Das Jüngere Evangeliar aus St. Georg in Köln: Untersuchungen zum Lyskirchen-Evangeliar [1 ed.] 9783412515836, 9783412515812


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Das Jüngere Evangeliar aus St. Georg in Köln: Untersuchungen zum Lyskirchen-Evangeliar [1 ed.]
 9783412515836, 9783412515812

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Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters BAND 5

Herausgegeben von Klaus Gereon Beuckers, Andreas Bihrer und Timo Felber

Studien zu Kunstdenkmälern im Erzbistum Köln BAND 5

Herausgegeben von Anna Pawlik

Klaus Gereon Beuckers, Anna Pawlik (Hg.)

Das Jüngere Evangeliar aus St. Georg in Köln Untersuchungen zum Lyskirchen-Evangeliar

BÖHLAU VERLAG  WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Kirchengemeinde St. Georg in Köln sowie des Erzbistums Köln und des Kunsthistorischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 72r: Johannes Baptist. Korrektorat: Felicitas Sedlmair, Göttingen Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51583-6

Inhalt

Grußwort  . .

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Zum Geleit  . .

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Klaus Gereon Beuckers und Anna Pawlik Zur Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Doris Oltrogge und Robert Fuchs Gold, Silber, Messing Beobachtungen zu Herstellung und Materialverwendung des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg  . . . . . . . . . . . . . .

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Harald Wolter-­von dem Knesebeck Die Miniaturen des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg in Köln  . . Ursula Prinz Die Rahmenornamentik des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg im Kontext der ottonischen Kölner Handschriftengruppe  . . . . . . .

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Harald Horst Paläographische Beobachtungen am Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg . . Ulrich Kuder Das 1870 verbrannte Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts  . . . . . . . . .

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Klaus Gereon Beuckers Die ‚Strenge Gruppe‘ der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts Eine Revision  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Andrea Worm Reform und Neubeginn Die Wandmalereien von St. Gereon in Köln als Monumentum Annonis? . .

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Inhalt | 5

Manfred Groten Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg 

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Anna Pawlik Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg oder: Die Bestandsaufnahme einer hochmittelalterlichen Sakristei  Susanne Wittekind Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg  . .

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Annemarie Stauffer Der textile Schmuck am Bucheinband des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg  . .

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Abbildungsnachweis  . . Farbtafeln  . .

6 | Inhalt

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Grußwort

„Sic me Deus adiuvet et sancta Dei evangelia“ – „So mir Gott helfe und die heiligen Evangelien Gottes“, lautet der Schlusssatz, mit dem die Eidesformeln enden, die im 15. und 16. Jahrhundert in das sogenannte Jüngere Evangeliar aus St. Georg, das Lyskirchen-­Evangeliar, eingetragen wurden. Alles stand unter der Hoffnung auf die Hilfe Gottes und die Kraft seines Wortes. Vor nunmehr fast tausend Jahren – vermutlich in den 1060er Jahren – als Weihegeschenk an das Kölner Stift St. Georg gelangt und in den folgenden Jahrhunderten vollendet und erweitert, wurden das Buch und seine Ausstattung zu einem wahrlich generationenübergreifenden Projekt. Dass ­dieses Evangeliar die Menschen seiner Zeit so faszinierte und immer wieder neu inspirierte, liegt darin begründet, dass es tatsächlich die vollständigen Texte aller vier Evangelien enthält und somit stellvertretend für Christus selbst steht – in der Liturgie wurde es zur sichtbaren Präsenz Gottes in seiner Gemeinde. Wie wir wissen, war das Evangeliar aus St. Georg nicht Teil einer Bibliothek, also einer großen Menge von Gebrauchshandschriften, sondern gehörte zum Schatz, zum thesaurus des Stiftes. Sein kostbarer, vergoldeter Einband macht den inneren Wert des Evangeliums nach außen sichtbar: Der größte Schatz auf Erden ist die frohe und befreiende Botschaft Gottes, die er uns mit dem Evangelium geschenkt hat. Die vielen Nachträge im Jüngeren Evangeliar aus St. Georg, die bis in das 17. Jahrhundert reichen, zeigen die Wertschätzung, die die Menschen dem Wort Gottes entgegenbrachten: Obwohl die Evangeliare vielerorts ab dem 13. Jahrhundert als liturgische Bücher kaum noch Verwendung fanden, blieb das Evangeliar in St. Georg im Gebrauch. Es beinhaltete ja auch die konstitutiven Eidesformeln der verschiedenen Amtsträger im Stift – somit vergewisserte sich das Stift St. Georg auf der Grundlage der Evangelien seiner eigenen Bedeutung und Geschichte. Der vorliegende Band zeigt, ­welche Schätze im Erzbistum Köln über die Jahrhunderte durch den tiefen Glauben der Menschen im Rheinland hervorgebracht und bewahrt werden konnten. Allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die daran mitgewirkt haben, dass die Geschichte und Schönheit d ­ ieses Schatzes freigelegt und erhalten bleibt, gilt mein tiefer Dank. Sie führen uns vor Augen, was der eigentliche Schatz der ­Kirche ist: es ist die bleibende Aktualität des Wortes Gottes – damals, heute und in aller Zeit! 

Köln, am Tag der hl. Gertrud von Nivelles im Jahr 2019

Rainer Maria Kardinal Woelki  Erzbischof von Köln

Grußwort | 7

Abb. 1: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln: Vorderer Einband.

Zum Geleit

Das ‚Jüngere Evangeliar aus St. Georg‘ – so wird die Evangelien-­Handschrift, um die es in d ­ iesem Buch hier geht, genannt. Andere Bezeichnungen sind ‚Georgs-­Evangeliar‘, ‚Lyskirchen-­Evangeliar‘ oder ‚Pracht-­Evangeliar‘. Die Vielfalt der Bezeichnungen gibt Hinweise auf verschiedene Charakteristika des ‚Evangeliars aus St. Georg‘: Die Namen erzählen davon, wie d ­ ieses Dokument der Stiftsgründung aus dem Jahr 1067 seinen Besitzer gewechselt hat. Im Jahr 1802 konnte es bei der Aufhebung des Stiftes gerettet werden und gelangte in die Nachbargemeinde St. Maria Lyskirchen. Einhundert Jahre später prägte dies seinen Namen, und es wurde seither in der Forschung als ‚Lyskirchen-­Evangeliar‘ bekannt. Kunsthistoriker klassifizieren es gern als ‚Pracht-­Handschrift‘. Dadurch betonen sie, dass das ursprünglich rein liturgische Buch durch seine Ausstattung von höchstem künstlerischen Wert ist. Dies liegt in erster Linie an den gemalten Darstellungen im Text wie auch am Prachteinband. Dabei haben der Einband und die Handschrift selbst über die Jahrhunderte vielfache Wandlungen erfahren. Außer den künstlerischen Veränderungen sind dem eigentlichen Corpus immer wieder neue Texte hinzugefügt worden, insbesondere Eidesformeln und Registerlisten zum Kirchen­ schatz des Herrenstiftes. Das macht das Georgs-­Evangeliar zu einem ergiebigen Zeugnis der Geschichte des Kanonikerstiftes am südlichen Ausgang der alten urbs romana Köln. ‚Pracht-­Evangeliar‘, ‚Lyskirchen-­Evangeliar‘ oder ‚Jüngeres Evangeliar aus St. Georg‘ – egal, wie die kostbare Handschrift genannt wird, heute wird sie wieder an ihrem ursprünglichen Bestimmungsort – in St. Georg – aufbewahrt und gezeigt. Der derzeitige Pfarrer an der romanischen Stiftskirche St. Georg, einer der seltenen Säulenbasiliken nördlich der Alpen, und der Pfarrer an der ebenfalls romanischen ­Kirche St. Maria Lyskirchen, in deren Eigentum sich das Evangeliar befindet, wünschen den Leserin­ nen und Lesern d ­ ieses Buches und den Besuchern dieser außergewöhnlichen K ­ irchen, dass sie angeregt werden, sich mit der ständigen Wandlung, Entwicklung und Erneuerung der christlichen K ­ irche zu befassen – letztlich mit Gottes Wort, das, mit dem Evangelisten Johannes gesprochen, im Anfang war und dies ist und bleiben wird durch alle Zeit.  Matthias Schnegg  Pfarrer von St. Maria Lyskirchen in Köln

Köln, am 21. Februar 2019 Dr. Hermann-­Josef Reuther Pfarrer von St. Georg in Köln

Grußwort | 9

Klaus Gereon Beuckers und Anna Pawlik

Zur Einleitung

Der Schatz von St. Georg war nicht reich. Seine bedeutendsten Heiltümer erhielt das Stift bei seiner Gründung durch den Kölner Erzbischof Anno II . (amt. 1056 – 1075). Er übertrug der Gemeinschaft am Kölner Waidmarkt am Tag der Kirchweihe eine Arm­ reliquie des heiligen Georg aus St. Pantaleon in Köln. Im Mai des Jahres 1070 ließ er der benachbarten Pfarrkirche St. Jakob Reliquien des hl. Caesarius zukommen, die sich seit dem 15. Jahrhundert im Besitz des Stiftes wiederfanden. Seinen wohl beachtenswertesten Zuwachs erhielt der Schatz von St. Georg im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts: Mit der Heiligsprechung Annos II . und der Öffnung seines Grabes am 25. April 1183 gelangten in der Folge zahlreiche, bald als wundertätig verehrte Sekundärreliquien in den Besitz des Georgsstiftes, bedeutende Teile seines Grabgewandes und eine Armreliquie.1 Sie zählten nun neben den Gründungsreliquien zu den bedeutendsten Besitztümern der Gemeinschaft. Die späteren Schatzverzeichnisse des Stiftes aus der Zeit um 1430 und der Mitte des 17. Jahrhunderts belegen in der Folgezeit nur noch einen geringen Zuwachs, insbesondere aus Stiftungen von Kanonikern im 15. und 16. Jahrhundert.2 Daneben weist bereits das erste überlieferte Verzeichnis der Besitztümer, ein Sakristeiverzeichnis des beginnenden 12. Jahrhunderts, zwei liturgische Bücher als herausragenden Besitz aus: Das Verzeichnis nennt „vnum plenarium auro contextum et i argento contextum […] et ii cussini“.3 Die beiden genannten Plenarien sind als die beiden heute erhaltenen Evangeliare in Köln und Darmstadt zu identifizieren,4 eines in Gold gefasst, eines in Silber, mit zwei Kissen. Die beiden Kissen dienten zur Unterstützung des Bucheinbandes und belegen die besonders sorgsame Handhabung der beiden Bände. Bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts lässt sich erkennen, was – trotz der räumlichen Trennung beider Evangeliare – bis heute Bestand hat: Die beiden kostbaren Handschriften des Stiftes wurden als Paar angesehen und waren durch ihre Einbände als ‚Schwesternhandschriften‘ gekennzeichnet. Diese Kennzeichnung erhielt man auch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als die Buchdeckel der

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Vgl. hierzu den Beitrag von Anna Pawlik in ­diesem Band. Vgl. Sabine Czymmek: Die Kölner Romanischen ­Kirchen. Schatzkunst, Bd. 1 (zugleich: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische ­Kirchen Köln, Bd. 22), Köln 2007, S. 131. Vgl. hierzu den Beitrag von Anna Pawlik in ­diesem Band. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Inv. Nr. Kg 54:210 (Einband), AE 681 (Codex), beide seit 1935 getrennt aufbewahrt.

Zur Einleitung | 11

beiden Codices mit neuem Schmuck versehen wurden, der auf dem vorherigen Konzept eines goldenen und eines silbernen Buches basierte.5 Den größten Verlust erlitt das Stift St. Georg mit seiner Aufhebung im Jahr 1802; die kirchliche Ausstattung wurde in der Stadt zerstreut. Die Pfarrfunktion von St. Jakob wurde der ehemaligen Stiftskirche übertragen; die Pfarrkirche nutzte man zunächst als Depot, überwies sie dann der Stadt Köln, bevor man sie 1825 zum Abbruch verkaufte. Einige Teile des Kirchenschatzes von St. Jakob kamen nach St. Georg, darunter ein Pilgerkreuz aus der Zeit um 1500 mit einer Jakobsreliquie und eine spätbarocke Ewig-­Licht-­Ampel.6 Andere Teile gelangten in die umliegenden Pfarrkirchen, darunter nach St. Maria Lyskirchen. So wusste der Aachener Kanoniker und Kunsthistoriker Franz Bock über ein kostbares Vortragekreuz zu berichten, dass d ­ ieses „einer mündlichen Tradition zu Folge bei Verschleuderung der Kirchenschätze von St. Georg zu Anfang d­ ieses Jahrhunderts [19. Jh.] von vorsorglicher Hand glücklicherweise in die Sacristei der Pfarrkirche St. Maria Lyskirchen übertragen worden ist.“ 7 Das Jüngere Evangeliar aus St. Georg mit goldenem Einband fand in St. Maria ­Lyskirchen eine neue Heimat. Hugo Rahtgens überliefert es 1911 im Pfarrhaus der Gemeinde.8 In der Folge erhielt das Evangeliar, welches rund 700 Jahre zum Stift St. Georg gehörte, spätestens 1904 die Bezeichnung ‚Lyskirchen-­Evangeliar‘, die sich bis heute als Forschungsbegriff hält.9 Der vorliegende Band nimmt diese Bezeichnung auf, führt jedoch auch die Benennung ‚Jüngeres Evangeliar aus St. Georg‘ ein, welches zum einen den Bezug zur Darmstädter Schwesterhandschrift herstellt, zum anderen der Provenienz einen höheren Stellenwert als dem heutigen Eigentum einräumt. 5

Vgl. hierzu die Beiträge von Doris Oltrogge, Susanne Wittekind und Annemarie Stauffer in ­diesem Band. 6 Vgl. zum Jakobuskreuz zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Auf dem Weg nach Santiago de Compostela? Der heilige Jakobus im mittelalterlichen Köln, in: Topografías culturales del Camino de Santiago / Kultu­ relle Topographien des Jakobsweges. Akten des Internationales Symposiums ‚Kulturelle Topographien der Jakobswege in Europa‘, hg. v. Javier Gómez-­Montero, Frankfurt am Main 2016, S. 59 – 94, insb. S. 81 f. 7 Franz Bock: Das heilige Köln. Beschreibung der mittelalterlichen Kunstschätze in seinen ­Kirchen und Sakristeien, aus dem Bereiche des Goldschmiedehandwerkes und der Paramentik, Leipzig 1858, S. 9 f., Anm. 25. – Vgl. auch Franz Bock: Rheinlands Baudenkmale des Mittelalters. Ein Führer zu den merkwürdigen mittelalterlichen Bauwerken am Rheine und seinen Nebenflüssen, Köln o. J. (ND Düsseldorf 1979), Bd. 3, St. Jacob, S. 16. – Czymmek 2007 (wie Anm. 2), S. 132. 8 Hugo Rahtgens: Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, 2. Bd., Erste Abt.: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln: St. Gereon – St. Johann Baptist – Die Marienkirchen – Gross St. Martin (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 7.1), Düsseldorf 1911, S. 312 f. 9 Vgl. Arthur Haseloff: Photographien rheinländischer Buchmalereien des IX. bis XIV. Jh., in: Kunsthistorische Ausstellung Düsseldorf 1904, red. v. Paul Clemen, Düsseldorf 1904, S. 201 – 206, Nr. 646. – Ebenfalls als ‚Lyskirchen-­Evangeliar‘ bezeichnet bei Heinrich Ehl: Die ottonische Kölner Buchmalerei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der frühmittelalterlichen Kunst in Westdeutschland (Forschungen zur Kunstgeschichte Westeuropas, Bd. 4), Bonn 1922, insb. S. 181 – 190 und seither so in der gesamten Forschung.

12 | Klaus Gereon Beuckers und Anna Pawlik

Möglicherweise wurden die beiden Plenarien jedoch schon einige Jahre vor der offiziellen Aufhebung der Kölner Klöster und Stifte getrennt. Bereits 1794 war das geistliche Eigentum unter die Aufsicht des neugegründeten französischen Departements Roer gestellt worden. Unter der Verwaltung von General Lazare Hoche (1768 – 1797), der 1797 die Verwaltung zunächst wieder in die Hände der geistlichen Institutionen gelegt hatte, kam es im größeren Umfang zum Verkauf zahlreicher Mobilien aus den Stiften und Klöstern Köln. Diese nutzten die kurze Zeit der scheinbaren Selbstverwaltung, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.10 Der französische Regierungskommissar ging im Februar 1798 mit einem Verbot des Verkaufs dagegen vor und befahl die Inventarisierung des Kirchensilbers, der Paramente, Bilder und sonstigen Gegenstände in den geistlichen Institutionen. Nach erfolglosen Versuchen, von den Verantwortlichen in den Klöstern und Stiften ein geordnetes, verlässliches Inventar zu erhalten, reagierte die französische Verwaltung schließlich mit der Anlage eines Generalinventars. Dieses gibt bevorzugt den Feingehalt des Metalls und das Gewicht des Objektes an und zeigt deutlich die eigentliche Intention der Auflistung – den Schätzwert des eingeschmolzenen Silbers zu erhalten.11 Die Aufhebung aller linksrheinischen geistlichen Institutionen sowie die Enteignung ihres Besitzes per Konsularbeschluss vom 9. Juni 1802 (Art. 1) bedeutete das Ende der jahrhundertealten Einrichtungen in der Rheinmetropole und zugleich größtenteils das Ende ihrer kostbaren Ausstattung (Art. 2) – die mobilen Besitztümer der Stifte und Klöster, die über Jahrhunderte am Ort gepflegt und liturgisch in Gebrauch waren, wurden nach erneuter Inventarisierung (Etats Sommaires, 1802) eingeschmolzen, über die Stadt verstreut oder gelangten über verschiedene Wege in den blühenden Kunsthandel.12 Vermutlich war der niederländische Beamte Jean Guillaume Adolphe Fiacre H ­ onvlez, genannt Baron von Hüpsch (1730 – 1805), schon vor der endgültigen Aufhebung des Georgsstiftes in Kontakt mit den Stiftsherren gekommen. Der Baron war seit 1755 als Vertreter 10 Vgl. Toni Diederich: Die Säkularisation in Köln während der Franzosenzeit – Vorgeschichte, Durchführung und Folgen, in: Lust und Verlust. Kölner Sammler z­ wischen Trikolore und Preußenadler, Ausst. Kat. Wallraf-­Richartz-­Museum Köln, hg. von Hiltrud Kier und Frank Günter Zehnder, Köln 1995, S. 77 – 84, hier S. 79 f. 11 Vgl. Angela Kulenkampff: Die Inventarisation der Schätze der Kölner Romanischen ­Kirchen in der Zeit der Säkularisation 1798 – 1902, in: Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, S. 187 – 195, hier S. 187 – 194 u. Kat. Nr. E 13 u. 14, S. 195: Köln, Historisches Archiv der Stadt Köln, Französische Verwaltung 1596 (Generalinventar, 1798, Juli) sowie Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Roerdepartement 3122 (Ètat Sommaire de l’Argenterie des Eglises et Chapelles, […] trouvés dans l’Etablissement […], 1802, Juli). – Vgl. Justus Hashagen: Die Akten der französischen Verwaltung aus dem Stadtarchiv von Köln (1797 – 1814), in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 34 (1912), S. 43, Nr. 1585 ff. – Richard Büttner: Die Säkularisation der Kölner geistlichen Institutionen. Wirtschaftliche und soziale Bedeutung und Auswirkungen (Schriften zur rheinisch-­westfälischen Wirtschaftsgeschichte, Bd. 23), Köln 1971, S. 69, Anm. 488. – Cyzmmek 2007 (wie Anm. 2), S. 130. 12 Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Roerdepartement 3122. – Vgl. Kulenkampff 1985 (wie Anm. 11), S. 193 f. – Diederich 1995 (wie Anm. 10), S. 80 – 82.

Zur Einleitung | 13

mehrerer kleinerer Herrschaften in Köln ansässig und betätigte sich hier überwiegend als Naturwissenschaftler, darüber hinaus als passionierter Sammler von allerlei Gesteinen, Fossilien, Waffen, Alltagsgegenständen fremder Völker und Kunstgegenständen von der Antike bis in seine Zeit hinein. Sein bevorzugtes Interesse galt Elfenbeinarbeiten und mittelalterlichen Handschriften, in deren Besitz er teils durch gezielte Anwerbung oder unter Vorspiegelung eines wissenschaftlichen Interesses gelangte.13 So ist etwa der Besuch des Bibliothekars der Benediktinerabtei St. Pantaleon ebenso belegt wie derjenige der Reichsabtei Werden, Beda Savel (1755 – 1828), und des Vikars der Pfarrkirche St. Laurenz in Köln.14 Ob Baron von Hüpsch auch mit den Kanonikern von St. Georg Geschäfte machte, ist nicht belegt, aber denkbar. Immerhin befand sich vor seinem Tod am 1. Januar 1805 das Ältere Evangeliar aus St. Georg mit versilbertem Einband um die Elfenbeintafel aus der Mitte des 11. Jahrhunderts in seinem Besitz. Landgraf Ludwig X. von Hessen-­Darmstadt erbte die Sammlung des Barons mit der Bibliothek und den Elfenbeinarbeiten.15 In seiner Nachfolge bewahrt das Hessische Landesmuseum den versilberten Bucheinband und den Codex bis heute.16 Das Lyskirchen-­Evangeliar wurde hingegen seit 1928 im heutigen Museum Schnütgen als Dauerleihgabe präsentiert. Mit der Einrichtung der Schatzkammer in der nördlichen Chorkapelle von St. Georg kehrte der Codex 2002 als Dauerleihgabe der Kirchengemeinde St. Maria Lyskirchen an seinen angestammten Ort zurück. Von dort musste es im Jahr 2017 aufgrund der statischen Sicherung der Georgskirche mit den anderen mittelalterlichen Ausstattungsobjekten ausgelagert werden. Schon nach dem Einsturz des benachbarten Kölner Stadtarchivs im März 2009 war es aus Sicherheitsgründen evakuiert worden. Aus dieser Not gelang es, eine Tugend zu machen: Im Juli 2017 trafen sich in der Diözesan- und Dombibliothek diejenigen Kolleginnen und Kollegen, w ­ elche zu der Handschrift und ihrem Einband teilweise bereits mehrfach geforscht und publiziert hatten, aufgrund der Aufbewahrung in einer Vitrine bislang jedoch keine Gelegenheit zu einer umfassenden Autopsie gehabt hatten. Als letzter hatte sich Anton von Euw ausführlich mit dem Codex beschäftigt und ihn selbst dafür in den Händen halten können.17 Seit seinen Forschungen, die die Sicht auf das Lyskirchen-­Evangeliar stark verändert haben, wurde die Kölner Buchmalerei des 13 Vgl. Theo Jülich: Jean Guillaume Adolphe Fiacre Honvlez – alias Baron von Hüpsch, in: Kat. Köln 1995 (wie Anm. 10), S. 45 – 56. – Theo Jülich: Die mittelalterlichen Elfenbeinarbeiten des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Regensburg 2007, S. 13 – 16. 14 Vgl. Elga Böhm: Das Besucherbuch des Freiherrn Johann Wilhelm Adolphe von Hüpsch aus den ­Jahren 1776 bis 1803, in: Kat. Köln 1995 (wie Anm. 10), S. 57 – 76, 61, 65 u. 68. 15 Vgl. Jülich 2007 (wie Anm. 13), S. 13 – 16. 16 Vgl. Anna-­Dorothea von den Brinken: Das Stift St. Georg zu Köln (Urkunden und Akten 1059 – 1802), Köln 1966, S. 299 f. – Manfred Groten: Schatzverzeichnisse des Mittelalters, in: Kat. Köln 1985 (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 151 f. u. Kat. Nr. E 72, S. 287. – Jülich 2007 (wie Anm. 13), S. 91 – 93, Nr. 15 (mit weiterführender Literatur). 17 Anton von Euw: Das Evangeliar von St. Maria Lyskirchen. Bestimmung und Gebrauch einer mittelalterlichen Handschrift, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 64 (1993), S. 15 – 36. – Anton

14 | Klaus Gereon Beuckers und Anna Pawlik

10. und 11. Jahrhunderts jedoch intensiv neu diskutiert und dabei etliche Korrekturen des Forschungsstandes vorgenommen.18 Um diese jetzt für den Codex zu überprüfen, bot die Verbringung des Evangeliars in die Diözesan- und Dombibliothek eine auch in Zukunft so schnell nicht wiederkommende Gelegenheit. Dies besonders, da das Lyskirchen-­Evangeliar nach den Forschungen von Euws in mindestens zwei Schritten entstanden ist, nämlich als Evangeliar hervorragender Kölner Schreiber, die für eine bildliche Ausstattung zwar Platz gelassen, diese aber nicht ausgeführt hatten, und als wohl fast zwei Generationen später durch vielleicht italienisch geschulte Meister mit figürlichem und ornamentalem Schmuck versehenes Prachtevangeliar. Da in den letzten Jahren nicht nur die zeitlichen Zuordnungen der Kölner Buchmalerei, sondern ebenso die Datierungen und Einordnungen der italienischen Malerei des 11. und frühen 12. Jahrhunderts stark in die Diskussion geraten sind und teilweise neu bewertet werden, muss auch für das Lyskirchen-­Evangeliar die bisherige Einschätzung hinterfragt werden. Dies haben Forscher wie Robert Suckale getan und sind zu einer spektakulären, aber wohl nicht haltbaren Frühdatierung der Ausmalung der Kölner Handschrift schon um 1067 gelangt.19 Es gibt also mehrere Forschungskontroversen um das Lyskirchen-­Evangeliar, die eine Überprüfung am Original und eine Neudiskussion sinnvoll machten, zumal hiervon die Einschätzung der Chronologie und Struktur der Kölner Malerei des 11./12. Jahrhunderts abhängig ist, was von Bedeutung für die Malereientwicklung dieser Zeit weit über die Stadt hinaus von Relevanz ist. Zudem haben die Forschungen zum ebenfalls in Köln entstandenen Gerresheimer Evangeliar vor einigen Jahren zum ersten Mal systematisch ein Evangeliar mit seinen Nachträgen als Geschichtsquelle untersucht und so der Funktion und dem Fortbestand der Evangeliare nach ihrem liturgischen Einsatz, in dem sie seit dem 12. Jahrhundert meist von Missalen ersetzt wurden, das Augenmerk gewidmet.20 Ein herausragendes Beispiel hierfür ist das Jüngere von Euw: Die Handschriften und Einzelblätter des Schnütgen-­Museums Köln. Bestandskatalog, Köln 1997, das Lyskirchen-­Evangeliar Kat. Nr. 2, S. 27 – 37. 18 Vgl. zuletzt Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen ­zwischen Köln und Polen in der Zeit Kasimirs des Erneuerers, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Andreas Bihrer (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 3), Köln 2018 mit Forschungsüberblick. – Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei aus Köln. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018. – Vgl. hierzu auch die Beiträge von Klaus Gereon Beuckers und Ursula Prinz in ­diesem Band. 19 Robert Suckale: Die Weltgerichtstafel aus dem römischen Frauenkonvent S. Maria in Campo Marzioals programmatisches Bild der einsetzenden Gregorianischen Kirchenreform, in: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge. Sechs Studien, Berlin 2002, S. 12 – 122, insb. S. 111 – 115. – Vgl. hierzu auch die Beiträge von Andrea Worm und Harald Wolter-­von dem Knesebeck in ­diesem Band. 20 Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-­Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des

Zur Einleitung | 15

Evangeliar aus St. Georg, was die Forschung schon lange betont hat, aber dessen Nachträge weder ediert noch transkribiert vorlagen. Auch ein Digitalisat, das die Handschrift der Forschung hätte zugänglich machen können, gab es bisher nicht. Der vorliegende Band möchte den in Gerresheim entwickelten Ansatz auch für das Lyskirchen-­Evangeliar fruchtbar machen.21 Diesen verschiedenen Aspekten ging die Forschergruppe 2017 nach und vereinbarte mehrere Untersuchungen, die jetzt nach dem Vorbild des Bandes zum Gerresheimer Evangeliar hier vorgelegt werden. Sie enthalten unter anderem neben neuen Forschungen zur malerischen Ausstattung und deren kunsthistorischer Kontextuierung Forschungen zum Einband, Untersuchungen zur Paläographie, zum kodikologischen und technologischen Befund sowie insbesondere auch eine Edition aller Nachträge und die bildliche Dokumentation aller Zierseiten und Seiten mit Nachträgen, so dass die Handschrift nun jedem Interessierten zum Nachvollzug zugänglich ist. Die Autorinnen und Autoren haben sich neben ihren dienstlichen Verpflichtungen bereiterklärt, vorhandene Forschungsansätze auszuweiten, neue Fäden aufzunehmen und ihre Beiträge für diesen Band zur Verfügung zu stellen. Dafür sei ihnen herzlich gedankt. Der Dank gilt ebenso Pfarrer Dr. Hermann-­Josef Reuther für sein geduldiges und begeistertes Interesse an der Arbeit der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern, Restauratorinnen und Restauratoren, die letztlich immer mehr Zeit in Anspruch nehmen, als es die materielle Sicherung allein erfordern würde. Ihm und Pfarrer Matthias Schnegg sei für ihr Einverständnis zu den Untersuchungen an dem Evangeliar gedankt, die etliche neue Befunde und Ergebnisse erbracht haben und so der Handschrift eine große, ihrer Bedeutung angemessene Aufmerksamkeit sichern. Ihr Wohlwollen für d ­ ieses Projekt bringen beide auch in ihrem Grußwort zum Ausdruck, für das wir herzlich danken. Direktor Marcus Stark und Dr. Harald Horst von der Diözesan- und Dombibliothek des Erzbistums Köln stellten dankenswerter Weise das Knowhow und die Technik ihres Hauses zur Verfügung, die es möglich machte, die Handschrift erstmals vollständig zu digitalisieren und somit der Wissen­schaft sowie einem interessierten Publikum einerseits über die digitale Sammlung der Bibliothek und andererseits durch diesen Band zugänglich zu machen. Professor Dr. Peter Klein (Universität Hamburg), Dr. Doris Oltrogge und Professor Dr. Robert Fuchs (TH Köln) sowie Diplom-­Restauratorin Anke Freund (Köln) lieferten mit ihren materialtechnischen Analysen wertvolle Erkenntnisse zum Codex und seinem Einband.­ ­Stefan Kube setzt den Prachteinband durch seine Aufnahmen wunderbar in ein neues Licht und zeigt erstmals die besonderen, mitunter drolligen Feinheiten der gotischen Gravuren. Mittelalters, Bd. 1), Köln 2016. – Vgl. auch Klaus Gereon Beuckers: Zur Verwendung von Evangeliaren des Früh- und Hochmittelalters anhand von Beispielen aus Essen und anderen Frauenstiften, in: Fragen, Perspektiven und Aspekte der Erforschung mittelalterlicher Frauenstifte, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 15), Essen 2018, S. 67 – 110. 21 Vgl. hierzu die Beiträge von Manfred Groten und Anna Pawlik in ­diesem Band.

16 | Klaus Gereon Beuckers und Anna Pawlik

Die Redaktion lag zu wesentlichen Teilen in den Händen am Kunsthistorischen Instituts der Christian-­Albrechts-­Universität zu Kiel. Dort sei Ursula Prinz M. A. hervorgehoben, die eine der besten Kennerinnen der Kölner Buchmalerei des 10./11. Jahrhunderts ist und vielfältige Unterstützung für diesen Band geleistet hat, sowie vor allem Vivien Bienert M. A., in deren Händen die Bildredaktion lag. Im Verlag hatten wir mit Kirsti Doepner eine jederzeit verlässliche Ansprechpartnerin. Danken möchten wir auch den Reihenherausgebern für die Aufnahme des Bandes in ihre beiden Reihen. Dem Erzbistum Köln sei für den großzügigen Druckkostenzuschuss herzlich gedankt, der die Drucklegung des Bandes erst ermöglichte. Unser besonderer Dank gilt Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki für seinen Gruß, der diesen Band begleitet. Widmen möchten wir das Buch in dankbarem Andenken Professor Dr. Anton von Euw (1934 – 2009) für seine großartigen Leistungen um die Erforschung mittelalterlicher Kunst, insbesondere der Buchmalerei des 10. bis 12. Jahrhunderts – und nicht zuletzt des Lyskirchen-Evangeliars.

Zur Einleitung | 17

Doris Oltrogge und Robert Fuchs

Gold, Silber, Messing Beobachtungen zu Herstellung und Materialverwendung des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg

In seinem 1997 erschienenen Katalog der Handschriften des Schnütgen-­Museums beschrieb Anton von Euw erstmals die kodikologischen und formalen Brüche im Jüngeren Evangeliar aus St. Georg, dem sogenannten Lyskirchen-­Evangeliar, aus denen er schloss, dass die Bild- und Zierseiten erst um 1100/1120 dem gegen 1067 entstandenen Textkorpus zugefügt wurden.1 Zugleich vermutete er bei einigen Miniaturen und Textzierseiten nachträgliche Überarbeitungen.2 Zur Klärung dieser Fragen wurde der Codex in Vorbereitung der vorliegenden Monographie kodikologisch, mal- und materialtechnisch untersucht.3 Neben Erkenntnissen zur Herstellung und zur Entstehungsgeschichte konnten dabei auch interessante Hinweise auf die hierarchische Verwendung von Gold und Messing gewonnen werden.

1 Anton von Euw: Die Handschriften und Einzelblätter des Schnütgen-­Museums, Köln 1997, S. 27 – 37. 2 von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 36. 3 Erste Farbmittelanalysen mittels Vis-­Spektrometrie (Gretag SPM 100; Software Robert Fuchs) und Röntgendiffraktometrie (Stoe) erfolgten 1998 für die Restaurierung der Buchmalereien. Vgl. Sif ­Dagmar Dornheim: Die Restaurierung und Malschichtfestigung des Evangeliars von St. Maria Lyskirchen (11. – 12. Jh.). Rißschließung in durch Kupferfraß geschädigten Miniaturen und Konservierung der Prachthandschrift. Unpubl. Diplomarbeit FH Köln, FB Restaurierung und Konservierung 1998, S. 21 – 25. – 2018 führten wir weitere Analysen mittels Röntgenfluoreszenzanalyse (Niton XL3t), Vis-­ Spektrometrie (Tidas E) und Röntgendiffraktometrie (Stoe STADI-P) durch. Die detaillierte Erfassung der Maltechnik erfolgte mit Hilfe einer Stereolupe (Zeiss); die Dokumentation des Befundes wurde mit dem 3D-Videomikroskop (Keyence) durchgeführt. Zu den Methoden vgl. Robert Fuchs: Archäometrische Untersuchungen von Malereien, in: Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in der Schule 5,59 (2010), S. 20 – 27. – Robert Fuchs / Doris Oltrogge: Painting materials and painting technique in the Book of Kells, in: The Book of Kells. Proceedings of a Conference at Trinity College Dublin, 6 – 9 September 1992, hg. v. Felicity O’Mahony, Aldershot 1994, S. 131 – 171, bes. 131 – 141 mit fig. 1 – 12. – Robert Fuchs / Doris Oltrogge: Written Sources from Graeco-­Roman Antiquity and Scientific Analysis, in: The North European Symposium for Archaeological Textiles NESAT XI , 10 – 13 May 2011 in Esslingen am Neckar, hg. v. Johanna Banck-­Burgessu und Carla Nübold, Leidorf 2013, S. 29 – 36, hier S. 33.

Gold, Silber, Messing | 19

Der Buchblock: Lagenaufbau und Layout Die 225 Blätter des Buchblocks bestehen, mit Ausnahme von fol. 2, aus relativ starkem Kalbspergament von weitgehend guter Qualität.4 Randstücke oder Häute mit größeren Löchern wurden nur vereinzelt verwendet. Die Blätter sind beidseitig geschliffen, es gibt keine signifikanten Unterschiede in Stärke oder Bearbeitung ­zwischen Text- und Zierseiten. Die Blattgrößen schwanken geringfügig z­ wischen 294/295 mm in der Höhe und 222/225 mm in der Breite. Die Handschrift umfasst 31 Lagen, in der Regel Quaternionen für den Text von Evangelien und Vorreden sowie Binionen für die Bild-­Zierseitensequenzen, die jedem Evangelium vorangestellt sind (Abb. 2). In die erste Lage (Vorreden) wurde im Spätmittelalter ein Einzelblatt aus Ziegenpergament eingeheftet (fol. 2), dessen Haarseite (recto) glatt ist, während die Fleischseite gekreidet wurde. Diese für Urkunden typische Bearbeitung weist darauf hin, dass das Pergament aus der Kanzlei stammte. Auch das hier eingetragene Inhaltsverzeichnis der Eide gehört wie Urkunden zum Rechtswesen des Stiftes. Seit seiner Einfügung war dies das erste Blatt des Buches, da das erste Folio von Lage 1 als Spiegel auf den Innendeckel des Einbands geklebt war.5 In der zweiten Lage ist das Einzelblatt mit dem Schluss des Matthäus-­Breviars um das Quaternio mit den einleitenden Miniaturen und den Kanontafeln umgehängt. Die fünfzehnte Lage ist ein Ternio, aus dem zu unbekannter Zeit ein Blatt z­ wischen fol. 110 und 111 entfernt wurde. Das Kapitelverzeichnis zum Lukas-­Evangelium endet auf fol. 110r, die übrigen Seiten der Lage waren ursprünglich leer, so wohl auch das fehlende Folio. Die beiden letzten Lagen enthalten nur Nachträge. Die 30. Lage ist ein unregelmäßiges Quaternio, da das zweite Bifolium aus zwei ineinandergehängten Einzelblättern gebildet wird. Ein Unio, dessen letztes Blatt als Spiegel niedergeklebt ist, steht am Schluss. Ab der vierten Lage sind die Textlagen mit Buchstaben von ‚A‘ bis ‚z‘ signiert, ab dem Johannes-­Evangelium (Lage XXV ) zudem römisch gezählt von ‚t. i.‘ bis ‚z.v‘. Die Lagen mit Bild-­Zierseitensequenzen sind nicht signiert, ebenso wenig die Kanontafeln, die erste Lage mit den Vorreden und die letzten beiden Lagen mit den ­Nachträgen. Die Signaturen sind mit Mennige eingetragen, auf fol. 139v (‚o‘) ausnahmsweise mit Messingtusche.

4 5

Foliierung 1 – 225 mit Kopierstift wohl um 1928. Um 1928 vom Deckel gelöst, auf dem ehemals verklebten fol. 1r die Inventarnummer des Schnütgen-­ Museums „1206“ sowie zweifach der Stempel der Stadt Köln angebracht.

20 | Doris Oltrogge und Robert Fuchs

Lagenschema und Verteilung von Text, Miniaturen und Zierseiten (ohne Nachträge) Fett-kursiv – Lagen mit Bild- und Zierseiten Buchstabe in Klammern hinter der Lagennummer – Lagensignatur am Ende der jeweiligen Lage Die als „leer“ bezeichneten Seiten sind grundsätzlich mit Nachträgen gefüllt (Eidformeln, Kölner Bischofskatalog), hier nicht aufgeführt, um den „Endzustand“ des illuminierten Evangeliars des 12. Jahrhunderts zu dokumentieren. Lage I

Quaternio + 1 (fol. 1–9; Spiegel, Vorreden)

Lage II

Quaternio + 1 (fol. 10–18; Vorreden, Majestas, Hieronymus, Textzierseiten, Kanontafeln)

Lage III

Binio (fol. 19–22; Kanontafel, Matthäus, Madonna, Text- und Initialzierseiten)

Lage IV (A)

Quaternio (fol. 23–30; Matthäus-Evangelium)

Lage V (b)

Quaternio (fol. 31–38; Matthäus-Evangelium)

Lage VI (c)

Quaternio (fol. 39–46; Matthäus-Evangelium)

Lage VII (d)

Quaternio (fol. 47–54; Matthäus-Evangelium)

Lage VIII (e)

Quaternio (fol. 55–62; Matthäus-Evangelium)

Lage IX (f)

Quaternio (fol. 63–70; Matthäus-Evangelium)

Abb. 2: Lagenschema des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar). Ausnahmen betreffen die Lagen 1, 2, 15, 30 und 31.

Gold, Silber, Messing | 21

Lage X

Binio (fol. 71–74; Johannes Baptist, Markus, Text- und Initialzierseiten)

Lage XI (g)

Quaternio (fol. 75–82; Markus-Breviar, Markus-Evangelium)

Lage XII (h)

Quaternio (fol. 83–90; Markus-Evangelium)

Lage XIII (i)

Quaternio (fol. 91–98; Markus-Evangelium)

Lage XIV (k)

Quaternio (fol. 99–106; Markus-Evangelium, Lukas-Argument, Lukas-Breviar)

Lage XV (l)

Unvollständiges Ternio (fol. 107–111; Lukas-Breviar)

Lage XVI

Binio (fol. 112–115; Lukas, Verkündigung an Zacharias, Text- und Initialzierseiten)

Lage XVII (m)

Quaternio (fol. 116–123; Lukas-Evangelium)

Lage XVIII (n)

Quaternio (fol. 124–131; Lukas-Evangelium)

Lage XIX (o)

Quaternio (fol. 132–139; Lukas-Evangelium)

Lage XX (p)

Quaternio (fol. 140–147; Lukas-Evangelium)

Lage XXI (q)

Quaternio (fol. 148–155; Lukas-Evangelium)

Lage XXII (r)

Quaternio (fol. 156–163; Lukas-Evangelium)

Lage XXIII (s)

Quaternio (fol. 164–171; Lukas-Evangelium, Johannes-Breviar, JohannesArgument)

22 | Doris Oltrogge und Robert Fuchs

Lage XXIV

Binio (fol. 172–175; Kreuzigung, Johannes, Text- und Initialzierseiten)

Lage XXV (t.i.)

Quaternio (fol. 176–183; Johannes-Evangelium)

Lage XXVI (v.ii.)

Quaternio (fol. 184–191; Johannes-Evangelium)

Lage XXVII (x.iii.)

Quaternio (fol. 192–199; Johannes-Evangelium)

Lage XXVIII (y.iiii.)

Quaternio (fol. 200–207; Johannes-Evangelium)

Lage XXIX (z.v.)

Quaternio (fol. 208–215; Johannes-Evangelium, Capitulare Evangeliorum) Capitulare unvollständig fol. 210v–215r fol. 215v ursprünglich leer (Nachtrag Schatzverzeichnis)

Lage XXX

unregelmäßiges Quaternio (fol. 216–223; Nachträge)

Lage XXXI

Unio (fol. 224–225; Nachträge)

Gold, Silber, Messing | 23

Abb. 3: Formate von Miniaturen und Zierfeldern des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar).

24 | Doris Oltrogge und Robert Fuchs

Üblicherweise umfasst der einspaltige Textspiegel 24 Zeilen in einem Format von 200/203 × 127/132 mm.6 Dies gilt auch für die nicht signierte erste Lage. Abweichend davon enthält Lage XVII bei ähnlichem Format 26, Lage XIX 27 Zeilen.7 Reglierung und Liniierung sind blattweise mit einem kaum abreibenden Metallstift blind eingedrückt. Die 30. Lage weist ebenfalls 24 Punktierungen am Seitenrand auf; der Textspiegel entspricht dem Format der übrigen Textlagen. Die Liniierung mit Eisengallustinte ist leicht versetzt hierzu eingezeichnet. Man könnte also vermuten, dass die Lage zum ursprüng­ lichen Bestand gehört und für die fehlenden Teile des Capitulare Evangeliorum vorbereitet wurde. Allerdings sind die Heftlöcher hier im Gegensatz zum restlichen Buchblock eingeschnitten, nicht nur eingestochen. Zudem sind die Fitzbundlöcher, also die äußersten Heftlöcher, der vorangehenden Heftung nicht eindeutig erkennbar. Die Lage wurde also wohl erst bei der Neubindung des 15. Jahrhunderts zugefügt und im Textspiegelformat an den älteren Bestand angeglichen. Die Beschriftung umfasst jedoch nur 23 Zeilen, da sie zeittypisch unterhalb der oberen Linie beginnt. Das Unio am Schluss weist die Fitzbundlöcher der vorherigen Bindung auf und diente wohl bereits damals als Spiegel und Nachsatz. Es handelt sich um ein überzähliges Doppel­blatt aus einem anderen Handschriftenprojekt, das in einem Textspiegelformat von 228 × 185 mm zweispaltig zu 39 Zeilen angelegt war.8

6 7 8

Bundstegspalte 19 – 22 mm, Außenstegspalte 41 – 48 mm. Zugleich ist die übliche Zeilenhöhe von 9 mm verringert auf 85 mm in Lage XVII bzw. 80 mm in Lage XIX. Textspiegelformat von Lage XVII 198 × 130 mm, Bundstegspalte 19 mm, Außenstegspalte 47 mm; Lage XIX 206 × 130 mm, Bundstegspalte 22 mm, Außenstegspalte 45 mm. Spaltenbreite 75 bzw. 85 mm, Interkolumnium 15 mm. Die Federprobe auf fol. 224v nach von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 33, aus dem 11. Jahrhundert.

Gold, Silber, Messing | 25

Die Formate von Miniaturen und Zierfeldern sind in Größe und Proportion unregelmäßig; sie schwanken z­ wischen 195/215 × 135/160 mm (Abb. 3). Damit sind sie grundsätzlich breiter als die Textspiegel und auch in der Höhe nur bedingt am Textkorpus orientiert.

Bindung und Einbandtechnik – Bestand und Spuren älterer Bindungen Der Buchblock ist in einer Durchausheftung mit Rundbogenstich auf drei erhabene Doppel­bünde geheftet, die von außen durch je zwei Bundkanäle auf die Innenseite der beiden Holzdecken geführt und verpflockt sind. Die Kapitale sind bis auf Reste der Kapitaleinlage am Fuß verloren.9 Die Eichenholzbretter sind gerade zugeschnitten.10 Auf dem Vorderdeckel ist mittig eine rechteckige Vertiefung von 162 × 133 mm ausgestemmt, in der ein siebenteiliges Walrosszahnrelief befestigt ist. Dieses wird von einer etwa 0,8 mm starken vergoldeten, gravierten Kupferplatte eingefasst, deren Seitenfelder jeweils 48 mm messen, während oben ein 75 mm, unten ein 73 mm breiter Streifen verbleiben.11 Das Deckelblech ist am Rand umgebogen und bildet die Stehkanten , die für den Ausgang der Schließen ausgesägt wurden; der Laubwerkdekor wurde hierfür gezielt unterbrochen. Rückdeckel und Rücken sind mit einem starken vegetabil gegerbten rotbraunen Schafleder bezogen; das Rückenleder greift etwa 50 mm auf den Vorderdeckel über, wo es von der Kupferplatte abgedeckt ist. Auf dem Rückdeckel sind in Quinkunx-­Form fünf runde, mit konzentrischen Kreisen gravierte Messingbeschläge von 32 mm Durchmesser aufgenagelt. Es handelt sich um Massivbuckel des Typs Adler BB.1.2, die in der Spätgotik weit verbreitet waren.12 Die am Vorderdeckel befestigten Messingschließen wie auch die zugehörigen Haften sind mit dem für Köln vor allem im 16. und 17. Jahrhundert typischen Liniendekor und Zierringen graviert.13 Der Rückdeckel weist zudem schlichte Eckkantenbeschläge aus Messing auf. Technisch gehört der heutige Ledereinband ebenso wie die Gravuren der Kupferplatten ins späte 15. Jahrhundert. Die Holzdeckel aus Eiche stammen dagegen von einem älteren Einband; ihre früheste Nutzung wurde durch Peter Klein (Hamburg) dendrochronologisch ab 1118, vermutlich ab 1128 datiert.14 Sie weisen schwach diagonal zum 9 Dornheim 1998 (wie Anm. 3), S. 134. 10 Maße der Holzdeckel: Vorderdeckel 305 × 227 mm, Brettstärke ca. 10 mm; Rückdeckel 303 × 222 mm, Stärke ca. 14 – 15 mm. 11 Vgl. zum Einband den Beitrag von Susanne Wittekind in ­diesem Band. 12 Vgl. Georg Adler: Handbuch Buchverschluss und Buchbeschlag. Terminologie und Geschichte im deutschsprachigen Raum, in den Niederlanden und Italien vom frühen Mittelalter bis in die ­Gegenwart, Wiesbaden 2010, S. 104. 13 Vgl. Adler 2010 (wie Anm. 12), S. 131. 14 Peter Klein: Dendrochronologisches Gutachten vom 31. Mai 2018.

26 | Doris Oltrogge und Robert Fuchs

Abb. 4: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln: Vorderdeckel des Einbandes, Innenseite: Erkennbar sind die Bundkanäle der romanischen Heftung, die nur teilweise für die gotische Neubindung verwendet wurden. Vor allem oben und links größere Reste der rotpurpurnen Seide der ersten Einbandgestaltung.

Gold, Silber, Messing | 27

Rücken verlaufende Bundkanäle auf, die von der heutigen Bindung nur teilweise genutzt werden (Abb. 4). Der genaue Verlauf auf den Außenseiten und an der Rückenkante lässt sich wegen des Lederbezugs nicht klären. Jedenfalls war die Handschrift auch ursprünglich auf drei Bünde, vermutlich Doppelbünde geheftet. Der Fitzbund am Kopf der vorangehenden Heftung lag etwa 15 mm unterhalb des heutigen Fitzbundes, damit korrespondieren Kanäle in den Holzdecken, die bei der Neubindung nicht mehr benutzt wurden. Am Fuß ist die Lage des Fitzbundes weniger deutlich erkennbar.15 Sowohl die Text- als auch die Bildlagen weisen die Fitzbundlöcher der beschriebenen älteren Bindung auf;16 es gibt keine Anzeichen, dass die Löcher der Textlagen mehrfach genutzt wurden. Es ist also gut möglich, dass die Erstbindung im 12. Jahrhundert erfolgte und die Handschrift zuvor ungebunden oder als Broschur geheftet war. Sie mag, wie Harald Wolter-­von dem Knesebeck vermutet, in einem Buchkasten gelegen haben.17 Zur Ausstattung des ursprünglichen romanischen Einbandes gehören vermutlich das Walrosszahnrelief mit der Kreuzigung, welches ursprünglich aus einem anderen Kontext stammt, sowie Fragmente einer rotpurpurn gefärbten Seide an den Außenkanten des Vorderdeckels. Diese war nicht als Spiegel verklebt,18 der Umbug auf die Kanten und die Art des Beschnitts belegen vielmehr, dass sie wohl eher die Außenseite ganz oder teilweise bedeckte.19 Auf dem Rückdeckel sind keine Textilspuren erkennbar, sie könnten allerdings unter dem Leder verborgen sein.

Textblock und Bild-­Zierseitenfolgen: Farbmittel und Metalle Der Text ist mit brauner Eisengallustinte geschrieben und sparsam mit gold- oder silberfarbenen Majuskeln akzentuiert. Ansonsten beschränken sich die Auszeichnungen auf goldfarbene Seitentituli sowie wenige ‚Gold‘-Silber-­Initialen mit blauer und grüner Füllung. Auszeichnungsschrift und Majuskeln sind mit Mennige unterlegt, eine im Hochmittelalter öfter zu beobachtende Technik.20 Die Metalltuschen in den Initialen sind dagegen ­unmittelbar 15 Am Kopf ist die Heftung gut einsehbar, da hier das Rückenleder verloren ist. 16 Der Befund ist auf einigen Lagen durch Klebstoffreste verunklärt. 17 Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Kölner Evangeliar von St. Georg als liturgische Prachthandschrift, Gründungsurkunde und zeitgeschichtliches Dokument, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische ­Kirchen Köln 32 (2017), S. 40 – 56, hier S. 44. 18 So die Vermutung von von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 27. 19 Zur Seide vgl. den Beitrag von Annemarie Stauffer in ­diesem Band. 20 In der Kölner Buchmalerei beispielsweise in den ottonischen Evangeliaren in Gerresheim und aus St. Mariengraden und im romanischen Evangeliar aus St. Pantaleon. Vgl. auch Doris Oltrogge: Maltechnische und kodikologische Befunde zu Herstellung und Gebrauch des Gerresheimer Evangeliars,

28 | Doris Oltrogge und Robert Fuchs

Abb. 5: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 77r: Unterzeichnung der Initiale mit Metallstift (Pfeile). Grün korrodierte Messingtusche mit Mennigekonturierung.

auf das Pergament aufgetragen, hier dient Mennige nur der Konturierung – auch dies ein gebräuchliches Verfahren (Abb. 5). Bei den Metallen handelt es sich um Silbertusche sowie eine ursprünglich goldfarbene, heute oft grünlich korrodierte Messingtusche. Echtes Gold konnte im Textkorpus nur ausnahmsweise in der Initiale auf fol. 8v nachgewiesen werden, hier in einer Mischung mit Messing. Anders zeigt sich dies in den Bild-­Zierseitensequenzen, in denen Gold neben Messing häufiger vorkommt. Zudem erforderten die Buchmalereien eine umfangreichere Farbpalette. Für rote Farbwerte wurde überwiegend tiefroter Zinnober verwendet, daneben in den Inkarnaten sowie in der Modellierung roter Gewänder rotbrauner Ocker. Mennige ist in den Miniaturen in verschiedenen Inkarnatstönen eingemischt, als eigenständiges Farbmittel wurde das orange­rote Pigment nur in der Konturierung der Initialen auf den Zierseiten eingesetzt, ähnlich wie in den Initialen des Textkorpus. Als weiteres sekundäres Rotfarbmittel wurde ein pinkstichiger Schildlausfarblack beispielsweise auf fol. 173r in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-­Budnik. (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1). Köln 2016, S. 65 – 96, hier. S. 83.

Gold, Silber, Messing | 29

Abb. 6: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 71v: In der unteren Rahmenleiste durchgedrückte Unterzeichnung des Mäanders von fol. 74v; In der drittletzten Zeile gelöschte Erstbeschriftung LVCAM. Bei den goldenen Eckknäufen ist die erste Konturierung mit Mennige teilweise unter der Nachkonturierung mit Schwarzpigment sichtbar geblieben.

im Kopftuch der Luna nachgewiesen. Wichtigstes organisches Rotfarbmittel ist jedoch ein Flechtenfarbstoff, der die rotpurpurnen Hintergründe der Text- und Initialzierseiten beherrscht und auch der Modellierung in den Miniaturen dient. Das dominante blaue Farbmittel der Bild-­Zierseitenfolgen wie auch der Initialfüllungen im Textkorpus ist der aus Zentralasien importierte Lapislazuli. Der auch in Europa anstehende Azurit sowie das vielleicht aus heimischem Waid gewonnene Indigopigment findet sich dagegen nur in den Bildlagen. In beiden Teilen des Evangeliars wurde ein künstlich hergestelltes Kupferchloridpigment (Salzgrün)21 verwendet, in Miniaturen und Zierseitenrahmen zudem eine dumpf blaugrüne Mischung aus Indigo und Auripigment. Mit letzterem wurden auch gelbe Höhungen gemalt, die heute oft verbräunt sind (Abb. 9). Ebenso auf die Bildseitenlagen beschränkt sind Gelbocker sowie Kohlenstoffschwarz, während Bleiweiß wieder in beiden Handschriftenteilen nachweisbar ist.

21 Mit Röntgendiffraktometrie bestimmt als Atacamit / Paratacamit.

30 | Doris Oltrogge und Robert Fuchs

Die nachgewiesenen Farbmittel gehören zum geläufigen Repertoire der ­Buchmalerei des 11. und 12. Jahrhunderts.22 Im Kölner Kontext ist allerdings hervorzuheben, dass Zinnober hier im 11. Jahrhundert noch kaum eine Rolle im Kolorit spielte.23 Erst im folgenden ­Jahrhundert wurde das kräftige Zinnoberrot in den Kölner Skriptorien ähnlich wie anderswo in der Romanik zum dominanten Rotfarbmittel.24 Damit fügt sich die Phase der Bildausstattung auch materialtechnisch in die Kölner Entwicklungen des 12. Jahrhunderts ein.25

Zur Herstellung von Text und Bild: Maltechnische Beobachtungen Die Initialen im Textkorpus sind mit Metallstift unterzeichnet, der an den wenigen Stellen, die leicht verändert farbig ausgeführt wurden, sichtbar blieb (Abb. 5). Offenbar wurden auch die Zierseiten mit einem Metallstift entworfen. Erkennbar ist dies nur unten im Rahmen auf fol. 71v, dessen Malschicht durch die kräftig durchgedrückte Zeichnung des Mäanders auf fol. 74v beschädigt wurde (Abb. 6). Dies belegt zugleich, dass Miniaturen und Zierfelder seitenweise entworfen und gemalt wurden und nicht zunächst die komplette Lage oder gar alle Bildlagen unterzeichnet und erst dann farbig ausgeführt.26 Weitere Indizien für das sukzessive Vorgehen sind die deutlich variierenden Bild- oder Zierfeldformate sowie die unten zu besprechenden Überarbeitungen einzelner Zierseiten. Die Bilddarstellungen wurden mit Purpurfarbstoff unterzeichnet, der punktuell in Ausbrüchen erkennbar ist. Da d ­ ieses Material im infraroten Wellenbereich nicht absorbiert und die überwiegend zweiseitige Bemalung der Blätter Durchlichtuntersuchungen behindert, lässt sich bei keiner Miniatur der Entwurf sichtbar machen; gleiches gilt für die 22 Vgl. für das 11. Jahrhundert Doris Oltrogge / Robert Fuchs: Die Maltechnik des Codex Aureus aus Echternach. Ein Meisterwerk im Wandel (Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Bd. 27), Nürnberg 2009, S. 163 f.; zu Zusammensetzung, Herkunft bzw. Gewinnung dieser Farbmittel S. 154 – 162. 23 Vgl. Oltrogge 2016 (wie Anm. 20), S. 83. – Doris Oltrogge: Zur Herstellung der Handschrift – Ergebnisse der kodikologischen und maltechnischen Untersuchung, in: Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei, Luzern 2018, S. 139 – 154, hier S. 145. 24 Beispielsweise im sog. Friedrichs-­Lektionar (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Hs. 59), im Evangeliar aus St. Pantaleon (Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 7010 – 312a), im Majestasblatt aus St. Pantaleon in Münster (Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Inv. KdZ 2986 WKV), ferner in den beiden vielleicht in Köln illuminierten romanischen Evangeliaren aus Gladbach (Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Kg. 54:211a bzw. Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 530). 25 Zur stilistischen Stellung vgl. von Euw 1997 (Anm. 1), S. 36. – Wolter-­von dem Knesebeck 2017 (Anm. 17), S. 44 sowie die Beiträge in ­diesem Band. 26 So etwa im Gerresheimer Evangeliar; vgl. Oltrogge 2016 (wie Anm. 20), S. 80 – 82.

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Metallstiftzeichnung. Nur in den unvollendeten Medaillons auf fol. 21r liegt die Unterzeichnung der Büsten frei, die summarisch Konturen und Binnenzeichnung angibt. Die malerische Ausführung von Bildern und Zierseitenrahmen begann immer mit dem Auftrag der Metalltuschen; die gold- und silberfarbenen Bereiche wurden anschließend mit Mennige konturiert.27 Die Abfolge bei der Bilddarstellung variiert, die farbigen Rahmenleisten bildeten jeweils den Abschluss der Arbeit. Die einzelnen Bildelemente sind mit einer kompakten Grundschicht angelegt, auf der die dunklere Modellierung meist dünner, die weiße oder gelbe Höhung pastoser aufgetragen ist. Helle Gewänder sind mit einer Mischung aus Bleiweiß und einem Farbmittel angelegt, Lapislazuli für Hellblau, Gelbocker für Hellgelb (Abb. 13), Kupfergrünpigment für Hellgrün (Abb. 8), Flechtenpurpur, Zinnober oder – seltener – Schildlausfarbstoff für verschiedene Rosatöne. Die Schattierung erfolgt mit jeweils dunkleren Ausmischungen, bei Hellblau oft zudem mit Flechtenpurpur; als Höhung dient reines oder nur schwach abgetöntes Bleiweiß. Bei den roten Gewändern sind zwei Typen zu unterscheiden: Der Mantel Mariens im Kreuzigungsbild (fol. 173r) ist mit Zinnober angelegt, darauf mit Braunocker und Schwarzpigment modelliert; eine eigene Höhung fehlt. Meist allerdings dient eine Grundschicht aus rotbraunem Ocker als mittlerer Ton, von dem aus mit Schwarzpigment ins Dunkle und mit Zinnober ins Helle modelliert wird, so etwa in den Mänteln von Lukas (fol. 113r) oder ­Zacharias (fol. 114r). Der Mantel Christi im Majestasbild (fol. 11v; Abb. 7) und in der Miniatur der Madonna (fol. 22r) erhält durch zusätzliche hellblaue Akzente 28 einen ins Blaupurpurne changierenden Stich, bei der Majestas stärker ins Rote, beim Christuskind stärker ins Blaue spielend. Die Tunika des Täufers (fol. 72r; Abb. 8) ist eine Variante des blau-­braun changierenden Gewandes ohne die zinnoberrote Höhung. Dieses maltechnische Vorgehen bei der Gestaltung kräftig roter oder braun-­blaupurpurn changierender Gewänder findet in der romanischen Buchmalerei Kölns eine Parallele im Evangeliar aus St. Pantaleon und dem vielleicht ebenfalls aus St. Pantaleon stammenden Einzelblatt einer Majestas in Münster.29 Dagegen ist das dumpfe Blaugrün mit den ursprünglich leuchtend gelben Höhungen bereits in der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts vertreten, bleibt aber auch in romanischen Handschriften wie dem Evangeliar aus St. Pantaleon beliebt. Die Grundschicht besteht aus einer Mischung aus Indigo und Auripigment, modelliert wird mit dunklerer Ausmischung sowie mit gelben, heute zumeist verbräunten Auripigmenthöhungen. Diese sind oft dominant und erzeugten ursprünglich eine eher changierende Farbwirkung (Abb. 9).

27 Mit Ausnahme der Kanontafeln auf fol. 13v–18v, die nur eine Zinnoberkonturierung aufweisen. 28 Als Farbmittel dient eine Mischung aus Lapislazuli und Bleiweiß. 29 Vgl. Anm. 24.

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Abb. 7: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 11v: Christus, purpur-­rot changierende Modellierung des Mantels.

Reine Gelbtöne kommen nur vereinzelt auf den Kanontafeln vor, etwa auf fol. 17v, wo die mit Auripigment gemalten Arkadenzwickel mit lasierendem Schwarzpigment abgesetzt waren. Die Inkarnate weisen, wie im Hochmittelalter üblich, einen komplexeren Malschichtaufbau auf. Die rötliche Grundschicht verleiht ihnen eine eher robuste Wirkung – im Gegensatz zu den blassen Inkarnaten des Evangeliars aus St. Pantaleon. Gemischt ist die Hautfarbe aus Mennige, Bleiweiß sowie Ocker. Für die folgende Schattenuntermalung finden sich zwei Varianten, eine eher graue Malschicht, für die der Grundschicht-­Mischung feinkörniges Schwarzpigment zugefügt wurde (beispielsweise Johannes Baptist, fol. 72r; Abb. 10) oder eine grünliche aus Kupfergrünpigment und vermutlich etwas Bleiweiß oder Gelbocker (beispielsweise Markus, fol. 73r; Abb. 11). Die ‚Rötungen‘ der Haut sind mit Zinnober-­Weißmischungen und reinem Zinnober ausgeführt, Höhungen mit Bleiweiß. Abschließend erfolgte die Zeichnung von Gesichtszügen, Gliedmaßen und Konturen, teils mit Schwarzpigment, teils mit Braunocker oder auch mit beiden Pigmenten. Das Inkarnat des Gekreuzigten ist insgesamt eher graubräunlich angelegt; hier ist Braunocker in Grundschicht und Modellierung dominant, während Rot gänzlich zurücktritt (fol. 173r; Abb. 12).

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Abb. 8: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 72r: J­ ohannes Baptist, blau-­braun ­changierende Modellierung der Tunika.

Damit wird der Sterbende deutlich von den Lebenden mit ihrer kräftig geröteten Haut geschieden. Ansonsten lässt sich jedoch keine konsequente ikonographische Differenzierung der Inkarnate, etwa nach Alter oder Geschlecht, feststellen, der Wechsel z­ wischen den Farben für Zeichnung und Schattenuntermalung diente offenbar weitgehend der Variation. Dies ist allerdings in der romanischen Buchmalerei nicht ungewöhnlich.30 Einzig die Haarfarbe wird, wie auch sonst in der zeitgenössischen Malerei, zur Altersunterscheidung 30 Vgl. Doris Oltrogge / Robert Fuchs: Facias carnaturam … – Zur Maltechnik von Inkarnaten in der ottonischen und romanischen Buchmalerei, in: Inkarnat und Signifikanz. Das menschliche Abbild in der Tafelmalerei von 200 bis 1250 im Mittelmeerraum, hg. v. Lehrstuhl für Restaurierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft, TU München; Forschungsstelle Realienkunde, ZI für Kunstgeschichte, München; Doerner Institut, Bayerische Staatsgemäldesammlungen; Opificio delle Pietre Dure, Florenz, München 2017, S. 513 – 524, hier S. 520 – 522.

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Abb. 9: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­ Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 174r: ­Johannes, dumpf blau-­grüner Mantel mit teilweise ­verbräunten Auripigmenthöhungen.

eingesetzt, Rotbraun für Männer mittleren Alters, sowie zwei verschiedene Farbtöne für die ältere Generation, Hellblau 31 (fol. 12v, 73r, 174r) oder ein aus Flechtenpurpur und Bleiweiß gemischtes Grauviolett (fol. 114r). Auch dies mag allein dem Wunsch nach variatio geschuldet sein und nicht einer zusätzlichen Differenzierung z­ wischen etwa Alten (senis) und Hinfälligen (decrepitis).32 31 Bleiweiß mit Lapislazuli und Flechtenfarbstoff, teilweise auch mit Azurit. 32 Eine entsprechende Differenzierung, allerdings mit anderen Farbmitteln, trifft die Schedula diversarum artium, I, 12. Vgl. Erhard Brepohl: Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Bd. 1, Köln 1999, S. 56 f. – Vgl. auch Robert Fuchs: Die technischen Rezepte zum Malen bei ­Theophilus: umsetzbare Anweisungen oder enzyklopädische Wissenssammlung eines Kopisten, in: Die Schedula diversarium artium – Ein Handbuch mittelalterlicher Kunst? (Miscellanea mediaevalia, Bd. 37), hg. v. Andreas Speer, Berlin 2014, S. 123 – 144, hier S. 140.

Gold, Silber, Messing | 35

Abb. 10: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 72r: Johannes Baptist, Inkarnatsmodellierung.

Abb. 11: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 73r: Markus, Inkarnatsmodellierung.

Die zunächst mit Mennige ausgeführten Konturen der gold- und silberfarbenen Bereiche wurden abschließend durch eine zinnoberrote oder schwarze Zeichnung ersetzt (Abb. 8). Nur bei den Initialen der Initialzierseite blieb die Mennigekonturierung teilweise stehen.33 Bei den Kanontafeln auf fol. 13v–18v fehlt die vorangehende Zeichnung mit Mennige, nur auf fol. 19r ist sie vorhanden. Durch die Übermalung wird die Konturierung der Metallfarben stimmiger in das Kolorit der Buchmalereien eingebunden, in dem die orangefarbene Mennige als eigenständiges Pigment keine Rolle spielt. Die Frage ist, warum überhaupt zunächst mit Mennige konturiert wurde. Offenbar waren in den Kölner Buchmalerwerkstätten der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts noch die Konventionen der ottonischen und salischen Buchmalerei geläufig und wurden hier – vielleicht in einem arbeitsteiligen Prozess – unreflektiert übernommen. Inte­ ressanterweise sind auch im bereits mehrfach genannten Evangeliar aus St. Pantaleon für die Konturierung von Gold und Silber sowohl Mennige als auch Zinnober und Schwarzpigment anzutreffen; erstere auf die Initialen beschränkt, letztere auf Miniaturen und Zierseiten, ohne vorangehende Mennigekonturierung. Die koloristische Korrektur im Jüngeren Evangeliar von 33 Mit Schwarz übermalt nur auf fol. 115r (Quoniam); dort auch die Spaltfüllung mit Zinnober übergangen.

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Abb. 12: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 173r: Kreuzigung, Inkarnatsmodellierung des Gekreuzigten.

St. Georg ist demnach wohl auch in einem kontinuierlichen Arbeitsprozess vorgenommen worden und nicht Indiz einer Arbeitsunterbrechung und Fortführung von anderer Hand.

Übermalungen – Pentimenti und Konzeptänderungen Anton von Euw vermutete, dass einige Miniaturen zu späterer Zeit übermalt wurden. Tatsächlich lassen sich Überarbeitungen feststellen, die allerdings in einem wohl eher b­ egrenzten Zeitraum stattfanden. Dabei handelt es sich teils um Pentimenti innerhalb des künstlerischen Arbeitsprozesses ähnlich den genannten Veränderungen der Konturfarben, teils um Konzeptänderungen, die das Ausstattungsprogramm insgesamt betreffen. Wie bereits erwähnt, sind die Formate der Bild- und Zierseiten nicht einheitlich, sondern individuell auf jeder Seite neu angelegt. In Einzelfällen wurden dabei nochmals Korrekturen der Rahmenbreite vorgenommen; so war die goldfarbene innere Randleiste auf fol. 13r zunächst schmaler angelegt; auf fol. 73v war die breite innere Leiste schmaler oder zweigeteilt geplant.

Gold, Silber, Messing | 37

Zu den kleineren Korrekturen der Bilddarstellungen gehört die Veränderung der Tunika des Matthäus (fol. 19v). Offenbar lag sie in der Unterzeichnung enger an den Unterschenkeln an, oder es wurde die Fläche der Thronfront zu großzügig mit Silbertusche ausgefüllt. Jedenfalls fügte der Maler zwei seitliche Falten und einen ausschwingenden Saum auf dem Silbergrund hinzu, auf dem die Malschicht schlecht haftet und daher teilweise abgesprungen ist. Dagegen wurde bei Markus (fol. 73r) ein bereits vollendetes Gewand in anderer Farbstellung gänzlich übermalt. Die Albe des bischöflichen Evangelisten war zunächst als blau-­ braunpurpurn changierendes Textil gestaltet,34 wie an Abplatzungen sowohl am Ärmel als auch im Saumbereich erkennbar ist (Abb. 13). Ob die Stola ganz fehlte oder kürzer war, lässt sich nicht entscheiden. Noch vor Ausführung der Schlusskonturierung aller Gewandteile wurde die Albe mit einer hellen gelbbraunen Mischung aus Gelbocker und Bleiweiß übermalt und mit rotbraunem Ocker bzw. Bleiweiß modelliert. Bei dem für eine Albe typologisch unpassenden ursprünglichen Kolorit handelte es sich wohl um einen Irrtum, den der Maler schnell zugunsten der liturgisch angemessenen hellen Farbigkeit korrigierte.35 Ikonographisch weniger bedeutsam ist die Übermalung der zunächst hellbraun gestalteten Oberseite des Suppedaneums, die gleichzeitig mit der Überarbeitung der Albe hellgrün übermalt und mit einem roten Dekor versehen wurde. Vermutlich war hier der Grund für die koloristische Veränderung, dass sich die ursprüngliche Farbigkeit zu wenig von der neu gestalteten Albe abhob. Etwas unklar ist der Befund beim Kreuznimbus des Lammes auf der Initialzierseite zum Johannes-­Evangelium (fol. 175r). Auf grünem Grund ist hier das Kreuz zunächst mit Zinnober gemalt, darüber großflächig mit einer Mischung aus Lapislazuli und Bleiweiß übermalt. Eventuell handelt es sich nicht um ein Pentimento, sondern um eine gezielte blau-­purpurn changierende Gestaltung, die koloristisch einen Bogen schlägt zum Mantel des Christuskindes (fol. 22r). Weitere eindeutig koloristische Pentimenti finden sich dagegen auf einzelnen Zierseiten. Auf fol. 20v wurde die Beschriftung zunächst vollständig mit Messingtusche ausgeführt, dann aber jede zweite Zeile mit Silbertusche überschrieben. Auf fol. 73v war ein Wechsel von silber- und goldfarbener Metalltusche von Anfang an vorgesehen, doch gefielen offenbar die Proportionen der Buchstaben ebenso wenig wie die Dominanz des Silbers. Die siebenzeilige Beschriftung wurde ausradiert, mit Flechtenpurpur übermalt und in leicht abweichender Anordnung und Größe erneuert, nun aber mit Goldtusche in der ersten 34 Grundschicht rotbrauner Ocker, darauf Modellierung mit einer Mischung aus Lapislazuli und Bleiweiß, also ähnlich wie das Gewand des Johannes Baptist auf fol. 72r. 35 In dem als Vorbild bzw. Reflex eines Vorbilds geltenden verlorenen Straßburger Evangeliar war die Albe den Farbangaben des Comte de Bastard zufolge korrekt weiß. Zu dieser Handschrift vgl. den Beitrag von Ulrich Kuder in ­diesem Band.

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Abb. 13: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 73r: In Ausbrüchen der Malschicht ist erkennbar, dass die Albe zunächst blau-­purpurn war (Pfeile) und hellgelb übermalt wurde.

Gold, Silber, Messing | 39

Abb. 14: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­ Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 73v: Unter der silbernen Schrift ist die Erstbeschriftung mit goldfarbener Metalltusche zu erkennen (Pfeile). Die aufgerauhte Oberfläche unter dem Flechtenpurpur verrät zudem, dass der Buchstabe zunächst größer war.

Zeile beginnend, so dass das Erscheinungsbild von Gold dominiert wird (Abb. 14). Ob in der Erstfassung statt Gold Messing verwendet wurde, ließ sich wegen der großflächigen Rasuren nicht zweifelsfrei feststellen. Veränderungen auf drei Zierseiten belegen, dass auch das Ausstattungskonzept erst während der Arbeit an den Bild-­Zierseitenlagen entwickelt wurde. Auf fol. 71v, das heute den Titulus zur Miniatur des Johannes Baptist trägt, ist in UV - und monochromatischer Beleuchtung unterhalb des purpurfarbenen Schriftgrundes eine vorangehende fünfzeilige Beschriftung in großformatiger Capitalis zu erkennen: INICIV | SCI  | EV |​ ANGELII | SCDM | LVCAM (Abb. 6 und 15). Die Seite sollte also zunächst vor das Lukas-­Evangelium platziert werden. Die Beschriftung war nur in Mennige ausgeführt, Spuren von Metalltuschen konnten nicht festgestellt werden. Auf dem Gegenblatt des Bifoliums (fol. 74) fehlen eindeutige Hinweise auf eine ältere Beschriftung, die Planänderung erfolgte also, bevor dort die Initialzierseite und der Textbeginn des Markus-­ Evangeliums eingetragen wurde. Interessanterweise wurde auch eine zweite Initiumseite zum Lukas-­Evangelium verworfen und mit anderem Text überschrieben, in ­diesem Fall dem Titulus zur Lukas-­Miniatur (fol. 112v). Der ursprüngliche Text war in d ­ iesem Fall bereits mit goldfarbener Metalltusche auf sieben Zeilen ausgeführt.36 Er wurde wieder ausradiert, mit Flechtenpurpur ­überstrichen und darüber die sechszeilige Neubeschriftung vorgenommen. Die endgültige Initiumseite zum Lukas-­Evangelium fand dann auf fol. 114v Platz, nun etwas homogener auf fünf Zeilen verteilt.

36 INICIV | SCI | EV|ANGLII | SCDM | LV|CAM.

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Ebenso war auch für das Johannes-­Evangelium zunächst ein anderes Blatt (fol. 172v) als Initiumseite vorbereitet. Der sechszeilige Text war offenbar nur als Mennige-­Unterlegung ausgeführt;37 Metallreste lassen sich nicht belegen. Er wurde weitgehend ausradiert und mit Flechtenpurpur übermalt; darüber wurde abwechselnd mit Silber- und Messingtusche der Titulus zur nebenstehenden Kreuzigungsminiatur eingetragen. Erst auf fol. 174v wurde dann endgültig das Initium zum Johannes-­Evangelium angelegt. Wie ist dieser Befund zu interpretieren? Während die auf fol. 71v durchgedrückte Metallstiftunterzeichnung des Mäanders von fol. 74v dafür spricht, dass Entwurf und Malerei auf den Binionen sukzessive Seite für Seite ausgeführt wurden, deuten die drei verworfenen Incipitseiten darauf hin, dass dennoch parallel an den Bild-­Zierseitensequenzen vor den einzelnen Evangelien gearbeitet wurde, beginnend mit der analogen Konzeption der Initia, wobei es bei der Nennung von Lukas vor dem Markus-­Evangelium wohl zu einem Irrtum kam. Ob das Initium zum Matthäus-­Evangelium gleichzeitig gestaltet wurde, ist unklar; dort wurde keine Änderung vorgenommen. Den heutigen Incipits folgen grundsätzlich auf dem gegenüberliegenen Recto die Initialzierseiten; wahrscheinlich war dies auch in der Erstfassung vorgesehen. Beim Matthäus-­Evangelium bilden Initium und Liber generationis die Öffnung des inneren Bifoliums der Lage (fol. 20v/21r). Die Miniatur der Madonna ist ­zwischen die Zierseiten mit den ersten Evangeliumsversen eingeschoben. Vielleicht empfand man diese Abfolge als unglücklich und beschloss, bei den folgenden Evangelien Evangelistenbild und szenische Darstellung vor den Textbeginn zu platzieren. Damit mussten die Incipits die Position von der linken Hälfte eines Doppelblattes, auf der sie bei den übermalten Blättern standen, auf die rechte Hälfte wechseln. Dies führte zwar zu einer stringenteren Anordnung von Bildern und Evangeliumstexten, eine einheitliche Abfolge der jeweils zwei Bilddarstellungen wurde allerdings nicht realisiert.38 Bei der Anlage des Textes wurden jeweils mindestens zwei Seiten zu Beginn der Evangelien freigelassen (Abb. 2). Da grundsätzlich der Evangelienanfang fehlt, waren hier sicher Initialzierseiten geplant, möglicherweise zudem ein Evangelistenbild. Obgleich die Beschriftung mit Eiden und dem Kölner Bischofskatalog erst später erfolgte, war eine Nutzung dieser Blätter in der romanischen Ausstattungsphase offenbar nie vorgesehen. Zumindest sind auf diesen Seiten weder in UV - noch monochromatischer Beleuchtung Hinweise auf vorbereitende Zeichnungen nachweisbar. Vielleicht erschien die Konzeption auf eigenen Binionen einfacher als eine Zufügung von Einzel- und Doppelblättern in vorhandene Lagen.

37 INICIV | SCI | EV|ANGLII | SCDM | IOH. 38 Vgl. dazu den Beitrag von Harald Wolter-­von dem Knesebeck in ­diesem Band.

Gold, Silber, Messing | 41

Abb. 15: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 71v: Die Aufnahme in rotem Licht mit kontrastverstärkendem Wechsel in s/w lässt die ursprüngliche Beschriftung als Incipitseite des Lukas-­Evangeliums erkennen.

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Gold und Messing – Anspruchsniveau und hierarchische Metallverwendung Wie bereits erwähnt, ist mit Ausnahme von fol.  8v im Textkorpus für goldfarbene Schrif­ten und Initialen immer Messingtusche verwendet worden, während in den Bild-­ Zierseitensequenzen sowohl Messingtusche als auch Goldtusche vorkommen.39 In der Kostbarkeit nahm Gold den höchsten Rang unter den Metallen ein. Goldschrift und golden strahlende Buchmalereien bildeten im Früh- und Hochmittelalter einen Standard für die Handschriftenausstattung, den man bei begrenzten Finanzmitteln mittels ‚gestreckter‘ Goldtuschen oder Messingtuschen zu evozieren suchte.40 Offensichtlich verfügte das Georgsstift in seiner Frühzeit nur über begrenzte Mittel, so dass man sich für die Ausstattung des Evangeliars mit ‚Goldschrift‘ auf Messingtuschen beschränken musste. Die Ausführung von Evangelistenbildern und Initialzierseiten, für die jeweils Seiten freigelassen wurden, unterblieb ganz. Doch auch als im 12. Jahrhundert die prächtige Vollendung des Kodex in Angriff genommen wurde, waren die Mittel offenbar begrenzt. Zwar wurde nun auch Gold verwendet, daneben jedoch abermals Messingtuschen, allein wie in Mischung mit Gold. Dabei war man sich der materiellen Differenzen durchaus bewusst: Es lassen sich Tendenzen erkennen, die beiden goldfarbenen Metalle hierarchisch einzusetzen. Nimben sind grundsätzlich mit reinem Gold gemalt,41 weitgehend auch die übrigen goldfarbenen Elemente der Bilddarstellungen.42 Häufig sind auch die das Bildfeld umschließenden inneren Rahmenleisten mit Goldtusche ausgeführt, während für die weiteren goldfarbenen Rahmenelemente nur Messingtusche verwendet wurde.43 Ähnlich den Miniaturen sind auch die Initialzierseiten durch Gold ausgezeichnet, das sich in Buchstabenkörpern, Ranken oder den Clipei der Büsten auf fol. 21r beziehungsweise des Agnus Dei auf fol. 175r findet. ‚Goldene‘ Schrift und Rahmen der Textzierseiten sind dagegen fast ausschließlich mit Messingtuschen gemalt, einzig das Incipit zum Lukas-­Evangelium (fol. 73v) ist mit Goldtusche geschrieben, der Rahmen der Titelseite zur Lukas-­Miniatur (fol. 72v) mit Goldtusche gemalt. Demgegenüber wurde Silbertusche, die auf allen Bild- und Zierseiten vorkommt, nicht im Sinne der Metalltrias Gold – Silber – aes hierarchisch verwendet.44 Ganz konsequent 39 Zur Herstellung von Gold und Metalltuschen vgl. Robert Fuchs: Gold or Brass, Silver or Tin: The Analysis of Metals in Medieval Book Illumination, in: Manuscripts in the Making, Bd. 2, hg. v. Stella Panayotova und Paola Ricciardi, London 2018, S. 97 – 106. 40 Vgl. Doris Oltrogge: Scriptio similis auri. Gold und Goldähnlichkeit in der Handschriftenausstattung: Surrogat, Imitation, Materialillusion? in: Codex und Material, hg. v. Patrizia Carmassi und Gia Toussaint (Wolfenbütteler Mittelalter-­Studien, Bd. 34), Wiesbaden 2019, S. 159 – 178. 41 Damit abweichend von den nach den Notizen des Comte de Bastard farbig gestalteten Nimben der Miniaturen im verlorenen Straßburger Evangeliar. Vgl. dazu den Beitrag von Ulrich Kuder in ­diesem Band. 42 Ausnahmen bilden die Namensbeischrift des Matthäus (fol. 19v), Möbel beziehungsweise Architektur auf fol. 12v und 72r. 43 Vereinzelt auf fol. 12v in einem der goldfarbenen Knäufe des Rahmens Goldtusche. 44 Vgl. hierzu Oltrogge 2019 (wie Anm. 40), S. 168 f.

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sind allerdings auch die goldfarbenen Metalle nicht materialikonologisch eingesetzt. In den Architekturen der Kanontafeln findet sich auf fol. 15r–17r Gold, auf fol. 17v–18v auch in Mischung mit Messing; die Tituli auf den Architraven sind grundsätzlich mit Messingtusche geschrieben. Ob also zunächst geplant war, die gesamte malerische Ausstattung der Handschrift überwiegend mit Goldtusche auszuführen und ­dieses Konzept dann aufgegeben werden musste, oder ob man das vorhandene kostbare Material auf den Beginn der Handschrift konzentrierte, lässt sich nicht klären. Vielleicht wurde jedoch auch erst jetzt die Initiale auf fol. 8v mit der sonst im Textkorpus ungewöhnlichen Mischung aus Gold und Messing überarbeitet.

Fazit Nicht nur stilistisch, sondern auch material- und maltechnisch fügen sich die Bild-­Zier­ seitenfolgen des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg in die Entwicklung der Kölner romanischen Buchmalerei ein und lösen sich damit aus den Traditionen des 11. Jahrhunderts. Die sich über mehrere Jahrzehnte hinstreckende Vollendung war vielleicht durch die begrenzten Mittel des Georgsstiftes bedingt. So ist im älteren Textkorpus zwar das Anspruchsniveau einer mit Gold- und Silberschrift ausgestatteten Prachthandschrift vorgegeben, statt Gold jedoch nur die in Farbigkeit und Metallglanz verwandte Messingtusche verwendet worden. Doch auch bei der prächtigen Ausstattung des 12. Jahrhunderts mit Miniaturen und Zierseiten wurde versucht, eine offenbar eher geringe zur Verfügung stehende Goldmenge möglichst (wirkungs-)effizient einzusetzen. Auch wenn die grünliche Korrosion der Messingtusche deren Erscheinung heute deutlich matter macht als ursprünglich, dürfte auch im Mittelalter die Wirkung der goldstrahlenden Miniaturen und Initialzierseiten diese vor den mit Messing gestalteten Textseiten herausgehoben haben.

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Harald Wolter-­von dem Knesebeck

Die Miniaturen des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg in Köln

Das jüngere Evangeliar von St. Georg ‒ auch als Lyskirchener oder Lyskirchen-­Evangeliar bekannt, kam es in Folge der Säkularisation doch in den Besitz der Kölner Pfarrgemeinde St. Maria Lyskirchen ‒ weist nicht nur einen kostbaren liturgischen Prachteinband mit Walrosszahnrelief und Nachträge von besonderem historischen Wert auf, die mit dem ersten überlieferten Schatzverzeichnis einer Kölner K ­ irche wohl zu Beginn des 12. Jahrhunderts einsetzen und seine schon hochmittelalterliche Verwendung in St. Georg belegen. Auch seine Buchmalerei trägt zu seinem besonderen Stellenwert bei, da sie ­zwischen der ‚ottonischen‘ und der ‚romanischen‘ Kölner Buchmalerei vermittelt. Zudem ordnet das Miniaturenprogramm jedem Evangelium über die üblichen ganzseitigen Evangelistenbilder und die ebenfalls ganzseitigen Initial- und Textzierseiten hinaus noch jeweils eine thematisch passende Miniatur zu. So findet sich eine Darstellung Marias mit dem Christuskind bei Matthäus, Johannes des Täufers in der Wüste bei Markus, Zacharias‘ im Tempel bei Lukas und der Kreuzigung bei Johannes. Entsprechend der Bedeutung des Evangeliars und seiner Provenienz aus altem Kölner Kirchenbesitz standen die Miniaturen schon länger im Fokus der Forschung. Neben ihrer grundlegenden Behandlung als „Ein Nachzügler“ in der Monographie von Peter Bloch und Hermann Schnitzler zur ‚ottonischen Kölner Malerschule‘, in der die ältere Literatur rezipiert wurde, sind vor allem die Beiträge von Anton von Euw zu erwähnen, in jüngerer Zeit zudem diejenigen von Robert Suckale, Andrea Worm und Klaus Gereon Beuckers.1 1

Vgl. Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70, Bd. 1, S. 113 – 120, Taf. 463 – 498, Farbtaf. XXV u. XXVI , Bd. 2, bes. S. 111 – 118. – Zur Vorlage, einem in Straßburg 1870 verbrannten Evangeliar vgl. ebda. Bd. 2, S. 24 f., Abb. 40 – 43. – Ulrich Kuder: Eine weitere Pause nach dem in Strassburg verbrannten ottonischen Kölner Evangeliar, in: Kunstchronik 38 (1985), S. 381 – 383. – Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, Kat. Nr. E 71 (Barbara Klössel-­Luckhardt). – Anton von Euw: Die ottonische Kölner Malerschule. Synthese der künstlerischen Strömungen ­zwischen West und Ost, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-­Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, 2 Bde., Köln 1991, Bd. 1, S. 251 – 280, bes. S. 267 f. u. 278. – Anton von Euw: Das Evangeliar von St. Maria Lyskirchen. Bestimmung und Gebrauch einer mittelalterlichen Handschrift, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 64 (1993), S. 15 – 36. – Anton von Euw: Die Handschriften und Einzelblätter des Schnütgen-­Museums Köln. Bestandskatalog, Köln 1997, Kat. Nr. 2, S. 27 – 37, zur Vorlage S. 35. – Robert Suckale: Die

Die Miniaturen des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg in Köln | 45

Auch der Autor ­dieses Beitrags hat sich 2015 und 2017 mit dem Codex beschäftigt.2 Die Miniaturen des jüngeren Evangeliars aus St. Georg wurden vermutlich nach einer älteren Vorlage geschaffen, einem 1870 in Straßburg verbrannten Kölner Evangeliar, das in fünf Nachzeichnungen des Comte Auguste de Bastard (Abb. 34 – 38) zumindest ansatzweise fassbar blieb. Bloch/Schnitzler zählten das Straßburger Evangeliar zur ‚Reichen Gruppe‘ der ‚ottonischen‘ Kölner Buchmalerei, während Carl Nordenfalk erwog, dass es eher zur vorhergehenden ‚Malerischen Gruppe‘ gehörte oder gar „wie das Lyskirchen-­Evangeliar als eine Nachblüte der ottonischen Schulen und folglich ziemlich spät zu datieren“ sei.3 In der Tat sind die Miniaturen des Evangeliars von St. Georg selbst in ihren modernsten Stilelementen, ihrer Farbigkeit und malerischen Ausführung der ‚romanischen‘ Buchmalerei Kölns zuzuordnen. Den Miniaturen kommt daher eine Sattelstellung in der Entwicklung der Kölner Buchmalerei zu, die sie möglicherweise mit dem verlorenen Straßburger Evangeliar teilten. Dies gilt umso mehr, als Klaus Gereon Beuckers plausibel machen konnte, dass die ‚Strenge Gruppe‘ am Ende der Produktion ottonischer Kölner Buchmalerei möglicherweise früher anzusetzen ist als bisher gedacht, also nicht erst in den 1070/80er Jahren, wie Bloch/Schnitzler vermuteten, sondern eher gegen Mitte des Jahrhunderts.4 Wichtig ist in ­diesem Zusammenhang der Hinweis von Suckale, dass im Investiturstreit „Anno als radikaler Gregorianer an der Spitze der Reformbewegung im Reich […] das Kölner Benediktinerkloster St. Pantaleon, das damals eines der größten Skriptorien mit angegliederter Weltgerichtstafel aus dem römischen Frauenkonvent S. Maria in Campo Marzio als programmatisches Bild der einsetzenden Gregorianischen Kirchenreform, in: Robert Suckale: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge. Sechs Studien, Berlin 2002, S. 12 – 122, hier S. 90 f. u. 111 – 115. – Andrea Worm: Das Pariser Perikopenbuch und die Anfänge der romanischen Buchmalerei an Rhein und Weser (Denkmäler Deutscher Kunst), Berlin 2008, S. 212 f. – Klaus Gereon Beuckers: Das Kölner Sakramentar in Polen. Zur Einleitung, in: Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen ­zwischen Köln und Polen in der Zeit Kasimirs des Erneuerers, hg. v. Klaus Gereon ­Beuckers und Andreas Bihrer (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 3), Köln 2018, S. 13 – 26, hier S. 18 – 22. – Zur vorromanischen und romanischen Buchmalerei in Köln zuletzt Thomas Labusiak: Die Kölner Buchmalerei des frühen und hohen Mittelalters. Ein Überblick, in: Glanz und Größe des Mittelalters. Kölner Meisterwerke aus den großen Sammlungen der Welt, Ausst. Kat. Museum Schnütgen Köln, hg. v. Dagmar Täube u. Miriam Verena Fleck, München 2011, S. 36 – 49. 2 Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Liturgische Prachthandschriften der Romanik in Köln. Schätze für Liturgie, Memoria und Status, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins romanische ­Kirchen Köln 30 (2015), S. 72 – 92, hier S. 80 – 84. – Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Kölner Evangeliar von St. Georg als liturgische Prachthandschrift, Gründungsurkunde und zeitgeschichtliches Dokument, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins romanische ­Kirchen Köln 32 (2017), S. 40 – 56. 3 Ehem. Straßburg, Stadtbibliothek, Ms. C. II 22. Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 24 f. und öfter. – Carl Nordenfalk, Besprechung von Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), in: Kunstchronik 24 (1971), S. 292 – 309, hier S. 306 f., Zitat S. 307. – Vgl. auch Kuder 1985 (wie Anm. 1), S. 383 und seinen Beitrag in ­diesem Band. – von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 35. 4 Beuckers 2018 (wie Anm. 1), S. 17 – 23 und sein Beitrag in ­diesem Band.

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Abb. 16: Friedrich-­Lektionar, Diözesan- und Dombibliothek Köln, HS. 59, fol 1r: Dedikationsbild.

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Abb. 17: Evangeliar aus St. Pantaleon in Köln, Historisches Archiv der Stadt Köln, W 312a, fol. 17v: Evangelist Matthäus.

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Abb. 18: Helmarshausener Evangeliar, J. Paul Getty Museum Los Angeles, MS. Ludwig II 3, fol. 9v: Evangelist Matthäus.

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Buchmalerwerkstatt unterhielt“, als es sich „seinen Reformwünschen nicht fügen wollte“ durch Vertreibung des Kölner Konventes, den ein neuer ersetzte, bestrafte, was in der Tat als „Traditionsbruch“ verstanden werden kann.5 Auch unter d ­ iesem Blickwinkel käme dem Evangeliar von St. Georg eine besondere Rolle zu. Schließlich wäre es mit seiner Mischung aus spätottonischen und frühromanischen Elementen ein rares Zeugnis für die vergleichsweise große Lücke innerhalb der Überlieferung Kölner Buchmalerei z­ wischen der ‚Strengen Gruppe‘ und den vollausgeprägten Zeugnissen des romanischen Stils. Dieser ist in den schon seit Bloch/Schnitzler herangezogenen Handschriften wie insbesondere dem Friedrich-­Lektionar (Abb. 16) und dem Evangeliar aus St. Pantaleon in Köln (Abb. 17) nach 1100, wohl im 2. Viertel des 12. Jahrhunderts zu fassen ‒ und wirkte sich seinerseits auf die Anfänge der bedeutenden Produktion von Evangeliaren des im Weserraum gelegenen Benediktinerklosters Helmarshausen (Abb. 18) aus, wo gegen Ende des 12. Jahrhunderts das berühmte Evangeliar Heinrichs des Löwen und Mathildes von England entstand.6 Daher ist es sehr zu begrüßen, dass das jüngere Evangeliar aus St. Georg digitalisiert werden konnte 7 und nun auch monographisch behandelt wird. Das Evangeliar von St. Georg stammt aus dem hochmittelalterlichen Bestand an liturgischen Prachthandschriften des von Anno II . (amt. 1056 – 1075) bald nach seiner Erhebung zum Kölner Erzbischof in der Kölner Vorstadt gegründeten Herrenstiftes St. Georg, dessen ­Kirche am 28. Oktober 1067 geweiht wurde.8 Anders als ihr Gegenstück, das mit ihm gemeinsam wohl schon in besagtem Schatzverzeichnis aufgeführte Evangeliar aus 5 6

7 8

Suckale 2002 (wie Anm. 1), S. 114. Friedrich-­Lektionar, Köln, Dombibliothek, HS. 59. Vgl. Kat. Köln 1985 (wie Anm. 1), Bd. 1, Kat. Nr. A 20 (Anton von Euw). – Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Kölner Dombibliothek, Ausst. Kat. Diözesanmuseum Köln, hg. v. Joachim M. Plotzek und Ulrike Surmann, München 1998, Kat. Nr. 30 (Joachim M. Plotzek). – Evangeliar aus St. Pantaleon, Historisches Archiv der Stadt Köln, W312a. Vgl. Kat. Köln 1985 (wie Anm. 1), Bd. 2, Kat. Nr. E 76 (Roswitha Neu-­Kock). – Kat. Köln 1998 (wie oben), Kat. Nr. 30 (Joachim M. Plotzek). – Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst. Kat. Diözesanmuseum Paderborn u. a., hg. v. C ­ hristoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, 2 Bde., München 2006, Kat. Nr. 493 (Elisabeth Klemm). – Wolter-­von dem Knesebeck 2015 (wie Anm. 2), S. 84 f. – Zum Bezug auf die Helmarshausener Buchproduktion und zum Evangeliar Heinrichs des Löwen (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 105 Noviss. 2°) sowie Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 30055, vgl. zuletzt Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Evangeliar Heinrichs des Löwen und Mathildes von England. Ein Schlüsselwerk der hochmittelalterlichen Buchkunst, in: Bernd Schneidmüller / Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Evangeliar Heinrichs des Löwen und der Mathilde von England, Darmstadt 2018, S. 151 – 232, bes. S. 219. http://digital.dombibliothek-­koeln.de/ddbkhd/collection19904/content/titleinfo/93739 oder urn:nbn: de:hbz:kn28-1-3924 [22. März 2019]. Zur schwierigen Quellenlage vgl. zuletzt Lucie Hagendorf-­Nussbaum: Die Geschichte von St. Georg und die südliche Vorstadt, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins romanische K ­ irchen Köln 32 (2017), S. 8 – 22, bes. S. 14. – Zur Gründungsurkunde vgl. Joachim Oepen: Die Gründungsurkunde des Stiftes St. Georg in Köln aus dem Jahr 1067, in: ebda., S. 23 – 31.

