Das Jugendamt als Gemeindewaisenrat [Reprint 2022 ed.] 9783112639764


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Das Jugendamt als Gemeindewaisenrat [Reprint 2022 ed.]
 9783112639764

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P. NIESTROJ

Das Pflegekind 1932.

Oktav.

99 Seiten.

NM 3.-

Die Neuordnung des Pflegekinöerschutzes durch das Reichsjugenöwohlfahrtsgesetz stellte die Zugendämter in erster Linie» aber auch die Vormundschaftsgerichte, die Fürsorgeverbänbe, die Pflegeanstalten, Pflegeeltern und Vormünder vor wichtige neue Auf­ gaben, da ein planmäßiger Pflegekinderschutz vor dem Inkrasttreten des Gesetzes längst nicht überall bestand. Deshalb bespricht der Verfasser alle sich aus den reichs- und landesrechtlichen Be­ stimmungen ergebenden Pflichten und Aufgaben. Gr gibt dazu aus langjähriger fürsorgerischer Arbeit wichtige Hinweise für eine sachgemäße und erfolgreiche Betreuung von Pflegekindern, die den Zugendämtern und ihren Mitarbeitern recht nützlich sein werden.

A. WEGNER

Hugendrecht Gin Lehrbuch zur Ginführung 1929.

Oktav.

IX, 219 Seiten.

RM 6.—, geb. 7.50

„Gin ausgezeichnetes Werk, das sehr übersichtlich die heutige Gestaltung des deutschen Zugendrechts öarstellt. Gs gibt eine Menge einschlägiger Literatur an, verweist auf die entsprechenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches, im NeichsjugendWohlfahrtsgesetz und in den übrigen deutschen Zugendgesetzen." Soziale Arbeit.

Walter de Gruyter & Go., Berlin W10, Genthiner Strasse 38

Das Jugendamt

als Hemeindewaisenrat Von

P. N i e st r o j Staötjugenöamtsleiter

Berlin und Leipzig 1932

Walter öe Gruyter & Go. vormals S. 9. Höschen'sche Verlagshandlung / 9- Huttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl I. Drübner / Veit & Lomp.

Archiv-Nr. 222431

Vorwort. Als ich vor fast fünfundzwanzig Jahren in die praktische Jugend­

fürsorge eintrat, wurde mir die Bedeutung der Einrichtung des Ge­ meindewaisenrats nach dem Bürgerlichen Gesetzbuchs bald klar.

Erfahmng zeigte mir aber, Ahnung hatten.

Die

daß die meisten Menschen davon keine

Daher trug ich mich damals mit dem Gedanken, eine

Schrift erscheinen zu lassen, die ich „Der Gemeindewaisenrat als Zentrale der öffentlichen Jugendfürsorge" benennen wollte.

Der Krieg und der darauf einsetzende Wandel der Gesetzgebung

hinderten mich, ihn zu verwirklichen.

Erst jetzt nahm ich den Plan

wieder auf, da bisher eine größere Arbeit darüber nicht erschienen ist

und auch die Kommentare zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz nur kurz

auf den Gemeindewaisenrat eingehen.

Tas Reichsjugendwohlfahrts­

gesetz wollte aber durch Schaffung der Jugendämter den Gemeinde­

waisenrat in seiner Bedeutung für die öffentliche Jugendfürsorge keines­ wegs beeinträchtigen, vielmehr befestigen und sich erst völlig auswirken lassen.

Das soll die vorliegende Arbeit dartun. Ich übergebe sie unter dem Titel „Das Jugendamt als Gemeindewaisenrat" der Öffentlichkeit mit dem Wunsche,

daß sie von allen beteiligten Kreisen wohlwollend ausgenommen werden und zum Wohle von Deutschlands Jugend beitragen möge. G l a tz, im Oktober 1931.

Polykarp Niestroj.

4

Inhaltsangabe. Vorwort..............................................................

Seite 3

Schriftenverzeichnis:

1. Bücher ................................... 2. Zeitschriften...........................................

Abkürzungen

...............................................................................

6 7 8

Erstes Kapitel. Bom Werden und Wirken des Gemeindewaisenrats bis zum In­ krafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes.

1. Im Bereiche des Preußischen Vormundschaftsordnung .... 9 2. Der Gemeindewaisenrat nach Einführung des Bürgerlichen Ge­ setzbuches ............................... 15 3. Das Wirken des Gemeindewaisenrats ................................................21

Zweites Kapitel. Der Gemeindewaisenrat im Reichsjugendwohlfahrlsgesetz und die Aussührungsbestimmungen der Länder.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Baden . ........................................... 27 Bayern.................................................................................................. 28 Braunschweig.......................................................................................... 30 Hessen....................... 30 Lübeck...................................................................................................... 31 Thüringen.............................................................................................. 31 Württemberg.......................................................................................... 32 Sachsen.................................................................................................. 32 Preußen....................... 33

Inhaltsangabe.

5

Seite Drittel Kapitel. Amt und Aufgaben des Eemeindewaisenrats.

1. Vorschlagspflicht........................................................................................ 37 2. Aufsichtspflicht............................................................................................ 39 3. Anzeigepflicht.................................................. 44

4. Auskunftspflicht............................................................................................ 47 Viertes Kapitel. Rechte und Verantwortlichkeit des Eemeindewaisenrats.

1. Rechte............................................................................................................. 49 2. Haftpflicht.....................................................................................................51 3. Amtsverschwiegenheit......................... 53

Fünftes Kapitel. Aufbau und Ausbau des Eemeindewaisenrats.

1. Bürodienst.................... 55 2. Nachrichtendienst.................................................................................56 3. Außendienst................... .....

.................................. ............................ 59

Anhang. Anlage A:

Vordrucke fürJugendämter

alsGemeindewaisenrat

Anlage B: Geschäftsanweisung für Mitglieder des Jugendamts als Gemeindewaisenrat (Waisenräte) . .

Sachregister

. .

67 79

89

6

Schriftenverzeichnis. 1. Bücher. B auin, F., Die Pflichten des Waisenrats. Berlin 1901, I. I. Heines Verlag. Cuno-Schmidt, Die Organisation der Gemeindewaisenpflege. Leipzig 1900, Duncker & Humblot. Dienstanweisung für die Ortsjugendräte und Ortsjugendhelfer in Baden. Amtliche Ausgabe. Karlsruhe 1926, Badenia A.-G. für Verlag und Druckerei. Entwurf eines Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes. Reichstag I. 1920/21, Drucksache Nr. 1666. Carl Heymanns Verlag, Berlin. F i ch t l, Franz, Dr., Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt mit den Aus­ führungsgesetzen sämtlicher Länder. Zweite Auflage. München 1926, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung. Friedeberg-Polligkeit, Reichsjugendwohlfahrtsgesetz. Zweite Auflage. Berlin 1929, Carl Heymanns Verlag. Friedeberg-Polligkeit, Landesrechtliche Ausführungs­ bestimmungen zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz. Berlin 1930, Carl Heymanns Verlag. G o e tz e, W., Dr., Das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt und das preußische Ausführungsgesetz. Berlin 1924, Franz Bahlen. Gimmerthal, Max, Der deutsche, Waisenrat. München, Berlin, Leipzig 1910, I. Schweitzer (Arthur Sellier). Koepke, A., Leitfaden für Waisenräte und Waisenpflegerinnen. Neumark (Westpreußen) 1910, I. Koepke. Landsberg, I. F., Bormundschaftsgericht und Ersatzerziehung. Berlin 1913, Verlag Julius Springer. Heft 1 von Fortschritte des Kinderschutzes und der Jugendfürsorge. Laut, Hans, Dr., Deutsches Jugendrecht. M.-Gladbach 1927, Volks­ vereinsverlag. Lorenz, Dr., Aufgaben und Durchführung der Waisenpslege. Berlin 1913, Carl Heymanns Verlag. N i e st r o j, P., Vormundschaftsrecht und Vormundschaftsführung nach dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz. Freiburg i. Br. 1925, Caritas ! Verlag. Niestroj, P., Die Berufsvormundschaft und ihre Probleme. Berlin 1913, Verlag Gustav Ziems en. Niestroj, P., Der praktische Vormund und Pfleger. Zweite Auf­ lage. Berlin 1916, Verlag Gustav Ziemsen.

Schriftenverzeichnis.

7

Peters, Karl Gustav, Um die Seele des Waisenkindes. Verlag der Buchhandlung Ludwig Auer, Donauwörth. Peters, Karl Gustav, Um die Seele der Asozialen. Freiburg i. Br* 1926, Caritasverlag. Petersen, I., Dr., Gedanken über die Organisation der Jugend­ fürsorge. Berlin 1912, Carl Heymanns Verlag. Pfister, B., Der Waisenrat. München 1913, Verlag I. Schweitzer. Polligkeit, W., Dr., und Blumenthal, P., Dr., Das preußische Ausführungsgesetz zum Ncichsjugendwohlfahrtsgesetz. Berlin 1925, Carl Heymanns Verlag. Pütter, E., Die Vereinigung der Fürsorgcbestrcbungen in einer Gemeinde. Berlin 1911, Norddeutsche Verlagsgesellschast m. b. H. Sommer, P., Tas Amt des Waiscnrais. Koblenz l£09, Verlag W. Redhardt. W e i ß w e i l e r , I., Leitfaden für preußische Gemeindcwaisenräte. Zwanzigste Auflage. Berlin 1912, Verlag Carl Meyer. W e i t p e r t, K., Dr., Wegweiser für den Vormund. München 1927, Bayerische Druckerei und Verlagsanstalt G. m. b. H. Vorstand des Caritasverbandes, Die staatliche und gemeind­ liche Jugendfürsorge und die Caritas. Freiburg i. Br. 1912, Caritas­ verlag. Zur Frage der Berufsvormundschaft. Heft 10. Berlin 1917, Carl Hcymanns Verlag.

2. Zeitschriften. Blätter für AnstaltsPädagogik. Verlag der Buchhandlung Ludwig Auer, Donauwörth. Caritas. Caritasverlag, Freiburg i. Br. Die Jugendfürsorge. Verlag M. Behm, Berlin. Jugendwohl. Caritasverlag, Freiburg i. Br. Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Für­ sorge, Frankfurt a. M., Stiftstraße 30. Volkswohlfahrt. Carl Heymanns Verlag, Berlin.

8

Abkürzungen. Abs.................

. . . BGB. . . . . ff.................... .

a. a. O.

. . Absatz. . . am angegebenen Orte. . . Bürgerliches Gesetzbuch.

. . und folgende. FGG. . . . . . . . Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. GW. . . .

g. R.

. . .

k. H

. . .

gegen Rückgabe.

Nr

. . .

kurzer Hand.

Gemeindewaisenrat.

. . .

Nummer.

S

. . .

Reichsjugendwohlfahrtsgesetz.

usw

. . .

Seite.

VG

. . . und so weiter.

RJWG.

. .

V

. . .

vgl

. . .

Verfügung.

z. B

. . .

vergleiche.

. . .

zum Beispiel.

Vormundschaftsgericht.

Erstes Kapitel.

Vom Werden und Wirken des Hemeindewaisenrats bis zum Inkrafttreten des Reichsjugendwohlfahrtsgeseyes, 1. Im Bereiche der Preußischen Bormundschaftsordnung. Bei dem historischen Erfassen der Institution des Gemeindewaisen­ rats stoßen wir in letzter Linie auf die Preußische Vormundschafts­ ordnung vom 5. Juli 1875, die mit Wirkung vom 1. Januar 1876 folgendes darüber sagte:

„§ 52. Dem Vormundschaftsgericht sind für jede Gemeinde oder für örtlich abzugrenzende Gemeindeteile ein oder mehrere Gemeinde­ mitglieder als Waisenräte zur Seite zu setzen. Für benachbarte Gemeindebezirke können dieselben Personen zu Waisenräten bestellt werden. Das Amt eines Waisenrats ist ein unentgeltliches Gemeindeamt. Durch Beschluß der Gemeindebehörde kann das Amt des Waisen­ rats besonderen Abteilungen der Gemeindeverwaltung übertragen oder mit schon bestehenden Organen der Gemeindeverwaltung verbunden werden. Auf selbständige Gutsbezirke finden die vorstehenden Bestimmungen mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß die Waisenräte von dem Gutsvorsteher ernannt werden.

§ 53. Der Waisenrat hat die Aufsicht über das persönliche Wohl des Mündels und über dessen Erziehung zu führen, insbesondere Mängel oder Pflichtwidrigkeiten, welche er bei der körperlichen oder sittlichen Erziehung des Mündels wahrnimmt, anzuzeigen, auch auf Erfordem über die Person des Mündels Auskunft zu erteilen. Er hat diejenigen Personen vorzuschlagen, welche im einzelnen Falle zur Berufung als Vormund oder Gegenvormund geeignet er­ scheinen. § 54. Das Vormundschaftsgericht hat dem Waisenrat des Bezirks, in welchem der Mündel wohnt, von der einzuleitenden Vormundschaft

10

I. Kapitel. Der Gemeindewaisenrat bis zum Inkrafttreten des RJWG.

sowie in den Fällen des zweiten Absatzes § 12 *) und des § 13 **) von der gesetzlichen Vormundschaft Kenntnis zu geben und den Vor­ mund namhaft zu machen. Von einer Verlegung der Wohnung des Mündels in eine andere Gemeinde oder einen anderen Bezirk hat der Vormund den Waisenrat zu benachrichtigen. Dieser hat dem Maisenrat des neuen Aufenthalts­ ortes Kenntnis zu geben." Preußen stellte damit seine Gemeinden vor schwerwiegende Auf­ gaben, denen sie sich praktisch nicht entziehen konnten, deren Durch­ führung aber von den Persönlichkeiten abhing, die sie ehrenamtlich, also neben ihrem Beruf, erledigen sollten. Dem Gesetz entsprechend bildete der Einzelwaisenrat die Regel. In Städten wurden je nach der Zahl der unter Vormundschaft stehenden Personen einige oder mehrere Bürger zu Waisenräten bestellt. So wurde üt Glatz schon am 8. Dezember 1875 eine Ortssatzung erlassen, die

1. für 463 Mündel fünf Waisenräte vorsah.

2. Die Wahl

erfolgte gemäß § 59 der Städteordnung vom 30. Mai 1853 auf drei Jahre durch die Stadtverordnetenversammlung.

3. Die Verteilung der Mündel geschah möglichst gleichmäßig nach dem Alphabet. Jeder Waisenrat verkehrte mit dem Vormund­ schaftsgericht selbständig. 4. Die Waisenräte bildeten ein Kollegium, das einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter wählte und sich „Gemeindew a i s e n r a t s a m t" nannte. Sie traten nach Bedarf zu Beratungen zusammen. Von der gesetzlichen Möglichkeit, das Amt des Waisenrats besonderen Abteilungen der Gemeindeverwaltung zu übertragen oder mit schon bestehenden Organen der Gemeindeverwaltung zu verbinden, wurde zunächst wenig oder gar nicht Gebrauch gemacht. Es war Neu­ land, auf dem sich die Gemeinden erst zurechtfinden mußten. So walteten die Waisenräte entsprechend ihrer Zeit, Befähigung und Gewissenhaftigkeit ihres Amtes. Leicht war für sie die Arbeit sicher

*) Über ein uneheliches Kind wird der Vater der unehelichen Mutter gesetzlicher Vormund, solange das Vormundschastsgericht nicht einen anderen Vormund bestellt. **) Über ein Mündel, welches in eine unter Verwaltung des Staates oder der Gemeindebehörde stehende Verpflegungsanstalt ausgenommen ist, hat bis zu dessen Großjährigkeit der Vorstand der Anstalt die Rechte und Pflichten eines gesetzlichen Vormundes, solange das Vormundschafts­ gericht nicht einen anderen Vormund bestellt.

1. Im Bereiche der Preußischen Vormundschaftsordnung.

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nicht. Von ihnen wurde nach unseren heutigen Begriffen fast Un­ mögliches verlangt. Wie sollte jemand eine größere Mündelzahl und deren Vormünder ehrenamtlich überwachen? Tas Bewußtsein hierfür und die Erfassung der Wichtigkeit des Gemeindewaisenratsamtes drang daher bald in weitere Kreise, wie wir aus einer Eingabe des Gemeindekirchenrats der evangelischen Zivilgemeinde zu Glatz vom 21. Januar 1881 an den Magistrat und das Vormundschaftsgericht entnehmen, in der um Vermehrung der Maisenräte und Verteilung der Mündel auf konfessionsgleiche Maisenräte gebeten wird. In der Begründung wird das erzieherische Moment besonders hervorgehoben, indem es heißt: „Je sorgfältiger die Erziehung der Mündel betrieben und beaufsichtigt wird, desto besser müssen sich die Ergebnisse gestalten, und je tiefer und fester wahre Sittlichkeit die Bürger und Mitglieder der Stadtgemeinde beseelt, desto besser und schöner wird es um das Gemeindewesen der Stadt überhaupt bestellt sein; — ja sogar in finan­ zieller Beziehung werden die wohltätigen Folgen nicht ausbleiben, weil schon der Ausgabeetat in den Rubriken der Armenpflege und der Polizei nicht unerheblich entlastet werden muß. Mahre Sittlichkeit aber kann nur erwachsen auf der Grundlage der Religion und — weil es keine Religion ohne Bekenntnis gibt — nur auf der Grundlage der vom Geiste des speziellen Bekenntnisses vollkommen durchdrungenen Erziehung. Jeder Versuch, bas Bekenntnis zu verwischen, hat, wie die Erfahrung gezeigt, weder zum Frieden unter den Konfessionen — das gerade Gegenteil ist der Fall — noch zur Hebung der Religiosität beigetragen, sondern muß, besonders im Kindesgemüt, Verwirrung, mindestens religiösen Jndifferentismus herbeisühren. Eine religiöse, die Grundlage und Bedingung aller Sittlichkeit bildende Erziehung ist darum nur denkbar, wenn sie vollkommen von dem Geiste des Be­ kenntnisses durchdrungen ist, und wenn alle dabei milwirkenden Faktoren, das ist der Vormund und der Waisenrat, von demselben Bekenntnisse sind wie das Mündel, und wenn diese Faktoren zusammen­ wirken mit den innerhalb der Kirche zu gleichem Werke mitberufenen Organen. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die in hiesiger Stadt bestellten fünf Maisenräte dieses Amt — als ein Ehrenamt — neben ihrem bürgerlichen Berufe zu führen haben. Die ihnen nach der Vormund­ schaftsordnung obliegenden Geschäfte der Ermittelung und des Vor­ schlages von Vormündern, Gegenvormündem und Pflegern und die damit verbundene Korrespondenz und Listenfühmng, die Benach­ richtigungen an auswärtige Waisenräte und andere dergleichen formelle Geschäfte bilden demnach schon eine beträchtliche Geschäftslast, neben

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I. Kapitel. Der Gemeindewatsenrat bis zum Inkrafttreten des RJWG.

deren prompter und gewissenhafter Erledigung die in § 53 der Vor­ mundschaftsordnung dem Waisenrat übertragene Aufsicht über das persönliche Wohl der Mündel und über deren Erziehung dem einzelnen Waisenrate entweder unverhältnismäßige Opfer an Zeit und Mühe auferlegen oder nicht mit genügender Sorg­ falt ausgeführt werden wird. Denn diese Aufsicht erfordert sowohl nach dem Sinne und Wortlaut des Gesetzes als nach ihrem klaren Zwecke ein häufiges persönliches Aufsuchen der Mündel, ein fort­ währendes Zusehen mit eigenen Augen. Dies ist aber bei der Anzahl von Vormundschaften, welche in hiesiger Stadt zu beaufsichtigen sind, und neben dem eigenen Berufe des Waisenrats, der doch sicherlich durch das übernommene Ehrenamt nicht leiden soll, sowie neben den übrigen dem Waisenrate obliegenden Geschäften mehr formeller Natur eine Geschäftslast, welche zu bewältigen ihm kaum zugemutet werden kann. Der Stadtgemeinde aber kann unsers Erachtens selbst nur daran liegen, daß dieses für das Wohl der Stadt so unendlich wichtige Amt auf das allersorgfältigste geführt werde — und dies muß, wie wir meinen, zu einer erheblichen Vermehrung der Anzahl der Waisenräte führen." Nicht überall aber war ein solcher Erfassen der Bedeutung der Einrichtung des Gemeindewaisenrats vorhanden. Zumeist fehlte es an geschulten, über die genügende Zeit verfügenden Kräften für dieses Amt. Die Aufsichtsbehörden suchten es daher in wiederholten Er­ lassen dem Volke näherzubringen, indem sie auf die vorhandenen Organisationsmängel Hinwiesen und Vorschläge zum besseren Ausbau machten. Von besonderer Wichtigkeit ist ein Erlaß des Preußischen Mini­ steriums des Innern, dessen Gedanken am 21. Dezember 1892 durch die Regierung Breslau an sämtliche Magistrate dieses Bezirks bei I. V. 4200, wie folgt, weitergegeben wurden: „Seitens des Herrn Ministers des Innern sind in bezug auf die Bestellung und Amtswirksamkeit der Waisenräte nachfolgende Be­ stimmungen erlassen worden:

1. Insoweit eine geeignete Begrenzung der Waisenratsbezirke noch nicht stattgefunden hat, ist auf die Beseitigung der in dieser Hinsicht noch vorhandenen oder etwa künftig entstehenden Mängel hinzuwirken.

