gelassenheit 1981b: Ulrich Bubenheimer, Gelassenheit und Ablösung. Eine psychohistorische Studie über Andreas Bodenstein von Karlstadt und seinen Konflikt mit Martin Luther, in: ZKG, Bd. 92 (1981), S. 250–268. Bubenheimer, Herkunft: Ulrich Bubenheimer, Luther – Karlstadt – Müntzer: soziale Herkunft und humanistische Bildung. Ausgewählte Aspekte vergleichender Biographie, in: Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Jg. 40, Nr. 8 (1987), S. 60–62, 65–68. Bubenheimer, Herrenberg: Ulrich Bubenheimer, Christen und wahre Christen. Verwehte Spuren nebenkirchlicher Frömmigkeit in Herrenberg zwischen Reformation und Pietismus, in: Roman Janssen u. Harald Müller-Baur (Hg.), Die Stiftskirche in Herrenberg 1293–1993, Herrenberg 1993 (Herrenberger historische Schriften, Bd. 5), S. 99–130. Bubenheimer, Invocavitpredigten: Ulrich Bubenheimer, Martin Luthers Invocavitpredigten und die Entstehung religiöser Devianz im Luthertum. Die Prediger der Wittenberger Bewegung 1521/1522 und Karlstadts Entwicklung zum Kryptoradikalen, in: Günter Mühlpfordt u. Ulman Weiß (Hg.), Kryptoradikalität in der Frühneuzeit, Stuttgart 2009 (Friedenstein-Forschungen, Bd. 5), S. [17]–37. Bubenheimer, Karlstadt 1971: Ulrich Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist auf dem Weg zur
532
Anhang
Reformation 1515–1522. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde dem Fachbereich I ‚Evangelische Theologie‘ an der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen vorgelegt, Tübingen [Typoskript] 1971. Bubenheimer, Karlstadt 1976: Ulrich Bubenheimer, Andreas Bodenstein von Karlstadt, S. 59 f. mit Umschlagseite und Poster, in: ders., Interpretation und Konfrontation. Medien und Verfahren im kirchengeschichtlichen Unterricht, in: entwurf. Religionspädagogische Mitteilungen, Jg. 4 (1976), S. 49–60. Bubenheimer, Karlstadt 1977: Ulrich Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation, Tübingen 1977 (JusEcc, Bd. 24). Bubenheimer, Karlstadt 1980: Ulrich Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein von Karlstadt. Sein Leben, seine Herkunft und seine innere Entwicklung, in: Wolfgang Merklein (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt. 500-Jahr-Feier. Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, Karlstadt 1980, S. [5]–[58]. Bubenheimer, Karlstadt 1981: Ulrich Bubenheimer, Andreas Bodenstein von Karlstadt, in: Martin Greschat (Hg.), GK, Bd. 5: Die Reformationszeit I, Stuttgart 1981, S. 105– 116. Bubenheimer, Karlstadt 1991: Ulrich Bubenheimer, Andreas Bodenstein genannt Karlstadt (1486–1541), in: Fränkische Lebensbilder, Bd. 14, hg. v. Alfred Wendehorst, Neustadt/Aisch 1991, S. 47–64. Bubenheimer, Karlstadt 2001: Ulrich Bubenheimer, Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine fränkische Heimat. Mit einem Brief Bodensteins an Hektor Pömer in Nürnberg vom 27. März 1522, in: Ulrich Bubenheimer u. Stefan Oehmig (Hg.), Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001, S. 15–48. Bubenheimer, Karlstadtrezeption 1997: Ulrich Bubenheimer, Aspekte der Karlstadtrezeption von der Reformation bis zum Pietismus im Spiegel der Schriften Karlstadts zur Gelassenheit, in: Erich Donner (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. FS für Günter Mühlpfordt, Bd. 1: Vormoderne, Weimar u. a. 1997, S. [405]–426. Bubenheimer, Karlstadtrezeption 1998: Ulrich Bubenheimer, Karlstadtrezeption von der Reformation bis zum Pietismus im Spiegel der Schriften Karlstadts zur Gelassenheit, in: Sigrid Looß u. Markus Matthias (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation. Beiträge eines Arbeitsgesprächs vom 24.–25. November 1995 in Wittenberg, Wittenberg 1998 (Themata Leucoreana), S. 25–71. Bubenheimer, Kirchenregiment: Ulrich Bubenheimer, Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520–1522 und die frühreformatorischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments, in: ZSRG.K, Bd. 102 (1985), S. [147]–214. Bubenheimer, Kryptoheterodoxie 1987: Ulrich Bubenheimer, Von der Heterodoxie zur Kryptoheterodoxie. Die nachreformatorische Ketzerbekämpfung im Herzogtum Württemberg und ihre Wirkung im Spiegel des Prozesses gegen Eberhard Wild im Jahre 1622/23, in: ZSRG.K, Bd. 110/79 (1987), S. [155]–209. Bubenheimer, Kryptoheterodoxie 1995: Ulrich Bubenheimer, Orthodoxie – Heterodoxie – Kryptoheterodoxie in der nachreformatorischen Zeit am Beispiel des Buchmarktes in Wittenberg, Halle und Tübingen, in: Stefan Oehmig (Hg.), 700 Jahre Wittenberg. Stadt. Universität. Reformation, Weimar 1995, S. 257–274. Bubenheimer, Luther and Karlstadt: Anon. [Ulrich Bubenheimer], Seminar Report: Luther and Karlstadt, in: Heiko A.[ugustinus] Oberman (Hg.), Luther and the Dawn
4. Gedruckte Quellen und Literatur
533
of the Modern Era. Papers for the Fourth International Congress for Luther Research, Leiden 1974 (SHCT, Bd. 8), S. 215–219. Bubenheimer, Müntzer: Ulrich Bubenheimer, Thomas Müntzer. Herkunft und Bildung, Leiden u. a. 1989 (SMRT, Bd. 44). Bubenheimer, Rundgespräch: [Ulrich Bubenheimer, Dieter Fauth, Gerd Lüdemann, Ursula Neumann u. Wolfang Thorns], Wichtig ist nicht, ob Erkenntnisse „wahr“ sind, sondern wohin sie gehören. Ein Rundgespräch, in: ReHe (September 1999), S. 140–150. Bubenheimer, Scandalum: Ulrich Bubenheimer, Scandalum et ius divinum. Theologische und rechtstheologische Probleme der ersten reformatorischen Innovationen in Wittenberg 1521/22, in: ZSRG.K, Bd. 90 (1973), S. [263]–342. Bubenheimer, Schickard: Ulrich Bubenheimer, Wilhelm Schickard im Kontext einer religiösen Subkultur, in: Friedrich Seck, Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard. Zweites Tübinger Schickard-Symposion, Tübingen 1995 (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts‑ und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 41), S. 67–92. Bubenheimer, Stadt: Ulrich Bubenheimer, Die „christliche Stadt“ als Modell. Die Propaganda der Wittenberger Theologen 1521/22 im Licht bekannter und neuer Quellen, Typoskript (Fassung: 31. Dezember 2012). Bubenheimer, Streittheologie: Ulrich Bubenheimer, Streittheologie in Tübingen am Anfang des 17. Jahrhunderts, in: Kirchliche Zeitgeschichte. Internationale Halbjahresschrift für Theologie und Geschichtswissenschaft, Jg. 7, H. 1 (1994), S. [26]–43. Bubenheimer, Tauler: Karlstadt liest Tauler. Sein reformatorischer Weg im Spiegel seines Taulerbandes in der Bibliothek des Predigerseminars Wittenberg, [Typoskript eines Votrags in Wittenberg vom 16. Juni 1987]. Bubenheimer, Trithemius: Ulrich Bubenheimer, Der Aufenthalt Burchards von Worms im Kloster Lobbes als Erfindung des Johannes Trithemius. Zur literarischen Arbeitsweise und Quellenkenntnis des Sponheimer Abts, in: ZSRG.K, Bd. 89 (1972), S. [220]– 337. Bubenheimer / Oehmig, Querdenker: Ulrich Bubenheimer u. Stefan Oehmig (Hg.), Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001. Büchsel/Blaufuss, Briefwechsel: Jürgen Büchsel u. Dietrich Blaufuß, Gottfried Arnolds Briefwechsel. Erste Bestandsaufnahme – Arnold an Christian Thomasius 1694, in: Dietrich Meyer (Hg.), Pietismus – Herrnhutertum – Erweckungsbewegung, Köln 1982 (SVRKG, Bd. 70), S. 71–107. Burnett, Karlstadt 2010: The Eucharistic Pamphlets of Andreas Bodenstein von Karlstadt. Translated and Edited by Amy Nelson Burnett, Kirksville / Missouri 2010 (Early modern studies series, Bd. 6). Burnett, Karlstadt 2011: Amy Nelson Burnett, Karlstadt and the Origins of the Eucharistic Controvery, New York 2011 (Oxford studies in historical theology). Busch, Maurenbrecher: Wilhelm Busch, Zur Erinnerung an Wilhelm Maurenbrecher. Sonderabzug aus der Neuen Bonner Zeitung, [Bonn] 1893. Busch, Tagebuch: Eberhard Busch, Meine Zeit mit Karl Barth. Tagebuch 1965–1968, Göttingen 2011. Cauer, Gemeindefreiheit: Friedrich Cauer (Elberfeld), Staatskirche und Gemeindefreiheit in den Anfängen der Reformation, in: Die Nation. Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur. Hg. v. Dr. Th. Barth, Jg. 22, Nr. 52 (23. September 1905), Sp. 824–826.
534
Anhang
Chickering, Lamprecht: Roger Chickering, Karl Lamprecht. A German Academic Life (1856–1915), Atlantic Highlands/New Jersey 1973 (Studies in German Histories). Christ, Art. Lang: Paul Christ, Art. „Lang, Heinrich, gest. 1876“, in: RE3, Bd. 11, Leipzig 1902, S. 255–261. Christ, Art. Schweizer: [Paul] Christ, Art. „Schweizer, Alexander“, in: RE3, Bd. 18, Leipzig 1906, S. 66–72. Chudaska, Riemann: Andrea Chudaska, Peter Riedemann. Konfessionsbildenes Täufertum im 16. Jahrhundert, Gütersloh 2003 (QFRG, Bd. 76). Clemen, Gesangbuch: Otto Clemen (Hg.), Das älteste Zwickauer Gesangbuch von 1525. Faksimile-Neudruck nach dem einzigen Originalexemplar der Zwickauer Ratsschulbibliothek, Zwickau 1935. Clemen, Handschriftenproben: Otto Clemen (Hg.), Handschriftenproben aus der Reformationszeit, 1. Lieferung: 67 Handschriftenproben nach Originalen der Zwickauer Ratsschulbibliothek, Zwickau 1911. Clemen, Rez. Barge 1905: Otto Clemen, Rez. „Hermann Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Leipzig 1905, Friedrich Brandstetter. XII, 500 S 10 Mk.“, in: ZKG, Bd. 26 ([nach S. VI: „Ausgegeben den 1. Juli“] 1905), S. 285–287. Clemen, Rez. Barge 1906: Otto Clemen, Rez. „Hermann Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt. II. Teil: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus. Leipzig, Friedrich Brandstetter. XI, 632 S.“, in: ZKG, Bd. 27 ([nach S. VI: „Ausgegeben den 28. September“] 1906), S. 371 f. Clemen, Rez. Barge 1937: O.[tto] Clemen, Rez. „Hermann Barge, Jakob Strauß. Ein Kämpfer für das Evangelium in Tirol, Thüringen und Süddeutschland […]. Leipzig […] 1937“, in: HZ, Bd. 158 (1938), S. 644. Clemen, Rez. Müller: Otto Clemen, Rez. „Nikolaus Müller […], Die Wittenberger Bewegung 1521–1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Briefe, Akten u. dgl. und Personalien. 2. Aufl. Leipzig […] 1911“, in: DLZ, Jg. 32, Nr. 47 (25. November 1911), Sp. 2959 f. Cohrs, Luther: Ferdinand Cohrs, Luther und die Reformation, in: Jahresberichte für neuere deutsche Litteraturgeschichte, Bd. 8 („Jahr 1897“), Berlin 1901, Nr. II, 6. Cohrs, Rez. Barge 1905: Ferdinand Cohrs, Rez. „Barge, Hermann, Andreas Bodenstein von Karlstadt. 1. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Leipzig, F. Brandstetter 1905 (XII, 500 S.) gr. 8° M. 10“, in: ThLZ, Jg. 30, Nr. 19 ([nach Sp. 513 f.: „16. September“] 1905), Sp. 519–521. Cohrs, Rez. Barge 1908: Ferdinand Cohrs, Rez. „Barge, Hermann, Andreas Bodenstein von Karlstadt. II. Teil: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus. Leipzig, F. Brandstetter 1905 (XI, 632 S.) gr. 8° M. 12–; geb. M. 14–“, in: ThLZ, Jg. 33, Nr. 14 ([nach Sp.: „4. Juli“] 1908), Sp. 413–417. Cohrs, Rez. Barge 1911: Ferdinand Cohrs, Rez. „Barge, Hermann: Frühprotestantisches Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde […,] Leipzig […] 1909“, in: ThLZ, Jg. 36 (1911), Sp. 400 f. Credner, Bibel, T. 1 f.: Karl August Credner, Das Neue Testament nach Zweck, Ursprung, Inhalt für denkende Leser der Bibel, T. 1 f., Gießen 1841 u. 1843. Credner, Einleitung 1/1 f.: Karl August Credner, Einleitung in das Neue Testament, T. 1, Abt. 1 f., Halle 1836.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
535
Credner, Essäer: K.[arl] A.[ugust] Credner, Ueber Essäer und Ebioniten und einen theilweisen Zusammenhang derselben, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, hg. v. Georg Benedict Winer, Bd. 1 (1829), S. 211–264. Credner, Geschichte: Karl August Credner, Zur Geschichte des Kanons, Halle/ Saale 1847. Credner, Inspiratione: De librorum N. T. inspiratione quid statuerint christiani ante saeculum tertium medium. Dissertatio I. quam auctoritate ordinis theologorum summe venerabilis pro venia legendi die XVI. octobris MDCCCXXVIII publice defendet Carolus Augustus Credner, phil. dr. et theol. bacc., Jena [1829]. Danzel, Lessing: Th.[eodor] W.[ilhelm] Danzel, Gotthold Ephraim Lessing, sein Leben und seine Werke, Bd. 2, Abt. 1: G.[ottschalk] E.[duard] Guhrauer, Gotthold Ephraim Lessing’s Leben und Werke in der Periode vollendeter Reife, Leipzig 1853. Daude, Rechtsverhältnisse: P.[aul] Daude, Die Rechtsverhältnisse der Privatdozenten. Zusammenstellung der an den Universitäten Deutschlands und Oesterreichs, sowie an den deutschsprachigen Universitäten der Schweiz über die rechtliche Stellung der Privatdozenten erlassenen Bestimmungen. Nach amtlichen Quellen, Berlin 1896. Degener, Vorwort: Hermann A. L. Degener, Der X. Ausgabe zum Geleite, in: Degeners Wer ist’s? Eine Sammlung von rund 18 000 Biographien mit Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Veröffentlichungen und Werke, Lieblingsbeschäftigung, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Anschriften und anderen Mitteilungen von allgemeinem Interesse. Auflösung von ca. 5000 Pseudonymen, X. Ausgabe, Berlin 1935, S. V. Dellsperger, Franck: Yvonne Dellsperger, Lebendige Historien und Erfahrungen. Studien zu Sebastian Francks „Chronica Zeitbuoch unnd Geschichtbibell“ (1531/1536), Berlin 2008 (PStQ, Bd. 207). Deppermann, Rez. Pater: Klaus Deppermann, Rez. „Calvin Augustine Pater, Karlstadt as the Father of the Bapitst Movements: The Emergence of Lay Protestantism. […] Toronto […] 1984“, in: MGB, Jg. 42, N. F., Nr. 37 (1985), S. 107–110. Deuser/Schmalenberg, Vorwort, in: Hermann Deuser u. Gerhard Schmalenberg (Hg.), Christlicher Glaube und religiöse Bildung. Frau Prof. Dr. Friedel Kriechbaum zum 60. Geburtstag am 13. August 1995, Gießen 1995 (GSTR, Bd. 11). Dieckhoff, Abendmahlslehre: Aug.[ust] Wilh.[elm] Dieckhoff, Die evangelische Abendmahlslehre im Reformationszeitalter, Bd. 1, Göttingen 1854. Dieckhoff, Carolostadio: De Carolostadio Lutheranae de servo arbitrio doctrinae contra Eckium defensore. Dissertatio inauguralis theologico-historica, quam ordinis theologorum summe reverendi judico ad licentiati in theologia honores in academia Georgia Augusta rite obtinendos submisit Augustus Guilielmus Dieckhoff Adelebsensis, Göttingen 1850. Dieckhoff, Rez. Erbkam: [August] W.[ilhelm] Dieckhoff, Rez. „Hamburg und Gotha, bei Dr. und Andr. Perthes. Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation von H. W. Erbkam“, in: GGA, St. 186 (20. November 1848), S. 1857–1864; St. 187 (23. November 1848), S. 1865–1880; St. 189 (25. November 1848), S. 1881–1885. Dieckhoff, Waldenser: A.[ugust] Wilh.[elm] Dieckhoff, Die Waldenser im Mittelalter. Zwei historische Untersuchungen, Göttingen 1851. Dilthey, Welt: Wilhelm Dilthey, Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens, Erste Hälfte: Abhandlungen zur Grundlegung der Geisteswissenschaften, Göttingen 81990 (Wilhelm Dilthey, Gesammelte Werke, Bd. 18). Doering, Art. Riederer: Heinrich Doering, Art. „Johann Bartholomäus Riederer“, in: ders., Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahr-
536
Anhang
hundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt, Bd. 3, Neustadt a. d. Orla 1833, S. 592–596. Dörries, Fortgelten: Hermann Dörries, Das Fortgelten Karl Müllers, in: ders., Wort und Stunde, Bd. 3: Beiträge zum Verständnis Luthers, Göttingen 1970, S. 436–457. Dörries, Müller: Hermann Dörries, Karl Müller und sein Werk, in: ders., Wort und Stunde, Bd. 3: Beiträge zum Verständnis Luthers, Göttingen 1970, S. 421–436. Douglas, Karlstadt: Crerar Douglas, The Coherence of Andreas Bodenstein von Karlstadt’s early Evangelical Doctrine of the Lord’s Supper: 1521–1525. A Thesis Submitted to the Faculty of The Hartford Seminary Foundation in partial fulfillment of the requirements for the degree of Doctor of Philosophy, Northridge / California [Typoskript] 1973. Drescher, Art. Gogarten: Hans-Georg Drescher, Art. „Gogarten, Friedrich“, in: RGG4, Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 1071 f. Drews, Staatskirchentum: Paul Drews, Entsprach das Staatskirchentum dem Ideale Luthers?, in: ZThK Ergänzungsheft (1908), S. 1–104. Düding, Verein: Dieter Düding, Der Nationalsoziale Verein 1896–1903. Der gescheiterte Versuch einer parteipolitischen Synthese von Nationalismus, Sozialismus und Liberalismus, München u. Wien 1972 (Studien zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Bd. 6). Ebel, Matrikel: Wilhelm Ebel (Hg.), Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen 1837–1900, Hildesheim 1974 (VHKNS, Bd. IX, Abt. 3: Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen. Text). Ebel, Privilegien: Wilhelm Ebel (Hg.), Die Privilegien und ältesten Statuten der GeorgAugust-Universität zu Göttingen, Göttingen 1961. Ebeling, Auslegung: in: Gerhard Ebeling, Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift, in: ders., Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen, Göttingen 1964 (KiKonf, B. 6), S. [9]–27. Ebeling, Evangelienauslegung: Gerhard Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, München 1942 [ND Darmstadt 1962]. Ebeling, Methode: Gerhard Ebeling, Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode für die protestantische Theologie und Kirche, in: ders., Wort und Glaube, Tübingen 2 1962, S. 1–49. Ebeling, Studium: Gerhard Ebeling, Studium der Theologie. Eine enzyklopädische Orientierung, Tübingen 1975. Ebert, Bildung: Wolfgang Ebert, Die Geschichte der gymnasialen Bildung in Wurzen: http://www.geschichtsverein-wurzen.de/pdf/gymn.pdf (Zugriffsdatum: 27. Oktober 2013). Ecke, Schwenckfeld: Karl Ecke, Studien zu Caspar Schwenckfelds Lehre und Schriften, Wittenberg 1911. Egli, Lebensabend: Emil Egli, Karlstadts Lebensabend in der Schweiz, in: Zwing., Bd. 2, Nr. 3 (Nr. 1 [erste Jahreshälfte], 1906), S. 77–82. Egli, Literatur 1905: [Emil] E.[gli], Literatur, in: Zwing., Bd. 2, Nr. 1 (Nr. 1 [erste Jahreshälfte], 1905), S. 30–32. Egli, Literatur 1906: Emil Egli, Literatur, in: Zwing., Bd. 2, Nr. 3 (Nr. 1 [erste Jahreshälfte], 1906), S. 94–96. Egli, Predigten: Emil Egli, Aus Carlstadts Predigten in Zürich, in: Zwing., Bd. 1, Nr. 5 (Nr. 1, 1899), S. 94–96.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
537
Ehlers, Rez. Barge: Wilhelm Ehlers, Rez. „Barge, Her., Florian Geyer. Eine biogr. Studie […,] Leipzig […] 1920“, in: MhL, Bd. 49, N. F., Bd. 9 (1921), S. 37 f. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation: Stefan Ehrenpreis u. Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002 (Kontroversen um die Geschichte). Eilsberger, Erbkam: E.[ilsberger; so aufgelöst von Erdmann, Art. Erbkam, S. 450], Konsistorialrat Professor D. Erbkam († 9. Januar 1884), in: Evangelisches Gemeindeblatt [Königsberg], Jg. 39 (Nr. 4: 26. Januar 1884), S. 17–20. Enders, Briefwechsel: Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke. Briefwechsel. Bearbeitet und mit Erläuterungen versehen von Dr. th. Ernst Ludwig Enders, Bd. 6: Briefe vom Januar 1527 bis Oktober 1528, Calw u. Stuttgart 1895. Erbkam, Art. Karlstadt 1857: [Wilhelm Heinrich] Erbkam, Art. „Karlstadt, Andreas Rudolph oder Rudolphi Bodenstein“, in: RE1, Bd. 7, Stuttgart u. Hamburg 1857, S. 395–410. Erbkam, Art. Karlstadt 1880: [Wilhelm Heinrich] Erbkam, Art. „Karlstadt, Andreas Rudolphus oder Rudolphi Bodenstein“, in: RE2, Bd. 7, Leipzig 1880, S. 523–532. Erbkam, Geschichte: H. W. [scil. Wilhelm Heinrich] Erbkam, Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation, Hamburg u. Gotha 1848. Erdmann, Art. Erbkam: [David] Erdmann, Art. „Erbkam, Wilhelm Heinrich D.“, in: RE3, Bd. 5, Leipzig 1898, S. 448–450. Erler, Glauburg: Adalbert Erler, Johann von Glauburg der Jüngere, in: ZSRG.R, Bd. 64 [77] (1944), S. 420–424. Fabri, Art. Auberlen: F.[riedrich] Fabri, Art. „Auberlen, Karl August“, in: RE3, Bd. 2, Leipzig 1897, S. 215–217. Fabricius, Notitiae, T. 1 u. 2: Johann Albert Fabricius, Centifolium Lutheranum sive notitiae litteraria scriptorum omnis generis de B. D. Luthero […], 2 Tle., Hamburg 1728. Fast, Karlstadt: Heinold Fast (Hg.), Andreas Karlstadt, Ob man gemach verfahren und die Schwachen mit Ärgernissen verschonen soll in Sachen, so Gottes Willen angehen (1524), in: ders. (Hg.), Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier, Bremen 1962 (KlProt, Bd. 4), S. 249–269. Fix, Art. Gfrörer: Karl-Heinz Fix, Art. „Gfrörer, August Friedrich“, in: RGG4, Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 916 f. Forell, Rez. Sider: George W. Forell, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt. Ronald J. Sider. […] Leiden […] 1974“, in: SCJ, Vol. 7/2 (1976), S. 114 f. Forner, Brahms: Johannes Forner, Johannes Brahms in Leipzig. Geschichte einer Beziehung, Leipzig 1987 (Bilder aus Leipzigs Musikleben). Francke, Weimar: Otto Francke, Geschichte des Wilhelm=Ernst=Gymnasiums in Weimar, Weimar 1916. Franz, Quellen: Günther Franz (Hg.), Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. 1: Walter Sohm, Territorium und Reformation in der hessischen Geschichte 1526–1555, Marburg 21957 (VHKH, Bd. 11/1). Friedensburg, Rez. Barge: Walter Friedensburg, Rez. [von Barge, Karlstadt, T. 1 f.], in: ARG, Jg. 3, H. 2 [Nr. 10] (1906), S. 208. Fuchs, Karlstadt: Gerhard Fuchs, Karlstadts radikal-reformatorisches Wirken und seine Stellung zwischen Müntzer und Luther, in: WZ(H).GS, Jg. 3, H. 3. (1953/54), S. 523–552. Füsslin, Carlstadt: Johann Conrad Füßlin, Andreas Bodensteins sonst Carlstadt genannt Lebensgeschichte zur Erläuterung der Reformations= auch Kirchen= und Gelehrten Historie beschrieben, Frankfurt und Leipzig 1776.
538
Anhang
Füsslin, Kirchen‑ und Ketzerhistorie: Johann Conrad Füßlin, Neue und unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie der mittlern Zeit, 3 Bde., Frankfurt / Main u. a. 1770, 1772 u. 1774 [nochmals verlegt: Weissenburg 1789]. Gäbler, Zwingli: Ulrich Gäbler, Huldrych Zwingli im 20. Jahrhundert. Forschungsbericht und annotierte Bibliographie 1897–1972, Zürich 1975. Gemeinhardt, Heussi: Peter Gemeinhardt, Karl Heussi, der Nationalsozialismus und das Jahr 1933, in: ZThK, Bd. 104 (2007), S. 287–319. Gerdes, Bibliotheca: Instructissima bibliotheca Gerdesiana sive catalogus librorum, quos in omni eruditionis genere sibi comparavit vir plurimum venerandus et celeberrimus Daniel Gerdes […], Groningen 1765. Gerdes, Karlstadt 1739: Daniel Gerdes, Carolostadii (Andreae Bodenstein), in: ders., Miscellanea Groningana in miscellaneorum Duisburgensium continuationem publicata[.] Tomi. II. Fascic. I, Groningen 1739, S. 661–673. Gerdes, Karlstadt 1740: [Daniel Gerdes], Carolostadii (Andreae Bodenstein), in: [ders.], Florilegium historico-criticum librorum rariorum cui Multa simul scitu jucunda intersperguntur, Historiam omnem Litterarium, & cumprimis Reformationis Ecclesiasticam illustrantia. […], Groningen 1740, S. 19–30. Gerdes, Karlstadt 1747: [Daniel Gerdes], Carolostadii (Andreae Bodenstein), in: [ders.], Florilegium historico-criticum librorum rariorum cui Multa simul scitu jucunda adsperguntur Historiam omnem Litterarium, & cumprimis Reformationis Ecclesiasticam illustrantia. […] Editio II. auctior longè atque emendatior, Groningen u. Bremen 1747, S. 53–65. Gerdes, Karlstadt 1749: Daniel Gerdes, Relatio historica de Andrea Bodenstein dicto Carolostadio [Kolumnentitel: „Vita Carolostadii“], in: ders., Scrinium antiquarium sive miscellanea Groningana nova ad historiam reformationis ecclesiasticam praecipue spectantia […], Tomi I. Pars I., Groningen und Bremen [1749], S. 1–56. Gerdes, Karlstadt 1763: [Daniel Gerdes], Carolostadii (Andreae Bodenstein), in: [ders.], Florilegium historico-criticum librorum rariorum cui Multa simul scitu jucunda adsperguntur Historiam omnem Litterarium, & cumprimis Reformationis Ecclesiasticam illustrantia. […] Editio III. eaque ultima, superioribus auctior longè atque emendatior, Groningen 1763, S. 63–74. Gerdes, Scrinium: Scrinium antiquarium sive miscellanea Groningana nova ad historiam reformationis ecclesiasticam praecipue spectantia. […] Tomi VII. Pars I, Groningen und Bremen 1762. Gess, Rez. Barge 1905: Felician Gess, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Von Hermann Barge. Leipzig, Friedrich Brandstetter. 1905. XII, 500 SS. 8°“, in: NASG, Bd. 26 ([zweite Jahreshälfte] 1905), S. 347–349. Gess, Rez. Barge 1906: Felician Gess, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt. II. Teil: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus. Von Hermann Barge. Leipzig, Friedrich Brandstetter. 1905. XII, 632 SS. 8°“, in: NASG, Bd. 27 ([zweite Jahreshälfte] 1906), S. 364–366. Gess, Rez. Barge/Müller 1911: Felician Gess, Rez. „Frühprotestantisches Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde. Zugleich eine Abwehr gegen Karl Müllers ‚Luther und Karlstadt‘. Von Hermann Barge. Leipzig […] 1909 [… und] Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Briefe, Akten u. dgl. und Personalien. Von Nikolaus Müller. Zweite Auflage. Leipzig […] 1911“, in: NASG, Bd. 32 (1911), S. 371–373.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
539
Geyer, Arndt: Hermann Geyer, Verborgene Weisheit. Johann Arndts „Vier Bücher vom Wahren Christentum“ als Programm einer spiritualistisch-hermetischen Theologie, 2 Tle., Berlin/New York (AKG, Bd. 80, T. 1 f.). Giessler-Wirsing, Rez. Bubenheimer: Eva Gießler-Wirsing, Rez. „Ulrich Bubenheimer: Gelassenheit und Ablösung. Eine psychohist. St. über Andreas Bodenstein von Karlstadt und seinen Konflikt mit Martin Luther. In: ZKG 92, 1981, S. 250–268“, in: ARG.Lit, Jg. 12 (1983), S. 67, Nr. 304. Goebel, Carlstadt 1841: M.[ax] Goebel, Andreas Bodenstein, von Carlstadt, nach seinem Charakter und Verhältniß zu Luther, in: ThStKr, Jg. 14, Bd. 1 (1841), S. 88–114. Goebel, Carlstadt 1842: M.[ax] Goebel, Andreas Bodenstein’s von Carlstadt Abendmahlslehre, in: ThStKr, Jg. 15, Bd. 1 (1842), S. 329–354. Goebel, Carlstadt 1843: M.[ax] Goebel, Luthers Abendmahlslehre vor und in dem Streite mit Carlstadt, in: ThStKr, Jg. 16, Bd. 1 (1843), S. 314–377. Goebel, Eigenthümlichkeit: Max Goebel, Die religiöse Eigenthümlichkeit der lutherischen und der reformirten Kirche. Versuch einer geschichtlichen Vergleichung, Bonn 1837. Goebel, Geschichte 1: Max Goebel, Geschichte des christlichen Lebens in der rheinisch= westphälischen evangelischen Kirche, Bd. 1: Die Reformationszeit oder die Kirchen unter dem Kreuz, Koblenz 1849. Goebel, Geschichte 3: Max Goebel, Geschichte des christlichen Lebens in der rheinischwestphälischen evangelischen Kirche, Bd. 3: Die niederrheinische reformirte Kirche und der Separatismus in Wittgenstein und am Niederrhein im achtzehnten Jahrhundert. Aus den hinterlassenen Papieren des Verfassers hg. v. Theodor Link, Koblenz 1860. Goertz, Bewegungen: Hans-Jürgen Goertz, Religiöse Bewegungen in der Frühen Neuzeit, München 1993 (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 20). Goertz, Karlstadt: Hans-Jürgen Goertz, Karlstadt, Müntzer and the Reformation of the Commoners, 1521–1525, in: John D. Roth u. James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, Leiden 2007 (Brill’s Companions to the Christian Tradition), S. 1–44. Goertz, Nachruf Oberman: Hans-Jürgen Goertz, Heiko A. Oberman (1931–2001), in: MGB, Jg. 58 (2001), S. 190 f. Goertz, Religiosity: Hans-Jürgen Goertz, Radical Religiosity in the German Reformation, in: R. Po-chia Hsia (Hg.), A companion to the reformation world, Malden / Massachusetts 2004, S. [70]–85. Goertz, Rez. Bubenheimer/Oehmig: Hans-Jürgen Goertz, Rez. Bubenheimer und Stefan Oehmig (Hg.), Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung […], Würzburg 2001“, in: MGB, Jg. 59 (2002), S. 193–197. Goertz, Theologie 1964: Hans-Jürgen Goertz, Innere und äußere Ordnung in der Theologie Thomas Müntzers. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der hochwürdigen Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen [Typoskript] 1964. Goertz, Theologie 1967: Hans-Jürgen Goertz, Innere und äußere Ordnung in der Theologie Thomas Müntzers, Leiden 1967 (SHCT, Bd. 2). Goeters, Art. Goebel: J. F. Gerhard Goeters, Art. „Goebel, Max (1811–57)“, in: RGG3, Bd. 2, Tübingen 1958, Sp. 1663. Goeters, Art. Köhler: J. F. Gerhard Goeters, Art. „Köhler“, in: TRE, Bd. 19, Berlin/New York 1990, S. 287–289.