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St. Georg in Darmstadt,9 das ihm auch in der Einbandgestaltung verbunden ist, und älteren Miniaturenschmuck bayerischer, wohl Seeoner Herstellung aufweist (Abb. 19), war das Lyskirchen-­Evangeliar zu Annos Zeiten zwar als Texthandschrift fertiggestellt, aber noch ohne Miniaturen und Zierseiten geblieben.10 Zwar war in der hierfür üblichen Form beim Schreiben des Codex am Beginn jedes Evangeliums in den Lagen (anfangs mit zwei ­Seiten nur sehr wenig) Platz für die weitere Ausstattung mit Miniaturen und aufwendigeren Initialen (fol. 23r, 23v, 76r, 76v, 110v/111r, 168r–171v) gelassen worden. Dieser blieb aber noch frei, sodass er später Platz für etliche der besagten schriftlichen Nachträge bot. Den romanischen Miniaturenschmuck nahmen hingegen eigene Lagen von Pergamentblättern auf, die später in den Buchblock eingefügt, aber nicht mehr in dessen Lagenzählung integriert werden konnten. Im Einzelnen sind dies folgende Lagen: 2. Lage: Fol. 10 – 18, Bild- und Titelseiten zu Maiestas Domini und Hieronymus, Kanontafeln 3. Lage: Fol. 19 – 22, letzte Kanontafel, Bild- und Zierseiten zum Matthäus-­Evangelium, 10. Lage: Fol. 71 – 74, Bild- und Zierseiten zum Markus-­Evangelium, 16. Lage: Fol. 112 – 115, Bild- und Zierseiten zum Lukas-­Evangelium, 24. Lage: Fol. 172 – 175, Bild- und Zierseiten zum Johannes-­Evangelium.11 Dieser Bestand an Miniaturen und Zierseiten steht im Zentrum ­dieses Beitrags, nicht hingegen seine Ornamentik, da diese hier in ­diesem Band von Ursula Prinz behandelt wird. In einem ersten Schritt wird versucht, vergleichend die Zugehörigkeit der Miniaturen zur romanischen Kölner Buchmalerei und ihr Verhältnis zur ‚ottonischen‘ Kölner Buchmalereitradition näher zu definieren, um auf dieser Grundlage dann auf ihr Bildprogramm einzugehen.12 Wichtig hierbei ist, dass es keine Hinweise auf eine grundlegende Überarbeitung 9

Hessisches Landesmuseum Darmstadt, AE 691, olim Inv. Nr. Kg 54, 210a, b. Vgl. Manfred Groten: Schatzverzeichnisse des Mittelalters, in: Kat. Köln 1985 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 149 – 153, bes. S. 151 f. u. Bd. 2, Kat. Nr. E 72 (Barbara Klössel-­Luckhardt). – Schreibkunst. Mittelalterliche Buchmalerei aus dem Kloster Seeon, Ausst. Kat. Kloster Seeon, hg. von Josef Kirmeier, Alois Schütz und Evamaria Brockhoff (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 28/94), Augsburg 1994, Kat. Nr. 33 (Alois Schütz). – Gold und Purpur, der Bilderschmuck der früh- und hochmittelalterlichen Handschriften aus der Sammlung Hüpsch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Ausst. Kat. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, bearb. v. Peter Märker, Heidelberg 2001, S. 39 – 47. 10 Zur Textgestalt und ihrer Datierung vgl. von Euw 1993 (wie Anm. 1), bes. S. 18, vor allem aber H ­ artmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9. – 11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, zur Kölner Schrift vor allem des späten 10. und 11. Jahrhunderts S. 184 – 192, zum Evangeliar von St. Georg vor allem S. 187 – 191, mit Abb. 81. – Vgl. auch Beuckers 2018 (wie Anm. 1), S. 21 – 23. 11 Vgl. von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 18. – von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 30 – 36. 12 Vgl. hierzu auch schon Wolter-­von dem Knesebeck 2017 (wie Anm. 2).

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Abb. 19: Älteres Evangeliar aus St. Georg in Köln, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt, AE 681, fol. 130v: Evangelist Lukas.

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älterer Miniaturen gibt, was Anton von Euw noch erwogen hatte,13 sondern nur einzelne Veränderungen vor allem im Entstehungsprozess der Malerei.

Stilistische Einordnung der Miniaturen und Vorlagenverwendung Es ist offensichtlich, dass die Miniaturen der Handschrift stilistisch nicht mehr zur ‚ottonischen‘ Kölner Buchmalerei gehören, die in der ‚Strengen Gruppe‘ ausläuft, zumal diese in ihrer Abstraktion alles Körperlichen höchst charakteristisch ist. Die Figurendarstellungen der ‚Strengen Gruppe‘ verfügen über plastisch kaum ausgeprägte Körper, zeigen „eine teilweise bis zum Äußersten getriebene Anwendung graphischer Gestaltungsmittel“, in der „Gewandoberflächen in faszienartige Bänder oder Dreiecksformen zerlegt scheinen“, wobei die Figuren „fast scherenschnittartig aus mehreren, in sich oft feinlinig strukturierten Flächen zusammengesetzt“ sind, wie Andrea Worm in ihrem Beitrag zu ­diesem Band formuliert. Die Figuren des Evangeliars von St. Georg nehmen demgegenüber allein in der parzellierenden und zugleich ein plastisches Relief ergebenden Gewandgestaltung der körperlicher aufgefassten Figuren und den mehrfach vor allem in Grün und Blau angelegten Felderungen des Hintergrunds deutlich die Formen und Tendenzen der zeitgenössischen italienischen Malerei auf.14 Deren Vermittlung nach Köln hat man gern mit dem Gründer von St. Georg, dem Kölner Erzbischof Anno II., verbunden und hierzu die Wandmalereifragmente aus dem Zentralbau von St. Gereon (Abb. 58) herangezogen. Doch weisen die modernsten Elemente der Miniaturen, insbesondere die Evangelisten (fol. 19v, 73r, 113r u. 174r), die Darstellungen des Täufers (fol. 72r) und seines Vater Zacharias (fol. 114r) in ihrer verstärkten Körperlichkeit und der Reduktion der graphischen Elemente nicht nur gegenüber dem ‚strengen Stil‘, sondern auch gegenüber den Wandmalereien von St. Gereon schon auf die entwickeltere ‚romanische‘ Buchmalerei Kölns im Friedrich-­Lektionar (Abb. 16) und dem Evangeliar aus St. Pantaleon in Köln (Abb. 17) voraus.15 So ist die Haargestaltung des Täufers, der sicherlich die höchste Qualitätsstufe der Buchmalerei des Lyskirchen-­Evangeliars repräsentiert, in Farbe und Parzellierung gut mit der des Evangelisten Matthäus im Evangeliar von St. Pantaleon vergleichbar. Seine Gesichtsgestaltung erinnert vom Typus her an die Wiedergabe Christi sowie des Apostels Matthäus unten links am Rand auf der einführenden ganzseitigen Miniatur des Friedrich-­Lektionars. Allerdings sind diese Beispiele ebenso wie das Siegburger Lektionar und das Münsteraner Einzelblatt mit Maiestas Domini von einer eher hellen, wenig differenzierten Inkarnatgestaltung.16 Dies 13 von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 36. 14 Hierzu vgl. Suckale 2002 (wie Anm. 1). 15 Vgl. von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 36. 16 Siegburger Lektionar, British Library London, Ms. Harley 2889. Vgl. Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 6), Bd. 2, Kat. 492 (Elisabeth Klemm). – Einzelblatt, Westfälisches Landesmuseum für Kunst

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ist beim ältesten Evangeliar aus Helmarshausen in Los Angeles (Abb. 18) anders,17 dessen Miniaturen eng mit den Anfängen der romanischen Buchmalerei Kölns zusammenhängen dürften, kam doch die für die Gründung der Helmarshausener Werkstätten zentrale Künstlerpersönlichkeit, der Benediktinermönch Roger, aus dem maasländischen Stavelot/ Stablo bezeichnenderweise über St. Pantaleon in Köln noch Anfang des 12. Jahrhunderts nach Helmarshausen.18 Neben einer mit dem Evangeliar aus St. Georg, insbesondere den genannten Miniaturen, verwandten Form der Haargestaltung, sind es vor allem die Proportionen des rundovalen Gesichts mit niedrigerer Stirn bei den genannten Kölner Vergleichshandschriften und vor allem die reichere Differenzierung der Inkarnatpartien, die gut vergleichbar erscheinen. Hier wie dort ist die helle Nase stärker und in tieferem Farbton umschattet. Dies gilt ebenso für die großen Augen, die s­ olche Verschattungen unter den Brauen und am unteren Augenlid aufweisen. Die allerdings ohne Wangenrot bleibende farbliche Belebung der Brauen in rotorangen bis hellbraunen Tönen sowie eine vergleichbar getönte Stirnfalte finden sich ebenfalls in der Helmarshausener Miniatur wieder. Auch ein Detail wie das mit zwei kleinen Kreisformen angedeutete Handgelenk am rechten Arm des Täufers verbindet sich mit einer ähnlichen Kreisform an der Schreibhand von Matthäus (Abb. 18) im Helmarshausener Evangeliar. Seine Herleitung aus der in Untersicht gesehenen Gelenkpartie einer Hand legt die Darstellung der linken Hand des Lukas in ­diesem Codex nahe.19 Man kann daher erwägen, dass die jüngsten Züge der Miniaturen des Evangeliars aus St. Georg einen aktuellen Trend in der Kölner Buchmalerei repräsentierten, von dem man auch in Helmarshausen ausging.

und Kulturgeschichte Münster, Leihgabe des Kunstvereins Nr. 401, vgl. Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 6), Bd. 2, Kat. Nr. 494 (Elisabeth Klemm). 17 J. Paul Getty Museum Los Angeles, MS. Ludwig II 3. Vgl. Anton von Euw / Joachim M. Plotzek: Die Handschriften der Sammlung Ludwig, Bd. 1, Köln 1979, S. 153 – 158. – Vgl. auch http://www.getty. edu/art/collection/search/?view=grid&query=YToyOntzOjU6InF1ZXJ5IjtzOjEzOiJIZWxtYXJzaGF1c2 VuIjtzOjEzOiJkZXB hcnRtZW 50LmlkIjthOjE6e2k6MD tpOjY7fX0 %3D&options=YT oxOntzOjk 6ImJlaGF2aW91ciI7czo2OiJ2aXN1YWwiO30 %3D [22. März 2019]. 18 Vgl. etwa Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Buchkultur im geistlichen Beziehungsnetz. Das Helmarshausener Skriptorium im Hochmittelalter, in: Helmarshausen. Buchkultur und Goldschmiedekunst im Hochmittelalter, hg. von Ingrid Baumgärtner, Kassel 2003, S. 77 – 122, bes. S. 85 – 93. – Zur Rekonstruktion des Weges Rogers nach Helmarshausen anhand von Nekrologen vgl. Eckhard Freise: Roger von Helmarshausen in seiner monastischen Umwelt, in: Frühmittelalterliche Studien 15 (1981), S. 180 – 293. – Es ist interessant zu beobachten, wie das Helmarshausener Evangeliar ebenfalls gegenüber der wenig älteren Buchmalerei in Paderborn bzw. möglicherweise auch Helmarshausen selbst eine Zäsur hin zur romanischen Formensprache darstellt, die sich mit den mit Roger verbundenen Goldschmiedearbeiten aus der Helmarshausener Werkstatt verbinden lässt. 19 von Euw/Plotzek 1979 (wie Anm. 17), Farbtaf. S. 157. – Vergleichbare Darstellungen des Handgelenks bieten auch einige Kölner Handschriften des 10./11. Jahrhundert. Vgl. etwa von Euw 1991 (wie Anm. 1), Abb. 4.

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Die Gewandfalten des Lyskirchener Evangeliars unterscheiden sich aber von der parzellierenden, bisweilen geometrisch harten Umfahrung einzelner Körperpartien bei den herangezogenen Kölner und Helmarshausener Miniaturen. Besser vergleichbar erscheint hierzu beispielsweise die Gestaltung der Kasel des Bischofs Kuno von Regensburg (amt. 1126 – 1132), des vormaligen Abtes von Annos II. Lieblingsgründung und Grabstätte Siegburg, in der einleitenden Dedikations-­Federzeichnung (Abb. 20) eines Bandes mit der Liturgieerklärung De divinis officiis von Rupert von Deutz (verst. 1129).20 Sie scheint der Kasel des hl. ­Hieronymus im Evangeliar aus St. Georg (fol. 12v) nahezukommen, auch wenn diese eine etwas ungleichmäßigere Linienführung aufweist. Die V-förmigen Faltenkonstellationen sind nicht kleinteilig-­ geometrisch, sondern dynamisch an Stärke zunehmend in einer weitflächigen Parallelführung über den ganzen, als weich fallend charakterisierten Stoff verteilt. Die historischen Umstände der Entstehung der Dedikationshandschrift ­dieses Rupert-­Textes in Siegburg oder Deutz legen die Datierung des Codex in den Jahren um oder bald nach 1126 nahe. Zugleich sind die Miniaturen des jüngeren Evangeliars aus St. Georg in Teilen motivisch und stilistisch deutlich von der ottonischen Kölner Buchmalerei geprägt, wofür die Miniaturen im Straßburger Evangeliar (Abb. 34 – 38) sicherlich mitverantwortlich waren. So erinnert die dichte Füllung des Obergewands mit parallelen Höhungslinien bei der wohl als Prophet anzusprechenden Figur oben rechts über Hieronymus (fol. 12v) durchaus an die Figurendarstellungen des ‚Strengen Stils‘. Auch die Spruchbänder dieser Begleitfiguren weisen mit ihrer diagonalen Halbierung in einen weißen und einen farbigen Teil ebenfalls auf die ottonische Kölner Buchmalerei, etwa auf den einleitenden Christus des Evangeliars aus der Abtei Abdinghof in Paderborn.21 Dies zeigt sich auch bei einem Detail der Darstellung des Täufers (fol. 72r). Er hält ebenfalls ein für eine romanische Miniatur in ungewöhnlicher Weise angelegtes Spruchband. Es ist nicht rechteckig und weißgrundig, sondern weist silberne Buchstaben auf Purpurgrund auf und läuft dabei wimpelartig in einer Spitze aus. Dasselbe gilt für das Spruchband in der Hand des Engels der Verkündigung an Zacharias (fol. 114r), das in dieser Form im Straßburger Evangeliar (Abb. 37) vorgebildet ist. Diese Sonderform eines Spruchbandes ist auch anderenorts in der ottonischen Kölner Buchmalerei in der ‚Malerischen Gruppe‘ und der ‚Reichen Gruppe‘ anzutreffen.22 Gegenüber der in den Beischriften des Comte Bastard festgehaltenen Gestaltung des Hintergrunds als Gold- oder Silbergrund („fond’or“, „fond d’argent“) ist die Miniatur mit Zacharias im Evangeliar aus St. Georg aber den neuen romanischen Formen der Felderung in Grün um Blau angepasst und auch in der Wiedergabe des räumlichen Umfeldes deutlich reduziert. 20 Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 14355. Vgl. Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 6), Kat. Nr. 490 (Elisabeth Klemm). 21 Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 A 3. Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, Abb. S. 436. 22 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, Farbtaf. IV, Abb. S. 31, 181, 191, 281, 284, 302, 323 u. 327.

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Abb. 20: Rupert von Deutz: De divinis officiis, Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 14355, fol. 1r: Dedikationsbild: Der Regensburger Bischof Kuno z­ wischen Rupert von Deutz, von dem er ein Buch entgegennimmt, und einem erst später als Stephanus benannten Kanoniker.

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Es entfällt der Erdboden hinter Zacharias. Die mit dem breiteren Rahmen oben und gerade auch rechts verbundene Hintergrundarchitektur, die an den Architekturhintergrund der Verkündigung im Sakramentar aus St. Gereon erinnert, wird vereinfacht und wirkt hierdurch etwas kompakter.23 So entfällt das mit den Architekturelementen verwobene Tuch über der Szene. Rechts wird statt der übereinander gestaffelten extrem hochrechteckigen Hausformen eine Säule eingeführt, w ­ elche das unten halbrund an den Nimbus des Engels angepasste Gebäudekompartiment trägt. Die Fensterreihen des Altarblocks werden in ein Muster vertikaler Striche überführt und der Bereich der oberen Reihe von einem Altartuch überdeckt. Dieses bietet den Kreisdekor, den auch der Vorhang hinter Hieronymus aufweist (fol. 12v). Das Haar von Zacharias ist kleinteiliger gegliedert, das Gewand hingegen in größere, weniger faltenreiche Formen gelegt. Hierbei weisen die Beinlinge wiederum im Kniebereich einen kleinteiligen Dekor mit besagten Kreisformen auf. Neben den allgemeinen Tendenzen zur Vereinfachung kann somit der Einsatz eines der Werkstatt des Evangeliars aus St. Georg eigenen Ornamentvorrats beobachtet werden. Dies gilt ebenso für die Miniatur, die den Evangelisten Markus als Bischof zeigt (fol. 73r). Sie weicht wiederum gegenüber ihrer Straßburger Vorlage (Abb. 36) durch die vereinfachte Rahmenform sowie die weniger aufwendige Hintergrundgestaltung in Grün, Blau und Grau ab. Auch sind bei ihr die Objekte des Umfeldes des Evangelisten und seines recht getreu wiedergegebenen Evangelistensymbols vereinfacht. So ist der Ständer des Schreibpults aus weniger Elementen zusammensetzt und trägt nur das Messer und das Farbgefäß. Das Kodizill in der Hand des Markus ist ohne Binnenzeichnung, sein einfarbiger Thron weist keine Ornamentik auf. Dafür wurde das Haar des Markus raumgreifender und dichter gestaltet und der untere Abschluss seiner Dalmatik mit einer reich in Blau und Rot dekorierten Borte versehen. Unter dieser erscheinen die beiden Enden einer Stola bzw. eines wie eine Stola erscheinenden Bortenaufsatzes, der blauen Dekor auf rotem Trägerstoff bietet. Diese Elemente waren dann wohl als Teil der Albe gedacht, reichen doch ähnliche Borten auf dem blauen Untergewand von Matthäus (fol. 19v) von der Schulter herab bis an das Gewandende direkt über den Füßen. Insgesamt gehen die Evangelisten mit den ihnen inspirierend zugewandten, oben hinter dem Rahmen erscheinenden Evangelistensymbolen letztlich wohl auf eine sehr alte Tradition zurück, die beispielsweise durch von Euw bis an die Anfänge der Hofschule Karls des Kahlen verfolgt wird.24 Doch bot auch das Seeoner Evangeliar aus St. Georg in Köln (Abb. 19) den Typus solcher von ihren Evangelistensymbolen am Schreibpult inspirierten Evangelisten. Auch 23 Bibliothèque Nationale Paris, Ms. lat. 817, fol. 12r. Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, Abb. 85. – von Euw 1991 (wie Anm. 1), S. 278, Abb. 14. 24 von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 35, mit Verweis auf das ­zwischen 781 und 783 datierbare Godescalc-­ Evangelistar (Bibliothèque Nationale Paris, Ms. Nouv. Acq. Lat. 1203). – Vgl. auch Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 141 f. mit Abb. 613 – 620.

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dies könnte im Herrenstift St. Georg Anlass gegeben haben, mit dem verlorenen Straßburger Evangeliar eine Vorlage zu suchen, mit der man diesen Typus des inspirierten Evangelisten realisieren konnte, der in der ottonischen Kölner Buchmalerei nur in der ‚Reichen Gruppe‘ anzutreffen war, da nur hier überhaupt Evangelistensymbole die Evangelisten begleiten.25 Ähnliches gilt für die Kanontafeln und die Initial- und Schriftzierseiten. Die Kanontafeln sind eng mit denen in den ottonischen Kölner Evangeliaren verbunden, wobei die vollständige Umrahmung der tempelfrontartigen Architekturen seit der ‚Reichen Gruppe‘ wiederum aber auch im Straßburger Evangeliar (Abb. 34) anzutreffen ist.26 Ein solches Vorbild wird allerdings um die vorhangartigen Farbpartien oben und außen in den Zwickeln z­ wischen den Giebelschrägen und dem farbigen Rahmen sowie um die kleinen kuppelartigen Aufsätze über den oberen Rahmenecken erweitert.27 Die für die ottonische Kölner Buchmalerei typischen Bildmedaillons als Mittelbesatz der Rahmenteile sind im Evangeliar von St. Georg nur auf der Textzierseite (fol. 20v) und der ihr folgenden Initialzierseite zum Matthäus-­Evangelium (fol. 21r) anzutreffen. Sie sind weitgehend identisch gestaltet und ähneln wiederum derselben Initialzierseite im verbrannten Evangeliar in Straßburg (Abb. 35), bis hin zu den fünf Rahmenleisten, von denen die beiden äußeren jeweils grün, die mittlere purpurn ausfielen. Da sie im Straßburger Codex aber breiter ausfielen, ebenso wie die Trennlinien ­zwischen ihnen, konnten die quadratischen Bildfelder mit den Medaillonbildern, die bis auf oben wie im Straßburger Codex bündig mit dem inneren Ende des inneren Streifens abschließen, nicht allein über die inneren drei Rahmenelemente gelegt werden. Vielmehr reichen sie bis an den Außenrand des Rahmens. Entsprechend ihrer Reduktion entfiel bei den Rahmenleisten wiederum der Dekor. Die jungen, bartlosen Männerköpfe in den Medaillonfeldern sind bis in die Kopfwendungen der oberen drei und die Frontalansicht des unteren Kopfes deutlich angelehnt an die Straßburger Vorlage, was auch für die nur beim linken Idealkopf anzutreffende Mantelschließe gilt. Doch stehen sie in ihrer summarisch-­gleichförmigen Darstellungsweise sicherlich am unteren Ende der Qualitätsskala des Codex. 25 Vgl. vor allem das Bamberger Evangeliar, Staatliche Bibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 94. Vgl. Bloch/ Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Nr. XII. 26 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 42 – 45, Abb. 49 – 73. – Zu den Kanontafeln vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Zum Typus der Kölner Kanontafeln im 10./11. Jahrhundert und ihren Vorbildern. Am Beispiel des Evangeliars aus St. Maria ad Gradus (Diözesanbibliothek Köln Hs. 1001a), in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Siebtes Symposion November 2016, hg. v. Harald Horst (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen ­Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 70), Köln 2018, S. 15 – 62. 27 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018, bes. S. 77 – 79, mit Abb. 21 u. 23. – Vgl. auch Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 43 mit Verweis auf vergleichbare Kuppelaufsätze im Seeoner Evangeliar in Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Bibl. 95, vgl. Kat. Seeon 1994 (wie Anm. 9), Kat. Nr. 19 (Bernhard Schemmel).

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Da die Initialligatur des Straßburger Evangeliars durch Comte de Bastard nicht mitkopiert wurde, bleibt offen, ob sie ebenfalls für das Lyskirchen-­Evangeliar vorbildlich war. Dies liegt durch ihren Formenapparat aber durchaus nahe. Außen von purpurnen Grund umgeben, ist der mit zwei Verflechtungen an den Enden des Buchstabenstammes versehene goldene Buchstabe L des Eingangswortes des Matthäus-­Evangeliums, (L)iber, mit dem silbernen I verbunden, indem d ­ ieses in die obere Rankeneinrollung eingehängt ist. Diese Doppelranke entwickelt sich rechts unten aus dem Fuß des L. Der rot hinterlegte Spalt der Spaltleisteninitiale wird von Manschetten zusammengehalten, die wie einige der Blattendigungen der Ranke silbern sind. Die Ranke ist vor grünen, in den Rankeneinrollungen himmelblauen Grund gelegt. In Kombination mit dem medaillonbesetzten Rahmen ließe sich schon das Kölner Evangeliar aus St. Gereon aus der ‚Malerischen Gruppe‘ vergleichen, ebenso wie das aus derselben Gruppe stammende Evangeliar in Mailand und das Hitda-­Evangeliar sowie das Evangeliar in Gießen und die zur ‚Malerischen Sondergruppe‘ gezählten Evangeliare in Namur und Gerresheim.28 Auch für die folgenden ­Initialzierseiten sind es vor allem wieder diese Handschriften aus den beiden ‚Malerischen‘ Gruppen, die Übereinstimmungen bieten.29 Insgesamt sind die Miniaturen des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg in Malweise und Farbigkeit sehr einheitlich. So erscheinen über das verlorene Straßburger Evangeliar als Vorlage hinaus durchaus auch weitere Übernahmen aus der älteren Kölner Buchmalerei denkbar. Trotz der angesprochenen Tendenzen und Eigenheiten der Werkstatt des Evangeliars von St. Georg, etwa im Ornamentalen und in der Oberflächengestaltung, trugen daher wohl nicht nur die Qualitätsschwankungen der Miniaturen, sondern auch die Vorlagen zu einer gewissen Varianz bei. Diese kann aber möglicherweise auch bewusst gesucht worden sein, um in der Variation größeren Reichtum zu verdeutlichen.

Zur Datierung und Entstehungsgeschichte Sucht man in den frühen romanischen Handschriften Kölner Produktion nach datierbaren Codices, so ist das schon so oft in ­diesem Zusammenhang erwähnte, sogenannte Friedrich-­ Lektionar (Abb. 16), eigentlich der erste und einzige erhaltene Band einer mehrbändig konzipierten Sammlung der Briefe des Kirchenvaters Hieronymus, von herausragender 28 Vgl. die Übersicht bei Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, Abb. 75 – 163, bes. Abb. 91, 95, 99, 103, 107 u. 114. 29 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2 mit Verweis auf die ‚Malerische Gruppe‘, vgl. auch S. 52, 54, u. 57 – 59. – Doch betonen sie, dass auch „Motive“ der ‚Reichen Gruppe‘ und der ‚Strengen Gruppe‘ Verwendung fanden, „etwa in den Rahmenquadraten“ (Bd. 2, S. 49). – Zur in der ottonischen Tradition stehenden Initiale F(uit) am eigentlichen Beginn des Lukas-­Evangeliums (Lk 1,5) auf fol. 116r vgl. von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 34 f.

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Bedeutung für die gesamte Gruppe. Dank der Darstellung des Kölner Erzbischofs F ­ riedrich I. von Schwarzenburg (amt. 1100 – 1131) auf der einleitenden Dedikationsminiatur kann ­dieses sicher in seine Amtszeit datiert werden, wobei in dieser doch langen Periode eine Eingrenzung auf die eher spätere Zeit versucht wurde, so dass Joachim M. Plotzek eine Datierung um 1130 vorschlug.30 Doch ist gerade auch aufgrund des engen Zusammenhangs mit dem möglicherweise durch den Helmarshausener Codex reflektierten Anfang romanischer Buchmalerei in Köln und der starken Präsenz ottonischer Elemente und Motive eine frühere Datierung des Evangeliars von St. Georg durchaus denkbar. Ist wie erwähnt bei der schwankenden Qualität der Buchmalereien ­dieses Codex ohnehin von einer stärkeren Einwirkung zu vermutender Vorlagen auszugehen, so kann dies die Datierung erschweren. Will man daher sichergehen, würde sich derzeit wohl eine großzügige Datierung von der Zeit um 1100 in das erste Viertel oder erste Drittel des 12. Jahrhunderts anbieten. Legt man das Schwergewicht auf die jüngsten Elemente wie die Kopfgestaltung des Täufers, so ergibt sich eine gewisse Tendenz in die jüngere Phase ­dieses Zeitraums. Unabhängig von einem konkreten Datum lässt die in der kodikologischen Untersuchung durch Anton von Euw belegte Einfügung der Miniaturen des Evangeliars von St. Georg mit ihren Lagen in einen bereits bestehenden Buchblock folgende Entstehungsabfolge der Handschrift als wahrscheinlichste vermuten: 1.  Etwas vor dem Episkopat von Anno II . (amt. 1056 – 1075) entstand der Codex als reine Texthandschrift der Evangelien noch ohne Kanontafeln, also ab Lage 4 (fol. 23). Dieser Codex war aber bereits auf den (baldigen) Zuwachs mit Miniaturenschmuck angelegt, ließen die Schreiber doch für diesen wie üblich Platz (fol. 23r–23v, 76r–76v, 110v–111r, 168r–171v).31 Die Verwendung einer solchen unvollendeten Handschrift in Annos II . Stiftung mag insofern unproblematisch gewesen sein, als es ja in dem Kölner Vorstadt-­Herrenstift, einer unter den vielen Gründungen Annos lange eher einfach ausgestatteten Institution,32 bereits das mit Miniaturen versehene Seeoner Evangeliar (Abb. 19) gab. 2.  Die Miniaturen und Zierseiten des Lyskirchen-­Evangeliars wurden später als eigene Lagen in den bereits vorhandenen Buchblock eingefügt und konnten dementsprechend 30 Diözesan- und Dombibliothek Köln, HS. 59, fol. 1r. Vgl. Kat. Köln 1998 (wie Anm. 6), Kat. Nr. 30 (Joachim M. Plotzek). 31 Zur Datierung des ersten Textkorpus und den an ihm beteiligten Händen vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 10), S. 187 – 192. – Vgl. auch Beuckers 2018 (wie Anm. 1), S. 21 – 23 und die Beiträge von Harald Horst und Klaus Gereon Beuckers in ­diesem Band. 32 Vgl. etwa Hagendorf-­Nussbaum 2017 (wie Anm. 8), S. 10 zur nicht von Patrizierfamilien bestimmten Bewohnerschaft der zur Zeit der Gründung noch unbefestigten Vorstadt, S. 14, mit dem Hinweis, dass St. Georg mit „seinen 20 Pfründen […] zu den kleineren Kanonikerstiften in der Stadt“ gehörte; auch der Gründungsbau erscheint nach Hagendorf-­Nussbaum „für seine Entstehungszeit nach der Mitte des 11. Jahrhunderts merkwürdig altertümlich“ (S. 15).

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separat in einem professionellen Skriptorium und nach dem Bedürfnis der Stiftsherren hergestellt werden.33 3.  Diese Einfügung in die Handschrift, w ­ elche die Lagengestaltung und Lagenabfolge ebenso wie ihre Nichtberücksichtigung bei der Lagenzählung nahelegt, lässt vermuten, dass der Codex selbst bei ­diesem Eingriff noch nicht fest mit einem Einband verbunden vorlag wie heute, sondern eher in Broschur in einem Buchkasten lag.34 4.  Erst danach, möglicherweise bereits im Zuge der Einfügung der Miniaturenlagen, erhielt der Codex seine ersten hölzernen Einbanddeckel. Bereits hierbei könnte das ältere, gern mit Anno verbundene Elfenbein eingefügt worden sein, welches möglicherweise schon zuvor einen Buchkasten zierte. Hierfür könnte auch die dendrochronologische Datierung der hölzernen Einbanddeckel durch Peter Klein sprechen, die frühestens „ab 1118, vermutlich ab 1128“ benutzt wurden.35 Da dies durchaus noch zur stilistischen Einordnung der Miniaturen in das Vor- und Umfeld des Friedrich-­Lektionars passen würde, erscheint es denkbar, dass Herstellung und Einfügung der Miniaturenlagen mit der Entstehung des Einbandes verbunden waren, sodass beide Maßnahmen gemeinsam der Aufwertung des Codex dienten. Da es sich hierbei zugleich um eine Bereicherung des Kirchenschatzes handelte, könnte damals auch das Schatzverzeichnis auf der leer gebliebenen fol. 215v ganz am Ende des Codex eingefügt worden sein. 5.  Diesem Eintrag folgten dann im Laufe des Mittelalters weitere Einträge auf den freigebliebenen Seiten sowie weiteren eingefügten Pergamentblättern oder sogar ganzen Lagen, ebenso wie gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Umgestaltung des Einbandvorder­deckels mit den gravierten Rahmenplatten.

33 Das Argument von Suckale 2002 (wie Anm. 1), S. 114, gegen ein unfertiges Evangeliar, „Will man wirklich glauben, daß Anno, ein erfahrener und guter Ökonom, der in der Lage war, binnen weniger Jahre ein halbes Dutzend Klöster zu stiften, andere umzubauen und zu erweitern, einem seiner Lieblingsstifte einen Codex Aureus mit einem prächtigen Buchdeckel übergeben habe, darin aber ein unfertiges Evangeliar?“, trägt einerseits einen gewissen Widerspruch in sich selbst. Gerade die vielfältigen kräftebindenden Aktivitäten und das Vorhandensein des wohl als Buchkasten vorliegenenden Einbands ließen die ja im Gebrauch mit d ­ iesem, aber nicht mit ihrem Miniaturenschmuck vorgezeigte Handschrift auch ohne Miniaturen für das Erste geeignet erscheinen. Die Anlage des Miniaturenschmucks konnte man hingegen gut dem Stift selbst und damit auch seinen Bedürfnissen überlassen. Andererseits kann bei St. Georg bei der in Anm. 32 geschilderten Bedeutung nicht wirklich von einer Lieblingsstiftung die Rede sein. Schließlich muss die letztlich normative, sich wohl auch aus der hagiographischen Rückschau herleitende Einschätzung Annos als Argument gegenüber dem kodikologischen Befund zurückstehen. 34 Vgl. Wolter-­von dem Knesebeck 2017 (wie Anm. 2), S. 44. 35 Vgl. allgemein Wolter-­von dem Knesebeck 2015 (wie Anm. 2). Die anschließende 30. Lage (fol. 216 – 223) wurde erst im Spätmittelalter hinzugefügt, vgl. von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 33, dort auch zur letzten Lage, die als Bifolium (fol. 224 – 225) ursprünglich leer und innen auf den Buchdeckel aufgeklebt war. – Zum dendrochronologischen Befund vgl. die Beiträge von Robert Fuchs, Doris Oltrogge und Susanne Wittekind in ­diesem Band.

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Zum Bildprogramm Als Evangeliar gehört der Codex aus St. Georg zu den liturgischen Prachthandschriften und damit zu den Büchern, denen im Mittelalter neben den Buchreliquien höchster Rang zukam.36 Die Evangeliare umfassten die vier Evangelien als durchlaufende Texte für die Evangelienlesung in der Messe.37 Diese Lesungen aus ihnen mussten daher zuvor anhand einer Liste ermittelt werden, wie sie auch das Lyskirchen-­Evangeliar an seinem Ende (fol. 210v–215r) aufweist. Die Evangeliare machen unter den liturgischen Prachthandschriften in der Zusammenstellung der ottonischen Buchmalerei Kölns durch Bloch/ Schnitzler neben wenigen Sakramentaren und einem Lektionar mit drei Vierteln die Majorität aus. Ein Evangeliar umfasst mit den Evangelien die Frohe Botschaft von Christi Lehre und Heilswirken sowie der durch Inkarnation, Opfertod am Kreuz und Auferstehung Christi eröffneten Perspektive auf ewiges Heil. Es ist zugleich Träger des Wortes Christi, wird Christus doch selbst zu Beginn des Johannesevangeliums (Joh 1) als Fleisch gewordenes Wort Gottes angesprochen. Dementsprechend konnte gerade das prachtvolle Festtagsevangeliar nicht nur der Selbstdarstellung einer geistlichen Kommunität dienen, sondern darüber hinaus Christus selbst in der Messliturgie, bei Prozessionen und auf Konzilen vertreten, wozu auch sein Prachteinband nicht unwesentlich beitrug.38 Aufgrund ­dieses hohen Stellenwerts und der Gleichsetzung von Gott mit dem Wort kann man mit Reudenbach für jede liturgische Prachthandschrift dieser Art zugespitzt sagen: „Gott ist das Buch und das Buch ist Gott“.39 Aufgrund dieser hohen Wertigkeit weisen gerade Evangeliare und Evangelistare in der Regel den umfangreichsten und aufwendigsten Bildschmuck unter den liturgischen Prachthandschriften auf. Neben den einleitenden Kanontafeln, die selbst Bilder aufnehmen können, 36 Vgl. etwa Wolter-­von dem Knesebeck 2015 (wie Anm. 2). 37 Im Lyskirchen-­Evangeliar befinden sich die Evangelien von Matthäus auf fol. 24r–69v, von Markus auf fol. 77r–104v, von Lukas auf fol. 116r–166r und von Johannes auf fol. 176r–210r. Vgl. von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 30 – 33, auch zu den anderen kodikologischen Daten. – Vgl. auch Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 113 – 120. 38 Vgl. Susanne Wittekind: Neue Einbände für alte Handschriften, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 80 (2017), S. 176 – 200, bes. S. 188 – 193 zu den beiden Evangeliaren mit Prachteinbänden aus St. Georg in Köln. – Vgl. auch Doris Oltrogge: Aneignung und ‚Neuinszenierung‘ von Evangeliaren in institutionellem und liturgischem Gebrauch – drei Fallbeispiele, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 80 (2017), S. 201 – 218. – Zuletzt auch Klaus Gereon Beuckers: Zur Verwendung von Evangeliaren des Früh- und Hochmittelalters anhand von Beispielen aus Essen und anderen Frauenstiften, in: Fragen, Perspektiven und Aspekte der Erforschung mittelalterlicher Frauenstifte, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Thomas Schilp (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 15), Essen 2018, S. 67 – 110. 39 Bruno Reudenbach: Zwischen Kultsorge und individueller Programmatik – liturgische Bücher als künstlerische Aufgabe, in: Einen Platz im Himmel erwerben. Bücher und Bilder im Dienst mittelalterlicher Jenseitsfürsorge, hg. v. Monika E. Müller und Christian Heitzmann (Wolfenbütteler Hefte, Bd. 32), Wiesbaden 2012, S. 55 – 89, hier S. 64.

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weisen ebenfalls seit der Spätantike die Evangeliare besonders regelmäßig am Beginn ihrer Evangelien die Evangelisten als göttlich inspirierte Autoren der Evangelien auf, später bisweilen auch deren Berufung durch Christus bzw. ihr Verhältnis zu den Aposteln, galten doch Markus und Lukas als Schüler der Apostel Petrus und Paulus. Hier am Codexbeginn oder auch in den Evangelientexten können Darstellungen des neutestamentlichen Geschehens hinzutreten.40 Der Miniaturenschmuck in den meisten Evangeliaren der ottonischen Zeit aus Köln besteht oft nur aus ganzseitigen Darstellungen der Evangelisten im Zusammenhang der Initial- und Textzierseiten am jeweiligen Beginn eines Evangeliums. Von den Textzierseiten sind ­solche mit Tituli auf die Evangelisten bezogen, andere als Initium dem Evangelienbeginn zugeordnet, deren Incipit-­Eintrag sie aufweisen. So entsteht eine oft auf zwei Doppelseiten organisierte Abfolge von Seitenpaaren, dessen erstes die Titelseite mit dem Titulus und das Evangelistenbild, das zweite aber die Initiumseite mit dem Incipit und die Initiale oder Initialligatur zum Evangelienbeginn umfasst.41 Auch das Evangeliar aus St. Georg in Köln verbindet Evangelistenbilder mit einer Titelseite und danach Initialzierseiten mit einem Initium. Allerdings tritt stets zusätzlich noch eine neutestamentliche Darstellung hinzu, die zumeist mit einer eigenen Titelseite verbunden ist. Dabei ist die Abfolge aber variabel. So geht bei Matthäus und Lukas das Evangelistenbild voran, bei Markus und Johannes dasjenige zum Evangelium. Dementsprechend ist es von Interesse, sich im Folgenden die konkrete Abfolge der ganzseitigen Miniaturen und Textzierseiten anzusehen. Das mit 225 Blättern beim Format von 290 × 220 mm normalgroße Evangeliar weist als erste Miniaturen noch vor den Kanontafeln (fol. 13v–19r) und den Evangelien (ab fol. 24r) einen Bildvorspann mit Maiestas Domini (fol. 11v) und Darstellung des Kirchenvaters ­Hieronymus (fol. 12v) auf. Die Titelseite zur Maiestas Domini bietet einen Rahmen um ein in Purpur angelegtes Textfeld, der goldene und silberne Rahmenstreifen z­ wischen farbige legt und diese mit Eckblättern dekoriert. Der Text der Seite alterniert von Zeile zu Zeile in Gold und Silber. Er bietet den Titulus (fol. 12r) zur Maiestas Domini: QVATVOR ISTA D(EV )M LAVDANT ANIMALIA VAERVM SIGNIFICANDO SVIS PROCERES TO t RITE FIGVRIS .42 Dieser bezieht sich auf die vier Gott lobenden Evangelistensymbole, die sich, hinter dem Rahmenleisten hervorsehend, vor dem purpurnen Hintergrund zu ­Christus wenden. Damit bezeichnen diese Christus als denjenigen, von dem 40 Zum Evangeliar, seinen Texten und seiner Bildtradition vgl. von Euw/Plotzek 1979 (wie Anm. 17), S. 141 – 145 sowie die Literatur bei Oltrogge 2017 (wie Anm. 38). 41 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 31 – 35. 42 Die Tituli und verwandten Beischriften nach den Angaben bei von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 30 – 33. – Vgl. auch Peter Christian Jacobsen: Lateinische Dichtung in Köln im 10. und 11. Jahrhundert, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-­Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, hg. von Anton von Euw und Peter Schreiner, 2 Bde., Köln 1991, Bd. 1, S. 173 – 189, bes. S. 182 u. 185 – 189.

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ihre Botschaft, die sie in Codices mit sich führen, handelt und ausgeht. Christus erscheint segnend ­zwischen ihnen in einer spitzovalen Mandorla, in der er auf einer nahezu achtförmigen Thronstruktur mit Suppedaneum sitzt. Der gleichermaßen frontal thronende Hieronymus ist Christus zwar in seiner Größe, als Thronender und in den vier Begleitfiguren in den Ecken seines Bildfeldes angeglichen. Zugleich ist die Miniatur aber in der matteren Farbigkeit und mit dem großen hinter ­Hieronymus aufgespannten Tuch statt der goldglänzenden Mandorla bewusst zurückgenommen. Als heiliger Schreiber und Auslegender der Schrift sowie als Priester, der sich gegen Häresie richtet, wird er in dem Titulus der Titelseite (fol. 13r) angesprochen: SCRIPTOR ET INTERPRES SACER ES IERONIME VAtES EXCLVDENS HERESIM SCIOLVS BENE CONDERE tURRIM. Passend hierzu hält er ein geöffnetes Buch und ein Schreibgerät. Die vier voneinander durch eine goldene Säule geschiedenen Männer oben und unten dürften aufgrund ihrer Spruchbänder als Propheten, vermutlich die vier großen Propheten des Alten Testaments angesprochen werden.43 Dies würde sie zudem in eine typologische Verbindung mit den für die vier Evangelien stehenden Evangelistensymbolen der vorhergehenden ­Maiestas Domini (fol. 11r) stellen, deren Platz sie in der Hieronymus-­Miniatur einnehmen. Die Maiestas Domini (fol. 11r) verdeutlicht gleich am Anfang des Codex mit dem Bild Christi als des Wortes Gottes, das in einer Mandorla ­zwischen den Evangelistensymbolen thront, den Inhalt des Evangeliars, die vier Evangelien. Zusammen stehen alle vier Evangelistensymbole für die Evangelien-­Harmonie, also die gemeinsame Botschaft aller vier Evangelien, die ja im Detail durchaus unterschiedlich ausfielen. Sie bereiten hiermit auf die anschließenden Kanontafeln (fol. 13v–19r) vor, die in der Konkordanz der vier Evangelien diesem Gedanken der Evangelienharmonie ebenfalls eine prachtvolle und umfassende Form geben. Die Darstellung des Kirchenvaters und vorbildlichen Philologen Hieronymus (fol. 12v) zeigt ihn als Schöpfer der als Vulgata bekannt gewordenen Übersetzung der Bibel ins Lateinische, die im Mittelalter allgemeine Gültigkeit beanspruchte. Sein Bild gehörte daher ebenfalls zum Standardprogramm der Evangeliare in Köln und verdeutlichte als eine Art Autorenbild die weitere Textgeschichte des Neuen Testaments.44 Passend ist die Miniatur hier den regelmäßig der Vulgata beigegebenen Prologen und Briefen des Hieronymus (fol. 3r–6v: Prolog des Hieronymus und Brief an Papst Damasus, dazu fol. 8v–9r: Argumentum zu Matthäus, fol. 9r–10v: Breviarium zu Matthäus) zugeordnet,45 in denen dieser auf die Beauftragung zur Übersetzung durch den Papst Damasus reagierte und die Prinzipien 43 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), S. 114 sehen hier bereits „Propheten“. Die vier großen Propheten erscheinen jugendlich bartlos zu Füßen der Maiestas Domini schon im Kölner Evangeliar von St. Gereon (Historisches Archiv der Stadt Köln, Cod. W 312, fol. 12v) aus der ‚Malerischen Gruppe‘, vgl. ebenda, Bd. 1, Abb. S. 10. – von Euw 1991 (wie Anm. 1), S. 264, Abb. 7. 44 Vgl. Labusiak 2011 (wie Anm. 1), S. 42 – 44 mit Abb. 7. – Vgl. auch Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 144 – 152. 45 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 32 f.

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seiner philologischen Arbeit darlegte. Solche Darstellungen heiliger Vorläufer des gegenwärtigen Klerus wie Hieronymus stärkten zugleich die christliche Traditionsgemeinschaft. Eine s­olche religiöse Traditionsgemeinschaft entsteht im Christentum nicht nur durch religiöse Texte, sie will sich zugleich stets der Kontinuität ihrer religiösen Vorstellungen auch im Wandel versichern.46 In dem für die ottonische Buchmalerei Kölns ungewöhnlichen ‚Bildreim‘ ­zwischen der Maiestas Domini mit den vier Evangelistensymbolen und dem von den vier Propheten umgebenen Hieronymus wird diese Traditionsgemeinschaft von Christus hin zum Klerus, zu dessen Vertretern Hieronymus gehörte, in eine eingängige, beim Blättern evident werdende Bildformel übertragen.47 Zu dieser Traditionsgemeinschaft gehören auch die vier Evangelisten, zu deren Darstellungen die Evangelistensymbole der Maiestas Domini den Bogen schlagen, indem sie jeweils auch bei diesen Autoren inspirierend mit ihren Codices wiederkehren, wobei die Evangelistensymbole in den vorhergehenden ottonischen Kölner Handschriften allerdings nur in denen der ‚Reichen Gruppe‘ auch bei den Evangelisten anzutreffen sind.48 Im direkten Anschluss an die wie üblich zwölfseitigen Kanontafeln (fol. 13v–19r) folgt als erstes die Darstellung von Matthäus (fol. 19v). Wird er hier in singulärer Weise auf einer Versoseite seiner Titelseite (fol. 20r) gegenübergestellt, so markiert er an dieser Stelle wohl sehr bewusst eine harte Zäsur von den Kanontafeln hin zu den Texten der Evangelien (ab fol. 24r).49 Matthäus wendet sich auf seinem Sitz aus der bei allen Evangelisten des Codex mehr oder weniger vorherrschenden Frontalstellung dem stets oben seitlich ihn inspirierenden Evangelistensymbol zu, das hier der Engel ist, der oben rechts erscheint. Um diese Inspiration 46 Vgl. Martin Klöckener / Angelus A. Häussling: Liturgische Bücher, in: Divina Officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Ausst. Kat. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, hg. v. Patrizia Carmassi (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek, Bd. 83), Wolfenbüttel 2004, S. 341 – 372, hier S. 341 f. 47 Diese Abfolge von Maiestas Domini und einer frontalen Wiedergabe des Hieronymus ist in den ottonischen Kölner Evangeliaren bereits im Hitda-­Evangeliar (Hessische Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Cod. 1640), auf fol. 6v–8r vorgebildet. Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, Abb. 116 – 119. – Christoph Winterer: Das Evangeliar der Äbtissin Hitda. Eine ottonische Prachthandschrift aus Köln. Miniaturen, Bilder und Zierseiten aus der Handschrift 1640 der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Darmstadt 2010, bes. Abb. S. 68 – 71. Dort wie in der Folge fehlen ­Hieronymus aber die vier den Evangelistensymbolen ähnlich beigegeben Personen. – Zum Hitda-­ Codex vgl. zuletzt Äbtissin Hitda und der Hitda-­Codex (Hessische Universitäts- und Landesbibliothek ­Darmstadt, Hs 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013. 48 Ein solcher Zusammenhang ­zwischen Christusbild und Evangelistendarstellungen ist schon im zur karolingischen Hochschule gezählten Godescalc-­Evangelistar anzutreffen, dessen Evangelistendarstellungen von Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 142 – 144 und von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 35 mit denen des Lyskirchen-­Evangeliars verglichen wurden. 49 Auch ist er der einzige Evangelist im Codex, dessen Name MATh(EVS) schriftlich festgehalten wird, was zudem in großen Goldlettern auf silbernem Grund geschieht.

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festzuhalten, hält er ein zum Schreiben geöffnetes Buch in der linken Hand. Die geschlossene Rechte könnte in der Vorlage ein Schreibgerät gehalten haben, wie bei Hieronymus (fol. 12v), der ihm insgesamt ähnelt. Auf der Titelseite ist in zeilenweise von Weiß zu Gold wechselnden Buchstaben wie bei den meisten der folgenden Evangelisten der Schwerpunkt der Aussage auf die Abfolge der Evangelisten gelegt, was den Aspekt der Nachfolge noch stärkt: NOMINE MAThEVS CONSISTIT IN ORDINE PRIM(VS). Zugleich schlägt hier der ungewöhnliche und daher im Ansatz eher gequetscht erscheinende zweite Satz dieser Schriftzierseite, MATER S(AN)C(T)A D(E)I TV DELE CRIMINA MVNDI (übersetzt: ‚Du, heilige ­Mutter Gottes, tilge die Sündenschuld der Welt‘), den Bogen zur ersten Miniatur neutestamentlicher Thematik, der stehenden Muttergottes mit dem Christkind (fol. 22r). Sie folgt aber erst ganz am Ende der Bilder zum Matthäus-­Evangelium, da sie dort inhaltlich bestens in den Text des Evangelienbeginns eingebunden werden konnte. Da dort aber kein Platz für ihren Titulus war, wanderte er an diesen ungewöhnlichen Platz unter dem Titulus von Matthäus.50 Voran geht hier die Incipitseite (fol. 20v), die in ihrer Rahmenform mit den Bildnismedaillons mit der folgenden Initialseite des Evangeliums (fol. 21r) verbunden ist. Sie trägt den auch bei den übrigen Incipitseiten der anderen Evangelien in alternierend gefärbten Buchstaben vor Purpurgrund angelegten Hinweis, dass hier das Evangelium des jeweiligen Evangelisten beginnt. Hier lautet dieser: INICIV(M) S(AN)C(T)I EVANG(E) LII S(E)C(VN)D(V)M MATTh(EVM). An die bereits oben gewürdigte Initialzierseite mit der Initialligatur LI zum ersten Wort des Evangeliums, Liber (Mt 1,1), folgt eine Textzierseite, auf w ­ elche der anschließende Teil des Anfangs des Evangeliums seltsamerweise auf weitgehend pergamentgrundig gebliebenen Schriftfeld angelegt wurde: [LI]/BER GENERATIONIS Ih(ES)V XP (IST )I FILII DAVI d FILII ABRAHAM ABRA hAM (Mt 1,1 – 2). Die Schriftzierseite, w ­ elche den anschließenden Text von GENVIt ISAAC bis IACOB AVT(EM) GENVIt IVDAM (Mt 1,2) in einer Art Decrescendo immer kleiner werdend der Schriftgröße der dann folgenden normalen Textseite angleicht, folgt allerdings erst auf fol. 22v, geht ihr doch auf fol. 22r die Wiedergabe der stehenden Muttergottes mit dem Christkind auf dem linken Arm voraus. Diese Darstellung, in welcher Anton von Euw „wohl […] das älteste abendländische Bild einer stehenden Muttergottes“ vermutet, erinnert an Ikonendarstellungen im Typus der Hodegetria.51 Auf diese Weise wird d ­ ieses Bild der Inkarnation Gottes 50 Jacobsen 1991 (wie Anm. 42), S. 188 vermutet „zwei ursprünglich selbständige Tituli“. 51 von Euw 1991 (wie Anm. 1), S. 278 mit dem schon bei Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 117 vorgebildeten Verweis auf die Darstellung der stehenden Maria mit dem Christuskind des syrischen Rabula-­Evangeliars von 586 (Biblioteca Medicea Laurenziana Florenz, Cod. Plut. 1.56, fol. 1v). Vgl. http://teca.bmlonline.it/ImageViewer/servlet/ImageViewer?idr=TECA0000025956#page/14/ mode/1up [22. März 2019]. – Suckale 2002 (wie Anm. 1), S. 89 – 91, bes. Anm. 212 mit Abb. 31 f. verweist zudem zu Recht auf die Rezeption römischer Ikonen, wobei allerdings zu konstatieren ist, dass die bortenartige Verzierung des Schleiers einer solchen Ikone wie der von Suckale verglichenen Maria Avvocata aus SS. Nome di Maria in Rom mit der andersartigen Gestaltung des Halsausschnittes zu

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in Christus als dem Wort Gottes hier im Sinne des Anfangs des Johannes-­Evangeliums (Joh 1,1 – 17) in die Genealogie Christi am Beginn des ersten Evangeliums eingefügt, die in Maria und Christus (Mt 1,16) gipfelt. Für die Wiedergabe der Madonna und die übrigen neutestamentlichen Darstellungen versuchten Bloch/Schnitzler Vorstufen in karolingischen und ottonischen sowie mittel­byzantinischen Codices zu benennen, wobei sie letztere eher in den Handschriften der ‚Malerischen Gruppe‘ wirksam sahen.52 Sie sind dabei zugleich auf die üblichen Anknüpfungspunkte der Evangeliarillustration eingegangen: die Anfänge der jeweiligen Evangelien, das Wissen um die Evangelisten und ihre Person sowie ihr Verhältnis zum Geschilderten und damit ihre Autorisierung, sowie schließlich auf die Ausdeutung von Evangelien, Evangelisten und vor allem auch Evangelistensymbolen, etwa in den oft in den mittelalterlichen Evangeliaren den einzelnen Evangelien vorangeschickten Vorworten, den sogenannten Argumenta, die auch das Evangeliar von St. Georg (fol. 8v–9r, 70r–70v, 105r u. 167r–167v) aufweist.53 Diese Argumenta stellen die Autoren vor, deuten aber auch ihre Evangelistensymbole im Hinblick auf das jeweilige Evangelium. Die Muttergottes mit dem Christkind im Evangeliar von St. Georg kann umso mehr mit dem Textanfang des Matthäus-­Evangeliums verbunden werden, als man die übliche Form der Anordnung der Miniaturen für ihre Positionierung direkt im Textbeginn verließ und dafür den Bezug zu dem wohl in der Vorlage zu ihr mitgelieferten Titulus aufgab. So gelang eine direkte Verbindung mit dem Evangelienbeginn, der eine auf die Inkarnation Gottes verweisende Aufzählung der Vorfahren Christi bietet. Auf diese menschliche Seite Christi, seine Vorfahren aus dem Hause Davids, konnte man zugleich das Evangelistensymbol von Matthäus beziehen, den anthropomorphen Engel. Betrachtet man zudem den Gesamtzusammenhang des Codex, so ist mit dem Marienbild direkt an seinem Anfang der für die neutestamentliche Heilsgeschichte herausragende Aspekt der Inkarnation präsent. Auch die Miniaturenfolge zu Markus (fol. 71v–74v) umfasst drei Doppelminiaturen und dann eine zum normalen Text (ab fol. 75r) vermittelnde Zierseite (fol. 74v: ­E VANGELII Ih(ES )V XPI (STI ) FILII DEI ) auf einer Versoseite, die sich an das Incipit (fol. 73v) und einer kompakten Binnenform rund um die Inkarnatpartie verschmolzen wurde, die daher unter dem Kopftuch Mariens zu liegen scheint. In ihrer festen Konsistenz scheint ­dieses Element wie der bortenartige Stoff mit ähnlichem Dekor aufgefasst zu sein, der beispielsweise auch auf dem Untergewand des Matthäus (fol. 19v) wiederkehrt. Hier scheint sich somit ein deutlicher Abstand zu den römischen wie zu älteren Vorbildern wie dem Rabula-­Codex abzuzeichnen. 52 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2. S. 111 – 118. – von Euw 1991 (wie Anm. 1), S. 267 – 278. – von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 22 – 25. – von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 35 f. – Vgl. auch Beuckers 2018 (wie Anm. 1), S. 21 – 23. 53 Vgl. allg. Rainer Kahsnitz: Inhalt und Aufbau der Handschrift. Die Bilder, in: Das Kostbare Evangeliar des Heiligen Bernward, hg. v. Michael Brandt, Hildesheim 1993, S. 18 – 55, hier S. 21 – 24, zu dem auch von Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 114 – 118 benannten Vergleich mit dem Kostbaren Evangeliar (Hohe Domkirche Hildesheim, Domschatz, DS 18).

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die Initialzierseite (fol. 74r) mit der Buchstabenligatur IN (ICIVM ) anschließt.54 Sie befindet sich vollständig auf einer eigenen Lage, die von einer Leerseite (fol. 71v) eingeleitet wird. An ihrem Beginn steht aber nicht die Darstellung des Evangelisten Markus, sondern der groß und mittig frontal auf den Betrachter ausgerichtete Täufer (fol. 72r) in seinem härenen Fellgewand, der zudem eine Art härende Stola über dem kunstvoll changierend gefärbten Untergewand trägt. Er ist bei seiner Predigt vom Herrn in der Wüste wiedergegeben. Wüste stand im lateinischen Westen für Wildnis, sodass sie hier mit einem ausgreifenden Baum am Ufer des von Fischen und einem biberartigen Tier bevölkerten ­Jordan wiedergegeben werden konnte.55 Im Jordan steht der Täufer mit seiner Predigt auf seinem Spruchband: dIRIGI tE UI a(M) d(OMINI ), nach Joh 1,23 (Richtet den Weg des Herrn, vgl. auch Mk 1,3). In dem Pendant zum Baum, einer turmartigen Stadtansicht, in der man Jerusalem vermuten könnte, dürften sich die Adressaten seiner Predigt versammelt haben. Die Darstellung des Täufers bezieht sich auf den Anfang des Markusevangeliums. Dort wird der Täufer als Stimme eines Predigers in der Wüste (Mk 1,3) eingeführt. Unter ­diesem Aspekt konnte dieser zudem mit dem Löwen als brüllendem Wüstenbewohner, dem Symbol des Evangelisten Markus, verbunden werden. Nach Inkarnation und Kindheit Christi als dem Thema der Mariendarstellung zum Matthäus-­Evangelium (fol. 22r) klingt hier zudem der Beginn der öffentlichen Wirksamkeit Christi in der Taufe an. Die besondere Nähe des Täufers zu Christus verbindet ihn insbesondere in der Deesis mit der zuvor dargestellten Maria, die in ihrem Titulus (fol. 20r) als Reinigerin von den Sünden der Welt angesprochen wird. Denn beide treten in dieser seit ottonischer Zeit im Westen verbreiteten Bildformel der Deesis als größte Fürbitter der Menschheit vor deren Richter.56 Dieser Aspekt scheint sich beim Täufer im Titulus der dem Bild vorangeschickt Titelseite (fol. 71v) zu zeigen, wird hier doch ausdrücklich seine Verehrung gefordert: EN BAPTIS tA D(E)I QVEM DEBEMVS VENERARI (Siehe den Täufer Gottes, den wir verehren müssen).57 Dies mag auch die an das Ikonenformular Mariens angenäherte Form der Wiedergabe des Täufers erklären. Bei der Darstellung von Markus (fol. 73r) fällt dessen Wiedergabe als Kleriker auf, der in Albe, Dalmatik und Kasel mit Pallium gekleidet ist. Dies kennzeichnet ihn als Bischof 54 Die Miniaturen folgen nach dem Argumentum auf fol. 70r–70v und dem auf fol. 70v beginnenden, auf fol. 75r–75v nach der Miniaturenlage fortgesetzten Breviarium zu ­diesem Evangelium. 55 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), S. 117 versuchen, Vorbilder zu identifizieren, und verweisen auf die oft im Sinne der Predigt des Täufers an den Baum gelegten Axt (Mt 3,10, Lk 3,9). Eine ottonische Vorbildstufe für den Baum und die Fische im Wasser könnte die Darstellung der Taufe Christi im Hitda-­Codex, fol. 75r, darstellen. Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, Abb. 137. – Winterer 2010 (wie Anm. 47), Abb. S. 89. 56 Vgl. das Elfenbein mit der Deesis und einer entsprechenden Inschrift auf dem Einband des Kostbaren Evangeliars Bischof Bernwards (amt. 993 – 1022). Vgl. Brandt 1993 (wie Anm. 53), S. 56 – 63. 57 Vgl. von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 23.

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von Alexandria und zugleich als Schüler des Apostels Petrus.58 Dies schlägt wiederum die Verbindung in die Kölner ­Kirche zur Entstehungszeit des Evangeliars von St. Georg, sah sich diese doch in direkter apostolischer Sukzession, da sie von einem weiteren Schüler des Petrus, dem hl. Maternus, als legendären ersten Bischof von Köln gegründet worden sei, ein Vorgang, von dem in Köln die z­ wischen Trier und Köln in ottonischer Zeit umstrittene Stabreliquie des Petrus Zeugnis ablegte.59 Im Titulus (fol. 72v) wird Markus als zweiter der Evangelisten wohl auch im Hinblick auf sein geistliches Amt (Officium) angesprochen: OFFICII DOCTVS STAT MARCVS IVRE SECVNDVS. Die Miniaturenfolge zu Lukas (fol. 112v–115v) nimmt wiederum eine eigene Lage ein, deren erste Seite (fol. 112r) zuerst leer blieb und erst später mit einem der zahlreichen Nachträge versehen wurde.60 Sie wird mit einer Doppelseite eingeleitet, die aus dem Titulus (fol. 112v) und der Lukas-­Darstellung (fol. 113r) besteht. Dann folgen die Titelseite (fol. 113v) zur neutestamentlichen Darstellung und diese selbst (fol. 114r), schließlich wie im Evangelium des Markus die Incipitseite (fol. 114v), die Initialzierseite (fol. 115r) mit der Initiale Q und dem Textbeginn [Q]VONIAM Q(V)IDEM und schließlich die zum normalen Text vermittelnde Textzierseite (fol. 115r: MVLtI CONAtI S(VN)T ORDINARE NARRAtIONEM). Die Titelseite zu Lukas (fol. 112v) bezeichnet diesen als dritten der Evangelisten: tERTIVS ESt LVCAS QVI SCIT RES SCRIBERE GEStAS. In seiner Jugendlichkeit hebt sich seine Darstellung (fol. 113r) von den beiden auch als Jünger Jesu anzusprechenden Evangelisten Matthäus (fol. 19v) und Johannes (fol. 174r) ab, was Lukas hier vielleicht als Apostelschüler (des Paulus) ausweisen sollte. Die anschließende Wiedergabe des im Tempel opfernden Zacharias (fol. 114v) ist wiederum dem Textbeginn d ­ ieses Evangeliums (Lk 1, 5 – 25) geschuldet. Wir sehen den Vater des Täufers als Priester am Altar des Tempels in Jerusalem. Dieser ist wie ein christlicher Altar mit Altartüchern ausgestattet und wird von ihm mit Weihrauch inzensiert. Der Engel spricht ihn an und berichtet ihm von der bevorstehenden Geburt des Täufers. Dies schlägt den Bogen zurück zur Darstellung des Täufers zum Evangelium des Markus (fol. 72r). Auch wird auf der vorhergehenden Titelseite (fol. 113v) die Bedeutung des Zacharias als Prophet herausgestellt: hVNC ZACHARIAM SCITOtE FVISSE P(RO) PhEtAM (Wisst, dass dieser Zacharias ein Prophet war).61 Darüber hinaus lässt sich seine Opferhandlung inhaltlich auf den Stier beziehen, das Evangelistensymbol von Lukas, das

58 Vgl. Art. Markus, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 7, Freiburg im Breisgau 1974, Sp. 549 – 562 (Gregor Martin Lechner), hier Sp. 550 – 554. 59 Vgl. Karl der Große / Charlemagne. Karls Kunst, Ausst. Kat. Centre Charlemagne Aachen, hg. v. Peter van den Brink und Sarvenaz Ayooghi, Dresden 2014, S. 200 – 202 (Petrusstab) (Rolf Lauer). – Philippe Cordez: Schatz, Gedächtnis, Wunder. Die Objekte der ­Kirche im Mittelalter (Quellen und Studien zur Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim, Bd. 10), Regensburg 2015, S. 82 – 89. 60 Voran gehen Lukas-­Argumentum (fol. 105r) und Lukas-­Breviarium (fol. 105r–110r). 61 von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 24.

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zugleich das herausragende Opfertier der Antike war. Daher wird hier bereits in gleichsam prophetischer Weise auf den Opfertod Christi am Kreuze voraus gewiesen. Der Kreuzestod Christi folgt als Miniatur gleich am Beginn des Miniaturenzyklus zum Johannes-­Evangelium (fol. 172v), wo sie unter anderem auch bei einigen der ottonischen Kölner Evangeliaren anzutreffen ist.62 Hiermit ist erstmals im Evangeliar von St. Georg eine neutestamentliche Darstellung gewählt worden, die den Evangelisten des derart eingeleiteten Evangeliums zeigt und autorisiert. Die Kreuzigung ist hier wiederum Teil einer eigenen Miniaturenlage (fol. 172 – 175).63 Nach leer gebliebener erster Seite (fol. 172r) folgen die Titelseite zur Kreuzigung (fol. 172v) und die Kreuzigung selbst (fol. 173r), dann die Titelseite (fol. 173v) zu Johannes und seine Darstellung (fol. 174r) sowie schließlich die Initiumseite (fol. 174v) zu Beginn des Evangeliums, seine Initialzierseite (fol. 175r) und die zum Text überleitende Textzierseite (fol. 175v). Die Kreuzigung schließt dabei den Zyklus neutestamentlicher Darstellungen des Evangeliars ab. Mit der Inkarnation Christi (fol. 22r), seinem Erscheinen unter den Menschen, für das der Täufer als Wegbereiter steht (fol. 72r), und seinem Opfertod (fol. 173r), auf den die Miniatur mit Zacharias (fol. 114v) vorausweisen konnte, ergeben die neutestamentlichen Bilder am Anfang der Evangelien somit eine chronologische Abfolge der Hauptgeschehnisse der neutestamentlichen Heilsgeschichte. Hierbei scheint die Kreuzigung passend zur Funktion der Handschrift in der Messe, in welcher der Kreuzestod in der Eucharistie unblutig nachvollzogen wurde, besonders betont. Auch in eucharistischer Sicht erreichte der Zyklus der neutestamentlichen Bilder des jüngeren Evangeliars aus St. Georg daher mit der Kreuzigung seinen End- und Höhepunkt. Schon der Titulus der Kreuzigung (fol. 172v) stellt eingangs die kosmische Bedeutung der Kreuzigung als Überwindung von Sünde und Tod heraus: NIL NISI QVOD MVNDVS MERVIT LVIt IN CRVCE XP(ISTV)C (‚Alles, was die Welt verschuldet hat, büßt Christus am Kreuz‘).64 Sie zeigt Christus am Kreuze ­zwischen Sonne und Mond, die oben trauernd ihre Gesichter bedecken. Hinzu kommen Maria und Johannes unter dem Kreuz. Johannes blickt auf Christus und weist mit der Rechten auf ihn. Dieser hat seine Augen offen. Das im Dunkel der Todesstunde, dem Silbergrau des Hintergrunds, direkt unter dem Querbalken des Kreuzes querrechteckig eingefügte leuchtende Goldfeld betont den Bereich des Bildes, 62 Vgl. Bloch/Schnitzer 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 118 – 121, hier S. 119 mit Verweis auf den Hitda-­ Codex, das Gießener und das Gerresheimer Evangeliar. – Zum Gerresheimer Evangeliar vgl. zuletzt Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-­Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittel­alters, Bd. 1), Köln 2016; zu Vergleichbarkeit der dortigen Kreuzigungsminiatur mit der Kreuzigung im Lyskirchen-­Evangeliars vgl. auch Wolter-­von dem Knesebeck 2017 (wie Anm. 2), S. 51 f. mit Abb. 13. 63 Voran gehen das Breviarium (fol. 166r–167r) und das Argumentum zu Johannes (fol. 167r–167v). 64 von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 24. Der Kreuzestitel IH(ESV)C XP(ISTV)C schließt oben den Kreuzstamm ab.

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in dem sich die bei Johannes (Joh 19, 25 – 27) geschilderte Kommunikation Jesu mit seiner ­Mutter und seinem Lieblingsjünger kurz vor seinem Tod abspielte: „Als Jesus seine ­Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner M ­ utter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine M ­ utter!“ Indem Johannes hierbei eine geschlossene Schriftrolle in der Hand hält, wird auf ihn als Evangelisten verwiesen, der all dies schildern wird. Mit der Zuordnung der Kreuzigung zum Evangelium des Johannes verlässt erstmals im Lyskirchener Evangeliar eine neutestamentliche Szene den direkten Bezug zum Beginn des Evangeliums, folgt aber ihrer Hervorhebung in der Vorrede, dem Argumentum, zu d ­ iesem Evangelisten. Und etwas Anderes tritt hinzu: Unter den Evangelisten ist Johannes der einzige Augenzeuge der Kreuzigung. Seine Schilderung des Kreuzestodes war daher die Autorität für den Kreuzestod Christi und bildete dementsprechend die Lesung der Messe am Karfreitag. Seine herausgehobene Rolle wird auch im Titulus (fol. 173v) zu seiner Darstellung als Evangelist (fol. 174r) hervorgehoben, in der erstmals nicht seine Stellung innerhalb der Evangelisten (an vierter Position) angesprochen wird, sondern stattdessen seine besondere Bedeutung mit großem Aufwand hervorgehoben wird: SPERMAtA SYMMISTES P(RO)FERt ARCHANA IOhANNES. In ­diesem Vers werden gleich am Anfang zwei Worte griechischer Herkunft, neben Spermata für Samen auch das eher seltene Wort Symmistes für Mitpriester oder Vertrauter aufgeboten und noch dazu mit dem lateinischen Wort Ar(a)chana für Geheimes verbunden. Peter Christian Jacobsen verweist hierfür auf den seit dem Evangeliar in Mailand in etlichen der ottonischen Kölner Handschriften anzutreffenden Titulus, in dem von Johannes gehandelt wird als demjenigen Evangelisten, der als verbipotens caeli simnista Iohannes die heiligen Geheimnisse des göttlichen Wortes eröffnen kann:65 „Inter precipuos paradysi quatuor amnes Hic verbipotens caeli simnista Iohannes, Qui sacra divini reserans misteria verbi Planius haec scripsit, per mundi climata sparsit. Inter mirificos actus etiam ad celestia raptus Monstrat, venturae qualis sit gloria vitae.“

65 Jacobsen 1991 (wie Anm. 42), S. 188. – Beuckers 2018 (wie Anm. 27), S. 51 – 53, mit Übersetzung S. 52: „Zwischen den vier vorzüglichen Strömen des Paradieses / ist d­ ieses Johannes, der wortmächtige Lobsänger des Himmels, / der die heiligen Mysterien des göttlichen Wortes aufschließend / diese Dinge offener schrieb / und sie in den Gefilden der Welt verbreitete. / Unter seinen wundersamen Taten wurde er sogar an den Himmel entrückt / und zeigte, welcher Ruhm dem kommenden Leben zuteilwerden wird.“ – Jacobsen 1991 (wie Anm. 42), S. 189 mit einem Hinweis auf das mit Spermata verwandte ‚spermologi‘ zu Lukas im Evangeliar der Ste. Chapelle (MGH Poetae, Bd. V, S. 430, Nr. 4b, IV, 1). – Vgl. auch Joshua O’Driscoll: Image and Inscription in the Painterly Manuscripts from Ottonian Cologne, PhD. Thesis Harvard 2015: https://dash.harvard.edu/handle/1/17467286?show=full [22. März 2019] zum Mailänder Evangeliar und seinen Titulusdichtungen vor allem S. 114 – 128.

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Hier wird die Vorstellung von Johannes als in himmlische Geheimnisse Eingeweihtem aufgenommen, wie sie bereits in den grammatikalischen Schriften des karolingischen Gelehrten Godescalc von Orbais anzutreffen ist: „Mystes archanorum ac secretorum scius, velut sinmystes atque sinmista conscius. Unde Iohannes apostolus dictus est sinmista Christi cui revalata sunt secreta caelesta. A ‚miste‘ vero venit ‚mysterium‘.“ 66 Daher ist der Titulus des Evangeliars von St. Georg wohl folgendermaßen zu übersetzen: Der Mitpriester / Vertraute / Eingeweihte Johannes führt geheime Samen herauf. Hiermit rückt der Evangelist in die herausgehobene Stellung eines eingeweihten Mitpriesters oder Vertrauten Christi, der um die himmlischen Geheimnisse weiß und sie in seinem Evangeliar verkünden kann, das er einer Legende nach beim Abendmahl an der Seite Christi schlafend empfangen habe.67 Hierdurch wird sein Evangelium vor dem der anderen Evangelisten ausgezeichnet ‒ und im Lyskirchener Evangeliar doch noch in gewissem Sinne eine Verbindung zum Anfang seines Evangeliums hergestellt, in welchem die geheimnisvolle Ontologie Christi als Wort Gottes (Joh 1,1 – 17) entwickelt wird.68 Vor ­diesem Hintergrund erstaunt es auch nicht, dass die Darstellung von Johannes als Evangelist (fol. 174r), auf w ­ elche sich dieser Titulus bezieht, mit dem unter den Bedingungen der romanischen Hintergrundsfelderung gestalteten, wellig stilisierten roten Erdboden ein außergewöhnliches Element aufweist. Vor ihm ist Johannes als alter ­weißbärtiger Mann auf dem üblichen Evangelistensitz wiedergegeben, wie er vom Adler als seinem Evangelistensymbol inspiriert seine Feder in das Tintenhorn taucht, das in dem kleinen Tischchen neben ihm zusammen mit dem Schreibermesser steckt. Auch aufgrund seines 66 D. C. Lambot: Œuvres théologiques et grammaticales de Godescalc d’Orbais. Textes en majeure partie inédits (Spicilegium Sacrum Lovaniense. Ètudes et Documents, Fasc. 20), Löwen 1945, S. 490 f. [122], nach der Handschrift in Bern, Burgerbibliothek, Ms. 83. – Zur Verwendung griechischer Wörter in der Kölner Dichtung des 11. Jahrhunderts vgl. Jacobsen 1991 (wie Anm. 42). – O’Driscoll 2015 (wie Anm. 65), S. 122 f., Anm. 287 mit Verweis auf den Gero-­Codex und das Uta-­Evangelistar. – Simmistes wurde dann im 12. Jahrhundert von Johannes von Salisbury mit dem auf Erkenntnistheorie zielenden Zusatz Simmistes Veri, also Mitpriester/Eingeweihter der Wahrheit, auf Plato als den herausragenden Vertreter der antiken Philosophie am Beginn von dessen Porträt in seinem Entheticus verwendet. Vgl. John of Salisbury’s Entheticus Maior and Minor, ediert von Jan van Laarhoven, Bd. 1, Leiden 1987, S. 166 – 177, hier S. 167, Vers 937 f.: „At Plato, simmistes veri, distinguit in ipsis scibilibus, quid res scire creata queat.“ – Vgl. auch Frank Bezner: Simmistes Veri. Das Bild Platons in der Theologie des 12. Jahrhunderts, in: The Platonic Tradition in the Middle Ages, hg. v. Stephen Gersh und Marten Hoenen, Berlin 2002, S. 95 – 137, hier S. 128, Anm. 134. 67 Vgl. Art. Johannes der Evangelist (der Theologe), in: Lexikon der Christlichen Ikonographie, Bd. 7, Freiburg im Breisgau 1974, Sp. 108 – 130 (Gregor Martin Lechner), bes. Sp. 114. 68 Auch könnte sich hierdurch eine Verbindung des Simmista Johannes zum Adler als gen Himmel fliegenden Evangelistensymbol des Johannes ergeben, wie sie im Uta-­Codex (Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 13601, fol. 89v), in dem der Johannesdarstellung am Rande beigegebene Vers „fert aquile facies domini simmista Iohannes“ vorgebildet ist. Vgl. O’Driscoll 2015 (wie Anm. 65), S. 122 f., Anm. 287.

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fortgeschrittenen Alters darf man daher wohl den Boden als Hinweis auf die Insel Patmos verstehen, auf welcher er im Alter die Apokalypse schrieb.69 Dies schlägt zudem den Bogen zu der erstmals im Codex mit einem Bildelement verbundenen Initialligatur der Initialzierseite zum Beginn des Evangeliums des Johannes auf dem folgenden Blatt (fol. 175r).70 Inmitten der kreuzförmigen Verbindung der Buchstaben IN erscheint hier im Medaillon das Agnus Dei mit einem Kreuznimbus und auf einem Codex stehend. An dieser Stelle ist es schon in den frühen ottonischen Kölner Handschriften anzutreffen, wobei dort der Codex des Lammes bereits im Mailänder Evangeliar (fol. 188r) vorgebildet ist, ebenso im Gießener Evangeliar (fol. 190r), wo es mit einem Siegerkranz auf dem Codex steht und im Medaillonrund die Beischrift AGNVS D(E)I QVI TOLLIt PECCATA aufweist, daneben aber auch z­ wischen den theologischen Tugenden und der HUM(I)LITAS in den Rahmenmedaillons des Hitda-­Codex.71 Die eschatologische Ausrichtung der Darstellung von Johannes im Lyskirchen-­Evangeliar wird hier mit dem Opferlamm als Lamm der Apokalypse auf dem Buch mit den sieben Siegeln fortgesetzt, also dem Lamm auf dem Thron, das von den 24 Ältesten verehrt (Apk 5,1 – 14) und auf dem Berg Zion von der erlösten ­Kirche angebetet wird (Apk 14,1 – 5). Mit ­diesem verheißungsvollen Bild für die Zukunft der K ­ irche schließt das gegenüber diesen Handschriften ebenso eigenständige wie durchdacht gestaltete Bildprogramm ­dieses Evangeliars, nicht ohne wiederum einen Bezug auf die eigene Institution als Ort der Heilsvermittlung herzustellen und zudem den Bogen zum Einband zu schlagen, auf dem die Kreuzigung mit dem Evangelisten Johannes unter dem Kreuz nicht nur durch die Wiedergabe von Sol und Luna in kosmologische Zusammenhänge gestellt ist, sondern auch durch die Evangelistensymbole ebenfalls eschatologisch ausgerichtet erscheint.

69 Im Kölner Evangeliar aus St. Gereon (Historisches Archiv der Stadt Köln, Cod. W 312) und im Mailänder Evangeliar (Biblioteca Ambrosiana Mailand, C. 53 Sup.). Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 127, Abb. 508 u. 512, wird Johannes gegenüber den anderen Evangelisten hervorgehoben, indem dieser jeweils auf einem von Bloch/Schnitzler zu Recht als „Patmoshügel“ bezeichneten Erdhügel sitzt und im erstgenannten Codex zudem von einem göttlichen Lichtstrahl inspiriert erscheint. Auch im Evangeliar Heinrichs des Löwen (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf 105. Noviss. 2°) aus der Zeit von 1173/89 sind die Miniaturen zum Johannes-­Evangelium und dessen Darstellung selbst am Ende des Bildprogramms des Codex endzeitlich akzentuiert. Vgl. Wolter-­von dem Knesebeck 2018 (wie Anm. 6), S. 215. 70 Die Textzierseite auf fol. 175v bietet die Textfortsetzung [IN ] PRINCIPIO ERAT VERBUM , wobei die letzten beiden Worte auch noch einmal beim Textbeginn auf fol. 176r wiederkehren, was auf eine räumliche Distanz z­ wischen dem Aufbewahrungsort der ja bereits geschriebenen Handschrift und dem Anfertigungsort der nachträglich angefertigten und eingebundenen Zierseiten hinweisen könnte. 71 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1, Abb. S. 167, 199, 286, 331, 363, 369, 433 u. 461; Bd. 2, S. 81 – 84 mit Abb. 38, S. 287 – 289, 297 – 299 u. 308 f. – Zum Hitda-­Codex vgl. auch Winterer 2010 (wie Anm. 47), Abb. von fol. 173r auf S. 119. – Alternativ kann hier auch Christus mit Selbstbezeichnungen wie EGO SVM LVX MU (NDI ) (Evangeliar aus der Abtei Abdinghofen in Paderborn, fol. 207r) erscheinen.

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Ursula Prinz

Die Rahmenornamentik des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg im Kontext der ottonischen Kölner Handschriftengruppe

Die Ornamentik ist, James Trilling zufolge, ein Instrument visuellen Vergnügens, sie umfasst sämtliche Formen und Muster, die seit der Altsteinzeit von Menschenhand Geschaffenes schmücken.1 Es ist jene schmückende Funktion, die dazu verleitet, dem Ornament eine untergeordnete Rolle zuzuschreiben. In der Buchmalereiforschung gilt das Hauptaugen­ merk den figürlichen Miniaturen, dem ornamentalen Randdekor wird hingegen häufig nur ein Nebengedanke gewidmet.2 Als losgelöste Kunstform verfügt die Ornamentik über eine eigene Entwicklungsgeschichte und Stilprägung. Eine isolierte und kontextualisierte Untersuchung der Einzelformen ermöglicht Erkenntnisse hinsichtlich der äußeren Einflüsse und inneren Entfaltung eines Werkes. Die vorliegende Ornamentstudie fokussiert das Rahmenfüllwerk der Zierseiten im Jüngeren Evangeliar aus dem Stift St. Georg in Köln, dem sogenannten Lyskirchen-­Evangeliar, und ordnet diese in die Gruppe der ottonischen Kölner Buchmalerei ein.

Rahmenkonzept Die frühmittelalterliche Entwicklung der Miniaturmalerei ist eng verknüpft mit dem medialen Wandel vom Rotulus zum Codex. Die gebundene Buchform erlaubte eine physische Loslösung z­ wischen Bildern und Text. Die seitenweisen Proportionen empfahlen eine Anlage für die Malerei, die über das Format einer Textspalte hinausgehen konnte.3 1 James Trilling: The Language of Ornament, London 2001, S. 14. 2 Systematische Untersuchungen zur Ornamentik in karolingischen Handschriften bei Katharina Bierbrauer: Die Ornamentik frühkarolingischer Handschriften aus Bayern (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-­Historische Klasse. Abhandlungen. Neue Folge, Heft 84), München 1979. – Götz Denzinger: Die Handschriften der Hofschule Karls des Großen. Studien zu ihrer Ornamentik, Langwaden 2001. – Zur ottonischen Buchmalerei vgl. Ursula Prinz: Die Ornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei. Studien zum Rahmenfüllwerk (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen ­Kirchen- und Landes- sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 71), Köln 2018, zum Lyskirchen-­Evangeliar dort insb. S. 93 – 96. 3 Vgl. Kurt Weitzmann: Illustrations in Roll and Codex. A Study of the Origin and Method of Text Illustration (Studies in Manuscript Illumination, Bd. 2), Princeton 1970, S. 83.

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Eine endgültige Separation vom Textkorpus erfuhr die Miniatur durch das Hinzufügen eines Rahmens, der zugleich eine Würdigung seines Inhaltes bedeutete.4 „Der Rahmen ist Voraussetzung für die gezielte Wahrnehmung des Bildes“ 5, er hebt den bildhaften Charakter der Malerei hervor und spielt mit der Dimensionalität der dargestellten Sphären. Aus einfachen Rahmenleisten entwickelten sich komplexere Gefüge, die sich aus mehrteiligen Bordüren zusammensetzen und ornamentales Füllwerk beherbergen. Den Kern des Eingerahmten bilden dabei Miniaturen, Initial- und Textzierseiten, die durch ihre Einfassung als Kollektiv hervorgehoben werden. In der Kölner Buchmalerei des 10./11. Jahrhunderts stehen sich mannigfaltige Variationen der Rahmengestaltung gegenüber. Das sogenannte Everger-­Lektionar (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 143), das Peter Bloch und Hermann Schnitzler in ihrem wegweisenden Korpuswerk an den Anfang der Handschriftengruppe stellten,6 verfügt über das klassische Modell zweier Rahmenleisten aus Gold, die ein ornamentales Füllwerk umschließen. Einige Rahmen bilden dabei an den äußeren Ecken schlichte, kugelförmige Ausläufer aus. Die Anlage einer in zwei Goldleisten gefassten Ornamentbordüre kehrt als Grundkonzept in allen Kölner Handschriften wieder – als beruhigte Variante neben additiven Kompositionen oder als Hauptform wie in den jüngsten Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘, die zudem farbige Bänder z­ wischen pfeilförmige Eckausläufer spannen. Das Kölner Evangeliar aus St. Gereon (Köln, Historisches Archiv, Best. 7010 Nr. 312) bedient sich eines komplexeren Rahmensystems zur Auszeichnung bestimmter Zierseiten. So werden auf der Doppelseite zu Beginn des Matthäus-­Evangeliums (fol. 21v und 22r) Text und Initiale von doppelten Rahmen eingefasst, die jeweils von einem Farbstreifen umsäumt werden. Den ornamental gefüllten Bordüren sind Zierquadrate und Medaillons aufgesetzt; anstelle geometrisch schlichter Eckausläufer treten florale Appliken in Erscheinung. Das klar gegliederte Rahmenkonzept wird in den Handschriften um das Sakramentar aus St. Gereon (Paris, Bibliothèque nationale de France, Lat. 817) gestalterisch gelöst. Neben die Bordüre mit Ornamentfüllung tritt eine Rahmenform, die sich aus mehreren Streifen eines graduellen Farbverlaufes zusammensetzt, w ­ elche durch aufgelegte Filigranornamente wie Banderolen zu einer plastischen Einheit verbunden werden. Mit einer zunehmend freien Linienführung, die im Gießener Evangeliar (Gießen, Universitätsbibliothek, Cod. 660) ihren Höhepunkt erreicht, verwischen die Grenzen z­ wischen den einzelnen Farbstreifen, die den Rahmen bilden (beispielsweise fol. 10v), diese entfalten eine expressionistisch anmutende Wirkung. Die Ornamentbordüre mit doppelter Goldleiste findet sich durchgehend in den Kanongiebeln 4 Vgl. Weitzmann 1970 (wie Anm. 3), S. 97. 5 von Hülsen-­Esch, Andrea: Der Rahmen im Rahmen der Buchmalerei, in: Format und Rahmen. Vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hg. v. Hans Körner und Karl Möseneder, Berlin 2008, S. 9 – 40, hier S. 14. 6 Peter Bloch / Herrmann Schnitzler: Die Ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/1970.

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der Evangeliare wieder, die aufgrund ihrer Beschaffenheit in die Untersuchung der Rahmen­ ornamentik miteingeschlossen werden. Im Mariengraden- (Köln, Erzbischöfliche ­Diözesanund Dombibliothek, Cod. 1001a) und New Yorker Evangeliar (New York, Pierpont Morgan Library, MS M.651) wird die architektonische Rahmung der Kanonfolge selbst von schmalen Rahmen eingefasst, die sich aus nuancierten Farbstreifen zusammensetzen. Im Lyskirchen-­Evangeliar umfassen die ausgestalteten Zierseiten eine Maiestas Domini und ein Hieronymusbild mit jeweils gegenübergestellten Textzierseiten, bevor sich eine zwölfteilige Kanonfolge anschließt. Die Evangelien werden durch jeweils sieben Zierseiten eingeleitet, die ein Evangelistenbild, Text- und Initialseiten zum Initium und Evangelienbeginn sowie Miniaturen enthalten, welche einen Bezug zu den jeweiligen Prologtexten aufnehmen – ein Marienbild zum Matthäus-­Evangelium, Johannes der Täufer zu Markus, die Verkündigung an Zacharias zu Lukas und eine Kreuzigungsszene zu Johannes.7 Der Purpurgrund der einleitenden Maiestas Domini auf fol. 11v wird von einer schmalen silbernen Leiste eingefasst, die an den Ecken goldene herzförmige Ausläufer mit silbernem Kugelbesatz ausbildet; die Winkelmotive sind durch ein graduell abgetöntes Farbband verbunden. Dieser Gestaltungsform entsprechen im Grunde die weiteren Zierseiten, die in ihrer Farbigkeit – mit dominierenden Grün-, Blau- und Rottönen – variieren. Am häufigsten tritt eine additive Form auf, die sich aus mehreren Leisten zusammensetzt; in der Regel nach dem Schema Gold–Farbe–Silber–Farbe. Die Farbstreifen erfahren dabei eine Strukturierung durch einen abgestuften Farbverlauf oder ornamentalen Besatz. Durch das pastellige Aufhellen und das Fehlen einer äußeren Kontur (beispielsweise fol. 12r) entsteht ein fließender Übergang der Bordüre in das umliegende Pergament; eine Wirkung, die an das Mariengraden-­Evangeliar erinnert (zum Beispiel fol. 1r). Der umgekehrte Fall einer Aufhellung nach innen (zum Beispiel fol. 174v) entspricht einer Rahmengestaltung, wie sie in den Handschriften der ‚Malerischen Gruppe‘ um das Pariser Sakramentar aus St. Gereon anzutreffen ist. Der Rahmen einiger Textzierseiten wird zudem durch passepartout-­artige Weißhöhungen nach innen erweitert. Ornamentales Rahmenfüllwerk findet im Lyskirchen-­Evangeliar nur vereinzelt Anwendung, das Erscheinungsbild der Rahmenanlagen wird durch flächige Farbstreifen geprägt. Eine Ausnahme bildet die Ausgestaltung der Eckelemente: In der Gehrung erscheinen überwiegend Herzformen mit stilisiertem Lilienbesatz und einem kugelförmigen Endstück, das über den Rahmen hinausführt, sowie ausgeschnittene Ovale mit Palmettenfüllung oder seltener fächerartige Rauten. Ein fortlaufendes Motiv ohne dezidierte Ecklösung, wie beispielsweise im Everger-­Lektionar, findet sich im Lyskirchen-­Evangeliar nicht. Bei mehrteiligen Rahmen tritt in einigen Fällen eine doppelte Auszeichnung der Gehrung auf. Die Kreisformen, die als Eckbesatz erscheinen, finden sich in teilweise aufgespießter Form 7

Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, Kat. Nr. E 71, S. 286 (Barbara Klössel-­Luckhardt).

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am Scheitelpunkt der Kanongiebel wieder. Ähnlich wie im Mariengraden-­Evangeliar werden die Kanontafeln von – hier breiteren – Streifen mit graduellem Farbverlauf eingefasst. Dem Rahmen sind an beiden oberen Ecken architektonische Kuppelformen aufgesetzt, in deren Abschluss sich die goldene Kugelform wiederholt. In ihrer Farbgestaltung sind die Kanontafeln als korrespondierende Doppelseiten angelegt: Kuppel, Giebelleiste und Arkadenzwickel entsprechen in ihrer Farbigkeit dem äußeren Rahmen der gegenüberliegenden Seite. Die elfte und zwölfte Kanontafel differieren in der Ausführung ihrer Einfassung, eine farbliche Korrespondenz besteht weiterhin. In der ottonischen Kölner Buchmalerei sind die Rahmenanlagen der Miniaturseiten zugunsten des erhöhten Bildinhaltes häufig auf zurückgenommene Weise gestaltet und mehrteilige Bordüren durch einen schmalen Rahmen ersetzt. Im Lyskirchen-­Evangeliar gibt es in dieser Hinsicht keine durchgängige Lösung. Anstelle des doppelten Bordürensystems sind die Maiestas Domini und das Hieronymusbild in einen einfachen Rahmen aus einer Gold- bzw. Silber- und einer Farbleiste gestellt. Die mehrteilige Anlage auf fol. 22r fungiert weniger als Einrahmung der Mariendarstellung, sondern vielmehr als Hintergrundgestaltung für die Figur, die mit ihren Füßen auf der unteren Zierleiste steht. Durch die abgestuften Lagen des Rahmens entwickelt sich eine Tiefenwirkung, die hier eine Kulisse substituiert. Ein vereinheitlichendes Schema zur Miniaturrahmung entwickelt sich in der hinteren Hälfte des Evangeliars bei der Einfassung der Lukas-, Zacharias- und Johannes-­Miniatur; der Rahmen besteht hier jeweils aus schmalen Gold-, Silber- und Rotstreifen. Im Matthäusund Markusevangelium findet dagegen ornamentales Rahmenfüllwerk zur Auszeichnung der Miniaturen und Textzierseiten dezidierte Anwendung.