2. Anlangend die Auswahl der zu Waisenräten zu emennenden Personen, so werden die hierbei hervorgetretenen Übelstände gehoben werden können, wenn in den städtischen Gemeinden die Verbindung des Amtes der Waisenräte mit den Organen der Armenverwaltung allgemein in der Art zur Durchführung gelangt, daß die Armenpfleger

1. Im Bereiche der Preußischen Bormundschaftsordnung.

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als Waisenräte tätig sind, während die städtische Ärmendeputation den Verkehr der Waisenräte mit den Behörden vermittelt. Organi­ sationen ähnlicher Art bestehen bereits in zahlreichen Städten. So ist z. B. hier in Breslau durch eine Instruktion vom 30. September 1889 bestimmt worden, daß die Bezirksvorsteher zugleich als Waisen­ räte fungieren und in dieser Eigenschaft vom Magistrat durch das Waisen­ amt und die Waisendirektion beaufsichtigt werden. In Schweidnitz ferner beabsichtigen die städtischen Behörden eine Einrichtung ins Leben zu rufen, wonach ein Ausschuß des Magistrats als sogenannter Zentral­ waisenrat den Waisenräten als beratende und beaufsichtigende Ge­ schäftsstelle zugeordnet wird, die den Schriftverkehr mit dem Vor­ mundschaftsgerichte vermittelt, die Waisenräte über den Wohnungs­ wechsel der Mündel und Vormünder auf dem Laufenden erhält und sich mit den Waisenräten unter Zuziehung des Vormundschaftsrichters behufs Besprechung von Mündelangelegenheiten zu regelmäßigen Sitzungen vereinigt. Derartige Organisationen liegen im Interesse eines geregelten Zusammenwirkens der hier in Frage kommenden Personen und Behörden, und ihre Einfühmng empfiehlt sich namentlich in größeren Städten. Insoweit es aber, wie auf dem platten Lande, nicht angängig ist, ähnliche Einrichtungen zu treffen, ist bei der Aus­ wahl der mit dem Waisenratsamte zu betrauenden Personen die An­ wendung besonderer Sorgfalt um so mehr geboten. Dabei ist zu be­ merken, daß die bereits mehrfach erfolgte Übertragung des Amtes der Waisenräte an Geistliche sich durchaus bewährt hat. Es wird aber darauf Bedacht zu nehmen sein, daß die betreffenden Geistlichen der­ selben Konfession angehören wie die Mündel.

3. Der Herr Justizminister ist bereit, die Gerichtsschreiber bei den Vormundschaftsgerichten anweisen zu lassen, in allen Fällen, in denen künftig eine Vormundschaft über minderjährige Personen eingeleitet wird oder aus einem anderen Gmnde als wegen Eintrittes der Groß­ jährigkeit, z. B- infolge der Legitimation des Kindes durch nachfolgende Ehe oder der Großjährigkeitserklärung, aufhört, hiervon der Polizei­ behörde des Aufenthaltsortes des Mündels eine kurze formularmäßige Mitteilung zu machen. Auf diese Weise werden die Polizeibehörden zwar nicht sofort, aber doch im Laufe der Zeit von den in ihrem Be­ zirke vorkommenden Bevormundungen zuverlässige Kenntnis erhalten.

Die angegebene Maßregel wird dem praktischen Bedürfnisse im wesentlichen genügen. 4. Weiterhin kommen die unter Beteiligung oder, was vorzuziehen ist, unter dem Vorsitze des Vormundschafts­ richters abzuhaltenden Waisenratssitzungen in Betracht, wie

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I. Kapitel. Der Gemeindewaisenrat bis zum Inkrafttreten des RJWG.

solche bereits in fast allen Kreisen der Rheinprovinz stattfinden. Da sich diese Einrichtung praktisch bewährt hat, so ist ihre Durchführung in sämtlichen Provinzen, und zwar tunlichst auch auf dem Lande, sehr erwünscht. Einer allgemeinen Vorbereitung dieser Zusammenkünfte ist indessen bisher die Kostenfrage hinderlich gewesen, indem es weder den Richtern noch den Waisenräten zugemutet werden kann, die durch ihre Teilnahme an den Sitzungen entstehenden Kosten aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Um indessen zunächst über die hierdurch der Staatskasse erwachsenden Ausgaben einen Überblick zu gewinnen, bedarf es einmal der Feststellung, in welchem Umfange ein Bedürfnis besteht, Waisenratssitzungen außerhalb einer Entfernung von zwei Kilometern vom Amtsgerichtssitze stattfinden zu lassen. Er­ mittelungen in dieser Beziehung sind im Gange, und es wird nach Ab­ schluß derselben weitere Verfügung in bezug auf diesen Punkt ergehen. Dabei wird bemerkt, daß ein ein- oder zweimaliges im Laufe eines Jahres stattfindendes Zusammentreten der Waisenräte für aus­ reichend, dagegen andererseits für notwendig erachtet wird, auf eine geeignete Verbindung der Waisenratssitzungen mit den außerhalb des Gerichtssitzes abzuhaltenden Gerichtstagen, wo solche eingerichtet sind, Bedacht zu nehmen. 5. Indem ferner auf die Nützlichkeit der in Gelsenkirchen, Königs­ berg, Bromberg und im Regiemngsbezirk Aachen bestehenden sowie für 21 Städte der Provinz Schleswig-Holstein in Aussicht genommenen Einrichtung, die Waisenräte zu verpflichten, die Mündel mindestens halbjährlich zu besuchen, besondere Mündelbücher zu führen, das Be­ merkenswerte über ihre Besuche darin einzutragen und in den unter Beteiligung des Vormundschaftsrichters abzuhaltenden Sitzungen zur Sprache zu bringen, hiermit hingewiesen wird, muß es der freien Ent­ schließung der Gemeinden überlassen bleiben, ob sie die Mündelbesuche fordern wollen. Dagegen haben die Gemeindebehörden allgemein zu prüfen, welche einzelnen Maßregeln sonst etwa nach den örtlichen Be­ dürfnissen zu treffen sind. Insoweit seitens der Gemeinden nicht das Erforderliche geschehen sollte, würden die Polizeibehörden auf die Schaffung der durch das örtliche Bedürfnis gebotenen Einrichtungen hinzuwirken haben."

Die Institution des Gemeindewaisenrats wurde dann im Sinne dieser Anregungen und Erfahrungen ausgebaut, so daß die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches recht daran taten, sie trotz aller Mängel, die sich bemerkbar machten, im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich zu verankern; denn „es unterliegt keinem Zweifel," heißt es

2. Der Gemeindewaisenrat nach Einführung des BGB.

15

in den Motiven zum BGB.,*) „daß der Gemeinde der Beruf und die Fähigkeit zur Beteiligung am Vormundschaftswesen nicht bestritten werden kann. Die Gemeinde hat an der Pflege des Rechtsstandes ihrer Bürger, an dem Gedeihen des Heranwachsenden Geschlechts ein ähnliches Interesse wie der Staat."

2. Der Gemeindewaisenrat nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat die Bestimmungen der Preußischen Vormundschaftsordnung über den Gemeindewaisenrat fast wörtlich übemommen und sie damit zum Reichsrecht erhoben, den Ausbau jedoch der Landesgejetzgebung überlassen. Das Reich konnte und wollte nicht die Organisation dieses Amtes, das den Ländem mit Ausnahme von Preußen mehr oder weniger neu war, einheitlich gestalten, weil die Verhältnisse in den einzelnen deutschen Gauen zu verschieden sind, um eine Form ertragen zu können.

Im Abschnitt von der Vormundschaft heißt es daher dort: „4. Mitwirkung des Gemeindewaisenrats.

§ 1849. Der Gemeindewaisenrat hat dem Vormundschaftsgerichte die Personen vorzuschlagen, die sich im einzelnen Falle zum Vormunde, Gegenvormund oder Mitglied eines Familienrats eignen. § 1850. Der Gemeindewaisenrat hat in Unterstützung des Vor­ mundschaftsgerichts darüber zu wachen, daß die Vormünder der sich in seinem Bezirk aufhaltenden Mündel für die Person der Mündel, insbesondere für ihre Erziehung und ihre körperliche Pflege, pflicht­ mäßig Sorge tragen. Er hat dem Vormundschaftsgerichte Mängel und Pflichtwidrigkeiten, die er in dieser Hinsicht wahrnimmt, anzuzeigen und auf Erfordern über das persönliche Ergehen und das Verhalten eines Mündels Auskunft zu erteilen. Erlangt der Gemeindewaisenrat Kenntnis von einer Gefährdung des Vermögens eines Mündels, so hat er dem Vormundschaftsgericht Anzeige zu machen.

§ 1851. Das Vormundschaftsgericht hat dem Gemeindewaisenrate die Anordnung der Vormundschaft über einen sich in dessen Bezirk aufhaltenden Mündel unter Bezeichnung des Vormundes und des Gegenvormundes sowie einen in der Person des Vormundes oder des Gegenvormundes eintretenden Wechsel mitzuteilen.

*) Band IV S. 1016 ff.

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I. Kapitel. Der Gemeindewaisenrat bis zum Inkrafttreten des RJWG.

Wird der Aufenthalt eines Mündels in den Bezirk eines anderen Gemeindewaisenrats verlegt, so hat der Vormund dem Gemeinde­ waisenrate des bisherigen Aufenthaltsorts und dieser dem Gemeinde­ waisenrate des neuen Aufenthaltsorts die Verlegung mitzuteilen."

Außerdem geschieht noch in § 1675 BGB. und in § 49 FGG. vom 17. Mai 1898 des Gemeindewaisenrats Erwähnung, wie folgt: „§ 1675 BGB. Der Gemeindewaisenrat hat dem Vormundschafts­ gericht Anzeige zu machen, wenn ein Fall zu seiner Kenntnis gelangt, in welchem das Vormundschaftsgericht zum Einschreiten berufen ist."

„§ 49 FGG. Erlangt der Gemeindewaisenrat von einem Falle Kenntnis, in welchem ein Vormund, ein Gegenvormund oder ein Pfleger zu bestellen ist, so hat er dem Vormundschaftsgericht Anzeige zu machen. Zugleich soll er die Person Vorschlägen, die sich zum Vor­ munde, Gegenvormunde oder Pfleger eignet." Als nun am 1. Januar 1900 das BGB. in Kraft trat, hatte es Preußen sehr leicht, die Organisation des Gemeindewaisenrats zu schaffen. Es bestätigte die dort schon fünfundzwanzig Jahre be­ stehende Einrichtung und gab ihr einige Verbesserungen, indem es im Artikel 77 seines Ausführungsgesetzes zum BGB. bestimmte:

„§ 1. Für jede Gemeinde oder für örtlich abzugrenzende Ge­ meindeteile sind ein oder mehrere Gemeindemitglieder als Gemeinde­ waisenrat zu bestellen. — Für benachbarte Gemeindebezirke können dieselben Personen bestellt werden. Das Amt eines Waisenrats ist ein unentgeltliches Gemeindeamt. Durch Beschluß der Gemeindebehörde können die dem Gemeinde­ waisenrat obliegenden Verrichtungen besonderen Abteilungen oder schon bestehenden Organen der Gemeindeverwaltung übertragen werden. Auf selbständige Gutsbezirke finden diese Vorschriften mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, daß der Waisenrat von dem Gutsvorsteher ernannt wird. Die bisherigen Waisenräte bleiben im Amte.

§ 2. Zur Unterstützung des Gemeindewaisenrats können Frauen, die hierzu bereit sind, als Waisenpflegerinnen widerruflich bestellt werden. Die Zuständigkeit für die Bestellung bestimmt sich nach den für die Bestellung der Waisenräte maßgebenden Vorschriften. Die Waisenpflegerinnen haben unter der Leitung des Gemeinde­ waisenrats bei der Beaufsichtigung der im Kindesalter stehenden Mündel und bei der Überwachung weiblicher Mündel mitzuwirken."

2. Der Gemeindewatsenrat nach Einführung des BGB.

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Die Gemeindewaisenräte waren also Organe der Gemeinde, un­ abhängig vom Vormundschaftsgericht, bestimmt, Hilfsorgane desselben zu sein, aber seiner Disziplinargewalt nicht unterworfen. Eine all­ gemeine Ministerialanweisung über die Geschäftsfühmng ist nicht er­ gangen, nur war den Gemeinden empfohlen, Geistliche zu den Sitzungen des Gemeindewaisenrats zuzuziehen und Versammlungen der Gemeinde­ waisenräte unter Zuziehung der Vormundschaftsrichter abzuhalten. In Bayern bestand der Gemeindewaisenrat in Gemeinden mit städtischer Verfassung oder mehr als 5000 Einwohnern aus dem Bürgermeister und mehreren Waisenräten, in den übrigen Gemeinden fungierten Einzelpersonen. In Gemeinden mit mehr als 100 000 Ein­ wohnern konnten mehrere Gemeindewaisenräte für Teile des Stadt­ bezirks gebildet werden. Der Gemeindewaisenrat konnte Frauen als Waisenpflegerinnen mit gleichen Aufgaben wie in Preußen widermflich bestellen. Die Geschäftsfühmng wurde durch die Staatsministerien der Justiz und des Innern geregelt. Zusammenkünfte unter Leitung des Vormundschaftsgerichts waren vorgesehen. Auch in Oldenburg, Mecklenburg und Braun­ schweig war das Amt ein unbesoldetes Gemeindeamt. In Mecklen­ burg konnten in den Städten die Magistrate das Amt besonderen Be­ hörden der städtischen Verwaltung übertragen oder mit bestehenden verbinden, ebenso konnte in Braunschweig in den Städten durch orts­ statutarische Bestimmung das Amt bestimmten städtischen Beamten übertragen werden. In Mecklenburg und in den Städten Braunschweigs konnten kraft statutarischer Bestimmung Frauen als Waisenpflegerinnen mit gleichen Aufgaben wie in Preußen bestellt werden. Der Charakter des Gemeindewaisenrats als Organ der Gemeindeverwaltung wurde auch in dem Württembergischen Ausführungsgesetz vom 28. Juli 1899 betont: Die dem Gemeindewaisenrat obliegenden Verrichtungen wurden vom Gemeinderat oder in größeren Gemeinden von einer Abteilung desselben wahrgenommen. Zur Unterstützung bei Beaufsichtigung der im Kindesalter stehenden Mündel konnten ehrbare Frauen, welche hierzu bereit waren, als Waisenpflegerinnen widerruflich be­ stellt werden. Die Dienstaufsicht führten wie bei dem gemeindlichen Vormundschaftsgericht die ordentlichen Gerichte. In Baden hatte nach dem Rechtspolizeigesetz vom 17. Juni 1899 der Gemeinderat einen oder mehrere Personen — auch Frauen — als Gemeindewaisenräte mit der Eigenschaft von Gemeindebeamten auf sechs Jahre zu ernennen, auch bei mehreren die Geschäfte unter ihnen zu verteilen. In Städten konnten die Geschäfte durch Ortsstatut einer bestehenden Kommission übertragen oder dazu eine besondere Kommission gebildet werden. Niestroj, Gemeindewaisenrat.

2

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I. Kapitel. Der Gemeindewaisenrat bis zum Inkrafttreten des RJWG.

Die Dienstaufsicht wurde vom Gemeinderat und vom Amtsgericht ausgeübt, letzteres konnte Warnungen, Rügen, Geldstrafen bis 40 Mark verhängen. Nähere Vorschriften enthielt die Badische Rechtspolizei­ ordnung vom 23. November 1899 (§§ 78—81). Insbesondere war bestimmt, daß alljährlich die Vormundschaftsgerichte die anhängigen Vormundschaften und Pflegeschaften mit den Waisenräten auf Gmnd der von dem Amtsgericht und dem Waisenrat geführten Verzeichnisse durchgehen sollten.*) In Lübeck wählte der Senat auf Vorschlag des Gemeinde­ waisenrats den einzelnen Waisenrat. Das Stadt- oder Landamt ver­ teilte die Geschäfte unter den Waisenräten, beaufsichtigte und vertrat sie nach außen. Gegen die Entscheidung dieser Ämter war Beschwerde an den Senat zulässig. In Sachsen-Gotha hatte die Gemeindevertretung den Waisenrat zu wählen, der dann von der Bezirksverwaltung bestellt wurde. In Waldeck wählte der Gemeinderat den Waisenrat. In Hamburg waren die Geschäfte des Gemeindewaisenrats dem Waisenhauskollegium übertragen. Für das übrige hamburgische Staatsgebiet lag die Organisation den Gemeindebehörden ob. In Ermangelung anderweiter Beschlußfassung fungierte der Gemeinde­ vorstand als Gemeindewaisenrat. In Bremen hatte, soweit nicht durch Gemeindebeschluß etwas anderes festgestellt war, in den Hafenstädten der Stadtrat, in den Land­ gemeinden der Gemeindevorsteher die Geschäfte des Gemeindewaisen­ rats zu übernehmen. In der Stadt Bremen war das Amt des Ge­ meindewaisenrats mit der Stadt-Bremischen Armenpflege verbunden, welche insoweit die Bezeichnung „Stadt-Bremisches Waisenamt" führte. Schärfer wurde der Charakter des Gemeindewaisenrats als zwar von der Gemeinde zu bestellende, aber nur dem Vormundschaftsgericht dienstbare Behörde in Sachsen hervorgekehrt. Für jede Gemeinde waren ein oder mehrere Gemeindewaisenräte zu bestellen. In Städten konnte der Gemeindewaisenrat ortsstatutarisch nach Art eines gemischten städtischen Ausschusses zusammengesetzt werden; in Städten über 100 000 Einwohner konnten mehrere der­ artige Ausschüsse, jeder für einen Ortsteil, gebildet werden. Das Vor­ mundschaftsgericht bestellte die Gemeindewaisenräte durch Verpflichtung mittels Handschlags zur treuen und gewissenhaften Führung des Amts und führte die Aufsicht über ihre Tätigkeit. Es konnte sie zur Befolgung

*) Cuno-Schmidt, Die Organisation der Gemeindewaisen­ pflege S. 3 ff.

2. Der Gemetndewaisenrat nach Einführung des BGV.

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seiner Anordnungen durch Ordnungsstrafen bis 100 Mark anhalten. Dem Justizministerium war Vorbehalten, die über die Einrichtung und die Geschäftsführung der Gemeindewaisenräte erforderlichen Be­ stimmungen zu treffen. Waisenpflegerinnen konnten wie in Preußen bestellt werden. Mit Rücksicht auf diese Vorschriften haben die größeren sächsischen Städte davon abgesehen, die Gemeindewaisenräte nach Art eines ge­ mischten städtischen Ausschusses zusammenzusetzen, vielmehr Einzel­ personen als solche bestellt.

In R e u ß j. L. wurde der Waisenrat vom Gemeinderat bestellt und vom Bürgermeister unter Benachrichtigung des Vormundschafts­ gerichts verpflichtet. Die Tätigkeit des Waisenrats überwachte dann das Vormundschaftsgericht, das Mängel selbst abstellen oder ihre Ab­ stellung durch die vorgesetzte Verwaltungsbehörde veranlassen konnte. In Württemberg nahm der Gemeinderat oder eine Ab­ teilung desselben die Verrichtungen des Waisenrats wahr, wurde aber gleich dem Vormundschaftsgericht vom Amts-, Land- und Oberlandes­ gericht beaufsichtigt. Das Recht, den Gemeindewaisenrat zu wählen, hatten auch die Gemeinden in Lippe, in Schaumburg-Lippe und in Schwarzburg-Sondershausen; in letzterem erfolgte die Wahl auf Vorschlag der Kirchen- und Schulvorstände. In diesen Staaten lag die Bestellung und Verpflichtung des Waisenrats sowie die Dienst­ aufsicht über ihn dem Vormundschaftsgericht ob. Ein bloßes Vorschlagsrecht hatten die Gemeinden in ElsaßLothringen, in Sachsen-Altenburg und in SachsenMeiningen. Lediglich in einem Recht auf Anhömng erschöpfte sich die Be­ teiligung der Gemeinde in Reuß ä. L. und SchwarzburgR u d o l st a d t. In den letztgenannten Fällen, in denen das Vormundschaftsgericht den Waisenrat bestellte, hörte der Gemeindewaisenrat fast ganz auf, ein Gemeindeorgan zu sein.*) Im Großherzogtum Hessen endlich war der Gemeindewaisenrat dem Ortsgericht als staatlicher Behörde übertragen, dessen Organisation ganz außerhalb der Gemeindeverwaltung stand. In den größeren Städten konnten dem Gemeindewaisenrat auf sein Verlangen durch das Amtsgericht Frauen als Waisenpflegerinnen zur Seite gestellt werden, welchen die Überwachung der im Kindesalter stehenden und der weiblichen Mündel anvertraut wurde. Der Vorsteher des Orts*) Gimmerthal, Der deutsche Waisenrat S. 83 ff.