540
Anhang
Goeters, Goebel: J. F. Gerhard Goeters, Maximilian Friedrich Wilhelm Goebel (1811– 1857). Eine biographische Skizze, in: MEKGR, Jg. 8 (1959), S. 1–25. Goeters, Hätzer: J. F. Gerhard Goeters, Ludwig Hätzer (ca. 1500 bis 1529). Spiritualist und Antitrinitarier. Eine Randfigur der frühen Täuferbewegung, Gütersloh 1957 (QFRG, Bd. 25). Goeters/Mau, Union: J. F. Gerhard Goeters u. Rudolf Mau (Hg.), Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union, Bd. 1: Die Anfänge der Union unter landesherrlichem Kirchenregiment (1817–1850), Leipzig 1992 (Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Ein Handbuch). Graf, Licentiatus: Friedrich Wilhelm Graf, Licentiatus theologiae und Habilitation, in: Horst Renz u. Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Troeltsch-Studien. Untersuchungen zur Biographie und Werkgeschichte. Mit den unveröffentlichten Promotionsthesen der „Kleinen Göttinger Fakultät“ 1888–1893, Gütersloh 1982, S. 78–102. Graf, Universitätstheologie: Friedrich Wilhelm Graf, Einleitung: Protestantische Universitätstheologie in der Weimarer Republik, in: ders., Der heilige Zeitgeist, Tübingen 2011, S. 1–110. Gram, Reformatione: J.[oannes] G.[rammius, so aufgelöst nach dem Inhaltsverzeichnis des betreffenden Bandes], De illa, quam Rex Christiernus Secundus animo agitavit, Sacrorum in Dania Reformatione, uti & nonnullis aliis, quae ad ejusdem Regis, nec non Ecclesiae Danicae Historiam illustrandam pertinent, momentis, in: Scriptorum à Societate Hafniensi bonis artibus promovendis dedita danice editorum, nunc autem in latinum sermonem conversorum, T. 3, Kopenhagen 1747, S. 1–90. Gritschke, Leben: Caroline Gritschke, ‚Via media‘: Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung. Das süddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 2006 (Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Collegia Augustana, Bd. 22). Grossmann, Oratio: Oratio in memoriam Augustanae confessionis, de vi et effectis huius confessionis, quam ex instituto perill. quondam l. b. de Lyncker a. d. XVIII. Iul. 1808 in Templo Academico, habuit Christ. Gottlob Leberecht Grossmann, Jena 1808. Gruber, Schönberg: Gerold W. Gruber (Hg.), Arnold Schönberg. Interpretation seiner Werke, Bd. 2, Laaber 2002. Grüneisen, Gottheit: Carl Grüneisen, Ueber bildliche Darstellung der Gottheit. Ein Versuch, Stuttgart 1828. Gummelt, Augustinvorlesung: Volker Gummelt, Andreas Bodenstein von Karlstadts Augustinvorlesung. Neue Aspekte im Licht studentischer Nachschriften, in: Ulrich Bubenheimer u. Stefan Oehmig (Hg.), Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001, S. 75–86. Gummelt, Leder: Volker Gummelt, Trauerfeier für Prof. Dr. Hans-Günter Leder am 3. Februar 2006, Bugenhagen-Kirche Greifswald-Wieck. Ansprache zur Beerdigung von Hans-Günter Leder, in: Rainer Westermann (Hg.), In memoriam Hans-Günter Leder (1930–2006), Greifswald 2006 (Greifswalder Universitätsreden, N. F., Bd. 120), S. 51–55. Gurlitt, Reformationszeit: Wilibald Gurlitt, Johannes Walter und die Musik der Reformationszeit, in: LuJ, Jg. 15 (1933), S. 1–112. Habitzel, Roman: Kurt Habitzel, Der historische Roman der DDR und die Zensur, in: Osman Durrani u. Julian Preece (Hg.), Travellers in Time and Space. Reisende durch Zeit und Raum. The German Historical Novel. Der deutschsprachige historische Roman, Amsterdam 2001 (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd. 51–2011), S. [401]–[421].
4. Gedruckte Quellen und Literatur
541
Haendler, Rostock: Gert Haendler, Das Erbe Martin Luthers an der Theologischen Fakultät Rostock 1848–1918, in: Herbergen der Christenheit 1981/82. Jahrbuch für deutsche Kirchengeschichte, Berlin 21983 (BDKG, Bd. 13), S. 133–144. Hagenbach, Reformation: K.[arl] R.[udolf] Hagenbach, Vorlesungen über Wesen und Geschichte der Reformation, T. 2, Leipzig 1834. Hägglund, Theologie: Bengt Hägglund, Geschichte der Theologie. Ein Abriß, München 1983. Halbrock, Berlin-Brandenburg: Christian Halbrock, Evangelische Pfarrer der Kirche Berlin-Brandenburg 1945–1961. Amtsautonomie im vormundschaftlichen Staat?, Berlin 2004. Hamacher, Mann: Bernd Hamacher, Thomas Manns letzter Werkplan ‚Luthers Hochzeit‘, Frankfurt/Main 1996 (Thomas-Mann-Studien, Bd. 15). Hamm, Einheit: Berndt Hamm, Einheit und Vielfalt der Reformation – oder: was die Reformation zur Reformation machte, in: ders., Bernd Moeller u. Dorothea Wendebourg, Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, Göttingen 1995, S. 57–127. Hamm, Spengler: Berndt Hamm, Lazarus Spengler (1479–1534). Der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube mit einer Edition von Gudrun Litz, Tübingen 2004 (SuR, N. R., Bd. 25). Hamm/Moeller/Wendebourg, Einheit: Berndt Hamm, Bernd Moeller u. Dorothea Wendebourg, Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, Göttingen 1995. Hammann, Art. Hermelink: Konrad Hammann, Art. „Hermelink, Heinrich“, in: RGG4, Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 1648. Hammann, Hermelink: Konrad Hammann, Heinrich Hermelink als Reformationshistoriker, in: ZThK 96 (1999), S. 480–507. Harnack, Aufgabe: Adolf Harnack, Die evangelisch-soziale Aufgabe im Lichte der Geschichte der Kirche, in: Adolf von Harnack als Zeitgenosse. Reden und Schriften aus den Jahren des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, hg. v. Kurt Nowak, T. 2: Der Wissenschaftsorganisator und Gelehrtenpolitiker, Berlin / New York 1996, S. 1287– 1339. Harnack, Dogmengeschichte: Adolf von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 3: Die Entwicklung des kirchlichen Dogmas, Tübingen 51932. Harnack, Fakultäten: Adolf Harnack, Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte. Nebst einem Nachwort, in: ders., Reden und Aufsätze, Bd. 2, Gießen 21906, S. [159]–187. Harrison, Rez. Preus: Richard L. Harrison Jr., Rez. „Carlstadt’s Ordinaciones and Luther’s Liberty: A Study of the Wittenberg Movement 1521–22. By James S. Preus. […] Cambridge […] 1974“, in: ChH, Vol. 44/2 (1975), S. 253. Hartmann, Jäger: Julius Hartmann, Carl Friedrich Jäger, in: NND, Jg. 20: 1842, Weimar 1844, S. 820–826. Hartmann/Jäger, Brenz: Julius Hartmann u. Karl Jäger, Johann Brenz. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen, 2 Bde., Hamburg 1840 u. 1842. Hartung, Rez. Barge: Fritz Hartung, Rez. „Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther. Von Karl Müller. Tübingen […] 1910“, in: HZ, Bd. 108, Dritte Folge, Bd. 12 (1912), S. 362–365. Hase, Altenburg 1853a: E.[duard] Hase, Ueber eine auf dem Stadtarchive zu Altenburg befindliche Handschrift des Rechtsbuchs nach Distinctionen, in: Mittheilungen der
542
Anhang
Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 3, H. 1, Altenburg 1853, S. [73]–91. Hase, Altenburg 1853b: E.[duard] F.[riedrich] Hase, Das Stadtrecht von Altenburg von 1256 und seine Erneuerungen in den Jahren 1356 und 1470, in: Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 3, H. 3, Altenburg 1853, S. [347]–404. Hase, Altenburg 1853c: Ed.[uard] Hase, Ueber die älteste Kämmereirechnung der Stadt Altenburg, vom Jahr 1437–1439, in: Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 3, H. 4, Altenburg 1853, S. [460]–498. Hase, Iuris Romani: Eduardus Hase, De Manu Iuris Romani Antiquioris Commentatio, Halle 1847. Hase, Jus: Ed.[uard] Friedr.[ich] Hase, Das Jus Postliminii und die Fictio Legis Corneliae. Eine rechtshistorische Abhandlung, Halle 1851. Hase, Orlamünde: E.[duard] Hase, Karlstadt in Orlamünde, in: Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 4, H. 1, Altenburg 1854, S. 42–125. Hasenclever, Rez. Barge: Adolf Hasenclever, Rez. „H. Barge, […] Florian Geyer. Eine biographische Studie […] Leipzig […] 1920“, in: HZ, Bd. 125, Dritte Folge, Bd. 29 (1922), S. 166 f. Hashagen, Lutherforschung: Justus Hashagen, Die apologetische Tendenz der Lutherforschung und die sogenannte Lutherrenaissance, in: HV, Jg. 31 (1937), S. 625–650. Hasse, Prediger: Hellmut Hasse, Karlstadt als Prediger in der Stadtkirche zu Wittenberg, in: Wolfgang Merklein (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt. 500-Jahr-Feier. Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, Karlstadt 1980, S. [59]–[83]. Hasse, Tauler: Hans-Peter Hasse, Karlstadt und Tauler. Untersuchungen zur Kreuzestheologie, Gütersloh 1993 (QFRG, Bd. 58). Hausrath, Leben 1904: Adolf Hausrath, Luthers Leben, Bd. 1, Berlin 1904. Hausrath, Leben 1905: Adolf Hausrath, Luthers Leben, Bd. 1, Berlin 1905 [„Viertes Tausend“]. Hayes, Criticism: John H. Hayes, Historical Criticism of the Old Testament Canon, in: Magne Sæbø (Hg.), Hebrew Bible. Old Testament. The History of Its Interpretation, Bd. II: From the Renaissance to the Enlightenment, Göttingen 2008, S. [985]–1005. Hegele, Jäger: Anton Hegele, Otto Heinrich Jäger. Vorstand der Turnlehrerbildungsanstalt Stuttgart 1828–1912, in: SLB, Bd. 3, Stuttgart 1942, S. 248–265. Hegler, Franck: Alfred Hegler, Geist und Schrift bei Sebastian Franck. Eine Studie zur Geschichte des Spiritualismus in der Reformationszeit, Freiburg / Breisgau 1892. Heimpel, Rez. von der Heydte: Hermann Heimpel, Rez. „Friedrich August Freiherr von der Heydte, Die Geburtsstunde des souveränen Staates. […], Regensburg 1952“, in: GGA, Jg. 210 (1954), S. 197–221. Helmolt, Kulturgeschichte: Hans F. Helmolt, Allgemeine Kulturgeschichte, in: Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, Jg. 21 (1898), Berlin 1900, Nr. II, 6. Helmolt, Weltgeschichte: Hans F. Helmolt, Allgemeine Weltgeschichte, in: Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, Jg. 23 (1900), Berlin 1902, Nr. IV, 3. Hendrix, Lutherforschung: Scott Hendrix, Die amerikanische Lutherforschung im 20. Jahrhundert, in: Rainer Vinke (Hg.), Lutherforschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick, Mainz 2004 (VIEG. Beih. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte), S. 171–189.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
543
Heppe, Art. Bodenstein: [Heinrich] Heppe, Art. „Bodenstein: Andreas Rudolf (auch Rudolphi) Bodenstein oder Karlstadt“, in: ADB, Bd. 3, Leipzig 1876, S. 8–15. Herbst, Hase: Magdalena Herbst, Karl von Hase als Kirchenhistoriker, Tübingen 2012 (BHTh, Bd. 167). Hering, Art. Kähler: Hermann Hering, Art. „Kähler, Ludwig August, gest. 1855“, in: RE3, Bd. 9, Leipzig 1901, S. 689–692. Hering, Unionsversuche: Carl Wilhelm Hering, Geschichte der kirchlichen Unionsversuche seit der Reformation bis auf unsere Zeit, Bd. 2, Leipzig 1838. Herkenrath, Tiling: Liesel-Lotte Herkenrath, Politik, Theologie und Erziehung. Untersuchungen zu Magdalene von Tilings Pädagogik, Heidelberg 1972 (PF, Bd. 50). Hermelink, Antwort: Heinrich Hermelink, Antwort des Referenten, in: HV, Jg. 11, H. 1 ([laut Titelblatt: „Ausgegeben am 12. März“] 1908), S. 126–128. Hermelink, Idealgemeinden: Heinrich Hermelink, Zu Luthers Gedanken über Idealgemeinden und von weltlicher Obrigkeit, in: ZKG, Bd. 29, H. 3 ([„Ausgegangen den 25. August“] 1908), S. 267–322. Hermelink, Nachwort: Heinrich Hermelink, Zu Luthers Gedanken über Idealgemeinden und von weltlicher Obrigkeit. Ein Nachwort, in: ZKG, Bd. 29, H. 4 ([„Ausgegangen den 25. November“] 1908), S. 479–489. Hermelink, Rez. Barge: Heinrich Hermelink, Rez. „Hermann Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Karlstadt und die Anfänge der Reformation. II. Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus. Leipzig, Friedrich Brandstetter, 1905.“, in: HV, Jg. 10, H. 3 ([laut Titelblatt „Ausgegeben am 3. September“] 1907), S. 442–448. Herre, Rez. Ehrengabe: Hermann Herre, Rez. „Studium Lipsiense. Ehrengabe, Karl Lamprecht [… ,] Berlin […] 1909“, in: DLZ, Jg. 31, H. 14 ([2. April] 1910), Sp. 876–881. Herrmann, Thomasius: Harald Herrmann, Das Verhältnis von Recht und Pietistischer Theologie bei Christian Thomasius. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel [Typoskript] 1971. Hertzsch, Art. Karlstadt: Erich Hertzsch, Art. „Karlstadt, Andreas Bodenstein, genannt K. (ca. 1480 bis 1541)“, in: RGG3, Bd. 3, Tübingen 1959, Sp. 1154 f. Hertzsch, Karlstadt: Erich Hertzsch, Karlstadt und seine Bedeutung für das Luthertum, Gotha 1932. Hertzsch, Luther: Erich Hertzsch, Luther und Karlstadt, in: Luther in Thüringen. Gabe der Thüringer Kirche an das Thüringer Volk. Bearbeitet von Reinhold Jauernig, Berlin [1952], S. 87–107. Hertzsch, Schriften: Erich Hertzsch (Hg.), Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–25, 2 Tle., Halle/Saale 1956 f. (Nachdrucke deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts, Nr. 325). Hertzsch, Wort: Wort und Welt. Festgabe für Prof. D. Erich Hertzsch anläßlich der Vollendung seines 65. Lebensjahres, Berlin 1968. Hertzsch, Kindern: Klaus-Peter Hertzsch, Sag meinen Kindern, dass sie weiterziehn. Erinnerungen, Stuttgart [„[d]urchgesehene, vollständige Neuausgabe“] 2005. Herzog, Rez. Bubenheimer: Georges Herzog, Rez. „Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae: Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation. By Ulrich Bubenheimer. […] Tübingen […] 1977“, in: MQR, Bd. 54 (1980), S. 340.
544
Anhang
Herzog, Rez. Erbkam: [Johann Jakob] Herzog, Rez. „Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation. Von H. W. Erbkam […,] Hamburg und Gotha […] 1848“, in: ARTL, Bd. 72, N. F., Bd. 25 (1851), S. 130–150. Hess, Nationalismus: Jürgen C. Heß, „Das ganze Deutschland soll es sein“. Demokratischer Nationalismus in der Weimarer Republik am Beispiel der Deutschen Demokratischen Partei, Stuttgart 1978 (Kieler Historische Studien, Bd. 24). Heuss, Bürger: Theodor Heuss. Bürger der Weimarer Republik. Briefe 1918–1933, hg. u. bearb. v. Michael Dorrmann, München 2008 (Theodor Heuss. Stuttgarter Ausgabe. Briefe). Heuss, Naumann: Theodor Heuß, Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit, Stuttgart u. Berlin 1937. Heussi, Kompendium 1908: Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, Zweite Hälfte, Erste Abteilung: Hohes Mittelalter. Spätes Mittelalter. Reformation. Gegenreformation, Tübingen 1908. Heussi, Kompendium 1937: Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen 91937. Heyer, Schwärmer: Fritz Heyer, Der Kirchenbegriff der Schwärmer, Leipzig 1939 (SVRG, Nr. 166 [Jg. 56, H. 2]). Hofmann, Nachlaß: Hans Hofmann, Heinrich Boehmers Nachlaß, in: LuJ, Jg. 43 (1976), S. 98–102. Hofmann/Wartenberg, Bibliographie: Bibliographie Heinrich Boehmer (1869–1927). Zusammengestellt von Hans Hofmann und Günther Wartenberg, in: LuJ, Jg. 43 (1976), S. 103–108. Holeczek, Art. Karlstadt: Heinz Holeczek, Art. „Karlstadt, Carlstadt, Andreas (Rudolf) von, eigentl. A. R. Bodenstein“, in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Bd. 6, Berlin / New York 22009, S. 302–304. Holl, Auslegungskunst: Karl Holl, Luthers Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther, Tübingen 4 u. 51927, S. 544–582. Holl, Calvin: Karl Holl, Johannes Calvin. Rede zur Feier der 400. Wiederkehr des Geburtstages Calvins gehalten in der Aula der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 10. Juli 1909, in: Calvinreden aus dem Jubiläumsjahr 1909, Tübingen 1909, S. 1–63. Holl, Geschichte 1906: Karl Holl, Die Rechtfertigungslehre im Licht der Geschichte des Protestantismus, Tübingen 1906. Holl, Geschichte 1922: Karl Holl, Die Rechtfertigungslehre im Licht der Geschichte des Protestantismus, Tübingen 21922 (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte, Bd. 45). Holl, Geschichte 1928: Karl Holl, Die Rechtfertigungslehre im Licht der Geschichte des Protestantismus, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. III: Der Westen, Tübingen 1928, S. 525–557. Holl, Kirchenregiment: Karl Holl, Luther und das landesherrliche Kirchenregiment, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther, Tübingen 4 u. 51927, S. 326–380. Holl, Krieg: Karl Holl, Luthers Anschauung über Evangelium, Krieg und Aufgabe der Kirche im Licht des Weltkriegs. 1917, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. III: Der Westen, Tübingen 1928, S. 147–170.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
545
Holl, Kulturbedeutung: Karl Holl, Die Kulturbedeutung der Reformation, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther, Tübingen 4 u. 51927, S. 468–543. Holl, Rechtfertigungslehre: Karl Holl, Die Rechtfertigungslehre in Luthers Vorlesung über den Römerbrief mit besonderer Rücksicht auf die Frage der Heilsgewißheit, in: ZThK, Jg. 20 (1910), S. 245–291 [ND in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther, Tübingen 4 u. 51927, S. 111–154]. Holl, Rez. Müller: Karl Holl, Rez. „Karl Müller. Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht. Tübingen […] 1907“, in: PrJ, Bd. 130, H. 2 (Februar 1908), S. 328–331. Holl, Schwärmer: Karl Holl, Luther und die Schwärmer, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther, Tübingen 4 u. 51927, S. 420–467 [aufgenommen als Zusatz seit der 2. und 3. Auflage des Jahres 1923]. Holl, Urteile: Karl Holl, Luthers Urteile über sich selbst, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther, Tübingen 4 u. 51927, S. 381–419. Holl, Verzeichnis: Verzeichnis der im Druck erschienenen Schriften Karl Holls, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. III: Der Westen, Tübingen 1928, S. 578–584. Horsch, Liberty: John Horsch, Martin Luther’s Attitude toward the Principle of Liberty of Conscience, in: AJT, Vol. 11, Nr. 2 (April 1907), S. 307–315. Hoyer, Löwe: Siegfried Hoyer, Der Verein für Geschichte und historische Hilfswissenschaften „Roter Löwe“ an der Universität Leipzig 1880–1918, in: NASG, Jg. 78 (2007), S. 267–282. Hübinger, Einleitung: Gangolf Hübinger, Einleitung, in: ders. (Hg.), Ernst Troeltsch, Schriften zur Politik und Kulturphilosophie (1918–1923), Berlin / New York 2002 (Friedrich Wilhelm Graf [Hg.], Ernst Troeltsch. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 15), S. 1–42. Husserl, Briefwechsel: Karl Schuhmann (Hg.), Edmund Husserl, Briefwechsel, Bd. 7: Wissenschaftlerkorrespondenz, Dordrecht 1994 (Husserliana. Dokumente, Bd. 3: Briefwechsel, T. 7). Jäger, Art. Gelübde: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Art. „Gelübde“, in: RE1, Bd. 3, Stuttgart u. Hamburg 1855, S. 771–788. Jäger, Art. Häresie: C.[arl] [Friedrich] Jäger, Art. „Häresie“, in: RE1, Bd. 5, Stuttgart u. Hamburg 1856, S. 453–469. Jäger, Axiome: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Die Axiome der systematischen Theologie, in: JDTh, Bd. 12 (1867), S. 499–536. Jäger, Bodenstein 1: C.[arl] [Friedrich] Jäger, Ergänzende und berichtigende Beiträge zur Geschichte des Andreas Bodenstein und des Carlstadtischen Streites. Erster Artikel: Carlstadts Stellung in Wittenberg vor dem Eckischen Streit, in: DZCW, Jg. 7, Nr. 30 (1856), S. 233–237. Jäger, Bodenstein 2: C.[arl] [Friedrich] Jäger, Carlstadts Stellung in Wittenberg vor dem Eckischen Streit. (Fortsetzung), in: DZCW, Jg. 7, Nr. 31 (1856), S. 247 f. Jäger, Bodenstein 3: C.[arl] [Friedrich] Jäger, Carlstadts Stellung in Wittenberg vor dem Eckischen Streit. (Schluß.), in: DZCW, Jg. 7, Nr. 32 (1856), S. 249–251. Jäger, Bösen: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Studien zur Lehre vom Bösen, in: ThSW, Jg. 3 (1882), S. 259–267. Jäger, Carlstadt: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Andreas Bodenstein von Carlstadt. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformationszeit aus Originalquellen gegeben, Stuttgart 1856.
546
Anhang
Jäger, Davididen: C.[arl] Fr.[iedrich] Jäger, Jesus und die Davididen, in: ThSW, Jg. 8 (1887), S. 53–65. Jäger, Glaubenslehre: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Beiträge zur Grundlegung der christlichen Glaubenslehre, in: JDTh, Bd. 21 (1876), S. 353–391. Jäger, Kinder: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Die Lehre Jesu von der Bedeutung der Kinder für das Reich Gottes, in: ThSW, Jg. 6 (1883), S. 113–120. Jäger, Kirche: C.[arl] Fr.[iedrich] Jäger, Zur Lehre von der sichtbaren Kirche, in: ThSW, Jg. 7 (1886), S. 70–81. Jäger, Logik: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Der theologische Beweis. Ein Beitrag zur theologischen Logik, in: JDTh, Bd. 14 (1869), S. 583–626. Jäger, Natur: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Ueber die Natur der theologischen Erkenntniß, ein kritisch=apologetischer Versuch, in: JDTh, Bd. 2 (1857), S. 115–141. Jäger, Religion: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Was ist Religion? Eine apologetisch=kritische Skizze, in: JDTh, Bd. 10 (1865), S. 718–736. Jäger, Schuld: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Bemerkungen über die Begriffe von Schuld und Sünde, in: ThSW, Jg. 1 (1880), S. 321–332. Jäger, Sittenlehre: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Die Grundbegriffe der christlichen Sittenlehre nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche, auf’s Neue untersucht, Stuttgart 1856. Jäger, Systematik: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Beiträge zur theologischen Systematik, in: JDTh, Bd. 20 (1875), S. 177–206. Jäger, Täufer: C.[arl] F.[riedrich] Jäger, Die Stellung des Täufers Johannes zum alttestamentlichen Prophetentum, in: ThSW, Jg. 10 (1889), S. 152–160. Jäger, Reformationsgeschichte: Carl [Friedrich] Jäger, Mittheilungen zur schwäbischen und fränkischen Reformationsgeschichte, nach handschriftlichen Quellen, Bd. 1, Stuttgart 1828. Janz, Thomism: Denis R. Janz, Luther and Late Medieval Thomism. A Study in Theological Anthropology, Waterloo/Ontario 1983. Jauering, Bibliographie: Reinhard Jauering, Bibliographie Otto Clemen, in: ThLZ, Jg. 78 (1953), Sp. 544–561. Jauering, Clemen: Reinhard Jauering, Otto Clemen in memoriam, in: ThLZ, Jg. 78 (1953), Sp. 541–544. Joestel, Karlstadt: Volkmar Joestel, Andreas Bodenstein genannt Karlstadt. Schwärmer und Aufrührer?, Wittenberg 2000 (Biographien zur Reformation). Joestel, Thüringen: Volkmar Joestel, Ostthüringen und Karlstadt. Soziale Bewegung und Reformation im mittleren Saaletal am Vorabend des Bauernkrieges (1522–1524), Berlin 1996. Johnson, Books: Franklin Johnson, [Recent Books on Church History] The Period of the Reformation, in: AJT, Vol. 11, Nr. 2 (April 1907), S. 341–344. Jordan, Art. Kolde: Hermann Jordan, Art. „Kolde, Hermann Friedrich Theodor“, in: Anton Bettelheim (Hg.), BJDN, Bd. 18, Berlin 1917, S. 142–147. Jüngel, Paulus: Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus, Tübingen 21962 (HUTh, Bd. 2). Jüngel, Rechtfertigung: Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, Tübingen 62011. Junghans, Rez. Bubenheimer: Helmar Junghans, Rez. „Ulrich Bubenheimer: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation. TÜ […] 1977“, in: LuJ, Jg. 47 (1980), S. 138 f.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
547
Junghans, Sermone: Helmar Junghans, Acht Sermone D. M. Luthers von ihm gepredigt zu Wittenberg in der Fasten (Invocavitpredigten), 1522, in: Martin Luther. Studienausgabe. In Zusammenarbeit mit Helmar Junghans, Joachim Rogge und Günther Wartenberg, hg. v. Hans-Ulrich Delius, Bd. 2, Leipzig 21992, S. 520–558. Jürgensen, Norica, T. 1 f.: Renate Jürgensen, Bibliotheca Norica. Patrizier und Gelehrtenbibliotheken in Nürnberg zwischen Mittelalter und Aufklärung, 2 Tle., Wiesbaden 2002 (Beiträge zum Buch‑ und Bibliothekswesen, Bd. 43). Kähler, Art. Bodenstein: Ernst Kähler, Art. „Bodenstein, […] Andreas Rudolf, gen. Karlstadt“, in: NDB, Bd. 2, Berlin 1955, S. 356 f. Kähler, Disputation: Ernst Kähler, Beobachtungen zum Problem von Schrift und Tradition in der Leipziger Disputation von 1519, in: Helmut Gollwitzer u. Hellmut Traub (Hg.), Hören und Handeln. FS für Ernst Wolf zum 60. Geburtstag, München 1962, S. 214–229. Kähler, Karlstadt 1948: Ernst Kähler, Karlstadt und Augustin. Eine Einführung in den Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zu Augustins Schrift De spiritu et litera. Inauguraldissertation zur Erlangung der Würde eines Doktors der Theologie der Hochwürdigen Theologischen Fakultät an der Georg-August-Universität zu Göttingen, Göttingen [Typoskript] 1948. Kähler, Karlstadt 1952: Ernst Kähler, Karlstadt und Augustin. Der Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zu Augustins Schrift De spiritu et litera, Halle/Saale 1952 (HM, Nr. 19). Kähler, Karlstadt: Ernst Kähler, Nicht Luther, sondern Karlstadt (zu WA 6, 26 f.), in: ZKG, Bd. 82 (1971), S. 351–360. Kähler, Lutherfragment: Ernst Kähler, Ein übersehenes Lutherfragment, in: ThLZ, Jg. 75 (1950), Sp. 170 f. Kähler, Protest: Ernst Kähler, Karlstadts Protest gegen die theologische Wissenschaft, in: 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. 1: Wittenberg 1502–1827, Halle [1952], S. 299–312. Kalbeck, Brahms: Max Kalbeck, Johannes Brahms, Bd. 1: 1833–1862, Wien u. Leipzig 1904. Kalkoff, Rez. Barge: P.[aul] K.[alkoff], Rez. „Barge, Hermann, Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Leipzig, 1905. Brandstetter. […] M 10.“, in: LZD, Jg. 56, Nr. 36 (2. September 1905), Sp. 1182 f. Kantzenbach, Luther: Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Karlstadt und Luther, in: Wolfgang Merklein (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt. 500-Jahr-Feier. Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, Karlstadt 1980, S. [84]–91. Karlstadt, Bedingung: Bedingung: | Andres Bodenstein von Carolstat: | Doctor und Archidiacon | zu Vuittemberg. | Vuittemberg [Lotter 1520]. Karpp, Holl: Heinrich Karpp (Hg.), Karl Holl (1866–1926). Briefwechsel mit Adolf von Harnack, Tübingen 1966. Kaufmann, Abendmahl: Thomas Kaufmann, Abendmahl und Gruppenidentität in der frühen Reformation, in: Martin Ebner (Hg.), Herrenmahl und Gruppenidentiät, Freiburg/Breisgau u. a. 2007 (QD, Bd. 221), S. 194–210. Kaufmann, Abendmahlstheologie: Thomas Kaufmann, Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528, Tübingen 1992 (BHTh, Bd. 81). Kaufmann, Anfang: Thomas Kaufmann, Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatori-
548
Anhang
schen Bewegung, Tübingen 2012 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Studies in the Late Middle Ages, Humanism and the Reformation, Bd. 67). Kaufmann, Art. Karlstadt: Thomas Kaufmann, Art. „Karlstadt, Andreas Rudolf Bodenstein von“, in: EKL, Bd. 5, Göttingen 31997, Sp. 312 f. Kaufmann, Art. Reformatoren: Thomas Kaufmann, Art. „Reformatoren“, in: EKL, Bd. 3, Göttingen 31992, Sp. 1493–1502. Kaufmann, Bewegung: Thomas Kaufmann, Luther und die reformatorische Bewegung in Deutschland, in: Albrecht Beutel (Hg.), Luther Handbuch, Tübingen 22010, S. 185–196. Kaufmann, Bilderfrage: Thomas Kaufmann, Die Bilderfrage im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Peter Blickle, André Holenstein, Heinrich Richard Schmidt u. Franz-Josef Sladeczek (Hg.), Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002 (HZ.B, N. F., Bd. 33), S. [407]– 454. Kaufmann, Bornkamm: Thomas Kaufmann, Heinrich Bornkamm als zweiter und erster Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte (1931–1976), in: Luise SchornSchütte (Hg.), 125 Jahre Verein für Reformationsgeschichte, Gütersloh 2008 (SVRG, Bd. 200), S. 100–158. Kaufmann, Capito: Thomas Kaufmann, Capito als heimlicher Propagandist der frühen Wittenberger Theologie. Zur Verfasserfrage einer anonymen Vorrede zu Thesen Karlstadts in der ersten Sammelausgabe von Schriften Luthers [Okt. 1518], in: ZKG, Bd. 103 (1992), S. [81]–86. Kaufmann, Geschichte: Thomas Kaufmann, Geschichte der Reformation, Frankfurt / Main u. Leipzig 2009. Kaufmann, Karlstadt: Thomas Kaufmann, Karlstadt, Andreas Rudolf Bodenstein von (1486–1541), in: ders., Reformatoren, Göttingen 1998 (KVR, Bd. 4004), S. 59 f. Kaufmann, Moeller: Thomas Kaufmann, Einleitung, in: Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation. Neue Ausgabe. Mit einer Einleitung hg. v. Thomas Kaufmann, Tübingen 2011, S. [1]–38. Kaufmann, Müntzer: Thomas Kaufmann, Thomas Müntzer, „Zwickauer Propheten“ und sächsische Radikale. Eine quellen‑ und traditionskritische Untersuchung zu einer komplexen Konstellation, Mühlhausen 2010 (Thomas-Müntzer-Gesellschaft e. V. Veröffentlichungen, Nr. 12). Kaufmann, Schriften: Thomas Kaufmann, Zwei unbekannte Schriften Bucers und Capitos zur Abendmahlsfrage aus dem Herbst 1525, in: ARG, Jg. 81 (1990), S. 158–188. Kawerau, Antwort: Gustav Kawerau, Antwort, in: DLZ, Jg. 31, Nr. 51 (17. Dezember 1910), Sp. 3213. Kawerau, Beleuchtung: Gustav Kawerau, Luther in katholischer Beleutung. Glossen zu H. Grisars Luther, Leipzig 1911 (SVRG, Nr. 105. [Jg. 29, Stück 1]). Kawerau, Rez. Barge: Gustav Kawerau, Rez. „Hermann Barge [Oberlehrer Dr.], Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Tl.: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. II. Tl.: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus. Leipzig, Friedrich Brandstetter, 1905. XII u. 500; XI u. 632 S. 8°. M. 10; 12.“, in: DLZ, Jg. 27, Nr. 2 ([13. Januar] 1906), Sp. 73–78. Kawerau, Rez. Wähler: G.[ustav] Kawerau, Rez. „Martin Wähler […], Die Einführung der Reformation in Orlamünde. […] Erfurt […] 1918“, in: DLZ, Jg. 41 (7. Februar 1920), Sp. 113 f. Kawerau, Streit: Gustav Kawerau, Barges und Karl Müllers Streit um Luther und Karlstadt, in: DLZ, Jg. 31, Nr. 46 (12. November 1910), Sp. 2885–2891.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
549
Keerl, Apokryphenfrage: Philipp Friedrich Keerl, Die Apokryphenfrage mit Berücksichtigung der darauf bezüglichen Schriften Dr. Stier’s und Dr. Hengstenberg’s aufs Neue beleuchtet, Leipzig 1855. Keller, Anzeige Barge I: [Ludwig Keller, Anzeige von Barge, Strömungen], in: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, hg. v. Ludwig Keller, Bd. 9, H. 7 f. („September-Oc tober“ 1900), S. 260. Keller, Anzeige Barge II: [Ludwig Keller, Anzeige von Barge, Rez. Rembert], in: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, hg. v. Ludwig Keller, Bd. 9, H. 7 f. („NovemberDezember“ 1900), S. 322. Keller, Apostel: Ludwig Keller, Ein Apostel der Wiedertäufer, Leipzig 1882. Keller, Brüder: Ludwig Keller, Die böhmischen Brüder und ihre Vorläufer, Leipzig 1894 (Vorträge und Aufsätze aus der Comenius-Gesellschaft, Jg. 2, St. 3). Keller, Grundfragen: Ludwig Keller, Grundfragen der Reformationsgeschichte. Eine Auseinandersetzung mit litterarischen Gegnern, Berlin 1897 (Vorträge und Aufsätze aus der Comenius-Gesellschaft, Jg. 5, St. 1 f.) Keller, Reformation: Ludwig Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien, Leipzig 1885. Keller, Staupitz: Ludwig Keller, Johann von Staupitz und die Anfänge der Reformation, Leipzig 1888. Keller, Waldenser: Ludwig Keller, Die Waldenser und die Deutschen Bibelübersetzungen. Nebst Beiträgen zur Geschichte der Reformation, Leipzig 1886. Keller, Wiedertäufer: Ludwig Keller, Geschichte der Wiedertäufer und ihres Reichs zu Münster. Nebst gedruckten Urkunden, Münster 1880. Kessler, Herder-Rezeption: Martin Keßler, Muster theologischer Herder-Rezeption, in: Heinrich Clairmont, Stefan Greif, Marion Heinz (Hg.), Herder Handbuch, Paderborn (im Druck). Kessler, Klassiker: Martin Keßler, Johann Gottfried Herder – der Theologe unter den Klassikern. Das Amt des Generalsuperintendenten von Sachsen-Weimar, 2 T., Berlin / New York 2007 (AKG, Bd. 102/I f.). Kessler, Lissabon: Martin Keßler, Das Erdbeben von Lissabon und die Frage nach Gottes Providenz in der Aufklärungstheologie, in: Mariano Delgado u. Volker Leppin (Hg.), Gott in der Geschichte. Zum Ringen um das Verständnis von Heil und Unheil in der Geschichte des Christentums, Fribourg u. Stuttgart 2013 (Studien zur christlichen Religions‑ und Kulturgeschichte, Bd. 18), S. [351]–407. Kessler, Luther: Martin Keßler, Art. „der ‚alte‘ Luther“, in: Volker Leppin u. Gury Schneider-Ludorff (Hg.), Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, S. 53–55. Kessler, Rez. Cordemann: Martin Keßler, Rez. „Claas Cordemann, Herders christlicher Monismus. Eine Studie zur Grundlegung von Johann Gottfried Herders Christologie und Humanitätsideal, Tübingen: Mohr Siebeck 2010 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 154)“, in: GGA, Jg. 264 (2012), S. [149]–165. Kessler, Wissenschaftsförderung: Martin Keßler, Basler Wissenschaftsförderung im Jahre 1958. Zum Anlass der Dissertation von Rudolf Smend, in: ders. u. Martin Wallraff (Hg.), Biblische Theologie und historisches Denken. Aus Anlass der 50. Wiederkehr der Basler Dissertation von Rudolf Smend, Basel 2008 (Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel, N. F., Bd. 5), S. 8–35. Koch, Kawerau: Ernst Koch, Gustav Kawerau, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), 125 Jahre Verein für Reformationsgeschichte, Gütersloh 2008 (SVRG, Bd. 200), S. 36–45.