Ornamentik Als Hauptmotiv manifestiert sich in der Rahmenornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei Blattwerk in Form von Palmetten-­Stauden-­Alternationen sowie additiv gereihten Varianten. Die vegetabile Ornamentik weist Einflüsse aus der karolingischen Buchmalerei auf, die sich überwiegend auf die Werkstätten in Reims und Tours sowie insbesondere die Hofschule Karls des Kahlen konzentrieren. Motivische Entsprechungen für die Blattkonstel­ lationen finden sich insbesondere in der Bibel von St. Paul (Rom, Abbazia di San Paolo fuori le mura) und dem Codex Aureus aus St. Emmeram (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14000). Die geometrische Ornamentik, die ein wesentlicher Bestandteil karolingischer Buchmalerei ist, nimmt in den Kölner Handschriften der ottnischen Zeit eine untergeordnete Rolle ein; Flecht- und Knickbänder erscheinen nur vereinzelt und in simplifizierter Form. Die Bedeutung, die byzantinischen Vorlagen für die szenische Malerei beigemessen wird, lässt sich in dieser Weise nicht auf das Rahmenfüllwerk übertragen. Eine unerwartete Ausnahme findet sich im Lyskirchen-­Evangeliar, wie weiter unten ausgeführt

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wird. Für die vegetabile Ornamentik lassen sich in der ottonischen Buchmalerei Parallelen zu der Reichenauer Ruodprechtgruppe, insbesondere zum Poussay-­Evangelistar (Paris, Bibliothèque nationale de France, Lat. 10514), aufweisen. Das Blattwerk der Kölner Handschriften erscheint betont vegetabil als lebendig bewegte Pflanzenform und unterscheidet sich stilistisch von der statischen Beschaffenheit in der karolingischen Buchmalerei, die ihre Nachfolge in der einheitlich idealisierten Form der Reichenauer Gruppe findet. Peter Bloch und Herrmann Schnitzler schlossen das Lyskirchen-­Evangeliar außerhalb der ‚Strengen Gruppe‘ als ‚Nachzügler‘ hinten an und definierten die Handschrift als „‚romanischen‘ Nachklang“ der Kölner Buchmalerei und nicht etwa als „Abschluß der ottonischen Reihe“.8 Hartmut Hoffmann ordnete das Jüngere Evangeliar aus St. Georg in seiner paläographischen Untersuchung wiederum den Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ zu.9 Am Anfang dieser von Bloch/Schnitzler konstituierten Gruppe – die Heinrich Ehl in seinem Versuch einer ersten zusammenhängenden Behandlung der ottonischen Kölner Buchmalerei noch als ‚dekorativen Stil‘ bezeichnete 10 – steht das Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon. Die Ornamentik dieser Handschrift ist stilistisch noch eng mit der ‚Reichen Gruppe‘ verbunden. Beispielhaft sei im Mariengraden- (fol. 178v) und im Stuttgarter Evangeliar (fol. 157r) auf den Initialzierseiten zum Johannes-­Evangelium das komplexe Blattmotiv der ‚Dreiteiligen Staude mit Ovalöffnung‘11 angeführt. Das Ornament erscheint 8 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 8. 9 Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9. – 11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, S. 189. 10 Heinrich Ehl: Die ottonische Kölner Buchmalerei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der frühmittelalterlichen Kunst in Westeuropa (Forschungen zur Kunstgeschichte Westeuropas, Bd. 4), Bonn 1922 (ND Norderstedt 2015) ordnete dem ‚dekorativen Stil‘ das Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. fol. 21), das Manchester Evangeliar (Manchester, John Rylands Library, Latin MS 98), das Abdinghofer Evangeliar (Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 A 3), das Londoner Evangeliar (London, British Library, Harley MS 2820) und das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach (Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 360a) zu. Das Lyskirchen-­Evangeliar zählte er hingegen zu dem ‚malerischen Mischstil‘, dem unter anderem die Handschriften der ‚Reichen Gruppe‘ nach Bloch/Schnitzler wie das Mariengraden(Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 1001a) und das Bamberger Evangeliar (Bamberg, Staatsbliothek, Msc. Bibl. 94) zugeordnet waren. An die ottonischen Handschriften schloss Ehl einen ‚frühromanischen Stil‘ an, den er unter anderem als Rückbezug auf das Lyskirchen-­Evangeliar verstand (Vgl. S. 221). – In ihren Rezensionen kritisierten Wilhelm Köhler: Rezension von Heinrich Ehl „Die ottonische Kölner Buchmalerei“, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 46 (1925), S. 205 – 209 und Albert Boeckler: Besprechung von Heinrich Ehl „Die ottonische Kölner Buchmalerei“, in: Jahrbuch für Kunstwissenschaft 2 (1924/25), S. 242 – 244 das wissenschaftlich ungenaue Vorgehen Ehls und die daraus resultierenden Ergebnisse. 11 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 2), S. 43 f. – Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 76 bezeichnen das Ornament als „Trierer Muster“ und schreiben seinen Ursprung dem Manchester Evangeliar zu. – Zu dem Verhältnis z­ wischen dem Manchester Evangeliar und der Kölner Buchmalerei siehe Prinz 2018 (wie Anm. 2), S. 97 – 103.

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im Mariengraden- wie auch im New Yorker Evangeliar tiefgelappt in monochromatischer Fassung. Im Stuttgarter Evangeliar ist der Stil zeichnerischer und die Blattform eher rund gebogen als fransig gelappt. Das innenliegende Oval, das in der ‚Reichen Gruppe‘ halbseitig schattiert auftritt, erscheint als rosa-­rote Scheibe mit vertikaler Zweiteilung. Das Sakramentar aus Tyniec (Warschau, Biblioteka Narodowa, BOZ 8) greift die Stuttgarter Variante auf und bedient sich in seinem Formenschatz vornehmlich der Handschriften der ‚Reichen Gruppe‘ und des Vorreiters der ‚Strengen Gruppe‘. Die Rahmenornamentik des Sakramentars aus Tyniec zeichnet sich durch eine sichere Federführung und geschlossene Konturen aus, die den Eindruck einer gewissen stilistischen Autonomie erwecken. Die seltene Knickbandornamentik, die im Mariengraden-, New Yorker und Stuttgarter Evangeliar auftritt, erfährt im Sakramentar aus Tyniec eine verfeinerte Gestaltung bei abweichender Farbigkeit. Das Sakramentar aus St. Vitus (Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 360a) verfügt über ein reduziertes Formenrepertoire, das sich ausschließlich der Motive bedient, die bereits im Sakramentar aus Tyniec vertreten sind. Die Farbwirkung wurde durch eine erhöhte Sättigung und die Erweiterung des Spektrums um ein Pastellviolett entscheidend geändert, doch eine stilistische Nähe ist nicht von der Hand zu weisen. Die enge Verwandtschaft der Sakramentare wird ferner durch die exklusive Verwendung der Ornamentform ‚Eingeklappte Palmetten mit Spitzblättern‘12 (Freiburg: fol. 14r und 23r; Warschau: pag. 14, 15, 42 und 43) belegt. In dem Nürnberger Evangeliarfragment und den Handschriften in London und Berlin erfährt der Ornamentschatz eine zunehmende Stilisierung und Reduzierung. Die Rahmenornamentik des Lyskirchen-­Evangeliars lässt sich weder stilistisch noch motivisch nahtlos in die Buchmalerei der ‚Strengen Gruppe‘ eingliedern. Auch das 1870 verbrannte Straßburger Evangeliar (ehem. Straßburg, Staatsbibliothek, Ms. C. II 22), das nur über Pausen überliefert ist, die Comte Auguste de Bastard vor dem Verlust anfertigte und das in der Forschung mit der Lyskirchen-­Handschrift in Verbindung gebracht wird,13 entbehrt in dieser Hinsicht einschlägiger Parallelen. 12 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 2), S. 34 – 36. 13 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 6), Bd. 1, S. 120 sahen im Lyskirchen-­Evangeliar eine um 1100/1120 entstandene Kopie des Straßburger Evangeliars, das sie der ‚Reichen Gruppe‘ zuschrieben. – Carl Nordenfalk: Rezension zu Peter Bloch und Hermann Schnitzler „Die ottonische Kölner Malerschule“, in: Kunstchronik. Monatszeitschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege 24 (1971), S. 292 – 309, hier S. 307 bewertete das verlorene Evangeliar „wie das Lyskirchen-­Evangeliar als eine Nachblüte der ottonischen Schulen“ und schrieb ­diesem Einflüsse aus der ‚Malerischen‘ und ‚Reichen Gruppe‘ zu. – Nach Ulrich Kuder: Eine weitere Pause nach dem in Strassburg verbrannten ottonischen Kölner Evangeliar, in: Kunstchronik 38 (1985), S. 381 – 383 sei das Straßburger Evangeliar in einer ersten Entstehungsphase „zwischen 980 und 1030“ (S. 382) anzusetzen und möglicherweise gegen Ende des 11. Jahrhunderts um Kanontafeln, Initiumseiten und Miniaturen ergänzt worden. – Vgl. dazu auch Ulrich Kuder: Studien zur ottonischen Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers (Kieler Kunsthistorische Schriften, Neue Folge Bd. 17), 2 Bde., Kiel 2018 [Habilitationsschrift 1989], Bd. 1, S. 258 f. Zum Lyskirchen-­Evangeliar vermerkt Kuder, ­dieses „selbst kann nicht mehr als ottonisch bezeichnet werden“

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Kanontafeln Die Zierseiten des Lyskirchen-­Evangeliars sind überwiegend mit Rahmen versehen, die sich aus flächigen Farbstreifen zusammensetzen und nur selten ornamentalen Besatz aufweisen. Variierende Blattmotive, die die Ornamentik der ottonischen Kölner B ­ uchmalerei kennzeichnen, werden nahezu exklusiv in den Giebeln der Kanontafeln dargelegt. Die vegetabilen Ornamente finden auf den weiteren Seiten – anders als in der Kölner Gruppe tradiert – kaum Wiederholung. Die Kanonfolge nimmt innerhalb der Handschrift eine ornamentale Sonderstellung ein. Bis auf wenige Abweichungen sind die kölnischen Kanontafeln als einheitliche Doppelseiten mit korrespondierender Ornamentik angelegt. Das Lyskirchen-­Evangeliar erzielt eine harmonische Gesamtwirkung durch eine einheitliche Farbigkeit und nicht etwa durch analoges Füllwerk. Die vegetabilen Ornamente treten ohne erkennbares Schema auf. Den Giebel der ersten Kanontafel (fol. 13v) ziert eine Reihung aus alternierenden Palmetten und Stauden – die in der Kölner Gruppe am häufigsten vertretene Form der Blattwerkfüllung (Abb. 21). Der gesprengte Akanthusfries erscheint linienbetont mit flächenstrukturierender Schattierung und feinster Weißzeichnung. Der ausschwingende Konturschnitt zeigt eine Nähe zu der entsprechenden Form in der ‚Reichen Gruppe‘. Die Palmetten-­ Stauden-­Reihe des Lyskirchen-­Evangeliars wird in den architektonischen Rahmungen der dritten (fol. 14v, hier ist nur die Mennige-­Kontur erhalten) und zehnten Kanontafel (fol. 18r) wiederholt. Letztere zeigt das Motiv – möglicherweise bedingt durch den verkleinerten Zuschnitt des Giebels – vergleichsweise gestaucht und asymmetrisch. An dieser Stelle sei auf das Walrosszahnrelief des Prachteinbandes verwiesen:14 Die Kreuzigungsszene wird von einem vegetabilen Rahmen eingefasst, der eine Reihe alternierender Blattbündel und monumentalisierter Stauden mit leicht eingerollten Spitzen zeigt – eine Variante der Palmetten-­ Stauden-­Reihe, von der sich die Ausführung in der Kanonfolge maßgeblich unterscheidet. Die dritte (fol. 14r) und siebte Kanontafel (fol. 16v) weisen ein Ornament auf, das als ‚Reihe ineinandergesteckter Herzen‘15 gelesen werden kann. Das Repetitionsmuster ist ein verbreitetes Motiv in der karolingischen Buchmalerei und kommt „als Textrahmen-­Füllung (S. 258, Anm. 904). – Nach Anton von Euw: Die Handschriften und Einzelblätter des Schnütgen-­ Museums. Bestandskatalog, Köln 1997, S. 35 folgen das Straßburger und das Lyskirchen-­Evangeliar „einer Bildtradition, die sich von den übrigen Werken der sog. ottonischen Kölner Malerschule grundsätzlich unterscheidet“. Diese würde „zurück zum Frühwerk der Hofschule Karls des Großen“ führen. – Zum Straßburger Evangeliar vgl. auch den Beitrag von Ulrich Kuder in ­diesem Band. 14 Vgl. Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Kölner Evangeliar von St. Georg als liturgische Prachthandschrift, Gründungsurkunde und zeitgeschichtliches Dokument, in: Colonia Romanica 32 (2017), S. 40 – 56, insb. S. 52 – 54. – Zu dem Prachteinband vgl. den Beitrag von Susanne Wittekind in ­diesem Band. 15 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 2), S. 50.

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Abb. 21: Palmetten mit staudenförmigem Zwischenstück: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 13v, 14v und 18r, Details; Gießener Evangeliar, Universitätsbibliothek Gießen, Cod. 660, fol. 11v, Detail; Gerresheimer Evangeliar, St. Margareta Düsseldorf-Gerresheim, fol. 211v, Detail; Evangeliar aus St. Maria ad Gradus, Erzbischöfliche ­Diözesanund Dombibliothek Köln, Cod. 1001a, fol. 84r, Detail; Sakramentar aus St. Vitus, Universitätsbibliothek Freiburg, Hs. 360a, fol. 2v, Detail.

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Abb. 22: Ineinandergesteckte Herzen und Trichterblatt: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 14r und 16v, Details; ­Gießener Evangeliar, Universitätsbibliothek Gießen, Cod. 660, fol. 2v, Detail; Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. bibl. fol. 21, fol. 20v, Detail; Sakramentar aus Tyniec, Biblioteka Narodowa Warschau, BOZ 8, pag. 34, Detail.

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Abb. 23: Eierstab: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 15r, 17r und 18v, Details; Pariser Sakramentar aus St. Gereon, Bibliothèque nationale de France Paris, Lat. 817, fol. 58v, Detail; Straßburger Evangeliar, ehem. Staatsbibliothek Straßburg, Ms. C. II 22, Initialzierseite zum Matthäus-Evangelium, Detail.

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Abb. 24: Halbblattreihe und Lanzettenreihe: Jüngeres Evangeliar aus St. ­Georg (Lyskirchen-Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 15v, 16r und 17v, Details; Gerresheimer Evangeliar, St. Margareta Düsseldorf-Gerresheim, fol. 136v, Detail; Evangeliar aus St. Maria ad Gradus, Erzbischöfliche Diözesanund Dombibliothek Köln, Cod. 1001a, fol. 2r und 2v, Details; Sakramentar aus Tyniec, Biblioteka Narodowa Warschau, BOZ 8, pag. 28, Detail.

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bei allen Hofschul-­Handschriften mit Ausnahme von ‚Dagulf‘ vor“.16 In der Kölner Buchmalerei der ottonischen Zeit erscheinen die Herzreihen in geometrisch graphischer Ausführung in der ‚Malerischen‘ und vereinzelt in der ‚Reichen Gruppe‘. Dem Ornament sei ein weiteres gegenübergestellt, das als ‚Kelchblüte‘ oder ‚Trichterblatt‘17 bezeichnet werden kann. Im Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon (fol. 20v) und Sakramentar aus Tyniec (pag. 34) erscheint d ­ ieses als trichterförmige, ineinandergesteckte Keulen mit Querarmen (Abb. 22). Das Zierleistendekor im Lyskirchen-­Evangeliar weist durch seine Binnenzeichnung eine Nähe zu dem Trichterblattmotiv der ‚Strengen Gruppe‘ auf, derweil wird durch die Weißhöhung der äußeren Kontur die Herzform betont. Die Ausführung des Ornamentes unterscheidet sich auf beiden Kanontafeln in der Akkuratesse; so erscheint die Malerei auf fol. 16v von einer schnelleren Hand gefertigt, wie sich am weniger sorgsamen, unregelmäßigen Abschluss zeigt. Die vierte (fol. 15r), achte (fol. 17r) und elfte Kanontafel (fol. 18v) zeigen in jeweils der gleichen purpurfarbenen Fassung einen Eierstab, der sich aus Ovalen mit konzentrischer Kreiszeichnung und gebündelten Stauden zusammensetzt. In der Kölner Gruppe erscheint das vegetabilische Ornament als Variante der Stauden-­Alternationen, bei der die Palmetten durch Ovale ersetzt werden. Im Lyskirchen-­Evangeliar unterscheidet sich die Staude des Eierstabes jedoch von der Ausführung des Palmetten-­Stauden-­Motivs. Anstelle der vierteiligen Form erscheinen x-­förmige Bündel mit fein geschwungenen Außenblättern, die sich als unverbundene Einzelelemente an die Ovale fügen. Im Vergleich mit den übrigen Variationen der Kölner Buchmalerei mutet das Staudenbündel wie eine Vegetabilisierung des Eierstabes im Pariser Sakramentar aus St. Gereon an, das sich eines graphischen Zwischen­ stücks aus geschweiften Klammern bedient. Bastards Pausen des Straßburger Evangeliars zeigen auf der Initialzierseite zum Matthäus-­Evangelium im inneren Rahmen einen Eierstab, der in seiner Anlage mit zweiteiliger Staude und eingerücktem Oval am ehesten mit dem Lyskirchen-­Evangeliar vergleichbar wäre, sofern sich dies anhand der überlieferten Konturzeichnung erkennen lässt (Abb. 23). In der Anwendung und Ausgestaltung der Blattornamente weichen beide Evangeliare wiederum deutlich voneinander ab. In der ottonischen Kölner Buchmalerei stehen sich als sequenzielle Motive zwei Formen gegenüber: Halbblätter bzw. geschwungene Stauden und Lanzetten (Abb. 24). In der Kanonfolge erscheinen häufig beide Formen als Blattvarianten; so zeigen das Kölner Evangeliar aus St. Gereon, das Mariengraden-­Evangeliar und das Bamberger Evangeliar auf der ersten Kanontafel – einer Recto-­Seite – eine Lanzetten- und auf der folgenden Doppelseite eine Halbblattreihe. Im Straßburger Evangeliar ziert den Giebel der ersten Kanontafel eine Lanzettenreihe, deren zugespitzte Form mit dem Mariengraden-­Evangeliar vergleichbar ist. 16 Denzinger 2001 (wie Anm. 2), S. 20. 17 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 2), S. 49 f. – Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 77 f­ ühren das Motiv als „keulenförmige Stauden“ auf.

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In der Rahmung des Evangelieninitials zu Matthäus erscheint eine Reihe geschwungener dreiteiliger Blätter. Von beiden Straßburger Blattvariationen differiert die vegetabile Sequenz der fünften Kanontafel im Lyskirchen-­Evangeliar (fol. 15v). Das mehrteilige Fächerblatt mit fein ausschwingender Spitze unterscheidet sich auch von den besprochenen Formen der übrigen Kölner Handschriften. Ebenso eigen erscheinen die Motive der sechsten (fol. 16r) und neunten (fol. 17v) Kanontafel. Dem Fächerblatt steht eine Komposition gegenüber, die sich aus gedrehten Tütenblättern zusammensetzt. Drei Seiten weiter erscheint die verwandte Form zickzackförmig angeordneter Lanzetten mit zwischengestellten Spitzblättern. Beide Ornamente beleben die überwiegend statische Ausstattung der Kanontafeln durch ihre bewegte Form und suchen motivisch innerhalb der Kölner Gruppe ihresgleichen. In der Konzeption der Kanontafeln ergibt sich auf der letzten Doppelseite ein Gestaltungsbruch. Dem äußeren Rahmen sind keine Kuppeln aufgesetzt; stattdessen verfügt die Verso-­Seite über eine breit gestreifte Einfassung, und die Recto-­Seite zeigt zwei Türme anstelle der Kuppelarchitektur. Möglicherweise begründet die exponierte architektonische Ergänzung der zwölften Kanontafel (fol. 19r) den besonders zurückgenommenen Dekor im Giebel: Im oberen Bereich der Zierleiste wurde ein schmales Band mit einer filigranen Bogenreihe eingefügt und der übrige Raum flächig purpurfarben ausgemalt. Das ornamentale Repertoire der Kanonfolge zeichnet sich durch ein breites Formenspektrum und eine überwiegend sorgsame Ausführung der Filigranzeichnungen aus. Als qualitätvolle Ergänzung erscheinen die Arkadenzwickel, die auf vegetabilisch gelappte Weise ornamentiert sind und in ihrer Farbigkeit den Giebelbordüren entsprechen.

Zierrahmen Die Rahmenornamentik der übrigen Zierseiten im Lyskirchen-­Evangeliar weicht gänzlich von den Blattwerkvariationen der Kanontafeln ab. Als bevorzugte Ornamentform bilden sich Ranken heraus, deren Erscheinungsbild maßgeblich durch die kontrastierende Farbfassung geprägt ist. Rot, Grün und Blau stehen sich als leuchtende Komplementärfarben gegenüber und erwirken in ihrer lebendigen Intensität ein kennzeichnendes Charakteristikum der Rahmenornamentik im Lyskirchen-­Evangeliar. Das Rahmenwerk der Kölner Gruppe weist rundumlaufende Muster auf sowie Zierleisten, bei denen die jeweils gegenüberliegenden einander entsprechen. Im Lyskirchen-­Evangeliar tritt häufig eine L-förmige Konzeption auf, die sich aus einem Ornament auf der linken und unteren Leiste und einem anderen auf der oberen und rechten zusammensetzt. In der Rahmung des Marienbildes (fol. 22r) zeigt die linke Ecke, blau auf grün, eine intermittierende Blattranke und auf demselben grünen Grund in der rechten Ecke eine rote Spiralranke mit blauem Knollenbesatz und Dorn. Die zurückgewendete Blattranke erscheint auf der Verso-­Seite des Blattes in gespiegelter Doppelung als verflochtene Variante. Den inneren

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Rahmen ziert hier die Mischform einer spiraligen Ranke mit trifolienartigen Blatttrieben. Der alternierende Einsatz von Spiral- und Blattranken wiederholt sich vornehmlich auf den Zierseiten zum Markus-­Evangelium (fol. 72r, 72v, 73r, 73v) sowie ­vereinzelt zum Evangelienbeginn bei Lukas (fol. 115v) und Johannes (fol. 175v). Den vegetabilen Ranken wird an zwei Stellen ein geometrisches Strich- und Kreisdekor an die Seite gestellt. Das Kreismotiv der zwölften Kanontafel findet sich im Rahmen des Matthäus-­Bildes (fol. 19v) als flächiges Kringelmuster in drei Reihen wieder, während die obere und untere Bordüre von gestrichelten blau-­grünen Linien überzogen sind. In Zickzackstellung erscheint das Strichornament auf fol. 115v und erlebt durch die abwechselnd rot-­grüne (auf blauem Grund) sowie blau-­grüne (auf rotem Grund) Fassung eine Rhythmisierung, die zur Dynamik der Ranken­bewegung passt, welche spiralisiert im unteren und linken Außenrahmen erscheint. Auf der letzten Zierseite (fol. 175v) sind weiße und rote Kelchblüten gereiht, die – ähnlich wie im Manchester Evangeliar (fol. 16r) – seitliche Knospen ausbilden, aber nicht als ineinandergesteckte Verkettung, sondern als isolierte Einzelelemente in betont zugespitzter Form auftreten. Zusammenfassend lässt sich als Gemeinsamkeit der behandelten Ornamentformen die abwechselnde Farbigkeit auf kontrastierendem Grund und die reduziert zeichnerische Ausführung ohne strukturgebende Binnenzeichnung formulieren. In der Rahmengestaltung des Lyskirchen-­Evangeliars fallen drei Seiten heraus, die sich durch ihren figürlichen, perspektivischen oder malerischen Charakter von der Motivik und Methode der Grundornamentik abgrenzen und im Einzelnen betrachtet werden sollen. Zunächst s­ eien die Besonderheiten zu Beginn des Markus-­Evangeliums benannt. Besonders auffällig erscheint hier die Rahmung auf fol. 73v, die sich auf den ersten Blick von der Gesamtkonzeption des Lyskirchen-­Evangeliars unterscheidet. Im äußeren Rahmen erscheint noch das bezeichnende Modell einer blauen Spiralranke auf rotem Grund; die innere Einfassung bricht mit dem Stil und zeigt in flächiger Ausführung detailreiche Palmettenvariationen, die sich mit heller Tinte von dem dunklen Grund abheben. Außerhalb der Kanontafeln findet Blattdekor kaum Anwendung; so überrascht der Einsatz des Rahmenfüllwerks, das als Deckfarbenmalerei in großem Kontrast zu dem linienbetonten Ranken- und Strichdekor steht. Jede der vier Rahmenseiten verfügt über eine andere Blattwerkvariation: Die obere Leiste ziert eine Palmettenreihe, die von den Außenblättern alternierender dreiteiliger Stauden überfangen wird – eine Ausführung, die an die ‚Reiche Gruppe‘ erinnert. Die Reihung geschwungener Halbpalmetten am unteren Rahmenstück trägt stilistische Elemente des Mariengraden-­Evangeliars (z. B. fol. 2v), die sich mit der Konturzeichnung der ‚Strengen Gruppe‘ verbindet. Auf der rechten Seite erscheinen ‚Gegenständig umschlossene Palmetten‘18, die bereits im Everger-­Lektionar (fol. 5v und 73v) in stilisierter und im Gerresheimer Evangeliar (fol. 21v und 87v) in vegetabil wuchernder Form eingepasst in eine Wellenlinie auftreten (Abb. 25). Der minimalisierte 18 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 2), S. 42 f.

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Palmettenkopf des Lyskirchen-­Evangeliars spitzt die Wellenbewegung zu einer Zackenlinie zu. Die linke Bordürenleiste zeigt eine Palmettenranke, die sich deutlich von dem Hauptmotiv der Handschrift unterscheidet. Im Gegensatz zu der linienbetonten Spiralranke mit Trifolienknospen, die zum Beispiel im äußeren Rahmen derselben Seite zu sehen ist, bildet die Palmettenranke körperhafte Blätter aus, die die gesamte Bordürenbreite ausfüllen und sich teilweise mehrschichtig überlappen. Der stark abweichende Stil legt eine spätere Übermalung nahe, doch nach freundlicher Mitteilung von Doris Oltrogge ergab die technische Untersuchung keinen Hinweis auf eine nachträgliche Fassung, und die Blattleiste scheint in einem Arbeitsschritt mit dem übrigen Rahmenwerk entstanden zu sein.19 Auf fol. 74v ist das Füllwerk des inneren Rahmens sowie der äußeren oberen und rechten Leiste durch den schlechten Zustand der Malerei nicht mehr erkennbar; wenige erhaltene Fragmente lassen möglicherweise eine Flechtranke ähnlich der auf fol. 22v erahnen. Das Dekor der linken und unteren Bordüre des äußeren Rahmens ist dagegen noch deutlich erkennbar und zeigt einen Mäander, der der einzige seiner Art in der gesamten Kölner Gruppe ist. Knickbandornamentik erscheint einzig im Mariengraden- (fol. 8v und 178v), New Yorker (fol. 51r) und Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon (fol. 100v und 155v) sowie im Sakramentar aus Tyniec (pag. 12, 13, 22 und 23) in Form einer perspektivischen Zickzackleiste oder als gespiegelt gedoppelte Variante.20 Als Vergleichsbeispiel lässt sich das Limburger Evangeliar (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 218, fol. 21r und 22r) der Reichenauer Werkstatt heranziehen, das in Form und Farbgebung mit dem Knickband der ‚Reichen Gruppe‘ vergleichbar ist, doch in dem Falz weicher fällt (Abb. 26). Komplexe Mäander sind ein wichtiger Bestandteil der geometrischen Ornamentik karolingischer Buchmalerei; in den Handschriften der ottonischen Kölner Malschule wird ihm keine Bedeutung beigemessen. Das rechtwinklig gebrochene Zierleistenmotiv tritt im Lyskirchen-­Evangeliar unvermittelt und in singulärer Verwendung auf. Es zeigt ein Winkelband mit blauer Aufsicht und roten Seiten auf geschwärztem Grund. Die Freiräume sind von weiß punktierten Blüten besetzt; zudem ist die vordere Kante des Knickbandes weißgehöht, wodurch der Mäanderverlauf hervorgehoben wird. Bei der Farbvariante eines blau-­roten Bandes auf schwarzem Grund mit weißer Punktierung handelt es sich um ein bewährtes Motiv der Echternacher Buchmalerei; so erscheint der Mäander etwa in einem Darmstädter Sakramentar mit eingearbeitetem Graduale (Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 1946, fol. 12r) oder auch im Codex Aureus Epternacensis (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156 142, fol. 12v). Der Maler des Lyskirchen-­ Evangeliars bediente sich eines tradierten Motivs, das jedoch für die Kölner Handschriften­ gruppe gänzlich untypisch ist. 19 Zu den Befunden vgl. den Beitrag von Doris Oltrogge und Robert Fuchs in ­diesem Band. 20 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 2), S. 48.

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Abb. 25: Gegenständig umschlossene Palmetten: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (LyskirchenEvangeliar), St. Georg, Köln, fol. 73v, Detail (gedreht); Everger-­Lektionar, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 143, fol. 5v und 73v, Details; Gerresheimer Evangeliar, St. Margareta Düsseldorf-Gerresheim, fol. 21v und 87v, Details. Abb. 26: Knickbandornamentik: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 74v, Detail; Evangeliar aus St. Maria ad Gradus, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 1001a, fol. 8v und 178v, Details; New Yorker Evangeliar, Pierpont Morgan Library New York, MS M.651, fol. 51r, Detail; Sakramentar aus Tyniec, Biblioteka Narodowa Warschau, BOZ 8, pag. 13 und 22, Details; Limburger Evangeliar, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 218, fol. 22r, Detail.

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Abb. 27: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-Evangeliar), St. Georg, Köln, fol. 22v, Detail mit Rekonstruktionszeichnungen (Ursula Prinz).

Ein ausgesprochen ungewöhnliches Rahmenfüllwerk begegnet auf fol. 22v in der oberen und rechten Bordüre des äußeren Rahmens. Auf den ersten Blick scheint es sich um abgeblätterte Farbe einer schlecht erhaltenen Malerei zu handeln, doch bei näherem Hinsehen sind rot ausgemalte Tierwesen auf blauem Grund zu erkennen (Abb. 27). Eine schwarze Konturlinie verdeckt einen Teil der Malerei und erschwert das Identifizieren der Figuren. Die obere Leiste beginnt mit drei kopfstehenden Vogelgestalten – an dieser Stelle scheint sich ein Konzeptwechsel ergeben zu haben, und die Vogelreihe wird in aufrecht gedrehter Form weitergeführt. Die Figuren treten einander zu- sowie voneinander abgewandt oder gleichgerichtet nebeneinandergestellt auf. Die langen Vogelhälse sind mit herabzeigender Kopfposition in unterschiedliche Richtungen gedreht; einige Tiere zeigen ein gehörntes Haupt. Neben den zahlreichen Vogelwesen erscheinen am unteren Ende der rechten Bordüre zwei einander zugewandte Vierfüßler mit nach unten gerichteten Hörnern und langem Körper. Zwischen den stierähnlichen Tieren steht ein floral wirkendes Ornament, das an die Form eines stilisierten Widderkopfes erinnert und die dargestellten Hornträger versinnbildlicht, die zu einer paarweisen Gruppe gebunden werden. Die zoomorphe Leistenornamentik weckt eine, möglicherweise beabsichtigte, Assoziation mit byzantinischer Textilkunst. Seidenstoffmuster wurden insbesondere in der ottonischen Kunst als Teppichseite oder Mustergrund auf die Buchmalerei übertragen.21 Im Echternacher Codex Aureus (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156 142) stellen drei der vier Teppichseiten Vögel, Löwen und Mischwesen dar. Das Entenmotiv auf fol. 17v und 18r weist in der Beinhaltung Parallelen zu den Vogelfiguren des Lyskirchen-­Evangeliars auf, die 21 Vgl. Christine Jakobi-­Mirwald: Buchmalerei. Terminologie in der Kunstgeschichte, Berlin 4. Auflage 2015 (OA 1991), S. 107.

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schwanenhalsige Greifvögel neben kleineren Entenvögeln zeigen. Figürliche Malerei wurde in der byzantinischen Seidenkunst und der rezipierenden Pergamentmalerei häufig in ein Repetitionsmuster aus Medaillons gestellt, wie sich beispielsweise in der Hintergrundgestaltung der Heiratsurkunde von Kaiserin Theophanu zeigt (Wolfenbüttel, Niedersächsisches Staatsarchiv, 6 Urk 11). Die hier dargestellten Tierkampfszenen sind allerdings nicht mit den vorliegenden Rahmenfiguren zu vergleichen. Die obere Bordüre der Heiratsurkunde zeigt einander zugewandte Pfauen- und Löwenpaare,22 deren gegenständige Anordnung im Lyskirchen-­Evangeliar – mit Ausnahme der Vierfüßler – eher zufällig als systematisch Wiederholung findet. In der Rahmenornamentik der Kölner Handschriftengruppe fallen die Tierwesen des Lyskirchen-­Evangeliars als einzige überlieferte figürliche Malerei heraus. Das Kölner Evangeliar aus St. Gereon zeigt in seiner bildlichen Ausstattung zu Füßen des Evangelisten Lukas (fol. 110r) vier Vogelgestalten in gedrehter Körperhaltung und mit längeren Beinchen. Die Figuren sind durch goldene Binnenzeichnung profiliert und kaum mit den flächigen Schattenbildern des Lyskirchen-­Rahmens zu vergleichen. Abgesehen von den symmetrisch gepaarten Vierfüßlern erscheinen die Vogelwesen ohne narrativen Bezug willkürlich platziert worden zu sein. Doch trotz wahlloser Anordnung erzielen die Motive ein byzantinisierendes Erscheinungsbild. Die Unachtsamkeit bei der Übermalung mit einer breiten Konturlinie bekräftigt die untergeordnete Bedeutung der figürlichen Malerei, deren Zweck durch die ornamentale Ausgestaltung der Bordüre erfüllt wurde.

Fazit Die Ornamentik des Lyskirchen-­Evangeliars unterscheidet sich dezidiert von dem Rahmenwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei und erscheint als Gesamtkorpus ausgesprochen heterogen. Die Handschrift verfügt über mehrere stilistische Gruppierungen, die jeweils einem Konzept folgen, aber in ihrer Zusammenstellung keine Einheit ergeben. Die Ornamentleisten der Kanontafeln weisen in ihrer Eigenart als vegetabiles Füllwerk am ehesten ein vergleichbares Gestaltungsprinzip zu den übrigen Handschriften der Kölner Gruppe auf. Allerdings unterscheiden sich nicht nur die Formen, sondern auch ihre Anordnung. Diese folgt üblicherweise einem Schema, das die Ornamentik der Kanontafeln als doppelseitige Anlage gestaltet – im Lyskirchen-­Evangeliar ist in dieser Hinsicht kein nachvollziehbares Konzept erkennbar. Wenn die Kanonfolge in ihrer Verwendung von Blattwerk noch der ottonischen Kölner Tradition folgt, so bricht diese mit der Ausstattung der folgenden Zierseiten. Die bildliche Malerei wurde in den Fokus gerückt und die ornamentale Ausschmückung der Einfassungen 22 Otto der Große. Magdeburg und Europa, Ausst. Kat. Kulturhistorisches Museum Magdeburg, hg. v. Matthias Puhle, 2 Bde., Mainz 2001, Bd. 2, S. 127 – 129, hier S. 129, Kat. Nr. III. 16 (Rainer Kahsnitz).

Die Rahmenornamentik des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg | 93

reduziert. Neben flächig ausgemalte Rahmen treten Varianten mit Besatz aus simplifizierten Ranken und Strichmustern. Die Motive weisen einen betont zeichnerischen Stil ohne Schattierungen oder Akzentuierungen auf. Die kontrastierende Farbintensität trägt jedoch entscheidend zu einer belebten Wirkung des Rahmendekors bei. Durch die abwechselnde Farbe der zickzackförmigen Striche entsteht eine pulsierende Rhythmisierung, die dem Erscheinungsbild in Verbindung mit der Rankenbewegung eine eigene Dynamik verleiht. Den linienbetonten Ornamenten, die durch ihre kontrastreiche Farbigkeit getragen werden, steht der malerische Stil des Palmettenrahmens auf fol. 73v samt monochromer Hell-­Dunkel-­Fassung gegenüber. Auffällig ist nicht nur die motivische und stilistische Singularität, sondern auch die Bestrebung, in der kompakten Form eines einzigen Rahmens ein möglichst breites Spektrum der Palmettenvariationen – und die damit verbundene Kunstfertigkeit – darzubieten. Fragen nach den Beweggründen für den hier präsentierten, abweichenden Ornamentstil oder seine Situierung im Rahmen der Initiumseite zum Markus-­Evangelium bleiben offen. Das Rahmenwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei ist überwiegend von komplexen oder reduzierten Kompositionen vegetabilen Blattwerks durchzogen sowie vereinzelt von Rankenmotiven, Flechtbändern und geometrischem Dekor, doch figürliche Malerei ist kein Bestandteil des ornamentalen Repertoires. Die Einfassung der Textzierseite zum Matthäus-­Evangelium im Lyskirchen-­Evangeliar erscheint in ­diesem Kontext als Kuriosität. Über die zoomorphen Motive wird eine Verbindung zur byzantinischen Kunst hergestellt, die es in der Rahmenornamentik der ottonischen Kölner Handschriften – anders als in der figürlichen Miniaturmalerei – in dieser Form nicht gibt. Als Hauptmotiv des sporadischen Rahmenfüllwerks im Lyskirchen-­Evangeliar erscheinen Formen einer Spiral- und Blattranke – ein bewährtes Ornament, das seit der frühen Antike kontinuierliche Anwendung fand. Erwähnt sei an dieser Stelle auch der vereinzelte Einsatz einer tradierten und in der karolingischen Buchmalerei besonders verbreiteten Form, des Mäanders. Als Gemeinsamkeit lässt sich für die heterogene Ornamentik ein Rückgriff auf altbewährte Motive zusammenfassen, die dagegen mit der Tradition der ottonischen Kölner Handschriftengruppe brechen. Anton von Euw sprach in seiner Behandlung der Bildseiten von einer „archaisierende[n] Sonderstellung des Lyskirchen-­Evangeliars innerhalb der ottonischen Kölner Malerschule“.23 Die Betrachtung der Rahmenornamentik bekräftigt den archaisierenden Eindruck der Buchmalerei und löst das Jüngere Evangeliar aus St. Georg aus der Handschriftengruppe, in deren Nähe es als ‚Nachzügler‘ der Kölner ottonischen Buchmalerei gerückt wird.

23 von Euw 1997 (wie Anm. 13), S. 35.

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Harald Horst

Paläographische Beobachtungen am Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg

Wer sich mit den illuminierten Kölner Handschriften des 10. und 11. Jahrhunderts befasst, kommt an dem zweibändigen Werk von Peter Bloch und Hermann Schnitzler hierzu nicht vorbei.1 Seit 2012 unternimmt es der Mitherausgeber des vorliegenden Bandes, mithilfe einer Reihe von Tagungen 2 und Einzelbeiträgen 3 die fast ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Erkenntnisse der beiden Kölner Kunsthistoriker zu überdenken und neu einzuordnen. Eine Synthese der bisherigen Ergebnisse dieser Untersuchungen bietet Klaus Gereon Beuckers in dem kürzlich erschienenen Band zum Evangeliar aus St. Maria ad Gradus (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 1001a), das als qualitativ herausragendes Initial- und Hauptwerk der zweiten, salischen Phase der Kölner Buchmalerei gilt.4 Die genannten Veröffentlichungen betrachten die besagten Kölner Manuskripte in erster Linie aus kunsthistorischer und materialtechnischer Sicht. Ein kritischer Punkt ist dabei immer die Frage der Datierung, da die Handschriften nur selten explizite Merkmale aufweisen, die eine eindeutige zeitliche Einordnung erlaube würden – eine Widmungsinschrift 1 Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70. 2 Tagung Kiel 2012: Äbtissin Hitda und der Hitda-­Codex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013. – Tagung Düsseldorf-­Gerresheim 2015: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-­ Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1), Köln 2016. – Tagung Kiel 2017: Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen ­zwischen Köln und Krakau in der Zeit Kasimir des Erneuerers, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Andreas Bihrer (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 3), Köln 2018. 3 Vgl. etwa Klaus Gereon Beuckers: Das Gundold-­Evangeliar in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Bemerkungen zu einem Kölner Prachtcodex des 10./11. Jahrhunderts, in: Philologia sanat. Studien für Hans-­Albrecht Koch zum 70. Geburtstag, hg. v. Gabriella Rovagnati und Peter Sprengel, Frankfurt am Main 2016, S. 41 – 65. – Klaus Gereon Beuckers: Zum Typus der Kölner Kanontafeln im 10./11. Jahrhundert und ihren Vorbildern. Am Beispiel des Evangeliars aus St. Maria ad Gradus (Diözesanbibliothek Köln Cod. 1001a), in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Siebtes Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-­Manuskripten, hg. v. Harald Horst (Libelli Rhenani, Bd. 70), Köln 2018, S. 15 – 62. 4 Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei aus Köln. Die Handschrift 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln. Mit einem Beitrag von Doris Oltrogge, Luzern 2018, S. 29 – 128.

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etwa oder einen dendrochronologisch datierbaren und als ursprünglich erkennbaren Einband. Der paläographische Befund, auf den besonders in den aufgeführten Tagungsberichten Wert gelegt wird, kann hierbei der Kunstgeschichte unterstützend oder korrigierend zur Seite treten, wie noch vor wenigen Jahren Hartmut Hoffmann angemerkt hat.5 Bereits der Beitrag des Verfassers zur Einordnung des Freiburger Sakramentars aus St. Vitus in Mönchengladbach 6 konnte diesbezüglich von den Hinweisen Hoffmanns profitieren. Da es nach wie vor an einer „brauchbare[n] Darstellung der Kölner Schriftentwicklung im 10. und 11. Jahrhundert“ 7 mangelt, besteht kein Anlass, seine Ausführungen nicht auch für die folgenden Beobachtungen zum Jüngeren Evangeliar aus St. Georg, dem sogenannten Lyskirchen-­Evangeliar, heranzuziehen. Aus der Sicht der Schriftgeschichte sind im Lyskirchen-­Evangeliar allerdings mehrere verschiedene Komplexe zu betrachten. Neben dem Evangelientext und seinen Zusätzen,8 die die Arbeit der Hauptschreiber ausmachen, finden sich auf den Zierseiten des Buches Textelemente, die vermutlich von einem Buchmaler hinzugefügt wurden. Dabei handelt es sich um die in Gold- und Silbertinte ausgeführten Passagen auf den Textzierseiten (fol. 12r, 13r, 20r–v, 21r–v, 22v, 71v, 72v, 73v, 74r–v, 112v, 113v, 114v, 115r-­v, 172v, 173v, 174v, 175r–v), in einem Evangelistenbild (19v) und in den Architraven der Kanontafeln (fol. 13v–19r). Im selben Duktus und in gleichermaßen goldener Tinte wurden im Textkorpus Incipit, Explicit und Seiten- oder Zwischenüberschriften geschrieben. Von gleicher Hand stammen schließlich die goldenen Ziermajuskeln im laufenden Text, w ­ elche Satz- oder Kapitelanfänge markieren, die Kapitelzählungen in den Breviarien sowie die kalendarischen Angaben im Capitulare Evangeliorum, die auf fol. 211v unvermittelt abbrechen. Die Majuskeln beruhen auf einer Capitalis quadrata, die Minuskeln im Capitulare auf der karolingischen Minuskel. Beide sind jedoch stark manieriert überzeichnet und entziehen sich dadurch einer eindeutigen paläographischen Zuweisung. Die Zahlenreihen in den Kanontafeln (fol. 13v–19r) und die darin wiederholt eingefügten Evangelistenkürzel in Capitalis rustica stammen zwar von einem ausgebildeten Schreiber; sie sind jedoch stark schematisiert und lassen sich nicht eindeutig einer Texthand zuordnen, weshalb sie aus dieser Betrachtung herausfallen. Ebenfalls nicht Teil dieser Untersuchung 5 Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9. – 11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 65). Hannover 2012, S. 184 – 192 zur Kölner Buchmalerei, hier S. 185. 6 Harald Horst: Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach (UB Freiburg, Hs. 360a) – die Parallelhandschrift des Tyniec-­Sakramentars im Vergleich, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 2), S. 91 – 113. 7 Ulrich Kuder: Der Hitda-­Codex im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Beuckers 2013 (wie Anm. 2), S. 89 – 111, hier S. 89. 8 Geschichte, Inhalt und Struktur eines Evangeliars müssen hier nicht näher erläutert werden. Bei Bedarf greife man zurück auf die Darstellung von Anton von Euw: Das Buch der vier Evangelien. Kölns karolingische Evangelienbücher. Begleitheft zur Ausstellung des Schnütgen-­Museums, Köln (Kölner Museums-­Bulletin, Sonderheft 1989.1). Köln 1989, S. 5 – 33.

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sind die verschiedenen späteren Zusätze in der Lyskirchen-­Handschrift, angefangen beim Schatzverzeichnis aus dem 11./12. Jahrhundert (fol. 215v) und dem Catalogus Episcoporum Coloniensium (fol. 168r) aus dem 13. Jahrhundert bis hin zu den zahlreichen Iuramenta des 15., 16. und 17. Jahrhunderts.9 Sie tragen ebenso wenig zur Datierung der Kernhandschrift bei wie die Zierschriften. Das Korpus für die folgenden Ausführungen bilden somit ausschließlich die Textpassagen in der spätkarolingischen Minuskel des 11. Jahrhunderts, d. h. die Evangelientexte und ihre Zusätze wie Argumentum, Breviarium und Capitulare.

Aufteilung der Schreiberhände In seinem Beitrag über Schreibschulen von 2012 macht Hoffmann im Lyskirchen-­Evangeliar fünf Schreiberhände aus, deren jeweiliger Anteil am Text sich stark unterscheidet.10 Wegen zweier vorgebundener Blätter, die ursprünglich leer waren, jetzt aber Nachträge des Spätmittelalters enthalten, beginnt Hand A das eigentliche Evangeliar auf fol. 3r mit der Vorrede zu den Evangelien („Plures fuisse …“, fol. 3r–4v) und dem Brief des Bibelübersetzers Hieronymus an Papst Damasus („Beato papae Damaso Hieronimus…“, fol. 5r–7r). Auch das Argumentum und Breviarium zum Evangelium des Matthäus (fol. 8v–10v) auf dem ­ersten Blatt der zweiten Lage stammt noch von Hand A, die somit 14 Seiten beschrieben hat. Der größte Teil des Matthäus-­Evangeliums selbst, nämlich 62 Seiten auf vier Lagen, stammt indes durchgehend von Hand B (fol. 24r–54v). Diese wiederum wird nach zwei Dritteln des Textes von Hand C abgelöst: Sie schreibt auf insgesamt neun Lagen (fol. 55r–110r) das Matthäus-­Evangelium zu Ende, fügt Argumentum und Breviarium des Markus-­ Evangeliums an und übernimmt nach dem Markus-­Text auch Argumentum und Breviarium zu Lukas. Später setzt Hand C erneut mit der vorletzten Lage ein. Dort führt sie das Johannes-­Evangelium zu Ende und beschließt mit dem Capitulare Evangeliorum die Kernhandschrift (fol. 208r–215r).11 Auf der letzten Lage folgen später nachgetragene Iuramenta. Hand C schreibt somit 116 Seiten Text, wird aber auf fol. 103v kurz nach der Hälfte der Seite unterbrochen, wo gegen Ende des Markus-­Evangeliums Hand D elf Zeilen Text auffüllt und somit den Anschluss an fol. 104r schafft, wo unmittelbar wieder Hand C einsetzt. Den weitaus größten Anteil hatte jedoch Hand E zu schreiben: Sie übernimmt ab Lage 18 (fol. 116r) vollständig das Lukas-­Evangelium, schreibt weiter das Breviarium zum Johannes-­Evangelium und führt dasselbe, unterbrochen von leeren bzw. Nachtragsseiten und Illuminationen, nach der Zierseite mit dem Text „In principio erat verbum“ (fol. 175v) 9 Vgl. die Beiträge von Manfred Groten und Anna Pawlik in ­diesem Band. 10 Vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 187. 11 Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 187, schreibt hier fälschlich „209r–215r“, vermutlich aufgrund der unsauber korrigierten Bleistiftfoliierung im Original.

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fast bis zum Ende (fol. 207v) aus. Der Übergang von der Schriftzierseite zum Evangelientext auf neuer Lage (fol. 175v–176r) zeigt übrigens deutlich, wie unabhängig voneinander Buchmaler und Schreiber hier gearbeitet haben: Der Schreiber erwartete eine Schriftzierseite, die wie üblich lediglich die Worte „In principio“ künstlerisch gestaltet hätte, und setzte entsprechend auf fol. 176r mit „erat verbum“ ein. So finden sich diese beiden Wörter also doppelt, auf Zier- und auf Textseite. Insgesamt umfasst das Pensum von Hand E 168 Seiten; sie hat damit noch vor Hand C den größten Anteil am Text des Evangeliars. Unklar bleibt, warum der Text des Johannes-­Evangeliums wie bereits erwähnt ab der Erzählung vom Ostermorgen (Io 20,1) auf neuer Lage von Hand C zu Ende geschrieben wird.

Charakteristika der Schreiberhände Hand E, die Haupthand des Prachtcodex, lässt sich leicht an einem charakteristischen g erkennen, „das aus zwei übereinandergesetzten Kreisen besteht“ – der untere ist dabei häufig mit einem Hals an den oberen angesetzt und größer als dieser –, sowie an einem q, dessen Unterlänge „in einen sanften, k­ urzen Bogen nach links ausläuft.“ 12 Die Buchstaben stehen eng und gerade, aber deutlich voneinander getrennt. An den Oberlängen von b, d, h und l fallen kurze horizontale Anstriche auf. Die st-­Ligatur wirkt durch ihre beiden fast gleich langen Hasten und einen schmalen oberen Bogen absolut harmonisch. Hand E findet sich wieder im Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. 2° 21), das nach Bloch/Schnitzler wie das Lyskirchen-­Evangeliar zur selben, sogenannten Strengen Gruppe der Kölner illuminierten Handschriften gehört.13 Die Schreiberhand wirkt dort aber etwas niedriger, fast gedrungen, wie man besonders gut an einem Vergleich ähnlicher Textstellen aus dem Johannes-­ Evangelium erkennen kann (Abb. 28 und 29). Im Verlauf des Schreibens am Lyskirchen-­ Codex hat sich diese Hand deutlich zum Vertikalen, Leichten hin weiterentwickelt und scheint am Ende des Johannes-­Evangeliums den Höhepunkt ihres Könnens erreicht zu haben. 12 Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 186. – Anton von Euw: Das Evangeliar von St. Maria Lyskirchen. Bestimmung und Gebrauch einer mittelalterlichen Handschrift, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 64 (1993), S. 15 – 36, hier S. 18, hatte Hand E noch dem ‚schrägovalen Stil‘ zugeordnet und sie „in den übrigen Handschriften der ottonischen Kölner Malerschule nicht zu finden“ vermocht. Tatsächlich aber finden sich diese Hand oder ihr nahestehende Schriften in allen Handschriften der Strengen Gruppe, wie unten noch ausgeführt wird. Eine schrägovale Tendenz vermag ich in ihrem Stil außerdem nicht zu erkennen; vgl. hierzu Bernhard Bischoff: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters. Mit einer Auswahlbibliographie 1986 – 2008 von Walter Koch (Grundlagen der Germanistik, Bd. 24), 4. Aufl. Berlin 2009 (OA 1979), S. 162. 13 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 1), Bd. 1 S. 94 – 120. – Zusammenfassend auch bei Beuckers 2018 (wie Anm. 4), S. 37 f.

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Abb. 28: Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. bibl. 2° 21, fol. 165r: Haupthand des Evangeliars.

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Abb. 29: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), fol. 183v: Hand E.

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Abb. 30: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), fol. 208r: Hand C.

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Abb. 31: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), fol. 103v: Hand C und D (ab Zeile 14).

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Abb. 32: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), fol. 28r: Hand B.

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Einen gänzlich anderen Eindruck hinterlässt Hand C, die zweite Haupthand in d ­ iesem Evangeliar. Sie wirkt sehr niedrig, entwickelt kaum Ober- und Unterlängen, setzt die Schäfte absolut gerade und dicht nebeneinander. Folglich fehlt beim q der sanfte Schwung nach links, der Hand E charakterisierte. Das g wird aus drei Teilen gebaut: einem nach rechts öffnenden Bogen auf der Mittellinie, einem Schaft, der diesen verschließt und unter der Mittellinie in einen nach unten links öffnenden Halbkreis zurückgebogen wird, und einen weiteren Bogen von links, der die Rundung als flaches Oval schließt. Es entsteht so eine monotone, gitterartige Struktur, die der Schrift eine kühle, mechanisch wirkende Strenge verleiht (Abb. 30). Auch diese Hand durchläuft eine Entwicklung vom unsicheren Schreiben hin zu höherer, gleichmäßiger Qualität. Anfangs sind die Schwankungen so stark, dass man beispielsweise anlässlich eines Tintenwechsels zunächst fälschlich eine andere Hand vermuten möchte (fol. 79r Z. 8 – 81v Z. 2). Tatsächlich wird Hand C jedoch nur einmal abgelöst, nämlich durch Hand D auf fol. 103v für lediglich elf Zeilen (Abb. 31). Hand D wirkt ähnlich streng wie Hand C. Die Schäfte stehen bei ihr noch etwas enger beieinander, streben jedoch stärker in die Höhe als bei der vorhergehenden Hand. Mit einer sehr dünnen Feder schreibt Hand B (Abb. 32). Die Buchstaben stehen deutlich voneinander getrennt und haben eine leichte Rechtsneigung. Die eigentlich schräg angesetzten Anstriche an den Oberlängen von b, d, h und l sind sehr kurz; so führen sie häufig zu keulenförmigen Schaftverdickungen, die an längst vergangene Schreibgewohnheiten erinnern. Die Unterlängen von p und q sind absolut vertikal. Der untere Kreis des g ist nicht immer geschlossen. Auffällig ist der Buchstabe z, der auch im Wortinneren nur knapp unter der darüber liegenden Zeile ansetzt und somit stets die Höhe der in Capitalis rustica ausgeführten Majuskeln erreicht (beispielsweise fol. 37v: beelzebub; fol. 38v: euangelizantur). Insgesamt ergibt sich der Eindruck eines schnellen, routinierten Schreibers. Bei Hand A fällt sofort ihre deutliche Rechtsneigung ins Auge (Abb. 33). Die Buchstaben stehen klar lesbar, doch eng beieinander und sind häufig durch kleine Aufstriche an den unteren Schaftenden verbunden. Der Schreiber hat eine Vorliebe für keilförmig ausgeprägte Anstriche, die besonders an den Oberlängen von b, d, h und l auffallen. Die Unterlänge des q läuft – wie in Hand E – mit leichtem Schwung nach links aus. Auch das g ist ähnlich wie bei Hand E gebaut, doch fällt das untere Oval noch flacher aus und ist oft nicht ganz geschlossen. Hand A entwickelt zusehends eine besondere Form des lang-­s, dessen Fahne vor der Rundung nach links zurückgebogen wird, was an die Krümme eines Bischofsstabes erinnert. Vom f unterscheidet sich d ­ ieses lang-­s dann nur noch durch dessen Balken.

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Abb. 33: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), fol. 6r: Hand A.

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Zeitliche Einordnung im Vergleich mit anderen Kölner Handschriften Die Entwicklung der Kölner Schrift im 10. und 11. Jahrhundert kann sich nur an wenigen datierbaren Handschriften orientieren. Einen frühen Fixpunkt bildet das Epistolar Cod. 143 der Kölner Dombibliothek, das nach dem Zeugnis seines zweiseitigen Widmungsbildes (fol. 3v–4r) von Erzbischof Everger gestiftet wurde und folglich in dessen Amtszeit (985 – 999) zu datieren ist.14 Eine andere Handschrift mit Schultexten – Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 114 – trägt einen Schreibervermerk des bayerischen Benediktinermönchs Froumund, der nach Jahren in Köln und Feuchtwangen Lehrer der Klosterschule zu Tegernsee wurde.15 Nach eigener Darstellung begann Froumund diesen Codex während seines Aufenthalts im Kölner Kloster St. Pantaleon, das heißt ­zwischen 992 und 995. Weite Passagen darin stammen jedoch von mehreren Schülern Froumunds; nach Hoffmann zeigt sich darin unter anderem eine „Kölner Hand, die auch aus anderen Kölner Handschriften bekannt ist“,16 etwa den Codices 111, 114 und 194 der Dombibliothek. Schließlich existiert ein Ausleihverzeichnis der Kölner Dombibliothek in einer Amploniana-­Handschrift (Erfurt, Universitäts- und Forschungsbibliothek, CA 2° 64, fol. 117v), das sich durch die Namensnennung des Utrechter Bischofs Adalbold II. auf die Jahre 1010 bis 1026 eingrenzen lässt.17 Diese frühen Schriftbeispiele bilden die Grundlage für die weiteren Beobachtungen zur Kölner Schriftgeschichte, die sich zeitlich nur noch relativ zu den vorangehenden Beispielen fortführen lässt. Folgt man Hoffmanns Argumentation, so zeigt sich in den frühen Kölner Schriften ein noch unreifer Stil, der „noch wenig straff und nicht sehr diszipliniert, typisch für das 10. Jahrhundert“ ist. Dies ändert sich gleich zu Beginn des 11. Jahrhunderts mit der Entwicklung des sogenannten Vertikalstils – der neue Schrifttyp ist „vertikal ausgerichtet, gleichmäßig und von kalligraphischer Strenge.“ Er wiederum bildet „die Voraussetzung für einen weitergebildeten Schrifttyp, der etwas später in den illuminierten H ­ andschriften 1 8 der sog[enannten] Strengen Gruppe anzutreffen ist.“  Insbesondere das Merkmal der kalligraphischen Strenge findet sich tatsächlich wiederholt in den besagten Handschriften. 14 Vgl. hierzu Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Kölner Dombibliothek. Ausst. Kat. ­Erzbischöfliches Diözesanmuseum Köln, hg. v. Joachim M. Plotzek u. a., München 1998, Kat. Nr. 80, S. 385 – 392 (Ulrike Surmann). 15 Zu ihm und zum Folgenden vgl. Franz Unterkircher: Der Wiener Froumund-­Codex (Cod. 114 der Österreichischen Nationalbibliothek), in: Codices manuscripti 12 (1986), S. 27 – 51, bes. S. 32 zu den Kölner Händen in ­diesem Codex. 16 Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 186. – Vgl. Hartmut Hoffmann: Schreibschulen des 10. und des 11. Jahrhunderts im Südwesten des Deutschen Reichs. Mit einem Beitrag von Elmar Hochholzer (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 53). Hannover 2004, S. 115 zum Codex Einsiedeln, Stiftsbibliothek, 301 (469). – Hans-­Walter Stork: Zur Paläographie des Gerresheimer Evangeliars, in: Beuckers/Johlen-­Budnik 2016 (wie Anm. 2), S. 103 – 118, hier S. 112 – 114. 17 Vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 186. – Stork 2016 (wie Anm. 16), S. 114 – 116. 18 Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 186.

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Dadurch ähneln sich einzelne Schreiberhände sehr stark oder können gar als identisch angesehen werden, was auf den engen zeitlichen und räumlichen Rahmen hindeutet, in dem sie entstanden sind. Dies lässt sich besonders gut an Hand E, der Haupthand des Lyskirchen-­Evangeliars nachvollziehen, die sich – wie erwähnt – auch im Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon findet. Außerdem steht sie einigen Händen in den anderen Handschriften der Strengen Gruppe nahe, so etwa der Hand A des Abdinghof-­Evangeliars (Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 A 3), Hand A des Londoner Evangeliars (London, British Library, Harley Ms. 2820) sowie den Schreiberhänden der Sakramentare aus Gladbach (Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 360a) und Tyniec (Warschau, Biblioteka Narodowa, BOZ 8).19 Ob gar eine Identität dieser Hände vorliegt, wie dies Hoffmann bei aller Vorsicht teilweise suggeriert, lässt sich aufgrund des unterschiedlichen inhaltlichen Charakters der Codices nicht belegen. Die beiden Sakramentare etwa lassen eine wesentlich feierlichere Schriftgestaltung erkennen; die Buchstaben – insbesondere im Tyniec-­Sakramentar – sind deutlich weiter und mit breiterer Feder geschrieben als im Lyskirchen-­Evangeliar.20 Die Buchstaben g und q zeigen zwar Anklänge an die Lyskirchener Haupthand, sind aber keineswegs identisch ausgeprägt. So ist schwer zu sagen, ob sich diese Varianten noch innerhalb der Bandbreite einer (einzigen) Schrift bewegen oder doch schon auf unterschiedliche Schreiber hinweisen. Für die weitere Argumentation spielt jedoch das Abdinghof-­Evangeliar in Berlin eine wichtige Rolle. Beate Braun-­Niehr und Klaus Gereon Beuckers konnten das Evangeliar anhand der Übernahme einer ungewöhnlichen Formulierung aus der Weiheurkunde von St. Severin in Köln aus dem Jahre 1043 in den Comes der Handschrift auf die Zeit bald nach 1043 datieren.21 Darüber hinaus stellten sie unter kunsthistorischen Aspekten einen engen zeitlichen Zusammenhang der Handschriften der Strengen Gruppe mit jenen der vorangehenden Reichen Gruppe (Beginn etwa 1033 mit dem Evangeliar aus St. Maria ad Gradus zu Köln) fest.22 Zuvor hatte schon Hoffmann für eine Datierung des Abdinghof-­ Evangeliars in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts plädiert: Seiner Meinung nach lassen sich darin mehrere Schreiber identifizieren, die als Vertreter des Kölner Vertikalstils vom Anfang des 11. Jahrhunderts gelten; sie sind beeinflusst von der Kölner Hand K der um 1010/20 entstandenen Sedulius-­Scottus-­Handschrift Bamberg, Staatsbibliothek, Bibl. 146.23 Geht 19 Vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 188 f. 20 Vgl. meinen Beitrag im Kieler Tagungsband hierzu: Horst 2018 (wie Anm. 6), S. 99 f. 21 Vgl. Beate Braun-­Niehr: Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett. Beobachtungen und Fragen zu seiner Geschichte, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 2), S. 114 – 140, hier S. 133 – 137. – Klaus Gereon Beuckers: Das Kölner Sakramentar in Polen. Zur Einleitung, in: Beuckers/ Bihrer 2018 (wie Anm. 2), S. 13 – 26, hier S. 22 f. 22 Vgl. Beuckers 2018 (wie Anm. 4), S. 125. 23 Vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 188 sowie Hartmut Hoffmann: Bamberger Handschriften des 10. und des 11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 39), Hannover 1995, S. 119.

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man hier von einem wenige Jahrzehnte umfassenden Schulzusammenhang aus, unterstützt dies die Datierung von Braun-­Niehr und Beuckers; die weiteren enthaltenen Hände können folglich nicht wesentlich jünger sein. Zu diesen Händen gehört aber unbedingt die Schreiberhand E des Lyskirchen-­Evangeliars – die Abbildungen von Hand E und der Abdinghofer Hand A in Hoffmanns Beitrag sprechen unzweifelhaft für ihre Identität.24 Der Kölner Lyskirchen-­Codex muss damit paläographisch in großer zeitlicher Nähe zum Berliner Abdinghof-­Evangeliar stehen, was sich auch kunsthistorisch stützen lässt. Somit sprechen mehrere Argumente dafür, dass die wesentlichen Textteile des Lyskirchen-­Evangeliars in den Jahren vor oder um 1050 geschrieben wurden.

24 Vgl. Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), Abb. 81 und 83. Ein Digitalisat der Berliner Handschrift steht noch nicht zur Verfügung.

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Ulrich Kuder

Das 1870 verbrannte Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts

In der Nacht vom 24. auf den 25. August 1870 brannten die Stadtbibliothek Straßburg und die Bibliothek des protestantischen Seminars völlig nieder,1 dabei auch ein Kölner Evangeliar, dessen Ausstattung Verbindungen zum Lyskirchen-­Evangeliar aufwies. Die beiden Bibliotheken waren im selben Gebäude, dem Temple-­Neuf des ehemaligen Dominikanerklosters, untergebracht. Im Bewusstsein der Straßburger bildeten sie eine einzige Bibliothek.2 Mit ihren Truppen vor Straßburg angekommen, hatten der preußische Generallieutenant August von Werder 3 und die anderen Stabschefs die Stadt am 15. und am 18./19. August beschießen lassen. Am 21. traf Helmuth von Moltkes Befehl ein, den Angriff zu beschleunigen 4, was als Autorisation für eine verheerende Bombardierung galt,5 die, jeweils tagsüber unterbrochen, vom 23. abends bis zum 27. August morgens durchgeführt wurde.6 In rechtfertigender Intention erklärte Theodor Fontane drei Jahre danach, dass die Beschießungen „sämmtlich den Zweck verfolgten, eine Pression zu üben und mit Hülfe der 1

Zum Bombardement und zum Brand der Bibliothek vgl. Rodolphe Reuss: Les bibliothèques publiques de Strasbourg incendiées dans la nuit du 24 août 1870, Paris 1871. – Theodor Fontane: Der Krieg gegen Frankreich 1870 – 1871, Bd. 1: Der Krieg gegen das Kaiserreich, Halbbd. 2: Von Gravelotte bis zur Kapitulation von Metz (19. August bis 27. October 1870), Berlin 1873, S. 654 – 656. – Justus Scheibert: Der Krieg ­zwischen Frankreich und Deutschland in den Jahren 1870/71 (Die Deutschen Kriege von 1864, 1866, 1870/71 in wohlfeiler Bearbeitung nach den Großen Generalstabswerken, Bd. 2), Berlin 1894, S. 292. – Ralf Bernd Herden: Straßburg. Belagerung 1870 (Diskussionspapiere der Fachhochschule Kehl 2006/17), Bad Rippoldsau-­Schapbach 2006 (zum Brand der Bibliothek S. 90 f.). – Carl Bleibtreu: Belagerung von Strassburg. 15. August bis zum 28. September 1870, Bad Langensalza 2009 (OA 1910). – Pierre Jacob: 1870. L’incendie des Dominicains: à qui la faute?, in : acpasso.free. fr/­Chroniques/Dominicains/L’incendie des Dominicains.pdf (20. März 2019). – Zum vergeblichen Versuch des Bibliothekars Guillaume Auguste Saum, die Cimelien zu retten, vgl. Jean Rott: Sources et grandes lignes de l’histoire des bibliothèques publiques de Strasbourg détruites en 1870, in: Cahiers Alsaciens d’Archéologie d’Art et d’Histoire 15 (1971), S. 145 – 180, hier S. 165. 2 Vgl. Rott 1971 (wie Anm. 1), S. 150. 3 Herden 2006 (wie Anm. 1), S. 54, Anm. 164 verwechselt August von Werder (1808 – 1887) mit Bernhard von Werder (1823 – 1907). 4 Vgl. Scheibert 1894 (wie Anm. 1), S. 292: „da General v. Moltke die Beschleunigung des Angriffes befahl, [wurde] die Stadt mit den Feldbatterien und vorhandenen schweren Geschützen bombardiert, und zwar vom 23. Abends bis 27. Morgens.“ 5 Vgl. Jacob 2018 (wie Anm. 1), bei Anm. 12. 6 Vgl. Fontane 1873 (wie Anm. 1), S. 647 – 651.

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 109

Einschüchterung auf kurzem Wege das zu erreichen, wozu eine Belagerung nur auf langem Wege führen konnte.“ 7 In voller Absicht jedenfalls war in die Stadt und auf das weithin sichtbare Bibliotheksgebäude gefeuert worden, um durch den Druck auf die Zivilbevölke­rung deren Verteidiger zur Aufgabe zu bewegen.8 Dieser Plan scheiterte. Als nach der schweren Beschießung, die am 24./25. August den Temple-­Neuf in Rauch aufgehen ließ, Straßburgs Garnisonskommandant Jean-­Jacques Alexis Uhrich die Übergabe der Stadt ablehnte, entschloss sich – nach deutscher Darstellung – der preußische Generalstab zur eigentlichen bzw. förmlichen Belagerung,9 die am 27. September mit der Kapitulation Straßburgs und drei Tage später mit dem Einzug General von Werders „in die kurz vorher von den deutschen Truppen besetzte Stadt“ 10 beendet wurde. Die wertvollen Handschriften und Bücher der Bibliotheken in Sicherheit zu bringen, war keine Vorsorge getroffen worden, da – so der Historiker Rodolphe Reuss, ein ständiger Benutzer dieser Bibliotheken – in Straßburg niemand die Deutschen eines solch brutalen Angriffs auf Geist und Kultur für fähig gehalten hatte.11 Es ist hier nicht der Ort, die zahlreichen Handschriftenverluste aufzulisten, die dieser Bibliotheksbrand verursachte. Damals verbrannten unter anderem der Diognetbrief, eine griechische frühchristliche Apologie, die glücklicherweise zuvor abgeschrieben und gedruckt worden war,12 und der Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg. Beide Handschriften 7 Fontane 1873 (wie Anm. 1), S. 642. 8 Vgl. Jacob 2018 (wie Anm. 1), bei Anm. 11: „La tactique du général Werder, consistait à bombarder la ville pour obtenir que la population fasse pression sur les autorités civiles et militaires dans le sens de la capitulation.“ – Reuss 1871 (wie Anm. 1), S. 17 – 19 (über das Bibliotheksgebäude): „Après la cathédrale c’était de beaucoup la construction la plus élévée de notre cité. […] Les Allemands qui nous assiégeaient avaient les plans les plus détaillés de la ville, et d’admirables artilleurs, à l’habileté desquels nous rendions justice tout en nous sentant impuissants contre leurs attaques. […] il n’y a point moyen de nier que la destruction de la bibliothèque ait été chose préméditée“. – Dass die Vernichtung der Bibliothek durch eine verirrte ­Granate, somit unbeabsichtigt ausgelöst worden wäre, ist unwahrscheinlich. Jacob 2018 (wie Anm. 1), bei Anm. 17 hingegen meint: „il suffisait d’un obus égaré pour enflammer la gigantesque réserve de combustible que constituait la bibliothèque.“ 9 Fontane 1873 (wie Anm. 1) spricht von eigentlicher (S. 642, 660) oder regelrechter (S. 662), Scheibert 1894 (wie Anm. 1), S. 292 von förmlicher Belagerung. 10 Scheibert 1894 (wie Anm. 1), S. 294. 11 Reuss 1871 (wie Anm. 1), S. 20 f.: „A-t-­on fait tout ce qu’on pouvait pour sauver les bibliothèques aujourd’hui perdues? Non, malheureusement: […] On laissa tout en place, pas un seul manuscrit ne quitta les rayons et chacun s’abandonnait à ce sujet à la plus trompeuse sécurité! Personne, je dois le dire, personne n’aurait cru possible qu’en plein dix-­neuvième siècle une nation qui prétend marcher à la tête de la civilisation, qu’un souverain chrétien donneraient l’ordre de réduire en cendres des temples et des églises, et j’aurais, tout le premier, accusé de calomnie celui qui aurait osé soutenir devant moi une opinion contraire.“ – Vgl. Carl Hegel: Vorwort, in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Straßburg, 2. Bd. (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Bd. 9), Leipzig 1871, S. V–VII, hier S. VI. 12 Justini philosophi et martyris Epistula ad Diognetum et Oratio ad Graecos, hg. v. Henricus Stephanus (Henri Estienne), Paris 1592.

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gehörten zum Bestand der Stadtbibliothek,13 das Kölner Evangeliar jedoch zu dem der Biblio­ thek des protestantischen Seminars, die vor der Auflösung der Universität Straßburg durch Napoleon im Jahre 1808 Universitätsbibliothek gewesen war.14 Die Signatur dieser Hand­ ’Estang schrift C.II.22 ist durch die Pausen von Jean François Auguste Comte de Bastard d (1792 – 1883)15 bezeugt (Abb. 34 – 38). Mit dieser Signatur und der Angabe „Evangelia. s(aec). X“ war sie im Catalogus Codicum manuscriptorum universitatis Argentinensis verzeichnet,16 den der bibliothecarius inferior Jean-­Jacques Schatz im Jahre 1748 abgefasst hatte.17 Gegen Ende der 1830er und zu Anfang der 1840er Jahre waren der Hortus deliciarum und das Evangeliar, wohl gemeinsam, mindestens zehn Jahre lang nach Paris an Bastard d’Estang ausgeliehen gewesen.18 Diesem ließen seine Verpflichtungen als Offizier einen Freiraum, in dem er sich mediävistischen Studien und Publikationen widmen konnte, ehe er im Juni 1849 13 Der Diognetbrief kam über das Kloster Maursmünster ­zwischen 1793 und 1795 in die Stadtbibliothek Straßburg; Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet, hg. von Klaus Wengst (Schriften des Urchristentums, Bd. 2), Darmstadt 1984, S. 285. – Der Hortus deliciarum wurde am 25. August 1803 der Stadt Straßburg übergeben und im Chor des Temple-­Neuf deponiert. Zu den wissenschaftlichen Bemühungen um den Hortus deliciarum vor seinem Ende beim Brand der Bibliothek, zu dem Publikationsprojekt Auguste de Bastards und zu der Ausleihe des Hortus deliciarum nach Paris vgl. Christine Bischoff: L’Histoire, in: Herrad of Hohenbourg. Hortus deliciarum. Commentary, bearb. v. Rosalie Green, London 1979, S. 9 – 15, hier S. 14 f. 14 Vgl. Art. Straßburg i. E., Bibliotheken. 4. Bibliothek der protestantischen Akademie, in: Lexikon des gesamten Buchwesens Bd. 3, Leipzig 1937, S. 345 (Willi Göber). – Rott 1971 (wie Anm. 1), S. 145 f. 15 Vgl. Art. Bastard (Œuvre paléographique du Comte de), in: Dictionnaire d’Archéologie Chrétienne et de Liturgie 2,1 (1910), Sp. 614 – 615 (Henri Leclercq). – Art. 10. Bastard d’Estang, in: Dictionnaire de Biographie Française 5 (1951), Sp. 777 – 778 (Émile André Franceschini). – Jocelyn Bouquillard: Le Comte Auguste de Bastard (1792 – 1883). Archéologue et imprimeur lithographique, in: Positions des thèses soutenues par les élèves de la promotion de 1995, hg. v. École nationale des chartes, Paris 1995, S. 27 – 36. – Jocelyn Bouquillard: Les Peintures et ornements des manuscrits du comte de Bastard. Histoire d’une entreprise de reproductions lithographiques d’enluminures sous la Monarchie de Juillet, in: Bulletin du bibliophile 1 (1996), S. 108 – 150. – Jocelyn Bouquillard: Les fac-­similés d’enluminures à l’époque romantique, in: Nouvelles de l’estampe 160/161 (1998), S. 6 – 17. – Jocelyn Bouquillard: Mérimée et la sauvegarde des fresques de Saint-­Savin: une lettre inédite de Prosper Mérimée au Comte Auguste de Bastard, in: Études d’histoire de l’art offertes à Jacques Thirion des premiers temps chrétiens au XXe siècle, hg. v. Alain Erlande-­Brandenburg u. Jean-­Michel Leniaud (Matériaux pour l’histoire publiés par l’École des chartes, Bd. 3), Paris 2001, S. 221 – 250. – Nicht konsultiert habe ich die nur in der Bibliothèque nationale de France zugängliche Arbeit von Jocelyn Bouquillard: Le Comte Auguste de Bastard (1792 – 1883), archéologue et imprimeur-­lithographe, thèse de l’École des chartes, Paris 1995, 6 Bde., 1105 S., 85 Tafeln. 16 Georg Heinrich Pertz: Handschriften der Universitätsbibliothek zu Straßburg. Alte Universitätsbibliothek, in: Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 8 (1843), S. 461 – 463, hier S. 461 und Anm. 1. 17 ‚Liste des bibliothécaires et de leurs principaux adjoints‘ bei Rott 1971 (wie Anm. 1), S. 166. 18 Vgl. Léopold Delisle: Les Collections de Bastard d’Estang à la Bibliothèque nationale. Catalogue analytique, Nogent-­le-­Rotrou 1885, S. X (über den Hortus deliciarum): „M. Le comte de Bastard d­ ’Estang […] l’avait gardé pendant plus de dix ans dans son cabinet à Paris“. Diese Publikation enthält auch eine „Liste des manuscrits employés par M. le Comte de Bastard pour ses travaux sur les peintures et ornements

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Abb. 34: Straßburger Evangeliar, Pause im Département des estampes, Bibliothèque nationale de France Paris, Ad 152 f, pag. 336 (No. 716): Kanontafel von Canon I.

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Abb. 35: Straßburger Evangeliar, Pause im Département des estampes, Bibliothèque nationale de France Paris, Ad 152 f, pag. 340 (No. 723): Rahmen einer Textzierseite.

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Abb. 36: Straßburger Evangeliar, Pause im Département des estampes, Bibliothèque nationale de France Paris, Ad 152 f, pag. 333 (No. 705): Evangelist Markus.

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Abb. 37: Straßburger Evangeliar, Pause im Département des estampes, Bibliothèque nationale de France Paris, Ad 152 f, pag. 341 (No. 724): Verkündigung an Zacharias.

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Abb. 38: Straßburger Evangeliar, Pause im Département des estampes, Bibliothèque nationale de France Paris, Ad 152 f, pag. 325 (No. 688): Incipit des Argumentum des Evangeliums nach Lukas.

endgültig demissionierte.19 Mit „Peintures et Ornements des manuscrits, classés dans une ordre chronologique, pour servir à l’histoire des arts du dessin, depuis le IVe siècle de l’ère chrétienne jusqu’à la fin du XVIe“ nahm er das umfangreichste und ehrgeizigste Projekt des 19. Jahrhunderts, Miniaturen aus mittelalterlichen Handschriften lithographisch zu reproduzieren und zu publizieren, in Angriff. Sein Werk steht im Kontext jener Wiederentdeckung des Mittelalters, die sich auch in der Literatur, den Bildkünsten und der Architektur manifestierte. Wie Ludovic Vitet, Prosper Mérimée, Victor Hugo,20 Eugène Emmanuel Viollet-­ le-­Duc und andere setzte er sich in- und außerhalb des Comité historique des monuments et des arts, dessen Mitglied er von 1837 bis 1857 war,21 für die Rettung mittelalterlicher Baudenkmäler vor dem Verfall ein. Doch nicht nur die Restaurierung, die Dokumentation und die Publikation mittelalterlicher Bauten,22 auch die Erfassung und Veröffentlichung der des manuscrits“ (S. 328 – 336). Unter „Strasbourg (Bibliothèque de)“ sind nur die Collection canonique de Rachion und der Hortus deliciarum aufgeführt (S. 335 f.). 19 Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 28. – Nach Franceschini 1951 (wie Anm. 15), Sp. 777 hatte Bastard bereits 1830 seine Demission genommen, um sich historischen Arbeiten zu widmen. 20 Zum denkmalpflegerischen Engagement Victor Hugos vgl. Bouquillard 2001 (wie Anm. 15), S. 244, Anm. 114. 21 Das Komitee war am 18. Dezember 1837 von dem Minister des öffentlichen Unterrichts François Guizot einberufen worden. Vgl. Bouquillard 1998 (wie Anm. 15), S. 10. – Bouquillard 2001 (wie Anm. 15), S. 225. 22 Exemplarisch wird der Zusammenhang von Restaurierung, Dokumentation und Publikation an den Bemühungen um die Wandmalereien der Klosterkirche von Saint-­Savin-­sur-­Gartempe deutlich, die Prosper Mérimée 1835 in verwahrlostem Zustand entdeckte und die er als Tafelwerk von

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Buchmalerei des Mittelalters wurden als Aufgaben wahrgenommen. Zwar waren auch schon früher archäologische Studien und Reiseberichte mit Lithographien illustriert gewesen.23 Bastard d’Estang jedoch ließ jede einzelne Tafel von Hand kolorieren, um veritable Faksimiles zu bekommen.24 Sein Werk sollte die gesamte Geschichte der Malerei des Mittelalters vergegenwärtigen.25 Aufgrund seines (seit 1823 durch das seiner Ehefrau Angelica Cruger vermehrten) Vermögens 26 war er in der Lage, zu ­diesem Zweck in seinem Pariser Stadthaus in der Rue Saint-­Dominique Lithographiewerkstätten einzurichten.27 Sein Projekt wurde in großem Umfang staatlich gefördert, vor allem zur Zeit der Julimonarchie (1830 – 48). Die Ministerien des Innern und des öffentlichen Unterrichts schütteten in einem Zeitraum von fünfzig Jahren fast eine Million Francs an ihn aus.28 Die Herstellungskosten für eine einzige kolorierte Tafel beliefen sich auf einhundert Francs.29 In den Jahren 1839 bis 1845 unternahm er Reisen nach Bayern, Preußen, Dänemark, in die Niederlande, nach England, Russland, Österreich, die Schweiz und Italien, um Handschriften zu konsultieren, vor allem aber, um durch persönliche Vorsprache an königlichen und kaiserlichen Höfen auch ausländische Herrscher zur Subskription seines Werks zu bewegen.30 Nur ein Bruchteil des geplanten Tafelwerks konnte 1835 bis 1869 in zwanzig Lieferungen veröffentlicht werden. In der Folge einer turbulenten Sitzung der Chambre des députés war 1847 das System staatlicher Unterstützung seines Werks durch Subskriptionen zusammengebrochen. Erst 1869 wurde eine neue Subskription für 75 Tafeln, allerdings nur in Schwarz-­Weiß, vereinbart.31 Bei Bastards Tod (1883) waren davon 24 Exemplare vollendet.32 Sein Kommentar zu den Tafeln war bei einem Brand in seinen Werkstätten während des Juniaufstandes 1848 zugrunde gegangen,33 Chromolithographien 1844 bis 1849 in vier Lieferungen unter dem Titel Peintures de Saint-­Savin herausgab. Vgl. Bouquillard 2001 (wie Anm. 15), S. 237 f. u. 246. – Mérimée und Bastard hatten sich gemeinsam dafür eingesetzt, die Wandmalereien von der darüberliegenden Putzmörtelschicht zu befreien. Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 29. 23 Zum Beispiel Charles Nodier u. a.: Voyages pittoresques et romantiques dans l’ancienne France, Vol. 1.7, Paris 1820 – 1834 mit fast 4000 Lithographien von mittelalterlichen ­Kirchen und Ruinen. 24 Vgl. Bouquillard 1996 (wie Anm. 15), S. 111. – Die 1836 durch Godefroy Engelmann perfektionierte Chromolithographie wurde von Bastard als unzulänglich beurteilt. Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 32. – Bouquillard 1998 (wie Anm. 15), S. 12. 25 Vgl. Bouquillard 1996 (wie Anm. 15), S. 111. 26 Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 28. 27 Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 32. 28 Vgl. Bouquillard 1996 (wie Anm. 15), S. 110 Anm. 3. – Le ‚Gothique‘ retrouvé avant Viollet-­le-­Duc. Ausst. Kat. Hôtel de Sully Paris, hg. Caisse nationale des monuments historiques et des sites, Paris 1979, S. 104, Kat. Nr. 238 (François Avril). 29 Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 32. 30 Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 33. 31 Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 33. 32 Vgl. Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 34. 33 Vgl. Bouquillard 1998 (wie Anm. 15), S. 10 Anm. 15.

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so dass den Reproduktionen der erklärende Text fehlt.34 Bastards Mitarbeiter 35 aber, die sich größter Genauigkeit befleißigten, hatten viele Miniaturen, Zierseiten und Initialen aus zahlreichen mittelalterlichen illuminierten Handschriften durchgepaust. Im Herstellungsprozess der Peintures et Ornements des manuscrits war diesen Pausen eine wichtige Rolle als Vorlagen für die Lithographien zugekommen. Sie sind im Besitz der Bibliothèque nationale de France und werden dort im Département des estampes et de la photographie in 41 Klebebänden unter den Signaturen Ad 150 bis Ad 153 aufbewahrt.36

* In dem Band Comte Auguste de Bastard: Matériaux d’Archéologie rangés selon l’ordre géographique et chronologique, Tome VII: Allemagne du VIIIe siècle au commencement du XIIe, Paris 1834 – 48 (Signatur: Ad 152 f ) sind fünf nach dem in Straßburg verbrannten Kölner Evangeliar angefertigte Pausen eingeklebt: pag. 325 (No. 688): Incipit des Argumentum des Evangeliums nach Lukas (Größe des Pauspapiers: 9,4 × 19,7 cm; Höhe der L-Initiale vom herzförmigen Blatt oben bis zu dem Blatt ganz unten: 9 cm; Abb. 38);37 pag. 333 (No. 705): Evangelist Markus (Größe, jeweils ohne die Blattmotive an den Ecken: 21,5 × 15,8 cm; Abb. 36);38 pag. 336 (No. 716): Kanontafel von Kanon I (Größe: 21,6 × 15,6 cm; Abb. 34);39 pag. 340 (No. 723): Rahmen für eine Textzierseite (Größe: 21,8 × 15,7 cm; Abb. 35);40 pag. 341 (No. 724): Verkündigung an Zacharias (Größe: 21,6 × 15,4 cm; Abb. 37).41 Weitere in den Umkreis des Straßburger Evangeliars gehörende Pausen finden sich im selben Klebeband nicht weit entfernt, zum Beispiel No. 690 eine Pause nach der Majestas Domini auf dem Verso des in Trier, Stadtbibliothek Cod. 23 als fol. 22 eingebundenen Einzelblatts (Trier, 1. Viertel 11. Jh.),42 beschriftet: Bibl. du Dôme de Trèves. Évangiles

34 Leclercq 1910 (wie Anm. 15), Sp. 615: „recueil demeuré privé du texte explicatif indispensable“. 35 Nach einem Bericht an das Ministerium des öffentlichen Unterrichts waren es 1838 siebzig Mitarbeiter; vgl. Bischoff 1979 (wie Anm. 13), S. 15 Anm. 64. Bei Bouquillard 1995 (wie Anm. 15), S. 32 ist von etwa dreißig beteiligten Künstlern die Rede. 36 Vgl. Bouquillard 1996 (wie Anm. 15), S. 111 Anm. 4. Nicht mitgezählt sind die Pausen nach Miniaturen des Hortus deliciarum. 37 Vgl. Ulrich Kuder: Eine weitere Pause nach dem in Straßburg verbrannten Kölner ottonischen Evangeliar, in: Kunstchronik 28 (1985), S. 381 – 383, Abb. 1. 38 Vgl. Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70, Bd. 2, Abb. 42. – Zu den im Folgenden erwähnten Kölner Handschriften ist ­dieses grundlegende Werk zu konsultieren. Zum Mariengraden-­Evangeliar vgl. außerdem Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018. 39 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, Abb. 40. 40 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, Abb. 41. 41 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, Abb. 43. 42 Zu dieser Miniatur vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 87.

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d­ ’Alcuin XIe siècle, ferner Nos. 680 – 683 vier Pausen von Miniaturen des Kölner Evangeliars Staatsbibliothek Bamberg Msc. Bibl. 94. Durch die Pausen ist eine kümmerliche Spur überliefert, die nur auf einen Bruchteil der Handschrift Hinweise enthält. Pausen geben nie die Feinheit des Originals wieder, sie vergröbern, vereinfachen, lassen vieles weg. Dies ist beim Versuch, eine Vorstellung von der verbrannten Handschrift zu gewinnen, in Rechnung zu stellen. Anders als in den Pausen wiedergegeben, war in der Handschrift selbst der Rapport der Ornamente in den einzelnen Streifen vollständig, nicht nur ansatzweise ausgeführt. Die Pausen tragen sämtlich den Vermerk: „Bibl(iothèque) de Strasbourg. Evangiles“ und die Signatur C.II,22. Unter dem Evangelisten Markus (Abb. 36) steht außerdem in Klammern: „Communiqué par Mr Jung“. Gemeint ist André Jung (1793 – 1863), der seit 1826 bibliothécaire-­adjoint und nach Jean-­Louis-­Alexandre Herrenschneiders Tod am 29. Januar 1843 bis zu seinem Lebensende Bibliothekar beider Bibliotheken war, der „städtischen und derjenigen des protestantischen Seminariums“.43 Die Notiz besagt, das Evangeliar sei durch Jungs Vermittlung in Bastards Werkstatt gekommen, nicht etwa, Jung habe die fünf Pausen (bzw. die des Markus) gefertigt und an Bastard übergeben. Die Kanontafel (Abb. 34), die Seite mit dem Rahmen (Abb. 35), das Markusbild (Abb. 36) und die Verkündigung an Zacharias (Abb. 37) sind, mit minimalen Abweichungen, von gleicher Größe. Dass die ihnen zugrundeliegenden Originale nach einem einheitlichen Konzept gestaltet waren, wird durch die Randung belegt, die alle vier Schmuckseiten gleichermaßen aufweisen. Das Markusbild und das der Verkündigung an Zacharias entsprechen denen des Lyskirchen-­Evangeliars fol. 73r und 114r, wobei sich die des letzteren unter stilgeschichtlichem Aspekt (Gesichtstypen, Architektur, Ornamentierung der Rahmen und der Gewandsäume, Kelch-­Typus des von Zacharias geschwungenen Weihrauchfasses) gegenüber denen des Straßburger Evangeliars als frühromanisch zu erkennen geben. Der von einer Textzierseite durchgepauste Rahmen (Abb. 35) hat im Lyskirchen-­Evangeliar, insbesondere im Hinblick auf die Schulterstücke in den Medaillons, ein Pendant in der Initiumseite des Matthäusevangeliums fol. 20v,44 und auch die Kanontafel (Abb. 34) weist, unter anderem mit dem Dreiecksgiebel und dem Architrav, der die Inschrift can i in qvo qvattvor trägt und der die Randung ganz überschneidet, deutliche Parallelen zu den Kanontafeln des Lyskirchen-­Evangeliars auf. Deren Kuppeln und Türmchen links 43 Vgl. Julius Rathgeber: Die handschriftlichen Schätze der früheren Straßburger Stadtbibliothek, Gütersloh 1876, S. 180. – Rott 1971 (wie Anm. 1), S. 168. – Charles Schmidt: Discours prononcé le 7 janvier 1864 dans la Grande Salle des Cours du Séminaire Protestant pour rendre les derniers honneurs académiques à M. André Jung, Strasbourg 1864. 44 Der Rahmen der der Pause zugrundeliegenden Textzierseite entspricht dem der Matthäus-­Initiumseite des Lyskirchen-­Evangeliars fol. 20v, nicht etwa, wie Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 25 meinen, dem von dessen Liber Generationis-­Seite fol. 21r. Dies ergibt sich aus der Kopfneigung und Blickrichtung der vier Köpfe in den Medaillons.

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und rechts oben sind frühromanische Zutaten. Bei der elften Kanontafel (fol. 18v) wurde versäumt, sie beizufügen. Der Beginn des Argumentum zum Lukasevangelium (Abb. 38) weist hingegen keinerlei Ähnlichkeit mit dem Beginn des entsprechenden Argumentum auf fol. 104v des Lyskirchen-­Evangeliars auf. Bastard unterscheidet die Pausen Nr. 716, 723, 705 und 724 (Abb. 34 – 37), also die der Kanontafel, der Textzierseite, des Markus und der Zachariasverkündigung, von der Pause Nr. 688 (Abb. 38), dem Beginn des Argumentum zum Lukasevangelium. Auf den erstgenannten vier Pausen steht: „XIe au XIIe s(iècle)“, auf Nr. 688 aber finden sich Präzisierungen, rechts oben: „XIe siècle (Commence(me)nt, et Fin = / = quant aux peintures)“ sowie unten – und diese Zeile ist auf den fünf Pausen die einzige von Bastard eindeutig eigenhändig geschriebene:45 „(Les peintures ajoutées postérieusement au manuscrit, sont données aux folios 333, 336, 340 et 341.)“. Bastard war demnach aufgrund von Indizien, die er nicht mitteilt, die er aber vielleicht in seinem – leider verbrannten – Kommentar notiert hatte, der Meinung, bestimmte Bild- und Zierseiten ­seien erst nachträglich in die Handschrift gekommen, ­nämlich die Kanontafel von Kanon I (Abb. 34) – aber wohl nicht nur diese erste Kanontafel, sondern, wie vermutet werden darf, alle zwölf –, ferner mindestens eine Textzierseite mit breitem Rahmen, auf dem vier quadratisch gerahmte Rundmedaillons mit Schulterstücken verteilt sind (Abb. 35), das Bild des Evangelisten Markus (Abb. 36) – und wohl auch die drei anderen Evangelistenbilder – sowie das Bild der Verkündigung an Zacharias (Abb. 37), das auf den Beginn des Lukasevangeliums bezogen ist, der nach einem ­kurzen Prolog (Lk 1,1 – 4) mit dem Bericht von der Verkündigung an Zacharias (Lk 1,5 – 19) einsetzt. Ob bereits das Straßburger Evangeliar jeweils auf den Beginn auch der drei anderen Evangelien bezogene Miniaturen aufwies, wie sie im Lyskirchen-­Evangeliar mit der mitten in den Satz von Mt 1,2 ­zwischen Abraham und genuit eingeschobenen Madonna H ­ odegetria (fol. 22r), mit Johannes dem Täufer (fol. 72r) vor dem Markus- und der Kreuzigung (fol. 173r) vor dem Johannesevangelium vorliegen, und ob auch diese, wie die Zachariasverkündigung, dem Evangeliar nachträglich eingefügt worden sein könnten, ist ebenso zu fragen wie, ob nicht auch schon das Straßburger Evangeliar (nachträglich hinzugekommene) Bilder der Majestas Domini – wie im Lyskirchen-­Evangeliar fol. 11v – und des Hieronymus – wie dort fol. 12v – enthalten haben könnte. Die auf der Pause mit dem Beginn des Argumentum secundum Lucam (Abb. 38) verzeichnete Datierung des Straßburger Evangeliars auf den Anfang sowie das Ende des 11. Jahrhunderts muss in Frage gestellt werden. Hingegen sollte Bastards Feststellung, bestimmte Malereien s­ eien der Handschrift nachträglich hinzugefügt worden, ernst genommen werden. 45 Ein Beispiel seiner Handschrift findet sich unten auf Pause Nr. 700, die nach dem Lukasbild des Evangeliars der Bibliothek Metz ms. B I angefertigt wurde: „Si l’on avait eu l’attention de lire la note ci-­dessus, on n’aurait pas passé à l’encre le compagnon de l’évangéliste. Auguste de B(astard) 2 février 1874.“ Der Lukasstier wird hier als le „compagnon de l’évangéliste“ bezeichnet.

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Der Unterschied ­zwischen dem Grundbestand der Handschrift und dem später Hinzugekommenen, vielleicht auf Einzel- oder Doppelblättern Eingehefteten dürfte ihm aufgrund seiner Erfahrung mit mittelalterlichen Handschriften in die Augen gesprungen sein. Er mag einen Befund kodikologischer oder paläographischer Natur, eine Verschiedenheit der Farbigkeit oder des Stils festgestellt haben – wir wissen es nicht. Seine Notiz besagt allerdings nichts über die Größe des zeitlichen Abstands ­zwischen der Anlage der Handschrift und ihrer späteren Ausstattung.