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I- Kapitel. Der Gemeindewaisenrat vis zum Inkrafttreten des RJWG.

gerichts hatte ein Verzeichnis über alle im Bezirke des Ortsgerichts bestellten Vormünder, Gegenvormünder und Pfleger zu führen, aus denen der Name des Schützlings ersichtlich war.*) Wie obige Darlegungen ergeben, war im Verhältnis zu der Zeit vor 1900 nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der Organisation des Gemeindewaisenrats ein bemerkbarer Fortschritt ein­ getreten. Er zeigte sich vor allem in der vielfachen Heranziehung von Frauen zur Mitarbeit, in dem wachsenden Verständnis der großen Aufgaben dieses Amtes, in der zahlreichen Annahme desselben durch Geistliche und der Übertragung seiner geschäftlichen Leitung durch eine städtische Dienststelle. In vielen Städten wurde das Amt mit dem des Bezirks- und Armenvorstehers verbunden. Groß- und Mittel­ städte richteten besondere Waisenämter ein, in denen die Hauptarbeit von besoldeten Personen verrichtet wurde, die ehrenamtlichen Waisen­ räte sich aber ihrer eigentlichen Aufgabe, der persönlichen Fürsorge der Mündel, widmen konnten.**) Ja selbst in den Außendienst traten hauptamtliche Kräfte. So waren in Straßburg besondere Waisen­ inspektorinnen für die Beaufsichtigung der weiblichen Mündel und der Säuglinge und Waiseninspektoren für die Knaben angestellt, die in Verbindung mit dem amtlichen Sammelvormund das Rückgrat der dortigen Gemeindewaisenpflege bildeten.***) Zumeist aber übten fast überall die Tätigkeit des Gemeindewaisenrats Ehrenbeamte aus, die auf Grund gesetzlichen Zwanges das Amt übernahmen.

Das Amt des Gemeindewaisenrats selbst war dem Vormundschastsgericht nebengeordnet, untergeordnet sollte es ihm nicht sein. Dafür sprechen die Motive zum BGB. und die historische Entwicklung. Nach §§ 52, 53 der Preußischen Vormundschaftsordnung sind die Waisen­ räte dem Vormundschaftsgericht „zur Seite" gesetzt, die in einem selb­ ständigen Wirkungskreise Aufsichtsrechte hatten. Im § 1856 BGB. heißt es statt dessen, die dem Waisenrat übertragene Überwachung der Mündel geschehe „in Unterstützung" des Vormundschaftsgerichts. Damit ist aber nicht gesagt worden, daß das Waisenratsamt grundsätzlich um­ zugestalten wäre. Vielmehr zeugt weiter für die Selbständigkeit des Amtes die Heraushebung seiner Tätigkeit im Vormundschaftsrecht unter dem Sonderkapitel „Mitwirkung des Gemeindewaisenrats". Ein unselbständiger Waisenrat wäre zudem in der Praxis gar nicht denkbar. Das Vormundschaftsgericht ist bei der großen Zahl der von

*) Cuno-Schmidt a. a. O. S. 103 ff. **) Koepke, Leitfaden für Waisenräte S. 6. ***) Die staatliche und gemeindliche Fürsorge S. 119.

und die Caritas

3. Das Wirken des Gemeindewaisenrats.

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ihm beaufsichtigten Vormundschaften und seiner Unkenntnis der lokalen und sanitären Verhältnisse nicht in der Lage, die persönliche Aufsicht über die Mündel zu führen. Dazu bedarf es einer lokalen Einrichtung. Nach G i m m e r t h a l *) muß daher die Stellung des Gemeinde­ waisenrats in der Organisation der Mündelfürsorge dahin festgestellt werden:

,,a) Der Gemeindewaisenrat führt die Aufsicht über die persönliche Mündelfürsorge selbständig. Ihm allein kommt es zu, darüber zu be­ finden, ob ein Mangel oder eine Pflichtwidrigkeit bei dieser Fürsorge festzustellen ist. Da aber dem Gemeindewaisenrat nur geringfügige Mittel, die Abstellung von Mängeln zu erzwingen, zu Gebote stehen, so muß er sich, falls die von ihm angewendeten Mittel nicht zum Ziele führen, aber auch nur dann, an das Vormundschaftsgericht wenden und um dessen Einschreiten ersuchen. b) Das Vormundschaftsgericht hat grundsätzlich die Exekutive, es soll die vom Gemeindewaisenrat festgestellten Mängel und Pflicht­ widrigkeiten nötigenfalls im Zwangswege beseitigen. Indessen bedarf es keiner weiteren Ausführung, daß nach der Stellung, die der Vor­ mundschaftsrichter im Vormundschaftswesen entnimmt, er bei der Anzeige von Mängeln durch den Gemeindewaisenrat an dessen Auf­ fassung nicht gebunden ist. Er kann abweichend von dessen Ansicht dafür halten, daß ein Mangel oder eine Pflichtwidrigkeit überhaupt nicht vorliegt."

3. Das Wirken des Gemeindewaisenrats. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß der ehrenamtliche Ge­ meindewaisenrat oft den Erwartungen nicht entsprochen hat, die an seine Tätigkeit geknüpft wurden. Es wäre aber ein Unrecht, zu sagen, er habe immer versagt. Viele, die zu diesem Ehrenamt berufen wurden, erfüllten ihre Pflicht nach bestem Können. Jede ehrenamtliche Arbeit wird nur dann zur Zufriedenheit erledigt, wenn sie

1. freiwillig oder gern übernommen wird, 2. wenn der Übernehmende ausreichend geschult ist und weiß, was er tun soll,

3. wenn Gewissen und Pflichtbewußtsein ihn zur ErMlung seiner Aufgaben zwingen,

4. wenn er die nötige Zeit dazu hat,

*) a. a. O. S. 79 ff.

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I. Kapitel. Der Gemeindewaisenrat bis znm Inkrafttreten des RJWG. 5. wenn ihm nicht zugemutet wird, daß er neben seiner Arbeit noch eigenes Geld zu opfern hat, und 6. wenn er genügend schreibgewandt ist oder ihm die Schreib­ arbeit möglichst oott bezahlten Kräften abgenommen wird.

Diese Voraussetzungen aber waren in der Regel nicht gegeben. Und wenn gar, wie in Sachsen, Strafandrohungen erfolgten, dann ist es nicht zu verwundern, daß die gewählten Waisenräte keine be­ sondere Liebe zu ihrem Amte hatten. Von der Auswahl der Personen und einer guten Organisation war der Erfolg oder Mißerfolg der waisenrätlichen Arbeit abhängig. Die Gemeinden haben hier in erster Linie versagt, nicht die Gemeinde­ waisenrateinrichtung an sich, wo sie ein Scheindasein führte. Mit Recht erklärte daher Cuno schon 1900: „Hat die Gemeinde ihre Pflicht getan, wenn sie, ihrer gesetzlichen Verpflichtung entsprechend, den Ge­ meindewaisenrat bestellt und ihm überläßt, seine Aufgabe als Hilfs­ organ des Vormundschaftsgerichts nach dessen Anleitung zu erfüllen, so gut oder so schlecht er kann? In der Tat, wenn der preußische Ge­ meindewaisenrat so wenig Erfolge erzielt hat, wenn in den anderen Bundesstaaten nur mit Widerstreben an die Belebung dieses Instituts herangegangen wird, trägt solche Auffassung über die Stellung der Gemeinde zum Gemeindewaisenrat daran die Schuld!" *) Wo die Gemeinde ihre Pflicht tat und mit ihren Mitteln das Organ ausbaute, war der Gemeindewaisenrat ein vorzügliches Jnstmment der öffentlichen Jugendfürsorge und geeignet, deren Zentralstelle zu sein, was er auch in verschiedenen Städten in vorbildlicher Weise wurde. In dieser Richtung bewegten sich die Reformbestrebungen auf diesem Gebiete. So sagte Dr. I. Petersen: „Bei organisatorischer Zentralisierung der öffentlichen Jugend­ fürsorge sollte die Organisation des Gemeindewaisenrats zur Grund­ lage gemacht werden. Mein Vorschlag soll dahin gehen, dieselbe Organisation, welche die Aufgaben des Gemeindewaisenrats wahrnimmt, auch zu den anderen Aufgaben der öffentlichen Jugendfürsorge heranzuziehen." **)

Und am 13. September 1916 berührte Pastor Pfeiffer auf der Tagung der deutschen Berufsvormünder in Berlin dasselbe Ge­ biet, wobei er besonders darauf hinwies, daß sich im Laufe der Zeit *) a. a. O S. 31. **) I. Petersen, Gedanken über die Organisation der Jugend­ fürsorge S. 41 ff.

3. Das Wirken des Gemeindewaisenrats.

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in der Jugendfürsorge eine große Uneinheitlichkeit entwickelte, da neben dem Waisenrat besondere Organe bei der Kontrolle der in fremder Pflege befindlichen Kinder arbeiteten und auch private Verbände in der Jugendfürsorge tätig seien, wie Kinderschutzvereine, Vereine zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und andere, so daß besonders in den Großstädten ein Nebeneinandergehen statt ein Zusammen­ arbeiten festzustellen sei. Zur Vereinheitlichung aller Jugendfürsorge­ tätigkeit gab er folgende Richtlinien für die Organisation der Zukunft: *) „1. Der in dem BGB. gesetzlich begründete Gemeindewaisenrat ist der gegebene Rahmen, in den sich alle Fürsorge für Säuglinge, Kleinkinder und alle unehelichen Minderjährigen einzufügen hat.

2. Die bisherigen ehrenamtlichen Gemeindewaisenräte werden zu Bezirksverbänden zusammengeschlossen, zu deren Leitung ein haupt­ amtlich tätiger Berufswaisenrat bestellt wird.

3. Diese Persönlichkeit kann ein Mann oder eine Frau sein, muß aber pädagogisch vorgebildet und mit den rechtlichen und Verwaltungs­ bestimmungen des Amtes vertraut sein. Es wird eine Kanzlei ein­ gerichtet, von der aus die Arbeit aller ehrenamtlichen Waisenräte des Bezirks, soweit sie bestehen bleiben, geleitet wird. 4. Dieser Bezirkswaisenrat übernimmt auch als Berufsvormund die Vormundschaft über alle in seinem Bezirk geborenen unehelichen Kinder, wenn ein geeigneter Einzelvormund nicht vorhanden ist. Er hat die Aufgabe, ehrenamtliche Vormünder, besonders,Frauen, heran­ zuziehen und zu ihrem Amt tüchtig zu machen.

5. Ihm zur Seite stehen hauptamtliche Pflegerinnen, die alle Säuglinge und Kleinkinder des Bezirks überwachen. Auf dem Land empfiehlt sich die Ausbildung von Hebammen zu diesem Beruf. Wer ein Kind in Pflege nimmt, muß umgehend dem Waisenrat davon Mit­ teilung machen. 6. In jedem Waisenratsbezirk ist möglichst ein Beobachtungsheim für Säuglinge und Kleinkinder unter Leitung eines Arztes einzurichten (Vereinsarbeit). Für erkrankte Kinder ist in besonderen Krankenanstalten oder Abteilungen des Kreiskrankenhauses zu sorgen. 7. Der Kommunalverband, der den Bezirkswaisenrat anstellt, hat die Pflegekosten für alle unehelichen Kinder, die in dem Bezirk leben, von der Geburt an sicherzustellen. Er hält sich dadurch schadlos, daß der Vormund die Unterhaltspflichtigen zur Mckerstattung aller Kosten heranzieht.

*) Zur Frage der Berufsvormundschaft, Heft 10 S. 18 ff.

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H. Kapitel. Ausführungsbestimmungen der Länder zum RJWG.

8. Die Aufsichtsbehörde für die Verwaltung ist in Preußen der Landesdirektor als Vorsitzender des Provinzialverbandes (in den Bundesstaaten ähnliche Instanzen). Das Vormundschaftsgericht behält seine nach dem Gesetz ihm obliegenden Befugnisse."

Auch wir selbst haben bereits in dem 1913 erschienenen Buche „Die Berufsvormundschaft und ihre Probleme"*) auf diese Reformnotwendigkeit hingewiesen, und I. F. Landsberg hat dem in seiner Broschüre „Vormundschaftsgerich t'unb Ersatzerziehung" zugestimmt.**) Ob und inwieweit diesen Anregungen in der Folgezeit Rechnung getragen wurde, werden die weiteren Ausführungen zeigen.

Zweites Kapitel. Der «Kemeindewaisenrar im Aeichsjugendwohl-

fahrtsgesey unö die Ausführungsbestimmungen der Oänder,

Die fakultative Übertragung der Gemeindewaisenratsgeschäfte auf besondere Abteilungen oder schon bestehende Organe der Gemeinde­ verwaltung, wie sie verschiedene Länderbestimmungen vorsahen, hat das RJWG. vom 9. Juli 1922 in der Fassung der Verordnung vom 14. Februar 1924 zum Gesetz erhoben, indem es in § 3 als eine der Aufgaben des Jugendamtes die Tätigkeit des Gemeindewaisenrats bezeichnete und in § 42 sagte:

„Das Jugendamt ist Gemeindewaisenrat. § 11 gilt entsprechend. Die Landesgesetzgebung kann örtliche Einrichtungen zur Unterstützung des Jugendamts in den Geschäften des Gemeindewaisenrats treffen." § 11 RJWG. lautet:

„Das Jugendamt kann die Erledigung einzelner Geschäfte oder Gruppen von Geschäften besonderen Ausschüssen, in welche auch andere Personen als seine Mitglieder berufen werden, sowie Vereinigungen für Jugendhilfe und für Jugendbewegung oder einzelnen in der Jugend­ wohlfahrt erfahrenen und bewährten Männern und Frauen wider­ ruflich übertragen. Das Nähere regelt die Reichsregierung entsprechend dem § 15 *) oder die oberste Landesbehörde. Die Verpflichtung des Jugendamts, für die sachgemäße Erledigung der ihm obliegenden Auf­ gaben Sorge zu tragen, wird hierdurch nicht berührt." Damit ist jetzt erreicht, so haben wir schon früher ausgeführt, daß die zentrale Bearbeitung der Obliegenheiten des Gemeindewaisenrats

*) Hiernach kann die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichs­ rats zur Sicherung einer tunlichst gleichmäßigen Erfüllung der Aufgaben der Jugendämter Ausführungsvorfchriften erlafsen.

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ll. Kapitel. Ausführungsbestimmungen der Länder zum RJWG.

überall in den Händen einer kommunalen Behörde liegt, deren Ver­ antwortung für die sachgemäße Erledigung der Gemeindewaisenrats­ aufgaben auch dann bestehen bleibt, wenn andere mit deren Durchführung beauftragt werden. Die Jugendämter haben deshalb ihrerseits dafür zu sorgen, daß in jedem Ort ihres Bezirks Vertrauenspersonen sind, damit die gesamte schutzbedürftige Jugend ihrer Obsorge teilhaftig wird.*) Sonst sagt das RJWG. über den Gemeindewaisenrat nichts. Wir halten das für einen Fehler. Wir hätten gewünscht, daß darin eine Bestimmung ausgenommen worden wäre ähnlich der des alten Ar­ tikels 77 des preußischen Ausführungsgesetzes zum BGB., worin gesagt wird, daß für jede Gemeinde oder für örtlich abzugrenzende Gemeinde­ teile ein oder mehrere Gemeindemitglieder als Gemeindewaisenräte des Bezirks, in dem sie wirken sollen, vom Jugendamte zu bestellen und zur Unterstützung dieser Ehrenbeamten Frauen als Waisenpflegerinnen zur Beaufsichtigung der im Kindesalter stehenden und aller weiblichen Mündel heranzuziehen sind. Das hätte die Neuordnung des Gemeindewaisenrats in den ländlichen Bezirken wesentlich er­ leichtert. Die Städte brauchten sich hier nach der Einfühmng des RJWG. in der Regel nicht umzustellen; denn sie hatten vielfach schon ein Jugendamt ohne gesetzlichen Zwang gebildet und waren so vor­ bildlich für das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt geworden. Ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Länder war damit nicht verbunden, weil ohne örtliche Waisenräte das Jugendamt als Ge­ meindewaisenrat nicht arbeiten kann. Es ist auf ortskundige Personen angewiesen, wo immer es auch sei.

Der § 42 RJWG. selbst ist dem ehemaligen Entwurf eines preu­ ßischen Jugendfürsorgegesetzes entnommen, der in seinem § 2 das Jugendamt zum Gemeindewaisenrat erklärte. Der Reichsrat fügte Absatz II hinzu, den aber der Reichstagsausschuß strich und an dessen Stelle auf § 11 verwies. Das Plenum des Reichstags stellte jedoch diesen zweiten Absatz wieder her.

Die Landesgesetzgebung hat nun von ihrem Recht, örtliche Ein­ richtungen zur Unterstützung des Jugendamts in den Geschäften des Gemeindewaisenrats zu treffen, bisher nicht überall Gebrauch gemacht. Wir sehen hier deutlich, daß statt der Kannvorschrift eine Muß­ vorschrift besser gewesen wäre, zumal auch das Reich hierüber Ausführungsvorschriften bisher nicht herausgab. *) P. Niestroj, Vormundschaftsrecht und führung nach dem RJWG. S. 56.

Vormundschafts­

1. Baden.

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1. Baden. Baden hat in seiner Ausführungsverordnung zum RJWG. vom 31. März 1924 im § 20 angeordnet, daß zur Unterstützung der Jugend­ ämter in den Geschäften des Gemeindewaisenrats in jeder Gemeinde, die nicht selbst Bezirksfürsorgeverband ist, nach Anhörung des Gemeinde­ rats wenigstens eine in der Jugendfürsorge erfahrene Person zu be­ stellen sei. Die näheren Bestimmungen sind der obersten Landesbehörde Vorbehalten.*) Demgemäß hat der Justizminister in der Vollzugs­ verordnung vom 10. Juni 1924**) im § 25 folgendes angeordnet: „Die zur Unterstützung der Jugendämter in den Geschäften des Gemeindewaisenrats zu treffenden örtlichen Einrichtungen müssen sich den örtlichen Verhältnissen anpassen. Für kleinere Orte wird die Auf­ stellung eines Ortsjugendhelfers als Vertrauensperson genügen; für größere Orte empfiehlt sich die Bildung eines Ortsjugendrats, der in der Regel nicht mehr als drei Ortsjugendhelfer als Mitglieder um­ fassen soll. Es dürfen nur Personen gewählt werden, die in der Jugend­ fürsorge erfahren sind, hinreichende Selbständigkeit im Urteil besitzen, unabhängig und verantwortungsfähig und -willig sind. Sie sollen auch in der Lage seln, auf Ersuchen des Vormundschaftsgerichts sich über Vermögensangelegenheiten der Mündel gutachtlich zu äußern. Die am Orte tätigen freien Vereinigungen für Jugendwohlfahrt sind um Vorschläge anzugehen. Fehlen derartige Vereinigungen, so empfiehlt es sich, in den Ortsjugendrat den oder die Ortsgeistlichen, einen Lehrer und einen der Gemeindeverwaltung angehörenden oder ihr nahestehenden geeigneten Einwohner zu wählen. In allen Fällen ist vor der Ernennung der Gemeinderat gutachtlich zu hören; begründete Einwendungen gegen die in Aussicht genommenen Personen sind zu berücksichtigen. Die Bestellung der Ortsjugendhelfer erfolgt unter Vorbehalt des Widerrufs. Die Ortsjugendhelfer sind ehrenamtlich tätig. Bare Auslagen werden ihnen durch Vermittelung des Jugendamts vom Bezirks­ fürsorgeverband ersetzt."

Das Badische Landesjugendamt hat für die Ortsjugendräte und Ortsjugendhelfer eine besondere Dienstanweisung herausgegeben, in der ihre Rechte und Pflichten genau umschrieben sind. *) Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1924 Nr. 19. **) Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1924 Nr. 34.

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H-Kapitel. Ausführungsbestimmuugen der Länder zum RJWG.

2. Bayern. Noch ausführlicher sind die Ausfühmngs- und Vollzugsvorschriften in Bayern, die wie folgt lauten: „Gesetz zur Ausführung des Reichsgesetzes Jugendwohlfahrt (Jugendamtsgesetz).

für

Vom 20. Juli 1925.*)

Gemeindewaisenrat.

Art. 25. (1) Die Gemeindeaufsichtsbehörde kann anordnen, daß die Gemeinden zur Unterstützung des Jugendamtes in den Geschäften des Gemeindewaisenrats (§ 42 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes) örtliche Waisenräte bestellen. Die Zahl der Waisenräte und ihrer Stell­ vertreter bestimmt die Aufsichtsbehörde. (2) Die Waisenräte werden vom Stadtrat oder Gemeinderat mit einfacher Stimmenmehrheit für die Dauer der ordentlichen Wahlzeit des Gemeinderates gewählt. Sie versehen ihr Amt ehren­ amtlich und unentgeltlich; die mit der Amtsführung verbundenen notwendigen Auslagen werden ihnen auf Ansuchen von der Gemeinde ersetzt. Art. 26. (1) Wählbar sind alle zu Gemeindeämtem wählbaren Personen. Nach Möglichkeit sollen Personen gewählt werden, die in der Jugendpflege und Jugendfürsorge Erfahrung besitzen.

(2) Die Wahl kann nur aus Gründen abgelehnt werden, die Ablehnung der Wahl zu einem Gemeindeamte berechtigen. Für Verlust und die Niederlegung des Amtes gelten die Vorschriften Gemeindeordnungen entsprechend. Ehefrauen können die Wahl lehnen und sind zur Niederlegung des Amtes berechtigt.

Art. 27. amtes in ihr Sie erledigen (2) Die können über stimmen."

zur den der ab­

(1) Die Waisenräte werden vom Leiter des Jugend­ Amt eingewiesen. Art. 9 Abs. II **) gilt entsprechend. die Geschäfte nach Anordnung des Jugendamtes.