550
Anhang
Koch, Lutherverständnis: Ernst Koch, Jenaer Beiträge zum Lutherverständnis, in: Christoph Markschies u. Michael Trowitzsch (Hg.), Luther – zwischen den Zeiten. Eine Jenaer Ringvorlesung, Tübingen 1999, S. 1–15. Koethe, Melanchthon: Friedrich August Koethe (Hg.), Philipp Melanchthon’s Werke, in einer auf den allgemeinen Gebrauch berechneten Auswahl. […] In sechs Theilen, T. 1, Leipzig 1829. Kögel, Art. Nathusius: Julius Kögel, Art. „Nathusius, Martin Friedrich Engelhard“, in: RE3, Bd. 24, Leipzig 1913, S. 192–194. Köhler, Bodenstein 1792: Johann Friedrich Köhler, Andreas Bodensteins von Karlstadt Leben, Meinungen und Schicksale, in: ders. (Hg.), Beyträge zur Ergänzung der deutschen Litteratur und Kunstgeschichte, Th. 1, Leipzig 1792, S. [1]–161. Köhler, Bodenstein 1794: Johann Friedrich Köhler, Zusätze zu Andreas Bodensteins von Karlstads Leben, und zu einigen andern Abhandlungen, im ersten Theil dieser Beyträge in: ders. (Hg.), Beyträge zur Ergänzung der deutschen Litteratur und Kunstgeschichte, Th. 2, Leipzig 1794, S. 239–267. Köhler, Jahresbericht 1905: Walther Köhler, Kirchengeschichte vom Beginn der Reformation bis 1648, in: ThJber, Bd. 25: 1905, Leipzig 1906, S. 507–660. Köhler, Jahresbericht 1907: Walther Köhler, Kirchengeschichte vom Beginn der Reformation bis 1648, in: ThJber, Bd. 27: 1907, Leipzig 1908, S. 449–608. Köhler, Jahresbericht 1908: Walther Köhler, Kirchengeschichte vom Beginn der Reformation bis 1648, in: ThJber, Bd. 28: 1908, Leipzig 1909, S. 437–616. Köhler, Jahresbericht 1909: Walther Köhler, Kirchengeschichte vom Beginn der Reformation bis 1648, in: ThJber, Bd. 29: 1909, Leipzig 1911, S. 491–678. Köhler, Karlstadt: Walther Köhler, [Forschungsbericht zu Barge, den Reaktionen Müllers, Scheels und von Tilings und den Repliken Barges; der Beitrag wurde ohne Titel publiziert, in den Kolumnentiteln aber als „Barge, Karlstadt“ bezeichnet] in: GGA, Jg. 174, Nr. 9 ([nach S. 505: „September“] 1912), S. 505–550. Köhler, Kirchengeschichte: W.[alther] Köhler, Luther und die Kirchengeschichte nach seinen Schriften, zunächst bis 1521, T. 1: 1. Abteilung: Die Ablassinstruktionen, die Bullen, Symbole, Concilien und die Mystiker, Erlangen 1900 (Beiträge zu den Anfängen protestantischer Kirchengeschichtsschreibung). Köhler, Lüge: Walther Köhler, Luther und die Lüge, Leipzig 1912 (SVRG, Nr. 109 f. [Jg. 30, Stück 1 f.]). Köhler, Rez. Barge: Walther Köhler, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt. Von Hermann Barge. 2 Bände. Leipzig, Friedrich Brandstetter. 10 und 12 Mk.“, in: ChW, Jg. 20 ([nach Sp. 313: „5. April“] 1906), Sp. 331. Köhler, Rez. Scheel: Walther Köhler, Rez. „Luthers Werke für das deutsche Haus. Herausgegeben von Buchwald, Kawerau u. a. Ergänzungsband I und II. Herausgegeben von Lic. Otto Scheel […,] Berlin 1906“, in: PrM, Jg. 10, H. 6 („Ausgegeben am 25. Juni 1906“), S. 250–254. Köhler/Clemen, Jahresbericht 1911: Otto Clemen u. Walther Köhler, Kirchengeschichte vom 1517 bis 1648, in: ThJber, Bd. 31: 1911, Leipzig 1915, S. 565–709. Kolde, Abendmahlsstreit: Theodor Kolde, Zur Chronologie Lutherischer Schriften im Abendmahlsstreit, in: ZKG, Bd. 11 (1890), S. 472–476. Kolde, Analecta: Theodor Kolde (Hg.), Analecta Lutherana. Briefe und Actenstücke zur Geschichte Luthers. Zugleich ein Supplement zu den bisherigen Sammlungen seines Briefwechsels, Gotha 1883.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
551
Kolde, Dänemark: Theodor Kolde, Carlstadt und Dänemark, in: ZGK, Bd. 8 (1886), S. 283–292. Kolde, Disputationsthesen: Theodor Kolde, Wittenberger Disputationsthesen aus den Jahren 1516–1522, in: ZKG, Bd. 11 (1890), S. 448–479. Kolde, Luther 1884: Theodor Kolde, Martin Luther. Eine Biographie, Bd. 1, Gotha 1884. Kolde, Luther 1889: Theodor Kolde, Martin Luther. Eine Biographie, Bd. 2, Gotha 1889–1893. Kolde, Rez. Barge: [Theodor Kolde], Rez. „Barge, Hermann. Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Leipzig (Friedrich Brandstetter). 1905. XII und 500 S. 10 Mk.“, in: BBKG, Bd. 12, H. 4 [laut Titelblatt der Hefte 2 f.: „Heft 4 erscheint am 1. April“] (1906), S. 189–192. Korsch, Antipode: Dietrich Korsch, Zeit der Krise der Theologie. Karl Holl als Antipode Ernst Troeltschs, in: Troeltsch-Studien, Bd. 4: Umstrittene Moderne. Die Zukunft der Neuzeit im Urteil der Epoche Ernst Troeltschs, hg. v. Horst Renz u. Friedrich Wilhelm Graf, Güterloh 1987, S. 211–229. Körtner, Theologie: Ulrich H. J. Körtner, Reformatorische Theologie im 21. Jahrhundert, Zürich 2010 (Theologische Studien, Bd. 1). Kotabe, Laienbild: Shinichi Kotabe, Das Laienbild Andreas Bodensteins von Karlstadt in den Jahren 1516–1524. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, München [Typoskript] 2005. Kracik, Gesundheitsschutz: Antje Kracik, Die Kleidung als Gesundheitsschutz in Deutschland im späten 19. Jahrhundert. Eine vergleichende Studie anhand der beiden Kleidungsreformer Prof. Dr. Gustav Jäger und Dr. Heinrich Lahmann. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der zahnärztlichen Doktorwürde der Universität zu Köln, Köln [Typoskript] 2000. Kraus, Hartung: Hans-Christof Kraus, Fritz Hartung, in: ders., Geisteswissenschaftler II, Berlin 2012 (Berlinische Lebensbilder, Bd. 10), S. 307–328. Krause, Sprache 1984: Armin Krause, Zur Sprache Karlstadts. Untersuchungen zum Einfluß von Verstehens‑ und Sprachtraditionen auf die Ausprägung individuellen Sprach‑ und Schriftverständnisses, Sprachverhaltens und auf die Bedeutung ausgewählter Schlüsselwörter der Reformationszeit – thematisiert und dargestellt anhand der Schriften des Reformators Andreas Bodenstein von Karlstadts. Dissertation zur Promotion A, Karl-Marx-Universität Leipzig. Sektion Germanistik und Literaturwissenschaft, Leipzig [Typoskript] 1984. Krause, Sprache 1990: Armin Krause, Zur Sprache des Reformators Andreas Bodenstein von Karlstadt. Untersuchungen zum Einfluß von Verstehens‑ und Sprachtraditionen auf die Ausprägung individuellen Sprach‑ und Schriftverständnisses, Sprachverhaltens und die Bedeutung ausgewählter Schlüsselwörter der Reformationszeit, Stuttgart 1990 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, Nr. 236). Kretschmann, Gutenberg-Jahr: Paul Kretschmann, Schrifttum zum Gutenberg=Jahr 1940, in: Technik. Geschichte. Im Auftrage des Vereines deutscher Ingenieure […], hg. v. Conrad Matschoss, Bd. 29 (1940) [Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie, Bd. 29], S. 188 f. Krey, Demokratie: Ursula Krey, Demokratie und Opposition. Der Naumann-Kreis und die Intellektuellen, in: Gangolf Hübinger u. Thomas Hertfelder (Hg.), Kritik und Macht. Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart u. München 2000, S. 71–92.
552
Anhang
Krey, Kaiserreich: Ursula Krey, Der Naumann-Kreis im Kaiserreich. Liberales Milieu und protestantisches Bürgertum, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, Jg. 7 (1995), S. 57–81. Krey, Naumann-Kreis: Ursula Krey, Der Naumann-Kreis: Charisma und politische Emanzipation, in: Rüdiger vom Bruch (Hg.), Friedrich Naumann in seiner Zeit, Berlin/ New York 2000, S. 115–147. Krey, Protestantismus: Ursula Krey, Von der Religion zur Politik. Der Naumann-Kreis zwischen Protestantismus und Liberalismus, in: Olaf Blaschke u. Frank-Michael Kuhlemann (Hg.), Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen, Gütersloh 1996 (Religiöse Kulturen der Moderne, Bd. 2), S. 350–381. Kreysig, Verzeichnis: [Georg Christoph Kreysig], Verzeichniß aller Schriften D. Andreae Bodensteins von Carlstadt [sowie vierfache] Fortsetz.[ung] derer Schrifften D. Andr. Bodensteins von Carlstadt [und schließlicher] Nachtrag von Carlstadten, in: Dreßdener Gelehrte Anzeigen, aus denen meisten Theilen der Gelehrsamkeit, der Künste und Wissenschaften […] im Jahr 1757, Sp. 43–48; 61–64; 89–92; 107–110; 123–128; 137–140. Kriechbaum, Grundzüge: Friedel Kriechbaum, Grundzüge der Theologie Karlstadts. Eine systematische Studie zur Erhellung der Theologie Andreas von Karlstadts (eigentlich Andreas Bodenstein 1480–1541) aus seinen eigenen Schriften entwickelt, Hamburg/Bergstedt 1967 (ThF, Bd. 43). Kruse, Karlstadt: Jens-Martin Kruse, Karlstadt als Wittenberger Theologe. Überlegungen zu einer pluralen Darstellungsweise der frühen Reformation, in: MGB, Jg. 57 (2000), S. 7–30. Kruse, Kirchenreform: Jens-Martin Kruse, Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522, Mainz 2002 (VIEG, Bd. 187). Kuhn, Biedermann: Thomas K. Kuhn, Der junge Alois Emanuel Biedermann. Lebensweg und theologische Entwicklung bis zur ‚Freien Theologie‘ 1819–1844, Tübingen 1997 (BHTh, Bd. 98). Labes, Autographensammeln: Eugen Labes, Die Poesie des Autographensammelns, in: Organ für Autographensammler und Autographenhändler, Jg. 2, Nr. 3 (1860), S. 47 f. Labes, Carolostadio: Eugenius Labes, De Carolostadio. Oratio quam in memoriam Augustinae Confessionis ex lege beneficii Lynckeriani die XXX. M. Maii hora XI a. MDCCCLXI in templo Paulino academico habuit Eugenius Labes theologiae baccalaureus, Jena [1861]. Labes, Kirchengeschichte: Eugen Labes, Die Aufgabe der Kirchengeschichte in der Gegenwart. Das Pfingstfest. Zwei religiöse Essays, Warmbrunn [o. J.]. Labes, Rechtfertigungsschrift: E.[ugen] Labes, Eine ungedruckte Rechtfertigungsschrift Andreas Bodenstein von Carlstadt’s, in Betreff der Abendmahlslehre gerichtet an den Kanzler Brück in Weimar, aus dem Sächsisch-Ernestinischen Communarchiv zu Weimar, in: ZWTh, Jg. 7 (1864), S. 99–112. Labes, Satiren: Eugen Labes, Die Satiren der Reformationszeit. Eine lateinische Abhandlung, Jena 1859; mit einem zusätzlichen zweiten Titelblatt gedruckt als: Poesis satirica quantum adjuverit emendationem sacrorum. Oratio quam in memoriam Augustanae confessionis ex lege beneficii Lynckeriani die XXX M. Maii hora XI a. MDCCCLIX in templo Paulino Academico habuit Eugenius Labes, Weimar 1860. Lagarde, Theologie: Paul de Lagarde, Ueber das Verhältnis des deutschen Volkes zu Theologie, Kirche und Religion. Ein Versuch Nicht=Theologen zu orientieren, in: ders., Deutsche Schriften. Gesamtausgabe letzter Hand, Göttingen 51920, S. [40]–83.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
553
Lamprecht, Geschichte: Karl Lamprecht, Deutsche Geschichte, 12 Bde., Berlin 1891– 1909. Lamprecht, Methode: Karl Lamprecht, Die historische Methode des Herrn von Below. Eine Kritik, Berlin 1899. Lamprecht, Richtungen: Karl Lamprecht, Alte und neue Richtungen in der Geschichtswissenschaft, Berlin 1896. Landwehr, Schmidt: H.[ugo] Landwehr, Adolf Schmidt, geb. den 12. September 1812, gest. den 10. April 1887, in: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde. Begründet von Conrad Bursian, hg. v. Iwan Müller, Jg. 10: 1887, Berlin 1889, S. [1]–34. Lang, Charakterbild: Heinrich Lang, Martin Luther ein religiöses Charakterbild, Berlin 1870. Lange, Orlamünde: Gudrun Lange, Die Stadt Orlamünde und ihr Reformator Andreas Bodenstein von Karlstadt, hg. v. Wolfgang Freund, Weimar 2011. Lau, Reformationsgeschichte: Franz Lau, Reformationsgeschichte bis 1532, in: ders. u. Ernst Bizer, Reformationsgeschichte Deutschlands bis 1555, Göttingen 1964 (KIG, Bd. 3, Lieferung K), S. K 1‑ 65. Lau, Rez. Kähler: Franz Lau, Rez. „Kähler, Ernst: Karlstadt und Augustin […] Halle /S. [1952]“, in: ThLZ, Jg. 78 (1953), Sp. 427 f. Laube, Bauernkrieg Bd. 1 f.: Adolf Laube (Hg. u. a.), Flugschriften vom Bauernkrieg und zum Täuferreich (1526–1535), Bd. 1 f., Berlin 1992. Laube, Reformationsbewegung, Bd. 1 f.: Adolf Laube (Hg. u. a.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung, Bd. 1 f., Vaduz 1983. Leesch, Art. Wolff: Wolfgang Leesch, Art. „Wolff, Richard“, in: ders., Die deutschen Archivare 1500–1945, Bd. 2: Biographisches Lexikon, München u. a. 1992, S. 679 f. Legrand, Rez. Barge: M. Legrand, Rez. „Hermann Barge. Andreas Bodenstein von Karlstadt. 1e partie. Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Leipzig, Friedrich Brandstetter, 1905. ln-8, XII-500 p. M. 10“, in: RHE, Vol. 9, H. 1 (1908), S. 131–133. Leipziger Mieterverein 1931: Fünfzig Jahre Leipziger Mieterverein 1881–1931. Seit 1924 Reichsbund Deutscher Mieter. Ortsverein Leipzig e.V., hg. zur Gründungsfeier am 15. August 1931. Leipziger Repertorium 1850: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur. Unter Mitwirkung der Universität Leipzig, hg. v. Dr. E. G. Gersdorf, Jg. 8, Bd. 3, Leipzig 1850. Leipziger Repertorium 1851: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur. Unter Mitwirkung der Universität Leipzig, hg. v. Dr. E. G. Gersdorf, Jg. 9, Bd. 2, Leipzig 1851. Leipziger Repertorium 1855: Leipziger Repertorium der deutschen und ausländischen Literatur. Unter Mitwirkung der Universität Leipzig, hg. v. Dr. E. G. Gersdorf, Jg. 13, Bd. 1, Leipzig 1855. Leo, Universalgeschichte: Heinrich Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten, Bd. 3: Der neueren Geschichte erste Hälfte, Halle 1838. Leppin, Bulle: Volker Leppin, Die Wittenbergische Bulle. Andreas Karlstadts Kritik an Luther, in: Mariano Delgado u. Gotthard Fuchs (Hg.), Die Kirchenkritik der Mystiker. Prophetie aus Gotteserfahrung, Bd. 2: Frühe Neuzeit, Fribourg u. Stuttgart 2005 (Studien zur christlichen Religions‑ und Kulturgeschichte, Bd. 3), S. 117–129. Leppin, Erbe: Volker Leppin, Mystisches Erbe auf getrennten Wegen: Überlegungen zu Karlstadt und Luther, in: Christoph Bultmann, Volker Leppin u. Andreas Lindner
554
Anhang
(Hg.): Martin Luther und das monastische Erbe, Tübingen 2007 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, Bd. 39), S. 153–169. Leppin, Luther-Debatte: Volker Leppin, Eine neue Luther-Debatte: Anmerkungen nicht nur in eigener Sache, in: ARG, Jg. 99 (2008), S. 297–307. Leppin, Saaletal: Volker Leppin, Stadt und Region im mittleren Saaletal. Zu den Einflüssen Karlstadts auf die Jenaer Reformation, in: Irene Dingel u. Günther Wartenberg (Hg.), Kirche und Regionalbewußtsein in der Frühen Neuzeit. Konfessionell bestimmte Identifikationsprozesse in den Territorien, Leipzig 2009 (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 10), S. 41–51. Leroux, Mass: Neil R. Leroux, Karlstadt’s [‚]Christag Predig[‘]: Prophetic Rhetoric in an ‚Evangelical‘ Mass, in: ChH, Bd. 72 (2003), S. 102–137. Leroux, Wittenberg: Neil R. Leroux, „In the Christian City of Wittenberg“: Karlstadt’s Tract on Images and Begging, in: SCJ, Bd. 34/1 (2003), S. [73]–105. Leube, Verzeichnis: Verzeichnis der Studenten des Evangelischen Stifts Tübingen 1537– 1930. Auf Grundlage der Sammlung von Martin Leube (Bestand D 20 im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart), Bd. 1, Stuttgart (Typoskript) 2007. Lezius, Rez. Müller: [Friedrich] Lezius, Rez. „Müller, K., […] Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis. Tübingen 1907“, in: TLB (1909), S. 117 f. Lietzmann, Karlstadt: Hans Lietzmann (Hg.), Andreas Karlstadt, Von Abtuhung der Bilder und das keyn Bedtler vnther den Christen seyn sollen 1522 und die Wittenberger Beutelordnung, Bonn 1911 (KlT, Bd. 74). Lietzmann, Kastenordnung: Hans Lietzmann (Hg.), Die Wittenberger und Leisniger Kastenordnung 1522 1523, Bonn 1907 (KlT, Bd. 21). Lindberg, Reformations: Carter Lindberg, The European Reformations, Malden / Massachusetts u. a. 22005. Lindberg, Rez. Furcha: Carter Lindberg, Rez. „E. J. Furcha, ed. und trans. The Essential Carlstadt: Fifteen Tracts by Andreas Bodenstein (Carlstadt) from Karlstadt […] Waterloo […] 1995“, in: RenQ, Bd. 50 (1997), S. 300–302. Lindberg, Sourcebook: Carter Lindberg, The European Reformations Sourcebook, Mal den/Massachusetts u. a. 2000. Lindberg, Supper: Karlstadt’s Dialogue on the Lord’s Supper, translated and edited by Carter Lindberg, in: MQR, Bd. 53 (1979), S. 35–77. Links, DDR-Verlage: Christoph Links, Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen, Berlin 2009. Lipsius, Carolostadius 1662: Exercitatio. Historico-theologica, In qua Andreas Bodenstein Carolostadius à puritore Ecclesia devius ostenditur, erroresque ejusdem recensentur & deteguntur, Propiti ante deo ter opt. Max. In Illustri Academia Giessena, sub präsidio Viri Maximè Reverendi, Amplissimi & Excellentissimi, Dn. Michaelis Siricii, Doctoris & Professoris Theolog. Ordinarii, Stipendiatorum Ephorigravissime & Ecclesiastae vigilantissimi, Domini Patroni & Präceptoris Colendissimi, In Auditorio Theologico D. 10. Septembr. Anno 1662. Diquisitioni publica & plasidae subjecta à Pfiderico Lipsio Authore & Resp., Gießen 1662. Lipsius, Carolostadius 1708: Exercitatio Historico-theologica, In qua Andreas Bodenstein Carolostadius à Puriore Ecclesia devius ostenditur, erroresque ejusdem recensentur & deteguntur, Propitiante deo ter Opt. Max. In Illustri Academia Giessena, sub präsidio Viri Maximè Reverendi, Amplissimi & Excellentissimi, Dn. Michaelis Siricii, Doctoris & Professoris Theol. Ordinarii, Stipendiatorum Ephori gravissime & Ecclesiastae vigilantissimi, Domini Patroni & Präceptoris Colendissimi, In Auditorio Theologico D.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
555
10. Septembr. Anno 1662. Diquisitioni publica & placidae subjecta à Friderico Lipsio Authore & Resp., in: Elogia Germanorum quorundam Theologorum, seculi XVI. & XVII. Collectore Georgio Henrico Goetzio, Doct. ecclesiae Lubecensis Superintendente, additamenta complectuntur D. Michael. Siricii Dissertat. Histor. Theol. de Andr. Bodenst. Carolostadio, ac Josuae Arndii Exercitationem de Claudii Salmasii erroribus in Theologia, Lübeck 1708, S. [185]–206. Löbe, Jahresbericht: J.[ulius] Löbe, Jahresbericht über den Stand und die Wirksamkeit der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes zu Altenburg, auf die Zeit vom 11. Nov. 1851 bis 27. Okt. 1852, in: Mittheilungen der Geschichts= und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes, Bd. 3, H. 4, Altenburg 1853, S. [437]–444. Loeber, Orlamünde: Christian Heinrich Loeber, Historia Ecclesiastica Quae Ephoriam Orlamundam in Ducatu Altenburgensi describit […], Jena 1702. Lohse, Kanon: Bernhard Lohse, Die Entscheidung der lutherischen Reformation über den Umfang des alttestamentlichen Kanons, in: Wolfhart Pannenberg u. Theodor Schneider (Hg.), Verbindliches Zeugnis, Bd. 1: Kanon – Schrift – Tradition, Göttingen 1992, S. 169–194. Lommatzsch, Schleiermacher: Carl Lommatzsch (Hg.), Vorlesungen über die Aesthetik. Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und aus nachgeschriebenen Heften, Berlin 1842. Lönnecker, Löwe: Harald Lönnecker, Der Rote Löwe zu Leipzig, online verfügbar unter: www.burschenschaftsgeschichte.de/pdf/loennecker_roter_loewe_zu_leipzig.pdf (Zugriffsdatum: 28. Oktober 2013). Loofs, Notiz: Friedrich Loofs, Notiz, in: ThLZ, Jg. 34, Nr. 20 ([nach Sp. 553 f.: „25. September“] 1909), Sp. 572 f. Looss, Aufruhr: Sigrid Looß, Andreas Bodensteins von Karlstadt Haltung zum „Aufruhr“, in: Ulrich Bubenheimer u. Stefan Oehmig (Hg.), Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001, S. 265–276. Looss, Bann: Sigrid Looß, Karlstadt und der Bann. Stationen in Thüringen, Zürich und Altstätten zwischen 1522 und 1532, in: MGB, Jg. 56 (1999), S. 7–17. Looss, Bauernkrieg: Sigrid Looß, Zur Haltung radikal-bürgerlicher Kräfte vor und während des Bauernkrieges. Das Beispiel Karlstadt, in: ZfG, Jg. 36/4 (1988), S. 325–330. Looss, Familie: Sigrid Looß, Annotationes über die nachgelassene Familie des Andreas Bodenstein aus Karlstadt, in: Erich Donner (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. FS für Günter Mühlpfordt, Bd. 1: Vormoderne, Weimar u. a. 1997, S. 189–195. Looss, Forschung: Sigrid Looß, Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541) in der modernen Forschung, in: dies. u. Markus Matthias (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation. Beiträge eines Arbeitsgesprächs vom 24.–25. November 1995 in Wittenberg, Wittenberg 1998 (Themata Leucoreana), S. 9–23. Looss, Luther: Sigrid Looß, Zu einigen Aspekten des Verhältnisses zwischen Luther und Karlstadt, vorwiegend dargestellt an Karlstadts Straßburgaufenthalt im Oktober 1524, in: Horst Bartel, Gerhard Brendler, Hans Hübner u. Adolf Laube (Hg.), Martin Luther. Leistung und Erbe, Berlin 1986, S. 142–147. Looss, Mensch: Sigrid Looß, Karlstadts Bild vom Menschen in seiner Wittenberger Zeit (1520–1523), in: Stefan Oehmig (Hg.), 700 Jahre Wittenberg. Stadt. Universität. Reformation, Weimar 1995, S. 275–287.