* Das Anspruchsniveau des Straßburger Evangeliars war nicht geringer als das anderer Kölner Prachthandschriften. Davon zeugen seine Größe, seine Farbgestaltung, der Reichtum und die Originalität seiner Ornamentik. Seine durch die Pausen überlieferten Bildspiegel sowie die Rahmen der Kanontafel und der Textzierseite maßen 21,5 – 21,8 × 15,4 – 15,8 cm.46 Damit war das Straßburger Evangeliar etwa so groß wie die anderen Kölner Handschriften einschließlich der Sakramentare aus Tyniec (Warschau, Biblioteka Narodowa BOZ 8: 21,5 – 22,9 × 17 – 18,5 cm) und aus Mönchengladbach (Freiburg im Breisgau, Universitäts­ bibliothek Cod. 360a: 21,5 – 22,9 × 17 – 18,5 cm). Die Evangeliare aus St. Gereon (Historisches Archiv der Stadt Köln Cod. W. 312: 20,2 – 22 × 14,2 – 16,5 cm), aus St-­Gérard de Brogne (Namur, Biblio­thèque du Séminaire ms. Sem. 43 (13): 21,5 – 22,8 × 14,6 – 15,7 cm), aus Mariengraden (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Cod. 1001a: 20 – 22,1 × 13,6 – 15,8 cm) und in New York (Pierpont Morgan Library M. 651: 21 – 22,4 × 13 – 14,3 cm) sind mit dem Straßburger Evangeliar geringfügig größer als das Lyskirchen-­Evangeliar (19,8 – 21,3 × 13,8 – 15,8 cm). Dies zeigt sich deutlich beim Größenvergleich der Markusbilder (Straßburg: 21,5 × 15,8 cm; Lyskirchen: 20,8 × 14,5) und der Bilder der Zachariasverkündigung (Straßburg: 21,6 × 15,4; Lyskirchen: 20,1 × 13,8 cm). Der Evangelist Markus war von Goldgrund („fond d’or“) umgeben (Abb. 36), die Verkündigung an Zacharias wies in der oberen Hälfte Gold- und in der unteren Silbergrund auf (Abb. 37), die Inschrift auf dem Architrav der Kanontafel steht in Goldbuchstaben auf Purpurgrund („Ecriture en lettres d’or en fond pourpre“; Abb. 34). Die Nimben sind in Ultra­marin („outre-­mer“) gehalten (Markus und der Löwe, Zacharias und der Engel), wobei der des Zacharias einen hellblauen („bleu clair“)‚ der des Engels einen grünen („vert“) Rand hat. An weiteren Farben erscheinen Graugrünlich („gris verdâtre“), Porphyrmarmor („marbre porphyre“), Gelb („jaune“) und Gelblich („jaunâtre“), Weiß („blanc“), Karmesinrot („cramoisis“); letzteres für die Clavi auf der Dalmatik des Evangelisten Markus. An die rot umrandete, goldene L-Initiale („Le L initiale (Lucas) est d’or bordé de minium“) schließt sich rechts ein blauer Grund („fond bleu“) an (Abb. 38).

46 Hier und im Folgenden wird die Größe der Rahmen, nicht die der Seiten angegeben.

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 121

Eine Verbindung z­ wischen dem Straßburger und dem Lyskirchen-­Evangeliar lässt sich für die Ornamentik nicht erkennen.47 Gewiss liegen durch die Pausen nur für einen geringen Teil der Straßburger Ornamentik Hinweise vor, und vermutlich besaß die Handschrift an weiteren Stellen Ornamente, die vielleicht auch im Lyskirchen-­Evangeliar rezipiert wurden. Wo jedoch der direkte Vergleich entsprechender Stellen möglich ist, fällt auf, dass die Ornamente des Lyskirchen-­Evangeliars in keinem dieser Fälle denen des Straßburger Evangeliars auch nur entfernt ähnlich sind. Das Ornament im Dreiecksgiebel der Pause der Kanontafel des Straßburger Evangeliars (Abb. 34) zum Beispiel ist von dem im entsprechenden Giebel der ersten Kanontafel des Lyskirchen-­Evangeliars fol. 13v, einer grünen Folge weißgehöhter Akanthusblätter mit Zwischen­ stücken,48 vollkommen verschieden. Die Unterschiedlichkeit der Ornamente im Straßburger und im Lyskirchen-­Evangeliar spricht dafür, dass dem Maler des Lyskirchen-­Evangeliars nicht das Straßburger Evangeliar selbst vor Augen lag, sondern er vielmehr Musterblätter benutzte, auf denen nur die Figuren, die Architekturen und die Rahmen, nicht aber die Ornamente der entsprechenden Zierseiten und Bilder des Straßburger Evangeliars festgehalten waren.

* Das Ornament im Giebel der Straßburger Kanontafel ist der Folge verbundener Blätter in der ersten Kanontafel des Evangeliars Manchester (John Rylands Library Lat. 98, Trier, ­zwischen 1000 und 1002)49 fol. 10r 50 so ähnlich, dass ein Zusammenhang vermutet werden kann. Ursula Prinz kam aufgrund ihrer Studien zum Rahmenfüllwerk der ottonischen 47 Zur Ornamentik des Lyskirchen-­Evangeliars vgl. auch den Beitrag von Ursula Prinz in d ­ iesem Band. 48 Vgl. Ursula Prinz: Die Ornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei. Studien zum Rahmenfüllwerk (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen K ­ irchenund Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 71), Köln 2018, Taf. 7c und S. 29 (im Abschnitt ‚Palmetten mit staudenförmigem Zwischenstück‘). – Vgl. die Zusammenstellung des Ornamentmotivs ‚Palmetten mit Zwischenstücken: Typ 1‘ bei Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, Abb. 214 – 221. – Die von Prinz verwendete Terminologie der Ornamentik basiert teilweise auf Bloch/Schnitzler. Ich orientiere mich in Fragen der Terminologie zudem an Moritz Meurer: Vergleichende Formenlehre des Ornamentes und der Pflanze mit besonderer Berücksichtigung der Entwickelungsgeschichte der architektonischen Kunstformen, Dresden 1909. – Katharina Bierbrauer: Die Ornamentik frühkarolingischer Handschriften aus Bayern (Bayer. Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse. Abhandlungen, N. F. Bd. 84), München 1979. – Tilmann Buddensieg: Ein Fuldaer Elfenbeindiptychon in Würzburg. Ein Beitrag zur Geschichte der karolingischen Akanthusranke, in: Studien zur byzantinischen Kunstgeschichte. Festschrift für Ernst Hallensleben zum 65. Geburtstag, hg. v. Birgitt Borkopp, Barbara Schellewald und Lioba Theis, Amsterdam 1995, S. 127 – 146. – Edgar Lein: Das große Lexikon der Ornamente. Herkunft, Entwicklung, Bedeutung, Leipzig 2004. 49 Datierung nach Ulrich Kuder: Die Ottonen in der ottonischen Buchmalerei, in: Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, hg. v. Gerd Althoff u. Ernst Schubert (Vorträge und Forschungen, Bd. 46), Sigmaringen 1998, S. 137 – 235, hier S. 140 u. 154 – 156. 50 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, Abb. 210. – Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 126b.

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Kölner Buchmalerei zu dem Ergebnis, dass die Handschriften der ‚Reichen Gruppe‘51 sich der Malerei des Manchester-­Evangeliars „auf bereichernde Weise“ bedienten, dabei jedoch „an eigenen Ideen“ festhielten.52 Auch das Straßburger Evangeliar bedient sich, etwa mit dem Ornament im Dreiecksgiebel von Canon I, der Malerei des Manchester-­Evangeliars und verwirklicht doch, ineins damit, eigene Ideen. Die linke Hälfte der einzelnen Blätter jenes Ornaments ist im Manchester-­Evangeliar fol. 10r dreiteilig (inklusive der Spitze), ihre rechte zweiteilig. Im Unterschied zu dem Ornament der Kanontafel des Manchester-­ Evangeliars fol. 10r kann das der Straßburger als Folge von Profilblättern gelesen werden, deren Spitze in die Frontal­stellung gewendet ist. Die Möglichkeit, den unteren Teil der Blätter als Profilblätter zu verstehen, ergibt sich nicht bei vergleichbaren Ornamenten des Mariengraden-­Evangeliars fol. 2r  53 und der Evangeliare Pierpont Morgan Library New York M. 651 fol. 2r 54 und Staatsbibliothek Bamberg Msc. Bibl. 94 fol. 10r 55. Die „Kanontafeln in den Prachtevangeliaren der Kölner Handschriftenproduktion des 10./11. Jahrhunderts“ sind seit der Monographie zur Kölner Buchmalerei von Heinrich Ehl „ein Kriterium der Gruppenbildung gewesen.“ 56 Die Kanontafel des Straßburger Evangeliars entspricht dem Kölner Kombinationstypus, nämlich der „Verbindung aus dem Bogen- und Gebälktypus“.57 Da sie zudem – ebenso wie die Kanontafeln des Mariengraden-­Evangeliars und des Evangeliars in New York – eine die Arkaden und den Giebel umfassende Randung aufweist, wird das Straßburger Evangeliar der Gruppe dieser beiden Evangeliare, der ‚Reichen Gruppe‘, zugeordnet.58 Die Kanontafeln und die Miniaturen des Limburger 51 Eine Zusammenstellung dieser Handschriften bei Beuckers 2018 (wie Anm. 38), S. 37. 52 Prinz 2018 (wie Anm. 48), S. 101. 53 Das Ornament im Giebel der ersten Kanontafel des Mariengraden-­Evangeliars fol. 2r, das Prinz als Reihe zugespitzter Lanzettblätter liest (vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 48), S. 33 u. Taf. 29a), ist eine ­freiere, weniger scharf konturierte Variante des Ornaments von Manchester Lat. 98 fol. 10r. – Aufgrund einer dendrochronologischen Untersuchung aus dem Jahr 2017 kommt Beuckers 2018 (wie Anm. 38), S. 46 zu dem Schluss, dass das Mariengraden-­Evangeliar „um 1033 erstmals gebunden worden sein dürfte“. Für die Handschrift liegt deshalb die Datierung ‚um 1030/33‘ nahe, da sie wohl eher vor ihrer Bindung geschrieben und illuminiert wurde. 54 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 291. 55 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 311. 56 Klaus Gereon Beuckers: Zum Typus der Kölner Kanontafeln im 10./11.Jahrhundert und ihren Vorbildern – Am Beispiel des Evangeliars aus St. Maria ad Gradus (Diözesanbibliothek Köln Cod. 1001 a), in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. 7. Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-­Manuskripten, hg. v. Harald Horst (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen K ­ irchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 70), Köln 2018, S. 15 – 62, hier S. 20. – Vgl. Heinrich Ehl: Die ottonische Kölner Buchmalerei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der frühmittelalterlichen Kunst in Westdeutschland (Forschungen zur Kunstgeschichte Westeuropas, Bd. 4), Bonn 1922. 57 Beuckers 2018 (wie Anm. 56), S. 20. 58 Die Kanontafeln des Evangeliars Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 94, das ebenfalls der Reichen Gruppe zugezählt wird, sind ohne Randung.

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 123

Evangeliars (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Cod. 218, Reichenau, 1. Viertel 11. Jahrhundert)59 sind ebenfalls gerahmt, wobei dort jedoch die Rahmen, wie dann später bei manchen Kanontafeln und Textzierseiten des Kölner Evangeliars in New York, mit einem Muster aus langgestreckten Rauten verziert sind. Die Praxis, Kanontafeln und Miniaturen mit einem schmalen Rahmen zu umgeben, kann durch die Reichenau–Kölner Verbindungen in die Kölner Buchmalerei gelangt sein. Auch in anderen Details als der Rahmung sind verblüffende Ähnlichkeiten ­zwischen der Straßburger Kanontafel und denen der Kölner ‚Reichen Gruppe‘ zu beobachten. Das erste und das fünfte Kapitell (von links nach rechts gezählt) der Straßburger entspricht dem ersten und dem fünften Kapitell der ersten (fol. 2r) und dem zweiten und dem dritten Kapitell der vierten Kanontafel (fol. 3v) des Mariengraden-­Evangeliars, während das zweite und das vierte Kapitell der Straßburger dem zweiten und dem vierten der neunten Kanontafel des Mariengraden-­Evangeliars (fol. 6r) entspricht.60 Doch sollte nicht übersehen werden, dass sich die Säulenbasen der Straßburger Kanontafel deutlich von denen der Kanontafeln der ‚Reichen Gruppe‘ unterscheiden. Während die letzteren, von unten nach oben, aus Plinthe, Wulst, Kehle und Wulst geschichtet sind, weisen die Straßburger Basen z­ wischen diesen beiden Wülsten eine weitere Wulst auf, die sich nach oben auf die Breite der Säule verjüngt. Solche Basen erscheinen in der gesamten Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts nur noch in einer einzigen weiteren Handschrift: in den Kanontafeln des Evangeliars Mailand, Biblioteca Ambrosiana C 53 Sup. (um 985).61 Stellt man die Straßburger Kanontafel vor die Reihe der Kanontafeln der ‚Reichen Gruppe‘ oder auch innerhalb dieser Reihe an ihren Beginn, so lässt sich eine plausible Entwicklung konstruieren: Im Straßburger Evangeliar stehen die äußeren Säulen der Kanontafel frei, ohne Berührung mit dem Rahmen, im Mariengraden-­Evangeliar sind sie so sehr an die Ränder gerückt, dass die Abdeckplatten ihrer Kapitelle und die Plinthen ihrer Basen 59 Vgl. zuletzt Susanne Wittekind: Das Reichenauer Evangeliar aus Limburg an der Haardt in der Kölner Dombibliothek (Cod. 218). Kirchenpolitik und Liturgie, in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. 6. Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-­Manuskripten, hg. v. Harald Horst (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen ­Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 62), Köln 2015, S. 277 – 331. Sie postuliert „die Zugehörigkeit des Evangeliars zu einer Gruppe von liturgischen Handschriften, die Konrad II. seiner Neugründung Limburg schenkte“ (S. 299) und plädiert für eine Spätdatierung der Handschrift um 1024/25. Doch enthält das Limburger Evangeliar weder belastbare Hinweise auf eine Herstellung für das Kloster Limburg an der Hardt noch auf eine Stiftung durch Konrad II. 60 Faksimiles der Seiten des Mariengraden-­Evangeliars bei Beuckers 2018 (wie Anm. 38), hier S. 21. 61 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 51 – 55. – Datierung nach Ulrich Kuder: Der Hitda-­Codex im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Äbtissin Hitda und der Hitda-­Codex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs. 1640). Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013, S. 89 – 111, hier S. 111.

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bis in den äußersten Randstreifen hineinragen, ihn zumindest berühren. Im New Yorker Evangeliar werden die äußeren Säulen gar von den Rahmen der Kanontafeln zur Hälfte überschnitten, und schließlich wurde im Evangeliar Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 94 auf die Rahmung der Kanontafeln verzichtet.62

* Der breite Rahmen der Initiumseite des Matthäusevangeliums (Abb. 35)63 besteht aus mehreren Streifen. Die Farben des ersten, von außen nach innen gezählt, des vierten und des letzten sind nicht angegeben. Wahrscheinlich waren diese Streifen mit Farben der im Straßburger Evangeliar auch sonst üblichen Palette ausgefüllt, etwa mit Hellblau („bleu clair“), Ultramarin („outre-­mer“), Graugrün („gris verdâtre“), Gelb („jaune“). Somit lässt sich die Farbfolge der Streifen des Rahmens von außen nach innen versuchsweise wie folgt rekonstruieren (die lediglich vermuteten Farben stehen in Klammern): (Hellblau) – Grün – Silber – (Graugrün) – Purpur – Gold – Purpur – Gold – Grün – (Gelb). Vollständig ornamentiert waren nur der fünfte und der neunte Streifen. Alle vier Ecken des Rahmens haben frontal gestellte Blätter als Eckausläufer, die seitlich von zwei Kugeln bzw. Kreisen begleitet werden. Nach innen sind diese durch eine auf einem kleinen Kreis aufruhende T-Form jeweils mit einem Herzen verbunden, das die Ecke der anschließenden grünen Rahmenleiste einnimmt. Andere Ecken werden durch Dreierschlingen mit Knospen und durch frontal gestellte Blätter markiert. Kreise, Herzen und frontal gestellte Blätter sind in Kölner Handschriften des 10. und 11. Jahrhunderts verbreitet. Doch kommen dort weder Dreierschlingen mit Knospen noch T-Formen in den Ecken vor.64 Als Rahmenfüllwerk erschienen oben auf dem äußeren der beiden Purpurstreifen horizontal: verbundene geschwungene Halbfächerblätter 65, denen des Manchester-­Evangeliars fol. 1v 66 ähnlich; vertikal: zur Hälfte eingerollte Akanthusblätter mit dreiteiligen gebogenen und spitz auslaufenden Blättern als Zwischenstücken. Dieses Ornamentmotiv ist der Kölner Buchmalerei sonst nicht bekannt. Vermutlich gibt die Pause beide Motive, deren Konturen im Original wohl weiß konturiert und die mit Reihen weißer Pünktchen strukturiert waren, vereinfacht wieder. 62 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 290 – 295 (New York) u. 311 – 314 ­(Bamberg). – Beuckers 2018 (wie Anm. 38), S. 13 – 24 (Mariengraden). 63 Vgl. dazu oben Anm. 44. 64 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 25: „Knoten in den Rahmenecken“ sind „der gesamten Schule fremd“. 65 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 2, S. 74 (Nr. 10), Abb. 205 – 209, die das Ornamentmotiv unter der Überschrift ‚Dreiteilige oder vierteilige geschwungene Stauden‘ führen. In der Terminologie von Prinz 2018 (wie Anm. 48), S. 24 Taf. 1c handelt es sich um eine „Reihe geschwungener Stauden/Halbpalmettenreihe“. 66 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 126a.

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 125

Im innersten ornamentierten Streifen, in Grün, verläuft als Rahmenfüllwerk vertikal eine Blattreihe mit gegenständigen Halbfächerblättern als Zwischenstücken und unten horizontal mit ionischem Kyma. Die vertikale Reihe ist der im Everger-­Epistolar (Erzbischöf­ liche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 143) fol. 6v sehr ähnlich.67 Mit seinen eng aneinander liegenden Kreisformen steht dieser Perlstab dem im Rahmen von fol. 16v 68 des Sakramentars aus St. Gereon (Paris, Bibliothèque nationale de France ms. lat. 817; Köln, 984/985)69 näher als dem im Rahmen des Hieronymusbildes des Mariengraden-­Evangeliars fol. 8r.70 Auf der entsprechenden Seite des Lyskirchen-­Evangeliars fol. 20v beherrschen breite silberne herzförmige Eckblätter mit goldenen Knäufen die Ecken. Ansonsten wurde dort auf Rahmenfüllwerk verzichtet. Schulterstücke in quadratisch gerahmten Tondi, auf dem Rahmen kreuzförmig angeordnet, erscheinen seit den Medaillonbildnissen des Kölner Evangeliars aus St. Gereon (Historisches Archiv der Stadt Köln Cod. W. 312; Köln z­ wischen 984 und 994) fol. 22r in verschiedenen Kölner Prachthandschriften.71 In die Zwickel z­ wischen Kreis und Quadrat wurden oft, wie hier im Straßburger Evangeliar, drei Punkte gesetzt,72 so im Hitdacodex (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt Hs. 1640) fol. 25r bei den vier Tugenden 73 67 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 53b. 68 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 75c. 69 Datierung nach Kuder 2013 (wie Anm. 60), S. 93 – 95 u. 111. – Vgl. Joshua O’Driscoll: Anmerkungen zum Verhältnis von Bild und Titulus im Sakramentar aus Sankt Gereon und im Hitda-­Codex, in: Beuckers 2013 (wie Anm. 60), S. 113 – 127, hier S. 114 datiert die Handschrift zu Recht in die „Königsjahre von Otto III.“, widerspricht sich freilich selbst, wenn er sie im nächsten Satz „um 996“ ansetzt. – Obwohl im Gebet auf fol. 56v „der Name des Erzbischofs ausradiert“ (S. 114) und bewusst, nicht etwa gedankenlos durch ein goldenes N ersetzt wurde, und obwohl „eine Untersuchung mit UV-Lampe […] keine lesbaren Spuren erkennen“ ließ (S. 114, Anm. 2), kann die Datierung der Handschrift innerhalb der Königszeit Ottos III. (25. Dezember 983 – 21. Mai 996) eingegrenzt werden. Denn während dieser Zeit hatten erst Warin (amt. 976 – 21. September 985), dann Everger (amt. 985 – 999) den Kölner Erzstuhl inne. In der Handschrift muss der Name des Erzbischofs irgendwann z­ wischen dem 21. September 985 und dem 21. Mai 996 getilgt und durch ein goldenes N ersetzt worden sein. Wäre dies nämlich später geschehen, so hätte man außerdem „regi nostro OTTONE“ in „imperatori nostro OTTONE“ geändert. Evergers Namen durch ein N zu ersetzen, macht in der fraglichen Zeit, da Everger ja amtierte, keinen Sinn, also muss Warins Name getilgt worden sein. Für die Fertigstellung der Handschrift samt Eintragung des Gebets bleibt somit nur die Zeit z­ wischen der Königskrönung Ottos III. und dem Tod Warins, also das Jahr 984 und das Jahr 985 bis zum 21. September. 70 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 76c. – Faksimile der ganzen Seite bei Beuckers 2018 (wie Anm. 38), S. 25. – Zur Datierung des Mariengraden-­Evangeliars vgl. oben Anm. 53. 71 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 21. – Datierung nach Kuder 1998 (wie Anm. 49), S. 138 (Nr. 6). 72 Die Punkte wurden auf der Pause nur im oberen und im rechten Quadrat eingetragen, im Original waren sie gewiss auch im linken und im unteren. 73 Vgl. Christoph Winterer: Das Evangeliar der Äbtissin Hitda. Eine ottonische Prachthandschrift aus Köln. Miniaturen, Bilder und Zierseiten aus der Handschrift 1640 der Universitäts- und Landesbibliothek

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und im Kölner Evangeliar in New York fol. 9r.74 Wie diejenigen des Straßburger Evangeliars sind diese Vierergruppen durch ihre Haartracht und Gewandung unterschiedlich charakterisiert. Von der Vereinheitlichung späterer, etwa auf den Rahmen der Initiumund der Initialseite des Matthäusevangeliums im Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon (Württembergische Landesbibliothek Bibl. fol. 21) fol. 20v und 21r 75 und auf denen des Beginns der Präfation in den Sakramentaren aus Tyniec (pag. 34)76 und Mönchengladbach (fol. 14v)77 setzen sich die Straßburger Medaillonbildnisse durch einen gravierenden Stilunterschied ab. Ungewöhnlich ist das Verhältnis des breiten Rahmens zu dem schmalen Schriftfeld. Rechnet man die Breite des Rahmens links und rechts zusammen und setzt sie zu der des Schriftfelds in Beziehung, so ergibt sich ein Verhältnis von 3:2, ebenso auf der Initiumseite des Johannesevangeliums im Hitdacodex fol. 172v.78 Noch stärker zugunsten der Breite des Rahmens gegenüber der des Schriftfelds, nämlich 2:1, ist das Verhältnis auf den Initium­ seiten zum Matthäus- (fol. 19v), zum Lukas- (fol. 119v) und zum Johannesevangelium (fol. 187v) des Kölner Evangeliars in Mailand.79 Ein Verhältnis Rahmen zu Schriftfeld wie 3:2 (oder gar wie 2:1) wird in keiner anderen Kölner Handschrift, auch nicht in einer der ‚Reichen‘ und der ‚Strengen Gruppe‘, erreicht,80 sondern erst wieder auf der Zierseite mit der Fortsetzung des Beginns des Markusevangeliums (fol. 74v) und der Initialseite zum Johannesevangelium (fol. 175v) im Lyskirchen-­Evangeliar, sicher nicht ohne eine wenigstens indirekte Nachwirkung des Straßburger Evangeliars.

* Der Rahmen des Markusbildes (Abb. 36), auf der Pause ohne Farbangaben, dürfte, von außen nach innen betrachtet, folgendermaßen aufgebaut gewesen sein: Farbe (Grün oder Blau) – Gold – Farbe (Grün oder Blau) – Gold – Farbe. Das Motiv ­ineinandergesteckter kleiner Herzen findet sich als Rahmenfüllwerk ähnlich im Hitdacodex fol. 22v,81 im Darmstadt, Darmstadt 2011, Farbabb. S. 85. – Zum Hitda-­Codex vgl. auch Beuckers 2013 (wie Anm. 61). 74 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 297. 75 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 350 u. 351. 76 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 382. – Zur Handschrift vgl. zuletzt Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen ­zwischen Köln und Polen in der Zeit Kasimirs des Erneuerers, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Andreas Bihrer (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 3), Köln 2018. 77 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 402. – Zur Handschrift vgl. zuletzt Harald Horst: Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach (UB Freiburg, Hs. 360a). Die Parallelhandschrift des Tyniecer Sakramentars im Vergleich, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 76), S. 91 – 113. 78 Vgl. Winterer 2011 (wie Anm. 73), Farbabb. S. 118. 79 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 60, 72 u. 78. 80 Zusammenstellung der Handschriften dieser Gruppen bei Beuckers 2018 (wie Anm. 38), S. 37. 81 Vgl. Winterer 2011 (wie Anm. 73), Farbabb. S. 80. – Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 93b.

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 127

­ ießener Evangeliar (Gießen, Universitätsbibliothek Cod. 660) fol. 2r und 12v 82 sowie im G Mariengraden-­Evangeliar fol. 122r und fol. 178v.83 In diesen Evangeliaren ist auch das Herz als Winkelmotiv häufig. Der Thron des Straßburger Markus ist mit von Punkten umgebenen Kreisen mit Augen (Stieraugen)84 und Herzen, die ihrerseits mit Punkten gefüllt sind, verziert. Ornamente mit Punkten und kleinen Kreisen erscheinen auch auf den Thronen von Matthäus (fol. 24r) und Johannes (fol. 172r) im Hitdacodex.85 Im Anschluss an das Punkt-, Kreis- und Herzmuster wird der Thron von einer jener rundbogigen Öffnungen durchbrochen, die an frühmittelalterlichem Mobiliar – Fußbänken, Kastenpulten, (Thron) bänken und eben auch Thronen – nicht selten anzutreffen sind.86 Diese rundbogigen Durchbrechungen der Throne werden in Handschriften der ‚Reichen‘ und der ‚Strengen Gruppe‘ gelängt und schmal angelegt, so dass sie zuweilen fast die gesamte Höhe des Throns erreichen.87 Niemals sind sie in den Handschriften dieser Gruppen so klein und niedrig wie auf der Straßburger Markuspause und in den illuminierten Kölner Handschriften, die der ‚Reichen Gruppe‘ zeitlich vorangehen.88 Somit wird auch durch diese Beobachtung eine Datierung des Straßburger Evangeliars vor die ‚Reiche Gruppe‘ oder an deren Beginn gestützt.89 Da Motive sich jedoch auch nach größerem zeitlichem Abstand leicht rezipieren lassen – was, um bei der Geschichte der Kölner Buchmalerei zu bleiben, am Verhältnis des Stuttgarter Evangeliars aus St. Gereon zum Manchester-­Evangeliar und an dem des Lyskirchen-­ Evangeliars zum Straßburger Evangeliar studiert werden kann –, muss das entscheidende 82 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 173 u. 184. – Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 93c. 83 Vgl. Prinz 2018 (wie Anm. 48), Taf. 72a u. 93d. – Beuckers 2018 (wie Anm. 38), S. 133 u. 160. 84 Der Begriff ‚Stierauge‘ mit Skizze bei Bierbrauer 1979 (wie Anm. 48), S. 93. 85 Vgl. Winterer 2011 (wie Anm. 73), Farbabb. S. 83 u. 117. 86 So beispielsweise die Bank im Bernwardevangeliar (Hildesheim, Anfang 11. Jh.) fol. 118r oder im Perikopenbuch Heinrichs II. (Reichenau, um 1007/um 1012) fol. 135v. Vgl. Das Kostbare Evangeliar des Heiligen Bernward, hg. v. Michael Brandt, München 1993, Taf. 22. – Hermann Fillitz / Rainer Kahsnitz / Ulrich Kuder: Zierde für ewige Zeit. Das Perikopenbuch Heinrichs II., Frankfurt am Main 1994, Taf. 36. 87 Das Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon, das vom Manchester-­Evangeliar, und das Lyskirchen-­ Evangeliar, das vom Straßburger Evangeliar abhängig ist, wurden bei dieser vergleichenden Untersuchung nicht berücksichtigt. 88 Zum Beispiel haben Hieronymus und sein Notarius im Gießener Evangeliar fol. 2v Throne mit kleinen, niedrigen Rundbogenöffnungen. Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 174. 89 Das Kriterium gilt nur für die Kölner Buchmalerei. Beispiele für Throne mit kleinen Rundbogenöffnungen in späterer Zeit außerhalb Kölns: München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 23630 (Evangelistar des Uodalricus peccator; Lorsch, 2. Viertel 11. Jh.) fol. 4v (Markus), Paris, Bibliothèque Sainte-­Geneviève ms. 2657 (Benedictionale; Lorsch, 2. Drittel 11. Jh.) fol. 1v (Christus), Paris, Bibliothèque nationale de France ms. lat. 9395 (Evangeliar; Metz?, um 1030) fol. 15r (Matthäus), 60r (Markus), 93r (Lukas), 141r (Johannes). Zu den Handschriften vgl. Ulrich Kuder: Studien zur ottonischen Buchmalerei [Habilitationsschrift München 1989], hg. von Klaus Gereon Beuckers (Kieler Kunsthistorische Studien NF, Bd. 17), 2 Bde., Kiel 2018, S. 226 (Kat. 77), 227 (Kat. 81) und 302 (Kat. 187).

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Argument zur Begründung der Datierung aus der Beobachtung der Stilentwicklung gewonnen werden. Die Tendenz zu geraden Linien und Kanten, geometrischen Grundformen und zur Ornamentalisierung des Details sowie zu einer Betonung der Grundrichtungen der Vertikalen und der Horizontalen, die in den Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ durchschlägt, wird bereits in denen der ‚Reichen Gruppe‘ mehr als lediglich ansatzweise manifest. Unter dem Gesichtspunkt dieser Tendenz betrachtet ist der Stilunterschied z­ wischen dem Straßburger Evangeliar und der letzten Handschrift der ‚Reichen Gruppe‘, dem Bamberger Evangeliar, evident. Der Markus ­dieses Evangeliars (fol. 64r), wie der Straßburger Markus in hellem Purpur (pourpre claire) gekleidet, trägt spiralig ornamentalisiertes Haupt- und Barthaar.90 Die scharfkantig gebrochenen Falten seines Obergewandes drehen sich auf seinen Knien zu Spiralen. Das Buch, in das er schreibt, ist zu zwei hellen, leeren Rauten geome­ trisiert, und der Schaft seines Schreibpults ist eine Säule, parallel zum Bildrand. Die weich gerundeten Schwünge der Gewandung des Straßburger Markus hingegen bilden nur ganz wenige Winkel aus. Sein Haupt- und Barthaar mag sich den naturalistischen Intentionen der Werkstatt Bastards verdanken, dürfte aber dem der Markusbilder in Kölner Handschriften des 10. Jahrhunderts eher entsprochen haben als dem des Kölner Evangeliars in Bamberg. Der Schaft seines Schreibpults ist aus kugeligen Elementen zusammengesetzt wie der des Johannes in Bamberg (fol. 156r).91 Doch wird gerade beim Vergleich dieser Schreibpulte der Stilunterschied offenkundig. Das des Bamberger Johannes ist mit vollkommen achsensymmetrischer Präzision gestaltet, inklusive des übereck gestellten Quadrats der Deckplatte und der Walzenform des Tintenfasses; der Straßburger Markus hingegen hat die Gefäße für Tinte und Farbe und das Messer auf der asymmetrischen Platte seines leicht geschwungenen Schreibpults malerisch arrangiert. Solche Utensilien erscheinen, um das Straßburger Evangeliar zu übertrumpfen, auf Schreibpulten in Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ sogar in noch größerer Menge; so auf dem Johannesbild des Einzelblatts aus einem Evangeliar im Kupferstichkabinett des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg (Mm 394r)92, auf allen vier Evangelistenbildern sowohl in dem aus St. Severin in Köln stammenden Evangeliar aus Kloster Abdinghof des Kupferstichkabinetts der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin 93 als auch im Evangeliar im British Museum London, MS Harley 2820,94 doch schließt, trotz der Übereinstimmung des Motivs, die beim Vergleich augenfällig werdende Stildifferenz eine Zuordnung des Straßburger Evangeliars zur ‚Strengen Gruppe‘ aus.

90 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 319. 91 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 327. 92 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 367. 93 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 447, 451, 455 u. 459. – Zur Handschrift vgl. zuletzt Beate Braun-­Niehr: Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett. Beobachtungen und Fragen zu seiner Geschichte, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 77), S. 114 – 140. 94 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 419, 423, 427 u. 431.

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 129

Abb. 39: Sakramentar aus St. Gereon in Köln, Bibliothèque nationale de France Paris, ms. lat. 817, fol. 21r: Papst Gregor der Große.

Markus, der als Bischof von Alexandria gilt, trägt in der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts nur hier und im Lyskirchen-­Evangeliar ein Pallium. Mit ­diesem ­­Zeichen seiner bischöflichen Würde erscheint er auch im Evangeliar der Sainte Chapelle Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. lat. 8851 (Gregormeister, 1003 oder wenig später) fol. 52v 95 sowie in den Echternacher Evangeliaren Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Hs. 156142 (um 1030) fol. 54v, Escorial Cod. Vitrinas 17 (zwischen 1043 und 1046) fol. 61v, Uppsala, Universitetsbiblioteket Cod. C 93 (zwischen 1050 und 1056) fol. 57v, London, British Museum MS Harley 2821 (Mitte 11. Jh.) fol. 67v, Paris, Bibliothèque nationale de France ms. lat. 10438 (Mitte 11. Jh.) fol. 64v und anderen.96 Da die Haltung 95 Datierung nach Kuder 1998 (wie Anm. 49), S. 140 (Nr. 15). 96 Datierungen nach Kuder 2018 (wie Anm. 89), S. 284 (Nr. 169), 288 (Nr. 171), 291 (Nr. 172), 292 (Nr. 173 u. 174).

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des ­Straßburger Markus und das Verhältnis zu seinem Symbol, zu dem er auf Augenhöhe Blickkontakt hält, von dem Markusbild des Gregormeisters, der die Echternacher Darstellungen ­dieses Evangelisten stark beeinflusste, grundverschieden ist, dürfte der Gedanke, Markus als Bischof darzustellen, in Köln unabhängig vom Gregormeister und von der Echternacher Buchmalerei entwickelt worden sein. Das Pallium des Straßburger Markus legt sich – offenbar eine spezifisch Kölner Gestaltung – in großer Kurve über sein Knie, ähnlich wie das Gregors im Sakramentar aus St. Gereon (Abb. 39), wohingegen beim Markus des Gregormeisters und in der Echternacher Buchmalerei die Pallien senkrecht nach unten geführt sind.

* Das Bild der Verkündigung am Zacharias (Abb. 37), das sich auf den eigentlichen Beginn des Lukasevangeliums (Lk 1,5 – 19) bezieht, stand im Straßburger Evangeliar sicher in vergleichbarer Position wie das Bild gleichen Themas im Lyskirchen-­Evangeliar (fol. 114r), das dort nach dem des Lukas (fol. 113r) und nach der Textzierseite mit dem Titulus zur Zachariasverkündigung: „Hunc Zachariam scitote fuisse prophetam“ (fol. 113v) platziert ist. Die Miniatur zeigt mehrere Rahmen und Bildflächen neben- und übereinander. Zwischen zwei solchen verselbständigten – aber durch Überschneidungen stellenweise nicht exakt begrenzten – Flächen treten oben und rechts Gruppen von Häusern hervor. Ähnlich war auf dem Markusbild (Abb. 36) der Löwe durch einen Spalt z­ wischen zwei Rahmenleisten gebrochen, der eigentlich gar nicht vorhanden zu sein schien. Auf der inneren, in eine obere („fond d’or“) und eine untere („fond d’argent“) geteilten Bildfläche sind Elemente einer Außenansicht des architektonischen und landschaftlichen Raumes mit solchen eines Innenraums kombiniert. Ein solches Arrangement ist bei Innenraumszenen in der frühmittelalterlichen Bildkunst üblich.97 Zur Innenraumausstattung gehört der Altar, hinter dem der Engel auftaucht, der sich mit seinem Redegestus an Zacharias wendet (Lk 1,11: „apparuit autem illi angelus Domini stans a dextris altaris incensi“), vor allem aber sind es die über architektonische Partien geworfenen, herabhängenden und rechts oben einen Knoten bildenden Tücher oder Vorhänge, die einen noblen, bedeutenden Raum anzeigen. Im Gregorbild des Sakramentars aus St. Gereon in Paris (984/85)98 fol. 21r (Abb. 39) ist der geöffnete Vorhang ähnlich verknotet. Man sollte nicht versuchen, aufgrund dieser bildlichen Hinweise den Raum, in dem Zacharias und der Engel agieren, zu rekonstruieren. Die Kombination von Textilien und Bauteilen ist spielerisch, unrealistisch, gleichwohl sinnhaft. Vergleichbar wirklichkeitsfern schlingen sich die Tuchbahnen durch Fenster und über Bögen auch im Matthäus- und 97 Vgl. Ulrich Kuder: Frühmittelalterliche Architekturwahrnehmung und -darstellung, in: m ­ ultiplicatio et variatio. Beiträge zur Kunst. Festgabe für Ernst Badstübner zum 65. Geburtstag, hg. v. Matthias ­Müller, Berlin 1998, S. 123 – 138. 98 Zur Datierung dieser Handschrift vgl. Anm. 69.

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im Markusbild der Bibel von St. Paul (Reims, um 870).99 Der extreme Größenunterschied ­zwischen Zacharias und dem Engel im Straßburger Evangeliar ist dem ­zwischen Gregor und seinem Schreiber im Sakramentar aus St. Gereon vergleichbar. Wegen des komplexen Spiels ­zwischen der Rahmen- und der Bildarchitektur, der starken Überschneidungen des Rahmens und wegen der Gestaltung des Altars mit gelängten Durchbrechungen muss jedoch das Straßburger Zachariasbild später datiert werden als das Gregors im Sakramentar aus St. Gereon in Paris. Doch belegt das schwungvoll asymmetrisch ausgebreitete und verknotete Tuch, dass der Straßburger Zacharias vor die ‚Reiche Gruppe‘ oder an deren Beginn gesetzt werden muss, denn in dieser Gruppe fallen, wie der Lukas im New Yorker Evangeliar fol. 78v zeigt,100 die Vorhänge senkrecht und symmetrisch herab. Für die Zachariasverkündigung des Lyskirchen-­Evangeliars fol. 114r wurde entweder die Zachariasszene des Straßburger Evangeliars oder eine Szene, die ihr in wesentlichen Zügen glich, als Vorlage benutzt. Der Kopist arbeitete von unten nach oben, begann mit den Füßen und Unterschenkeln des Zacharias, ließ die Stoffbahnen weg, deren Sinn er nicht mehr verstand, und brauchte infolgedessen oben nur so wenig Fläche für die Häusergruppe, dass er sie noch leicht innerhalb des Rahmens unterbringen konnte. Die große L-Initiale zu Beginn des Argumentum zum Lukasevangelium (Abb. 38), deren Haste rund in ihren horizontalen Teil übergeht, ist der einzige Beleg eines runden ‚L‘ in der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts. Diese L-Form erscheint auch, als L-Initiale von Liber generationis zu Beginn des Matthäusevangeliums, in manchen Corveyer Evangeliaren 101 und auf fol. 8r in „dem spätkarolingischen Evangeliar von St. Pantaleon […], das als Nr. 147 der Sammlung Wallraf in das Historische Archiv der Stadt Köln gelangt ist und dessen Entstehungsort wir zwar nicht kennen, das aber den Malern des Hitdacodex bekannt gewesen ist“.102 Die L-Initiale ist mit Initialen des Everger-­Epistolars (Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 143) gut vergleichbar.103 Mit ihren frei ausschwingenden Stielen und Blättern entspricht sie dem Initialstil des ‚N‘ der Vorrede Novum opus des Mailänder Evangeliars (um 985) fol. 4r 104 und dem ‚Q‘ des Quoniam quidem (Lk 1,1) dort fol. 120r (Abb. 40). 99 Rom, S. Paolo fuori le Mura: Bibbia fol. 260v u. 270r. Vgl. Wilhelm Koehler / Florentine Mütherich: Die karolingischen Miniaturen, 6. Bd.: Die Schule von Reims, Teil 2, Berlin 1999, Taf. VI, 244 u. 245. 100 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 300. 101 Münsterschatz Essen: Kleines Evangeliar, 1. Hälfte 10. Jh., fol. 19r; Universitätsbibliothek Leipzig Ms. 76, 1. Hälfte 10. Jh., fol. 13r; Pierpont Morgan Library New York M. 755, Mitte 10. Jh., fol. 17v; Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Cod. Guelf. 84.3 Aug. 2°, um 950, fol. 19v; Diözesanmuseum Paderborn Ms. Huxar. 8, 4. Viertel 10. Jh., fol. 15r. – Zu den Handschriften vgl. Kuder 2018 (wie Anm. 89), S. 181 – 183, Kat. 1 – 3, 5 u. 6. 102 Winterer 2011 (wie Anm. 73), S. 46. – Zu der Handschrift Historisches Archiv Köln Cod. W 147, um 875, vgl. Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln. Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, S. 287, Kat. Nr, E 73 (Roswitha Neu-­Kock). 103 Vgl. Kuder 2013 (wie Anm. 61), S. 108 und Abb. 25. 104 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 38), Bd. 1, Taf. 49.

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Abb. 40: Mailänder Evangeliar, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, C 53 sup., fol. 120r: Beginn des Lukasevangeliums Q(VONIA)M QVIDE(M).

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Abb. 41: Mailänder Evangeliar, Biblioteca Ambrosiana, Mailand, C 53 sup., fol. 19r: Evangelist Matthäus.

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Es wären weitere Untersuchungen notwendig, um die Vermutung zu stützen, dass für wesentlich mehr Bild- und Textzierseiten des Lyskirchen-­Evangeliars, als dies durch Bastards Pausen (Abb. 34 – 37) belegt ist, Vorlagen aus dem Straßburger Evangeliar oder diesen ähnliche benutzt wurden. Dass der Maler des Lyskirchen-­Evangeliars manches missverstanden und dementsprechend wiedergegeben hat, ist ein Indiz für seine Vorlagenbenutzung. Auf den Alben über den Unterschenkeln seines Christus (fol. 11v), Hieronymus (fol. 12v), Matthäus (fol. 19v), Markus (fol. 73r) und Johannes (fol. 174r) hängen breite verzierte Bänder herab. Offenbar hat der Lyskirchen-­Maler die karmesinroten Clavi, wie sie der Straßburger Markus auf seiner Dalmatik trägt (Abb. 3), sinnlos umgestaltet und auf die Alben übertragen. Der Hodegetria (fol. 22r) gab er eine ihre Stirn und ihren Hals einrahmende Verzierung. Die ursprüngliche, richtige Gestalt ­dieses Diadems, das ausschließlich der Stirn zugedacht war, trägt Maria in throno im Petershausener Sakramentar (Universitätsbibliothek Heidelberg Sal. IXb; Reichenau, um 980) fol. 40v.105 Die Vorlage der Lyskirchen-­Hodegetria ist im Straßburger Evangeliar oder ihrer Vorlage zu vermuten. Dort dürfte der Rahmen ähnlich stark überschnitten worden sein wie bei der Verkündigung an Zacharias. Sehr seltsam muten die zipfelmützenartigen Erdschollen auf dem Johannesbild im Lyskirchen-­Evangeliar fol. 174r an. Auch hier wurde eine Vorlage missverstanden oder vergröbert wiedergegeben, vermutlich eine in der Art des Matthäusbildes im Mailänder Evangeliar (Abb. 41).

* In Übereinstimmung mit Bastards Notiz auf Pause Nr. 688 (Abb. 38) ergibt die Untersuchung, dass das Straßburger Evangeliar in zwei durch einen gewissen Abstand getrennten Phasen entstanden ist, und zwar wurde der um 985 hergestellte Grundbestand, der bedeutende, rot konturierte Goldinitialen enthielt, später, doch noch vor dem Mariengraden-­Evangeliar (um 1030/33)106, mit Kanontafeln, Initiumseiten und Miniaturen ausgestattet. Die Praxis nachträglicher Nobilitierung von liturgischen Handschriften durch Illuminierung kann verschiedentlich nachgewiesen werden, so im Fall des Liller Evangelistars (Grundbestand: um 1030/50; die Miniaturen: nach 1053)107 und in dem des Lyskirchen-­Evangeliars selbst. Bei der Herstellung der d ­ iesem nachträglich hinzugefügten frühromanischen Ausstattung durch Kanontafeln, Textzierseiten und Bilder müssen Musterblätter als Vorlagen gebraucht worden sein, die denen des Straßburger Evangeliars im Wesentlichen ähnlich waren.

105 Vgl. Adolph Goldschmidt: Die deutsche Buchmalerei, 2. Bd.: Die ottonische Buchmalerei, Florenz 1928, Taf. 19a. 106 Zur Datierung des Mariengraden-­Evangeliars vgl. Anm. 53. 107 Vgl. Walter Berschin / Ulrich Kuder: Reichenauer Buchmalerei im X. und XI . Jahrhundert. Ein Additamentum und zwei Disputanda, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 165 (2017), S. 1 – 20, hier S. 4 – 20.

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Die Frage nach der Provenienz dieser liturgischen Handschrift ermöglicht weitere Überlegungen, die Herstellung und die Datierung ihrer erweiterten, aufwändigen Ausstattung und ihre Stiftung betreffend. Die Universitätsbibliothek Straßburg, zu deren Bestand das Evangeliar gehörte, war hervorgegangen aus der vom Rat der Stadt dort 1531 eingerichteten Bibliothek zum Nutzen der protestantischen „Gelehrten, deren Mittel ihnen nicht gestatten, sich die nöthigen Bücher anzuschaffen“.108 Zur Bibliothek des Gymnasiums wurde sie 1538 bei dessen Gründung im ehemaligen Dominikanerkloster. Das Gymnasium wurde 1566 zur Akademie und 1621 zur Universität erhoben. Ankäufe und Schenkungen vermehrten im Lauf der Zeit den Buchbestand erheblich. 1592 erwarb die Akademie eine gewisse Anzahl von Handschriften und Druckwerken aus der Bibliothek des Kathedralkapitels.109 Dass das Evangeliar C.II .22 in der Tat ursprünglich im Besitz des Straßburger Liebfrauenmünsters gewesen war, wird durch eine Rede bezeugt, die Johann Michael Lorenz am 29. Oktober 1772 anlässlich des Rektoratswechsels über Veränderungen bei der Universität Strasburg, und Seltenheiten der dortigen Bibliothek gehalten hatte.110 Lorenz war als Professor der Beredsamkeit und Geschichtskunde zum Nachfolger des berühmten Johann Daniel Schöpflin (1694 – 1771) und außerdem seit 1764 zum ersten bibliothecarius perpetuus der Universitätsbibliothek – davor hatte die Amtsführung des Bibliothekars alle drei Jahre unter den Professoren gewechselt – bestellt worden.111 Seine Festrede, in der er seinem Publikum „die Edelsteine unserer akademischen Bibliothek“ („Bibliothecae Academicae nostrae gemmas“) – nämlich deren „M(anu)sc(rip)tos Codices“ 112 – vorstellte, enthält folgenden Passus: „Pertinent huc statim Codices, qui praeferunt fronte sua, a Wernero I, Saeculi XI Argentinensi Episcopo, S. Mariae dono fuisse datos: Isidori Etymologicum; Bedae de ratione temporum, de sex aetatibus mundi, de rerum natura libri, iam Saeculo VIII descripti, Veteris et Noui Testamenti vulgatae quam vocant versionis 5 spissa volumina; dein magnificus Euangeliorum codex Saeculo X scriptus, auroque et purpura splendidissime distinctus, principis cuiusdam, forte caesaris Henrici II Sancti, tum cum Argentinensem praesens ecclesiam regiis cumularet donis, munificentissima manu profectus.“ 113 (Dazu gehören selbstverständlich die Codices, die, vorn durch eine entsprechende Inschrift ausgewiesen, von Bischof Werner I., dem Bischof von Straßburg im 11. Jahrhundert, der Hl. Maria gestiftet 108 Carl Schmidt: Zur Geschichte der ältesten Bibliotheken und der ersten Buchdrucker zu Strassburg, Straßburg 1882, S. 164. 109 Vgl. Reuss 1871 (wie Anm. 1), S. 3. – Göber 1937 (wie Anm. 14), S. 345. – Rott 1971 (wie Anm. 1), S. 146. – Schmidt 1882 (wie Anm. 108), S. 170 über die Zeit um 1600: „Unterdessen erhielt die Bibliothek einigen Zuwachs; sie erwarb mehrere der alten kostbaren handschriftlichen Codices des Münsterkapitels“. 110 Diese Rede in Auszügen gedruckt bei August Ludwig Schlözer: Briefwechsel meist statistischen Inhalts, Göttingen 1775, S. 113 – 122 (VIII. Stück, Nr. 40). 111 Vgl. Rott 1971 (wie Anm. 1), S. 167. 112 Schlözer 1775 (wie Anm. 110), S. 114. 113 Schlözer 1775 (wie Anm. 110), S. 120 f.

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worden waren: Isidors Etymologie, Bedas Bücher über die Berechnung der Termine, über die sechs Weltzeitalter und über die Natur der Dinge, geschrieben bereits im 8. Jahrhundert sowie fünf dicke Bände des Alten und des Neuen Testaments in der als Vulgata bezeichneten Version; sodann ein prächtiger, im 10. Jahrhundert geschriebener, sich durch Gold und Purpur als höchst brillant auszeichnender Evangeliencodex, herbeigebracht von der überaus freigebigen Hand eines Fürsten, etwa von der ­Kaiser Heinrichs II. des Heiligen, damals, als dieser, persönlich anwesend, Straßburgs ­Kirche mit königlichen Geschenken krönte.) Bischof Werner von Straßburg (amt. 1001 – 1028) erwarb zahlreiche Handschriften und schenkte sie der Straßburger Domkirche und der Dombibliothek, die er entscheidend erweiterte.114 Dem durch Pertz überlieferten handschriftlichen Katalog von Schatz aus dem Jahr 1748 sind die Inschriften zu entnehmen, die vorn (fronte), wohl auf dem ersten Blatt jener Handschriften standen.115 Im Katalog haben diese Einträge ihren Platz jeweils nach der Signatur und dem Titel: „C. I.1. Isidori Etymologicum. s(aec). XI. „Werinharius episcopus dedit S. Mariae.“ […] // C.IIII.1. Boetii commentarius περὶ ἑρμηνείας Aristotelis. „­Werinharius dedit S. Mariae.“ […] // C.IIII .7. Bedae Calendarium etc. („Werinharius episcopus dedit sanctae Mariae“) […] // C.IIII.15. Beda de ratione temporum. (dat(ur) a Werinhario).“ 116 Das Prachtevangeliar erscheint, wie oben notiert, im Schatzschen Katalog lediglich als C.II.22. Evangelia. s. X., ohne Werinharius-­Eintrag. Offenbar wiesen nur die zum Bestand der Biblio­thek gehörigen Handschriften diesen Eintrag auf, nicht aber diejenigen, die, wie das Evangeliar, in der Liturgie gebraucht wurden. Lorenz vermutete, dass das Straßburger Marienmünster das Evangeliar der Großzügigkeit ­Kaiser Heinrichs II. (amt. 1002 – 1024) verdankte. Im Hinblick auf die stilgeschichtliche Stellung der Zierseiten und Miniaturen könnte jedoch auch Konrad II. (amt. 1024 – 1039) in den Anfangsjahren seiner Herrschaft den P ­ rachtcodex gestiftet haben. Möglich ist ferner, dass Bischof Werner oder sein Nachfolger Wilhelm (amt. 1029 – 1047) die Handschrift, als Geschenk oder auf Bestellung, unmittel­bar, ohne die Beteiligung eines königlichen oder kaiserlichen Stifters, aus Köln für das Marienmünster bekommen haben. Unwahrscheinlich dürfte jedoch die Übermittlung

114 Vgl. auch die Zusammenstellung der „zahlreichen Handschriften, die B(ischof ) Werner der Straßburger ­Kirche schenkte“ und die sich dort noch „zur Zeit Wimpfelings“ befanden, bei Paul Wentzcke: Regesten der Bischöfe von Straßburg bis zum Jahre 1202 (Regesten der Bischöfe von Straßburg, Bd. 1, Teil 2), Innsbruck 1908, S. 261 f. (Nr. 215). – Art. Werner, Bischof von Straßburg 1001 – 1028, in: Allgemeine Deutsche Biographie 42 (1897; Neudruck Berlin 1971), S. 32 f. (Wilhelm Wiegand), hier S. 33. – Luzian Pfleger: Kirchengeschichte der Stadt Straßburg im Mittelalter (Forschungen zur Kirchengeschichte des Elsaß, 6. Bd.), Kolmar o. J. [1941], S. 30 f. – Art. Werner I., in: Biographisch-­Bibliographisches Kirchen­lexikon 13 (1998), Sp. 838 – 841 (Thomas Bauer), hier Sp. 840. 115 Vgl. Anm. 16 u. 17. – Schmidt 1882 (wie Anm. 108), S. 4 f. über Bischof Werner als „Wohlthäter der Münsterbibliothek“, seine Aquisitionen aus Italien und „aus Benediktinerklöstern diesseits der Alpen“ sowie über den Eintrag „Werinharius episcopus dedit sanctæ Mariæ“. 116 Pertz 1843 (wie Anm. 16), S. 461 f.

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 137

des Evangeliars von Köln nach Straßburg ohne das Einverständnis des Kölner Erzbischofs und Stadtherrn Heribert (amt. 999 – 1021) oder Pilgrim (amt. 1021 – 1036) sein. Die enge Verbundenheit Heinrichs II . mit dem Straßburger Münster und seinem Bischof 117 war dem Straßburger Historiker Lorenz fraglos bekannt,118 daher seine Vermutung, ­Kaiser Heinrich II. habe das Evangeliar dem Münster gestiftet. „Heinrich, der 1002 gewählte König, und der ein Jahr zuvor inthronisierte Bischof waren wohl schon von Jugend an ­ aiser Ottos III. Tod 1002 „einer eng miteinander befreundet“.119 Bischof Werner war nach K der entschiedensten Parteigänger Heinrichs in Süddeutschland.“ 120 Im Verlauf der Auseinandersetzungen um die Thronnachfolge hatte der Bischof hinnehmen müssen, dass Heinrichs Hauptkonkurrent, Herzog Hermann II. von Schwaben, „das Elsaß verwüstend durchzog und auch der Stadt Straßburg sich bemächtigte“,121 wobei er Domkirche und Stadt von seinen Leuten plündern ließ.122 Später, nachdem der Herzog sich dem König unterworfen hatte, lohnte dieser dem Bischof dessen Engagement mit zahlreichen Gunsterweisen.123 1003 bestätigte er „die Abtretung des Frauenstiftes St. Stephan durch Hermann von Schwaben an Bischof Wernher von Straßburg (1001 – 28) zur Wiederherstellung von Münster und Stadt“.124 1013 oder 1014 schenkte Heinrich II. der bischöflichen ­Kirche zu Straßburg auch noch die Abtei Schwarzach.125 Der Wiederauf- oder Neubau des Marienmünsters als dreischiffige Basilika wurde 1015 begonnen, nachdem es 1007 abermals in Flammen aufgegangen war.126 117 Vgl. Pfleger 1941 (wie Anm. 114), S. 28 – 31. – Karlheinz Mistele: ­Kaiser Heinrich II. und seine Verehrung im Elsaß, in: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 102 (1966), S. 209 – 221, hier S. 209 – 215. – Stefan Weinfurter: Heinrich II. (1002 – 1024). Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 1999, S. 52 – 55. 118 Johann Daniel Schoepflin: Alsatiae diplomaticae pars I, Mannheim 1772, S. 147 – 150 enthält unter Nr. CLXXXIV, CLXXXVII und CLXXXIX drei Urkunden, die bedeutende Schenkungen Heinrichs II. an Bischof Werner I. (und seine Nachfolger) betreffen. 119 Mistele 1966 (wie Anm. 117), S. 210 f. – Vgl. auch Wentzke 1908 (wie Anm. 114), S. 261 (Nr. 215). 120 Mistele 1966 (wie Anm. 117), S. 210. 121 Wiegand 1897 (wie Anm. 114), S. 32. 122 Vgl. Pfleger 1941 (wie Anm. 114), S. 28 f. – Weinfurter 1999 (wie Anm. 117), S. 53. 123 Vgl. Pfleger 1941 (wie Anm. 114), S. 28 – 31. – Mistele 1966 (wie Anm. 117), S. 210 f. – Weinfurter 1999 (wie Anm. 117), S. 53 – 55. 124 Art. Straßburg, Münster, in: Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Ottonen, bearb. v. Friedrich Oswald, Leo Schaefer und Hans Rudolf Sennhauser (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, Bd. 3.1), München 1966/71 (ND 1990), S. 323 f. (Friedrich Oswald), hier S. 323. – Zur Baugeschichte des Straßburger Münsters vgl. auch Werner Jacobsen im Nachtragsband (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, Bd. 3.2), München 1991, S. 402 sowie die Beiträge in: L’évêque Werner et la cathédrale romane de Strasbourg. Actes du colloque à l’occasion du millénaire de la cathédrale de Strasbourg 2015, hg. v. Marc Carel Schurr, Straßbourg 2019. 125 Vgl. Monumenta Germaniae Historica. Die Urkunden der deutschen Könige und K ­ aiser, Bd. 3: Die Urkunden Heinrichs II. und Arduins, Hannover 1900/03 (ND Berlin 1957), S. 277. 126 Vgl. Oswald 1990 (wie Anm. 124), S. 323.

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„In den vier Verzeichnissen der Straßburger Domherren des 13. Jahrhunderts steht jeweils ein ‚imperator Heinrich‘ oder ‚Heinricus‘ an der Spitze“ 127; gemeint ist Heinrich II.128 Er „gehörte somit zum Kollegium der Domkapitulare […]. In seiner Abwesenheit vertrat ihn der ‚rex chori‘, der Chorkönig, auch ‚vicarius imperatoris‘ genannt“.129 Obwohl die Beziehung z­ wischen Werner und Heinrich II. und der allmähliche ökonomische Aufschwung, den Köln unter Erzbischof Heribert nahm, die Vermutung erlaubt, das Evangeliar habe unter Heinrich II . und Heribert seine neue, brillante Ausstattung bekommen, ist diese Annahme wegen des Zerwürfnisses z­ wischen Heribert und Heinrich II. nicht gänzlich unproblematisch.130 Durch die Ereignisse von Polling im März 1002, die in der Entwendung der Eingeweide Ottos III., der vorübergehenden Inhaftierung von Erzbischof Heribert und seines Bruders Bischof Heinrich von Würzburg sowie in der Usurpation der Heiligen Lanze durch Heinrich II. gipfelten, waren Heribert und Heinrich II. „zu unversöhnlichen Gegnern“ geworden.131 Doch gebot beider Interessenlage, immer wieder zu einer Verständigung untereinander zu finden. In der Zeitspanne von 1013 bis 1019 haben sich Heinrich II. und Heribert 15 Mal getroffen.132 Heinrich hatte, verbunden mit der Absicht, bestimmte Klöster zu begünstigen, an verschiedenen Orten, auf der Reichenau, in Regensburg und Seeon, illuminierte Handschriften herstellen lassen. Dies könnte er in der späteren Zeit seiner Herrschaft, ab etwa der Mitte der 1010er Jahre, um Heribert, seinen mächtigen Gegner, zu Dank zu verpflichten und ihn in seine Herrschaft einzubinden, auch mit Köln so gehalten haben. Weil es um ein Evangeliar, das heilige Wort Gottes, und 127 Hartmut Hoffmann: Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd. 30), 2 Bde., Stuttgart 1986, S. 31, Anm. 73. – Vgl. auch die Ergänzung in: Hartmut Hoffmann: Mönchskönig und rex idiota. Studien zur Kirchenpolitik ­Heinrichs II. und Konrads II. (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte, Bd. 8), Hannover 1993, S. 120, Anm. 328. – Pfleger 1941 (wie Anm. 114), S. 29. 128 Vgl. Mistele 1966 (wie Anm. 117), S. 213. 129 Mistele 1966 (wie Anm. 117), S. 213. – Vgl. Pfleger 1941 (wie Anm. 114), S. 29 f. 130 Zum ökonomischen Aufschwung Kölns unter Heribert vgl. Heribert Müller: Heribert, Kanzler Ottos III. und Erzbischof von Köln (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 33), Köln 1977, insbes. S. 225 – 231. – Heribert Müller: Heribert, Kanzler Ottos III. und Erzbischof von Köln, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 60 (1996), S. 16 – 64, bes. S. 42 f. – Heribert Müller: ­Heribert, Kanzler Ottos III., Erzbischof von Köln (999 – 1021) und Gründer der Abtei Deutz, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische K ­ irchen Köln 13 (1998), S. 22 – 37, bes. S. 30. – Zum schwierigen Verhältnis von Heribert zu Heinrich II. vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Heinrich II. und Köln. Die Gründung von Kloster Deutz im (kunst)historischen Kontext, in: Herrschaftslandschaft im Umbruch. 1000 Jahre Merseburger Dom, hg. v. Andreas Ranft und Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 6), Regensburg 2017, S. 79 – 112. 131 Vgl. Müller 1977 (wie Anm. 141), S. 130, zitiert bei Beuckers 2017 (wie Anm. 130), S. 79. 132 Vgl. Weinfurter 1999 (wie Anm. 117), S. 161. – Beuckers 2017 (wie Anm. 130), S. 89 (zum Verhältnis ­zwischen Heribert und Heinrich II.): „Der Eklat nach dem Feldzug gegen die Hammersteiner könnte zutreffend sein, vielleicht auch eine Aussöhnung.“

Das Straßburger Evangeliar im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei | 139

um die Stiftung an die heilige Jungfrau und Gottesmutter ging, hätte sich Heribert einem solchen Wunsch und Auftrag des Kaisers nicht verweigern können. Wenn wir von einem Zusammenwirken des Königs oder Kaisers mit dem Kölner Erzbischof und dem Straßburger Bischof ausgehen, so bereiten die für die Erweiterung der Ausstattung und die Stiftung des Straßburger Evangeliars in der Zeit nach Heriberts Tod (16. März 1021) in Betracht gezogenen Konstellationen ‚Heinrich II. – Pilgrim – Werner‘, ‚Konrad II. – Pilgrim – Werner‘ und ‚Konrad II. – Pilgrim – Wilhelm‘ unter historisch-­ politischem Aspekt keine Schwierigkeit. Pilgrim, der sich 1024 bei der Königswahl in Kamba gegen den Mehrheitskandidaten, den späteren König und ­Kaiser Konrad II., entschieden und den Ort der Wahl zusammen mit den lothringischen Anhängern des Gegenkandidaten vor der Abstimmung verlassen hatte,133 wechselte alsbald die Seiten und krönte schon zwei Wochen später, am 21. September 1024, Konrads Gemahlin Gisela in seiner Kathedrale zu Köln zur Königin.134 Bischof Werner von Straßburg zählte „gemeinsam mit Bruno von Augsburg […] zu den bedeutendsten Beratern“ Konrads II.135 „Kurze Zeit nach [der Synode von] Frankfurt [23./24. September 1027] trat Bischof Werner im Auftrag Konrads II. eine wichtige Gesandtschaft an; ihr Ziel war Konstantinopel, ihr Zweck die Stiftung einer Eheverbindung ­zwischen der ehrwürdigen makedonischen Dynastie und den […] Saliern.“ 136 Nach Bischof Werners Tod am 28. Oktober 1028 in Konstantinopel hatte Konrad II. zwar nicht Wilhelm, seinen eigenen Onkel, sondern den Reformabt Poppo von Stablo für den Straßburger Stuhl vorgesehen, doch verlief, nachdem Poppo abgesagt hatte und Wilhelm eingesetzt worden war, die Amtszeit Bischof Wilhelms ohne nennenswerte Konflikte mit dem ­Kaiser.137 Unter historischen Aspekten spricht somit nichts dagegen, die prachtvolle Ausstattung mit Zierseiten und Miniaturen des um 985 in seinem Grundbestand hergestellten Straßburger Evangeliars innerhalb eines Zeitraums von ‚um 1015 bis um 1030/33‘ anzunehmen.138

133 Vgl. Franz-­Reiner Erkens: Konrad II. (um 990 – 1039). Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Regensburg 1998, S. 37 – 40. 134 Erkens 1998 (wie Anm. 133), S. 54. 135 Herwig Wolfram: Konrad II. 990 – 1039. ­Kaiser dreier Reiche, München 2000, S. 215 f., Zitat S. 287. 136 Wolfram 2000 (wie Anm. 135), S. 215 f. – Vgl. Erkens 1998 (wie Anm. 133), S. 114 – 116. 137 Vgl. Wolfram 2000 (wie Anm. 135), S. 287 – 289. 138 Für wertvolle Hinweise und seine kritische Durchsicht des Beitrags bin ich Klaus Gereon Beuckers zu großem Dank verpflichtet.

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Klaus Gereon Beuckers

Die ‚Strenge Gruppe‘ der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts Eine Revision

Anton von Euw hat schon 1993 das jüngere Evangeliar aus St. Georg in Köln (das Lyskirchen-­ Evangeliar) als ein Werk erkannt, das auf der Grundlage einer älteren Handschrift im 12. Jahrhundert durch die Hinzufügung einer bildlichen Ausstattung zu dem Prachtevangeliar aufgewertet wurde, das es bis heute ist.1 Damit differenzierte er die von Peter Bloch und Hermann Schnitzler vorgeschlagene Einordnung des Codex als Nachzügler der sonst im 10./11. Jahrhundert datierenden ‚Ottonischen Kölner Malerschule‘.2 Wie die gesamte Forschung bestätigte auch von Euw die Provenienz aus dem Kölner Stift St. Georg, die durch den Nachtrag eines ‚Schatzverzeichnisses‘ auf fol. 215v bereits für das späte 11. oder frühe 12. Jahrhundert belegt wird,3 auch wenn die Handschrift (die zu seiner Zeit als Depositum im Museum Schnütgen lag 4) inzwischen zum Besitz der Kirchengemeinde St. Maria Lyskirchen gehörte, woher sie ihren seit dem Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Kölner Buchmalerei im frühen 20. Jahrhundert eingeführten Namen hat.5 Ausdrücklich ging von Euw von einer Entstehung des Evangeliars für die 1 Anton von Euw: Das Evangeliar von St. Maria Lyskirchen. Bestimmung und Gebrauch einer mittel­ alterlichen Handschrift, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 64 (1993), S. 15 – 36, hier S. 17. – Vgl. auch Anton von Euw: Die Handschriften und Einzelblätter des Schnütgen-­Museums Köln. Bestandskatalog, Köln 1997, Kat. Nr. 2, S. 27 – 37. 2 Peter Bloch / Hermann Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70, insb. Bd. 1, S. 113 – 120 mit Tafeln 163 – 498. 3 Vgl. Manfred Groten: Schatzverzeichnisse des Mittelalters, in: Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, S. 149 – 154, hier S. 150 – 153. – von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 19 – 28. – Klaus Gereon Beuckers: Geschichte, Forschungstand und Forschungsproblematik des Gerresheimer Evangeliars, in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-­Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1), Köln 2016, S. 13 – 64, hier S. 15 f., Anm. 9. – Vgl. insbesondere die Beiträge von Manfred Groten und Anna Pawlik in ­diesem Band. 4 Vgl. von Euw 1993 (wie Anm. 1), S. 17. – von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 28. 5 Vgl. Arthur Haseloff: Photographien rheinländischer Buchmalereien des IX. bis XIV. Jh., in: Kunsthistorische Ausstellung Düsseldorf 1904, red. v. Paul Clemen, Düsseldorf 1904, S. 201 – 206, Nr. 646. – Ebenfalls als ‚Lyskirchen-­Evangeliar‘ bezeichnet bei Heinrich Ehl: Die ottonische Kölner Buchmalerei. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der frühmittelalterlichen Kunst in Westdeutschland

Die ‚Strenge Gruppe‘ der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts | 141

Gründung des 1067 von Erzbischof Anno II. (amt. 1056 – 1075) geweihten Stiftes aus.6 Den Anlagebestand wies er der von Bloch/Schnitzler so benannten ‚Strengen Gruppe‘ zu, die diese erst in die 1070/80er Jahre datierten, wovon sich von Euw mit seiner Datierung des Lyskirchen-­Evangeliars „um 1067“ abwandte Aus paläographischer Sicht widmete sich 2012 Hartmut Hoffmann dem Codex, den er als einzigen der gesamten Kölner Überlieferung ausführlich diskutierte. Auch er wies den Anlagebstand des Lyskirchen-­Evangeliars eindeutig der ‚Strengen Gruppe‘ zu, da er teilweise vom selben Schreiber wie die anderen Codices der Gruppe ausgeführt sei.7 Dies mag hier der Anlass sein, um die ‚Strenge Gruppe‘ noch einmal aus kunsthistorischer Sicht in den Blick zu nehmen, zumal sich in den letzten Jahren einige Verschiebungen sowohl der Datierungen als auch der künstlerischen Wertschätzung ergeben haben.

* Die ‚Strenge Gruppe‘ gehörte nicht zu den besonders geschätzten Werken der Kölner Buchmalerei. Dezidiert abwertend fragte Carl Nordenfalk in seiner Rezension zu Bloch/ Schnitzler, ob man den Stil nicht eher als „steif“ bezeichnen solle und attestierte der Gruppe eine künstlerisch minderwertige Verhärtung.8 Heinrich Ehl hatte in seiner Dissertation noch von einer Gruppe im „dekorativen Stil“ gesprochen.9 In vielen Veröffent­ lichungen wurde mehr oder weniger explizit die Qualität der Handschriften infrage gestellt.10 Alle diese Urteile basierten nicht zuletzt auf der Arbeit mit Schwarz-­Weiß-­Fotos, ­welche die farbigen Differenzierungen der Darstellung nicht erkennbar werden ließen, und vor allem auf einer Idealisierung einerseits antikischer und andererseits expressionistischer Kunst, wie sie in der ottonischen Buchmalerei des letzten Viertels des 10. Jahrhundert durch den (Forschungen zur Kunstgeschichte Westeuropas, Bd. 4), Bonn 1922, insb. S. 181 – 190 und seither so in der gesamten Forschung. 6 von Euw 1997 (wie Anm. 1), S. 33: „Der Gesamtbefund dieser Handschrift läßt demnach den Schluß zu, sie habe sich schon sehr früh in St. Georg befunden, ja sie sei dem Stift zur Weihe der ­Kirche 1067 geschenkt worden.“ Im Datierungseintrag des Kataloges S. 27: „Handschrift, um 1067 und um 1100 – 1120“. 7 Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9. – 11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, S. 184 – 192. Hoffmann erkennt Hand E, die im Lyskirchen-­Evangeliar fol. 116r bis 167v und 176r bis 207v geschrieben hat, im Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon wieder sowie „Sie oder ihr ähnliche Hände“ (S. 187 f.) in den anderen Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘. – Zu seinen Ergebnissen vgl. auch den Beitrag von Harald Horst in ­diesem Band. 8 Carl Nordenfalk: Rezension zu Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 9), in: Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege 24 (1971), S. 292 – 309, hier S. 307. 9 Ehl 1922 (wie Anm. 5), Kap. V, S. 190 – 221. 10 Beispielhaft Hoffmann 2012 (wie Anm. 7), S. 192: „Die großflächigen Formen und die starre Linienführung haben in der gleichzeitigen Echternacher Buchmalerei ihre Parallelen, wenngleich diese im allgemeinen eine wesentlich höhere Qualität aufweist.“

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Gregormeister auf der einen und die ‚Malerische Gruppe‘ der Kölner Buchmalerei auf der anderen Seite vertreten wurde. Die flächenorientierte Abstraktion der ‚Strengen Gruppe‘ war in ­diesem Rahmen kaum zu würdigen. Dabei hatte Hermann Schnitzler die Handschriften schon früh eines Aufsatzes für würdig empfunden, nachdem aus den jeweiligen Aufbewahrungsorten die Fragmente in Nürnberg und der Berliner Codex in die Diskussion eingeführt worden waren.11 Die bis heute gültige, um das Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg zu erweiternde Zusammenstellung der Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ bei Bloch/Schnitzler von 1967 umfasst insgesamt sieben Handschriften:12 ‒‒ Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. bibl. fol. 21), ‒‒ Sakramentar aus Tyniec (Deposium in der Warschauer Nationalbibliothek, BOZ 8), ‒‒ Sakramentar aus Mönchengladbach (Universitätsbiblithek Freiburg im Breisgau, Hs. 360a), ‒‒ Evangeliar aus Kloster Abdinghof in Berlin (Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 A 3), ‒‒ Londoner Evangeliar (British Library London, Harley MS 2820), ‒‒ Einzelblätter eines verlorenen Evangeliars (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Mn. 394 u. 395) ‒‒ Lyskirchen-­Evangeliar (Kirchengemeinde St. Georg als Dauerleihgabe der Kirchengemeinde St. Maria Lyskirchen Köln) Die Chronologie innerhalb der Gruppe ist unklar, ebenso gibt es für keine dieser Handschriften eine inschriftliche oder anders eindeutig überlieferte Datierung. Sahen Bloch/ Schnitzler (welche die gesamte Gruppe mit dem Sonderfall des Stuttgarter Evangeliars aus St Gereon beginnen lassen) die Nürnberger Einzelblätter noch als älteste Zeugnisse der Hauptgruppe und ordneten die beiden Sakramentare nach den beiden Evangeliaren in Berlin und London an, so konnte Ursula Prinz aufgrund der Ornamentanalyse des Rahmenfüllwerks das Sakramentar aus Tyniec an den Anfang der Hauptgruppe stellen 11 Ernst F. Bange: Das Abdinghofener Evangeliar im Kupferstichkabinett, in: Berliner Museen. Berichte aus den Preußischen Kunstsammlungen 42 (1920/21), S. 96 – 101. – Eberhard Wiegand: Ein Kölner Evangeliarfragment des 11. Jahrhunderts, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1934/1935, S. 45 – 48. – Hermann Schnitzler: Zum Spätstil der ottonischen Kölner Malerei, in: Festschrift Hans R. Hahnloser zum 60. Geburtstag 1959, hg. v. Ellen J. Beer, Paul Hoder u. Luc Monjon, Basel 1961, S. 207 – 222. 12 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 94 – 120 mit Tafeln 342 – 498. – Farbige Reproduktionen aller Zierseiten des Sakramentars aus Tyniec in: Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen z­ wischen Köln und Polen in der Zeit Kasimir des Erneuerers, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Andreas Bihrer (Forschungen zur Kunstgeschichte, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 3), Köln 2018, S. 377 – 457.

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und die Nürnberger Blätter – wie schon 1934/35 Eberhard Wiegand 13 – nach den beiden Evangeliaren an das Ende der Gruppe anordnen.14 In der Datierung der ‚Strengen Gruppe‘ war sich die Forschung hingegen lange Zeit einig und vertrat einen Ansatz etwa in die 1060er Jahre – einschließlich Hermann Schnitzler.15 Anlass dafür boten auch die im Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon auf fol. 2r/2v offenbar als Urkundenabschriften nachgetragenen Weihenachrichten für die Krypta und den Chor von St. Gereon aus den Jahren 1067 und 1069,16 wobei die stilistisch einheitlichen Nachträge,17 die sich in der Schrift deutlich von der Schrift des Evangeliars unterscheiden, nicht erkennen lassen, wie lange sie nach der Weihe 1069 eingetragen wurden und wie alt der Codex damals schon war. Jedenfalls leitete die Forschung daraus und aus der stilistischen Einschätzung insbesondere gegenüber Echternacher Handschriften eine Datierung des Evangeliars vor den Weihen ab, Bloch/Schnitzler datierten „etwa ­zwischen 1050 und 1067“.18 In ihrem Korpuswerk gingen dann Bloch/Schnitzler plötzlich von einer Spätdatierung der anderen Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ in die 1070/80er Jahre aus, wozu sie sich nicht zuletzt durch Ähnlichkeiten der Gruppe zu Wandmalereien in der äußeren Torkapelle des Xantener Domes hinreißen ließen, die sie erst nach dem Brand der Stiftskirche 1081 entstanden glaubten.19 Für diese Datierung der im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Malerei (Abb. 54 und 55), die sich eben nicht in der Stiftskirche sondern in einem eigenständigen Gebäude davor befand, gibt es keine Grundlage, und auch die von 13 Wiegand 1934/1935 (wie Anm. 11), S. 48. 14 Ursula Prinz: Die Ornamentik der ottonischen Kölner Buchmalerei. Studien zum Rahmenfüllwerk (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen K ­ irchenund Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 71), Köln 2018, Kap. 4.13 – 4.19, S. 80 – 96. 15 Schnitzler 1961 (wie Anm. 11), S. 211: „Es liegt kein Grund vor, über die Entstehungszeit des Freiburger Sakramentars ‚um 1060‘ hinauszugehen“. – Eine Zusammenstellung der Datierungen in der älteren Forschung bei Ulrich Kuder: Studien zur ottonischen Buchmalerei [Habilitationsschrift München 1989], hg. v. Klaus Gereon Beuckers (Kieler Kunsthistorische Schriften, N. F. Bd. 17), 2 Bde., Kiel 2018, Bd. 1, S. 243 f. 16 Vgl. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 1: 313 – 1099, bearb. v. Friedrich Wilhelm Oediger (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21), Düsseldorf 1954/61, Nr. 969, S. 280 u. Nr. 983, S. 285. 17 Die Schrift ist offensichtlich von einer Hand, auch wenn der erste Eintrag sich in der helleren Tinte etwas absetzt. Deshalb können die Nachträge frühestens 1069 nachgetragen worden sein, dürften aber etliche Jahre jünger sein. Leider sind die beiden Seiten bei Bloch/Schnitzler nicht abgebildet. Digitalisat: http://digital.wlb-­stuttgart.de/purl/bsz366773275 [22. März 2019]. 18 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 98 19 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 28 – 30. Zudem verwiesen sie auf den Kruzifixus aus St. Georg, den sie zur Weihe des Stiftes 1067 datierten und in dem sie allgemeine Stilähnlichkeiten zu erkennen glaubten. Dem folgte dann von der Idee her das Ausstellungsprojekt Monumenta A ­ nnonis. Köln und Siegburg. Welt und Kunst im hohen Mittelalter, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, Köln 1975.

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Bloch/Schnitzer herangezogenen Vergleiche mit Steinreliefs beispielsweise aus Xanten überzeugen nicht, wie 1989 beides ausführlich Ulrich Kuder aufgezeigt hat, der in seinem umfassenden Werk zur ottonischen Buchmalerei aus stilistischen Gründen für die ‚Strenge Gruppe‘ wieder eine Datierung um 1060 postulierte.20 Die Spätdatierung bei Bloch/ Schnitzler scheint eine Umentscheidung während der Bearbeitung gewesen zu sein, denn im Handschriftenkatalog verwiesen sie selbst noch zum Sakramentar aus Tyniec auf die engen Beziehungen ­zwischen Köln und Krakau durch Königin Richeza (verst. 1061) und vor allem ihren Sohn Kasimir (verst. 1058) in den 1040er Jahren,21 konnten dies dann für ihre Argumentation aber nicht mehr fruchtbar machen, weil sie jetzt die Spätdatierung postulierten, in der so konkrete personale Beziehungen nicht zu benennen sind, wie sie bei einer Frühdatierung des Sakramentars auf der Hand lägen. Dabei gibt es durchaus mehrere Hinweise, die für eine frühere Ansetzung der ‚Strengen Gruppe‘ sprechen – wie sie dann auch von Hartmut Hoffmann aufgrund paläographischer Argumente 2012 vertreten wurde.22 Einen solchen Hinweis hat jüngst Beate Braun-­Niehr gefunden, als sie für das Abdinghof-­Evangeliar eine Provenienz aus St. Severin in Köln nachweisen und den Weg des Codex schon im 12. Jahrhundert nach Paderborn wahrscheinlich machen konnte.23 Das Formular, in dem das Fest des hl. Severin in das Kapitulare eingetragen ist, wiederholt mit der sonst innerhalb der Kölner Kalendarien nicht auftretenden, hier zudem rubrizierten Formulierung „In natale sanctissimi Seuerinus confessoris Christi“ (fol. 263v) überraschend den Wortlaut der Weiheurkunde des 1043 geweihten Chores.24 Eine ­solche Übereinstimmung dürfte kaum wesentlich später als die Urkunde zu datieren sein, wenn sie nicht auf eine Inschrift oder auf eine feste Formulierung beispielsweise bei den Festoffizien zurückgeht. Eine ­solche Inschrift mit ­diesem Wortlaut ist jedoch nicht bekannt, sie könnte sich nur am Schrein oder am Hochaltar befunden haben. Beides scheidet 20 Kuder 2018 (wie Anm. 15), S. 343 – 355. 21 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), S. 102 f. 22 Hoffmann 2012 (wie Anm. 5), S. 191: „Wir kommen somit aus mehreren Gründen zu dem Schluß, daß die Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ ins zweite Viertel, allenfalls ins zweite Drittel des 11. Jahrhunderts datiert werden müssen, nicht erst ins letzte Drittel.“ 23 Beate Braun-­Niehr: Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett. Beobachtungen und Fragen zu seiner Geschichte, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 12), S. 114 – 140. 24 Vgl. Braun-­Niehr 2018 (wie Anm. 23), S. 133 – 137. – Klaus Gereon Beuckers: Das Kölner Sakramentar in Polen. Zur Einleitung, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 12), S. 13 – 26 [Beuckers 2018.2], insb. S. 22 f. – Zur Urkunde der Chorweihe vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 16), Nr. 801 u. 810, S. 232 u. 233 f. sowie Rheinisches Urkundenbuch. Ältere Urkunden bis 1000, Bd. 2: Elten – Köln, St. Ursula, bearb. v Erich Wisplinghoff (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 57), Düsseldorf 1994, Nr. 315. – Klaus Gereon Beuckers: Sakraltopographie um Grab und Schrein. Zum Ostabschluss der salischen Krypta von St. Severin in Köln, in: K ­ irchen und Klausur, Architektur und Liturgie. Festschrift für Clemens Kosch zum 65. Geburtstag, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und ­Elizabeth den Hartog, Regensburg 2012, S. 31 – 51, hier S. 40 f.

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aus, da eine Altarinschrift (trotz der in Köln breiten historigraphischen Überlieferung insbesondere durch die Brüder Gelenius) nicht überliefert wird und die Schreinsinschrift aus dem 11. Jahrhundert ganz andere Formulierungen benutzt.25 Braun-­Niehr hatte deshalb auf die um 900 entstandene Vita et Translatio Sancti Severini verwiesen, die im Stundengebet am Festtag des hl. Severin in dem Stift verlesen wurde, und wo der Wortlaut zwar nicht als Ganzes, aber in seinen verschiedenen Bestandteilen zu finden ist. Möglicherweise bildete dies die Grundlage für die Formulierung in der Urkunde und auch den Eintrag in das Evangeliar, jedoch wird man kaum unabhängig voneinander die identische, sonst nicht bezeugte Formulierung gefunden haben. Insgesamt bietet der Eintrag in das Kapitulare somit einen Anhaltspunkt für die Datierung des Evangeliars im Umfeld der Chorweihe und damit bereits in die 1040er Jahre, was auch Braun-­Niehr vermutet. Eine ­solche Konstellation passt hervorragend zu Kasimir von Polen, dem Enkel aus dem mit dem ottonischen Kaiserhaus verbundenen ezzonischen rheinischen Pfalzgrafengeschlecht, der wohl im Sommer 1041 mit Kölner Unterstützung nach Polen zurückkehrte und dort von Krakau aus sein Herzogtum aufbaute. Er unterhielt enge Verbindungen nach Köln, wo seine Familie bis 1047 (dem Tod des einzigen verbliebenen männlichen Agnaten) nicht zuletzt durch seine ­Mutter Königin Richeza von Polen (verst. 1061) große Ambitionen hatte, sein Onkel Erzbischof Hermann II. (amt. 1036 – 1056) als enger Vertrauter ­Kaiser Heinrichs III. (amt. 1039 – 1056) wirkte.26 Mit Kasimir ist das Sakramentar aus der Abtei Tyniec bei ­Krakau verbunden, was angesichts der politischen Umstände nur eine Verbringung der Prachthandschrift in den 1040/50er Jahren nach Polen erklären könnte. Auch Harald Horst, der sich zuletzt dem Freiburger Sakramentar aus dem Kloster (Mönchen-)Gladbach widmete, erwog eine Datierung „vor 1050“.27

* Relevant für eine Frühdatierung der ‚Strengen Gruppe‘ sind auch die Beziehungen zur Vorgängergruppe, der ‚Reichen Gruppe‘. So zeigt bereits die traditionell als älteste der Gruppe geltende Handschrift, das Evangeliar aus Mariengraden (Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Köln, Cod. 1001a), Motive des grafischen Stils, der in der ‚Strengen Gruppe‘ 25 Die bei Aegidius Gelenius überlieferte Inschrift lautete: „Presul presentis Herimannus tertius urbis / res patronorum cupiens augere suorum / ossa Severini capse prius indita vili / splendidiore domo gemmis decoravit et auro / quem pro peccatis iuvet huius gratia patris / compensans votum simul hoc laudabile donum.“ zit. n. Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, Band 2.2: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln: Minoritenkirche – S. Pantaleon – S. Peter – S. Severin, bearb. v. Hugo Rahtgens und Hermann Roth (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 7.2), Düsseldorf 1929, S. 320. 26 Vgl. hierzu die verschiedenen Beiträge in Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 12). 27 Harald Horst: Das Sakramentar aus St. Vitus in Mönchengladbach (UB Freiburg, Hs. 360a). Die Parallelhandschrift des Tyniec-­Sakramentars im Vergleich, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 12), S. 91 – 113, Zitat S. 100.

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vorherrschend wird. Ebenso gilt dies für die beiden anderen der Gruppe zugehörigen Handschriften in New York (Pierpont Morgan Library, MS M.651) und – schwächer – Bamberg (Bayerische Staatsbibliothek, Msc. Bibl. 94).28 Das Mariengraden-­Evangeliar ist über seinen Einband dendrochronologisch in die zweite Hälfte der 1030er Jahre, frühestens auf 1033 datiert,29 die anderen beiden Codices dürften zeitlich wenig davon abweichen: Für das Bamberger Evangeliar wurde eine Stiftung in den letzten Lebensmonaten von Erzbischof Pilgrim (amt. 1021 – 1036) als Memorialobjekt erwogen, also wohl 1035/36.30 ­Joshua O’Driscoll hat jüngst für die New Yorker Handschrift aufgrund ihrer Bezüge zum Hillinus-­ Codex eine Entstehung sogar bereits in dessen direktem zeitlichen Umfeld angenommen und den Codex chronologisch vor das Evangeliar aus Mariengraden gestellt.31 Den üblicherweise um 1025 angesetzten Hillinus-­Codex möchte er konkreter auf 1021 datieren und als ‚Bewerbung‘ auf den Bischofsthron in der Nachfolge Heriberts (amt. 999 – 1021) lesen. Diese historischen Umstände dürften nicht zu halten sein, da die Nachfolge durch P ­ ilgrim bereits vor 1021 feststand,32 allerdings macht dies seine Überlegungen zum ­Verhältnis des 28 Zu Mariengraden vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 69 – 75 mit Tafeln 261 – 287 sowie zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei aus Köln. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018 [Beuckers 2018.1]. – Zu New York vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 75 – 80 mit Tafeln 290 – 305 sowie zuletzt Joshua O’Driscoll: Pictorial Innovation in Ottonian Cologne. The Morgan Gospels (MS M.651) and the Moment of the Reiche Gruppe, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 12), S. 141 – 162. – Zu Bamberg vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 80 – 86 mit Tafeln 307 – 336 sowie Die Handschriften des 8. bis 11. Jahrhunderts in der Staatsbibliothek Bamberg, bearb. v. Gude Suckale-­Redlefsen (Kataloge der illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg, Bd. 1), 2 Bde., Wiesbaden 2004, Bd. 1, Kat. Nr. 82, S. 137 – 142; Digitalisat: http://nbn-­resolving.de/urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000029923 [22. März 2019]. 29 Vgl. Beuckers 2018.1 (wie Anm. 28), S. 45 f. – Das dendrochronologische Gutachten beider aus einem Stamm stammenden Holztafeln des Einbandes bezeugt ein Fälldatum frühestens im Jahr 1021, wobei nach dem jüngsten gemessenen Jahresring (1014) damit nur sieben Jahre für das Splintholz (und den Zuschnitt) bleiben, weshalb das Gutachten eine Entstehung frühestens ab 1033 vorschlägt. Da für die Handschrifteneinbände, deren Maß durch das Pergament vorbestimmt ist, seitlich beschnittene Bretter genutzt wurden, für deren Breite kaum mit einer vollständigen Ausnutzung des Kernholzes eines Baumes kalkuliert werden konnte, ist mit einer Datierung in der zweiten Hälfte der 1030er Jahre zu rechnen. 30 Vgl. Beuckers 2018.2 (wie Anm. 15), S. 14. 31 O’Driscoll 2018 (wie Anm. 28), S. 141 – 162. 32 Zeugnisse für eine Kandidatur von Hillinus, zu dem außer dem Widmunsgbild nichts bekannt ist, für die Nachfolge Erzbischof Heriberts (amt. 999 – 1021) fehlen. Überhaupt dürfte es zweifelhaft sein, ob es 1021 überhaupt eine offene Nachfolgefrage gegeben hat, da Pilgrim spätestens 1016 durch K ­ aiser ­Heinrich II. mit Aufgaben als Kanzler für Italien beauftragt wurde, die eigentlich dem Kölner Metro­ politen zustanden. Damit war er für die Nachfolge designiert, und die Übergabe 1021 erfolgte dann auch reibungslos. Faktisch bedeutete die Übertragung der Kanzlerwürde an Pilgrim eine Ausbootung ­Heriberts, dessen Verhältnis zu Heinrich II. seit 1002 zerrüttet war und 1011 nach der Schlacht von Odernheim noch einmal schwieriger geworden war. Heinrich installierte mit dem Seeoner Aribonen Pilgrim eine Nachfolge gegen die Kölner Opposition aus Erzbischof, Pfalzgrafen und dem alten Umkreis von

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Hillinus-­Codex zu Handschriften der ‚Reichen Gruppe‘ nicht obsolet, die auch schon Anton von Euw und Harald Horst aufgezeigt hatten.33 Die Nähe z­ wischen den Evangeliaren aus Mariengraden und in New York lässt allerdings eine Ansetzung der New Yorker Handschrift schon in die 1020er Jahre aufgrund der dendrochronologischen Datierung des Mariengraden-­Evangeliars höchst unwahrscheinlich sein. Auch der New Yorker Codex dürfte aus den 1030er Jahren stammen. Die Reihung der Handschriften der ‚Reichen Gruppe‘ ist letztlich zu weiten Teilen von der Bewertung eines Entwicklungsmodells abhängig. So ist die relativ homogene Handschrift aus Mariengraden mit ihrem architektonisch eingebundenen Evangelistendarstellungen vor Goldgrund entweder als Neuschöpfung zu lesen, von der dann die deutlich variationsreicheren Zierseiten des New Yorker Evangeliars Modifikationen suchen, oder die noch stärker mit Goldgrund arbeitenden Evangelisten in ihren einfacheren architektonischen Gehäusen Reichenauer Tradition, die erst bei Johannes den Mariengraden-­Typus zeigen, bilden – mit Joshua O’Driscoll – eine Vorstufe zu dem Kölner Codex. Bei den Kanontafeln nimmt das Evangeliar aus Mariengraden den traditionellen Kölner Tafeltypus und setzt ihn in einen Rahmen, wie es dies genauso auch bei den Miniaturen tut; in der New Yorker Handschrift verschmilzt dieser Rahmen mit der Tafelarchitektur zu einer Einheit, weshalb die äußeren Stützen angeschnitten gezeigt und die Zwickel nicht durch eine Blattranke ornamental (wie in Köln), sondern durch Rahmenbildungen oder architektonischen Besatz gefüllt werden.34 Dies setzt sich in dem verlorenen Straßburger Kaiserin Theophanu bzw. Otto III. In gleicher Weise verfuhr dieser 1011 bei der Besetzung des Essener Äbtissinnenstuhls durch die ihm wohlgesonnene Äbtissin Sophia von Gandersheim. Bezeichnenderweise blieb Pilgrim 1021 nur kurz zur Amtseinsetzung in Köln, um dann im Gefolge Heinrichs nach Bamberg (Weihe von St. Michael zusammen mit dem K ­ aiser) und dann als Leiter des Heeresverbandes nach Italien weiterzuziehen. Erst Ende 1022 kam er – erneut zusammen mit Heinrich – nach Köln und Umgebung (Paderborn, Utrecht) und übernahm die erzbischöflichen Geschäfte passenderweise mit einer Aussöhnung mit dem Pfalzgrafen 1023, als sich der Tod des Kaisers bereits abzuzeichnen begann. – Zum Verhältnis von Heinrich II. und Heribert vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Heinrich II. und Köln. Die Gründung von Kloster Deutz im (kunst)historischen Kontext, in: Herrschaftslandschaft im Umbruch. 1000 Jahre Merseburger Dom, hg. v. Andreas Ranft und Wolfgang Schenkluhn (more romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, Bd. 6), Regensburg 2017, S. 79 – 112. 33 Anton von Euw: Der Hillinus-­Codex der Kölner Dombibliothek und die Reichenauer Buchkunst, in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Zweites Symposium, hg. v. Heinz Finger (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen K ­ irchenund Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 24); Köln 2008, S. 251 – 300, insb. S. 264 – 273. – Harald Horst: Illuminierte Kölner Handschriften und ihre Verbindung nach Trier, in: Libri Pretiosi. Mitteilungen der Bibliophilen Gesellschaft Trier 15 (2012), S. 65 – 77, hier S. 72 – 74. 34 Vgl. Beuckers 2018.1 (wie Anm. 28), S. 77 – 80. – Vgl. auch Klaus Gereon Beuckers: Zum Typus der Kölner Kanontafeln im 10./11. Jahrhundert und ihren Vorbildern. Am Beispiel des Evangeliars aus St. Maria ad Gradus (Diözesanblibliothek Köln Hs. 1001a), in: Mittelalterliche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Siebtes Symposion November 2016, hg. v. Harald Horst (Libelli Rhenani. Schriften

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­ vangeliar fort (soweit der Pause hier zu trauen ist).35 Ob Mariengraden hier also vereinE heitlichend die vorbildlos in New York gefundene Kastenform wieder in die Kölner Tradition zurückzubringen versucht, oder ob das New Yorker das starre Kompositionsprinzip des Mariengraden-­Evangeliars aufsprengt, ist bis zu einem gewissen Maß Ansichtssache. Nicht einfacher wird es, wenn im Bamberger Evangeliar wieder auf die Rahmung verzichtet wird und man zum klassischen Kölner Kanontafeltypus zurückkehrt. Dafür hat der Bamberger Codex die großmotivischen, kraftvollen Ornamente in den Rahmenleisten, die an die New Yorker Kapitelle und manche Rahmen wie beispielsweise fol. 9r erinnern, während diese im Mariengraden-­Evangeliar deutlich feiner und streng-­kultivierter erscheinen. Aber ist die strenge Form unbedingt jünger als die dynamische, die einheitliche jünger als die variantenreiche? Welche Rolle spielt dabei auch die besondere Fähigkeit zur Individualisierung, ja Verlebendigung der Physiognomien des New Yorker Evangelisten-­Meisters, die in der dortigen Johannes-­Darstellung einer wesentlich abstrahierten Gestaltung weicht, die in Mariengraden alle Evangelisten charakterisiert? Zumindest das Evangeliar aus St. Maria ad Gradus zeigt nämlich in sich das Ringen um neue Formen aus der Kölner Tradition der ‚Malerischen Gruppe‘ unter frischem Einfluss der Reichenauer Buchmalerei: So wurde die L-Initiale auf fol. 116r noch in der eckigen Kölner Form angelegt, um dann im Zuge der farbigen Ausgestaltung zum geschwungenen Typus Reichenauer Prägung modifiziert zu werden.36 Ähnliches zeigen auch die Evangelistenbilder, wo eine Vorzeichnung von Matthäus auf fol. 20v im Kölner Typus verworfen wurde, um dann einheitlich die Autorenbilder in ihrer spezifischen architektonischen Fassung zu entwickeln.37 Hier tritt also dezidiert während der Herstellung der neue Einfluss auf und wird auf der Grundlage der Kölner Tradition adaptiert. Ganz eindeutig vom Evangeliar aus Mariengraden abhängig sind das Maiestasbild des Bamberger Codex (fol. 1v bzw. 9v), der Hieronymus (fol. 8r bzw. 1v) sowie die N-Initialzierseiten (fol. 85v bzw. 65r), hinter denen mindestens eine identische gemeinsame Vorlage steht. Insgesamt spricht deshalb einiges für den Beginn der Gruppe im Evangeliar aus Mariengraden, was die Forschung bisher auch fast durchgängig so gesehen hat.38 der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen ­Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 70), Köln 2018, S. 15 – 62 [Beuckers 2018.3]. 35 Zum Straßburger Evangeliar vgl. den Beitrag von Ulrich Kuder in ­diesem Band. 36 Vgl. Beuckers 2018.1 (wie Anm. 28), S. 104 u. S. 143 mit Abb. 56. 37 Sowohl die Unterzeichnung der L-Initiale als auch der verworfene Evangelist waren O’Driscoll bei der Abfassung seines Textes noch nicht bekannt und wurden erst im Herbst 2018 publiziert. Vgl. Doris Oltrogge: Zur Herstellung der Handschrift. Ergebnisse der kodikologischen und maltechnischen Untersuchung, in: Beuckers 2018.1 (wie Anm. 28), S. 139 – 154. 38 So Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 27 und passim. – Ulrich Kuder: Der Hitda-­ Codex im Zusammenhang der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Äbtissin Hitda und der Hitda-­Codex. Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013, S. 89 – 111, insb. S. 111. – Beuckers 2018.1 (wie Anm. 28), passim.