Ausführungsvorschriften und das Landesjugendamt die Geschäftsführung der Waisenräte Näheres be­

*) Gesetz- und Verordnungsblatt S. 211. ♦*) Die Mitglieder, die nicht auf Grund eines staatlichen, gemeind­ lichen oder kirchlichen Amtes berufen find, werden vom Leiter des Jugend­ amtes zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheiten und insbesondere zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit in Pflicht genommen.

2. Bayern.

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In den Vollzugsvorschriften vom 21. Dezember 1925 heißt es:*)

„§ 57. II. Das Jugendamt ist für die Erfüllung dieser Aufgabe, namentlich an den Orten außerhalb seines Sitzes, in besonderem Maße auf die Hilfeleistung freiwilliger Helfer und Helferinnen und auf die Zusammenarbeit mit den Vereinigungen der freien Liebestätigkeit angewiesen. Besonderer Wert ist auf die Mitarbeit der bisher als Gemeindewaisenräte tätigen Personen zu legen (§ 11 RJWG.).

III. Die Stadtjugendämter können für die einzelnen Stadt­ bezirke, die Bezirksjugendämter müssen wenigstens für die auswärtigen Gemeinden besondere Stellen für die örtlichen Geschäfte des Gemeinde­ waisenrats (städtische Bezirkswaisenräte, Ortswaisenräte) einrichten. Von der Einrichtung der Bezirks- und Ortswaisenräte und von ein­ tretenden Änderungen ist dem Vormundschaftsgerichte Kenntnis zu geben.

§ 58. Stehen dem Jugendamt ausreichende eigene und frei­ willige Kräfte nicht zur Verfügung, so kann nach Art. 25—27 JAG. die Gemeindeaufsichtsbehörde zur Unterstützung des Jugendamts in den Geschäften des Gemeindewaisenrats die Aufstellung beamteter Waisenräte durch die Gemeinden anordnen. Die Anordnung ist regel­ mäßig nur zu treffen, wenn das Jugendamt sie beantragt und wenn der Aufsichtsbehörde dargetan wird, daß das Jugendamt außerstande ist, der Aufgabe des Gemeindewaisenrats auch bei voller Ausnützung der durch die Heranziehung der freien Liebestätigkeit gegebenen Mög­ lichkeiten gerecht zu werden. § 59. I. Die Zahl der beamteten Waisenräte und ihrer Ersatz­ leute wird von der Gemeindeaufsichtsbehörde nach Anhörung des Jugendamts und der Gemeinde bestimmt. II. Die Waisenräte werden vom Stadtrat oder Gemeinderat mit einfacher Stimmenmehrheit auf die Dauer der ordentlichen Wahlzeit der Gemeinde gewählt. Sie müssen die Wählbarkeit für Jugendämter besitzen und sollen nach Möglichkeit in den Aufgaben der Jugendpflege und Jugendfürsorge Erfahrung besitzen. Es sind nur Männer und Frauen zu berufen, die in ihrem Bezirk allgemein Achtung und Ver­ trauen genießen. Für die Auswahl soll nur die Eignung entscheidend sein. Die Waisenräte sollen nicht einseitig aus bestimmten Kreisen, sondern aus allen Schichten der Bevölkemng genommen werden. *) Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für 1926 S. 187 und Dr. Weitp ert, Wegweiser für den Vormund S. 82; ferner: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Frei­ staat Bayern Nr. 33 für 1925 S. 297.

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II. Kapitel. Ausführungsvestimmungen der Länder zum RJWG.

Für die Ablehnung der Wahl und den Verlust und die Niederlegung des Amtes gelten die Vorschriften der Gemeindeordnungen entsprechend. Ehefrauen können die Wahl ablehnen und sind zum Austritt berechtigt (Art. 24, 26 JAG.).

III. Die Waisenräte werden vom Leiter des Jugendamtes auf Handgelübde zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheiten und zur Wahmng der Amtsverschwiegenheit verpflichtet. Die Notwendigkeit der Verpflichtung entfällt, wenn der Gewählte schon für ein anderes öffentliches Amt verpflichtet ist (Art. 27, 9 Abs. II JAG.).

§ 60. Das Amt des Waisenrats ist ein gemeindliches Ehrenamt. Die Kosten der Amtsfühmng trägt die Gemeinde. Notwendige Aus­ lagen der Amtsfühmng werden dem Waisenrat auf Verlangen von der Gemeinde ersetzt (Art. 25 Abs. II JAG.). § 61. Aufgabe der Waisenräte ist die örtliche Mitarbeit in den Geschäften des Gemeindewaisenrats. Die Waisenräte sind Hilfskräfte des Jugenamts und an dessen allgemeine und besondere Weisungen ge­ bunden (Art. 27 Abs. 1 6.3 JAG.). Der Umfang ihrer Aufgabe wird vom Jugendamt bestimmt. Die Waisenräte sind vom Leiter des Jugendamts über ihre Pflichten und Rechte zu belehren und mit einem Ausweise zu versehen."

3. Braunschweig. Braunschweig hat in seinem Ausfühmngsgesetz vom 29. März 1924 lediglich eine Sollvorschrift im § 16 ausgenommen und im übrigen auf die Delegierungsmöglichkeit des § 11 RJWG. verwiesen, wenn es sagt: „Zur Unterstützung des Jugendamts in seiner Tätigkeit als Ge­ meindewaisenrat sollen örtliche Einrichtungen durch Satzung des Kreis­ kommunalverbandes geschaffen oder Vertrauenspersonen bestellt werden (§ 11 RJWG.)." *)

4. Hessen. Etwas ausführlicher befaßt sich Hessen mit derselben Frage durch sein Gesetz vom 17. Juli 1924, die Ausführung des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt betreffend:**)

*) Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung Stück 19 S. 138 ff. **) Hessisches Regierungsblatt S. 289.

3. Braunschweig. — 4. Hessen. — 5. Lübeck. — 6. Thüringen.

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„Stellung des Jugendamts als Amtsvormund und als Gemeindewaisenrat. Art. 17. Die Jugendämter sollen zu ihrer Unterstützung als Amts­ vormund und als Gemeindewaisenrat nach §§ 32 und 42 des Reichs­ gesetzes für Jugendwohlfahrt nach Bedarf örtliche Vertrauensstellen errichten oder Vertrauenspersonen bestellen. Art. 40. Die Befugnisse der Ortsgerichte als Gemeindewaisenrat nach Art. 138 des Ausführungsgesetzes zu dem Gesetz über die An­ gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 18. Juni 1899 (RegBl. S. 287) gehen auf das zuständige Jugendamt über. Die Ortsgerichte sind verpflichtet, solange eine örtliche Vertrauens­ stelle des Jugendamts in der Gemeinde nicht errichtet ist, die ihnen als Gemeindewaisenrat bisher obliegenden Anzeigen und Vorschläge an das Vormundschaftsgericht sowie gleichzeitig an das zuständige Jugendamt zu erstatten. Weitere Aufgabm können den Ortsgerichten bis zur Errichtung einer örtlichen Vertrauensstelle durch die Jugendämter belassen werden."

5. Lübeck. Lübeck sieht in seinem Gesetz über die öffentliche Wohlfahrtspflege, veröffentlicht am 26. März 1929, im § 25 vor, daß zur Anstellung von Ermittelungen über die Verhältnisse von Hilfsbedürftigen sowie über das persönliche Ergehen und das Verhalten von Minderjährigen den Bezirksvorstehern, Bezirkspflegern, Fürsorgern und sonstigen Helfern der Behörde für Arbeit und Wohlfahrt der Zutritt zu den Wohnräumen und sämtlichen anderen Räumen zu gestatten sei, soweit es zur Prüfung der Verhältnisse notwendig ist. Auch der Zutritt zu den Minderjährigen selbst ist zu gestatten. Zur Beseitigung etwa geleisteten Widerstandes kann die Behörde für Arbeit und Wohlfahrt die erforderlichen An­ ordnungen treffen und im Verwaltungswege vollstrecken lassen, auch gegen die Widerstand leistenden Personen, insbesondere den Inhaber der Wohnung, nach vorgängiger Androhung Geldstrafen festsetzen.*)

6. Thüringen. Thüringen ermächtigt im Gesetz vom 16. September 1927 zur Ausführung des RJWG. im § 11 das Ministerium für Inneres und Wirtschaft, örtliche Einrichtungen zur Unterstützung des Jugendamts

*) Lübeckisches Gesetzblatt 1929 Nr. 11.

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II. Kapitel. Ausführungsbestimmungen der Länder zum RJWG.

in den Geschäften des Gemeindewaisenrats zu treffen,*) und die Aus­ führungsverordnung hierzu vom 5. März 1928 bestimmt im § 26, daß die Jugendämter der Landkreise zu ihrer Unterstützung in den Ge­ schäften des Gemeindewaijenrats solche örtliche Einrichtungen treffen sollen, die unter ihrer Leitung und Aufsicht stehen. Die örtlichen Ein­ richtungen und die eintretenden Änderungen sind den Vormundschafts­ gerichten mitzuteilen.**)

7. Württemberg. Württemberg ordnet im Ausführungsgesetz vom 23. November 1927 zum RJWG. im Artikel 13 an, daß das Jugendamt zu seiner Unter­ stützung in den Geschäften des Gemeindewaisenrats in jeder Gemeinde nach Anhörung des Gemeinderats wenigstens eine in der Jugend­ fürsorge erfahrene Person (Waisenpfleger, Waisenpflegerin) zu be­ stellen hat.***) Die dafür ergangene Vollzugsverordnung des Innenministeriums und des Justizministeriums vom 19. März 1928 befaßt sich in den §§ 51, 52, 53 ausführlich mit der Einrichtung des Gemeindewaisen­ rats, s) Hieraus verdient die Vorschrift besondere Beachtung, daß die Jugendämter die Waisenpfleger oder eine andere örtliche Stelle ermächtigen sollen, dem Vormundschaftsgericht für die Aufstellung von Vormündern, Pflegern oder Beiständen jeweils eine oder mehrere Personen vorzuschlagen. Insoweit findet ein unmittelbarer Verkehr zwischen dem Vormundschaftsgericht und den Waisenpflegern (örtlichen Stellen) statt.

8. Sachsen. Sachsen sagt dazu in seiner Verordnung vom 20. März 1926: „§ 24. (1) Das Wohlfahrts- und Jugendamt hat sich in der Jugend­ fürsorge erfahrener Personen zur Erfüllung seiner Aufgaben als Ge­ meindewaisenrat in den einzelnen Gemeinden zu bedienen. (2) Insbesondere haben die Gemeinden sowie die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege dem Wohlfahrts- und Jugendamt hierzu auf Verlangen eine oder mehrere Vertrauenspersonen (Gemeinde­ waisenväter oder -mütter) zu benennen." ft) *) **) ***) t) tt)

Gesetzsammlung für Thüringen 1927 Nr. 25. Gesetzsammlung für Thüringen 1928 Nr. 8. Regierungsblatt für Württemberg 1927 Nr. 36. Regierungsblatt für Württemberg 1928 Nr. 8. Sächsisches Gesetzblatt 1926 S. 69 ff.

7. Württemberg. — 8. Sachsen. — 9. Preußen.

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9. Preußen. Preußen hat in seinem Ausfühmngsgesetz zum RJWG. über den Gemeindewaisenrat nichts ausgenommen, bemerkt vielmehr nur in seiner Ausführungsanweisung zum RJWG. vom 29. März 1924 darüber folgendes: „Das Ausführungsgesetz hat davon Abstand genommen, örtliche Einrichtungen zur Unterstützung des Jugendamts in den Geschäften des Gemeindewaisenrats zwingend anzuordnen, da die Verhältnisse in den verschiedenen Teilen Preußens stark voneinander abweichen. § 11 RJWG. gibt den Jugendämtem die Möglichkeit, die Geschäfte des Gemeindewaisenrats weitgehend zu übertragen. Von diesem Recht wird ein möglichst umfassender Gebrauch zu machen sein; ins­ besondere empfiehlt es sich, die bisherigen Waisenräte als örtliche Ver­ trauenspersonen beizubehalten und sie, um die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt fruchtbar zu gestalten, nach Art der bisher vom Vor­ mundschaftsgericht abgehaltenen, nunmehr wegfallenden Waisenrats­ versammlungen zur regelmäßigen Aussprache zusammenzurufen." *)

Die Freiheit, die damit den einzelnen Jugendämtern gegeben wurde, hat sich nicht bewährt. Die Organisation des Gemeindewaisen­ rats ist jedem Jugendamt überlassen. Der Mangel an geschulten Kräften, selbst in leitenden Posten der neuen Jugendämter, macht sich hier schwer fühlbar. Wir haben uns daher über den nachstehenden Erlaß des Preu­ ßischen Mnisters für Volkswohlfahrt vom 22. Dezember 1925 — III F 2388 — nicht gewundert. Er mußte kommen und lautet: **) „Von einer größeren Anzahl von Gerichten gehen wiederholt Klagen ein, daß die auf Gmnd von § 42 Abs. 1 RJWG. erfolgte Über­ tragung der Geschäfte des Gemeindewaisenrats auf die Jugendämter eine unliebsame, stellenweise unerträgliche Verzögemng des Geschäfts­ verkehrs zwischen Vormundschaftsgericht und Gemeindewaisenrat mit sich gebracht habe. Die Kreisjugendämter, die meist nicht für sämtliche Ortschaften des Kreises die für die Geschäfte des Gemeindewaisenrats erforderliche Personenkenntnis besitzen, bedienen sich zur Beantwortung der An­ fragen der Vormundschaftsgerichte örtlicher Bertrauenpersonen. Dieses Verfahren, das an sich durchaus den Bestimmungen des RJWG. ent« *) Niestroj, Vormundschaftsrecht und Bormundschastsführung nach dem RJWG. S. 57. **) Volkswohlfahrt 1926 Nr. 2. Niestroj, Gemelndewaisenrat.

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34 H. Kapitel. Ausführungsbestimmungen der Länder zum RJWG. spricht, führt jedoch zu einer erheblichen Verschleppung des Geschäfts­ verkehrs, weil die Jugendämter die Feststellungen und Vorschläge dieser Vertrauenspersonen nicht unmittelbar, sondern auf dem Wege über die Jugendämter dem Vormundschaftsgericht zugehen lassen. Dieses Verfahren wird selbst dort angewandt, wo die Vertrauensperson am Ort des Vormundschaftsgerichtes wohnt. Es wird dadurch gegen­ über dem früheren Zustand eine weitere Stelle eingeschaltet, in manchen Kreisen sogar mehrere Stellen. Ein Jugendamt verfährt z. B. fol­ gendermaßen: Alle Ersuchen des Vormundschaftsgerichts um Vor­ schläge von Vormündern leitet es der Zentrale einer konfessionellen Wohlfahrtseinrichtung, einem nicht am Sitz des Jugendamtes wohnenden Geistlichen, zu. Dieser gibt das Ersuchen dem zuständigen Ortsgeistlichen weiter, und dessen Antwort wird auf demselben Wege wieder zurückgeleitet. Die Folge ist eine Verlangsamung des Geschäfts­ betriebes oft um mehrere Wochen, die sich bei Bestellung von Einzel­ vormündern für uneheliche Kinder und bei Einleitung eiliger Pfleg­ schaften außerordentlich schädigend fühlbar macht. Diese Mißstände könnten ohne Schwierigkeiten beseitigt werden, wenn die Jugendämter von der ihnen durch § 11 RJWG. gegebenen Übertragungsmöglichkeit in weit stärkerem Maße Gebrauch machen und die Aufgaben der gemeindewaisenrätlichen Tätigkeit überall da, wo geeignete Einzelpersonen oder Vereine zur Verfügung stehen, an diese zur selbständigen Bearbeitung im unmittelbaren Verkehr mit den Gerichten und anderen Behörden übertragen würden. Der Be­ stimmung, daß das Jugendamt für die sachgemäße Ausübung der Ge­ schäfte verantwortlich bleibt, könnte dadurch Rechnung getragen werden, daß das Jugendamt sich auf Gmnd einzufordernder Berichte oder regelmäßiger Nachprüfung von der sachgemäßen Durchführung der übertragenen Aufgaben überzeugt. Auch auf anderen Arbeitsgebieten sind mir wiederholt Klagen der freien Liebestättgkeit überbracht worden, daß die Jugendämter sie nur zu unselbständiger Hilfeleistung, nicht aber zu verantwortungsvoller Mitarbeit heranziehen, wodurch vielfach Doppelarbeit geleistet, die Geschäfte verlangsamt und die Arbeitsfreudigkeit der freien Jugend­ wohlfahrtspflege gehemmt würde. Ich weise darauf hin, daß ein solches Verhalten der Jugendämter gegen Absicht und Geist des RJWG. verstößt, das eine Verbesserung und Vereinfachung der Arbeit auf dem Gebiete der Jugendwohlfahrt zu bringen bestimmt war und das deshalb im § 6 den Jugendämtern ausdrücklich die Pflicht auferlegt, mit der freien Liebestättgkeit unter Wahrung ihrer Selbständigkeit zusammenzuarbeiten. Es mag vielfach schwerer sein, Arbeit richtig zu organisieren und sie anderen geeigneten

9. Preußen.

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Stellen oder Personen zu übertragen, als sie selbst auszuüben. Die Jugendämter müssen aber zu solcher Arbeitsteilung in weit größerem Umfange wie bisher übergehen, wenn sie auf die Dauer den ihnen durch das RJWG. Übertragenm Aufgaben gerecht werden und einer übermäßigen finanziellen Belastung entgehen wollen. Ich habe im Hinblick auf die durch § 11 RJWG. gegebenen Über­ tragungsmöglichkeiten, die, wenn sie richtig angewendet werden, völlig ausreichen, bisher davon abgesehen, von der in § 42 Abs. 2 RJWG. gegebenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, müßte aber, wenn die Klagen der Vormundschaftsgerichte über die Verschleppung der gemeindewaisenrätlichen Arbeit und der daraus folgenden Schädigung der Fürsorgebedürftigen nicht verstummen sollten, durch gesetzliche Maßnahmen gemäß § 42 Abs. 2 Abhilfe schaffen. Ich ersuche daher, die Jugendämter nochmals ausdrücklich auf diese Sachlage hinzuweisen, und auf eine häufigere Anwendung des § 11 RJWG., insbesondere bei der gemeindewaisenrätlichen Tätigkeit, hinzuwirken." Es kann nur gewünscht werden, daß obige Vorschläge überall restlos zur Durchführung kommen, damit die Hoffnungen in Erfüllung gehen, die an die Übertragung der Aufgaben des Gemeindewaisenrats auf das Jugendamt geknüpft wurden. Das Vorgehen Bayerns weist den Weg dazu.

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Drittes Kapitel.

Amt und Aufgaben des Kemeindewaisenrats. Schon das BGB. ließ keinen Zweifel darüber, daß der Gemeinde­ waisenrat als Gemeindeamt gedacht war.*) Durch seinen Einbau in das RJWG. ist diese Absicht noch klarer geworden. Das Jugendamt ist ein kommunales Amt und erfüllt als Behörde auch in seiner Eigen­ schaft als Gemeindewaisenrat eine behördliche Pflichtaufgabe, der es sich verantwortlich auch dann nicht entziehen kann, wenn es diese Auf­ gaben auf Vereine, Ortsausschüsse oder Einzelpersonen gemäß § 11 RJWG. überträgt. Dies kommt klar in der Begründung eines Reichsjugendwohlfahrts­ gesetzes zum Ausdmck, die dem Reichstag am 15. März 1921 vom Reichsminister des Innern übergeben wurde und in der es heißt: **)

„Ebenso wie bei der Vormundschaft ist hier einzelnen Persönlich­ keiten ein oft außerordentlich schwieriges, zeitraubendes und große Anfordemngen an Erfahrung, Takt und Geschicklichkeit erfordemdes Amt anvertraut, ohne daß für eine genügende Anleitung, Beratung und Unterstützung der Waisenräte gesorgt wurde. Hier soll nun Wandel geschaffen und durch Übernahme der Geschäfte durch das Jugendamt eine ordnungsgemäße und sachdienliche Erledigung gewährleistet werden. Ehrenamtliche Kräfte, die sich in ihrer Tätigkeit bewährt haben, werden im Jugendamt auch weiterhin Gelegenheit haben, ihre Erfahrungen der Allgemeinheit zugute kommen zu lassen. Denn das Bestreben der Jugendämter auf Gmnd dieses Gesetzes soll nicht auf Ausschaltung vorhandener Kräfte, die sich bisher betätigt haben, sondern auf ihre Eingliedemng in das Ganze der öffentlichen Jugendhilfe und ihre bestmögliche Ausnutzung gerichtet sein. Zur Beseitigung der Schwierigkeiten, die in ländlichen Jugend­ amtsbezirken durch die räumlichen Entfernungen für die Tätigkeit des künftig straffer organisierten Waisenrats sich ergeben, werden besondere Abteilungen des Jugendamts oder einzelne Personen für einzelne größere

*) Siehe S. 16 und 17. **) Reichstag I. Wahlperiode 1920/21 Nr. 1666 S. 29 und S. 62/63.