556
Anhang
Looss, Radical: Sigrid Looß, Radical Views of the Early Andreas Karlstadt (1520–1525), in: Hans J. Hillerbrand (Hg.), Radical Tendencies in the Reformation. Divergent Perspectives, Kirksville/Missouri 1988 (SCES, Bd. 9), S. 43–53. Looss, Werkausgabe: Sigrid Looß, Desiderat der Forschung zur Reformationsgeschichte – eine Werkausgabe des Andreas Bodenstein aus Karlstadt (1486–1541), in: HansGert Roloff (Hg.), Editionsdesiderate zur Frühen Neuzeit. Beiträge zur Tagung der Kommission für die Edition von Texten der Frühen Neuzeit, T. 1, Amsterdam u. a. 1997 (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 24), S. 553–565. Looss/Matthias, Theologe: Sigrid Looß u. Markus Matthias (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation. Beiträge eines Arbeitsgesprächs vom 24.–25. November 1995 in Wittenberg, Wittenberg 1998 (Themata Leucoreana). Löscher, Historia 1707: Außführliche Historia Motuum zwischen den Evangelisch Lutherischen und Reformirten/ in welcher Der gantze Lauff der Streitigkeiten biß auff jetzige Zeit Acten=mäßig erzehlt […], T. 1, Frankfurt u. Leipzig 1707. Löscher, Historia 1720: Ausführliche Historia Motuum zwischen den Evangelisch= Lutherischen und Reformirten, In welcher Der gantze Lauff der Streitigkeiten biß auf jetzige Zeit Acten=mäßig erzehlt […], T. 1, Frankfurt u. Leipzig 21720. Löscher, Reformations-Acta, T. 1–3: Valentin Ernst Löscher, Vollständige ReformationsActa und Documenta, oder umständliche Vorstellung des Evangelischen ReformationsWercks, mit Einrückung des darzu dienlichen, theils noch nie gedruckten, Nachrichten […], 3 Tle., Leipzig 1720/1723/1729. Löschhorn, Rez. Barge 1910: Karl Löschhorn, Rez. „Barge, Hermann, Frühprotestantisches Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde […,] Leipzig […] 1909“, in: MhL, Jg. 37 (1910), S. 158–162. Lück, Thomasius: Heiner Lück (Hg.), Christian Thomasius (1655–1728). Gelehrter Bürger in Leipzig und Halle. Wissenschaftliche Konferenz des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig in Leipzig (7./8. Oktober 2005) aus Anlass des 350. Geburtstages von Christian Thomasius, Stuttgart u. a. 2008 (ASAW.PH, Bd. 81, H. 2). Lüdemann, Reformation: Hermann Lüdemann, Reformation und Täufertum in ihrem Verhältnis zum christlichen Princip, Bern 1896. Maron, Schwenckfeld: Gottfried Maron, Individualismus und Gemeinschaft bei Caspar von Schwenckfeld. Seine Theologie dargestellt mit besonderer Ausrichtung auf seinen Kirchenbegriff, Stuttgart 1961 (KO.B, Nr. 2). Masch, Verzeichnis: [Andreas Gottlieb Masch], Eyn frage, ob auch nemant möge selig werden, on die fürbitt Marie. Andreas Carolstat. Anno M. D. xxiiii. Wittenberg. 10 Bl. 4., in: Andreas Gottlieb Masch (Hg.), Beyträge zur Geschichte merkwürdiger Bücher, St. 8, Bützow und Wismar 1774, S. 601–621. Masin, Streitschriften: Eva-Maria Masin, Die Streitschriften des Andreas Bodenstein von Karlstadt. Ein Beitrag zur Flugschriftenliteratur des 16. Jahrhunderts. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Grund‑ und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Wien [Typoskript] 1977. Matheson, Dialogue: Peter Matheson, Truth between Dialogue and Polemic, in: Maurice Andrew, ders. u. Simon Rae, Religious Studies in Dialogue – Essays in Honour of Albert C. Moore, Dunedin 1991, S. [103]–113. Matheson, Rhetoric: Peter Matheson, The Rhetoric of the Reformation, Edinburgh 1998.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
557
Mathys, Dissertatio: Hans-Peter Mathys, Wilhelm Martin Leberecht de Wettes [‚]Dissertatio critico-exegetica[‘] von 1805, in: Martin Keßler u. Martin Wallraff (Hg.), Biblische Theologie und historisches Denken. Aus Anlass der 50. Wiederkehr der Basler Dissertation von Rudolf Smend, Basel 2008 (Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel, N. F., Bd. 5), S. 171–211. Maurenbrecher, England: Wilhelm Maurenbrecher, England im Reformationszeitalter. Vier Vorträge, Düsseldorf 1866. Maurenbrecher, Karl: Wilhelm Maurenbrecher, Karl V. und die deutschen Protestanten 1545–1555. Nebst einem Anhang von Aktenstücken aus dem spanischen Staatsarchiv von Simancas, Düsseldorf 1865. Maurenbrecher, Lutherliteratur: Wilhelm Maurenbrecher, Zur Lutherliteratur, in: ders., Studien und Skizzen zur Geschichte der Reformationszeit, Leipzig 1874, S. 205–237. Maurenbrecher, Methode: Wilhelm Maurenbrecher, Ueber Methode und Aufgabe der Historischen Forschung, Bonn 1868. Maurenbrecher, Politik: Wilhelm Maurenbrecher, Geschichte und Politik. Akademische Antrittsrede gehalten zu Leipzig 25. Oktober 1884, Leipzig 1884. Maurer, Schwärmer: Wilhelm Maurer, Luther und die Schwärmer, in: Schriften des Theologischen Konventes Augsburgischen Bekenntnisses, H. 6 (1952), S. 7–37. May, Rez. Bubenheimer: Georg May, „Ulrich Bubenheimer: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation […]. Tübingen 1977“, in: Eras., Bd. 30 (1978), Sp. 74–77. Mayer, Stift: Hans Mayer, „… cum patria statque caditque sua“ – Das Evangelische Stift als württembergische kirchliche Bildungseinrichtung, in: Joachim Hahn u. ders., Das Evangelische Stift in Tübingen. Geschichte und Gegenwart – Zwischen Weltgeist und Frömmigkeit, Stuttgart 1985, S. [11]–102. McLelland, Obituary Furcha: Joseph C. McLelland, Edward J. Furcha (1935–1997), in: SCJ, Bd. 28/3 (1997), S. 825 f. McNiel, Relatives: William Wallace McNiel, Andreas von Karlstadt and Thomas Müntzer: Relatives in Theology and Reformation. A thesis submitted to the Department of History in conformity with the requirements for the degree of Doctor of Philosophy. Queen’s University, Kingston/Ontario 1999. Meier, Fakultäten: Kurt Meier, Die theologischen Fakultäten im Dritten Reich, Berlin / New York 1996. Mende, Bodenstein: Erich Mende, Bodenstein und seine Zeit, in: Ulrich Bubenheimer u. Erich Mende, Andreas Bodenstein gen. Dr. Karlstadt (1480–1541). Festvorträge anläßlich des 500. Geburtstages Andreas Bodensteins, [Karlstadt am Main] 1981 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlstadt und des Umlandes. Schriftenreihe der Volkshochschule Karlstadt in Zusammenarbeit mit dem Historischen Verein Karlstadt, H. 4), [1]–15 [beide Beiträge des Heftes wurden separat gezählt]. Mentz, Geschichte: Georg Mentz, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges. 1493–1648. Ein Handbuch für Studierende, Tübingen 1913. Menzel, Reformation: Karl Adolf Menzel, Neuere Geschichte der Deutschen von der Reformation bis zur Bundes=Acte, Bd. 1: Vom Anfange des Kirchenstreits bis zum Nürnberger Religionsfrieden, Breslau 1826. Merklein, Festschrift: Wolfgang Merklein (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt. 500-Jahr-Feier. Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, Karlstadt 1980.
558
Anhang
Metz, Grundformen: Karl Heinz Metz, Grundformen historiographischen Denkens. Wissenschaftsgeschichte als Methodologie. Dargestellt an Ranke, Treitschke und Lamprecht. Mit einem Anhang über zeitgenössische Geschichtstheorie, München 1979 (Münchener Universitäts-Schriften. Reihe der Philosophischen Fakultät). Meusel, Art. Kreysig: Johann Georg Meusel, Art. „Kreysig (Georg Christoph), in: ders., Lexikon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. 7, Leipzig 1808, S. 357 f. Meyer, Art. Fascher: Arnold Meyer, Art. „Fascher, Erich“, in: RGG2, Bd. 2, Tübingen 1928, Sp. 517 f. Moeller, Bewegung: Bernd Moeller, Stadt und Buch. Bemerkungen zur Struktur der reformatorischen Bewegung in Deutschland, in: ders., Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze, hg. v. Johannes Schilling, Göttingen 1991, S. [111]– 124. Moeller, Kirchengeschichte: Bernd Moeller (Hg.), Kirchengeschichte. Deutsche Texte 1699–1927, Frankfurt/Main 1994 (Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 121; Bibliothek der Geschichte und Politik, Bd. 22). Moeller, Rez. Bubenheimer: Bernd Moeller, Rez. „Bubenheimer, Ulrich: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation. Tübingen […] 1977“, in: ThLZ, Jg. 105 (1980), Sp. 208–210. Moeller, Rez. Kriechbaum: Bernd Moeller, Rez. „Kriechbaum, Friedel, Dr.: Grundzüge der Theologie Karlstadts […], Hamburg […] 1967“, in: ThLZ, Jg. 94 (1969), Sp. 686 f. Moeller, Lehrbuch: Wilhelm Moeller, Lehrbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3: Reformation und Gegenreforamtion, bearbeitet von Dr. Gustav Kawerau, Freiburg / Breisgau 21899 (SThL. Kirchengeschichte, Bd. 3). Möhler, Symbolik: J.[ohann] A.[dam] Möhler, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnißschriften, Mainz 31834. Moncrief, Johnson: John W. Moncrief, Dr. Franklin Johnson, in: The University of Chicago. The University Record (New Series), hg. v. D. A. Robertson, Bd. 3, Nr. 1 (January 1917), S. 78 f. Mosapp, Art. Grüneisen: Hermann Mosapp, Art. „Grüneisen, Carl“, in: RE3, Bd. 7, Leipzig 1899, S. 203–205. Mühlen, Art. Brieger: Karl-Heinz zur Mühlen, Art. „Brieger, Theodor“, in: RGG4, Bd. 1, Tübingen 1998, Sp. 1764. Mühlenberg, Kanon: Ekkehard Mühlenberg, Scriptura non est autentica sine authoritate ecclesiae (Johannes Eck). Vorstellung von der Entstehung des Kanons in der Kontroverse um das reformatorische Schriftprinzip, in: ders., Gott in der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze zur Kirchengeschichte, hg. v. Ute Mennecke u. Stefanie Frost, Berlin/New York 2008 (AKG, Bd. 110), S. 120–146. Müller, Täufer: Ernst Müller, Geschichte der Bernischen Täufer. Nach den Urkunden dargestellt, Frauenfeld 1985. Müller, Art. Großmann: G.[eorg] Müller, Art. „Großmann, Christian Gottlob Leberecht“, in: RE3, Bd. 7, Leipzig 1899, S. 199 f. Müller, Staats-Cabinet: Johann Joachim Müller, Entdecktes Staats=Cabinet. Darinnen so wohl das JUS PUBLICUM, FEUDALE, Und ECCLESIASTICUM, Nebst dem Ceremoniel‑ und Curialien=Wesen/ Als auch die Kirchen= und Politische Historie/ Samt
4. Gedruckte Quellen und Literatur
559
der Genealogie und Litteratur, Durch extraordinaire Nachrichten und mit beygefügten Diplomatibus, illustriret wird, Zweyte Eröffnung, Jena 1714. Müller, Arbeit: Karl Müller, Aus der akademischen Arbeit. („Selbstdarstellung“), in: ders., Aus der akademischen Arbeit. Vorträge und Aufsätze, Tübingen 1930, S. 1–44. Müller, Briefwechsel: Karl Müller, Luthers Briefwechsel mit den Mansfeldern im Mai 1525, in: Aus Deutschlands kirchlicher Vergangenheit. FS zum 70. Geburtstage von Theodor Brieger, hg. v. Rudolf Eger und Heinrich Hermelink, Leipzig 1912, S. 31–35. Müller, Kirche: Karl Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, Tübingen 1910. Müller, Kirchengeschichte: Karl Müller, Kirchengeschichte, Bd. 2, 1. Halbband, Tübingen und Leipzig 1902 (GThW, Bd. 2: „Kirchengeschichte II. [… in] zwei Halbbänden“). Müller, Luther: Karl Müller, Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis, Tübingen 1907 [Privatexemplar von Karl Müller mit handschriftlichen Eintragungen, eingeklebten und eingelegten Materialien; Besitz: Martin Keßler]. Müller, Miszelle: Karl Müller, Miszelle. „Absenz“, in: ZKG, Bd. 30, H. 1 ([„Ausgegeben den 10. März“] 1909), S. 178–180. Müller, Obrigkeit: Karl Müller, Kirche, Gemeinde und weltliche Obrigkeit nach Luther, in: ChW, Jg. 24 ([nach Sp. 505f: „den 2. Juni“] 1910), Sp. 510–516. Müller, Pfarrkirche: Karl Müller, Die Eßlinger Pfarrkirche im Mittelalter. Beitrag zur Geschichte der Organisation der Pfarrkirchen, Stuttgart 1907 (Sonderabdruck aus: WVLG, N. F., Bd. 16 [1907]) [Privatexemplar von Karl Müller mit handschriftlichen Eintragungen, eingeklebten und eingelegten Materialien; Besitz: Martin Keßler]. Müller, Rez. Barge: Karl Müller, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt. 1. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Von Hermann Barge. Leipzig, Fr. Brandstetter. 1905. XII u. 500 S.“, in: HZ, Bd. 96 [=N. F., Bd. 60] (1906), S. 471–481. Müller, Reformation: Laurenz Müller, Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des ‚Dritten Reiches‘ und der DDR, Stuttgart 2004 (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 50). Müller, Bewegung 1909: Nikolaus Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522, in: ARG, Nr. 22, Jg. 6, H. 2 (1909), S. 161–226. Müller, Bewegung 1911: Nikolaus Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Briefe, Akten u. dgl. und Personalien. Zweite Auflage, Leipzig 1911. Nathusius, Ideen: Martin von Nathusius, Die Christlich-socialen Ideen der Reformationszeit und ihre Herkunft, Gütersloh 1897 (BFCh, Jg. 1, H. 2). Naumann, Handbuch 1900: Friedrich Naumann, Demokratie und Kaisertum. Ein Handbuch für innere Politik, Berlin 1900 [21900, 31904, 41905]. Naumann, Handbuch 1904: Friedrich Naumann, Demokratie und Kaisertum. Ein Handbuch für innere Politik, Berlin 31904. Naumann, Rez. Barge 1905a: Friedrich Naumann, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Teil. Karlstadt und die Anfänge der Reformation von Dr. H. Barge. Leipzig […] 1905. 500 Seiten. Preis?“, in: Die Hilfe. Beiblatt, Jg. 11, Nr. 2 ([15. Januar] 1905), S. 11. Naumann, Rez. Barge 1905b: Friedrich Naumann, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt. II. Teil. Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus von Dr. Hermann Barge, Leipzig 1905, 632 Seiten.“, in: Die Hilfe, Jg. 11, Nr. 49 ([10. Dezember] 1905), S. 6. Neff, Art. Barge: Christian Neff, Art. „Barge, Hermann“, in: MennLex, Bd. 1, Frankfurt/ Main u. Weierhof 1913, S. 125.
560
Anhang
Neff, Art. Erbkam: [Christian] Neff, Art. „Erbkam, Wilhelm Heinrich“, in: MennLex, Bd. 1, Frankfurt /Main u. Weierhof 1913, S. 602. Neff, Art. Füßlin: [Christian] Neff, Art. „Füßlin, Johann Konrad“, in: MennLex, Bd. 2, Frankfurt/Main u. Weierhof 1937, S. 22. Neudecker, Pacification: Ch.[ristian] Gotthold Neudecker, Die Hauptversuche zur Pacification der evangelisch=protestantischen Kirche Deutschlands von der Reformation bis auf unsere Tage. Historisch dargestellt, Leipzig 1846. Neudecker, Reformation: Ch.[ristian] Gotthold Neudecker, Geschichte der deutschen Reformation von 1517–1532, wissenschaftlich nach den älteren und neuesten Quellen bearbeitet, Leipzig 1843. Neudecker/Preller, Spalatin: Chr.[istian] Gotth.[old] Neudecker u. Ludw.[ig] Preller, Georg Spalatin’s historischer Nachlaß und Briefe. Aus den Originalhandschriften, Bd. 1: Friedrichs des Weisen Leben und Zeitgeschichte von Georg Spalatin. Aus den Originalhandschriften, Jena 1851. Neufeld, Harnack: Karl H. Neufeld, Adolf von Harnack. Theologie als Suche nach der Kirche. „TERTIUM GENUS ECCLESIAE“, Paderborn 1977 (KKTS, Bd. 51). Nied, Carlstadt: Université de France. Faculté de théologie protestante de Strasbourg. Essai sur la vie de Carlstadt, spécialement pendant les années 1521–1525. Thèse présentée a la faculté de thélogie protestante de Strasbourg et publiquement soutenue, le [handschriftlich: 7] août 1854, à [handschriftlich: 5] heures du soir, pour obtenir le grade de bachelier en théologie, par Émile Nied de Barr (Bas-Rhin), Straßburg 1854 [die handschriftlichen Einträge befinden sich in dem Exemplar: ThULB Jena, Sig. Diss. th. o35 (6)]. Oberman, Dawn: Heiko A.[ugustinus] Oberman (Hg.), Luther and the Dawn of the Modern Era. Papers for the Fourth International Congress for Luther Research, Leiden 1974 (SHCT, Bd. 8). Oberman, Reformationen: Heiko A.[ugustinus] Oberman, Zwei Reformationen. Luther und Calvin – Alte und Neue Welt. Aus dem Englischen von Christian Wiese. Durchgesehen und mit einem Nachwort von Manfred Schulze, Berlin 2003. Oberman, Werden: Heiko Augustinus Oberman, Spätscholastik und Reformation, Bd. 2: Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf, Tübingen 1977. Oberman, Zweifrontenkrieg: Heiko Augustinus Oberman, Wittenbergs Zweifrontenkrieg gegen Prierias und Eck. Hintergrund und Entscheidungen des Jahres 1518, in: ZKG, Jg. 80 (1969), S. 331–358; ND in: ders., Die Reformation. Von Wittenberg nach Genf, Göttingen 1986, S. 113–143. Oehmig, Kasten 1988: Stefan Oehmig, Der Wittenberger Gemeine Kasten in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten seines Bestehens (1522/23 bis 1547): seine Einnahmen und seine finanzielle Leistungsfähigkeit im Vergleich zur vorreformatorischen Armenpraxis, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus, Bd. 12 (1988), S. [229]–269. Oehmig, Kasten 1989: Stefan Oehmig, Der Wittenberger Gemeine Kasten in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten seines Bestehens (1522/23 bis 1547): Seine Ausgaben und seine sozialen Nutznießer, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus, Bd. 13 (1989), S. [133]–179. Oehmig, Wittenberg: Stefan Oehmig, Studien zum Armen‑ und Fürsorgewesen der Lutherstadt Wittenberg am Ausgang des Mittelalters und in der Reformationszeit. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. eingereicht bei der Akademie der Wissenschaften der DDR von Stefan Oehmig geboren am 30. Juni 1951 in Zwickau.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
561
Forschungsbereich Gesellschaftswissenschaften. Zentralinstitut für Geschichte, [Typoskript] 1990. Olearius, Scrinium 1671: Joh.[ann] Gottfri[e]d Olearius, Scrinium antiquarium. ΙΔΙÓΧΕΙΡΑ antiquitatis fragmenta, summorum videlicet in eccles. acad. et schol. superiore aevo virorum, manuque ipsorum scriptas […], Halle 1671. Olearius, Scrinium 1698: Joh.[ann] Gottfri[e]d Olearius, Scrinium antiquarium. ΙΔΙÓΧΕΙΡΑ antiquitatis fragmenta, summorum videlicet in eccles. acad. et schol. superiore aevo virorum, manuque ipsorum scriptas […], Arnstadt 1698. Olszewsky, Art. Kalkoff: Hans-Josef Oszewsky, Art. „Karkoff, Paul“, in: BBKL, Bd. 3, Herzberg 1992, Sp. 970–974. Oncken, Antwort: Hermann Oncken, Lamprechts Verteidigung. Eine Antwort auf: Zwei Streitschriften den Herren H. Oncken, H. Delbrück, M. Lenz zugeeignet von K. Lamprecht, Berlin 1898. Oosterbaan, Rez. Bubenheimer: J. A. Oosterbaan, Rez. „Ulrich Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation […]. Tübingen […] 1977“, in: DoBi, N. R. 5 (1979), S. 123–125. Ortloff, Fälschung: Hermann Ortloff, Ueber die Fälschung der Autographieen, in: Organ für Autographensammler und Autographenhändler, Jg. 2, Nr. 3 (1860), S. 33–35. Pallas, Beutelordnung: Karl Pallas, Die Wittenberger Beutelordnung vom Jahre 1521 und ihr Verhältnis zu der Einrichtung des Gemeinen Kastens im Januar 1522. Aus dem Nachlasse des Professors DDr. Nic. Müller=Berlin, in: ZVKGS, Jg. 12 (1915), S. 1–45, 100–137. Pallas, Bewegung: Karl Pallas, Die Wittenberger Bewegung. 1521/2. (Eine Literaturübersicht.), in: TSZG, Bd. 2, H. 1 ([„Ausgegeben am 15. April“] 1912), S. 108–112. Pallas, Geschichtsquellen: Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Geschichtliche Vereine der Provinz Sachsen, Bd. 41, Abt. 1, Halle / Saale 1906; Bd. 41, Abt. 2, T. 1–6, Halle/Saale 1906–1918. Pastor, Geschichte 1915: Johannes Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 2: Zustände des deutschen Volkes seit dem Beginn der politisch=kirchlichen Revolution bis zum Ausgang der sozialen Revolution von 1525, [überarbeitet v. Ludwig Pastor], Freiburg/Breisgau 19/201915. Pater, Karlstadt: Calvin Augustine Pater, Karlstadt as the Father of the Baptist Movements: The Emergence of Lay Protestantism, Toronto / Buffalo / London 1984. Pater, Luther: Calvin Augustine Pater, Kritische Stellungnahme zu Luthers KarlstadtBild, in: Peter Manns u. Harding Meyer (Hg.), Ökumenische Erschließung Martin Luthers. Referate und Ergebnisse einer Internationalen Theologenkonsultation, Paderborn 1983, S. 250–258. Pater, Rez. Bubenheimer: Calvin Augustine Pater, Rez. „Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation: By Ulrich Bubenheimer. […] Tübingen […] 1977“, in: CHR, Bd. 67 (1981), S. 124 f. Pater, Westerburg: Calvin Augustine Pater, Westerburg. The Father of Anabaptism. Author and Content of the Dyalogus of 1527, in: ARG, Jg. 85 (1994), S. 159–169. Pauli, Fakultät: Sabine Pauli (Pettke), Die Theologische Fakultät von 1933–1945 [im Inhaltsverzeichnis, S. 7, geführt als „Die Theologischen Institute von 1933–1945“], in: Heinrich Holze (Hg.), Die Theologische Fakultät Rostock unter zwei Diktaturen. FS für Gert Haendler, Münster 2004 (Rostocker Theologische Studien), S. 35–60.
562
Anhang
Paulus, Geschichte: Nikolaus Paulus, Die Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bde., Paderborn 1922 f. [ND Darmstadt 2000]. Paulus, Lutherfrage: Nikolaus Paulus, Zur Lutherfrage, in: Kölnische Volkszeitung und Handelsblatt, Literarische Beilage, Nr. 12 (22. März 1906), S. 87–89. Paulus, Rez. Barge 1905a: Nikolaus Paulus, „Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation. Von Hermann Barge. Leipzig, Fr. Brandstetter 1905. XII, 500 Seiten. 8°. M. 10 –.“, in: Kath., Jg. 85, F. 3, Bd. 31, H. 2 [von 10 H. pro Jahr] (1905), S. 153–157. Paulus, Rez. Barge 1905b: Nikolaus Paulus, „Andreas Bodenstein von Karlstadt. II. Teil: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus. Von Hermann Barge. Leipzig, Fr. Brandstetter. 1905. XII u. 632 S. 8°. M. 12 –.“, in: Kath., Jg. 85, F. 3, Bd. 32, H. 10 [von 10 H. pro Jahr] (1905), S. 153–157. Paulus, Wertung: Nikolaus Paulus, Die Wertung der weltlichen Berufe im Mittelalter, in: HJ, Bd. 32 (1911), S. 725–755. Payne, Horsch: Ernest A. Payne, John Horsch: Mennonite Historian, in: BQ, Bd. 13, Nr. 1 (1949), S. 29–33. Pelikan, Rez. Kähler: Jaroslav Pelikan, Rez. „Ernst Kähler, Karlstadt und Augustin […,] Halle […] 1952“, in: ARG, Bd. 45 (1954), S. 268. Peter, Art. Schwarz: C. Peter, Art. „Schwarz, Johann Karl Eduard“, in: RE3, Bd. 18, Leipzig 1906, S. 4 f. Peter, Christuskreuz: Ulrich Peter, Christuskreuz und rote Fahne. Der Bund der religiösen Sozialisten in Westfalen und Lippe während der Weimarer Republik, Bielefeld 2002 (BWFKG [N. F. der JVWKG.B], Bd. 24). Planck, Geschichte: Gottlieb Jakob Planck, Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zu der Einführung der Konkordienformel, Bd. 2, Leipzig 21792. Plath, Rez. Sider: Uwe Plath, Rez. „Andreas Bodenstein von Karlstadt: the Development of his Thought, 1517–1525. By Ronald J. Sider. […] Leiden […] 1974“, in: JEH, Vol. 27 (1976), S. 83 f. Plitt/Kolde, Urgestalt: Die Loci Communes Philipp Melanchthons in ihrer Urgestalt. Nach G.[ustav] L. Plitt. In dritter Auflage von neuem hg. u. erläutert v. […] Th.[eodor] Kolde, Leipzig 1900. Pollard, Rez. Barge: A.[lbert] F.[rederick] Pollard, „Andreas Bodenstein von Karlstadt. I. Theil. Von Hermann Barge. (Leipzig: Brandstetter. 1905.)“, in: EHR, Vol. 21, Nr. 82 (April 1906), S. 374 f. Ponader, Abendmahlslehre: Ralf Ponader, Die Abendmahlslehre des Andreas Bodenstein von Karlstadt in den Jahren 1521–1524. Die Kritik an der Realpräsenz durch Karlstadt untersucht vor dem Hintergrund der Chorismos-Problematik, Greifswald [Typoskript] 1993. Ponader, Abendmahlsverständnis: „Caro nichil prodest. Joan. vi. Das fleisch ist nicht nutz / sonder der geist.“ Karlstadts Abendmahlsverständnis in der Auseinandersetzung mit Martin Luther 1521–1534, in: Sigrid Looß u. Markus Matthias (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation. Beiträge eines Arbeitsgesprächs vom 24.–25. November 1995 in Wittenberg, Wittenberg 1998 (Themata Leucoreana), S. 223–245. Pott, Arnold: Martin Pott, Christian Thomasius und Gottfried Arnold, in: Dietrich Blaufuß u. Friedrich Niewöhner (Hg.), Gottfried Arnold (1666–1714). Mit einer Biblio-
4. Gedruckte Quellen und Literatur
563
graphie der Arnold-Literatur ab 1714, Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 61), S. 247–265. Preus, Movement: James S. Preus, Carlstadt’s [‚]Ordinaciones[‘] and Luther’s Liberty: A Study of the Wittenberg Movement 1521–22, Cambridge /Massachusetts 1974 (HThS, Bd. 26 [scil.: 27]). Preus, Rez. Sider: J.[ames] Samuel Preus, Rez. „Ronald J. Sider. Andreas Bodenstein von Karlstadt: The Development of His Thought, 1517–1525 […,] Leiden […] 1974“, in: RenQ, Vol. 29/2 (1976), S. 220 f. Preus, Testament: James Samuel Preus, From Shadow to Promise. Old Testament Interpretation from Augustine to Young Luther, Cambridge / Massachusetts 1969. R. H., Rez. Barge: R. H., Rez. „Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522. Herausgegeben und erläutert von Hermann Barge. Leipzig […] 1912“, in: HZ, Bd. 109, 3. Folge, Bd. 13 (1912), S. 232. R. H., Rez. Müller: R. H., Rez. „Karl Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit (1910)“, in: HZ, Bd. 106, 3. Folge, Bd. 10 (1911), S. 436 f. Ranke, Reformation: Leopold Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. 2, Berlin 1839. Raschzok, Hertzsch: Klaus Raschzok (Hg.), Praktische Theologie als Selbsterkenntnis der Kirche. Erich Hertzsch (1902–1995). Mit Beiträgen von Karl-Heinrich Bieritz, Hans Mikosch, Klaus-Peter Hertzsch, Thomas A. Seidel und Udo Siebert, Leipzig 2003. Rendtorff, Art. Steck: Trutz Rendtorff, Art. „Steck, Karl Gerhard“, in: RGG4, Bd. 7, Tübingen 2007, Sp. 1696. Rendtorff, Selbstdarstellung: Trutz Rendtorff, [ohne Titel], in: Christian Henning u. Karsten Lehmkühler (Hg.), Systematische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Tübingen 1998, S. 59–77. Rettberg, Occam: Friedrich Wilhelm Rettberg, Occam und Luther oder Vergleich ihrer Lehre vom heil. Abendmahl, in: ThStK, Jg. 12, Bd. 1 (1839), S. 69–136. Riederer, Disputationen: [Johann Bartholomäus Riederer], Von den verschiedenen, sonderlich ältesten, Samlungen von Disputationen der wittenbergischen Lerer bey dem Anfange der Reformation, in: Nachrichten zur Kirchen= Gelehrten= und Bücher= Geschichte aus gedruckten und ungedruckten Schriften gesammelt, St. 13, Altdorf 1767, S. 50–83. Riederer, Versuch: D. J.[ohann] B.[artholomäus] Riederer, Versuch eines vollständigern Verzeichnisses von Andr. Carlstadts Schriften, in: Nützliche und angeneme Abhandlungen aus der Kirchen= Bücher= und Gelerten=Geschichte von verschiedenen Verfassern zusammen getragen. Gesammelt und mit eigenen Beyträgen herausgegeben von D. Johann Bartholomäus Riederer, St. 4, Altdorf 1769, S. 473–499. Rieker, Kirche: Karl Rieker, Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis zur Gegenwart, Leipzig 1893. Rogerson, Founder: John W. Rogerson, W. M. L. de Wette. Founder of Modern Biblical Criticism. An Intellectual Biography, Sheffield 1992. Roggenkamp-Kaufmann, Tiling: Antje Roggenkamp-Kaufmann, Magdalene von Tiling, in: Wolf-Dieter Hauschild (Hg.), Profile des Luthertums. Biographien zum 20. Jahrhundert, Gütersloh 1998 (LKGG, Bd. 20), S. 721–741. Roggenkamp, Gott: Antje Roggenkamp, Undoing gender? Religiöse Erziehung und Bildung in Kaiserreich und Weimarer Republik. „Mit meinem Gott kann ich über Männer springen!“, in ZKG, Bd. 115 (2004), S. 181–197.
564
Anhang
Rosellini, DDR-Literatur: Jay Rosellini, Zur Funktionsbestimmung des historischen Romans in der DDR-Literatur, in: Jos Hoogeveen u. Gerd Labroisse (Hg.), DDRRoman und Literaturgesellschaft, Amsterdam 1981 (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd. 11/12–1981) S. [61]–101. Rotermund, Art. Rotermund: Heinrich Wilhelm Rotermund, Art. „Rotermund (Heinrich Wilhelm)“, in: ders., Lexikon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben, nebst Nachrichten von gebohrnen Bremern, die in andern Ländern Ehrenstellen bekleideten, Th. 1, Bremen 1818, S. 132–159. Rotermund, Bodenstein: Heinrich Wilhelm Rotermund, Bodenstein, Andreas, in: ders., Erneuertes Andenken der Männer die für und gegen die Reformation Lutheri gearbeitet haben, Bd. 1, Bremen 1818, S. 62–81. Rotter, Großmann: Angelika Rotter, Christian Gottlob Leberecht Großmann (1783– 1857). Vereinsgründung und kirchliche Verantwortung zwischen Rationalismus und Neuluthertum, Leipzig 2009 (Arbeiten zur Kirchen‑ und Theologiegeschichte, Bd. 27). Rückert, Kirchenhistoriker: Hanns Rückert, Karl Müller als Kirchenhistoriker, in: ders., Vorträge und Aufsätze zur historischen Theologie, Tübingen 1972, S. 386–403. Rückert, Müller: Hanns Rückert, Karl Müller † 10. Februar 1940, in: ders., Vorträge und Aufsätze zur historischen Theologie, Tübingen 1972, S. 374–385. Ruddies, Art. Wolf: Hartmut Ruddies, Art. „Wolf, Ernst Friedrich“, in: RGG4, Bd. 8, Tübingen 2005, Sp. 1681. Rüger, Hebraist: Hans Peter Rüger, Karlstadt als Hebraist an der Universität zu Wittenberg, in: ARG, Jg. 75 (1984), S. 297–308. Rupp, Patterns: Gordon Rupp, Patterns of Reformation, Philadelphia 1969. Rupp, Progress: Gordon Rupp, Luther’s Progress to the Diet of Worms 1521, London 1951. Rupp, Puritanism: Gordon Rupp, Andrew Karlstadt and Reformation Puritanism, in: JThS, N. F., Bd. 10 (1959), S. 308–326. Rupp, Righteousness: Gordon Rupp, The Righteousness of God. Luther Studies, London 1953. Sauer, Art. Staerk: Georg Sauer, Art. „Staerk, Willy“, in: BBKL, Bd. 10, Herzberg 1995, Sp. 1122–1125. Schäfer, Dänemark: Dietrich Schäfer, Carlstadt in Dänemark, in: ZKG, Bd. 13 (1892), S. 311–318. Scheel, Antrittsvorlesung: Otto Scheel, Individualismus und Gemeinschaftsleben in der Auseinandersetzung Luthers mit Karlstadt 1524/25. Antrittsvorlesung, gehalten am 29. November 1906, in: ZThK, Jg. 17 (1907), S. 352–375. Scheel, Luther: Luthers Werke, hg. v. Georg Buchwald u. a., Ergänzungsband 1, hg. v. Otto Scheel, Berlin 1905. Scheible-Schober, Genremaler: Petra Scheible-Schober u. Jürgen Heimbrecht, Jakob Grünenwald. 1821–1896. Ein schwäbischer Genremaler, Weißenhorn in Schwaben 1996 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göppingen, Bd. 35). Schian, Kawerau: Martin Schian, Kawerau, Gustav, in: DBJ, Überleitungsbd. II: 1917– 1920, Stuttgart u. a. 1928, S. 266–272. Schiewe, Sprachenwechsel: Jürgen Schiewe, Sprachenwechsel – Funktionswandel – Austausch der Denkstile. Die Universität Freiburg zwischen Latein und Deutsch, Tübingen 1996 (Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 167). Schlag, Nathusius: Thomas Schlag, Martin von Nathusius und die Anfänge protestantischer Wirtschafts‑ und Sozialethik, Berlin 1998 (TBT, Bd. 93).