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Unabhängig von der Reihung der drei erhaltenen Evangeliare sowie wohl auch der jüngeren Phase des verbrannten Straßburger Codex ist eine sehr enge, zeitlich nahezu parallele Entstehung anzunehmen. Da an allen drei Handschriften offensichtlich andere Maler gearbeitet haben, dürfte es sich um eine nennenswert große Werkstatt gehandelt haben, der somit sicher noch weitere Prachthandschriften zu verdanken waren, die heute verloren sind. Zeitlich gibt nach derzeitigem Stand nur der Einfluss der Reichenauer Handschriften aus der Stilstufe des Hillinus-­Codex einen Terminus post quem, der durch die dendrochronologische Datierung des Mariengraden-­Einbandes auf die Mitte oder zweite Hälfte der 1030er Jahre einzugrenzen ist. Die Datierung der ‚Reichen Gruppe‘ ist hier von Relevanz, weil sich hier bereits in erheblichem Maße die Stilvoraussetzungen für den grafischen Stil der ‚Strengen Gruppe‘ erkennen lassen.

* Der Höhepunkt der stilistischen Abstraktion der ‚Strengen Gruppe‘ wurde im Lukasbild des Londoner Evangeliars erreicht (fol. 120r, Abb. 42):39 Der Apostel sitzt vor einem dreiteiligen, farbigen Streifengrund mit vereinzelt eingesetzten kleinen Blüten nach links gedreht und tunkt mit der Rechten die Feder auf einem reichhaltig mit Malutensilien bestückten, kastenartigen Pult in ein Tintenfass. In seiner Linken, die auf Hüfthöhe herabgesunken ist, hält er, eher wie ein Attribut als wie einen zur Nutzung vorgesehen Gegenstand, einen geöffneten Codex, auf den sein Evangelienanfang geschrieben ist. Dem Pult links gegenüber steht am rechten Bildrand, dem der Evangelist den Rücken zuwendet, ein gedrechseltes Pult mit einem ebenfalls beschriebenen, offenen Codex darauf, dessen Gewicht von dem dünnen Schaft kaum getragen werden kann. Die Platte ­dieses Pultes bildet gleichzeitg den Buchschnitt der offenen Handschrift und wird als abgewinkelter Rahmen herumgezogen. Damit suggeriert der Maler eine perspektivische Räumlichkeit und ein Volumen, die aber in keiner Weise naturalistisch sind, da die Platte gewissermaßen den Codex beschneidet. Eine solches Verständnis von Abstraktion zeigt auch das Gewand des Evangelisten, das motivisch in dem üblichen knöchellangen Pallium und dem über die Schultern geworfenen Mantel besteht. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem Gewandteil wird die gesamte Fläche durch parallel geführte Streifen strukturiert, die keinerlei Falten als volumengebende Partien aufweisen. Jede Bahn beginnt mit einem aus meist drei dunkelfarbigen, eng parallel gesetzten Linien vor dem farbigen Fond gebildeten Streifen, dem ein breiterer weißer Streifen folgt, bevor meist zwei oder mehrere weiße, wieder eng gestellte Linien vor dem farbig angelegten Hintergrund anschließen, um dann ohne die aufgemalten weißen Deckfarbenlinien als ein breiter Streifen die Gewandfarbe (das Pallium hier hellblau, der 39 Das Digitalisat des Londoner Evangeliars unter http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=­​ ­harley_­ms_2820_fs001r [22. März 2019].

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Abb. 42: Londoner Evangeliar, British Library London, Harley MS 2820, fol. 120r: Evangelist Lukas.

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Mantel violett mit kleinen Blüten) folgen zu lassen, bevor sich dieser Aufbau wiederholt. Die weißen Linien werden an den Feldbegrenzungen durch der Kontur folgende, weiße Linien aufgefangen, so dass sich teilweise leiterartige Strukturen bilden. Sind die Streifen des Mantels und des Palliums am Oberkörper streng vertikal geführt, so werden sie am ausgestreckten rechten Arm etwas zur Überleitung an die leicht aufgestellte Hand kurviert. Im Beinbereich liegen die Streifen auf dem vorderen, linken Bein mit leichter Schwingung nahezu horizontal nach rechts fallend, bei dem rechten Bein steigend. Inszeniert wird der fächerartige, bortenlose Palliumauslauf, der die gesamten Beinpartien unterfängt. Als Kreisformationen nahezu ohne Bezug zur Streifenanlage des Gewandes sind die beiden Knie und der Mantelauslauf auf der linken Schulter angelegt. Sie markieren Körperlichkeit, die sich aber im Gewand, das wie aus steif gestärkten Flächen zusammengesetzt erscheint, sonst kaum erkennen lässt. Anatomische Rückbindung erhält die Form durch die Gliedmaßen, Hände und Füße, sowie durch das überdimensionierte Haupt mit sehr großem Nimbus. Auch hier sind die Gesichtszüge ornamental konstruiert (Abb. 43). Sie werden durch zwei parallele, kräftige, schwarze Linien der Nasenbegrenzung strukturiert, von denen fast kreisrunde Enden als Nasenflügel sowie eine gerundete Nasenspitze in vergleichbarem Durchmesser ausgehen. Die ellipsenförmigen Augen sind durch schwarze Konturen mit schwarzer, kreisrunder Pupille gebildet, die parallel und in nahezu gleicher Strichstärke durch das Oberlid und die Braue markant gemacht werden. Das Oberlid ist mennigefarben. Farbig abgesetzt durch einen Strich in dunklem Mennige ist das Unterlid, das sich in einem Kreisschwung um die Augenpartie herum nach oben schlägt und dort eine von mehreren parallelen Stirnfalten bildet. Der rasierte Wangenbereich ist ab einer Linie vom stark stilisierten Ohr zum Nasenflügel herunter (unter Auslassung des Kinns) als mennigefarbene Fläche ausgefüllt, auf der dünne, weiße Parallellinien bis zur Kieferlinie immer feiner werden und so den Hintergrund immer besser als Schattierung hervortreten lassen. Die Haare sind als Büschel mit parallel geführter Binnenzeichnung angelegt, die vor allem in dem Unterschlag hinter dem Ohr ihre starke Stilisierung offenbaren. Alles an dieser Bildformulierung entfernt sich von einer naturalistischen, körperlich-­ antikischen Darstellung. Die Gewandpartien sind in Flächen aufgeteilt, die in straffer Linienform durch Parallelen, die ihre Wirkung aus dem Nebeneinander farbiger und weißer Partien beziehen, gleichmägig so strukturiert werden, dass sich nahezu keine Tiefe oder räumliche Struktur ergeben kann. Das Streifenornament ist dabei nicht grafisch, sondern flächenorientiert, während die einzelne Linie hinter der tapetenhaften Gesamtwirkung zurücktritt. Die gleichmäßige, bestenfalls leicht kurviert geführte, vor allem aber in zahllosen feinen Parallelen wiederholte Linie bildet auch die Flächenfüllung des stark konturierten Gesichts. Helligkeit entsteht da, wo der farbige Fond hinter den Linien aussetzt, aber sie dient auch hier nie der Anlage von Schattierungen oder Rundungen zur plastischen Modellierung, sondern ist primär immer Flächenfüllung. Dies geschieht sehr konsequent auf einem zeichnerisch äußerst präzisen Niveau, wie auch der gelegentliche Einsatz von

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Abb. 43: Londoner Evangeliar, British Library London, Harley MS 2820, fol. 120r: Evangelist Lukas, Detail.

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Abb. 44: Evangeliar aus Kloster Abdinghof, ursprünglich aus St. Severin in Köln, Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Berlin, Cod. 78 A 3, fol. 1v/2r: Aussendung der Apostel. 154 | Klaus Gereon Beuckers

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Farbwechseln – Mennige spielt bei der gesamten Gruppe eine große Rolle – beispielsweise bei den Lidern sehr wirkungsvoll gesetzt wird. Die hier zugrundeliegende Ästhetik ist das Gegenteil von der antikisch beeinflussten Körperlichkeit beispielsweise des Trierer Gregor-­ Meisters, aber sie ist meisterhaft. Prinzipiell zeigen auch die anderen figürlichen Darstellungen des Londoner Codex und des Abdinghof-­Evangeliars die ­gleiche Stilbildung. Im Londoner Matthäus (fol. 14r) fällt der vor dem Körper diagonal geführte Mantel auf, dessen Hauptmotive seit dem Kölner Evangeliar aus St. Gereon (fol. 21r) eine horizontal unter dem rechten Arm beginnende und zur linken Hand geführte, liegende Schüsselform einerseits und eine runde Umfangung des rechten Knies, die als gespitzte Form zur linken Körperseite geführt wird, andererseits bestimmend waren. Diese Motive sind in die Parallelbahnen kaum umzusetzen, weshalb sowohl Matthäus im Londoner als auch im Abdinghof-­Evangeliar (fol. 16r) hier weiterhin Spannmotive aufweisen, die allerdings eigenartig gebrochen werden. Mit solchen Gewandspannungen arbeiten auch die Seitenansichten von Markus und Johannes in London (fol. 78r und 191r) und in Berlin (fol. 87r und 206r), wobei die aus St. Severin in Köln stammende Handschrift des Abdinghofklosters hier den Weg zu einer Auflösung in kräftige Parallellinien zeigt, die bei Johannes zu ornamentaler Reife geführt sind. Stilistisch gehören der Stilstufe des Londoner Lukas auch die etwas hölzernen Darstellungen von Hieronymus in London (fol. 12v) und Berlin (fol. 14v) an, wie auch die Maiestas-­Bilder in Berlin (fol. 13v) und im Sakramentar aus Tyniec (pag. 32). Zu den Höhepunkten der gesamten Gruppe zählt dann die doppelseitige Aussendung der Apostel im Evangeliar aus Kloster Abdinghof (fol. 1v/2r, Abb. 44), deren Streifendekore bei der Differenzierung der Apostel eindrücklich die Bedeutung der Farbigkeit für die gesamte Gruppe wie auch die elementare Wichtigkeit der oft vergrößerten und überlängten Hände und Füße zeigen, die bei der Rücknahme aller Individualität der Personenzeichnung zum Träger des Sinngehaltes werden. Eine Sonderrolle nimmt dabei der Evangelist Johannes aus den Nürnberger Einzelblättern ein (Abb. 45 – 48), da bei ihm gerade nicht die Tendenz zu kräftigen Linien wie beim Abdinghofer Markus geht, sondern die einzelnen, hier fächerartigen Flächen durch sehr feine Parallellinien gefüllt werden und zudem den Rückenkontur so etwas wie eine Bordüre entlangzieht, während bei allen anderen Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ die Linien direkt bis zum Kontur gezogen sind. Auch in der Gesichtszeichnung überwiegen die sehr akkurat geführten Parallelen. Eberhard Wiegand hatte die ornamentale Ausgestaltung der Rückenlinie als Missverständnis einer ehemals plastischen Modellierung verstanden und als Hinweis auf eine besonders späte Entstehung der Blätter innerhalb der ‚Strengen Gruppe‘ gelesen.40 Diese Reihung dürfte zutreffen, jedoch übersieht er die Konsequenz, die sich aus den flächenhaften Vorstufen ergibt und hier mit dem Zickzackband als Rahmenmotiv 40 Wiegand 1934/35 (wie Anm. 11), S. 48. – Vgl. hierzu auch Prinz 2018 (wie Anm. 14), S. 91 f.

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weit jenseits einer Körperlichkeit steht. Hierin liegt kein Missverständnis, sondern eine ganz anders gedachte Abstraktion. Von den feinen Linien der Nürnberger Blätter lassen sich die Brücken in die ‚Reiche Gruppe‘ zurückschlagen, wo eine ­solche dünne Linienführung als Flächenfüllung beispielsweise bei den New Yorker Evangelisten Matthäus (fol. 8v), Markus (fol. 50v) und Lukas (fol. 78v) auftritt (während Johannes einer anderen Hand zuzuweisen ist, die dem Maler von Mariengraden näher steht, s. o.). Bei Markus findet sich auch die Aufgliederung des Gewandes in hier durch dicke schwarze Linien begrenzten Bahnen, deren Binnenzeichnungen durch Parallellinien gebildet werden. Gerade das weiße Pallium wirkt wie die direkte Vorstufe zur ‚Strengen Gruppe‘. Ähnliches kann auch für Matthäus gelten, wenn auch hier die Gewänder noch deutlich stärker bewegt und räumlicher angelegt sind, als dies dann später der Fall ist. Insgesamt ist der Abstand ­zwischen den beiden Gruppen nennenswert, so dass die ‚Strenge Gruppe‘– soweit der erhaltene Handschriftenbestand dies beurteilen lässt – nicht als organisch aus der ‚Reichen Gruppe‘ weiterentwickelt anzusehen ist. Vielmehr setzt hier ein neuer Gestaltungsprozess ein. Dieser wird von der Forschung immer gern mit dem angeblich vom Gregor-­Meister geschaffenen Manchester Evangeliar (John Rylands Library Manchester Ms. lat. 98) identifiziert,41 aus dem Bloch/Schnitzler die gesamte Kölner Buchmalerei abgeleitet haben. Da der Manchester-­Codex jedoch alle seine figürlichen Bildseiten verloren hat, wird hierzu immer das Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon herangezogen, das zu Recht als dessen Kopie angesehen wird und mit dem Bloch/Schnitzler auch die ‚Strenge Gruppe‘ beginnen lassen. Die Bedeutung des Manchester-­Codex für die Kölner Buchmalerei, die teilweise erheblich vor dem Evangeliar in Manchester entstand, ist inzwischen deutlich relativiert worden,42 wenn auch bis heute eine Diskussion der Gründe, die die älteste Forschung zu einer Zuordnung des Codex in die Kölner Buchmalerei geführt hatten, noch aussteht. Für die ‚Reiche Gruppe‘ sind einige Evangelistentypen wie beispielsweise der in Seitenansicht gezeigte Markus oder auch Lukas ohne das Stuttgarter Evangeliar oder sein Vorbild nicht denkbar, und auch der Stuttgarter Johannes (fol. 156r) steht dem Nürnberger Johannes motivisch so nahe, dass ein unmittelbarer Zusammenhang 41 Zum Manchester Evangeliar vgl. Carl Nordenfalk: The Chronology of the Registrum Master, in: Kunsthistorische Forschungen Otto Pächt zu seinem 70. Geburtstag, hg. v. Artur Rosenauer und Gerold Weber, Salzburg 1972, S. 62 – 76 insb. S. 64 – 67. – Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter, Ausst. Kat. Kulturhistorisches Museum Magdeburg, hg. v. Matthias Puhle und Gabriele Köster, Regensburg 2012, Kat. Nr. V.60, S. 662 – 664 (Thomas Labusiak). 42 Vgl. unter anderem Klaus Gereon Beuckers / Christoph Winterer: Einleitung, in: Beuckers 2013 (wie Anm. 38), S. 7 – 32, insb. S. 22 – 24. – Kuder 2013 (wie Anm. 38), S. 92 f. – Klaus Gereon Beuckers: Das Gundold-­Evangeliar in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Bemerkungen zu einem Kölner Prachtcodex des 10./11. Jahrhunderts, in: Philologia sanat. Studien für Hans-­Albrecht Koch zum 70. Geburtstag, hg. v. Gabriella Rovagnati und Peter Sprengel, Frankfurt am Main 2016, S. 41 – 65, insb. S. 48 – 50 u. 61 f. – Prinz 2018 (wie Anm. 14), S. 97 – 103.

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Abb. 45: Einzelblatt eines verlorenen Evangeliars, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Mn 394r: Evangelist Johannes.

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Abb. 46: Einzelblatt eines verlorenen Evangeliars, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Mn 394v: Initium-­Seite zum Johannes-­Evangelium.

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Abb. 47: Einzelblatt eines verlorenen Evangeliars, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Mn 395r: Initialzierseite zum Johannes-­Evangelium in principio.

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Abb. 48: Einzelblatt eines verlorenen Evangeliars, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Mn 395v: Beginn des Johannes-­Evangeliums erat verbum.

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offensichtlich ist. Im Stil und hinsichtlich der Gesamtwirkung der Rahmenornamente wie auch dem Farbkanon (der sich im Manchester-­Codex auch schon deutlich von anderen Werken des Gregor-­Meisters unterscheidet) steht das Stuttgarter Evangeliar eher New York nahe und zeigt wenig von der großflächigeren Rahmenfüllung beispielsweise des Berliner Codex, ist aber deutlich variantenreicher als die Handschriften aus Tyniec, Gladbach und in London. Hierin ist der Übergang von der ‚Reichen‘ zur ‚Strengen Gruppe‘ greifbar. Der routinierte Kopist des Stuttgarter Evangeliars aus St. Gereon nimmt hierbei in seinen Evangelistendarstellungen zwar im Typus und motivisch die Evangelistenreihen von London und Berlin vorweg, hängt stilistisch aber mit seinen Spann- und Schwingmotiven sowie der volumenbezogenen Binnenzeichnung der Gewänder (deutlichstes Beispiel ist hier Matthäus fol. 19r) ganz an der hochottonischen Tradition nicht zuletzt der trier-­reichenauischen, aber auch der Kölner Malerei der ‚Malerischen Gruppe‘. Das Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon dürfte deswegen – wenn man eine chronologische Entwicklung voraussetzen möchte – gegen Ende der 1030er Jahre oder in den frühen 1040er Jahren entstanden sein. Hartmut Hoffmann hat darauf hingewiesen, dass der Hauptschreiber des Lyskirchen-­ Evangeliars auch im Stuttgarter Evangeliar geschrieben hat und er selbst oder sehr verwandte Hände die anderen Prachthandschriften der ‚Strengen Gruppe‘ verantwortet hätten.43 Er fächert eine gewisse Anzahl beteiligter Schreiber auf, die auf einen routinierten und vor allem relativ umfangreichen Kreis an Händen schließen lassen. Für die Malerei kann dasselbe gesagt werden, denn auch hier dürften ­zwischen dem Sakramentar aus Tyniec und den Nürnberger Blättern als Außenpunkte, möglicherweise aber auch in den auf den ersten Blick sehr eng verwandten Evangeliaren in Berlin und London verschiedene Maler gearbeitet haben. Wie individuell dabei vorgegangen wurde, zeigt auch die Textgrundlage, die bei den beiden Evangelien und auch den beiden Sakramentaren nicht dieselbe ist.44 Insgesamt entstanden die Handschriften offenbar arbeitsteilig in einer strukurierten Werkstatt mit mehreren Schreibern und Malern, die sich aber um eine einheitliche Formensprache bemühten. Aus ­diesem Grund bilden sie eine relativ homogene Gruppe, wenn auch die Qualitätsunterschiede z­ wischen den Hieronymus-/Gregorbildern beispielsweise in Freiburg und den Evangelisten in London und Berlin nicht zu übersehen sind. Das Verhältnis der Maler zu dem Stuttgarter Evangeliar aus St. Gereon ist kaum einzuschätzen, da es sich bei ­diesem um eine Kopie handelt, die die freie Gestaltung logischerweise einschränkt. Dennoch sind die Sicherheit der Linienführung und der Details, der hohe Anspruch einer exakten Wiedergabe und überhaupt auch der materielle Aufwand in Stuttgart so groß, dass hier von einer führenden Kraft innerhalb der Werkstatt auszugehen ist. Diese Hand ist in der ‚Strengen Gruppe‘ eigentlich nicht mehr zu erkennen, wenn man sich beispielsweise die Evangelisten auch in den Details ansieht. Eindeutig sind jedoch die 43 Hoffmann 2012 (wie Anm. 7), S. 187 – 192. 44 Vgl. Braun-­Niehr 2018 (wie Anm. 23), S. 132 f. – Horst 2018 (wie Anm. 27), insb. S. 97 – 99 u. 110.

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Evangelisten beider Evangeliare der ‚Strengen Gruppe‘ ohne die des Stuttgarter Evangeliars oder der gemeinsamen Vorlage nicht denkbar. Auch da, wo sie ältere Typen rezipieren, ist die Umrisslinie und Flächenteilung so nahe am Stuttgarter Codex, dass man am ehesten von einer Abhängigkeit dezidiert von dieser Handschrift statt beispielsweise von den verlorenen Evangelisten des Manchester Evangeliars ausgehen möchte. Insgesamt ist die ‚Strenge Gruppe‘ ohne den Stuttgarter Codex so homogen, dass sie kaum über einen längeren Zeitraum geschaffen worden sein dürfte. Nimmt man das Verhältnis zur ‚Reichen Gruppe‘ aus der zweiten Hälfte der 1030er Jahre und die Datierungshinweise für Tyniec und Berlin in die erste Hälfte der 1040er Jahre zusammen, so mag man auch mit den Nürnberger Einzelblättern kaum wesentlich über die Mitte der 1040er Jahre hinausgehen. Die letzte Gruppe der Kölner Buchmalerei des 10./11. Jahrhunderts, wie sie von Bloch/Schnitzler beschrieben wurde, scheint also – dem erhaltenen Denkmälerbestand nach – um 1050 ihr Ende gefunden zu haben.

* Zeitlich entstand die ‚Strenge Gruppe‘ somit parallel zu den Hauptwerken der Echternacher Buchmalerei unter Abt Humbert (amt. 1028 – 1051), die – zumindest seit Mitte der 1040er Jahre – mehrfach für ­Kaiser Heinrich III. (amt. 1039 – 1056) gearbeitet hat.45 Um 1039/40 fertigte die Abtei ein Perikopenbuch aus, das als Widmungsgeschenk an den gerade die Alleinherrschaft angetreten habenden König gestaltet war.46 Spätestens 1045 gab Heinrich im Vorfeld seiner Romreise ein großformatiges Evangeliar für den Speyerer Dom in Auftrag, dem um 1050 ein Evangeliar zur Weihe von St. Simon und Juda in Goslar folgte.47 Die Echternacher Handschriften stehen in der Trier-­Reichenauer Tradition, die stark durch 45 Zur Echternacher Buchmalerei vgl. zusammenfassend Anton von Euw: Die Prachthandschriften aus Echternach, in: Die Abtei Echternach 698 – 1998, hg. v. Michele Camillo Ferrari, Jean Schroeder und Henri Trauffler, Luxembourg 1999, S. 165 – 202. – Vgl. auch Thomas Labusiak: ‚Möge Deine Barmherzigkeit auf uns schauen!‘ Heinrich III. und die Reichsabtei Echternach, in: Buchschätze des Mittelalters. Forschungsrückblicke – Forschungsperspektiven, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Christoph Jobst und Stefanie Westphal, Regensburg 2011, S. 93 – 108. 46 Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, Ms. b. 21. – Zur Handschrift vgl. Joachim M. Plotzek: Das Perikopenbuch Henirchs III. in Bremen und seine Stellung innerhalb der Echternacher ­Buchmalerei, masch. schr. Diss. Köln 1970. – Gerhard Knoll: Das Evangelistar ­Kaiser Heinrichs III. Kommentarband zum Faksimile, Wiesbaden 1981. – Zur Datierung vgl. zuletzt Klaus Gereon Beuckers: Der verfügte Adressat. Manifestation und Autorenschaft in Herrscherbildern ottonischer und frühsalischer Buchmalerei, in: Mäzenaten im Mittelalter aus europäischer Perspektive. Von historischen Akteuren zu literarischen Textkonzepten, hg. v. Bernd Bastert, Andreas Bihrer und Timo Reuvekamp-­Felber (Encomia Deutsch, Bd. 4), Göttingen 2017, S. 239 – 266, hier S. 253. 47 Biblioteca de El Escorial, Cod. Vitr. 17 (Speyer) u. Universitetsbibliotek Uppsala, Cod. C. 93 ­(Goslar). – Zu den Handschriften vgl. Albert Boeckler: Das Goldene Evangelienbuch Heinrichs III ., Berlin 1933 (ND 2005). – Johannes Rathofer (Hg.): Das salische ­Kaiser-­Evangeliar Codex Aureus Escorialensis. Das Goldene Evangelienbuch Heinrichs III. Kommentarband zum Faksimile, 2 Bde., Münster

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Abb. 49: Codex Aureus aus Echternach, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Hs 15642, fol. 20v: Evangelist Matthäus, Detail.

den Gregor-­Meister geprägt wurde. Dennoch sind auch hier Tendenzen der zunehmenden Liniearität und flächenhaften Abstraktion zu erkennen, die im Detail an die Kölner Leistungen erinnern. Dies mag nur die Gegenüberstellung eines Kopfdetails des Evangelisten Matthäus aus dem Nürnberger Codex (fol. 20v, 1030er Jahre)48 mit Matthäus aus dem Evangeliar aus Kloster Abdinghof (fol. 16r) andeuten. Gemeinsam ist ihnen nicht nur der übergroße Nimbus mit Punktumrandung, sondern auch die Abschattierung des Gesichtes zum Haaransatz (Abb. 49 und 50). Tendenzen zu einer ornamentalen Systematisierung der Faltenanlagen als zusammengezogene Linienbünde zeigt beispielsweise auch der Evangelist Lukas aus dem Escorialensis (fol. 91v). In dieser Handschrift wesentlich aussagekräftiger ist aber Johannes (fol. 133v), bei dem ebenfalls alle Körperlichkeit zugunsten einer Flächigkeit zurückdrängt wurde und damit eine unförmig breit erscheinende Umrisslinie entsteht, die den gleichzeitigen Kölner Evangelisten der ‚Strengen Gruppe‘ nahesteht (Abb. 51). Sicherlich zeigen die Echternacher Evangeliare aufgrund ihrer anderen Stiltradition und ihres meist erheblich größeren Aufwandes als die Kölner Codices genauso viele Unterschiede wie 1995/99. – Carl Nordenfalk: Codex Caesareus Upsaliensis. An Echternach Gospel-­Book of the Eleventh Century. Kommentarband zum Faksimile, Stockholm 1971. 48 Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Hs. 156142. – Zur Handschrift vgl. Peter Metz: Das Goldene Evangelienbuch von Echternach im Germanischen National-­Museum zu Nürnberg, München 1956. – Rainer Kahsnitz (Hg.): Das Goldene Evangelienbuch von Echternach. Kommentarband zum Faksimile, Frankfurt am Main 1982. – Anja Grebe: Codex Aureus. Das Goldene Evangelienbuch von Echternach, Darmstadt 2007. – Doris Oltrogge / Robert Fuchs: Die Maltechnik des Codex Aureus aus Echternach. Ein Meisterwerk im Wandel (Wissenschaftliche Bände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Bd 27), Nürnberg 2009.

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Abb. 50: Evangeliar aus Kloster Abdinghof, ursprünglich aus St. Severin in Köln, Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Cod. 78 A 3, fol. 16r: Evangelist Matthäus.

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Gemeinsamkeiten zur ‚Strengen Gruppe‘; ähnlich ist jedoch die Stiltendenz, die sich hier in den 1040er Jahren greifen lässt und eine Zeitgenossenschaft unterstreicht. Angesichts der Spätdatierung der Gruppe durch Bloch/Schnitzler in die 1070/80er Jahre hat die Forschung immer wieder auf den Kruzifixus aus St. Georg in Köln als Paral­ lele verwiesen, der um die Weihe von St. Georg 1067 datiert wird.49 Dabei ergab sich das Problem, dass der Torso – trotz seiner Verluste – einen anderen Gesamtaufbau als die Kreuzigungsdarstellungen in den Sakramentaren aus Tyniec (pag. 36, Abb. 52) und Gladbach (fol. 15v) zeigt. Stilistische Gemeinsamkeiten könnten die in engen, aber gleichmäßigen Parallelen geführten Bart- und Haupthaare des Kruzifixus zu den Gewandflächen der Buchmalerei sein, aber schon der wesentlich weicher und vor allem tendenziell naturalistischer modellierte Rumpf spricht eine ganz andere Formsprache. Auch die Schurzgestaltung ist sehr räumlich strukturiert und zeigt gerade nicht die Verflächungen der Malerei. Mag dabei natürlich immer auch der Gattungsunterschied ­zwischen (Buch-)Malerei und (Monumental-)Skulptur zu berücksichtigen sein, so folgen der Georgs-­Kruzifixus und die figürlichen Darstellungen der ‚Strengen Gruppe‘ anderen Gestaltideen. Wilhelm Schnitzler hat jedoch bereits 1961 auf einen anderen Kruzifixus hingewiesen,50 der bisher viel weniger Raum in der Diskussion gefunden hat: Der Kruzifixus im erst 1240 gestifteten und durch den Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden bestätigten westfä­ lischen Zisterzienserinnenkloster (Lippstadt-)Benninghausen (Abb. 53), den die Forschung durchgängig als Kölner Arbeit ansieht. Als erster hat Rudolf Wesenberg die Skulptur ausführlicher besprochen und vor allem den Kruzifixen der ‚Strengen Gruppe‘ gegenübergestellt. Seiner nachvollziehbaren Einschätzung nach „hat der Stil des Benninghausener Kruzifixus [zu diesen] eine so enge Verwandtschaft, wie sie unter Werken verschiedener Kunstgattungen nur selten anzutreffen ist.“ 51 Neben den motivischen Gemeinsamkeiten, die er insbesondere zum 49 Zum Georgskruzifixus vgl. Rudolf Wesenberg: Frühe mittelalterliche Bildwerke. Die Schulen rheinischer Skulptur und ihre Ausstrahlung, Düsseldorf 1973, S. 67 f. – Ulrike Bergmann: Schnütgen-­Museum. Die Holzskulpturen des Mittelalters (1000 – 1400), Köln 1989, Kat. Nr. 3, S. 126 – 132. – Manuela Beer: Triumphkreuze des Mittelalters. Ein Beitrag zu Typus und Genese im 12. und 13. Jahrhundert, Regensburg 2005, S. 188 f. – Anna Pawlik: Das Bildwerk als Reliquiar? Funktionen früher Großplastik im 9. bis 11. Jahrhundert (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte, Bd. 98), Petersberg 2013, Kat. Nr. 23, S. 259 – 263. – Zuletzt Anna Pawlik: Das Kruzifix aus St. Georg. Ein Zeugnis aus der Frühzeit, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische ­Kirchen Köln 32 (2017), S. 32 – 39. – Vgl. auch Anton Legner: Bildkunst der Annozeit. Kruzifixe, in: Kat. Köln 1975 (wie Anm. 19), S. 133 – 146. 50 Schnitzler 1961 (wie Anm. 11), S. 211. 51 Wesenberg 1973 (wie Anm. 49), S. 69 f. – So auch bereits bei Rudolf Wesenberg: Der Kruzifixus aus Brempt, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 23 (1960), S. 23 – 42. – Zum Benninhausener Kruzifixus vgl. auch Rainer Budde: Deutsche Romanische Skulptur 1050 – 1250, München 1979, Kat. R. 16/17, S. 26. – Beer 2005 (wie Anm. 49), S. 188 mit Anm. 130. – Canossa 1077 Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz u. Erbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn, hg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff,

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Abb. 51: Evangeliar Heinrichs III. für den Speyerer Dom, Biblioteca de El Escorial, Cod. Vitr. 17, fol. 133v: Evangelist Johannes.

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Abb. 52: Sakramentar aus Tyniec, Nationalbibliothek Warschau (Depositum), BOZ 8, pag. 36: Kreuzigung.

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Abb. 53: Benninghausener Kruzifix, Pfarrkirche St. Martin in (Lippstadt-)Benninghausen,

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Abb. 54: Wandmalerei in der Dionysiuskapelle des Torbaus des Xantener Domes vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Foto: A. Kreyenkampt (1933/34).

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Abb. 55: Wandmalerei in der Dionysiuskapelle des Torbaus des Xantener Domes vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, Detail. Foto: A. Kreyenkampt (1933/34).

Kruzifixus im Sakramentar aus Tyniec aufführt (Abb. 52) und die von der Proportionierung über das Hängemotiv und die Körperzeichnung bis zu Details wie der Übereinstimmung des Zingulum-­Knotens zum Gewand der Luna reicht, ist vor allem eine überraschende stilistische Ähnlichkeit der Gestaltmittel zu konstatieren, wenn der insgesamt dem Kölner Gero-­Kruzifixes verpflichtete Korpus diese Vorlage überlängt und zugunsten einer stärkeren Linearität akzenturiert.52 Insbesondere am Schurz wird die aus V-Falten gebildete Anlage des Gero-­Kruzifixes mit ihrer volumenhaften Gürtung in eng gesetzte, parallele, gleichförmige Falten umgedeutet, die sich kaum an den Körperformen orientieren, sondern als Bahnen heruntergeführt sind. Der Schurz wird dabei aus zwei dieser Bahnen, die Parallelen in den Flächenfüllungen der Buchmalerei haben, gebildet; auch die Gürtung wird so gestaltet. Diese Form der Abstraktion, die unter den erhaltenen Kruzifixen des 11. Jahrhunderts sehr ungewöhnlich ist, entspricht motivisch den beiden Sakramentar-­Kruzifixen sehr weitgehend, darüber hinaus aber auch dem Stil der Buchmalerei der ‚Strengen Gruppe‘ insgesamt. Der Benninghausener Kruzifixus, dessen aus der Spätdatierung der Buchmalerei abgeleitete Datierung somit neu zu überdenken ist und wohl um 1050 angesetzt werden München 2007, Bd. 2, Kat. Nr. 486, S. 393 (Manuela Beer). – Pawlik 2013 (wie Anm. 49), Kat. Nr. 3, S. 182 – 185, die die Gegenüberstellung von Wesenberg übernimmt. 52 Zum Gero-­Kreuz vgl. Wesenberg 1973 (wie Anm. 49), S. 11 – 15. – Karolingische und ottonische Kunst, hg. v. Bruno Reudenbach (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Bd. 1), München 2006, Kat. Nr. 282, S. 515 (Bruno Reudenbach). – Pawlik 2013 (wie Anm. 49), Kat. Nr. 19, S. 246 – 251. – Zuletzt Rolf Lauer: Das Gerokreuz im Kölner Dom, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-­Dombau-­Vereins Köln 83 (2018), S. 62 – 89.

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muss, ist ein außergewöhnlich qualitätvolles Werk, das als dreidimensionales Bildwerk in seiner flächenorientierten linearen Abstraktion nicht so weit wie die (Buch-)Malerei bei den Evangelisten oder auch die von Schnitzler, Bloch/Schnitzler und Kuder breit diskutierte Wandmalerei in der Xantener Torkapelle (Abb. 54 und 55) gehen kann.53 Sie alle vertreten jedoch eine ­gleiche Stilstufe Mitte des 11. Jahrhunderts, als es zeitgleich wohl auch im gleichen Umfeld auch andere stilistische Vorstellungen gab, wie die immer wieder auf die Gruppe ‚kleinfigürlicher‘ Lütticher Elfenbeine zurückgeführte Kölner Elfenbeinschnitzerei der 1040/50er Jahre und vor allem die monumentalen Türen von St. Maria im Kapitol (vor 1049) mit ihren von den Elfenbeinen beeinflussten, gedrungenen Figuren belegen.54

* Als sich Erzbischof Anno II . (amt. 1056 – 1075) am 21. April 1057 knapp ein Jahr nach seiner Amtseinsetzung die Gründung seines Vorgängers Erzbischof Herimann II . am Stift St. Maria ad Gradus mit der Kirchenweihe aneignete,55 dürfte das Mariengraden-­ Evangeliar, das zur ‚Reichen Gruppe‘ der Kölner Buchmalereiproduktion gehört, an das junge Stift östlich des Domes gekommen sein.56 Zu d ­ iesem Zeitpunkt war der ambitionierte Prachtcodex bereits etwa zwanzig Jahre alt; seine Nutzung bis zum Übergang an Mariengraden ist unbekannt. Zehn Jahre später vollzog Anno am 28. Oktober 1067 die Kirchenweihe seiner eigenen Gründung, des Stiftes St. Georg.57 Vermutlich gehörten damals zwei Evangeliare zum Gründungsgut: Das heute in Darmstadt verwahrte ältere Evangeliar aus St. Georg, das eine um 1010/30 in Seeon geschriebene, wohl unter Reichenauer Einfluss ausgemalte süddeutsche Handschrift ist,58 und das offenkundig 53 Schnitzler 1961 (wie Anm. 11), S. 212 – 219. – Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 30. – Kuder 2018 (wie Anm. 15), S. 245 – 249. 54 Vgl. immer noch grundlegend Wesenberg 1973 (wie Anm. 49). – Zuletzt zusammenfassend auch M ­ anuela Beer: Monumentalskulptur in salischer Zeit. Form, Inhalt und Funktion, in: Kat. Paderborn 2007 (wie Anm. 51), Bd. 1, S. 407 – 418. – Zu den Elfenbeinen vgl. den Überblick anhand einiger Hauptwerke in Kat. Paderborn 2007 (wie Anm. 51), Bd. 2, Kat. Nr. 477 – 483, S. 380 – 392 (Theo Jülich). – Zu den Türen von St. Maria im Kapitol vgl. Wolfgang Stracke: St. Maria im Kapitol Köln. Die romanische Bildertür, Köln 1994. – Klaus Gereon Beuckers: Rex iubet – Christus imperat. Studien zu den Holztüren von St. Maria im Kapitol und zu Herodesdarstellungen vor dem Investiturstreit (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 42), Köln 1999. 55 Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 16), Nr. 862, S. 249. 56 Vgl. Beuckers 2018.1 (wie Anm. 28), S. 31 f. 57 Das Jahr ist durch eine (verfälschte) Urkundenabschrift des 12. Jahrhunderts überliefert, das Datum erschließt sich aus der liturgischen Kirchweihfeier in St. Georg. Vgl. Oediger 1954/61 (wie Anm. 16), Nr. 970, S. 280 f. mit Anm. 1. – Vgl. zuletzt Joachim Oepen: Die Gründungsurkunde des Stiftes St. Georg in Köln aus dem Jahr 1067, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische ­Kirchen Köln 32 (2017), S. 23 – 31. 58 Hessisches Landesmuseum, Darmstadt, AE 681. – Vgl. Hartmut Hoffmann: Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich (Schriften der Monumenta Germaniae Historica, Bd. 30),

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unvollendete, vermutlich noch nicht einmal gebundene Lyskirchen-­Evangeliar, dessen Anlagebestand in der Kölner ‚Strengen Gruppe‘ bereits mindestens ein Jahrzehnt alt war. In beiden Fällen standen dem Erzbischof offenbar keine neuen Prachtevangeliare zur Verfügung; in beiden Fällen scheint er keine Möglichkeit gehabt zu haben, ­solche Prachtcodices für seine Gründungen vor Ort in Auftrag geben zu können, weshalb er auf Altbestand – im Fall des Lyskirchen-­Evangeliars aufgrund des unfertigen Zustandes sogar zweiter Wahl – zurückgreifen musste. Dies ist kaum verständlich, wenn die Kölner Buchmalerei-­Produktion, wie sie in der ‚Strengen Gruppe‘ greifbar ist, weiterhin Bestand gehabt hätte. Offenbar war sie bereits ausgelaufen. Zwischen den beiden Handschriften in St. Georg, die am Ende des Mittelalters zusammen neue Einbände erhielten,59 bestand 1067 offensichtlich eine Hierarchie, bei der das mit Kanontafeln, Evangelistenbildern und Textzierseiten ausgestattete süddeutsche Evangeliar, das nach Alois Schütz bereits unter Erzbischof Pligrim an den Kölner Dom gelangt war,60 anfangs deutlich höher geschätzt wurde. Zumindestens war das Lyskirchen-­Evangeliar für St. Georg sicher nicht die repräsentative Haupthandschrift, die als Gründungsausstattung für eine erzbischöfliche Gründung und die zeremonielle Liturgie angemessen war. Zu dieser wurde sie erst am Anfang des 12. Jahrhunderts nach der Fertigstellung und Hinzufügung der Bilder sowie nach der Bindung in einen goldenen Prachteinband.61 Seit dieser Aufwertung, die das süddeutsche – silberne – Evangeliar in die zweite Reihe zurückdrängte, war das Lyskirchen-­Evangeliar das Identifikationsobjekt des Stiftes, wie die Nachträge beginnend mit dem Schatzverzeichnis deutlich zeigen. Mit dieser Aufwertung hatte Anno aber nichts mehr zu tun. Ihm selbst scheint es 1067 kaum möglich gewesen zu sein, in Köln eine Handschrift angemessen ausstatten zu lassen. Insgesamt dürfte die gesamte ‚Strenge Gruppe‘ nach derzeitigem Diskussionsstand in den 1040er, spätestens in den frühen 1050er Jahren, mithin in der Amtszeit von Erzbischof Hermann II . (amt. 1036 – 1056) entstanden sein. Allerdings ist es sehr fragwürdig, eine s­ olche Handschriftenproduktion, die vermutlich mit St. Pantaleon in einem Kloster zu lokalisieren ist, an die Amtsjahre eines Erzbischofs zu binden. Blickt man 2 Bde., Stuttgart 1986, Bd. 1, S. 407 f. – Schreibkunst. Mittelalterliche Buchmalerei aus dem Kloster Seeon, Ausst. Kat. Haus der Bayerischen Geschichte München, hg. v. Josef Kirmeier Alois Schütz und Evamaria Brockhoff (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur, Bd. 28), Regensburg 1994, Kat. Nr. 33, S. 162 (Alois Schütz). – Gold und Purpur. Der Bilderschmuck der früh- und hochmittelalterlichen Handschriften aus der Sammlung Hüpsch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Ausst. Kat. Hessischen Landesmuseum Darmstadt, bearb. v. Peter Märker, Darmstadt 2001, S. 41 – 47, zum Einband S. 39 f. 59 Vgl. Susanne Wittekind: Neue Einbände für alte Handschriften, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 80 (2017), S. 171 – 200, hier S. 188 – 193 sowie den Beitrag von Susanne Wittekind in ­diesem Band. 60 Kat. München 1994 (wie Anm. 58), S. 162. 61 Vgl. dazu die Beiträge von Doris Oltrogge und Robert Fuchs sowie von Harald Wolter-­von dem Knesebeck in ­diesem Band.

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auf St. Pantaleon, so hatte die Abtei unter ihrem aus St. Maximin bei Trier stammenden Gründungsabt Christian (amt. 964 – 1001) im ­­Zeichen der Gorzischen Reform eine Blütezeit erlebt, in der die Weihe der Klosterkirche 980 zeitlich eng mit der kurz danach greifbaren Blüte der ‚Malerischen Gruppe‘ zusammenfiel. Hierauf folgten mit den Äbten Reginbert (amt. 1001 – 1015), der ebenfalls Beziehungen zu St. Maximin hatte, und Kilian (amt. 1015 – 1019) zwei Persönlichkieten, zu denen wenig überliefert ist.62 Offenbar hatte das Kloster zumindest unter Kilian Probleme, die Erzbischof Heribert dazu veranlassten, 1019 den schon betagten Deutzer Abt Fulbert mit der Leitung zu beauftragen (bis 1021), der seit 1001 eigentlich das Kloster Gladbach führte und dort auch bestattet liegt.63 Als Vertrauter Heriberts hatte er 1003 die Neugründung des Klosters Deutz als erster Abt übernommen und dort noch in seinen späten Jahren den Bau der Klosterkirche durch Heribert begleitet.64 In St. Pantaleon dürfte er in den beiden Jahren seines Abbatiates hingegen kaum besonders aktiv geworden sein. Großen Einfluss in Köln übte allerdings Abt Elias von Groß St. Martin (amt. 1005 – 1042) aus, der als Schotte offenbar eine andere Ausrichtung als die junggorzisch geprägten Gründungsäbte von St. Pantaleon vertrat, was Hans Joachim Kracht als „asketischen Regorismus“ bezeichnet hat.65 Als Abt Elias 1019 auch St. Pantaleon übernahm, kam es dort zu heftigem Streit, von dem die gut informierte, aber parteiische Chronik von Marianus Scottus (verst. 1082) über eine Eskalation berichtet, bei dem der Auszug der Schotten gefordert wurde. Erzbischof Pilgrim (amt. 1021 – 1036) habe darüber zu entscheiden versprochen, sei dann aber darüber verstorben (was Scottus in einen kausalen Zusammenhang bringt).66 Möglicherweise zeugt schon 1022 der Weggang von Probst Godermanus nach Hildesheim, wo er das Abbatiat 62 Zu den Äbten von St. Pantaleon vgl. Hans Joachim Kracht: Geschichte der Benediktinerabtei St. Panta­ leon in Köln 965 – 1250 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 11), Siegburg 1975, insb. S. 52 – 59 u. 200 – 202. – Vgl. auch Ludwig Vones: Klöster und Stifte. Geistige und geistliche Erneuerung, Reform-­Gedanke, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-­Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin, hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, 2 Bde., Köln 1991, Bd. 1, S. 137 – 150, insb. S. 142 f. u. 149. – Rudolf Schieffer: Die Kölner Klosterlandschaft des 11. Jahrhunderts und die kirchliche Entwicklung in Polen, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 12), S. 278 – 291, insb. S. 280 – 283. 63 Zu den Äbten von Gladbach vgl. Manfred Petry: Gründung, Frühgeschichte und Verfassung, in: Die Abtei Gladbach 974 – 1802, Ausst. Kat. Städtisches Museum Mönchengladbach, hg. v. Johannes C ­ ladders, Mönchengladbach 1974, S. 21 – 32, insb. S. 27 – 28. – Hans Bange / Wolfgang Löhr: Gladbach, in: Die Benediktinerklöster in Nordrhein-­Westfalen, hg. v. Rhaban Haacke (Germania benedictina, Bd. 8), St. Ottilien 1980, S. 323 – 351, insb. S. 328 – 331. 64 Vgl. zuletzt Beuckers 2017 (wie Anm. 62). 65 Kracht 1975 (wie Anm. 62), S. 57. – Vgl. auch Peter Opladen: Gross St. Martin. Geschichte einer stadtkölnischen Abtei (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 2), Düsseldorf 1954, S. 18 – 24. 66 Vgl. Kracht 1975 (wie Anm. 62), insb. S. 56 f. mit Zitat des betreffenden Passus (aus MGH SS V, S. 556 f.) in Anm. 7. – Zur Chronik vgl. Anna Dorothee von den Brincken: Marianus Scottus, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 17 (1961), S. 191 – 238.

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von St. Michael übernahm,67 von diesen Streitigkeiten mit der neuen Leitung. Für die Buchproduktion in St. Pantaleon ist dabei interessant, dass nach Marianus Scottus Abt Elias vor dem versammelten Konvent ein Missale in das Feuer werfen ließ, weil der Mönch, der d ­ ieses abgeschrieben hatte, keine Genehmigung dafür eingeholt habe.68 Mit der Herstellung von Prachthandschriften muss dies nichts zu tun haben, aber es zeugt vom Vorhandensein einer Buchproduktion in St. Pantaleon in den 1030/40er Jahren. Die Kölner Buchmalerei kann mit der ‚Malerischen Gruppe‘ weitgehend der Gründungszeit von St. Pantaleon unter Abt Christian zugeordnet werden. Unter dessen Nachfolgern scheint es zu einem Niedergang gekommen zu sein, der dann spätestens unter dem Schotten­ abt Elias beendet wurde. Suchende Neuanfänge unter Einfluss insbesondere karolingischer Vorlagen gab es mit der ‚Malerischen Sondergruppe‘ etwa in den 1020/30er Jahren, als unter Abt Elias auch der Westbau der Klosterkirche von St. Pantaleon um das Theophanu-­Grab neu erbaut wurde.69 Elias dürfte die treibende Figur hinter dieser ‚Theophanu-­Renaissance‘ gewesen sein. Der echte Neuaufbruch in der Buchmalerei erfolgte mit der ‚Reichen Gruppe‘ in der zweiten Hälfte der 1030er Jahre, als Pilgrim offenbar in die inneren Streitigkeiten des Klosters eingriff. Pilgrim ist mindestens mit dem Bamberger Evangeliar der ‚Reichen Gruppe‘ direkt verbunden, und auch der New Yorker Codex gilt einer unsicheren Tradition nach als Handschrift aus St. Aposteln, der Gründung Pilgrims.70 Nach Elias’ Tod übernahm mit Abt Aaron erneut ein Schotte (amt. 1042 – 1052) St. Pantaleon, während die Personalunion mit Groß St. Martin aufgelöst wurde, wo Abt Maiolus (amt. 1042 – 1061) die Leitung erhielt. Aaron folgte 1052, bis 1067 der dort schon seit 1024 wirkende Gladbacher Abt Heinrich, der offenbar nach Köln übersiedelte, zumindest in Gladbach den späteren Brauweiler Abt Wolfhelm als Propst einsetzte (amt. in Brauweiler 1065 – 1091). Aaron, der sich als Autor intensiv mit Liturgie und Kirchenmusik beschäftigte,71 ist der Abt, mit dessen Abbatiat die ‚Strenge Gruppe‘ zeitlich zusammenfällt. Mit seinem Wirken endete die Produktion von Prachtcodices an St. Pantaleon des 10./11. Jahrhunderts vorerst.

67 Zu Goderamnus vgl. zuletzt Günther Binding: Die Michaeliskirche in Hildesheim und Bischof ­Bernward als sapiens architectus, Darmstadt 2013, S. 75 – 78. 68 Vgl. Kracht 1975 (wie Anm. 62), insb. S. 57. 69 Vgl. zuletzt ausführlich Klaus Gereon Beuckers: Der Kölner Kirchenbau unter den Ottonen und die Datierung des Westbaus (II) von St. Pantaleon, in: L’évêque Werner et la cathédrale romane de Strasbourg. Actes du colloque à l’occasion du millénaire de la cathédrale de Strasbourg 2015, hg. v. Marc Carel Schurr, Straßbourg 2019 (im Druck). 70 Vgl. Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 27. – Dagegen zuletzt O’Driscoll 2018 (wie Anm. 28), S. 142 – 144. 71 Vgl. Kracht 1975 (wie Anm. 62), S. 75 f.

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* Insgesamt kann die Kölner Handschriften-­Produktion mit der wechselvollen Leitungs-­ Geschichte von St. Pantaleon in Verbindung gebracht werden. Gerade das Ende der ‚Strengen Gruppe‘ kann mit dem Ende der Schotten-­Äbte in Zusammenhang gesehen werden, zumal das folgende Abbatiat von Gladbach aus und die dann vor allem für die kommenden Reformen insbesondere unter Erzbischof Anno, unter dem dann italienische Reformzweige bestimmend wurden (und für viele Streitigkeiten im Konvent sorgten), einen nennenswerten Einschnitt in die Geschichte und innere Struktur des Klosters bedeutete. Der derzeitige Stand der Forschung datiert die ‚Strenge Gruppe‘ in die 1040er Jahre, maximal bis in die 1050er Jahre hinein. Damit wird der zeitliche Ablauf der Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, der von Bloch/Schnitzler als „Ottonische Kölner Malerschule“ betitelt worden ist, wesentlich kompakter und angesichts der historischen Umstände nachvollziehbarer. Es sind letztlich z­ wischen den 980er und den 1040er Jahren zwei Generationen, in denen die Kölner Buchillustration blühte. Kunsthistorisch zeigt die gesamte salierzeitliche Buchmalerei insbesondere im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts eine gewisse Verhärtung und Abstraktion gegenüber der Malerei um 1000, die wesentlich durch die trier-­reichenauische Blüte geprägt war. In Köln hatte schon die ‚Malerische Gruppe‘ mit ihrem expressionistischen und durch pastose Farbaufträge geprägten Stil einen eigenen Weg eingeschlagen, nahm dann aber motivisch in den 1020er und dann vor allem in den 1030er Jahren mit der ‚Reichen Gruppe‘ stilitisch Einflüsse der süddeutschen Malerei auf. Aber auch hier blieb eine Eigenständigkeit erkennbar, die in der ‚Strengen Gruppe‘ mit ihrer Flächenstrukturierung und ihrer hohen Abstraktion dezidiert einen anderen künstlerischen Weg als die trier-­reichenauische Malerei und deren prägende Persönlichkeit des Gregor-­Meisters einschlug. Zeigt auch die späte Reichenauer und vor allem die Echternacher Malerei Verhärtungen und Verflächungen der ehemals räumlichen Stilmotive, so geht die Kölner Malerei einen großen Schritt weiter, der eigentlich nicht gradueller, sondern kategorischer Natur ist. Keine andere europäische Buchmale­rei hat in dieser Zeit einen solchen Abstraktionsgrad erreicht. Die flächigen und graphischen Elemente mögen dabei eine Etappe auf dem Weg von der farbigen Deckfarbenmalerei der ottonischen Zeit zur Federzeichnung des ausgehenden 11. und insbesondere 12. Jahrhunderts gewesen sein. Sie zeigt aber gerade nicht die Reduktion um malerischen Aufwand, sondern eine Steigerung gegenüber farbigen Flächenfüllungen anderer Gruppen, die hier durch sehr akribisch gesetzte und in ihrer Anordnung durchkonzipierte Streifen ersetzt werden. Mit den 1060er Jahren gelangten nicht zuletzt durch aktive Vermittlung von Erzbischof Anno II. in der Ausmalung von St. Gereon 72 und dann auch in der späteren Buchmalerei in 72 Vgl. dazu den Beitrag von Andrea Worm in ­diesem Band.

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St. Pantaleon, die derzeit meist in das 12. Jahrhundert gesetzt wird, italienische Einflüsse nach Köln. Sie lösten mit stärkeren Handlungsmomenten, einer anderen, volumenorientierten Körperzeichnung und auch einem anderen Farbkanon die ‚Strenge Gruppe‘ ab. Die ‚Strenge Gruppe‘ der Kölner Buchmalerei war die letzte Gestaltfindung des aus ottonischer durch die frühsalische Zeit hindurch wirkenden Impulses – in einer Zeit, als der sich seiner Herkunft aus dem Kaiserhaus der Ottonen so bewusste Erzbischof Hermann II. amtierte. Sie ist künstlerisch ein Höhepunkt der Abstraktion, durch den Bilder als Bilder und nicht als Wiedergaben von Realität markiert werden. In dieser Hinsicht ist die ‚Strenge Gruppe‘ auch ein wichtiges Zeugnis für das mittelalterliche Bildverständnis, das neben den hierzu aussagekräftigen, von der Forschung schon vielbeachteten Kölner Gedichten der ‚Malerischen Gruppe‘73 einer größeren Aufmerksamkeit wert ist.

73 Vgl. Peter Christian Jacobsen: Lateinische Dichtung in Köln im 10. und 11. Jahrhundert, in: von Euw/ Schreiner 1991 (wie Anm. 62), Bd. 1, S. 173 – 189. – Joshua O’Driscoll: Anmerkungen zum Verhältnis von Bild und Titulus im Sakramentar aus Sankt Gereon und im Hitda-­Codex, in: Beuckers 2013 (wie Anm. 38), S. 113 – 127. – Joshua O’Driscoll: Image and Inscription in Painterly Manuscripts from Ottonian Cologne, Diss. Harvard University Cambridge Mass. 2015. – Beuckers 2018.1 (wie Anm. 28), S. 51 – 53.

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Andrea Worm

Reform und Neubeginn Die Wandmalereien von St. Gereon in Köln als Monumentum Annonis?

Die Neubetrachtung mehrerer Schlüsselwerke der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts durch die Initiative von Klaus Gereon Beuckers hat auch manche – seit Peter Bloch und Hermann Schnitzler kanonisch scheinende – Einschätzung zur Entwicklung und Periodisierung der ‚ottonischen Kölner Malerschule‘ auf den Prüfstand gestellt und verändert.1 Ähnliches gilt für die italienische Kunst aus der Zeit der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts. Robert Suckale konnte in einem richtungweisenden Aufsatz über die Weltgerichtstafel in den Vatikanischen Museen nicht nur eine wesentlich frühere Datierung d ­ ieses und weiterer Werke der römischen Kunst des Hochmittelalters plausibel machen, sondern warf auch die Frage auf, ­welche Implikationen sich daraus für die Einordnung von Werken ergeben, die außerhalb Italiens unter dem Einfluss römischer Anregungen entstanden.2 Dabei befasste er sich auch mit dem Lyskirchen-­Evangeliar, das nach gängiger Forschungsmeinung von Erzbischof Anno II. (amt. 1056 – 1075) an das von ihm gegründete Kanonikerstift St. Georg geschenkt wurde. Seine meist ins frühe 12. Jahrhundert datierten Miniaturen wertete Suckale als unmittelbare Manifestation des römischen Reformstils, weshalb er die These einer nachträglichen Ausführung des Bildschmucks verwarf und für das Evangeliar insgesamt eine Entstehung im Zusammenhang mit der Weihe von St. Georg 1067 annahm. Damit wurden die Miniaturen, 1

Vgl. Äbtissin Hitda und der Hitda-­Codex. Forschungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Kölner Buchmalerei, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Darmstadt 2013. – Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-­Budnik (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 1). Köln 2016. – Klaus Gereon Beuckers: Das Gundold-­Evangeliar in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Bemerkungen zu einem Kölner Prachtcodex des 10./11. Jahrhunderts, in: Philologia sanat. Studien für Hans-­ Albrecht Koch zum 70. Geburtstag, hg. v. Gabriella Rovagnati und Peter Sprengel, Frankfurt am Main 2016, S. 41 – 65. – Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln, Luzern 2018. – Das Sakramentar aus Tyniec. Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen z­ wischen Köln und Polen in der Zeit Kasimirs des Erneuerers, hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Andreas Bihrer (Forschungen zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters, Bd. 2). Köln 2018. 2 Robert Suckale: Die Weltgerichtstafel aus dem römischen Frauenkonvent S. Maria in Campo Marzio als programmatisches Bild der einsetzenden Gregorianischen Kirchenreform, in: Robert Suckale: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge. Sechs Studien, Berlin 2002, S. 12 – 122, bes. S. 91 u. 111 – 115

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deren Stil „scharf mit der Kölner Maltradition kontrastiert“, für Suckale zum Zeugnis von „Umsturz und Traditionsbruch“ im Zuge der Annonischen Reformpolitik.3 Ob d ­ ieses Urteil über das Evangeliar aus St. Georg Bestand haben kann, ist eine der Fragen, die der vorliegende Band zu klären sucht. In diesen Beitrag soll es um eine verwandte Problemstellung gehen, nämlich darum, ob die fragmentarisch erhaltenen Wandmalereien aus dem Zentralraum von St. Gereon sich mit den für Anno bezeugten Baumaßnahmen verbinden lassen. Zwischen 1962 und 1974 wurden im Zentralbau und in der Vorhalle von St. Gereon in Köln mehrere Fragmente einer mittelalterlichen Ausmalung entdeckt, die einer Ausstattungsphase vor dem 1227 abgeschlossenen Umbau des spätantiken Ovals zum Dekagon angehören müssen. Trotz ihrer bruchstückhaften Erhaltung zählen sie zu den bedeutendsten Zeugnissen der frühen Monumentalmalerei im Rheinland. Die Besonderheit der Funde besteht nicht zuletzt darin, dass sie nie übertüncht oder übermalt wurden und somit ihre ursprüngliche Malschicht bewahrt haben. Die abgenommenen Freskenfragmente aus dem Kirchenraum zeigen sich stilistisch zusammengehörig, unterscheiden sich aber von den in der Vorhalle gefundenen Malereien, die in situ verblieben, gesichert und wieder vermauert wurden. Roland Günter vertrat die Ansicht, es handle sich bei dem 1962 hinter einer Wandvorlage der Emporen zu Tage getretenen ersten Bruchstück (ein Fuß in einer Sandale) um ein Fragment der „monumentalen Kirchenausmalung des 11. Jahrhunderts“, das mit den Erneuerungsmaßnahmen unter Erzbischof Anno in Verbindung stehe.4 Nach der Auf­deckung weiterer Teile, ihrer Abnahme von der Wand und ihrer konservatorischen Sicherung nahm Joachim M. Plotzek eine erste kunsthistorische Würdigung vor, die er anlässlich der Präsentation des größten Fragments 1972 im Rahmen der Ausstellung ‚Rhein und Maas‘ durch Katalogeintrag und einen Beitrag noch ergänzte.5 So führte er stilistische und ikonographische Vergleiche mit Werken der umbro-­römischen und rheinischen Kunst aus und rekons­ truierte ein Programm mit zwölf Propheten, w ­ elche die Apostel auf ihren Schultern tragen.6 3 Suckale 2002 (wie Anm. 2), S. 111 – 114. 4 Roland Günter: Ein Fragment der monumentalen Kirchenausmalung des 11. Jahrhunderts aus St. Gereon zu Köln, in: Jahrbuch der rheinischen Denkmalpflege 27 (1967), S. 11 – 18. – Jürgen Hohmann: Die Fragmente der mittelalterlichen Ausmalung im Dekagon von St. Gereon, in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege 29 (1983), S. 263 – 270. – Zu den in der Vorhalle gefundenen Malereien vgl. Jürgen Hohmann: Die Nischenmalerei in der Vorhalle von St. Gereon in Köln, in: Jahrbuch der rheinischen Denkmalpflege 29 (1983), S. 271 – 274. 5 Joachim M. Plotzek: Neuentdecktes Kölner Fresko, in: Museen in Köln. Bulletin 11 (1972), S. 1026 – 1030. – Rhein und Maas. Kunst und Kultur 800 – 1400, Ausst. Kat. Kunsthalle Köln und Königliche Museen für Kunst und Geschichte Brüssel 1972, 2 Bde., hg. v. Anton Legner, Köln 1972/73, Bd. 1, S. 202, Kat. Nr. E 7 (Joachim M. Plotzek). – Joachim M. Plotzek: Zu den neu aufgefundenen Fresken von St. Gereon in Köln, in: Kat. Köln 1972/73, Bd. 2, S. 297 – 305. 6 Plotzek hatte zunächst eine darüberliegende Zone mit der Darstellung der 24 Ältesten angenommen, was in einer Fehleinschätzung der Auffindungshöhe der Fragmente gründete. Er korrigierte dies im Katalogbeitrag Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, Ausst. Kat.

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In Abhängigkeit von seinen – nach damaliger Forschungsmeinung um und bald nach 1100 datierten – italienischen stilistischen Bezugsbeispielen nahm Plotzek eine Ausführung der Wandmalereien im Dekagon durch italienische Künstler im frühen 12. Jahrhundert an, also in der Amtszeit Erzbischof Friedrichs I. von Schwarzenberg (amt. 1099 – 1131). Seither wurden die Fragmente aus St. Gereon verschiedentlich in der kunsthistorischen Literatur behandelt,7 doch wurde die von Plotzek vorgeschlagene Datierung kaum grundsätzlich in Frage gestellt.8 Am ausführlichsten äußerte sich 1994 Anne Behrend-­Krebs, die in einigen Punkten von Plotzeks Argumentation abwich, allerdings an der Datierung ins frühe 12. Jahrhundert festhielt.9 Heidrun Stein-­Kecks stellte 2006 zwar fest, „eine Entstehung in der unmittelbaren Folge der Umbauten Annos sollte durchaus erwogen werden“, verfolgte diese Frage aber aufgrund der Kürze des Beitrags nicht weiter.10

Ad Sanctos Aureos: Rahmendaten zu Bau und Ausstattung Das im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts entstandene Dekagon von St. Gereon ummantelt einen spätantiken Zentralbau, der auf die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts zurückgeht und dessen Mauerwerk noch bis auf eine Höhe von etwa fünfzehn Metern erhalten ist.11 Der Schnütgen Museum, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, S. 234 – 235, Kat. Nr. E 28 (­ Joachim M. Plotzek). 7 Vgl. François Avril: Malerei, in: Romanische Kunst in Mittel- und Südeuropa, hg. v. Xavier Barral I Altet, François Avril und Danielle Gaborit-­Chopin (Universum der Kunst, Bd. 29). München 1983, S. 131 – 224, hier S. 192. – Anne Behrend-­Krebs: Die ottonischen und romanischen Wandmalereien in St. Gereon, St. Maria im Kapitol und St. Pantaleon in Köln, Münster 1994, S. 78 – 116. – Marion Opitz: Vergessene Wandmalereien in St. Gereon in Köln? Zu den ältesten und besterhaltenen Fresken des Mittelalters in Köln, in: Pfarrbrief St. Gereon, St. Michael, St. Alban Köln 2017, red. v. Gudrun Sporbeck, Köln 2017, S. 40 – 47. 8 Vgl. aber Andrea Worm: Das Pariser Perikopenbuch und die Anfänge der romanischen Buchmalerei an Rhein und Weser (Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 17325), Berlin 2008, S. 210 – 216 mit Abb. 146 (dort seitenverkehrt). 9 Behrend-­Krebs 1994 (wie Anm. 7), S. 95 – 116. 10 Canossa 1077 – Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz u. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn, hg. v. C ­ hristoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, 2 Bde., München 2006, Bd. 2, S. 403, Kat. Nr. 495 (Heidrun Stein-­Kecks). – Heidrun Stein-­Kecks: Bilder im heiligen Raum. ‚An der Zierde deines Hauses habe ich mich erfreut, Herr‘, in: Romanik, hg. v. Susanne Wittekind (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Bd. 2), München 2009, S. 266 – 355, hier S. 305 f., Kat. Nr. 84. Hier griff Stein-­Kecks diese Überlegung nicht mehr auf und sprach sich lediglich für eine Datierung „wohl noch vor der Erhebung der Gereons-­Reliquien 1121“ aus. 11 Vgl. Armin von Gerkan: St. Gereon in Köln, in: Germania. Anzeiger der Römisch-­Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts 29 (1951), S. 215 – 218. – Otmar Schwab: St. Gereon in Köln. Untersuchungen zum spätantiken Gründungsbau, in: Kölner Jahrbuch 35 (2002), S. 7 – 205. – Vgl.

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Innenraum war in seiner Gliederung durch die Grundrissdisposition eines Ovals geprägt, an das sich elf Konchen anlagerten; die beiden Kompartimente im Osten (wo sich eine größere Apsis befand) und im Westen (wo der Zugang zur Vorhalle lag) waren erheblich breiter als die an den Langseiten des Ovals, so dass sich der Eindruck eines längsgerichteten Baus ergab (Abb. 56). Der Rhythmus der Konchen wurde durch gekuppelte Säulen verstärkt, die an den Wandabschnitten des Ovals aufgestellt waren (Abb. 57). Spätestens ab dem 6. Jahrhundert ist die Bezeichnung als ­Kirche ‚ad Sanctos Aureos‘ (zu den goldenen Heiligen) bezeugt.12 Die Innenraumgestaltung des spätantiken Ovalbaus muss sehr eindrucksvoll gewesen sein: Der Boden war mit einem (in Resten erhaltenen) Mosaik ausgelegt, die Wände wohl mit Marmorplatten inkrustiert und durch Doppelsäulen gegliedert; Konchen, Tambour und Gewölbe – dies spiegelt sich in der Bezeichnung ad Sanctos Aureos – mit goldenem Mosaik ausgekleidet.13 Wie lange die spätantike Ausstattung in Bestand blieb, ist unklar, doch ist noch in der Vita Annonis maior aus dem 11. Jahrhundert rühmend von ihrem vergangenen Glanz die Rede. In karolingischer Zeit – vielleicht unter Erzbischof Hildebold, der sich 818 in St. Gereon bestatten ließ – wurde die Ostapsis durch einen k­ urzen Rechteckschor ersetzt, ebenso wurde zur Ehre der Märtyrer auf der Südseite der K ­ irche eine kleine Außenkrypta angebaut.14 Seit 839 fungierte der Bau als Sitz eines adligen Kanonikerstiftes. Für das Chorgebet war der ovale Raum in seiner Disposition freilich nur sehr bedingt geeignet. Dem schufen erst die Baumaßnahmen des 11. Jahrhunderts Abhilfe: Erzbischof Anno II. – darin möglicherweise ein Vorhaben seines Vorgängers Hermann II. (amt. 1036 – 1056) fortführend – ließ einen von zwei Türmen flankierten Langchor mit Krypta an den Zentralraum anbauen. Damit war nicht zuletzt ein wirkungsvoller urbanistischer Akzent nach Osten, zur Stadt hin, gesetzt. Durch einen Eintrag im Evangeliar aus St. Gereon sind die Weihe der Krypta für 1068, die Weihe von Chor und K ­ irche für 1069 bezeugt.15

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auch Ute Verstegen: Ausgrabungen und Bauforschungen in St. Gereon zu Köln (Kölner Forschungen, Bd. 9), 2 Bde., Mainz 2006. – Sebastian Ristow: Frühes Christentum im Rheinland. Die Zeugnisse der archäologischen und historischen Quellen an Rhein, Maas und Mosel (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz), Köln 2007, S. 116 – 121. Die ersten Erwähnungen des Baus als K ­ irche finden sich in Carmina III,14 von Venantius Fortunatus: Venanti Honori Clementiani Fortunati presbyteri Italici Opera poetica, hg. v. Friedrich Leo (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 1.1; Auctores antiquissimi 4.1), Berlin 1881 und in den Libri miracolurum (I,61) von Gregor von Tours: Gregorii Turonensis Opera. Teil 1: Libri historiarum X, hg. v. Wilhelm Levison (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 1.2), Hannover 1937. „Et quia admirabili opere ex musivo quonddam modo deaurata resplendet, Sanctos Aureos ipsam basilicam incolae vocitare voluerunt.“ Gregor von Tours (wie Anm. 12), S. 80. Vgl. Johannes Georg Deckers: St. Gereon in Köln. Ausgrabungen 1978/79. Neue Befunde zu Gestalt und Funktion des spätantiken Zentralbaus, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 25 (1982) S. 102 – 131, hier S. 127. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. bibl. fol. 21, fol. 2r u. 2v; Digitalisat: http://digital. wlb-­stuttgart.de/purl/bsz366773275 [22. März 2019]. – Zur Handschrift vgl. Peter Bloch / Hermann

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Abb. 56: St. Gereon, Köln, Grundriss der heutigen Anlage und Rekonstruktion des spätantiken Baus.

1121 erhielt Norbert von Xanten die Erlaubnis, „in medio monasterii“ Grabungen nach Gebeinen der Märtyrer durchzuführen, wobei die Knochen eines Kriegers gefunden und mit den Reliquien des hl. Gereon identifiziert wurden.16 Größere Baumaßnahmen e­ rfolgten Schnitzler: Die ottonische Kölner Malerschule, 2 Bde., Düsseldorf 1967/70, Bd. 1, S. 94, Taf. 342 – 365 u. XXI –XXII . – Zur Geschichte von St. Gereon vgl. auch Johannes Christian Nattermann: Die Goldenen Heiligen. Geschichte des Stiftes St. Gereon zu Köln (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 22), Köln 1960. 16 Davon berichten die Vita Norberti archiepiscopi Magdeburgensis, ed. v. Roger Wilmans, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptorum, Bd. 12, Hannover 1856, S. 663 – 703, hier S. 682 und ein Brief Abt Rudolfs von Saint Trond (Sint Truiden), der von 1121 bis 1123 Abt von St. Pantaleon in Köln war: Epistola Rudolfi Abbatis ad Stephanum Episcopum Mettensem, ed. v. Rudolf Köpke, in Monumenta Germaniae Historica, Scriptorum, Bd. 10, Hannover 1852, S. 326 – 332, hier S. 330. – In der Forschung wird „monasterium“ bei den Angaben „in medio monasterii“ (in der Vita Norberti) und „in eodem monasterio, iuxta medio pylarium ad meridianam plagam“ (in Rudolfs Brief ) mit dem Kirchengebäude identifiziert. Vgl. Ute Verstegen: St. Gereon in römischer und frühmittelalterlicher Zeit, Köln 2003, S. 35.

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Abb. 57: St. Gereon, Köln, Rekonstruktion der Innengestalt des spätantiken Baus (nach Schwab 2002).

aber erst wieder in der Amtszeit Erzbischof Arnolds II . von Wied (amt. 1151 – 1156), als der Chor und die Krypta nochmals verlängert und der Chor mit einer neuen, turmflankierten Apsis abgeschlossen wurde.17 Teile der Ausmalung des mittleren 12. Jahrhunderts haben sich erhalten, wenn auch durch eine ‚wiederherstellende‘ Übermalung im 19. Jahrhundert, deren Entfernung in der Nachkriegszeit sowie durch Kriegsbeschädigung schwer beeinträchtigt.18 Ebenfalls der Kampagne unter Arnold II . von Wied zuzurechnen ist 17 Zu den Baumaßnahmen des 12. Jahrhunderts vgl. Hans Erich Kubach / Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Katalog der vorromanischen und romanischen Denkmäler, 4 Bde., Berlin 1976/89, Bd. 1, S. 536 – 538. – Werner Schäfke: St. Gereon, in: Köln: Die romanischen ­Kirchen. Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg, hg. v. Hiltrud Kier und Ulrich Krings (Stadtspuren – Denkmäler in Köln, Bd. 1), Köln 1984, S. 278 – 297, insb. S. 283 f. – Thomas Werner: Die Gliederungssysteme der frühstaufischen Chorfassaden im Rhein-­Maas-­Gebiet (75. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität Köln), Köln 2001, S. 73 – 91. 18 Im Zentrum der Apsiskalotte befindet sich eine Maiestas Domini, flankiert von Maria und ­Johannes dem Täufer. In jeder Nische der beiden Apsisgeschosse ist eine große stehende Gestalt dargestellt: oben der hl. Gereon und drei weitere Märtyrer der Thebäischen Legion, die jeweils auf einem Heiden stehen, unten heilige Bischöfe, die das Schwert gegen vor ihnen am Boden liegende Figuren (Häretiker) erheben und damit den Sieg des Christentums und der ecclesia militans veranschaulichen. – Vgl. Behrend-­Krebs 1994 (wie Anm. 7), S. 35 – 57. – Zum Vorkriegszustand vgl. Paul Clemen: Die romanische Monumentalmalerei in den Rheinlanden, Düsseldorf, 1916, S. 408 – 416.

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der ehemals im Langchor verlegte Mosaikfußboden mit Tierkreiszeichen und Szenen aus dem Alten Testament.19 Seine endgültige Form erhielt der spätantike Zentralbau von St. Gereon z­ wischen 1219 und 1227. Das Oval wurde so ummantelt, dass es die Gestalt eines Dekagons annahm. Dabei wurde der Bau deutlich erhöht und neu eingewölbt, wobei man die bestehenden Mauern zum Einbau der Emporen durchbrach.20 Zudem wurde eine Taufkapelle angebaut.21 Erst die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die folgenden Sicherungs- und Wieder­ aufbaumaßnahmen brachten unter der Mauerschale im westlichen und südwest­lichen Bereich des Dekagons mehrere Wandmalereifragmente zum Vorschein (Abb. 58, 59 und 62). Fast alle ­fanden sich in einer Höhe von etwa zwölf Metern, also im Bereich der durchfensterten Tambourzone des bis dahin strukturell kaum veränderten spätantiken Zentralraums, wobei die Putzschicht der Wandmalerei unmittelbar auf dem Mauerwerk des 4. Jahrhunderts auflag.22 Nach ihrer Restaurierung wurden die sechs von der Wand abgenommenen Fragmente zunächst für einige Zeit als Dauerleihgabe im Museum Schnütgen präsentiert; heute sind sie an der südlichen Wand des Langchors von St. Gereon angebracht.

Gigantium humeris insidentes: Apostel auf den Schultern von Propheten 23 Das größte und aussagekräftigste Fragment (Fragment 2) zeigt den etwas überlebensgroßen Kopf und Schulteransatz eines Mannes, der frontal zum Betrachter ausgerichtet ist und auf seinen Schultern eine zweite Figur trägt, von der noch Teile der Beine und 19 Im 17. Jahrhundert wurde das Mosaik in die Krypta übertragen und dort 1867 – 1871 neu verlegt. Vgl. Kat. Köln 1985 (wie Anm. 6), S. 234, Kat. Nr. E 27 (Hiltrud Kier). 20 Vgl. Kubach/Verbeek 1976/89 (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 538 f. – Roland Mönig: Der Neubau des Dekagons von St. Gereon in Köln. Manifestation eines veränderten erzbischöflichen Selbstverständnisses ­zwischen 1216 – 1225?, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 62 (1991), S. 63 – 83. – ­Norbert Nussbaum: Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik, Darmstadt 21994 (OA Köln 1985), S. 27 – 29. – Marion Niemeyer-­Tewes: Neue Forschungsergebnisse zum spätstaufischen Dekagon von St. Gereon in Köln, in: Wallraf-­Richartz-­Jahrbuch 60 (1999), S. 7 – 23. – Marion Niemeyer-­Tewes: Das Dekagon von St. Gereon in Köln (72. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität Köln), Köln 2000. 21 Vgl. Anna Skriver: Die Taufkapelle von St. Gereon in Köln. Untersuchungen zur Wechselwirkung ­zwischen Architektur und Farbfassung spätstaufischer Sakralräume im Rheinland (mediaevalis. Beiträge zur Kunst des Mittelalters, Bd. 2), Köln 2001. 22 Eine Übersicht der Fundstellen bei Behrend-­Krebs 1994 (wie Anm. 7), Abb. 41. 23 Das Zitat ist dem berühmten, von Johannes von Salisbury überlieferten Diktum des Frühscholastikers Bernhard von Chartres entlehnt, in dem dieser das Verhältnis der Gelehrten seiner Zeit zu den Leistungen vergangener Generationen charakterisierte: Er beschrieb diese als Zwerge auf den Schultern von Riesen sitzend, die deshalb mit größerem Weitblick als ihre Vorgänger ausgestattet ­seien. Vgl. zuletzt: Tobias Leuker: ‚Zwerge auf den Schultern von Riesen‘. Zur Entstehung des berühmten Vergleichs, in:

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des Oberkörpers sowie der Halsansatz sichtbar sind (Abb. 58 und 59). Die Schenkel der sitzenden Figur sind hinter dem Kopf der Trägerfigur bildparallel nach links genommen. Die Brust und die erhobenen, zu den Seiten hin weit ausgebreiteten Arme der sitzenden Figur sind aber zum Betrachter gedreht, während der Kopf offenbar nach oben links gewandt war, wie der erhaltene Kinnansatz nahelegt. Ein weiteres Bruchstück lässt Reste eines Figurenpaars erkennen (Fragment 1, Abb. 62). Vor dem Oberkörper einer stehenden Figur ist das angewinkelte rechte Bein einer Sitzfigur zu sehen, wobei der Fuß von der linken Hand des Tragenden stützend umfasst wird. Erhalten haben sich ansonsten ein etwas größeres Fragment (ein rechter Fuß mit Sandale) und einige kleinere Bruchstücke (Teile von Gewändern). Das schon von Plotzek überzeugend als Reihe von zwölf Propheten mit den Aposteln auf den Schultern rekonstruierte Bildprogramm veranschaulicht die geläufige Vorstellung vom Zusammenhang der beiden Testamente, also die Erfüllung der Prophetenworte im Neuen Testament und die Überwindung des Alten Bunds durch die Künder der neuen Wahrheit. Entsprechend häufig begegnet die bildliche Gegenüberstellung von Aposteln und Propheten. Dass die Apostel von den Propheten getragen werden, ist aber sehr selten. Gerade dies verweist mit besonderer Deutlichkeit auf das christliche Verständnis der eigenen Herkunft aus dem Judentum, indem die Apostel einerseits von der Weisheit der Propheten emporgehoben und getragen werden, andererseits aus ihrer erhöhten Warte das Heil klarer zu erkennen vermögen als jene.24 Der früheste Beleg für eine s­ olche Darstellung und das einzige bekannte Beispiel, das den Wandmalereien von St. Gereon zeitlich vorausgeht, ist die Dekoration der Apsisstirnwand von Santa Maria in Pallara (San Sebastiano) auf dem Palatin in Rom aus dem 10. Jahrhundert.25 Dann folgen im 12. und 13. Jahrhundert einige vereinzelte Beispiele: Auf dem romanischen Taufstein im Merseburger Dom aus der Zeit Mittellateinisches Jahrbuch. Internationale Zeitschrift für Mediävistik und Humanismusforschung 32 (1997), S. 71 – 76. 24 Systematisch untersucht wurde das Motiv der die Apostel tragenden Propheten bislang nicht. Einige Hinweise finden sich bei Peter Bloch: Nachwirkungen des Alten Bundes in der christlichen Kunst, in: Monumenta Judaica. 2000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein, hg. v. Konrad Schilling, Köln 31964 (OA 1963), S. 735 – 781, hier S. 750 f. 25 Vgl. Émile Mâle: Notre-­Dame de Chartres, Paris 1983 (OA 1948), S. 162. – Zu Santa Maria in Pallara (das spätere Patrozinium: San Sebastiano al Palatino) vgl. Laura Marchiori: Medieval Wall Painting in the Church of Santa Maria in Pallara, Rome. The Use of Objective Dating Criteria, in: Papers of the British School at Rome 77 (2009), S. 225 – 255 u. 344. – Laura Marchiori: Art and Reform in Tenth Century Rome. The Paintings of S. Maria in Pallara. Diss. Kingston, Ontario, Kanada 2007. – Nachzeichnungen des schlecht erhaltenen Bildprogramms bei Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV . bis XIII . Jahrhundert, 4 Bde., Freiburg im Breisgau 1916, Bd. 4, S. 224 – 225. – Stephan Waetzold: Die Kopien des 17. Jahrhunderts nach Mosaiken und Wandmalereien in Rom (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Bd. 18), Wien 1964, Abb. 519 f.

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Abb. 58: St. Gereon, Köln, Wandmalereifragment 2: Apostel auf den Schultern eines Propheten.

um 1180 sind die Apostel durch Beschriftungen ausgewiesen, und die Propheten tragen Spruchbänder, die sie identifizieren.26 Vergleichbar sind auch die Glasfenster im südlichen Querhaus der Kathedrale von Chartres von etwa 1220/30: Das zentrale Lanzettfenster unterhalb der Rose zeigt die Jungfrau und das Kind, umgeben von vier Propheten mit den Evangelisten auf ihren Schultern.27 Motivisch ähnlich sind die Gewändefiguren am Fürstenportal des Bamberger Doms aus der Zeit um 1230, doch stehen die Apostel hier auf

26 Erst 1831 wurde der ursprünglich für die Pfarrkirche St. Thomas am Neumarkt bestimmte Taufstein in den Merseburger Dom versetzt. Vgl. Christian Forster: Taufstein aus St. Thomas am Neumarkt, in: Der Merseburger Dom und seine Schätze. Zeugnisse einer tausendjährigen Geschichte, red. v. Markus Cottin, Petersberg 2008, S. 113 – 115. 27 Vgl. Louis Grodecki / Catherine Brisac: Gothic Stained Glass 1200 – 1300, London 1985 (frz. OA Fribourg 1984), S. 22, Kat. Nr. 30. – Beat Brenk: Bildprogrammatik und Geschichtsverständnis der Kapetinger im Querhaus der Kathedrale von Chartres, in: Arte Medievale 5 (1991), S. 71 – 96.

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Abb. 59: St. Gereon, Köln, Wandmalereifragment 2: Figurenpaar Apostel auf den Schultern eines Propheten während der Aufdeckung 1970.

den Schultern der Propheten.28 Angesichts der wenigen und isolierten Belege wird man aber kaum von einer verbreiteten Bildtradition sprechen wollen. 28 Vgl. Stephan Albrecht: Das Portal als Ort der Transformation. Ein neuer Blick auf das Bamberger Fürstenportal, in: Der Bamberger Dom im europäischen Kontext, hg. v. Stephan Albrecht (Bamberger interdisziplinäre Mittelalterstudien. Vorträge und Vorlesungen, Bd. 4), Bamberg 2015, S. 243 – 289.

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Umso größeres Gewicht kommt dem Umstand zu, dass sich der früheste Beleg in Rom befindet. Die Kirche Santa Maria in Pallara wirkt heute recht bescheiden, doch besa­ßen ­Kirche und Kloster durch ihre exponierte Lage auf dem Palatin durchaus Bedeutung.29 Zwischen 1061 und 1065 wurde Santa Maria in Pallara von Papst Alexander II . der Abtei Montecassino übertragen,30 deren Abt Desiderius – wie Alexander II . – ein Verfechter der Kirchenreform war, wobei er eine beeindruckende Bau- und Stiftungstätigkeit entfaltete. Die Dekoration von Apsis und Apsisstirnwand ist jedoch wahrscheinlich bereits in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts entstanden.31 Weil die erhaltenen Teile der Ausmalung 1624 in das barocke Altarensemble einbezogen und dadurch in ihrer Erscheinung verunklärt wurden, soll hier auf eine Nachzeichnung des 17. Jahrhunderts zurückgegriffen werden (Abb. 60). Beim Bildprogramm der Apsis, die den wiederkehrenden Christus ­zwischen Heiligen darstellt, orientierte man sich an der frühchristlichen Ausstattung von Santi Cosma e Damiano auf dem Forum Romanum, die schon bei zahlreichen Kirchenausstattungen in karolingischer Zeit das Modell abgegeben hatte.32 Die Apsisstirnwand zeigt im oberen Register zwölf der 24 Ältesten der Apokalypse, die sich von beiden Seiten dem im zentralen Medaillon dargestellten Lamm Gottes nähern, dem sie mit verhüllten Händen Kronen darbringen. Darunter erscheinen zwölf Propheten mit den Aposteln auf ihren Schultern, die sich gleichfalls in einer Prozession zur Mitte hinwenden. Besonders auffällig ist dabei die Vielfalt der vorgeführten Posen sowie die Lebendigkeit der Bewegungsmotive, die mit dem Tragen und Schreiten verbunden sind. Einige Propheten sind in Rückenansicht wiedergegeben, manche stützen die Apostel mit erhobenen Armen, andere umfassen ihre Füße – ähnlich wie bei den Kölner Fragmenten. Auch die Apostel entfalten auf dem römischen Fresko ein hohes Maß an Variation in den Sitz- und Haltungsmotiven. Sie sind im Zustand heftiger Ergriffenheit gezeigt und wenden sich mit erhobenen Armen nach oben und der Mitte zu, wo auf beiden Seiten des Apsisbogens die Hand Gottes 29 Ob Otto III. tatsächlich plante, seine Residenz auf dem Palatin einzurichten, ist umstritten. Vgl. R ­ iccardo Santangeli Salenzani: La residenza di Ottone III sul Palatino: un mito storiografico?, in: Bullettino della Commissione Archeologica Comunale di Roma 102 (2001/2003), S. 163 – 168. – 1118 war Santa Maria in Pallara Schauplatz des Konklaves, bei dem am 24. Januar Gelasius II. zum Papst gewählt wurde. 30 Vgl. Ursula Nilgen: Die Bildkünste Süditaliens und Roms im Zeitalter der Kirchenreform, in: Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 10) Bd. 1, S. 309 – 323. – Desiderius nutzte auch das Skriptorium von Santa Maria in Pallara. Vgl. Dietrich Lohrmann: Das Register Papst Johannes’ VIII. (872 – 882). Neue Studien zur Abschrift Reg. Vat. 1, zum verlorenen Originalregister und zum Diktat der Briefe. (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 30), Tübingen 1986, S. 102 – 109. 31 Vgl. Marchiori 2009 (wie Anm. 25). 32 Vgl. Ursula Nilgen: Die römischen Apsisprogramme der karolingischen Epoche. Päpstliche Repräsentation und Liturgie, in: 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz u. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn 1999, hg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, 3 Bde., Mainz 1999, Bd. 2, S. 542 – 549. – Vgl. auch Joachim Poeschke: Mosaiken in Italien 300 – 1300, München 2009, S. 94 – 107.

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Abb. 60: Antonio Ecclissi: Nachzeichung der Apsisstirnwand von Santa Maria in Pallara, um 1630, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Rom, Cod. Vat. lat. 9071, fol. 234v–235r.

dargestellt ist. Das unterste Register (auf der Nachzeichnung nicht erfasst) vervollständigt das ikonographische Programm durch Heilige mit Kronen in den verhüllten Händen, die gleichfalls in einer prozessionsartigen Bewegung zum Apsisbogen hin orientiert sind.33 Allerdings unterscheidet sich die räumliche Disposition in St. Gereon von d ­ iesem römischen Vorläufer, denn die von Propheten getragenen Apostel waren nicht in zwei Prozessionsgruppen rechts und links des Apsisbogens einer Basilika dargestellt, sondern ­zwischen den Fenstern der Tambourzone eines Zentralraums verteilt. Auf den acht schmaleren Wandflächen an den Langseiten des Ovals konnte je ein Propheten-­Apostelpaar Platz finden; an den breiteren Wandstücken im Westen über dem Eingang waren – wie die links des Eingangs gefundenen Fragmente nahelegen – wohl je zwei Figurenpaare dargestellt. Durch die Gruppierung der Propheten-­Apostel-­Gruppen im Raum und die Orientie­rung der Figuren nach oben ergaben sich aber auch neue semantische Bezüge, zumal ein zweites, 33 Vgl. Waetzold 1964 (wie Anm. 25), Abb. 520.

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über den Apostelgruppen lie­gendes Register nicht anzunehmen ist.34 Es ist gut denkbar, dass sich im Zentrum der Kuppel als Bezugspunkt eine Darstellung des Lamms oder der Hand Gottes befand. Einerseits wäre so auf die (tragende) Weisheit der Propheten hingewiesen, andererseits auf die Inspiration der Apostel durch den heiligen Geist und den damit verbundenen Sendungsauftrag. Das Ausstattungsprogramm von St. Gereon dürfte den Konventsmitgliedern von St. Gereon den apostolischen Auftrag ähnlich eindrucksvoll vor Augen geführt wie das Bild der Apostelaussendung im Evangeliar aus dem Paderborner Abdinghof-­Kloster (Abb. 44), das ursprünglich wohl für die Liturgie im 1043 geweihten Langchor von St. Severin in Köln geschaffen wurde.35

34 Vgl. Behrend-­Krebs 1994 (wie Anm. 7), S. 83 – 84. 35 Zur Handschrift vgl. zuletzt Beate Braun-­Niehr: Das Abdinghofer Evangeliar im Berliner Kupferstichkabinett. Beobachtungen und Fragen zu seiner Geschichte, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 1), S. 114 – 140.

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Patres Urbis Agrippinae: die Bischöfe Kölns im Chor Annos Fraglich ist, ob sich die Wandmalereien im Zentralraum zeitlich und programmatisch mit der Ausstattung des unter Anno erbauten Langchors von St. Gereon verbinden l­assen. Eine der wichtigsten Quellen zu den res gestae Erzbischof Annos ist die Vita Annonis maior, die um 1104/05 im Kloster Siegburg auf Veranlassung des dortigen Abts Reginhard (amt. 1076 – 1105) entstand.36 Zur Neugestaltung von St. Gereon heißt es dort: „Von den vielen Gebäuden aus alter Zeit, durch die die Stadt […] sich auszeichnet, wurde die einstmals so hervorragende ­Kirche des heiligen Gereon besonders gerühmt, die Helena, die allerchristlichste Dame und M ­ utter Konstantins […], mit königlichem Aufwand als Rundbau errichtet hat; in marmorner Schönheit und im Glanz des Goldes erstrahlte sie außen und innen so sehr, dass sie den Namen ‚zu den goldenen Heiligen‘ erhielt […]. Im Kreis dieser Heiligen sind, wie berichtet wird, nach der Ermordung des heiligen Gereon und seiner Gefährten dreihundertsechzig Soldaten aus Mauretanien gleichermaßen für ihren Glauben hingeschlachtet worden; zusammen mit dem hl. Gereon haben sie dieselbe Ruhestätte der Seelen und der Leiber gefunden.Doch wurden sie vom Volk etwas nachlässiger verehrt, weil sie nur eine sehr niedrige Krypta an der Südseite der ­Kirche besaßen, die wegen ihrer Enge nur wenige Personen aufnehmen konnte. So wurden sie seltener besucht und sind im Verlauf der Zeiten fast dem Gedächtnis entschwunden.“ Diesem Bericht über die Ehrwürdigkeit und den früheren Glanz der ­Kirche schließt sich die Schilderung eines Traums an, in dem Anno die Märtyrer erschienen s­ eien. Nachdem sie ihn für die Vernachlässigung des Baus handfest bestraften, habe Anno sich entschlossen, dem Willen der Heiligen zügig nachzukommen: „[Anno] sammelte also begabte Männer und fügte, nachdem die alte Mauer durchbrochen war, an die rund gebaute Basilika auf der östlichen Seite ein neues Gebäude an, das sich mit langgezogenen Wänden, über Aufgänge von überaus anmutigem Anblick nach oben hin – mühevoll erbaut – zu einem ansehnlichen Chor mit zwei Türmen erhob und nach 36 Vita Annonis archiepiscopi Coloniensis, ed. v. Rudolf Köpke, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, Bd. 11, Hannover 1854, S. 462 – 518. – Zur Vita Annonis, ihren Fassungen und der Editions­ geschichte immer noch grundlegend Anton von Euw / Mauritius Mittler / Peter Christian Jacobsen: Vita Annonis, in: Monumenta Annonis. Köln und Siegburg. Weltbild und Kunst im hohen Mittelalter, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, Köln 1975, S. 56 – 64 mit einer Übersicht über die Entstehungsgeschichte der Vita Annonis und die bekannten Handschriften sowie einer deutschen Übersetzung wichtiger Passagen. – Vgl. auch Stephanie Coué: Hagiographie im Kontext. Schreibanlass und Funktion von Bischofsviten aus dem 11. und vom Anfang des 12. Jahrhunderts (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung, Bd. 24), Berlin 1997, S. 146 – 171. – Claudia Lingscheid: Erzbischof Anno II . von Köln im Spiegel seiner Viten, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 81 (2015), S. 7 – 48.