1. Vorschlagspflicht.

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Orte oder für Teile des Bezirkes als Waisenräte zu bestellen sein. Die Tätigkeit des Jugendamts als Waisenrat nach § 1849 BGB. wird künftig erleichtert werden, wenn die Organisationen für die Jugendwohlfahrt ihre Mitglieder selbst benennen, die für die Vormundschaft geeignet und dazu bereit sind. Von besonderer Wichtigkeit für eine rechtzeitige Für­ sorge und Erfassung gefährdeter, schutzbedürftiger Kinder, mag es sich um Mündel handeln (§ 1850 BGB.) oder um die unter elterlicher Gewalt stehenden (§ 1675 BGB.), ist es, daß jetzt das Jugendamt diese bisher vielfach sehr unzulänglich erfüllten Aufgaben des Gemeindewaisenrats mit Hilfe seiner eigenen Kräfte und der in ihrem Wirken zusammen­ gefaßten freiwilligen Tätigkeit übernehmen soll. Das Jugendamt wird künftig, bevor es dem Vormundschaftsgerichte von Mängeln und Pflichtwidrigkeiten oder von Vermögensgefährdung Anzeige erstattet, selbst in der Lage sein, zu versuchen, wie es Mhilfe schaffen kann, und wird dadurch die Gerichte nicht selten entlasten können."

*

Wenden wir uns nun den Aufgaben des Gemeindewaisenrats zu. Wie aus den im Vorkapitel wiedergegebenen gesetzlichen Bestimmungen zu ersehen ist, zerfallen diese in folgende vier Hauptgebiete:

1. die Vorschlagspflicht, 2. die Aufsichts- oder Überwachungspflicht,

3. die Anzeigepflicht, 4. die Auskunftspflicht.

1. Borschlagspflicht. Der Gemeindewaisenrat hat die Personen zu ermitteln und dem Vormundschaftsgericht vorzuschlagen, die sich für den einzelnen Fall zum Vormund, Mitvormund, Gegenvormund, Pfleger, Beistand, Mit­ glied des Familienrats, Helfer und Fürsorger eignen (§ 1849 BGB.).*) Der Vorschlag darf nicht wilMrlich, sondem muß nach Prüfung der vorliegenden Verhältnisse erfolgen, um möglichst die geeignetste Per­ sönlichkeit für das betreffende Amt zu gewinnen. Es empfiehlt sich, vor dem Vorschlag mit dem Beteiligten Rücksprache zu nehmen. Ist z. B. ein Kind schwer erziehbar, so wird ein erfahrener, tatkräftiger Familienvater oder Lehrer der beste Vormund sein. Für eine mühe­ volle und verantwortungsreiche Vermögensverwaltung eignet sich vorzugsweise ein in solchen Geschäften bewanderter und nicht un­ vermögender Mann, für Beaufsichtigung eines landwirtschaftlichen *) Siehe S. 15.

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III. Kapitel. Amt und Aufgaben des Gemeindewaisemats.

Betriebes ein tüchtiger Landwirt, für ein taubstummes Mädchen eine Taubstummenlehrerin, für ein Mündel, das Rechtsstreitigkeiten zu führen hat, ein Rechtsanwalt, für die Fortfühmng eines Geschäftes ein kundiger Kaufmann, der nicht Konkurrent ist. Vor allem wichtig ist dabei auch die Bereitwilligkeit der erwählten Person.

Das Vormundschaftsgericht ist an den Vorschlag nicht gebunden, kann vielmehr auch um Äußerung über eine von anderer Seite be­ nannte Person oder über die Geeignetheit eines gesetzlich zum Vor­ mundschaftsamt Berufenen ersuchen. Bestrafte Personen, Leute, die offenkundig einen unsittlichen Lebenswandel führen oder sich in zer­ rütteten Vermögensverhältnissen befinden, eignen sich in keinem Falle zum Vormund. Bei der Auswahl darf lediglich das Interesse des Mündels maßgebend sein. Die gesetzlichen Bestimmungen hierfür sind in der „Geschäfts­ anweisung für Mitglieder des Jugendamts als Gemeindewaisenrat (Waisenräte)" zusammengestellt, die wir in der Anlage B dieser Schrift bringen und auf die hiermit verwiesen sei. In diesem Zusammenhang interessiert die Entscheidung des Bundes­ amts für das Heimatwesen vom 15. Oktober 1930 — JW3/29 — über die Zuständigkeit des Jugendamts als Gemeindewaisenrat, worin es heißt: „§ 1849 BGB. bestimmt, daß der Gemeindewaisenrat dem Vor­ mundschaftsgericht die Personen vorzuschlagen hat, die sich im ein­ zelnen Falle zum Vormunde usw. eignen. Da das Bürgerliche Gesetz­ buch (in dieser Beziehung im Gegensatz zu § 1850 und § 1851 ebenda) nicht die Zuständigkeit eines örtlich bestimmten Waisenrats vorschreibt, auch andere Gesetze, insbesondere das Reichsgesetz über die Angelegen­ heiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 15. Mai 1898 (RGBl. S. 189 und S. 771), eine solche nicht aussprechen, ist jeder Waisenrat auf Erfordem des Vormundschaftsgerichts zum Vorschlag eines Vor­ mundes verpflichtet. Das Vormundschaftsgericht allein hat pflicht­ gemäß zu befinden, an welchen Waisenrat es im einzelnen Falle sich zweckmäßigerweise wendet. (Vgl. Staudinger, Kommentar zum Bürger­ lichen Gesetzbuch, 9. Auflage, Anm. 2 d Abs. 4 zu § 1849; Kommentar der Reichsgerichtsräte zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Auflage, Anm. 3 zu § 1849; Plank, 3. Auflage, Bem. 5 zu § 1849; Friedeberg-Polligkeit, Kommentar zum Jugendwohlfahrtsgesetz, 2. Auflage, Anm. 1 a zu § 42; so auch Verordnung des Sächsischen Justizministeriums vom 5. Dezember 1907, Sächsisches Justizministerialblatt S. 82.) Durch den Umstand, daß durch § 42 JWG. das Jugendamt allgemein zum Gemeindewaisenrat bestimmt ist, wird an dieser Verpflichtung der

2. Aufsichtspflicht.

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Gemeindewaisenräte nichts geändert. Die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Jugendamts durch § 7 Abs. 1 JWG. bezieht sich sinngemäß nur auf seine sonstigen, im Interesse der Minderjährigen ihnen übertragenen Aufgaben, nicht aber auch auf die durch § 1849 BGB. jedem Gemeindewaisenrat ohne Unterschied des Ortes auf­ erlegte Verpflichtung (vgl. Staudinger a. a. O.; Friedeberg-Polligkeit a.a.O.)." *)

2. Aufsichtspflicht. Die Aufsichtspflicht des Gemeindewaisenrats ergibt sich aus § 1850 Abs. 1 Satz 1 BGB.**) Sie ist eine Hauptaufgabe, wird aber in der Praxis vielfach zuwenig beachtet, obwohl sie nicht leicht genommen werden sollte, weil diese Pflicht nur zur Unterstützung des Vormund­ schaftsgerichts besteht; denn dieses hat in erster Linie über die gesamte Tätigkeit des Vormundes die Aufsicht zu führen und gegen Pflicht­ widrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote einzuschreiten.***)

Die Aufsicht umfaßt: a) alle Minderjährigen, für die eine Vormundschaft, Mitvormund­ schaft, Gegenvormundschaft, Pflegschaft, Beistandschaft besteht;

b) alle Pflegekinder, sofern sie sich in Familienpflege befinden; c) alle in Familienpflege untergebrachten Fürsorgezöglinge;

d) alle unter Schutzaufsicht stehenden Minderjährigen;

e) alle Volljährige, für die eine Vormundschaft oder Pflegschaft an­ geordnet ist.

Prakttsch kommt aber eine Überwachung durch das Jugendamt als Gemeindewaisenrat nicht in Frage, soweit das Jugendamt Amts­ vormund ist oder die Pflegekinderaufsicht über die an und für sich gemeindewaisenrätlich zu betreuenden Kinder führt. Dasselbe gilt be­ züglich der in Anstalten untergebrachten Mündel und Pflegebefohlenen. Eheliche Kinder unterliegen nicht dem Überwachungsrecht des Ge­ meindewaisenrats, soweit sie sich im Haushalt der Eltern befinden. Doch kann gegenüber diesen Kindern eine Anzeigepflicht eintreten, auf die wir noch zu sprechen kommen. Die llberwachungspflicht des Gemeindewaisenrats erstreckt sich auch auf die Amtsführung der Vormünder und Pfleger der in seinem Bezirk sich aufhaltenden Mündel und geht vor allem dahin, ob für *) Bolkswohlfahrt vom 1. Februar 1931. **) Siehe S. 15. ***) Koepke, Leitfaden für Waisenräte S. 27.

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III. Kapitel. Amt und Aufgaben des Gemeindewaisenrats.

deren bürgerliche Pflege und Erziehung genügend Sorge getragen wird. Der Gemeindewaisenrat überwacht demnach die Betreuer mittelbar, die Betreuten unmittelbar. Eine Aufsicht über die Vor­ münder in Vermögensangelegenheiten der Mündel steht ihm dagegen nicht zu, und er soll sich deshalb ohne besondere Gründe nicht in diese Angelegenheit mischen. Wahrgenommene Mängel können durch ge­ eignete Belehrung beseitigt werden, da der Gemeindewaisenrat nicht nur Mahner, sondern Berater und Helfer für den Einzelvormund und Pfleger zu sein hat. Um sein hohes Amt gut erfüllen zu können, muß der Gemeinde­ waisenrat seine Schutzbefohlenen und deren Verhältnisse kennen. Er wird sich diese Kenntnisse durch periodische Besuche und nötigenfalls Rückfragen bei den Vormündern und Erziehungsberechtigten erwerben, dabei aber alles vermeiden, was mit Recht als Belästigung empfunden werden könnte, wie Doppelbesuche der Fürsorgerinnen. Wie oft diese Augenscheinnahme zu geschehen hat, ist den Umständen anzupassen. Es gibt Verhältnisse, in denen nach dem ersten Informationsbesuche weitere Besuche nicht mehr nötig sind. Es wird aber auch Fälle geben, in denen polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen werden muß, um sich die erforderliche Aufklärung zu verschaffen. Im einzelnen soll, wie Amtsgerichtsdirektor Bernhard Pfister in seinem Buche „Der Waisenrat" *) darlegte, die gesamte Über­ wachung auf folgende Dinge achten: „A. Bei allen minderjährigen Mündeln jeder Altersstufe. Ob Sinnesorgane — besonders Gesicht, Gehör — gesund? Ob körperliche Entwicklung regelmäßig? Worin Ursache zu suchen bei Entwicklungshemmungen? Ob Vernachlässigung? Durch bösen Willen oder Unerfahrenheit? Ob Fehler, Gebrechen, Krankheiten? Werden diese ärztlich behandelt? Ist wenigstens ein Arzt gehört? Ob Heilung möglich oder versucht? Anstaltsbehandlung? Ist für Ersatz durch künstliche Glieder oder Erleichtemng (Krücken, Schienen, Brillen) gesorgt? Ob körperliche Pflege vernachlässigt? Ob Körper und Kleidung frei von Ungeziefer? Ob sorgsame Pflege bei Erkrankungen? Recht­ zeitig ärztlicher Beistand? Werden die Gesundheitsregeln beobachtet? Ob hinreichende Nahrung? Ist der Nahrungszustand für die Zu­ kunft gesichert? Kommen die Unterhaltspflichtigen ihrer Verbindlichkeit nach? Ist die Nahrung dem Alter und der Beschäftigung angemessen?

*) S. 30 ff.

2. Aufsichtspflicht.

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Ist entsprechendes Obdach vorhanden? Wie die Lagerstätte be­ schaffen? Genügend warm und groß? Ob Wohnraum und Lager­ stätte geschützt gegen die Witterung, gegen Kälte, übergroße Hitze, Feuchtigkeit? Ob genügend Raum, Luft, Licht? Ob menschenwürdig? Ist das Bettzeug reinlich? Ob Mitbenützung des Bettes? Etwa durch alte kranke Person? Ob Trennung der Geschlechter bei Kindern über sieben Jahren? Schlafraum der Mädchen verschließbar? Sonst nicht zugänglich (Fenster, Übersteigen)? Besondere Feuersgefahr? Wird der Mündel zu hart gehalten? Häufig grundlos gescholten oder gezüchtigt? Oder zurückgesetzt? Etwa mißhandelt, eingesperrt? Wie Aufsicht beschaffen? Bei Tage, bei Nacht? Besteht Gefahr der Verwahrlosung? Ist die Pflegemutter, sind die Erziehungseltern zur Pflege und Erziehung geeignet? Nach ihrer Persönlichkeit und Vergangenheit? Sind schlimme Einflüsse ferngehalten? Schlechter Umgang? Wird böses Beispiel durch die Mutter, die Pflegeeltern, Wohnungs- oder Hausgenossen, Arbeitgeber, Nachbarn, Kameraden gegeben? Schlechte Reden, Lehren, Bücher? Besteht Neigung des Niündels zur Trunksucht, Müßiggang, Arbeitsscheu, Unzucht, zu einem sonstigen Laster? Zum Bettel? Wird er auf Bettelgänge mitgenommen?

Wird gute Sinnesrichtung gepflegt? Religiosität? Zu redlichem Verhalten angeleitet? Zur Achtung vor dem Gesetz? Ist der Vormund tauglich? Erfordert es das Wohl des Mündels, deß er durch einen andern ersetzt werde? B. Je nach dem Alter treten außerdem besondere Gesichtspunkte in den Vordergrund.

Bei Säuglingen und kleinen Kindern: Haben sie die besonders nötige körperliche Pflege? Waschen, Baden, entsprechende Ernährung? Mitunter kann Veranlassung bestehen, die Entkleidung des Kindes zu verlangen und den Körper zu besichtigen. Bei Kostkindern: Ist die polizeiliche Erlaubnis zum Halten des Kostkindes eingeholt? Aus­ weis darüber vorhanden? Bei der Mersstufe von 1 bis 6 Jahren: Ob Pflege und Be­ handlung liebevoll? Ob Gemütsbeziehungen zwischen Pflegemutter und Kind hörgestellt sind? Oder Kind nur Pflegegegenstand und nur des Geldes wegen ausgenommen? Gefahr der Verkümmerung des Gemüts? Oder der Verkürzung des Unterhaltes? In diesem Falle ist besonders scharfe Ausforschung und Überwachung notwendig. Be­ stehen besondere Gefahren für Leben und Gesundheit? Wasserläufe, ungedeckte Brunnen, Gruben? Straße mit starkem Wagen- oder Automobilverkehr? Sind gefährliche Gewerbe- oder Fabrikbetriebe

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III. Kapitel. Amt und Aufgaben des Gemeindewaisenrats.

in der Nähe? In diesem Falle ist die Aufsicht zu verschärfen und durch häufige Belehmng nachzuhelfen. Hat das Kind Gelegenheit zum Spiel, hat es Umgang, Gesellschaft? Besucht es Kinderschule, Kinder­ bewahranstalt, Kindergarten? Von 6 bis 13 Jahren. Wie bei der vorigen Altersstufe. Außerdem: Ist der Schulbesuch regelmäßig? Wird das Kind zu angemessener Be­ schäftigung, z. B. zu kleinen Dienstleistungen, herangezogen? Durch Anleitung auf die künftige Selbständigkeit vorbereitet? Anderseits nicht überanstrengt? Zeigen sich gröbere Charakterfehler? Bildungs­ unfähigkeit, geistige Minderwertigkeit? Haben Vormund und Pflegeeltem Fühlung mit dem Lehrer und der Schule? Wird Mündel zu religiös-sittlichem Verhalten angeleitet? Zum Besuch des Gottes­ dienstes? Schlechten Neigungen entgegengetreten? Umgang und Ge­ sellschaft überwacht? Von 13 bis 17 Jahren: Die dieser Altersstufe angehörenden Mündel bedürfen besonderer Überwachung und Strenge, da sie der Gefahr, durch Verführung oder Vernachlässigung und falsche Erziehung auf Abwege zu geraten, am meisten ausgesetzt sind. Das beste Gegen­ mittel ist nächst der hauptsächlich dem Seelsorger obliegenden religiösen Einwirkung die Hinweisung auf ein praktisches Lebensziel (Berufs­ erfolg) und vor allem angemessene, möglichst ständige Beschäftigung. Ob nach dem Austritt aus der Werktagsschule beaufsichtigt? Hin­ reichend und ehrbar beschäftigt? Zeigt sich Neigung zum Müßiggang oder Streunen? Werden schlechte Bücher und schlechte Kameraden ferngehalten? Hat der Mündel eine strafbare Handlung begangen? Sind Anzeichen geschlechtlicher Verirrungen zu bemerken? Ist dies­ falls Belehrung gegeben worden? Ist — je nach der körperlichen Ent­ wicklung — dem Mädchen Belehrung erteilt über das Verhalten bei der Regel. Ist für ehrbaren Umgang gesorgt? Für Spiel, gute Bücher, leichten Sport, Liebhaberkünste? Für Fortbildungsunterricht? Wird die Feiertagsschule regelmäßig besucht? Wird zu wahrer Religiosität an­ gehalten? Ist die Berufswahl erwogen worden? Die Ausbildung in einem Beruf in Angriff genommen? Die Neigung des Mündels berücksichtigt? Die Gesundheitsverhältnisse in Rechnung gestellt? Ist der Sparsamkeitssinn geweckt und gepflegt worden? Ist Mündel in zu weicher Hand? Ist Wechsel der Beschäftigung, der Umgebung, des Wohnortes (Verpflanzung) heilsam oder notwendig? Nach Vollendung des 17. Lebensjahres: In diesem Alter ist ge­ wöhnlich entschieden, ob sich der Mündel auf der richtigen Lebensbahn befindet. Aber gute und schlimme Einflüsse wirken immer noch stark

2. Aufsichtspflicht.

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auf seine Charakterbildung ein. Daher Augenmerk: Mit wem ver­ kehrt der Mündel? Wie beschäftigt er sich in der freien Zeit? Benützt er gute Bildungsmittel? Ist Veränderung geboten? Kommt der Mündel seinem Lebensziele näher? Wenn nicht, wie kann er dazu gebracht werden? Genügt ernste, aber wohlwollende Belehrung? Ist Mündel sparsam? Wie verwendet er Lohn oder Taschengeld? Kennt er die Gefahren unmäßigen Alkoholgenusses, der Unzucht und der Geschlechtskrankheiten, unnatürlicher Lebensweise? C. Bei volljährigen Mündeln.

Rücksichtsvolle Pflege? Angemessene Ernähmng? Schutz gegen Spott und Ärgernisse? Ist für gute Behandlung gesorgt? Auch für Zerstreuung und erlaubte Genüsse? Ist in allem die Menschenwürde gewahrt? Ist Anstaltsbehandlung oder Anstaltsaufenthalt vorzuziehen? oder geboten? Selbstverständlich hat der Waisenrat nicht bei jedem Mündel auf alle diese Einzelheiten zu achten. Die Umstände bestimmen, was er mehr und was er weniger ins Auge zu fassen hat. Weiß z. B. der Waisenrat, daß der Pflegevater den Schulbesuch des Mündels ge­ wissenhaft überwacht, so kann er über diesen Punkt rascher hinweg­ gehen als bei einem Mündel, dessen Erziehungsmutter ihre eigenen Kinder nicht zur Schule anhält. Bei scharfer Mitaufsicht tüchtiger Ver­ wandter braucht der Waisenrat auf den Besuch und die Überwachung nicht soviel Zeit und Mühe zu verwenden wie bei einem alleinstehenden Kinde, dessen Verwandte in weiter Ferne weilen."

*

Schließlich sei noch bemerkt, daß die Aufenthaltsdauer eines Mündels auf die Überwachungspflicht des Gemeindewaisenrats ohne Einfluß ist. Auch die Heimat desselben spielt keine Rolle. Gleichgültig ist, wo der Vormund wohnt. Es muß darauf geachtet werden, ob die außerhalb des Bezirks wohnenden Vormünder für die im Aufenthalts­ bezirk befindlichen Mündel gehörig sorgen. Ebensowenig ist von Be­ deutung, ob die Mutter des Mündels lebt und ihr Sorgerecht ausübt. Überwachung ist fortgesetzte Beobachtung, Anspannung und Tätigkeit. Mr so verstanden wird der Aufsichtspflicht des Gemeinde­ waisenrats genügt. Doppelbesuche lassen sich durch geeignete Organisation vermeiden. So kann es vorkommen, daß ein Kind zu betreuen ist, weil es unter Vormundschaft steht. Dasselbe Kind ist aber auch tuberkuloseverdächtig

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III. Kapitel. Amt und Aufgaben des Gemeindewaisenrats.

oder verkrüppelt. Es wäre also von einem Mtgliede des Gemeinde­ waisenrats, der Tuberkuloseschwester und der Gesundheitsfürsorgerin, also von drei verschiedenen Personen, in Fürsorge zu nehmen. Dies ist ein Mißstand, der, sobald er bemerkt wird, abgestellt werden muß, was sich dadurch ermöglichen läßt, daß eine Fürsorgerin die Aufgabe der anderen in diesem Falle übernimmt und alle in Frage kommenden Dienststellen über ihre Wahrnehmungen informiert. Tritt dann noch in solchen Fällen die private Fürsorge helfend zur Seite, dann werden die Wohnungen solcher Kinder von Fürsorgepersonen förmlich über­ laufen, und die gesamte Fürsorge kommt dadurch in Mißkredit.