4. Gedruckte Quellen und Literatur
565
Schleiermacher, Religion: Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern 1799 / 1806 / 1821. Studienausgabe, hg. v. Niklaus Peter, Frank Bestebreurtje u. Anna Büsching, Zürich 2012. Schmidt, Art. Dieckhoff: K.[arl] Schmidt, Art. „Dieckhoff, August Wilhelm“, in: RE3, Bd. 4, Leipzig 1898, S. 641–644. Schmidt, Rez. Barge 1895: R. Schmidt [mit Ortsangabe: Treptow], Rez. „Barge, Hermann, Die Verhandlungen zu Linz und Passau und der Vertrag von Passau im Jahre 1552 […,] Stralsund […] 1893“, in: MhL, Jg. 23 (1895), S. 70–75. Schmidt, Rez. Barge 1906: R. Schmidt [mit Ortsangabe: „Köslin“], Rez. „Barge, Hermann, Andreas Bodenstein von Karlstadt. 2 Bände […,] Leipzig […] 1905“, in: MhL, Jg. 34 (1906), S. 299–307. Schmitt, Götze: Ludwig Erich Schmitt, Alfred Götze (1876–1946) / Germanist, in: Hans Georg Gundel, Peter Moraw u. Volker Press (Hg.), Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Marburg 1982 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen in Verbindung mit der Justus-Liebig-Universität Gießen, Bd. 35: Lebensbilder aus Hessen, Bd. 2), S. [318]–325. Schmitz, Brahms: Peter Schmitz, Johannes Brahms und der Leipziger Musikverlag Breitkopf & Härtel, Göttingen 2009 (Abhandlungen zur Musikgeschichte, Bd. 20). Schneider-Ludorff, Pädagogik: Gury Schneider-Ludorff, Magdalene von Tiling (1877–1974). Pädagogik und Geschlechterbeziehungen, in: Annabelle Pithan (Hg.), Religionspädagoginnen des 20. Jahrhunderts, Göttingen 1997 („Eine Veröffentlichung des Comenius-Instituts Münster“), S. 21–39. Schneider-Ludorff, Tiling: Gury Schneider-Ludorff, Magdalene von Tiling. Ordnungstheologie und Geschlechterbeziehungen. Ein Beitrag zum Gesellschaftsverständnis des Protestantismus in der Weimarer Republik, Göttingen 2001 (AKZG, R. B: Darstellungen, Bd. 35). Schnorr von Carolsfeld, Art. Köhler: F.[ranz] Schnorr von Carolsfeld, Art. „Köhler: Johann Friedrich“, in: ADB, Bd. 16, Leipzig 1882, S. 445 f. Schorn-Schütte, Lamprecht: Luise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht. Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik, Göttingen 1984 (SHKBA, Bd. 22). Schornbaum, Rez. Barge 1913: [Karl] Schornbaum, Rez. „Barge, Hermann: Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522 […], Leipzig […] 1912“, in: ThLZ, Jg. 38 (1913), Sp. 220. Schumann, Art. Neudecker: A.[lbert] Schumann, Art. „Neudecker, Johann Christian Gotthold“, in: RE3, Bd. 13, Leipzig 1903, S. 753–755. Schuster, Karlstadt: [Peter-Klaus] Sch[uster], Andreas Bodenstein von Karlstadt vor 1541 [Nr. 119], in: Werner Hofmann (Hg.), Köpfe der Lutherzeit. Hamburger Kunsthalle. 4. März bis 24. April 1983, München 1983, S. 264 f. Schwarzer, Bauch: Otfried Schwarzer, Gustav Bauch. Ein Lebensbild, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens, Bd. 59 (1925), S. 180–187. Schwede, Hausierer: Alfred Otto Schwede, Ein wunderlicher Hausierer, in: ders., Um Werk und Gnade. Geschichten aus der Zeit der Reformation und Gegenreformation, Berlin 21981. Schwede, Karlstadt: A.[lfred] O.[tto] Schwede, Andreas Rudolph Bodenstein genannt Karlstadt. Ein Reformator, in: Wolfgang Merklein (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt. 500-Jahr-Feier. Festschrift der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, Karlstadt 1980, S. [121]–[126].
566
Anhang
Schwede, Widersacher: Alfred Otto Schwede, Der Widersacher. Ein Karlstadt-Roman, Berlin 1975 (Berlin 21977, 31982; Konstanz 1977). Schweizer, Centraldogmen: Alexander Schweizer, Die protestantischen Centraldogmen in ihrer Entwicklung innerhalb der reformirten Kirche, Erste Hälfte: Das 16. Jahrhundert, Zürich 1854. Seebass, Goldgrund: Gottfried Seebaß, Ein Luther ohne Goldgrund – Stand und Aufgaben der Lutherforschung am Ende eines Jubiläumsjahres, in: Otto Hermann Pesch (Hg.), Lehren aus dem Lutherjahr. Sein Ertrag für die Ökumene, München 1984, S. 49–85. Seeberg, Nöthen: Reinhold Seeberg, Luthers Stellung zu den sittlichen und sozialen Nöthen seiner Zeit und ihre vorbildliche Bedeutung für die evangelische Kirche, in: Verhandlungen des XXXI. Congresses für Innere Mission zu Eisenach vom 23.–26. Sept. 1901, hg. v. Friedrich Federlin, [o. O.] 1901, S. 36–61. Seitz, Disputation: Otto Seitz, Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519). Aus bisher unbenutzen Quellen, Berlin 1903. Selge, Rez. Bubenheimer: Kurt-Victor Selge, Rez. „Ulrich Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation […]. Tübingen […] 1977“, in: BWKG, Bd. 80/81 (1980/81), S. 370–372. Sider, Doctorate: Ronald J. Sider, Karlstadt and Luther’s Doctorate, in: JThS, N. S., Vol. 22 (1971), S. 168 f. Sider, Karlstadt 1969: Ronald J. Sider, The Life and Thought of Andreas Bodenstein von Karlstadt through 1524. A Dissertation Presented to the Faculty of the Graduate School of Yale University in Candidacy for the Degree of Doctor of Philosophy, Yale University [Typoskript] 1969. Sider, Karlstadt 1971: Ronald J. Sider, Karlstadt’s Orlamünde Theology: A Theology of Regeneration, in: MQR, Bd. 45 (1971), S. 191–218; 352–376. Sider, Karlstadt 1974: Ronald J. Sider, Andreas Bodenstein von Karlstadt. The Development of his Thought. 1517–1525, Leiden 1974 (SMRT, Bd. 11). Sider, Karlstadt 1978: Ronald J. Sider, Andreas Bodenstein von Karlstadt. Zwischen Liberalität und Radikalität, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.), Radikale Reformatoren. 21 biographische Skizzen von Thomas Müntzer bis Paracelus, München 1978, S. 21–[29] [eine englische Fassung wurde 1982 gedruckt in: Hans-Jürgen Goertz , Profiles of Radical Reformers. Biographical Sketches from Thomas Müntzer to Paracelsus, Kitchener/Ontario 1982, S. 45–53]. Sider, Luther: Ronald J. Sider (Hg.), Karlstadt’s Battle with Luther. Documents in a Liberal-Radical Debate, Philadelphia 1978 (ND Eugene 2001). Simon, Differenz: Wolfgang Simon, Karlstadt neben Luther. Ihre theologische Differenz im Kontext der „Wittenberger Unruhen“ 1521/22, in: Gudrun Litz, Heidrun Munzert u. Roland Liebenberg (Hg.), Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. Contributions to European Church History. FS für Berndt Hamm zum 60. Geburtstag, Leiden u. Boston 2005 (SHCT, Bd. 124), S. 317–334. Simon, Messopfertheologie: Wolfgang Simon, Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption, Tübingen 2003 (SuR, N. R., Bd. 22). Smend, Alttestamentler: Rudolf Smend, Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen 1989. Smend, Barth: Rudolf Smend, Studium bei Karl Barth, in: ders., Zwischen Mose und Karl Barth. Akademische Vorträge, Tübingen 2009, S. 311–340.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
567
Smend, de Wette: Rudolf Smend, Wilhelm Martin Leberecht de Wettes Arbeit am Alten und am Neuen Testament, Basel 1958. Smend, Entstehung: Rudolf Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, Stuttgart 41989 (ThW, Bd. 1). Smend, Kautzsch: Rudolf Smend, Traditionsbewusste Erneuerung der alttestamentlichen Wissenschaft: Emil Kautzsch (1841–1910), in: Andreas Urs Sommer (Hg.), Im Spannungsfeld von Gott und Welt. Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des FreyGrynaeischen Institus in Basel 1747–1997, Basel 1997, S. 111–122. Smid, Canon: T. D. Smid, Een merkwaardig geschrift van Carlstadt over de canon, in: GThT, Jg. 53 (1953), S. [157]–160. Sohm, Rez. Barge: W.[alter] Sohm, Rez. „Barge […,] Zur Genesis der frühreformatorischen Vorgänge in Wittenberg. S. 1–33“, in: HZ, Bd. 113, 3. Folge, Bd. 17 (1914), S. 443 f. Sohm, Rez. Boehmer: W.[alter] Sohm, Rez. „H. Boehmer: Luther im Lichte der neueren Forschung […] Leipzig und Berlin […] 1914“, in: HZ, Bd. 113, 3. Folge, Bd. 17 (1914), S. 204. Sparn, Apologetik: Walter Sparn, Religiöse Aufklärung. Krise und Transformation der christlichen Apologetik im Weltanschauungskampf der Moderne, in: Glaube und Denken. Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft, Jg. 5 (1992), S. 77–105; 155–164. Spehr, Konzil: Christopher Spehr, Luther und das Konzil, Tübingen 2010 (BHTh, Bd. 153). Stadtschule Rostock, 1868: Große Stadtschule zu Rostock 1868. Zur öffentlichen Prüfung und Redeübung der Schüler des Gymnasiums, der Realschule und der Vorschule […], Rostock 1868. Stang, Andenken: Zum Andenken an unsere liebe den 25. Februar 1895 in die Ewigkeit vorangegangene Gattin und Mutter Sofie Theodora Jäger geb. Stang, Dekans Gattin in Tuttlingen, Tuttlingen 1895. Stäudlin, Dogmengeschichte: Carl Friedrich Stäudlin, Grundrisse der Tugend‑ und Religionslehre zu akademischen Vorlesungen für zukünftige Lehrer in der christlichen Kirche, T. 2, Hälfte 1: Dogmatik und Dogmengeschichte, T. 1, Göttingen 1800. Stayer, Rez. Bubenheimer: James M. Stayer, Rez. „Ulrich Bubenheimer: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation […]. Tübingen […] 1977“ in: ARG.Lit, Jg. 7 (1978), S. 54 f., Nr. 282. Stayer, Rez. Sider: James M. Stayer, Rez. „Ronald J. Sider: Andreas Bodenstein von Karlstadt. The Development of His Thought 1517–1525 […]. Leiden […] 1974“, in: ARGLit, Jg. 6 (1977), S. 48 f., Nr. 200. Steck, Kirche 1950: Karl Gerhard Steck, Kirche und Lehre bei Martin Luther (bis 1925). Eine Vorstudie zum Problem des Konfessionalismus. Inauguraldissertation der Hochwürdigen Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen zur Erlangung des Grades eines Doktors der Theologie, Göttingen [Typoskript] 1950. Steck, Kirche 1963: Karl Gerhard Steck, Lehre und Kirche bei Luther, München 1963 (FGLP, 10. Ser., Bd. 27). Steck, Schwärmer: Karl Gerhard Steck, Luther und die Schwärmer, Zollikon-Zürich 1955 (ThSt[B], H. 44). Steinmetz, Deutschland: Max Steinmetz, Deutschland von 1476 bis 1648 (Von der frühbürgerlichen Revolution bis zum Westfälischen Frieden), Berlin 1965 (Lehrbuch der deutschen Geschichte [Beiträge]).
568
Anhang
Steinmetz, Revolution: Max Steinmetz, Reformation und Bauernkrieg – die deutsche frühbürgerliche Revolution, in: Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974, S. 106–303. Stengel, Fakultäten: Friedemann Stengel, Die Theologischen Fakultäten in der DDR als Problem der Kirchen‑ und Hochschulpolitik des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71, Leipzig 1998 (Arbeiten zur Kirchen‑ und Theologiegeschichte, Bd. 3). Strachan/Nally, Advertising: John Strachan u. Claire Nally, Advertising, Literature and Print Culture in Ireland, 1891–1922, Houndmills 2012. Strauch, Seckendorff: Solveig Strauch, Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692). Reformationsgeschichtsschreibung – Reformation des Lebens – Selbstbestimmung zwischen lutherischer Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung, Münster 2005 (Historia profana et ecclesiastica, Bd. 11). Strobel, Unruhen: Georg Theodor Strobel, Nachricht von Carlstadts zu Wittenberg erregten Unruhen, in: ders. (Hg.), Miscellaneen Literarischen Inhalts gröstentheils aus ungedruckten Quellen, Fünfte Sammlung, Nürnberg 1781, S. 119–130. Strodtmann, Gerdes: Joh.[ann] Christoph Strodtmann, Geschichte des Herrn Daniel Gerdes, Der heil. Schrift Doctors und ordentlichen Professors zu Gröningen, Universitätspredigers daselbst und Mitgliedes der Academie der Wissenschaft zu Berlin, in: ders., Beyträge zur Historie der Gelahrtheit, worinnen die Geschichte der Gelehrten unserer Zeiten beschrieben werden, T. 5, Hamburg 1750, S. 167–189. Strohm, Calvinerinnerung: Christoph Strohm, Calvinerinnerung am Beginn des 20. Jahrhunderts. Beobachtungen am Beispiel des Genfer Reformationsdenkmals, in: Stephan Laube u. Karl-Heinz Fix (Hg.), Lutherinszenierung und Reformationserinnerung, Leipzig 2002 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Bd. 2), S. 211–225. Strübind, Schweiz: Andrea Strübind, Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin 2003. Stupperich, Cremer: Robert Stupperich (Hg.), Hermann Cremer. Haupt der „Greifswalder Schule“. Briefwechsel und Dokumente, Köln u. Wien 1988 (MDF, Bd. 97). Tamcke, FS Heyer: Martin Tamcke (Hg.), Blicke gen Osten. FS für Friedrich Heyer zum 95. Geburtstag, Münster 2004. Thiel, Karlstadt: Rudolf Thiel, Luther und Karlstadt, in: LuJ, Jg. 17 (1935), S. 57–71. Thiel, Luther, Bd. 1 f.: Rudolf Thiel, Luther, [Bd. 1:] Von 1483 bis 1522, Berlin 1933; [Bd. 2:] Von 1522 bis 1546, Berlin 1935 (beide Bde. erschienen ebenfalls in Berlin in zweiter Auflage 1936 [mit dieser Ausgabe wird im folgenden gearbeitet], wurden in Wien u. a. in einem Bd. mit dem Titel „Luther“ 1952 veröffentlicht und 1982 als: „Martin Luther. Ketzer von Gottes Gnaden“). Thiel, Lutherforscher: Rudolf Thiel, Ein Naturwissenschaftler und Lutherforscher, in: Wartburg. Deutsche evangelische Monatsschrift, Jg. 35 (1936), S. 11–14. Thomasius, Karlstadt: [Christian Thomasius], Doctor Carolstads Geschichte und guter Nachruhm, in: Auserlesene Anmerckungen Uber allerhand wichtige Materien und Schrifften, T. 3, Frankfurt u. Leipzig 1705, S. 186–247. Thompson, Karlstadt: Alden Lorne Thompson, Tertius Usus Legis in the Theology of Andreas Bodenstein von Karlstadt. A dissertation presented to the faculty of the graduate school University of Southern California. In Partial Fulfillment of the Requirements for the Degree Doctor of Philosophy (Religion), University of Southern California [Typoskript] 1969.
4. Gedruckte Quellen und Literatur
569
Thümmel, Wagen: Hans Georg Thümmel, Karlstadts und Cranachs „Wagen“, in: Jörg Haustein u. Harry Oelke (Hg.), Reformation und Katholizismus. Beiträge zu Geschichte, Leben und Verhältnis der Konfessionen. FS für Gottfried Maron zum 75. Geburtstag, Hannover 2003 (Reformation und Neuzeit, Bd. 2), S. 66–96. Tiling, Wittenberg: Magdalene von Tiling, Der Kampf gegen die missa privata in Wittenberg im Herbst 1521. (In Auseinandersetzung mit H. Barge und K. Müller), in: NKZ, Bd. 20, H. 2 ([laut Titelblatt „ausgeg.[angen] i.[m] Februar] 1909), S. 85–130. Tilitzki, Albertus-Universität: Christian Tilitzki, Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen, Bd. 1: 1871–1918, Berlin 2012. Todt, Karlstadt-Tagung: Sabine Todt, Neues von der Karlstadt-Tagung in Karlstadt (1998) und vom Streit um die Autorschaft des Wormser Taufdialogs (1527), in: MGB, Jg. 56 (1999), S. 202–204. Todte, Forschungsergebnisse: Mario Todte, Wilhelm Maurenbrecher – Neue Forschungsergebnisse und Einsichten. Essay, Norderstedt 2006. Todte, Reformation: Mario Todte, Wilhelm Maurenbrecher und die Lutherische Reformation. Zur Auseinandersetzung mit den konfessionell geprägten Lutherinterpretationen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine rezeptionsgeschichtliche Studie, Leipzig 2001. Todte, Reformationshistoriker: Mario Todte, Wilhelm Maurenbrecher als Reformationshistoriker. Eine disziplingeschichtliche Standortbestimmung, Leipzig 2002. Troeltsch, Christentum: Ernst Troeltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit, in: Die christliche Religion. Mit Einschluss der israelitisch-jüdischen Religion, Berlin u. Leipzig 1906 (Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele, hg. v. Paul Hinneberg, T. 1, Ab. 4), S. 253–451. Troeltsch, Soziallehren: Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. 3. Neudruck der Ausgabe Tübingen 1922, Aalen 1977 (Ernst Troeltsch, Gesammelte Schriften, Bd. 1). Uckeley, Rez. Barge: [Alfred] Uckeley, Rez. „Barge, Hermann: Frühprotestantisches Gemeindechristentum in Wittenberg und Orlamünde. Leipzig 1909“, in: TLB (1909), S. 375 f. Uhlig, Streitfragen: Siegbert Uhlig, A. W. Dieckhoffs Stellungnahmen zu kirchenpolitischen und theologischen Streitfragen seiner Zeit unter dem Aspekt seiner reformationsgeschichtlichen Forschungen. Inauguraldissertation vorgelegt der Hochwürdigen Theologischen Fakultät der Universität Rostock zur Erlangung der Würde eines Doktors der Theologie, Rostock [Typoskript] 1969. Ullmann, Reformatoren: C.[arl] Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, vornehmlich in Deutschland und den Niederlanden, Bd. 2: Die positiven Grundlagen der Reformation auf dem populären und wissenschaftlichen Gebiete, Hamburg 1842. Ullmann, Wessel: C.[arl] Ullmann, Johann Wessel, ein Vorgänger Luthers. Zur Characteristik der christlichen Kirche und Theologie in ihrem Uebergang aus dem Mittelalter in die Reformationszeit, Hamburg 1834. Ulrichs, Art. Goeters: Hans-Georg Ulrichs, Art. „Goeters, Johann Friedrich Gerhard“, in: RGG4, Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 1062 f. Vehr, Carolostadio: Dissertationem ordinariam de Carolostadio, contra Godofred. Arnoldum, et observat. VIII. partis III. Der auserlesenen Anmerckungen/ praeside D. Joh. Frider. Mayero, Profess. Theologo Primario, et facultatis suae seniore ac decano, […]
570
Anhang
die XXXI. Martii, Anno M DCC VIII. […] exponet Joh. Adamus Vehr, Stralsudensis, Greifswald 1708. Voigt, Art. Rupp: Karl Heinz Voigt, Art. „Rupp, Ernest Gordon“, in: BBKL, Bd. 8, Herzberg 1994, Sp. 1031–1034. Volbehr/Weyl, Professoren: Friedrich Volbehr u. Richard Weyl, Professoren und Dozenten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 1665–1956. Mit Angaben über die sonstigen Lehrkräfte und die Universitäts-Bibliothekare und einem Verzeichnis der Rektoren, Kiel 41956 (VSHUG, N. F., Bd. 7). Volk, Kirchenpolitik: Julius Volk, Die Kirchenpolitik des zweiten Nürnberger Reichsregiments von seinen ersten Anfängen an bis zu seiner Verlegung nach Esslingen 1521– 1524, Weida in Thüringen 1910. Volkmar, Kanon: G.[ustav] Volkmar (Hg.), Geschichte des Neutestamentlichen Kanon. Von Carl August Credner, Berlin 1860. Vom Brocke/Krüger, Protokolle: Bernhard vom Brocke u. Peter Krüger (Hg.), Hochschulpolitik im Föderalismus. Die Protokolle der Hochschulkonferenzen der deutschen Bundesstaaten und Österreichs 1898 bis 1918, Berlin 1994 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle für Universitäts‑ und Wissenschaftsgeschichte an der PhilippsUniversität Marburg). Wähler, Orlamünde: Martin Wähler, Die Einführung der Reformation in Orlamünde. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis von Karlstadts Verhältnis zu Luther, Erfurt 1918. Wähler, Varronis: Martin Wähler, De Varronis rerum rusticarum fontibus quaestiones selectae. Dissertatio philologica quam scripsit ad summos in philosophia honores ab amplissimo philosophorum jenensium ordine rite impetrandos, Jena 1912. Walch, Luther: Johann Georg Walch, D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften, T. 1–23, Halle 1739–1753. Wallmann, Art. Holl: Johannes Wallmann, Art. „Holl, Karl (1866–1926)“, in: TRE, Bd. 15, Berlin/New York 1986, S. 514–518. Wallmann, Aufsätze 1: Johannes Wallmann, Gesammelte Aufsätze, Bd. [1]: Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock, Tübingen 1995. Wallmann, Aufsätze 3: Johannes Wallmann, Gesammelte Aufsätze, Bd. 3: Pietismus und Orthodoxie, Tübingen 2010. Wallmann, Grundunterscheidung: Johannes Wallmann, Kirchlicher und radikaler Pietismus. Zu einer kirchengeschichtlichen Grundunterscheidung, in: Wolfgang Breul, Marcus Meier u. Lothar Vogel (Hg.), Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung, Göttingen 2010 (AGP, Bd. 55), S. 19–43. Waltz, Epistolae: Otto Waltz, Epistolae Reformatorum I, in: ZKG, Bd. 2 (1878), S. 117– 188. Ward, Weber: W. R.[eginald] Ward, Max Weber und die Schule Albrecht Ritschls, in: Wolfgang J. Mommsen u. Wolfgang Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen u. Zürich 1988 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 21), S. 296–312. Weder, Art. Erbkam: Weder, Art. „Erbkam, Wilhelm Heinrich“, in: Altpreußische Biographie, Bd. 1, Königsberg 1941, S. 166. Weigand, Goetz: Wolf Volker Weigand, Walter Wilhelm Goetz 1867–1958. Eine biographische Studie über den Historiker, Politiker und Publizisten, Boppard am Rhein 1992 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 40).
4. Gedruckte Quellen und Literatur
571
Weingarten, Revolutionskirchen: Hermann Weingarten, Die Revolutionskirchen Englands. Ein Beitrag zur inneren Geschichte der englischen Kirche und der Reformation, Leipzig 1868. Weise, Art. Heyer: Christian Weise, Art. „Heyer, Friedrich“, in: BBKL, Bd. 21 [scil. 29], Herzberg 2008, Sp. 621–659. Wellhausen, Evangelium: Julius Wellhausen, Das Evangelium Marci übersetzt und erklärt, Berlin 21909. Wellhausen, Samuelis: Julius Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis, Göttingen 1871. Wenck, Geschichte: Martin Wenck, Die Geschichte der Nationalsozialen von 1895 bis 1903, Berlin-Schöneberg 1905. Wendebourg, Gedächtnis: Dorothea Wendebourg, Essen zum Gedächtnis. Der Gedächtnisbefehl in den Abendmahlstheologien der Reformation, Tübingen 2009 (BHTh, Bd. 148). Werbeck, Art. Müller: Wilfrid Werbeck, Art. „Müller, Karl (1852–1940)“, in: TRE, Bd. 23, Berlin/New York 1994, S. 399–403. Wernsdorff, Allerheiligen: Gottlieb Wernsdorff, Kurzgefaßte Historische Nachricht Von der Schloß= und Academischen Stiffts Kirche zu Aller = Heiligen in Wittenberg […], Wittenberg 21730. Wesseling, Art. Weinel: Klaus-Gunther Wesseling, Art. „Weinel, Heinrich“, in: BBKL, Bd. 13, Herzberg 1998, Sp. 616–622. Weyel, Bildung: Birgit Weyel, Praktische Bildung zum Pfarrberuf. Das Predigerseminar Wittenberg und die Entstehung einer zweiten Ausbildungsphase evangelischer Pfarrer in Preußen, Tübingen 2006 (BHTh, Bd. 134). Wiemers, Leipzig: Gerald Wiemers, Alfred Heuß in Leipzig, in: Hans-Joachim Gehrke (Hg.), Alfred Heuß. Ansichten seines Lebenswerkes. Beiträge des Symposions „Alte Geschichte und Universalgeschichte. Wissenschaftsgeschichtliche Aspekte und historisch-kritische Anmerkungen zum Lebenswerk von Alfred Heuß“, Stuttgart 1998, S. 163–169. Winckelmann, Armenordnung: Otto Winckelmann, Über die ältesten Armenordnungen der Reformationszeit (1522–1525), in: HV, Jg. 17 (1914/1915), S. 187–228, 361–400. Wischmeyer, Facultas: Johannes Wischmeyer, Theologiae Facultas. Rahmenbedingungen, Akteure und Wissenschaftsorganisation protestantischer Universitätstheologie in Tübingen, Jena, Erlangen und Berlin 1850–1870, Berlin / New York 2008 (AKG, Bd. 108). Witteveen, Gerdes: Klaas Marten Witteveen, Daniel Gerdes. Proefschrift ter verkrijgiung van de graad van doctor in de godgeleerdheit aan de rijksuniversiteit te Groningen […], Groningen 1963. Wolf, Altenburg: Gustav Wolf, Geschichte der Altenburger Buchhändler. Ein historischer Überblick seit 1800, Altenburg 2000. Wolf, Art. Dieckhoff: Ernst Wolf, Art. „Dieckhoff, August Wilhelm“, in: RGG3, Tübingen 1958, Sp. 190 f. Wolf, Boehmer: Ernst Wolf, Heinrich Boehmer. 1869–1927, in: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Evangelische Theologie, Bonn 1968 (150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. 1818–1968), S. 161– 168. Wolf, Gesetz: Ernst Wolf, Gesetz und Evangelium in Luthers Auseinandersetzung mit den Schwärmern, in: EvTh, Jg. 5 (1938), S. 96–109.
572
Anhang
Wolf, Rez. Hertzsch: Ernst Wolf, Rez. „Erich Hertzsch: Karlstadt und seine Bedeutung für das Luthertum. Gotha […] 1932“, in: ThBl, Jg. 11 (1932), Sp. 310 f. Wolf, Staupitz: Ernst Wolf, Staupitz und Luther. Ein Beitrag zur Theologie des Johannes von Staupitz und deren Bedeutung für Luthers theologischen Werdegang, Leipzig 1927 (QFRG, Bd. 9). Wolf, Maurenbrecher: Gustav Wolf, Wilhelm Maurenbrecher. Ein Lebens= und Schaffensbild, Berlin 1893. Wolf, Vertrag: Gustav Wolf, Der Passauer Vertrag und seine Bedeutung für die nächstfolgende Zeit, in: NASG, Bd. 15 (1894), S. 237–282. Wolfes, Art. Glaue: Matthias Wolfes, Art. „Glaue, Paul“, in: BBKL, Bd. 19, Herzberg 2001, Sp. 564–577. Wolff, Jahresberichte 1910: Richard Wolff, Reformation und Gegenreformation (1517– 1618). (1907–1910), in: Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, Jg. 33 (1910), Berlin 1912, § 19 A, Nr. II, 325–382. Wölfinger, Keller: Gisela Wölfinger, Ludwig Keller als Kirchenhistoriker, Freimaurer und Gründer der Comenius-Gesellschaft für Wissenschaft – Geisteskultur – Volkserziehung. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Bildungsbürgertums im Deutschen Kaiserreich, 2 Bde., München 1984 [Typoskript, Diss. phil., München 1983 f.]. Wrede, Paulus: William Wrede, Paulus, Halle/Saale 1904 (RV, 1. Ser., Bd. 5 f.). Yoder, Rez. Heyer: John H. Yoder, Rez. „Der Kirchenbegriff der Schwärmer. By Fritz Heyer. Leipzig 1939“, in: MQR, Bd. 34 (1960), S. 61–67. Zeeden, Rez. Kähler: Ernst Walter Zeeden, Rez. „Kähler E., Karlstadt und Augustin. Der Kommentar des Andreas Bodenstein von K. zu Augustins Schrift de spiritu et litera. Einführung und Text. Halle […] 1952“, in: HJ, Jg. 75 (1956), S. 416–418. Zentralblatt, Unterrichtsverwaltung: Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen. Hg. in dem Ministerium der geistlichen Unterrichts= und Medizinalangelegenheiten, Jg. 1909, Berlin 1909. Ziegler, Rez. Bubenheimer: [Andreas] Zi[eger], Rez. „Ulrich Bubenheimer: Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation. Tübingen“, in: Württembergisch Franken, Bd. 63 (1979) 248 f. Zoepfl, Rez. Barge: Friedrich Zoepfl, Rez. „Barge, H., Jakob Strauß. Ein Kämpfer für das Evangelium in Tirol, Thüringen und Süddeutschland. Leipzig […] 1937“, in: HJ, Bd. 61 (1941), S. 436 f. Zorzin, Cranach-Portrait: Alejandro Zorzin, Ein Cranach-Portrait des Andreas Bodenstein von Karlstadt, in: ThZ, Jg. 70, H. 1 (2014), S. 4–24. Zorzin, Dialog: Alejandro Zorzin, Karlstadts „Dialogus vom Tauff der Kinder“ in einem anonymen Wormser Druck aus dem Jahr 1527. Ein Beitrag zur Karlstadtbibliographie, in: ARG, Jg. 79 (1988), S. 27–57. Zorzin, Diskussion: Alejandro Zorzin, Zur Wirkungsgeschichte einer Schrift aus Karlstadts Orlamünder Zeit. Der 1527 in Worms gedruckte Dialog vom fremden Glauben, Glauben der Kirche, Taufe der Kinder. Fortsetzung einer Diskussion, in: Sigrid Looß u. Markus Matthias (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation. Beiträge eines Arbeitsgesprächs vom 24.–25. November 1995 in Wittenberg, Wittenberg 1998 (Themata Leucoreana), S. 143–158. Zorzin, Karlstadt: Alejandro Zorzin, Karlstadt als Flugschriftenautor, Göttingen 1990 (GTA, Bd. 48).
Register Hochgestellte Zahlen beziehen sich auf Fußnoten.