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unten hin zu einer sehr geräumigen Krypta ausdehnte. Außerdem fügte er diesen oder jenen Zierrat in Farben oder Metallen hinzu und erhielt in Versen, die den Wandmalereien beigefügt waren, die folgende, höchst rühmliche Inschrift: ‚Auf Gottes Mahnung hin brachte Bischof Anno reuig dem göttlichen Kult dar, was er besaß; er ließ auch die Väter [also die Bischöfe] der Stadt Köln, der Freundin der heiligen Tugend, der Reihenfolge nach aufmalen. Dafür wird er, der Glaubenstreue, sich im Himmel erfreuen.‘ (Ex Domini monito compunctus episcopus Anno / Quicquid habere potest divinis cultibus offert. / Iussit et astantes appingier ordine Patres / Urbis A ­ grippinae sanctae virtutis amicae. / Pro quibus in coelis laetabitur ipse fidelis.).“ 37 Der in der Vita Annonis zitierten gereimten Stifterinschrift nach waren also im Langchor von St. Gereon eine Reihe der Kölner Bischöfe und Erzbischöfe dargestellt, was als Bildprogramm in der ­Kirche eines Kanonikerstiftes keineswegs selbstverständlich ist. Blickt man auf die Tradition solcher ‚Amtsgenealogien‘ (Ursula Nilgen), dann begegnen Bischofsreihen in der Monumentalkunst zuerst an den Langhauswänden der großen römischen Basiliken von St. Peter und St. Paul vor den Mauern.38 Sie stellen dort die Tradition und die hohe Würde des von Christus selbst über Petrus eingesetzten Amts sinnfällig vor Augen, unterstreichen seine Kontinuität und legitimieren damit den besonderen Anspruch der Bischöfe von Rom. Die Belege für s­ olche Reihen im nordalpinen Bereich sind spärlich und finden sich auch in der Buchmalerei nur vereinzelt. Eine Amtsgeneaologie der Eichstätter Bischöfe wurde von Bischof Gundekar II . von Eichstätt (amt. 1057 – 1075) in Auftrag gegeben, der nicht nur ein Zeitgenosse Annos war, sondern wie auch dieser ein Anhänger der Kirchenreform, selbst wenn Gundekar in der Auseinandersetzung ­zwischen regnum und sacerdotium eine gemäßigte Position vertrat. 1072 stiftete er dem Eichstätter Dom das sogenannte Pontifikale Gundekarianum.39 Den Messtexten sind in der Handschrift einige 37 Vita Annonis (wie Anm. 36), S. 491 (dort auch das lateinische Zitat). – Vita Annonis maior, in deutscher Übersetzung zit. nach Kat. Köln 1975 (wie Anm. 36), S. 60 f. 38 Zum Konzept von Amtsgenealogien vgl. Ursula Nilgen: Amtsgenealogie und Amtsheiligkeit. Königsund Bischofsreihen in der Kunstpropaganda des Hochmittelalters, in: Studien zur mittelalterlichen Kunst 800 – 1250. Festschrift für Florentine Mütherich zum 70. Geburtstag, hg. v. Katharina Bierbauer, Peter K. Klein und Willibald Sauerländer, München 1985, S. 217 – 234, insb. S. 221. – Zur politischen Brisanz vergleichbarer Programme im päpstlichen Umfeld vgl. Ingo Herklotz: Die Beratungsräume Calixtus‘ II. im Lateranpalast und ihre Fresken. Kunst und Propaganda am Ende des Investiturstreits, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 52 (1989), S. 145 – 214. – Zu den Papstreihen vgl. zuletzt David Franz Hobelleitner: Papstreihen als visualisierte Vergangenheit, in: Vergangenheit visualisieren, hg. v. ­Wolfgang Augustyn und Andrea Worm, München 2019 (im Druck). 39 Das Pontifikale Gundekarianum. Faksimile-­Ausgabe des Codex B 4 im Diözesanarchiv Eichstätt, 2 Bde., hg. v. Andreas Bauch und Ernst Reiter, Wiesbaden 1987; Tanja Michalsky: Memoria. Formen und Funktionen der gemeinschaftlichen Erinnerung, in: Wittekind 2009 (wie Anm. 10), S. 394 f. sowie S. 399 f., Kat. Nr. 165 (Andrea Worm); vgl. zudem das Repertorium „Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters“ https://www.geschichtsquellen.de/repOpus_02542.html (22. März 2019).

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Seiten vorgestellt, ­welche die Eichstätter Bischöfe seit der Gründung des Bistums durch den hl. Willibald zeigen. Fortgeführt wurde die Bischofsreihe bis ins 17. Jahrhundert, was die hohe Wertschätzung bezeugt, die man Gundekars Codex auch noch Jahrhunderte später entgegenbrachte. Durch den Verweis auf die lückenlose Sukzession wurde die besondere Würde des Bischofsamts in Eichstätt betont. Ähnliches darf man wohl für die zeitgleich von Anno in St. Gereon konzipierte Bischofsreihe annehmen, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem hl. Maternus begonnen haben wird, der – wie der hl. Eucharius – als Schüler des Petrus galt.40 Dass Bischofsreihen – ganz oder in Auswahl – als Beleg für Alter und Würde des Amts herangezogen werden, ist auch an anderen Objekten ersichtlich. In einigen Fällen ist ­darüber hinaus eine spezifischere Bedeutung wahrscheinlich: Der Petrusstab aus Trier aus dem späten 10. Jahrhundert zeigt in Treibarbeit zehn Päpste und zehn Trierer Erzbischöfe und betont damit den hohen Rang des Trierer Erzbistums. Bezeichnenderweise entstand dieser in einer Zeit der Auseinandersetzung um die Rangfolge der rheinischen Erzbistümer.41 Programmatisch eng verwandt ist die Trierer Bischofsreihe des um 977/980 auf der Reichenau gefertigten Egbert-­Psalters, bei der ganzseitige Darstellungen der Erzbischöfe jeweils gegenüber einer Initialzierseite jedem zehnten Psalm vorangestellt sind.42 Erzbischof Egbert (amt. 977 – 993), der sowohl die Goldfassung des Petrusstabs als auch den Psalter in Auftrag gab, postulierte damit die apostolische Sukzession der Trierer Metropoliten, was durchaus in Rivalität zu den Erzstühlen in Mainz und Köln erfolgt sein dürfte. Wo und in welcher Form die Kölner Bischöfe an den Chorwänden von St. Gereon gemalt waren, muss zwar offen bleiben, doch legt die Formulierung der Inschrift astantes eine Wieder­gabe als stehende Figuren entlang der Chorwände nahe. Hinzuweisen ist freilich auf einen entscheidenden Unterschied zu den bisher angeführten Bischofsdarstellungen; sie alle 40 Vgl. dazu Heilige Kölner Bischöfe, hg. v. Heinz Finger und Werner Wessel (Libelli Rhenani. Schriften der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zur rheinischen ­Kirchen- und Landesgeschichte sowie zur Buch- und Bibliotheksgeschichte, Bd. 44), Köln 2013, S. 57 – 66 mit weiterführender Literatur. 41 Vgl. Hermann Schnitzler: Rheinische Schatzkammer. Tafelband, Düsseldorf 1957, S. 24 f., Kat. Nr. 13. – Hiltrud Westermann-­Angerhausen: Die Goldschmiedearbeiten der Trierer Egbertwerkstatt (Beiheft zur Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete, Bd. 36), Trier 1973. – Egbert. Erzbischof von Trier 977 – 993. Gedenkschrift der Diözese Trier zum 1000. Todestag, hg. v. Franz Ronig (Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete, Beiheft 18), Trier 1993, Bd. 1, Kat. Nr. 43, S. 38 – 39. – Otto der Große. Magdeburg und Europa, Ausst. Kat. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2001, hg. v. Matthias Puhle, 2 Bde., Mainz 2001, Bd. 2. 305 – 310, Kat. Nr. IV 81 (Gabriel Hefele, Rolf Lauer) – Philippe Depreux: Der Petrusstab als Legitimationsmittel. Zu Kommunikation, Erinnerungskultur und Autorität im Mittelalter, in: Geschichtsvorstellungen. Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter. Festschrift Hans-­Werner Goetz zum 65. Geburtstag, hg. v. Steffen Patzold, Anja Rathmann-­Lutz und Volker Scior, Wien 2012, S. 412 – 430. 42 Museo Archeologico Nazionale Cividale, Cod. 136. Vgl. Ronig 1993 (wie Anm. 41), Bd. 1, Kat. Nr. 3, S. 20. – Thomas Labusiak: Die Ruotprechtgruppe der ottonischen Reichenauer Buchmalerei. ­Bildquellen, Ornamentik, stilgeschichtliche Voraussetzungen, Berlin 2009, S. 52 – 59 u. Kat. Nr. 1, S. 320 – 328.

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befanden sich nämlich in Bischofskirchen oder verbinden sich mit Objekten, die für den bischöflichen Gebrauch bestimmt waren. St. Gereon war aber ein hochadliges Kanonikerstift. Weshalb Anno gerade dort die Kölner Bischöfe bildlich darstellen ließ, erscheint erklärungsbedürftig. Zu erinnern ist dabei wohl an die historischen Umstände, ­welche die Erneurungsmaßnahmen begleiteten: Mit dem Anbau des Chors für die Kanoniker führte Anno nämlich die Reihe von Langchören an Kanonikerstiften zum Abschluss, die sein Vorgänger Hermann II. (amt. 1036 – 1056) initiiert hatte.43 Hermann II. stammte aus der hochadeligen Familie der Ezzonen, war in Köln wie in der Reichspolitik eine zentrale Figur und wirkte für die Kirchenreform impulsgebend. Ein besonderes Anliegen war ihm dabei, die adeligen Kanonikerstifte, allen voran St. Gereon, stärker der bischöflichen Autorität zu unterstellen.44 Im Fall von St. Gereon scheint nach den Anläufen Hermanns II., der 1056 starb, einige Zeit vergangen zu sein, ehe Anno das Projekt fortsetzen und vollenden konnte. Mit der baulichen Erweiterung von St. Gereon gab Anno II. aber nicht nur dem Chorgebet und der Liturgie einen neuen Rahmen – er stellte den Kanonikern bei der Ausübung ihrer liturgischen Pflichten durch sein Bildprogramm darüber hinaus die Kölner Bischöfe und Erzbischöfe vor Augen. Der Neubau des Chorschlusses durch Erzbischof Arnold II . von Wied überformte schon im 12. Jahrhundert den annonischen Chor und vernichtete seine Ausmalung. Wenn die Wandmalereien im Zentralbau mit der Kampagne Erzbischof Annos zusammengehörten, dann wären beide Elemente nicht nur komplementäre Teile eines Gesamtprogramms, sondern auch ein wichtiger Anhaltspunkt für die Frage, wann in Köln und im Rheinland italienische Vorbilder aufgegriffen wurden und unter welchen Vorzeichen sich der dadurch ausgelöste künstlerische Neubeginn vollzog.

43 Zu den Gründungen und Stiftungen Erzbischof Hermanns II . vgl. Klaus Gereon Beuckers: Die Ezzonen und ihre Stiftungen. Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert, Münster 1993, S. 176 – 222. – Zu den Kölner Langchören an St. Severin, St. Andreas, St. Gereon sowie dem Bonner Münster vgl. Klaus Gereon Beuckers: Der Chor des Bonner Münsters und die salischen Langchöre des 11. Jahrhunderts. Zur Entstehung einer architekturhistorischen Sonderform im Umkreis der Kanonikerreform, in: Märtyrergrab – Kirchenraum – Gottesdienst II. Interdisziplinäre Studien zum Bonner Cassiusstift, hg. v. Andreas Odenthal und Albert Gerhards (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 36), Siegburg 2008, S. 33 – 82, insb. S. 48 – 80. – Vgl. zuletzt auch Klaus Gereon Beuckers: Die Stiftungen der Ezzonen. Manifestationen politischer und geistlicher Stellung unter den späten Ottonen und frühen Saliern in Lothringen, in: Verortete Herrschaft. Königspfalzen, Adelsburgen und Herrschaftsbildung in Niederlothringen während des frühen und hohen Mittelalters, hg. v. Jens Lieven, Bert Thissen und Ronald Wientjes (Schriften der Heresbach-­Stiftung Kalkar, Bd. 16), Bielefeld 2014, S. 255 – 288, zu Hermann II. S. 278 – 283. 44 Vgl. dazu zuletzt Christian Hillen: Zwischen Köln und Krakau, Klosterreform und Erzbistum. Zur Politik Erzbischofs Hermanns II. von Köln (amt. 1036 – 1056), in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 1), S. 261 – 277.

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Formprobleme und Datierungsfragen Ob die Reihe der Kölner Metropoliten im Chor mit der immerhin fragmentarisch erhaltenen Bildfolge im Zentralbau – also den Aposteln und Propheten – zusammen gesehen werden kann, hängt von ihrer zeitlichen Einordnung ab. Da die Putzschicht der freskal eingebundenen Wandmalerei direkt auf dem Mauerwerk des spätantiken Baus auflag, müssen vor dieser Neugestaltung alle älteren Verputze vollständig abgeschlagen worden sein. Es wäre naheliegend, dass eine so substantielle Erneuerung im Zuge einer größeren Baukampagne erfolgte. Durch Quellen sind im fraglichen Zeitraum nur der 1069 geweihte Chor Annos und die Verlängerung des Chors in der Zeit Arnolds II. von Wied (amt. 1151 – 1156) belegt. Nach gängiger Forschungsmeinung wäre die Ausmalung des Zentralbaus aber im frühen 12. Jahrhundert erfolgt, für das keine entsprechenden Nachrichten vorliegen. Bisweilen wurde eine Verbindung zur Erhebung der Gebeine des hl. Gereon erwogen, die man bei den durch Norbert von Xanten 1121 unternommenen Grabungen gefunden zu haben glaubte.45 Eine zeitliche Einordnung der Malereien kann also letztlich nur auf Grund ihres Stils erfolgen. Am größten der Fragmente lässt er sich gut erfassen (Abb. 58): Die klar umrissenen Figuren heben sich deutlich vom taubenblauen Hintergrund ab. In der Farbigkeit dominieren kräftige Ocker-, Rot- und Weißtöne, neben einem braun-­grünlichen Unterton des Inkarnats. Der Kopf des Propheten mit ovalem Gesicht sitzt auf einem schlanken Hals. Die Konturen der langen, scharfgeschnittenen Nase laufen in zweifach geknickten Augenbrauen aus, auf der Nasenwurzel zeigt sich eine markante V-Falte. In den großen Augen sind die Pupillen nur schwach zu erkennen. Einige der braunen Haare fallen am Scheitel als kurze Fransen in die Stirn, folgen aber sonst sanft gewellt dem Oval des Gesichts und enden, zu einer Locke eingedreht, auf Höhe der Ohren. Über dem schmalen Mund liegt ein Schnurrbart; bartlos bleiben das rundliche Kinn und die mit zartroten Kreisen belebten Wangen. Der weiß-­graue Kragen des Propheten ist in scharf geknickten Falten organisiert, ebenso wie das über die Schultern des Apostels gebreitete rote Tuch. Auffällig sind die mit Edelsteinen und Perlen besetzten Borten an der linken Schulter- und Oberarmpartie des Propheten. Sein Übergewand ist offensichtlich eine Chlamys mit Scheibenfibel. Möglicherweise war er in einer Kleidung wiedergegeben, die sich an der Rüstung römischer ­Kaiser und hochrangiger Offiziere orientiert und vergleichbar in den Fresken von San Clemente 46 wie in den italienischen Riesenbibeln 45 So von Schäfke 1984 (wie Anm. 17), S. 283. 46 Vgl. etwa die Abbildung bei Otto Demus: Romanische Wandmalerei, München 1968, Abb. 38 und Taf. XV, dort noch mit der Datierung „um 1100“. Zuletzt plädierte Serena Romano: La pittura medievale a Roma. Riforma e tradizione 1050 – 1198, Mailand 2006, S. 129 f. für eine Datierung der Wandmalerei ­zwischen 1078 und 1084. – Ein Überblick zur Forschungslage bei Cristiana Filippini: The Eleventh-­ Century Frescoes of Clement and Other Saints in the Basilica of San Clemente in Rome, phil. Diss. Baltimore 1999, S. 1 – 25, bes. S. 21 – 23.

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Abb. 61: Apostel aus Weltgerichtstafel aus Santa Maria in Campo Marzio, Pinacoteca Vaticana, Rom (Detail), 1061 – 1071.

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begegnet.47 An der Gestaltung des Kopfes wie bei der Gewandbildung lässt sich gleichermaßen beobachten, wie auf einem flächig aufgetragenen Grundton durch dicht gesetzte parallele Linien meist in alternierenden Hell-­Dunkel-­Werten eine plastisch-­dynamische Modellierung erzeugt wird. Kennzeichnend sind die Parzellierung der Gewandpartien in tropfen-, sichel-, rechteck-, oder trapezartige Binnenformen sowie eine Neigung zur ornamentalen Verselbstständigung des Lineaments. So ist etwa beim rechten Bein des Apostels die Lichthöhung unter dem Knie zu einem Mäander eingedreht. Zudem lässt sich eine über Gewandstücke und Körpergrenzen hinausgreifende Ausbildung von Großformen feststellen. So werden die Faltenlinien an Bauch und Oberschenkeln des sitzenden Apostels gemeinsam mit seiner Gesäßkontur zu einem großen Kreismotiv zusammengefasst, in das sich auch die bogenförmigen Lichthöhungen auf dem Hals des Propheten einfügen. Der Stil der Wandmalereien ist deutlich von italienischen Vorbildern beeinflusst, wie bereits Plotzek erkannte, der in ihnen sogar das Werk italienischer Künstler sah. Stilistische Eigenheiten, auf die bereits Behrend-­K rebs hinwies – im Allgemeinen das wesentlich stärkere Streben zur abstrakten Form und im Speziellen die manieristische Umbildung von Faltenlichtern ins Ornamentale – lassen diese Möglichkeit jedoch als nahezu ausgeschlossen erscheinen.48 Wie eingangs angedeutet, hat sich die Einschätzung der Kunstentwicklung in Italien in den vergangenen drei Jahrzehnten gewandelt: Durch die Forschungen von John Osborne,49 Larry Ayres 50 und Robert Suckale 51 konnten insbesondere die Vorstel47 Etwa beim Titelbild zum Buch der Psalmen in der Bibel von Santa Cecilia (Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. Barb. lat. 587, fol. 194r); zur Handschrift vgl. Anm. 54. 48 Behrend-­Krebs 1994 (wie Anm. 7), S. 111 – Auch die Tatsache, dass die oberen Farbschichten – wie beim Arbeiten al fresco – mit dem Putz abgebunden und durchkarbonatisiert sind, kann nicht zum Argument für eine italienische Werkstatt gemacht werden. Der Tuffstein, auf dem die Putzschicht aufgebracht ist, vermag Feuchtigkeit so lange zu speichern, dass sich dieser Effekt auch ohne das Arbeiten in Tagwerken ergibt. Vgl. Behrend-­Krebs 1994 (wie Anm. 7), S. 89 u. 91. 49 John Osborne: Early Medieval Wall-­Paintings in the Lower Church of San Clemente, Rome (Outstanding Theses from the Courtauld Institute of Art), New York 1984. – Weitere Literatur zu San C ­ lemente vgl. Anm. 46. 50 Larry M. Ayres: Gregorian Reform and Artistic Renewal in Manuscript Illumination. The Bibbia Atlantica as an International Artistic Denomination, in: La riforma Gregoriana e l’Europa. Congresso Internazionale Salerno 1985 (Studi gregoriani per la storia della Libertas Ecclesiae, Bd. 13), 2 Bde., Rom 1991/92, Bd. 2, S. 145 – 152. – Larry M. Ayres: Sources for the Renewal in Manuscript Illumination at Santa Cecilia in Trastevere in the Early Romanesque Period, in: Scrinium Berolinense. Festschrift für Tilo Brandis zum 65. Geburtstag, hg. v. Peter Jörg Becker (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin, Bd. 10), Wiesbaden 2000, S. 29 – 42. – Larry M. Ayres: Italian Romanesque Manuscript Illumination, Salzburg, and the North. Patterns of Reception and Renewal, in: Europa und die Kunst Italiens. Internationaler Kongress zum hundertjährigen Jubiläum des Kunsthistorischen Instituts in Florenz 1997, hg. v. Frank Fehrenbach (Collana del Kunsthistorisches Institut in Florenz, Bd. 3), Venedig 2000, S. 41 – 74. – Larry M. Ayres: Bemerkungen zu den frühen italienischen Riesenbibeln, in: Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 10), Bd. 1, S. 325 – 332. 51 Suckale 2002 (wie Anm. 2).

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Abb. 62: St. Gereon, Köln, Wandmalereifragment 1.

lungen von der Chronologie wichtiger römischer Denkmäler in entscheidenden Punkten korrigiert werden. Anhand der Weltgerichtstafel im Vatikan (Abb. 61) lassen sich diese Veränderungen und die mit diesen verbundenen Neubewertungen italienischer Werke exemplarisch beschreiben. Die Pioniere um Wilhelm Paeseler, Gerhard Ladner und Edward Garrison – und mit ihnen ein Großteil der Forschung bis zur Jahrtausendwende – datierten

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Abb. 63: Evangeliar von Santa Cecilia, Biblioteca Medicea Laurenziana Florenz, Cod. Plut. 17.27, fol. 6v, drittes Viertel 11. Jahrhundert: Evangelist Matthäus.

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die Tafel in das frühe 13. Jahrhundert – und zwar entgegen der Stifterinschrift, die eine Entstehung ­zwischen 1061 und 1071 belegt.52 Garrison gab seinem Aufsatz deshalb den sprechenden Titel „monument versus document“. Eine grundsätzliche Revision dieser Spätdatierung, die das Werk als epigonal und provinziell erscheinen ließ, legte 2002 Robert Suckale vor, der die Tafel als „programmatisches Bild der einsetzenden gregorianischen Kirchenreform“ rehabilitierte.53 Die Tafel aus Santa Maria in Campo Marzio gehört in einen Kontext mit weiteren Zeugnissen der Malerei aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts in Rom, insbesondere der Bibel 54 und dem Evangeliar von Santa Cecilia in Trastevere 55 und den Fresken in der Unterkirche von San Clemente (Abb. 62). Diese Werkgruppe spiegelt das zum Teil herausragende künstlerische Niveau der römischen Kunst jener Zeit wider. Charakteristisch ist, dass die Gewänder – wie bei Schulter und Oberarm des Propheten in St. Gereon – in unterschiedlichen Farben angelegt sind, die nicht unbedingt durch die Logik der Drapierung motiviert sind. Gut zu beobachten ist dies sowohl bei den thronenden Aposteln der Weltgerichtstafel (Abb. 61) als auch beim Propheten Esra in der Bibel aus Santa Cecilia (Abb. 63). Kennzeichnend ist auch die Behandlung der Gewänder, deren Falten als feines paralleles Lineament angegeben werden, das in Kombination mit größeren Lichtflecken häufig kreis-, sichel- oder tränenförmige Motive ausbildet. Dass die Wandmalereien in St. Gereon mit ihrer gleichfalls graphischen und geometrisch-­stilisierenden Gewandgestaltung ein Reflex dieser Stilstufe italienischen Werke sind, ist evident und unbestritten. Deutlich ist auch, dass sie den stadtrömischen Vorbildern um vieles näher stehen als den Beispielen, die aus dem cluniazensisch-­burgundischen Kunstkreis bekannt sind; eine vermittelnde Zwischenstufe ist also nicht anzunehmen.56 Eines der wenigen rheinischen Werke, die sich den Wandmalereien aus dem Zentralbau von St. Gereon stilistisch an die Seite stellen lassen, ist die Miniatur des Schöpfers in der Bibel aus St. Kastor in Koblenz.57 Die zweibändige Bibel gehört zu den wichtigsten 52 Edward B. Garrison: Dating the Vatican Last Judgment Panel. Monument Versus Document, in: La bibliofilia. Rivista di storia del libro e di bibliografia 72 (1970), S. 121 – 160. 53 Suckale 2002 (wie Anm. 2). 54 Biblioteca Apostolica Vaticana Rom, Cod. Vat. Barb. lat. 587. Vgl. Larry Ayres: Sources of the Renewal of Manuscript Illumination at Santa Maria in Trastevere in the Early Romanesque Period, in: Scrinium Berolinense. Festschrift für Tilo Brandis zum 65. Geburtstag, hg. v. Jörg P. Becker und Eva Bliembach. Berlin 2000, S. 29 – 42. – Le Bibbie Atlantiche. Il libro delle Scritture tra monumentalità e rappresentazione, Ausst. Kat. Abtei Montecassino und Biblioteca Medicea Laurenziana Florenz, hg. v. Marilena Maniaci und Giulia Orofino, Mailand 2000, S. 126 – 131, Kat. Nr. 5 (Larry Ayres). 55 Biblioteca Medicea Laurenziana Florenz, Cod. Plut. 17.27. – Vgl. Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 264 – 266, Kat. Nr. 372 (Fabrizio Crivello). 56 So noch Avril 1983 (wie Anm. 7), S. 192 und Behrend-­Krebs 1994 (wie Anm. 7), S. 116. 57 Gräflich Schönbornsche Schlossbibliothek Pommersfelden, Hs. 333 u. 334. – Vgl. Die Grafen von S­ chönborn. Kirchenfürsten, Sammler, Mäzene, Ausst. Kat. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, hg. v. Gerhard

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­ eugnissen der Reformbewegung, die im 11. Jahrhundert das Reichsgebiet erfasste, und Z die sich auch und vor allem in einem Bemühen um verlässliche und repräsentative Bibelausgaben äußerte. Den Schmuck der Bibel aus St. Kastor bilden hauptsächlich Initialen und lavierte Federzeichnungen, die sich stilistisch weitgehend aus der Trier-­Echternacher Buchkunst ableiten lassen.58 Das Frontispiz ist allerdings in Deckfarben ausgeführt und zeigt den auf dem Regenbogen thronenden Schöpfer mit adorierenden Engeln (fol. 2r) (Abb. 64). Seine Füße ruhen auf dem Erdglobus. Mit der Linken hält er eine auf die Knie gestützte Scheibe mit der Aufschrift „fiat lux“, die Rechte ist segnend erhoben und richtet sich auf die Verso­seite, wo in sechs Feldern das an den sechs Tagen Erschaffene dargestellt ist (fol. 1v). Die Gewandgestaltung erinnert durch das dichte Netz ineinander gestaffelter Rechteckformen und gebündelter paralleler Linien unmittelbar an die Wandmalereifragmente in St. Gereon. Auch die Kreisform, w ­ elche im Bauchbereich über die Gewandgrenzen von Mantel und Tunika hinweg rotiert, lässt an ein ähnliches Motiv bei der Propheten-­Apostel Gruppe denken, obgleich der Gesamteindruck flacher ist, da die Linienführung weniger Bezug auf die plastische Rundung der Körperglieder nimmt. Anders als bei den Fragmenten aus St. Gereon ist die Datierung der Bibel gesichert; einem Schenkungsvermerk zufolge wurde die Handschrift durch einen Kanoniker namens Hongerus dem Stift von St. Kastor in Koblenz während der Amtszeit Erzbischof Udos von Trier (amt. 1067 – 1077) übereignet. Allerdings lässt die Bildseite mit dem thronenden Schöpfergott durch die teilweise abgeplatzte Schicht der Deckfarben erkennen, dass die Malerei nachträglich über dem in Federzeichnung ausgeführten Buchschmuck erfolgte. Bislang ging man (auch hier abhängig von der älteren Datierung italienischer Werke) davon aus, dass die farbige Gestaltung des creator mundi erst um 1100 erfolgt sein könne. Gleichzeitig s­ eien die demselben Künstler zugeschriebenen Miniaturen zum Buch Ezechiel (1. Band, fol. 277v) und zum Buch der Weisheit (2. Band, fol. 18v), bei denen es sich offensichtlich nicht um Übermalungen bereits bestehender Zeichnungen handelt, hinzugefügt worden.59 Berücksichtigt man freilich die gerade skizzierten Verschiebungen in der Datierung italienischer Werke, besteht kein Anlass, z­ wischen der Fertigstellung der Bibel und der farbigen Anlage des Frontispizes eine Zeitspanne von fast drei Jahrzehnten anzunehmen.60 Bott, Nürnberg 1989, S. 451 – 456, Kat. Nr. 357 (Rainer Kahsnitz). – Wittekind 2009 (wie Anm. 10), S. 229, Kat. Nr. 26 (Andrea Worm). 58 Kahsnitz 1989 (wie Anm. 57), S. 455 sah einen der beiden für die Ausstattung verantwortlichen Zeichner auch vom Vorbild italienischer Riesenbibeln beeinflusst. Dem hat Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 376 – 378, Kat. Nr. 495 (Elisabeth Klemm) im Beitrag zur anderen Bibel aus St. Kastor (Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 701, Nr. 110) widersprochen. 59 So Kat. Nürnberg 1989 (wie Anm. 58), S. 454 f. 60 Für die Übermalung von Miniaturen noch in der Endphase des Entstehungsprozesses der Handschrift bietet der Nürnberger Codex Aureus aus Echternach (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. fol. 156142) ein prominentes Beispiel, wie neuere Untersuchungen gezeigt haben. Vgl. Anja Grebe:

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Abb. 64: Bibel aus St. Kastor in Koblenz, Gräflich Schönbornsche Schlossbibliothek Pommersfelden, Hs. 333, 1067 – 1077, fol. 2r: Christus als Weltschöpfer.

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Die Wandmalereien von St. Gereon und das Frontispiz in der Bibel von St. Kastor stehen sich in ihrer Verarbeitung römischer Vorbilder jedenfalls näher als alle anderen Werke, die sonst in Vergleich gebracht werden können. Sie entsprechen sich nicht nur in den bereits beschriebenen Eigenheiten der Gewandbildung, sondern auch in der Gestaltung der Gesichter mit den schmalen, scharf geschnittenen Nasen, der deutlichen Markierung der Augenbrauen durch die starke Aufhellung von Stirn und Nasenwurzel und die dunkle Augenpartie. Charakteristisch ist auch die Formgebung des Mundes mit kleinen, aber v­ ollen Lippen, und einem klar abgesetzten, markanten Kinn. Grundsätzlich stellt sich sowohl bei den Fragmenten aus St. Gereon als auch bei der Übermalung des Frontispizes in der Bibel aus St. Kastor die Frage, ob man bei der Rezeption italienischer Werke von einem größeren zeitlichen Abstand ausgehen muss, oder ob diese unter entsprechenden historischen Umständen auch etwa zeitgleich erfolgt sein kann. Im Falle der Wandmalereien von St. Gereon aber kommt noch ein weiterer Aspekt ins Spiel, der – neben dem zeitlichen Ansatz der Vergleichsbeispiele aus dem Bereich der römischen Reformkunst – für die Datierung ins 12. Jahrhundert eine Rolle spielte, nämlich ihr Verhältnis zu den Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ der Kölner Buchmalerei. Peter Bloch und Hermann Schnitzler, die diesen Begriff prägten, nahmen eine Entstehung in den Jahren ­zwischen 1060 und 1080 an.61 Charakteristisch ist eine teilweise bis zum Äußersten getriebene Anwendung graphischer Gestaltungsmittel, wobei Gewandoberflächen in faszienartige Bänder oder Dreiecksformen zerlegt scheinen; Knie und Schultern werden oft scheibenartig umgrenzt. Die Auffassung der Figuren und des Körpers unter dem Gewand ist weitgehend unplastisch, fast scherenschnittartig aus mehreren, in sich oft feinlinig strukturierten Flächen zusammengesetzt. In der Abstraktion gewinnen die Bilder Monumentalität und expressive Wucht. Lange sah die Forschung mit Bloch/Schnitzler den Stil der ‚Strengen Gruppe‘ als repräsentativ für den Zeitstil des Kölner Raums während Annos Episkopat an. Allerdings sprechen gute Gründe dafür, die Handschriften bereits im zweiten Drittel des 11. Jahrhunderts anzusetzen, was bereits Hartmut Hoffmann aus paläographischer Sicht für geboten hielt 62 Codex Aureus. Das Goldenen Evangelienbuch von Echternach, Darmstadt 2007, bes. S. 108 – 117 – Doris Oltrogge / Robert Fuchs: Die Maltechnik des Codex Aureus aus Echternach. Ein Meisterwerk im Wandel. (Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Bd. 27) Nürnberg 2009, S. 21 – 32. 61 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 98, Bd. 2, S. 30. Die angenommene zeitliche und stilistische Obergrenze von 1080 stützt sich unter anderem auf den Vergleich mit verlorenen Wandmalereien der Dionysiuskapelle im Torbau der Stiftsimmunität von St. Viktor zu Xanten, die selbst nicht fest datiert sind und vor ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg meist eher gegen 1150/60 angesetzt worden waren. Vgl. Ulrich Kuder: Studien zur ottonischen Buchmalerei [Habilitationsschrift München 1989], hg. von Klaus Gereon Beuckers (Kieler Kunsthistorische Studien NF, Bd. 17), 2 Bde., Kiel 2018, S. 243 – 249 (mit Diskussion der älteren Forschung). 62 Hartmut Hoffmann: Schreibschulen und Buchmalerei. Handschriften und Texte des 9. – 11. Jahrhunderts (Monumenta Germaniae Historica. Schriften, Bd. 65), Hannover 2012, S. 189 u. 191.

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und zuletzt in dem von Klaus Gereon Beuckers und Andreas Bihrer herausgegebenen Band zum Sakramentar in Tyniec ausführlich dargelegt wurde.63 Damit werden die Hauptwerke wie das Sakramentar aus Tyniec (Abb. 52) selbst und das Evangeliar aus dem Paderborner Abdinghof-­Kloster (Abb. 44) etwa drei Jahrzehnte früher datiert als bisher. Besonderes Interesse verdienen in d ­ iesem Zusammenhang die Vorgänge in der Benediktinerabtei von St. Pantaleon, wo Bloch/Schnitzler jene Schreib- und Malerschule vermuteten, der sich die meisten illuminierten Kölner Handschriften aus ottonisch-­salischer Zeit verdanken, darunter auch die der ‚Strengen Gruppe‘.64 Als Anno II. in St. Pantaleon das monastische Leben nach Siegburger Vorbild reformieren wollte, sträubten sich die Mönche derart vehement, dass der Erzbischof drastische Maßnahmen ergriff. Den Ausein­ andersetzungen bereitete er schließlich dadurch ein Ende, dass er um 1071 einen Teil des Konvents vertrieb. Demnach ist es wohl auch historisch plausibel, das Ende der ‚Strengen Gruppe‘ vor dieser Zeit anzusetzen. Bloch/Schnitzler selbst hatten die von Anno betriebene personelle und paradigmatische Neuausrichtung der Kölner monastischen Gemeinschaften mit dem Abbruch der Schultradition in Verbindung gebracht. Die „ottonische Kölner Malerschule“ sei Vorbildern „der über Trier ausstrahlenden Gorzer Reform“ verpflichtet gewesen, die dann durch neue Leitbilder der oberitalienisch-­cluniazensischen Reformrichtung Fruttuarias ersetzt worden ­seien.65 Insofern erscheint es seltsam inkonsequent, dass sie die spätesten Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ erst um 1080 datierten. Wie lange es dauerte, bis die Mönche nach dem Umbruch die Handschriftenproduktion im Skriptorium erneut aufnahmen, wäre wohl auf Grundlage der geänderten Voraussetzungen noch einmal zu überdenken. Geht man davon aus, die spätesten Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ ­seien bereits vor oder um die Mitte des 11. Jahrhunderts entstanden, erscheint die Annahme plausibel, dass sich im Skriptorium von St. Pantaleon bereits mit oder bald nach dem Umbruch 1071 ein Paradigmenwechsel vollzog. Vor ­diesem Hintergrund wäre auch die Datierung mancher Handschriften noch einmal auf den Prüfstand zu stellen, insbesondere die des meist unbestimmt in das erste Viertel des 12. Jahrhunderts datierten Evangeliars aus St. Pantaleon, das dann wohl noch aus dem 11. Jahrhundert stammen könnte.66 Die von der früheren Forschung gesehene Notwendigkeit, einen zeitlichen Abstand ­zwischen den Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ und den Fresken in St. Gereon anzunehmen, der die stilistischen Unterschiede repräsentiert, besteht jedenfalls nicht mehr, wenn diese bereits um die Mitte des Jahrhunderts datiert werden.

63 Klaus Gereon Beuckers: Das Kölner Sakramentar in Polen. Zur Einleitung, in: Beuckers/Bihrer 2018 (wie Anm. 1), S. 13 – 26, bes. S. 21 – 23. – Braun-­Niehr 2018 (wie Anm. 35), S. 137. 64 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 15), Bd. 2, S. 21. 65 Bloch/Schnitzler 1967/70 (wie Anm. 15), Bd. 2, S. 20 f. 66 Historisches Archiv der Stadt Köln, Cod. W 312a. – Vgl. Worm 2008 (wie Anm. 8), S. 171 mit der üblichen Datierung.

Reform und Neubeginn | 205

Die Ausmalung von St. Gereon als monumentum Annonis St. Gereon darf neben dem Kölner Dom als bedeutendste unter den Kölner ­Kirchen gelten. Im Mittelalter sah man den spätantiken Bau als Gründung der Kaiserin Helena an, ehrwürdig durch die Tradition und geheiligt durch die in den heiligen Leibern verbürgte Präsenz seiner Märtyrer. Dass Erzbischof Anno II. im Rahmen seines Reform- und Erneuerungsprogramms der Stiftskirche besondere Aufmerksamkeit zuwandte, ist in der Vita Annonis maior festgehalten. Mit der Errichtung von Krypta und Langchor schuf er der Heiligenverehrung und der Ausgestaltung des Chorgebets einen gleichermaßen würdigen Rahmen. Mit der Reihe der Kölner Bischöfe und Erzbischöfe, die Anno an die Wände des Chors malen ließ, betonte dieser die enge Verbindung ­zwischen dem Kanonikerstift und dem Kölner Erzbistum und sicherte durch die Stifterinschrift zudem seine dauerhafte Gegenwart beim Chorgebet. Während der Chor Annos und seine Ausgestaltung durch den erneuten Umbau Mitte des 12. Jahrhunderts zugrunde gingen, haben sich Fragmente der Malereien im Zentralraum erhalten. Sie zeigen Propheten, die Apostel auf den Schultern tragen, und folgen ikonographisch wie stilistisch römischen Vorbildern. Dass es so schwerfällt, die zeitliche Stellung dieser Wandbilder zu bestimmen, hängt mit dem Mangel an fest datierten Werken und mit der Heterogenität stilistischer Phänomene in der Umbruchzeit ­zwischen dem mittleren 11. und dem ersten Viertel des 12. Jahrhunderts zusammen. Da es für eine Datierung der Fragmente keine zeitlichen Anhaltspunkte gibt, erfolgte diese einerseits im Verhältnis zu kölnischen Werken, andererseits in Relation zur italienischen Malerei. Dabei hatte sich die frühere Forschung aufgrund der Datierung der Kölner Handschriften der ‚Strengen Gruppe‘ in die Zeit Annos II. gezwungen gesehen, die Wandmalereien von St. Gereon zeitlich davon abzusetzen. Dass diese einen stilistischen Neuanfang auf Grundlage der italienischen Kunst markieren, ist unbestritten. Werke aber, die man früher in das erste Viertel des 12. Jahrhunderts datierte, setzt die neuere Forschung in das letzte Viertel des 11. Jahrhunderts. Diese weitreichende Verschiebung des relationalen Gefüges von Datierungen lässt eine Entstehung der Wandmalerei in St. Gereon im Anschluss an die von Anno ins Werk gesetzten Erneuerungsmaßnahmen gut denkbar erscheinen. Rechnet man die Wandmalereifragmente von St. Gereon der Ausstattungskampagne Annos II. am Langchor zu – also um 1069 oder bald darauf –, so wären sie auch in künstlerischer Hinsicht von programmatischer Bedeutung. Sie waren dann – neben der stilistisch eng verwandten malerischen Ausgestaltung der Bibel von St. Kastor – eines der ersten Zeugnisse für die Rezeption italienischer Vorbilder nördlich der Alpen, was gerade angesichts der engen Verbindungen Erzbischof Annos nach Italien plausibel erscheint. Zu erinnern ist daran, wie häufig Anno II. in Italien weilte: 1064 nahm er in seiner Funktion als Erzkanzler für Italien an der Synode von Mantua teil; Aufenthalte in Rom sind für die Jahre 1068 und 1070 bezeugt. 1068 und 1070 war er auch in das oberitalienische Reformkloster Fruttuaria gereist, von wo er Mönche in die von ihm gegründete Abtei Siegburg

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mitbrachte.1 In genau d ­ iesem zeitlichen Umfeld wurden 1068 und 1069 Krypta und Chor von St. Gereon geweiht. Datiert man die Freskenfragmente im Zentralbau in diese Zeit, werden sie zum Beleg dafür, dass das Aufgreifen eines neuen Stilidioms unter den entsprechenden historischen Umständen ohne größeren zeitlichen Verzug in einer Art simultanem Transfer erfolgen konnte. Die Entwicklungen in der Forschung der vergangenen Jahre zeigen eindrücklich, dass chronologische Modelle von Stilentwicklung der steten kritischen Prüfung und gegebenenfalls auch der Nachjustierung bedürfen. Dies gilt auch für die Wandmalerei im Zentral­bau von St. Gereon.

1

Vgl. Josef Semmler: Die Klosterreform von Siegburg. Ihre Ausbreitung und ihr Reformprogramm im 11. und 12. Jahrhundert (Rheinisches Archiv. Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn, Bd. 53), Bonn 1959. – Gabriel Busch / Anna-­ Dorothee von den Brincken: Itinerarium vivi, in: Kat. Köln 1975 (wie Anm. 36), S. 32 – 34. – Josef Semmler: Die Mönche. Die Siegburger Klosterreform, in: Kat. Köln 1975 (wie Anm. 36), S. 43 – 46.

Reform und Neubeginn | 207

Manfred Groten

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg

Die Evangelien stellten im Mittelalter religiöse Texte von höchstem Rang dar, überlieferten sie doch die Lehre und das Wirken des Messias. Sie wurden deshalb auch als heilig bezeichnet. Der Rang der Evangelientexte übertrug sich auf ihre Trägermedien, die Evangelienhandschriften. Ihr innerer Wert konnte durch die prachtvolle Ausstattung der Bücher sichtbar gemacht werden. Evangelienhandschriften waren im Früh- und Hochmittelalter selten als Referenzwerke Bibliotheksgut ohne besondere Funktion. Häufiger wurden sie als liturgische Bücher verwendet, aus denen während der Messfeiern Lesungen vorgetragen wurden. Solche Codizes gehörten zu den kostbaren Ausstattungsobjekten einer K ­ irche, die in ihrer Gesamtheit als Kirchenschatz (thesaurus) bezeichnet wurden.2 Für die Verwahrung dieser Bücher war der Kustos oder Thesaurar der jeweiligen ­Kirche zuständig. Auch das Lyskirchen-­Evangeliar wurde für den liturgischen Gebrauch geschaffen, und zwar in dem von Erzbischof Anno II. gegründeten Stift St. Georg in Köln. Es handelt sich bei ­diesem Codex um eines der im ältesten Schatzverzeichnis von St. Georg genannten drei Plenarien (plenarium= vollständiges Evangeliar).3 Diese Plenarien wurden zu den ornamenta des Stiftes gezählt, zu den Kleinodien, wie sie auf Deutsch genannt wurden (danach das lateinische Wort clenodia). Das reich ausgestattete Jüngere Evangeliar aus St. Georg, das Lyskirchen-­ Evangeliar, wurde vermutlich nur zu besonderen Anlässen in der Liturgie verwendet.4 Angesichts der hohen Wertschätzung der Evangelienbücher muss es befremdlich erscheinen, dass in ­solche Handschriften nicht selten Texte eingefügt wurden, die keinen inneren Bezug zu den Evangelien aufweisen.5 Das Lyskirchen-­Evangeliar ist ein Beispiel für eine ­solche Kontaminierung, die schon in der Entstehungszeit der Handschrift einsetzte 2

Vgl. Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Kölner Evangeliar von St. Georg als liturgische Prachthandschrift, Gründungsurkunde und zeitgeschichtliches Dokument, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische ­Kirchen Köln 32 (2017), S. 41 – 56, hier S. 41 – 44. 3 Vgl. Manfred Groten: Schatzverzeichnisse des Mittelalters, in: Ornamenta Ecclesiae, Kunst und Künstler der Romanik in Köln, Ausst. Kat. Schnütgen Museum Köln, hg. v. Anton Legner, Köln 1985, Bd. 2, S. 149 – 154, hier S. 150 f. 4 Vgl. Wolter-­von dem Knesebeck 2017 (wie Anm. 1), S. 43. 5 Ein Vergleichsbeispiel dafür ist das Gerresheimer Evangeliar; vgl. Andreas Bihrer: Die Handschrift im Gebrauch. Das Gerresheimer Evangeliar als Eid- und Sakristeibuch, in: Das Gerresheimer Evangeliar. Eine spätottonische Prachthandschrift als Geschichtsquelle hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Beate Johlen-­Budnik, Köln 2016, S. 135 – 152.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 209

und ab dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts beträchtliche Ausmaße annahm. Die seit dem 14. Jahrhundert in den Band eingetragenen Zusätze umfassen zwei Inhaltsverzeichnisse (Nr. 1 und 2 der Edition), 23 Eidesformeln und zwei Exzerpte aus den Statuten des Stiftes (Nr. 26 und 27), die mit den Eiden des Dekans und des Pförtners in Zusammenhang stehen. Die Analyse der eingefügten Texte gewährt Einblicke in die Verwendungsgeschichte des Evangeliars. Die ältesten Zusätze lassen sich noch einigermaßen mit der liturgischen Funktion der Handschrift in Einklang bringen. Die Eintragung eines Schatzverzeichnisses nach dem Perikopenverzeichnis (fol. 215v), möglicherweise schon im Zuge der Fertigstellung des Buches, sollte wohl durch die Nähe zu den heiligen Texten die liturgische Ausstattung des Georgsstiftes unter einen besonderen Schutz stellen.6 Im späten 12. Jahrhundert wurde nach dem Prolog zum Johannes-­Evangelium auf fol. 168r bis 171r die älteste überlieferte Version des Catalogus archiepiscoporum Coloniensium, eine Zusammenstellung von Kurzbiographien der Kölner Erzbischöfe von Maternus bis zu R ­ ainald von Dassel eingetragen.7 Die Wahl des Eintragungsortes war wohl keine Verlegenheitslösung. Der Katalog konnte in Verbindung mit dem Totenbuch des Stiftes als Vorlage für die liturgische Kommemoration der verstorbenen Erzbischöfe dienen. Die Anregung zur Erarbeitung der Biographien dürfte von Bruno von Berg ausgegangen sein, der seit 1157 Propst von St. Georg war, seit 1160 zusätzlich auch Dompropst, von 1191 bis 1193 Erzbischof von Köln.8 Bruno war der mächtigste Kölner Prälat seiner Generation. Er hatte zweifellos ein Interesse daran, den Rang der Kölner K ­ irche durch ein Werk demonstrieren zu lassen, das die apostolische Sukzession der Erzbischöfe als Nachfolger des (angeblichen) Petrusschülers Maternus aufzeigte. Die seit dem 14. Jahrhundert in das Lyskirchen-­Evangeliar eingetragenen Texte haben mit der Liturgie des Georgsstiftes nichts mehr zu tun. Es handelt sich ausschließlich um Eidesformeln und verwandte Texte. Das Lyskirchen-­Evangeliar wurde also als Eidbuch oder Schwurevangeliar verwendet. Auf diese Funktion verweist die obligatorische Schlussfloskel der Eide: „Sic me deus adiuvet et hec [!] sancta eius ewangelia“.9 Der Eid hatte im Mittelalter nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine religiöse Dimension.10 Die Eidesleistung schloss regelmäßig mit einer Anrufung Gottes: ‚So wahr mir Gott helfe!‘. Mit dieser Formel wurde Gott zum Eideshelfer berufen, der für die 6 7 8

Dazu bisher Groten 1985 (wie Anm. 2) und der Beitrag von Anna Pawlik in ­diesem Band. Monumenta Germaniae Historica Scriptores 24, S. 332 Beschreibung der Überlieferung, S. 336 – 344 Text. Zu Bruno III . vgl. Series episcoporum ecclesiae catholicae occidentalis ab initio usque ad annum MCXCVIII , series V, Bd. 1, hg. v. Stefan Weinfurter und Odilo Engels, Stuttgart 1982, S. 40 f. – ­Alexander Berner: Kreuzzug und regionale Herrschaft. Die älteren Grafen von Berg 1147 – 1225, Köln 2014, S. 108 – 119. 9 Hier zitiert nach Nr. 7 der Edition. 10 Vgl. Art. Eid, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, Stuttgart 1986, Sp. 1673 – 1680 (Manfred Gerwing).

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Wahrhaftigkeit des Schwörenden bürgen sollte. Eine Verletzung des Eids sollte göttliche Strafen zur Folge haben, die das Seelenheil des Eidbrüchigen gefährden konnten. Das Mittelalter war eine handlungsorientierte Epoche. Deshalb wurde die Eidesleistung zu einem Ritual ausgestaltet, das die religiöse Dimension der Handlung wahrnehmbar machen sollte. Zu d ­ iesem Zweck musste der Eidleistende durch die Berührung heiliger Gegenstände zeigen, dass er sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst war. Während er die Eidesformel sprach, berührte er Reliquien, einen Reliquienbehälter, ein Kreuz oder ein Evangelienbuch.11 Im Spätmittel­alter wurden auch Schwurbilder verwendet. Die Kreuzigungsdarstellung im Handbuch des Rektors der Kölner Universität aus der Zeit um 1400 zeigt beispielsweise deutlich die Spuren, die die Hände von Tausenden von Studenten hinterlassen haben, die den Immatrikulationseid leisteten.12 Solche Gebrauchsspuren weist das Lyskirchen-­Evangeliar nicht auf. Die Zahl der Schwurhände, die ein Evangelistenbild oder die Majestasdarstellung hätten berühren können, war natürlich überschaubar. In einer spätmittelalterlichen geistlichen Gemeinschaft spielte aber die Konfrontation des Schwörenden mit einem Ehrfurcht gebietenden Bild wohl keine Rolle mehr. Dagegen zeigen zwei Seiten mit Evangelistenbildern des karolingerzeitlichen Evangeliars des Museums Schnütgen deutliche Verfärbungen, die von Berührungen durch viele Schwurhände stammen.13 Jesus hat in der Bergpredigt (Mt 5,33 – 37) seine Hörer aufgefordert, auf das Schwören von Eiden zu verzichten. Angesichts dieser klaren Weisung hat sich die ­Kirche mit dem Instrument des Eides stets schwer getan, es wurde aber im kanonischen Recht legitimiert.14 Zu den im Kirchenrecht zulässigen promissorischen Eiden zählten die Amtseide geistlicher Amtsinhaber. Der Formulierung solcher Eide lag die Vorstellung von Ämtern zugrunde, die bestimmte Anforderungen stellten, deren Erfüllung jeder Amtsträger zuzusichern hatte. Die in das Lyskirchen-­Evangeliar eingetragenen Amtseide spiegeln die spannungsreiche Binnenstruktur eines spätmittelalterlichen Stiftes wider. Die von der Aachener Reichssynode im Jahre 816 erlassene Aachener Regel verpflichtete Kanoniker zu einem gemeinschaftlichen Leben (vita communis).15 Die Mitglieder einer Stiftsgemeinschaft sollten gemeinsam essen und 11 Vgl. Philipp Hofmeister: Die christlichen Eidesformen, eine liturgie- und rechtsgeschichtliche Untersuchung, München 1957. 12 Älteste Stadtuniversität Nordwesteuropas, 600 Jahre Kölner Universität, Ausst. Kat. Historisches Archiv der Stadt Köln, hg. v. Manfred Groten, Köln 1988, S. 66, Nr. 73, Abb. nach S. 80. – Vgl. auch das Handbuch des Rektors der Kronenburse, S. 72, Nr. 81, Abb. nach S. 112 (dort falsche Angabe Nr. 98), wo über der Kreuzigungsdarstellung der Anfang des Johannes-­Evangeliums unter der Schlussfloskel des Eides („sic me deus adiuvet et haec sancta dei evangelia“) zitiert wird. 13 Vgl. Anton von Euw: Das Buch der vier Evangelien. Kölns Karolingische Evangelienbücher (Kölner Museums-­Bulletin. Sonderheft 1989.1), Köln 1989, S. 15 (Markus) und 29 (Johannes). 14 Vgl. Richard H. Helmholz: Kanonisches Recht und europäische Rechtskultur, Tübingen 2013, S. 159 – 190 (engl OA The Spirit of Classical Canon Law, Athens 1996). 15 Vgl. Art. Institutio Aquisgranenses, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 5, Stuttgart 1991, Sp. 451 – 452 (Josef Semmler).

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 211

schlafen und aus dem Stiftsvermögen versorgt werden, dessen Verwaltung dem Propst oblag. Seit dem 12. Jahrhundert lässt sich jedoch eine fortschreitende Auflösung der vita communis in vielen Stiften beobachten.16 Die Kanoniker bezogen eigene Häuser in der Stiftsimmunität. Das weiterhin als Einheit aufgefasste Stiftsvermögen wurde hinsichtlich seiner Nutzung bestimmten Zwecken gewidmet. Es entstanden Amtsgüter für die Prälaten des Stiftes und in ihrem Wert fixierte Einzelpfründen für den Lebensunterhalt der Kanoniker.17 Nach dem Tod eines Kanonikers wurden seine Bezüge noch für eine bestimmte Zeit für die Begleichung seiner Schulden und für die Stiftung seines Gebetsgedenkens weitergezahlt. Sein Nachfolger ging in dieser so genannten Karenzzeit leer aus. Auf Stiftungen basierende Vermögenskomplexe wurden als Obödienzen einzelnen Kanonikern zur Verwaltung übertragen. Die Obödientiare mussten bestimmte Erträge an die Gemeinschaft abführen, durften aber Überschüsse behalten. Gefördert wurde die hier nur grob skizzierte Entwicklung durch einen allgemeinen Individualisierungstrend in der hochmittelalterlichen Gesellschaft und die zunehmende Verbreitung der Geldwirtschaft,18 die für Kanoniker die Möglichkeit eröffnete, aus mehreren Stiften Einkünfte zu beziehen, die nicht mehr unbedingt vor Ort in Form von Naturalien bereitgestellt und verzehrt werden mussten. Um die zunehmend mobilen Kanoniker zur Teilnahme an der Stiftsliturgie zu motivieren, wurde ein Belohnungssystem mit Präsenzgeldern eingeführt. Für die ordnungsgemäße Auszahlung der Präsenzgelder wurde das Amt des Präsentiars geschaffen. Die Wahrung der Balance z­ wischen der Rücksichtnahme auf die Interessen der einzelnen Amtsträger und Kanoniker einerseits und der Sorge um die Aufrechterhaltung der Stiftsliturgie andererseits erforderte eine feine Abstimmung der Verpflichtungen eines jeden einzelnen Stiftsmitglieds. Dieser Abstimmung diente die verbindliche Formulierung von Amts- und Diensteiden. Das an den Universitäten gelehrte Kirchenrecht stellte die juristische Fachsprache für die rechtskonforme Formulierung solcher Eide zur Verfügung. Neben den Statuten 19 stellten die Eide die wichtigsten normativen Texte für die Stifte dar, die deshalb häufig an prominenter Stelle dokumentiert wurden. Dazu wurde im Stift St. Georg das Lyskirchen-­Evangeliar verwendet. Die Eidesformeln sind allerdings auch als Gebrauchstexte im Geschäftsschriftgut von St. Georg überliefert.20 Warum konnte aber ein prachtvoller Kodex im frühen 14. Jahrhundert aus dem Bestand der im Gottesdienst verwendeten liturgischen Bücher ausgesondert und einer neuen 16 Daniel Berger: Stift und Pfründe. Die Ausbildung der Kanonikerpräbende im Erzbistum Köln bis 1300 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 38), Siegburg 2011. 17 Berger 2011 (wie Anm. 15), S. 133 – 187 (rechtliche Entwicklung) u. 189 – 241 (praktische Ausgestaltung). 18 Zur Monetarisierung des Pfründenwesens vgl. Berger 2011 (wie Anm. 15), S. 237 – 241. 19 Vgl. Karl Corsten: Geschichte des Kollegiatstiftes St. Georg in Köln, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 146/47 (1948), S. 64 – 150, hier S. 72 – 74. 20 Vgl. Anna-­Dorothee von den Brincken (Bearb.): Das Stift St. Georg zu Köln (Urkunden und Akten 1059 – 1802) (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Bd. 51) Köln 1966, S. 186 – 190 (Geistliche Abteilung 97, Ende 15. Jh. und 1502 – 1505).

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Bestimmung zugeführt werden? Das um 1300 sicher antiquiert wirkende Erscheinungsbild des Bandes dürfte als Motiv kaum ausreichen. Die Erklärung liefert vielmehr die Veränderung der liturgischen Bücher im Hoch- und Spätmittelalter. Im Lyskirchen-­Evangeliar waren die Lesungstexte für die einzelnen Sonn- und Feiertage nur mit großer Mühe aufzufinden. Daran änderte auch das nach dem Johannes-­Evangelium auf fol. 210v bis 215r angehängte Perikopenverzeichnis (Capitulare evangeliorum) nichts,21 denn dessen Nachweise waren in den Evangelientexten, die keinerlei Erschließungsmerkmale aufweisen, nur mit einiger Mühe aufzufinden. Schon im Frühmittelalter hatte man sich durch die Erstellung von Handschriften beholfen, in denen die für die liturgischen Lesungen vorgeschriebenen Texte als nach dem Festkalender geordnete Exzerpte dargeboten wurden (Evangelistare, Lektionare).22 Ein vollständiges und ein unvollständiges Lektionar werden schon im ältesten Schatzverzeichnis von St. Georg aufgeführt.23 Weiterhin benötigte der zelebrierende Priester noch Anleitungen für die Feier der Messe, die ihm in anderen liturgischen Büchern zur Verfügung gestellt wurden. Das Schatzverzeichnis nennt für St. Georg zwei Messordines 24 und drei Graduale.25 Von besonderem Interesse sind die in ­diesem Verzeichnis aufgeführten zwei missales und fünf missales libri.26 Dabei handelte es sich um Messbücher, deren genaue Zusammensetzung nicht festzustellen ist. Messbücher, deren Überlieferung schon im Frühmittelalter einsetzte, waren Kompilationen, in denen Handlungsanweisungen, Gebete, Gesänge und Lesungen für den Zelebranten zusammengeführt wurden.27 Seit dem 12. Jahrhundert kam es zu einer schrittweisen Standardisierung der Messbücher, die sich seit dem 13. Jahrhundert in der alltäglichen Praxis als bequeme Hilfsmittel für die Feier der Liturgie durchsetzten. In ­diesem Entwicklungsstadium verloren die älteren liturgischen Bücher an Bedeutung. Die im ältesten Schatzverzeichnis von St. Georg verzeichneten liturgischen Handschriften verschwanden bis auf die beiden bis heute erhaltenen Evangeliare aus der Überlieferung. Die beiden Prachthandschriften wurden schon allein wegen ihres Materialwerts weiterhin unter den vom Thesaurar betreuten Kleinodien des Stiftes verwahrt. Sie wurden noch im Schatzverzeichnis des frühen 15. Jahrhunderts mit den zugehörigen Kissen verzeichnet. 28 21 Vgl. dazu von Euw 1989 (wie Anm. 12), S. 16 f. 22 Vgl. Art. Lektionar, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Stuttgart 1991, Sp. 1866 – 1867 ­(Katharina Bierbrauer). 23 Vgl. Groten 1985 (wie Anm. 2), S. 151 (Nr. 33) sowie Pawlik in ­diesem Band. 24 Zu einem überlieferten Text dieser Gattung vgl. Andreas Odenthal: Ein Formular des „Rheinischen Messordo“ aus St. Aposteln in Köln, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 34 (1992), S. 333 – 344. 25 Vgl. Groten 1985 (wie Anm. 2), S. 151 (Nr. 21, 24) sowie Pawlik in ­diesem Band. 26 Vgl. Groten 1985 (wie Anm. 2), S. 151 (Nr. 22, 23) sowie Pawlik in ­diesem Band. 27 Vgl. Art. Missale, in : Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, Stuttgart 1993, Sp. 669 (Bruno Kleinheyer). – Éric Palazzo: Histoire des livres liturgiques. Le moyen âge. Des origins au XIIIe siècle, Paris 1993, S. 124 – 127. 28 Vgl. Groten 1985 (wie Anm. 2), S. 152 (Nr. 36) sowie Pawlik in ­diesem Band.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 213

In der Stiftsliturgie spielten sie aber keine Rolle mehr. Ihnen waren vielmehr neue Funktionen zugewiesen worden. Das Lyskirchen-­Evangeliar wurde als Schwurevangeliar verwendet. In das heute im Landesmuseum Darmstadt verwahrte Evangeliar wurden am Anfang und am Ende Schatzverzeichnisse und Texte, die sich auf Stiftungen beziehen, eingetragen.29 Diese Nachträge müssten noch näher untersucht werden. Klar ist aber schon jetzt, dass eine funktionale Differenzierung des Gebrauchs der beiden Evangeliare stattgefunden hat. Der erste Amtseid, der in das Lyskirchen-­Evangeliar eingetragen wurde, war der des Propstes (Nr. 9). Er wurde auf freien Seiten z­ wischen der Hinführung zum Lukas-­Evangelium und dem eigentlichen Evangelientext eingefügt. Der Eid, der sich in erster Linie auf die Anerkennung der Aufteilung von Gütern und Rechten z­ wischen Propst und Kapitel bezog, wurde in dieser Form zuerst von Johann von Virneburg, einem Neffen Erzbischof Heinrichs von Virneburg, geleistet.30 Johann war ein Karrierekleriker mit hervorragenden Beziehungen, zur Zeit seiner Wahl zum Propst von St. Georg schon Domkeppler und Propst von Kerpen.31 Dass er sehr auf seine Einkünfte bedacht war, sieht man daran, dass er sich 1324 sowohl mit dem Kölner Domkapitel um Präsenzgelder stritt als auch mit dem Stift St. Georg über die Karenzzeit für den vollen Bezug seiner Pfründeneinkünfte.32 In einer Urkunde vom 28. November 1323 wurde in St. Georg Johanns Anerkennungserklärung der Gütertrennung dokumentiert.33 Johanns Amtseid basierte auf dieser Erklärung. Er leistete den Eid dem Text zufolge „tactis sacrosantis dei ewangeliis“. In der Schlussformel „Sic me deus adiuvet et hec sancta dei evangelia“ wird noch einmal auf die Evangelien Bezug genommen, konkret auf ‚diese‘ Evangelien, also auf die Evangelienhandschrift, auf die der Eid geleistet wird. Durch die Eintragung der Eidesformel in die Evangelienhandschrift wurde die religiöse Dimension des Eides sichtbar gemacht. Warum der Eid ­zwischen die Evangelientexte eingeschoben, und nicht am Anfang oder am Ende des Bandes eingetragen wurde, hat wohl keinen sachlichen Grund. Der Eintrag befindet sich etwa in der Mitte der Handschrift, die sich somit bei der Leistung des Eides bequem aufgeschlagen halten ließ. 29 Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 19), S. 299 f. 30 Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm 19), S. 27 Urkunde Nr. 55 vom 28. November 1323. Der von Johanns Nachfolger Werner von Merode am 4. Oktober 1329 geleistete Eid ist in Handschrift Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, N XI 1 II, S. 18 überliefert (vgl. von den Brincken S. 305). Vgl. Das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und seine Bestände 5 hg. v. Friedrich Wilhelm Oediger, Siegburg 1972, S. 406. Zum Eid von 1375 vgl. Historisches Archiv des Erzbistums Köln, St. Georg A II 16, fol. 38. 31 Vgl. Ulrike Höroldt: Studien zur politischen Stellung des Kölner Domkapitels z­ wischen Erzbischof, Stadt Köln und Territorialgewalten 1198 – 1332 (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 27), Siegburg 1994, S. 601 f.; Johann (gest. 1360) gab die Propstei von St. Georg 1328 auf. 32 Vgl. Höroldt 1994 (wie Anm. 30), S. 602 zum ersten Punkt, zum zweiten Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 4 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21) bearb. v. Wilhelm Kisky, Bonn 1915, Nr. 1522 vom 15. Februar 1325 (erzbischöfliche Bestätigung der Einigung, die in einem Statut festgeschrieben wurde). Vgl. auch Corsten 1948 (wie Anm. 18), S. 75 f. 33 Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 19), S. 27 (Urkunde 55).

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In welchem Rahmen die Eidesleistung erfolgte, lässt sich für Johanns Nachfolger Werner von Merode rekonstruieren. Dieser leistete den Eid am 4. Oktober 1329 vor dem Kölner Notar Gottfried de Kelse.34 Als Zeugen des Aktes werden der Dekan Gerhard de Pavone, der Scholaster, der Chorbischof und vier Kanoniker von St. Georg namentlich genannt. An den Eid des Propstes ist von gleicher Hand der Eid der Kanoniker (Nr. 10) angefügt worden. Dieser Eid verpflichtete die Kanoniker zu Gehorsam gegenüber dem Erzbischof, dem Dekan und dem Kapitel von St. Georg. Bemerkenswert ist hier die explizite Verpflichtung zu Gehorsam gegenüber dem Erzbischof. Sie verweist auf das straffe Regiment Erzbischof Heinrichs von Virneburg, dem sich das Stift St. Georg offenbar beugte, zumal der erzbischöfliche Schutz gegen Ansprüche der Stadt Köln sicher willkommen war. Die Gehorsamspflicht gegenüber dem Erzbischof findet sich auch in den Eiden des Dekans, des Scholasters, der Vikare und der meisten Inhaber von Pfarrrechten.35 Die Kanoniker mussten sich in ihrem Eid auch verpflichten, die Statuten und guten Gewohnheiten ihres Stiftes einzuhalten. Ausdrücklich wurde ihnen aufgegeben, sich für die Wahrung der Rechte von Dekan und Kapitel gegen Übergriffe des Propstes einzusetzen. In ­diesem Passus scheint wieder die Virulenz des Konfliktes z­ wischen Propst und Kapitel auf, die zu der Formulierung des Eides des Propstes Anlass gegeben hatte. Zu dem Eid der Kanoniker musste auf Anweisung Erzbischofs Friedrichs von Saarwerden vom 2. Oktober 1371 ein Abschnitt hinzugefügt werden, der in der Handschrift von anderer Hand nachgetragen worden ist.36 Die Eintragung der Eide wurde recht sorgfältig in gotischer Urkundenschrift vorgenommen. Beim Eid des Propstes wurde Platz für die nachträgliche Einfügung einer Initiale gelassen, die nicht ausgeführt worden ist. Nicht nur durch den zeitlichen Abstand wirkt das Ganze in der Handschrift als Fremdkörper, der letztlich ohne Gespür für die Qualität der Umgebung in die Handschrift eingebracht wurde. Auch im 14. Jahrhundert dürfte das Stift St. Georg nicht über ein professionelles Skriptorium verfügt haben. Die schriftliche Fixierung von Eiden gehörte im Spätmittelalter ohnehin in die Domäne der pragmatischen Schriftlichkeit,37 die dezidiert alltäglich daherkam, noch nicht bürokratisch, aber auf dem Weg dahin, und meilen­weit entfernt von der hieratisch anmutenden Aura der Schriftlichkeit der Evangelientexte. Dass zunächst nur zwei Eide in das Lyskirchen-­Evangeliar eingetragen wurden, zeigt, dass keineswegs beabsichtigt war, eine Sammlung aller im Stift verwendeten Eidesformeln 34 Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 19), S. 305. Zur Quelle vgl. Oediger 1972 (wie Anm. 29), S. 406. Zum Eid von 1375 vgl. Historisches Archiv des Erzbistums Köln, St. Georg A II 16, fol. 38. 35 Vgl. Nr. 6, 7, 11, 12, 14, 16, 17, 20, 22, 23. 36 Vgl. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 8 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21) bearb. v. Norbert Andernach, Düsseldorf 1981, Nr. 255 (Punkt 18, S. 71 f.) 37 Vgl. dazu Manfred Groten: Pragmatische Schriftlichkeit im Rheinland im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250 – 1750) (Beiträge zur Histo­ rischen Bildungsforschung, Bd. 39) hg. v. Andreas Rutz, Köln 2010, S. 211 – 231.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 215

a­ nzulegen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass zunächst nur Eide von besonderer Relevanz in die Evangelien eingebettet wurden. Es ist sogar zu vermuten, dass die Eide erst anlässlich ihrer schriftlichen Fixierung in die überlieferte Form gebracht wurden. Noch im 14. Jahrhundert wurden zu verschiedenen Zeiten die Eide der Vikare (Nr. 11), des Dekans (Nr. 12), des Thesaurars (Nr.13) und des Scholasters (Nr. 14) an die beiden ersten Texte angefügt. Mit diesen Eidesformeln waren die freien Seiten vor dem Lukas-­ Evangelium gefüllt. Für weitere Eide musste an anderen Stellen der Handschrift Platz gefunden werden. Ein Eid besonderer Art wurde im 14. Jahrhundert vor dem Beginn des Markus-­Evangeliums eingefügt. Dieser Eid bezieht sich auf das Amt des Ewigvikars der Pfarrkirche von Homberg (Nr. 8). Die Rechte an der Pfarrkirche von Homberg hatte das Stift St. Georg in ein Sonder­vermögen umgewandelt, das einem bestimmten Kanoniker als sog. Obödienz zur Verwaltung übertragen wurde.38 Dieser Obödientiar hatte das Recht, einen anderen Kanoniker von St. Georg dem zuständigen Archidiakon, dem Kölner Domdekan, zur Investitur mit den Pfarrrechten zu präsentieren. Dieser Kanoniker, der – von außen betrachtet – als Pfarrer in Homberg amtierte, galt rechtlich nur als Vikar, genauer gesagt als Vikar auf Lebenszeit (Ewigvikar). Die komplizierte Situation in Homberg ließ eine genaue Abgrenzung der Rechte und Pflichten des Kapitels, des Obödientiars und des Vikars angeraten erscheinen. Deshalb wurde der Eid des Vikars in ausgefeilter juristischer Fachsprache formuliert und in das Lyskirchen-­Evangeliar eingetragen. Die ausführliche Formulierung des Eides wurde für andere Eide von Pfarrvikaren als Muster verwendet. Obödientiare waren den kirchlichen Obrigkeiten ein Dorn im Auge, und so wurde auch die Obödienz Homberg abgeschafft. Die Rechte des Obödientiars fielen an Dekan und Kapitel. Diese Änderung der Rechtslage erforderte eine Anpassung des Eides des Ewigvikars. Die alte Version wurde mit dem Vermerk „vacat“ für ungültig erklärt und durch eine neue Fassung ersetzt, die auf der Rückseite des Blattes eingetragen wurde, auf dem die ursprüngliche Fassung stand. Weitere Eide von Pfarrern und Vikaren wurden erst seit dem 15. Jahrhundert in die Handschrift an verschiedenen Stellen eingetragen (Nr. 6, 7, 16, 17, 20, 21, 22, 23). Den Anfang machten die außerkölnischen Pfarrkirchen von Frauenberg (Euskirchen) (Nr. 7), Rösberg (Bornheim) (Nr. 20) und Rosellen (Neuss) (Nr. 21). Erst im 16. Jahrhundert kamen auch die Eide der Pfarrer von Holzheim (Mechernich) (Nr. 23) und der stadtkölnischen benachbarten Pfarrei St. Jakob (Nr. 6) hinzu.39 Der Eid des Pfarrers von St. Maria ­Lyskirchen (Nr. 17) ist erst im 18. Jahrhundert eingetragen worden. Ein besonderes Interesse an den Eiden der Pfarrer bezeugt ein Fundstellenverzeichnis am Anfang der Handschrift, das im späten 15. Jahrhundert angelegt wurde, allerdings mit geringer Sorgfalt, denn die dritte 38 Vgl. Corsten 1948 (wie Anm. 18), S. 95 f. 39 Holzheim wurde 1598 von den Jesuiten erworben. Vgl. Corsten 1948 (wie Anm. 18), S. 86.

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und die vierte Zeile wurden vertauscht. Zum Zeitpunkt der Eintragung des Findbehelfs befanden sich in der Handschrift nur die Eide für Frauenberg, Homberg, Rösberg und Rosellen.40 Eine Fortschreibung erfolgte nicht. Doch zurück zur Chronologie der Eintragungen: Um 1400 wurde der Eid des Präsentiars (Nr. 3) vor dem Prolog zu den Evangelien eingefügt.41 Die Niederschrift kann frühestens 1398 erfolgt sein, weil sie den am 21. Juli ­dieses Jahres verstorbenen Kulmer Bischof Wikbold Dobbelstein mit der Formel felicis recordacionis erwähnt.42 Die Verpflichtung zur Verwaltung der reichen Stiftung Wikbolds gab vermutlich auch die Veranlassung für die Festschreibung der Eidesformel für den Präsentiar. Der ­gleiche Schreiber hat den Eid des Kellners (Nr. 5) vor der Hinführung zum Matthäus-­ Evangelium eingetragen.43 Als Vermögensverwalter des Stiftes kam dem Kellner eine steigende Bedeutung zu. Seine Amtspflichten erforderten eine strikte Einhaltung der Präsenzanforderungen, die die meisten Kanoniker im Spätmittelalter nicht mehr so genau nahmen. Vor ­diesem Hintergrund erklären sich die strengen Regeln für die Durchführung von Dienstreisen. Ähnlich wie der Eid des Vikars von Homberg wurden auch die hier besprochenen Eide als Muster für weitere Formeln herangezogen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfolgte eine grundlegende Neuordnung der Verwendung des Lyskirchen-­Evangeliars als Schwurevangeliar. Die sukzessive Eintragung von Eiden auf freien Blättern an verschiedenen Stellen der Handschrift machte ihre Benutzung zunehmend mühsam. Deshalb entschloss man sich, alle regelmäßig verwendeten Eidesformeln in einem Block am Ende des Bandes neu einzutragen. Dazu stand eine freie Lage zur Verfügung, die ursprünglich wohl für den Nachtrag von Findbehelfen für die liturgischen Lesetexte reserviert worden war. Die gesammelte Neueintragung der Eide bot die Möglichkeit, die Texte, wo es erforderlich war, zu aktualisieren. Auf diese Weise entstand eine Doppelüberlieferung der Eide des Propstes (Nr. 9), der Kanoniker (Nr. 10), des Dekans (Nr. 12), des Scholasters (Nr. 14), des Thesaurars (Nr. 13) und der Vikare (Nr. 11). Angefügt wurden die vorher nicht eingetragenen Eide des Pförtners (Nr. 18), des Vizethesaurars (Nr. 19) und des Pfarrers von Rösberg (Nr. 20). Der Schreiber des Sammeleintrags war um ein repräsentatives Erscheinungsbild seiner Texte bemüht. Dazu bediente er sich einer feierlich wirkenden gotischen Textura mit farblich hervorgehobenen Initialen, die von den nachlässigeren Schriften seiner Vorgänger deutlich absticht.

40 Die Inkorporation der Pfarrei Rosellen wurde 1351 von Erzbischof Wilhelm von Gennep genehmigt. Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 19), S. 40 (Urkunde 89). – Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 6 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 21) bearb. v. Wilhelm Janssen, Köln 1977, Nr. 147. 41 Vgl. dazu von Euw 1989 (wie Anm. 12), S. 10 – 13. 42 Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 19), S. 165. 43 Vgl. dazu von Euw 1989 (wie Anm. 12), S. 14.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 217

Mit ­diesem Sammeleintrag kam die Benutzung des Lyskirchen-­Evangeliars als Überlieferungsort für die Amtseide des Stiftes St. Georg aber keineswegs zum Abschluss. Vielmehr wurden bis zum 18. Jahrhundert weitere Eide eingetragen. Eine neue Kategorie bildeten die Eide für Laien, die in deutscher Sprache nach lateinischen Vorlagen formuliert wurden. Der älteste dieser Eide ist der des Offermanns (Nr. 15). An drei Stellen ist in der Handschrift zu verschiedenen Zeiten der Eid der Lehnsleute des Stiftes (Nr. 4) in leicht abweichenden Fassungen eingetragen worden. In deutscher Sprache wurden auch die Eide der Schultheißen von Holzheim (Nr. 24) und Lengsdorf (Nr. 25) formuliert. Für die Sprachforschung ist der Vergleich der deutschen Texte mit den lateinischen Vorlagen von Interesse. Für die Kulturgeschichte ist die Beobachtung wichtig, dass in den deutschen Texten in der Schlussformel die Berufung auf die heiligen Evangelien durch die Anrufung der Heiligen ersetzt wurde: „Also helffe myr got ind syne heilgen“ (Nr. 15). Erst in der spätesten Version des Eids der Lehnsleute heißt es „und syn heylge evangelien“ (Nr. 4). Im 15. und 16. Jahrhundert waren die geistlichen Verfasser der Eide nicht davon überzeugt, dass Laien eine so klare Vorstellung von der Bedeutung der Evangelien hatten, dass eine Berufung auf diese auf sie Eindruck gemacht hätte. Deshalb rückte man die Heiligen als Autoritätspersonen an die Stelle von autoritativen Texten. Erst im Zeitalter der Aufklärung traute man auch Laien ein Wissen um den Rang der Evangelien zu. Auch nach dem Sammeleintrag der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfolgte an mehreren Stellen der Handschrift die Eintragung weiterer Eide. Damit wurde der Versuch, eine Ordnung der Texte herbeizuführen, wieder zunichtegemacht. Im späten 15. oder frühen 16. Jahrhundert wurde deshalb ein neuer Weg beschritten, die Benutzung des Bandes zu erleichtern. Nachdem schon früher die Fundstellen von vier Eiden von Pfarrern und Vikaren am Anfang der Handschrift vermerkt worden waren, wurde nun ein Index aller noch relevanten Eide angelegt. Da die Handschrift keine Foliierung aufwies, konnten die Angaben der Fundstellen sich nur an den lebenden Kolumnen über den Evangelientexten orientieren. So wurden Eide aufgelistet, die vor den Evangelien des Matthäus, Markus und Johannes sowie nach ­diesem Evangelium zu finden waren. Nachgewiesen wurden nur die zur Zeit der Erschließung gültigen Versionen der Eide. So wurde der Eid des Thesaurars, dessen Amt mit päpstlicher Bulle vom 12. Juli 1457 aufgehoben worden war,44 nicht aufgeführt. Der Index ist nur sporadisch aktualisiert worden, einmal für den Eid der Lehnsleute und einmal für den des Pfarrers von St. Maria Lyskirchen. Den des Pfarrers von St. Jakob trug man nicht nach. Als Schwurevangeliar spielte das Lyskirchen-­Evangeliar bis zur Aufhebung von St. Georg als geistliches Institut durch die französische Gesetzgebung von 1802 eine wichtige Rolle für die Gewährleistung von Rechtssicherheit innerhalb des Stiftes. Über seine kunsthistorische Bedeutung hinaus stellt es deshalb eine eindrucksvolle Quelle für die Rechtsgeschichte des Stiftes St. Georg dar. 44 Vgl. Corsten 1948 (wie Anm. 18), S. 80.

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Eidesformeln Die Texte sind in der Reihenfolge ihrer Fundstellen im Evangeliar angeordnet. Bei Mehrfachüberlieferung ist unabhängig vom relativen Alter der Versionen die niedrigste Folienzahl maßgeblich. Bei Mehrfachüberlieferung basiert der Druck jedoch, wo nicht anders angegeben (vgl. Nr. 8), auf der ältesten Version (a). Die signifikanten Abweichungen der jüngeren Fassungen (b, c) werden im kritischen Apparat nachgewiesen. Die Datierungsangaben sollen nur grobe Anhaltpunkte für die zeitliche Einordnung geben, da – von wenigen genau bestimmbaren Zeitgrenzen abgesehen – nur der Schriftcharakter als Kriterium herangezogen werden kann. Abkürzungen wurden ohne Kennzeichnung aufgelöst, die Groß- und Kleinschreibung normalisiert. Bei der Transkription von lateinischen Texten, in denen c und t nicht sicher zu unterscheiden sind, wurde pragmatisch verfahren. In deutschen Texten wurden u und v nach Lautwert unterschieden, y mit Trema und unklare ij-­ Schreibungen mit y wiedergegeben. Interpunktionszeichen wurden zaghaft eingefügt, um lange, wenig strukturierte Sätze besser lesbar zu machen. Inhaltliche Erläuterungen wurden auf die nötigsten Angaben beschränkt. 1. Index der Eidesformeln für Pfarrer und Pfarrvikare Fol. 1v (spätes 15. Jh.) Iuramentum pastoris in Frauwenberghe 45 habetur in inicio ewangeliorum beati Mathei [Nr. 7] Iuramentuma vicarii in Hombergh habetur in inicio ewangeliorum beati Marci [Nr. 8] Similiter iuramentum pastoris in Roselden 46 ibidemb [Nr. 21] Iuramentum pastoris in Roedesberch 47 habetur in fine circa alia iuramenta huius ecclesieb [Nr. 20] a b

Folgt gestrichen videlicet. Die dritte und vierte Zeile sind bei der Eintragung vertauscht worden. Der Eid des Pfarrers von ­Rosellen steht in der Handschrift hinter dem des Pfarrers von Rösberg.

2. Index der Eidesformeln Fol. 2r (spätes 15. / frühes 16. Jh.) Item iuramentuma infeudandorumb [Nr. 4] Item iuramentum presentiarii [Nr. 3] Item iuramentum cellerarii [Nr. 5] 45 Frauenberg (Euskirchen). 46 Rosellen (Neuss). 47 Rösberg (Bornheim).

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 219

Item iuramentum pastoris in monte Marie vel Frauwenberge [Nr. 7] habentur ante evangelium beati Mathei c Item iuramentum perpetui vicarii in Hoemberch habetur ante evangelium beati Marci [Nr. 8] Item iuramentum campanariorum [Nr. 15] Item iuramentum vicarii sub turri [Nr. 16] habentur ante evangelium beati Johannis c Item iuramentum c prepositi [Nr. 9] canonicorum [Nr. 10] decani [Nr. 12] scolastici [Nr. 14] vicariorum [Nr. 11] portenarii [Nr. 18] vicethesaurarii [Nr. 19] pastoris in Roedesberch [Nr. 20] pastoris in Roselden [Nr. 21] offitiantis altaris sancte Agate [Nr. 22] pastoris in Holtzem 48 [Nr. 23] schulteti in Holtzem [Nr. 24] schulteti yn Lenxdorp 49 [Nr. 25] habentur post evangelium Johannis c Iuramentum domini pastoris B[eatae] M[ariae] V[irginis] in littore vulgo Lyskirchen ­habetur post evangelium Joannis et iuramentum prepositie [Nr. 17] a b c d e

Vorlage iuramentorum. Späterer Nachtrag. Nach einer Schweifklammer, die die Einträge verbindet. Vor einer Schweifklammer, die die Einträge verbindet. Nachtrag von einer Hand des 18. Jahrhunderts.

48 Holzheim (Mechernich) 49 Lengsdorf (Bonn).

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3. Eid des Präsentiars Fol. 2v (um 1400) Ego N. iuro et promitto quemadmodum venerabiles decanus canonici et capitulum ecclesie sancti Georgii Coloniensis michi officium presentiarie commiserunt quod huiusmodi officium fideliter exercebo quodque cum consilio et auxilio dictorum dominorum meorum, eorum tamen sumptibus et expensis, pro meo posse et nosse recuperabo deperdita. Insuper promitto iustam et fidelem facere computationem prefatis dominis meis de universis et singulis bonis michi commissis ipsisque et singulis personis prefate ecclesie et eorum cuilibet pro rata satisfaciendo loco et tempore debitis et oportunis, nec non universas et singulas personas non interessentes divinis horis debitis et consuetis, cum presencie deserviuntur, pro posse meo propalabo nemini parcendo, prout hoc hactenus tentum est et observatum. Item registrum michi presentandum in quo universa et singula bona presenciarum sunt descripta fideliter in suo esse et vigore observabo, ita videlicet in casu quo bona aliqua de persona in personam transferri et devolvi contigerit quod nomina et cognomina ad quarum manus bona ipsa devenerint et translate fuerint cum consilio predictorum dominorum meorum ad dictum registrum michi presentandum penes antiqua nomina describam et describi procurabo. Item memoriam felicis recordationis domini episcopi Culmensis 50 secundum ordinationem et dispositionem ipsius domini episcopi et prout in littera desuper confecta et sigillo capituli nostri sigillata cuius copia in armario ecclesie nostre predicte dependet fideliter observabo. Item postquam dictum officium per annum integrum habuero et tenuero lapso anno me de illo amplius non intromittam nisi de voluntate et commissione speciali dominorum meorum decani canonicorum et capituli predictorum et si post annum elapsum me in dicto officio perdurare contigerit, extunc prefatum iuramentum innovabo et de novo prestabo. Sic me deus adiuvet etc. 4. Eid der Lehnsleute a) Fol. 7r: Eydt der Lehenlude (16. Jh.) b) Fol. 224v: Eydt der Lehenlude von churmoeden (16. Jh.) c) Fol. 221r: Eyd der lehenlude von lehenlude von lehen (18. Jh.) Ich N. gelove mynen heren dechen und capittell zu sente Georgiena bynnen Colneb truwe c * und holtd zu syne irer f kirchen beste in allen sachen g mir moeglichh ist vuri zu wenden und zu j doin und sie vuri ire argst zu warnenk und die gudere l dair m ich myt belehent n byn so anzufoereno und pelen und wie die selvigen gelegen synt p schrifftlichq under mynem siegellr mynen heren vurs. verhantreichens sallt, dieselven ouchu nyet versplyssen noch verdeylenv ader w zu anderen henden stellen dan myt wist x und guden willen myner heren 50 Vgl. dazu von den Brincken 1966 (Anm. 19), S. 185.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 221

dechants y und capittels, vurbehalen eynem jederen manz syns rechten. So myr got helff und syne heylgenaa. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa

c) Georgen. b) Collen, c) Colln. c) trew. b) c) holdt. Folgt in c) als ein man von lehen van rechtswegen synen lehnherrn sculdig. c) ihrer. c) sachenn. c) möglich. c) vor. c) zo. Folgt in c) myt rhat und that mynes vermögens beyzustehen. b) c) guedere. c) dae. b) belehendt, c) belhent. c) anzuforen. c) syndt. Fehlt in c). c) sygell. c) verhandtreichen. c) solle. c) auch. Folgt in c) noch versetzen. c) oder. c) wyst. b) c) dechens. c) yederman. b) heilgen, c) syn heylge evangelien.

5. Eid des Kellners a) Fol. 7v–8r (um 1400) b) Fol. 223r–223v (16.Jh.) Iuramentum cellerarii Ego N. canonicus ecclesie sancti Georgii Coloniensis recognosco ex consensu providaque utilitatis voluntate meique capituli me intromisisse ad onus cellerarie eiusdem ecclesie et cellerariam dictorum dominorum meorum accepisse in profesto assumptionis beate Marie virginis a datis presentium sub omni virium meorum diligentia in suo vigore conservandum pro omni meo posse et nosse, bona quecumque ad eam pertinentia augmentandum nichil de eisdem minuendum, dominis meis de eisdem bonis satisfaciendo prout cellerarii interest officii loco et tempore / a quocumque debito et consueto. Quotienscumque vero et quandocumque contigerit me fore absentem in choro in iustis et rationabilibus causis et negotiis

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dicte ecclesie quam absentiam sive negocium dicte mei officii negociandum presenciario pro tempore intimabo et protunc non obstante absentia presencie aut alie accidentie prebende mee ut alteri canonico presenti michi per presentiarium aut quemcumque alium dabuntur. Si vero absens fuerob ex negligentia sive alia causa, protunc presencias de choro michi minime ministrabit. Etiam si contigerit me esse in negocio ex predicto meo officio equitando sive eundo extra civitatem et illo eodem c die d negocium valerem expedire ve contigeritque me extra civitatem pernoctare, istase expensas capitulo et dominis meis non computabo. Si tamen contigerit me ex necessitate extra civitatem pernoctare expensas iuste faciendo in negociis et causis dictorum dominorum meorum computabo. Anno vero elapso circa festum assumptionis beate Marie virginis dominis meis computationem ad requisitionem eorundem michi factam faciam competentem. Si vero computatione facta occasione prefati officii cellerarie capitulo et dominis meis in aliquibus ero sive remansero obligatus quocumque modo sive quocumque nomine, ista debita persolvere promitto vel infra quindenam proximam post computationem factam et in capitulo approbatam de eisdem satisfacere volo et debeo indilate. Sin autem predicta quindena elapsa de debitis per me promissis dominis meis in toto non fuerit / f satisfactam, extunc statim etg de facto et sine mora intrabo carcerem predictorum dominorum meorum et capituli ex nullius iussu sine licentia de predictis carceribus non exeundo, quin antedictis dominis meis et capitulo meo plenarie sit et ipsi regognoscant fore de predictis debitis satisfactum. Que omnia et singula ego N. predictus omni fidelitate servareh sine omni dolo et fraude promitto. Sic me deus adiuvet eti sancta dei evangeliaj. a b c d e f g h i j

Seitenwechsel in b. Fehlt in a). a) eadem. b) Nachträglich eingefügt. b) huiusmodi. Seitenwechsel in a. Fehlt in b). a) servari. b) Folgt hec. b) euwangelia.

6. Eid des Pfarrers von St. Jakob Fol. 8v (16. Jh.) Iuramentum pastoris sancti Jacobi Coloniensis Ego N. pastor ecclesiae parochialis sancti Jacobi civitatis et dioecesis Coloniensis per aediles caeterosque parochianos ecclesiae praedictae pro hac vice duntaxat iuxta tenorem laudi alias inter dictam parochialem et collegiatam sancti Georgii ecclesiam promulgati 51 nominatus 51 Zu ­diesem Vergleich von 1237 vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 19), S. 330 f.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 223

electus et praesentatus atque per dominum decanum et capitulum acceptatus institutus et investitus promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo obediens et fidelis praelatis et superioribus meis et praecipue reverendissimo patri et domino meo archiepiscopo Coloniensi decano et capitulo ecclesiaea sancti Georgii praedictae ecclesiae meae parochialis antedictae veris patronis et collatoribus damna seu pericula ipsis communiter seu divisim seu eorum ecclesiae incumbentia praemuniendo. Et dictam ecclesiam sancti Jacobi quam mihi domini mei decanus et capitulum contulerunt fideliter et rationabiliter regere ac solerti studio eidem praeesse et curam eius gerere debebo, iura et bona eiusdem inventa conservabo et augmentabo ac deperdita pro posse recuperabo. Statuta licita et honesta ac bonas consuetudines dictae collegiatae ecclesiae, si et in quantum me concernunt, nec non concordias ac transactiones inter utramque ecclesiam factas fideliter et absque fraudeb observabo. Ecclesiamqueb antedictam parochialem nullo modo nec volo nec debeo permutare seu aliquo reservato pensione aut onere praegravare, sed si eandem resignare velim hoc mihi non licebit nisi ad manus dominorum patronorum et collatorum meorum praedictorum. Sic me deus adiuvet et haec sancta dei evangelia. a b

Folgt gestrichen praedictae. Folgt Streichung.

7. Eid des Ewigvikars der Pfarrkirche von Frauenberg a) Fol. 23r–23v (nach 1457) b) Fol. 110r Nur die Überschrift: Iuramentum pastoris in Frawenberg 1693. Iuramentum canonici prebendati et vicarii perpetui parochialis ecclesie in monte beate Marie virginis Ego N. canonicus prebendatus collegiate ecclesie sancti Georgii Coloniensis ac pro nunc vicarius perpetuus parochialis ecclesie montis Marie Coloniensis diocesis predicte collegiate ecclesie sancti Georgii incorporate per dominos meos decanus et capitulum institutus et investitus promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo fidelis et obediens prelatis et superioribus meis et precipue reverendissimo patri et domino meo archiepiscopo Coloniensi decano et capitulo ecclesie sancti Georgii predicte ecclesie mee parochialis antedicte veris patronis et collatoribus dampna seu pericula ipsis communiter seu divisim et ecclesie eorum incumbentia premuniendo. Et ecclesiam montis Marie quam michi domini mei decanus et capitulum contulerunt fideliter et rationabiliter regere ac sollerti studio eidem preesse et curam eius gerere debeam. Domum dotis in esse conservabo et eandem in collapsis pro viribus reformabo. Et presertim maiorem decimam ecclesie prefate montis Marie antedicte dominis meis in perpetuum appropriatam et incorporatam pro omni meo posse et nosse cum omnibus suis pertinenciis iuribus et obventionibus quibuscumque vigilanti animo fidelitateque totali in suo esse et permanencia custodiam et conservabo, ne in aliqua

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parte quacumque per me seu quamcumque aliam personam minuatur. Et quod pro iuribus et bonis mobilibus et immobilibus ecclesiam meam predictam concernentibus et ad eam spectantibus defendendis et conservandis omni posse meo laborabo alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo nec aliqua alienando, sed utilitatem ecclesie prefate bona fide procurando. Iura archiepiscopalia et archidiaconalia et alia onera subsidiorum caritativorum et decimarum archiepiscopalium papalium et eorum legatorum ipsi ecclesie montis Marie incumbentia, dummodo ibidem resederim, sine omni contradictione solvam et supportabo. Ecclesiamque antedictam nullo modo volo nec debeo permutare. Sed si eandem resignare velim hoc mihi non licebit nisi ad manus dominorum patronorum et collatorum meorum predictorum quodque nullatenus licebit mihi assumere vicecuratum vel in locum meum aliquo tempore instituere aut acceptare capellanum nisi de scitu et consensu ac licentia dominorum meorum predictorum desuper petita et obtenta. Quemque sic tempore neccessitatis alicuius acceptandum eisdem dominis meis presentabo ut ipsi eundem ad beneplacitum eorum instituent et similiter ammoveant ac alium ordinent et disponant tociens quociens ipsis dominis meis videbitur expediens et oportunum. Et quod precipue et ante omnia firmiter et inviolabiliter observare debeo ordina / ciones statuta et consuetudines ecclesie mee sancti Georgii que auctoritate sancte sedis apostolice facte statute vel observate sunt super incorporatione prefate ecclesie in monte Marie super decimis et bonis de eadem ecclesia ecclesie sancti Georgii cedendis et per dominos meos decanum et capitulum habendis. Necnon super non usu iurium canonicalium et cursu fructuum prebendalium et super divisione maioris decime eiusdem ecclesie. Et super omnibus aliis et singulis circa ista hucusque observatis, quamdiu me ibidem residere contigerit, contentus ero. Et precipue cum minori decima et accidentiis ecclesie montis Marie dumtaxat inclusis agris pascuis piscinis silvis et minuta decima ad ecclesiam montis Marie et eiusdem domum dotis spectantibus. Et ultra hec dominos meos decanum et capitulum ecclesie sancti Georgii antedictos numquam impetam in futurum neque ipsam ecclesiam montis Marie aliquo reservato vel pensione aut onere pregravabo nec aliquid faciam procurari vel consentiam fieri quominus ipsum capitulum incorporationem predictam libere uti possit aut per quod quoquomodo defraudari in perceptione fructuum prebende mee tempore residencie mee apud ecclesiam montis Marie currentis pro capitulo aut bonorum dominorum meorum apud montem Marie. Eroque eis promotor fidelis fraude et dolo in singulis premissis exclusis. Sic me deus adiuvet et hec sancta eius ewangelia. Sciendum quod hec ecclesia montis beate Marie pleno iure patronatus spectat ad collacionem decani et capituli ecclesie sancti Georgii nec debet conferri tempore vacacionis alicui nisi canonico prebendato eiusdem ecclesie sancti Georgii qui tenebitur prestare iuramentum suprascriptum antequam accipiat possessionem et potest si velit ibidem personaliter residere sed tunc prebenda sua currit pro capitulo alioquin capitulum haberet disponere de vicecurato prout supra habetur tociens quociens opus fuerit.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 225

8. Eid des Ewigvikars der Pfarrkirche von Homberg a) Fol. 76r. (spätes 14. Jh.) Mit dem Vermerk „vacat“ für ungültig erklärt. b) Fol. 76v (16. Jh.) Hiernach der Druck. Iuramentum prestandum per vicarium perpetuum in Hombergha Ego N. vicarius perpetuus ecclesie parochialis in Hombergh Coloniensis diocesis promitto et iuro quod ex nunc in antea ero fidelis superioribus meis dominis decano et capitulo ecclesie sancti Georgii Coloniensis damnab seu pericula ipsis communiter vel divisim incumbentia et ecclesie eorum praemuniendo et ecclesiam sive vicariam perpetuam predictam de c qua domini decanus et capitulum ecclesie eiusdem veri patroni mei dignatid sunt ex gratia et favore speciali providere c fideliter et rationabiliter regere et solertie studio eidem preesse personaliter et curam eius gerere debeam et presertim ipsos dominos de capitulof seu ipsum capitulum predictum in decima eorum de Hombergh ad ipsos spectante non occupabo sed g eandem pro omni posse et nosse cum omnibus et singulis suis attinentiis et pertinentiis quibuscumque cum omni fidelitate etiam indesinenter in iure suo in et ad usum dictorum dominorum meorum et eorundem ecclesiam, ne in aliqua eius parte per me seu quemcumque alium et seu alios directe vel indirecte minuatur, conservabog nec ab ipsis quicquam postulabo contentariqueh etiam velimi et contentus esse debeamh in fructibus redditibus iuribus obventionibus et emolumentis in quibus predecessores mei hactenus contentabantur. Iura archiepiscopalia et archidiaconalia et alia onera subsidiorum caritativorum et decimarum archiepiscopalium papalium et legatorum et aliorum quorumcumque ipsi ecclesie in Homberg incumbentia sine omni contradictione solvam et supportabo. Ecclesiamj seu vicariam antedictam nolo nec debeo aliquo modo permutare seu resignare, nisi cum scitu et consensu ac voluntatek expressisl meorum patronorum predictoruml. Necnon pullos ad ipsosm decanum et capitulum spectantes eisdemm fideliter colligeren et transmittere meis sumptibus et expensis procuraboo. Hec omnia et singula promitto et iuro me perpetuo observaturum fideliter conservando sine omni dolo et fraude et si que deperdita ruinosa p et collapsa p sunt pro posse indilate q recuperabo reintegrabor et restaurabo et seu recuperari et restaurari curabor inventaques etiamt in omnibus et per omniat fideliter conservabo. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei evangeliau. In a) folgt von anderer Hand: Sciendum quod investitura huius ecclesie in Hombergh residet apud decanum ecclesie Coloniensis sed presentacio spectat ad dominum obedienciarium in Hombergh canonicum ecclesie nostre sancti Georgii Coloniensis. Randvermerk von späterer Hand: Hec tene. a a) Iuramentum perpetui vicarii in Hombergh. b a) dampna. c-­c a) Stattdessen (später gestrichen): ad quam obdienciarius verus patronus me dignabatur ex gracia seu favore dei presentare. In b) providere durch Überschreiben von presentare gebildet.