3. Anzeigepflicht. Die Anzeigepflicht ergibt sich zunächst aus § 49 des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit,*) der vorschreibt, daß der Gemeinde­ waisenrat dem Vormundschaftsgericht Nachricht zu geben hat, wenn er von einem Falle Kenntnis erhält, in dem ein Vormund, Gegen­ vormund oder Pfleger zu bestellen ist. Zugleich soll er die Person Vor­ schlägen, die sich für das in Frage kommende Amt eignet. Weiter bestimmt die Anzeigepflicht § 1675 BGB.*) für alle Fälle, in welchen das Vormundschaftsgericht zum Einschreiten berufen ist. Dieses Einschreiten ist geboten, wenn die Person des Kindes oder sein Vermögen oder Person und Vermögen gefährdet sind. (§§ 1635, 1638—1645, 1647, 1653, 1665—1671, 1687 Ziff. 3 BGB.). Das Gesetz hat hier die unter elterlicher Gewalt stehenden Kinder im Auge, deren Eltern oder ein Elternteil das Erziehungsrecht mißbrauchen, indem sie das Kind vemachlässigen, dessen Vermögen vergeuden, oder sich selbst eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig machen. Derartige Gefährdungen können in verschiedener Form auftreten.

„Der Mißbrauch des Erziehungsrechtes gibt sich erfahrungsgemäß kund durch Mißhandlung, Duldung der Mßhandlung durch andere, z. B. durch die Ehefrau des Gewalthabers oder Angehörige der Gewalthaberin, durch Überschreitung des Züchtigungsrechtes, ungeeignete oder übermäßig lange Einsperrung, Aussetzung, Aussperrung, Über­

anstrengung, übermäßige Ausnutzung der Arbeitskraft, Untergrabung der sittlichen Gmndlage, Zwang zu einem gehaßten Berufe oder zu unpassender Beschäftigung, absichtlichen Eingriff in die Gewissens­ freiheit, Anwendung sonstiger schädlicher Zuchtmittel, z. B. Entziehung oder Verkürzung der Nahrung, durch Verführung, durch Anleitung

*) Siehe S. 16.

3. Anzeigepflicht.

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zu strafbaren Handlungen, Abhaltung vom Besuche der Schule, des Gottesdienstes, von der Erfüllung gesetzlicher Pflichten. Die Vernachlässigung des Kindes zeigt sich ge­ wöhnlich in Vorenthaltung des Lebensbedarfes (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Lagerstätte, Schulmittel), in mangelhafter Aufsicht oder Pflege, in der Unterlassung der nötigen Anleitung zur Erwerbung der gewöhnlichen Kenntnisse, in Unterlassung der Anhaltung zur Pflicht­ erfüllung, in mangelnder Strenge und Zucht, besonders bei Unarten oder schlechten Neigungen des Kindes, in körperlicher Verwahrlosung und Unreinlichkeit, sittlicher Verwilderung des Kindes, liebloser Be­ handlung eines leidenden Kindes, Vorenthaltung ärztlicher Hilfe bei Krankheiten ober Verletzungen, sonstigen Gesundheitsgefährdungen durch Unterlassung, Nichteinwilligung zur gebotenen Verbringung in eine Klinik oder Heilanstalt, Verweigerung der Mittel für Berufs­ ausbildung. Ehrloses und unsittliches Verhalten des Gewalt­ habers wirkt auf das Kind schädlich durch das schlechte Beispiel und zeigt andrerseits die Unfähigkeit des Gewalthabers zum Erzieher. Ehr­ loses Verhalten legt an bett Tag, wer eine schwerere Straftat mit Über­ legung begeht, z. B. Landesverrat, Hochverrat, Mord, Raub, Einbmchdiebstahl, fortgesetzte Betrügereien, vorsätzliche Brandstiftung, Münzverbrechen, Meineid, Erpressung, gewerbsmäßige Hehlerei, Kuppelei, dazu kommen Konkubinat, Müßiggang mit Gewohnheits­ bettel, Trunksucht, Arbeitsscheu. Unsittliches Verhalten liegt in Un­ zucht. Diese Beispiele zeigen aber nur einzelne Formen schuldhafter Gefährdung des Kindes, die Aufzählung ist nicht erschöpfend. Das verständige Urteil des Waisenrats wird auch bei anderen Vorgängen und Zuständen herausfinden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen zum Einschreiten des Vormundschaftsgerichts erfüllt sind oder nicht. In allen vorgenannten Fällen obliegt dem Waisenrat die Mitteilung an das Vormundschaftsgericht. Hat ein Kind eigenes (ausgemachtes) Vermögen, so kann dieses durch pflichtwidrige Verwaltung des Gewalthabers — Vater, Mutter — gefährdet sein. Auch hier sind der Formen viele, beispiekweise sind zu nennen: schlechte Anlegung, Verbrauch für sich oder andere An­ gehörige, Verschwendung, Veruntreuung, ungenügende Verwahrung, Bürgschaft, gefährliche Spekulationen, schadenbringende Geschäfte, Nichtwahrung der Vermögensrechte des Kindes. Beispiel: Der Vater verkauft die Grundstücke des Sohnes und legt den Erlös in Aktien eines Goldbergwerks an. Diese Anlegung entspricht nicht den gesetzlichen Vorschriften, da Kindergeld wie Mündelgeld zu ver­ walten ist.

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III. Kapitel. Amt und Aufgaben des Gemeindewatsenrats.

Die Anzeigepflicht greift auch Platz, wenn der Vater die Ver­ waltung des Kindesvermögens nicht nach den Anordnungen dessen führt, der das Vermögen dem Kinde zugewendet hat, oder wenn er der gesetzlichen Vorschrift zuwider unterläßt, bei Wiederverehelichung die Teilung des ihm und dem Kinde gemeinschaftlichen, von ihm ver­ walteten Vermögens herbeizuführen, oder Vermögen des Kindes dem Gericht zu verheimlichen versucht." *)

Entsprechende Anwendung findet das Gesagte auf die nur unter Mutterrecht stehenden Mündel, also auf Kinder, denen zwar ein Vor­ mund bestellt ist, deren leibliche Mutter aber das Erziehungsrecht be­ sitzt und ausübt; es sind hauptsächlich uneheliche Kinder und Kinder, deren Mutter sich wiederverehelicht hat. Lassen diese Mütter es an der richtigen Sorge und Erziehung fehlen, sind Vormund und Waisenrat unabhängig voneinander zur Meldung verpflichtet. Der Waisenrat wird dem Vormundschaftsgericht seines Wohn­ ortes auch Anzeige machen, wenn er Pflichtwidrigkeiten und Mängel hinsichtlich eines ausländischen Kindes wahrnimmt. Insbesondere gilt das für den Fall, daß eine Vormundschaft anzuordnen ist. Denn in diesem Falle haben die Behörden, in deren Gebiet sich der minder­ jährige Ausländer befindet, vom Sachverhalt den Behörden des Heimat­ staates des Minderjährigen Nachricht zu geben, sofern hierüber Staats­ verträge geschwssen worden sind.

Eine besondere Anzeigepflicht schreibt der Gesetzgeber weiter im § 1850 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz und Abs. 2 BGB. vor, in dem die Waisenräte angewiesen werden, Mängel und Pflichtwidrigkeiten der Vormünder dem Gericht zu melden, die sie bezüglich der Person der in ihrem Bezirk befindlichen Mündel wahrnehmen, sowie gleichfalls dem Vormundschaftsgericht Anzeige zu erstatten, wenn sie Kenntnis von einer Gefährdung des Vermögens eines Mündels erhalten. Die Über­ wachung der Verwaltung des Mündelvermögens selbst ist aber nicht Sache des Gemeindewaisenrats, sondern des Vormundschaftsgerichts (§ 1837 BGB.). So müßte z. B. Meldung erstattet werden, wenn ein Mündel sich in schweren sittlichen Gefahren befindet, der Vormund aber zur Abwendung derselben nichts tun würde. Nötigenfalls wird auf Fürsorgeerziehung anzutragen sein. Werden Geistesschwache, Taubstumme oder Blinde entdeckt, für deren Fortbildung nicht die nötigen Maßnahmen ergriffen werden, so sind für diese bei den zu­ ständigen Behörden Schritte zu unternehmen, damit sie nach Möglich­ keit in die Lage versetzt werden, selbständig ihren Lebensunterhalt zu

*) Pfister a. a. O. S. 48/49.

4. Auskunftspflicht.

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verdienen. Tuberkulöse und geschlechtskranke Kinder und Jugendliche führe man den entsprechenden Beratungsstellen zu, um sie diesen Volks­ seuchen zu entreißen. Wird bemerkt, daß die Bestimmungen betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben und den Schutz jugendlicher Arbeiter nicht beachtet werden,*) so ist die Beseitigung der Mängel zu veranlassen, ohne den Anschein zu erwecken, sogleich auf Bestrafung hinzuarbeiten. Bei der gesamten Erfüllung der Anzeigepflicht des Gemeinde­ waisenrats ist zudem zu bemerken, daß dem Gemeindewaisenrat keines­ wegs die Rolle eines Kriminalisten zugedacht ist, sondem die eines wohlmeinenden Beobachters und Beraters, dessen Aufgabe darin besteht, jedem zu nützen, indem er „die Menschenwürde erwachsener Schutzbedürftiger sichert und die höchsten Werte des Volkes, die Ge­ sundheit, Religiosität und Sittlichkeit der Jugend, hegt und pflegt. Sein Tun bezweckt nicht die Bestrafung der ungeeigneten oder schlechten Erzieher, sondern Ausschaltung der schlechten Einflüsse" **) im Interesse und zum Wohle des gesamten deutschen Volkes.

4. Auskunftspflicht. Die Auskunftspflicht des Gemeindewaisenrats ist im § 1850 Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz BGB.***) begründet und erstreckt sich nicht nur auf Mündel, sondern auch auf eheliche Kinder, deren Eltern noch leben. Auskunft kann jede Behörde erbitten, nicht nur das Vormundschafts­ gericht. Letzteres wird das Jugendamt als Gemeindewaisenrat natur­ gemäß am meisten in Anspruch nehmen, zumal ihm im § 43 RJWG. noch besondere Aufgaben zugewiesen sind, die vor Erlaß des RJWG. von den Gemeindewaisenräten mitgelöst wurden. Es sind dies Rück­ fragen in Alimentenangelegenheiten, betreffend Regelung der Per­ sonensorge für Kinder aus geschiedenen Ehen, Annahme an Kindes Statt, Unterstützung der Erziehungsberechtigten, Verkehr der Kinder mit geschiedenen Eltem, Vaterschaftsanerkennung, Legitimation durch nachfolgende Ehe und Namensgebung durch den Stiefvater, f) Die Auskunft wird vielfach die Form eines Gutachtens annehmen, so vor allem, wenn es z. B. dämm geht, die Einwilligung des Vor-

*) Zusammengestellt in N i e st r o j, Vormundschaftsrecht und Vormundsschaftsführung S. 256 ff. **) Pfister a. a. O. S. 49. ***) Siehe S. 15. f) Niestroj, Vormundschaftsrecht und Bormundschastsführung S. 58 ff.

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III. Kapitel. Amt und Aufgaben des Gemeindewaisenrats.

mundes zur Eheschließung eines Mündels durch das Vormundschafts­ gericht zu ersetzen, wobei es das Für und Wider der beabsichtigten Ehe­ schließung gegeneinander abzuwägen gilt. Wird eine Volljährigkeits­ erklärung beantragt, so ist zu prüfen, ob der Mündel körperlich und geistig hinreichend entwickelt ist, um diese Erklärung verantworten zu können. Eine schwere Frage ist auch die Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit, die bei Auswanderungen auftritt, und die Ent­ scheidung darüber, ob die elterliche Besitzung den verwaisten Kindern erhalten oder ob sie verkauft werden soll. In allen Fällen ist die Auskunft nur nach sorgfältigster Prüfung der vorliegenden Verhältnisse und immer nur von dem Gesichtspunkte aus zu geben, daß es sich darum handelt, das Wohl eines schutzbedürftigen Menschen zu fördern. Eine Verpflichtung zur Abgabe periodischer Berichte, wie sie vom Vormund verlangt werden, besteht für den Gemeindewaisenrat nicht. Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf alle Personen, die sich im Bezirke des Gemeindewaisenrats aufhalten. Wird über jemanden Auskunft begehrt, der außerhalb dieses Bezirks wohnt, so ist das Er­ suchen dem zuständigen Gemeindewaisenrat zur direkten Erledigung weiterzugeben und die ersuchende Stelle davon zu verständigen. Eine kürze Abwesenheit des Mündels z. B. während der Schulferien ändert jedoch an der Zuständigkeit nichts. Von größter Wichtigkeit ist eine genaue, bestimmte Berichterstattung, die sich auf eigene Feststellungen gründet. Nachrichten von Zwischen­ personen sind mit größter Vorsicht zu behandeln, da sie erfahrungsgemäß nur vom Hörensagen etwas wissen und daher bei so wichtigen Entscheidungen nicht verwendbar sind, die sich um ein Menschenschicksal drehen. Nötigenfalls müssen Zeugen benannt werden, damit das Gericht diese selbst hören und sich dann ein Urteil bilden kann.

Viertes Kapitel.

Rechte unö Verantwortlichkeit öes Hemeindewaisenrats. 1. Rechte. Nachdem wir zuletzt die Pflichten des Gemeindewaisenrats be­ handelt haben, drängt sich uns die Frage nach dessen Rechten auf. Welche Rechte hat der Gemeindewaisenrat? Aus seiner Uberwachungs- und Anzeigepflicht ergibt sich das Recht, gegenüber einem Vormund oder Mündel wie auch in besonderen Fällen gegenüber einem Kinde oder einem Vater Ermahnungen auszusprechen und Warnungen zu erteilen. Darüber hinaus darf der Gemeindewaisen­ rat nicht statt des Vormundschaftsgerichts in die Rechte des Vormundes oder Inhabers der Erziehungsgewalt eingreifen. „Man wird ihm aber", wie P f i st e r sagt, „die Befugnis zugestehen müssen, Minder­ jährige und andere Schutzbedürftige zur Rettung aus einer Gefahr für Leib und Leben oder bei einem Notstand dem Gewalthaber oder Vormund wegzunehmen und anderweitig vorläufig unterzubringen, all dies vorbehaltlich der vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung." *) Dieses Wegnahmerecht ist dem Jugendamt bezüglich der Pflegekinder im § 27 RJWG. ausdrücklich gegeben, doch muß das Jugendamt auch hiervon das Vormundschaftsgericht unverzüglich benachrichtigen, um einen entsprechenden Beschluß darüber herbeizuführen; denn der Gemeindewaisenrat kann weder für das Kind noch für dessen Vormund eine gültige Rechtshandlung vornehmen, außer sie wird nachträglich vom Vormund oder vom Inhaber der elterlichen Gewalt und, wo nötig, vom Vormundschaftsgericht bestätigt. Das RJWG. beschränkt dieses Wegnahmerecht ausdrücklich auf Fälle, in denen eine Gefahr im Ver­ züge liegt, und zwar als Kannvorschrift. Daraus ergibt sich, daß der Gemeindewaisenrat keine Zwangsmittel anwenden darf, diese viel­ mehr dem Vormundschaftsgericht Vorbehalten sind. *) a. a. O. S. 63. Niestroj, Gemetndewaisenrat.

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IV. Kapitel. Rechte und Verantwortlichkeit des Gemeindewaisenrats.

Das Recht auf Abstellung von Mängeln und Pflichtwidrigkeiten bei den beteiligten Personen durch Wamungen und Ermahnungen ist ohne weiteres aus dem Wortlaut des § 1850 Abs. 1 Satz 2 erster Halb­ satz zu folgern, der nicht lautet, der Gemeindewaisenrat habe d i e Mängel und Pflichtwidrigkeiten anzuzeigen, sondern „Mängel und Pflichtwidrigkeiten", das heißt also, die Anzeigepflicht besteht, wenn Mängel und Pflichtwidrigkeiten nicht durch Maßnahmen des Ge­ meindewaisenrats selbst beseitigt worden sind. Dieses Recht ist aber auch im Behördencharakter des Gemeinde­ waisenrats begründet, der als Behörde das weitere Recht hat, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen andere Behörden um Aus­ kunft und Unterstützung artzugehen; denn die Behörden haben zur Erreichung der Staatszwecke und des Gemeinwohls zusammenzuwirken und sich gegenseitig Rechtshilfe zu gewähren. Darum sagt Gimmert h a l *) mit Recht: „Wenn die Abstellung von Mängeln in der Mündel­ fürsorge vom Waisenrat nicht erzwungen werden kann und nach der Natur der ihm übertragenen Amtsbefugnisse auch nicht erzwungen werden soll, so bedarf andererseits der Waisenrat bei der Erforschung solcher Mängel unbedingt der Zwangsgewalt. Bei seinen Orientierungen an Ort und Stelle, namentlich bei den durch sie notwendig werdenden Besuchen fremder Häuslichkeiten, kann und wird ihm nicht selten von den Wohnungsinhabern Widerstand entgegengebracht werden. Diesen Widerstand, nötigenfalls unter Zuziehung der Polizei, zu brechen, muß der Waisenrat befugt sein. Dann ist erst der Waisenrat eine Be­ hörde im wirklichen Sinne, wenn zu seiner Selbständigkeit in der Be­ schlußfassung auf dem ihm zugewiesenen Gebiete auch die dem Beamten zukommende Machtbefugnis in der Durchführung des Amtes tritt." Dazu macht er allerdings später folgende Einschränkung: „Diese Zwangsgewalt besteht freilich nur gegenüber dem Vormund und Pfleger, nicht gegen­ über dem Inhaber der elterlichen Gewalt. Denn den letzteren soll der Waisenrat nicht planmäßig überwachen, er soll hier lediglich An­ zeige machen, wenn ein Fall zu seiner Kenntnis gelangt, der das Ein­ schreiten des Vormundschaftsgerichts rechtfertigt; er hat mithin hier Mängel und Pflichtwidrigkeiten nicht zu erforschen, sondern nur ihre Abstellung zu veranlassen, wenn sie zutage getreten sind." Zur Jnanspmchnahme der Polizei, insbesondere deren Voll­ zugsbeamten, sei übrigens bemerkt, daß diese das letzte Mittel der Wohl­ fahrtsorgane, also auch des Gemeindewaisenrats, sein muß, um nicht den Verdacht zu erwecken, der Gemeindewaisenrat sei mit der Polizei verbündet. Er verständigt die Polizei nur im Notfälle, um Gefahren

*) a. a. O. S. 117 ff.

2. Haftpflicht.

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von seinen Schutzbefohlenen abzuwenden oder um die Begehung von Verbrechen zu verhüten. Das Recht der Inanspruchnahme anderer Behörden legt dem Jugendamt als Gemeindewaisenrat die Verpflichtung auf, mit allen Behörden auf freundschaftlichem Fuße zu bleiben, um ein gedeihliches Arbeiten im Interesse der Jugend zu gewährleisten. Das Vormundschaftsgericht ist dem Gemeindewaisenrat auch jetzt nicht übergeordnet. Ihm steht daher kein Aufsichtsrecht über ihn zu, ebenso keinerlei Disziplinargewalt. Doch hat es das Recht, wenn die Dienstführung des Gemeindewaisenrats mangelhaft ist, dies den zu­ ständigen Aufsichtsstellen beschwerdeführend mitzuteilen, sofern Er­ innerungen und Mahnungen nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Aber auch dem Gemeindewaisenrat steht das Recht der Beschwerde gegenüber dem Vormundschaftsgericht zu, wenn er glaubt, mit dessen Entscheidungen nicht einverstanden sein zu können. Die Beschwerde ist hier ein Rechtsmittel, das beim Landgericht einzulegen und zu be­ gründen ist. Gegen die Entscheidung des Landgerichts kann weitere Beschwerde beim zuständigen Obergericht eingelegt werden, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes bemht (§§ 20, 57 Nr. 9, 27, 29 FGG.).

2. Haftpflicht. Das BGB. hat im § 1848 bestimmt, daß ein Vormundschafts­ richter, der die ihm obliegenden Pflichten vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, dem Mündel nach § 839 Abs. 1 und 3 verantwortlich ist. Die Motive zum BGB. sagen hierzu, der Zweck dieser Bestimmung sei, zu verdeutlichen, daß die dem Vormundschaftsrichter in Ansehung der An­ ordnung und Führung der Vormundschaft obliegenden Amtspflichten als solche aufzufassen sind, welche im Sinne des § 839 ihm gegenüber dem Mündel obliegen, daß mithin auf die Verletzung der bezeichneten Pflichten dritte Personen Schadensersatzansprüche nicht gründen können. Bei verabsäumter Aufsicht oder sonstiger Fahrlässigkeit haftet also der Vormundschaftsrichter nur, soweit nicht von anderen verant­ wortlichen Personen, wie Vormund, Gegenvormund, der Schaden ersetzt und erlangt werden kann, und nur, wenn nicht zulässige Rechts­ mittel (Beschwerde) versäumt sind; denn § 839 Abs. 1 und 3, auf den hier Bezug genommen wird, befaßt sich mit der Haftpflicht der Be­ amten und lautet: „(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den 4*

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IV. Kapitel. Rechte und Verantwortlichleit des Gemeindewaisenrats,

daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. (3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden."

Für den Gemeindewaisenrat ist eine entsprechende Bestimmung nicht ausgenommen, ja nach den Motiven zum BGB. absichtlich aus­ geschlossen worden, woraus Gimmerthal*) folgert, daß eine Haftung des Gemeindewaisenrats im Sinne des § 839 BGB. nicht festgesetzt werden sollte.