1. Orte Aalen 110761 Adelebsen 66, 66388 Altdorf 13, 47237 Altenburg 91592, 95, 95625, 627–629, 632, 96, 96638, 100676, 130929 Augsburg 128, 131934, 174110 Barr 90 Bas-Rhin 90 Basel VII, 12, 1251, 13 f., 26, 28, 32, 115, 119, 127895, 130, 133, 133942, 1441037, 146, 221, 311, 350, 356, 397, 399, 432, 433418, 446497, 452, 452535, 467, 476710, 483, 49212, 493, 50061 Berlin 22, 40, 51, 52, 54284, 56308, 135, 138974, 154, 15426, 16367, 16469, 16787, 178132, 184, 190204, 192212, 194229, 204283, 213, 213339, 219369, 373, 221, 223389, 269, 279, 279795, 280, 280799, 294900, 298, 300940, 315, 331, 332, 358, 3691417, 38162, 430, 444489, 481 Berlin-Brandenburg 444489 Bern 206, 206290 Bethlehem 37730 Bonn 22, 33, 40, 51, 52, 53, 15839, 170100, 171100, 175116, 177129, 131, 178132 f., 179, 197243, 332, 383, 386, 397, 397165, 405219 Brackenheim 104, 104707 f., 105 Braunschweig 59338, 459602, 469 Bremen 10, 178132, 221 Breslau 40, 40165, 52, 141, 142,1421019, 248, 248564, 249, 249572 f., 361 Bretten 299930 Bucha 375, 37518, 37621 Bukarest 17099 Bürg 105720, 106730 Clausthal 66388 Coburg 318 Dänemark 135, 136, 136959, 961, 137, 137964, 967, 214343 Danzig 183156
Dessau 243, 307, 38787 Detmold 163 Deutschland 88, 123, 124, 16998, 17098 f., 174, 177, 200, 211319, 265690, 299930, 306, 3481293, 438 Dillingen 182152 Dobrudscha 170100 Dresden 13, 77484, 15533, 15839, 16259, 16787, 16994, 172103, 180146, 217362, 220378, 221, 330, 331 Duisburg 386 Duke-University, Durham, North Carolina 499 Düsseldorf 2985 Edinburgh 467 Eibsen 16469 Eichsfeld 462 Eisenach 126893, 15946, 37518 f. Elberfeld 236, 294899 Ellhofen 110760 Ellwangen 111761 England 16998, 17099, 203–205, 265, 403211 Erfurt 144, 225, 356 Erichsburg 234 Erlangen 63, 66, 67390, 135, 15531, 213339, 214345, 215348 Esslingen 172, 111761, 3621397 Franken 1, 461, 462624, 469, 49212 Frankfurt am Main 65383, 112775, 16470, 16572, 187189, 204283, 242514, 396, 398, 434419 Frankfurt an der Oder 142 Frankreich 9, 90, 94, 1411011, 264, 3291137 Freiberg 1031 Freiburg im Breisgau 172, 182, 112775, 254611, 339, 340 Freudenstadt 110761 Geislingen 110761 Gerlingen 104702, 108746 f., 109 Gerstheim 102693
574
Register
Gießen 39, 40, 245, 339, 350, 408 Gomaringen 447500 Gotha 40, 45, 45212 f., 47, 84, 85, 85543–545, 86, 86551, 87555, 88565–572, 221, 222, 373 Göttingen VIIf., 715, 40, 42183, 64 f., 65388, 67, 67392, 394, 68, 68396, 69413–415, 70, 70416–422, 71, 71424, 429, 72, 72431, 434 f., 86, 92, 129, 141, 15739, 15941, 16787, 178132, 183156, 234, 246, 274761, 293, 294899 f., 297, 297921, 325, 340, 360, 3621398, 3721, 37310, 386, 38681, 85, 388, 38892, 391133, 397, 397165, 447, 447498, 459 f., 480, 500 Greifswald 59, 71, 90579, 97, 129, 137, 138, 138973, 302, 38894, 395, 395154, 396, 483, 499 Groningen 10, 1033 Halberstadt 143, 458 Halle 818, 95, 95626, 142, 212334, 218368, 386, 394, 429, 458, 460, 499 Hamburg 16787, 221, 467652 Hannover 163, 294900, 297921 Hartroda 376 Harvard-University, Cambridge, Massachusetts 410, 425, 425364, 476, 476714, 477715 Heidelberg 7, 404219, 457588, 497 Herrenberg 470682 Herzberg an der Elster 334 Hildburghausen 3621397 Ingolstadt 141 Italien 173, 220, 447, 450, 484 Jena 40, 40165, 41, 44, 59, 97, 98, 99671, 100, 126, 126889, 893, 127, 127894, 896–899, 128, 128905, 129, 130, 131, 131932, 934 f., 132, 132934, 133942, 134, 134945, 179141, 332, 358, 359, 371, 3722, 3735, 374, 37411, 375, 37518–20, 376, 37621, 23, 26, 377, 381, 38162, 382, 38266, 38367–69, 38471, 438, 443, 491 Kahla 97, 37411, 37729 Karlstadt 1, 14, 430402, 461, 464, 492 Kemberg 445 Kirchheim am Neckar 104, 104708 Kirchheim unter Teck 103, 104702, 125 Kitzingen 278792 Köln 2217, 23, 230, 230422 Königsberg 51264, 52, 53,53280, 63, 63372, 82517 Kopenhagen 136, 137, 467653 Korntal 107733 Köslin 252 Krakau 142 Kursachen 13, 184, 210314, 271, 301941, 412, 432, 458 Langnau 206290
Leiden 136 Leipzig 7, 1031, 70, 70423, 76, 77, 77484, 78, 78488, 82, 90581, 91589, 102692, 112, 112775, 115, 126893, 127, 127898, 128899, 133942, 135, 141, 149, 152, 153, 15314,18 f., 154, 15421, 24, 26 f., 155, 15529 f., 32 f., 36, 15636, 157, 15738 f., 15839 f., 159, 15941, 43, 45 f., 16047 f., 162, 16261, 163, 16367 f., 16469, 16570, 16677, 167, 16787, 168, 16890, 92, 16994, 171100, 172102, 104, 173, 175117, 177, 177124, 178, 178132, 179, 179137, 140, 143, 180146, 181, 182152, 183156, 185179, 186, 190, 190202, 204, 193, 194227, 195, 195239, 196242, 198, 198246, 202267, 212, 213337, 215350 f., 216, 217, 217361, 219373, 220, 220378, 221, 222, 223, 226398, 228406, 255, 266, 266694, 272743, 309, 315, 318, 3241103, 339, 3391220, 340, 3581379, 360, 362, 363, 3691417, 394147, 405222, 415279, 416, 430, 431404, 407, 409, 432414, 433418, 437435–439, 441 f., 438, 438444–449, 439451, 440, 445, 445495, 468, 478, 479, 482, 485, 499, 50161 Leisnig 299930, 332, 362 Leonberg 108746 Leuchtenburg 37411, 503 Leuenberg 463635 Lichtenberg-Callenberg 16259 Lichtenstein 15636, 15736, 196242 Liebenzell 110757, 761 Linz 173 Litauen 170100 Lochau 217362 Lombard, Illinois 210 Lund 299930 Mainz 458, 496 Manchester 403211 Marburg 350, 405222 Maulbronn 107, 107734 Meißen 128, 217362, 3391213 Moskau 223 München 16787, 185, 193, 207297, 293, 309, 313, 329, 370, 375, 463, 467653, 485 Münchingen 105720, 106730, 109749, 110756, 758, 761, 125885 Münster 202, 381, 396 Neckarsulm 106730, 732 Neuenstadt an der Linde 106733, 107733 Niederdeutschland 59339 Niederroßla 126 Nieuwkoop 150 Nohra 126893, 127, 127894 Nordamerika 204, 212331, 258, 265690, 3481293, 370, 424, 428, 493
1. Orte Nördlingen 221 Nürnberg 15531, 16049, 178132, 213339, 214345, 215348, 318, 3391213, 443, 446497, 462, 462624 Oldenburg 303 Orange 393 Orlamünde 9, 925, 28, 59338, 60, 64375, 92, 94, 94620, 96, 96637, 639, 97, 97641, 98, 99670, 100, 100676, 680, 121, 129, 129916, 130, 130929, 131930, 1503, 193218, 244, 270728, 299, 301941, 308, 310, 329, 341, 343, 345, 356, 3561352 f., 1355–1360, 357, 3571361–1371, 1373, 358, 3581374, 359, 362, 371, 372, 377, 37728–31, 378, 37831, 399, 407230, 411, 413272, 415, 415278, 416, 417, 418, 419, 421, 422, 432, 433418, 435428, 443, 445, 449, 454, 458, 462, 469675, 470687, 471687, 477, 479, 483, 490, 496, 497, 501, 502, 50268, 503, 50370 Ostfranken 59339 Ostfriesland 59339 Oxford 456, 470 Paris 135, 136, 213, 393142 Passau 173, 174110, 179, 180146, 189, 209 Pennsylvania 194230 Pfullingen 110761 Polen 141, 170100 Polocz 63372 Princeton-University, Princeton, New Jersey 1505 Reudnitz 153 Reutlingen VIII, 110761, 447500 Rheinland 3199, 386 Rom 9, 926, 11, 12, 2441, 3089, 50, 50259, 63375, 64375, 89, 392, 415, 432, 439, 439454, 442, 447, 449, 459602, 462, 485, 489, 4895 Roßleben 126893, 127896 Rostock 66387, 67, 67390, 126893, 127894, 896, 899, 128905, 132935, 134, 134947 Rothenburg ob der Tauber 93616, 212, 221 Rudolstadt 37411 Rumänien 17099, 17110 Rußland 169, 169 f.98, 17099, 192, 258638 Sachsen 37150, 64375, 98655, 100, 121, 130, 172103, 184, 210, 271, 272, 3341172, 341, 353, 412, 413272, 414276, 432, 433418 Sachsen-Altenburg 96 Sachsen-Weimar 126 Sachsen-Weimar-Eisenach 126893 Schweiz 11, 2548, 27, 2772, 28, 31104, 36, 36144, 59, 64, 64379, 200, 206292, 221, 230, 239, 272, 286, 304961, 330, 407, 407230, 428, 432, 444, 448, 452, 452531, 453, 454, 466647, 469, 470, 471689, 483, 497, 49748, 498, 49959 Schwerin 38685
575
Seegrehna 445 Sendomir 63372 Siena 50259, 439, 439454, 446–448 Sindelfingen 110761 Sizilien 171100 Skandinavien 445 f. St. Louis 409 Straßburg 84534, 90, 91, 221, 239489, 433418, 438, 50061 Stuttgart 48, 49248, 102, 102695, 104709, 106730, 732 f., 107737 f., 736 f., 108741, 744–746, 109, 109752, 110, 110759, 761, 111762, 119, 125885, 132935, 16787, 280799, 281, 284 Süddeutschland 433418 Thüringen 129, 131930, 334, 345, 37730, 37831, 429398, 437440, 479, 479728 Treptow 252 Tübingen VIII, 50259, 102, 102693, 103, 103697, 699, 105, 106730, 107, 107734, 108, 108741, 110753, 112774, 119, 119828, 120, 125, 137, 1441037, 150, 248564, 249572, 256, 268, 279, 279796, 280, 281806, 288, 297, 303, 308988, 340, 361, 363, 37411, 409, 425364, 437, 447, 447498, 500, 455569 Tuttlingen 103, 103700, 104, 104702, 105, 106, 106732, 107736, 108746, 109752, 110759, 125, 125881 Uhlstädt 37411 Ukraine 170 f.100 Ungarn 141, 258638 Unterbodnitz 37411 Waltershausen 40 Warmbrunn 132935 Wartburg 262, 269, 272, 287854, 298, 335, 3411230, 434, 3461280, 412, 416 f., 445, 450, 455570 Waterloo, Ontario 49421 Weilheim 110761 Weimar 9, 926, 85, 85543, 89, 96, 96637, 640, 99, 100676, 126, 126893, 127, 127894, 896, 898, 129, 131934, 132, 133, 15946, 16261, 188190, 219373, 220382, 221, 222, 223389, 224, 241508, 266, 357, 425361, 435 Weinsberg 103699, 104, 104708, 105, 110760 f. Weissenhorn 105719 Wien 67390, 480737 Wigan 38787 Wildberg 110761 Winterlingen 109 Wittenberg 9, 925, 14, 219, 22, 23, 27, 2772, 30, 32, 32114, 33, 36, 37, 37150, 153, 38, 42, 48248, 52, 52276, 54, 60, 75, 80, 80502, 87, 89, 91, 92, 92603, 93, 96639, 98, 98663, 99,
576
Register
101687, 111, 111767, 116, 116797, 121, 123, 133, 133942, 137, 139, 140, 142, 1421019, 1021, 143, 144, 1441037, 1042, 145, 146, 149, 193, 200254, 201, 202265, 205289, 212, 212334, 213, 217, 228, 228405, 407, 229416, 232, 234, 235, 238, 239, 239489, 240, 244, 245, 248566, 250, 250579, 251581, 252, 254611, 260655, 262, 262661, 665, 263, 263670–678, 264, 264678–688, 265, 267, 271, 272748, 275766, 768, 277, 278, 278792, 280, 280801, 283827, 287854, 293896 f., 295, 295902–904, 906, 296912, 915, 297, 297917, 920, 298, 299, 299930, 300940, 301940, 305, 310, 3101001, 316, 319, 320, 321, 322, 3221088, 323, 324, 325, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 3351180, 336, 337, 338, 339, 3391213, 342, 3421239, 1244, 343, 345, 346, 3461280, 348, 352, 353, 354, 355, 3551349, 360, 361, 366, 367, 3721, 373, 3738, 378, 394, 396160, 402, 405219, 406, 412, 413274, 415, 416, 417, 423, 425, 426, 426367, 372, 427, 428, 428385, 429, 429398, 432, 442, 443, 445, 450, 450520, 453, 455, 455569 f., 456, 457, 457580, 458,
459, 459598, 460, 461, 463635, 467, 467653, 468, 470, 471, 472, 472695, 473, 478, 479, 481, 482, 483, 492, 49212, 493, 49314, 49423, 49531, 496, 49637, 498, 50061, 501, 50161, 502, 50265, 50483, 507 Wolfenbüttel 467, 482, 500 Wroclaw 142, s. Breslau Württemberg 102692, 103–105, 200 Würzburg 221 Wurzen 155, 15636, 15738, 15839, 15946, 16469, 172, 17210 Yale-University, New Haven, Connecticut 409, 411247, 254 Zellerfeld 307 Zürich 48, 105, 114782, 120, 120829, 186, 200, 205289, 221, 230, 239489, 286, 3511309, 399, 432, 433, 452535 f., 474, 476710, 483, 483759, 493, 497, 50061 Zwickau VIII, 33, 33119, 35, 37150, 153, 98663, 140, 153, 15316 f., 15422, 15736, 178132, 195239, 196242, 197, 200254, 210316, 214–217, 220–223, 225, 291, 369, 412, 458, 50161
2. Personen Nicht indiziert wurden die Personen Andreas Bodenstein von Karlstadt, Martin Luther und Hermann Barge; für diese s. die betreffenden Lemmata des Sachregisters. Adam, Melchior 714, 821, 59 Agricola, Stefan 321 Aland, Kurt 2545, 434419 Albertin, Lothar 16996 Alberus, Erasmus 463635 Albrecht, Otto 183157 Althaus, Paul d. Ä. 294, 297 Althaus, Paul d. J. 400184, 434, 434 f.425 Amsdorf, Nikolaus von 457 Aquin, Thomas von 1431030, 144, 145, 253599, 393144, 406, 449515, 452 Aristoteles 401, 486 Arndt, Johann 470681 Arnold, Gottfried 718, 8 f., 820 f., 921, 24, 10–12, 1250, 29, 2984, 32, 38, 38156, 39, 59, 65383, 97, 201, 201264, 225, 369, 488 Arnoldt, Daniel Heinrich 63373 Assel, Heinrich 280, 280800, 281808, 405221 Auberlen, Karl Friedrich 119, 119828 Auerbach 127898 Augusti, Johann Christian Wilhelm 40165 Augustin 12, 47, 87562, 117811, 121, 211, 243, 263, 290, 307, 368, 371, 386–396, 390117, 391125, 393144, 395156, 396160, 401, 401191, 411, 416, 418, 418305, 442, 449, 450, 453542, 462, 462629, 467653, 473, 473698, 476, 482–485, 491, 499, 501, 505, 507 Axt-Piscalar, Christine VIII Back, Karl 95626, 96635 Bainton, Roland H. 410 Baker Eddy, Mary 15421, 15636 Baldensperger, Wilhelm 39162, 40164–170, 41177, 43186–188, 190–192, 45211 Balmer, Randall 424356, 358, 360 Barge, Elisabeth, geb. Clemen 153, 15422, 15533, 15636, 157 f.38 f., 15946, 160–164, 16052, 16155, 57–59, 16259, 16368, 16469, 171100, 177126, 182152, 183156, 194229, 196241 f., 198246 f., 215 f., 219, 219373, 220 f., 223, 225392, 3611393
Barge, Wilhelm 163, 16362 f., 67, 179141, 190, 190205 Barth, Änni 15636, 16469 Barth, Karl 381, 382, 391, 397, 397170 f., 400 Barth, Theodor 236 Basse, Michael 204283 Bauch, Gustav 120, 120834, 126, 126888, 141, 1411006–1009, 1011–1018, 142, 1421019–1026, 143, 1431027–1035, 144, 1441036–1043, 145, 1451049, 147, 449, 449515, 490 Bauder, Gerta 299930 Bauer, Karl 455569, 493, 49315 Baumgart, Max 128900 f., 129907 f. Baumgarten, Otto 3141026 Baur, Ferdinand Christian 57, 57309, 62364, 64, 64378, 108, 108741, 112 Bayer (Stuttgart) 16787 Baylor, Michael A. 494, 49419 Beauvoir, Armand von 1431030 Bebermeyer, Gustav 370, 3701410 Beer, Marie 16367 Bei der Wieden, Susanne 357 f.588 Beinert, Richard A. 503 f.77 Beintker, Horst 482750 Beintker, Michael 38265 Bekker, Ernst 184163 Below, Georg von 174115 Bender, Harold S. 1527 Bennewitz, Alexander Oskar 16892 Berbig, Georg 184167 Berg, Dr. (Hamburg) 16787 Berger, Arnold 184165, 185171, 188, 189196, 206, 206291 f. Bergmann, Cornelius 186186, 187189 Berlichingen, Götz von 191210 Besier, Gerhard 466647 Besser, Gustav Adolf 184169 Besser, Rudolf 102695 Beutel, Albrecht VIII Beyer, Christian 443476
578
Register
Bezold, Friedrich von 276 Biedermann, Alois Emanuel 51267 Bilhuber, Karl August Edmund 109751 Bilhuber, Sophia U., geb. Jäger 109751 Birkner, Hans-Joachim 405219 Bischoffshausen, Sigismund 184164 Bismarck, Otto von 224 Blaufuß, Dietrich 818, 20 f., 921 Blecher, Jens 127898 Bleek, Friedrich 51 Blickle, Peter 459, 479 Bock, Friedrich Samuel 63373 Bodenstein, Anna 433418, 503 Bodenstein, Antonius 112770 Bodenstein, Günther 430402 Bodenstein, Katharina 442 Bodenstein, Küngold 446497 Bodenstein, Leonhard 446497, 462, 462624 Bodenstein, Michael 443 Bodenstein, Peter 442, 461 Boehmer, Heinrich 57, 57310, 191207, 302, 319–326, 337, 3371198, 347, 351 f., 3511314, 357, 3571363, 360, 3691416, 373 Bogeng, Gustav A. E. 194 Böhmer, Eduard 459602 Bolck, Franz 3722 Bonwetsch, Gerhard 184169, 209313 Borcherdt, Hans Heinrich 193, 193223, 375 Bornkamm, Günter 362 Bornkamm, Heinrich 15942, 182151, 195, 196242, 362, 38894, 434419 f., 423, 445, 4919, 49955 Borowski, Ludwig von 63373 Bossert, Gustav 228405, 35465, 284, 284829 f., 313 Böttcher, Dr. (Leipzig) 15427, 15946, 16261, 16892, 171 f., 172102 f., 215350, 226398 Bovensiepen 16787 Brahms, Johannes 164, 164 f.70, 16571, 187189, 242514 Brandi, Karl 15529, 15739, 15941, 178132, 183156, 361, 363 Bräuer, Siegfried 420, 420318 f., 421, 421329– 331, 333, 423, 479 Brecht, Martin 818, 447, 49958, 504 Brenner, Otto 193, 193221 f., 194231 Brenz, Johannes 105, 105719, 106, 112, 112770, 775, 321 Bretschneider, Karl Gottlieb 2988 Brieger, Theodor 135 f., 136957 f., 147, 213, 213342, 219374, 220, 228405, 232, 232441, 243243, 247, 247560, 248565, 253–256, 258, 261, 266, 272743, 277784, 284–288, 300 f.940,
304, 304958, 308, 311, 313–315, 317 f., 326, 3371196, 346, 363, 3641404 f., 369, 3691418, 3701419, 405222, 482, 490 Brocke, Bernhard vom 172103 Brosseder, Johannes 210318 Brück, Georg von 132 Bubenheimer, Ulrich VIII, 1–4, 712, 14, 818, 45214, 50, 50259, 95622, 99, 112770, 1441037, 227405, 245545, 266, 368, 369, 370, 371, 3725, 3735, 38579, 394152, 395153, 406227, 407, 407230, 409, 409237 f., 410, 413, 414274, 420, 422, 422340, 430402, 436, 436434, 437, 439, 444–486, 491–496, 497, 49745, 499, 49958, 50060, 501, 50162, 50376 Bucer, Martin 321, 403211, 489 Büchsel, Jürgen 820, 921 Buchwald, Georg 222, 222385 Bullinger, Heinrich 32, 44, 57312, 59341, 403211 Bülow, Hans von 16470, 165 Burdach, Konrad 3701419 Burnett, Amy Nelson 492, 496, 49634 f. Busch, Eberhard 397170 Busch, Wilhelm 179139 Busse, Bruno 15945 Caemmerer, Hermann 184169 Calvin, Johannes 38157, 114783, 279, 279798, 283827, 328, 403211, 452536, 472 Calvör, Caspar 307 Capito, Wolfgang Fabricius 50061 Cappelli, Adriano 220 Capreolus, Johannes 1431030, 449515 Cardauns, Ludwig 184169 Cauer, Friedrich 236–238, 366 Celsus 41177 Cencora, Arkadiusz 1421019 Chassant, Louis-Alphonse 220, 220381 Chickering, Roger 176124, 179138 Christ, Paul 64380, 200257 Christmann, Curt 184167, 189197 Christus 2988, 55298, 69414, 80506, 82, 117, 224, 282816, 291885, 304, 392131, 395, 408, 419, 433418 Chudaska, Andrea 470681 Clairvaux, Bernhard von 473, 482 Clemen, Carl 197 Clemen, Helene, geb. Voigt 195240 Clemen, Otto VIII, 153, 15422, 15533, 156 f.36, 15739, 15946, 160, 16155, 58, 16368, 172, 172103, 178, 178132, 182152, 184166, 186, 186184, 188194, 193, 193222, 194, 194229, 195239 f., 196241 f., 198, 198246 f., 200, 200255, 207297, 215–225, 231 f., 243525, 247554, 560, 251–253, 255 f., 258, 260, 266, 285, 322,
2. Personen 324, 332 f., 3391211, 342, 355, 3551349, 3611393, 366 f., 3661413, 369, 3701419, 440, 445 Clemen, Paul 170 f.100 Clemen, Reinhard 153, 15636, 15738 f., 160, 16159, 16469, 177126, 183156 Clemen, Susanne, geb. Barth 15636, 15839, 16469, 196242 Cochläus, Johannes 463635 Cohrs, Ferdinand 206290, 228405, 234–236, 238, 243 f., 244534, 272748, 285 f., 301 f., 302943–945, 304, 304961, 313, 326, 366, 369, 374 Colbe, Georg 63373 Cordemann, Claas 40165 Corvinus, Laurentius 1411015 Cosack, Karl Johann 63373 Cranach, Lucas d. Ä. 503 Crawford, Earl of 38787 Credner, Karl August 39, 39162, 40, 41, 41173–176, 42, 42178–181, 183 f., 43, 43185, 193 f., 44, 44195–209, 45, 45210–221, 46, 46222–235, 47, 47236–241, 48, 49, 49248, 250–256, 50, 121, 121847, 147, 333, 3331165, 498 Cremer, Hermann 137, 138, 138974, 16681 Creutzberg, Heinrich August 187188 Cromwell, Oliver 204 Curtius, Dr. (München) 16787 Danzel, Theodor Wilhelm 41175 Daude, Paul 71429 de Graaf, Bob 1504 de Wette, Wilhelm Martin Leberecht 31104, 45, 58, 91, 97, 97648, 120, 127, 127894–896, 898, 128, 128903, 133 Degener, Hermann A. L. 15213 Dellsperger, Yvonne 57280 Demeter (Verlag) 223389 Denifle, Heinrich 1503, 229, 263, 320 f., 337, 341, 365, 3651408, 489 Deppermann, Klaus 478 Deuser, Hermann 408234 Dieckhoff, August Wilhelm 18, 38, 53280, 57, 62, 64, 65, 66, 66384–388, 67, 67390–392, 395, 68, 68396 f., 69, 69414, 70, 70418, 71, 71427, 72, 72431, 433, 436, 73, 73437–443, 74, 74444–454, 75, 75455–464, 76, 76465–471, 77, 77472–486, 78, 78487, 79, 79493–500, 80, 80501–509, 81, 81510–516, 82, 82522, 83, 83523 f., 530, 84, 86, 86552, 92, 92598, 93, 94, 101684, 129, 129911, 139986, 146, 3721, 400183, 407231, 498 Dillmann, August 110 Dilthey, Wilhelm 281 f., 474704 Dinkler, Dr. (Leipzig) 16787
579
Doelsch, Johannes 321 Doering, Heinrich 1359, 1461 Dommer, Arrey von 217361 Dornbusch, Aneke VIII Dorner, Isaak August 53 Dörries, Hermann 247561, 248566, 274760 Douglas, Crerar 410, 410241–243, 492 Draco, Johannes 14 Drescher, Hans-Georg 38156 Drews, Paul 248, 287851, 308, 308984 f., 987, 990, 309, 3141026 Droysen, Johann Gustav 131935 Düding, Dieter 16787 Dühr, Ulrich 2985 Duijnstee, Dominicar 184166, 170 Duncker, Ludwig 67 Ebel, Wilhelm 66389, 71425 Ebeling, Gerhard 474705, 4871, 4882 Ebert, Wolfgang 15737, 16573 Eck, Johannes 7, 45, 47, 76, 77, 78, 78487, 89, 111, 113781, 115, 216, 38894, 394147, 417 Ecke, Karl 57310, 405219 Eckhart, Meister 54, 418, 418304 Eder, Gottfried 185177 Egli, Emil 230 f., 260, 286, 483759 Ehlers, Wilhelm 191 f.212 Ehrenfeuchter, Friedrich 68 Ehrenpreis, Stefan 12 Eichhorn, Johann Gottfried 40, 40163, 41175, 47 Eiermann, Adolf 184169, 211319 Eilsberger 51264 f., 53280, 54280, 62364 Einenkel, Agnes, geb. Clemen 153, 15839, 16259, 217 Einenkel, Lothar 16259 Einenkel, Roswitha 15636, 15839, 16469, 196242 Einsiedeln, Haugold von 336 Elsner, Jakob 63373 Enders, Ernst Ludwig 133, 133942 f., 134, 187188 England, König Edward VI. 403211 England, Königin Elisabeth I. 403211 Enthoven, Ludwig Karl 184166 Erasmus von Rotterdam 184166, 246, 263, 343, 344, 396160 Erbkam, Wilhelm Heinrich 171, 18, 19, 38, 50, 50260–262, 51, 51264–268, 52, 52269, 271, 273 f., 276, 53, 53278–280, 54, 54280–288, 55, 55289–302, 56, 56303–308, 57, 57311 f., 58, 58313–322, 59, 59323–341, 60, 60342–346, 348–351, 61, 61352–360, 62, 62361–364, 366, 368, 63, 63374 f., 64, 64375 f., 378, 65, 65382 f., 73, 73437–443, 74444–454, 75455–464, 76465, 77, 81, 82, 82517,
580
Register
84, 86, 86553, 92, 93, 93616, 94, 97, 100, 100676, 101684, 108, 112, 116, 116806, 121, 121851, 124, 139, 1441040, 146, 147, 400183, 407231, 490, 498 Erdmann, David 51264, 266, 52, 52269, 271, 273, 276, 53278–280, 54281 Erdmannsdörffer (Berlin) 16787 Erler, Adalbert 462 Ermisch, Hubert Maximilian 15839, 180146 Eulenburg, Franz 186182 Ewald, Heinrich 108741 Fabian, Ernst 184170, 210316 Fabri, Friedrich 119828 Fabricius, Johann Albert 1029, 1573 Falkenberg, Paul 67390, 71428 Fascher, Erich 38368 Fast, Heinold 496 Fauth, Dieter 464640 Fichte, Johann Gottlieb 282 Ficker, Johannes 347 Fife, Robert 413270 Fischer, Kuno 127897, 128905 Fleer, Ottilie 294899 Forell, George W. 420, 420324, 421, 421334–337, 494, 49421 Forner, Johannes 16570 Förstemann, Karl Eduard 142, 184166, 301940 Franck, Sebastian 52, 55, 55302, 56, 57308, 203, 203272–274, 276 f., 204, 204282, 405221 Francke, August Hermann 818 Francke, Otto 127896 Frank, Günther 299930 Franz, Günther 3511309, 437, 437438 Freisleben 172103 Freitag, Albert 250579, 271739 Frerichs, Jacob 51268 Freys, Erich 1572, 45214 f., 47238, 241, 48248, 49254, 103696, 183, 183154, 211, 211326, 218364, 3331164, 3571361, 449514, 471, 480 Friedemann, Rudolf 15636 Friedensburg, Walter 243526, 285 Friedenthal, Richard 434419 Froberg (Verleger) 16367 Fuchs, Ernst 473698 Fuchs, Gerhard 429, 429396 f. Furcha, Edward J. 494, 49424 f., 495, 49531, 496, 49632 f., 49959 Füßlin, Johann Conrad 11, 1140–42, 12, 1243–46, 17, 32, 44, 44200, 59, 59341, 92, 92596, 136, 139986 Gabler, Johann Philipp 47237 Gäbler, Ulrich 48 Garganus von Siena 439, 447
Gemeinhardt, Peter VIII, 3736 Georgi, Otto 16570 Gerdes, Daniel 7, 716, 10, 1033, 11, 1134–39, 12, 1353, 17, 2984, 30, 44, 58, 120, 136 Gerlach, von 16787 Geß, Felician 184165, 188190, 227 f.405, 238, 238483–487, 251, 252, 252593 f., 258, 330, 3301149, 331, 3311150–1152, 367 Geyer, Florian 191, 191210 f., 192, 192212 f. Geyer, Hermann 470681 Gfrörer, August Friedrich 254611 Gieseler, Johann Karl Ludwig 67392, 68, 69, 69407, 70, 71, 71424, 72 Gießler-Wirsing, Eva 465646 Gindely, Anton 184162 Glaue, Paul 38368 Glitsch, Konrad 469675 Goebel, Max 18, 19, 20, 201–6, 21, 217–11, 22, 23, 2323–27, 30–33, 24, 2434–42, 25, 2543–55, 26, 2656–66, 27, 2768, 71–73, 28, 2874–83, 29, 2984 f., 87 f., 30, 3089–99, 31, 31104 f., 107, 32, 32108–118, 33, 33120–125, 34, 34126–133, 35, 35134 f., 137–141, 36, 36142–149, 37150 f., 153, 38, 38154, 156 f., 39, 42, 44, 50, 51, 51263, 267, 52, 52270, 272, 53, 53277, 61359, 79, 79494, 80, 80501, 506, 81, 81510, 82, 82517, 83, 84, 86, 87555, 88, 90, 92, 93, 94, 97, 123, 123870, 124, 135, 138, 138982, 146, 407231, 488, 490, 498 Goertz, Hans-Jürgen 373, 373 f.10, 405219, 422, 422346, 447498, 478, 478724, 49318, 49418 Goeters, J. F. Gerhard 15, 2111, 22, 2212–22, 23, 2328 f., 33, 2545, 29, 2985 f., 31, 31100, 102, 106 f., 32107, 35136, 51267, 52270, 245546 Goeters, Wilhelm 22, 2545, 29, 2985 Goethe, Johann Wolfgang von 16468 Goetz, Walter 16997 Gossard, Ernest 184166 Gottschalk von Orbais 393144 Götze, Alfred 339, 3391220, 340, 3401221 Grabe, Johannes Ernst 63373 Grabe, Martin Sylvester (1627–1686) 63373 Grabe, Martin Sylvester (1674–1727) 63373 Graf, Friedrich Wilhelm 71, 71424, 429, 72435, 38157 Gräfe, Helene Auguste, geb. Clemen VIII, 157 f.39 Gram, Johannes 136961 Grane, Leif 473698 Greiert (Dresden) 16787 Greschat, Martin 395153 Greving, Joseph 184165, 185175 Grimani, Domenico 439
2. Personen Grimm, Jacob u. Wilhelm 223389, 277784 Grisar, Hartmann 365, 3651408, 489 Gritschke, Caroline 470681 Großmann, Christian Gottlob Leberecht 127898 Gruber, Gerold W. 16366 Grüneisen, Carl 132935 Grünenwald, Jakob 125 Grünschloß, Andreas VIII Gummelt, Volker 395, 395156–159 Günther, Otto 184166 Gurlitt, Wilibald 1421019 Gutenberg, Johannes 186, 194, 194227 Häberer, Brigitta 104709, 106730 Habitzel, Kurz 431406 f. Haendler, Gert 66387, 67390 Hagenbach, Karl Rudolf 26, 27, 2768–70, 146, 490 Hagenmaier, Winfried 172 Hägglund, Bengt 433, 433417 Hahn, August 41177 Halbrock, Christian 444489 Hamacher, Bernd 434421 Hamm, Berndt 12, 263669, 275768, 470, 470681 Hammann, Konrad 266694 Hanslick, Eduard 16470, 165 Harnack, Adolf von 138, 138976, 204, 204283, 279795, 280, 280804, 290876, 307, 307979, 367, 38162 Harrison, Richard L. 428393 Hartmann, Julius 105, 105718–721, 106733, 107738 f., 112770, 775 Hartung, Fritz 332, 3321156–1159 Hase, Eduard 64, 86, 94, 94620–622, 95, 95623 f., 626–629, 633, 96, 96637, 639 f., 97, 97641–654, 98, 98655–664, 99, 99665–668, 670 f., 100, 100676 f., 680, 121, 130, 130929, 131, 131930 f., 132, 132935, 134, 134945, 135, 145, 147, 464641, 490 Hase, Karl von 132935 Hase, Martin von 16155 Hasenclever, Adolf 184167, 169, 187188, 188191, 192212 Hashagen, Justus 228405, 3651406 Hasse, Hans-Peter 26, 266, 94622, 266698, 433, 455567, 468 f., 478 f., 479735, 481 f., 483, 483757–759, 484, 486, 493, 49959 Hasse, Hellmut 492 Hattendorf, Johannes 184169 Hauck, Albert 212, 212330, 222, 324 Haupt, Hermann 184166 Hauptmann, Gerhart 192212 Hausrath, Adolf 215, 216, 216356, 233448, 285
581
Hayes, John A. 49255 Haym, Rudolf 3141026 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 54, 54284, 55290, 176120 Hegele, Anton 103700, 106727, 729, 731, 107733, 740 Hegler, Alfred 62363, 202, 203, 203272–274, 276 f., 204, 204282, 205, 207, 268 Heidermanns, Frank 197243 Heiler, Friedrich 379, 37941 Heimpel, Hermann 610 Helmolt, Hans F. 174115, 175116, 178132, 183160 Hendrix, Scott 49421, 50477 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 22, 48, 51, 52 Hennig, Ernst 196242, 198247 Hennig, Johanna Berta, geb. Clemen 15839 Heppe, Heinrich 63, 63375, 64375 Herbst, Magdalena 132935 Herder, Johann Gottfried 2667, 40165, 67, 126, 3141026 Hering, Carl Wilhelm 3092 Hering, Hermann 38892 Herkenrath, Liesel-Lotte 295905 Hermelink, Heinrich 1491, 227405, 248, 265–270, 272743, 276–278, 285, 287, 299, 308, 308984 f., 987 f., 990, 309, 309993, 997, 313, 3141026, 326, 332 f., 3371196, 352, 3531329, 354, 360, 362, 367, 405222 Hermsen, Hugo 185175 Herre, Hermann 186185, 292 f., 293893, 895, 313 Herrmann, Harald 818 Hertzsch, Erich 60, 60347, 95622, 99, 100, 3401223, 358, 3581376, 359, 370–391, 393–395, 397–399, 402, 402210, 403211, 404, 404214, 407 f., 410239, 412, 413270, 417, 417294, 420, 422, 422338, 423, 424360, 425, 429, 435, 436431, 437, 440, 455, 462, 478, 480, 489, 491, 495, 49530, 496, 498, 49954, 50060, 50587 Hertzsch, Klaus-Peter 375, 37517 f., 376, 37623–25, 37731 Herzog, Georges 451527, 476712 Herzog, Johann Jakob 53280, 57311, 62364, 63, 63370, 105, 110757, 212331, 370 Heß, Jürgen C. 16996 Hessen, Landgraf Philipp von 210317 Heuss, Theodor 16574, 166, 16675, 16784–86, 169, 16997 Heussi, Karl 372, 3724, 373, 3735–8, 37518, 37621, 382, 38262, 66, 38369 Heydte, Friedrich August von der 610 Heyer, Friedrich 404, 404219, 405, 405221 f.