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d b) Korrigiert aus dignabantur. e a) sollerti. f b) Folgt gestrichen et. g-­g a) Fehlt. h-­h a) Stattdessen: sed contentari volo et debeo. i b) Korrigiert aus volo. j a) ecclesiamque. k a) Folgt bona. l-­l a) mei patroni predicti. Über der Zeile von späterer Hand capituli. m-­m a) Stattdessen: ipsum dominum obedenciarium meum patronum spectantes eidem. n b) Fehlt. o a) Folgt: prout hactenus per predecessores meos tentum est et observatum. In a) von Nencnon pullos an nachträglich gestrichen. p-­p a) Fehlt. q-­q a) Fehlt. r-­r a) Fehlt. s a) et inventa. t-­t a) Fehlt. u a) ewangelia.

9. Eid des Propstes a) Fol. 110v (nach 1324) b) Fol. 216r–216v (frühes 15. Jh.): Iuramentum prepositi. [E]a go .. talisb prepositus ecclesie sancti Georgii Coloniensis iuro tactis sacrosanctis dei ewangeliis quod ordinacionem separacionis et divisionis bonorum redituum iurium et quorumlibet obvencionum .. prepositure et ecclesie mee predicte prout in forma dicte divisionis et separacionis continetur expressum inviolabiliter observabo nec ultra id quod in dicta forma exprimitur seu expressum invenitur a curtibus bonis possessionibus seu officiatis ipsius ecclesie mee pensionem redditum iura vel aliqua servicia exigam quoquomodo publice vel occulte. Item iura et libertates ecclesie mee predicte fideliter conservabo nec in aliquo puncto diminuam ymmo in quantum potero pocius augmentabo et omnia bona seu iura ecclesie mee predicte deperdita vel contra ius a quibuscumque personis possessa pro meo posse et nosse ad ius et proprietatem ecclesie mee predicte revocabo nec in hoc meis parcam laboribus vel expensis. Item tractatibus electionum beneficiorum collacionibus non interero nisi / c ad hoc per .. capitulum meum requisitus fuero vel vocatus. Item super premissis omnibus et singulis aut quibuscumque aliis ecclesiam meam et preposituram contingentibus si, quod absit, super his vel aliquo eorundem questio oriatur stabo simplici dicto .. capituli mei vel maioris partis eiusdem. Sic me deus iuvet et hec sancta dei evangelia. a b c

a) Initiale nicht ausgeführt. b) N. Die Reverenzpunkte fehlen hier und an den übrigen Stellen. b) Seitenwechsel.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 227

10. Eid der Kanoniker a) Fol. 111r (1. Hälfte 14. Jh) b) Fol. 217r–217v (frühes 15. Jh.): Iuramentum canonicorum. [E]ago .. talisb canonicus ecclesie sancti Georgii Coloniensis promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo obediens et fidelis prelatis meis superioribus et precipue .. reverendo patri et domino meo Coloniensi archiepiscopo .. decano meo et capitulo ecclesie mee sancti Georgii predicte prout canonicus dicte ecclesie de iure et consuetudine ipsius ecclesie ad id tenetur. Et quod statuta licita et honesta ac bonas consuetudines prefate ecclesie observabo et quod pro iuribus et bonis eiusdem ecclesie que hactenus de consuetudine observata .. decanus et capitulum absque .. preposito ministravit habuit c et possedit defendendis stabo et ipsius ecclesie utilitatem bona fide procurabo. Ipsaque ecclesia pre dampnis suis premuniam ac secreta capituli mei celabo fideliter absque fraude. Quodqued ego in nullam personam huius ecclesie mee cuiuscumque ordinis vel condicionis existat in ea beneficiatus aut intitulatus vel que alias de eius gremio fuerit eam capiendo occidendo vel aliis iniuriis enormibus letaliter afficiendo / e non seviam per me vel alium publice vel occulte animo suspecto diffinito consilio scienter nec eidem aut ecclesie mee predicte in bonis et rebus violenter inferam dampna incendiis vel rapinis. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei ewangelia. Et f specialiter statuta incorporacionem thesaurarie et luminaria ecclesie necnon collaciones seu nominaciones canonicatuum et prebendarum ordinarie vacancium concernencia g in singulis suis clausulis inviolabiliter observabo. Sic me deus etc. Canonicatumh et praebendam meos si liberi fuerint nulla pensione sine expresso consensu capituli gravabo et si gravati aliqua pensione fuerint eandem pensionem exsolvam, ne ob nonsolutionem eiusdem capitulum gravetur et molestetur. Si etiam capitulum ex traditione possessionis aliquo casu interveniente qualiscunque fuerit gravaretur et molestaretur capitulum relevabo indemne. a b c d

a) Initiale nicht ausgeführt. b) N. Die Reverenzpunkte fehlen hier und an den übrigen Stellen. b) Folgt tenuit. Der folgende Absatz in a) von anderer Hand nachgetragen. Am Rand: Addicio condicionis domini Frederici archiepiscopi. Verweis auf die von Erzbischof Friedrich von Saarwerden am 2. Oktober 1371 erlassenen Statuten (Punkt 18). Vgl. Anm. 35. e b) Seitenwechsel. f Dieser Absatz nur in b). g Die Auflösung des stark gekürzten Wortes von späterer Hand am Rand. h b) Von späterer Hand mit Hilfe eines Einfügungszeichens am Fuß der Seite nachgetragen.

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11. Eide der Vikare a) Fol. 111r–111v (14. Jh.). b) Fol. 219r–219v (frühes 15. Jh.): Iuramentum vicariorum. E[go]a talisb vicarius ecclesie sancti Georgii Coloniensis promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo obediens et fidelis prelatis meis superioribus et precipue reverendo patri et domino meo Coloniensi archiepiscopo decano meo et capitulo ecclesie mee sancti Georgii predicte prout vicarius dicte ecclesie de iure et consuetudine ipsius ecclesie ad id tenetur. Et quod statuta licita et honesta ac bonas consuetudines prefate ecclesie observabo et quod pro iuribus et bonis vicariam meam concernentibus et c ad eam spectantibus defendendis et conservandis c omni posse meo laborabod alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo nec aliqua alienando et specialiter calices libros ornamentaque alia quecumque ad vicariam meam spectantiae sub omni bona custodia fideliter reservando et / f utilitatem eiusdem bona fide procurando ipsamque ecclesiam ac dominos meos pre dampnis suis premuniendo et vicariam michi collatam g numquam permutare debeo nec volo nisi cum bona voluntate et consensu eorundemh collatorumh. Sic adiuveti me deusi et hec sancta dei ewangelia. a a) Nur Initiale E. b b) N. c-­c a) Auf Rasur von der Nachtragshand in 10 a). d a) Auf Rasur von der Nachtragshand in 10 a). e a) Über der Zeile eingefügt von der Nachtragshand in 10 a). f a) Seitenwechsel. g a) Folgend Lücke von knapp einer Zeile Länge. h-­h b) dominorum meorum [Seitenwechsel] decani et capituli ecclesie mee predicte. i-­i b) me deus adiuvet.

12. Eid des Dekans a) Fol. 111v (14. Jh.) b) Fol. 217v (frühes 15. Jh.): Iuramentum decani (am Rand). Ego N. decanus ab hac hora in antea ero fidelis reverendo patri et domino domino archiepiscopo Coloniensi et ecclesie mee sancti Georgii Coloniensis et bona res et iura decanatus ecclesie sancti Georgii predicte fideliter conservabo deperdita et alienata recuperabo pro posse et nosse secreta capituli mei non revelabo necnon statuta et consuetudines dicte mee ecclesie licitas et honestas fideliter observabo et officium meum in ecclesia tenebo. Et a specialiter statuta incorporacionem thesaurarie et luminaria ecclesie ac curiam decanatus concernentia inviolabiliter observabo. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei ewangelia. Itemb sciendum si decanus per mortem alterius decani venerit ad decanatum dabit capitulo tres amas vini, si vero via permutacionis venerit dabit duas amas vini capitulo.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 229

a b

Fehlt in a). In b) von anderer Hand nachgetragen. Fehlt in b). In a) von anderer Hand nachgetragen.

13. Eid des Thesaurars a) Fol. 111v (14. Jh.): Iuramentum thesaurarii ecclesie sancti Georgii. b) Fol. 218v (frühes 15. Jh.): Iuramentum thesaurarii. Darüber gestrichen: vacat. Ego N. thesaurarius ecclesie sancti Georgiia libros ornamenta clenodia res sanctuaria bona et iura ecclesie mee et ad meam custodiam pertinenciab et que michi assignata sunt et fuerint fideliter et diligenter custodiens conservabo et si aliqua deperdita existerint ecclesie mee recuperabo. Hostias pro missarum celebracionibus ac luminaria lampadarum et candelabrum in dicta ecclesia et c personis ac d officiatis eius debitis quantitate numero ac tempore secundum antiquas observancias et consuetudines ac funes campanarum necessarias ministrabo. Et omnia et singula que ad officium meum pertinent fidelitere gubernabo et faciam. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei ewangelia. Itemf sciendum si thesaurarius venerit ad thesaurariam per mortem alterius dabit capitulo tres amas vini, si vero via permutacionis venerit dabit duas amas vini capitulo. a b c d e f

a) Von anderer Hand über der Zeile eingefügt: ab hac hora in antea ero fidelis etc. ut supra. Vgl. Nr. 12. Fehlt in b). a) Über der Zeile nachgetragen. b) ac. b) et. b) Fehlt. a) und b) der Absatz Zusatz von anderer Hand. Darüber in b): vacat. Item fehlt in b).

14. Eid des Scholasters a) Fol. 112r (vor 1371) b) Fol. 218r (frühes 15. Jh.) Iuramentum scolastici Ego N. scolasticus ecclesie sancti Georgii Coloniensis promitto et iuro quod ab hora in antea ero et esse volo obediens et fidelis prelatis meis domino archiepiscopo Coloniensi decano et capitulo ecclesie sancti Georgii predicte prout scolasticus dicte ecclesie de iure et consuetudine ipsius ecclesie ad id tenetur. Item scolastrie mee inventa in suo statu conservabo et deperdita pro meo posse et nosse recuperabo necnon in eadem ecclesia prout onus dicte scolastrie tam de iure quam de consuetudine requirit exercebo et prout teneor residenciam faciam personalem secreta capituli mei non revelabo. Et secundum dicti domini mei domini etc. archiepiscopi addicionem factam etc. Require in iuramento communi canonicorum.a

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a

b) hat stattdessen: Quodque ego in nullam personam huius ecclesie cuiuscumque ordinis vel condicionis existat in ea beneficiatus aut intitulatus vel que alias de eius gremio fuerit eam capiendo occidendo vel aliis iniuriis enormibus letaliter afficiendo non seviam per me vel alium publice vel occulte animo suspecto diffinito consilio scienter nec eidem aut ecclesie mee predicte in bonis et rebus violenter inferam dampna incendiis vel rapinis. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei ewangelia.

15. Eid des Offermanns Fol. 171r (16. Jh.) Des offeramps eydt Ich N. zerzeyt offerman der kyrchen zo sent Joeris in Colne geloeven ind sweren lyfflichen zo den hilgen, also als mich die eirsamen geistliche myne lieve herena dechen ind gemeyne capittell der vurschr[even]b kyrchen zo yrme diener entfangen ind angenomen hant, dat ich den vurs. gemeynen heren van nu vortan as lange as ich dat ampt van yn haven sall und will syn gehoram ind getruwe ind sy vur yrme schaden warnen as eyn offerman und getruwe diener dat van reichte und gewonden der vurs. kyrchen schuldich is zo doin. Vort sall ich myr laissen genoegen myt alsulcher renten, as myr van mynen vurg[enanten] heren sal zogewyst werden ind myne vurvaderen besessen hant, ind ich sall die truwelichen bewaren na allen mynen vermoegen, up dat sy der kyrchen neit affhendich en werden. Ouch sall ich myn offerampt, dat myr myn here c gegeven hait, neit verkuden noch in gheyne ander hand brengen ydt en sy myt willen myns vurg. heren dechandtd ind myt wist des capittels. Aver ich sall dat selver bewaren nacht ind dach, up dat gheyn versumenysse en geschee, in dem choire an den boicheren noch in der gegherkameren an den kleynoede, dat myr upgerechent wert, noch vort an gheynen anderen enden der kyrchen. Ind ich sall ouch myne burgen setzen, de vur mych sprechen sullen as dat gewoenlich is oevermytz yre besegelde brieve. Ind off der burgen eynich affgynge, dat ich assdan zerstundt eynen anderen glychen gueden off besseren burgen in de stat setzen sall bynnen eynem maynde na gesynnen der vurg. mynre heren ass dicke des noit geburt. Also helffe myr got ind syne heilgen. a b c d

Folgt gestrichen proist. So sind auch die weiteren vurs.-Kürzungen im Text aufzulösen. Folgt gestrichen der proist van synen genaden. Über gestrichen des proisten.

16. Eid des Vikars des Katharinenaltars unter dem Turm Fol. 171v (17. Jh.) Ego N. vicarius et rector altaris dive Catharine sub turri in hac ecclesia sancti Georgii Coloniensis siti promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo obediens et fidelis prelatis meis superioribus et precipue reverendo in Christo patri et domino meo domino archiepiscopo Coloniensi decano et capitulo eiusdem ecclesie mee sancti Georgii prout vicarius et rector

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altaris predicti de iure et consuetudine ipsius ecclesie ad id tenetur et quod onera vicarie et rectorie mearum mihi quolibet incumbentia personaliter adimplebo et supportabo et quod a civitate Coloniensi personam meam non elongabo sive eandem non exibo, nisi licentia prius ad modum canonici residentis petita et obtenta, et tunc alium idoneum qui cure regimini et officio mihi ratione dicte vicarie incumbentibus solicite inserviat et invigilet decano meo vel in eius absentia duobus canonicis senioribus consentientibus ordinabo ac citra contradictionem singulis diebus dominicis ac quatuor festivitatibus principalibus in dicto altari meo officium misse complebo pari modo septimanam meam in summo altari ac alias etiam debitum meum in choro diligenter respiciam. Necnon et infra emunitatem ecclesie mee predicte a vel prope eandem domicilium ut presentia mea, dum opus fuerit, commode haberi possit et valeat fovere debeama et cum dimidia cereorum in exequiis familie vel etiam alterius persone non de gremio ecclesie infra tamen emunitatem ecclesie ac etiam in domo appellata Kolvenhuysb contigua turri eiusdem ecclesie defuncte stabo contentus. Et quod statuta licita et honesta ac bonas consuetudines prefate ecclesie observabo et quod pro iuribus et bonis vicariam meam concernentibus et ad eam spectantibus defendendis et conservandis omni posse meo laborabo alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo nec aliqua alienando et specialiter calices libros ornamentaque alia quecumque ad vicariam meam spectantia sub omni bona custodia fideliter reservando et utilitatem eiusdem bona fide procurando ipsamque ecclesiam et dominos meos pre dampnis suis premuniendo. Et vicariam meam numquam permutare debeo nec volo, nisi cum bona voluntate et consensus dominorum meorum decani et capituli ecclesie mee predicte. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei evangelia. a-­a Gestrichen. Stattdessen mit Einfügungszeichen am Fuß der Seite: domum dotis personaliter inhabitare (gestr. debeam) insuper etiam testamentariae disposition certi c reverendi domini Dassen 52 p[iae] m[emoriae] per dominum Eggeradt 53 scholasticum executorem eiusdem declaratae et mihi prelectae in omnibus et per omnia satisfacere velim et debeam. b Mit Einfügungszeichen am Fuß der Seite ergänzt: quae nunc domus dotis est. c Lesung unsicher. Ct-­Kürzung für cert(us) mit Endung -am, über der ein i steht?

17. Eid des Pfarrers von St. Maria Lyskirchen in Köln Fol. 216v (18. Jh.) Iuramentum domini pastoris B[eatae] M[ariae] V[irginis] in littore vulgo Lyskirchen Ego N. canonicus praebendatus collegiatae ecclesiae S[ancti] Georgii Coloniensis ac pro nunc pastor ecclesiae B[eatae] M[ariae] V[irginis] in littore vulgo Lyskirchen Coloniensis dioecesis praedictae collegiatae ecclesiae S[ancti] Georgii incorporatae per dominos meos 52 Antonius Dass(en) Kanoniker, Chorbischof, Scholaster, gestorben 1643. Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 16), S. 141, 193, 201, 210 (Testament vom 26. Oktober 1639), 216, 369. 53 Antonius Eggerath Scholaster, gestorben vor 1663. Vgl. von den Brincken 1966 (wie Anm. 16), S. 194, 210, 374.

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decanum et capitulum nominatus institutus ac investitus promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo obediens et fidelis praelatis et superioribus et praecipue reverendissimo patri et domino Coloniensi archiepiscopo decano et capitulo ecclesiae S[ancti] Georgii praedictae ecclesiae meae parochialis antedictae veris patronis et collatoribus damna seu pericula ipsis communiter seu divisim seu eorum ecclesiae incumbentia praemuniendo. Et dictam ecclesiam B[eatae] M[ariae] V[irginis] quam mihi domini mei decanus et capitulum contulerunt fideliter et rationabiliter regere ac solerti studio eidem praeesse et curam eius gerere debebo iura et bona eiusdem inventa conservabo et augmentabo ac deperdita pro posse recuperabo. Statuta licita et honesta ac bonas consuetudines praefatae ecclesiae meae collegiatae observabo. Ecclesiamque antedictam parochialem nullo modo nec volo nec debeo permutare seu aliquo reservato pensione aut onere praegravare sed si eandem resignare velim hoc mihi non licebit, nisi ad manus dominorum patronorum et collatorum meorum praedictorum. Sic me deus adiuvet et haec sancta dei evangelia. 18. Eid des Pförtners Fol. 219v (frühes 15. Jh.) Iuramentum portenarii Ego N. portenarius capituli ecclesie sancti Georgii Coloniensis promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo obediens et fidelis prelatis meis superioribus et precipue reverendissimo in Christo patri et domino meo domino Coloniensi archiepiscopo preposito decano meo et capitulo ecclesie mee sancti Georgii predicte prout portenarius pro tempore dicte ecclesie de iure et consuetudine ipsius ecclesie ad id tenetur et quod statuta licita et honesta ac bonas consuetudines praefate ecclesie observabo et quod pro iuribus et bonis officium meum portenariatus concernentibus et ad illud spectantibus defendendis et conservandis omni posse meo laborabo alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo nec aliqua alienando et utilitatem eiusdem bona fide procurando ipsamque ecclesiam et dominos meos pre dampnis suis premuniend. Et officium numquam permutare debeo nec volo, nisi cum voluntate et consensu domini mei prepositi. Sic me deus adiuvet et hec sancta evangelia. Am Fuß der Seite von späterer Hand: Onera portenario incumbentia require infra folio penultimo.54

54 Verweis auf Nr. 26.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 233

19. Eid des Vizethesaurars Fol. 220r (frühes 15. Jh.) Iuramentum vicethesaurarii Ego N. vicethesaurarius ecclesie sancti Georgii Coloniensis promitto et iuro quod libros ornamenta clenodia res sanctuaria bona et iura ecclesie predicte ad meam custodiam pertinencia et que mihi assignata sint et fuerint fideliter et diligenter custodiens conservabo et si temporibus meis aliqua deperdita extiterint, quod deus avertat, eidem ecclesie predicte integraliter recuperabo seu de novo fieri faciam iuxta consimilem quantitatem et valorem meis propriis sumptibus et expensis. Hostias proa missarum celebracionibus ac luminaria lampadarum et candelarum in dicta ecclesia ac personis et officiatis eius debitis quantitate numero ac tempore secundum antiquas observancias et consuetudines ac funes campanarum necessarias ministrabo.b Et omnia et singula que ad officium meum pertinent gubernabo et faciam quodque tociens quociens requisitus fuero nomine ac ex parte dominorum meorum decani et capituli reddere debeo racionem de singulis clenodiis supra designatis ac mihi ad custodiam assignatis et similiter de fructibus redditibus ac obvencionibus ad idem officium pertinentibus antedictis dominis meis computum faciam legalem ipso die sancti Sebastiani martiris 55 indilate. Et postquam dictum officium per annum integrum habuero lapso anno me de illo non intromittam amplius, nisi de bona voluntate et commissione speciali dominorum meorum decani et capituli predictorum. Et si post annum elapsum me in dicto officio perdurare contigerit extunc prefatum iuramentum innovabo et de novo prestabo. Sic me deus adiuvet et hec sancta eius ewangelia. a Fehlt in der Vorlage. b sam spectantes et pertinentes expensis eiusdem custodie fideliter emoneam.

20. Eid des Pfarrers von Roesberg Fol. 220v–221r (frühes 15. Jh.) Iuramentum pastoris in Roedesberg Ego N. pastor a parochialis ecclesie in Roedesbergh Coloniensis diocesis promitto et iuro quod ex nunc in antea ero fidelis et obediens prelatis et superioribus meis et precipue reve­ rendissimo patri et domino meo Coloniensi archiepiscopo decano et capitulo ecclesie sancti Georgii Coloniensis ecclesie mee predicte patronis dampna seu pericula ipsis communiter seu divisim incumbentia et ecclesie eorum premuniendo et ecclesiam in Roedesbergh quam michi domini mei decanus et capitulum contulerunt fideliter et rationabiliter regere ac sollerti studio eidem preesse curam eius gerendo curabo. Domum dotis in esse conservabo et eandem 55 20. Januar.

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in collapsis pro viribus reformabo. Et quod pro iuribus et bonis mobilibus et immobilibus ecclesiam meam predictam concernentibus et ad eam spectantibus defendendis et conservandis omni posse meo laborabo alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo nec aliqua alienando utilitatem ecclesie prefate bona fide procurando. Iura archiepiscopalia et archidyaconalia et alia onera subsidiorum caritativorum et decimarum archiepiscopalium papalium et eorum legatorum ipsi / ecclesie in Roedesbergh incumbentia sine omni contradictione solvam et supportabo. Eccle­siamque antedictam nolo nec debeo aliquo modo permutare seu resignare, nisi cum scitu et consensu dominorum meorum de capitulo predictorum et de fructibus usque nunc per predecessores meos receptis contentus ero. Ultra hec dominos meos et capitulum ecclesie sancti Georgii predicte numquam per me vel alium impetam in futurum. Hec omnia et singula promitto et iuro perpetuo me observaturum fideliter conservando sine omni dolo et fraude. Sic me deus adiuvet et hec sancta ewangelia a

Gestrichen. Darüber von späterer Hand vicecuratus.

21. Eid des Vizekuraten von Rosellen Fol. 221v (15. Jh.). Iuramentum vicecurati a in Roselden Ego N. perpetuus vicarius ecclesie parochialis in Roselden promitto et iuro quod ex nunc in antea ero fidelis superioribus meis videlicet dominis decano et capitulo ecclesie sancti Georgii Coloniensis dampna seu pericula ipsis communiter vel divisim incumbentia et ecclesie eorum premuniendo tamquam vicarius et prout membrum ecclesie antedicte et ecclesiam in Roselden fideliter et rationabiliter regere ac solerti studio eidem personaliter preesse et curam eius gerere debeam. Domum dotis in esse conservabo et eandem in collapsis pro viribus reformabo et presertim maiorem decimam et minutam ecclesie prefate in Roselden prefatis dominis meis in perpetuum appropriatam et incorporatam pro omni posse meo et nosse cum omnibus suis pertinenciis et iuribus et obventionibus quibuscumque vigilanti animo fidelitate totali in suo esse et permanencia custodiam et conservabo, ne in aliqua parte quacumque per me seu quamcumque aliam personam minuatur. Iura archiepiscopalia et archidiaconalia et alia onera subsidiorum caritativorum et decimarum archiepiscopalium papalium et eorum legatorum ipsi ecclesie in Roselden incumbentia sine omni contradictione solvam et supportabo.b Hec omnia et singula promitto et iuro me perpetuo observaturum fideliter conservando sine omni dolo et fraude et ultra quotam hactenus solitam dominos meos ecclesie sancti Georgii predictos numquam impetam in futurum. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei evangelia. a Über gestrichen pastoris. b Mit Einfügungszeichen am Fuß der Seite eingefügt: Ecclesiamque antedictam nolo nec debeo permutare aliquo modo vel resignare, nisi cum scitu et consensu ac bona voluntate dictorum decani et capituli. Anschließend durch Schrägstriche getilgt.

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 235

22. Eid des Offizianten des Agathenaltars Fol. 222r (16. Jh.) Ego N. officians ad altare sancte Agathe in ecclesia sancti Georgii Coloniensis promitto et iuro quod ex nunc in antea ero et esse volo obediens et fidelis prelatis meis superioribus et precipue reverendissimo patri et domino meo Coloniensi archiepiscopo decano meo et capitulo ecclesie sancti Georgii predicte prout officians altaris prescripti in dicta ecclesia de iure et consuetudine ipsius ecclesie ad id tenetur. Et quod statuta licita et honesta ac bonas consuetudines prefate ecclesie observabo et quod pro iuribus et bonis altare meum concernentibus et ad id spectantibus defendendis et conservandis omni posse meo laborabo alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo nec aliqua alienando. Et specialiter calices libros ornamenta et alia quecumque ad altare meum spectantia sub omni bona custodia fideliter reservando et utilitatem eiusdem bona fide procurando ipsamque ecclesiam et dominos meos pre damnis suis premuniendo. Et altare meum predictum nullo modo quacumque etiam auctoritate interveniente citra tamen consensum dominorum patronorum meorum dimittam eo quod casu negligentie debiti altaris eiusdem iuxta tenorem fundationis sum amovibilis. Sic me deus adiuvet et hec sancta dei evangelia. 23. Eid des Pfarrers von Holzheim Fol. 222r–222v (16. Jh.) Iuramentum pastoris in Holtzem Ego N. pastor parochialis ecclesie in Holtzem Coloniensis diocesis promitto et iuro quod ex nunc in antea ero fidelis et obediens prelatis superioribus meis et precipue reverendissimo patri et domino domino meo Coloniensi archiepiscopo decano et capitulo ecclesie sancti Georgii Coloniensis patronis damna et pericula ipsis communiter seu divisim incumbentia et ecclesie eorum premuniendo et dictam ecclesiam in Holtzem fideliter et rationabiliter [regere] a ac sollerti studio eidem personaliter preesse curam eius gerendo curabo. Domum dotis in esse conservabo et eandem in collapsis pro viribus reformabo. Et quod pro iuribus et bonis mobilibus et immobilibus ecclesiam meam predictam concernentibus et ad eam spectantibus defendendis et conservandis omni posse meo laborabo alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo nec aliqua alienando utilitatem ecclesie prefate bona fide procurando. Consimili modo pro iuribus bonis pariter et dominio seu dominiis omnibus etiam et singulis mihi licitis infra limites parochie de Holtzem constitutis sitis et / b existentibus predictam ecclesiam sancti Georgii Coloniensis concernentibus ac in et ad eam quomodolibet spectantibus et pertinentibus defendendis et conservandis omni posse posse meo laborabo alienata recuperando inventa fideliter augmentando et nullatenus minuendo. Iura archiepiscopalia et archidiaconalia et alia onera subsidiorum caritativorum sine omni contradictione solvam et supportabo. Ipsamque etiam ecclesiam de Holtzem nolo nec debeo

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aliquo modo permutare seu resignare, nisi cum scitu et consensu dominorum meorum ecclesie predicte et fructibus usque nunc per predecessores meos receptis contentus stabo. Ultra hec dominos meos et capitulo ecclesie sancti Georgii predicte numquam per me vel alium impetam in futurum. Hec omnia et singula promitto et iuro perpetuo me observaturum fideliter conservando sine omni dolo et fraude. Sic me deus adiuvet et hec sancta evangelia. a Fehlt in der Vorlage, ergänzt nach Nr. 6, 17 und 21.

24. Eid des Schultheißen von Holzheim Fol. 222v (16. Jh.) Iuramentum schulteti in Holtzem Ich N. verordenter und gesatzter scholtis zo Holtzem geloven mynen wyrdigen heren dechen und capittell zo sent Joeris bynnen Collen erffgruntheren daeselffs uff huyde disen dach und vortan truwe und holt zu syn, yre beste zu doin und vurzuwenden und umb yre argst zo warnen und affzowenden und die hoicheit und gerechticheit zo Holtzem so bynnen und uysserthalven gerichtz. Vort die verloren hoicheit und gerechticheit, wie man dieselven zo samen ader besonder nennen mach, understain nae allen mynen flyss, macht, vermoegen und verstande uffzorusten und sunst in vorigen standt zu stellen und ytzt noch synt zo hanthaven behalden und verwaren. Vorder sall ich alles und yecklichs iares uff zyt der leverongen myns schuldigen und erschenen iaarlichen pachtz bemelten mynen heren schrifftlich verhantreichen alle verfallen curmeden verdadynght sampt allem ingelden der akhern speltzen, soa ich untfangen hette, ader noch unverdadynght ader unbetzalt usstendich verbleven weren myt namen der luyde und guyderen ahngebenb. Vurbass sall ich dat scholtisampt uff gedachter myner heren dechandts und capittels selffs in eygener personen verwaren, verghain und verstain. cAuch deroselben froenhaus personlich bewhonnen und in noeubaw erhalltennc. So myr got helff und syne lieve hielgen. a-­a Von Hand des 18. Jahrhunderts ergänzt. b Von Hand des 18. Jahrhunderts ergänzt. c-­c Von Hand des 18. Jahrhunderts nachgetragen.

25. Eid des Schultheißen von Lengsdorf Fol. 223r (16. Jh.) Iuramentum schulteti in Lenxdorff  a Ich N. geloeven yn goeder truewe und by mynen eyde, nache dem myne woerdigen heren dechen und capittell zo sent Georgen in Coelne mych zo yrenn scholtys yrs hoiffs und herlicheit zo Lenxdorff by Bonn gelegen erwelt und angesatz haven, so sichern und geloeven ich yn guden truwen van desem daghe an und hynfort den gedachten mynen werdigen und

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 237

ersamen herrenb dechen und capittell der selver kirchen luyde des verdraigs tzwysschen ytz gedachten mynen herren dechen und capittell eyns und mych anderdeils uffgericht truwe und holt zo syn, sy vur yrem schaden zo warnen und yre beste vurzokeren, dach und nacht und zo allen zyden yren hoiff und des hoiffs gerechticheit und dat scholtysampt also zo verwairen, vergaen, verstaen und verantworden und yn altem gebruych und herkomen und vurwarden haltenn und bewarten sall, wie die brieve und segell daer oever upgericht wyder vermelten, die ich mynen heren dechen und capittell oevergelevert und willich versegelt hayn overmytz myn ingesegell vast. stede und unbruychlich zo halten. Vorter geloven in goeden truwen und by mynen eyde, dat watzyt und wanne gedachter myn here probst c die probstye d verliesse ader sunst afflyvych worde, als dan die gedachte geloifft und eyde synen nachvolger zo doin und myne belenunge uff dat nuwe zo entfangen und dairumb die alte gerechticheit dem selven dar vur zo doin sunder alle argelist. So myr got helff und syne hilgen. a b c d

Von anderer Hand. Folgt getilgt probst. Gestrichen, am Rand stattdessen von späterer Hand dechenn. Gestrichen, am Rand stattdessen von späterer Hand dechaney.

26. Pflichten des Pförtners Fol. 224r (16./17. Jh.) Sequuntur onera portenario incumbentia Primum. Capitulum ad requisitionem decani aut senioris canonici indicat et non alias in absentia decani. Secundum. Capitulo indicto ante ostium capitularis domus stabit vocando et faciendo quicquid capitulum iusserit. Tertium. In summis festivitatibus sacerdote descendente ad thurificandum eundem cum virga sua praecedet in primis et secundis vesperis. Quartum. Praecedet in summis festivitatibus in choro et in foro duplicibus incensum sive iuvenes cereos ardentes deferentes ad locum sive toxale in quo evangelium canitur sive legitur et enunciatur. Quintum. Ambitum et domum capitularem mundabit et scopis mundari faciet. Sextum. In qualibet statione et processione virga ante crucem praecedet. Septimum. Gramina ex pasculo expensis suis ad locum secretum disponet. Octavum. In summis festivitatibus et tempore tonitruorum intersit compulsationibus. Nonum. Quod fructus secundum ecclesiae consuetudinem sublevabit. Et si dictus N. per substitutum praefatum officium exercere a voluerit hoc de consensu decani et capituli faciet. a Über der Zeile nachgetragen.

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27. Pflichten des Dekans Fol. 224v (15. Jh.) Nota. In statuto habetur quod decanus ante possessionem et admissionem pro domo decanali scilicet Hardevuyst solvet canonicis capitularibus curias claustrales habentibus quadraginta florenos superiores. Idem decanus ultra iuramentum per decanos pro tempore prestari solitum iurare tenebitur atque iurabit quod infra VIII mensuum spatium a die huiusmodi prestiti iuramenti impedimento legitimo cessante intrabit et inhabitabit ac in structura debita conservabit atque pensionem octo maldrorum tritici annuatim in terminis ut in libro memoriarum habetur solvet realiter et cum effectu. Idem decanus conreida 56 faciet ut moris est.

56 Bewirtung (mittelhochdeutsch konreit, kunreiz).

Die Nachträge im Lyskirchen-­Evangeliar aus St. Georg | 239

Anna Pawlik

Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg oder: Die Bestandsaufnahme einer hochmittelalterlichen Sakristei

Seit einigen Jahren widmen sich vor allem Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker den in mancher Hinsicht besonderen mittelalterlichen Sammlungen, den Kirchenschätzen. Die Rekonstruktion verlorener Ensembles, die Provenienz einzelner Objekte oder der Blick auf Stiftungen und deren Initiatoren haben – neben der systematischen Behandlung vorhandener Schätze – auch die Quellen in den Fokus der wissenschaftlichen Arbeit gerückt, nicht selten mit dem Wunsch, eine empirischen Auswertung liefern zu können. Insbesondere die Quellengattung der mittel­alterlichen Schatzverzeichnisse entzieht sich jedoch ­diesem Wunsch nach Empirie – zu sehr bilden sie nur einen ‚Blick durch das Schlüsselloch‘, spiegeln sie einen Ausschnitt eines ehemals vorhandenen Bestands, dessen Fülle, zu schweigen von der Gänze, wohl niemals in den Blick genommen werden kann.1 Die in der Forschung als ‚Schatzverzeichnis‘ bezeichnete Liste im Jüngeren Evangeliar aus St. Georg bietet eine dieser zahlreichen Möglichkeiten, durch das sprichwört­liche Schlüssel­loch zu schauen – in den liturgischen Raum eines im frühen 11. Jahrhundert durch den Kölner Erzbischof Anno II. gegründeten und dem heiligen Georg geweihten Kanonikerstiftes am Kölner Waidmarkt. Das bereits mehrfach in der Forschung behandelte Verzeichnis steht hier im Kontext der weiteren Überlieferung des ehemaligen Georgsstiftes.

1

Vgl. Klaus Gereon Beuckers: Das älteste Gandersheimer Schatzverzeichnis und der Gandersheimer Kirchenschatz des 10./11. Jahrhunderts, in: Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften, hg. v. Martin Hoernes und Hedwig Röckelein (Essener Forschungen zum Frauen­stift, Bd. 4), Essen 2006, S. 97 – 129. – Joseph Salvatore Ackley: Re-­approaching the Western medieval church treasury inventory, c. 800 – 1250, in: Journal of Art Historiography 11 (2014). – Melanie Prange: Thesaurus Ecclesiae Constantiensis. Der mittelalterliche Domschatz von Konstanz. Rekonstruk­tion eines verlorenen Schatzensembles, Aachen 2012. – Philippe Cordez: Schatz, Gedächtnis, Wunder. Die Objekte der ­Kirchen im Mittelalter (Quellen und Studien zur Geschichte und Kunst im Bistum Hildes­heim, Bd. 10), Regensburg 2015. – Editionen mittelalterlicher Schatzverzeichnisse liegen vor: F ­ ernand de Mély / Edmund Bishop (Ed.): Bibliographie générale des inventaires imprimés, Bd. 1: France et Angleterre; Bd. 2: Autres pays européens; Bd. 3: Tables, Paris 1892/95. – Otto Lehmann-­Brockhaus: Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. und 12. Jahrhunderts für Deutschland, Lothringen und Italien, 2 Bde., Berlin 1938. – Bernhard Bischoff (Hg.): Mittelalterliche Schatzverzeichnisse. Von der Zeit Karls des Großen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, Bd. 4,1), München 1967.

Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg | 241

Inventar – Verzeichnis Ein ‚Inventar‘ (lat. „inventarium“: Gesamtheit des Gefundenen) meint eine vollumfängliche Aufnahme aller vorhandener Gegenstände innerhalb eines zuvor definierten Raumes, eines Gebäudes, unabhängig von einer finanziellen, künstlerischen oder anderen Bewertung. In einer möglichst objektivierten textlichen Darstellung umfasst es alle materiell gegenwärtigen Objekte.2 In ­diesem Sinne weist die einleitende Beischrift eines meist als Schatzverzeichnis bezeichneten Liste des Frauenstiftes Gandersheim seinen Charakter als Inventar bereits selbst aus: „Hoc breuiario totu(m) ecclesie thesauraru(m) i(n)uenie(s) titularu(m)“.3 Ein ‚Verzeichnis‘ trifft dagegen eine im Titel oder einer beigegebenen Erläuterung definierte Auswahl, meint demnach immer den Teil eines Ganzen. So können Verzeichnisse beispielsweise eine Schenkung oder Stiftung,4 eine testamentarische Verfügung 5 wie auch vorhandene Gegenstände einer bestimmten Gattung (Reliquien-, Paramenten- oder Bibliotheksverzeichnisse)6 oder in einem bestimmten Raum (wie Sakristei, ­Kirche, Turm) umfassen. Verzeichnisse bilden Ausschnitte, deren Auswahl anlässlich bestimmter Ereignisse oder 2 3 4

5

6

Vgl. beispielsweise Francesco Freddolini / Anne Helmreich: Inventories, catalogues and art historiography: exploring list against the grain, in: Journal of Art Historiography 11 (2014), hier S. 6 f. Gandersheimer Evangeliar, Veste Coburg, Ms. 1, fol. 167v. Transkription bei Wilhelm Wattenbach: Der Gandersheimer Kirchenschatz, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, N. F. 20 (1873), S. 346 – 347. – Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 35 f., Nr. 26. – Beuckers 2006 (wie Anm. 1), S. 129. Beispiele für Verzeichnisse bedeutender Stiftungen sind beispielsweise das Verzeichnis der Schenkungen der Äbtisstin Hitda von Meschede (amt. 948 – 1042). Vgl. Klemens Honselmann: Eine Schenkung der Äbtissin Hitda von Meschede, in: Westfälische Zeitschrift. Zeitschrift für Vaterländische Geschichte und Altertumskunde 112 (1962), S. 305 – 307. – Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 62, Nr. 54. – Vgl. auch ein mögliches Verzeichnis von Schenkungen Bischof Imads an Paderborn (amt. 1051 – 1076) in Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 482, fol. 43 – 66, hier 66v, l. Drittel 11. Jh. Vgl. Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 69, Nr. 61. – Manfred Balzer: Schriftzeugnisse über die Ausstattung von ­Kirchen des Bistums Paderborn im 11. und frühen 12. Jahrhundert, in: Schatzkunst am Anfang der Romanik. Der Paderborner Dom-­Tragaltar und sein Umkreis, hg. v. Christoph Stiegemann u. Hiltrud Westermann-­Angerhausen, München 2006, S. 41 – 64, hier S. 48 f. – 1077 Canossa. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, hg. v. Christoph Stiegemann u. ­Matthias Wemhoff, Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz u. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn, 2 Bde., München 2006, Bd. 2, S. 319, Kat. Nr. 427 (Hartmut Hoffmann). Ein Beispiel ist das Testament von Erzbischof Brun von Köln (amt. 953 – 965), überliefert in der Vita Brunonis archiepiscopi Coloniensis von Ruotger, cap. 43. Vgl. dazu Heinrich Schrörs: Das Testament des Erzbischofs Bruno von Köln, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 91 (1911), S. 109 – 128. Ein Paramentenverzeichnis des 16. Jahrhunderts aus Alt St. Alban in Köln bei Gudrun Stracke-­Sporbeck: herlig gewirckt mit wapenstickers wreck. die Paramente der Kölner Stadtpfarrkirche St. Alban in den Inventaren des Kirchenschatzes von 1576 und 1598, in: Das Münster 64 (2011), S. 194 – 202. – Zur Gattung der Textilien in Verzeichnissen vgl. zuletzt Thomas Ertl / Barbara Karl (Hg.): Inventories in Textiles – Textiles in Inventories. Studies in Late Medieval and Early Modern Material Culture, Göttingen

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Kriterien (Ort, Material, Qualität etc.) getroffen wurde.7 Die im Folgenden im engeren Sinne behandelten Verzeichnisse listen die zum thesaurus, zum Schatz einer Pfarr-, Klosteroder Stiftskirche gehörenden mobilen Stücke der Kirchenausstattung auf. Im Unterschied zu ortsfesten Objekten – Altäre, Skulpturen, Leuchter, Kanzeln, Pulte etc. – waren die dem Schatz zugehörenden Objekte zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten im Raum einsetzbar sowie aufgrund ihrer Mobilität räumlich und schriftlich vor Verlust zu sichern. Die Auswahl setzte bei der Anlage des Verzeichnisses eine Identifizierung und Bewertung der aufgelisteten Objekte voraus, die ihre Aufnahme rechtfertigte. Die entsprechenden Texte sind demnach in hohem Maße kontextabhängig. Sie dokumentieren ein zu einem bestimmten Zeitpunkt existentes Eigentum, ein Vermögen, welches mittels seiner schriftlichen Fixierung verbindlich wurde. Hieraus ergeben sich zwei Merkmale mittelalterlicher Schatzverzeichnisse: Zum einen sind diese autorisierte, rechtsgültige Dokumente im Sinne der Vermögensverwaltung zur Erhaltung des Kirchenvermögens.8 Ebensolche Quellen wurden beispielsweise bei der Übernahme eines Küster- (custos) oder Schatzmeisteramtes (thesaurar) erstellt. Zu ­diesem Zweck listete man am Ende des 11. Jahrhunderts die Schatzobjekte auf, die Mathilde bei der Übernahme ihres Abbatiats im Benediktinerinnenkloster Altmünster in Mainz sah: „Hic est ecclesiasticus thesaurus sancte Marie ad Altum Monasterium, cui domina Mahthildis venerabilis abbatissa preesse videbatur“.9 Auch im negativen Fall des Verlustes hatte ein Verzeichnis rechtliche Relevanz: „De thesauro sancte Babinbergensis ecclesie hec desunt“.10 Zum anderen ist die Gültigkeit der Verzeichnisse temporär eng begrenzt auf den Zeitpunkt der Erfassung – kurze Zeit später konnte durch innere und/oder äußere Einflüsse das gesamte oder ein Teil des Vermögens untergegangen, zerstreut, vernichtet, verkauft oder durch Schenkungen, Stiftungen, Tausch gemehrt worden sein. Die narrative Qualität der Texte ist daher ebenso eingeschränkt wie von anderen Quellen abhängig. So kann es erst durch die Überlieferung mehrerer Verzeichnisse oder Inventare, die über verschiedene Epochen innerhalb derselben Institution entstanden sind, möglich werden, diese vergleichend zu betrachten, können Schatzgeschichten deutlich werden. Dann erst ergeben 2017. – Mittelalterliche Bibliothekskataloge und -verzeichnisse sind teilweise ediert bei Christine Elisabeth Ineichen-­Eder: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, 4 Bde., 1918/32. 7 Vgl. dazu unter anderem Ackley 2014 (wie Anm. 1), S. 7. 8 Vgl. Anna Pawlik: Das Bildwerk als Reliquiar? Zur liturgischen Funktion früher Großplastik im 9. bis 11. Jahrhundert (Studien zur internationalen Kunst- und Architekturgeschichte, Bd. 98), Petersberg 2013, S. 98 – 100. – Freddolini/Helmreich 2014 (wie Anm. 2), S. 11. – Ackley 2014 (wie Anm. 1), S. 19. – Klaus Militzer/Wolfgang Schmid: Das Inventar der Kölner Ratskapelle von 1519. Edition und Kommentar, in: Wallraf-­Richartz-­Jahrbuch. Jahrbuch für Kunstgeschichte 58 (1997), S. 229 – 237, hier S. 231. 9 Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 55 f., Nr. 46. 10 Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 19 f., Nr. 7.

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sich Hinweise auf Gewinne und Verluste, abhängig von den gewählten terminologischen Benennungen und deren Vergleichbarkeit. In vergleichenden Betrachtungen mit anderen Quellen(-gattungen) sind Schatzverzeichnisse und Inventare demnach in hohem Maße dynamische Quellen.11 Zudem ist in der Forschung bereits mehrfach auf den Zusammenhang dieser Verzeichnisse mit liturgischen Büchern aufmerksam gemacht worden: Früh- und hochmittelalterliche Schatzverzeichnisse sind überwiegend in Evangeliaren, Evangelistaren, Psalterien und Lektionaren überliefert, so auch im Fall der Handschrift aus St. Georg.12 Die Einfügung der Listen in die liturgischen Bände führte zugleich zu einem exklusiven Zugang zu den Verzeichnissen – als Bestandteil der kostbaren Bücher waren diese selbst Teil des Kirchenschatzes und nur bestimmten, dazu bevollmächtigten Personen zu bestimmten Anlässen zugänglich. Somit waren diese sowohl eine Quelle des Kirchenschatzes als auch zugleich Teil des Ganzen. In ihrer äußeren Form sind die Verzeichnisse häufig nicht bemerkenswert: Illustrationen sind in nur wenigen überlieferten Fällen überliefert.13 Darüber hinaus sind die Verzeichnisse nie mit zeichnerischen Darstellungen der Objekte oder bestimmter Details versehen.14 Die Darstellung der Objekte wird auf einen ­kurzen textlichen Eintrag reduziert, der nicht deskriptiv ist, im Vergleich sogar beinahe standardisiert wirkt: Anzahl, Gattung und gegebenenfalls Material und Oberflächenbeschaffenheit. Zur Unterscheidung werden die Angaben auf die wesentlichen Kriterien beschränkt: Unterschieden wird z­ wischen hölzernen (lignea), seltener aus Elfenbein (eburneus; de ossibus elephantus) oder oft aus den edlen Metallen Gold (aureus) und Silber (argenteus) gefertigten Objekten. Weitere Kriterien zur Unterscheidung sind Oberflächenbehandlungen wie vergoldet (deauratus) oder versilbert (deargenteus) bzw. besondere Ziertechniken (cum lapidisbus, cum cristallo, gemmis). Wie bereits Joseph Ackley zeigen konnte, werden weitere, unedle Metalle meist nicht benannt (Kupfer, Messing, etc.), mit Ausnahme von 11 Inwiefern diese temporäre Gültigkeit der Verzeichnisse mit ihrem häufig nachweisbaren Überlieferungsort, den liturgischen Büchern, und der hiermit in besonderem Maße verbundenen Gedächtnisfunktion dieser Einträge in Einklang zu bringen ist oder ­diesem bemerkenswerterweise widerspricht, muss an anderer Stelle nachgegangen werden. 12 Vgl. Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 9 f. – Anton von Euw: Früh- und hochmittelalterliche Evangelienbücher im Gebrauch, in: Der Codex im Gebrauch, hg. von Christel Meier, Dagmar Hüpper und Hagen Keller (Münstersche Mittelalter-­Schriften, Bd. 70), München 1996, S. 21 – 30. – Beuckers 2006 (wie Anm. 1), S. 117 – 122. – Ackley 2014 (wie Anm. 1), S. 17 – 24. – Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Kölner Evangeliar von St. Georg als liturgische Prachthandschrift, Gründungsurkunde und zeitgeschichtliches Dokument, in: Colonia Romanica 32 (2017), S. 41 – 56, hier S. 43 – 45. 13 Ein Beispiel für ein aufwändig illustriertes Schatzverzeichnis ist das für das Kloster Prüfening (Regensburg) von 1165 im Glossarium Salomonis, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 13002, fol. 5v. – Vgl. weiterführende Literatur bei Ackley 2014 (wie Anm. 1), S. 22 f., Anm. 57. 14 Vgl. Freddolini/Helmreich 2014 (wie Anm. 2), S. 8.

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Erz oder Bronze (aeneus, aere). Die Nennung entsprechender Techniken (fusus) ist nur in Einzelfällen nachweisbar.15 Bei Textilien wird häufig ­zwischen einer Fertigung aus Leinen (lineus) und Seide (sericus, de serico) unterschieden, seltener nach liturgischen Farben (coccineus, rubeus, de purpura, nigro). Größen- und Gewichtsangaben finden sich in früh- und hochmittelalterlichen Verzeichnissen kaum.16 Größenangaben dienen höchstens der Unterscheidung von materiell und funktional gleichen Objekten (octo cruces maiores et minores 17). Auf eine Gliederung – beispielsweise durch Untertitel – wird oft verzichtet; die Objekte sind meist listenartig, nicht selten den Satzspiegel füllend hintereinander aufgeführt. Sofern eine innere Gliederung vorgenommen wurde, ergibt sich diese aus den Gattungen der aufgelisteten Objekte, wie es etwa beim Gandersheimer Schatzverzeichnis aus dem frühen 12. Jahrhundert zu erkennen ist: In einer stringent aufgebauten Liste erscheinen hintereinander Kreuze, Reliquiare, Schalen und Ähnliches, Leuchter, Paramente, Kelche und Patenen, liturgische Handschriften, weitere Textilien zum Schmuck des Kirchenraumes, Varia.18

Das Verzeichnis von St. Georg Das Verzeichnis des Georgsstiftes ist im Evangeliar auf fol. 215v unter der Überschrift „Ornamenta ecclesiae sancti Georgi“ eingetragen. Die Liste umfasst insgesamt 40 lateinische Einträge in 17 Zeilen (zzgl. eine Zeile Überschrift), mit Worttrennern im Blocksatz ohne Gliederung. Der Schreiber führte eine sorgfältige Hand und nahm lediglich drei Ergänzungen in den Zeilenzwischenräumen vor. Der Aachener Geistliche und Kunsthistoriker Franz Bock (1823 – 1899) edierte das Inventar erstmals in seiner Schrift über ‚Das heilige Köln‘ im Jahr 1859, einhergehend mit einer detaillierten Erläuterung der genannten Objekte in den Anmerkungen.19 Für ihn 15 Vgl. Ackley 2014 (wie Anm. 1), S. 25 – 29, hier auch zu den Nennungen von geographisch eingeordneten technischen Stilen wie Graeco opera oder operis lemovicense, S. 25 – 26, Anm. 63 mit weiterführender Literatur. 16 Gewichtsangaben finden sich vermehrt erst in Schatzverzeichnissen ab dem 13./14. Jahrhundert. Vgl. Lorenz Seelig: Historische Inventare – Geschichte, Formen, Funktionen, in: Sammlungsdokumen­ tation: Geschichte, Wege, Beispiele, hg. von Walter Fuger und Kilian Kreilinger, Berlin 2001, S. 20 – 35, hier S. 27 f. – Allison Stielau: The Weight of Plate in early modern Inventories and secularization Lists, in: Journal of Art Historiography 11 (2014). 17 Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 35 f., Nr. 26. 18 Vgl. Beuckers 2006 (wie Anm. 1), S. 101 – 104 u. 129. – Prange 2015 (wie Anm. 1), S. 24 – 32. 19 Franz Bock: Das heilige Köln. Beschreibung der mittelalterlichen Kunstschätze in seinen ­Kirchen und Sakristeien, aus dem Bereiche des Goldschmiedehandwerkes und der Paramentik, Leipzig 1858, S. 7 – 15 (St. Jacob). Hier auch die Edition der Eidesformel für den Thesaurar, S. 10 f. – Franz Bock: Rheinlands

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bot das Inventar eine Ergänzung und einen terminologischen Beleg seiner umfangreichen Behandlung des mittelalterlichen Kunsthandwerks und der Paramentik. Mit Blick auf die Anfänge des Seidengewerbes in Köln edierte Hans Koch die Quelle erneut zur Darstellung der umfangreichen Bestände seidener Gewänder im Köln des ausgehenden 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts.20 Eine erste wissenschaftliche Edition erfolgte 1967 durch Bernhard Bischoff 1967 im Rahmen seiner Sammlung mittelalterlicher Schatzverzeichnisse. Bischoff datierte die Schreiberhand erstmals in das frühe 12. Jahrhundert. Manfred Groten folgte ihm darin 1985.21 Eine Edition des Verzeichnisses soll die Grundlage für die weitere Behandlung bieten:22 „Hec sunt ornamenta ecclesiae sancti Georgii Undecim cappe; tria dorsalia; IIII dalmatice; V suptilia cum IIII fanonibus; XII pallia; IIII vexilla; X casule; III   23 calices cum totidem patenis, ex quibus unus est aureus  24, alter deauratus, et II fistule   argentee; urna argentea et II eree; candelabrum argenteum et fistula alterius candelabri; II thuribula argentea; XX  25 albe cum totidem amictis et unam absque amicto; XII stole cum totidem fanonibus et una absque fanone; III manutergia; una mappula; II precingula; II tunicae sericae  26; duo ordines; III missales; V missales libri; III gradualia; IIII 27 vela; IIII tapetia et IIII scamnalia; tria vascula argentea; unum plenarium auro contextum et I argento contextum 28 et tertium absque auro et argento et II cussini; unum lectionarium et pars alterius Baudenkmale des Mittelalters. Ein Führer zu den merkwürdigen mittelalterlichen Bauwerken am Rheine und seinen Nebenflüssen, Köln o. J. [ND Düsseldorf 1979], Bd. 3, St. Jacob. 20 Hans Koch: Geschichte des Seidengewerbes in Köln vom 13. bis zum 18. Jahrhundert (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, Bd. 128), Leipzig 1907, bes. S. 5 – 8. 21 Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, 2. Band, 1. Abteilung: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln St. Gereon […], Die Marienkirchen, Groß St. Martin (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 7,I), bearb. v. Hugo Rahtgens, Düsseldorf 1911, S. 313 f., Tafel 23. – Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 44 f., Nr. 36. – Manfred Groten: Schatzverzeichnisse des Mittelalters, in: Ornamenta Ecclessiae. Kunst und Künstler der Romanik, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, S. 149 – 154, hier S. 150. – Vgl. auch Kat. Köln 1985 (wie oben), Bd. 1, S. 171, D 7, Abb. S. 167 u. Bd. 2, S. 286, E 71 (Barbara Klössel-­Luckhardt), Abb. S. 155. – Sabine Czymmek: Die Kölner Romanischen ­Kirchen. Schatzkunst, Bd. 1, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische K ­ irchen Köln 22 (2007), S. 130 – 160, hier S. 130 – 133. – Wolter-­von dem Knesebeck 2017 (wie Anm. 12), S. 43 – 45. 22 Vgl. die bisherigen Editionen bei Koch 1907 (wie Anm. 20), S. 5 f. u. Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 44 f., Nr. 36. – Joachim Oepen (Köln) sei für die Durchsicht und Arbeit an den Editionen der hier aufgeführten Verzeichnisse herzlich gedankt. 23 3 auf Rasur. 24 unus est aureus Lesart unsicher, da verderbt. 25 X auf Rasur. 26 II über der Zeile ergänzt, tunica serica zu tunicae sericae ergänzt. 27 IIII teilweise auf Rasur. 28 et I argento contextum über der Zeile nachgetragen.

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lectionarii; VII corporalia; IIII cruces, due auree et due eree; duo cingula, I de pallio et aliud de serico; una acerra deaurata cum cocleari argenteo; unum baccinum cum columba deargentata 29; linteamen unum super feretrum.” „Elf Chormäntel, drei Teppiche für das Chorgestühl, 4 Dalmatiken, 5 Gewänder [für Subdiakone?] mit 4 Manipeln, 12 Pallien, 4 Fahnen, 10 Kaseln, 3 Kelche mit vielen Patenen, einer davon ist golden, ein anderer vergoldet, und 2 silberne Saugröhrchen [zur Kommunion des Weines] 30, silberne und 2 gegossene Kannen, silberner Leuchter und das Röhrchen eines anderen [Fragment?], 2 silberne Weihrauchfässer, 20 Alben, viele mit Schultertüchern [Amikt] und eine ohne Schultertuch, 12 Stolen, viele mit Fransen und eine ohne Fransen, 3 Tücher [zum Trocknen der Hände oder des Kelches], ein Schultervelum 31 [für Subdiakone oder Akolythen], 2 Gürtel, 2 seidene Tuniken, zwei Ordines, 3 Messbücher, 5 Messbücher [wohl Plenarien], 3 Graduale, 4 Vorhänge 32, 4 Teppiche 33 und 4 Behänge 34, drei silberne Gefäße [für geweihte Öle], ein mit Gold eingebundenes Evangeliar, ein mit Silber eingebundenes und ein drittes ohne Gold und Silber und 2 Kissen [für die hl. Bücher]35, ein Lektionar und ein Teil eines anderen Lektionars, 7 Corporale, 4 Kreuze, zwei goldene und 2 gegossene, zwei Gürtel, 1 aus Leinen und 1 anderer aus Seide, ein vergoldetes Weihrauchschiffchen mit silbernem Löffelchen,36 ein Becken [für die Handwaschung]37 mit 1 versilberten [eucharistischen] Taube, Bahrtuch aus Leinen.“ Das Verzeichnis listet mobile, meist kleinformatige Gegenstände auf. Sie alle dienen im weitesten Sinne zur Feier der Liturgie oder zum Schmuck der K ­ irche, werden jedoch nicht dauerhaft im Kirchenraum benötigt. Dabei folgt das Verzeichnis keiner inneren Ordnung, fasst lediglich Gattungen mehr oder weniger konsequent zusammen. Es beginnt mit liturgischen Gewändern, die man im weitesten Sinne als ‚erster Ordnung‘ bezeichnen könnte; 29 cum columba deargentata von zweiter Hand über der Zeile eingefügt, vgl. Bischoff 1967 (wie Anm. 1), S. 45. 30 Vgl. Joseph Braun: Das christliche Altargerät in seinem Sein und seiner geschichtlichen Entwicklung, München 1932, S. 250 f. 31 Vgl. Joseph Braun: Handbuch der Paramentik, Freiburg im Breisgau 1912, S. 263 f., Abb. 142. – Zu den priesterlichen Gewändern vgl. Joseph Braun: Die liturgische Gewandung im Occident und Orient nach Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik, Freiburg im Breisgau 1907 [ND Darmstadt 1964]. 32 Vgl. Braun 1912 (wie Anm. 31), S. 256. 33 Vgl. Braun 1912 (wie Anm. 31), S. 256. 34 Vgl. Braun 1932 (wie Anm. 25), S. 420 f. 35 Vgl. Braun 1912 (wie Anm. 31), S. 253 f. Die Kissen dienten zur Unterstützung des Bucheinbandes und konnten in den liturgischen Farben gestaltet sein. 36 Vgl. Joseph Braun: Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung, 2. Bde., München 1924, Bd. 2, S. 599 – 605. – Braun 1932 (wie Anm. 30), S. 444 – 446. 37 Vgl. Braun 1932 (wie Anm. 30), S. 542. Vgl. den Beitrag von Susanne Wittekind in ­diesem Band.

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hierauf folgen Vasa Sacra, liturgische Gerätschaften für die eucharistische Feier (Kelche, Patenen, Weihrauchfässer etc.), bevor erneut liturgische Gewänder – diesmal untergeordneter Bedeutung – verzeichnet sind. Nach den Messbüchern sind Textilien zum Kirchenschmuck (Vorhänge, Teppiche, Behänge) aufgelistet, dann wiederum liturgische Bücher, teils mit Zubehör (cussini). Am Ende der Liste stehen einzelne Objekte, darunter Gürtel, Inzens-­Geräte, ein Becken mit einer eucharistische Taube (Peristerium) und ein Bahrtuch. Bemerkenswert ist die Heraushebung von zwei Plenarien, die hier im Unterschied zu den übrigen, materiell und inhaltlich nicht präzisierten Handschriften besonders genannt werden: „argentea vnum plenarium auro contextum et i argento contextum“. Im Vergleich mit anderen früh- und hochmittelalterlichen Schatzverzeichnissen lassen sich diese als Evangelienbücher erkennen,38 die aufgrund ihrer kostbaren Zier besondere Bedeutung hatten. Sie lassen sich mit den beiden Evangeliaren identifizieren, die heute in Köln und im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt erhalten sind (Abb. 72). Der Text des Schatzverzeichnisses weist hier über sich hinaus; es nennt seinen eigenen Träger als Objekt. Das Evangeliar, in dem es dinglich als geschriebener Text überliefert ist, wird somit zum „Schatz im Schatz“.39 Darüber hinaus zeigt sich hier die Verbindung beider Handschriften, die durch ihre gemeinsame Nennung und ihre materiell verwandte, in der Auswahl der Edelmetalle jedoch verschiedene Gestaltung deutlich wird. Sie sind gewisser­maßen als verwandt im ähnlichen, in den Farben jedoch verschiedenen Gewand zu erkennen, womit sie materiell untereinander verschieden, jedoch gegenüber den anderen liturgischen Büchern im Bestand gemeinsam hinausgehoben werden – eine Würdigung, die im 15. Jahrhundert auch mit den beiden erneuerten modernisierten Ziereinbänden beibehalten wurde.40 Die Mengenbezeichnungen wechseln ­zwischen Zahlwörtern und römischen Ziffern; bei den Gewändern sind keine liturgischen Farben angegeben, sondern zum Zwecke der Unterscheidung teilweise nur besondere Ziertechniken („totidem fanonibus et una absque fanone“). Darüber hinaus dienen Materialangaben und Oberflächenbeschreibungen – wie üblich – zur Unterscheidung einzelner Objekte innerhalb derselben Objektgattung (deauratus, aureus, argenteae, sericae, ereae). In der Summe zeigt sich ein Bild, welches sich bei der schrittweisen Erfassung verschiedener, mit unterschiedlichen Objekten gefüllten Behältnisse bzw. Räume ergibt. So weist die Trennung der Paramente nicht nur darauf hin, dass eine inhaltliche, hierarchische Unterscheidung vorgenommen werden sollte, sondern dass diese möglicherweise an 38 Vgl. Birgitta Falk / Anna Pawlik: Liturgie und Memoria. Die Schatzstücke im Essener „Liber Ordinarius“, in: Netzwerke der Memoria [Festschrift für Thomas Schilp], hg. von Jens Lieven, Michael Schlagheck und Barbara Welzel, Essen 2013, S. 119 – 156. 39 Wolter-­von dem Knesebeck 2017 (wie Anm. 12), S. 45. 40 Vgl. den Beitrag von Susanne Wittekind in ­diesem Band.

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verschiedenen Stellen aufzufinden waren; Vergleichbares gilt für die Messbücher unterschiedlicher Funktion (Ordines, Missales, Graduales, Evangeliare, Lektionare). Daneben bilden die gemeinsam aufgeführten drei Kelche mit mehreren Patenen, zwei Saugröhrchen, mehrere Kannen – vielleicht Messpollen –, ein Leuchter und zwei Weihrauchfässer einen üblicherweise in der Heiligen Messe gebräuchlichen Bestand ab, der der einfachen Handhabung wegen gemeinsam gelagert wurde. Eine nach Funktionen und Gebrauchshäufigkeit geordnete Aufbewahrung wird in d ­ iesem Verzeichnis deutlich: So ist hier an eine Aufbewahrung in verschiedenen Schränken zu denken, die in einer Sakristei nacheinander verzeichnet wurden – in der scheinbaren Unordnung würde sich so die Ordnung der Objekte innerhalb verschiedener Schränke und Kästen spiegeln. Für diese Überlegung spricht auch der Blick auf das, was nicht erwähnt wird.

Zum Vergleich: Das Schatzverzeichnis aus der Mitte des 15. Jahrhunderts Schaut man auf den Einzelfall St. Georg, so lassen sich einige ‚Fehlstellen‘ in dem vorliegenden Verzeichnis erkennen, die sich vor dem Hintergrund der weiteren Überlieferung – Inventare, Verzeichnisse und andere historische Quellen – ergeben, hier ein weiteres Schatzverzeichnis aus St. Georg. Vermutlich trug der Thesaurar Gerhard Putman im Jahr 1431 ­dieses in das zweite genannte, versilberte Evangeliar des Stiftes aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, das Ältere Evangeliar aus St. Georg in Köln, auf fol. 1a und b ein (Abb. 65 und 66).41 Putmann war der letzte Thesaurar des Stiftes, bevor das Amt 1458 aus wirtschaftlichen Gründen aufgehoben wurde. [fol. 1a] „Reliquie et clenodia spectantia ad ecclesiam sancti Georgii Coloniensem, quas seu que thesaurarius seu eius commissarius habet sub custodia sua In primis est ibi crux argentea deaurata, in qua inclusa est de ligno sancte crucis. Item crux magna cuprea cum pede suo. 41 Älteres Evangeliar aus St. Georg in Köln, Bayern/Salzburg, 1. Hälfte 11. Jh., Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv. Nr. Kg 54:210 a, b, fol. 1a und b. – Transkriptionen bei Bock 1858 (wie Anm. 19), S. 11 – 15. – Adolf Schmitt: Mittheilungen aus Darmstädter Handschriften, in: Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde 13 (1888), S. 615 – 618. – Koch 1907 (wie Anm. 20), S. 6 f. – Vgl. auch Anna-­ Dorothee von den Brinken: Das Stift St. Georg zu Köln (Urkunden und Akten 1059 – 1802) (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Bd. 51), Köln 1966, S. 69 (U Georg 165), 84 (U Georg 202), 86 (U Georg 207 und 208). – Monumenta Annonis. Köln und Siegburg. Weltbild und Kunst im hohen Mittelalter, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, Köln 1975, S. 171, D5 (Anton von Euw). – Kat. Köln 1985 (wie Anm. 21), Bd. 2, S. 287, E 72 (Gerhard Karpp). – Groten 1985 (wie Anm. 21), S. 151 f. – Czymmek 2007 (wie Anm. 21), S. 131 – 133.

Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg | 249

Abb. 65: Älteres Evangeliar aus St. Georg, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Inv. Nr. AE 681, fol. 1a: Schatzverzeichnis aus St. Georg, Mitte 15. Jahrhundert.

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Abb. 66: Älteres Evangeliar aus St. Georg, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Inv. Nr. AE 681, fol. 1b: Schatzverzeichnis aus St. Georg, Mitte 15. Jahrhundert.

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Item una parva crux argentea. Item due cruces argentate deaurate cum diversis lapidibus preciosis. Item brachium argenteum cum reliquiis sanctii Georgii patroni huius ecclesie, cui appendet clippeus argenteus [cum 42] armis sancti Georgii. Item ymago parva sancti Georgii cum reliquiis euisdem. Item cutellus et gladius cum suo cingulo deargentati, spectantes ad ymaginem sancti Georgii. Item brachium argenteum cum reliquiis sancti Annonis. Item casula sancti Annonis cum stolis et manipulis suis. Item ymago lignea sancti Annonis deaurata cum reliquiis sancti Annonis data per dominum Franckonem canonicum huius et pastorem sancti Jacobi ecclesiarum. Item brachium argenteum cum reliquiis sancti Cesarii. Item reliquie sancti Cesarii cum argenteis pedibus. Item due monstrancie argentee de cristallo legate per dominum Iohannem scolasticum huius ecclesie. Item due parve monstrancie argentee cum reliquiis. Item adhuc una monstrancia magna argentea per dictum dominum scolasticum legata.43 Item due parve capsule argentee cum reliquiis. Item unus caput ligneum deauratum quo inclusum est et caput sancti Theodorius martyris. Item capsula de ossibus elephantis cum reliquiis. Item unus scrineus ligneus depictus cum reliquiis. Item quedam tabula cum diversis reliquiis, in cuius medio stat crucifix. Item unus scrineus ligneus, in quo reclusi sunt panniculi et corporalia, super quibus sanguis Christi ex negligencia quorundam sacerdotum de calice est effusus. Item duo magni calices cum eorum patenis. Item tres alii calices cum eorum patenis. Item unus calix, qui est in armario sub custodia campanariorum. Item pixis argentea deaurata pro eucharistia deputata. Item calyx parvus argenteus cum pede ligneo, quem dictus Dominum Francko legavit pro i­ nfirmis visitandis. Item una fibula argentea cum capite sancti Annonis. Item una fibula argentea cum crucifixo signata 44 armis quondam domini decani de [P]avone.45 Item una fibula argentea habens crucifixum cum armis quondam domini Sanderi de Du[y] sb(ur)g.46 Item quatuor fibule cupree. 42 cum fehlt in der Vorlage. 43 Item adhuc … scolasticum legata am Rand nachgetragen. 44 Lesart unsicher 45 [P]avone Pergament beschädigt. – Bock, Das heilige Köln (wie Anm. 19), S. 13 nimmt hier in Bezug auf die Stifter Kürzungen in der Wiedergabe vor. 46 Du[y]sb(ur)g Pergament beschädigt.

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Item unum thuribulum argenteum. Item una pelvis argentea 47. Item due ampulle argentee. Item unum coclear argenteum. Item unam fistula argentea pro communicantibus apta. Item duo plenaria deargentata cum eorum cussinis. Item una dosa argentea pro conservacione hostiarum per dominum Franckonem [pastorem]48 sancti Jacobi data et in summis festis utenda.49 [fol. 1b] Item duo panni auro contexti et sunt diverse facture. Item unus pannus viridis coloris de sercico. Item unum par fialarum seu tassearum argentearum per quondam dominum Henricum de Lynden huic ecclesie legatarum. Item fibula argentea deaurata cum armis quondam domini Henrici de Langenhove signata, spectans ad cappam ipsius sericam blavei coloris de damasto, una cum casula et duabus vestibus tunicalibus sericis rubei coloris aureis filis intextis, cum armis suis et aliis suis pertinenciis uniuersis.“ Ausdrücklich werden die ‚bemerkenswerten Reliquien und Kleinodien der ­Kirche des hl. Georg zu Köln‘ („Reliquie et clenodia spectantia“) fixiert. Als Einschränkung bzw. Erläuterung wird angegeben, dass es sich um diejenigen Objekte handelt, für die der Thesaurar und sein Beauftragter, der Vizethesaurar, Sorge tragen („quas seu que thesaurarius seu eius commissarius habet / sub custodia sua“). Der Titel unterscheidet ­zwischen Reliquien und Kleinodien; demnach sollen die ornamenta des älteren Verzeichnisses nun um die bedeutenden Reliquien des Konvents erweitert werden. Die Liste folgt jedoch im Vergleich zum älteren Eintrag in dem Jüngeren Evangeliar aus St. Georg in Köln einer stringenten Ordnung, die von einer Hierarchisierung der Objekte ausgeht: Beginnend („in primis“) mit den Kreuzen, darunter eines mit Heilig-­Kreuz-­ Partikeln, folgen die Reliquien, zunächst diejenigen des Stifts- und Kirchenpatrons Georg, danach diejenigen des heiligen Erzbischofs und Stiftsgründers Anno II. (amt. 1056 – 1075), im Anschluss die Reliquien des heiligen Caesarius. Darauf folgen die Monstranzen und weitere heilige Behälter, dann die Vasa Sacra, beginnend mit den Kelchen und Patenen. Nach den Chormantelschließen werden abschließend einige panni, Tücher, aufgelistet, deren Funktion nicht weiter präzisiert wird. Liturgische Gewänder bleiben ebenso ungenannt 47 una pelvis argentea beide -a von anderer Hand nachgezogen. 48 [pastorem] Pergament beschädigt. 49 Item una … festis utenda von anderer Hand nachgetragen.

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wie – mit Ausnahme der beiden vergoldeten und versilberten Plenarien – liturgische Bücher. Waren diese im älteren Verzeichnis noch unter den liturgischen Handschriften zu finden, werden sie nun – reliquiengleich? – unter den Vasae Sacrae geführt. Auch die K ­ issen sind noch erhalten und als zugehörig erkannt. Ein direkter Vergleich der genannten Vasae Sacrae ist aufgrund der erwähnten sprachlichen Knappheit problematisch, jedoch meint man die Röhrchen zur Kommunionspende („fistula argentea pro communicantibus“) wiederzufinden. Bereits Manfred Groten bemerkte auch die ‚neuen‘ Objektgattungen der Monstranzen und Chormantelschließen (fibulae).50 Unter den aufgeführten Reliquien fallen besonders diejenigen der heiligen Kirchenpatrone und Stiftsgründer Georg und Anno II. auf. Vom Kirchenpatron besaß die Gemeinschaft ein silbernes Armreliquiar, ein kleines Bild mit Reliquien sowie dessen Dolch und Schwert (Abb. 67).51 Letzteres wird noch in späteren Quellen als wichtigste Reliquie des Stiftes verzeichnet, so in einem Kölner Pilgerbüchlein von 1520: „An siebter Stelle wird das Stift am Waidmarkt erwähnt: Das siebente Stift ist St. Georg. Dort in sein Schwert, womit er den Drachen überwunden hat.“ 52 Von dem 1183 kanonisierten Erzbischof und Gründer Anno II. fanden sich im Weiteren ebenfalls ein silbernes Armreliquiar, seine Kasel (Abb. 68) mitsamt Stolen und Manipel 53 50 Groten, Schatzverzeichnisse (wie Anm. 21), S. 152. 51 Köln, Museum Schnütgen, Jurisdiktionsschwert, 1. Hälfte, 14. Jh., Inv. Nr. G 494 a + b; von Aegidius Gelenius: De admiranda (…), Köln 1645, S. 319 – 321 als Schwert des hl. Georg gedeutet. Das Schwert ist noch 1916 im Besitz der Pfarrkirche St. Georg überliefert. Vgl. Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, 1. Band, IV. Abteilung: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln, St. Alban […], St. Georg (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz Bd. 6, IV), bearb. v. Wilhelm Ewald und Hugo Rahtgens, Düsseldorf 1916, S. 372, Abb. 207. – Vgl. Kat. Köln 1975 (wie Anm. 39), S. 171, Kat. Nr. D9 (Anton von Euw), mit Abb. – Glanz und Größe des Mittelalters. Kölner Meisterwerke aus den großen Sammlungen der Welt, Ausst. Kat. Museum Schnütgen Köln, hg. v. Dagmar Täube und Miriam Verena Fleck, München 2011, S. 288, Kat. Nr. 41 (Niklas Gliesmann). – Zum Anno-­Schwert vgl. Kat. Köln 1975 (wie Anm. 41), S. 172, Kat. Nr. E2 (Joachim M. Plotzek). 52 Raymundus Sebastiani: Die hystori oder Legend von den heiligen dryen koeningen, wie sy syn komen zu Constantinoplen, zu Meylaen, zu Coellen und da blyben sullen. Und da bey alle kyrchen, kloistern und gotzheuser mit dem obersten heyltum der heilger stat Coellen, zit. n. Anton Legner: Kölner Reliquienkultur. Stimmen von Pilgern, Reisenden und Einheimischen, Köln 2017, S. 101. – Vgl. Elisabeth Christern: Dje Hystori oder Legend von den Heiligen Dryen Koeningen, in: Kölner Domblatt. Jahrbuch des Zentral-­Dombau-­Vereins zu Köln 23/24 (1964), S. 180 – 204. 53 Köln, Museum Schnütgen, Annokasel, um 1000 bzw. 15. Jh., Inv. Nr. P1. – Die Kasel wurde zuerst von Bock, dann von Rohault de Fleury mit Anno II. in Verbindung gebracht. Vgl. Bock 1858 (wie Anm. 19), S. 12. – Charles Rohault de Fleury: La Messe. Etudes archéologique sur les monuments […] continués par son fils, 8 Bde., Paris 1839/89, Bd. VII, S. 149. – Vgl. dazu Fritz Witte: Die liturgischen Gewänder und kirchlichen Stickereien des Schnütgenmuseums Köln, Berlin 1926, S. 9. – Kat. Köln 1975 (wie Anm. 41), S. 171, Kat. Nr. D8 (Anton von Euw), Abb. S. 170. – Gudrun Sporbeck: Die liturgischen Gewänder. 11. bis 19. Jahrhundert (Sammlungen des Museum Schnütgen, Bd. 4), Köln 2001, S. 54 – 62, Kat.Nr. 1. – Kat. Köln 2011 (wie Anm. 51), S. 410, Kat. Nr. 170 (Saskia Werth).

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Abb. 67: Jurisdiktionsschwert, sog. Schwert des hl. Georg, Museum Schnütgen, Köln, 1. Hälfte 14. Jahrhundert.

Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg | 255

sowie ein hölzernes, versilbertes Reliquienbild. Die bischöflichen Gewänder Annos wurden bei der Öffnung seines Grabes am 29. April 1183 in der Abteikirche vorgefunden und der Gründung am Waidmarkt teilweise übergeben. Über diese Provenienz der Reliquien berichtet der Siegburger Minorit Raymund Sebastian 1750: „Nachdem S. Anno in besagtem Grab 108 Jahren geruhet hatte, ist ­dieses Heiligthum […] im Jahr 1183. ehrerbiethigst erhoben und (ausser einem Armb, welcher sambt dem Meß-­Gewand, womit er in der Erd gelegen hatte, nach der von ihm erbauten Stiffts-­Kirche St. Georgii, und einem Bein, welches in die von ihm gestiffte Kirch B. M. ad Gradus genant zu Cöllen überbracht worden. […]).“ 54 Ähnlich wie das Georgsschwert wird auch die purpurviolette Seidenkasel bis in die nachmittelalterliche Zeit im Besitz des Konventes genannt. Der Kölner Historiograph und Geistliche Aegidius Gelenius nannte sie noch 1645 in seinem Verzeichnis des Thesaurus Sacer Basilicae S. Georgii. Das besondere Interesse von Gelenius galt – im Sinne der von ihm gerühmten ‚Heiligen Stadt‘ – vor allem den Heiltümern der geistlichen Insti­tutionen Kölns. Besonderes Gewicht legte er daher auf den Inhalt der monstrantia, der heiligen Gefäße. In beinahe geschwätziger Weise resümiert er – vielleicht in Anlehnung an Sebstiani – die Herkunft und Ankunft der Reliquien Annos: Wenige Monate nach der Graböffnung fand am 25. August des Jahres eine Wallfahrt nach Siegburg statt, bei der die Annonischen Gründungen, darunter St. Georg, Reliquien des Neu-­Heiligen bekamen. Die Kanoniker von St. Georg erhielten die Armreliquie und Teile des im Grab gefundenen Gewandes. Diese 54 Raymundus Sebastiani: Siegbergisches Heiligthum Oder Außführlicher Bericht Von denen Im Hochadelichen Stifft Siegberg Des Heil. Benedictiner Ordens befindlichen H. H. Reliquien […], Köln 1750, S. 19 f. – Vgl. auch Franz Bock (Hg.): Commentar zu der mittelalterlichen Kunst-­Ausstellung zu Crefeld, auf welcher die vollständige Geschichte der priesterlichen Gewandung und anderer Cult­ geräthschaften und Gefäße des Mittelalters in einer chronologisch geordneten Sammlung dargestellt ist, Krefeld 1982, S. 20, Kat. Nr. 6. – Braun 1912 (wie Anm. 31), S. 647 mit Abb. – Mauritius Mittler (Hg.): Libellus des Translatione Sancti Annonis Archiepiscopi et Miracula Sancti Annonis. Lib. I & II . Bericht über die Translation des Heiligen Erzbischofs Anno und Annonische Mirakelberichte (Siegburger Mirakelbuch) (Siegburger Studien, Bd. 3), Siegburg 1966, S. 40 f., Nr. I,18. – Albert Verbeek: Das Annograb in Siegburg, in: Miscellanea pro arte. Hermann Schnitzler zur Vollendung des 60. Lebensjahres, hg. v. Joseph Horster und Peter Bloch (Schriften des Pro Arte Medii Aevi, Bd. 1), Düssel­dorf 1965, S. 119 – 131. – Später konnte aus den Quellen der Umfang der entnommenen Paramente erschlossen werden: (1) Kasel: nach 1802 im Besitz eines Kölner Bürgers, ab vor 1852 im Besitz des Franz Bock, um 1880 erworben durch Alexander Schnütgen im Aachener Kunsthandel, zu d ­ iesem Zeitpunkt möglicherweise die Ergänzung durch Kölner Borten des 15. Jahrhunderts. Zur Provenienz vgl. Sporbeck 2001 (wie Anm. 53), S. 55 u. 57 f. (2) Dalmatik: 1901 bei der Schreinöffnung in Siegburg gefunden, Verbleib unbekannt. Vgl. Edmund Renard (Bearb.): Die Kunstdenkmäler des Siegkreises (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz Bd. 5, IV ), Düsseldorf 1907, S. 225: „Rest eines weissen Seidenstoffes, durch einen spätgotischen Pergamentzettel als Dalmatika des h. Anno bezeichnet; Kreise mit je zwei von einander abgewandten Greifen und mit Ornament in den Zwickeln; 49 × 30 cm, wohl 12. Jh.“. (3) Pallium: Siegburg, St. Servatius, Schatzkammer. (4) Stola: Verbleib seit 1852 unbekannt. (5) Manipel: im 19. Jh. vom Kunstgewerbemuseum in Berlin erworben, nicht mehr identifizierbar. (6) Pontifikalschuhe: Vgl. Sporbeck 2001 (wie Anm. 53), S. 57 f.

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Abb. 68: Kasel des hl. Anno, Museum Schnütgen, Köln, um 1000 bzw. 15. Jahrhundert.

Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg | 257

Abb. 69: Armreliquiar des hl. Georg, St. Georg, Köln, 2. Hälfte 17. Jahrhundert.

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wurden schon bald nach der Kanonisation als wundertätig angesehen und als Berührungsreliquie verehrt. Dem entspricht, dass Gelenius daher ausschließlich Reliquiare berücksichtigt, während Vasa Sacra, Vasa non Sacra und Paramente nicht aufgeführt sind. Die Annokasel war eines der besonderen Heiltümer des Konventes.55 Das im 14. Jahrhundert verzeichnete silberne Armreliquiar des heiligen Georg wurde wohl in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch ein hölzernes, farbig gefasstes ersetzt (Abb. 69) – die Reliquie wird bereits in der Gründungslegende des Stiftes genannt und war von Anno II. persönlich am Weihetag von St. Pantaleon aus in die neu errichtete Stiftskirche übertragen worden.56 Der heilige Märtyrer Caesarius von Terracina war Patron des ersten am Waidmarkt bezeugten merowingischen Kirchbaus. Von ihm besaß das Stift neben einem silbernen Arm- und auch ein Fußreliquiar.57 Diese Translozierung der Reliquien an das Kölner Stift geht ebenfalls auf Anno II. zurück; Anno erhielt diese im Jahr 1070 für die unmittelbar neben dem Georgsstift gelegene Kapelle St. Jakob, woraufhin diese im Mai jenes Jahres in der Kapelle niedergelegt wurden.58 Seit dem 15. Jahrhundert wurden diese offenbar zum Schatz der benachbarten Stiftskirche gezählt.

Ein Paramentenverzeichnis des späten 14. Jahrhunderts Über die drei Hauptheiligen hinaus werden in dem Verzeichnis des 15. Jahrhunderts keine weiteren Heiligen im Zusammenhang mit der Auflistung der kostbaren Reliquiare genannt, was Aufschluss darüber gibt, dass es – ungeachtet des Titels – weniger um die Inventarisierung der Heiltümer als vielmehr um diejenige ihrer Behältnisse ging. Die Paramente des Stiftes wurden von einer Hand des späten 14. Jahrhunderts separat auf fol. 2r erfasst (Abb. 70): 55 Vgl. Gelenius 1645 (wie Anm. 51), S. 319 – 321: „II . & III . Gladius & Brachium S. Georgij Argenteo ­brachio inclusum, Quod S. Anno Archipraesul. Colon. ac huius Ecclesiae fundator ex Abbatia S. Pantaleonis pro brachio S. Bartholomaei Apostoli permutauit. […]. V. & VI. Casula S. Annonis fundatoris in qua 108. Annis S Eius Corpus sepultum fuit. Obijt autem Anno 1075, 4. Decembris Eleuatus vero est 1183. 29. Aprilis Brachium eius itidem argenteo brachio inclusum & aliae notabiles eiusdem S. Reliquiae in quarum aduentu 25. Die Augusti Anno 1183 […].“ 56 Vgl. Czymmek 2007 (wie Anm. 21), S. 151. 57 Gelenius 1645 (wie Anm. 51), S. 319: „IV. Brachium argenteum & Insigues Reliquiae tribus Thecis Argenteis inclusae S. Cesarij Diaconis Martyr“. 58 Vgl. Kat. Köln 1975 (wie Anm. 41), S. 33, 39 u. 62 (Vita Annonis, um 1105, lib. I, cap. 12, 1 – 2: „reponens in ea quod a Roma detulerat dignum veneratione martyris Caesarii brachium“). – Vgl. dazu auch Klaus Gereon Beuckers: Auf dem Weg nach Santiago de Compostela? Der heilige Jakobus im mittelalterlichen Köln, in: Topografías culturales del Camino de Santiago / Kulturelle Topographien des Jakobsweges, hg. v. Javier Gómez-­Montero, Frankfurt am Main 2016, S. 59 – 94, insb. S. 64 f.

Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg | 259

Abb. 70: Älteres Evangeliar aus St. Georg, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Inv. Nr. AE 681, fol. 1b/2a: Paramentenverzeichnis aus St. Georg, spätes 14. Jahrhundert.

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Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg | 261

„Hec sunt ornamenta sive indumenta ecclesie beati Georgii. Casula de sameto blauii coloris. Item casula purpurea de purpura Genuensi. Item casula de balkino 59. Item casula de purpura quam decanus Gerardus dedit. Item casula alba de serico. Item casula rufa cum cruce de samitto. Item casula de samitto beati annonis 60. Item casula crocea cum dalmatico et subtili croceo. Item casula de sameto rufo cum dalmatico et subtili rufo. Item duae dalmaticae albae de serico. Item unum subtile de purpurea foederata cum albo panno. Item tres cappe corales de rubeo sameto. Item duae casulae purpureae. Item cappa coralis de sameto blauio 61. Item cappa cum tyntinnabulis.62 Item cappa antiqua de balkino.“ 63 Im Unterschied zu dem Verzeichnis im Jüngeren Evangeliar aus St. Georg in Köln werden die Gewandteile nicht nur ihrer Funktion nach unterschieden, sondern auch die liturgischen Farben und Materialien sowie besondere Ziertechniken angegeben. Auffallend ist, dass ausschließlich Obergewänder angegeben werden, Alben, Zingulen, Amikte und andere Grundoder Gebrauchsgewänder werden nicht genannt, ebenso wenig Stolen, Manipel etc. Dies weist darauf hin, dass hier insbesondere die kostbaren ‚Hauptstücke‘ erfasst werden sollten, zu denen auch die Anno-­Kasel zählte – die zugehörige Stola und das Manipel wurden hier trotz ihres zuvor wiederholt erkannten Reliquiencharakters in der Konsequenz nicht erfasst.

Sakristei oder Schatzkammer. Der Ort des Schatzes Insbesondere der Vergleich z­ wischen dem Verzeichnis von 1431 und demjenigen in dem Jüngeren Evangeliar aus St. Georg zeigt deutlich die erwähnten Fehlstellen: Die Reliquien des Stiftes, die kostbaren Heiltümer, bleiben im älteren Verzeichnis unberücksichtigt. Dies könnte darauf hinweisen, dass es sich dabei um einen Bestand handelte, der in einem anderen, hier nicht inventarisierten Raum aufbewahrt wurde. Somit ließen sich hier zwei verschiedene Räumlichkeiten erkennen: die Sakristei, in der in Schränken die liturgischen Geräte, Bücher und regelmäßig benötigten Gewänder untergebracht waren, und ein vermutlich eher kleiner, besonders gesicherter Ort. Über bestimmte Räume geben die 59 Sog. Baldekin-­Gewebe, im Mittelalter Bezeichnung für Damaststoffe (‚Gewebe von Gold und Seide‘), vom Eigennamen Baldekin, gemeint Bagdad. Vgl. Bock 1858 (wie Anm. 19), S. 14, Anm. 33. – Jacob Grimm: Grammatik der hochdeutschen Sprache unserer Zeit, bearb. v. Joseph Eiselein, Konstanz 1843, S. 333. 60 Eintrag der Anno-­Kasel bei Bock 1858 (wie Anm. 19), S. 15 nicht angegeben. 61 Bei Bock 1858 (wie Anm. 19), S. 14 als blanco gelesen. 62 Schellen als Bortenbesatz. Vgl. Bock 1858 (wie Anm. 19), S. 15, Anm. 37. 63 Eintrag im Älteren Evangeliar aus St. Georg (wie Anm. 39). – Transkriptionen bei Bock 1858 (wie Anm. 19), S. 14 f. – Schmitt 1888 (wie Anm. 41), S. 617. – Groten 1985 (wie Anm. 21), S. 151.

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genannten Quellen keine Auskunft. Mechthild Graf und Clemens Kosch ist es jedoch zu verdanken, dass zwei Räume in dem romanischen Bau von St. Georg lokalisiert werden konnten: Eine Urkunde aus dem Jahr 1188 bezeugt die Stiftung einer „camera thesaurie“ durch den Dechant Isfried, an die der Dienstraum des Thesaurars anschloss. Diese Sakristei befand sich in einem Obergeschossraum, der in den Winkel von südlichem Nebenchor und Südquerarm eingefügt war.64 Aus dem anschließenden Dienstraum gelangte man ins Dormitorium in der Klausur, was umgekehrt bedeutete, dass der Weg der Kanoniker vom Dormitorium in den Stiftschor durch die Sakristei führte.65 Diese mehrfach am Tag genutzte Durchgangsmöglichkeit musste für die Sakristei zugleich diejenige Einbuße haben, dass sie kein abgeschlossener, sicherer Aufbewahrungsort für die kostbaren Heiltümer war. Kosch konnte einen zweiten, hier deutlich besser geeigneten Raum ausmachen: Im Winkel von Haupt- und nördlicher Nebenapsis befand sich ein winziger, nach 1945 nicht wiederhergestellter Raum, eine Zelle, die nur vom nördlichen Nebenchor aus betreten werden konnte (Abb. 71). Diese Exklusivität der Zugangsmöglichkeiten geben diesen Raum als einen – im Vergleich mit der Sakristei – sicheren Raum für die Aufbewahrung der kostbaren Reliquien und ihrer Behältnisse zu erkennen, der wohl ausschließlich vom custos maior oder dem Thesaurar selbst betreten werden durfte. Dass es daneben Räume oder Objekte gab, die in der Verantwortung seines Hilfsküsters lagen, belegt die Nennung eines Kelches im Verzeichnis aus der Mitte des 15. Jahrhunderts: „Item vnus calix qui est in armario sub custodia campanariorum“ – ‚im Schatzraum [oder Schrank], der unter der Aufsicht des Glöckners [Hilfsküster] steht‘.66 Hiermit könnte einerseits dieser Dienstraum hinter der Sakristei gemeint sein, andererseits wäre es möglich, das hier nur ein Schrank gemeint ist. Vergleichbare hölzerne Schränke sind im Münster zu Bad Doberan aus der Zeit um 1300 und aus der Liebfrauenkirche in Halberstadt aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts überliefert.67 Sie waren durch Schlösser gesichert und mit einem Bildprogramm verziert, welches auf ihre Funktion bzw. ihren Inhalt hinweisen konnte. In einigen Verzeichnissen wie beispielsweise aus Kloster Comburg bei Schwäbisch Hall sind ­solche Schränke in der Sakristei eigens erwähnt.68 64 Mechthild Graf: Hochmittelalterlichen Anbauten und Nebenräume von St. Kunibert, in: Colonia Romanica 7 (1992), S. 78 – 113. – Clemens Kosch: Kölns romanische K ­ irchen. Architektur und Liturgie im Hochmittelalter, Regensburg 2005 (OA 2000), S. 33. 65 Vgl. Graf 1992 (wie Anm. 64), S. 28. – Kosch 2005 (wie Anm. 64), S. 32. 66 Kosch 2005 (wie Anm. 64), S. 32 (St. Georg). – Ich danke Clemens Kosch, Mainz, für seinen freundlichen Hinweis. 67 Bad Doberan, Münster, Kelchschrank, um 1300; Halberstadt, Domschatz, Reliquienschrank aus der Liebfrauenkirche, Eiche, gefasst, 1. Hälfte 13. Jh., Inv. Nr. 426. 68 Vgl. Klaus Gereon Beuckers: „Inventarium uber den K ­ irchen=Ornat zu Chamberg“. Bemerkungen zu zwei Schatzverzeichnissen des 16. Jahrhunderts aus dem Stift Comburg, in: Kloster Großcomburg. Neue Forschungen, hg. v. Klaus Gereon Beuckers, Regensburg 2019, S. 323 – 340, hier S. 324, Edition S. 335.