Diese Motive sagen:

„Es ist nicht für angemessen erachtet worden, den Waisenrat nach Maßgabe des § 1848 wegen Verletzung seiner Amtspflichten wie den Vormundschaftsrichter privatrechtlich verantwortlich zu machen. Eine folche Verantwortlichkeit ist einerseits ohne erheblichen Wert, da aus der Vernachlässigung der Aufsicht über die Sorge für die Person dem Mündel ein Vermögensschaden nur selten erwachsen, zudem der Kausal­ zusammenhang nur schwer nachzuweisen sein wird. Andererseits ist eine derartige Bestimmung auch bedenklich, da die dem Waisenrat obliegenden Pflichten mehr oder weniger unbestimmt sind und die Verantwortlichkeit desselben gegenüber dem Mündel insofern schädlich wirken kann, als sie geeignet ist, das Institut in Mißkredit zu bringen und vor der Übernahme des Amtes zurückzuschrecken. Selbstverständlich bleibt es im übrigen bei den allgemeinen Bestimmungen über Haftung wegen Schadensersatzes aus unerlaubten Handlungen." Aus alledem ergibt sich folgende Rechtslage: 1. Beamte des Jugendamtes, welche die gemeindewaisenrätlichen Aufgaben zu erfüllen haben, haften aus § 839 BGB-, 2. Helfer und Helferinnen in dieser Beziehung ohne Beamten­ charakter gemäß den allgemeinen Vorschriften aus § 823 BGB., denen jedermann unterworfen ist, sofern durch eine Schuld bei der unrichtigen Ausübung ihrer Obliegenheiten anderen Personen Schaden zugefügt wurde. Nicht die Furcht vor der Haftung soll aber der Anspom zur Pflicht­ erfüllung des Gemeindewaisenrats sein, sondern das Bewußtsein der

*) a. a. O. S. 121.

3. Amtsverschwiegenheit.

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Verantwortlichkeit gegenüber Gott und dem Gewissen, das uns zwingt, stets das Beste herzugeben, wo es sich um das Wohl der Heranwachsenden Staatsbürger handelt.

3. Amtsverschwiegenheit. Zum Wesen der Verantwortlichkeit gehört auch die Amts­ verschwiegenheit, die für alle im Jugendamt als Gemeinde­ waisenrat tätigen Personen besteht. Nichts würde dieser Einrichtung mehr schaden wie klatschsüchtige Menschen, die nichts für sich behalten können, sondem Wahmehmungen in fremden Familien Nachbarn und Nachbarinnen weitererzählen. Geheimzuhalten ist alles, was in der Eigenschaft als Beauftragter des Gemeindewaisenrats erfahren wird und was seiner Natur nach nicht zur Kenntnis der Allgemeinheit kommen darf. Die Pflicht der Amtsverschwiegenheit ist sehr ernst zu nehmen, um sich Unannehmlichkeiten zu ersparen und auch weil es eines ge­ sitteten Menschen unwürdig ist, als lebende Zeitung im Orte herum­ zugehen und sich so interessant zu machen. Solche Menschen sind für das Institut des Gemeindewaisenrats völlig ungeeignet.

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Fünftes Kapitel.

Aufbau und Ausbau des Gemeindewaisenrats, Das Kapitel über die Aufgaben des Gemeindewaisenrats hat uns gezeigt, daß es dem Jugendamt unmöglich ist, diese vom grünen Tisch aus zu erfüllen, vielmehr dazu einer Menge helfender Hände bedarf, die sich auf alle Gemeinden und Bezirke in seinem Bereiche verteilen. Das Jugendamt muß überall Augen und Ohren haben, die für dieses sehen und hören. Selbst wenn es noch so viel Fürsorger und Fürsorgerinnen int Hauptamte haben würde, könnte es ohne örtliche Vertrauenspersonen nicht auskommen. Selbstverständlich müssen die Vertrauenspersonen wissen, was von ihnen verlangt wird. Sie müssen geschult sein und den besten Willen zum Helfen haben. Auf den Namen kommt es nicht an. Ob sie „Ortsjugendhelfer", „Ortsjugendräte", „Ortswaisenräte", oder „Gemeindewaisenräte" heißen, ist gleichgültig. Wir nennen sie Waisenräte. Gleichgültig ist auch, ob die örtliche Ver­ trauensperson ein Mann oder eine Frau ist. Wer seine Pflicht im engsten Einvemehmen mit dem Jugendamt tun will, der muß will­ kommen sein. Vor allem werden sich oft Frauen für dieses Amt eignen, da jetzt bei der Gleichberechtigung der Geschlechter kein Hindernis besteht, eine Frau zum örtlichen Waisenrat zu bestellen. Wie soll nun der Aufbau und Ausbau des Jugendamtes als Ge­ meindewaisenrat erfolgen?

Wir wiederholen nochmals, was wir schon früher sagten, daß das Jugendamt der Zentralgemeindewaisenrat für seinen Bezirk ist. Er hat in dieser Eigenschaft 1. für einen geordneten Geschäftsbetrieb zu sorgen,

2. den

Außendienst zu organisieren.

V. Kapitel. Aufbau und Ausbau des Gemeindewaisenrats.

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1. Der Bürodienst. Zum Bürodienst gehört zunächst die Fühmng des Schriftwechsels mit Behörden, Helfem und Privaten. Ferner muß die Geschäftsstelle wissen, wieviele Mündel in ihrem Bezirk sich befinden und wer Vormund dieser Kinder ist. Zu diesem Zwecke eignet sich sehr gut eine Kartei

a) für die Mündel selbst, b) für die Vormünder, Pfleger, Gegenvormünder und Beistände. Aus der Mündelkarte muß nicht nur der Name der Mündel zu ersehen sein, sondern auch das Aktenzeichen des Gerichts, der Vormund selbst, die Eltern und das Karteizeichen. Ebenso soll darauf vermerkt werden, von welchem Gericht oder Gemeindewaisenrat der Mündel überwiesen, und bei Verzug desselben, welchem Gemeindewaisenrat er zur weiteren Kontrolle abgegeben wurde, sowie zu welchem Unterbezirk das Kind gehört und wer es beaufsichtigt. Auf der Rückseite werden der Wohnungswechsel, die Mündelbesuche und die Wahrnehmungen dabei vermerkt. Eine Abschrift der Hauptkarte erhält als Nebenkarte die Für­ sorgerin oder der Waisenrat, dem das Kind zur Betreuung zugeteilt wurde. Die Hauptkarte ist von weißer, die Nebenkarte zum Zwecke leichteren Erkennens von bunter Farbe. Scheidet ein Mündel aus irgendeinem Grunde aus der Fürsorge aus, so wird dessen Karte zurückerbeten. Auf den Karten wird durch besondere Stichworte kenntlich ge­ macht, ob es sich um Amtsmündel, Privatmündel, Pflegekinder oder Schutzaufsichten handelt. So gibt jede Karte, wenn sie richtig geführt wird, stets ein klares Bild über den Mündel und seine Betreuung.

Die Sonderkarte der Vormünder hat den Zweck, stets leicht die Personen zu finden, die schon Vormundschaften, Pflegschaften usw. führen, um nicht immer dieselben zu diesen Ämtern vorzuschlagen. Es empfiehlt sich, von Zeit zu Zeit eine gründliche Revision dieser Karteien vorzunehmen und zu diesem Zwecke an die Vormünder usw. besondere Fragebogen zu senden. Die Umfrage ergibt oft, daß trotz der Aufsichtsarbeit der Helfer da und dort Veränderungen ein­ getreten sind, die eine Abgabe von Vormundschaften an andere Ge­ richte ratsam werden lassen oder die Bestellung anderer Vormünder notwendig machen, etwa weil der alte Vormund verstorben oder ver­ zogen ist. Daß entsprechende Haupt- und Sonderakten geführt werden, versteht sich von selbst. Die Anlage der Sonderakten geschieht zweck-

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V. Kapitel.

Aufbau und Ausbau des Gemeindewaisenrats,

mäßig nach den Buchstaben des Alphabets. Darin werden die Schrift­ stücke bezüglich der einzelnen Mündel gesammelt und einige Zeit verwahrt.

2. Der Nachrichtendienst. Von größter Wichtigkeit ist der gegenseitige Nachrichten­ dienst. Die Gesetze geben hierfür nachstehende Bestimmungen, von deren genauesten Beachtung mit der Erfolg der Vormundschaftsgerichts­ und Gemeindewaisenratstätigkeit abhängt. Nach § 48 FGG. vom 17. Mai 1898 hat der Standesbeamte den Tod einer Person, die ein minderjähriges Kind hinterlassen hat, die Geburt eines ehelichen Kindes nach dem Tode des Vaters, die Geburt eines unehelichen Kindes und die Auffindung eines Minderjährigen, dessen Familienstand nicht zu ermitteln ist, dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen, ebenso die Ehe einer verwitweten Frau, die ein minder­ jähriges eheliches Kind hat. § 36 RJWG. schreibt hierzu vor, daß diese Meldung bezüglich der unehelichen Geburten durch das Jugendamt weiterzugeben ist. Auf diese Weise erhält es auch in seiner Eigenschaft als Gemeindewaisenrat Kenntnis von Fällen, die eine Vormundschafts­ einleitung notwendig machen, und reicht diese Meldung nach § 49 FGG. weiter, worauf wir bereits bei der Anzeigepflicht des Gemeindewaisen­ rats hingewiesen haben.*) Übrigens besteht in Preußen ein Erlaß der Minister des Jnnem und der Justiz vom 20. November 1899, nach dem die nach § 48 FGG. von dem Standesbeamten dem Vormund­ schaftsgericht zu machenden Anzeigen mit Genehmigung des Ober­ präsidenten vom Standesamt zunächst dem Gemeindewaisenrat über­ sandt und von diesem alsdann an das Vormundschaftsgericht in solchen Orten weitergereicht werden können, in denen die Geschäfte des Ge­ meindewaisenrats besonderen Abteilungen der Gemeindeverwaltung übertragen sind. Da diese Voraussetzung jetzt bei den Jugendämtern gegeben ist, sollten alle davon Gebrauch machen, weil dadurch eine be­ deutende Geschäftsvereinfachung und Beschleunigung der Bestellungs­ arbeiten eintritt. Weiter sagt § 1851 BGB.,**) daß das Vormundschaftsgericht dem Gemeindewaisenrat die Anordnung der Vormundschaft über einen sich in dessen Bezirk aufhaltenden MAndel unter Bezeichnung des Vor­ mundes und des Gegenvormundes sowie einen in der Person des Vormundes oder des Gegenvormundes eintretenden Wechsel mitzuteilen hat.

*) Vgl. S. 16. **) Siehe S. 15.

2. Der Nachrichtendienst.

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Und int Abs. 2 daselbst heißt es: „Wird der Aufenthalt eines Mündels in den Bereich eines anderen Gemeindewaisenrats verlegt, so hat der Vormund dem Gemeindewaisenrat des bisherigen Auf­ enthaltsorts und dieser dem Gemeindewaisenrat des neuen Aufenthalts­ orts die Verlegung mitzuteilen." Gegen diese Bestimmung wird aber in der Praxis am meisten gefehlt, weil die Vormünder diese Benach­ richtigung des Gemeindewaisenrats in der Regel unterlassen und nur gelegentlich eines Kontrollbesuches der Helfer der Verzug eines Mündels sestgestellt wird. Die Gerichte müßten bei der Bestellung der Vor­ münder auf diese Meldepflicht besonders Hinweisen; denn fast immer ist Unkenntnis die Ursache der Nichtanzeige; und dann ist eine ununter­ brochene Beaufsichtigung namentlich solcher Mündel unmöglich, die vom Lande in die Großstadt ziehen, wo ihnen jeder Anhalt an Familienangehörige fehlt und sie so nicht selten an Leib und Seele zu­ grunde gehen, was aber hätte vermieden werden können, wenn durch die Organe des Gemeindewaisenrats einem unerfahrenen Menschenkinde mit Rat und Tat rechtzeitig geholfen worden wäre. In der heutigen Zeit der sittlichen Not ist oft schon viel getan, wenn die Mündel auf die ihrer Religion oder Weltanschauung entsprechenden Jugendbünde hin­ gewiesen werden, in denen sie dann Halt und Festigung auf dem weiteren gefahrvollen Lebenswege finden. Mit Recht sagte in dieser Hinsicht schon im Jahre 1900 Amtsrichter Badstüber in einem Aufsatz über „Die Bedeutung und Organisation des Waisenrats im neuen Jahr­ hundert:*) „Bei den Riesenaufgaben, welche der Jugendschutz den amtlichen Organen des heutigen Waisenrats stellt, werden diese der Hilfe der Ver­ eine nicht entbehren können, und ebenso werden letztere wahrhaft segens­ reich nur dann zu wirken vermögen, wenn ihnen behördliche Zwangs­ mittel gelegentlich zur Seite stehen. Die Ergänzung wird auch in der sonst verschiedenen Art der beiderseitigen Tätigkeit liegen. Wohl kann der Waisenrat allein feststellen, ob z. B. in der Art der Wohnung und Schlafstellen keine Mißstände herrschen, ob die Trennung der Schlaf­ stellen von Dienstleuten und Schlafstellenleuten beiderlei Geschlechts durchgeführt sei, ob namentlich minderjährige junge Mädchen nicht in schlechten Häusem untergebracht seien. Die Wahl des Umganges aber, die Beschaffung geeigneter Lehr- und Arbeitsstellen, die Beschaffung freier Zeit für den Besuch von Fortbildungsschulen und ähnliches wird der Waisenrat ohne die Hilfe der Vereinstätigkeit nicht zu überwachen

*) Zeitschrift „Die Jugendfürsorge", 1. Jahrgang S. 77.

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V. Kapitel. Aufbau und Ausbau des Gemeindewaisenrats.

vermögen. Die Waisenräte werden daher ihre Mündel den jeweilig für sie geeigneten Vereinen zuführen müssen, wozu es selbstverständlich des Vorhandenseins von Waisenratsmitgliedern bedarf, die sich die Kenntnis der Vereine, Stiftungen sowie ihrer Statuten und Mittel zu ihrer Sonderausgabe machen. Die großen Aufgaben der Organe des Staates und der Gemeinde werden allein durch einträchtiges Zu­ sammenwirken dieser Art ihrer Lösung entgegengeführt, insonderheit wird vor allem aber auch auf diesem Wege allein dem Vormundschafts­ gericht der erforderliche Einfluß auf die Erziehung gewährleistet werden können."

Die Überweisung von Mündeln an andere Gemeindewaisenräte erfolgt entweder durch Zusendung der Nebenkarte oder durch Postkarte.

Die Meldungen des Standesämter, die durch das Jugendamt an das Vormundschaftsgericht gerichtet sind, werden im Interesse der Geschäftsvereinfachung urschriftlich mit entsprechenden Vorschlägen weitergegeben. Zweckmäßig werden die Einwohnermeldeämter in den Dienst des Gemeindewaisenrats gestellt, indem sie vom Zuzug und Woh­ nungswechsel von Mündeln dem Jugendamt durch Formblätter Nach­ richt geben. Zwar besteht hierfür keinerlei Verpflichtung. Doch dürfte eine Verfügung der Aufsichtsorgane auf Ersuchen stets den gewünschten Erfolg haben. Schließlich schreibt § 1894 BGB. vor: „Den Tod des Vormundes hat dessen Erbe dem Vormundschafts­ gericht unverzüglich anzuzeigen.

Den Tod des Gegenvormundes oder eines Mitvormundes hat der Vormund unverzüglich anzuzeigen."

So sehen wir, daß der Gesetzgeber an einen lückenlosen Nachrichten­ dienst zum Wohle der schutzbedürftigen Jugend gedacht hat. Vormund, Gemeindewaisenrat, Vormundschaftsgericht und andere Behörden sollen zusammenarbeiten, damit kein Mündel der Hilfe entbehren muß, die ihm der Staat zu geben gewillt und in der Lage ist. Allerdings wird auch, wie Amtsgerichtsrat Sommer sagt,*) letztere Vorschrift sehr häufig unbeachtet gelassen, und oft gelangt erst, wenn das Vor­ mundschaftsgericht Vermögens- oder Erziehungsberichte einfordert, die Tatsache zu seiner Kenntnis. Hier muß also von allen in Frage kom­ menden Behörden noch sehr viel Erziehungsarbeit geleistet werden.

*) Sommer, Das Amt des Waisenrats S. 21.

3. Der Außendienst.

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Besondere Sprechstunden in Gemeindewaisenratsangelegenheiten erleichtern wesentlich den Geschäftsverkehr zwischen dem Jugendamt und seinen Helfem. Doch weise man niemandem die Tür, der auch zu anderer Zeit als Hilfsbedürftiger vorspricht. Stete Hilfsbereitschaft und Gefälligkeit sei das Zeichen des Gemeindewaisenrats.

3. Der Außendienst. Ebenso wichtig wie der Bürodienst ist die Organisation des Außen­ dienstes der Gemeindewaisenratsaufgaben. Ohne eine solche Organi­ sation bleibt das Jugendamt als Gemeindewaisenrat ein totes Gebilde. Zunächst muß das Jugendamt mit Hilfe der Gemeindevorstände oder Wohlfahrtsvereine für jede Gemeinde, auch wenn sie noch so klein ist, eine Vertrauensperson gewinnen, die ihm bei Erledigung der Ge­ meindewaisenratsarbeiten hilft. Für größere Orte werden mehrere Männer und Frauen dafür zu erwählen sein, wobei das Bekenntnis und die Weltanschauung der beteiligten Personen zu berücksichtigen ist. Jeder Reibung wird dadurch die Spitze abgebrochen; denn jede Kon­ fession nimmt für sich das Recht in Anspruch, ihre Mündel zu betreuen und für sie Vormünder, Beistände und Pfleger aus ihren Reihen zu benennen. Dies entspricht dem Gesetze. Jugendaufsicht ist Erziehungs­ arbeit, und die kann nur bei sonstiger Eignung eine mit dem Mündel konfessions- oder bekenntnisgleiche Person leisten. Dieser Gmndsatz gilt auch dann, wenn die Betreuung einer Organi­ sation anvertraut wird, wie der Preußische Minister für Volkswohlfahrt in seiner Entscheidung vom 6. Januar 1927 über die Beschwerde des Ausschusses für Arbeiterwohlfahrt in Reichenbach in Schlesien über den Beschluß des dortigen Magistrats, betreffend die Ausübung des Schutzes der Pflegekinder, ausführt:*)

„Was die Stellung der Betreuten anbetrifft, so hat die vom Gesetz geforderte Berücksichtigung des Bekenntnisses so lange zu erfolgen, als der zu Betreuende einem bestimmten kirchlichen Bekenntnisse angehört. Die Zugehörigkeit zu einer Weltanschauung wird vielfach schwer fest­ stellbar sein, da es hierfür in der Regel an einem Erkennungszeichen fehlt. Die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei kann an sich als ein solches Kriterium nicht bezeichnet werden, da die politischen Par­ teien nicht als der Ausdruck einer bestimmten Weltanschauung in dem Sinne angesehen werden können, in dem das Gesetz Berücksichtigung

*) Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Wril/Mai 1927.

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V. Kapitel.

Aufbau und Ausbau des Gemeindewatsenrats.

der Weltanschauung oder des Bekenntnisses bei der Erziehung des Minderjährigen fordert. Abzulehnen ist auch die Auffassung, daß für die Entscheidung des Jugendamts über die Verteilung erzieherischer Aufgaben an die freie Wohlfahrtspflege der Wille der zu Betreuenden oder ihrer Erziehungsberechtigten maßgebend sein müsse. Ob und welche Organisationen der Jugendwohlfahrt mit Aufgaben betreut werden, das zu entscheiden ist Sache des Jugendamtes in seiner Eigenschaft als Gemeindewaisenrat oder auf Grund seiner sonstigen jugendamtlichen Funktionen^ Freilich wird ein verständiges Jugendamt den Wünschen der Erziehungs­ berechtigten bezüglich der Betreuung insoweit Rechnung tragen, als dadurch der Erziehungszweck gefördert wird. Denn es ist im Interesse einer einheitlichen und erfolgreichen Erziehung dringend erwünscht, daß Vormund, Pfleger, Beistand oder sonstiger Helfer mit denjenigen, von denen der Minderjährige erzogen wird, in gutem Einvernehmen steht. Ein Recht zur Bezeichnung der Auswahl einer bestimmten Organisation oder Person für die Übernahme der Betreuung steht jedoch den Erziehungsberechtigten mit Ausnahme der im Gesetz aus­ drücklich bestimmten Fälle (§§ 1777, 1915 BGB.) nicht zu." Demnach haben hier folgende Leitsätze zu gelten, die Landesrat Dr. Vossen in seiner Abhandlung „Die Zuständigkeit der freien Organisationen in der praktischen Jugendfürsorge"*) gibt: „1. Gehört ein Minderjähriger einem bestimmten Bekenntnisse an, so ist für seine Betreuung grundsätzlich ausschließlich die an­ erkannte Wohlfahrtsorganisation dieses Bekenntnisses zuständig.

2. Ist ein Minderjähriger bekenntnislos, so kommt für ihn die­ jenige Jugendwohlfahrtsorganisation in Frage, die seiner bekenntnis­ losen Weltanschauung entspricht." Bei der Auswahl der Vertrauenspersonen sei auf die freiwillige Hilfsbereitschaft großer Wert gelegt. Wem ein Ehrenamt aufgezwungen wird, der hat gewöhnlich kein großes Interesse an seiner gewissenhaften Erledigung. Es muß gelingen, durch geschickte Verhandlungen vor allem die höheren Stände für dieses Amt zu gewinnen, von denen Amtsgerichtsrat Sommer zwar in dem Aufsatz „Die Aufsicht des Waisenrats über die aus dem Familien­ verband losgelösten Minderjährigen" sagte:**) „Ich

*) Caritas 1926 S. 241. **) Zeitschrift „Die Jugendfürsorge", 12. Jahrgang, 1911, S. 79 ff.