582
Register
Hieronymus 47, 49 Hillerbrand, Hans-Joachim 388, 410, 410245, 499 Hirsch, Emanuel 404, 404 f.219, 405, 405221 Hirsch, Rose, geb. Ecke 405219 Hiskold (Hisolidus), Matthäus 421 Hitler, Adolf 160, 223 Hoen (Honius), Cornelisz Hendricxz 80 Hoffmann, Ernst 184167 Hoffmann, Melchior 56, 49637 Hofmann, Hans 3251103, 3261111 Hofmann, Johann Christian Konrad von 66 Holeczek, Heinz 396160 Holl, Karl 174115, 227, 228405, 279–285, 304, 304959, 311, 313, 315, 317, 3221082, 326, 3261111, 346, 366, 384, 405, 405219, 222, 226, 489 f. Horsch, John 258, 258638 f., 326, 327, 3271120 Hoßfelder, M. 16892 Hottinger, Johann Jakob 44, 59341 Hoyer, Siegfried 177126, 438, 479 Hübinger, Gangolf 16679 Husserl, Edmund 195 Hutten, Ulrich von 113 Ickelsamer, Valentin 116802, 139984 Ißleib, S. 184167 Jacobi, Friedrich Heinrich 349 Jacobsen, Jens Peter 163, 16366 Jäger, Gustav Eberhard 105, 105723, 106, 106726, 728 Jäger, Karl Friedrich (1794–1842) 105, 105719, 107738, 112770, 775 Jäger, Karl Friedrich (1825–1903) 15, 1576, 18, 48, 48244, 246, 49, 49248, 252, 59, 62, 64, 64375, 65, 85, 86, 101, 101683 f., 686 f., 102, 102692–695, 103, 103696 f., 700, 104, 104702, 704–707, 712, 105, 105713–715, 717, 719–722, 724, 106, 106730, 732 f., 107, 107734, 736, 738 f., 108, 108741, 745–747, 109, 110, 110753, 756–760, 111762–769, 112, 112770, 772, 774 f., 113, 113777–781, 114, 114782–786, 115, 115787–795, 116, 116797–804, 806, 117, 117807–813, 118, 118814–819, 119, 119820–829, 120, 120830, 833, 835–845, 121, 121847, 849–852, 122, 122854 f., 860 f., 123, 123862–869, 124, 124871–875, 877 f., 125, 125880, 885, 126, 130, 130925, 928, 133, 134, 135, 137, 137969, 139, 144, 1441040, 1042, 146, 147, 199–201, 201259 f., 211, 214, 216, 218, 225, 229, 231, 241, 3721, 392, 407, 449, 490, 49739, 49853, 502 Jäger, Karl Friedrich Philipp 102692 Jäger, Otto Heinrich 105, 106, 106729, 731, 107, 107733, 740
Jäger, Sofie Theodora, geb. Stang 104702, 109, 110760, 111762 Jahn, Friedrich Ludwig 105 Janssen, Johannes 276, 320, 321, 350 f., 360, 365, 489 Janz, Denis R. 449515 Jesus s. Christus Joestel, Volkmar 429398, 478, 479, 479728, 486, 492, 493, 49313, 50587 Johnson, Franklin 258 f., 326 f. Jonas, Justus 217, 217362, 218 f., 219369, 321, 466651 Jonas, Ludwig 51268 Jordan, Hermann 135950 Joris, David 56 Jüngel, Eberhard 282816 Junghans, Helmar 3551348, 451527, 4767123 Jürgensen, Renate 1359 Justin 41 Kähler, Ernst 63373, 371–30 73, 386–408, 410 f., 416, 417294, 420, 424360, 329, 437, 454 f., 460609, 461, 461617, 478, 480737, 482, 484761, 491, 499, 501 Kähler, Ludwig August 63373 Kaiser, Gabriele 430402 Kalbeck, Max 16470, 165, 16570 f., 187189, 242514 Kalkoff, Paul 184168, 185177, 187, 188190, 193, 194233, 226400, 228405, 232–234, 238, 243, 3651406 Kant, Immanuel 104 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 49212, 50482 Kapp, Johann Erhard 59, 217359 Karl V. 186166 Karlstadt s. Bodenstein Karpp, Heinrich 279795, 280803 Kaufmann, Thomas VII f., 611, 924, 2883, 38894, 422347, 431403, 458589, 485, 4919, 49317, 49955, 500, 500 f.61, 50162 Kautzsch, Emil 218, 218367 f. Kawerau, Gustav 124, 217, 217362, 219369, 227 f., 241–243, 245, 247, 247557, 249–252, 254–257, 261–263, 270–272, 280 f., 285 f., 288861, 293896, 300940, 307, 307981, 313–320, 326, 335, 3371196, 346, 353, 358–361, 3621398, 365, 3651408, 366, 488 f., 4895, 501 f., 50268 Keerl, Philipp Friedrich 48242 Keller, Ludwig 138, 185, 185172, 186, 190, 190202, 202–209, 211324, 212334, 215, 225, 244, 258, 258638, 260, 275 f., 311, 314, 318, 3181056, 320, 329, 369 Keßler, Claudia VIII
2. Personen Keßler, Manfred VIII Keßler, Martin 2667, 2883, 40165, 126891 f., 127895, 138973 f., 3141026, 3736 Kipp, Friedrich 186181 Klein, Tatjana 2985 Klein, Wilhelm 202 Kleiner, John W. 410, 410240, 492 Kluge, Kurt 16469 Knaake, Joachim Karl Friedrich 218366 Knapp, Diakon (Tuttlingen) 104 Koch 16787 Koch, Ernst 241506, 3551347, 3651408, 38264, 4895 Koethe, Friedrich August 2988 Kögel, Julius 137972 Köhler, Johann Friedrich 714, 18, 1028 f., 15, 1574 f., 77, 16, 1672–80, 17, 171, 18, 182, 32, 44, 46, 58, 59, 64375, 88, 88564, 89574, 97, 120, 136 Köhler, Walther 182152, 227405, 228405, 245–247, 252, 252598, 254608, 257, 257635, 258, 261, 256–267, 272, 278 f., 292 f., 301, 301942, 308, 308984, 313, 315, 325, 340–347, 350–352, 3551349, 357, 3571362, 3651408, 367, 3701419, 374 f., 398, 413273, 417, 489, 490 Kohlmann, Sigrid 213339 Kolde, Theodor 85, 85540, 135, 135950 f., 136, 136952–956, 958–961, 963, 137, 137964 f., 146, 147, 15530, 203, 212–216, 219369, 222, 225, 243–245, 258, 261 f., 285, 368, 390, 390118, 482, 490 Korsch, Dietrich 281807 Körtner, Ulrich H. J. 12 Kotabe, Shinichi 611, 45567, 483–486, 492 f., 49418, 49959 Kötzschke, Rudolf, 178, 186185, 3581379 Kowalewski, Constanze 196242 Kracik, Antje 105723 Kraus, Hans-Christof 3321156 Krause, Armin 429398, 436431, 478 f., 486, 493 Kreibohm, Heinrich 69414 Kretschmann, Paul 194227 Krey, Ursula 16783 Kreysig, Georg Christoph 13, 1354–58, 14 f., 1573, 182, 44 Kriechbaum, Friedel 76466, 371, 395153, 396–408, 413273, 414, 414276, 415, 420, 436431, 437, 451, 454, 475707, 478, 480737, 484, 484765 Kroker, Ernst 186182 Krüger, Peter 172103 Kruse, Jens-Martin 228405, 3551348, 3651406, 478, 493, 49314
583
Kuhn, Thomas K. 51267 Kühne, Heinrich 49212 Kunze, Karl 236471, 294900 Labes, Christian Wilhelm Heinrich 126893, 127894 Labes, Eugen 19, 38, 126, 126889, 893, 127, 128, 127894, 896–899, 128904–906, 129, 129909 f., 913–920, 130, 130921–926, 928 f., 131, 131930–935, 132, 132935 f., 133, 133937 f., 940, 942, 134, 134945, 948 f., 146, 147, 3721, 498 Labes, Johann Adolph Wilhelm 126891 Labes, Johann Wilhelm Philipp 126892 Lagarde, Paul de 281, 282, 290876 Lamprecht, Karl 154, 15839, 172–179, 181, 181148 f., 185 f., 189–191, 194227, 198–200, 210, 210314, 216, 219374, 220, 225, 288, 288859, 305, 314, 324, 330, 340, 3581379, 369, 37943, 391124, 419 Lamprecht, Marianne 177131 Landwehr, Hugo 132935 Lang, Heinrich 200, 200256 f., 201, 201258 f., 261–263 Lange, Gudrun 502 f. Lange, Kornelia 190204 Lange, Peter 503 Latermann, Johann 63373 Lau, Franz 38891, 460609 Laube, Adolf 49637 Lavater, Johann Caspar 27 Leder, Hans-Günter 395, 395159, 483, 484761 Leesch, Wolfgang 3361190 Legrand, M. 259647 Lemmens, Leonhard 185177 Lenz, Max 192212 Leo, Heinrich 32, 32114 Leppin, Volker VIII, 505, 50587–92, 50693 Leroux, Neil R. 49210, 49423 Lessing, Gottfried Ephraim 41175, 45219, 349 f. Leube, Martin 103699, 3191062 Lewin, Reinhold 185175, 210318 Lezius, Friedrich 302, 302948, 3361192 Lietzmann, Hans 184166, 185175, 281, 301940, 3141026, 323, 332–334, 338 f., 3551349, 360, 423, 498 Lilienthal, Michael 63373 Lilienthal, Theodor Christoph 63373 Lindberg, Carter 494, 49421 f., 24, 495, 49531 Links, Christoph 430399 Lipsius, Friedrich 1028, 31 Liszt, Franz 164 Löbe, Julius 96636 Locher, Johann 139984
584
Register
Loeber, Christian Heinrich 925, 59338 Lohse, Bernhard 50257 Lommatzsch, Carl Heinrich Eduard 51268, 52 Lönnecker, Harald 177125 Loofs, Friedrich 307, 307980 Looß, Sigrid 49, 406227, 494, 49419, 499 f.60, 504, 50483, 50584 Löscher, Valentin Ernst 10, 1029, 31, 15, 1573, 32, 42, 44, 59, 77, 91, 120, 217 Löschhorn 303, 303952–954, 3181056 Lotz-Heumann, Ute 12 Loyola, Ignatius von 3261111 Lück, Heiner 921 Lücke, Friedrich 68, 69, 72, 72434 Lüdemann, Gerd 464640 Lüdemann, Hermann 206290 Lütgert, Wilhelm 138974 Luther, Katharina 436433 Lyncker, Nikolaus Freiherr von 127, 127898, 128, 128900, 904 f., 131934 Lysius, Heinrich 63373 Macholz, Waldemar 37518, 382, 38367 f. Mainz, Albrecht von 458, 496 Mangrum, Bryan D. 49423 Mann, Thomas 434421 Mantz, Felix 497, 49851 Marcion 41177 Marcks, Erich 155, 15529 Marheineke, Philipp Konrad 51267, 52 Maron, Gottfried 52273, 56308, 57309 Marschalck, Haug 216354 Martin, Beate 103699 Marx, Karl 15944, 16782, 429, 429397, 478 Masch, Andreas Gottlieb 15, 1573 Masin, Eva-Maria 480737 Matheson, Peter 492, 49210 Mathys, Hans-Peter 128903 Matthias, Markus 494, 49419 Matzko, Tim A. VIII Mau, Rudolf 2333, 31100 f. Maurenbrecher, Hermann 173, 175117, 179–181, 184166, 185180, 188194, 190, 199, 200, 200256, 201, 202, 202265 f., 208, 220378, 225, 274761, 369 Maurenbrecher, Max 177124 Maurer, Wilhelm 405, 405222, 226 May, Georg 451527, 476711 Mayer, Hans 103698, 108742 McLelland, Joseph C. 49633 McNiel, William Wallace 50376 Melanchthon, Philipp 21, 2988, 35, 37150, 53280, 77, 98, 114781–783, 136, 147, 189, 224,
242, 251, 251588, 299930, 37940, 427, 450, 456 f., 466651, 471 f., 481, 489 Mende, Erich 463, 464636 Mendelssohn Bartholdy, Felix 16572 Mentz, Georg 1503, 184166, 169 Menzel, Karl Adolf 32, 32113 f. Merklein, Wolfgang 49212 Merz, Georg 193 Messner, Karl Ferdinand Hermann 67392 Metz, Karl Heinz 174115 Meusel, Johann Georg 1354 Meyer-Erlach, Wolf 38367 Meyer, Arnold 38368 Meyer, Wilhelm 3621398 Milton, John 403211 Mochau, Anna von 503 s. Bodenstein, Anna Moeller, Bernd 11 f., 821, 3681416, 38891, 406, 406228, 430, 431403, 447, 447498, 451527, 455, 455567–569, 465646, 466646, 648, 476713, 499, 480, 480740, 49958 Moeller, Wilhelm 241506 Möhler, Johann Adam 3093 Moncrieff, John W. 259642 Mordeisen, Ulrich von 180146 Morus, Thomas 15944 Mosapp, Hermann 132935 Mosellanus, Petrus 403211 Moses 1251, 42 Mühlen, Karl-Heinz Zur 255618 Mühlenberg, Ekkehard 49256 Mühlpfordt, Günter 470 Müller, Berta, geb. von Weizsäcker 274761 Müller, Ernst 206290 Müller, Georg (1877–1917) 193 Müller, Georg 127898 Müller, Gerhard 48 Müller, Hans Michael 381 f. Müller, Johann Joachim 926, 120 Müller, Johann Sebastian 926 Müller, Karl 150, 181, 203, 227, 227405, 228, 228405, 235, 235465, 243526, 245, 246, 246553, 247–253, 255–258, 261–288, 292 f., 293896, 295–319, 322–326, 3271117, 330–337, 339, 341–343, 346, 356–364, 366–371, 373, 37728, 392, 398, 402, 406, 437 f., 445, 489 f., 502 Müller, Laurenz 434419 Müller, Marianne VIII, 15316, 157 f.39, 196242 Müller, Nikolaus 91594, 121853, 188192, 232, 243525, 278, 278790, 298 f., 313, 316, 3181053, 325, 334–336, 338 f., 3391213, 345–347, 352–355, 360 f., 426 f., 437, 498, 501
2. Personen Müntzer, Thomas 38, 38154, 45214, 59, 63, 97, 98, 131931, 191210, 291 f., 321, 330, 359, 398, 403, 421, 424, 429, 436433, 437440, 438, 441, 443, 459602, 461621, 466651, 467653, 656, 468659, 469675, 472, 472695, 473700, 480, 495, 50161, 50376, 505 Nally, Claire 106728 Nathusius, Martin von 137, 137972, 138, 138975–983, 139, 139984–997, 140, 140998–1002, 1004 f., 146, 147, 211, 211321, 323, 502 Naumann, Friedrich 138, 140, 166–169, 173, 173105, 176122, 124, 191, 204, 226395, 401, 228–230, 228406–410, 412, 236, 236472, 239, 239488 f., 255, 282818, 283827, 306, 306972, 974, 322, 348, 366 f., 370, 438 Neander, August Johann Wilhelm 52 Neff, Christian 1140, 57312, 152, 1526–8 Neudecker, Christian Gotthold 84, 84536 f., 85, 85544, 86, 86546–550, 87, 88, 89, 90, 90579, 221 f., 222384 Neufeld, Karl H. 204283 Neumann, Ursula 464640 Nied, Émile 90, 90581–583, 91, 91584–595, 92, 92596–603, 93, 93604–615, 94, 94617–619, 3721 Niewöhner, Friedrich 821 Nigri, Petrus 1431030 Nitzsch, Karl Immanuel 22, 23, 51 Nixstein, Johannes 217359 Oberman, Heiko Augustinus 14, 50259, 393142, 413, 425 f., 425364, 426366 f., 446 f., 447498, 448, 450, 453, 455569, 463634, 464, 466647, 471 f., 493 f., 50061 Occam, William von 32118, 1431030 Oecolampad, Johannes 497 Oehmig, Stefan 429398, 478724, 493, 49338, 50060, 501 f., 50263–54 Olearius, Johann Gottfried 7, 715–17, 821, 11, 18, 58, 87, 91, 120 f., 488 Olszewsky, Hans-Josef 233442 Oncken, Hermann 174115 Oosterbaan, J. A. 451527 Origenes 402205, 407 Orr, Russell Stanley 410 Ortloff, Hermann 131932 Otte, Hans 297921 Oyer, John S. 411255 Pallas, Karl 121853, 228405, 325, 334, 3341171–1173, 335, 3351174–1182, 336, 3361183–1189, 352, 353, 3531331, 354 f., 3551349, 357, 360, 50264, 65 Panzer, Georg Wolfgang 217 Pastor, Ludwig von 350–352, 3511315 f., 3521317–1323, 360
585
Pater, Calvin Augustine 94, 94622, 413, 451527, 466647, 468, 476–478, 486, 492, 494–498, 49633, 49851, 504, 50478–81 Pauli, Sabine 38367 Paulus 62369, 282, 282616, 401, 418, 473698 Paulus, Nikolaus 184170, 189, 189200, 226397, 229–232, 239 f., 257633, 258–260, 263, 351 f., 3511316, 366 Payer, Friedrich von 17098–100, 171100 Payne, Ernest A. 258638 Pelikan, Jaroslav J. 38579, 38891, 393, 393144, 409–411, 411248, 416 Peringer, Diepold 188194 Peter, C. 132935 Peters, Barbara 38894 Pfaff, Karl 172, 182 Pico della Mirandola, Giovanni 467, 473700, 484 Pierer, Heinrich August 95 Piper, Otto 381, 38158 Planck, Gottlieb Jakob 40, 42, 42182 f., 43, 43200 Plath, Uwe 420, 420322 Plato 55, 401, 401192 f., 402205, 407, 484 Plitt, Gustav Leopold 136, 136953 f. Pohlmann 16787 Polich, Martin 171, 1431030 Pollard, Albert Frederick 241 Ponader, Ralf 395, 395155, 407, 407232, 483, 483760 f., 484, 484761–763, 765–769, 493 Pott, Martin 921 Prantl, Carl von 143 Preller, Ludwig 84536 Preus, James S. 413, 413 f.274, 420323, 421, 421327 f., 422, 422338, 341 f., 425–429, 455 f., 456572, 475, 492 Prierias, Silvester 50259, 447 Przytulski, Jan Marian 1421019 Rabenau, Konrad von 459, 468 Rade, Martin 248, 308, 308990 Raithelhuber, Pfr. 15636 Ranke, Leopold von 3, 19, 219, 32, 32114 f., 33119 f., 37, 46, 59, 61, 61359, 87, 133, 146, 173, 176 f.120, 178 f., 181, 233 Raschzok, Klaus 37517, 384, 38475 Rebling, Friedrich 16261 Reclam, Philipp 15839, 193224 Redepennig, Ernst Rudolf 68 Redlich, Paul 184167, 185177 f., 188190, 212334 Reiche, Johann Georg 68, 68398, 69408–413, 70419, 71424, 72431, 434
586
Register
Reichenberger, Robert 184169, 189198 Reichlin-Meldegg, Karl Maria Alexander von 182 Reinhard, Martin 438 Reinhardt, Sylvia 196242 Rembert, Karl 185171, 207 Rendtorff, Trutz 396163, 397170 Renz, Horst 71424 Rettberg, Friedrich Wilhelm 32118 Rhau-Grunenberg, Johann 396160 Rhegius, Urbanus 83530 Richter, Max 188192 Richter, Paul Emil 95632, 96634 Riedemann, Peter 470681 Riederer, Johann Bartholomäus 1031 f., 13, 1355, 59, 14, 1460–69, 15, 1572 f., 16, 17, 171, 18, 182, 44, 58, 59, 87563, 91, 120, 135, 136, 146, 482, 490, 498 Rieker, Karl 308984 Ritschl, Albrecht 3199, 138, 138974, 188, 188194, 205, 205288, 266, 290, 292, 304, 304958, 313 Ritter, Moriz 164162, 165, 187188, 189, 189199 Rogerson, John W. 128903 Roggenkamp-Kaufmann, Antje 294899 f., 295903, 905, 297921, 3721 Rolland, Romain 17099 Ropp, Georg Freiherr von der 185180 Rotermund, Heinrich Wilhelm 171, 64375 Roth, Stefan 222, 222385 Rothe, Richard 22, 23, 52, 52276, 54, 146 Rotscheidt, Wilhelm 185172 Rotter, Angelika 127898 Rousseau, Jean-Jacques 264 Rublack, Hans-Christoph 480740 Ruchat, Abraham 59341 Rückert, Hanns 248566, 447498 Ruddies, Hartmut 38470, 38680 Rüger, Hans Peter 1441037 Rupp, Gordon 402, 402 f.211, 410, 410239, 413, 413268, 270, 273, 421, 422, 422338 Ruprecht, Dr. (Göttingen) 16787 Sachsen, Herzog Johann von 96639 Sachsen, König Albert von 219 Sachsen, Kurfürst Friedrich III. von 84, 89, 96639 f., 97, 217362, 264688, 265688, 273, 343, 351, 427376, 432, 441–443, 443478, 457, 459, 502 Sack, Karl Heinrich 22, 51 Salms, Wolfgang von 189198 Sauer, Georg 38368 Sauppe, Hermann 127896 Scavizzi, Giuseppe 49423
Schäfer, Dietrich 126, 126887, 136961, 137, 137966–969 Schäfer, Ernst 184167 Schäfer, Karl Heinrich 185175 Schaff, Philip 212331, 370 Scheel, Otto 182152, 230422, 248564, 254608 f., 256 f., 261, 288, 288861, 289867, 292, 293, 326, 340, 344, 349, 357, 3571365 f. Scheible-Schober, Petra 125881 f. Scheible, Heinz 465 f.646 Schelhorn, Johann Georg 59 Schian, Martin 249572, 3151029 Schiewe, Jürgen 818 Schiller, Friedrich von 233 Schirrmacher, Bruno 184166 Schlag, Thomas 137972, 138976 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 22, 26, 2667, 51, 51268, 52, 52276, 53280, 54, 54284, 64, 92, 104, 146, 290, 313, 349 f., 3501304, 490 Schmalenberg, Gerhard 408234 Schmidt, Adolf 127897, 128905, 131 f.935 Schmidt, Karl 66384, 388, 67390 f. Schmidt, Martin Anton 49212 Schmidt, R. 173109, 227405, 251, 251587, 252, 252591 Schmidt, Ulrich 185175 Schmidt, Wilhelm 185177 Schmitt, Ludwig Erich 3391220, 3401221 Schmitz, Peter 16570 Schneider-Ludorff, Gury 294899–901, 295905 Schniewind, Julius 391 Schnorr von Carolsfeld, Franz 1574 Schönberg, Arnold 16366 Schönherr, Johann Heinrich 63372 Schorn-Schütte, Luise 174115, 176124 Schornbaum, Karl 3391216 Schottenloher, Karl 185175, 227, 227405, 437 Schubert, Franz 16261 Schumann, Albert 84536, 86546–548, Schumann, Robert 164, 16571 f., 177131 Schuster, Klaus-Peter 467652 Schwartze, Robert 157 Schwarz, Johann Carl Eduard 132935 Schwarzer, Otfried 1411008 f., 1011–1014, 1421023 Schwede, Alfred Otto 3691417, 38477, 385, 429–436, 439–446, 462624, 492, 49212 Schweitzer, Albert 62 Schweizer, Alexander 64, 64379 f., 116806, 146 Schwenckfeld, Kasper 52, 52273, 55, 56, 56308, 57, 57309, 63, 65383, 405219, 221 Schwendi, Lazarus von 211319 f. Schwenke, Paul 307
2. Personen Scotus, Johannes Duns 1431030 Scultetus, Abraham 714, 2984, 120 Seckendorff, Veit Ludwig von 9, 921–24 , 2984, 30, 59, 91, 97, 217362 Seebaß, Gottfried 4882 Seeberg, Reinhold 184170, 299930 Séguenny, André, 48 Seidemann, Johann Karl 59, 77, 97, 98, 131931 Seitz, Otto 1031 Selge, Kurt-Victor 451527, 475 f. Seydewitz, Paul von 172103 Sider, Ronald J. 4, 50258, 95622, 227405, 228405, 293896, 358, 3581376, 371, 38578 f., 406227, 407230, 409–426, 429, 437, 451, 456, 456572, 465, 465645, 471, 475–479, 480737, 481, 483, 486, 491 f., 494, 49424, 495, 50483 Siebmacher, Johann 462624 Sigel, Christian 104709, 106727, 730, 110760, 111762, 125883 f. Simon, Wolfgang 295905, 505, 50585 f. Smend, Rudolf VIII, 40163, 41175, 116796, 127895, 218367, 37731, 38892, 397170 f. Smid, T. D. 49254 Sohm, Rudolf 16787, 16997, 172103, 308984 Sohm, Walter 3201064, 350, 3501307 f., 351, 3511309–1314 Spalatin, Georg 7, 84, 84536, 86, 87, 96639, 120, 222, 447 Sparn, Walter 1401003 Spehr, Christopher 121849 Spener, Philipp Jakob 923, 25, 2543, 45, 38157 Spengler, Lazarus 470681 Stackmann, Karl 480 Staerk, Willy 38368 Stahl, Friedrich 157 Stange, Karl Friedrich 108746 f., 109, 109750 f., 110 Stäudlin, Carl Friedrich 42183 Staupitz, Johannes von 66385, 203268, 320, 386 f., 38786, 390, 392, 392141, 394, 416, 482, 482755, 485775, 505 Stayer, James M. 420, 420325, 421, 421332, 451527, 475, 475708 Steck, Karl Gerhard 396, 396163, 397, 397165–169, 398, 398172–177 Steffen, Wilhelm 184167 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom und zum 112775 Steinmetz, Max 369, 429–433, 431403– 405, 407, 409, 432410–412, 414, 433416–418, 435–440, 437435–442, 438444–450, 440458, 439451, 443 Stengel, Friedemann 37516, 395154 Sternberg, Dr. (Emden) 16787
587
Stieda, Wilhelm 186182 Stötzner, Paul 216, 222385 Stoy, Karl Volkmar 128905 Strachan, John 106728 Strauch, Solveig 922 f. Strauß, Jakob 16155, 182, 182152 f., 183, 183153, 156, 211325, 361, 363 Strecker, Dieter 3735 Strobel, Georg Theodor 32, 32117, 59, 91, 91594, 120 Strodtmann, Johann Christoph 1033 Strohm, Christoph 279798 Strübind, Andrea 466647, 471689, 497, 49748–50, 498, 49851 f., 49959 Stupperich, Robert 16681 Stürll, Lignacius [Pseudonym] s. Schriften: Glosse des hochgelehrten, erleuchteten, andächtigen und barmhertzigen Ablaß Süß, Alexander 190205 Sybel, Heinrich von 181, 208, 208305, 274, 318, 3181056 Tamcke, Martin 404219 Tararetus, Petrus 1431030 Theobald, Leonhard 185175 Thiel, Rudolf (1894–1967) 434419 Thiel, Rudolf (1899–1981) 38477, 433, 433418, 434, 434419–425, 435, 435425–430, 436, 436431 f., 440 Thieme, Karl 184167 Thomasius, Christian 7, 718, 8, 818–20, 921, 23, 12, 1247–51, 13, 1352 f., 14 f., 1573, 97, 120, 480, 488, 499, 501, 508 Thomasius, Jakob 7, 717 Thompson, Alden Lorne 410, 240241, 492 Thorns, Wolfgang 464640 Thulin, Oskar 445 Thümmel, Hans Georg 482754 Tichy, Helga 467653 Tiemann, Walter 194 Tiling, Magdalene von 228405, 272748, 293–298, 304 f., 305962, 309–311, 313, 315, 326, 336, 340, 3721 Tilitzki, Christian 53 f.280, 82517 Todt, Sabine 50060 Todte, Mario 174115, 179139, 180143, 181147, 202266 Treitschke, Heinrich von 175 f., 176123 Troeltsch, Ernst 30 f.99, 57, 57311 f., 71, 71424, 72, 1503, 166, 189, 189195, 245, 276, 276774, 281, 289, 289870 f., 327–330, 337, 341, 343 f., 3431249, 347, 3471288, 349, 3491300, 357, 3571364, 360, 365, 367, 489 f., 505, 50693 Trutfetter, Jodocus 144
588
Register
Tschackert, Paul 203 Uckeley, Alfred 302, 302947, 3361192 Uhlhorn, Gerhard 67392, 69414 Uhlig, Siegbert 66387 f., 67390, 72436, 76467, 79493 f., 82518–521 Ullmann, Carl 32118, 80506 Ulrichs, Hans Georg 2985 Varro, Marcus Terentius 3581377, 1379 Veesenmeyer, Georg 59 Vehr, Johann Adam 927, 59, 90579, 97646, 129, 129912 Voigt, Karl Heinz 402211 Voitländer, Robert 191 Volbehr, Friedrich 256624 Volk, Julius 3191058 Volkmar, Gustav 43192 Wagler, Ludwig 16892 Wagner, Albert 16049, 16368 Wagner, Friedrich 130929 Wagner, Richard 164 f. Wähler, Martin 1503, 356–359, 361 f., 366, 371, 377, 37728, 30, 385, 490, 502, 505 Waitz, Georg 141 Walch, Johann Georg 10, 1031 f., 30, 3089, 94, 39, 44, 59, 77, 97, 97648, 120, 133, 133942, 333 Wallmann, Johannes 2214, 2545, 279794, 426 f.372 Wallraff, Martin VII Waltz, Otto 136963 Wappler, Paul 185, 185173 f., 176, 186, 189195, 207303, 210314 f., 289, 289871, 3651406 Ward, W. Reginald 3199 Wartenberg, Günther 3261111 Weber, Max 30 f.99, 229414, 400184 Weder 53280 Weigand, Wolf Volker 15529 Weigel, Valentin 7 Weinel, Heinrich 38368 Weingarten, Hermann 202–205, 203278, 204281, 207 Weise, Christian 404219 Weiß, Ulman 470 Weizsäcker, Carl Heinrich von 203, 274761 Welck, Heinrich Freiherr von 184166 Wellhausen, Julius 40, 40172 Wenck, Martin 16786 f. Wendebourg, Dorothea 12, 493, 49317 Wendorf, Hermann 3651406 Wenzel, Helene 15839, 196 Werbeck, Wilfried 249572, 274760 f. Wernsdorff, Gottlieb 925 Wessel Gansfort, Johannes 32118, 80, 80506
Wesseling, Klaus-Gunther 38368 Westerburg, Gerhard 497, 49746 Weyel, Birgit 52276 Weyl, Richard 256624 Wiemers, Gerald 127898, 15739 Wiggers, Gustav Friedrich 67390 Wilde, Oscar 106 Wilke, Georg 185175 Wilken, Ambrosius 91594 Williams, George H. 422, 470, 50376 Winckelmann, Otto 353, 3531329 Winkler, Dr. (Leipzig) 16048 Wintzingerode, Wilhelm Clothar Freiherr von 187189 Wischmeyer, Johannes 67390 Wischnath, Michael 112774 Witteveen, Klaas Marten 1033, 1134 f., 37, 39 Wolf, Ernst 66, 66385–387, 67390, 3191062, 3241103, 37518, 384, 38470–74, 386, 38680 f., 85, 387, 38786–90, 390, 390109, 117, 391, 394147, 397, 397165, 416 Wolf, Gustav (1865–1940) 15529, 179139, 180146, 184165, 209313, 210317 Wolf, Gustav 95625, 632, 96638 Wolfes, Matthias 38367 f. Wolff, Richard 1503, 336, 3361190 f., 337, 3371193–1198, 341, 360 Wölfinger, Gisela 203269, 208305 f. Wrede, William 62, 249, 249573, 282, 282816 Wundt, Wilhelm 172103 Wustmann, Gustav 186182 f., 217361 Wustmann, Rudolf 178, 178133, 219373 Yoder, John H. 405222 Zarncke, Eduard 177129 Zedler, Gottfried 186183 Zeeden, Ernst Walter 38891 Ziebritzki, Hennig VIII Ziegler, Andreas 451527, 455567 Ziegler, Clemens 438 Zimmermann, Ingo 431 Zimmermann, Wilhelm 38, 140, 192 Zoepfl, Friedrich 182152 Zorzin, Alejandro VIIf., 715, 94622, 122, 122857–859, 459602, 468, 469676, 471, 478725, 479–481, 481742, 483, 485, 493, 495–497, 49739, 43–45, 47, 49851 f.,499, 49959, 501, 503, 50371–75 Zwilling, Gabriel 93603, 238487, 3221088, 457 Zwingli, Huldrych 48, 21, 25 f., 2659, 27, 2768, 31, 31104, 33, 34, 35, 38157, 59341, 114783, 203, 206, 206289, 230, 239489, 3281125, 397, 401192, 403211, 433, 436, 472, 484, 497