Das ‚Schatzverzeichnis‘ des Stiftes St. Georg | 263

Abb. 71: St. Georg, Köln, Grundriss mit markierten Schatz- bzw. Sakristeiräumen.

Das Verzeichnis des frühen 12. Jahrhunderts für St. Georg unterscheidet demnach indirekt z­ wischen Objektgruppen, in dem es die Reliquien auslässt. Vor dem Hintergrund der nachweislich am Ort hoch verehrten und seit Gründungszeiten vorhandenen Heiltümern lässt sich dies wie oben gezeigt nur dann erklären, wenn man berücksichtigt, dass das Verzeichnis nur eine Auswahl nennt. Diese Auswahl bezieht sich eng auf die Feier der Messe und lässt somit den üblichen Bestand einer Sakristei erkennen, der in ständigem und regelmäßigem Gebrauch war. Das Verzeichnis aus St. Georg kann demnach nicht als ‚Schatzverzeichnis‘ angesprochen werden, da es die wesentlichen Teile, die den Schatz einer geist­lichen Institution des Mittelalters ausmachten, nicht erfasst. Durch die glückliche Überlieferungssituation wird es somit möglich, den Blick durch das eingangs erwähnte Schlüsselloch von St. Georg ein wenig zu weiten auf Entwicklungen, Räume und Objekte, von denen einige wenige die unruhigen Jahrzehnte des 20. und 21. Jahrhunderts am Waidmarkt überdauert haben.

264 | Anna Pawlik

Susanne Wittekind

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg

Dem objektgeschichtlichen Ansatz des Bandes entsprechend versucht der folgende Beitrag zum einen, unter Einbeziehung der aktuellen kunsttechnologischen Untersuchungen Informationen zur Gestaltung des ersten Einbands zu gewinnen. Zum anderen zeigt er auf, wie der im späten 15. Jahrhundert erneuerte Vorderdeckel nicht nur das alte Kreuzigungsrelief bewahrte, sondern zugleich künstlerisch ausstellte und kommentierend einbettete. Das Alter und die besondere Würde des Evangeliars als materielles Zeugnis der Gründungsgeschichte des Stiftes werden, so die These, im Rekurs auf typisch hochmittelalterliche Einbandelemente angezeigt. Zugleich demonstrieren moderne zeitgenössische Schmuckformen, motivische Anleihen und Stilelemente die Nähe zum neuen Kunst- und Kommunikationsmedium des Kupferstichs. Im Ausgriff auf den Einband des Älteren Evangeliars aus St. Georg in Darmstadt, dessen Gravur vom selben Künstler wie jene des Jüngeren Evangeliars stammt, kann der Kanoniker und spätere Propst von St. Georg, Dr. jur. Heinrich Manegold von Paderborn (verst. 1505), als potentieller Initiator der Neubindung der beiden Evangeliare bestimmt werden.

Der erste Einband des Evangeliars Der Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg ist, wie die jüngst durchgeführte dendrochronologische Untersuchung der Eichenholzdeckel belegt, frühestens ab 1118, unter Berücksichtigung eines Medians von 17 Splintholzjahrringen vermutlich ab 1128 geschaffen worden.1 Er entstand erst, nachdem das ältere, anfangs nur durch vegetabile Initialen sowie Gold- und Silbermajuskeln gezierte Textkorpus des Evangeliars um zahlreiche Miniatur- und Textzierseiten bereichert worden war.2 Die Evangeliarhandschrift 1

2

Vgl. das Gutachten von Prof. Dr. Peter Klein (Universität Hamburg, Zentrum für Holzwirtschaft) vom 31. Mai 2018, das ein Fälldatum ab 1116 ergibt. – 1128 erhielt das Stift St. Georg vom Kölner Erzbischof Friedrich I. (amt. 1100 – 1131) aus der Stiftung eines Erblehens seines Ministerialen Widiko eine Rente von 24 Schillingen, die unter anderem der Memorie des Erzbischofs und Widikos zugutekommen sollten. Vgl. Karl Corsten: Geschichte des Kollegiatsstiftes St. Georg in Köln (1059 – 1802), in: Annalen des Historisches Vereins für den Niederrhein 146/147 (1948), S. 64 – 150, hier S. 129. Diese Stiftung könnte zur Anfertigung des Evangeliareinbands genutzt worden sein. Die fehlenden Texte zu Johannes wurden dabei nicht ergänzt. Vgl. den Beitrag von Doris Oltrogge in ­diesem Band.

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg | 265

wurde durch diesen Bildschmuck zur ‚Prachthandschrift‘ aufgewertet. Ihr besonderer Rang aber sollte durch den Prachteinband, den sie nun erhielt, auch an ihrem Äußeren ablesbar gemacht werden. Zu ­diesem ersten Prachteinband gehörte das noch erhaltene siebenteilige Walrosszahnrelief des Vorderdeckels, das – gerahmt von Akanthusleisten – die Kreuzigung und die Evangelistensymbole darstellt und passgerecht in das Eichenbrett des Vorderdeckels eingetieft ist.3 Das Relief gehört stilistisch zu einer Gruppe von Elfenbein-­ Schnitzarbeiten, die Mitte des 11. Jahrhunderts in Köln entstanden. Denkbar ist, dass es bereits bei der Anlage der Evangeliarhandschrift zum Schmuck ihres späteren Einbands erworben wurde. Vielleicht aber bemühten sich die Kanoniker von St. Georg auch erst im Zuge der Umwandlung des Evangeliars in eine Prachthandschrift um diese besonders würdige Einbandzier. Die Verwendung älterer (Elfen-)Beinreliefs und Spolien zur Zier von Prachteinbänden war üblich, denn sie wurden für ihre Kostbarkeit und Kunstfertigkeit hochgeschätzt. Doch konnte die (Wieder-)Verwendung älterer Schmuckstücke auch semantisch aufgeladen werden und beispielsweise auf das weitreichende Beziehungsnetz eines Stifters oder auf das Alter einer Institution verweisen.4 Im Fall des Evangeliars aus dem 1059 gegründeten Chorherrenstift St. Georg könnte das aus der Gründungszeit des Stiftes stammende Walrosszahnrelief gezielt an diese Zeit erinnern, gleichsam als materielles Geschichtszeugnis. Besonders groß ist seine motivische und stilistische Nähe zum Elfenbeinrelief auf dem Einband eines Älteren Evangeliars aus St. Georg, das vor 1805 in die Sammlung des Baron von Hüpsch und aus dessen Erbe nach Darmstadt gelangte (Abb. 72).5 Ferner rechnet 3

4 5

Vgl. den unpublizierten Befundbericht von Anke Freund und Anna Pawlik vom 09. November 2017 sowie die Beschreibung des Einbands von Doris Oltrogge (2017), die sie mir freundlicherweise zur Verfügung stellte. Der Vorderdeckel hat eine Stärke von 10 mm und misst 305 × 227 mm, die Vertiefung in der Mitte 162 × 133 mm. So deutet David Ganz: Buch-­Gewänder. Prachteinbände im Mittelalter, Berlin 2015, S. 291 – 293 die Montage von Objekten verschiedener Herkunft auf den Prachteinbänden Heinrichs II. für den Bamberger Dom. Eine dendrochronologische und kunsttechnologische Untersuchung des Einbandes des Darmstädter Evangeliars aus St. Georg, der analog zu jenem des Kölner Evangeliars aus St. Georg um 1480 mit einer gravierten, versilberten Kupferplatte neu gestaltet wurde, steht noch aus. Sie könnte darüber Auskunft geben, ob die Zeitschichten, die sich beim Kölner Exemplar durch die Röntgenaufnahmen nachweisen ließen, auch beim Darmstädter Band zu erkennen sind. Vgl. Susanne Wittekind: Neue Einbände für alte Handschriften, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 80 (2017), S. 176 – 200, hier S. 187 – 193. – Zu den Reliefs der beiden Evangeliare aus St. Georg vgl. Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Ausst. Kat. Museum in der Kaiserpfalz Paderborn u. a., hg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, 2 Bde., Paderborn 2006, S. 383 – 387, Kat. Nr. 479 und 480 (Theo Jülich). – Sowie Theo Jülich: Die mittelalterlichen Elfenbeinarbeiten des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Regensburg 2007, Nr. 15. – Zum Buchdeckel des Theophanu-­Evangeliars vgl. Birgitta Falk (Hg.): Der Domschatz Essen, Essen 2009, S. 82, Kat. Nr. 15 (Anna Pawlik); Birgitta Falk: Die Geschichte des Evangelienbuches der Essener Äbtissin Theophanu, in: Westfalen. Hefte

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Theo Jülich dieser Gruppe von Kölner Schnitzarbeiten das Elfenbein des Theophanu-­ Evangeliars im Domschatz Essen (Abb. 73) sowie ein Relief mit christologischen Szenen (Köln, Kolumba, Inv. Nr. 1992/31) zu. Diese Werke kennzeichnet eine Rahmung durch Akanthusleisten, die auf ältere Lütticher und Metzer Schnitzarbeiten zurückweist, sowie eine enge Verwandtschaft in Komposition und Ikonographie, die in Details jedoch jeweils modifiziert werden.6 Gegenüber den älteren Lütticher bzw. Metzer Arbeiten und ihren vielfigurigen Szenen sind die Reliefs dieser Gruppe durch Reduzierung der Bewegungsmotive, Bündelung der Faltenzüge und durch Leerstellen z­ wischen den Personengruppen beruhigt. Insbesondere die Kreuzigungsreliefs der beiden Evangeliare aus St. Georg sprechen durch die Fokussierung auf eine Szene mit wenigen, großen, fast vollplastischen Hauptfiguren mit großen Köpfen und fein ausgearbeiteten Gesichtern direkt den Betrachter an. An beiden Kreuzigungsreliefs ringelt sich am Kreuzfuß ein Drache als Sinnbild des Teufels und ­­Zeichen des durch Christi Opfer überwundenen Todes.7 Die zentrale Kreuzigungsgruppe mit Maria und Johannes wird auf dem Walrosszahnrelief des Jüngeren Evangeliars durch die kleineren Figuren von Stephaton, der Jesus den Essigschwamm reicht und hier raffiniert als zum Kreuz aufblickende Rückenfigur präsentiert wird, und Longinus, der mit der Lanze die Seite Jesu öffnet (Joh 19,34), erweitert.8 Oberhalb des Querbalkens sind jeweils die trauernden Personifikationen von Sol und Luna zu erkennen, die einerseits auf die Verfinsterung der Welt während Jesu Sterben am Kreuz verweisen (Mt 27,45; Mk 15,33; Lk 23,45), andererseits die Anteilnahme des Kosmos am Tod des Gottes- und Menschensohnes anzeigen. Ähnlich wie beim stilistisch und motivisch verwandten Essener Elfenbeinrelief wird die bildliche Erzählung des biblischen Geschehens hier mit der Darstellung der

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zur Geschichte, Kunst und Volkskunde 91 (2013), S. 165 – 192; Annemarie Stauffer: Ein kostbares Geschenk. Der originale Einband des Theophanu-­Evangeliars in Essen, in: Netzwerke der Memoria, hg. v. Jens Lieven, Michael Schlagheck und Barbara Welzel, Essen 2013, S. 107 – 117; Ganz 2015 (wie Anm. 4), S. 218 f. – Zum Elfenbeinrelief in Kolumba vgl. Klaus Gereon Beuckers: Der König neben dem Kreuz. Überlegungen zum Programm der salischen Elfenbeintafel im Kölner Diözesan-­Museum, in: Thesaurus Coloniensis. Beiträge zur mittelalterlichen Kunstgeschichte Kölns. Festschrift für Anton von Euw, hg. v. Ulrich Krings, Wolfgang Schmitz und Hiltrud Westermann-­Angerhausen (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 41), Köln 1999, S. 57 – 70. – Kat. Paderborn 2006 (wie oben), S. 382 f., Kat. Nr. 478 (Theo Jülich). So beispielsweise das Kreuzigungsrelief, Metz, Ende 9. Jahrhundert (London, Victoria & Albert Museum) – Vgl. Adolph Goldschmidt: Die Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolingischen und sächsischen ­Kaiser. VIII.–XI. Jahrhundert, Bd. 2, Berlin 1918, Nr. 85, S. 47. Im Darmstädter Relief wird dieser Aspekt zudem durch die Rückenfigur eines auferstehenden Mannes (Adam) verdeutlicht (vgl. Mt 27, 52 – 53). Im Fall des Darmstädter Elfenbeinreliefs wird durch die Figuren der Ecclesia, die hinter Maria stehend mit dem Kelch das Blut der Seitenwunde Christi auffängt, und der Synagoge mit der Fahnenlanze, die ihren Blick über Johannes hinweg auf den Gekreuzigten richtet, auf die endzeitliche Anerkennung Christi durch das jüdische Volk verwiesen (vgl. Jer 31, 31 – 34).

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg | 267

Evangelisten bzw. ihrer Symbole kombiniert.9 Am Essener Evangeliar erscheinen diese in den Ecken des oberen und unteren Registers als göttlich inspirierte Zeugen und Autoren. Bei den Reliefs der Evangeliare aus St. Georg jedoch treten die Evangelistensymbole allein auf; sie sind jeweils in den äußeren Ecken plaziert und nach außen gerichtet, wenden (mit Ausnahme des zum Betrachter gewandten Löwen) ihre Häupter jedoch zurück zum Kreuz und können somit zugleich als himmlische Begleiter des göttlichen Herrschers bei dessen endzeitlicher Wiederkehr (secundus adventus) verstanden werden (Apk 4,6 – 8). Auf diesen endzeitlichen Gehalt weisen auch die beiden Engel, die auf dem Walrosszahnrelief des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg, anders als in karolingischen Kreuzigungsszenen nicht das Kreuz verehren, sondern es am Querbalken halten, also das Kreuz als Heilszeichen präsentieren.10 Die Kreuzigung ist als zentrales Bildmotiv von Evangeliareinbänden seit karolingischer Zeit geläufig.11 Während Vorder- und Rückdeckel frühmittelalterlicher Prachteinbände hinsichtlich Material und Technik häufig ähnlich gestaltet sind, ist seit ottonischer Zeit plastische Einbandzier durch Edelsteine, Treibarbeiten oder Elfenbeinreliefs vor allem dem Vorderdeckel vorbehalten. Der Rückdeckel hingegen wird eher mit gravierten, teils durchbrochen gearbeiteten Metallplatten (opus interrasile) geschmückt.12 Eine s­ olche Unterscheidung von Vorder- und Rückdeckel ist auch beim Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg zu beobachten, denn nur der Vorderdeckel weist die Vertiefung für ein Relief auf. Der Kostbarkeit des meist im Zentrum des Vorderdeckels eingelassenen Reliefs entsprechend wird dies oft, wie im Fall des Essener Theophanu-­Evangeliars oder des Codex Aureus von Echternach (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum), von edlen Treibarbeiten, Silberoder Goldblechen mit Goldfiligran und Edelsteinzier gerahmt.13 9 Zum Buchdeckel des Essener Theophanu-­Evangeliars siehe Anm. 5. 10 Vgl. Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 5), S. 385, Kat. Nr. 480 (Theo Jülich). 11 Vgl. Frauke Steenbock: Der kirchliche Prachteinband im frühen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Beginn der Gotik, Berlin 1965, darin Rückdeckel des Lindauer Evangeliars, um 870, New York, Pierpont Morgan Library M. 1: Nr. 21, S. 92 – 96, Abb. 33, 34; Pace del Duca Orso, um 900, Cividale, Museo Archeologico: Nr. 24, S. 100 – 101, Abb. 38; Evangeliardeckel aus Morienval, 10. Jahrhundert, Noyen, Kathedrale: Nr. 37, S. 114 f., Abb. 54, 55; Evangeliardeckel aus Benediktbeuern, 1. Hälfte 11. Jahrhundert, Augsburg, Diözesanmuseum St. Afra, Hs. 15: Nr. 38, S. 115 f., Abb. 56. 12 Vgl. John Lowden: The Word Made Visible. The Exterior of the early Christian Book as Visual Argument, in: The early Christian Book, hg. v. William E., Klingshirn und Linda Safran, Washington 2007, S. 13 – 47, hier S. 45. – Ganz 2015 (wie Anm. 4), S. 23 f. spricht von einer Unterscheidung von Schauund Kontaktseite des Evangeliars. 13 Vgl. Steenbock 1965 (wie Anm. 11), Nr. 42, S. 119 – 121, Abb. 60, 176 (Codex Aureus aus Echternach, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, K. G. 1138). – Manchmal werden auch andere Materialien für die Rahmung verwandt, so beispielsweise Horn am Deckel des Evangeliars aus Morienval (10. Jahrhundert, Noyon, Kathedrale); Steenbock 1965 (wie Anm. 11), Nr. 37. – Zum Osnabrücker Buchkasten mit byzantinischem Elfenbeinrelief mit Hodegetria-­Darstellung (Konstantinopel 2. Hälfte 10. Jahrhundert) und fehlenden Rahmenbeschlägen auf dem Außendeckel sowie seidenbezogenem Innendeckel

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Abb. 72: Älteres Evangeliar aus St. Georg, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Inv. AE 681: Vorderer Einband.

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Abb. 73: Vorderdeckel des Theophanu-­Evangeliars, Domschatz Essen, Hs. 3, Mitte 11. Jahrhundert.

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Das wohl bald nach der Bindung des Codex eingetragene Sakristeiverzeichnis des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg (fol. 215v) listet nach Paramenten und Altargerät verschiedene zur Messfeier benötigte Bücher.14 Unter diesen sind drei Evangeliare, eines mit goldenem und eines mit silbernem Einband sowie ein weiteres ohne Schmuck („unum plenarium auro contextum et .i. argento contextum et tertium absque auro et argento“). Direkt anschließend nennt das Verzeichnis zwei Kissen (cussini), auf denen die beiden erstgenannten, kostbaren Evangeliare vermutlich beim Einzug getragen und auf dem Altar präsentiert wurden. Das Schatzverzeichnis wurde in das kostbarste der drei im Stift befindlichen Evangeliare eingetragen, also in jenes mit goldenem bzw. vergoldetem Einband. Die beiden hier genannten Evangeliare sind mit den erhaltenen in Köln und Darmstadt zu identifizieren, die dem Verzeichnis nach bereits im 12. Jahrhundert mit vergoldeten und versilberten Einbänden verziert waren. Diese Gestaltung wurde Ende des 15. Jahrhunderts übernommen.15 Aufgrund der Neurahmung der Reliefs der beiden Evangeliare aus St. Georg am Ende des 15. Jahrhunderts ist heute nur schwer zu rekonstruieren, wie beide Deckel ursprünglich gestaltet waren. Doch geben die jüngst durchgeführten Untersuchungen, darunter Röntgenaufnahmen am Buchdeckel des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg neue Anhaltspunkte.16 Unter dem Lederbezug, der mit Annemarie Stauffer zur Erneuerung der Einbanddeckel des Evangeliars am Ende des 15. Jahrhunderts gehört, sind am äußeren Rand des vorderen Innendeckels noch Reste eines rötlichen Samitgewebes zu erkennen.17 Anton von Euw vermutete aufgrund d ­ ieses Gewebes, dass der Deckel ursprünglich innen mit einem roten Seidenstoff bespannt war.18 Seidenbezogene Innendeckel sind für Evangeliare seit dem vgl. Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, Ausst. Kat. Dom- und Diözesanmuseum Hildesheim, hg v. Michael Brandt und Arne Eggebrecht, 2 Bde., Hildesheim 1993, Bd. 2, S. 432 f., Kat. Nr. VI-86 (Arne Effenberger / Regula Schorta). 14 Siehe dazu den Beitrag von Anna Pawlik in ­diesem Band. – Vgl. Bernhard Bischoff: Mittelalterliche Schatzverzeichnisse I. Von der Zeit Karls des Großen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, München 1967, S. 44 f., Nr. 36. – Das Schatzverzeichnis des Küsters Gerhard Putman von 1431 im Darmstädter Evangeliar aus St. Georg siehe Anna Pawlik in d ­ iesem Band mit weiterführender Literatur. – Vgl. Harald Wolter-­von dem Knesebeck: Das Kölner Evangeliar von St. Georg als liturgische Prachthandschrift. Gründungsurkunde und zeitgeschichtliches Dokument, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische ­Kirchen Köln 32 (2017), S. 40 – 56, hier S. 45. 15 Ein umfangreicheres Schatzverzeichnis, das der letzte Thesaurar des Stiftes, Gerhard Putman, auf fol. 1r des Darmstädter Evangeliars im Jahr 1431 eintrug und das die unter der Aufsicht des Thesaurars befindlichen Reliquiare sowie das liturgische Gerät der ­Kirche auflistet, nennt hingegen zwei versilberte Plenarien mit zugehörigen Kissen: „Item duo plenaria deargentata cum eorum cussinis“. Vgl. Manfred Groten: Schatzverzeichnisse des Mittelalters, in: Ornamenta Ecclessiae. Kunst und Künstler der Romanik, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Anton Legner, 3 Bde., Köln 1985, Bd. 2, S. 149 – 154, S. 152 – Siehe den Beitrag von Anna Pawlik in diesem Band. 16 Durchgeführt am CICS (Cologne Institute for Conservation Sciences) an der TH Köln, Prof. Hans ­Portsteffen. 17 Vgl. den Beitrag von Annemarie Stauffer in ­diesem Band. 18 Anton von Euw: Die Handschriften und Einzelblätter des Schnütgen-­Museums Köln, Köln 1997, S. 27 – 37.

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg | 271

Frühmittelalter belegt.19 Sie finden sich zudem in Gestalt von textilartig gemusterten Miniaturseiten in zahlreichen Evangeliaren des 10./11. Jahrhunderts als Auszeichnung des Beginns der einzelnen Evangelien, so im berühmten Codex Aureus von Echternach aus der Zeit um 1050 (Nürnberg, GNM, Hs.156142).20 Als kostbares Gewebe umhüllen die Seiden hier zeichenhaft das Gotteswort, markieren die Schwelle zum heiligen Text,21 zum textus evangelium, wie das Evangeliar seit dem 11./12. Jahrhundert in den Quellen bezeichnet wird.22 Mit Annemarie Stauffer jedoch zeigt der farbige Abklatsch auf dem ursprünglich als Vorderspiegel am Innendeckel befestigten fol. 1r des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg, dass das Samitgewebe nur 2,7 bis 3,5 cm auf den Innendeckel umgeschlagen war. Er wurde so um die Deckelkante auf dem Außendeckel herumgeführt und überzog diesen ursprünglich außen. Die seidene Bekleidung der Außenseiten mittelalterlicher Buchdeckel ist aufgrund der starken Beanspruchung d ­ ieses fragilen Materials durch langjährige Nutzung nur selten erhalten und oft, wie hier, nur noch anhand von Resten zu erschließen.23 Weitere Aufschlüsse hinsichtlich der Gestaltung der Buchdeckel des Jüngeren Evangeliars von St. Georg geben die im November 2017 erstellten Röntgenaufnahmen: Diese zeigen jeweils auf der Außenseite des Vorder- wie des Rückdeckels umlaufend regelmäßig eng gesetzte, feine Metallstifte als Reste von metallenen Nägeln; ebenso dicht gesetzte 19 Vgl. Leonie von Wilckens: Zur Verwendung von Seidengeweben des 10. bis 14. Jahrhunderts in Bucheinbänden, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 53 (1990), S. 425 – 442. – Zu den Buchdeckeln des Lindauer Evangeliars (New York, Pierpont Morgan Library, M.1) vgl. Ganz 2015 (wie Anm. 4), S. 135 – 141. 20 Vgl. Anna Bücheler: Textile Ornament and Scripture Embodied in the Echternach Gospel Books, in: Clothing the Sacred. Medieval Textiles as Fabric, Form, and Metaphor, hg. v. Mateusz Kapustka und Warren T. Woodfin (Textile Studies, Bd. 8), Emsdetten 2015, S. 149 – 175. 21 Vgl. Ganz 2015 (wie Anm. 4), S. 148 – 150. 22 Vgl. Thomas Lentes: ‚Textus Evangelii‘. Materialität und Inszenierung des ‚textus‘ in der Liturgie, in: ‚Textus‘ im Mittelalter. Komponenten und Situationen des Wortgebrauchs im schriftsemantischen Feld, hg. v. Ludolf Kuchenbuch und Uta Kleine (Veröffentlichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte, Bd. 216), Göttingen 2006, S. 133 – 148. 23 von Wilckens 1990 (wie Anm. 19), S. 439 weist auf Seidenfragmente auch am Essener Theophanu-­ Einband sowie auf die Verwendung von Seidenstoffen für Bamberger Prachteinbände hin. Vgl. beispielsweise den mit byzantinischem Seidenbrokat überzogenen Einbanddeckel einer Amalar-­Handschrift (Bamberg, Staatsbibliothek, Lit. 131) sowie den Einband des von Heinrich II . dem Dom gestifteten Evangelistars aus Seeon (Bamberg, Staatsbibliothek, Bibl. 95). Vgl. Gude Suckale-­Redlefsen: Die Handschriften des 8. bis 11. Jahrhunderts der Staatsbibliothek Bamberg (Katalog der illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg, Bd. 1), 2 Bde., Wiesbaden 2004, Bd. 1, S. 108 – 111, 177 u. 181 f. Zahlreiche weitere Handschriften der Stiftung Heinrichs II. für den Bamberger Dom weisen Seidenstoffe auf, so das Reichenauer Evangeliar Ottos III. (München, BSB, Clm 4453), nur Fragmente an den Deckelkanten das Reichenauer Sakramentar (BSB, Clm 4456), das Reichenauer Evangeliar (Clm 4451) sowie das Fuldaer Sakramentar (Bamberg, Staatsbibliothek Lit.1). Vgl. von Wilckens 1990 (wie Anm. 18), S. 435 – 439. – Prachteinbände 870 – 1685. Schätze aus dem Bestand der Bayerischen Staats­ bibliothek München, Ausst. Kat. Bayerische Staatsbibliothek München 2001, bearb. v. Béatrice Hernad, München 2001, Kat. Nr. 2, 3 u. 6.

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Abb. 74: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, Röntgenaufnahme des Vorderdeckels.

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Abb. 75: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), St. Georg, Köln, Röntgenaufnahme des Rückdeckels.

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Metallstifte sind an der Stoßkante des Vorder- und Rückdeckels zu erkennen (Abb. 74 und 75). Mit Doris Oltrogge belegt dies, dass die Nägel einst zur Fixierung eines metallenen, an den Kanten umgebogenen und fixierten Beschlags dienten. Dieser dürfte nicht nur die bei Benutzung des Evangeliars stark beanspruchten Kanten des Einbands geschützt haben, sondern auch den seidenbespannten Rückdeckel, der keine weiteren Benagelungsspuren aufweist.24 Einzig auf dem Vorderdeckel sind in der Röntgenaufnahme weitere Nagelspuren horizontal oberhalb und – einige wenige – unterhalb der zentralen Vertiefung für das Walrosszahnrelief zu erkennen. Die sieben Teile des Reliefs selbst sind heute durch Nägel und eine Verklebung am Holzdeckel befestigt, nach Einschätzung von Anke Freund aber ursprünglich wohl mit feinen Dübeln aus Elfenbein oder Walrosszahn gesichert worden.25 Die Nagelspuren weisen darauf hin, dass der Beschlag der Vorderseite das Relief aussparte und vermutlich an der Ober- und Unterkante fixiert wurde.26 Hinweise auf die Gestalt und Materialität dieser anhand der Nagelung erschließbaren Metallplatte liefert das erste erhaltene Sakristeiverzeichnis. Es erfasst hier „vnum plenarium auro contextum“. Daraus ist zu schließen, dass es sich entweder um einen Goldbeschlag handelte oder um einen vergoldeten Beschlag aus Silber oder Kupfer. Da der Vorderdeckel aber, wie die Textilfragmente belegen, zugleich mit einem Samitgewebe bezogen war, dürfte es sich bei der Zier des Vorderdeckels um eine durchbrochene Metallarbeit (opus interrasile) gehandelt haben, da andernfalls das kostbare Gewebe nicht sichtbar gewesen wäre. Die Schedula diversarum artium (Buch III , c. 71: De opere interrasili) erläutert diese Technik und empfiehlt sie auch zur Verwendung für Buchdeckel – bemerkenswerterweise als Schmuck für die Bücher der Armen („ornantur etiam libri pauperum“).27 Überlieferte Beispiele zeigen, dass opus interrasile im 11./12. Jahrhundert jedoch meist für ­Rückdeckel verwendet wurde, während die zugehörigen Vorderdeckel mit Elfenbeinreliefs und Edelsteinen 24 So die Deckel des Codex Aureus von Prüm (vor 1106, Trier, Stadtbibliothek, Cod. 1709, den Rückdeckel des zur Eidesleistung des Klerus der Mainzer Mauritiuskirche genutzten Evangeliars (Mainz, Stadtbibliothek Ms. II.3, 1. Hälfte 11. Jahrhundert) oder den Rückdeckel eines Evangelistars in Modena (Kapitelbibliothek, M. I. O.24), deren gravierte, vergoldete Kupferplatten nur durch Nägel an deren Außenkante am Buchdeckel befestigt sind. Vgl. Steenbock 1965 (wie Anm. 11), Nr. 70, 80 u. 83. 25 Freund/Pawlik 2017 (wie Anm. 3) schließt dies aus dem Umstand, dass keine spitzzulaufenden Nagellöcher erkennbar sind. 26 Vgl. die Befestigung des einteiligen, gravierten Rahmens aus Silberblech um das zentrale Elfenbein am Vorderdeckel des Fuldaer Sakramentars in Bamberg (Bamberg, Staatsbibliothek, Lit. 1, 1. Viertel 11. Jahrhundert) sowie den Vorderdeckel des nordfranzösischen Evangeliars (Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce 292, 1. Hälfte 11. Jahrhundert). Vgl. Steenbock 1965 (wie Anm.11), Nr. 16, S. 84 f., Abb. 25; Nr. 63, S. 154 – 156, Abb. 87. – Im Bereich oberhalb und zu Seiten des Reliefs sind beim Evangeliardeckel aus St. Georg keine weiteren Nagelspuren auszumachen; einige spiegelsymmetrisch im unteren Bereich platzierte Nägel könnten auf ein zentrales Rautenfeld und in den Ecken fixierte Zierelemente hinweisen. 27 Theophilus Presbyter: Schedula diversarum artium, hg. v. Albert Ilg (Quellenschriften für Kunstgeschichte, Bd. 7), Wien 1874, S. 280 – 283, hier S. 283.

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg | 275

Abb. 76: Sakramentar Heinrichs II. Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 4456, 1002 – 1012: Vorderdeckel.

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Abb. 77: Sakramentar Heinrichs II. Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 4456, 1002 – 1012: Rückdeckel.

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg | 277

verziert wurden, so zum Beispiel das Perikopenbuch und das Sakramentar Heinrichs II. in München aus dem ersten Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts (Clm 4452 und Clm 4456, Abb. 76 und 77).28 Darüber hinaus sind nur wenige Vorderdeckel mit einer Kombination von Elfenbein und Textileinband bekannt, wie etwa das karolingische Evangeliar aus der Würzburger Dombibliothek (Würzburg, Universitätsbibliothek, M. p.th. f. 66). In seinen Vorderdeckel ist ein byzantinisches Elfenbein des 10. Jahrhunderts mit einer Deesis-­Darstellung eingelassen und mit vergoldetem Silberblech eingefasst, der Deckel ist mit byzantinischem Golddamast überzogen (Abb. 78).29 Vergleichbar ist auch der Vorderdeckel eines vor 983 in Corvey entstandenen Sakramentars, dessen zentrales Elfenbeinrelief aus der Hofschule Karls des Kahlen seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts von gestanzten Silberblechen mit Blattdekor eingerahmt wird, dessen Vorderdeckel ursprünglich aber einen textilen Bezug besaß, wie am Rücken und an Fehlstellen des Beschlags noch erkennbar ist.30 Die Verbindung von Walrosszahn- oder Elfenbeinrelief und opus interrasile-­Rahmen aber war dem erhaltenen Bestand nach offenbar eher selten. Dem Aufwand nach steht diese Form der Einbandzier z­ wischen überaus kostbaren Evangeliareinbänden mit Elfenbeinreliefs, Goldoder Silbertreibarbeiten und Edelsteinzier einerseits und günstigen opus interrasile-­Arbeiten (aus vergoldetem Kupfer) des 11./12. Jahrhunderts andererseits.31 Das Zusammenspiel von 28 Siehe auch die Rückdeckel des Bernward-­Evangeliars (Hildesheim, Domschatz, DS 18), des Evangeliars aus Metz, 1. Hälfte 11. Jahrhundert (Paris, Bibliothèque nationale de France, lat 9453), des Evangelistars Heinrichs II. (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4452) und seines Sakramentars, Anfang 11. Jahrhundert (Ebd., Clm 4456), des Burkard-­Evangeliars, 2. Hälfte 11. Jahrhundert (Würzburg, Universitätsbibliothek, M. p. theol.fol. 68) sowie des Evangeliars in New York, Mitte 11. Jahrhundert (Pierpont Morgan Library, M 827). Vgl. Steenbock 1965 (wie Anm. 11), Nr. 49, S. 129 – 131, Abb. 68, 69; Nr. 50, S. 131 – 133, Abb. 70, 71; Nr. 60, S. 149 – 151, Abb. 83, 84; Nr. 69, S. 161 f., Abb. 96; Nr. 71, S. 163 f., Abb. 98, 99. 29 Für den Hinweis auf das Würzburger Evangeliar danke ich Doris Oltrogge. Vgl. http://vb.uni-­ wuerzburg.de/ub/mpthf66/ueber.html (22. März 2019) mit Digitalisat und Bibliografie. 30 Für den Hinweis danke ich Karin Eckstein. Vgl. Karin Eckstein: Der Einband des Sakramentars aus dem Domschatz von Verdun (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 10777), in: Einbandforschung. Informationsblatt des Arbeitskreises für Erfassung, Erschließung und Erhaltung historischer Bucheinbände 40 (2017), S. 12 – 27, hier S. 16 u. 20: Der aus der Entstehungszeit des Sakramentars stammende Textilbezug des Deckels wurde wohl wegen starker Abnutzung im Spätmittelalter durch Silberbleche ersetzt und der Rückbereich durch Schafleder überzogen; auch hier finden sich Spuren von kupferhaltigen Nägeln, die auf einen Metallbeschlag hindeuten, entlang der Blatt- und Falzkanten sowie bei den Elfenbeintafeln. 31 Auch der (ursprüngliche Vorder-)Deckel des Evangeliars aus dem Kölner Stift St. Mariengraden (Köln, Diözesan- und Dombibliothek, Hs. 1a) wurde, wie anhand einer Vertiefung im Holz zu folgern ist, durch ein Elfenbeinrelief geschmückt; zahlreiche Nagelspuren weisen auf eine Metallbekleidung hin, schwarze Textilreste und Nagelspuren auf opus interrasile als Zier des ursprünglichen Rückdeckels. Für den Einband des kleineren zweiten, nur mit Federzeichnungen der Evangelisten versehenen Evangeliars des Mariengraden-­Stiftes in Darmstadt (Hessische Landesbibliothek, Hs. 544) wurde hingegen nur ein

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Abb. 78: Karolingisches Evangeliar, Universitätsbibliothek Würzburg, M. p.th. f. 66: Einband.

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farbiger Seide und vergoldeten Gravuren mit dem plastischen Walrosszahnrelief verlieh dem Evangeliar eine würdige Erscheinung. Gold für Treibarbeiten sowie Edelsteine aber waren in dieser Zeit in St. Georg, dem jüngsten der Kölner Stifte, offenbar nicht verfügbar.

2. Der erneuerte Einband des späten 15. Jahrhunderts Im späten 15. Jahrhundert wurde das Jüngere Evangeliar aus St. Georg ebenso wie seine Schwesterhandschrift in Darmstadt neu gebunden. Rücken und Rückdeckel wurden nun mit rotbraunem Schafsleder bezogen, das noch etwa fünf Zentimeter auf den Vorder­deckel übergreift.32 Die Vorderdeckel beider Evangeliare erhielten eine neue, von derselben Künstlerhand gravierte, vergoldete bzw. versilberte Kupferplatte, die das Kreuzigungsrelief in der Mitte ausspart und zugleich rahmt. Die vergoldete Kupferplatte des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg zeigt in Gravuren oben den von Engeln verehrten, thronenden Gottvater, seitlich Maria und Erzbischof Anno II. auf Konsolen unter Baldachinen, unten den Drachen­kampf des hl. Georg, der Hauptpatron des Stiftes.33 Dekorativ zur Mitte hin orientiert wurden in den vier Ecken der Platte längliche, gemugelte Bergkristalle in blattkranzförmigen Fassungen platziert, umrahmt von ovalen Gravuren. Für spätmittelalterliche Einbände ist eine derartige Verwendung von Bergkristallen ungewöhnlich, im 12. Jahrhundert, in dem diese Technik der Bergkristallbearbeitung insbesondere in Köln gepflegt wurde, hingegen für Seidengewebe mit opus interrasile-­Beschlag verwendet. Für diesen Hinweis danke ich Doris Oltrogge. Vgl. Doris Oltrogge: Zur Herstellung der Handschrift. Ergebnisse der kodikologischen und maltechnischen Untersuchung, in: Klaus Gereon Beuckers: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden. Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei, Luzern 2018, S. 139 – 154, hier S. 149 – 153 sowie zum Einband dort S. 39 – 46 (Klaus Gereon Beuckers). – Glaube und Wissen im Mittelalter, Ausst. Kat. Erzbischöfliches Diözesanmuseum Köln, hg. v. Joachim Plotzek, Köln 1998, Nr. 78 (Ulrike Surmann). – Kurt Hans Staub / Hermann Knaus: Die Handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Bd. 4, Wiesbaden 1979, Nr. 17. – Die Sammlungen des Baron von Hüpsch. Ein Kölner Kunstkabinett um 1800, Ausst. Kat. Schnütgen-­Museum Köln, hg. v. Hermann Schnitzler, Köln 1964, Kat. Nr. 57 (Hermann Knaus). 32 Vgl. den Untersuchungsbericht von Doris Oltrogge 2017 (wie Anm. 3). Die Metallkanten der Platte sind umgebogen, an der Vorderkante, die mit einer gravierten Laubwerkranke verziert ist, die die Aussparungen für die beiden Schließen berücksichtigt, jedoch abgebrochen. – Zu Buckeln und Schließen vgl. den Beitrag von Doris Oltrogge in ­diesem Band. 33 Zu den Altarpatrozinien von St. Georg vgl. Corsten 1948 (wie Anm.1), S. 106 – 109: 1067 wurde der Hochaltar von Erzbischof Anno II. dem hl. Georg geweiht, 1309 ein Marienaltar in der Krypta gestiftet; dem 1183 kanonisierten und in der Bischofschronik des Jüngeren Evangeliars von St. Georg fol. 169r in Majuskeln hervorgehobenen und als Heiliger („sanctus“) bezeichneten Anno, dessen Reliquien (in einem Armreliquiar, Anno-­Kasel mit zugehörigen Stolen und Manipeln sowie ein hölzernes Bildnis Annos mit dessen Reliquien das Schatzverzeichnis von 1431 nennt (vgl. Groten 1985 (wie Anm. 15), S. 151 f. und den Beitrag von Anna Pawlik in d ­ iesem Band) war allerdings kein eigener Altar in St. Georg geweiht. Der Gottesdienst am Annofest wurde am bereits 1188 bezeugten Katharinenaltar im Westturm gehalten.

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Buchdeckel üblich.34 Da ein Hinweis auf Edelsteinzier in den älteren Beschreibungen der Evangeliare (Plenarien) in den Schatzverzeichnissen von St. Georg fehlt, ist jedoch fraglich, ob die Bergkristalle bereits vom älteren Einband des 12. Jahrhunderts stammen oder erst im Zuge der Neubindung des Evangeliars erworben und ergänzt werden, um das hohe Alter des Einbands und der Handschrift anzuzeigen. Auch die Gravuren des Vorderdeckels weisen hinsichtlich Gliederung und Bildthemen eine auffällige Nähe zu Einbänden der Mitte des 11. Jahrhunderts auf, so zum Vorder­ deckel eines Evangeliars in Oxford 35 sowie zum bereits erwähnten Vorderdeckel des Essener Theophanu-­Evangeliars, bei dem getriebene Goldreliefs das zentrale Kreuzigungsrelief rahmen (Abb. 73):36 Oben thront hier Christus in einer Gloriole, die von verehrenden Engeln präsentiert wird; seitlich des zentralen Reliefs stehen je zwei Heilige unter Arkaden, oben die Apostelfürsten Petrus und Paulus, darunter die Essener Stiftspatrone Cosmas und Damian; in der Mitte unten thront Maria ­zwischen Säulen mit geöffneten Vorhängen; zu ihren Füßen kniet die Stifterin Theophanu abbatissa (amt. 1039 – 1058), die Maria durch die Heiligen Pinnosa und Waldburga empfohlen wird. Für die Neugestaltung des Vorderdeckels des Jüngeren Evangeliars von St. Georg könnten somit Einbände der Mitte des 11. Jahrhunderts als Anregung gedient haben. Denkbar ist, dass schon der (opus interrasile-)Rahmen des alten Einbands eine gravierte Darstellung Gottes und des Patrons aufwies, vielleicht ergänzt um die Evangelistensymbole. Ebenso plausibel scheint jedoch, ähnlich wie in Hinblick auf die Bergkristalle des Vorderdeckels, ein gezielter retrospektiver Verweis auf das Alter und 34 Zur Bergkristallwerkstatt in Köln vgl. Kat. Paderborn 2006 (wie Anm. 5), Bd. 2, Kat. Nr. 293 (­ Markus Trier / Jens Berthold); die Bergkristalle oben rechts und unten links weisen einen Mittelgrat auf. Vgl. Oltrogge 2017 (wie Anm. 3). – Als Vergleich sei verwiesen auf das Kleine Bernward-­Evangeliar und das Ratmann-­Sakramentar Hildesheim sowie auf den Evangelistardeckel in Braunschweig (Herzog-­ Anton-­Ulrich Museum MA 56, Anfang 13. Jahrhundert). Vgl. Steenbock 1965 (wie Anm. 11), Nr. 96, S. 161 f., Abb. 96; Nr. 109, S. 209, Abb. 148. – Abglanz des Himmels. Romanik in Hildesheim, Ausst. Kat. Dom-­Museum Hildesheim, hg. v. Michael Brandt, Hildesheim 2001, Nr. 4.4 und Nr. 3.9. 35 Bodleian Library, Ms. Douce 292, Laon?, Mitte 11. Jahrhundert. Die Gravuren der vergoldeten Kupfer­ platte, die ein Elfenbeinrelief mit Majestas Domini-­Darstellung rahmt, zeigen oben in der Mitte den thronenden Christus, der in jeder Hand eine Krone hält (als ­­Zeichen der Verleihung des ewigen Lebens); Engel tragen seine Mandorla. Unterhalb des Elfenbeinreliefs erscheint unter dem von Türmen eingefassten Rundbogen über einem Wolkenband ein halbfiguriger Engel mit Spruchband (als Himmelswächter). Anstelle der Bergkristalle beim Jüngeren Evangeliar aus St. Georg sitzen hier in den Ecken des Rahmens unter Arkaden die schreibenden Evangelisten. Diese Rahmenmotive nehmen das Thema des zentralen Reliefs wieder auf. Zu dessen Seiten steht rechts ein weltlicher Stifter, über dessen Haupt eine Krone schwebt, links ein nimbierter Geistlicher, der ihn offenbar dem Weltenrichter empfiehlt. Vgl. Steenbock 1965 (wie Anm. 11), Nr. 63, S. 154 – 156, Abb. 87. – Ursula Nilgen: Der Codex Douce 292 der Bodleian Library zu Oxford, ein ottonisches Evangeliar, masch. schr. Diss. Bonn 1967, S. 17 – 21. – Michael Kautz 2014: http://www.ub.uni-­heidelberg.de/digi-­pdf-­katalogisate/sammlung50/werk/pdf/ bodleian_msdouce292.pdf (22. März 2019). 36 Zur Literatur vgl. Anm. 5.

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die Historizität des Evangeliars und zugleich des Stiftes durch die Wahl eines altertümlichen Einbandtypus. Ikonographie, Stil und Formvokabular der Gravuren hingegen sind an zeitgenössischen Werken orientiert, wie im Folgenden zu zeigen ist. Oberhalb des Gekreuzigten im Relief thront Gottvater auf einer Bank. Seine Linke ruht auf einem Globus mit bekrönendem Kreuz, der auf das Knie gestützt ist, die Rechte hebt er zum Segen und wendet sich leicht zur Seite, den Blick gesenkt. Der Kreuznimbus seiner mächtigen, vollbärtigen Gestalt berührt die ihn überfangende Rundbogenarkade mit angeschnittenen, sich kreuzenden Bögen. An diese schließt sich seitlich jeweils eine schmalere, krabbenbesetzte Maßwerkarkade an, unter der zur Mitte gewandt ein musizierender Engel mit Laute (links) und Fiedel (rechts) auf dem Kämpfer einer Säule steht.37 Die musizierenden Engel repräsentieren die Verehrung Gottes durch die himmlischen Chöre.38 Ihre schlanken, schreitenden oder im Kontrapost stehenden Gestalten erinnern entfernt an die musizierenden Engel auf den Baldachinen der Pfeilerfiguren des Kölner Domchors, mehr jedoch an die musizierenden Engel auf einem Kupferstich des Christus Salvator vom Meister E. S. (Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett).39 Die Handhaltung des thronenden Weltherrschers gleicht jener des Salvators als Weltenrichter im Fresko der Ostwand der Hardenrathkapelle in St. Maria im Kapitol (um 1470).40 Die Seitwärtswendung Gottes ist hingegen aus Marienkrönungen geläufig, wird aber bereits vom Meister E. S. (verst. 1469) sowie von Martin Schongauer (verst. 1491) auch für Stiche des segnenden, thronenden Gottes als Weltenherrscher verwendet (Abb. 79).41 Am Einband des Krönungsevangeliars (Wien, Weltliche Schatzkammer, Inv. Nr. XIII 18, Aachen, um 1500) 37 Vgl. Johann Michael Fritz: Gestochene Bilder. Gravierungen auf deutschen Goldschmiedearbeiten der Spätgotik (Beihefte der Bonner Jahrbücher, Bd. 20), Bonn 1966, S. 106 macht darauf aufmerksam, dass der Stecher die Saiten der Fiedel auszuführen vergaß. 38 Vgl. Karl-­August Wirth: Art. Engel, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte 5, Stuttgart 1967, Sp. 341 – 555. – http://www.rdklabor.de/wiki/Engel#C._Engel_als_Thronassistenten (22. März 2019). – Oskar Holl: Art. Engel, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1, Freiburg 1974, Sp. 626 – 642, hier Sp. 640. – Björn R. Tammen: Symbolische Kommunikation, institutionelle Repräsentation und die Visualisierung der Musik im Kölner Dom, in: Musik in der mittelalterlichen Metropole. Räume, Identitäten und Kontexte der Musik in Köln und Mainz ca. 900 – 1400, hg. v. Fabian Kolb (Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte, Bd. 179), Kassel 2016, S. 259 – 278. 39 Vgl. Janez Höfler: Der Meister E. S. Ein Kapitel europäischer Kunst des 15. Jahrhunderts, 2 Bde., Regensburg 2007, Bd. 1, S. 95 u. 139; Bd. 2, Abb. 57. 40 Zur Wandmalerei vgl. Susanne Ruf: Die Stiftungen der Familie Hardenrath an St. Maria im Kapitol zu Köln (um 1460 bis 1630). Kunst, Musikpflege und Frömmigkeit im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 8), Korb 2011, S. 153 – 159. 41 Vgl. Höfler 2007 (wie Anm. 39), Bd. 1, S. 94 f.; Bd. 2, Abb. 137 (um 1455/60) sowie Abb. 57 (1467). – Martin Schongauer. Das Kupferstichwerk, Ausst. Kat. Staatliche Graphische Sammlung München hg. v. Tilman Falk und Thomas Hirthe, München 1991, hier S. 75 – 77, Kat. Nr. 18 u. S. 104 – 106, Kat. Nr. 33 (Thomas Hirthe).

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Abb. 79: Martin Schongauer: Christus als Weltenherrscher, Staatliche Graphische Sammlung München, 1470 – 80.

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greift Hans von Reutlingen (verst. nach 1547) diese Wendung für die Darstellung Gottvaters auf, der hier die göttliche Urheberschaft des in der rahmenden Verkündigungsszene vollzogenen Heilswerks der Inkarnation anzeigt.42 Beim Jüngeren Evangeliar aus St. Georg aber gilt der Segen Gottes einerseits dem gekreuzigten Gottessohn zu seinen Füßen, andererseits der links neben der Kreuzigungsszene stehenden Maria mit dem nackten Jesuskind im linken Arm. Sie ist mit offenem gewelltem Haar als Jungfrau charakterisiert und trägt einen schweren Mantel, der ihre nach links gewandte Figur mit tief verschatteten Faltenzügen umspielt. Ihre Rechte, die sich aus einer Mantelschlinge hervorschiebt und den Unterschenkel des Kindes fasst, parallelisiert die Geste der verschleierten Maria unter dem Kreuz. Anstelle der auf die Brust gelegten Hand der Kreuzigungs-­Maria berührt ihre Linke die Brust des Kindes. So wird die Kreuzigungsszene des Walrosszahnreliefs künstlerisch und inhaltlich neu eingebettet: Die gravierte Madonnenfigur betont die menschliche Natur Christi; zugleich tritt Maria als Gottesmutter auf, deren von Simeon (Lk 2,35) geweissagte Schmerzen sich erfüllen, deren himmlische Erhöhung durch Gottes Segenshand jedoch ebenfalls angedeutet wird. Auch die Platzierung von Georgs Drachenkampf im Rahmen unterhalb des Kreuzfußes, an dem sich ein Drache krümmt, nimmt deutlich Bezug auf das ältere Relief. Die Überwindung des vom Drachen verkörperten Todes durch Christi Selbstopfer und Heilstat wird in der gravierten Kampfszene aufgegriffen und weitergeführt. Denn das Gift sprühende und todbringende Untier, Sinnbild des Teufels wie der Häresie, wird von dem ritterlichen Kämpfer überwunden, die Prinzessin und ihr Volk werden somit errettet und zum rechten Glauben geführt.43 Die betende Haltung der Prinzessin, hier rechts auf einem Hügel im Hintergrund plaziert, lässt sich jedoch auch als Versprechen lesen, dass der Heilige den Beter, der sich bittend an ihn wendet, schützt und verteidigt. Die Rüstung Georgs kann in Bezug auf Eph 6, 10 – 17 auch als Sinnbild der geistlichen Waffen des Glaubenskämpfers interpretiert werden.44 Georg springt im zeitgenössischen Feldharnisch mit Kinnschutz (Bart) und Helm mit weit ausgezogenem Nackenschutz (Schaller) zu Pferd nach links und stößt seine Lanze in den zurückgewandten Schlund des vor ihm fliehenden Drachen.45 Die hier gewählte, bildparallele Komposition von Georgs Drachenkampf ist im Spätmittelalter verbreitet. Insbesondere die Rückwendung des wegkriechenden Drachen mit seinem langen, geringelten 42 Vgl. Spätgotik und Renaissance, hg. v. Katharina Krause (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland 4), München 2007, S. 373 f., Nr. 131 (Michael Peter). 43 Art. Georg II . Westen, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 6, Freiburg 1974, Sp. 374 – 390 ­(Stefan Braunfels). 44 Zur Deutung vgl. Susanne Wittekind: Die Makkabäer als Vorbild des geistlichen Kampfes. Eine kunsthistorische Deutung des Leidener Makkabäer-­Codex Perizoni 17, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 37 – 71, hier S. 52 – 58. 45 Vgl. die Darstellung des hl. Georg auf der 1470 von einem Bamberger Kanoniker gestifteten, gravierten Agnus-­Dei-­Kapsel – vgl. Fritz 1966, (wie Anm. 37), Kat. Nr. 496 u. Abb. 156.

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Abb. 80: Ludwig Schongauer: Georgs Drachenkampf, Museum der bildenden Künste Leipzig, um 1480.

Schwanz erscheint in einer Ludwig Schongauer (verst. 1494) zugeschriebenen Zeichnung (Abb. 80)46. Die Ausrichtung der Kampfszene nach links rückt das Schwert Georgs ins Bildzentrum. Darin könnte eine lokale Anspielung auf das im Schatz von St. Georg aufbewahrten Schwert und den Dolch liegen, die beide dem Schatzverzeichnis von 1431 nach zu einer Figur des hl. Georg gehörten und dieser am Georgsfest (16. November) sowie am Translationsfest der Georgs-­Reliquie (23. April) angelegt wurden.47 46 Leipzig, Museum der bildenden Künste, Inv.-Nr. NI. 50. – Vgl. auch den Federbusch des Pferdes; die Zeichnung Schongauers stellt jedoch einen späteren Moment dar, denn hier steckt eine abgebrochene Lanzenspitze im Maul des Drachens, Georg aber schwingt sein Schwert; die Stadt liegt hinter ihm, die Prinzessin vor ihm reißt die Arme empor. Ein Stich Martin Schongauers hingegen zeigt den Lanzenstich Georgs, doch liegt der Drache hier auf dem Rücken. Vgl. Kat. München 1991 (wie Anm. 39), S. 146, Nr. 57 (Thomas Hirthe). – Zu Martin und Ludwig Schongauer vgl. Christian Heck: Schongauer Family, in: Grove Art online, 2003: https://doi.org/10.1093/gao/9781884446054.article.T076738 (22. März 2019). 47 Vgl. Corsten 1948 (wie Anm. 1), S. 105 u. 112. Die Figur ist nicht erhalten, zu den übrigen Anno-­ Reliquien siehe auch den Beitrag von Anna Pawlik in ­diesem Band.

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Gegenüber der Muttergottes steht rechts des Kreuzigungsreliefs ein nimbierter Bischof mit Mitra und Bischofsstab auf einer Konsole unter einem Baldachin. Das Kirchenmodell in seiner Rechten weist ihn als Kirchenstifter aus, somit als Erzbischof Anno II. (amt. 1056 – 1075). Der Ende des 12. Jahrhunderts ins Evangeliar eingetragene Kölner Bischofskatalog rühmt diesen (fol. 169r) als „flos et nova lux totius germaniae“ und Erbauer vieler ­Kirchen („plures ecclesias quas in diversis locis construxit“), nimmt jedoch noch keinen direkten Bezug auf das Stift St. Georg. Dies ist insofern bemerkenswert, als die zur Heiligsprechung Annos II. im Jahr 1183 in Siegburg verfasste „Vita Annonis minor“ St. Georg ausdrücklich als Werk Annos lobt und ausführlich berichtet, wie Anno eine Georgsreliquie aus St. Pantaleon nach St. Georg überführt und die ­Kirche geweiht habe (II .12).48 In St. Georg jedoch genoss Anno II. große Verehrung: Das Schatzverzeichnis von 1431 führt die Anno-­Reliquien des Georgsstiftes, d ­ arunter eine Kasel mit zugehörigen Stolen und Manipel, direkt nach jenen Objekten auf, die dem Hauptpatron Georg gehören, noch vor Reliquien des Caesarius und des Märtyrers ­Theodor.49 Mit dem hier genannten Gewand ist eine Kasel aus rotem byzantinischen Seidensamit aus der Zeit um 1000 aus dem Besitz von St. Georg zu identifizieren. Der Schnittrekonstruktion von Annemarie Stauffer zufolge handelte es sich ursprünglich um eine Glockenkasel, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dem zeitgenössischen Schnitt mit schmalerem und kürzerem Vorderteil gemäß verändert wurde.50 Vielleicht zeigt die Gravur des Evangeliardeckels in Kenntnis dieser in St. Georg als Reliquie verehrten Anno-­Kasel den Heiligen noch mit der (altertümlichen) Glockenkasel bekleidet, die an seinen Armen hochgeschoppt ist.51

48 Vita annonis minor. Die jüngere Annovita lateinisch-­deutsch (Siegburger Studien, Bd. 10), hg. v. Mauritius Mittler, Siegburg 1975, hier zu St. Georg S. 28 – 33. – Zur Konstruktion des Annobildes vgl. Susanne Wittekind: Bischöfliche Leichenprozessionen im Hochmittelalter oder die Inszenierung des Bischofs als Stadtherr, Büßer und Heiliger, in: Raum und Performanz. Rituale in Residenzen von der Antike bis 1815, hg. v. Dietrich Boschung, Karl-­Joachim Hölkeskamp u. Claudia Sode, Stuttgart 2015, S. 279 – 308. 49 Zum Schatzverzeichnis siehe den Beitrag von Anna Pawlik in ­diesem Band. 50 Köln, Museum Schnütgen, Inv. Nr. P 1. Vgl. den Beitrag von Anna Pawlik in ­diesem Band. – Die Kölner Borten des 15. Jahrhunderts wurden vermutlich erst im späten 19./20. Jahrhundert ergänzt – Vgl. Gudrun Sporbeck: Die liturgischen Gewänder 11. – 19. Jahrhundert (Sammlungen des Museum Schnütgen, Bd. 4), Köln 2001, S. 55 – 62, Nr. 1 (Gudrun Sporbeck / Annemarie Stauffer). – Lucie Hagendorf-­N ussbaum: Die Geschichte von St. Georg und die südliche Vorstadt, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische ­Kirchen Köln 32 (2017), S. 8 – 22, hier S. 12 f. 51 Anspielungen auf in Siegburg (St. Servatius) bewahrte Anno-­Reliquien hingegen fehlen, also das Pallium Annos II. (vgl. Sporbeck 2001 (wie Anm. 50), S. 56) sowie der Anno-­Stab aus der 2.Hälfte des 11. Jahrhunderts, dessen Elfenbeinkrümme in einem Schlangenkopf mündet, in dessen geöffnetem Maul ein Vogel sitzt. Um 1600 wurde dieser in Siegburg als Anno-­Reliquie verehrt. Vgl. Kat. Paderborn 2006, Bd. 2, Nr. 89 (Clemens M. M. Bayer). In der Gravur des Buchdeckels ist die Krümme des Bischofsstabs jedoch in zeitgenössischen Formen mit Blattranken-­Füllung gestaltet.

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Abb. 81: Israhel van Meckenem: Tod der Lucretia, Staatliche Graphische Sammlung München, um 1500.

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Die Untersuchung des gravierten Bildprogramms des Vorderdeckels macht deutlich, dass dessen Gesamtanlage auf hochmittelalterliche Einbände rekurriert, dass das Bildprogramm des Rahmens thematisch und kompositorisch auf das zentrale Relief des 11. Jahrhunderts abgestimmt wird, möglicherweise darüber hinaus auch auf spezielle Objekte im Schatz von St. Georg anspielt. Der Künstler beherrscht das aktuelle künstlerische Formrepertoire und zieht Kompositionen wie Ornamentik zeitgenössischer Kupferstiche als Anregung heran. Dies gilt auch in stilistischer Hinsicht, denn insbesondere die Gewandbildung der Figuren ähnelt jener von Heiligen in Kupferstichen Schongauers, so die tief verschatteten Schüsselfalten, die bei der Kasel Annos teils weich gemuldet, teils scharf gebrochen gebildet sind, beim Mantels Marias im treppenförmig herabfallenden Mantelsaum ein Gegengewicht finden und mit dem vertikal fließenden Untergewand kontrastieren. Bereits Johann Michael Fritz wies auf die Nähe der Gravur auf den Evangeliareinbänden aus St. Georg zu den Kupferstichen dieser Zeit hin sowie generell auf den Umstand, dass diese ersten Kupferstecher offenkundig aus dem Goldschmiedegewerbe kamen.52 Insbesondere Rahmen- und Schmuckformen aus Blattornament und Maßwerk kehren zu dieser Zeit in verschiedenen Medien wieder; sie zeigen einen Motivaustausch ­zwischen künstlerischen Gewerken an. Dies lässt sich auch an Schmuckelementen des Evangeliardeckels aus St. Georg beobachten: Die Arkadenzier über dem segnenden Gottvater in Gestalt angeschnittener, sich kreuzender Bögen verwendet der Graveur auch am zweiten Evangeliardeckel aus St. Georg in Darmstadt, hier jedoch an der Konsole des Hl. Liborius (Abb. 72). Das Motiv ist Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts als Figurenrahmung weit verbreitet.53 Spezifischer ist das Maßwerkmotiv der beiden Engelsarkaden: hier berührt die Spitze eines Kielbogens den Scheitel des überfangenden Rundbogens, aus dem ein ¾-Kreisbogen hervorgeht, der den Kielbogen überschneidet, sich nach unten hin aber öffnet. Dieses Motiv kehrt auch im Maßwerkfenster des Kupferstichs ‚Der Tod der Lucretia‘ (um 1500) von Israhel van 52 Vgl. Fritz 1966 (wie Anm. 37), S. 108 – 110 mit Verweis auf Schongauer, zur Herkunft des Kupferstichs aus der Gravur S. 383 – 420. – Die Forschung diskutiert, ob Schongauers Stiche eines Bischofsstabs sowie eines Rauchfasses als Entwürfe bzw. Modelle für Goldschmiedearbeiten dienten oder real existierende abbilden, vgl. Kat. München 1991 (wie Anm. 41), Nr. 105 u. 106 (Tilman Falk). – Dies gilt auch für den Stich eines Deckelpokals von Israhel van Meckenem, der auch als Goldschmied belegt ist. Vgl. Achim Riether: Israhel van Meckenem, Kupferstecher zu Bocholt, in: Israhel van Meckenem (um 1440/45 – 1503). Kupferstiche. Der Münchner Bestand, Ausst Kat. Staatliche graphische Sammlung ­München, hg. v. Achim Riether, München 2006, S. 11 – 15 zur Verwandtschaft von Gravur und Kupferstich, zum Deckelpokal S. 19 f. 53 Vgl. Fritz 1966 (wie Anm. 37), Monstranz, von 1507, Breitenbrunn (Nr. 101); Nürnberger Reliquiar, Anfang 16. Jahrhundert, Krakau, Marienkirche (Nr. 399); Reliquiar, 1510, Posen, Dom (Nr. 572); Monstranz, Anfang 16. Jahrhundert, Tiefenbronn (Nr. 704), vgl. Israhel van Meckenem, Apostelpaare; vgl. Kat. München 2006 (wie Anm. 52), S. 235 – 237, Nr. 80 u. 82; vgl. Soldatenreliefs des Heiligen Grabes in Gengenbach 1505. – Zum Älteren Evangeliar aus St. Georg in Darmstadt vgl. oben Anm. 5.

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Abb. 82: Hl. Martin, Dom St. Viktor in Xanten, um 1480.

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Meckenem wieder (Abb. 81).54 Die Formen der Baldachine und der von einem Blattkranz umgebenen Konsolen der Madonna und Bischof Annos II. hingegen erinnern an jene der Pfeilerfiguren im Mittelschiff von St. Viktor in Xanten aus der Zeit um 1480 (Abb. 82).55 Diese Beispiele zeigen, dass der Graveur des Einbands von St. Georg das zeitgenössische Repertoire skulpturaler wie graphischer Gewand- und Zierformen beherrschte und frei zu variieren verstand.

3. Zum möglichen Auftraggeber des neuen Einbands Abschließend ist zu fragen, in welcher Situation oder auf wessen Initiative hin die Neubindung des Evangeliars aus St. Georg und die Erneuerung seines Einbands im späten 15. Jahrhundert erfolgte. Einen Hinweis bietet der Einband des Älteren Evangeliars aus St. Georg in Darmstadt, der offensichtlich als Pendant zum Jüngeren Evangeliar gestaltet wurde und Gravuren derselben Künstlerhand aufweist, jedoch versilbert ist.56 Wie beim Vorderdeckel des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg sind auch hier zu Seiten des ­zentralen Kreuzigungsreliefs Heiligenfiguren auf Konsolen unter Baldachinen plaziert: Links steht der Stiftspatron Georg im Harnisch über dem Drachen, dem er die Lanze ins Maul sticht, rechts ein Bischof mit Mitra, Pluviale und Bischofsstab, der in seiner Rechten auf einem Buch drei Steine präsentiert und durch ein Schriftband als „sanctus Liborius“ identifiziert wird. Seit der Überführung von Reliquien des vierten Bischofs von Le Mans 836 nach Paderborn wurde Liborius dort verehrt, um 888 wurde dort eine Liborius-­Vita verfasst.57 Mitte des 12. Jahrhunderts löste Liborius Kilian als Nebenpatron von Paderborn ab und wurde zum Mitpatron des Hochaltars im Ostchor des Paderborner Doms. Außerhalb der Paderborner Diözese war seine Verehrung begrenzt, doch fand Liborius im 12./13. Jahrhundert immerhin Eingang in die Kalender der alten Kölner Stifte des Doms, von St. Severin und St. Gereon. In St. Georg aber führte erst der aus der Diözese Paderborn stammende Kanoniker Heinrich Manegold (verst. 1505) die Verehrung des Liborius durch eine Memorien-­Stiftung 54 Vgl. Kat. München 2006 (wie Anm. 52), S. 267 f., Nr. 129. – Béatrice Hernad: Meckenem Family, in: Grove Art online, 2003: https://doi.org/10.1093/gao/9781884446054.article.T056328 (22. März 2019). 55 Vgl. Richard Klapheck: Der Dom zu Xanten und seine Kunstschätze, Berlin 1930, S. 78 – 84 (mit Abb.). 56 Zur Präsentation älterer Evangeliare und Evangelistare durch ihre spätmittelalterliche Neubindung als Pendants vgl. Wittekind 2017 (wie Anm. 5), S. 187. 57 Vgl. Volker de Vry: Liborius. Brückenbauer Europas. Die mittelalterlichen Viten und Translationsberichte, Paderborn, München 1997, S. 10 f., zur Liborius-­Verehrung im 15.Jh. S. 31 u. 33 f.: 1440 nahm der Kreuzbruder Conrad von Gronenberg Liborius‘ Vita in sein Legendar auf, 1460 der Kölner ­Kartäuser Hermannus Greven aus Geseke bei Paderborn in seines; 1463 übersetzte eine Schwester des Kölner Schelenkonvents die Liborius-­Vita ins Mittelniederdeutsche.

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zum Liboriusfest (20. Juli) ein.58 Heinrich Manegold hatte sich 1461 zum Jurastudium in Köln immatrikuliert und wurde 1469 Lizentiat der Rechte. Aufgrund wissenschaftlicher Verdienste erhielt er 1472 von Papst Sixtus IV. (amt. 1471 – 1484) Kanonikate in Busdorf und in Kerpen. 1474 trat er in der Zeugenliste einer Urkunde als Kanoniker von St. Georg auf, direkt nach dem Rektor der Universität und vor anderen Hochschullehrern. Im gleichen Jahr wurde er in Köln zum Doktor des kanonischen und römischen Rechts promoviert. Das Kanonikat an St. Georg bekam er vermutlich gemäß eines Privilegs Bonifaz IX. von 1394 zugesprochen, das die elf Kölner Stiftskirchen dazu verpflichtete, je ein Kanonikat für einen Universitätslehrer vorzubehalten.59 In St. Georg wurden seit 1437 sogar zwei Präbenden vom Rektor der Universität besetzt. Anders als in den älteren Stiften Kölns stammten die Kanoniker von St. Georg zumeist aus dem Bürgertum oder Patriziat. Seitdem die Güter von Propst und Kapitel durch Vertrag 1171 getrennt worden waren, oblag dem Propst die äußere Repräsentanz, dem Stiftsdechanten aber die Verwaltung der inneren Stiftsangelegenheiten; der Scholaster nahm nach ihm den höchsten Rang ein – Heinrich Manegold hatte d ­ ieses Amt 1492 bis 1499 inne und stieg dann zum Propst von St. Georg auf. Als familiarius und protonotarius des Papstes erhielt er rasch weitere Kanonikate, so in Münster­eifel (1477) und am Kölner Dom (1479), letzteres als einer der Siebenpriester, die nichtadliger Herkunft sein durften. 1479 bestimmte ihn Sixtus IV. zudem zum Nachfolger des gelehrten Juristen Dr. Heinrich von Haxthausen als Dompropst von Paderborn; doch das adlige Domkapitel verweigerte dem nichtadligen Manegold die Anerkennung. Erst 1481 kam es durch den Verzicht Manegolds auf die Einkünfte der Paderborner Propsteipfründe zugunsten eines adligen Kanonikers zur Einigung und zu seiner Anerkennung als Propst des Paderborner Domkapitels. Die prominente Stellung des hl. Liborius auf dem Einband des Älteren Evangeliars aus St. Georg in Darmstadt legt nahe, dass Manegold von Paderborn nicht nur für die Feier seines Patrons in St. Georg Mittel bereitstellte, sondern auch für die Neubindung der beiden alten Evangeliare des Stiftes. Einerseits kommen darin seine langjährige Verbundenheit 58 Zur Biografie Manegolds vgl. Reiner Decker: Dr. Heinrich Manegold (+ 1505). Rektor der Universität Köln und Dompropst zu Paderborn und Osnabrück, in: Westfälische Zeitschrift 126/127 (1976/77), S. 440 – 449. – Anna-­Dorothee von den Brincken: Das Stift St. Georg zu Köln. Urkunden und Akten 1059 – 1802 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Bd. 51), Köln 1966, S. 355. – Vgl. auch Corsten 1948 (wie Anm. 1), S. 82 u. 100 sowie S. 122 f. zur Liborius-­Feststiftung. 1494 war Manegold Rektor der Kölner Universität. 59 Vgl. Hermann Keussen: Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Bd. 10), Köln 1934, S. 21 f. – Das Stift St. Georg hatte, zusammen mit den Stiften St. Severin, St. Andreas, St. Kunibert, St. Aposteln und St. Mariengraden, diesen Vertrag erst 1447 nach Verhandlungen mit dem Rat der Stadt angenommen. Unter den Professoren wurden die Juristen am besten bezahlt (Keussen S. 103 – 107); zu Heinrich Manegold, der mit dem Humanisten Hermann von dem Busche, der an der Kölner Universität Poetik lehrte, befreundet war; ebd., S. 193.

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg | 291

und seine wichtige Stellung an St. Georg zum Ausdruck. Andererseits ist seine Paderborner Herkunft in Gestalt des hl. Liborius aufgerufen, seine Person somit ins Stiftsgedächtnis eingeschrieben, ohne dass er selbst als Stifter dargestellt ist. Ein weiteres Motiv des Darmstädter Evangeliardeckels deutet auf den gelehrten Juristen Manegold als Auftraggeber hin: Eine Eule, die auf dem Rankenbogen unterhalb der Kreuzigungsszene, genauer unter der Figur eines Auferstehenden hockt.60 Die Eule galt zwar im Alten Testament als unreines Tier und wegen ihrer Vorliebe für Ruinen auch als Begleiterin des Todes. Wegen ihrer Blindheit im Tageslicht wurde sie im Hochmittelalter gern als Sinnbild der Christus nicht erkennenden Juden gedeutet, doch konnte die Verfolgung der tagblinden Eule durch andere Vögel auch als Sinnbild des Neides gegen Unschuldige oder der Verfolgung Christi interpretiert werden.61 Ihre positive antike Konnotation als Attribut der Klugheit Athenes/Minervas lebte im Humanismus des 15./16. Jahrhunderts wieder auf, doch wurde sie zugleich auch als ­­Zeichen rein weltlicher Klugheit der Erkenntnis des Kreuzes bzw. Gottes gegenübergestellt. Da angreifende Singvögel auf dem Einband von St. Georg in Darmstadt fehlen, wird offenbar dieser Aspekt, die selbstkritische Gegenüberstellung weltlicher Gelehrsamkeit mit göttlicher Weisheit, hier betont. An die Stelle der Figur Gottvaters, der am Vorderdeckel des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg segnend über dem Gekreuzigten erscheint, tritt bei seinem Pendant in Darmstadt ein achsensymmetrisch angelegtes Maßwerkornament. Dessen Zentrum bildet ein Kreis, der seitlich von liegenden Spitzbögen mit Fischblasen-­Ornament eingerahmt wird. Aus dem Kreisrund steigt mittig ein Stamm empor, der sich wiederum kreisförmig aufspaltet und aus dem ein schmaler Stamm hervorgeht, der im Innern einen Kreis mit Dreipass trägt. Diese geometrische, generative Ordnung des Maßwerks wird hier zum ­­Zeichen der göttlichen Schöpfungsmacht. Diese wird der wuchernden Form des irdischen Rankenwerks kontrastierend gegenübergestellt. Die Eule, die darin unterhalb des Auferstehenden sitzt, kann somit als Sinnbild des klugen, aber erlösungsbedürftigen Menschen angesprochen werden. Sie ist zugleich als Verweis auf den vermuteten Auftraggeber beider Evangeliar-­ Neubindungen, den Priester, Kanoniker und doctor juris utriusque Heinrich Manegold zu 60 Rankenwerk mit darin versteckten Eulen ziert auch den gravierten Rahmen für ein spätkarolingisches Elfenbein mit der Himmelfahrt Christi, das den Vorderdeckel einer Handschrift aus St. Blasien bildet (St. Paul im Lavanttal). Vgl. Fritz 1966 (wie Anm. 37), Nr. 652, Abb. 21. 61 Vgl. Art. Eule, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte 6, München 1973, Sp. 267 – 322 ­(Heinrich Schwarz / Volker Plagemann), http://www.rdklabor.de/wiki/Eule (22. März 2019). – Dieses Thema wird in Dürers Holzschnitt zum Gedicht „Der Eülen seyndt alle Vögel neydig und gram“ (gedruckt bei Glaser, Nürnberg 1515, Veste Coburg, Graphische Sammlung) dargestellt. Vgl. Antje Wittstock: Melancholia translata. Marsilio Ficinos Melancholie-­Begriff im deutschsprachigen Raum des 16. Jahrhunderts, Göttingen 2011, S. 206. – Ein Ranken-­Stich Martin Schongauers hingegen gibt den anderen Vögeln Grund zur Anfeindung der Eule, denn diese hat einen Singvogel gefangen. Vgl. Kat. München 1991 (wie Anm. 41), Nr. 115 (Tilman Falk).

292 | Susanne Wittekind

verstehen: Durch seine verschiedenen Ämter verfügte dieser über weitreichende Kontakte und hinreichende Einkünfte, um einen ausgezeichneten Goldschmied und Stecher für diesen Auftrag zu gewinnen. Die Neugestaltung der beiden Evangeliardeckel für St. Georg zeigt ein ausgeprägtes Gespür für die Rolle von alten Schatzobjekten als Geschichtszeugen, doch auch von guten Kenntnissen künstlerischer und ikonographischer Konventionen in der Einbandgestaltung des Hochmittelalters. Die hochmittelalterlichen Relief-­Schnitzereien wurden bewahrt, zugleich aber durch den Rahmen inhaltlich neu kontextualisiert, im Fall des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg auch motivisch miteinander verknüpft und so weiterentwickelt: Das Wirken der Heiligen wird hier als Fortsetzung des Heilswerks Christi entfaltet. Die Zugehörigkeit der beiden Evangeliare zum Stift St. Georg wird jeweils durch das Bild des Patrons unterstrichen.62 Das Jüngere Evangeliar aus St. Georg ist durch seinen vergoldeten Rahmen gegenüber jenem in Darmstadt in seinem Rang hervorgehoben. Denn als Eidbuch, auf das alle Amtsträger ihren Amtseid leisteten, war es von besonderer Bedeutung für den Konvent. Anzunehmen ist, dass man in St. Georg ­dieses kostbarere Evangeliar an hohen Festtagen benutzte, etwa an den Kreuzfesten, Georgs- und Marienfesten. Anno II. erfährt hier als Gründer des Stiftes eine besondere Ehrung – vielleicht wurde der Codex auch an seinem Festtag (4. Dezember) am Katharinenaltar des Westturms benutzt. Der mögliche Stifter der beiden neuen Einbände, Manegold von Paderborn, tritt jedoch nur indirekt, vertreten durch „seinen“ Paderborner Patron Liborius ins Bild.

62 Georg tritt wie in zeitgenössischen Stichen im modernen Feldharnisch als Ritter auf, doch vor dem Hintergrund der bürgerlichen Herkunft der Kanoniker von St. Georg wie auch Manegolds wird dies weniger der Verherrlichung Georgs als idealen Ritter gelten, als vielmehr seinem Lobpreis als Schützer der Gläubigen.

Zum Einband des Jüngeren Evangeliars aus St. Georg | 293

Annemarie Stauffer

Der textile Schmuck am Bucheinband des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg

Das heutige Erscheinungsbild des Einbandes für das Lyskirchen-­Evangeliar ist das Ergebnis einer Umarbeitung im 15. Jahrhundert. Dies belegen unter anderem die frühneuzeitlichen Metallbeschläge, die Röntgenaufnahmen der Trägerplatte und die aktuelle dendrochronologische Datierung in die 1120/30er Jahre.1 Vom Schmuck des ursprünglichen Einbandes ist die prachtvolle Walrosszahnschnitzerei erhalten, die – auch dies ein Ergebnis der jüngsten Untersuchungen – in originaler Position in der Mitte der Eichenholzplatte eingelegt wurde. Wie der Rest des Buchdeckels ausgesehen hat, lässt sich heute visuell nicht mehr nachvollziehen. Ein Blick auf die Innenseite des Einbandes liefert jedoch einige Hinweise dazu. Auf der Rückseite der Holztafel sind im Bereich der Außenkanten Reste eines purpurfarbenen Seidengewebes zu sehen. Wenngleich nur äußerst fragmentarisch erhalten, lässt doch eine klar abgegrenzte Verfärbung erkennen, dass es sich dabei um einen Gewebestreifen handelt, welcher in regelmäßiger Breite von etwa 3,5 cm an den Rändern entlang verläuft und nur die Längskante auslässt, an der der Deckel mit dem Buchblock verbunden ist (Abb. 83). Auf dem gegenüberliegenden ersten Blatt, dem ursprünglichen Spiegel, sind die Spuren und der streifenartige Verlauf des Gewebes noch deutlicher zu erkennen, da die rotpurpurne Farbe auf das Pergament abgefärbt hat.2 Durch Gebrauch und Restaurierungen sind von der Seide nur noch wenige Reste vorhanden, und auch diese sind so stark berieben, dass zwar kein Muster rekonstruiert, aber noch die Bindungsart festgestellt werden kann (Abb. 84).3 Es handelt sich um ein aufwendig hergestelltes, mehrkettiges Textil, ein sogenanntes Samitgewebe, wie es in höchster Perfektion vor allem durch byzantinische Erzeugnisse überliefert ist.4 Trotz des starken Abbaus 1 2 3 4

Vgl. dazu die Beiträge von Doris Oltrogge und Susanne Wittekind in ­diesem Band. Ich danke Doris Oltrogge für wichtige Hinweise und stets anregende Gespräche. Auf die Diskussion zur Funktion des ersten Blattes wird hier nicht eingegangen. Vergleiche dazu den Beitrag von Doris Oltrogge in ­diesem Band. Das Gewebe ist in zwei ‚Schichten‘ konstruiert. Die obere ‚Schicht‘, die das Muster sichtbar macht, ist fast vollständig verloren. Zu dieser Bindungsart vgl. Regula Schorta: Monochrome Seidengewebe des hohen Mittelalters. Untersuchungen zu Webtechnik und Musterung, Berlin 2001, S. 21 – 30. – Die vorliegende Seide weist einen charakteristischen Wechsel von zwei Hauptkettfäden auf einen Bindekettfaden auf. Vgl. dazu die Analyse in Anm. 5.

Der textile Schmuck am Bucheinband des Lyskirchen-­Evangeliars | 295

Abb. 83: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar): Innenseite des Vorderdeckels und erstes Blatt.

sind unter dem Mikroskop noch mindestens drei unterschiedliche Farben zu unterscheiden. Diese lassen auf eine purpurfarbene Seide mit gelben und blauen oder blaugrünen Musterelementen schließen.5 Wenngleich keinerlei Rückschlüsse auf das Aussehen des Musters möglich sind, liefert die technische Analyse doch spezifische Hinweise auf die Herkunft der Seide. Anders als allgemein üblich, binden die Schüsse in einem Köper 3/1. Eine s­ olche Bindungsfolge ist bei Samitgeweben außergewöhnlich und für byzantinische Gewebe bislang nicht nachgewiesen, jedoch charakteristisch für eine kleine, technisch geschlossene Gruppe von Seiden, die von der Textilforschung nach Spanien lokalisiert wird.6 Dazu zählen unter anderem eine ­einfarbige 5

6

Der Anteil der purpurfarbenen Schüsse überwiegt, so dass diese vermutlich den Hintergrund des Musters gebildet haben. – Technische Analyse: Samit in Schussköper 1/3, S-Grat. Ketten: Verhältnis: zwei Hauptkettfäden zu einem Bindekettfaden. Material: Hauptkette: Seide, rötlich (?), z-­gedreht. Bindekette: Seide, beige-­rötlich, z-­gedreht. Dichte: 26 Hauptkettfäden/1 cm und 16 Bindekettfäden/1 cm. Schüsse: Verhältnis: Ein Schuss I zu ein Schuss II zu ein Schuss III. Material: Seide, purpurrot, gelb, blau oder dunkelgrün, alle ohne erkennbare Drehung. 22 Passées/1 cm. Kett- und Schussstufung lassen sich nicht erkennen. Vgl. Leonie Von Wilckens: Some remarks on Spanish samites from the 12th and 13th centuries, in: Bulletin du C. I. E. T. A. [Centre International d’Etude des Textiles Anciens] 70 (1992), S. 86 – 90, hier

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Abb. 84: Jüngeres Evangeliar aus St. Georg (Lyskirchen-­Evangeliar), Samitgewebe auf der Innenseite des Vorderdeckels.

Kasel im Domschatz in Halberstadt und ein zweifarbig gemusterter Samit aus dem Schrein der heiligen Elisabeth von Marburg.7 Die Seide am Buchdeckel vom Lyskirchen-­Evangliar aus St. Georg in Köln ist technologisch mit den letztgenannten Beispielen so eng verwandt, dass auch sie mit einiger Wahrscheinlichkeit als ein spanisches Produkt angesehen werden kann.8 Eine Verdichtung der Indizien auf ein spanisches Gewebe liefert auch die Farbanalyse für den purpurfarbenen Musterschuss, für den Doris Oltrogge einen Flechtenfarbstoff S. 87. – Leonie Von Wilckens: Seidengewebe in Zusammenhang mit der heiligen Elisabeth, in: Sankt Elisabeth. Fürstin – Dienerin – Heilige, hg. von Philipps-­Universität Marburg in Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Sigmaringen 1981, S. 285 – 302. 7 Vgl. Schorta 2001 (wie Anm. 4), S. 227. – Von Wilckens 1982 (wie Anm. 6), S. 297 und Abb. 5. 8 Ein einziges bislang bekanntes Beispiel eines Samitgewebes in Köper 1/3, das nicht dieser Gruppe angehört, bildet ein Reliquiengewebe aus St. Peter in Salzburg, heute in der Abegg-­Stiftung in Riggisberg. Mit d ­ iesem Gewebe hat die Seide am Buchdeckel jedoch keinerlei Gemeinsamkeit. Vgl. dazu Karel Otavsky / Anne E. Wardwell: Mittelalterliche Textilien II: Zwischen Europa und China, Riggisberg 2011, S. 163 – 167.

Der textile Schmuck am Bucheinband des Lyskirchen-­Evangeliars | 297

Abb. 85: Vorderdeckel einer Sammelhandschrift, Innenseite, Staatsbibliothek Bamberg, Msc. Lit. 131, 10./11. Jahrhundert.

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nachweisen konnte.9 Dieser Farbstoff tritt seit der Antike bei Geweben aus dem ganzen Mittelmeerraum auf, wo auch die dafür benötigte Pflanze vorwiegend wächst.10 Interessanterweise lassen sich die wenigen spanischen Seidengewebe, die technisch den Fragmenten am Buchdeckel des Lyskirchen-­Evangeliars nahestehen, bislang alle dem 12. oder frühen 13. Jahrhundert zuordnen. Ihre Entstehung liegt damit genau in dem Zeitraum, der auch für die Entstehung des Buchdeckels anzunehmen ist. Deshalb ist mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass man bei dessen Herstellung eine neuwertige Seide verwendet hat, die durch den Glanz des Materials und die leuchtende Farbigkeit zu den exquisitesten Luxuserzeugnissen ihrer Zeit zählte. Schließlich bleibt zu fragen, wie die umlaufenden Streifen auf der Rückseite des Bucheinbandes zu interpretieren sind. Bei der Betrachtung unter dem Mikroskop ist an einigen Stellen zu sehen, dass an den Rändern der Holzplatte das Gewebe um die Kanten geführt ist und z­ wischen dem Holz und dem Metallbeschlag der Vorderseite weiterläuft. Es lässt sich ebenfalls feststellen, dass die Kettrichtung an den Längsseiten quer zu jener an den ­kurzen Seiten oben und unten verläuft. Diese beiden Beobachtungen belegen, dass die Seide auf der Vorderseite des Buchdeckels lag und es sich bei den sogenannten Streifen um die Umbüge des vorderseitigen Bezugs handelt.11 Da die Seide vermutlich in neuwertigem Zustand verwendet wurde, ist davon auszugehen, dass diese in die Konzeption der optischen und materialikonologischen Erscheinung der Vorderseite des Einbandes mit eingeschlossen war und diese in ihrer auffälligen Farbigkeit maßgeblich beeinflusst hat. Gemusterte Seiden auf der sichtbaren Vorder- oder Rückseite von Bucheinbänden in Kombination mit anderen kostbaren Materialien sind für das hohe und späte Mittelalter keine Seltenheit.12 Dass ­solche Gewebe den farbigen Eindruck der Gesamtkomposition mitbestimmen konnten, ja sollten, belegen mehrere Beispiele, bei denen die Seidengewebe jeweils mit einem ajour gearbeiteten Metalldekor (opus interasile) oder mit einzelnen Metallelementen belegt worden sind. Zu nennen sind etwa Vorder- und Rückdeckel einer liturgischen Handschrift mit Gregor-­Kommentar in Bamberg (11. Jahrhundert),13 der 9 Freundliche mündliche Mitteilung vom 17. Mai 2018. 10 Zuletzt und die maßgebliche Literatur zusammenfassend Doris Oltrogge: Purpura und coccus, in: Seide im früh- und hochmittelalterlichen Frauenstift. Besitz – Bedeutung – Umnutzung, hg. v. Thomas Schilp und Annemarie Stauffer (Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 11), Essen 2013, S. 137 – 156, bes. S. 141 f. – Dominique Cardon / Gaëtan Du Chatenet: Guide des teintures naturelles: Plantes, liches, champignons, mollusques et insects, Paris 1990, S. 318 – 327. 11 Auf der restlichen Fläche der Innenseite sind auch unter starker Vergrößerung keine Spuren eines ehemaligen Gewebes zu finden. 12 Bucheinbände, die – ohne weitere schmückende Materialien in Kombination – vollständig mit Seide bezogen waren und s­ olche, bei denen die Seide auf dem inwendigen Spiegel lag, werden hier nicht näher in Betracht gezogen. Vgl. dazu Beispiele bei Schorta 2001 (wie Anm. 4), S. 59, 75, S. 192 f. u. 275 f. 13 Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Lit. 131. Vgl. Frauke Steenbock: Der kirchliche Prachteinband im frühen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Beginn der Gotik, Berlin 1965, Kat.Nr. 34, S. 111 – 112,

Der textile Schmuck am Bucheinband des Lyskirchen-­Evangeliars | 299

Rückdeckel von Codex Latinus 4456 aus dem 1./2. Viertel des 11. Jahrhunderts (Bayerische Staatsbibliohek München)14 oder der Rückdeckel vom Evangeliar der Äbtissin Theophanu im Domschatz Essen (um 1045).15 Eine gute Vorstellung von der Wirkung stark farbiger Seiden in Kontext mit Metallbeschlägen vermittelt der oben genannte Deckel der liturgischen Handschrift Msc. Lit. 131 in Bamberg. Die aus Silberblech gearbeitete Majestas Domini war mit einer roten Seide mit blauen und gelben Palmetten und Vogelmuster hinterlegt, deren Ränder wie beim Buchdeckel vom Evangeliar aus Lyskirchen über die Kanten auf die Rückseite gezogen wurden (Abb. 85). Ob beim hier zur Diskussion stehenden Buchdeckel nur die Walrosszahnschnitzerei oder aber – worauf die in der Röntgenaufnahme erkennbaren Nagelspuren 16 hindeuten – auch ein weiteres Schmuckelement mit der Seide kombiniert waren, lässt sich nicht mehr eindeutig festlegen. Die Farbigkeit der Seide muss in jedem Fall eine maßgebliche optische Komponente dargestellt haben. Zusammen mit den übrigen Schmuckelementen war sie ­­Zeichen des kostbaren Inhaltes, den sie umschloss.

Abb. 50, 51. – Gude Suckale-­Redlefsen: Die illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg, Bd. 1,1, Wiesbaden 2004, S. 181 – 182. 14 Steenbock (wie Anm. 13), Nr. 60, S. 149 – 151, Abb. 84. 15 Annemarie Stauffer: Ein kostbares Geschenk: Der originale Einband des Theophanu-­Evangeliars in Essen, in: Netzwerke der Memoria, hg. v. Jens Lieven, Michael Schlagheck und Barbara Welzel, Essen 2013, S. 107 – 117. 16 Vgl. dazu den Beitrag von Susanne Wittekind in ­diesem Band.

300 | Annemarie Stauffer

Abbildungsnachweis

Abb. 1 sowie Farbtafel 1 und 112: Kirchengemeinde St. Georg, Köln / Erzbischöfliches Generalvikariat, Köln; Foto: Stephan Kube, Greven. Abb. 2 u. 3: Grafiken: Doris Oltrogge, Köln. Abb. 4 – 15 u. 84: TH Köln, CICS (Cologne Institute for Conservation Sciences), Fotos: Robert Fuchs. Abb. 16, 28 – 33 u. 83 sowie alle Farbtafeln der Handschrift: Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln. Abb. 17: Historisches Archiv der Stadt Köln. Abb. 18: J. Paul Getty Museum Los Angeles. Digital image courtesy of the Getty’s Open Content Programme. Abb. 19, 65 – 67 u. 71: Hessisches Landesmuseum Darmstadt. Abb. 20: Bayerische Staatsbibliothek, München. Abb. 21 – 26: Montage: Ursula Prinz, Kiel, nach Vorlagen aus den jeweilig genannten Biblio­ theken. Abb. 27: Umzeichnung: Ursula Prinz, Kiel. Abb. 34 – 38: Bibliothèque nationale de France – Département des estampes, Paris. Abb. 39: Bibliothèque nationale de France, Paris. Abb. 40 u. 41: Biblioteca Ambrosiana, Mailand. Abb. 42 u. 43: British Library, London. Abb. 44 u. 50: Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz – Kupferstichkabinett. Abb. 45 – 49: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Abb. 51: Repro aus: Johannes Rathofer (Hg.): Das salische K ­ aiser-­Evangeliar Codex Aureus Escorialensis. Das Goldene Evangelienbuch Heinrichs III. Kommentarband zum Faksimile, 2 Bde., Münster 1995/99, S. 69. Abb. 52: Bibloteka Naradowa / Nationalbibliothek Warschau. Abb. 53: Erzbischöfliches Diözesanmuseum, Paderborn, Foto: Ansgar Hofmann, S­ chlangen. Abb. 54 u. 55: Archiv Ulrich Kuder, Kiel. ­ irchen. Abb. 56: Repro aus: Werner Schäfke: St. Gereon, in: Köln: Die romanischen K Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg, hg. v. Hiltrud Kier und Ulrich Krings (Stadtspuren – Denkmäler in Köln, Bd. 1), Köln 1984, S. 278 – 297, S. 279 u. 288 (Montage). Abb. 57: Repro aus: Ulrich Krings / Otmar Schwab: Köln – Die romanischen Kirchen. Zerstörung und Wiederherstellung (Stadtspuren – Denkmäler in Köln, Bd. 2), Köln 2007, S. 263, Abb. 82.

Abbildungsnachweis | 301

Abb. 58, 62, 68 u. 69: Rheinisches Bildarchiv, Köln. Abb. 59: Foto: Otmar Schwab, Köln. Abb. 60: Repro aus: Stephan Waetzold: Die Kopien des 17. Jahrhunderts nach M ­ osaiken und Wandmalereien in Rom (Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Bd. 18), Wien 1964, Abb. 519 – 520. Abb. 61: Pinacoteca Vaticana, Rom. Abb. 63: Biblioteca Medicaea, Laurenziana Florenz. Abb. 64: Gräflich Schönbornsche Schlossbibliothek, Pommersfelden. Abb. 70: Foto: Dorothea Heiermann, Köln. Abb. 72: Repro aus: Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln, 1. Band, IV. Abteilung: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln, St. Alban […], St. Georg (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz Bd. 6, IV), bearb. v. Wilhelm Ewald und Hugo Rahtgens, Düsseldorf 1916, S. 335, Fig. 181. Abb. 73: Domschatz Essen, Foto: Jens Nober, Essen. Abb. 74 u. 75: TH Köln, Foto: Hans Portsteffen. Abb. 77 u. 81: Repro aus: Martin Schongauer. Das Kupferstichwerk, Ausst. Kat. ­Staatliche Graphische Sammlung München hg. v. Tilman Falk und Thomas Hirthe, München 1991, S. 105 u. 168. Abb. 78: Universitätsbibliothek, Würzburg. Abb. 79: Staatliche Graphische Sammlung, München. Abb. 80: Museum der bildenden Künste, Leipzig. Abb. 82: Stiftsmuseum Xanten, Foto: Michael Saint-­Mont, Düsseldorf. Abb. 85: Bayerische Staatsbibliothek Bamberg, Foto: Stefan Raab, Bamberg. Für die Einwerbung der Bildrechte zeichnen die Autoren der jeweiligen Beiträge verantwortlich. Sollten irrtümlich Bildrechte verletzt worden sein, so bitten wir um freundlichen Hinweis.

302 | Abbildungsnachweis

Farbtafeln

Die folgenden Farbtafeln zeigen alle Seiten des Lyskirchen-­Evangeliars aus St. Georg in Köln, die Bilder, Zierinitialen, Zierschriften sowie Nachträge enthalten. Um einen angemessenen Eindruck der Handschrift zu vermitteln, wurden immer die jeweiligen Doppelseiten abgebildet. Die Größe der Seiten ist im Druck gegenüber dem Evangeliar etwas verkleinert. Der Buchblock des Evangeliars misst etwa 29,5 × 22,4 cm. Das Lyskirchen-­Evangeliar liegt heute in der Schatzkammer der Pfarrkirche St. Georg in Köln. Ein Besuch der Schatzkammer ist nach vorheriger Anmeldung möglich.

Farbtafeln | 303

fig.

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