3. Der Außendienst.

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habe nie gehört, daß ein Kommerzienrat, ein Großindustrieller, ein Fideikommißherr oder ein Gutsbesitzer Waisenräte sind, während die Stadtratposten nicht selten von ihnen stark umworben werden." Doch liegen seitdem schwere Zeiten hinter uns, so daß angenommen werden kann, daß nicht nur die Geistlichen und Lehrer allein, wie früher immer schon, sich in dankesnwerter Weise hierfür zur Verfügung stellen, sondern auch andere Schichten unserer Intelligenz.

Die Waisenräte sind von den Gemeinden zu wählen und dem Jugendamt zu benennen, das sie für dieses Amt bestätigen oder ab­ lehnen kann. Erst durch diese Bestätigung werden die Gewählten Mit­ glieder des Gemeindewaisenrats. Sind die örtlichen Vertrauenspersonen gefunden, dann müssen sie mit ihren Aufgaben vertraut gemacht werden. Dies geschieht durch Konferenzen und Besprechungen, die etwa zweimal im Jahre statt­ finden sollen. Die Züsammenberufung erfolgt aber nicht durch das Kreisblatt, sondern durch Einzelmitteilungen, die besser wirken als eine Kreisblattbekanntmachung. Bei diesen Besprechungen lasse man auch die Nebenkarten der Mündel der Geschäftsstelle zurückgeben. Da­ durch werden die Ortswaisenräte an ihre Besuchspflichten erinnert. Wer nicht erscheint, von dem werden dann die Karten besonders an­ gefordert. Ohne diese Maßnahme tritt leicht eine gewisse Stagnation in der Arbeit der Zwischenstellen ein; denn wir dürfen nie vergessen, daß die Waisenräte einem anderen Berufe nachgehen und ihnen ge­ wöhnlich nur die Freizeit zur ehrenamtlichen Arbeit bleibt. Nicht selten können wir aber die Frage hören, was bei diesen Kon­ ferenzen besprochen werden soll, da nicht immer Material zu einem Vortrage vorhanden sei. Darauf ist zu sagen, daß gerade die Zu­ sammenkünfte, bei denen keine Vorträge gehalten, sondern nur die laufenden Fälle aus der Praxis, die es immer gibt, zwanglos im Unter­ haltungston erörtert werden, oft die interessantesten und für die Teil­ nehmer am lehrreichsten sind. Dabei hat der Leiter der Versammlung die beste Möglichkeit, die in Frage kommenden Bestimmungen und Gesetze zu besprechen, da der Gesetzgeber die Vorschriften über die Tätigkeit der Waisenräte in den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetz­ buches zu allgemein faßte. Während der Gesetzgeber das Amt des Vormundschaftsrichters bis ins kleinste geregelt und ihm vorgeschrieben hat, in welcher Weise er sich der Jugendfürsorge widmen soll, begnügte er sich bei den Bestimmungen über das Amt des Waisenrats mit ganz allgemeinen Richtlinien. Es kommt weiter hinzu, daß, während die Sprache der Gesetzgebung früherer Jahrhunderte von einer gewissen persönlichen Empfindung durchströmt war, der Gesetzgeber plastisch und

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V. Kapitel. Aufbau und Ausbau des Gemeindewaisenrats.

anschaulich zum Volke redete, unsere Gesetzgeber ihre Gebote und Ver­ bote in eine farblose, abstrakte AusdruWweise hüllen, die jede An­ führung von Beispielen verwirft und die deshalb, ebenso wie die in ähnlicher Weise abgefaßten Dienstanweisungen für Waisenräte, wenig geeignet erscheinen, den Waisenrat über die Rechte und Pflichten seines Amtes zu belehren und ihn zur Entfaltung gedeihlicher Tätigkeit an­ zuregen." So S o m m e r in dem erwähnten Aufsatze der Zeitschrift „Die Jugendfürsorge".*)

Auch seine Bemerkung über die Dienstanweisung für Waisenräte ist richtig. Die Anweisung enthält fast immer nur eine kurze Wieder­ gabe der in Frage kommenden gesetzlichen Bestimmungen. Ihre Durch­ arbeitung und Erklärung gelegentlich der Zusammenkünfte erscheint daher notwendig. Ganz unnötig ist eine solche Geschäftsanweisung aber nicht. Sie bietet den Helfern und Helferinnen Anhaltspunkte für ihre Tätigkeit und erspart ihnen oft Anfragen beim Jugendamte, die sie sonst in Zweifelsfällen stellen müßten. Wir fügen aus diesem Grunde eine solche in der Anlage B bei. So bieten die gesetzlichen Vorschriften über das Jugendamt und das Bürgerliche Gesetzbuch im allgemeinen und den Gemeindewaisenrat, die Vormundschaftsführung, das Vormundschaftsgericht, das Pflege­ kinderwesen, die Fürsorgeerziehung, das Jugendgericht und Erziehungs­ fragen im besonderen genügend Stoff zu Belehrungen und Vorträgen bei den Konferenzen. Auch der Bericht über eine Tagung in An­ gelegenheiten der Jugendfürsorge und des Jugendschutzes dürfte stets gern entgegengenommen werden. Unsere schnellebige Zeit sorgt schon für ausreichendes Besprechungsmaterial. Wo mehrere Personen an einem Orte als Mitarbeiter in Frage kommen, werden sie zweckmäßig zu einem Ortsausschuß vereinigt. Baden nennt ihn Ortsjugendrat. Daß den Vertrauenspersonen die nötigen Formblätter zur Ver­ fügung gestellt und ihnen bare Auslagen und Portokosten von der Gemeinde oder vom Jugendamt ersetzt werden, erscheint selbst­ verständlich, da bei der allgemeinen Verarmung in der Gegenwart niemandem zugemutet werden kann, für seine Arbeit im Dienst der Öffentlichkeit noch Geldausgaben zu haben.

Auch verlange man nicht von ihnen zuviel Schreibarbeit. Sie sei auf das Allernotwendigste beschränkt. Soweit irgend möglich, werde sie von hauptamtlichen Kräften des Jugendamts oder dessen Gemeinde­ waisenratsabteilung erledigt.

*) 12. Jahrgang, 1912.

3. Der Außendienst.

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Gehen aber Ersuchen an die Waisenräte nicht rechtzeitig ein, so erscheint es ratsam, sie daran zu erinnern. Die Waisenräte erhalten vom Jugendamt zum Ausweis für ihre Tätigkeit eine amtliche Bescheinigung, die ihnen nicht selten von Nutzen sein wird. Der Wunsch nach einer solchen wurde von den Waisen­ räten in Glatz, die schon eine jahrzehntelange Praxis hinter sich haben, da dort der Ausbau des Gemeindewaisenrats, wie wir ihn dargetan haben, seit 1913 besteht, wiederholt geäußert.

Auch ein Verzeichnis der Waisenräte ist für einen geordneten Ge­ schäftsbetrieb unerläßlich.

Nachstehend bringen wir eine Zusammenstellung von Vordmcken, die sich bei der Amtsführung des Jugendamts als Gemeindewaisenrat als praktisch erwiesen haben und die im Verlage der Arnestus-Druckerei in Glatz erschienen sind und von dort bezogen werden können: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Karte für Vormünder, Pfleger usw. Mündelhauptkarte (weiß). Mündelnebenkarte (bunt). Aufsichtsersuchen an Waisenräte. Rückgabeersuchen an Waisenräte. Berichtsersuchen an Vormünder usw. Überweisungskarte für Mündel.

8. Mitteilung der Meldeämter an den Gemeindewaisenrat über Mündelzugänge und -abgänge. 9. Einladung zur Gemeindewaisenratssitzung. 10. Erinnerungen an Waisenräte. 11. Ausweis für Waisenräte. 12. Verzeichnis der Waisenräte.*) Wir sehen also, daß eine straffe Organisation notwendig ist, wenn das Jugendamt als Gemeindewaisenrat seine Aufgaben so erfüllen will, wie sich das der Gesetzgeber gedacht hat, als er ihm diese Aufgaben übertmg. Nicht selten wird aber die Delegiemng derselben zur selb­ ständigen Erledigung auf einzelne Gemeinden unbedingte Voraus­ setzung hierfür sein. Insbesondere ist nicht einzusehen, warum sie nicht auf alle kreisangehörigen Städte und Gemeinden erfolgen soll, die hauptamtliche Beamte und Angestellte beschäftigen und dadurch eine sicherere Gewähr für eine raschere Erledigung z. B. von Anfragen des Vormundschaftsgerichts bieten, als dies auf dem Umweg durch *) Siehe Anlage A.

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V. Kapitel.

Aufbau und Ausbau des Gemeindewaisenrats.

das Jugendamt möglich ist. Dasselbe gilt für eine entsprechende Delegiemng auf Wohlfahrtsvereine, die einen geordneten Geschäfts­ betrieb haben. Erwarten die Jugendämter etwa Erschwernisse daraus für sich? Eine solche Befürchtung ist gmndlos. Das Gegenteil ist der Fall. Es tritt eine wesentliche Entlastung der Jugendämter ein! Doch müßten sie dafür sorgen, daß alle delegierten Städte, Gemeinden und Wohl­ fahrtsvereine nach demselben Geschäftsplan arbeiten wie die Jugend­ ämter, das heißt mit den gleichen Karteien und Formblättem, um die Übersicht nicht zu erschweren und den Abschluß des Jahresberichts über die Gemeindewaisenratstätigkeit des Gesamtbezirks zu erleichtern; denn das Jugendamt bleibt letzten Endes auch für die Gemeindewaisen­ ratsarbeit der delegierten Kommunen und Vereine verantwortlich und muß am Jahresschlüsse über deren Tätigkeit berichten. Zu diesem Zwecke müßten sie dem Jugendamts jährlich über ihre Gemeindewaisenratsarbeit Bericht erstatten. Auch könnten sie veranlaßt werden, dem Jugendamt eine Zweit­ schrift der Mündelhauptkarte zur Vervollständigung der Zentralhaupt­ kartei einzureichen. Doch das alles sind organisatorische Fragen unter­ geordneter Natur, die sich leicht klären lassen, wenn überhaupt nur der Wille besteht, eine Delegiemng vorzunehmen.

Das Vormundschaftsgericht muß natürlich von einer solchen Delegiemng verständigt werden, damit es seinen Geschäftsbetrieb danach einrichtet. Amtsrichter Bad st über schrieb in seinem vorher erwähnten Aufsatze: *)

„In magnis et voluisse sat est. Erst in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts ist uns die öffentlich-rechtliche Seite der Erziehung recht zum Bewußtsein gelangt. Es ist uns bei der immer mehr zunehmenden gänzlichen Verändemng unserer bisherigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse allmählich klar geworden, daß es sich bei der Erziehung nicht nur um Rechte und Pflichten der Familie handelt, sondem vielmehr Staats­ interessen und Staatsaufgaben ersten Ranges in Frage stehen. Gerade in unserem engeren preußischen Vaterlande hatte die vormundschaftliche Gesetzgebung gmndsätzlich schon lange auf die Ver­ hütung einer „Vernachlässigung" der Edukation ihr Augenmerk ge­ richtet und das Preußische Landrecht hatte diese Gedanken noch weiter ausgeführt. Es hatte nicht nur fortlaufende alljährliche Erziehungs-

*) a. a. O. S. 9 ff.

65

3. Der Außendienst.

berichte über die unter Vormundschaft stehenden Minderjährigen ein­ geführt, sondem auch betreffs der unter väterlicher Gewalt stehenden Kinder weitreichende formelle Rechte des Vormundschaftsgerichts geschaffen, die sich sogar auf Berufswahl und ähnliches erstrecken sollten. Bekanntlich sind diese Vorschriften unpraktisch geblieben, da das Pupillenkollegium den realen Verhältnissen des Kuranden zu fern stand, um in der vom Gesetzgeber gedachten Art eingreifen zu können. Auch kannten die damaligen, noch mehr patriarchalischen Verhältnisse ein derartiges Bedürfnis noch nicht. Mit der Einfühmng des Instituts des Waisenrats in unsere neue Gesetzgebung hat sich dies geändert. Wohl unbewußt hat der Gesetz­ geber in dem Augenblick, in welchem die Verschiebung unserer sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen allerdings eine vermehrte Aktion der staatlichen Organe auf dem Gebiete der Erziehung erheischte, diese Institution geschaffen, welche geeignet ist, den Einfluß auf die Erziehung grundsätzlich und praktisch zu sichern. Es ist mit ihrer Ein­ führung der Weg betreten, auf dem wir im staatlichen Leben in der Lage sind, Schutt für Schritt in der Lösung der vielleicht wichtigsten und schwersten Aufgabe, die heute vor uns liegt, und an der so viele, ja grundsätzlich die meisten unserer heutigen Gebildeten verzweifeln, vorwärts zu kommen: der geistigen und sittlichen Erziehung unseres Heranwachsenden Geschlechts. Soweit das Gebiet der materiellen Güter in Frage kommt, wird Fleiß, Begabung und Glück des einzelnen die auf die Beseitigung der Mißverhältnisse gerichtete staatliche Inter­ vention und Hilfe immer wieder paralysieren. Auch wird die Zu­ friedenheit des einzelnen nicht von der Größe des Besitzes abhängig sein. Dem einen werden die Erträgnisse einer einzelnen Million nicht genügen, der andere wird trotz kärglichen Lohns seine vielleicht zahl­ reiche Familie ernähren und sich zufrieden fühlen. Dagegen liegt ein viel klaffenderer Unterschied auf dem Gebiete der geistigen und vor allem sittlichen Erziehung. Diese vermag mehr als äußere Güter gegen die Stürme des Lebens, selbst wenn sie in der bittersten Not bestehen sollten, zu festigen und umgekehrt die Gmndlage zu schaffen, auf der man ein dargebotenes Glück festhält. Hier die Kluft, die gähnende Kluft zwischen arm und reich, soweit es in menschlichen Kräften steht, zu überbrücken, muß fortan eine der vornehmsten Aufgaben der staatlichen Gewalten werden. Hierzu ist aber der erste Keim in dem Waisenratsamte gelegt. Freilich ist nur der erste Ansatz gegeben, und wir haben deshalb als Motto das alte Römerwort „In magnis et voluisse sat est“ gewählt. Es ist eben ein Keim, der wohl der Entwicklung fähig ist und ihrer harrt. Überall, wo trotz aller menschlichen Unvollkommenheit und Niestroj, Gemeindewaisenrat.

5

66

V. Kapitel.

Aufbau und Ausbau des Gemeindewaisenrats.

Mangelhaftigkeit doch der Weg und die Tendenz die richtigen sind, wird sich das Schillersche Wort, daß „die Richtung zugleich die Voll­ endung" sei, erfüllen." Vierundzwanzig Jahre später, als diese Worte geschrieben wurden, trat am 1. April 1924 das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in Kraft, das den fundamentalen Satz schuf: „Das Jugendamt ist Gemeindewaisenrat." Aus dem Keim hat sich eine kräftige Eiche entwickelt, in deren Schatten der deutschen Jugend Hort und Hilfe werden soll. An uns liegt es, das weitschauende Ahnen Badstübers zu erfüllen. Doch bedarf es dazu der opferfreudigen Mitarbeit vieler Männer und Frauen, die Herz und Verständnis für Volk und Jugend haben. Dem tatkräftigen Zusammenstehen aller Edelgesinnten kann der Erfolg nicht 'versagt bleiben. Der Baum wird Blüten und Früchte bringen zum Wohle Deutschland, wenn jeder seine Pflicht tut, der im Jugendamt als Gemeindewaisenrat mitzuarbeiten berufen ist.

Anlage ft.

Vordrucke für

Jugendämter als Gemeindewaisenrat.) 1. Vormünderkarte.

2. /3. Mündelkarte.

4. Aufsichtsersuchen. 5. Rückgabeersuchen.

6. Berichtsersuchen an Vormünder, Pfleger usw. 7. Überweisungskarten. 8. Mitteilung des Meldeamts von Zuzügen usw. der unter Vormundschaft stehenden Personen.

9. Einladung zur Sitzung. 10. Erinnerungskarten. 11. Ausweise.

12. Waisenratsbezirksliste. *) Nachdruck verboten.

Verlag siehe S. 63.

Anlage A.

Vordrucke für Jugendämter als Gemeindewaisenrat.

69

Des Dormunds (Pflegers usw.) Namen: Stand: Religion:

Wohnung:

..................... Straße Nr.

Vorgeschlagen am

, J.-Nr.

Bestellt am

, Z.-Nr

G. W.

Vordruck 1.

ehelich

Bezeichnung der VornKundschaft

(Des Vaters oder der 1 mehelichen Mutter) Namen Stand

unehelich

als Vormund, Gegenvormund, Pfleger, Beistand, Fürsorger, Helfer. Akten­ zeichen des Vor- Buch­ mundstabe schaftsgerichts

Nr.

Anlage A.

70

^Vorderseite.^ Ort und Akten­ zeichen des Amts­ gerichts, bei dem die Vormundschaft schwebt:

Stadt- — Kms- — Jugendamt.

(Buch­ stabe)

Amtsmündel—Privatmündel— Pflegekind — Schutzaufsicht.

u

(Nr.)

Ort

Wohnung

Straße

Jahr

Vorname

Tag

Geburts-

Zuname

R eligion

Der Mündel

M onat

o JO 5

Geschäftszeichen des Gemeinde­ waisenrats:

Gemeindewaisenrat.

Überwiesen erhalten Name, Stand,

Wohnort

und

Wohnung von

Vater:......................... (bei ehelichen Kindern)

Mutter: Vormund:

Gegenvormund: Pfleger:.......................... Beistand:.......................

Familienrat,Fürsorger, Helfer:.......................

Bezirk: Waisenrat: G. W. Vordruck 2/3.

vom a) Amts­ gericht, b) Jugend­ amt (Gemeindewatsenrat)

in

Überwiesen an das Jugendamt (Gemeindeam Waisenrat) in

Vordrucke für Jugendämter als Gemeindewaisenrat.

71

[Dtiidfeite.]

Nr.

e

Jahr

Straße

Mündel­ besuche am

M onat

Wohnung der Mündel (Veränderungen)

Werden die Mündel vom Vormunde besucht?

Angaben über den Besuchsbefund .

Anlage A.

72

Stadt- — Krris- — Jugendamt. Gemeindewaisenrat.

, den

19

Euer Hochwohlgeboren werden gebeten, das Kind zu beaufsichtigen und halbjährlich einen Erziehungsbericht zu

erstatten.

Die Mündelkarte liegt bei.

An Herrn — Frau

in

G. W. Vordruck 4.

Stadt- — Kreis- — Jugendamt. Gemeindewaisenrat.

, den

19

Euer Hochwohlgeboren werden gebeten, das Aufsichts­

ersuchen — und die Personalkarte — des Kindes

zurückzureichen, da die Vormundschaft infolge

............................................ beendet ist.

An Herrn — Frau

G. W. Vordruck 5. in

......................

Vordrucke für Jugendämter als Gemeindewaisenrat.

73

[(Seite 1.]

Stadt- — Kreis- — Jugendamt.

, den

Gemeindewaisenrat.

19

An den Vormund Herrn — Frau

Wir ersuchen, innerhalb drei Wochen die umstehenden

Fragen über Zhr

Mündel

.............................................

mündlich in unserem Amtszimmer

oder schriftlich zu beantworten.

[Seite 2.]

1. Bei wem befinde

sich Ihr

2. Wer sorgt für Zhr

Mündel und in welcher Weise?

3. Wo wohnen die Eltern Ihre 4. Welche Schule besuch

(Genaue Angaben.)

Mündel?

Ihr

5. Zn welcher Stellung befinde

Mündel

?

Mündel und mit welchem Erfolge?

sich d

Mündel?

[Seite 3.]

6. Wie führ

sich Zhr

Mündel?

7. In welcher Umgebung befinde

sich d

Mündel?

8. Liegt die Gefahr der Verwahrlosung vor? 9. Bemerkungen. Unterschrift: (Wohnung.) [Seite 4.] An

das Stadt- — Kreis- — Jugendamt Gemeindewaisenrat

in G. W.

Vordruck 6.

74

Anlage A.

^Vorderseite.) Postkarte

An

das Stadt- — Kreis- — Jugendamt (Gemeindewaisenrat)

in Kreis

^Rückseite.)

, d

Geschäftszeichen des Gemeindewaisenrats: D

verzogen

unterzeichnete... Mündel, welche... in den dortigen Bezirk

, w

rd

Familien- und Vorname

gemäß § 1851 BGB. überwiesen.

Geburtstag und -Ort

Re­ ligion

Wohnung

Eltern: Vormund:

............................................................................................

Ort und Aktenzeichen des Amtsgerichts, bei dem die Vormundschaft geführt wird:

Sofern d.... Mündel dort nicht zugezogen ........... , wird um Mitteilung ersucht.

Stadt- — Krris- — Jugendamt. Gemeindewaisenrat.

G. W. Vordruck 7.

75

Vordrucke für Jugendämter als Gemeindewaisenrat.

Mitteilung über Wohnungsveränderung von unter Vormundschaft stehenden Personen.