3. Sachen Abendmahlsstreit 1032, 12, 20 f., 24, 31, 31104, 34–36, 36143, 147, 37151, 38, 67, 76, 79–84, 92, 114781, 115, 115788, 214244, 239 f., 241506, 293, 293896, 391, 407, 407231, 410, 433418, 441, 463635, 483 f., 492 f., 497, 500 f.61, 504 Abwertung Karlstadts, orthodoxe 6 f. Abwertung Luthers, radikalpietistische 8, 924, 14, 201, 201264, 488 Allerheiligenstift, Wittenberg 925, 171, 28, 3093, 85543, 87561, 89, 212, 457 Amtsstrukturen von Karlstadts kursächsischen Diensten 9, 87 Antijudaismus 16892, 185175, 210, 210318 Antitrinitarier 54282 Apokryphen, alttestamentliche 48, 48242 Archivalien zu Karlstadt, frühe Editionen von 9, 100 Archivalien zu Karlstadt, jüngere Funde von 467, 469 Archivalien zu Karlstadts Rom-Reise 926 Aufwertung Karlstadts, aufklärerische 7–9, 718, 16, 488 Aufwertung Karlstadts, radikalpietistische 718, 8 f., 38 f., 38156, 65, 65383, 97, 201, 225, 369, 488 Aufwertung Karlstadts, reformierte 7, 24 f., 2545, 27 f., 2984 f., 30 f., 3088, 33 f., 35 f., 38 f., 46, 51, 59, 64, 80, 93, 146, 230 f., 369 Aufwertung Karlstadts, unionistische 20–23, 27, 39, 51, 86, 146, 490 Aussehen, Karlstadts 403211 s. Portraits bzw. graphische Darstellungen, Karlstadts Autographen, ungedruckte Karlstadts 85544 s. Archivalien zu Karlstadt, jüngere Funde von Bauernkrieg 38, 92, 97, 105719, 140, 180147, 181, 191, 191206–209, 192 f., 239, 311, 316 f., 321, 323, 437, 443, 458 Beichte 235, 235458, 242 Bekehrung, Karlstadts 378, 396160, 412, 417 f., 424360, 462, 485, 505 Berufswechsel, Barges Ambitionen auf einen 170 f.100, 198247, 215351
Beutelordnung, Wittenberger 121, 213, 213336, 232, 267–269, 271 f., 272742, 277, 277781, 278 f., 287, 298–301, 300 f.940, 308, 316 f., 323–325, 331–334, 336, 338, 342, 345, 352–355, 3551349, 357, 360 f., 367 f., 373, 501 f. Bibelkritik, neuzeitliche 49 Bildersturm, Orlamünder 358, 502 f. Bildersturm, Wittenberger 117, 1441042, 333, 3551349, 403211, 432, 436 Biographie, Projekte monographischer Karlstadt-Biographien im 19. Jahrhundert 84–90, 214 Biographien des 17. und 18. Jahrhunderts zu Karlstadt 10 f., 1030, 13, 1356, 16 Biographien des 19. Jahrhunderts zu Karlstadt 58 Bischofsamt in der Reformation 458 f. Bruch bzw. Kontinuität in der Karlstadts theologischen Entwicklung 28, 60, 75 f., 78, 80, 89, 93, 371, 399–401, 414 f., 451–454, 468 f. Bruch in Luthers reformatorischer Entwicklung 28, 2882 f., 36, 36144, 38, 81, 201, 201262, 456, 458589, 485, 50161 Calvinismus 7, 238–330 Cevennen-Propheten 35 Charakter, Karlstadts s. psychohistorische Methode Comenius-Gesellschaft 190, 190202, 207, 207297, 276, 286, 314 Consensus Tigurinus 496 Dänemark-Aufenthalt, Karlstadts 135–137, 213, 214343 Dekanatsbuch, Wittenberger 142, 467651 demokratische bzw. republikanische Tendenzen der Reformation 2554, 26, 2658, 2768, 37153, 234, 265, 273, 305 f., 328, 348, 3481295, 427 f. Disputation, Karlstadts mit Prierias 50259 Disputation, Leipziger 1031, 76–78, 77484, 115, 394147, 415279, 416, 468, 485, 50161
590
Register
Disputationen, Karlstadts (in ihrer Textgestalt bisher nicht identifizierte) 171, 143 Disputationsthesen, Wittenberger 14, 136 Dissidentismus 458, 468, 468649, 50061, 504, 507, s. Kryptodissidentismus Dogmengeschichtsschreibung 42184, 67, 107 f., 112, 119, 307, 38367, 404219 Ehrenrettung, Karlstadts 98, 129, 134, 229, 239422, 231, 231434, 235, 243–245, 302944, 366, 38043, 438 Ehrgeiz, als Grundzug von Karlstadts Charakter 61, 98, 199251 s. psycho historische Methode Einheit und Vielfalt der Reformation 1, 12, 26, 79, 116, 119824, 452, 508 Einleitungswissenschaft, neutestament liche 40–43, 45 f. Eitelkeit, als Grundzug von Karlstadts Charakter 61, 75464, 98663, 117, 403211, 442, s. psychohistorische Methode Emanzipation der Frau 24, 2435, 15944 Erscheinungsdaten von Barges KarlstadtBiographie 226 f., 489 Ethik, theologische 55, 55298, 56, 57311, 60348 f., 73, 195, 200, 225, 229414, 236–238, 246, 266, 267703, 328, 362, 380, 38367, 398, 401193, 402, 404, 415, 419, 452536, 453 Evangelienkritik 46, 49251 Fanatismus, als Grundzug von Karlstadts theologischer Entwicklung 2771, 37, 60, 60342, 92 f., 92603, 97, 98, 117, 129920, 200254, 3221088, 324 Forschungsfortschritt 488 Forschungskontroversen um 1900 365 f. freikirchliche Strukturen 204283, 237, 265690, 335, 404219 Freimauerei 190, 190204 f., 202 Frömmigkeitstypen, reformatorische 83, 184, 205–207, 205285, 206290, 244, 253, 263, 320, 344 Geburtsjahr, Karlstadts 461, 466, 491 Gelübdekritik, reformatorische 28, 93, 105715 Gemeindechristentum 118, 15422, 203 f., 204280, 283, 265690, 299, 306 f., 309, 347, 367, 418, 459 Geschichtsschreibung, „unparteiische“ 718, 8, 924, 11 f., 49252, 88, 283827, 465, 474 Gesetz, Stellenwert des alttestamentlichen 1251, 62, 98, 122861, 139, 237478, 246, 251, 254, 257, 297, 342, 344, 359, 410, 417, 417289, 419, 428, 492 Gewaltaffinität, Karlstadts 139
Gewaltfreiheit 504 Gewissensfreiheit 28, 34126, 116, 258, 428, 444 Gewissenszwang 504 Gotteslehre, Karlstadts 60349, 77 Gustav-Adolf-Verein 127898 Gutenberg-Gesellschaft 186, 194 Handexemplare des Autors Karl Müller 273756, 362, 3621397, 364 Handexemplare des Autors Max Goebel 29 f. Hebraistik, Karlstadts 144, 1441037 Heiligenverehrung, Kritik an der 117810, 242, 250, 263, 275, 275768, 316, 392 Hermeneutik, allgemeine 465646 Hermeneutik, biblische 17, 242, 263 Hermeneutik, Karlstadts 474, 50161 Historismus 6, 118, 189, 189 f.201, 196, 208, 337, 350, 369 Humanismus, Geschichte des 141 f., 246, 343, 417, 452, 476710,484 Independentismus 118, 3491300 Intoleranz, religiöse 210314, 211, 240, 329, 349, 504 Jakobusbriefes, kanonische Bedeutung des 11, 47 f., 121 Japan, Kirchengeschichtsschreibung 611 Jesuiten 3261111 Jesus-Paulus-Debatte 282816 Kabbala 473700, 484 Kanon, altkirchliche Diskussion um den 41 f., 41177, 42178 Kanon, neuzeitliche Diskussion um den 41 f., 41177, 46, 49 Kanon, reformatorische Diskussion um den 34, 34130, 46, 49, 49256, 242, 251582, 263 Karlstadt-Artikel, lexikalische 48, 171, 60347, 63, 63374 f., 64 f.375 f., 83525, 100, 100676, 183158, 212, 212329, 331 f., 335, 3351176, 355, 3551350, 370, 385, 38788, 394, 394151, 396160, 398, 398177, 402209, 407231, 456572, 459602, 465645, 466, 466648 f., 467652, 468668, 469 f., 469676, 470686 f., 471688 f., 49745 Karlstadt-Auswahleditionen, projektierte oder realisierte 94–100, 132–134, 146, 377 f., 384 f., 388, 423, 429, 491, 496 f., 50060 Karlstadt-Bibliographien bzw. Werkverzeichnisse 4, 48, 8, 10, 1028 f., 31, 12 f., 1353, 14 f., 16, 183, 183154, 480 Karlstadt-Forschung, Beginn der 488 Karlstadt-Forschung, reformationshistorische Relevanz der 1 f., 14, 149, 254, 489
3. Sachen Karlstadt-Gesamtausgabe, Projekt einer 818, 12 f., 114782 f., 133, 369 f.1416, 498–501, 506 Karlstadt-Luther-Kontroverse, Bezeichnung 1503, 356 Karlstadt-Regesten, Projekt von 16 Karlstadt-Repertoriums, Projekt eines 48 Karlstadt-Schriften, Übersetzungen von 494–496 Karlstadts reformatorische Relevanz 1, 3, 27 f., 115, 437 Karlstadts Wirkungs‑ und Rezeptionsgeschichte, Zusammenfassungen von 7, 400186, 452, 468, 472, 477 Kastenordnung, Leisniger 299930, 332 Katechetik, reformatorische 234 Katholizismus, konfessionstypologische Charakteristik des 24, 45, 55, 83, 1491, 209, 237, 239 f., 253 f., 256622, 263, 287854, 291, 3641405, 428 Kirchengeschichte, Verständnis der 1, 923, 274, 274759 f., 276, 276773, 384 Kirchenkampf 37518, 397170 Kirchenregiment, landesherrliches 2771, 458 Kirchensoziologie 122, 330, 343 f., 347, 479, 505 f. Kirchenzucht 2885, 37151, 237 Kommunalismus 168, 459, 479 Kompositionen, Barges 163 f. konfessionelle Differenzen im KarlstadtBild 11 f. Kongreß, Evangelisch-sozialer 138, 204, 204283 Konjektur, Barges methodologische Befürwortung der 188, 188191, 244, 274 f., 448 Konkordie, Leuenberger 463635 Konkordie, Wittenberger 463635 Korrespondenz mit Eck, Karlstadts 7 Korrespondenz mit Spalatin, Karlstadts 7, 821, 11, 18, 87, 120 f. s. Olearius, Johann Gottfried Korrespondenz, Karlstadts Brief an Kanzler Brück vom 12. August 1528 132 f., 133942 Krankheitsgeschichte, Barges 155–15736, 196242 Krypocalvinismus 7 Kryptodissidentismus 469 f., 507 Kryptoheterodoxie 470, 470482 f. Kryptoradikalismus 470 Laie, Karlstadt als 119, 324 Laienbild, Karlstadts 485 f. , 50161 Laienchristentum 24, 2435, 28, 119, 204, 212331, 244 f., 246549, 250, 292, 306, 328, 344, 3551350, 477
591
Legalismus 62, 251582, 257, 297, 342, 344, 417, 419, 454, 476, s. Gesetz, Stellenwert des alttestamentlichen Lichtfreunde 52 Literaturberichte zu Karlstadt 4, 49 Loci communes, Melanchthons 136 lokal‑ bzw. landesgeschichtliche Annäherungen an Karlstadt 9, 925, 59338 f., 94–100, 100678, 129, 129915, 130929, 147, 231, 345, 356–359, 361, 377, 37728, 385, 461, 479, 490 f., 502 f., 50587 Luther-Predigten, Invocavit-Predigten, 28, 33119, 37151, 153, 265689, 456 f., 470, 470684, 476712 Luther-Schriften, „De captivitate babylonica“ 47 f., De servo arbitrio“ 69414, 76, 78, 397167, „Wider den Abgott zu Halle“ 460, „Wider die himmlischen Propheten“ 611, 62, 74, 74447, 75 f., 79, 81, 98657, 193, 246, 256, 257633, 398 Lutherausgaben, Altenburger 91592, Bonner 224, de Wettes 29, 58, 91, 120, 133, Jenaer 44, 59, Münchner 193, 309, 370, 375, Walchs 10, 1032, 133, 333, Weimarer 120, 193, 223389, 311, 370, 426 f., Wittenberger 133 Luthers Relevanz für die Reformationsgeschichte 1, 2545, 88, 115 Luthertum, konfessionstypologische Charakteristik 24, 2438, 25–27, 34–36, 237 Magistrat, Wittenberger 426 f.372, 443, 457, 502, 50267 Massenbewegung, Reformation als 116 f., 191206, 205287, 234, 236 f., 237478, 264 f., 265691, 273, 275766, 296, 323, 429397 Messe, Reform der 199251, 217362, 242, 251561, 272, 273753, 295–297, 309, 309996, 310 f., 313, 316, 336, 341 f., 432, 457 Methodenstreit des 19. Jahrhunderts 174– 178, 174115, 180 f., 293 monarchische Tendenzen der Reformation 25, 2658, 2768, 71 Musikstreit des 19. Jahrhunderts 164 f., 242514 Mystik, Karlstadts 1142,16, 33, 34, 34126, 42, 50, 52–57, 60–65, 73–75, 80 f., 83, 89, 92, 98, 116, 116803, 117, 117807, 117810 f., 119, 123, 139, 147, 233448, 246, 253, 253599, 254, 256622, 257, 266, 266698, 268, 270, 270728, 285, 288858, 290876, 291, 320, 328–330, 343, 347, 379 f., 38046, 394, 399, 401 f., 404, 407230 f., 415, 418 f., 421, 430, 449, 454,
592
Register
454556, 463 f., 464642, 469, 482–484, 50161, 505 mystische Schriften, Karlstadts 7, 16, 91, 91595 national‑ bzw. völkertypologische Deutungen 26 f., 33, 33120, 170 Nationalsozialer Verein 16682, 167, 16786, 172103 Nationalsozialismus 16049, 16682, 37518, 38367, 434 Nationenbegriff, Barges 169 f. , 175 f. Nationenbegriff, Maurenbrechers 179 f.143 Neuplatonismus 55, 401, 402205, 407, 484 Nomismus 253599, 394, 399, 404, 446, 454, 456, s. Gesetz, Stellenwert des alttestamentlichen Offenbarungsbegriff, Karlstadts 74, 117, 400, 415, 471687 Orthodoxie, Karlstadts Relevanz für die lutherische 10, 251, 379 Pantheismusstreit 349 Pentateuchforschung 42, 46 f., 115 f., 116797 Personalpolitik, nationalsozialistische 160 f. Phänomenologie, Husserls 195234 Pietismus, Forschungsansatz Goebels zum 2214 Pietismus, reformierte Einflüsse auf die Ausbildung des 2445 Pietismus, Rezeption Karlstadts im 7, 818, 25, 379, 469 s. Aufwertung Karlstadts, radikalpietistische Popularisierung von Forschungsergebnissen 492, 423 f., 430–446, 496 Portraits bzw. graphische Darstellungen, Karlstadts 436, 467, 491, 503 Predigerseminar, Erichsburger 234 Predigerseminar, Wittenberger 22, 52, 52276 Priesterehe 458 f. Promotionsverfahren, Göttinger theologisches im 19. Jahrhundert 68–72 Promotor, Karlstadt als Luthers 413270 Protestantismus 12, 21, 23, 25, 33, 42 f., 46, 50, 52 f., 55, 61, 57311, 58, 64, 73, 86550, 92603, 149, 16783, 180, 184, 204 f., 206, 209, 229414, 239 f., 254609, 268, 281, 299, 306, 309 f., 313, 321–324, 337, 3481293, 3491300, 352, 357, 359, 3641405, 3651406, 403211, 452, 457579, 458, 468, 472, 489 Proto-Pietist, Karlstadt als ein 421 Proto-Puritaner, Karlstadt als ein 428, 49531 psychohistorische Methode 20, 26 f., 33, 33120, 34, 34126, 38 f., 50, 60 f., 60347, 88–90, 92603, 98 f., 99669, 115, 117, 189,
201, 210, 242, 244 f., 3221087, 330, 379, 379 f.43, 385, 38579, 412, 414, 422, 428 f., 444, 455, 462–464., 465 f.646, 466647, 479, 487, 490 psychohistorische Methode, theologisch begründete Ablehnung 74 f., 84, 113 Publikzistik, Karlstadts, formalisierende bzw. quantifizierende Annäherung an 122, 480 f. Publizistik, Barges, fachwissenschaftliche 181–195 Puritanismus 30, 39, 117 f., 149, 184, 190250, 203 f., 212331, 228, 235, 244 f., 259, 275766, 292, 306, 3321088, 328 f., 344, 347, 3561350, 403211, 428, 49531 Radikalismus, Karlstadts 2771, 35 f., 37153, 98, 116 f., 122861, 139, 199251, 203, 210314, 237, 321, 391, 398, 420, 422–424, 427, 429397, 435, 470, 488, 493 f.18, 49851, 50161, 50376, 50584 Radikalismus, Luthers 428 Rationalismus 34, 42, 45, 45219, 75, 77, 89, 140998, 210, 391, 402 Recht, römisches 1250, 454 Rechtfertigungslehre 35, 55, 55298, 62, 76, 80, 279–282, 280799, 290, 290874, 313, 3281126, 415, 452537 rechtsgeschichtliche Annäherungen an Karlstadt 96, 266, 270728, 296912, 453, 473702, 476712 Reformationsstrategien 25, 28, 2875, 35, 37151, 116, 409 f., 412–426, 413274, 456572 Reformiertentum, konfessionstypologische Charakteristik 24, 2439, 25–28, 30, 34–36, 50 f., 237 Reichskirchensystem, ottonisches 176122 Religionsbegriff, Karlstadts 254, 292 Religionsbegriff, Lessings 350 Religionsbegriff, Luthers 3641405, 381 Religionsbegriff, Schleiermachers 290, 349 f., 3501304 Religionsfrieden, Augsburger 174110 Religionsgeschichtliche Schule 382 Revolution, frühbürgerliche 429, 431403, 437 Rezensionstätigkeit, Barges 184–190, 213, 215 Rhetorik, Karlstadts 492 Rom-Reise, Karlstadts 9, 926, 50, 50259, 63 f.375, 89, 432, 439, 442, 447 Roman, Karlstadt im historischen 430–446 Römerbriefvorlesung, Luthers 248564, 279 f., 320, 347, 392, 385 Sacharja-Kolleg, Karlstadts 222, 222385
3. Sachen Scholastiker, Karlstadt als 141–145, 233448, 270728, 406, 449 scholastisches Erbe in Karlstadts reformatorischer Theologie 61 f., 80 f., 81510, 425, 452 f. , 469 scholastisches Erbe in Luthers reforma torischer Theologie 36, 80, 81510 scholastisches Erbe in Melanchthons reformatorischer Theologie 37940 Schriftprinzip, reformatorisches 24, 2772, 28, 2984, 30, 33 f., 36, 38153, 42, 124, 263, 400, 416 f. Schulreform, Karlstadts intendierte 818 Sekten, reformatorische 30, 30 f.99, 50, 52 f., 53280, 54, 54282, 57, 73, 116, 138, 185, 205288, 210, 212331, 246, 343 f., 347, 3481293, 357, 359, 404219, 405 Selbstkorrekturen, Luthers 458589, 50061 Seltenheit der Karlstadtschen Schriften, angenommene oder abgelehnte 1137, 12–14, 56303, 64 f., 133, 146 Siegel, Karlstadts 462, 462624 f. Simleriana, Zürcher Sammlung 114782, 120, 120829, 221 Soteriologie 251, 290, 401, 415, 419, 472 sozialhistorische Methodik 189, 429 f., 479, 493, 502, 504 Sozialismus, im Geschichtsunterricht 15944 Sozialismus, religiöser 376, 381 f. Spätmittelalter, Verhältnis der Reformation zum 32, 32118, 263, 266, 329, 332, 37728, 416, 464642, 390117 Spekulation, als Grundzug von Karlstadts Denken 34, 38, 78487, 60, 117810, 201, 251582, 261, 38043, 387, 491 Spinozismus 349 Spiritualismus 33–35, 57311, 62, 62363, 75, 290, 291, 291878, 885 f., 292, 328, 3281126, 344, 347, 349, 387, 390, 390117, 391, 391124, 394, 399–405, 402204, 407, 411, 416281, 417–420, 422, 471687, 471687, 50377, 506 Sprache, Karlstadts 16, 478 f. Staatskirche 236 f., 287851, 308, 308984 f., 309, 309995, 3141026 Stadt‑ und Gemeindeordnung, Wittenberger (1522) 121, 200254, 201, 201260, 211, 277, 342, 355, 428, 49637 Stadtreformation 430, 431403, 459 f. Stammbaum, Karlstadts 461, 461420 Stift, Tübinger 102 f., 106730, 107, 107734, 737, 108741 f., 109–111, 119, 447 Stipendium, Lynckersches 127, 127898, 128, 128900, 904 f., 131934
593
Sündenlehre, Karlstadts 77, 83, 291, 401, 415, 419 Sündenlehre, Luthers 402 Taufe in der Reformation 30, 37153, 56304, 306, 57312, 58, 122, 138, 150, 185 f., 186 f.187, 203, 205 f.289, 208–210, 328, 359, 463635, 477 f., 492, 496–498 Tauler-Predigten, Karlstadts Auseinander setzung mit den 482 f. Thesenreihen, Karlstadts 460, 467 Thesenreihen, serielle Erfassung der Karlstadtschen 460, 460410, 467 Thesenreihen, Wittenberger s. Disputationsthesen, Wittenberger Tiefsinn, als Grundzug von Karlstadts Charakter 33120, 60, 61, 61358, s. psychohistorische Methode Todesdatum, Barges 196242, 197 f.244 Toleranz, religiöse 171100, 209–211, 211319, 225, 240, 306, 330, 349 Tübinger Schule 57, 62364, 63370, 64, 64376, 108, 108741, 112 Turnbewegung des 19. Jahrhunderts 105 f. Union, Preußische 23, 31, 82, 82517 Universitätsgeschichte, Königbergs 53 f.280, 63, 82517 Urevangeliumshypothese 41175, 47 Verbalinspiration der biblischen Schriften 66 Verein für Reformationsgeschichte, apologetische Interessen um 1900 365 f., 3651408, 489 Verhältnisbestimmung Karlstadts zu Luther 8, 20 Vertrag, Passauer 173 Volkskirche 235, 344, 3481293, 357 Vorlesungen, serielle Erfassung der Karlstadtschen 460, 460411 Waldenser 72, 72433, 79, 79493, 191206, 203, 203268, 208304 Widmungsexemplare, Bargescher Schriften 178132, 179141 Widmungsexemplare, Karlstadtscher Schriften 461621 Willensfreiheit, menschliche 76–78 Wissenschaftsgeschichte, Verständnis der 4, 487 Wissenschaftskritik 124, 124 f.880, 394 Wittenberger „Bewegung“, „Unruhen“, „Wirren“ u. a. (1521 f.) 219, 32 f., 32114, 37, 37150 f., 38, 80, 91–93, 98, 116, 123, 139, 149, 193, 201, 228409, 234 f., 238, 240, 244 f., 250, 251581, 252, 254611, 264 f.,
594
Register
271 f., 280, 295, 297, 298 f., 300940, 321, 3221088, 324, 330 f., 334–336, 338–340, 342, 348, 352, 360 f., 366, 373, 402, 412, 413274, 416 f., 423, 425–429, 432, 442 f., 450, 455–461, 468, 471 f., 492, 498, 50161, 50483
Wittenberger Universitätstheologie 426367, 450520, 455569, 471, 473, 493, 49315, 507 Zensur 13 f., 34, 133, 260 Zwickauer Propheten 30, 33, 33119, 35, 37151, 153, 98663, 140, 200254, 291, 412, 458, 50161
4. Schriften Karlstadts (in chronologischer Reihenfolge) De Intentionibus (Freys/Barge, Verzeich nis, S. 154, Nr. 1; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 1): 1573, 87563, 120, 142–145, 449, 469 Distinctiones Thomistarum (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 154 f., Nr. 2; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 2): 1573, 87563, 120, 142–145, 449 Epigramme: 14, 1469, 460, 460612 Johannis pici comitis merandulae conclusiones Quas iniuste et imperite damnarunt Theologi scolastici ac sophiste: sed ipse defendit in apologia egregie [Dreizehn Thesen Giovanni Picos della Mirandola] (von Bubenheimer 1988 Karlstadt zugeschrieben): 467, 467654, 473700, 484, 484769 Centum quinquagintaunum conclusiones de natura, lege et gratia, contra scolasticos et usum comunem. D. A. Carolostadii. [151 bzw. 152 Thesen] (Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. [29]): 14, 87562 f., 135 f., 213, 320, 387, 389, 391, 391125 f., 393 f., 400, 416, 425, 449515, 482, 482753, 485, 494, 49424, 50161 Pro Divinae gratiae defensione. Sanctissimi Augustini De spiritu et litera liber [Augustin-Kommentar] (Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 6A, 6B; S. , Nr. 6C): 12, 87562, 121, 211, 243, 263, 307, 368, 386–396, 396160, 416, 467, 473, 482, 485, 491, 499, 501, 505, 508 CCCLXX et Apologeticae Conclusiones (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 155 f., Nr. 3; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 7): 1031 f., 28, 77, 87563, 101, 245, 38894, 392, 416, 425, 449 f., 450518, 455, 485, 486 Defensio Andreae Carolostadii adversus Eximii D. Ioannis Eckii (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 160, Nr. 10 f.; Zorzin,
Karlstadt, S. , Nr. 8): 1031 f., 87563, 392, 416 Epitome Andree Carolostadii De impii iustificatione (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 161 f., Nr. 13; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 9): 45, 45214, 392, 467 Currus [illustrierter Einblattdruck, sog. Himmel‑ und Höllenwagen] (Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 10 ): 468, 482 Wagen [illustrierter Einblattdruck, sog. Himmel‑ und Höllenwagen] (Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 11): 87, 462, 468, 482, 485 Auszlegung und Lewterung etzlicher heyligenn geschrifften (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 163, Nr. 15; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 12): 482, 485 Epistola Andreae Carolostadii adversus ineptam et ridiculam Ioannis Eckii argutatoris, qui dixit, Lipsiae, cum urgeretur. (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 166–168, Nr. 24 f.; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 14): 45, 45215, 47 Tredecim conclusiones de Christi incarnatione et humani generis reparatione (WA, Bd. 6, S. 26 f.) (die Zuschreibung an Luther wurde 1971 durch Kähler hinterfragt, der für eine Autorschaft Karlstadts votierte): 395 De canonicis scripturis libellus (Freys/ Barge, Verzeichnis, S. 172 f., Nr. 34 f.; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 22): 11, 17, 34130, 39, 42 f., 45–50, 50259, 116, 121–123, 244, 333, 498 Bedingung: Andres Bodenstein von Carolstat: Doctor und Archidiacon zu Vuittemberg (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 173 f., Nr. 36 f.; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 23): 102 f., 103696
596
Register
Von Bepstlicher heylickeit (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 176, Nr. 44; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 25): 122854 Welche bucher Biblisch seint (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 177–179, Nr. 46–48; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 27): 1134, 34130, 47, 49254 Glosse des hochgelehrten, erleuchteten, andächtigen und barmhertzigen Ablaß (von Bubenheimer 1987 Karlstadt zugeschrieben) (Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. (34)): 458, 458602, 496, 49638 Loci tres (Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 35): 1573, 459 f., 468 De legis litera sive carne et spiritu (Freys/ Barge, Verzeichnis, S. 217, Nr. 65 f.; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 37): 218 f., 218366 De scandalo et missa (von Barge, Karlstadt, T. 1, S. 490 f., Karlstadt zugeschrieben und, ebd., S. 491, auf „Ende Oktober oder Anfang November 1521“ datiert; Karlstadts Autorschaft wurde 1973 von Bubenheimer hinterfragt): 456 Von abtuhung der Bylder. Und das keyn Betdler unther den Christen seyn soll (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 226–228, Nr. 87–89; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 48): 121, 277, 277 f.788, 333, 457, 49637
Von dem Sabbat und gebotten feyertagen (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 239–241, Nr. 115–118; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 60): 117 Ob man gemach faren und des ergernüssen der schwachen verschonen soll in sachen so gottis willen angehn (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 311, Nr. 138; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 70): 240498, 49636 Wie sich der gelaub und unglaub gegen dem liecht und finsternus, gegen warheit unn lugen, gegen got und dem teufel halten (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 311 f., Nr. 139 f.; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 71): 1251 Anzeyg etlicher Hauptartickeln Christlicher leere (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 314, Nr. 145; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 73): 392, 398, 398177, 419, 419314 Dyalogus. Von Fremdem glauben, Glauben der kirche, Tauff der Kinnder (Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 78) (von Zorzin 1988 Karlstadt zugeschrieben): 468, 496–498 Axiomata disputationis pro receptione ad facultatem Theologicam gymnasii Basiliensis (Freys/Barge, Verzeichnis, S. 318 f., Nr. 153; Zorzin, Karlstadt, S. , Nr. 82): 14, 1466, 1573, 469